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subtitel. Berlinale 04 - Teresa Urban

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<strong>subtitel</strong>. <strong>Berlinale</strong> <strong>04</strong>


<strong>subtitel</strong>.Kritik zum Film/ <strong>Berlinale</strong> <strong>04</strong>


EditorialInhaltE d i t o r i a l . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3Explodierende Bären........................................................................................4Klar, war schlimm, aber das Land ist schön...................................................6Die Musik ist aus...............................................................................................8Dreifache Rückblende.....................................................................................10Busen, Beine, Bauch.......................................................................................12Steine über den noch warmen Körper..........................................................14S c h n i t t s t e l l e n . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 6There can´t be a societal revolution without sexual revolution................19Die Übelkeit kommt mit einer Weintraube...................................................25Abbildungsverhältnisse. Farocki im Gespräch............................................28Innere Kamera.................................................................................................31Verderben und Schicksal und Glück und Süße...........................................34Der Mut nicht zu schneiden...........................................................................42Noch ein Tag, noch ein Tag. Jetzt bin ich soweit........................................44Archäologische Suche nach hervorstehenden Knochen............................55Oh, du hast recht, ich liebe dich....................................................................60By all means necessary..................................................................................63Das hier ist echt!.............................................................................................66Ihre Antwort dehnt den Augenblick + Interview........................................74I n d e x . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 0F i l m o g r a p h i e . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 2Der erste Satz sei entscheidend, Wegweiserdurch den Text, der seinerseits einen Pfad durchfilmische Bildräume legt.Filmkritik als Reiseprotokoll durch Kinowelten,Filmkritik als Reflexion der eigenen Sehweisenund Sichtweisen im Kino, Filmkritik als – mitKracauer – Gesellschaftskritik oder – nachfeministischer Kinotheorie – als Untersuchungvon Subjektivierungsstrategien. Die Methode,das Verfahren war klar: eine Woche lang schreiben,über Filme, auf der <strong>Berlinale</strong>, im Februar,im Auge des Hurrikans.Jede Wirklichkeit der <strong>Berlinale</strong> durchkreuztaber diese Pläne. Lange Schlangen am Kartenschalter,lange vor Tagesanbruch, Dämmerunggegen drei Uhr mittags, unklare Filmbeschreibungen,verpaßte Anfangszeiten, verpaßteS-Bahnen, abgelegene Kinos, riesengroßeKinos, volle Kinos, mutterseelenallein in leerenKinos morgens um neun. Mißglückte Verabredungen,verlorene Stifte, vertauschte Hefte,aber dann die freundlichen Leute in der Cafebarder DFFB, die den nächsten Termin im Kinovergessen lassen. Wenn es nicht New Hollywoodist. Retrospektive ist die einzige Sicherheit imLeben. Jeden zweiten Tag Diskussionen überFilme, Textverlesungen, Beobachten, Zuhören,Dazwischenreden, Vermutungen ganz langsamaussprechen. Kritik des Kinos, Kritik der <strong>Berlinale</strong>,Kritik der Kritiker/innen und das Treffen mitFarocki zur Geschichte der ›Filmkritik‹.Keine ersten Sätze mehr, nur noch diverse, zirkuläre.Oder ein Endlos-Text, der zu vergegenwärtigensucht, was gewesen sein wird: hundertevon Filmen, hunderte von Stars, hundertevon Texten, Kaffee und Bier, um den Wechselder Tageszeiten im Dunkel der Vorführungen zumarkieren und niemand, der eine Prioritätenlistehereinreicht.Keine ersten Sätze mehr. Dafür, nach dem Filmund nach der Redaktion, Monate nach der<strong>Berlinale</strong>, Texte, die nicht (nur) Reflexion,Protokoll oder Gesellschaftskritik formulieren,sondern Eigenheiten setzen, die sich aufeinanderbeziehen oder explizit eben nicht, die gemeinsameThemen stellen oder entstellen. Zwischenberichteiner Endlos-Diskussion um Filme undderen Kritik. Zwischentitel als Brücken, wenigerals Ordnung. Aber ein Haupt-Titel, ein Oberbegriff,eine gemeinsame Metapher findet sichnicht. Die Liste der möglichen Titel wird dagegenlänger: »Kammerflimmern« , »24/7«, oder»24 films per week« oder »Subtitel« oder»Subtitle«, »Bärentöter« oder einfach: »Gegendie Leinwand«. Subsumieren lassen sich dieTexte darunter nicht. Diese Qualität verdankensie dem Kino, das sich immer aufs Neue aktualisierenwill. Es sind Texte wie Filme, die sich zujeder Tages- oder Nachtzeit anders werden lesenlassen, die kombinierbar sind, genießbar, zurdirekten Anwendung in der Kinoschlangegedacht, und die sich hiermit zur Diskussionstellen, ihrerseits, Texte zur Filmkunst.Für ihre volle Unterstützung des Projekts danke nwir Anna Hoffmann und dem FORUM DESINTERNATIONALEN FILMS, Bodo Knapheideund der DFFB, sowie der Fakultät Medien derBauhaus Universität Weimar, die den Druckermöglichte!Ute Holl3


»Explodierende Bären«4»Explodierende Bären«TRAILERDas Verbindende. Der Moment. Der Trailer. Trotz Karte, anstehen vor dem Kino. Platz suchen,setzen, in der Tasche nach der Brille kramen, vielleicht noch mal einen Schluck trinken und dabeiim <strong>Berlinale</strong> Journal nach den Filmen für Morgen Ausschau halten. Alles zurückverstauen. Linksgucken, rechts gucken. Links Fremde, rechts Fremde. Der Kopf meines Vordermannes ragt zumGlück nicht übermäßig aus der gleichförmigen Sitzreihe heraus. Zurücklehnen. Der Sitz nimmtmich auf, als würde ich in einem Kokon liegen. Seit zwei Tagen hier und ein Kinosessel ist sovertraut, es scheint, er ist die einzige Heimat. Das Murmeln, Reden, Rascheln der Leute wirdHintergrund. Augen schließen. Kurze Ruhe zwischen den emotionalen Fahrten.Jeder Film beginnt gleich. Ob rot, türkis, goldglitzernd weiß, der Vorhang öffnet sich, offenbarteine riesige Leinwand wie sie die Provinz nie sehen wird und gibt das Bild auf die Logos derSponsoren frei. Thanks. Elektronisch erzeugte Wassertropfen nehmen den Klangraum ein, beruhigen,werden dichter, Fanfaren setzen ein, euphorisch, am Ende heroisch. Dazu tanzen goldene <strong>Berlinale</strong>Bären in einem unscharfen Reigen auf roten Untergrund. Vereinigen sich zu einem goldgelben Ballund zersprenkeln sich feuerwerksgleich auf der Leinwand. Aus dem Funkenregen bildet sich kurzdie Silhouette eines Bären, um sich dann kleiner in Bär und Schrift zu manifestieren. 54. InternationaleFilmfestspiele. Darunter, je nachdem, 34. Internationales Forum, 27. Kinderfilmfest oder 19.Panorama.Der Trailer verbindet, knüpft Bande und Beziehungen fügt Zeiten und Orte zusammen. Zehn Tage<strong>Berlinale</strong>. Realitätsverlust. Dschungel von Berlin. Dschungel an Filmen. Wechsel zwischen Hell undDunkel. U-Bahnschacht und Himmel, Kinosaal und Flimmern. Menschen ergeben sich kollektivdem Individualerlebnis. Hasten und Rennen zumeist allein zwischen Potsdamer Platz und BahnhofZoo. Ernähren sich von schnellem türkisch, asiatisch, italienisch, amerikanisch. Konsumierenfremde Sprachen durch weiße Untertitel. Nehmen Fiktionen, Dokumentationen. Wählen amKartenschalter oder lauern wie die Geier, nur privilegierter, akkreditierter vor den Kinos. Suchensich einen Platz, kramen noch mal in der Tasche, trinken noch etwas, lehnen sich zurück undschauen mit mir zusammen den <strong>Berlinale</strong> Trailer.C.W.Güldener Sandmännchensand. Mir ist als bestündediese Stadt ausschließlich aus U-Bahn-Stationen, die ein Kino vorzuweisen haben.Wohin ich auch fahre, unweit des unterirdischenSchachts, aus dem ich krieche, wartet das nächst e Kino auf mich. Doch nicht allein ein einfachesKino, sie heißen Royal und <strong>Berlinale</strong>Palast, Kino International, Delphi und Babylon.Ich kann sie kaum verorten. Kann sie nur inStationen fassen. Als ich das Kino Internationalbetrete, zucke ich kurz zusammen – ich glaubeich war in meinem ganzen Leben noch nie in soeinem riesigen Kino. Ich bin wieder ganz klein.Ich schaue mich um und kenne niemanden. Ichfalle in den Kinosessel, der mich auffängt, dermich von hinten umarmt, und dann weiß ich,alles ist gut. Mein Blick ist müde und die Augentun weh. Trotzdem – ein weiterer Film.Die Farben der Kinovorhänge sind mein neuesZuhause. Das samtene Rot, ein vergilbtesTürkis, ein sahniges Rosa. Nach wenigenFilmen kenne ich sie alle, die Säle – die Seelendieser Kinos. Kenne ihre Farben, ihre Lichter,ihren Geruch, ihre Geräusche. Ihr Plappern, waskeinen Sinn ergibt. Ich versuche, die Sätze meinerNachbarn ineinander zu verschachteln, alswürden ich sie miteinander reden lassen. Aufseltsame Art scheint es zu funktionieren. DerVorhang öffnet sich gleich einem stummenPssst. Und dann folgt er, der Film, der so kurzeund verzaubernde, welcher im ersten Momentder eigentliche Film zu sein scheint. Jedesmalneu versinke ich in die glimmernd goldenenSterne, die sich später zum <strong>Berlinale</strong>-Bär fügen.Gold auf Rot. Das sieht zweifelsfrei sehr glamourösaus. Funkelnder Sternenstaub vor meinenwunden Augen, als vermag er das Brennenzu lindern. Goldener Staub benetzt die Iris undda steht er vor mir, mein Held aus Kindertagen.Mein Sandmännchen, dessen Staub mich in dieTräume sandte. Goldener Staub ist es auch, welcheraus der Leinwand glimmert, welcher uns inden nächsten Filmtraum geleitet. Hypnotischertönt die Melodie, die das Murmeln verstummenlässt. Dieser Trailer ist unsere sanfteMutterstimme, die uns in den Schlaf spricht, diealle Wogen der Aufregung zu glätten weiß. Undjetzt weiß ich es wieder, die Farbe des Sandmännchensandes,wie konnte ich sie nur vergessen,golden ist sie. Aus purem Gold und trägtuns direkt in die Welt der Träume. S.R.Splitter und Sponsoren. Nach explodierendenBären, Goldsplittern und perfektem Sounddesign,das die Dolbysurroundanlage des Kinosaalsvorführt, die Auflösung: ein offener Akkord,das Bild kommt zur Ruhe und der Prologschließt mit der immergleichen Ankündung fürden nächsten Film.Die siebensprachige Eröffnung, »Das Festivalpräsentiert: …« ist der Anschluß für jeden Filmim schwer zu übersehenden Wust des <strong>Berlinale</strong>-Programms. Nach dem vierten, fünften Malkann ich schon vorher sagen in welcher Reihedie russische Version von »Das Festival präsentiert:…« steht. In der sechsten Zeile nämlich,danach kommt noch die chinesische, oder japanische,oder …? Die noch oft wiederkehrendenLogos der drei Hauptsponsoren nerven schonnach dem zweiten Film, den ich gesehen habe(»Country of my skull«). Hat VW während derApartheid nicht auch in Südafrika produziert?Claudia Schiffer als Loreal-Gesicht hat mit denmeisten Filmen jedenfalls soviel zu tun wieSat1 mit einem guten Abendprogramm. Abererstmal zurücklehnen und den nächsten Filmanfangen lassen. Die bunte und laute Trailerflächeverliert sich in den Weiten der sibirischenSteppe … (A Bride Of The 7th Sky). S.B.Impressionen. Dieser Trailer ist mir unangenehm.Zuerst werden die Scheine auf den Tischgeblättert: »Sponsored by …« Dann Feuerwerk.Dazu Dolby Surround. Mehr ist da nicht. L.H5


»Klar, war schlimm, aber das Land ist schön.«»Klar, war schlimm, aber das Land ist schön.«6Wahrnehmung. Als Fremder in ein fernes Landreisen, um darüber zu berichten. Bilder von derSchönheit des Landes selbst sehen. Bilder vonLeid und Gewalt durch Erzählungen selbst finden.Ohnmächtig sein und trotzdem Liebe finden.Heimkehren, Weihnachten feiern. Die eigene Bereicherungan Weisheiten fremder Kulturen mitanderen teilen. Wie die Liebe so auch Rassismusund Apartheit mit der Rückkehr als beendet erklären.Kino wie unsere Wahrnehmung der Wirkli c h ke i t als Kino. Ziemlich beschissen. J.W.H.Warten auf Versöhnung. Ein Film über dieSuche nach Wahrheit, über Versöhnung undVergessen. Während in Europa noch immer dieSchatten der Vergangenheit in den Diskussionenüber Entschädigungen für Opfer desdeutschen Nationalsozialismus in juristischenManövern und finanziellen Transaktionen verhandeltwerden, ist der Ansatz zur Vergangenheitsbewältigungder rassistischen Gewaltherrschaftin Südafrika ein anderer.Vor der von Bischof Desmond Tutu berufenen› Wa h r h e i t s kommission‹ kommen Täter undOpfer zu Wort. Ein schmerzhafter Prozess, dernötig scheint, um eine Basis für die Zukunft zuschaffen. Die Kommission zieht durchs Land,gefolgt von einem Tross internationaler undCountry of my SkullRegie: John Boorman lokaler Journalisten, dieGroßbritannien 2003 das historische Experimentzur Überwindungdes ›African Holocaust‹ mitverfolgen. Zwischenlangen Flügen über die grünen Hügel Südafrikasw e r d e n die Schatten der jüngeren Vergangenheitimmer dunkler. Bei den Hearings vor derWa h r h e i t skommission treffen sich die weißeSüdafrikanerin Anna Malan und der afroamerikanischeJournalist Langston Whitfield. Die vorge t r a g e n e n Geschichten der Opfer berührenbeide gleichermaßen, wenn auch aus unterschiedlichenGründen. Während sie die Rolleder eigenen Familie neu zu sehen beginnt, versuchter, die Leserschaft der Washington Postfür den Rassismus in den USA zu interessieren.Seine journalistische Passion, dem Bösen inGestalt eines bekennenden Rassisten undFolterers habhaft zu werden, zeigt die Unschärfen,die die Suche nach der »einzigen«Wahrheit in sich birgt. In der Anklage liegt dieAnnährung der gegnerischen Position. DieseSpannung führt auch zur überzeichneten Affäremit der vermeintlichen Rassistin Anna Malan.Hatte John Boormann Bedenken, daß sich derpolitische Hintergrund angesichts seiner Tragikohne die übliche Liebesgeschichte nicht mitteilenläßt? Ein weiteres fragwürdiges Motiv ist dieDarstellung der Opfer. Aus der Ohnmacht derApartheid befreit, scheint es immer einenGrund zu geben, ausgelassen zu singen und zutanzen. Auffällig, dass der ›singende und tanzendeAfrikaner‹ schon seit den 20er Jahrendiese Filmrolle zu spielen hatte. Es sollte geradein der Auseinandersetzung mit der erfolgreichenÜberwindung der Spätfolgen des Kolonialismusandere Mittel geben, als die Reproduktion dieserStereotypen. Ein weiteres Indiz für die Glättungder Geschichte scheint mir der Einstieg mitunscharfen Archivaufnahmen von brutalenPolizeiübergriffen zu sein. Der dokumentiertenGewalt werden Landschaftsflüge gegenübergestellt, die eine Atmosphäre wie aus demReisekatalog schaffen. Gegengewicht?Klar – war schlimm, aber das Land ist schön? Esbleibt ein gemischter Eindruck nach dem Film;die »Versöhnung« und Amnestie von brutalenVerbrechen ist ein schwieriges Projekt, sicherungewöhnlich in der Geschichte. Der Rückgriffauf die üblichen Spielfilmzutaten wird den Perspektiven,die durch den politischen Wechselmöglich geworden sind, nicht gerecht. S.B.Doch schwarz-weiß. Eine Folterkammer, die zur Requisite einer Liebesgeschichte wird. Südafrika,am Ende des Apartheidregimes. Stromkabel, Handschellen und andere Folterwerkzeuge sollen dieBilder im Kopf bereichern und machen sie doch bettelarm. Grausamkeit, die vordem nur auditiv odermit Hilfe von dokumentarischen Aufnahmen visualisiert wurde, prallt unvermittelt, auch inszeniert,auf die Netzhaut des Zuschauers. Das markiert den totalen Wendepunkt des Films, dem es zunächstzu gelingen schien, sich über gängige Klischees hinwegzusetzen. Antiquierte Darstellungen dereinheimischen schwarzen Bevölkerung und hundertmal gesehene und deshalb vorhersehbare Szenarienbestimmen den weiteren Verlauf des Films. Diese Abnahme an Qualiät können selbst dieatemberaubenden Landschaftsaufnahmen, die »Country of my Skull« einleiten und auch beenden,nicht kompensieren und so bleibt am Ende nur der Ärger darüber, dass einmal mehr ein heiklesThema gar nicht einfühlsam, aber dafür sicher publikumswirksam verarbeitet wurde. So wird derKinosaal zur Folterkammer für den peinlich berührten Zuschauer.R.U.Sentimental. Es ist diese Art Tränen, die kaum merklich den Blick verschleiert. Wegen einesBildes, das so voller Schönheit ist, dass man schweigen muss, weil die Sprache keine Worte dafürhat. Oder wegen einer Melodie, die einnimmt, wärmt und die zu beschreiben nur ein Poet vermag.Nichts ist passiert bisher, nichts habe ich erfahren über »Country of my Skull« und trotzdem, ich sitzean meinem Platz, den ich mir erst wenige Minuten zuvor unter Adrenalinausstoß erkämpft habe undstaune über das, was auf der Oberfläche meiner Netzhaut passiert, während noch Namen und Titelüber die Leinwand laufen. Es mag sein, dass das Zeigen der südafrikanischen Weite, grün undhügelig, ein erwartetes Bild ist und auch, dass die afrikanischen Klänge noch viel weniger überraschen,weniger überwältigend macht das diese poetische Kombination vollendeter Schönheit jedoch nicht.Der Vorspann ist noch nicht zu Ende und ich krame in meiner Tasche, nach einem Taschentuch.Das ist schön. Das ist Kino.N.H.Tränen. »Country of my Skull« war der einzige <strong>Berlinale</strong>-Film, bei dem ich geweint habe.T.U.7


