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Mechanik - Humboldt-Universität zu Berlin

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Skript <strong>zu</strong>r Vorlesung Theoretische Physik I für das Lehramt:<strong>Mechanik</strong> und Einführung in die Relativitätstheorie“”Prof. Dr. R. Zimmermann, Stud. phys. Martin Mücke<strong>Humboldt</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>zu</strong> <strong>Berlin</strong>Institut für Physik, AG HalbleitertheorieInhaltsverzeichnis1 Klassische <strong>Mechanik</strong> 31.1 Grundbegriffe, Koordinatensysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . 31.2 Grundgesetze der Newtonschen <strong>Mechanik</strong> . . . . . . . . . . . . . 51.3 Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81.3.1 Freier Fall im Schwerefeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81.3.2 Der harmonische Oszillator . . . . . . . . . . . . . . . . . 91.3.3 Raketenstart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101.4 Erhaltungsgrößen für den Massenpunkt . . . . . . . . . . . . . . 111.5 Zentralkraft und Kepler-Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131.5.1 Konservative Zentralkräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . 131.5.2 Gravitationspotenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151.5.3 Die Keplerschen Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161.6 Arbeit und Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171.7 Nichtinertialsysteme, Scheinkräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . 181.7.1 Zentrifugalkraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191.7.2 Corioliskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211.8 Mehrteilchensysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231.8.1 Zweikörperproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261.8.2 Stoßprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271.9 Der starre Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291.9.1 Das physikalische Pendel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311.9.2 Der Steinersche Satz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321


2 Analytische <strong>Mechanik</strong> 352.1 Systeme mit Bewegungsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . 352.2 Lagrange-Formalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372.2.1 Beispiel 1: Das Gleitpendel . . . . . . . . . . . . . . . . . 382.2.2 Beispiel 2: Das räumliche Pendel . . . . . . . . . . . . . . 412.3 Hamilton-Formalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422.3.1 Beispiel 3: Gleiten auf schräger Ebene . . . . . . . . . . . 442.3.2 Beispiel 4: Perle auf rotierendem Stab . . . . . . . . . . . 463 Einführung in die spezielle Relativitätstheorie 493.1 Relativistische Raum-Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493.1.1 Beispiel 1: Doppler-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533.1.2 Beispiel 2: Relativitätstheorie und GPS . . . . . . . . . . 553.2 Relativistische <strong>Mechanik</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56A Anhang 60A.1 Die Ellipse in Polarkoordiaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60A.2 Die Planeten im Sonnensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63A.3 Gravitationspotenzial eines Ellipsoides,Abplattung der Erde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64A.4 Details <strong>zu</strong>m physikalischen Pendel . . . . . . . . . . . . . . . . . 662


1 Klassische <strong>Mechanik</strong>1.1 Grundbegriffe, KoordinatensystemeIn der <strong>Mechanik</strong> wird die Bewegung von massiven Objekten unter der Wirkungvon Kräften untersucht. Wenn interne Bewegungen bzw. Deformationenunwichtig sind, kann man ein solches Objekt als Massenpunkt idealisieren, derdie Masse m besitzt. Die Hauptaufgabe der <strong>Mechanik</strong> von Massenpunkten bestehtin der Bestimmung der Bahnkurve(n) r(t) aus den Anfangsbedingungenund den Kräften. Die Geschwindigkeit v(t) des Massenpunktes ist durch denDifferentialquotientengegeben, also ebenfalls ein Vektor.r(t + ∆) − r(t)v(t) = lim= d r(t) ≡ ṙ(t) (1)∆→0 ∆ dtEin Vektor besitzt Betrag und Richtung, er muss invariant gegenüber einerGalilei-Transformation sein, die eine gleichförmige Verschiebung des Koordinatensystemsohne Drehung beschreibt:S → S ′r → r ′ + VtIn diese Klasse gehören Ort, Geschwindigkeit, Beschleunigung...Ein Skalar ist dagegen eine reelle (oder evtl. komplexe) Größe, die invariantgegen jede Transformation ist, wie z.B. die Masse (m = m ′ ) oder die Temperatur.In der (nichtrelativistischen) <strong>Mechanik</strong> ist der Raum homogen und isotrop,die Zeit verläuft kontinuierlich und homogen. Daraus lässt sich folgern, dassdie Gesetze der Klassischen <strong>Mechanik</strong> forminvariant sein müssen sowohl gegenKoordinatentransformationen als auch Zeitverschiebungen.KoordinatensystemeEs sei an das Skalarprodukt von Vektoren erinnert:a · b = |a| |b| cos φ a,b , (2)wobei φ a,b der Winkel zwischen den beiden Vektoren ist. Zwei Vektoren stehenaufeinander senkrecht (sind orthogonal), wenn ihr Skalarprodukt verschwindet:a · b = 0 : a ⊥ b (3)Jedes Koordiatensystem ist durch Angabe eines Satzes orthogonaler Vektorender Länge 1 definiert - das sind die Einheitsvektoren:e j · e k = δ jk . (4)Im dreidimensionalen Raum laufen j und k über drei Werte. Diese Einheitsvektorenkönnen auch vom Ort abhängen - es ist nur wichtig, dass sie lokal einorthogonales Dreibein bilden.3


(a) Kartesische Koordinaten: Besonders einfach sind die kartesischen Koordinaten,in denen die Einheitsvektoren längs der Achsen des Koordinatensystmsliegen, also nicht vom Ort abhängen. Der Ortsvektor kann durchr = x e x + y e y + z e z (5)dargestellt werden, wobei die Komponenten genau die Projektionen auf dieAchsen sind, z.B. x = r · e x . In Komponentendarstellung verwendet man einenSpaltenvektor und vereinbartWeitere Relationen ergeben sich <strong>zu</strong>:Differential⎛r = ⎝xyz⎞⎠ (6)dr = dx e x + dy e y + dz e zBetragsquadrat r · r = |r| 2 = x 2 + y 2 + z 2Länge |r| = √ x 2 + y 2 + z 2(7)Geschwindigkeitsquadrat (v) 2 = ẋ 2 + ẏ 2 + ż 2Geschwindigkeit v = ṙ = ẋ e x + ẏ e y + ż e z(b) Zylinderkoordinaten: Für Probleme, in denen Symmetrie bezüglich einerfesten Achse vorliegt, bieten sich Zylinderkoordinaten <strong>zu</strong>r Beschreibung an.e z ist die feste Achse, ρ der Abstand von dieser Achse, und φ der Azimuth-Winkel. Die kartesischen Koordinaten stellen sich so dar:x = ρ cos φ , y = ρ sin φ , z bleibt . (8)Aus dem Differential dr = dx e x + dy e y + dz e z können wir die Form derEinheitsvektoren erschließen, indem wirdx = cos φ dρ − ρ sin φ dφ , dy = sin φ dρ + ρ cos φ dφ , dz bleibt (9)berechnen und einsetzen:dr = dz e z + (cos φ · e x + sin φe y ) dρ + ρ (− sin φ e x + cos φ e y ) dφ . (10)} {{ } } {{ }e ρ e φMan überzeuge sich, dass die neuen Einheitsvektoren tatsächlich die Länge 1haben und orthogonal sind (z.B. e φ · e ρ = 0).Länge r = √ ρ 2 + z 2Geschwindigkeit v = ṙ = ż e z + ˙ρ e ρ + ρ ˙φ e φGeschwindigkeitsquadrat (v) 2 = ż 2 + ˙ρ 2 + ρ 2 ˙φ2(11)4


(c) Kugelkoordinaten: Um die Vorzüge der Kugelkoordinaten aus<strong>zu</strong>nutzen,sollte sphärische Symmetrie vorliegen. Hier haben wir mit Radius r, Polarwinkelθ und Azimuthwinkel φx = r sin θ cos φ , y = r sin θ sin φ , z = r cos θ . (12)Die Einheitsvektoren schreiben wir als Transformations-Matrix⎛ ⎞ ⎛⎞ ⎛ ⎞e r sin θ cos φ sin θ sin φ cos θ e x⎝e θ⎠ = ⎝cos θ cos φ cos θ sin φ − sin θ⎠⎝e y⎠ (13)e φ − sin θ cos φ 0 e zSchließlich gilt hierGeschwindigkeit v = ṙ e r + r ˙θ e θ + r sin θ ˙φ e φGeschwindigkeitsquadrat (v) 2 = ṙ 2 + r 2 ˙θ2 + r 2 sin 2 θ ˙φ(14)21.2 Grundgesetze der Newtonschen <strong>Mechanik</strong>Von Isaac Newton (1642-1727) wird berichtet, dass er die Fallgesetze fand, als erunter einem Apfelbaum im Trinity-College in Cambridge lag und den fallendenApfel mit dem Umlauf des Mondes um die Erde in Beziehung brachte.Die Newtonschen Axiome(1) Wenn keine Kräfte wirken, verharrt jeder Körper im Zustand der Ruheoder der gleichförmigen Bewegung (das gilt für Inertialsysteme). Schärferformuliert: Es gibt Inertialsysteme.Jedes System, das sich gleichförmig gegen ein Inertialsystem bewegt, ist ebenfallsein Inertialsystem.Mathematische Formulierung: S sei ein Inertialsystem, und S ′ bewege sichgleichförmig gegenüber S. Das heißt, der Ursprung von S ′ bewegt sich in Sgemäß R + V t. Für die Bahnbewegung eines Massenpunktes hat das <strong>zu</strong>r Folge:Bahnbewegung in S: r(t)Bahnbewegung in S ′ : r ′ (15)(t) = r(t) − R − V tUnter Nichtinertialsystemen versteht man solche Systeme, die sich beschleunigtbewegen ( ¨R(t) ≠ 0) und/oder rotieren.(2) Die Änderung des Impulses p = m ˙v eines Massenpunktes ist proportional<strong>zu</strong>r Kraft. Mit einem Proportionalitätsfaktor 1 (der damit die Dimensionder Kraft F festlegt) schreiben wirF = dpdt = d (m v) . (16)dt5


Achtung, auch die Masse kann variabel sein, m(t) ! Bei konstanter Masse erhältmanF = m ˙v = m ¨r = m a , (17)also Kraft gleich Masse mal Beschleunigung.Die grundlegenden Einheiten in der Physik geben wir im Systeme Internationalan:Größe l - Länge t - Zeit m - MasseSI-Einheit 1 m 1 s 1 kgalt: Urmeter Sonnenjahr Urkilogrammneu: Licht-Wellenl. Lichtgeschw. fixiert Atome in einer Si-KugelDaraus finden wir sofort für die Kraft:Dimensionell: [F ] = [ ml/t 2] und als Einheit: 1 N = 1 kg m/s 2 (18)und haben die abgeleitete Einheit N (das Newton) definiert.Es gibt verschiedene Typen von Kräften:(a) Kontaktkräfte: A schiebt B, Reibung, mechanische Spannung (gehen aufelektrische Kräfte im atomaren Bereich <strong>zu</strong>rück).(b) Fernkräfte: Gravitation, Elektrische und magnetische Kräfte, Kernkräfte(sie stellen die eigentlich primären Kräfte dar).Das einfachste Beispiel ist die Gravitationskraft im Schwerefeld der Erde, diefür kleine Abstände von der Erdoberfläche näherungsweise konstant ist,F = −m s g e z (19)mit der Erdbeschleunigung g = 9.81 N/kg. Sie ist <strong>zu</strong>m Erdmittelpunkt hingerichtet, also entgegen der aufwärts weisenden z-Achse. Achtung, wir habenhier für den Massenpunkt die schwere Masse m s eingeführt!Nach dem zweiten Newtonschen Axiom giltmit der trägen Masse m t , also <strong>zu</strong>sammengefasstF = m t¨r (20)m t¨r = −m s g e z . (21)Schon Newton konnte experimentell zeigen, dass die Äquivalenz m s = m t gilt(damals mit einer Messgenauigkeit von 0.1%). Einstein erhob das <strong>zu</strong>m Axiomund baute darauf seine allgemeine Relativitätstheorie auf. Der gegenwärtigeMessfehler liegt unterhalb von 10 −10 ! Aufgrund der Äquivalenz von träger undschwerer Masse fallen die Massen in Gl. (21) heraus,¨r = −g e z . (22)Daraus folgt, dass (bei vernachlässigter Reibung) alle Körper gleich schnellfallen.6


(3) Die von Massenpunkt 2 auf 1 ausgeübte Kraft F 12 ist entgegengesetztgleich groß der von 1 auf 2 ausgeübten Kraft F 21 , oder: Actio gleich Reactio,F 12 = −F 21 (23)Daraus folgtF 12 + F 21 = 0 = d dt (p 1 + p 2 ) . (24)Im abgeschlossenem System (keine äußeren Kräfte) bleibt also der Gesamtipulserhalten:N∑P = p j = const t . (25)j=1Prominentes Beispiel für eine Kraft zwischen zwei Massenpunkten ist die GravitationF 12 = −G m 1m 2r 1 − r 2r212 e 12 = −Gm 1 m 2|r 1 − r 2 | 3 (26)mit der Graviationakonstanten G = 6.67 10 −11 N m 2 /kg 2 . Die Gravitationskraftist anziehend und hat die Richtung des Verbindungsvektors zwischen den Massenpunkten(sie ist ein Zentralkraft).(4) Kräfte addieren sich vektoriell (sie sind polare Vektoren):F 1 =N∑F 1j . (27)j=2Aus dem Blickwinkel von Massenpunkt 1 erzeugen alle anderen Massenpunkteein Kraftfeld F 1 = F(r 1 , v 1 , t). Hier haben wir auch geschwindigkeitsabhängigeKräfte <strong>zu</strong>gelassen (die Gravitation gehört nicht da<strong>zu</strong>).Der Schwerpunkt R mehrerer Massenpunkte wird durch die massenbewichteteSumme über alle Ortspositionen gebildet:R = 1 MN∑m j r j (28)j=1mit der Gesamtmasse M = ∑ j m j. Abgeleitet nach der Zeit ergibt sichṘ = 1 M∑m j ṙ j = 1 Mj∑p j = P M . (29)jFür ein abgeschlossenes System (Erhalt des Gesamtimpulses) gilt alsoM ¨R = Ṗ = 0 . (30)Der Schwerpunkt eines Systems von Massenpunkten bewegt sich kräftefrei,wenn keine äußeren Kräfte wirken!7


1z(x)0v z-1-20 1 2 3xAbbildung 1: Die Wurfparabel für eine Wurfrichtung von 45 ◦ (also v z (0) =v x (0)). Gestrichelt: <strong>zu</strong>gehörige Geschwindigkeit in z-Richtung.1.3 Anwendungen1.3.1 Freier Fall im SchwerefeldWir bearbeiten die Differentialgeleichung zweiter Ordnungd 2 r(t)dt 2 = −g e z . (31)Da hier die rechte Seite (Kraft) konstant ist, können wir direkt integrieren:∫ tt 0dt ′ :dr(t)dtt∣ = ṙ(t) − ṙ(t 0 ) = −g e z (t − t 0 ) , (32)t 0alsoṙ(t) = v(t) = v(t 0 ) − g e z (t − t 0 ) . (33)Die Geschwindigkeit verändert sich linear mit der Zeit. Ohne Beschränkung derAllgemeinheit setzen wir t 0 = 0 und integrieren weiter <strong>zu</strong>r(t) − r(0) = v(0)t − g e zDie Bahnkurve des Massenpunkts ergibt sich so <strong>zu</strong>∫t0dt ′ t ′ . (34)r(t) = r(0) + v(0)t − g e zt 2 2 . (35)8


Wir wählen r(0) = 0 und legen v(0) in die x-z-Ebene. Für die beiden Komponentendes Ortsvektors erhalten wirz(t) = v z (0) t − g t 2 /2 , x(t) = v x (0) t . (36)Hier kann man die Zeit eliminieren und erhält den Zusammenhangz = v z(0)v x (0) x −g2v x (0) 2 x2 , (37)also die Darstellung der Wurfparabel (s. Abb. 1). Die Reichweite x W des Wurfesergibt sich aus z = 0, also <strong>zu</strong>x W = 2 g v x(0) v z (0) . (38)1.3.2 Der harmonische OszillatorEin Massenpunkt gleitet reibungsfrei auf einer Stange. Eine ideal elastischeFeder treibt ihn mit der Kraft F = −kr <strong>zu</strong>m Ursprung <strong>zu</strong>rück (k ist die Federkonstantemit der Einheit [N/m]). Die Bewegungsgleichung lautetm ẍ = −k x . (39)Als Lösungen einer Differentialgleichung vom Typ f ′′ = −f bieten sich dietrigonometrischen Funktionen an. Wir versuchen den Ansatzx(t) = L sin(ωt + α) (40)und setzen in die Bewegungsgleichung ein. Für die Kreisfrequenz des harmonischenOszillators ω ergibt sich dannω = √ k/m . (41)Die <strong>zu</strong>gehörige Schwingungsdauer ist T s = 2π/ω. Die weiteren Konstanten L(maximale Auslenkung) und Phasenlage α ergeben sich aus den Anfangsbedingungenx 0 ≡ x(t = 0) = L sin α , v 0 ≡ ẋ(t = 0) = ωL cos α (42)<strong>zu</strong>L =√x 2 0 + (v 0/ω) 2 ,( )x0 ωα = arctan . (43)v 0Wir wollen das gleiche Ergebnis noch einmal mit der Methode des IntegrierendenFaktors ableiten. Die Idee besteht darin, die gesamte Differentialgleichungmit einem Faktor <strong>zu</strong> multiplizieren, der so gewählt werden muss, dassim Ergebnis eine vollständige zeitliche Ableitung auftritt – die man dann leichtintegrieren kann. Im vorliegenden Fall 0 = mẍ + kx liefert der Faktor ẋ dasGewünschte:0 = m ẍẋ + k xẋ = d 1 (m ẋ 2 + k x 2) . (44)dt 29


