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Wüsten, Wälder, Weite - Team Pressl

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Reise | Die Reise meines Lebens<strong>Wüsten</strong>,<strong>Wälder</strong>, <strong>Weite</strong>In unserer neuen Serie berichtenwir von ungewöhnlichenRadreisen in allerWelt. Den Anfang machtdie Familie <strong>Pressl</strong> aus Österreich:zwei Erwachsene,zwei Kinder, zwei Tandems,zwei Kontinente – einegroßartige Tour.Mit dem Tandem durch Europa und SüdamerikaText und Bilder:Thomas & Andrea <strong>Pressl</strong>An einem schwülen Herbsttag im Aprilbetritt eine vierköpfige Urlauberfamiliedie Abflughalle des internationalenFlughafens in Santiago deChile. Unmengen verstaubter Gepäckstückeund Aluteile verraten, dass hier kaum ein üblicherDrei-Wochen-Urlaub hinter den Reisendenliegen kann. Schweren Schrittes schieben dievier ihre 2,40 Meter langen, notdürftig mit Isomattenumwickelten Reisegefährte vor sich her.Die spartanisch verzurrten Habseligkeiten verbreitenden Duft von Abenteuer. Der verdutzeBlick der netten Señora am Schalter von CanadianAirlines beunruhigt nur kurz. Mit lächelndersüdamerikanischer Leichtigkeit erhalten unteraufmerksamer Beobachtung der Mitreisendendie zwei Großen, die zwei Kleinen, die beidenüberlangen Räder sowie der kompakt verstauteAnhänger ihre Bordkarten. Nach 271 Tagenerfahrenen Höhen und Tiefen, bricht nun dieFamilie zum wohl schwierigsten Teil Ihrer Reiseauf: die Heimreise.Ein Zeitpunkt, der wohl den härtesten und erfahrenstenTourero weich werden lässt. So beobachtenim Niemandsland des chilenischenFlughafens vier österreichische Aussteiger aufZeit durch die matte Glasscheibe wortlos dasHin- und Herrollen der düsenbetriebenen Ungetümer.Wir – Thomas (35), Andrea (34), Lukas(12) und Felix (8) – haben es tatsächlich geschafftund halten nun unseren gelebten Traum in Formvon gemeinsamen Erinnerungen, Abenteuernund Erkenntnissen für immer in uns am Leben.Die Überzeugung, so viel Zeit wie möglich intensivmit unseren Kindern zu erleben, uns vonWertvorstellungen anderer Kulturen beeinflus-116 | aktiv Radfahren 9-10/2012aktiv Radfahren 9-10/2012 | 117