»Die Musik ist aus.«8»Die Musik ist aus.«Die Nacht singt ihre LiederRegie: Romuald KarmakarDeutschland 2003Absurdes Theater. Man stelle sich einen Steinvor der in einem weiten Bogen über einenAbgrund geworfen wird. Nachdem er den höchstenPunkt dieser Kurve erreicht hat, wird erunweigerlich nach unten gezogen. Die Beziehungvon ihr und ihm ist dieser Stein, der sichschon unumkehrbar im freien Fall über demAbgrund befindet. »Ich halt das nicht mehraus.« Eigentlich hört man den Stein dieserBeziehung schon vom ersten Satz an tief untenaufdonnern und zerschellen. Aber am höchstenPunkt der Kurve friert die Bewegung ein. Inabsurden Diskussionen drehen sich die beidenan diesem ›point of no return‹ umeinander, ohneje wieder zueinander zu finden.Die Haltung der Zuschauer beschreibt auch eineKurve, die allerdings anders als die der Handlungverläuft: Anfangs steigt die Verärgerungüber die hölzernen Darsteller rapide an. Aufdem Höhepunkt steht plötzlich die Erkenntnis,dass gerade das Absurde zum Prinzip des Filmsgehört. Danach fällt die Spannungskurve ab,denn nun hat man die Vorzeichen im Kopfu m g e kehrt: Man erwartet von den Protagonistenkein sinnvolles Handeln mehr – das Absurde istzum organisierenden Prinzip geworden. Besondersgrotesk-bedrückende Blüten des Wa h n s i n n squittiert man mit einem höhnischen Lachen.Ich fühle mich wie eine Patientin, der man denPuls künstlich herunterfährt, bis jenseits desNullpunkts. Anfangs rebelliere ich noch gegendie Beziehungshölle (à la »Warum verlässt sieihn nicht auf der Stelle!?«), zuletzt empfinde ichgar nichts mehr – außer einer grausamen Genugtuungdarüber, dass alles nur noch absurderwird. Klar, sie holt mitten in der Nacht ihrenGeliebten namens »Baste« – im Kinosaal erhebtsich brüllendes Gelächter. Als würden wir unsfür einen Moment noch einmal dem Absurdenentwinden wollen. So wie wir die Emotionennicht mehr an uns heranlassen, so perlen imFilm Regentropfen von Scheiben ab. Ohnmächtigstarrt sie sie von Innen an – ohne je weinen zukönnen. Der Damm bricht erst, als es zu spät ist.Als der Stein der Beziehung endlich aufgeplumpstist: Er ist vom Balkon gesprungen. Sieschaut vom Balkon hinunter auf seinen Körper,geht wieder rein, dreht ihr Gesicht in die Kamera.Man hört sie atmen. Dann endlich läuft eineTräne über ihre linke Wange. Sie schlägt ihreAugen nieder, cut.Auch für den Zuschauer kommt diese Menschwerdungzu spät. Seine Kurve ist schon langeunten angekommen – gefühllos schluckt manden Selbstmord als letzte Schraubdrehung indiesem absurden Spiel.L.H.Musik im Film. Folter der Monotonie. Terror des Stillstands. SeelischesVakuum. Die ewige Wiederholung subtiler oder offensichtlicher Grausamkeitenergibt schon fast einen Beat. Ausgehen als Flucht. »Ich mussmal raus. Weggehen. Mal jemand Anderen sehen. Das wirst du doch verstehen.Das verstehst du doch, oder?« Und noch mal. Und noch mal. Undnoch mal. Das Sprachsample stoppt. Break: Tür auf. Tür zu. Abgang vonder Bühne. Die Musik setzt ein.Draußen: Mitte. Cooky´s. Kompakt. Michael Mayer. House. Auf Housetanzen. House ist das, was Adorno wohl somatische Stimulanz nennenwürde. Die Sehnsucht nach Erlösung ist das treibende Gefühl fast allerpostmoderner Tanzmusik. Das Hoffen auf Erlösung schafft Distanz zumdiesseitigen Leben. Das Jenseits der Erlösung bleibt undeutlich – es gehtum den Zustand zwischen Spannung und Erlösung. Erlösung ist alsBegriff eng mit Religion verbunden, als lockender Gegenpol zur Schuld.House transformiert die metaphysische Qualität der Erlösung. Niemandwird im Club von einer Schuld erlöst werden, die Erlösung wie auch dieaufgebaute Spannung werden von House gemacht. Über lange, monotoneRhythmuspassagen, mit spärlichen Samples verziert, immer wiederunterbrochen wird eine Spannung aufgebaut, die eine diffuse Erregungbewirkt. Der Begriff der Erlösung muss daher auch im sexuellen Sinneverstanden werden. Ganz Körper sein, schwitzen und Reibung erzeugen,meint die Erlösung im Orgasmus. Beim Tanzen ganz bei sich selbst sein.House wird zur kollektiven Masturbation. Die orgiastische Erlösung findetdirekt auf der Tanzfläche statt (vgl. Poschardt DJ Culture).Die Musik ist aus. Wieder auf die Bühne der Wirklichkeit heimkehren.House ist ein Erlösungssurrogat. Die Wirklichkeit ist ein Loop langen,monotonen Stillstands, verziert durch die Unkenntnis der Selbstverschuldungund gelegentlich unterbrochen von verbaler, seelischer Grausamkeit.Die Spannung baut sich in kleinen Funken der Hoffnungen aufÄnderung auf, um dann doch im Stillstand zu erlöschen.Der Körper als letztes Hindernis zur Auflösung des Selbst. Masturbationam eigenen Leid mittels Schleifpapier, führt doch nicht zur Befriedigung.Sie haben nur sich und damit keine Chance auf Glück oder Erlösungverdient.J.W.H.9


»Dreifache Rückblende«»Dreifache Rückblende«Hard Luck HeroRegie: SabuJapan 200310Yuppies und Yakuza. Ein häufiger Eindrucknach dem Kino ist das etwas hilflose »ja … und?«.Da gab es eine Geschichte, technische Finessen,dramaturgische Kniffe und das alles hat nichtgereicht, Sympathie in echte Begeisterung zusteigern. Der auf der <strong>Berlinale</strong> oft gesehene Mixaus überdrehter Komik, ästhetisch inszenierterGewalt und rasanten Fahrten durch Straßenund urbane Schleichwege und ein (oft) moralischesGrundproblem, das in den ruhigerenMomenten zwischen einzelnen Protagonistengelöst werden soll, scheint ein vor allem asiatischesKonzept zum Filme machen sein. WennSabu als Regisseur vor dem Film ein paar publikumswirksameMätzchen macht, wie das Fotomit Publikum und die »persönliche Szene mitviel Herzblut« am Ende des Films ankündigt, istdie Erwartungshaltung vielleicht etwas größer,als bei anderen Filmen.Dann der Plot: wieder einmal Yakuza, zweiYuppies, die zur falschen Zeit am falschen Ortsind und zwei Jungs, die eine Schuld bei derYakuza begleichen müssen. Die dreifache Rückblendeerinnert stark an Tarantino, die Spannung,die durch das Wissen um die Motive derBeteiligten entsteht, bleibt bei den folgendenVerfolgungsjagden an einer überfahrenen rotenAmpel auf der Strecke. Rührend, daß derYakuza-Sohn dann bei 140 km/h noch dieFreundschaft zu seinem mutigen, angeschossenenBegleiter entdeckt!Und für die Auflösung durch den punktgenauenZusammenprall aller Beteiligten an einerKreuzung soll Herzblut geflossen sein oderdoch eher für die langsame Szene mit allenBeteiligten in Gips und einem leeren Bett?S.B.Kreuzungen. Straßen pumpen 24 Stunden am Tag das Blut durch denKörper der Großstadt. Wenn einzelne Partikel des Stroms aufeinanderprallen,beeinträchtigt das nicht den Kreislauf. Asai, Ishii, Ikeyama,Kishimoto, Fujita und Kudo krachen in drei Autos und drei Geschichtenfrontal aufeinander. Sie haben nichts gemein, als die Tatsache, dass alleihre Geschichten wie Planeten um einen Fixstern kreisen. Einen illegalenBoxkampf, der alle mit unterschiedlichen Intentionen zu einem bestimmtenZeitpunkt an einen bestimmten Ort treibt. Die Charaktere sind dabeiKarikaturen, die die Stadt selber zeichnet. Da sind die aufschneiderischenGeschäftsleute in Anzug und mit Aktenkoffer. Auf der anderen Seite diekleinkriminellen Jugendlichen, die es auf eben diesen Koffer abgesehenhaben. Ihre Hosen sind zu groß, ihr schwerer Schmuck nicht echt. Nichtviel besser geht es den Lebenskünstlern, die sich mit Jobs in Imbissendurchschlagen und die auf ihrer Suche nach Geldquellen direkt insKampfgeschehen trudeln. Regisseur Sabu legt eine Muschel ans Ohr derGroßstadt und lässt im Schneckengang das Blut rauschen. Das Haupt dieserStadt ist bedeckt mit einer westlichen Kappe, aber ihre Kleider bleibendoch immer gleich gestrickt. Aus dem Stoff, aus dem die Träumesind, und der nach Abgasen stinkt.K.K.11


»Busen, Beine, Bauch«Touch MeRegie: Anna Jadowska,Ewa StankiewiczPolen 2003MonsterRegie: Patty JenkinsUSA 2003Gegen die WandRegie: Faith AkimDeutschland 20<strong>04</strong>»Busen, Beine, Bauch«12 zu: »Monster« / Regie: Patty Jenkins / USA 2003S c h o c k i e r e n d . Die Kamera zeigt uns den nacktenOberkörper einer Frau, die vor einem Spiegelsteht und sich wäscht. Es ist keine ästhetisierendeKörperdarstellung, kein Objekt männlicherBegierde, das uns in dieser kurzen Einstellunggezeigt wird. Das allein ist jedoch noch nichtsUngewöhnliches. Denn selbst im Film hat manschon anderes gesehen als Busen, Beine undBauch der Betty Boos dieser Welt. Trotzdem, sokurz diese Szene ist, so prägnant ist sie auch.Denn alles entsteht aus dem Vergleich. Hättenwir sie noch nie gesehen, die Frau, die sich hinterdieser etwas unförmigen Prostituierten verbirgt,hätten wir dieser Szene wenig Beachtunggeschenkt. In Gedanken wäre uns dieses Bildnoch viel weniger geblieben. Dank unseresfilmischen Gedächtnisses sehen wir CharlizeTheron als graziöse, zerbrechliche Unschuld, als›Gottes Werk‹ und eben nicht ›Teufels Beitrag‹.Unmöglich, diesen nackten Körper demjenigenzuzuordnen, der uns so häufig von Fernsehzeitungstitelblätternentgegen gestrahlt hatte.Wie ein Paar weiche, weiße Handschuhe, dessenlinker in die farbige Kochwäsche geraten ist.N . H .Charlize Theron is running on karma. DieNacktszene ist mehr als ein Vorführen der Figurin ihrer ganzen schutzlosen Menschlichkeit. Indiesem Moment sieht man die Schauspielerin.Die Szene ist ein Beweis. Zentimeter fürZentimeter Charlize Theron. Zentimeter fürZentimeter der Beweis: »Seht her, auf diesenKörper kann ich mich nicht mehr verlassen. Aufdiesen Körper kann ich die Blicke nicht mehrl e n ken, wenn meine Schauspielkunst ihreGrenzen erreicht. Dieser Körper muss sich aufmich verlassen, mein Können, mein Talent.« Esist unglaublich und es stellt sich die Frage,warum? Welchen Stellenwert hat der Körper?Wenn mit der Maske eingegriffen wird, oder diePostproduktion noch einmal Hand anlegt, ist esetwas Anderes. Aber so: Tom Hanks nimmt fürCast Away zuerst ungefähr 20 Kilo ab, um wäh-rend des Films 30 Kilo zuzunehmen. Nicht anSchaumstoff oder anderen Materialen. Sondernan Fett. Oder Rene Zellweger für Schokoladezum Frühstück und jetzt Charlize Theron fürMonster. Nicht wie Gwyneth Paltrow in Schwerverliebt. Die nahm nur Pixel zu. CharlizeTheron hat den Film sogar teilweise produziert.Der Film als Beweis ihres Könnens, losgelöstvon der schönen Frau. Sie macht sichhäßlich für die Rolle und ihren Körper nun endgültigzur Maske, zur Hülle. Sie legt ihn an, ab,wie sie es braucht. Ein Kleidungsstück. EinAccessoire. Nicht mehr. Die Schauspielerinkann auch ohne. Das kann sie wirklich. In»Monster« überzeugt sie und der Film, weil erwiederum dem Reiz nicht verfällt, sich auf dieSchöne zu verlassen. Nur ein bisschen auf denCharme von Christina Ricci. Aber das ist okay.T.F.zu: »Gegen die Wand« / Fatih Akin / Deutschland 2003Nacktheit als Maske, Nacktheit als Waffe.Immer wenn man nackte Menschen auf derLeinwand sieht, verspürt man, zumindest unterbewusst,die verborgenen Mechanismen desKinoapparates. »Voyeur – [lat.-fra.] der; -s, -eu. -s: jmd., der durch (heimliches) Zuschauenbei sexuellen Handlungen anderer Lust empfindet.«Wir hier hinten in der Dunkelheit, die dortvorne ahnungslos ungeniert. In Fatih Akins»Gegen die Wand« sind, genau wie Sibel, auchunsere Blicke Eindringlinge in Cahits heruntergekommeneWelt. Seine Wohnung ist ein Loch,die heruntergelassenen Jalousien wollen mitdem Tageslicht nichts zu tun haben, und um zurTür zu kommen, muss er sich erst einmal einenWeg durch Berge leerer Bierdosen, Essensresteund übervolle Aschenbecher bahnen. Dann öffneter entnervt und steht vor ihr – splitternackt.Denn Cahit hat nichts mehr zu verbergen und erschämt sich auch nicht – jedenfalls für nichts,was man an der schnöden Oberfläche sehenkönnte. In seiner Nacktheit fängt sich sein Verhältniszu dem Leben, das er führt, als Gestrandeterzwischen zwei Kulturen. Doch obwohl unsdas Kameraauge erlaubt in heimlicher Ungestörtheitseine Blöße schamlos zu untersuchen,finden wir dort nichts, was erklären könnte,warum er mit seinem Wagen ohne zu Bremsengegen eine Wand gerast ist. Kaum etwas könntemehr verbergen, als dieser achtlos enthüllteKörper.Sibels Nacktheit hingegen ist Protest. Protestgegen die Enge der konservativen Einstellungenihrer Familie und die kulturellen Fesseln ihrertürkischen Herkunft. Geschickt verabreicht sieder Film in kleinen Dosen. Wenn sie endlich freiist, tanzen zu gehen, zu leben und zu ficken,wie und mit wem sie will, nachdem sie Cahitschließlich zu einer Alibiehe mit ihr überredethat, dann wird jedes Stück Haut, das ihre knappenOutfits bereitwillig zur Schau stellen, zumSymbol ihrer Selbstbefreiung.Und doch braucht es diesen ganzen Film, bisder müde Verlierer und die junge Lebenshungrigeendlich soweit sind, dass sie den Mut aufbringen,auch vor einander die Hüllen fallen zu lassen,bis sie nackt sind außen und innen.In einem kleinen Hotelzimmer in Istanbul, nacheinem unendlich langen Irrweg zueinander,findet der eine schließlich den anderen ein einzigesMal ohne irgendeine Maske tragen zumüssen. Vielleicht empfindet man die Intimitätdieses einzigen Augenblicks deshalb so stark,weil man ahnt, dass es trotzdem zu spät für sieist – und dann schämt man sich fast, dass manzu sieht. J . B.zu: »touch Me« / A. Jadow ska, E. Stankiewicz / Polen 2003Bloß keine Entblößung. Es gibt Szenen, daerwartet man ein Mindestmaß an Nacktheit.Eine Sexszene ist so ein Fall. Deshalb war icheinigermaßen überrascht, als mir der polnischeFilm »Touch me« eine Sexszene präsentierte, inder beide Darsteller ihre Hosen anbehielten undkeine Anstalten machten, diese auszuziehen.Etwas absurd wirkt die Szenerie auf mich. Sieläßt eine kalte, fast brutale Atmosphäre entstehen.Die Regisseurinnen erklären, das sei einFilm über Frauen, die niemand berührt.Das ist wahr. Denn so nah sich die beidenKörper in dieser Szenen auch sind, so sicher binich mir, daß niemand den anderen berührt. Diegrelle Kleidung verhindert das wie ein Schutzschild.Wo ich nackte Haut erwarte, zwei Körper,die einander einverleiben, da sind Stoff undFarbe. Die umschlungenen Körper sind einanderfremd und fern. Nicht einmal ich kann dieKörper mit meinen Augen berühren, weil dieKamera nicht über Haut streicht, sondern überPolyester.T.U.13