Damit ist ein erstes Integral sofort gefunden:bzw. aufgelöst <strong>zu</strong>m ẋ 2 + k x 2 = const t ≡ k C 2 , (45)dxdt = ± √km (C2 − x 2 ) . (46)Zur Lösung kann die Trennung der Variablen eingesetzt werden (ω = √ k/m):dxω dt = ± √C 2 − x . (47)2Auf beiden Seiten wird integriert mit dem Ergebnis∫ t∫ x(t)dxdtω = ωt = ± √0x 0 C 2 − x = ± [arcsin(x(t)/C) − arcsin(x 0/C)] , (48)2was <strong>zu</strong>x(t) = C sin (±ωt + arcsin(x 0 /C)) (49)aufgelöst werden kann. Das entspricht genau Gl. (40)! Das Doppelvorzeichenkann in die Anfangsphase α absorbiert werden. Im vorliegenden Fall ist dieMethode des Integrierenden Faktors unnötig kompliziert, aber sie kann mitGewinn in schwierigeren Fällen angewandt werden.1.3.3 RaketenstartHier bearbeiten wir ein Problem mit variabler Masse. Das gestaltet sich einfach,wenn sowohl Masse als auch Kraft nur Funktionen der Zeit sind, also nicht vonr(t), v(t) abhängen. Dann kann mandirekt <strong>zu</strong>integrieren.∫ t0F(t) = d (m(t)v(t)) (50)dtdt ′ F(t ′ ) = m(t)v(t) − m 0 v 0 (51)Wir betrachten den Start einer Rakete ohne Gravitationswirkung (also voneiner Weltraumbasis aus). Bei einer konstanten Ausströmgeschwindigkeit w derTreibgase nimmt die Masse linear ab, m(t) = m 0 − at. Nach actio=reactiobewirkt das eine konstante Rückstoßkraft auf die Rakete, nämlichF (t) = − dm(t) w = +a w (52)dt(wir haben uns auf die Vektorkomponente in Bewegungsrichtung der Raketebeschränkt). Mit der Startbedingung v(0) = 0 finden wir nach Gl. (51)m(t) v(t) =∫ t0dt ′ F (t ′ ) = a w t , (53)10


also für die GeschwindigkeitEine weitere Integration ergibt∫ t∫ tv(t) =x(t) = dt ′ v(t ′ ) = dt ′ w t ′00 (m 0 /a) − t ′ = w=[w − m ( ] t0a ln m0a − t′) − t ′ = −w0a w tm 0 − a t . (54)∫ t0[m0( )dt ′ m0 /a(m 0 /a) − t ′ − 1a ln (1 − a m 0t)]+ t .Dieser Ausdruck divergiert logarithmisch bei t = m 0 /a. Das entspräche m(t) =0, was aber wegen des endlichen Leergewichts der Rakete nicht auftreten kann.Unter Verwendung von ln(1 − x) = −(x + x 2 /2 + x 3 /3 + . . . ) entwicklen wir dasVerhalten für kleine Zeiten und nehmen nur die ersten beiden Terme mit:[ (m 0 atx(t) ≈ +w+ 1 ( ) ) ]at2− t = t2 aw. (55)a m 0 2 m 0 2 m 0Das ist das typische quadratische Verhalten bei konstanter Beschleunigung!1.4 Erhaltungsgrößen für den MassenpunktKonservatives KraftfeldIm eindimensionalen Fall (siehe harmonischer Oszillator) war ẋ ein integrierenderFaktor und ermöglichte eine erste Integration der Bewegungsgleichung.In drei Dimensionen gelingt das jedoch nicht für beliebige Kraftgesetze F(r),sondern nur für solche Kraftfelder, die sich als Gradient darstellen lassen:( ∂VF(r) = −grad V (r) ≡ −∇ r V (r) ≡ −∂x , ∂V∂y , ∂V∂z). (56)Man nennt dies ein konservatives Kraftfeld, das sich also aus einem PotenzialV (r) ableiten lässt. Damit eng verbunden ist dieEnergieerhaltungWir multiplizieren die Bewegungsgleichungm¨r = F(r) = −∇ r V (r) (57)skalar mit ṙ und erhaltenm¨r · ṙ + ṙ · ∇ r V (r) = 0 . (58)11


Andererseits berechnen wirddt (ṙ)2 = 2 ṙ · ¨r ,d dV dxV (r(t)) =dt dx dt + dV dydy dt + dV dzdz dt = (∇ rV ) · ṙ (59)und erreichen damitd[ mdt 2 (ṙ)2 + V (r)]= 0 . (60)Die Größe in eckigen Klammern ist also eine Erhaltungsgröße, wir bezeichnensie als Energie (des Massenpunktes)E = m 2 (v)2 + V (r) = const t . (61)Der erste Term, die kinetische Energie, kann auch als E Kin = p 2 /(2m) geschriebenwerden. Entsprechend heißt der zweite Term potenzielle Energie.Wenn die Kraft explizit von der Zeit und/oder der Geschwindigkeit abhängt,handelt es sich um dissipative Prozesse. Dann gilt erst recht keine Energieerhaltung.Woran ist ein konservatives Kraftfeld <strong>zu</strong> erkennen? Es mussrot F(r) = ∇ r × F(r) = 0 (62)erfüllt sein, da nämlich rot grad V (r) = 0 gilt (ein Potenzialfeld ist wirbelfrei).Wenn z.B. die Komponenten des Kraftfeldes jeweils nur von ihrer Variablenabhängen, F(r) = (F x (x), F y (y), F z (z)), liegt ein konservatives Kraftfeld vor,und man kann sofort das Potenzial konstruierenV (x, y, z) = const −∫ xdx ′ F x (x ′ ) − (→ y) − (→ z) . (63)Verallgemeinert liegt ein konservatives Kraftfeld vor, wenn das Linienintegral∫ r2r 1dr ′ · F(r ′ ) = −V (r 1 ) + V (r 2 ) (64)unabhängig vom Weg ist (und damit gleich der Potenzialdifferenz). Anders ausgedrückt:Jedes geschlossene Linienintegral über ein konservatives Kraftfeld verschwindet,∮dr · F(r) = 0 . (65)Im Fall des harmonischen Oszillators (1.3.2) genügt die eindimensionale Integrationnach Gl. (63) mit dem Ergebnis V (x) = (k/2)x 2 , und die gesamte EnergieistE = m 2 ẋ2 + k 2 x2 . (66)Ohne äußere Kräfte giltalso die Impulserhaltung.p = mv = const t , (67)12


Durch Vektormultiplikation des Impulses mit dem Ortsvektor des Massenpunkteserhalten wir eine neue Größe, den DrehimpulsL = r × p = m(r × ṙ) . (68)Er ist auf einen festen Ursprung (den Drehpunkt) bezogen. Aus der BewegungsgleichungGl. (16) folgt damit der Drehimpuls-Satzddt L = r × F ≡ M , (69)womit das Drehmoment M definiert ist. Wenn M = 0 gilt, so ist der Drehimpulseine Erhaltungsgröße. Das ist trivialerweise im kräftefreien Fall erfüllt, aberauch für jede ZentralkraftF = F (r, ṙ, t) e r , (70)denn wir haben dann M = r F (e r × e r ) ≡ 0. Für Zentralkräfte gilt also einErhaltungssatz für den Drehimpuls. Wir können weiterL · r = m (r × ṙ) · ṙ = 0 (71)bilden und folgern, dass wegen L = const t die Bahnkurve r(t) immer senkrechtauf dem festen Vektor L steht, der durch die Anfangsbedingungen gemäß L =m(r(0) × v(0)) festgelegt ist. Für Zentralkräfte verläuft also die Bahnkurve füralle Zeiten in einer Ebene, die durch den Ursprung, den Punkt r(0) und dieRichtung von v(0) aufgespannt wird.Eine weitere Folgerung aus dem Erhaltungssatz für den Drehimpuls ist derFlächensatz. Wir berechnen die Fläche, die durch den Ortsvektor r(t) imZeitintervall (t, t + ∆t) überstrichen wird:∆S = 1 2 |r(t) × r(t + ∆t)| = 1 |r(t) × r(t) + r(t) × ṙ(t)∆t|2= 1 2 ∆t|r × ṙ| t = ∆t2m |L| = const tDaraus folgt∆S∆t = 12m |L| = const t , (72)der sogenannte Fahrstrahl (r(t)) überstreicht in gleichen Zeiten gleiche Flächen.Nahe am Zentrum bewegt sich der Massenpunkt daher schnell, weiter weg deutlichlangsamer! Die differentielle Beziehung kann integriert werden <strong>zu</strong>1.5 Zentralkraft und Kepler-Problem1.5.1 Konservative ZentralkräfteS 12 = (t 2 − t 1 ) |L|2m . (73)Für eine konservative Zentralkraft F = F (r) e r können wir das <strong>zu</strong>gehörige PotenzialV (r) direkt ausrechnen <strong>zu</strong>F = −∇ r V (r) = −13dV (r)e r , (74)dr


weil allgemein ∇ r f(r) = f ′ (r) e r gilt.Wegen L = const t findet die Bewegung in einer festen Ebene statt, daher istdie Wahl von Zylinderkoordinaten mit L‖e z sinnvoll, und wir habenr = r e r und ṙ = ṙ e ρ + r ˙φ e φ (75)(es gibt hier keinen Beitrag mit e z ). Weiter verarbeiten wirL = m(r × ṙ) = mr ( ṙ e ρ × e ρ + r} {{ }˙φ)e ρ × e φ = mr2 ˙φ ez = Le z . (76)} {{ }= 0= e zDer Drehimpuls liegt also wie erwartet in z-Richtung, und für die Winkelgeschwindigkeitfolgt˙φ =Lm r 2 . (77)Für die Gesamtenergie finden wirE = m 2 (ṙ)2 + V (r) = m 2 (ṙ2 + r 2 ˙φ2 ) + V (r) = const t (78)beziehungsweiseE = m 2 ṙ2 +L + V (r) . (79)2mr2 Die kinetische Energie zerfällt also jetzt in den Anteil der Radialbewegung undden Anteil der Drehung um das Zentrum. Das lässt sich auch anders <strong>zu</strong>sammenfassen,nämlich <strong>zu</strong>E = m 2 ṙ2 + W (r) (80)mit dem effektiven PotenzialW (r) =L + V (r) , (81)2mr2 das ein Zentrifugalpotenzial (aus der kinetischen Energie der Drehung) enthält.Zur Lösung des Problems stellen wir Gl. (80) nach ṙ um√2 ( )ṙ = ± E − W (r)m(82)und trennen die Variablen mit dem Ergebnis (r 0 ≡ r(t = 0))∫ rdr ′√ ( ) = (±) t . (83)2r 0 E − W (r ′ )mDer Vorzeichenwechsel muss dann erfolgen, wenn der Wurzelausdruck verschwindet(trotzdem bleibt das Integral endlich). Zumindest numerisch kann Gl. (83)gelöst werden und ergibt t = t(r), woraus durch Umkehrung die gesuchteAbhängigkeit r(t) folgt.14


ein. Die Integration liefertφ = −r∫1 /rr 1 ∫/r−1ds√ɛ 2 − (s − 1) = − ds ′( )√ 2 ɛ 2 − s = arccos r1 /r − 1′2 ɛ(93)und führt über die Umkehrfunktion <strong>zu</strong>r 1r(φ) =1 + ɛ cos φ . (94)Das ist die allgemeine Polardarstellung der Kegelschnitte. Die Exzentrizität ɛgibt den Typ an:ɛ = 0 :Kreis0 < ɛ < 1 : Ellipse (95)ɛ = 1 :Parabel1 < ɛ : HyperbelNach Gl. (92) liegt also für E < 0 eine Ellipsen- bzw. Kreisbahn vor. Die großeHalbachse ergibt sich <strong>zu</strong>während die kleine Halbachse durcha = r 11 − ɛ 2 = 2|E|L2mα 2 , (96)b = a √ 1 − ɛ 2 =gegeben ist (<strong>zu</strong>r Ableitung siehe Anhang A.1).L√2m|E|(97)1.5.3 Die Keplerschen GesetzeAus den oben abgeleiteten Beziehungen folgen die Keplerschen Gesetze:1. Die Planetenbahnen sind Ellipsen, in deren einem Brennpunkt die Sonnesteht.2. Der Fahrstrahl überstreicht in gleichen Zeiten gleiche Flächen.3. Das Verhältnis ”Quadrat der Umlaufzeit <strong>zu</strong>m Kubus der großen Halbachse”ist für alle Planeten gleich.Nach Gl. (73) ist die Fläche der Ellipse S = πab mit der Umlaufzeit T durchT = πab 2m L(98)verknüpft. Zur Ableitung des dritten Keplerschen Gesetzes berechnen wirT 2a 3 = π2 b2 a( 2mL) 2= 4π2 mα= 4π2MG(99)16


unter Verwendung von Gl. (96) und Gl. (97). Im Endausdruck haben sich Energieund Drehimpuls kompensiert, und auch die Planetenmasse m kommt nichtmehr vor!Abweichungen vom 1/r-Verhalten des Gravitationspotenzials führen <strong>zu</strong> anderenBahnformen. So verursacht z.B. die Korrektur des Gravitationsgesetzes inder allgemeinen Relativitätstheorie <strong>zu</strong> einer Perihel-Drehung der Planetenbahn(Rosettenbewegung), wie sie für den Merkur von Einstein erfolgreich vorhergesagtwurde.Die Kreisbahn im Fall ɛ = 0 kann noch auf andere Weise abgeleitet werden:Wir setzen ṙ = 0 und erhalten für die Energie aus Gl. (79)E =L22mr 2 − α r = α r 12 r 2 − α r . (100)Dieser Ausdruck hat als Funktion von r gerade ein Minimum bei r = r 1 , womitder Radius der Kreisbahn festgelegt ist (vergleiche Gl. (94) für ɛ = 0). Explizithaben wir E min = −α/(2r 1 ) = −mα 2 /2L 2 , also gerade ɛ = 0 nach Gl. (92).Ausserdem sehen wir, dass für r = r 1 die Beziehung2E Kin = −E Pot (101)zwischen kinetischer und potenzieller Energie besteht (auch Virialsatz genannt).Wie die Zahlen in Anhang A.2 zeigen, weichen die meisten Planetenbahnen inunserem Sonnensystem nur wenig von der Kreisbahn ab.1.6 Arbeit und LeistungDer physikalische Begriff der Arbeit W wird durch das Produkt von Kraft malWeg definiert. In differentieller Form haben wirδW = −F · dr (102)mit der Einheit Joule (1 J = 1 Nm). Das negative Vorzeichen berücksichtigt dieKonvention, dass die Arbeit am System geleistet wird. Die Arbeit pro Zeiteinheitwird als Leistung P bezeichnet:P = δW δt= −F · drdt= −F · ṙ . (103)Hier ist die Einheit das Watt (1 W = 1 J/s = 1 Nm/s). Die längs eines Weges geleisteteArbeit hängt im allgemeinen vom Weg ab (nicht jedoch für konservativeKräfte wegen Gl. (64)):∫ r 2W 21 = −r 1F(r, ṙ, t) · dr . (104)Wir zerlegen in der Bewegungsgleichung die Kraft F in einen konservativen(durch ein Potenzial ausdrückbaren) und einen dissipativen Anteilm ¨r = F(r, ṙ, t) = −∇ r V (r) + F diss (r, ṙ, t) , (105)17


was eindeutig möglich ist. Nach skalarer Multiplikation mit ṙ ergibt sich wie inGl. (60)d[ mdt 2 (ṙ)2 + V (r)]= F diss · ṙ . (106)Auf der linken Seite steht die Energie des Massenpunktes. Die RelationdEdt = −P = −δW δt(107)gibt also an, dass die dissipativen Kräfte den Energieinhalt des Systems verändern(vgl. Gl. (103)).1.7 Nichtinertialsysteme, ScheinkräfteAls Vorarbeit betrachten wir die infinitesimale Drehung eines Vektors b umeine feste Achse, die wir als z-Achse in Zylinderkoordinaten wählen:db = b sin θ dφ e φ . (108)Die zeitliche Änderung des Vektors b (dessen Länge b unverändert bleiben soll)wird durch die Winkelgeschwindigkeit ω = dφ/dt bestimmt:dbdt = b sin θ ω e φ . (109)Wir bilden den Vektor der Winkelgeschwindigkeit ω = ω e z und können damitkompakt schreibendbdt = ω × b (110)(man beachte, dass der Einheitsvektor e φ senkrecht <strong>zu</strong> b und e z steht).Wir geben die Bahnkurve eines Massenpunktes im Inertialsystem S wie üblichmit r(t) an. Diese Bewegung soll jetzt in einem (beschleunigten) Be<strong>zu</strong>gssystemS ′ beschrieben werden, das durch eine Verschiebung des Koordiantenursprungsr 0 (t) und eine Drehung um die Achse ω(t) definiert sein soll. Wenn R(t) dieBahnkurve in S ′ bezeichnet, so giltWir bilden die Zeitableitungr = r 0 + R = r 0 + R e R . (111)ṙ = d dt (r 0 + R) = ṙ 0 + d dt (R e R) (112)und wenden auf den letzten Term die Produktregel an (gemäß Gl. (110))Ṙ e R + R d dt e R = Ṙ e R + R (ω × e R ) = Ṙ e R + (ω × R) . (113)Daraus schließen wir allgemeindR = Ṙ + (ω × R) , (114)dt18


wobei jetzt Ṙ die zeitliche Änderung ohne die Zeitableitung der Basisvektorenbedeutet. Insgesamt haben wir alsoṙ = ṙ 0 +Ṙ + (ω × R) . (115)Eine weitere zeitliche Ableitung liefert¨r = ¨r 0 +also <strong>zu</strong>sammengefasstdṘ + ( ˙ω × R) + ω × dR , (116)}{{} dt} {{ dt}¨R + ω×Ṙω×Ṙ + ω×(ω×R)¨r = ¨r 0 + ¨R + ( ˙ω × R) + ω × (ω × R) + 2(ω × Ṙ) . (117)Damit können wir die Bewegungsgleichung im Inertialsystem (m ¨r = F) in dasNichtinertialsystem S ′ so überführen:m ¨R =FOriginal− m¨r 0 − m( ˙ω × R) − m ω × (ω × R)Zentrifugal− 2m(ω × Ṙ) . (118)CoriolisEs treten also neben den originalen oder eigentlichen Kräften F sogenannteScheinkräfte auf, die nur mit der Beschreibung in einem Nichtinertialsystem<strong>zu</strong>sammenhängen. Neben der Beschleunigung des Ursprungs (¨r 0 ) und einernichtgleichförmigen Drehung ( ˙ω) sind das vor allem die Zentrifugalkraft und dieCorioliskraft.1.7.1 ZentrifugalkraftWir beginnen mit der ZentrifugalkraftF z = −m ω × (ω × R) . (119)Sie steht senkrecht <strong>zu</strong>r Drehachse ω und liegt in der ω-R-Ebene, sie schleudertalso den Massenpunkt mit einer StärkeF z = m ω 2 sin(θ) R , (120)die mit dem senkrechten Abstand von der Drehachse sin(θ) R <strong>zu</strong>nimmt, nachaußen.Als wichtige Anwendung betrachten wir die Drehung der Erde. S ′ sei das mitder Erdoberfläche mitbewegte (Nichtinertial-)System, das eine gleichförmigeRotation um die Erdachse ausführt. Aus der Unlaufzeit von T = 24 h = 864 00 sergibt sich die (feste) Winkelgeschwindigkeit von ω = 2π/T = 7.27 · 10 −5 s −1 .Die Koordinaten in S ′ werden so gewählt, dass von einem festen Punkt r 0 derErdoberfläche aus z vom Erdmittelpunkt weg, x nach Osten und y nach Nordenweist. Die geografische Breite Φ wird traditionell vom Äquator aus gerechnet,also Φ = π/2 − θ. Für <strong>Berlin</strong> ist Φ = 52.5 ◦ N.19