Reise | Die Reise meines Lebens„Wir haben all unsere Zweifel besiegt, unsere Herausforderungenbewältigt und unser Ziel überglücklich erreicht.“Französische Mittelmeerküste – wir genießen Sonne, Meer und Strand(oben), nachdem Thomas unsere erste Reifenpanne behoben hat (Mitte).Mit vereinter Kraft strampelt sich‘s leichter (unten).Tschüs Salzburg! Auf eigener Achse ans Ende der Welt zu radeln kostet Kraftund Nerven, schweißt aber zusammen wie kaum ein anderes Erlebnis.Der Blick durch die gewaltige Ankerkette lässt die Dimensionen desContainerschiffes deutlich werden.sen zu lassen und nicht zuletzt die Liebe zumFahrrad, haben die Idee zu einem fixen Plan reifenlassen.Mitte Juli 2011 brechen wir also von SalzburgRichtung Mittelmeerküste auf, um knapp zweiMonate später von Valencia mit Hilfe eines Containerschiffesnach Buenos Aires zu gelangen.Thomas und Lukas sind die Großen und Starken.Die Beiden pilotieren das zwei Zentner schwereTandem und bekommen als zusätzliche Hürdeden je nach Trinkwasserstand zum Teil weit über30 Kilo schweren Anhänger auferlegt. Andreaund Felix teilen sich das leichte Tandem, das mit80 Kilo ebenso mehr als deren gemeinsamesKörpergewicht auf die Waage bringt. Es wirdsich erst noch zeigen, dass wir, abgesehen vonden Medikamenten, Verbandsmaterialien undso manchem Ersatzteil, tatsächlich jedes einzelnemittransportierte Stück benötigen werden.Geprägt durch die berufliche Vorbelastung vonThomas als Entwickler bei KTM-Fahrrad, habenwir penibel auf jedes Gramm geachtet. Das warauch nötig: Die ersten Etappen machen uns unbarmherzigklar, dass ein Tandem im Vergleichzum herkömmlichen Tourenbike lediglich für einenzusätzlichen Menschen, aber nicht für dessenmateriellen Überfluss Sorge tragen kann.Somit stellt sich die Frage erst gar nicht, wie weitwir uns beschränken wollen – es ist glasklar, dasswir uns beschränken müssen.Die ersten 2.500 Kilometer auf dem heimischenKontinent nutzen wir, um unseren Reiserhythmusund unsere Kondition, die wir in den hektischenletzten Wochen verloren haben, zufinden. Mental und körperlich zu 120 Prozentgefordert, bezwingen wir in der ersten Wocheden Radweg Bodensee-Königssee. Dauerregenund Temperaturen im einstelligen Bereich sindNahrung für die Zweifel in uns. Doch nach wenigenhundert Kilometern finden wir den Einklangmit den täglichen Anforderungen unseres neuenLebens. Ein ausgiebiges Frühstück, die kurzeRoutenplanung, der obligatorische Einkauf, dieSchlafplatzfindung gehören neben dem Zeltbauund einer Stunde Schulunterricht ebenso zurgeschätzten Routine, wie die Zubereitung derSpaghetti am einflammigen Benzinkocher. Inder Schweiz erwärmen die ersten Sonnenstrahlenunsere Glieder und Gemüter. Die nationaleVelo-Route 5 führt uns quer durch das letzteNachbarland unserer Heimat, in das für uns bisdato unbekannte Frankreich. Auch wenn unserWortschatz nicht über „Bonjour“ und „Merci“hinausreicht, geleitet uns das französischeRhônetal freundlich bis ans Mittelmeer. DasBewusstsein, unsere zentnerschweren Gefährterein mit Muskelkraft vom heimatlichen Binnenlandbis ans Meer bewegt zu haben, lässt unsereEndorphine brodeln. Frohen Mutes radeln wirgenüsslich hunderte Kilometer an Strandpromenadenentlang, um von der zweitgrößten HafenstadtSpaniens unsere Atlantiküberquerung inAngriff zu nehmen.Genau rechtzeitig gelangen wir in Valencia aufunser etwas verfrüht auslaufendes Containerschiff.Um hier mitfahren zu dürfen, war nichtwenig Überzeugungskraft bei den Hafen- undReedereimitarbeitern von Nöten – eine ganzeFamilie, die mit zwei Fahrrädern auf ein Containerschiffnach Südamerika möchte, kommtoffenbar nicht alle Tage vorbei. Der erste Blickauf den 274 Meter langen, 32 Meter breiten und63.505 Tonnen schweren Stahlkoloss ist genausophantastisch wie die nächsten 19 Tage auf hoherSee. Die Kinder erobern nicht nur in Windeseilevon der Brücke bis zum Maschinenraum daskomplette Schiff, sondern auch die Herzen derBesatzung. Etwas schwermütig verlassen wirMitte Oktober in Buenos Aires unser schwankendesHeim, um eine für uns bis dahin völlig118 | aktiv Radfahren 9-10/2012aktiv Radfahren 9-10/2012 | 119