»Steine über den noch warmen Körper«»Steine über den noch warmen Körper«SamariaRegie: Kim Ki-DukKorea 20<strong>04</strong>Begrabene Melodie. Young-Gi begräbt seineTochter. Da an dem breiten Fluss, in dem dasAuto versank. Er tut es mit solcher Vorsicht undLiebe, als wäre es nicht er, der die Schuld anihrem Tod trägt. Sorgfältig häuft er die Steinedes Ufers über den noch warmen Körper. Ersteckt ihr die Kopfhörer des Diskmans in dieOhren und drückt – wenn nichts mehr vonihrem Körper zu sehen ist – auf play. Ein gelbesKabel schlängelt sich unter den Haufen grauerSteine, verliert sich in ihm. Da unten am Fluss.Leise können wir die Melodie hören. Es ist dieselbe,mit welcher er sie sonst geweckt hatte.Ein Bild was sich einbrennt, um sich nachwenigen Minuten als Traum zu entpuppen.Yeo-Jin ist nicht tot. Auch wenn sich alles inihr danach anfühlen mag.Ein wenig fühle ich mich, als läge ich unter diesemSteinhaufen, da am Fluss, mit dieserMelodie in den Ohren, die so leicht und zart mirvon einer Freundschaft erzählt, von Yeo-Jinund Jae-Young. Von dem Lächeln Jae-Youngs,das ich nicht zu deuten vermag. Ein Lächeln,was sie unentwegt auf den Lippen trägt, gleicheinem Kostüm, einer Suche nach Leichtigkeit,selbst in dem Moment ihres Todes kleidet es sie.Auch da diese Melodie, die nach einemKinderlied klingt, welches umso öfter ich eshöre, zunehmend höhnender und grausamerwird. Eine Melodie, die mir von der SelbstopferungYeo-Jins flüstert, die allen Schmerz,alle Liebe zu ihrer Freundin auf brutalste Artbeweist. Wir wissen nicht ihren Gesichtsausdruckzu deuten, wenn sie sich all den Männernhingibt, welche Jae-Young zuvor als Prostituiertebedient hatte. Wissen nicht, was sie fühlt,wenn ihre Lippen sich in dem Lächeln derverstorbenen Freundin versuchen. Sehen eineGrimasse, die den Schmerz nicht besser zeichnenkönnte. Das Bild von der Dusche in derSchule, unter der sie sich täglich waschen, ziehtsich als Refrain durch den Film. Wenn nachdem tödlichen Unfall Yeo-Jin völlig bekleidetunter der Dusche hockt, ist es als zerläuft sieunter dem Strahl des Wassers, als sickert sie mitdem Blut ihrer Freundin in den Abguss – ausdem Leben hinaus.Young-Gi begräbt seine Tochter. Da an dembreiten Fluss, in dem das Auto versank. Erbegräbt sie, weil er nicht mit ihr reden kann.Weil er alles zu wissen meint und auf eineSuche geht, die ihn überall hinführt, nur nichtzu Yeo-Jin. Ein Vater, der an seiner eigenenStille zu ersticken droht. Da unten am Flusstraut man ihm alles zu. Traut dieser Geschichtealle möglichen Arten eines Endes zu. DieseGeschichte geht in ihrer Erzählform eigene undbrutale Wege, welche sich jedoch in derAuthentizität der Figuren als notwendig erweisen.Er lässt sie zurück. Er hat sie nichtertränkt. Er hat sie nicht begraben. Nicht leibhaftigzumindest. Er hat sie stehen lassen. Daunten an dem breiten Fluss. Zusammen mitdieser Melodie.S . RDas Sushi-Schuld-Röllchen. Der Vater sitzt in der Küche. Er ist Polizist. Er bereitet Sushi zu.Soeben hat er den letzten Freier seiner Tochter umgebracht. Eigentlich wollte er sie nur beschützen.Das junge unschuldige Schulmädchen. Der letzte Mensch der ihm geblieben ist, nach dem Tod derFrau. Eigentlich wollte er sie nur beschützen. Sie weiß davon nichts. Er vertrieb die Freier, bevorsie seine Tochter besuchen konnten. Bei einem kommt er zu spät. Dem letzten. Er lauert ihm auf.Bringt ihn um. Erschlägt ihn. Er sitzt in der Küche, bereitet das Essen, sie kommt in die Küche. Sieweiß nichts von dem Verbrechen. Sie hat ihre eigene Last zu tragen. Den Tod ihrer besten Freundin,an dem sie sich mitschuldig fühlt. Er lächelt sie an, erzählt davon, dass sie über das Wochenendeaufs Land fahren. Es beginnt ein neues Kapitel. Die Verarbeitung. Während das Mädchen von ihrerSchuld befreit, lädt sich der Vater mit Schuld auf. Beide sitzen nun am Grab der Mutter. Die Mutterist das Vergangene. Die harmonische, bessere Vergangenheit.Da sitzen nun beide und essen zusammen Sushi. Am Grab der Mutter. Während sie langsam isst,stopft sich der Vater ein Sushi-Röllchen nach dem anderen in den Mund. Er will alles verschlingen,alles hinunter Schlucken, wo der Magen mit seinen Säuren alles verdaut und aus der Weltschafft. Doch der Batzen, an dem er zu kauen hat, ist zu groß. Die Schuld, die er auf sich geladenhat, der Mord, ist zu gross und er weiß es. Er versucht zu kauen, versucht zu schlucken aber ermuss würgen, droht zu ersticken. Die Luft bleibt weg. Seine Kehle verschnürt. Er kotzt, würgt dasEssen aus dem Rachen, hustet, seine Tochter steht ihm bei, klopft ihm auf die Schultern. Sie ist dieStärkere. Sie hat den schweren Weg gewählt, wird ihn aber bewältigen. Der Vater der sich vomZorn hat hinreißen lassen, scheitert. Er weiß das. Er wird sich stellen, sich dem Gesetz übergeben.Samaria wird von zwei Bildern durchzogen. Zum einen das fließende Wasser oder das Fließen alssolches. Auch das Fließen von Blut. Dieses Bild durchzieht den Film wie ein roter Faden. Das Essen,das zweite Bild, tritt nur an dieser einen Stelle auf. Jedoch an einem entscheidenden Punkt derGeschichte. Es wird sichtbares Symbol für den inneren Prozess der Bewältigung, der VersuchGefühle, Schuld, Vergangenheit zu verdauen. Doch vor dem verdauen muss man essen. Ähnlichwurde schon in In the mood for love mit dem Vorgang des Essens gespielt. Als der Protagonist ineiner Nudelküche sitzt und sich einen Riesen Kloss Reis in den Mund steckt und so schwer daraufkaut. Der Kloss, den er eh schon im Hals hat, wird zum Kloss aus Reis an dem er schier zu erstickendroht. Er wird ihn aber hinunter schlucken. Der Vater in Samaria kann das nicht. T.F.15


»Schnittstellen«»Schnittstellen«16Ae Fond Kiss Mischen Impossible. Zwei Liebende, zwei Kulturen.Regie: Ken Loach Blond, begabt und katholisch meets dunkel, begabt undGroßbritannien 2003 hinduistisch. Abendländische Klaviermusik will sich mitarabisch angehauchter Diskomusik paaren. Dazwischenjedoch ein Graben tiefen Unverständnisses. Zwei Kulturen werden hierals nicht-kompatibel dargestellt. Jegliche Kompromisse, Ve r s c h m e l z u n g e noder Annäherungen sind ausgeschlossen. Der strengen und verfahrenenTradition der Pakistanis wird ein stockkonservativer Katholizismus derEngländer gegenübergestellt. Die Liebe erscheint als einziges Bindeglied.Hört sich fast schon wie eine Romeo und Julia-Variante an, ist es abernicht: Casim, ein junger pakistanischer DJ, fängt eine Beziehung mitRoisin an, die an einer katholischen Grundschule Musik unterrichtet. Ergerät damit zwischen zwei Fronten, von denen eine – egoistisch, unbeweglichund kompromisslos – Roisin darstellt, und die andere – ebensostarr, unverständig und intolerant – seine Familie. Die einzige Bewegungin diesem Film stellt Casim dar, indem er wagt, die Fronten zu überschreiten,wodurch sie aber keineswegs aufgehoben werden. Noch darfsich Casim am Ende wirklich glücklich wähnen. Auch wenn der Film ansich gut gemacht ist, kann ich mit so einer pessimistischen, starren undreaktionären Perspektive weder klarkommen noch sie für wirklich realhalten. Unbefriedigend.J.W.Über die kulturelle Identität. Wie schlau, allem voran das Identitätsproblemder 2. Migrantengeneration einfach durch die großartige Spracheeiner Jugendlichen zu formulieren, die vor ihrer Klasse referiert. Taharaist eine in England geborene Pakistani, eine Muslimin auf einer katholischenSchule und bekennender Fan der lokalen Rugbymannschaft. IhrBruder Casim wird sich in Taharas MusiklehrerinRoisin verlieben, deren Beziehungweder von Roisins Arbeitsgeber, der katholischenKirche, noch von Casims Familie akzeptiertwerden kann. Zumal Casim auch einerPakistani versprochen ist, die er in wenigenWochen heiraten soll.Man mag dies schon oft als Sujet eines Filmesgesehen haben. Und doch geht es hier um vielmehr als eine einfache Liebesgeschichte imKonflikt unterschiedlicher Herkunft, sondernum eine präzise Beobachtung unterschiedlichsterkulturelle Räume und Identitäten in einerMultikulturellegesellschaft sowie deren Schnittstellen,der 2. und 3. Migrantengeneration. Wiesteht es denn nun um die kulturelle Identitätdes Westens bzw. Mitteleuropas? Loach ist soklug, dies nicht formulieren zu müssen. Ganznebenbei schafft er es, nur im Vorübergehen,mittels weniger Bilder und durch die Auswahlder richtigen Symbole dies zu erzählen. Mantanzt im Club zu orientalischer House Musik.Casim sitzt im Cafe, neben ihm ein weißerMittelstandsjunge im Superfly T-Shirt. (Superfly,einer der ersten Blaxploitation Filme, dessenSoundtrack eine der bekanntesten Platten vonCurtis Mayfield ist.) Die Jugend- und Popkulturschafft sich durch Vereinnahmung und Ad a p t i o nanderer Kulturen, deren Strategien, Symbolen,Musik usw. in der eigenen Kultur einen neuenperformierten kulturellen Raum. Ob als Strategiezur Abgrenzung oder unbewusst. Und alswäre es unbewusst, doch so exakt der Ausschnittder Kamera gewählt ist, fliegen dieseBilder an einem vorbei. Es gilt, die Symbole unddadurch auch unsere eigene Prägung als MitteloderWesteuropäer zu entschlüsseln. Daherwirkt es schon fast logisch, dass die Beziehungbeider Protagonisten da am unbekümmertstenfunktioniert, wo sie frei ihrer eigenen kulturellenRäume sind bzw. der kulturelle Raum, indem sie sich befinden, am virtuellsten ist: ImPauschalurlaub in der Türkei.Der im Film wohl meist gesagte Satz ist »duverstehst mich nicht.« Die verzweifelte Aussagenachdem all die Erklärungen und Auflistungenan Beispielen zur Erläuterung des eigenenStandpunktes und der eigenen Position, trotzihrer klaren Aussage und Formulierung, imSande verliefen oder eben einfach aufUnverständnis stoßen. Dabei ist es aber garnicht so, dass das Argument der einen Parteiunverständlich wäre. Der Zuschauer hat gesehenund verstanden. Der Zuschauer hat aberauch gesehen und verstanden, warum auf deranderen Seite nicht verstanden wird. Weil ausder Sichtweise der einen kulturellen Welt undder darin kulturell geprägten Identität einVerständnis hierfür einfach nicht möglich ist.Nicht wenn es um die Liebe geht. Noch vielweniger um die eigene.Wie kann man da für die tolerante WesteuropäerinRoisin kein Verständnis haben, ebenkeine Tolaranz gegenüber Casims Famile zuzeigen, geht es doch um ihr Herz und ihre aufrichtigeLiebe zu Casim? Wie kann man esCasims Familie übel nehmen, die Beziehungnicht zu dulden? Steht doch hier der so mühsamaufgebaute kulturelle Raum, die pakistanischeGemeinschaft, auf dem Spiel. Eben derRaum in dem die Migrantenfamillie ihre eigeneKultur nach Innen bewahren konnte und nachAußen in einer untoleranten GesellschaftSchutz findet. Man kann Casims Schwesternicht einfach Intriganz vorwerfen, wenn sieversucht, Roisin zu überzeugen sich von ihm zutrennen, versucht sie doch nichts weiter als ihrhöchstes Gut, ihre Familie, vor dem Zerfall zubewahren. Man kann nicht mal dem PriesterBorniertheit vorwerfen, dafür zu sorgen, dassRoisin auf Grund ihrer außerehelichen Beziehungzu einem Pakistani, als Lehrerin an einerkatholischen Schule, entlassen wird. Würde erhier nachgeben, würde sich das gesamteKonstrukt seiner Kirche auflösen.Man kann all dies nicht, weil die große Kunstdes Films darin besteht – und das macht »AeFond Kiss« eben so viel besser als alle anderenFilme selbiger Thematik – für alle Partei zu ergreifen.Man versteht, weil man vorbehaltlos anall diese Menschen herangeführt wurde.Scheinbar nebenbei schafft es Loach, Vorurteileund Klischees der ersten und zweitenMigrantengeneration zu erklären, weil er dieGründe, Ursachen und Rechtfertigungen diesereinfach passieren lässt, bevor sie überhauptaufgegriffen werden. Und zwar auf eine sympathische,liebevolle Art und Weise fern jeglicherSozialromantik. Was bleibt ist die Erkenntnis:Die Multikulturelle Gesellschaft ist wie dieLiebe: Ein fortlaufender Prozess zwischenSelbstaufgabe und Selbstbewahrung. J.W.H.17


»There can´t be a societal revolutionwithout sexual revolution«The Raspberry ReichRegie: Bruce LaBruceDeutschland 2003Wild SideRegie: Sébastien LifshitzFrankreich/Belgien/GB 2003AnonymousRegie: Todd VerowUSA 2003Anatomie de l´enferRegie: Catherine BreillatFrankreich 2003zu: »Anonymous« / Todd Verow / USA 2003P i x e l p e n i s . Eine Großaufnahme aus sich bewegenden, gleitenden,fleischfarbenen Unschärfen – ein Meer unzähliger kopulierender digitalerPixel – gleich einem Suchbild, welches ich erst nach gut einer halbenMinute als onanierenden Penis entschlüsseln kann.Die Ästhetik dieses Pixelpenis ist es, mit der uns Todd Verow von denUnschärfen einer Liebe erzählt. Von den Verschwommenheiten einerBeziehungen, welche sich in der Jagd nach verlorenen Träumen undanonymen Sex in eben gleichen Pixelbildern zeichnet. Verow selbst spieltden von seiner eigenen Lust Gejagten Protagonisten Todd. Eine Lust, dieihn auf öffentlichen Toiletten seinen Schwanz in Klopapierhalter stecke nlässt. Die ihn seinen Chef als gierigen Homosexuellen phantasieren läßt,während dieser im Begriff ist, ihn zu feuern. Knackige Ärsche nebenschönen, langen Schwänzen. Im Treppenhaus eine tote Prostituierte, dessenrote Lackschuhe er klaut. Am Ende ein Spiel, was die Protagonisten ineine Theaterhaftigkeit kleidet. Sie aufbläst zu pornografischen Puppen,die sich auf ›play‹ begehren.Irgendwo zwischen Erregung und Langeweile erzählt uns »Anonymous«über die Schwierigkeit, zuweilen Unmöglichkeit, einer monogamenSexualität. Erzählt uns von einem durch und durch homosexuellen Plot(ein homosexueller Regisseur über eine homosexuelle Figur in einer reinhomosexuellen Welt), der gleichsam auch vor einem unisex-PublikumGültigkeit besitzt. Ein Film über die Suche nach Anonymität undZuhause. Nach Freiheit und Geborgenheit. Nach den Unschärfen undklaren Konturen einer Liebe. Nach den sich bewegenden, fleischfarbenenUnschärfen kopulierender Pixel. S . R .19


»There can´t be a societal revolution without sexual revolution.«»There can´t be a societal revolution without sexual revolution.«20weiter zu: »Anonymous« / Todd Verow / USA 2003Was bleibt ist Sex mit Unbekannten. EinLow-Budget-Film der sich hauptsächlich umSex dreht, auch wenn der Regisseur Todd Veroweher das Wort Liebe zur Beschreibung in denMund nimmt. Im Katalog zur <strong>Berlinale</strong> ist nachle s b a r, dass der Film, laut Regisseur, vomThema Beziehungen handelt und über dieVielschichtigkeit und gleichzeitige Unmöglichkeitvon monogamer Sexualität.Der Regisseur der gleichzeitig der Hauptdarstellerist, zeigt die Geschichte des homosexuellenFilmvorführers Todd, der von seinem Freundverlassen wird, da er Sex auf einer öffentlichenToilette hatte. Gedemütigt und gepeinigt, derFreund schreibt ihm ›Fuck here‹ auf denHintern, wird er aus der gemeinsamen Wohnunggeworfen. Die beiden hatten sich bisheraber sowieso kaum gesehen, da Todd des Nachtsarbeitet und sein Freund John am Tag. Bis hierhinkann man die Idee des Films wiederfinden.Gezeigt wird sie in grünstichigen Digitalkamera-Aufnahmen.Die Bilder grob gepixelt.Alles wirkt stets ein wenig unscharf.Unscharf ist auch die weitere Handlung, dennsie verliert sich in Sex mit anonymen Leuten,an öffentlichen Orten in undefiniertenAbständen. Es greift die Glosse von UmbertoEco »Wie man einen Pornofilm erkennt«. Ers c h r i e b, dass man einen Pornofilm daranerkennt, dass die Protagonisten länger von Anach B brauchen, als man es eigentlich sehenmöchte. Grob gesagt, wäre demnach einPornofilm Langeweile gepaart mit Sexszenen.Beides lässt sich in Anonymous wiederfinden.Die Reihenfolge der Szenen ist von nun an fastbeliebig. Todd zieht mit seinen Plastetüten vollHab und Gut durch die Straßen, unterhält sichmit einer Prostituierten, geht ins Kino, geht ineine Disko, findet schließlich Unterkunft beieiner Internetbekanntschaft. Noch bevor die Türüberhaupt geschlossen ist, haben die beidenSex miteinander. Später oder auch davor, hatteer Sex mit einem Fremden auf einer öffentlichenToilette. Imaginierte Annäherung mitseinem Chef in seinem Vorführraum im Kino.Sex in der Toilette des Kinos. Am Ende desFilms, findet Todd irgendwie zurück zu seinemFreund John. Endgültiges Ende findet der Filmin einem Kinderspiel aller Protagonisten. Stoppand Play. Bei Play ziehen sie sich gegenseitigaus. Bei Stopp müssen sie in ihrer Positionerstarren. Wer sich noch bewegt, scheidet aus,aus dem Spiel. Sinn dessen im Filmkontextbleibt unklar.Todd Verow drehte den Film zusammen mitFreunden, ein festes Drehbuch gab es nicht, dieSexszenen an den öffentlichen Orten musstenschnell gedreht werden, da sie keine Drehgenehmigunghatten. Man wünschte sich, dieVoraussetzungen wären andere gewesen. Dannwäre vielleicht aus der ursprünglich gutklingendenIdee, an Hand einer homosexuellen Beziehungund derer Eigenheiten, die universellenund vor allen Dingen »unisexuellen« Problemeaufzugreifen, auch ein spannender Film geworden.So allerdings bleibt nichts weiter als dasBild von Männern beim Sex hängen. Allesandere, wenn da was war, ist verloren. C . W.zu: »Raspberry Reich« / Bruce LaBruce / Deutschland 2003Befriedigende Bilder. Von der <strong>Berlinale</strong> habeich Überraschungen erwartet. Ich wollte nichtsehen, was ich immer sehen kann, sondern das,was ich noch nie gesehen habe und vielleichtnie wieder sehen werde. Unko n v e n t i o n e l l eFilme, schockierend und skandalös.Ein Film hat mich in dieser Hinsicht sehr befriedigt:»The Raspberry Reich«. Dieser Film war einechter Zufallstreffer. Am Vortag an der Kartenkassehatte ich lediglich die Beschreibung des<strong>Berlinale</strong>-Katalogs gelesen: »Der Film vonBruce LaBruce spielt in Berlin und erzählt voneiner Gruppe Terroristen, die an einer schwulenRevolution basteln.« Das hatte mich zwar kaummit Neugier erfüllt, da ich aber einmal so langeangestanden hatte, nahm ich mit, was möglichwar. So kam ich also zu The Raspberry Reich.Noch vor Filmbeginn erklärte der Regisseurselbst seinen Film. Ziemlich prägnant, wie ichfinde: »Das ist eine Mischung aus Terroristengeschichteund Schwulenporno. Sie werdenstaunen, wie gut das zusammenpaßt.« So inetwa waren seinen Worte und in der Tat, ichwar erstaunt, wie gut das zusammenpaßt.In rasendem Tempo steigt der Film in dieGeschichte ein. Drei Handlungsstränge werdenparallel geschnitten: Ein Pärchen beim Sex, einMann namens Che, der vor einem Che-Postermasturbiert, und ein paar vermummte Typen,die einen Skateboarder kidnappen. In schnellenSchnitten, Mehrfachüberblendungen, Schriftzügen,die durchs Bild laufen, und Musikuntermalungwechselt der Streifen ständig zwischenMusikclip und Erzählkino. Die zahlreichenSexszenen sind musikalisch untermalt undwechseln mit Aktionspassagen, die die Handlungvoran bringen. Der Film besitzt Rhythmusund Neuheitswert.T.U.weiter zu: »Raspberry Reich« / Bruce LaBruce / Deutschland 2003Porno auf 9x5 m. Da hat sich Bruce LaBruce selbst ein Fest bereitet unduns wärmstens dazu eingeladen. Das Motto: Ich bin auf der <strong>Berlinale</strong>. Miteinem 90 Minuten Pornofilm – und keiner wundert sich! Auf 9x5 Meternwird mit erigierten Schwänzen dem System der Krieg erklärt, denn:»there can`t be a societal revolution without sexuell revolution«, und diemuss nicht nur eine schwule sein, sondern auch kompromisslos explizitund zwar bis zum glibberigen Ende.Gudrun, die parolenschwingende Anführerin einer linksextremen Untergrundzelleauf den Spuren der ersten RAF-Generation fordert von ihrendurchweg männlichen Mitstreiter als Beweis ihrer bedingungslosen,revolutionären Überzeugung zunächst einmal, dass sie mit einander insBett (oder auch auf die Parkbank) gehen, worum sich die knackigenJungs auch nicht erst lange bitten lassen müssen. Dass die Mutter der›homosexuellen Intifada‹ dabei trotz aller Revolutionsliebe selbst nichtmit gutem Beispiel vorangeht und keinen einzigen revolutionär-lesbischenAkt vollzieht, fällt elegant unter den Tisch, auf dem es die andernStadtguerilla mit einander treiben. Vom masturbierenden Waffenfetischisten,der nicht nur seine Schrotflinte zärtlich streichelt, bis zur gespieltenMann-Mann-Vergewaltigung ist eigentlich alles dabei was dasHerz (des Regisseurs?!) erfreut, bleibt kein schmuddeliges Detail unberücksichtigt.Auch wenn die schrillen Tabubrüche vor der punkigenKulisse aus Terror und Sex einer gewissen verdorbenen Ästhetik nichtentbehren, macht LaBruce aus seiner eigentlichen Intension kaum einenHehl: Kopulierende Männer auf die große Leinwand bringen! »I want youall to become gay«, antwortet er auf eine Publikumsfrage, ob es tatsächlicheine revolutionäre Absicht hinter seinem Film gäbe. Obwohl er dabeiaussieht, wie jemand, der einfach nur ehrlich ist, lacht der ganzeKinosaal. Irgendwie scheint ihm keiner glauben zu wollen. Vielleichthieße hier nicht zu lachen ja auch ein wenig einzusehen, gerade in offiziellemRahmen einen Porno gesehen und sich dabei auch noch recht gutamüsiert zu haben.J.B.21