Da es keine radiale Verschiebung des Ursprungs r 0 gibt, haben wir mit ˙ω = 0ṙ 0 = ω × r 0 , ¨r 0 = ω × (ω × r 0 ) . (121)Dieser Term kann in die Zentrifugalkraft einbezogen werden, die sich dann aufden Ortsvektor r = r 0 +R relativ <strong>zu</strong>m Erdmittelpunkt bezieht. Mit dem Schwerefeldals eigentlicher Kraft finden wir insgesamtm ¨R = −mge z − m ω × (ω × (r 0 + R)) − 2m(ω × Ṙ) . (122)Für die volle Zentrifugalkraft (zweiter Term rechts) erhalten wir alsoF z = +m ω 2 r cos Φ e ρ = m ω 2 r ( 0, − cos Φ sin Φ, + cos 2 Φ ) . (123)Wie erwartet verschwindet die Zentrifugalkraft am Pol (Φ = π/2), währendsie am Äquator maximal wirkt. Mit dem (mittleren) Erdradius am Äquatorvon r A = 6378 km ergibt sich ω 2 r A = 0.034 m/s 2 . Die Zentrifugalkraft bewirktalso eine (scheinbare) Verringerung der Erdbeschleunigung am Äquator.Der gemessenene Unterschied ist allerdings deutlich größer, nämlich g P − g A =9.832 − 9.780 = 0.052 m/s 2 . In Anhang A.3 wird diskutiert, welche weiterenEffekte hier berücksichtigt werden müssen. Eine Federwaage, die am Pol 77 kganzeigt, wird also am Äquator für dieselbe Masse ca. 400 g weniger anzeigen.Die Zentrifugalkraft hat konservativen Charakter, denn sie lässt sich nach Gl. (123)in Zylinderkoordinaten als F Z ∼ f(ρ)e ρ darstellen. Das <strong>zu</strong>gehörige PotenzialistV (r, Φ) = − m 2 ω2 r 2 cos 2 Φ . (124)Man überzeuge sich, dass durch Gradienten-Bildung genau Gl. (123) herauskommt!Das totale Potenzial inklusive der Gravitation ist alsoV (r, Φ) = − GMm − m r 2 ω2 r 2 cos 2 Φ , (125)wobei allerdings die Erde als Punktmasse M im Zentrum angenommen wurde,was nur für eine idealen Kugel mit homogener Massenverteilung. Aber dieserAnsatz ist <strong>zu</strong>mindest in der Lage, eine gewisse Vorstellung von der durch dieZentrifugalkraft bewirkten Abplattung der Erde <strong>zu</strong> gewinnen. Die Erdoberflächesollte nämlich eine Äquipotenzialfläche bilden, weil sonst durch Massentransportentlang der Erdoberfläche eine geringere (potenzielle) Energie möglichwäre. Wir setzen also die Potenziale am Pol (Radius r P ) und am Äquator (Radiusr A ) gleichund lösen nach r P auf:− GMmr Pr Pr A== − GMmr A− m 2 ω2 r 2 A (126)11 + ω 2 r A /2g A, (127)wobei die Schwerebeschleunigung am Äquator g A = GM/rA 2 eingeht. Die numerischeAuswertung ergibt r P /r A = 0.9983, was einem Unterschied der Radienvon ∆r = r A − r P = 11 km entspricht. Gemessen wird jedoch r P = 6357 km,also ein größerer Unterschied von ∆r = 21 km. Näherungsweise hat also die Erdedie Form eines an den Polen abgeplatteten Rotations-Ellipsoids. Genaueressiehe Anhang C!20


1.7.2 CorioliskraftWir beschäftigen uns jetzt mit der Corioliskraft (letzter Term in Gl. (122)),F c = +2m(V × ω) , (128)die also nur für relativ <strong>zu</strong>r Erdoberfläche bewegte Körper auftritt und eineseitlich wirkende Kraft darstellt (senkrecht <strong>zu</strong>r Geschwindigkeit V). Am bestenmacht man sich die Richtungsverhältnisse auf der nördlichen Halbkugel klar:Bei einer Bewegung auf einem Meridian nach Norden wirkt die Corioliskraft inöstlicher Richtung. Allerdings ist der BetragF cor = 2mV ω sin Φ (129)für normale Geschwindigkeiten recht klein. Für einen ICE mit einer Reisegeschwindigkeitvon V = 300 km/h = 89 m/s gibt es auf der geografischen Breitevon <strong>Berlin</strong> nur eine Querbeschleunigung von 0.01 m/s 2 , also winzig gegenüberder Erdbeschleunigung. Die bevor<strong>zu</strong>gte Abnut<strong>zu</strong>ng von Schienen auf einer Seiteaufgrund der Corioliskraft gehört daher <strong>zu</strong> den Mythen, die nicht stimmen.Ebenso verhält es sich mit der Asymmetrie von Fluss-Böschungen! Relevant istjedoch der Einfluss auf Luftströmungen beim Wetter: Wenn auf der Nordhalbkugeldie Luftmassen in ein Tiefdruckgebiet einströmen, werden sie nach rechtsabgelenkt (gleichgültig von welcher Richtung aus gesehen) und bilden einenWirbel, der sich entgegen dem Uhrzeigersinn dreht. Ein entsprecheder Wirbeleffektbeim Abfluss aus der Badewanne ist allerdings wieder Legende, weil eshier nur um ganz kleine Abmessungen und Fließgeschwindigkleiten geht.Das Foucault-PendelIm Labormaßstab ist die Drehung der Pendelebene der deutliche Nachweis fürdie Corioliskraft (Foucault-Pendel). Wir beginnen mit der Beschreibung desräumlichen mathematischen Pendels, das durch eine Masse realisiert wird, diean einem (nahe<strong>zu</strong> masselosen) Faden so aufgehängt ist, dass Bewegungen inbeiden Richtungen x und y möglich sind. Vorerst lassen wir die Corioliskraftweg. Die Schwerkraft F = −mge z wirkt nur in ihrer Komponente senkrecht <strong>zu</strong>mFaden, also F ′ = −mg sin θ e θ mit dem Polarwinkel θ. Für kleine Auslenkungengilt sin θ ≈ θ und e θ ∼ e ρ , damitF ′ = −mg θ e ρ = −m g l ρ , (130)weil die Länge des Vektors ρ = (x, y) näherungsweise durch ρ = l θ gegeben ist.Ebenso gilt ¨r ≈ ¨ρ, und die Bewegungsgleichung der Pendelmasse m vereinfachtsich <strong>zu</strong≯m¨ρ = − ̸m g l ρ . (131)Das ist die Differentialgleichung für den zweidimensionalen harmonischen Oszillator.Seine Eigenfrequenz ist ω p = √ g/l, hängt als nicht von der Masse ab!Die allgemeine Lösungρ = ρ 0 cos(ω p t) + ρ 1 sin(ω p t) (132)21


Y1ab0-1-1 0 1X-1 0 1XAbbildung 2: Spur des Foucault-Pendels in der x-y-Ebene am Nordpol vommitbewegten Beobachter aus gesehen (a). Ein Beobachter außerhalb der Erdesieht dagegen eine geschlossene Bahn (b) – der Pfeil gibt die Erdrotation an. Umdie Drehung der Pendelebene deutlich <strong>zu</strong> machen, wurde ein Frequenzverhältnisvon Ω/ω p = 0.1 gewählt. Tatsächlich hat es für ein 100 m langes Pendel nur denWert 0.00023 !enthält zwei Vektoren, die aus den Anfangsbedingunge <strong>zu</strong> bestimmen sind. Nurim Fall ρ 0 ‖ ρ 1 (erreichbar z.B. durch verschwindende Anfangsgeschwindigkeit)schwingt das Pendel in einer Ebene. Der allgemeine Fall ist die Bewegung aufeiner Ellipsenbahn, die allerdings ortsfest bleibt – die Bewegung ist streng periodisch.Das ändert sich bei Mitnahme der Corioliskraft, die wir hier projiziert auf diex-y-Ebene alsF ′ cor = 2m(V × Ω e z ) mit Ω ≡ ω sin(Φ) (133)schreiben können. In kartesischen Koordinaten ergibt sich für die Bewegungsgleichung(vgl. Gl. (131))Ẍ + ωp 2 X − 2Ω Ẏ = 0 , (134)Ÿ + ωp 2 Y + 2Ω Ẋ = 0 .Dieses gekoppelte System von Differentialgleichungen lässt sich elegant im Komplexenmit H(t) = X(t) + iY (t) lösen, es ergibt sich nämlichḦ + ω 2 p H + 2iΩ Ḣ = 0 , (135)was mit dem Ansatz H(t) = H 0 (t) exp(−iΩt) erst einmal aufḦ 0 + (ω 2 p + Ω 2 )H 0 = 0 (136)gebracht werden kann. Ω 2 kann gegen ω 2 p vernachlässigt werden (tatsächlichmüsste man in dieser Ordnung auch die mit der Auslenkung variable Zentrifugalkraftberücksichtigen). Die Lösung H 0 (t) = A exp(iω p t) + B exp(−iω p t)22


wird mit den Anfangsbedingungen eines maximal in x-Richtung ausgelenktenPendels (H(0) = d, Ḣ(0) = 0) <strong>zu</strong>H(t) = de[cos(ω −iΩt p t) + i Ω ]sin(ω p t) . (137)ω pDie Punkte maximaler Auslenkung liegen bei ω p t n = 2πn. Dort gilt H(t n ) =d exp(−iΩt n ), diese Position wandert also mit der Winkelgeschwindigkeit −Ωauf einem Kreis vom Radius d. Anders gesagt – die Pendelebene dreht sich(auf der Nordhalbkugel im Uhrzeigersinn), so dass die gesamte Bewegung einersternförmigen Bahn entspricht (Abb. 2a). Die Umlaufzeit ist durchT F = 2π Ω =24 hsin(Φ)(138)gegeben. Das Pendel, das Foucault 1851 im Pantheon <strong>zu</strong> Paris aufhängte, hatteeine Länge von 67 m, also eine Schwingungsdauer von 16.5 s. Die Drehungder Pendelebene mit einer Umlaufzeit von T F = 30 h stellte den ersten nichtastronomischenBeweis für die Erddrehung dar. Für ein Pendel, das direkt überdem Pol aufgehängt ist, ergibt sich eine besonders einfache Deutung: Der Umlaufdauert einen Tag und kompensiert damit genau die Erddrehung. Von außerhalbder Erde betrachtet, bleibt die Pendelbahn raumfest, während sich dieErde darunter wegdreht (Abb. 2b). Damit ist die Corioliskraft als Scheinkrafterkannt!1.8 MehrteilchensystemeWir betrachten jetzt Systeme aus mehreren Massenpunkten mit den Massenm n und den Bahnkurven r n (t) (n = 1, 2, . . . N). Die Gesamtkraft, die auf denn-ten Massenpunkt wirkt, kann unterteilt werden in externe und interne (Paar-)Kräfte:m n ¨r n = F n = F exn +Durch Summation über n entsteht∑m n ¨r n = ∑nnN∑F nm . (139)m=1F exn . (140)Der Anteil der Paarkräfte hat sich exakt weggehoben ( ∑ nm F nm = 0), weilwegen ”Actio = Reactio” F nm = −F mn , gilt. Führen wir die SchwerpunktkoordinateR = 1 ∑m n r n , M = ∑ m n (141)Mnnein, ergibt sichM ¨R = F ex . (142)Die Bewegung des Schwerpunktes erfolgt also so, als ob die gesamte Masse Mim Schwerpunkt vereinigt wäre und nur die externen Kräfte wirken! Das erledigt23


allerdings nicht die Berechnung der einzelnen Bahnkurven, da ja im allgemeinendie externen Kräfte von den Positionen/Geschwindigkeiten der einzelnenMassenpunkte abhängen:F ex = ∑ nF exn (r 1 , . . . r N , ṙ 1 , . . . ṙ N , t) . (143)ImpulsFür den GesamtimpulsP = ∑ nm n ṙ n = M Ṙ (144)finden wir aus Gl. (142) Ṗ = Fex . In einem abgeschlossenes System (keine externenKräfte) gilt also Ṗ = 0 bzw.P = ∑ nm n ṙ n = const t . (145)In einem abgeschlossenen System ist der Schwerpunktimpuls eine Erhaltungsgröße!DrehimpulsEntsprechend führen wir den Drehimpulse des Gesamtsystems ein,L = ∑ n(r n × p n ) = ∑ nm n (r n × ṙ n ) (146)und bilden die Zeitableitung˙L = ∑ nm n (r n × ¨r n ) = ∑ n(r n × F n ) (147)= ∑ n(r n × F exn )} {{ }M ex+ ∑ (r n × F nm ) .nm} {{ }M inAnders als die innere Kraft verschwindet das Drehmoment der inneren KräfteM in im allgemeinen nicht, weil die Ausnut<strong>zu</strong>ng der SymmetrieM in = 1 ∑(r n − r m ) × F nm (148)2nmauf ein Produkt zweier Faktoren führt, von denen jeder ungerade gegenüberIndextausch ist! Für konservative PaarkräfteF nm = −∇ rn V nm (|r n − r m |) ∼ e (rn−r m) (149)gilt wegen (r n − r m ) × e (rn−r m) jedoch M in = 0, und wir haben˙L = ∑ n(r n × F exn ) , (150)24


woraus für ein abgeschlossenes System wieder die Drehimpulserhaltung folgt:L = const t . (151)Es kann sinnvoll sein, die Drehung des Schwerpunktes von den ”inneren” Drehungen<strong>zu</strong> separieren. Da<strong>zu</strong> zerlegen wir die Koordinaten nachr n = R + r ′ n → ∑ nm n r ′ n = 0 (152)und bearbeitenL = ∑ nm n(R + r′n)×(Ṙ + ṙ′n)(153)= ∑ n{ ( )m n R × Ṙ+ ( R × ṙ ′ ) (n +} {{ }=0)r ′ n × Ṙ + ( r ′ n × ṙ ′ n) } .} {{ }=0Damit ist der Drehimpuls in einen Schwerpunktanteil und einen inneren Anteilzerlegt, ohne dass Mischterme auftreten:L = (R × P) + ∑ nm n(r′n × ṙ ′ n). (154)Energie bei MehrteilchenproblemenWieder wird ein integrierender Faktor an die Bewegungsgleichungen m n¨r n = F nmultipliziert und dann summiert:∑∑(. . . ) · ṙ n : m n ¨r n · ṙ n = ∑ F n · ṙ n . (155)nnLinks ist das die Ableitung der kinetischen Energie:nT = 1 ∑m n ṙ 2 n :2ndTdt = ∑ nm n ṙ n · ¨r n . (156)Rechts zerlegen wir die Kräfte in dissipative und konservative AnteileF n = F dissn + F consn und drücken letztere durch ein Mehrteilchen-Potenzial aus:F consn = −∇ rn V (r 1 , . . . r N ) . (157)Die Zeitableitung des Potenzials wird mit der Kettenregel ausgewertet,dVdt = ∑ nund alles eingesetzt <strong>zu</strong>∇ rn V (r 1 , . . . r N ) · ṙ n = − ∑ nF consn · ṙ n , (158)ddt (T + V ) = ∑ nF dissn · ṙ n . (159)25