Reise | Die Reise meines Lebensfremde Welt zu entdecken: Südamerika.Eines Montags wuchten wir bei strömendemRegen unsere Tandems über die breiteste Straßeder Welt, um mit der Fähre über den Rio Platanach Uruguay zu gelangen. Wir ziehen den Seewegder autopista vor, um aus der 13-Millionen-Metropole zu starten. Rasch verstummt der Trubel,wir begreifen, dass die Uhren hier tatsächlichnoch anders ticken. Für „Zeit ist Geld“ wirdgrundsätzlich kein Verständnis aufgebracht; gelebtwird ausschließlich im „Hier und Jetzt“. EinLebensstil, der sich, vermischt mit einer riesigenPortion Herzlichkeit, ideal mit unseren Reisebedürfnissendeckt. Die Freundlichkeit und Aufgeschlossenheitder Menschen trägt uns querdurch das Land von Ort zu Ort, und so werdenselbst die endlosen Mais- und Sojaanbaugebieteim Osten und die eintönige Pampa im WestenArgentiniens zum Erlebnis.Mitten im Dezember, mitten in Mendoza, mittenam „plaza“ sitzt nun eine österreichischeRadfamilie und feiert mit einer kühlen „cerveza“,die geglückte Ost-West-Durchquerung deszweitgrößten Landes Südamerikas. Der Weg hatDie legendäre Ruta 40 führt uns mal auf Sand und mal auf feinstem Asphalt durchdie magisch-endlose <strong>Wüsten</strong>landschaft (oben).An 212 Tagen essen wir Spaghetti oder Reis, zubereitet am Benzinkocher (unten).Die Carretera Austral in Südchile führt durch eines der regenreichsten Gebieteder Erde (rechts oben).Problematischer sind allerdings Bachquerungen ohne Brücken – hier ein vergleichsweisezahmes Exemplar (rechts unten).uns mittlerweile viel über unsere körperlichenGrenzen und mentalen Stärken gelehrt und lässtuns zu einem unschlagbaren <strong>Team</strong> zusammenwachsen.Nur so ist es möglich, die weiteren KilometerRichtung Bariloche auf der legendärenRuta 40 erfolgreich unter die Räder zu nehmen.Knochentrockene Hitze, karge, staubige <strong>Weite</strong>und launenhafte Winde bestimmen nun unsereTage. Die Suche und Filtrierung von Wasser istplötzlich Teil unseres Reisealltags. Die Etappenbeginnen meist vor Sonnenaufgang und führenuns oft über knöcheltiefe Sandpisten, in denenunsere Tandems tiefe Spuren ziehen. Hautnahund kompromisslos fasziniert uns dieser über1.000 Kilometer andauernde <strong>Wüsten</strong>abschnitt,mit einer einzigartigen Szenerie und seinematemberaubenden Flair. Noch bevor wir überdie Anden nach Chile gelangen, ändert sich dieLandschaft dramatisch. Türkisfarbene Seen undBäche, gebettet in weiß angezuckerte Bergspitzen,umgeben von saftig grünen Wiesen und<strong>Wälder</strong>n prägen die Szenerie. Nach Monatendes blauen Himmels finden wir aber, auf derWestseite des längsten Gebirgszuges der Welt,den Regen wieder. Auf der chilenischen „CarreteraAustral“ weisen uns oft grobe Pisten einensteinig-steilen und ausgesprochen nassen Wegnach Süden. Mit Schwimmhäuten an den Händenerreichen wir mit Puerto Aysen den südlichstenPunkt unserer Reise. Von nun an heißtder Kurs Nord; das Ziel Santiago de Chile rücktunaufhaltsam näher.In den 271 Tagen unserer Reise sind und bleibenwir kerngesund und radeln gut 60.000 Höhenmeterauf 9.278 Kilometern. Durchschnittlichverbringen wir vier Stunden im Brooks-Sattelund schlafen meist über zehn Stunden pro Tag.Am längsten Radtag fahren wir 130, am kürzestensechs Kilometer. Unser Thermometer zeigtmaximal 52°C und minimal 5°C. Wir haben 21-mal unsere Reifen geflickt und eine Felge zerstört.212-mal essen wir Spaghetti oder Reis und18-mal beste Argentinische Rindersteaks. Zuviert trinken wir zwischen 30 Liter und 8 LiterWasser pro Tag und verbringen 93 Prozent unse-120 | aktiv Radfahren 9-10/2012aktiv Radfahren 9-10/2012 | 121


Reise | Die Reise meines Lebensrer Reisezeit an der frischen Luft. Wir packen 32-mal das Zelt im Dauerregen zusammen und bauenes 35-mal unter der <strong>Wüsten</strong>sonne auf. An gut200 Tagen der Reise knüpfen wir enge Kontaktemit Einheimischen, Reisenden oder Aussteigern.Wir lernen den Augenblick zu schätzen und dietraumhaften Momente festzuhalten und zu genießen.Die gemeinsam erfahrenen Höhen undTiefen lassen uns über uns selbst hinauswachsenund eine wahnsinnige Idee zu einer großartigenReise werden.Am Ziel! Eine Langzeitreise ist nicht mit dem Moment der Heimkehr abgeschlossen,oft wirkt sie ein ganzes Leben lang nach – direkt oder indirekt.Eine Lautsprecherstimme bittet die Passagieredes Fluges AC92, in der am Rollfeld geparktenBoeing Platz zu nehmen. Sanft verschwindetder südamerikanische Boden unter den Füßender Insassen; für uns, die Radlerfamilie, geht dieReise unseres Lebens zu Ende. Überzeugt, daseinzig richtige Reisemittel gewählt zu haben,kehren wir zurück in die Arme unserer Liebsten,mit denen wir trotz der geografischen Ferneder letzten Monate nun noch enger verbundensind. Unser Inneres ist prall gefüllt mit der unbeschreiblichenHerzlichkeit all der Menschen, diewir getroffen haben. Wir sind dankbar für dasunwiederholbare Abenteuer, das uns Kraft fürunsere weiteren Lebensaufgaben gibt.122 | aktiv Radfahren 9-10/2012

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