»There can´t be a societal revolution without sexual revolution.«»There can´t be a societal revolution without sexual revolution.«22zu: »Wild Side« / Sébastien Lifshitz / Frankreich, Belgien, GB 2003Zuhause im Körper. Wenn die Kamera ganzlangsam an dem Körper hinauffährt, da in derBadewanne, dann erlaubt sie uns mit sezierendenBlick Sylvie und Pierre, Pierre und Sylvie,abzutasten. Eine weiße, transparente Haut.Muttermale gleich Ruhepolen, an denen dieKamera verharrt. Die zarten aber männlichenBeine. Sylvies feste Brüste. Pierres Schwanz.Der zierliche Körper, fest und zart. Und imGesicht, das sind sie zweifellos beide: Pierreund Sylvie. Wenn die Kamera ganz ruhig aufdem Körper verharrt und unseren Blick direktda ablegt, ist mir, als wäre noch ein Raum fürdie Bestimmung ihres Namens. Als dürfte ichselbst entscheiden, ob Pierre oder Sylvie. Alslägen sie da nicht beide. Nackt in der Wanne. Ineinem Körper.Wenn der alte Schulfreund nach Jahren zuSylvie sagt, dass es wohl komisch klingen mag,aber sie hätte sich seit damals kaum verändert,dann sagt er das in Gedanken an Pierre. Undwenn Sylvies gebrechliche Mutter, mit ruhigem,geduldigem und zuweilen entrücktem Blick ihrerwachsenes Kind in den Armen hält, Sylviesgelocktes Haar streichelt und leise: »MeinJunge, mein guter Junge …« flüstert – dann istda eine seltsame Traurigkeit, die in mir aufsteigt.Es wird wenig gesprochen und wenig gelacht.Zuweilen möchte man an diesen Figuren rütteln,die in einer abgrundtiefen Traurigkeit undLeere verhangen scheinen. Wenn uns SébastienLifshitz die auf den ersten Blick durchtriebeneWelt des Dreierpaares Sylvie, Mikhail undJamel vorführt. Wenn wir die fickenden Körperbeobachten, Sylvie mit Mikhail, Mikhail mitJamel und Jamel mit Sylvie. Wenn wir aufSylvies Händen ruhen, die ihrer kranken Mutterdie Haare waschen – dann zeigt uns dieses eindringlichePortrait dieser Welt der Transsexuelleneine Schönheit und Zärtlichkeit, einLeben so nah an aller Normalität. Was Klischeesund Unaufgeklärtheit auszublenden wissen,gibt Sébastien Lifshitz durch seine Protagonistenallen Transsexuellen wieder – einenStolz. Einen Stolz in aller Gebrechlichkeit.»Wild Side« spart nicht an erotischen Szenen,nicht an der nötigen Gewalt, und versteht esdoch, nie entblößend zu werden. Eine Nacktheit,ohne Scham hervor zurufen. Eine Brutalitätohne Erniedrigung. Selten wurde mir ein Körperso neutral vorgeführt. Selten auf so ehrlicheund zurückhaltende Art die Haut als Projektionsflächeeines Geschlechts offenbart.Irgendwann ist dieser Punkt erreicht, an demich in Sylvie nicht mehr Pierre suche und inPierre nicht mehr Sylvie. Das ist wohl der wirklicheHöhepunkt des Films, die wirkliche LeistungSébastien Lifshitzs. Ganz kurz fühle ich einenStillstand in der rastlosen Suche nach dem e i g e-nen Geschlecht. Ein Innehalten dieser Suchenach der eigenen Verortung. Für 94 Minutengibt »Wild Side« Pierre und Sylvie ein Zuhause.Ein Zuhause im eigenen Körper. S.R.zu: »Anatomie de l´enfer« / Catherine Breillat / Frankreich 2003Ästhetische Höhlenhölle. R ü c ke n a n s i c h t .Schneeweißer nackter Frauenkörper. We i c h ,fließend. Ausgestreckt liegt sie auf dem Bett,den Kopf mit dem schwarzen Haar auf den Armgelegt. Sie wartet in einem kahlen Zimmer aufihn. Mann gegen Frau. Frau gegen Mann. Siebezahlt ihn, sie anzuschauen. Vier Nächte in 77Minuten Film. Jede Nacht bringt neue Bilder.Brutal. Scheußlich. Blutig. Pornographisch. Unddabei doch ästhetisch. Sie will von ihm wirklich gesehen werden. In ihrerNacktheit, in ihrer Weiblichkeit. Mehr. Mehr als einfach nur lieblich nacktauf einem Bett.»Wenn durch körperliche Nacktheit die Seele entblößt wird, entstehtBewusstsein. Das Intime ist das letzte Tabu, wo man für Worte verlorenist.« – besagt der Begleittext, doch Worte brauche ich, um Gesehenes zuvermitteln, zu übersetzen, um zu begreifen. Mit Lippenstift fährt er überschwarz-krauses Schamhaar, kreist ein. Schminkt ihre Lippen währendsie schläft. Fickt sie. Heult danach. Sie erwacht. Tröstet ihn. Es sei ja erstdie erste Nacht. Eine Nacht später rammt er ihr den Stiel einer Mistgabelzwischen die Beine. Grotesk ragt das Ding in den Raum hinein. Steht zwischenihren Blick und dem Publikum im Kinosessel. Meine Sitznachbarinpackt ein Knoblauchbrötchen aus und beginnt, langsam zu kauen. Diedritte Nacht bringt einen Blutcocktail. Er zieht ihren Tampon heraus,gerade wegen seiner Tabuisierung, schwingt er, von der Kamera eingefangen,zwischen ihnen. Kunstblutrot. Von ihr in ein Wasserglas gegeben,gibt es einen Cocktail aus dem beide trinken. Mehr Blut in der viertenNacht. Die Kamera geht in Nahaufnahme an die Geschlechtsteile, an denGeschlechtsakt. Danach sein Penis blutüberströmt, völlig entrückt streichter immer wieder darüber. Meine Sitznachbarin, aufgegessen hat sie inzwischen,beschließt nun doch vor Ende des Filmes zu gehen. Ich sitze,schaue, warte. Höre mir nach dem Film die Beschimpfungen, Lobeshymnenund Fragen für die Regisseurin Catherine Breillat an. Der Streitentfacht sich. Kunst oder Pornographie? Inzwischen weiß ich, dass dasdie falsche Frage ist. Breillat antwortet. Spricht von religiösen Motiven.Von dem absoluten Erkennen der Frau. Nichts davon kann ich mit demGesehenem in Verbindung bringen. Eigentlich will ich es nicht wirklichgesehen haben. C . W.23


»There can´t be a societal revolution without sexual revolution.«24weiter zu: »Anatomie de l´enfer« / Catherine Breillat / Frankreich 2003Der langweiligste Schock. Zwei Menschen. Eine Frau. Ein Mann.Zwischen ihnen ist nichts. Keine Gefühle, keine Scham. Außer das Geld,mit dem sie ihn bezahlt, und die Tatsache das er Frauen hasst. Was jedocheher hilfreich zu sein scheint. Catherine Breillat zeigt uns zwei Menschen,zwei Charaktere, die aufeinander treffen. Die Frau, die nur betrachtetwerden will. Nur als Körper, als nutzbarer Körper. Dazu braucht sie ihn,den sie in einer Schwulendisco trifft. Sie versucht, sich die Pulsadern aufzuschneiden.Er hindert sie daran. Der Mann der nichts mit diesem Körperanzufangen weiß. Der Film gibt ihm genug Zeit, auszuprobieren, wasalles mit diesem Körper geht und was nicht. Bald hat man durchschautwas passiert. Man ist nicht mehr überrascht. Ein Mann auf dem Erkundungsstreifzug,was man wie wo wann in eine Frau reinstecken kann.Reichlich banal und in Großaufnahme. Dazu die Dialoge, die nicht nurtheatral sind, sondern auch allwissend, pseudointellektuell und, aus demMund eines schauspielerisch unbegabten, schlecht französisch sprechenden,Pornostars (Rocco Siffredi), mehr als aufgesetzt klingen.Das Problem: Es ist ein Gefühl: Wut. Ich bin wütend auf diesen Film.Auch jetzt noch, wo viele Tage vergangenen sind und mir scheinen dierechten Worte zu fehlen. Denn den vielen Gründen, die diesen Film kritisieren,die sichtbaren, möchte ich gar nicht zustimmen. Auch wenn espornographische Bilder sind. Die gerade geführte Diskussion über dieAnnäherung der Kunst an den Porno oder anders herum, bzw. gegenseitigeBeeinflussungen dazwischen. Das ist nicht das Problem. Es ist dieWut und das dadurch entstehende Problem. Ein Sprichwort: »Nur getroffeneHunde jaulen.« Ich bin aber nicht getroffen. Ich springe nach demFilm nicht auf und schreie: »Das ist Pornographie! Eine Frechheit!« Daslässt mich kalt. Trotzdem bin ich wütend und wenn ich diese Wut versuchezu formulieren, so stecke ich schon mit einem Bein in demSprichwort und genau das macht mich wütend. »Anatomie de l'enfers«greift Themen auf (die ich vielleicht als alt empfinde, andere nicht), gibtAktualität vor, aber reibt sich nicht an denThemen. Man spürt keine wirkliche Auseinandersetzung.Wie gesagt, es ist ein Gefühl unddie Ausstrahlung. Angenommen der Film isteine Person die vor mir steht. Diese Person istarrogant, im negativen Sinn, sie ist selbstverliebt,Selbstreflexion ist ihr ein Fremdwort.Schrecklich unsympathisch. In Kürze: Selbstvergessen,selbstverliebt.Der Zwang nach schockierenden Bildern machtden Film langweilig und vorhersehbar. Inhaltlichso selbstverliebt, dass es schmerzt. Masturbation.T.F.Die Widerspenstige. Ihr Gesicht ist widerspenstig, aber ohne Verbitterung.Die wachen, braunen Augen lehnen sich auf gegen die kleinlicheAusbeutung in der Blumenfabrik, gegen eine Heirat als Notlösung undEndstation, gegen die Enge und Unabänderlichkeit, in die ihre Jugendeingesperrt ist, weil ihre Familie arm ist, so wie alle Arbeiterfamilien inKolumbien. Der Ausdruck ihres Mundes sträubt sich dagegen, keineHoffnung mehr haben zu dürfen, nur weil man am falschen Ort geborenist, weil man jung ist im falschen Land.Die Männer, an die sie gerät, leben davon Kokain in die USA zu schmuggeln,doch sie sind eben sowenig knallharte, skrupellose Gangster, wieMaria naiv oder leichtgläubig ist, als sie sich auf sie einlässt. Es brauchtkeine sonnenbrillenverglasten Stereotype, keine stilisierten Gewaltexzessum klar zu machen, dass Drogenhandel kein Kinderspiel ist, auch nicht,wenn Maria die traubengroßen Latexkapseln mit dem weißen Pulver miteiner Entschlossenheit schluckt, als enthielte jede von ihnen auch einStückchen der Freiheit, nach der sie sich sehnt. Selten wurde die subtileBrutalität des nackten Realen eindringlicher erzählt als in diesen schlichtenBildern von Mädchen, die sich in irgendwelchen Hinterzimmern dieseArt von Gewalt antun, weil es die einzige Chance ist, auf ein besseresLeben.Ihr Gesicht ist erschüttert, aber immer noch widerspenstig, als sie Blancaam New Yorker Flughafen klarmacht, dass sie nicht mit zurückfliegenwird. Sie wird bleiben, auch wenn es schwer wird. Der Preis dafür warhoch. J . B.»Die Übelkeit kommt mit einer Weintraube«Aufwühlend. Die Übelkeit kommt mit einerWeintraube. Groß und Blau. Mit ihr soll Mariaschlucken üben. Sie würgt. Ich würge, musswegschauen. Die Geschichte hat mich. DieVorstellung, etwas so Großes ungekaut schlucke nzu müssen, tut weh. Später wird Maria 62 doppeltso große ›Würstchen‹ schlucken, 62 kleineHeroinpäckchen, die riesengroß werden, wennman weiß, dass sie unversehrt – eins nach demanderen – im Magen dieses zierlichen MädchensPlatz finden müssen. 62 mal Leid. Unvorstellbar.Mir ist schlecht.N.H.Maria, llena eres de GraciaRegie: Joshua MarstonUSA/Kolumbien 20<strong>04</strong>25


»Die Übelkeit kommt mit einer Weintraube«»Die Übelkeit kommt mit einer Weintraube«26Persönliche Wunschvorstellung. Um ehrlich zu sein: Ich war schonbeim Lesen der Kurzbeschreibung bitter enttäuscht. Ich war so gespannteine kolumbianisch-amerikanische Koproduktion auf der <strong>Berlinale</strong> zusehen und schon fast desillusioniert, als ich von der Thematik selbigererfuhr. Ich weiß, dass dies zu keiner fairen Kritik oder zu keinem berechtigtenVorwurf dieses Films werden kann … aber nichtsdestotrotz.Es geht um Mulas (Maulesel), Menschen, die Kokain in geschlucktenGummipäckchen über die Grenze in die USA schmuggeln. Kolumbien istnach Aussagen des auswärtigen Amtes mit das gefährlichste Land derWelt. Ein Land geprägt von 30 Jahren Bürgerkrieg. Die Geo schreibt von50 Entführungen die Woche und 30 000 Gewaltmorden im Jahr. Ich wollteetwas über die FARC sehen. Die ultrarechten Paramilitärs. Die irrsinnigeGewalt in den Städten und die Massaker auf dem Land. Eben genauüber die Dinge, über welche hier nie berichtet wird. Und statt dessen istder Film über den Kokainschmuggel. Ein sicherlich nicht unrelevantesThema gerade in Verbindung mit dem von den USA angestrebten PlanColombia. Aber auch dieser wird nicht erwähnt. Der Drogenschmuggelpasst nur einfach zu gut in das bestehende Bild seit der Zeit Escobars.Eben in dieses krasse, romantisierte, glamourbeladene Bild eines Paten,nachdem sich dann schlechte Bands benennen, durch dessen Brutalitätaber Tausende von Menschen ermordet wurde. Escobar ist seit fast zehnJahren tot. Die großen Kartelle sind zerschlagen. Und an den Grenzenbetreiben die Guerilla wie die Paramilitärs den Drogenhandel, um ihrenKrieg zu finanzieren.Die Folgen eben dieser Zeit hatte der amerikanische Regisseur BarbettSchroeder in »La virgen de los sicerios« thematisiert: Die Sicarios, meistauf der Straße lebende Killer, in einer Gesellschaft am Rande des Chaos,in der ein Menschenleben im Kampf ums Überleben nicht mehr vielbedeutete. In Kolumbien sorgte der Film für einen riesigen Skandal, da erin seiner Brutalität das Bild suggerierte, man könne dort kaum über dieStraße ohne erschossen zu werden. Obgleich esall das gab, waren diese Vorwürfe durchausgerechtfertigt. Kolumbiens Vorzeigeregisseur istVictor Gaviria, dessen Filme Rodrigo D.: Nofuturo 1990 und La vendedora de las rosas1998 in Cannes gezeigt wurde. Dieser veranschaulichtedie klassische Geschichte einesStraßenkindes, die Armut und die Bandenkriminalitätin Medellin in Anlehnung an HansChristian Andersens Märchen »Das kleineMädchen mit den Schwefelhölzern«. Der mitLaien gedrehte Film stellte ungefähr das kolumbianischePendant zu »Wir Kinder vom BahnhofZoo« dar. Ich persönlich empfand »La vendedorade las rosas« an den falschen Stellen zu romantisierendund mit Pathos aufgeladen.»Maria llena eres de Gracia« ist abgesehen vonseinem dämlichen Titel sicherlich ein durchwegguter Film. Es gibt eine Art verborgene Schlüsselszenein diesem Film: Maria, die nach demTransport bei der Schwester einer anderen Mulauntergekommen ist, fragt diese, warum sie nienach Kolumbien zurückgekehrt ist. Sie antwortet,dass es für ihr Kind besser sei und zwar »porla situación en colombia«. Kolumbianer sprechenimmer nur von der »situación« wenn sievon der politischen Lage ihres Landes reden.Und zwar weil mit diesem einfachen Ausdruckein ganzer zusammenhängender Themenkomplexgemeint ist, bei welchem nicht mehrdifferenziert werden muss, was nun genaugemeint ist: der Krieg zwischen Guerilla,Paramilitärs und Armee, der Narkoterrorismus,die Armut, die Kriminalität und die Gewalt, dieKorruption oder die wirtschaftlich miserableLage – scheint es doch so oder so hoffnungslos.Maria weiß, was mit der Situation gemeint ist.Ich weiß es auch. Aber nicht jeder Zuschauer.Maria arbeitete in einer Blumenplantage, bis siekündigte und da sie ihr weniges verdientes Geldmit ihrer schwangeren Schwester und ihrerMutter teilen muss, entschließt sie sich, alsDrogenkurier zu arbeiten. Maria kommt auseinem Dorf, nicht aus einem Elendsviertel. Mankönnte dem Film jetzt zu Gute halten, dass erauf Stereotypen des kolumbianischen Elendsverzichtet. Aber eben diese Blumenplantagensind bekannt dafür, dass die Arbeiter dort nichtnur ausgebeutet werden, sondern auch ohneSchutzanzüge arbeiten müssen und somit durchEinsatz von Pestiziden vergiftet werden. Und ineben diesen Dörfern in der Savanne am Randeder großen Städte finden Massaker von Milizen,der Guerilla oder Drogenhändlern statt. Auchdas zeigt der Film nicht.Verstehen sie mich nicht falsch. Es geht hier umFilm und um die politische Macht und Kraft, dieFilm haben kann. Es geht um mehr als nurÖffentlichkeitsarbeit oder um »ein Bewusstmachen«.Ich weiß, dass ich einem Film ausKolumbien nicht vorwerfen kann, dessen explizitestepolitische Probleme zu thematisieren. Ich weiß, dass ich einemkolumbianischen Regisseur auch nicht vorwerfen kann, keinen kritischenFilm über die FARC oder die Paramilitärs zu machen, da dieser dann mitganz anderen persönlichen Problemen konfrontiert sein wird. Aber ichweiß um die politische Kraft die Filme haben können, die Filme wie »Inthis world« oder »Osama« haben. Filme, die den Blick auf unsere Welt verändern.Und ich hatte mir einen Film gewünscht, der es schafft, hier denBlick auf all die in Deutschland lebenden Kolumbianer zu ändern, derenLeben tatsächlich aus politischen Gründen in der Heimat bedroht ist, dieaber trotzdem kein Asyl bekommen. Für diejenigen, die genau deshalbhier in dem absolut unakzeptablen Zustand der Duldung leben müssen.Für diejenigen, die in Deutschland nicht arbeiten dürfen, hier aber bleibenmüssen, weil die Lufthansa nicht mehr nach Kolumbien fliegt und siedaher nicht abgeschoben werden können.Am Ende entschließt sich die schwangere Maria, nicht nach Kolumbienzurück zu fliegen, sondern als Illegale in den USA zu bleiben. Sie wirdwahrscheinlich als Näherin zum Mindestlohn oder als Hausmädchenarbeiten. Es ist ein Happy Ending. Und vielleicht schafft es »Maria llenaeres de Gracia«, dann doch den Blick auf illegale Immigranten zu ändern.Indem man an die Geschichten denkt, die sich hinter diesen Gesichternverbergen, wenn man ihnen auf der Straße begegnet. Kino kann dasnämlich. Und man mag mir jetzt den Vorwurf der Naivität machen, daFilme wie diese nur in Programmkinos laufen. Und meist nur Menscheneben diese Filme sehen, denen man das nicht mehr erzählen muss. Aberdie Hoffnung stirbt ja meistens leider zuletzt. J . W. H .27