Auf der rechten Seite bleibt also nur der dissipative Anteil übrig. Falls es keinedissipativen Kräfte gibt (F dissn = 0), gilt der EnergieerhaltungssatzT + V = E = const t . (160)Wenn man die (konservativen) Kräfte in äußere Kräfte und innere Paarkräftezerlegen kann, alsoF n = F exn + ∑ F nm (161)nmitF exn= −∇ rn V exn (r n ) , F nm = −∇ rn V nm (|r n − r m |) , (162)dann ergibt sich für das gesamte PotenzialV (r 1 , . . . r N ) = ∑ nV exn (r n ) + 1 2∑V nm (|r n − r m |) . (163)Der Faktor (1/2) berücksichtigt, dass bei der Gradienten-Bildung jeder AnteilV nm nur einmal vorkommen darf. Außerdem muss man V nn ≡ 0 vereinbaren,weil der Massenpunkt bei r n keine Kraft auf sich selbst ausüben darf.nm1.8.1 ZweikörperproblemWir wenden die allgemeinen Betrachtungen auf ein System aus zwei Massenpunktenan (Zweikörperproblem). Hier ist es sinnvoll, neben dem SchwerpunktR = (m 1 r 1 + m 2 r 2 )/M die Relativkoordinate r = r 1 − r 2 ein<strong>zu</strong>führen, wasaufgelöstr 1 = R + m 2M r , r 2 = R − m 1M r (164)ergibt. Die beiden gekoppelten Bewegungsgleichungenergeben addiert wie schon <strong>zu</strong>vorDurch Subtraktion erhalten wir¨r =m 1 ¨r 1 = F ex1 + F 12 (165)m 2 ¨r 2 = F ex2 − F 12M ¨R = F ex1 + F ex2 . (166)1m 1F ex1 − 1 m 2F ex2 +( 1m 1+ 1 m 2)F 12 . (167)Mit der reduzierten Massekönnen wir auch1µ = 1 + 1 , µ = m 1m 2m 1 m 2 M(168)µ ¨r = m 2M Fex 1 (r 1 ) − m 1M Fex 2 (r 2 ) + F 12 (r) (169)26


schreiben, wobei wir die Ortsabhängigkeit der Kräfte explizit gemacht haben.Die beiden Gleichungen für Relativ- und Schwerpunktbewegung (169,166) entkoppelnnicht nur für ein abgeschlossenens System mit F exn = 0, sondern auch,wenn die äußeren Kräfte ortsunabhängig sind. Das gilt z.B. für die Schwerkraft= −m n ge z , wo sich die äußeren Kräfte in Gl. (169) sogar aufheben! MitF exnµ ¨r = F 12 (r) (170)erhalten wir dann ein effektives Einteilchen-Problem, die Relativbewegung istalso völlig von der Schwerpunktbewegung entkoppelt.Der innere Drehimpuls (zweiter Term aus Gl. (154))(L in = m 1 r′1 × ṙ ′ (1)+ m2 r′2 × ṙ ′ )2kann mit Hilfe der Beziehungenso umgeformt werden(171)r ′ 1 = r 1 − R = m 2M r , r′ 2 = r 2 − R = m 1M r (172)L in = µ(r × ṙ) . (173)Das Zweikörperproblem lässt sich also ziemlich weitgehend auf ein Einkörperpoblem<strong>zu</strong>rückführen, wenn man nur die Masse durch die reduzierte Masse µersetzt.Genaugenommen kreisen auch im System Sonne-Erde beide Himmelskörper umden gemeinsamen Schwerpunkt. Dessen Abstand D vom Sonnenmittelpunkt istallerdings sehr gering,D =m Em E + M SR ES = 450 km , (174)weil das Massenverhältnis M S /m E = 333 000 sehr groß ist. Trotzdem ist dieser”Wackeleffekt” (wobbling) beobachtbar, er bewirkt nämlich über den Dopplereffekteine periodische Veränderung der Frequenz von emittierten Spektrallinien.Genau auf diese Weise konnten Planeten anderer Sterne entdeckt werden. Diedirekte Beobachtung ist wegen der ganz geringen reflektierten Strahlung derPlaneten unmöglich.1.8.2 StoßproblemeWenn keine externen Kräfte wirken, ist der Impuls eine Erhaltungsgröße. Dasgilt sogar für nichkonservative Paarkräfte, also wenn Dissipation auftritt (wieim inelastischen Stoß). Im Laborsystem haben wir alsop 1− + p 2− = P = p 1+ + p 2+ . (175)Genaugenommen ist das nur eine Aussage über das asymptotische Verhaltender Impulse vor (Index −) und nach (Index +) dem Stoß. Der genaue Verlaufdes Stoßes, der durch kurzreichweitige Kräfte bestimmt ist, bleibt hier außer27


Betracht. Im Schwerpunktsystem S ′ (das sich mit dem Schwerpunkt mitbewegt)gilt P ′ = 0, daher ergibt sich eine einfache Beziehung zwischen den Impulsenim System S ′ :p ′ 2− = −p ′ 1− , p ′ 2+ = −p ′ 1+ . (176)Beim elastischen Stoß bleibt <strong>zu</strong>sätzlich die kinetische Energie erhalten, wir habenalso 4 Erhaltungsgrößen. Von den 6 Variablen nach dem Stoß (Komponentenvon p 1+ , p 2+ ) bleiben daher zwei Größen noch unbestimmt, z.B. derImpulsbetrag von Teilchen 1 und der Ablenkwinkel.Elastischer Stoß für ruhendes TargetWir betrachten genauer den Stoß mit ruhendem Target (p 2− = 0). Der Gesamtimpuls(im Laborsystem) ist also durch den Impuls des Projektils vor demStoß gegeben,p 1+ + p 2+ = p 1− ≡ P . (177)Die Erhaltung der kinetischen Energie (T + = T − ) liefertP 22m 1= p2 1+2m 1+ (P − p 1+) 22m 2(178)bzw. aufgelöst( 1P 2 − 1 ) ( 1= p 2 1+ + 1 )m 1 m 2 m 1 m 2− 2 p 1+ · P .m 2(179)Wir legen die x-Achse in Richtung von P und orientieren die y-Achse so, dassp 1+ kein z-Komponente hat. Mit der Abkür<strong>zu</strong>ng p 1+ = (x, y) erhalten wir( 1P 2 − 1 )m 1 m 2und durch Umformen mit µ = m 1 m 2 /M= x2 + y 2µ− 2xPm 2(180)P 2 m 2 − m 1M = x2 + y 2 − 2xP m 1M . (181)Auf der rechten Seite bilden wir die quadratische Ergän<strong>zu</strong>ng und erhaltenschließlich (x − P m )1 2 (+ y 2 = P m )2 2. (182)MMDas ist ersichtlich die Gleichung für einen Kreis in der x-y-Ebene des Impulses,mit dem Mittelpunkt bei P m 1 /M und dem Radius P m 2 /M. Mit p 1+ liegt alsoauch p 2+ = P − p 1+ in der x-y-Ebene. Wenn das Projektil schwerer als dasTarget ist (m 1 > m 2 , wie in Abb. 3 angenommen), sind nicht alle Ablenkwinkelα möglich, der Stoß hat Vorwärtscharakter für das Projektil.Wir gehen noch auf den zentralen Stoß (α = 0) ein. Die Lösung p 1+ = P,p 2+ = 0 muss nicht betrachtet werden, das entspräche einem Durchdringen vonProjektil und Target. Relevant ist die andere Lösung( )m1 − m 2p 1+ = P, p 2+ = P − p 1+ = P 2m 2. (183)m 1 + m 2 m 1 + m 228


yαp 1+p 2+m 1 /M PPxAbbildung 3: Impulse beim elastischen Stoß mit ruhendem Target für den Fallm 1 > m 2 .Wenn sogar die Massen übereinstimmen (m 1 = m 2 ), dann gilt p 1+ = 0,p 2+ = P. Projektil und Target haben einfach ihren Impuls ausgetauscht! Damitkann auch sofort das erstaunliche Verhalten einer Reihe aus identischen Kugelnerklärt werden, die in Kontakt <strong>zu</strong>einander aufgehängt sind. Wird die erste Kugelausgelenkt, so pflanzt sich der Stoß mit Austausch der Impulse durch die Reihehindurch fort, und am Ende wird nur die letzte Kugel ausgelenkt, während alleanderen in Ruhe bleiben.1.9 Der starre KörperEin Objekt, bei dem alle Massenpunkte feste Abstände untereinander haben,bezeichnet man als starren Körper. Ein fester Körper ist in guter Näherungein solcher starrer Körper, wenn man innere Schwingungen und Deformationenvernachlässigen kann. Er hat 6 Freiheitsgrade, wovon drei <strong>zu</strong>r Translationdes Schwerpunktes gehören und drei die möglichen Drehungen beschreiben(Eulersche Winkel). In der Beschreibung geht man von der diskreten Summeüber N Massenpunkte <strong>zu</strong>m Kontinuum über, indem man die Massendichte ρ(r)einführt:∑∫m n F (r n ) −→ d 3 r ρ(r) F (r) (184)nmit einer beliebige Funktion der Koordinaten F . Entsprechend ergeben sichGesamtmasse und Schwerpunkt <strong>zu</strong>∫M = d 3 r ρ(r) , R = 1 ∫d 3 r ρ(r) r . (185)MWir beschränken uns im folgenden auf Fälle, in denen die Drehachse vorgegebenist und fest mit dem starren Körper verbunden ist. Die Drehung wird wieder mitdem Vektor ω(t) = ˙φ(t)e z bezeichnet und in z-Richtung gelegt. Wir berechnen29


φ/π4ε = 1.12ε = 1ε = 0.80ε = -0.80 1 2 3 4 5 6t/T 0Abbildung 4: Das physikalische Pendel: Pendelausschlag φ als Funktion der Zeitin Einheiten von T 0 . Parameter ist die reduzierte Gesamtenergie ɛ. Im periodischenRegime liegen die Kurven mit ε = −0.8 und ε = +0.8. Der asymptotischeFall ε = 1 wird flankiert von Kurven, die davon nur um ∆ε = ±1·10 −6 entferntliegen! Die oberste Kurve (ε = 1.1) gehört <strong>zu</strong>m rotierenden Regime.1.9.1 Das physikalische PendelBei konservativen Kräften existiert ein Potenzial, dass für den starren Körpermit fester Drehachse natürlich nur vom Drehwinkel φ abhägen kann. Die GesamtenergieE = 1 2 J ˙φ 2 + V (φ) (197)ist also eine Erhaltungsgröße. Wir wenden diese Formel auf das physikalischePendel an – das ist ein starrer Körper mit fester Drehachse im Schwerefeldder Erde. Die potenzielle Energie stammt aus der Anhebung des Schwerpunktes.Wenn S der Abstand des Schwerpunktes von der Drehachse ist, die alshorizontal liegend angenommen wird, entstehtE = 1 2 J ˙φ 2 − gMS cos(φ) , (198)wobei wir die tiefste Lage des Schwerpunktes mit φ = 0 identifizieren. Wir leitendie Bewegungsgleichung aus dE/dt = 0 ab:J ¨φ ˙φ + gMS sin(φ) ˙φ = 0 (199)und dividieren J ˙φ <strong>zu</strong>¨φ + gMS sin(φ) = 0 . (200)JFür kleine Ausschläge (sin(φ) → φ) entsteht wieder der harmonische Oszillator,dessen Eigenfrequenz (bzw. Schwingungsdauer) in diesem Fall durchω 2 0 = gMSJ(bzw. T 0 = 2π/ω 0 ) (201)31


gegeben ist. Darin ist auch der Grenzfall des mathematischen Pendels enthalten:Für eine punktförmige Masse M im Abstand l von der Drehachse gilt S = l undJ = Ml 2 , damit wieder ω0 2 = g/l. Die (numerische) Integration von Gl. (198) istin Abb. 4 <strong>zu</strong> sehen. Parameter ist die reduzierte Gesamtenergie ε = E/gMS. Beiε = −1 ist das Pendel in Ruhe – nur potenzielle Energie in Gl. (198) bei φ = 0.Bei ε = +1 schlägt die Pendelbewegung in eine (ungleichförmig) rotierendeBewegung um. Weitere Einzelheiten sind in Anhang A.4 <strong>zu</strong> finden.1.9.2 Der Steinersche SatzWir zerlegen den Trägheitstensor ineinen Anteil, der sich auf den Schwerpunktbezieht, und einen DrehachsenbezogenenRest. Da<strong>zu</strong> definieren wireine Achse z ′ , die parallel <strong>zu</strong>r Drehachsez liegt und durch den Schwerpunkt(SP) geht (siehe Skizze). Wenn sden Ortsvektor des Schwerpunktes bezeichnet,transformieren wir die Koordinatender Massenpunkte im starrenKörper nach r n = s + r ′ n und bilden0zSsrz´SPr´J = ∑ nm n(x2n + y 2 n). (202)In der Zerlegung x 2 n = s 2 x + 2s x x ′ n + x ′2 n gibt der Mischterm keinen Beitrag, weil∑n m nx ′ n = 0 gilt – so war gerade der Schwerpunkte definiert. Ebenso wird mitden y-Termen verfahren, und wir erhaltenJ = MS 2 + J S , (203)wobei im ersten Term der Abstand des Schwerpunktes von der Drehachse alsS 2 = s 2 x + s 2 y eingeht. Das Trägheitsmoment J S bezüglich der (Schwerpunkt-)Achse z ′ ist gegeben durchJ S = ∑ ∫(m n x′2n + y n′2 )= d 3 r ′ ρ(s + r ′ ) ( x ′2 + y ′2) . (204)nDer Steinersche Satz Gl. (203) kann so formuliert werden: Das Trägheitsmomenteines starren Körpers bezüglich einer festen Drehachse kann additiv zerlegtwerden in einen Anteil, der die Gesamtmasse am Schwerpunkt konzentriert,und das Trägheitsmoment bezüglich einer durch den Schwerpunkt gehendenAchse.Wir wenden den Steinerschen Satz auf das physikalisches Pendel an: Den AusdruckGl. (201) für die Schwingungsdauer T 0 bei kleinen Auslenkungen schreibenwir mit Gl. (203) als(T02π) 2= JMSg = S g +32J SMSg . (205)


Das Pendel soll von einer homogenen Kugel mit Radius R gebildet werden,die an einer drehbar aufgehängten Stange befestigt ist. l sei der Abstand desKugelmittelpunktes vom Drehpunkt, also S = l. Mit dem Trägheitsmoment derKugel J S = (2/5)MR 2 ergibt sich( ) 2 T0= 1 [l + 2 2π g 5R 2l]. (206)Beim mathematischen Pendel würde nur der erste Term beitragen. Der Ausdruckin eckigen Klammern spielt also die Rolle einer effektiven Länge, die fürR ≫ l sehr große Werte annehmen kann!Wir wollen die Überlegungen noch auf den Fall einer bewegten Drehachse erweitern– die aber immer noch fest mit dem starren Körper verbunden seinund eine feste Richtung haben soll. Wir wählen mit R(t) einen festen Punktauf der (momentanen) Drehachse und zerlegen nach r n = R + r ′ n. Für dieGeschwindigkeiten gilt jetzt die Transformationṙ n = Ṙ + (ω × r′ n) , (207)und eingesetzt in die kinetische Energie T = (1/2) ∑ n m nṙ 2 n erhalten wirT = 1 ∑ (Ṙ2 m n + 2Ṙ 2· (ω × r′ n) + ∣ ∣(ω × r ′ n) ∣ 2) (208)n= 1 2 MṘ2 + MṘ · (ω × (s − R)) + 1 2 J ˙φ 2 .Der Mischterm wurde dabei mit Hilfe von∑m n r ′ n = ∑ m n (r n − R) = M(s − R) (209)nnumgeformt. Geht die Drehachse durch den Schwerpunkt, kann man s = Rwählen, und der Mischterm fällt weg:T = 1 2 Mṡ2 + 1 2 J S ˙φ 2 . (210)Wir wenden dieses Ergebnis auf eineKugel an, die unter der Wirkung desSchwerefeldes eine schiefe Ebene herunterrollt.Die Reibung sorgt dafür,dass die Kugel nicht rutscht, sie wirdansonsten vernachlässigt. Die Drehachsegeht hier durch den Schwerpunkt,seine Koordinate s ist in der Skizzeangegeben. Mit der AbrollbedingungφR = s haben wir aus Gl. (210)T = ṡ22(M + J )SR 2 .zαsx33


Wir addieren die potenzielle Energie V = Mgz <strong>zu</strong>E = T + V = ṡ22(M + J )SR 2 + s Mg sin α (211)(α ist der Neigungswinkel der schiefen Ebene). Die Bewegungsgleichung erschließenwir wie bei Gl. (199) aus der Energieerhaltung dE/dt = 0 <strong>zu</strong>g sin α¨s = −1 + J S /(MR 2 ) . (212)Der Schwerpunkt erfährt also eine konstante Beschleunigung, die allerdings gegenüberdem freien Fall durch zwei Effekte reduziert ist: Einmal wirkt nur dieProjektion (g sin α) entlang der schiefen Ebene, <strong>zu</strong>m anderen muss auch diekinetische Energie der Rotation aufgebracht werden. Mit J S = (2/5)MR 2 fürdie Kugel bzw. J S = (1/2)MR 2 für den homogenen Zylinder steht in Gl. (212)alsoKugel: g eff = 5 7 g sin α , Zylinder: g eff = 2 g sin α . (213)3Die Reduktion ist für die Kugel nicht ganz so stark wie beim Zylinder, weil beiletzterem die Masse mehr außen außen liegt. Für einen rollenden Hohlzylindermit dünner Wand (J S = MR 2 ) ergibt sich sogar der Vorfaktor 1/2 !34


2 Analytische <strong>Mechanik</strong>Die analytische <strong>Mechanik</strong> löst die Aufgabe, die Bewegung von Massenpunkten<strong>zu</strong> beschreiben, wenn Bewegungsbeschränkungen vorliegen, ohne dass dieZwangskräfte explizit bekannt sein müssen. Außerdem wird die Ableitung derBewegungsgleichungen formalisiert. Damit leistet sie eine wichtige Vorarbeit fürerweiterte Theorien wie die Quantemechanik, in der die Hamilton-Formulierungder klassischen <strong>Mechanik</strong> auf Operatoren übertragen wird.2.1 Systeme mit BewegungsbeschränkungenNeben den regulären (abstandsabhängigen) Kräften K n unterliegen Systemevon Massenpunkten oft <strong>zu</strong>sätzlichen Bedingungen für ihre Bewegung (festeFührungen, starre Verbindungen). Sie können durch Zwangskräfte Z n erfasstwerden, so dass die gesamte Kraft auf den Massenpunkt n durchF n = K n + Z n (214)gegeben ist. Die genaue mikroskopische Struktur der Z n (z.B. elastische Kräftebeim Gleiten auf einer Schiene) ist nicht wichtig, sie erzwingen nur die Beschränkungauf vorgegebene Bewegungen. Diese Zwangsbedingungen könnenals Gleichungen zwischen den Koordinaten der Massenpunkte geschrieben werden:f ν (r 1 . . . r N , t) = 0 (ν = 1 . . . p) . (215)Die Zahl der Freiheitsgrade reduziert sich damit von der ursprünglichen Zahl3N auf S = 3N − p. Genau haben wir mit Gl. (215) holonome Zwangsbedingungenbeschrieben. Nichtholonome Zwangsbedingungen würden noch von denGeschwindigkeiten abhängen und können auch Ungleichungen enthalten, siewerden im folgenden nicht betrachtet.Ein wichtiger Spezialfall sind zeitunabhängige Zwangsbedingungen:Holonom skleronom: f ν (r 1 . . . r N ) = 0 . (216)Ein einfaches Beispiel dafür ist ein Massenpunkt, der auf einer festen Schienegleitet. Echt zeitabhängige Zwangsbedingungen werden dagegen ”holonomrheonom” genannt, ein Beispiel ist eine Perle, die auf einem rotierenden Stabgleitet (Abschnitt 2.3.2).Die Zwangsbedingungen werden durch Transformation der ursprünglichen Koordinatenauf j = 1 . . . S neue Variable q j erfasst, so dassr n = r n (q 1 . . . q S , t) (n = 1 . . . N) (217)die Bewegungsbeschränkungen realisiert. Diese generalisierten Koordinatenmüssen eindeutig und linear unabhängig sein, es gibt also keine Querbeziehungder Form F (q 1 . . . q S , t) = 0. Das Ziel ist die Eliminierung der Zwangskräfte.Da<strong>zu</strong> starten wir mit den üblichen Bewegungsgleichungenm n ¨r = F n = K n + Z n . (218)35


Jetzt werden sogenannte Virtuelle Verrückungen δr n eingeführt, die (beifestgehaltener Zeit) kleine Änderungen der Koordinaten in Einklang mit denZwangsbedingungen bezeichnen sollen. Wichtig ist die Erfahrungstatsache, dassN∑Z n · δr n = 0 (219)n=1gilt: Die Zwangskräfte wirken senkrecht <strong>zu</strong> den <strong>zu</strong>lässigen Bewegungen, oderanders ausgedrückt: Die Zwangskräfte leisten keine Arbeit, wenn die Bewegungin Einklang mit den Zwangsbedingungen erfolgt. Durch skalares Multiplizierenvon Gl. (218) mit δr n und summieren ergibt sich∑(m n ¨r − K n ) · δr n = 0 . (220)nDieses sogenannte d’Alembert-Prinzip hat also die Zwangskräfte eliminert.Allerdings sind die δr n im allgemeinen linear abhängig, so dass eine Auflösungin einzelne Gleichungen so nicht möglich ist. Da<strong>zu</strong> muss erst <strong>zu</strong> den generalisiertenKoordinaten übergegangen werden. Aus den Transformationen r n =r n (q 1 . . . q S , t) folgt für die Verrückungenδr n =S∑j=1∂r n (q 1 . . . q S , t)∂q jδq j , (221)die also tatsächlich in Einklang mit den Zwangsbedingungen verlaufen. DieUmformung des Kraftterms in Gl. (220) ist einfach:∑K n · δr n = ∑ ( )∑K n · ∂r nδq j = ∑ Q j δq j , (222)∂qnj njjwomit die generalisierte Kraft Q j durch die große runde Klammer definiert ist.Für den Beschleunigungs-Term von Gl. (220) wird <strong>zu</strong>erst die Geschwindigkeittransformiert,ṙ = ∑ j∂r n˙q j + ∂r n∂q j ∂t≡ ṙ (q 1 . . . q S , ˙q 1 . . . ˙q S , t) , (223)und damit eine neue Transformationsfunktion definiert. Wegen Gl. (217) ist derenAbhängigkeit von den verallgemeinerten Geschwindigkeiten ˙q j jedoch einfach,nämlich differentiell durch∂ṙ∂ ˙q j= ∂r n∂q j(224)gegeben. Damit bearbeiten wir jetzt¨r · δr n = ∑ j[¨r · ∂r ]nδq j . (225)∂q j36


Die eckige Klammer kann mit der Produktregel weiter umgeschrieben werden<strong>zu</strong> [ ( dṙ ∂r )n− ṙ d ] [ (∂r n d= ṙ ∂ṙ )− ṙ ∂ṙ ]. (226)dt ∂q j dt ∂q j dt ∂ ˙q j ∂q jMan beachte, wie hier Gl. (224) verwendet wurde und im zweiten Term dieReihenfolge der Differentiationen vertauscht wurde. Schließlich ist das nichtsanderes als[ ( d 1 ∂ṙ 2 )· · · =− 1 ∂ṙ 2 ](227)dt 2 ∂ ˙q j 2 ∂q j(einfach ausrechnen!), und wir erkennen die Quadrate der Geschwindigkeitenmit Faktor 1/2 wie in der kinetischen Energie T = ∑ n m n ṙ 2 /2. Entsprechendsummieren wir über n und erhalten für den ersten Term von Gl. (220)∑m n ¨r · δr n = ∑njj[ ddt∂T∂ ˙q j− ∂T∂q j]δq j . (228)Hier wird die kinetische Energie als Funktion T (q 1 . . . q S , ˙q 1 . . . ˙q S , t) verstanden!Insgesamt wird aus der d’Alembert-Gleichung (220)∑[ d ∂T− ∂T ]− Q j δq j = 0 . (229)dt ∂ ˙q j ∂q jDie Verrückungen δq j der generalisierten Koordinaten sind nun tatsächlich linearunabhängig, deshalb müssen die Summanden j = 1 . . . S einzeln verschwinden.Das Ergebnis ist der Satz von Bewegungsgleichungend ∂Tdt ∂ ˙q j− ∂T∂q j= Q j . (230)2.2 Lagrange-FormalismusWir beschränken uns im weiteren auf konservative Kräfte, die in den ursprünglichenKoordinaten durch eine Potenzialfunktion V gegeben sind:Die generalisierten Kräfte ergeben sich daraus <strong>zu</strong>K n = −∇ n V (r 1 . . . r n ) . (231)Q j = − ∑ n∇ n V (r 1 . . . r n ) ∂r n∂q j= − ∂V (q 1 . . . q S )∂q j, (232)wobei jetzt die Pontenzialfunktion in den neuen (generalisierten) Koordinatenausgedrückt worden ist. Die rechte Seite von Gl. (230) kann also mit der q j -Ableitung von T kombiniert werden:d ∂T− ∂ (T − V ) = 0 . (233)dt ∂ ˙q j ∂q j37


Da das Potenzial nicht von den ˙q j abhängt, kann auch im ersten Term T durch(T − V ) ersetzt werden. Das führt direkt auf die Lagrange-FunktionL ≡ T − V , L = L (q 1 . . . q S , ˙q 1 . . . ˙q S , t) , (234)und die Bewegungsgleichungen ergeben sich ausd ∂Ldt ∂ ˙q j− ∂L∂q j= 0 (j = 1 . . . S) . (235)Sie werden als Lagrange-Gleichungen (zweiter Art) bezeichnet. Ihr Vor<strong>zu</strong>g bestehtdarin, dass die Zwangskräfte völlig eliminert worden sind - sie sind nurimplizit in der Transformation der r n auf die generalisierten Koordinaten q jenthalten.Wir definieren den verallgemeinerten Impuls formal alsp j ≡ ∂L∂ ˙q j. (236)Wenn q j ≡ x j gilt, stimmt p j natürlich mit dem gewöhnlichen Impuls (bzw.dessen Komponente) überein.Eine besondere Rolle spielen diejenigen generalisierten Koordinaten q k , die inder Lagrange-Funktion überhaupt nicht auftauchen (zyklische Koordinaten).Wegen ∂L/∂q k = 0 gilt für sie aus Gl. (235)d ∂L= dp kdt ∂ ˙q k dt = 0 . (237)Die <strong>zu</strong>gehörigen verallgemeinerten Impulse p k sind daher zeitlich konstant, alsoErhaltungsgrößen. Gl. (237) hat den Charakter eines verallgemeinerten Impulserhaltungssatzes!2.2.1 Beispiel 1: Das Gleitpendelm 1m 2xx 1lfzAbbildung 5: Das Gleitpendel38


Der Massenpunkt 1 kann reibungsfrei auf einer Schiene (der x-Achse) verschobenwerden, mit einer Stange der Länge l ist der zweite Massenpunkt drehbarbefestigt (die Bewegung sei auf die x-z-Ebene beschränkt). Die Zwangsbedingungenlauten dannz 1 = 0 , z 2 2 + (x 2 − x 1 ) 2 = l 2 , (238)und als generalisierte Koordinaten bieten sich x 1 und φ an. Die ursprünglichenKoordinaten werden durch die generalisierten ausgedrückt:Die Geschwindigkeiten ergeben sich <strong>zu</strong>x 1 bleibt , z 1 = 0 ,x 2 = x 1 + l sin φ , z 2 = l cos φ . (239)ẋ 2 = ẋ 1 + l cos(φ) ˙φ , ż 2 = −l sin(φ) ˙φ , (240)und die kinetische Energie T = (m 1 /2)ẋ 2 1 + (m 2/2)(ẋ 2 2 + ż2 2 ) wird in die generalisiertenGrößen umgeschrieben,T = m 1 + m 22ẋ 2 1 + m 2 l cos(φ) ẋ 1 ˙φ +m 22 l2 ˙φ2 . (241)Da<strong>zu</strong> kommt das Potenzial der Schwerkraft V = −m 2 gz 2 = −m 2 gl cos(φ).Insgesamt lautet die Lagrange-Funktion für das GleitpendelL = T − V = M 2 ẋ2 1 + m )22 l2 ˙φ2 + m 2 l cos(φ)(ẋ 1 ˙φ + g(242)(M = m 1 + m 2 ist die Gesamtmasse). L ist unabhängig von x 1 , also ist x 1zyklisch, und der <strong>zu</strong>gehörige Impulsp 1 = ∂L∂ẋ 1= Mẋ 1 + m 2 l cos(φ) ˙φ = const t (243)bleibt zeitlich erhalten. Tatsächlich ist p 1 der Schwerpunktimpuls: Der Schwerpunkt(in x-Richtung) ist durchX = m 1 x 1 + m 2 x 2 = Mx 1 + m 2 l sin(φ) (244)gegeben, und dessen zeitliche Ableitung ergibt gerade Gl. (243). Der Schwerpunktführt also eine gleichförmige Bewegung aus,X(t) = A + p 1 t = Mx 1 (t) + m 2 l sin(φ(t)) . (245)Als Anfangsbedingungen wählen wir x 1 (0) = x 10 , φ(0) = φ 0 , ẋ 1 (0) = 0, ˙φ(0) =0, haben damit also p 1 = 0 (keine globale Translationsbewegung des Gleitpendels).Nach Einbau der Anfangsbedingung in der Form A = Mx 10 + m 2 l sin φ 0lautet die Lösung für x 1 (t)x 1 (t) = m 2M l (sin φ 0 − sin φ(t)) + x 10 . (246)39


Wir können noch über den Ursprung der x-Achse frei verfügen, aus Bequemlichkeitwählen wir ihn so, dass x 10 = −(m 2 /M)l sin φ 0 gilt. Damit ist einZwischenergebnisx 1 (t) = −l m 2sin φ(t) ,Mx 2 (t) = x 1 (t) + l sin φ(t) = l m 1Mz 2 (t) = l cos φ(t) .sin φ(t) , (247)Wenn wir den (im Moment noch unbestimmten) Winkel φ(t) eliminieren, erhaltenwir für den Massenpunkt 2 die Polardarstellung einer Ellipse:( ) 2 x2+lm 1 /M( z2) 2= 1 . (248)lWenn m 1 ≫ m 2 gilt, ergibt sich eine Kreisbahn - wie wir es für ein normalesPendel erwarten. Ansonsten führt m 1 eine Gegenbewegung <strong>zu</strong>r schwingendenMasse m 2 aus!Da wir eine (zyklische) Koordinate schon erledigt haben, bleibt nur noch dieLagrange-Gleichung (235) für den Winkel ab<strong>zu</strong>leiten: Wir gewinnen aus Gl. (242)∂L∂ ˙φ = m 2l 2 ˙φ + m2 l cos(φ)ẋ 1 , (249)∂L)∂φ = −m 2l sin(φ)(ẋ 1 ˙φ + g , (250)und tragen das in d(∂L/∂ ˙φ)/dt − ∂L/∂φ = 0 ein. Nach Kürzen mit m 2 l 2 ergibtsich¨φ + g l sin(φ) + 1 l cos(φ)ẍ 1 = 0 , (251)wobei sich noch zwei Mischterme ∼ ˙φ ẋ 1 kompensiert haben. Wir brauchen nochẍ 1 = −l(m 2 /M)[cos(φ) ¨φ − sin(φ)( ˙φ) 2 ] und erhalten endgültig¨φ + Mg/l + m 2 cos(φ)( ˙φ) 2m 1 + m 2 sin 2 (φ)sin(φ) = 0 , (252)also eine hoch nichtlineare Differentialgleichung zweiter Ordnung für den Winkelφ(t). Zumindest für kleine Ausschläge (linear in φ) ergibt sich aber einfach¨φ + gMlm 1φ = 0 , (253)also eine Variante des mathematischen Pendels. Weil hier die effektive Längeauf lm 1 /M ≤ l reduziert ist, schwingt es schneller - ein doch eher unerwartetesErgebnis!40


2.2.2 Beispiel 2: Das räumliche PendelDie einzige Zwangsbedingung lautet x 2 + y 2 + z 2 = l 2 , und entsprechend reduzierensich die drei Freiheitsgrade des Massenpunktes auf die beiden Winkel(θ, φ) im Polarkoordinatensystem, also haben wir die Transformationx = l sin θ cos φ , ẋ = l cos θ cos φ ˙θ − l sin θ sin φ ˙φ ,y = l sin θ sin φ , ẏ = l cos θ sin φ ˙θ + l sin θ cos φ ˙φ , (254)z = l cos θ , ż = −l sin θ ˙θ .Die kinetische Energie ergibt sich <strong>zu</strong>T = m 2(ẋ2 + ẏ 2 + ż 2) = ml22( ˙θ2 + sin 2 θ ˙φ 2) , (255)und die potenzielle wie üblich V = gmz. Die Lagrange-Funktion lautet alsoL ≡ T − V = ml22( ˙θ2 + sin 2 θ ˙φ 2) − mgl cos θ . (256)Offensichtlich ist φ eine zyklische Koordinate, und der <strong>zu</strong>gehörige (generalisierte)Impuls ist zeitlich konstant:p φ ≡ ∂L∂ ˙φ = ml2 sin 2 θ ˙φ = const t . (257)Dahinter verbirgt sich die Drehimpuls-Erhaltung bezüglich der z-Achse:ρ 2 ˙φ = constt (ρ = l sin θ ist der Radialabstand).Für den Polarwinkel brauchen wir∂L∂ ˙θ = ml2 ˙θ ,∂L∂θ = ml2 sin θ cos θ ˙φ 2 + mgl sin θ , (258)und erhalten die Bewegungsgleichung (ml 2 gekürzt) <strong>zu</strong>¨θ = C2 cos θsin 3 θ+ g lsin θ , (259)wobei ˙φ = C/ sin 2 θ aus der Drehimpulserhaltung Gl. (257) eingesetzt wurde.Ohne den C 2 -Zusatz ergibt sich die übliche Pendelgleichung, das entspricht derSchwingung in einer festen Ebene (der Drehimpuls ist Null). Beachte, dass hierein anderes Vorzeichen als üblich vor sin θ steht, weil wir die z-Achse nach obengewählt haben, das Pendel ist bei θ = π in Ruhe. Der C 2 -Term hat mit derräumlichen Bewegung (zentrifugal) <strong>zu</strong> tun. Das räumliche Pendel hat auch eineLösung mit θ = const t , was natürlich eine Kreisbahn beschreibt: Sie entsteht,wenn die Anfangsbedingungen so gewählt werden, dass neben ˙θ(t = 0) = 0auch C 2 cos θ + (g/l) sin 4 θ gilt. Letzteres erfordertKreisbahn: ˙φ2 l cos θ = −g . (260)41


2.3 Hamilton-FormalismusDie generalisierten Koordinaten spannen eien S-dimensionalen Konfigurationsraumauf, in dem die (q 1 . . . q S ) = q als Vektoren betrachtet werden. Wennq(t) eine beliebige Bahnkurve in diesem Raum ist, kann man mit Hilfe derLagrange-Funktion das WirkungsintegralS [q] =∫ t2t 1L (q(t), ˙q(t), t) dt (261)bilden (es hat tasächlich die Dimension einer Wirkung = Energie mal Zeit). Esgilt dann das Hamilton-Prinzip: Die tasächliche Bahn macht das Wirkungsfunktionalextremal! Den Beweis führen wir durch Ausführen einer Variationδq, δ ˙q unter Festhalten der Endpunkte q(t 1 ), q(t 2 ) (ab jetzt lassen wir das Vektorzeichenauf den q, ˙q wieder weg):∫ t2( )∂L ∂LδS = δq +∂q ∂ ˙q δ ˙q dt , (262)t 1wobei δ ˙q = d(δq(t))/dt <strong>zu</strong> verstehen ist. Der zweite Term wird partiell umgeformt,∫ t2∣∂L d ∂L ∣∣∣t 2∫ t2( )δq dt =t 1∂ ˙q dt ∂ ˙q δq d ∂L−δq dt . (263)t 1 t 1dt ∂ ˙qDer erste Term verschwindet, weil an den Endpunkten keine Variation erfolgt:δq(t 1 ) = δq(t 2 ) = 0. Im Endergebnis∫ t2[ ∂LδS =∂q − d ( )] ∂Lδq dt (264)dt ∂ ˙qt 1muss der Integrand überall identisch verschwinden, weil die δq unabhängiggewählt werden können. Das ist aber gerade die Lagrange-Gleichung, auf dertatsächlichen Bahn gilt alsod ∂Ldt ∂ ˙q − ∂L = 0 ⇒ δS = 0 . (265)∂qDieses (integrale) Euler-Lagrange-Variationsverfahren ist alternativ <strong>zu</strong>r differentiellenForm der Bewegungsgleichungen!Um einen weiteren Erhaltungssatz (meist für die Energie) <strong>zu</strong> gewinnen, bildenwir das Differential der Lagrange-Funktion L(q, ˙q, t):dL = ∂L ∂L ∂Ldq + d ˙q + dt (266)∂q ∂ ˙q ∂t= ṗ dq + p d ˙q + ∂L dt , (267)∂twobei wir den verallgemeinerten Impulse p = ∂L/∂ ˙q verwendet haben. DieZeitableitung erhalten wir durch Division mit dtdLdt∂L= ṗ ˙q + p ¨q +∂t = d ∂L(p ˙q) +dt ∂t . (268)42