»Abbildungsverhältnisse«28Im Gespräch mitHarun FarockiHARUN FAROCKI: Ich habe leider nicht studiert.Aber als Leute in den 60er/70er Jahrendie Filmkritik übernommen haben, die GruppeGansera oder Bitomski, Bühler und ich, wirwaren alle schwer links radikalisiert, hattenaber gleichzeitig das Gefühl, dass der Traditionsbruch, der generell in denpolitischen Gruppen gemacht wurde, völlig haltlos war. Dann wiederhielten wir »Harold & Maud« für den größten Film des Jahrtausends. Oderirgendeinen Fernsehfilm über Fabrikarbeiter. Während wir an allemanderen etwas auszusetzen hatten, was nicht in die Ideologie ging. Beimversuchten Traditionsbruch liegt die Schwierigkeit darin, das, was manwegschmeißt, durch etwas anderes zu ersetzen. Oder dafür eine neueTradition, oder besser: eine neue Begründung zu finden.Diese enge Vorstellung, dass man mit einem Satz von 20 Lebensregelneine Kultur begründet (was '68 so halbwegs gedacht wurde), das istnatürlich entsetzlich, falsche Kahlschlagsidee. Das haben wir ja irgendwiegeahnt, das es so nicht geht. Wir haben so ein bisschen gegen-stilisiertund standen auf den alten kinematographischen Errungenschaften derNouvelle Vague-Zeit; also z.B.: Die besten Filme sind im StudiosystemHollywoods gemacht worden. Bei den Amerikanern hat die Fabel eineMusikalität, die im Einklang mit der Bewegung der Figuren und mit demFluss der story-narration ist. Das schließt etwas ein, was man sehr, sehrschwer benennen kann. Rein konstruktivistisch kann man das nicht fassen.Zu akzeptieren, dass die Oper auch eine gültige Geschichtsbetrachtungist, obwohl der Historiker sagen würde: »Das stimmt nicht,das ist doch viel zu verdichtet«. Wir hatten uns darauf verlegt, diesesÜberkonstruierte des Storyfilms großartig zu finden ist, bestimmteStilisierungen und so. Bei mir ging das so weit, dass ich lange versuchte,nur den Raum zwischen den Figuren kompositorisch zu betrachtenund vollständig von den Charakteren abzusehen.Auch nachdem ich mich lange schon»Abbildungsverhältnisse« daran gewöhnt hatte, sowohl den Schatten desMikros und der Angel als auch ein Stativ imBild zu sehen, trotzdem noch zu sehen, was dortgemacht wurde. Dann gab ich mir als dritten Schritt Mühe, auch dasnicht mehr zu sehen. Wir machten dann Wetten »Das waren 21 Schnitte.«»Nein, nein, das waren 23«. Dann gingen wir wieder ins Kino und zähltennach, und keiner hatte gewonnen.Der Versuch, einen Formalismus an den Tag zu legen und von der Fabelabzusehen, hatte natürlich mit der Ideologiekritik zu tun. So hatte ja auchdie Filmkritik angefangen, dass sie Horkheimer, Adorno und Kracauernachdruckten – als Aufruf. Die wurden sozusagen als Banner hingestellt.Die Ideologiekritik war dann relativ schnell verbraucht. Man entdeckte ineinem Film nur noch das wieder, was man eh schon wusste: »Das entsprichtder folgenden Ideologie und das diese Person so und so handelt,das war dann dieses ideologische Modell und darum ist dieser Film nichtso toll.« Dagegen opponierten wir so stark, dass wir Ideologiekritikunmöglich fanden – was auch wieder nicht zu halten ist. Natürlich giltsie, in den Filmen sind ideologische Konstruktionen. Es stimmt, wennimmer Indianer fliehen und Frauen verhauen werden, dass der Film auseinem Geist des Indianerhauens und Frauenverjagens entspringt. Dasstimmt, das kann man nicht ändern. Nur so ist nicht das letzte Wort überJohn Ford gesprochen.Ich habe es jedenfalls geleugnet. Das hat auch mein Schreiben sehrerschwert. Mein Schreiben war immer eher Vorwort, Behauptung, Einordnungoder so etwas. Ich habe erst sehr viel später gelernt, dass zurIdeologiekritik eine Kenntnis der Ideologie und der Welt gehört – mit sovielen Rastern. Wenn man sich überlegt, was es für andere Konstruk-tionen gibt, in der Ethnographie z.B.: Beziehungen über das Storymomentund -konstruktion, was die alles bedeuten können und in welcherVielfalt die existieren können, dann kann das eine ganz reicheMethode sein.In den frühen 80ern war es dann halbwegs soweit, dass es mir so schien,dass ich auf den gegenwärtigen Film eingehen kann und nicht diese ganzenideologischen Vorgefechte machen musste (»Darüber darf man sonicht reden, um nicht mit dem und der Fraktion ein Bündnis einzugehen«).Das war dann aber auch schon fast des Ende der Zeitschrift.LEA HARTUNG: Würden sie sagen, das Ende der Filmkritik hatte damitzu tun, dass keine Empfehlungen für Filme ausgesprochen wurden?HARUN FAROCKI: Ja, wir haben diese Serviceleistung verweigert. Daslag auch an unserer Tiefenstruktur: Wenn wir einen aktuellen Film besprochenhaben, oder sogar Robert De Niro auf dem Cover hatten, dannhaben wir das Heft bestimmt zu spät ausgeliefert oder kein einziges Stückverkauft. Einmal hatten wir Glück, dass Rohmer vorne drauf war undgerade in Deutschland bekannt wurde, weil er gerade Die Marquise vonO. gemacht hatte. Da verkauften wir mal 100 Stück in einerBuchhandlung am Bahnhof Zoo – das war nur Zufall. Wir haben nie zuden anlaufenden Filmen geschrieben – das ist die Servicefunktion desFeuilleton. Wir setzten auf Autonomie. Nachträglich kann man sagen,dass die deutsche Filmkultur damals nicht stark genug war, um eineAbspaltung zu vertragen. Anders als in Frankreich, wo Traffic existierenkann. Dort schreiben auch ›cahiers‹ Autoren, ohne Bilder, es wird gänzlichauf die Autonomie des Nachdenkens gesetzt. Dafür waren die Kräftenicht da.STEPHAN BÜLOW: Und heute ist es so etwas noch weniger möglich?HARUN FAROCKI: Nein, ich denke mir, dass es heute Autoren gäbe –wie Michael Baute zum Beispiel. Damals kam der Film nur so imDeutschlehrer-Kontext vor: Heinrich Böll, Vergleich zwischen Buch undFilm. Dass der Film ein autonomes Fach geworden ist, mit allenEinflüssen drumrum, das ist erst ganz neu. In Frankreich und den USAgehört Film schon seit 30, 40 Jahren zum normalen Bildungskanon einesIntellektuellen. Das war damals in Deutschland nicht der Fall. Diemeisten Professoren hatten damals »Kinder des Olymp« als letzten Filmgesehen.TERESA URBAN: Eine handwerkliche Frage, die das Verhältnis vonKritik und Authentizität betrifft. Ken Loach sagte gerade in einerDiskussion, die Filmkritik müsse den Film in seinem gesellschaftlichenKontext stellen und ihn nach dem Kriterium beurteilen: Was habe ichüber die Welt gelernt? Was sind die Konsequenzen für mich?HARUN FAROCKI: Ken Loach, der glaubt ja, näher an der Wahrheit zusein, als z.B. Lola Montez.UTE HOLL: An der Realität sogar!HARUN FAROCKI: Ich möchte nur zu bedenken geben, damit man nichtselber ein Serviceunternehmen wird im Leben. Man kann auch Tolstoilesen; und natürlich soll man sich fragen, was man mit der religiösen,urchristlichen Verpflichtung zu tun hat, die da drin steckt. Aber manmuss ja nicht gleich aus jedem Buch gleich eine Lebenslehre ziehen – daswäre auch wieder eine Funktionalisierung. Man kann sich z.B. »PatGarrett and Billy the Kid« anschauen. Da sieht man einen Kampf zwischenzwei Leuten, die immer weiter ermüden, die werden immer lächerlicher,machen aber immer weiter. Diese Erfahrung ist tief, wenn ich diesehe. Aber »was soll ich daraus lernen?« Zu einem politisch-kulturellenUrteil gehört auch ein Repertoire an Bildung, Dinge, die man durchdachthat, scharf oder auch vieldeutig verschwommen zu verstehen versucht.29


»Abbildungsverhältnisse«30Das muss jedoch nicht immer gleich dazu führen, dass man sofort handelt.TERESA URBAN: Ich möchte die Filmkritik auch gerne davon frei sprechen.Man denke in diesem Zusammenhang an Quentin Tarantino – dassind keine sozialkritischen Filme nur ästhetische.HARUN FAROCKI: Doch, doch!TERESA URBAN: Nehmen wir Kill Bill. Wenn versuchen würde, den »imKontext« zu sehen: Gewalt, wie diskutieren wir Gewalt, da käme man hiernicht weit.HARUN FAROCKI: So nicht, man muss Geld und Gewalt neu bedenken.Überlegen, was das allgemeine Äquivalent ist, ob es eine symbolischeGewaltdeckung gibt. Ich glaube, dass Filme, wie der mit der Stewardess …ANTJE EHRMANN: Jackie BrownHARUN FAROCKI: … und Pulp Fiction, wie alle Gangsterfilm, unglaubliches o z i a l e Gegenwartsmodelle sind. Die handeln von Kooperationen undBündnissen. Adorno hat in der Dialektik der Aufklärung gesagt, dass das»racket«, die Gang, das Modell des Kapitalismus wird. Seitdem gilt das.Auch diese Mafia-Begeisterung in den USA … dass die Alkohol-Prohibitiondie Geburtsstunde der USA wären … nur weil man drei Tage denAlkohol abdreht, und schon hat man eine neue Gesellschaft. Und jetztauch mit den Drogen – eine neue, vitale Kapitalistenszene. Das ist dochunglaublich gegenwartsnah! Oder man kann es zumindest so sehen.TERESA URBAN: … aber das liegt doch nicht im Abbildungsverhältnis!Abbildungsverhältnis die Wahrheit suchen?UTE HOLL: Die Klassiker sind nie nur von einem Bild ausgegangen, sondernvon Beziehungen zwischen Strukturen. Und haben die Prioritätengesetzt, bei Balasz die visuelle Kultur, bei Kracauer die Ideologiekritik.Ein Problem, das wir bei Godard angetroffen haben, ist, dass dieseMedientransferanten (zwischen Bild und Schrift) oft von »Wahrheit« und»Schönheit« sprechen, die aber nicht im Abbildungsverhältnis zu findenist.NADIN HEER: Ken Loach und andere Filmkritiker haben sich auch gegendie manischen Verweise auf andere Filme in einer Filmkritik ausgesprochen.FAROCKI: Die sollen mal hier vorbei kommen…L.H./S.B.Aktuell. The Final Cut ist so ein Film, den man»unbedingt sehen muss«, wenn man im Kinovon seinem Trailer überrascht wird. Bis essoweit ist, freut man sich über jedes weitereMal, das man diesen Trailer zufällig zu sehenbekommt. Denn dieser Film hat etwas, was vielenanderen fehlt: eine verdammt gute Grundidee– Ein Chip, der, einer Videokamera gleich,jede Sekunde des Lebens seines Trägers audiovisuellaufzeichnet. Ein Mann, der diesen vorder Geburt implantierten Chip nach dem Toderhält, um ein ›Rememory‹, einen Film mit denschönsten Augenblicken der verstorbenenPerson, für deren Beerdigung zusammen zuschneiden. Eine postume Manipulation desLebens. Der Cutter als Weichzeichner. Interessant,neu, vielversprechend. Und gefährlich. Fürden Film. Denn eine neuartige Idee, insbesondereim Science-Fiction-Genre, führt zu einerhohen Zuschauererwartung und im selbenMaße häufig zu Uneindeutigkeiten oder garUnstimmigkeiten in der Umsetzung. So wirdbeispielsweise in »The Final Cut« mit demBegriff der Erinnerung jongliert. Aber das, wasThe Final CutRegie: Omar NaïmUSA 2003»Innere Kamera«das Zoë-Implantat vermag, ist keineswegs dasEinfangen der Erinnerung. Erinnerung ist subjektiv,häufig ungenau und selektiv. Der Chiphält jedoch die Vergangenheit fest, wie sie sichtatsächlich ereignet hat: objektiv, genau undlückenlos. Der Film zeigt deutlich, dass er sehrwohl um diesen prägnanten Unterschied weiß,nämlich, indem er zunächst die traumatischeKindheitserinnerung des Cutters Alan Hackmanverbildlicht, um diese später beim Zeigen dermit Hilfe eines Implantats festgehaltenen wahrenVergangenheit zu revidieren. Umso mehrmuss dieser sprachliche Fauxpas irritieren. DieVerwirrung steigert sich zudem, wenn Hackmanauf einer Beerdigung von dem Sohn des Verstorbenenauf die grüne Farbe eines in demzuvor gezeigten Film vorgekommen Bootesangesprochen wird. Als dieser meint, schwörenzu können, dass das Boot nicht grün, sondernrot gewesen sei, räumt Hackman ein, dass esmöglicherweise tatsächlich eine andere Farbegehabt habe. Aber wie ist das möglich, wenndas Implantat die objektive Wiedergabe derVergangenheit verspricht? Trotz derartiger Unstimmigkeitenund einer recht lieblos erzähltenLiebesgeschichte ist »The Final Cut« ke i nschlechter Film. Die unumgängliche Selbstreflexivität,einhergehend mit medialer Kritikund der Frage nach Moral, ist gut verarbeitet,regt zum Nachdenken an. Auch der visuellenMetaphorik verdankt der Film einige schöneMomente. Als sich Hackman und Delila nachihrer Versöhnung leidenschaftlich küssen,beobachtet der Protagonist dies parallel imSpiegel. Beruflich begibt er sich täglich auf eineReise in die Vergangenheit, so sehr, dass er esverlernt hat, im Jetzt zu leben, zu genießen.Selbst in einem Augenblick höchster Intensitätfixiert er das Virtuelle, anstatt sich im Aktuellenzu verlieren. Konsequenterweise erfährtder Zuschauer später, dass sich Hackmanzunächst in das Abbild Delilas, wenn man sowill, in ihre Vergangenheit verliebt hat. Sie war31HARUN FAROCKI: Nein, so nicht. Das ist das Problem: Soll man im


»Innere Kamera«»Innere Kamera«32die Freundin und damit gleichsam ein bedeutsamerTeil der Vergangenheit eines Zoë-Implantat-Besitzersgewesen, dessen RememoryHackman nach dessen Tod angefertigt hatte.Die Metapher des Spiegels wird wieder aufgegriffen,nachdem Hackman erfahren hat, dassauch er ein Zoë-Implantat besitzt. Um all dieunschönen Seiten, die dieser Umstand mit sichbringt, wissend, zerschlägt er verzweifelt undwutentbrannt den Spiegel, in dem er sein virtuellesBild erblickt. Als könne er den Menschenzerstören, der er bislang gewesen ist. N.H.Vergessen vergessen.{GEBURT}Science-Fiction beeindruckt dann besonders,wenn die dargestellte Welt fremd und doch vertrautist. Die meisten Menschen der multimedialenGesellschaft erleben ihr eigenes Leben oftselber wie einen Film, was an den drei StundenFernsehen liegen könnte, mit denen derDurchschnittsbürger sich täglich berieseln lässt.{PUBERTÄT}Wenn wir nun unser Leben ohne es zu merkendigital aufzeichnen könnten, käme das Konzeptdazu sicher aus den U.S.A. Ein netter Lebensfilmfür die Urenkel wäre allerdings nicht nurteuer, sondern hätte auch noch ein paar Risikenund Nebenwirkungen, mit denen sich OmarNaïms Film auseinander zu setzen versucht.{COLLEGE}Kopf-Implantate zeichnen alles, dem die Laiendarstellerin ihren gewöhnlichen Leben bis zumTode so begegnen, auf.{HEIRAT}Der »Final Cut« findet nach ihrem Ableben stattund kann nur von diskreten Spezialisten vorgenommenwerden. Einer dieser wenigen Cutter,die Lebensfilme präparieren, ist Alan Hackman(Robin Williams). Die Technik der Zukunft präsentiertsich in der U.S.- Produktion ausgesprochendezent. Sie wirkt eher analog als digital.Die mitwachsenden Chip-Implantate werdennach dem Tod mit einem Computer bearbeitet,der sich unter einer seriösen Massivholzverkleidungverbirgt. Wenn Hackman sich durchdas Computermenü bewegt, findet das fast tänzerischmit Kugeln statt, die dezent ins Holzeingelassen sind. Die frappierende Ähnlichkeitder Ausstattung mit dem Interieur einesBestattungsinstitutes wirkt bewußt gewählt.{VORSTADT-HÄUSCHEN}Der verzweifelte Versuch Alan Hackmans, eineSequenz aus seinem eigenen Leben auszublenden,missrät. Was er als kleiner Junge getan hat,ist nicht nur ins Gedächtnis gebrannt, sondernauch auf dem eigenen Implantat aufgezeichnet,das er zur eigenen Überraschung in sich trägt.Um Informationen über sein und über andereImplantate zu erhalten, durchwühlt er dasgigantische Archiv des Implantat-Herstellers.Auch diese überdimensionale Kundenkartei derFirma »EYE- Tech« ist erstaunlich analog.{KINDER}Der Film integriert die zunächst unerkannteAufzeichnung von Hackmans Leben in dieDiegese. So beginnt er mit einer wackeligenGeburt aus der Sicht eines Babys, die man erstspäter dem Protagonisten zuordnen kann.Hackman ist kein gefährlicher Hacker, doch ergerät zwischen die Fronten und wird sowohlseinen ehemaligen Arbeitgebern als auch denImplantatgegnern zum Dorn im Auge. Schließlichmuss er, wie könnte es anders sein, wegenden verhängnisvollen Informationen, die aufseinem Implantat gespeichert sind, sterben.Vorher hat er noch das Lieben gelernt, das solltereichen.{RENTE}Der Film selber ist eine beschnittene Fantasie.Er verzettelt sich in Szenarien, die überflüssigsind und blendet wesentliche Gebiete der neuenTechnik aus. Niedliche Schafherden sind beispielsweiseProdukte von defekten Implantaten,die auch Träume der Träger in Bildform aufzeichnen.Unbeachtet dagegen bleibt der kriminologischeGe- und Missbrauch der Technik. Hackmansblonde Freundin erfährt den großen Lauschangriffan der eigenen Person. Aus Wut zerhacktsie Hackmans Computer, was ihrer blassenRolle eine gewisse Relevanz gibt.{ENKEL}Bei intensiver Betrachtung des Problems derinneren Kamera gerät die äußere Kamera inangenehme Vergessenheit. Die Kinozuschauerkönnen also ungehemmt ihrem Voyeurismusfröhnen. Denn eigentlich interessiert uns doch,was ausgeklammert wird. Die Frage, wasAmerikaner und viele andere Menschen inihrem Film zeigen, lässt sich hier zwischen dieZeilen schieben, ohne dass es stört. Aber das,was jeder für sich verschweigt, ist bei weitemnicht filmreif.K.K.33