Also giltd(p ˙q − L) = −∂Ldt ∂t . (269)Wenn (wie immer bei holonom-skleronomen Zwangsbedingungen, aber nichtnur dort) ∂L/∂t = 0 gilt, so ist die Hamilton-FunktionH(q, p, t) = p ˙q − L (270)eine Erhaltungsgröße! Für den Spezialfall holonom-skleronom stimmt sie mitder Energie überein, denn es giltH = T + V = E = const t . (271)Um das ein<strong>zu</strong>sehen, muss also T +V = H = p ˙q −(T −V ) gelten, oder 2T = p ˙q.Wir führen den Beweis der Einfachheit halber nur für einen Massenpunkt miteiner Koordinate x: Holonom-skleronom heißt x = x(q), also ẋ = (∂x/∂q) ˙q.Damit ist die kinetische EnergieT = m 2 ẋ2 = m 2( ) ∂x 2˙q 2 , (272)∂qund der generalisierte Impuls wirdp = ∂L∂ ˙q = ∂T ( ) ∂x 2∂ ˙q = m ˙q . (273)∂qNach Multiplikation mit ˙q und Vergleich mit Gl. (272) ergibt sich genau 2T = p ˙q- wie <strong>zu</strong> zeigen war.Wir bilden nun das Differential von H = p ˙q − L,dH = p d ˙q + ˙q dp − dL = p d ˙q + ˙q dp − ∂L ∂L ∂Ldq − d ˙q − dt . (274)∂q ∂ ˙q ∂tMit der Langrangschen Gleichung ∂L/∂ ˙q = p kürzen sich also zwei Terme, undmit ∂L/∂q = ṗ bleibtdH = −ṗ dq + ˙q dp − ∂L∂tdt . (275)Durch Vergleich mit der kanonischen Form des Differentials von H(q, p, t),dH = ∂H∂qdq +∂H∂pdp +∂H∂tergeben sich die Hamilton-Bewegungsgleichungen <strong>zu</strong>:dt , (276)∂H∂q j= −ṗ j ,∂H∂p j= ˙q j ,∂H∂t = −∂L ∂t . (277)(Ab jetzt wird wieder <strong>zu</strong>r Komponenten-Schreibweise <strong>zu</strong>rückgekehrt!) Man beachtedas Minuszeichen in Gl. (277) - im Gegensatz <strong>zu</strong>r Lagrange-Gleichung43


∂L/∂q j = + ˙q j ! Mathematisch gesehen haben wir eben eine Legendre-Transformationvon den Variablen (q j , ˙q j , t) auf (q j , p j , t) vorgenommen. Ein Vorteilergibt sich wieder für zyklische Koordinaten, für die ja wegen ∂L/∂q k = 0 derImpuls p k zeitlich konstant ist. Das bedeutetzyklisch:∂H∂q k= −ṗ k = 0 , (278)also ist auch H unabhängig von q k , und p k kann sofort durch seine Erhaltungsgrößeersetzt werde. Das ist mehr als im Lagrange-Formalismus, wo die˙q k -Abhängigkeit noch <strong>zu</strong> verarbeiten war. Zusätzlich haben wir noch den Energieerhalt<strong>zu</strong>r Verfügung, H = const t (für holonom-skleronome Probleme, s.oben). Im Hamilton-Formalismus spannen jetzt die Variablen (q j , p j ) den 2SdimensionalenPhasenraum auf.Das allgemeine Lösungsschema im Hamilton-Formalismus sei hier noch einmalaufgelistet (für konservative Kräfte und holonom-skleronome Zwangsbedingungen):1. Finde die generalisierten Koordinaten in Einklang mit denBewegungsbeschränkungen r n = r n (q 1 . . . q S )und bilde die Geschwindigkeiten ṙ(q 1 . . . q S , ˙q 1 . . . ˙q S ) !2. Drücke kinetische (T ) und potenzielle Energie (V ) durch die generalisiertenKoordinaten und Geschwindigkeiten aus!3. Bestimme die generalisierten Impulse aus p j = ∂T/∂ ˙q j !4. Eliminiere damit die ˙q j und bilde die HamiltonfunktionH(q 1 . . . q S , p 1 · · · p S ) = T + V !5. Identifiziere eventuell vorhandene zyklische Koordinaten! Die <strong>zu</strong>gehörigen(zeitlich konstanten) Impulse p k können aus den Anfangsbedingungen bestimmtwerden.6. Stelle für alle (nichtzyklischen) Variablen die Bewegungsgleichungen auf:− ∂H∂q j= ṗ j ,∂H∂p j= ˙q j ! (279)7. Löse diese Gleichungen und gehe <strong>zu</strong> den ursprünglichen Koordinaten<strong>zu</strong>rück, um die Trajektorien der Massenpunkte r n (t) <strong>zu</strong> erhalten. Dabeimüssen die Anfangsbedingungen eingebaut werden.2.3.1 Beispiel 3: Gleiten auf schräger EbeneDurch eine gerade Schiene geführt, gleite ein Massenpunkt im Schwerefeldschräg abwärts. Die Schiene liege in der x-z-Ebene und hat den Anstellwinkelα nach unten. Die Zwangsbedingungen sindy = 0 , z/x = − tan α . (280)44


Als (einzige) generalisierte Koordinate verwenden wir den Weg s des Massenpunktesauf der Schiene und erhalten als Transformationund daraus durch DifferenzierenKinetische und potenzielle Energie sindx = s cos α , y = 0 , z = −s sin α , (281)ẋ = ṡ cos α , ẏ = 0 , ż = −ṡ sin α . (282)T = m (ẋ2 + ẏ 2 + ż 2) = m cos 2 α + ṡ 2 sin 2 α ) = m 222 ṡ2 ,V = mgz = −mgs sin α . (283)Der generalisierte Impuls istund die Hamiltonfunktion lautetp = ∂T∂ṡ = m ṡ , (284)H = T + V = p22m− mgs sin α . (285)Es gibt also keine zyklische Koordinate! Die Bewegungsgleichungen sindDie Integration ist einfach:− ∂H = ṗ : mg sin α = ṗ (286)∂s∂H∂p = ṡ : pm = ṡ .p(t) = p 0 + mg sin α · t , (287)s(t) = s 0 +∫ t0p(t ′ )m dt′ = s 0 + p 0m t + g sin α t2 2 .Bei t = 0 soll der Massenpunkt am Ursprung in Ruhe sein. Aus den Anfangsbedingungenr(0) = 0, ṙ(0) = 0 folgt natürlich s 0 = 0, p 0 = 0, und die Rücktransformationauf die ursprünglichen Variablen ergibtr(t) = (x(t), y(t), z(t)) = (cos α, 0, − sin α) · g sin α t2 2 , (288)also wie ein freier Fall mit “effektiv reduzierter“ Schwerkraft. Es wäre auchmöglich gewesen, die Energieerhaltung aus<strong>zu</strong>nutzen - im vorliegenden einfachenFall aber ohne echte Reduktion des Aufwandes. Man überzeuge sich jedoch mitHilfe von Gl. (285), dass tatsächlich die Energie mit E = H = p 2 0 /(2m) −mg sin α s 0 erhalten bleibt! Für die hier gewählten Anfangsbedingungen ist undbleibt sie Null.45


2.3.2 Beispiel 4: Perle auf rotierendem StabAls Beispiel für ein holonom-rheonomes Problem betrachten wir einen Massenpunkt,der reibungsfrei auf einer Schiene gleiten kann, die mit konstanterWinkelgeschwindigkeit ω rotiert. Die Zwangsbedingungen lauten y/x = tan(ωt)und z = 0. Als (einzige) generalisierte Koordinate verwenden wir den Abstandq des Massenpunktes vom Ursprung (von der Drehachse):Die kinetische Energie istx = q cos(ωt) , ẋ = ˙q cos(ωt) − qω sin(ωt) ,y = q sin(ωt) , ẏ = ˙q sin(ωt) + qω cos(ωt) , (289)z = 0 , ż = 0 .T = m 2(ẋ2 + ẏ 2 + ż 2) = m 2(˙q 2 + q 2 ω 2) (290)und stimmt mit der Langrange-Funktion überein, da es kein Potenzial gibt. Dergeneralisierte Impuls ist p = ∂L/∂ ˙q = m ˙q, und die Hamilton-Funktion lautetH = p ˙q − L = p · pm − m ( )p22 m 2 + q2 ω 2 = p22m − m 2 q2 ω 2 . (291)Die Bewegungsgleichungen sindṗ = − ∂H∂q = mq ω2 , (292)˙q = + ∂H∂p = p m ,und lassen sich <strong>zu</strong>¨q = ṗm = q ω2 (293)kombinieren. Das ähnelt stark dem harmonischen Oszillator, aber mit falschemVorzeichen! Entsprechend sind die Lösungen nicht trigonometrische, sondernexponentielle Funktionen,q(t) = Ae +ωt + Be −ωt . (294)Mit der Anfangsbedingung einer ruhenden Perle (q(0) = q 0 , ˙q(0) = 0) ergibtsich A + B = q 0 , A − B = 0, alsoq(t) = q 0 cosh(ωt) , p(t) = m ˙q(t) = mωq 0 sinh(ωt) . (295)Die Hamiltonfunktion ist zeitlich konstant, da ∂L/∂t = 0 gilt. Man rechnenach: H = −(m/2)(ωq 0 ) 2 ! Allerdings ist das nicht die Energie, die sich hiermit Gl. (290) und Gl. (295) <strong>zu</strong>E = T = m 4 q2 0 ω 2 ( e +2ωt + e −2ωt) (296)ergibt, also exponentiell anwächst! Der Nachschub an Energie kommt aus derRotation, die immer schwerer in Gang <strong>zu</strong> halten ist.46


Die Parameterdarstellung der Koordinaten lautet (mit φ ≡ ωt)x = q (0e φ + e −φ) cos φ , y = q (0e φ + e −φ) sin φ . (297)22Nach einer Anlaufzeit dominiert der jeweils erste exponentielle Term, und wirerhalten eine logarithmische Spirale: Dafür muss der Schnittwinkel α derBahn mit dem Fahrstrahl konstant sein. Es gilt in unserem Falltan α = q dφdq= coth(φ) → 1 , (298)also für größere Zeiten α = 45 ◦ , was in Abb. 6 als ’Perle 1’ <strong>zu</strong> erkennen ist.150100Perle 1Perle 250y0-50-100-150-150 -100 -50 0 50 100 150xAbbildung 6: Gleitende Perle auf einer rotierenden SchieneNoch eine Nebenbemerkung <strong>zu</strong>r logarithmischen (besser exponentiellen) Spirale:Der Vorfaktor q 0 kann in den Winkel aufgenommen werden, q(φ) = exp(s(φ−φ 0 )) (für unser Perlenbeispiel galt s = 1). Eine beliebige Streckung der Kurve(q → a ∗ q) ist also einer festen Drehung äquivalent - die Kurve ist selbstähnlich!Daher auch ihre Bedeutung bei Wachstumsprozessen, schön <strong>zu</strong> sehen beimSchneckenhaus von Nautilus und bei der Anordnung der Kerne in der Sonnenblume.Ein ganz anderes Problem entsteht, wenn die Schiene nicht zwangsweise inRotation gehalten wird, sondern - einmal angeworfen - sich frei weiterdrehenkann. Der Drehwinkel φ ist jetzt eine dynamische Variable, und die Zwangsbedingungensind mit y/x = tan φ vom Typ holonom-skleronom. Wieder gibtes keine regulären Kräfte, aber in der kinetischen Energie muss das (endliche)Trägheitsmoment J der Schiene berücksichtigt werden:L = T = J 2 ˙φ 2 + m 2(˙q 2 + q 2 ˙φ2 ) . (299)47


Der Drehwinkel φ ist zyklisch, also gilt∂L∂ ˙φ = ( J + mq 2) ˙φ = l = constt , (300)was natürlich die Erhaltung des gesamten Drehimpulses von Schiene plus Perledarstellt. Der <strong>zu</strong>m Abstand q gehörige Impuls ist∂L∂ ˙q= p = m ˙q , (301)und durch Eliminieren von ˙q, ˙φ gewinnen wir die Hamilton-Funktionl 2H = 1 2 J + mq 2 + p22m . (302)Tatsächlich ist Gl. (301) bereits die erste der Hamilton-Bewegungsgleichungen.Die zweite (−∂H/∂q = ṗ ) verwenden wir hier jedoch nicht, sondern machenuns den Energiesatz <strong>zu</strong>nutze,l 2H = 1 2 J + mq 2 + m ˙q22= const t = E , (303)wobei wir bereits wieder Gl. (301) eingesetzt haben. Auflösen nach ˙q ergibt eineDifferentialgleichung erster Ordnung,√dqdt = 2Em − l 2m(J + mq 2 ) , (304)die mit den Anfangsbedingungen q(0) = q 0 , ˙q(0) = 0 gelöst werden muss - sielegen u.a. die Energie <strong>zu</strong> E = l 2 /2(J + mq0 2 ) fest. Die Zeitabhängigkeit desDrehwinkels ergibt sich durch einfache Integration aus (s. Gl. (300))dφdt =lJ + mq 2 (t) . (305)Hier sind die Anfangsbedingungen φ(0) = 0 und ˙φ(0) = ω 0 , womit auch l bestimmtist. Die numerische Integration beider Gleichungen ergibt in Abb. 6 dieKurve ’Perle 2’. Für kleine Zeiten stimmen beide Bewegungskurven überein (eswurde ω 0 = ω gewählt). Interessant ist aber, dass jetzt die Drehung der Schieneasymptotisch <strong>zu</strong>r Ruhe kommmt und der Massenpunkt mit einer konstantenFluchtgeschwindigkeit˙q(t → ∞) = ω 0√J/m + q 2 0 (306)nach außen gleitet. Die gesamte Energie hat sich dann in kinetische Energie desMassenpunktes umgewandelt, woraus man ˙q ∞ auch sehr schnell direkt bestimmenkann.48


3 Einführung in die spezielle RelativitätstheorieBei Experimenten <strong>zu</strong>r Lichtausbreitung (Michelson und Morley, 1887) wurdegefunden, dass die im täglichen Leben unbezweifelte Additivität von Geschwindigkeitenbei Annäherung an die Lichtgeschwindigkeit c nicht mehr gültig seinkann. Albert Einstein fasste experimentelle Befunde und theoretische Arbeitenvon Vorgängern kongenial <strong>zu</strong> einer neuen Theorie von Raum und Zeit <strong>zu</strong>sammen(1905). Die Spezielle Relativitätsthorie beschreibt die Physik in gleichförmigbewegten Be<strong>zu</strong>gssystemen, wobei die bisher als selbstverständlich betrachteteZeitmessung tiefer analysiert werden muss. Die Ausdehnung auf beschleunigteSystem und das Einbeziehen der Gravitation bilden den Gegenstand der AllgemeinenRelativitätstheorie (Einstein 1915).3.1 Relativistische Raum-ZeitIn der klassischen <strong>Mechanik</strong> werden gleichförmig bewegte Be<strong>zu</strong>gssysteme (Inertialsysteme)betrachtet: Wenn sich der Ursprung von Σ ′ mit der GeschwindigkeitV gegenüber dem Ursprungssystem Σ bewegt, gilt für die Bahnkurve einesMassenpunktes die einfache Galilei-Transformation r(t) = r ′ (t) + Vt, oder inKoordinaten geschrieben (V liege in x-Richtung):x = x ′ + V t , y = y ′ , z = z ′ , t = t ′ . (307)Dabei wird ein gleicher Ablauf der Zeit in beiden Systemen als selbstverständlichvorausgesetzt. Die Geschwindigkeiten in beiden Be<strong>zu</strong>gssystemen verhaltensich also wieẋ = ẋ ′ + V , (308)das heißt, die Geschwindigkeiten addieren sich. Jetzt betrachten wir die Ausbreitungeiner Welle in einem Medium, welches in Σ ruht. Die Welle breite sichmit der Ausbreitungsgeschwindigkeit u in x-Richtung aus. Gemäss Gl. (308)ergibt sich von Σ ′ aus betrachtet die verringerte Ausbreitungsgeschwindigkeitu ′ = u − V (das System Σ ′ ’läuft der Welle davon’). Alle Messungen der Ausbreitungvon Lichtwellen haben aber nun gezeigt, dass die Lichtgeschwindigkeitmit hoher Präzision in allen Inertialsystemen dieselbe ist:c = 299 792 458 ± 1 m/s . (309)Die Bewegung der Erde um die Sonne mit V = 29 780 m/s würde - das Galilei-Prinzip vorausgesetzt - eine Korrektur weit oberhalb des Messfehlers ergeben!Die Galilei-Transformation muss also durch ein anderes Gesetz ersetzt werden,in dem die Konstanz von c <strong>zu</strong>m Ausgangspunkt gemacht wird. Das gelingt abernur, wenn man auch einen unterschiedlichen Ablauf der Zeit in Σ und Σ ′ <strong>zu</strong>lässt.Es ist für die Lichtausbreitung in Form einer Kugelwelle <strong>zu</strong> fordern:Σ : c 2 t 2 = x 2 + y 2 + z 2 , (310)Σ ′ : c 2 t ′2 = x ′2 + y ′2 + z ′2 .49


ctZukunftWeltlinieLichtkegel x = ctGegen-wartxVergangenheitAbbildung 7: Raumzeit-Diagramm mit WeltlinieFür Ort und Zeit wird eine lineare Transformation gesucht, wobei die transversalenRichtungen y und z weiter unverändert bleiben sollen:x = α ct ′ + β x ′ , (311)ct = γ ct ′ + δ x ′ .Aus dimensionellen Gründen wird immer ct <strong>zu</strong> einer Länge <strong>zu</strong>sammengefasst!Einsetzen in die Ausbreitung der Kugelwelle Gl. (310) gibtc 2 t ′2 − x ′2 = c 2 t 2 − x 2 = ( γct ′ + δx ′) 2 −(αct ′ + βx ′) 2 , (312)und Koeffizientenvergleich liefert1 = γ 2 − α 2 , −1 = δ 2 − β 2 , 0 = γδ − αβ . (313)Da<strong>zu</strong> brauchen wir noch die Bewegung des Ursprunges von Σ ′ - es muss ja ausder Transformation auch x ′ = 0 für x = V t gelten. Aus Gl. (311) ergibt sichdafür V/c = α/γ, und alle Koeffizienten lassen sich festlegen <strong>zu</strong>γ = β =1√1 − V 2 /c 2 , α = δ = V c γ . (314)Eingesetzt ergibt sich x = γ (V t ′ + x ′ ) , ct = γ (ct ′ + (V/c)x ′ ), womit die zentraleLorentz-Transformation gefunden ist:x = x′ + V t ′√1 − V 2 /c 2 , t = t′ + (V/c 2 )x ′√1 − V 2 /c 2 . (315)Für Geschwindigkeiten V klein gegenüber der Lichtgeschwindigkeit c bleibtes bei der Galilei-Transformation Gl. (307). Die Lichtgeschwindigkeit spielt dieRolle einer Grenzgeschwindigkeit: Es muss immer V < c gelten, damit die Wurzelreell bleibt. Relativistische Effekte lassen sich anschaulich in einem Raum-Zeit-Diagramm (Minkowski-Diagramm) darstellen, wobei jeder Punkt (x, ct)50


Minkowski-Diagramm für V = 0.4cct'x = ct1ctx'00 1xAbbildung 8: Minkowski-Diagramm mit Koordinaten für das ruhende Be<strong>zu</strong>gssystemΣ (blau, ausgezogen) und das bewegte Be<strong>zu</strong>gssystem Σ ′ (rot, gestrichelt).Jedes Kästchen des Netzes hat eine Seitenlänge von 0.25 Einheiten.ein Ereignis dartellt (Abb. 7). Jede Bahnkurve r(t) wird auf eine sog. Weltlinieabgebildet. Ein ruhender Massenpunkt entspricht einer senkrechten Weltlinie.Wegen des Grenzcharakters der Lichtgeschwindigkeit müssen alle Weltliniensteiler als 45 ◦ verlaufen. Die Linien x = ±ct grenzen den <strong>zu</strong>lässigen Bereich füralle Weltlinien ein, die durch (0, 0) verlaufen. Sie werden auch als Lichtkegelbezeichnet (in drei Raumdimensionen |r| = ct).Zwei wichtige Folgerungen lassen sich aus der Lorentz-Transformation ableiten:Die Längenkontraktion bezieht sich auf einen Stab der Länge l = x 2 −x 1 , derin Σ ruht. Der Beobachter im relativ <strong>zu</strong>m Stab bewegten System Σ ′ muss <strong>zu</strong>rMessung der Stablänge <strong>zu</strong> gleichen Zeiten t ′ das Vorbeilaufen der Stabendenregistrieren. Ausx 1 = γ ( x ′ 1 + V t ′) , x 2 = γ ( x ′ 2 + V t ′) (316)ergibt sich x 2 − x 1 = γ (x ′ 2 − x′ 1 ) und damit (l′ = x ′ 2 − x′ 1 )l ′ = l √ 1 − V 2 /c 2 < l . (317)Gemessen von Σ ′ aus erscheint der Stab kürzer als in seinem Ruhesystem Σ,oder: Ein bewegter Maßstab ist verkürzt. Diese Verhältnisse lassen sichgut am Minkowski-Diagramm diskutieren, in dem die Raum-Zeit-Koordinatenbeider Be<strong>zu</strong>gssysteme (Σ und Σ ′ ) markiert sind (Abb. 8). Man beachte die Deformationder Quadrate in Σ <strong>zu</strong> Rhomben in Σ ′ !Für die Betrachtung von (schnell!) bewegten Gegenständen ergeben sich darausteilweise unerwartete Folgerungen: So erscheint z. B. ein bewegter Würfel - von51


der Seite betrachtet - nicht verkürzt, sondern nach hinten verkippt. Dafür mussnoch der Lichtweg <strong>zu</strong>m Auge einbezogen werden. Für eine bewegte Kugel ergibtsich keine Deformation!Noch spektakulärer ist die Zeitdilatation, die sich auf das Verhalten von bewegtenUhren bezieht. Zwei in Σ ruhende Uhren U 1 und U 2 mit dem Abstandx 2 − x 1 seien miteinander synchronisiert (das kann durch einen von der geometrischenMitte ausgesandten Lichtblitz geschehen). Eine weitere Uhr U 3 bewegtsich mit der Geschwindigkeit V . Beim Vorbeilauf an U 1 wird U 3 synchronisiert:t 1 = t ′ 1 = 0, x 1 = x ′ 3 = 0. Beim Vorbeilauf der bewegten Uhr U 3 zeigt U 2 dieZeit t 2 an. Allerdings wird dabei auf U 3 eine abweichende Zeit t ′ 2 abgelesen: Ausder Transformation t 2 = γ ( t ′ 2 + (V/c2 )x ′ 3)und x′3 ≡ 0 folgt t 2 = γt ′ 2 oder∆t =∆t ′√1 − V 2 /c 2 > ∆t′ , (318)also: Bewegte Uhren gehen langsamer. ∆t ′ ist im Beispiel die Eigenzeitder Uhr U 3 (dort abgelesen, wo sie ruht). Die (von Einstein eingeführten) bewegtenUhren stehen natürlich für alle zeitabhängigen physikalischen Prozesse.Eine schöne Bestätigung für die Zeitdilatation ergibt sich aus Experimenten<strong>zu</strong>r Lebensdauer von Pi-Mesonen, die im Ruhesystem τ M = 2.6 · 10 −8 s ist. Inder (sekundären) kosmischen Strahlung laufen die Pionen mit der hohen GeschwindigkeitV M = 0.994c auf die Erde <strong>zu</strong>, und die (aus der mittleren freienWeglänge erschlossene, also im Erdsystem gemessene) Lebensdauer erhöht sichauf 9.1 τ M !Da es bei allen Beispielen unerheblich ist, welches der beiden Systeme Σ undΣ ′ als bewegt angesehen wird (nur die Relativgeschwindigkleit V ist von Interesse),muss bei einer Vertauschung Σ ↔ Σ ′ alles symmetrisch bleiben. Diescheinbare Asymmetrie im Uhrenbeispiel wird so aufgelöst, dass die ’Einzeluhr’U 3 langsamer geht als das ’Pärchen’ U 1 , U 2 .Etwa anders sieht es beim sogenannten Zwillings-Paradoxon aus: Die Zwillings-Schwesterstartet mit dem Raumschiff von der Erde weg und ist nach ihrerRückkehr weniger gealtert als ihr auf der Erde verbliebener Bruder. Obwohldie Symmetrie durch die Beschleunigungs- und Bremsphasen gebrochen ist,entscheidet über den Zeitgewinn nur die gleichförmig <strong>zu</strong>rückgelegte Strecke! Ausder Sicht des Bruders bleibt die Schwester gleichmäßig zeitlich <strong>zu</strong>rück. Dasselbekonstatiert die Schwester vom Bruder - aber nur während ihrer gleichmäßigenFlugphase. Dagegen altert der Bruder (aus ihrer Sicht) erschreckend schnellwährend ihrer Umkehrphase, wie in Abb. 9 skizziert ist.Relativistische Addition von Geschwindigkeiten: Wir bilden das Differentialder Lorentz-Transformation Gl. (315),dx = γ ( dx ′ + V dt ′) , dt = γ ( dt ′ + (V/c 2 ) dx ′) , (319)und dividieren <strong>zu</strong>v x = dx′ + V dt ′dt ′ + (V/c 2 ) dx ′ =v ′ x + V1 + (V v ′ x)/c 2 . (320)52


Zwilling2.gif (GIF Image, 412x309 pixels)Abbildung 9: Das Zwillings-Paradoxon aus der Sicht der reisenden SchwesterWenn sich also im Σ ′ -System ein Körper mit der Geschwindigkeit v 2 = v x′bewegt, andererseits die Relativbewegung der Systeme v 1 = V ist, so wird in Σfür den Körper die Geschwindigkeit v 12 = v x gemessen. Die ’Additionsformel’lautet alsov 1 + v 2v 12 =1 + (v 1 v 2 )/c 2 (321)und zeigt, dass sich c nur asymptotisch annähern lässt. Insbesondere gilt fürv 1 = cv 12 = c + v 11 + v 2 /c = c . (322)Die Lichtgeschwindigkeit lässt sich also nicht durch den Übergang <strong>zu</strong> einemanderen Be<strong>zu</strong>gssystem vergrösssern (sie ist universell).3.1.1 Beispiel 1: Doppler-EffektWir betrachten <strong>zu</strong>erst den Doppler-Effekt in der nichtrelativistischen <strong>Mechanik</strong>.Hier ist dasjenige Inertialsystem ausgezeichnet, in dem das Medium fürdie Signalausbreitung ruht. Entsprechend ist dort die Ausbreitung isotrop mitder Signalgeschwindigkeite u. Die Quelle soll sich mit der Geschwindigkeit v qbewegen und zwei Signale im zeitlichen Abstand T q aussenden (Abb. 10 links).Während für das erste Signal x = ut gilt, bewegt sich das zweite Signal miteinem ’offset’ gemäßx = ut + (v q − u)T q . (323)Der Empfänger möge die Geschwindigkeit v e haben, er wird vom zweiten Signal<strong>zu</strong>r Zeit1 of T e 1 erreicht. Geometrisch ist das der Schnittpunkt mit der Geraden 01.02.2005 12:06x = v e t und ergibt aufgelöst(v e − u)T e = (v q − u)T q . (324)53


T etx = v qtx = v etx = utT ectT éx = V tct´x = c tx´T qT qxxAbbildung 10: Konstruktionshilfe für den Doppler-Effekt im nichtrelativistischen(links) und im relativistischen Fall (rechts)Üblicherweise werden nicht Zeiten, sondern Frequenzen ω ∝ 1/T gemessen, undwir erhaltenω e = ω q1 − v e /u1 − v q /u . (325)Zwei Grenzfälle können unterschieden werden: Wenn die Quelle ruht, gilt ω e =ω q (1 − V/u), dagegen ω e = ω q /(1 + V/u) für ruhenden Empfänger. In beidenFällen ist V = v e − v q die Relativgeschwindigkeit. Nur für V ≪ u stimmen beideAusdrücke für die Dopplerverschiebung überein. In der nichtrelativistischen<strong>Mechanik</strong> kann also der eigenen Bewegungs<strong>zu</strong>stand bezüglich des Mediums festgestelltwerden.Im relativistischen Fall und mit Licht als Signal (u → c) gibt es keine Auszeichnungeines (fiktiven) Ausbreitungsmediums. In Abb. 10 rechts ist die Situationfür ruhende Quelle skiziert. Der Schnittpunkt der Geraden des zweiten Signals,x = c (t − T q ), mit der Empfängerposition x = V t ergibt (c − V )T e = c T q .Gemessen wird allerdings im gestrichenen System, also muss noch die Zeitdilatationberücksichtigt werden:√√T e ′ = T e 1 − V 2 /c 2 1 + V/c= T q1 − V/c . (326)Entsprechend ist die relativistische Dopplerverschiebung (ω e ∝ 1/T e) ′ durch√1 − V/cω e = ω q1 + V/c . (327)gegeben. Sie hat das gleiche Anfangsverhalten wie im nichtrelativistischen Fall,liegt ansonsten aber zwischen den beiden nichtrelativistischen Grenzfällen (Abb. 11).54


1.0ω e/ω q0.5RelativistischNichtrelativistisch:Empfänger ruhtQuelle ruht0.00.0 0.5 1.0V/cAbbildung 11: Frequenzänderung (Doppler-Verschiebung) in Abhängigkeit vonder Relativgeschwindigkeit V zwischen Empfänger und Quelle3.1.2 Beispiel 2: Relativitätstheorie und GPSRelativistische Effekte waren lange Zeit die Domäne der Grundlagenphysik. Fürmoderne Informationstechniken sind ihre Konsequenzen allerdings nicht mehr<strong>zu</strong> vernachlässigen. Als Beispiel betrachten wir die Zeitmessung im Global PositioningSystem (GPS). Die Ortsbestimmung erfolgt durch den Laufzeitvergleichvon elektromagnetischen Signalen, die von den GPS-Satelliten ausgestrahlt undauf der Erdoberfläche empfangen werden. Wenn T 0 die Eigenzeit der Uhr aufdem Satelliten ist, so wird im Empfänger die längere Zeit(T 0T = √ ≈ T 0 1 + V 2 )S1 − VS 2/c2 2c 2 (328)registriert. Wir haben bereits den Wurzelausdruck entwickelt, weil die Umlaufgeschwindigkeitdes Satelliten mit V s = 3874 m/s sehr viel kleiner ist alsdie Lichtgeschwindigkeit. Entsprechend ergibt sich eine kleine Korrektur von8.35 · 10 −11 <strong>zu</strong>r “1“. Im Verlauf eines Tages (T 0 = 24 h) addiert sich das auf<strong>zu</strong> δT ≡ T − T 0 = 7.2 · 10 −6 s, was immerhin einem Entfernungsfehler vonδx = c δT = 2164 m entsprechen würde (die Genauigkeit des GPS ist sehrviel besser). Allerdings muss hier eine weitere Korrektur aus der allgemeinenRelativitätstheorie berücksichtigt werden: Der Zeitablauf wird auch von Gravitationsfeldern(über die Raumkrümmung) beinflusst. In niedrigster Ordnungergibt dasT ≈ T 0(1 + V S22c 2 − ∆U )mc 2 , (329)wobei ∆U = GM e m(1/R E − 1/R S ) die Potentialdifferenz einer Probemassem im Gravitationsfeld der Erde ist. Mit dem Radius der SatellitenbahnR S = 2.55 · 10 6 m und dem Erdradius R E ergibt sich die Korrektur ∆U/mc 2 =55


5.26 · 10 −10 , also größer und von anderem Vorzeichen als die speziell relativistischeKorrektur. Insgesamt wird die irdische Zeitmessung um 4.45 · 10 −10verkürzt. Dieser Fehler wird dadurch korrigiert, dass der Zeittakt auf dem Satellitengeringfügig verlängert wird. Während der Empfänger mit der sauberenFrequenz von 10.23 MHz rechnet, wird auf dem Satelliten eine um 0.0045 Hz (!)kleinere Frequenz installiert.3.2 Relativistische <strong>Mechanik</strong>Die Formalisierung geht von den Einsteinschen Postulaten aus:1. Alle Inertialsystem sind gleichwertig (das gilt für die <strong>Mechanik</strong> und dieElektrodynamik). Es gibt kein absolut ruhendes System, also keinen Äther.2. Die Vakuum-Lichtgeschwindigkeit c ist in allen Inertialsystemen gleich.Die Zeit und der dreidimensionale Raum werden <strong>zu</strong> einem 4-dimensionalenVektorraum (der Raum-Zeit) <strong>zu</strong>sammengefasst:x µ (µ = 0, 1, 2, 3) : x 0 = ct, x 1 = x, x 2 = y, x 3 = z . (330)Die Lorentz-Transformation Gl. (315) kann man als Drehung im 4-dimensionalenRaum auffassen:x µ =∑A µν x ′ ν . (331)ν=0,1,2,3Das Summen-Symbol wird oft weggelassen, und es gilt die Vereinbarung, dassüber wiederholt auftretende griechische Indizees <strong>zu</strong> summieren ist (Einstein-Konvention). Die <strong>zu</strong>gehörige Matrix sieht folgendermaßen aus:A =⎛⎜⎝γ (V/c)γ 0 0(V/c)γ γ 0 00 0 1 00 0 0 1⎞⎟⎠ (332)Man überzeuge sich, dass die Determinante Eins ergibt, wie man es von einerDrehung erwartet:det(A) = γ 2 − (V/c) 2 γ 2 = 1 . (333)Während aber bei einer Drehung im 3-dimensionalen Vektorraum die Längeeines Vektors erhalten bleibt, ∑ j x2 j = r2 = const. (j = 1, 2, 3), gilt hier einErhaltungssatz fürs 2 = (ct) 2 − x 2 − y 2 − z 2 = const. (334)(vergleiche Gl. (312)). Man beachte, dass dieses Längenquadrat nicht notwendigpositiv ist! s 2 wird auch als Abstand zweier Ereignisse bezeichnet. Die möglichenWerte grenzen verschiedene Bereiche im Minkowski-Diagramm ab (Abb. 7):s 2 > 0 : Zeitartig (Vergangenheit und Zukunft)s 2 = 0 : Lichtkegel (335)s 2 < 0 : Raumartig (Gegenwart)56


Ereignisse, die durch einen zeitartigen Vierervektor verknüpft sind, haben kausalenCharakter: eine Informationsübertragung mit v < c ist möglich. Im raumartigenBereich ist das nicht möglich, hier lässt sich sogar immer ein Be<strong>zu</strong>gssystemfinden, für das die Ereignisse gleichzeitig erfolgen.Die unterschiedlichen Vorzeichen in Gl. (334) kann man auch durch Einführungeiner rein imaginären Zeitkoordinate realisieren (x 0 → x 4 = ict) und dannbei der üblichen Längendefiniton des vierkomponentigen Vektors bleiben (s.Nolting, Grundkurs Theoretische Physik Band 4 ). Hier verfolgen wir die Formalisierungmit Hilfe des metrischen Tensorsg =⎛⎜⎝1 0 0 00 −1 0 00 0 −1 00 0 0 −1mit dem die Länge eines Vierevektors so definiert ist:⎞⎟⎠ , (336)s 2 = ∑ µνx µ g µν x ν . (337)In der Allgemeinen Relativitätstheorie spielt g µν eine wichtige Rolle und enthältInformation über die Raumkrümmung (die Diagonalform Gl. (336) entsprichtdem Spezialfall eines ’flachen’ Raumes).Das Differential von Gl. (334) lautetds 2 = c 2 dt 2 − dx 2 − dy 2 − dz 2 (338)und ist invariant bezüglich beliebiger Drehungen in der Raum-Zeit. Divisionmit dt 2 liefert( dsdt) 2= c 2 −( ) dx 2−dt( ) dy 2−dt( ) dz 2= c 2 − v 2 , (339)dtoder nach Ziehen der Wurzel (für v < c)ds = dt √ c 2 − v 2 = c √ 1 − v 2 /c 2 dt = (c/γ) dt . (340)Für v = 0 gilt ds = c dt und beschreibt die Eigenzeit, und wir erkennen dieFormel Gl. (318) für die Zeitdilation wieder.Die Vierergeschwindigkeit wird allgemein definiert alsu ν = dx νds = dx ν γdt c :u 0 = d(ct)dtγc = γ ,Daraus folgt für die Länge des Vierervektors der Geschwindigkeit∑er ist also ein (zeitartiger) Einheitsvektor!νµu j = v jγc . (341)u ν g νµ u µ = γ 2 − γ 2 v2c 2 = 1 , (342)57