»Verderben und Schicksal und Glück und Süße.«34»Verderben und Schicksal und Glück und Süße …«Russland quer in Halbhöhe. Sie laufen über Felder. Großer Vater, kleiner Sohn. Nichts weiterdabei als einen Rucksack und kein Geld. Auf dem Weg von Moskau zum Schwarzen Meer. NachKoktebel. Zur Tante.Im Bild der grüne Rucksack des Vaters. Man hört die Schritte, man sieht das Wanken des Körpersaus der Sicht des hinterherlaufenden Jungen. Sie erleben viel bei ihrer Reise. Treffen die verschiedenstenGestalten, fahren im Güterzug mit, klauen Äpfel. Werden vonKoktebeleinem Bahnmitarbeiter für ein paar Tage aufgenommen. Der VaterRegie: Boris Chlebnikow frönt mit anfänglichem Widerwillen Zigaretten und Wodka. DerRussland 2003 Junge macht seine eigenen Erfahrungen. Die Kamera begibt sich aufseine Blickebene. Nähert sich einem Klohäuschen, langsam, vorsichtig,schrittgleich wankend. Im Baum neben dem Häuschen hängt, einem Ufo gleich, ein blickenderKassettenrekorder. Die Musik wird, je näher er kommt, aggressiver. Als er die Klinke fast berührenkann, öffnet sich abrupt die Tür und ein burschikoses Mädchen tritt heraus. Im Laden trifft er siewieder. Ihr Hinterkopf in Großaufnahme. Er steht so dicht, dass man die schwarzen Haare einzelnzählen könnte. Später rauchen sie dann gemeinsam.Doch Vater und Sohn ziehen weiter. Der Vater wird angeschossen, sie finden Hilfe und Unterkunftbei einer Ärztin. Der Vater verliebt sich, der Junge fühlt sich einsam, drängt darauf, dass sie ihreReise fortsetzen. Er beschließt, ohne seinen Vater weiter zu gehen. Erreicht Koktebel, aber die Tanteist nicht mehr da. Durch die Kamera erfährt man hier, dass der Junge im Fokus der Geschichtesteht. Es ist seine Reise. Ganz nebenbei kann man dabei einen Blick auf die russische Landbevölkerungwerfen. Auf die Armut, auf die Lebensweise und auf die Probleme, die der Alkoholkonsumbringt. Am Ende erhebt sie sich die Kamera über das Geschehen, über den Jungen. Draufsicht. Ersitzt alleine auf einem Betonsteg am Wasser. Man sieht einen Mann kommen, weiß nicht, wer erist. Die Halbtotale von vorn bringt die optische Klarheit und das Ende des Films.C.W.Leiser Napoleon. Es gibt den Unterschied zwischen ›eine Geschichteerzählen‹ und ›sie verkörpern‹. Dieser Satz von Dominique Cabrera bleibtin meinem Gedächtnis. Die Regisseurin möchte ihren Film als ein Freskoverstanden wissen, das die verschiedenen Farben des Lebens in sich trägt,von den Farben der Erde bis zu der Farbe der Knochen.»Folle embellie« beginnt mit einer Detonation. Der 2. Weltkrieg erreichtdie Mauern einer Nervenklinik in Frankreich. Das Tor steht offenund einige Patienten nutzen die Gunst der Stunde. Sie begleiten Folle embellieeinen Flüchtlingsstrom bis ablehnende Worte und Gesten sie vertreiben.Alida und ihr Sohn Julien treibt der Hunger zu einemBootsmann, der Fische so klein wie Sprotten in einer Pfanne brät. 2003Er spannt ihre zwei Pferde vor das Schiff und nachts benutzt erAlidas Körper. Tage später entdeckt sie ihren Mann, der eine Gruppe ehemaligerPatienten anführt. Mit zackigen Worten und großer Geste hält erGericht. Setzt sich jedoch der Gerechtigkeitssinn der Anderen durch, wirdNapoleon leise. Nah und doch fern des Kriegeslauschen wir ihrer schizophrenenSprache wunderbar entrückter Bilder. Die Seele kommt in einMarmeladenglas. Beim Öffnen entweicht ein warmes Licht, das flackerndtanzt wie Glühwürmchen. Nach Dominique Cabreras Worten sei in diesemMoment ein weißer Schmetterling aus dem Wald geflogen.W.B.Wenn alles verrückt spielt. Was ist verrückt und was normal? Spieltedie Welt verrückt, etwa als die deutsche Armee Frankreich 1940 überrannte?,so kann diese Unterscheidung schon mal fraglich werden.Zwischenräume tun sich auf, die die Grenzen verschwimmen lassen.Dominique Cabrera beginnt den Film mit schönen, grünen Luftauf-nahmen vom Flusslauf der Loire, hier Sinnbild der Natur, dem schlechthinNatürlichen. In der nächsten Einstellung sehen wir einen von einerBombe zerstörten Dorfplatz, verstört herumirrende Menschen auf derFlucht. Krieg. Geflohen sind auch die Betreuer eines Irrenhauses, diePatienten ihrem Wahn und ihrer Panik überlassen, das Tor offen: dieGrenze zwischen »normal« und »verrückt« durchlässig. Zaghaft schließensich einige dem Zug der fliehenden Menschen an, und niemandstört sich daran. Wo vielen Leben ein Ende gesetztwird, fängt für diese Gruppe in diesem Wahn nun ein Lebenan: ein Versuch in Freiheit. Sie laufen hinaus in die Natur,immer entlang am Wasser. Im Angesicht des Krieges wirkthier alles lebendiger: Blätter, Käfer, das Geräusch desWindes, das Wasser, der Wald und seine verschiedenen Geräusche. DieNatur besitzt in der Wahrnehmung der Entlaufenen eine fremde undgeheimnisvolle Poesie, etwa wenn ihr Anführer Fernand in seinerParanoia Pflanzen wachsen sieht, oder majestätisch über die Wipfel derBäume schreitet. Dennoch ist der Tod allgegenwärtig, in ebenso vielenFacetten wie die Natur: ob als ferner Kanonendonner, als rauchendesSchlachtfeld voller toter Soldaten und dem surrenden Geräusch derFliegen oder als stummer Kadaver am Wegesrand. Auch innerhalb derGruppe findet er seine Formen: ob Selbstmord oder Pilzvergiftung. DiesGrauen wird durch die bedächtige, unschuldig-gleichgültigeWahrnehmung der »Irren« jedoch immerzu relativiert. Es wird einfachakzeptiert ohne Fragen zu stellen, ohne darüber nachzudenken, ob dasLeben nicht anders sein könnte als es ist.J.W.Regie: Dominique CabreraFrankreich/Belgien/Kanada35


»Verderben und Schicksal und Glück und Süße.«»Verderben und Schicksal und Glück und Süße.«36Ein Film, den keiner vermisst hätte. Schöner Indianer – guter Indianer.Häßlicher Indianer – böser Indianer. So einfach hat es sich noch nichtmal der gute alte Karl May seinerzeit gemacht, an den man sich aber dennochbei soviel überholter schwarz- oder besser rot-weiß-Malerei zuweilenerinnert fühlt. Nicht nur, daß die minderwertigenThe Missing Rothäute offenbar nichts besseres zu tun haben, alsRegie: Ron Howard schönen weißen Frauen den Liebhaber zu meucheln,USA 2003um sie dann mit Hilfe ihrer übersinnlichen Kräfte intödliche Fieberzustände zu befördern; sie sind generellvollkommen verrohte, unmenschliche, blutrünstige Wesen, die meistnur gut sind, wenn sie tot sind. Wenige Ausnahmen bestätigen die Regelund diese Ausnahmen gehören darüber hinaus einem Stamm an, der jahrelangeinen Weißen beherbergt hat, und dadurch quasi »zivilisiert«wurde. Nur aus diesem Grund sind sie dazu bereit den Weißen zu helfenihre [dämliche] Tochter aus den Händen der bösen Indianer zu befreien.R.U.Milieu gefiltert. Die Kamera weicht zurück, in »Svjedoci«/ Die ZeugenVorwegnahme dessen was dann geschieht. Wie Regie: Vinko Bresanum Distanz zu gewinnen, fährt sie zurück und Kroatien 2003will den Straßenrand an der Seite des Hausesunserem Blick entrücken. Doch noch während sie zurückfährt, kommt dasAuto unweigerlich näher. Für einen Moment hat es dieselbe Geschwindigkeitwie die flüchtende Kamera. Die ergibt sich schließlich und bleibtstehen. Das Auto fährt heran, parkt und die drei Kroaten steigen aus. DerSerbe im Haus stirbt.Wir befinden uns in einem Universum von neongrün. Alles ist neongrün.Es verbreitet eine erstickende Schwere, ein Gefühl zwischen Festgefahrenheitund Hoffnungslosigkeit. Das Grelle des neongrün taucht allesin Unwirklichkeit. Es gibt keine Hoffnung auf Veränderung, hier herrschtneongrün. Die Parodie auf die Farbe grün, die Farbe der Hoffnung. Hierglühen selbst die Röntgenbilder im gleißendenNeonlicht. Es ätzt sich ein in die Leinwand undwird bis zum Ende des Films von dieser nichtabzukratzen sein. So wie das Klima der Angst,sich in dieser kleinen Grenzstadt festbeißt, sozieht sich das Neongrün wie ein Signal durchden Film: Hier kann nichts Gesundes gedeihen.Handlungen bleiben hier folgenlos, weil nichtswirklich ist. Schweigend hütet jeder seinGeheimnis, das ihn vergiftet.Vereinzelt ein Blau, ein fast kitschigesHimmelblau. Doch hat es hier keine Chance.Man kann dessen Existenz hier am Ort nichtleugnen, deplatziert wie es ist. Der Maler hatsich geirrt und zuviel Deckweiß verwendet,wohlwissend, hier kann nichts mehr überdecktwerden. Neongrün ätzt sich in jede Pore, verseuchtdie Atmosphäre in dieser Kleinstadt, dievon normalen Verhältnissen weit entfernt ist.Sicher der Hund hat eine babyblaue Schleifeum. Und wir kommen mal an einem himmelblauenHaus vorbei und die Polizeiwagen sindblau. Doch dieses merkwürdige Blau verweistnur noch schwach darauf, dass es einmal etwasanderes gab. Eine himmelblaue Polizei hat nurwenig Macht in Kriegszeiten, in denen Mörderlieber ins Feld geschickt werden. Himmelblauist nur der Überrest, der Signifikant, deranzeigt, es war einmal anders.Es ist einfach alles grün, es gibt nur neongrün.Es ätzt sich in das Gesicht der Mutter, derenältester Sohn zum Mörder geworden ist. Danngeht die Neonlampe aus. Ihr Gesicht wird aschfahl.Leichenblässe.Das goldfarbige Bier, dass die drei Brüder trinken,leuchtet neongrün. Sie tragen Kleidung, inolivgrün. Dies verschafft uns keinerlei Erleichterung,es ähnelt zu sehr dem neongrün, esfällt nicht ins Gewicht. Das Grün des Billardfeldesimitiert bloß Baumgrün. Es ist Teil derSphäre Taktik, des Kräftemessens. Man siehtimmer nur neongrün. Dunkles bleibt imDunklen und auf die vereinzelten hellenFlecken legt sich neongrün. Was hell schimmernkönnte, wird neongrün.Dankbar folgen wir der Kamera aufs Land inErwartung des Anblicks grüner Wiesen. Zwarsehen wir grüne Wiesen, aber durchzogen mitolivgrünen Männern in olivfarbenen Autos, mitolivgrünen Gedanken. Wir begleiten dieMänner in ihrem tarnfarbenem Militärwagenund fahren vorbei an ockerfarbenen Häusernmit einem Stich ins Grüne.Irgendwann beginnt es zu dämmern. Nicht inNeongrün.K.R.Junge Zuneigung. Man könnte schreiben: DieBeziehungsgeschichte zwischen der jungenArbeiterin einer Fleischfabrik und dem selbstverliebtenTurmspringerbewegt sich innerhalb Blindtypischer Rollenklischees.Man könnte Deutschland 2003Regie: Saskia Jellschreiben: Die etwasschüchterne Schönheit des zweiten Blicks verliebtsich in einen gutaussehenden und selbstbewußtenMann, der ihre Unsicherheit ausn u t z t .Blind wäre dann: blindes Verlieben + blindesVertrauen = spätes und abruptes Aufwachen. Eswäre richtig und doch falsch. Wertet man dieleisen Szenen und setzt sie zu einer Handlungzusammen, beschreibt das Wort blind denZustand junger Zuneigung mit wenigBeziehungserfahrung. Dennoch, Saskia JellsKurzfilm will zuviel und nimmt sich zu wenigZeit dafür. Kräftige Farben und emotionalgesetztes Licht wirken nur bedingt, wenn diestereotype Erzählung in grob geschnittene, fastabgeschnitten wirkende Minihandlungen geteiltwird. Eine Szene unterbricht die bekannte Folgezwischen Plattenbausiedlung und Happy EndRichtung Berlin. Renas Intimrasur läßt ihre einseitigeLiebe zu Torben scheitern. Wie einfühlendund bewegend Noa Lucas diese schwierigeSzene spielt, hat meine Bewunderung. W.B.Lyrisch. Es gibt zwei Sorten von Menschen.Liebende und Geliebte. Weinende und Lachende.Günther weint, Hans lacht. Höhnisch ist es, diesesLachen. Überlegen und herausfordernd. Einelaute Geste. Dagegen das Weinen, das wederJammern ist noch Schluchzen. Es ist dieschweigende Geste größter Trauer, die keineBefreiung kennt. Zweivielleicht drei Tränenrinnen aus den AugenGünthers, die starr insWas nützt die Liebe inGedankenRegie: Achim von BorriesNichts zu blicke n Deutschland 2003scheinen. Die Tränenals einzige Bewegung in einem Gesicht, dessenZüge den Ausdruck des Inneren verwehren. Essind ton-, farb- und schwerelose Zeugen einesumso schwereren Moments, der die Zukunftnicht kennt, die Vergangenheit ersehnt und dieGegenwart ertragen muss.N.H.37


»Verderben und Schicksal und Glück und Süße.«»Verderben und Schicksal und Glück und Süße.«38Blickmaschine. Ein nackter Körper und einLächeln. Vielversprechend? In dem dänischenDogma-Film »Forbrydelser« prallen sie dissonantaufeinander. Katekommt im Gefängnis Forbrydelseran. Das erste Bild hinterden Mauern: Sie Dänemark 2003Regie: Annette K. Olesenzieht sich wieder an.Der Raum ist karg und weiß. Vor diesemHintergrund erscheint ihr nackter Körper hässlich.Ihr gegenüber steht eine Gefängnisbeamtinin ihrer Uniform und lächelt sie an. DiesesLächeln ist so schief! Asymmetrisch wie dieBeziehung dieser beiden Frauen, von deneneine eingesperrt ist und die andere sie bewacht.Kates Bestrafung liegt in dem Entzug vonRechten. In dieser Szene wird sie des Rechts aufIntimsphäre beraubt. Das Lächeln und dieNacktheit entfalten vor unseren Augen dieMachtstruktur in einem Gefängnis. Anstatt denKörper zu martern, wird der Körper in eineBlickmaschine eingespannt. Sie ist als Beherrschungsinstrumenteffektiver als die körperlicheZüchtigung, denn sie benötigt ke i n eSadisten, sondern einfach jemanden, der an derrichtigen Stelle steht und beobachtet und einenzweiten, der sich beobachtet fühlt. Kate kenntdie Prozeduren und fügt sich ihnen. Nicht einmaldie Androhung von Gewalt ist nötig, damitsie gehorcht. Nur ein Blick.L.H.Der Spiegel weint. »Mitfahrer« war der diesjährigeEröffnungsfilm der Reihe: Perspektivedeutscher Film. Ein kurzatmiger Episodenfilm.Drei flüchtige Begegnung auf Mitfahrerdem Weg nach Berlin. Drei sanft ineinanderverwobene Geschichten. DreiAutos und ihre Fahrer, ihre Wege undihre Mitfahrer.Loubelle flüchtet in die Parkplatztoilette. Siezieht sich zurück um alleine zu sein. Sie erträgtdie Nähe im Auto nicht mehr. Ihre stichelndeTochter Rosa. Der Anhalter Sylvester. Sie mussweinen. Doch die Kamera zeigt uns keine direkteNahaufnahme von ihr wie sie weint. Sonderneine Nahaufnahme von ihr im nass gespritztenToilettenspiegel. Wir sehen, sie weint. Abereigentlich weint auch der Spiegel. Das Abbild,die Oberfläche.Die Mitfahrgelegenheit, ein soziologischer wiepsychologischer Feldversuch. Der Fahrer sammeltseine Begleitung auf, man stellt sich vor,kommt ins Gespräch oder ins Monologisierenoder ins Schweigen. Die Fahrt ist ein Theaterstückfür Laiendarsteller. Das Auto, die Raststätte,die Tankstelle, der Kiosk sind die Bühnen.Der Nicht-Ort Autobahn wird zur Bühne. EinKammerspiel zwischen Offenheit und Ve r-schlossenheit.Fein ist die Betrachtung der Charaktere,wie sie vorgeben etwas zu sein, versuchensich zurückzuziehen. Wenigesind offen und ehrlich in dieser Konstellation.Man versucht nur das preiszugeben,von dem man will das es an der O b e r f l ä c h eliegt. Die Begegnungen in »Mitfahrer« pendelnzwischen schicksalhaft und beiläufig. Wie sichdie Charaktere zwischen den Orten befindenund finden, zwischen Sein und Sein-wollen, istauch die Geschichte jedes Einzelnen zwischendem Geschehen auf den jeweiligen Bühnen,zwischen den Zeilen. Das Pendel dazwischen.Zwischen den Orten. Zwischen dem Sein.Zwischen den Erwartungen. Die Figuren pendelnzwischen ihrem Innen und Aussen, ihrenAnsprüchen und dem Bild, das sie von sich vermittelnwollen. Sie bewegen sich. Entwickelnsich. Bis sie einen Punkt erreichen, derVeränderungen andeutet. Diese werden wennRegie: Nicolai AlbrechtDeutschland 2003dann an einem Ort stattfinden. Zuhause vielleicht.T.F.Fixstern. Ein Stolpern durch eine Nacht, in derSterne schöner als Poeten dichten. Dichten einebittersüße Melancholieauf seine Lippen,Der TypRegie: Patrick Tauss die am Whiskey klebenwie an Mutter-Deutschland 2003milch, die in einemunermüdlichen Fluss, der Nacht ein Gewandweben, ein Gewand aus Worten, in was sie sichkleiden, die Nachtgestalten, die Treibenden undGetriebenen. Die Schlaflosen und Erwachten,die Schläfer und Verschlafenen. Die Zaubererund Verzauberten dieses Großstadtmärchens.Die Hexen, Feen, Kobolde und Taugenichtse. Erdichtet ihnen ein Melodie, die sie trägt undtreibt in die Arme aus Verderben und Schicksalund Glück und Süße.Ein Stolpern gleich einer Marionette mit losenFäden, als sei er eingenickt, der Puppenspielerin seiner Himmelskammer, da in diesenStunden zwischen Mitternacht und Morgengrauen.Als hat er ihn vergessen, den Typ, derda unten auf kaltem Asphalt wankt. Der nachTag lechzt, mit einer Sehnsucht im Blick, dieallen Durst der Welt vereint. Der sich fallenlässt mit ausgestreckten Armen in die Launender Welt, in den Spieltrieb einer Nacht, in dieGesichter und Gestalten der Stadt. Ein Typ wieein Pingpongball, hin und her geschubst, taumelnd– ein Suff, der aussieht wie ein Lebenszustand.Wankend auf diesem Seil, das amHimmel klebt.Ein Stolpern zwischen Zeitlupe und Plötzlichkeit.Zwischen Gestern und Morgen. In denAugen leuchtet ein Fixstern der Leere den Weg.Auf den Lippen ruht die Wahrheit der Ironie. Inseinen Ader fließt die Dramaturgie einer längstvergessenen Poesie.S.R.39