Bei der Ableitung der relativistischen Bewegungsgleichungen beginnen wir miteinem freien Teilchen. Nichtrelativistisch lautete das Wirkungsintegral mit derLagrange-FunktionS =∫ t2t 1L(q, ˙q, t) dt =∫ t2t 1m2 v2 dt . (343)Um das 1. Einsteinsche Postulat <strong>zu</strong> erfüllen, müssen alle Größen relativistischinvariant geschrieben werden. Weder Geschwindigkeit v noch Zeitdifferential dtsind invariant (sie hängen vom Be<strong>zu</strong>gssystem ab). Deshalb könne wir nur das(invariante) Linienelement ds verwenden,∫ s2∫ t2S rel = a ds = a c √ 1 − v 2 /c 2 dt . (344)s 1t 1Der noch offene Vorfaktor a kann durch den Vergleich mit Gl. (343) im Limesv 2 /c 2 → 0 <strong>zu</strong> a = −mc bestimmt werden, wobei allerdings eine additive Konstanteauftaucht! Damit haben wir als relativistische Lagrange-Funktion einesfreien TeilchensL = −mc 2√ 1 − v 2 /c 2 = −mc 2 /γ (345)erhalten. Die (dreidimensionalen) Impuls-Komponenten ergeben sich wie üblichausp j = ∂L m v j= √∂v j 1 − v 2 /c = m v 2 j γ . (346)Daraus lässt sich sofort die Hamiltonfunktion <strong>zu</strong>H = ∑ jp j v j − L = mv 2 γ + mc 2 /γ = mc 2 γ (347)bestimmen. Im vorliegenden kräftefreien Fall ist das natürlich die Energie desTeilchens, für die wir ausgeschriebenE = H =mc 2√1 − v 2 /c 2 (348)erhalten. Für ein ruhendes Teilchen (v = 0) ergibt sich die Einsteinsche Energie-Massen-ÄquivalenzE = m c 2 , (349)sicher die berühmteste Formel der Physik überhaupt! Man verfolge, wie dieserTerm aus dem konstanten Term in Gl. (345) entstanden ist. Er wird als Ruhe-Energie des Teilchens bezeichnet. Das unbeschränkte Anwachsen der EnergieGl. (348) für v → c signalisiert einmal mehr die Unmöglichkeit, ein Teilchen aufLichtgeschwindigkeit <strong>zu</strong> bringen.Um die Hamiltonsche Formulierung vollständig <strong>zu</strong> machen, muss noch die Geschwindigkeitdurch den Impuls ausgedrückt werden. Aus p 2 = m 2 v 2 γ 2 =m 2 v 2 /(1 − v 2 /c 2 ) folgtv 2 p 2=m 2 + p 2 /c 2 , (350)58


32E/mc 21RelativistischNicht-Relativ.Photonen0-3 -2 -1 0 1 2 3p/mcAbbildung 12: Energie-Impuls-Relation für ein relativistisches Teilchen mitMasse m. Zum Vergleich sind die parabolische Relation für nichtrelativistischeTeilchen und die lineare Dispersion für Photonen (m = 0) gezeigt.und mit dem Zwischenergebnis γ 2 = 1 + p 2 /(mc) 2 schließlichH = E = √ m 2 c 4 + p 2 c 2 ≈ mc 2 + p22m −p48m 3 c 2 + · · · . (351)Die Energie-Impuls-Relation weicht also vom bekannten (nichtrelativistischen)quadratischen Verhalten in p ab und flacht <strong>zu</strong> einer linearen Abhängigkeitab, wie in Abb. 12 <strong>zu</strong> sehen ist. Für Teilchen mit Masse Null gilt die lineareAbhängigkeit generell, E = p c, was für Photonen (Lichtteilchen) <strong>zu</strong>trifft.Den p 4 -Entwicklungsterm in Gl. (351) kann man auch als (effektive) Erhöhungder Teilchenmasse im Standard-Ausdruck p 2 /(2m ∗ ) deuten,)m ∗ ≈ m(1 + p24m 2 c 2 . (352)Diese energetisch relevante Masse des Teilchens wird also immer größer, je näherman der Lichtgeschwindigkeit kommt. Entsprechend wird die bisher ausschließlichauftauchende Masse m oft als Ruhemasse des Teilchens m 0 bezeichnet.Wenn wir den Fall freier Teilchen verlassen, erweist sich Gl. (347) bzw. Gl. (348)als der korrekte Ausdruck für die kinetische Energie des Teilchens,T = mc 2 γ . (353)Entsprechend ist Gl. (346) der räumliche Anteil für die allgemeine Beziehungzwischen Impuls und Geschwindigkeit,p ν = m c u ν = (T/c, mγ v x , mγ v y , mγ v z ) . (354)59


Die nullte Komponente ist wegen u 0 = γ proportional <strong>zu</strong> T , und der Vierervektordes Impulses Gl. (354) vereinigt (kinetische) Energie und räumlichenImpuls.Die nichtrelativistische Bewegungsgleichung F j = dp j /dt wird durch die Erset<strong>zu</strong>ngenp j → p ν und d/dt → d/ds relativistisch invariant gemacht. Entsprechendmuss eine Viererkraft (Minkowski-Kraft) K ν eingeführt werden:K ν = dp νds = γ cdp νdt . (355)Der Vergleich mit der nichtrelativistischen Form führt auf K j = (γ/c)F j . Fürdie (neue) nullte Komponente berechnen wirK 0 = dp 0ds = γ cdp 0dt = γ c 2 dTdt , (356)also hat die Viererkraft die KomponentenK ν = γ ( )T ˙ /c, F x , F y , F z . (357)cEine alternative Darstellung von K 0 gewinnt man durch∑K ν g νµ u µ = m c ∑ ( )du νds g νµ u µ = m c d ∑u ν g µν u µ = 0 . (358)2 dsνµνµνµDie letzte Klammer ist nicht anderes als u 2 = 1, daher verschwindet der gesamteAusdruck! Rückwärts ergibt sich für die Null-KomponenteMit u 0 = γ schließlichK 0 u 0 = ∑ jK j u j = ∑ jγc F γjc v j = γ2c 2 F · v . (359)K 0 = γ c 2 F · v . (360)Die geleistete Arbeit erhöht also die kinetische Energie gemäß F · v = ˙ T , wieauch in der nichtrelativistischen <strong>Mechanik</strong>.Die räumlichen Komponenten der Bewegungsgleichung lautenF j = dp jdt = d dt (m γ v j) (361)und gehören in die Klasse der Probleme mit variabler Masse:˜m(v) = mγ = m/ √ 1 − v 2 /c 2 .AAnhangA.1 Die Ellipse in PolarkoordiatenWir haben allgemeinmit der Exzentrizität 0 ≤ ɛ < 1.r(φ) =r 11 + ɛ cos(φ)60


Ellipse (r 1= 1, ε = 0.5)y1.00.50.0-0.5r(φ)br c φ2r 0ar 1-1.0-2.0 -1.5 -1.0 -0.5 0.0 0.5xKleinster Abstand vom Brennpunkt (Perihel):φ = 0 : r 0 = r 11 + ɛGrößter Abstand vom Brennpunkt (Aphel):Die große Halbachse:a = 1 2 (r 2 + r 0 ) = r 12φ = π : r 2 = r 11 − ɛ( 11 − ɛ + 1 )= r 11 + ɛ 1 − ɛ 2 .Brennpunkt-Entfernung:( 1c = a − r 0 = r 11 − ɛ 2 − 1 )1 + ɛ= r 1ɛ1 − ɛ 2 .Also gilt c = aɛ, woher auch die Bezeichnung ’Exzentrizität’ stammt.Die Bestimmung der kleinen Halbachse b ist etwas schwieriger, wir verbindensie gleich mit der Ableitung der Ellipsengleichung in kartesischen Koordinaten.Diese sind gegeben durchx = c + r(φ) cos(φ) , y = r(φ) sin(φ) .Beachte, dass der Ursprung des kartesischen Systems nicht im Brennpunkt,sondern im Mittelpunkt gewählt wird, daher die Addition von c!Die Winkelfunktionen werden eliminiert durch(x − c) 2 + y 2 = r 2 (φ) .61


Jetzt muss noch r(φ) durch x ausgedrückt werden:(1 + ɛ cos φ)r = r 1 → r + ɛ(x − c) = r 1 .Da auch r 1 + ɛc = r 1 + ɛ 2 a = a gilt, vereinfacht sich das <strong>zu</strong>Damit haben wirund sortieren nach Potenzen:r = a − ɛx .(x − c) 2 + y 2 = (a − ɛx) 2x 2 (1 − ɛ 2 ) − 2x(c − aɛ) + y 2 = a 2 − c 2 = a 2 (1 − ɛ 2 ) .Der in x lineare Term verschwindet (c = aɛ), und nach Division ergibt sichx 2a 2 + y 2a 2 (1 − ɛ 2 ) = 1 .Das ist genau die Ellipsengleichung in kartesischen Koordinaten, und wir könnendie zweite (kleinere) Halbachse b alsb = a √ 1 − ɛ 2identifizieren. Es gilt übrigens b 2 + c 2 = a 2 , was geometrisch nur ein Spezialfallder Fadenkonstruktion der Ellipse ist: Die Summe der Abstände eines Punktesauf der Ellipse von beiden Brennpunkten ist immer gleich 2a.62


A.2 Die Planeten im SonnensystemDie Sonne steht im Brennpunkt, ɛ ist die Exzentrizität der Bahn.Planet Perihel (AE) Aphel (AE) ɛ Neigung <strong>zu</strong>r Ekliptik ( ◦ )Merkur 0.307 0.467 0.206 7.0Venus 0.718 0.728 0.0067 3.4Erde 0.983 1.017 0.0167 0.0 (so definiert)Mars 1.381 1.666 0.0935 1.85Jupiter 4.95 5.46 0.0489 1.31Saturn 9.04 10.12 0.0565 2.49Uranus 18.32 20.08 0.0457 0.77Neptun 29.71 30.39 0.0113 1.77Pluto 29.65 48.83 0.2444 17.14Kuipergürtel 30-50Chiron 8.43 18.84 0.3817 6.93Sedna 76 880 0.857 11.9Als astronomische (Längen-)Einheit wird der mittlere Abstand der Erde vonder Sonne verwendet:1 AE = 149 597 890 km63


A.3 Gravitationspotenzial eines Ellipsoides,Abplattung der ErdeEin Körper mit der Massenverteilung ρ(r ′ ) erzeugt für einen Massenpunkt mbei r das Gravitationspotenzial∫V G (r) = −Gm d 3 r ′ ρ(r ′ )|r − r ′ | . (362)Wir entwickeln den Abstand |r − r ′ | = √ r 2 + r ′2 − 2r · r ′ im Nenner für großeWerte von r unter Benut<strong>zu</strong>ng der Taylor-Reihe 1/ √ 1 − z = 1+z/2+3z 2 /8+· · ·und erhalten1|r − r ′ | = 1 r + r · ( r′r 3 + r′2 3r 3 2 cos2 θ r,r ′ − 1 ),2wobei θ r,r ′ der Winkel zwischen r und r ′ ist. Beim Einsetzen in Gl. (362) liefertder erste (konstante) Term die Gesamtmasse M, während das Integral deszweiten Terms verschwindet: Der Massenmittelpunkt = Koordinatenursprungist gerade durch∫d 3 r ′ ρ(r ′ ) r ′ = 0definiert. Es ergibt sich alsoV G (r) = − Gm [M + 1 ∫r r 2( 3d 3 r ′ ρ(r ′ ) r ′2 2 cos2 θ r,r ′ − 1 )],2wobei Terme der Ordnung 1/r 4 weggelassen wurden. Das Integral hat eine ähnlicheBildung wie der Trägheitstensor! Die Auswertung für ein homogenes Rotationsellipsoidmit den Hauptachsen r P < r A ist länglich und ergibtV G (r) = − GMmr[1 − r2 A − ( r2 P 35r 2 2 cos2 θ − 1 )]2wobei jetzt der Polarwinkel θ (cos θ = r · e z ) auftritt. Man sieht, dass dieverwendete Multipolentwicklung auch sinnvoll ist, wenn man direkt auf derOberfläche arbeitet: Es muss nur der Entwicklungsparameter δ = (r A − r P )/r Aklein gegen 1 sein. Unter Einschluss des ZentrifugalpotentialsV Z (r) = − m 2 ω2 r 2 sin 2 θ .gewinnen wir also für die Summe V = V G + V Z am ÄquatorV (r, θ = π/2) = − GMmr[1 + δ r 2 ]A5 r 2 − m 2 ω2 r 2 , (363),während am Pol nurV (r, θ = 0) = − GMmr64[1 − 2δ r 2 ]A5 r 2(364)


übrig bleibt. Man beachte die Korrektur ∼ δ im Vergleich <strong>zu</strong> Gl.(125) in Kap.1.7!Ein Gleichgewicht bezüglich Massentransport tritt dann ein, wenn die Potenzialean Pol und Äquator, jeweils am entsprechenden Radius genommen, übereinstimmen:[V (r A , π/2) = V (r P , 0) : 1 + δ ]+ ω2 rA35 GM = 1 [1 − 2δ ].1 − δ 5Unter ständiger Vernachlässigung von Termen der Ordnung δ 2 ergibt das δ =(5/4)(ω 2 rA 3 /GM), und nach Einsetzen der entsprechenden Werteδ = 0.00433 bzw. ∆r ≡ r A δ = 27.6 km .Verglichen mit der einfachen Kugel-Annahme (∆r = 11 km) kommt dieser Wertdem gemessenen Unterschied der Radien von 21 km schon näher, überschätztihn aber. Tatsächlich hat die Erde eine inhomogene Dichteverteilung mit einemschweren Kern, so dass die tatsächliche Abplattung zwischen der einer Kugelund eines homogenen Ellipsoids liegt.Die Äquipotenzialfläche der Erde auf Höhe von Normal-Null wird als Geoid bezeichnet(auf den Weltmeeren ist das Geoid mit der Meeresoberfläche identisch).Das Geoid ist kein ganz sauberes Rotationsellipsoid. Allerdings sind die Korrekturensehr klein gegenüber dem Unterschied der Radien von r A − r P = 21 km:Am Südpol gibt es eine Delle von 30 m, und der Äquator hat Ellipsenform miteinem Unterschied der Halbachsen von 69 m.Wir können auch eine verbesserte Abschät<strong>zu</strong>ng für die Erdbeschleunigung gewinnen,indem wir die radiale Kraftkomponente F (r) = −dV (r)/dr berechnen,und zwar am Pol aus Gl. (364) <strong>zu</strong>F P (r) = − GMm [r 2 1 − 6δ r 2 ]A5 r 2und am Äquator aus Gl. (363) <strong>zu</strong>F A (r) = − GMm [r 2 1 + 3δ r 2 ]A5 r 2 + mω 2 r .Daraus gewinnen wir die effektive Erdbeschleunigung aus F P (r P ) = −m g P undF A (r A ) = −m g A mit dem Ergebnisg P = GMr 2 P[1 − 6δ5rA2rP2]≈ GMr 2 A[1 + 4δ ], g A = GM [5rA2 1 + 3δ ]− ω 2 r A .5Einsetzen der gemessenen Radien ergibt eine Differenz von g P − g A = (0.006 +0.034) m/s 2 , wobei der erste Term die (kleine) Ellipsoid-Korrektur darstellt. Derzweite größere Beitrag ω 2 r A kommt von der Zentrifugalkraft, er wurde auchschon in Kap. 3.4 abgeleitet. Der Unterschied <strong>zu</strong>m gemessenen Wert 0.052 m/s 2hat wieder mit der Dichte<strong>zu</strong>nahme im Erdkern <strong>zu</strong> tun.65


A.4 Details <strong>zu</strong>m physikalischen PendelUm die Schwingungsdauer geschlossen <strong>zu</strong> berechnen, verwendet man die Integrationdes Energiesatzes Gl. (198) in der Form dφ/dt = √ 2(E + gMS cos φ)/Jbzw.√∫ φdφ ′2 ω0 t = √ ε + cos φ ′ .0Das ist ein (unvollständiges) elliptisches Integral 1. Art. Für die Schwingungsdauerintegriert man bis <strong>zu</strong>r Divergenz des Integranden und erhältT/T 0 = 2 (π K m = 1 + ε )2mit dem vollständigen elliptischen Integral 1. Art K(m), das tabelliert bzw. alsFitformel vorliegt. Für kleines Argument gilt K(m) ≈ (π/2)(1 + m/4), alsoT/T 0 → 1 + 1 + ε8= 1 + 1 4 sin2 (φ max /2) .Wie auch aus Abb. 13 <strong>zu</strong> sehen ist, wächst die Schwingungsdauer anfänglichmit dem Ausschlag an. Für m → 1, also ε → 1, hat K(m) eine logarithmischeSingularität, die Schwingungsdauer wird dort sogar beliebig groß:T/T 0 → 1 πlog321 − ε .Jenseits dieser Singularität entspricht T der Rotationsperiode, die immer kürzerwird.4T/T 03210-1 0 1 2Energie εAbbildung 13: Schwingungsdauer als Funktion der (reduzierten) Gesamtenergieε. Beachte die logarithmische Divergenz beim asymptotischen Fall ε → +1!66

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