»Verderben und Schicksal und Glück und Süße.«»Verderben und Schicksal und Glück und Süße.«40Im Visier. Die Großaufnahme zeigt uns dieDinge so, wie sie sind. Sie läßt die Handlung füreinen Moment erstarren und enthebt die Dingeaus Zusammenhängen. Sie läßt sie ganz undgar zu sich selbst kommen. In BeautifulCountry zeigt uns die Großaufnahme nicht nurdie Welt der Dinge, sondern auch die Weise, aufdie sich Binh diese Welt erschließt. Binh ist einAusgestoßener. Als Sohn eines amerikanischenBesetzungssoldaten und einer Vietnamesinist er in seinem Land weniger wert als Beautiful CountryStaub. Sein Blick ist nach unten gerichtet,sein ganzer Körper ist zum Boden Norwegen / USA 2003Regie: Hans Petter Molandgesenkt. Selbst wenn er durch dieStraßen geht, ein Riese gegen die Anderen,blickt er stets nach unten. Dabei entsteht nichtder Eindruck, er schaue auf die Köpfe derMenschen, sondern viel tiefer. Binhs Blick fängtFüße ein. Im Haus, in dem seine Mutter arbeitet,sehen wir Füße und Binhs Gesicht, daß denZwitterbilder.Boden fast berührt. Demut, G e r i n g s c h ä t z u n g ,das läßt uns die Großaufnahme spüren. AuchBinhs Gedanken sind auf Füße ausgerichtet,denn das Einzige, was er über seinen Vaterweiß, ist, daß der große Füße hatte und ausTexas kam.Sobald Binh Vietnam verläßt, um seinen Vaterzu suchen, richtet sich sein Blick auf. Er willsein Schicksal ergreifen, die Welt neu entdecke n .Auf seiner Reise legt er sein Gesicht oft in dieHände anderer. Er blickt nicht mehr starr zumBoden, sondern nährt sich den Anderen durchBerührungen. Die Hände, die Binhs Gesichthalten, sind dabei auf der Höhe der Körpermitte.In Amerika angekommen, richtet er sich völligauf. Er schaut in zahlreiche Gesichter, zahlreicheAugen. Die Großaufnahme fängt dieseMomente, in denen sich die Blicke begegnenein. Der Gedanke, der Binh so weit gebrachthat, war die Suche nach seinemVater. Als er am Ende dieser Reisea n kommt, blickt Binh geradeaus indie Augen seines Vaters, doch derkann das nicht erwidern. Der Kreisschließt sich. Der blinde Vater hat Binh gerufen,um sich von ihm führen zu lassen.Beautiful Boxer ist ein Filmüber eine Entscheidung. Nong Toom muß sichentscheiden, ob er Mann oder Frau sein will.Die Bilder zeigen deshalb einen doppeltenNong Toom, den jungen Kämpferund das junge Mädchen mit der Blumeim Haar. Immer wieder taucht dasMädchen auf, um ihn zu ermahnen, sichzu entscheiden. Nong Toom folgt ihr. Er beginntzu kämpfen, um endlich zur Frau werdenzu können. Seine Entscheidung ist getroffen,nun muß er sie durchsetzen. Während seinesletzten gezeigten Ringkampfs verläßt der JungeNong Toom die Szenerie. Er wird nie wiederkehren,denn die Entscheidung betrifft seineScheidung.Während sich die Story linear und pointiertentwickelt, nimmt sich Ekachai Uekrongthamdie Freiheit, auf visueller Ebene keineswegs eineEntscheidung zu fällen. Inhaltlich baut er dasGegensatzpaar männlich – weiblich auf undinszeniert es eindeutig als Junge – Mädchen.Bildersprachlich schafft es Ekachai Uekrongtham,Gegensätze aufzubauen, die ein Spannungsgefügeentstehen lassen, daß bis zum Endeerhalten bleibt und den besonderen Reiz desFilms ausmacht. Er kombiniert scheinbarUnvereinbares. Er inszeniert Kickboxing undTanz gemeinsam, läßt beide Bewegungen verschmelzen.Er verknüpft muskelbetonte Körperinszenierungund fragmentarisierte Attributeder Weiblichkeit. Beide Körperinszenierungenstellen dabei ein Fetisch dar. Genüßlich setzt erein Spektakel der Zur-Schau-Stellung ins Bild. Die zeitgedehntenEinstellungen, die dieKämpfer im Ring zeigen, werdenimmer wieder gegengeschnittenmit isolierten Bildern von Blüten, Gemüse,roten Lippen und femininen Gesten. Das Bildwird in diesen Momenten zweidimensional.T.U.Beautiful BoxerRegie: Ekachai UekrongthamThailand 2003Schon mal bei Rot über die Ampel gegangen?MuxmäuschenstillRegie: Marcus MittermeierDeutschland 2003Herr MuxEin blinder EngelEin antiquierter Papa für JedermannEin Fanat des sauberen BürgersteigsEin Philosoph des AlltagsEin SelbstjuristEin Träumer vom bakterienfreien ArmageddonEin ethischer ChaotEin Spüli-SüchtigerEin heiliger Jünger der gesellschaftlichen VerantwortungEin PedantEin KümmelspalterEin Peiniger im Namen des AnstandsUnser großer Bruder, der sich zur Weltpolizei erhebtZum personalisierten Richter und Henker der schlechten SitteEiner der nach dem Fixstern sucht in seiner kathartischen GalaxieNach der Ikone der Reinheit und UnschuldHerr Mux hat ein MäuschenIn seiner Tasche sitzenDamit zielt er ebenso schnell wie mit den Houllebecq-ZitatenUm die schlechte Welt zu verbessernManchmal ist sein Mäuschen nicht geladenDie Zitate dafür umso mehrManchmal dochDann streift sich unser Jesus ein Satansgewand überZum guten Zweck versteht sichUnd sieht zudem noch sehr bemitleidenswert ausWenn er abdrückt, abdrücken mussEs ist nicht einfach ein Weltverbesserer zu seinHerr Mux ist gar nicht stillHerr Mux amüsiert uns sehrUnd blicken wir in sein Gesicht springt unsEine Woge der Ironie entgegenDoch Herr Mux macht keine WitzeDas wissen wir baldUnd die, deren Gesicht er in die noch warme Hundekacke drücktWissen dies spätestens dann auchHerr Mux ist eine Art Superlativ der Cleanex-FanatikerEin militanter Meister PropperEin Gott der OrdnungHier unter uns auf ErdenEin Gott der Verantwortung, der NächstenliebeHerr Mux, wir mögen ihn sehrNur schade, dass man ihn nicht anders verstummen lassen kannAußer ihn vor ein 200 km/h schnelles Auto zu stellenDa weiß selbst Herr Mux nichts darauf zu sagenS.R.41


»Der Mut nicht zu schneiden«42Dieses Jahr in CzernowitzRegie: Volker KoeppDeutschland 2003Gedenken nicht schneiden. Das alte Czernowitz in der ukrainischrumänischenBukowina existiert nicht mehr, seit die Nazis zwei Drittelder 150 000 Einwohner umgebracht haben. Die Überlebenden haben sichin die ganze Welt zerstreut. Und die Kinder der Czernowitzer wachsen mitden Legenden über diesen märchenhaften Ort auf. Die Tochter vonEdouard Weissmann erinnert sich, dass Czernowitz in ihrem Kopfschwarz-weiß aussah. Nur über einige Fotos und die vielen Erzählungenexistiere Czernowitz als imaginärer Ort und kulturelle Konstante in ihremKopf, bevor sie dort gewesen sei.Als Zuschauer durchleben wir einen analogen Prozess, denn auch derFilm lässt uns erst eine Dreiviertelstunde den Zeugnissen derCzernowitzer in der Diaspora zuhören, bevor er sich mit ihnen auf eineReise in das reale Czernowitz begibt.Diese Sehnsucht nach einem endgültig verlorenen Ort – und die bildschaffendeKraft, die mit ihr verbunden ist – erinnern mich an dieArbeiten des amerikanischen Computer-Forschers Henry Fuchs, der ineinem Dokumentarfilm von Ute Holl auftaucht. Eigentlich befasst er sichmit ›Medical Image Display‹, sein leidenschaftlichstes Projekt ist jedocheine täuschend echte Projektion des Marktplatzes der ungarischen Heimat»Der Mut nicht zu schneiden«seiner jüdischen Eltern. Heute ist Edouard Weissmann Cellist imDeutschen Symphonie Orchester. Damals konnten sich seine Eltern ausCzernowitz retten. Seine Großmutter nicht. Im Film steht er in der verschneitenCzernowitzer Straße vor ihrem ehemaligen Haus. Die kleinenZettel in seiner Hand zittern, als er zu erzählen beginnt. Plötzlich wird erdurch das Aufheulen eines Motors unterbrochen. Von links kommt eineAbgaswolke aus einer Toreinfahrt. Irritiert dreht Weissmann sich um, dasAuto stößt hinter ihm zurück, um anschließend laut knatternd davon zufahren. Erst dann kann Weissmann weiterberichten, wie die alte Frau ausdem Ort getrieben und an der Brücke erschossen wurde.Andere Dokumentarfilmer hätten die Störung durch das Auto vielleichtrausgeschnitten - aus Angst, sie könne die Eindringlichkeit der Erzählungschmälern. Doch Volker Koepp belässt alles wie es ist – und verleiht demZeugnis dadurch umso mehr Authentizität. Gerade weil uns keine tempelhafteRuhe zum Eingedenken gegönnt wird, gerade weil die Banalitätdes Alltags einbricht, wird das Erinnern als besonders schmerzhafterfahrbar. Unvermittelt spürt man, was es bedeutet, dieser Familiengeschichtein einer Welt zu gedenken, wo Alltag unbekümmert abrolltund Czernowitz wieder malerisch im Schnee daliegt.Dieser Mut, nicht zu schneiden, scheint ein Koeppsches Prinzip zu sein.Harvey Keitels Handy klingelt, als er eine großeRede über die Bedeutung der jüdischen Kulturin den USA schwingt. Die Kamera weiterfilmenzu lassen, wenn die eigentliche Szene schon imKasten ist, scheint ein anderes Prinzip zu sein.So fängt er das Lächeln des 80-jährigenTischlers aus Czernowitz ein. Oder er dokumetiertKeitels Frage in die Kamera, ob seinAuftritt »Okay?« gewesen sei.L.H.Das Land, das es nicht gibt. InszenierteBildeinstellungen einer spröden Kamera stellenuns eine Familie vor. Wenn sich anfangs dreiFrauengenerationen auf dem Sofa drapieren,rückt die älteste in den Focus. Ihre schmalenLippen formen Worte, die selbstbewusst ausdem überschminkten Mund quellen. Unbeholfenwerden Fotos in die Kamera gehalten.Ein Cellist aus Berlin, ein Schauspieler und einSchriftsteller aus New York, zwei Schwesternaus Berlin und viele andere Menschen verbindeteines. Obwohl sie überall auf der Welt leben,unterschiedlichste Schicksale haben, lebt inihnen die Erinnerung an Czernowitz.Was heute eine entlegene Stadt in der MitteEuropas ist, war einst eine jüdische Metropole,in der unterschiedliche Kulturen, Sprachen undNationen in Frieden miteinander lebten. DasExil dagegen, wohin auch immer auf demGlobus es die geflohenen Juden geführt hat,bietet keine Heimat. Czernowitz, einst real, betiteltfür die heutige Generation einen oralen,ideelen Ort, der zur Metapher für Heimat wird.Heimat im örtlichen und mystischen Sinn.Sprache ist Heimat, erklärt einer der Exilanten.All these Jewish people know more than onelanguage. So there could be many homes, butthe film shows, that there isn`t any. Between somany languages and so many places, the protagonistshave to switch from one to the next.Being somewhere, without living there. Thefilm shows, what it means, to stay a visitor foryour whole lifetime.Ich schreibe nun in Deutsch weiter: Bitte übersetzenSie den folgenden Textabschnitt individuellins Rumänische, um weiterhin den multilingualenEffekt zu unterstützen. Danke.Die Kamera wird zum Reisebegleiter. Ohne dieRegieanweisungen aus dem Off, könnte manmeinen, sie sei ein unprofessioneller Beobachter.Sie transportiert schöne Momente, wichtigeGespräche aber dahinter viel Störkulisse. Wennhinter Eduard Weissmann bei seinem wichtigenBesuch im heutigen Czernowitz ein Auto, einim Schnee verkeiltes Auto, röhrt, stört das.Wenn Handys klingelten oder Schaulustige insBild drängten, versuchte die Kamera darüberhinweg zu sehen. Geht auf dem Weg dieSchranke vor Bahngleisen herunter, filmt sie,wie der Zug kommt, und die Schranke sich wiederöffnet. Der Kontrast aus den gestelltenAnfangsszenen auf der Couch und dem scheinbarenVerzicht auf spätere Beeinflussungenbefremden. Aber gerade diese Unbehaglichkeitspiegelt häufig die Situation der transnationalenExilanten.Der Berliner Cellist Eduard Weissmann besuchtdas Grab eines Onkels, der im Holocaust wieviele andere Juden aus Czernowitz, einen grausamenTod fand.»Besucht mich oft an meinem Grabe, aberwecket mich nicht auf, denkt was ich gelittenhabe in meinem kurzen Lebenslauf« steht darauf.Der Grabstein ist in deutsch und in hebräischbeschriftet.Am Ende steht Weissmann in einemSchneesturm, der fast den Filmton überdeckt.Seine russische Fellmütze fliegt an den Seitenhoch, so dass er ein bisschen aussieht wieMickey Mouse. Transnationalität wurde für diemeisten Juden zu einer »Transtrauer« sagt er.Damit endet der Film.K.K.43


20 : 30 : 40Regie: Sylvie ChangTaiwan / China 2003»Noch ein Tag, noch ein Tag – jetzt bin ich soweit.«44Darkness BrideRegie: William Kwok Wai LunChina 2003Für eine qualitative Preisstaffelung. Der bestePlatz in einem Kino ist in der Mitte des Saals,in der Mitte der Reihe. Vielleicht auch ein, zweiReihen weiter vorn. So sitzt man inmitten desFilms und selbst der dunkle Kinosaal wird ausgeblendet.Schlechte Plätze können einen gutenFilm schlechter machen. Das müssen aber richtigschlechte Plätze sein. Einem richtig gutenFilm, macht selbst der schlechteste Platz nichts.Auf der anderen Seite können schlechte Plätzeeinen Film entlarven. Nun was sind schlechtePlätze? Das ändert sich von Film zu Film. Bei»The Godfather« gibt es wahrscheinlich ke i n eschlechten Plätze. Wer da im Kino ist, ist richtig.Auf der anderen Seite können sogar eigentlichgute Plätze, sogar die teuren, schlechtePlätze sein. Das die teuren Plätze hinten und diebilligen vorne sind ist eh antiquiert. Wenn eseine wirkliche qualitative Preisstaffelung gäbe,dann müsste es eine Preispyramide geben. DiePlätze in der Mitte der Mitte, wären die teuersten,wobei die Preise nach links, rechts, oben,unten abfallen würden. Nach unten stärker alsnach oben.Es geht um die Reichweite des Films. Wie weitreicht die Aura des Films in den Saal hinein?Bei manchen Filmen endet sie vielleicht schonvor der Leinwand, bevor das Licht auf sie trifft.Bei manchen Filmen reicht sie bis in den letztenWinkel des Kinos. Hierbei ist der Grundrissdes Kinos zu beachten. Die Säle im Cinestar amPotsdamer Platz sind eher quadratisch. Wodurchdas Verhältnis von Leinwandgröße zurTiefe des Saals, besser wird. Dafür sind imCinemaXX, wo die Säle länglicher sind, dieLeinwände gewölbt. Das Kino: Arsenal (amPotsdamer Platz). Der Film: Dark Bride. DerSitzplatz: vorletzte Reihe in der Mitte. Hätte ichzahlen müssen: teurer Platz. Das Arsenal hatfür die Länge des Saals eine etwas kleineLeinwand, und ich befürchte, die Aura desFilms kam nur bis in die Mitte. Was ankam, warsicherlich der Versuch, eine subtile, ängstlich,bedrohliche Stimmung aufzubauen. Aber ebennur der Versuc _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ __ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ __ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ __ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _h. Es tut mir leid, ich bin eingeschlafen. Zumersten Mal in meinem Leben im Kino eingeschlafen.Nur für 15min, aber ich befürchte nunwirklich, in diesen 15min ist die Aura auchnicht bis nach hinten gekommen. T.F.Endlos. 20, 30 oder 40 Minuten kürzer war derFilm. Oder länger. Wie man’s nimmt. Je nachdem,ob man den ersten Abspann zählt oderden zweiten. Allerdings ist der zweite der gleichewie der erste. Verwirrend? Ja, vor allem,wenn man in einem 107 Minuten langen Filmsitzt, der bereits nach 65 Minuten zu Ende zusein scheint. Man bleibt also verdutzt sitzen,schaut sich den Abspann an. Schließlich mussman ausnahmsweise mal nicht ins nächste Kinohetzen, kann die neugewonnene Zeit nutzen,um sich zu wundern. Und auf einmal geht esweiter, nahtlos. Aber nicht da, wo es aufgehörthat. Sondern irgendwo in der Mitte der Handlung. Nachdem man registrierthat, dass die dritte mit der zweiten Filmrolle vertauscht worden ist,ärgert man sich und schüttelt im Chor den Kopf. Nachdem man sich geärgertund im Chor den Kopf geschüttelt hat, spekuliert man, an welcherStelle wohl der erste Teil geendet ist und der dritte angefangen hat, umden zweiten gedanklich dazwischen schieben zu können. Da der Filmaber ohnedies recht vielschichtig ist, weil er parallel die Geschichte dreierFrauen erzählt, will das nicht so richtig gelingen. Jedenfalls solange nichtbis die dritte Rolle zum zweiten Mal abgespult wird. Aber dann sind jaschon 107 Minuten vorüber und man müsste bereits auf dem Weg zumnächsten Film sein. Also geht man. Nach dem 2. Ende, das eigentlich einneuer Anfang ist. Aber lassen wir das. Ende.N.H.45


»Noch ein Tag, noch ein Tag – jetzt bin ich soweit.«»Noch ein Tag, noch ein Tag – jetzt bin ich soweit.«46Northern StarRegie: Felix RandauDeutschland 2003Mädchen im Film. Julia Hummer forever.Jungs wie ich stehen auf Julia Hummer. Nein,nicht wie Sie denken. Ganz anders. Viel tiefsinnigerund ehrlicher. Weil Julia Hummer istkeine Lolita. Sie ist eine Ikone.Schon mal Kataloge von Schauspielagenturendurchgeblättert? Deprimierend. Die ewig gleichen,verbrauchten Gesichter in weicher Schwarzweißfotografie.So glatt, dass der Blick dranabgleitet und man sie sich nie merken kann.Trotz der gleichen Ästhetik fällt sie da raus. DieHeroine unter den Jungschauspielerinnnen. DieAutodidaktin, die alle braven Schauspielschulenabsolventinnenauf den ohnehin schonblassen Fotos vollends verblassen lässt.Unvergessen unser erstes Treffen. Als sie sichals Telsa zu Floyd (Frank Giering) in den Fahrstuhldrängt, um ihm von ihren Traum zu erzählenund ihn bewundernd, verliebt dabeianblickt. Wir blicken wie er zurück. Mit mehrals einer Art geschwisterlichen Liebe.Dieser Blick ist frei jeglicher sexuellen Konnotationaber voller Bewunderung und liebevollerAufmerksamkeit der besonderen Person gegenüber,die den engen Fahrstuhl mit einem Zaubervon trauriger Unschuld füllt ohne dabei bemitleidenswertzu erscheinen.Sicherlich mag sie prädestiniert sein für dieRolle des verstörten, introvertierten Mädchens,das vielleicht mal in den Brunnen gefallen seinmag. Aber das besondere an ihr als Schauspielerinist es, dass es eben sie ist, die ihre eigenserschaffene Welt, die sich immer undurchschaubarhinter ihrer Physiognomie verbirgt, indie Filme einbringt und so dem Betrachter ebendiese Introvertiertheit vermittelt. Die schlechtenRollen so zu interessanten Charakteren macht.Die Faszination hierfür bleibt auf ewig die, niemalsin diese Welt Einblick zu erlangen. Unddann natürlich darüber hinaus – als Fan – diequälende Frage, ob es sie denn auch tatsächlichgibt, diese eigene Welt. Es muss sie geben.Sonst würden Szenen wie folgende aus»Absolute Giganten« nicht funktionieren.Während die drei Protagonisten desillusioniertund schmerzhaft auf den Boden der Tatsachenzurückgekehrt in ihrem demolierten Auto sitzen,taucht Julia Hummer mit Cowboy Hut, wieein wiederkehrender Glaube an das Gute in derWelt, vor dem Auto auf. Rico fragt sie, warumsie denn einen Hut trage und sie antwortet: »EyJungs, es ist Vollmond. Ist doch klar, dass ich da´nen Hut an hab.« Es ist glasklar. Keine Posesondern Logik. Kein Schick sondern Natürlichkeit.Die Wahrheit dahinter immer eine eigeneund keine, die ein Skript so vorgeben kann.Wenn Julia Hummer nicht Anke in »NorthernStar« spielen würde, wäre es ein Sat 1 Film.Durch sie wird er zum Kinofilm und darüberhinaus auch gut (naja vielleicht ein sehr gutesOK. Und Nic Romm ist auch super und FelixRandau hat ziemlich viel richtig gemacht, aberegal). Weil nur ein Mädchen, dass wirklich rebellierthat, dies so auch spielen kann. Weil nurein Mädchen, dass wirklich all dies getan hat,die verzweifelte Pubertät in all ihrer Hoffnungslosigkeitvermittelt. Weil sie ihre eigene Musikin den Film einbringt und einen damit berührt,ohne sich selbst dabei wichtig zu nehmen. »I justfelt in the mood to interrupt you …«. Gerne.Bitte. Immer wieder.Wenn Jungs wie ich mit erhobenem Schnapsglasin der Eckkneipe stehen und eben diesesSchnapstrinken noch kommentieren müssen,steht Julia Hummer höchstwahrscheinlich leichtabgewendet daneben. Blickt man dann zu ihrhinüber, sieht man, dass sie bereits mit geleertemGlas in der Hand da steht, und einen ausgroßen unschuldigen Augen anschaut, ohnebeim Trinken auch nur eine Miene verzogen zuhaben. Dann wird sie sich schnell noch einsholen, um mit anstoßen zu können, währendman selbst versucht zu tun, als wäre man nichtüberrascht. Und genau damit überführt sieeinen der eigenen postpubertären Albernheit,derer sie vollkommen erhaben ist. Weil sie sichaus gespielter Härte nichts macht. Weil sie einfachviel härter ist. Dies hat nie statt gefunden.Aber es ist einfach sie, die einem zum A u s m a l e ndieser Szenerie bringt, beim Betrachten ihrerRolle und somit »Northern Star« so eine neueWirklichkeit gibt, die einem dann mit ihm verbindet.Jungs wie ich stehen auch auf Jana Pallaske.Auch der Lippen wegen. Da können Sie jetztdenken was sie wollen. Aber es liegt noch vielmehr daran, dass Jana Pallaske auf die Premiereihre Filme im Misfits T-Shirt kommt. Ob mandie Misfits gut findet oder nicht ist irrelevant.Es ist nicht nur der richtige Code, es ist ebenauch das Wissen, dass sie die Misfits in ihremPlattenregal stehen hat. Das Wissen, dass sienicht nur in dem Film Jeans hinter der Thekedes alten WMFs steht, sondern damals, als dasWMF noch unbekannter war, dort gearbeitethat. Weil sie eine Band hat und nicht über sichdafür wirbt. Weil durch ihre eigene Authentizitätdessen was sie darstellt ihre Rollen anGlaubwürdigkeit gewinnen. Dafür verzeiht manihr auch Baader und so manches haarsträubendeKommentar in Interviews.Julia Hummer hat auch eine Band. Die heißtSgt. Hummer. Sehr guter Name. Super Musik.So Singer Songwriter mäßig. Eher Folk als Punk.Wie gesagt war das schon in »Northern Star«und auch in einem der 99 Euro Filme zu hören.Damit wird sie wahrscheinlich zu der MeretBecker meiner Generation. Die Platte müsstebald rauskommen.Im Hamburger Marienviertel ist die BoutiqueElternhaus von der Künstlerin C.L.. Im Schrankhängen Fotos diverser Größen, die für dasgleichnamige Label modeln. Rocko Schamoni,Grönemeyer, Miss Kittin und so. Außen hängteins von Julia Hummer, wie sie sich auf demBoden fläzt und eine Burger King Krone aufhat.C.L. hat mit Edding drauf geschrieben »JuliaHummer forever«. Ich mochte an C.L.´s Arbeitenschon immer, wie sie mit einer Art weiblicherIntelligenz die Dinge so gut auf den Punktbringt.J.W.H.47


»Noch ein Tag, noch ein Tag – jetzt bin ich soweit.«»Noch ein Tag, noch ein Tag – jetzt bin ich soweit.«48Die Farben. Die einzige Vorstellung. Zabriskie Point. Am Vortag war ichschon um sieben Uhr am Kartenschalter um mir eine Karte für diese eineVorstellung zu sichern. Einen Tag später, etwas übermüdet, sitze ich indem bis auf den letzten Platz besetzten Kinosaal und warte auf diesesMeisterwerk. Aber zuerst betritt ein schon etwas älterer Mann die Bühne.Er entschuldigt sich schon vor dem Film für die Qualität der Kopie. Ererzählt davon, wie schwer es war überhaupt eine Kopie von MichelangeloAntonionis Film zu ergattern. Aber eine Kopie gab es und diese liegt nunbereit. Allerdings handelt es sich bei der Kopie um eine Kinokopie, dievor über 30 Jahren in den Kinos lief und somit schon einige Gebrauchsspurenaufzuweisen hat. Außerdem sind die Farben des Materials schonins Rot gekippt. Was das wohl heißt frage ich mich als das Licht dunkelwird und der Film beginnt.Der Vorspann beginnt mit Musik von Pink Floyd. Ich habe eineGänsehaut. Wann ist mir das zum letzten Mal passiert, dass ich im Kinoeine Gänsehaut bekommen habe und das schon beim Vorspann? Der Filmläuft und die Farben sind perfekt. Zum ersten Mal in meinem Leben binich froh farbfehlsichtig zu sein. Meine Augen haben eine starke Rotschwäche.Wu n d e r b a r. In diesem Moment rechtfertigen sich alle peinlichenMomente in meinem Leben. Die Augenfarbe der Freundin zu verwechseln,in der Schule ein lilanes Meer zu malen. Die Wut der Freundin, dashöhnische Gelächter der Mitschüler, alles vergessen. Dieser Film, in diesemMoment, diese Kopie war nur für mich, für meine Augen und dieGänsehaut kam noch öfter. Ausgezeichnet.T.F.Zabriskie PointRegie: Michelangelo AntonioniUSA 1969-70The ShootingRegie: Monte HellmanUSA 1966Unverständlich. 1,5 Stunden Wüste und 4 nuschelnde Protagonistennach 3,5 Stunden Schlaf. Da hilft selbst die Droge <strong>Berlinale</strong> nichts mehr.Und wahrscheinlich hätte auch der liebgewonnene und hier schrecklichvermisste Untertitel nicht mehr viel gebracht. Ich greife zum Äußersten.Oder besser, versuche, zum Äußersten zu greifen, nämlich nach meinerPackung Notfall-Koffeintabletten. Also krame ich in meiner viel zu vollenTasche – schließlich braucht frau so einiges – für den Notfall – und findealles. Bis auf das Gesuchte natürlich. Und während ich versuche, sogeräusch- und bewegungslos wie möglich vorzugehen, den Blick nachvorn gerichtet, die Gedanken in meiner Tasche – In welche entlegeneEcke könnte ich die Packung in einem der ›seltenen‹ hektischen Momenteder letzten Tage bloß geschmissen haben? – höre ich von links seltsamgenervt klingende Stöhngeräusche. Während ich den Inhalt derLeinwanddialoge nur mit viel Fantasie und unter Bevorteilung meinesHörsinns erahnen kann, macht es mir keine Mühe, dieses »mtoahh« zudeuten. Im Augenwinkel sehe ich das angespannte, wutentbrannteGesicht eines schnöseligen Mitzwanzigers, das sich mir demonstrativzuwendet – und halte inne. Als hätte ich diesen Ordnungshüter grad nachStrich und Faden beleidigt. Bevor er selbiges mit mir tut, trete ich denTaschen-Rückzug an. Und fluche, in Gedanken, über diesen Blödmannund meine Müdigkeit. Und dann gebe ich mich einem von beiden hin.Nein, nicht dem aufmerksam Rezipierenden – so groß sind meine Schuldgefühlenun auch wieder nicht. Ich erfülle meinen Augen ihren Wunschund befreie sie von der gelbbraunen Monotonie der letzten 60 Minuten.Endlich, erlösende Dunkelheit. Ich finde Ruhe, und mein Nachbar auch.Dachte ich. Aber weil er sie nicht findet, ist es mit meiner auch bald wiedervorbei. Ich höre eine hasserfüllte Stimme, die in ihrer Deutlichkeitkeineswegs einem der Protagonisten angehören kann, und schrecke auf.Was habe ich denn jetzt schon wieder gemacht? Etwa geschnarcht?! Bloßnicht! Nein, diesmal habe nicht ich es gewagt, den Herrn Musterrezipientenbei den Schulaufgaben zu stören. Das Fauchen gilt der ›unverschämtenBande‹ hinter ihm. Ob er »nicht zumindest die letzten 10 Minuten desFilms ohne ihr Gequatsche genießen« könne, fragt er ›leicht‹ gereizt.»Bitte, wehrt euch, missachtet ihn wenigstens – Toleranz durch Ignoranz«,denke ich, mich meiner eigenen Feigheit schämend. Aber leider, dieStimmen verstummen. Und der Schnösel hat sie zurück, seine Konzentration.Und was bleibt mir? Offene Augen, Wut im Bauch und ein Filmende,das verwirrender nicht sein könnte.N.H.49


»Noch ein Tag, noch ein Tag – jetzt bin ich soweit.«»Noch ein Tag, noch ein Tag – jetzt bin ich soweit.«50How I learned to stop. Irgendwann ist es zuspät. Ein universeller Satz, der so oft zutrifft.Bei vielen Themen, in vielen Momenten. Manmerkt es nicht. Alles scheint zu funktionieren.Der Plan, die Strategie. Der Plan, der ursprüng -liche: Vier Filme pro Tag. Man rechnet kurz undkommt zu dem Schluß: Ja, vier Filme pro Tag.Nicht Masse, sondern ein ausgeklügeltes unddurchdachtes Programm. Die Masse der <strong>Berlinale</strong>personalisiert. Wie die passende Umgebung inden Netzwerkeinstellungen deines Computers.Personalisiert und abgestimmt auf Umgebungund Situation.Nach zwei Tagen. Rückbesinnung. Ich binmüde. Mein Uni-Alltag hatte anscheinend zurFolge, das vier Stunden Schlaf pro Nacht aufDauer zu wenig sind. Mag sein, aber es ist janur eine Woche. Ich werde noch mehr als einSemester studieren. Also werde ich noch vielschlafen können. Trotzdem – bis jetzt nur dreiFilme pro Tag? Ich sitze in einem Coffee-Shop,direkt am Fenster, sehe geschäftige Menschenaus dem U-Bahn-Loch im Boden strömen, wieWasser und noch mehr, gejagt vom Wasser vonoben, in dem Loch verschwinden. Vor mirdampft mein Chai-Tee. Gewürze die meine Gedankenmassieren und nur drei Filme pro Tag.Aber, was soll's? Die Filme waren besser als ichdachte. Mein Einstieg war überwiegend asia-tisch. Zwei asiatische B-Movies, der eine ausSüdkorea, der andere aus Thailand. Der ausThailand war sogar ein Musical und hat meinHerz so erweicht, dass es fast durch die anderenOrgane nach unten geflutscht wäre. Wiesonicht, drei Filme pro Tag. Weniger Druck, Entspannung.Wenn sich das nicht auf dieKreativität, den Fokus auswirkt, dann hilft nichteinmal Chai-Tee intravinös. Noch ein Tag. Nochein Tag. Jetzt bin ich soweit. Das ist unerwartet.Kann man Chai-Tee vielleicht doch intravinöskonsumieren? Bin ich so müde wie noch nie,bin ich zu schwach? Es gibt schlimmeres. Die<strong>Berlinale</strong> macht meine Augen krank. Zumindestdas Rechte. Liegt das an den schrecklichenKlimaanlagen in den Kinos? Liegt es an derFrequenz? Vielleicht sind 24 Bilder die Sekundemittlerweile zu wenig. Meine Auge zuckt, estränt, brennt. Öfter als 24 mal die Sekunde.Aber was schlimmer ist: Blicke, Blicke von Bekannten,von Freunden und der Satz – »Dusiehst richtig, richtig Scheiße aus!« »Wirklich?«Zuck, zuck. How I learned to stop. Ein TagPause. Danach geht's wieder, zumindest bleibendie Sprüche aus und wenn mir während einerder Filme Tränen in die Augen steigen, weißich, es ist der Film und nicht die Bindehaut.Mmh guter Film. Scheiß auf die Frequenz.T.F.<strong>Berlinale</strong>tagebuchFreitag 06.02.<strong>04</strong>18.30 UhrEben noch die Mitfahrer für die verspätete Abfahrt gehasst, die nicht nurfür jeden Stau, sondern auch das Sperren der Straße des 17. Juni wohlbegründetverantwortlich gemacht wurden. Jetzt löst sich die leichtgereizte Anspannung in angenehme Adrenalinausschüttung beim ratlosenbetrachten des rosa Zettels, die zittrige Hand alle fünf Minuten wiederan der Plakette am Hals, um sich zu vergewissern, dass sie noch daist. Der besagte rosa Zettel ist ein Code. Ein Code zum System <strong>Berlinale</strong>,der einem verrät wie man teilweise das Kartenausgabesystem umgehenkann. Das Kartenausgabesystem wiederum ist eine berüchtigte Instanz.Die Macht sozusagen. Man munkelt von langen Schlangen morgens umhalb acht und dass es danach kaum noch Sinn machen würde, sichKarten holen zu wollen. Ein kleiner Hinweis daran, dass man sich mit seinergrünen »Filmschaffenden« Akkreditierung zwar nicht mehr im letztenGlied der Nahrungskette befindet, sich aber auch nicht zuviel darauf einbildensollte. Es gilt, einen Schergen in eben diesem System zu finden.Ich stelle mich ganz rechts an. Ein Spanier. … hehehe.51


»Noch ein Tag, noch ein Tag – jetzt bin ich soweit.«»Noch ein Tag, noch ein Tag – jetzt bin ich soweit.«52Samstag 07.02.0311.30 UhrMarkus findet »A tale of two sisters« nicht gutund ich verachte ihn dafür. Da mir keine Argumentemehr für den Film einfallen und ich ihnnicht überzeugen kann, ärgere ich mich auchnoch über mich selbst. Und als wir anschließenddarauf kommen, dass er einfach viel mehrHorrorfilme gesehen hat als ich, und mir dämmert,dass er mit seinen Einwürfen womöglichnoch Recht haben könnte, gebe ich klein beiund platze fast innerlich vor Wut.Sonntag 08.02.0317.00 UhrMelvin van Peebles ist der coolste Mensch aufder ganzen Welt.18.00 UhrEsther Gronenborn und Stephan Clonk sindzwar feste Mitglieder der Filmakademie, weil siebeide einen deutschen Filmpreis haben, aber ichhab Karten für den Ramonesfilm und bin damitHeld der Runde.00.20 Uhr»Freedom2Speak« ist so witzig wie Blut kotzen.Im Halbschlaf mal ich mir aus, wie Godard undich die Filmemacher von »Freedom2Speak« zwinge n , nackt um einen goldenen Bären zu tanzen,während wir hysterisch kichernd ihre Vorführkopieverbrennen. Anschließend beschließeich einstimmig, dass es wieder Zeit ist, Manifestezu schreiben.Montag 09.02.0308.30 Uhr NachtragLieber Herr Pletziger,ich sollte mich dafür entschuldigen, Ihnen vorhinkein einziges Mal zugehört zu haben. Ichsollte mich auch dafür entschuldigen, Sie binnen30 Minuten dreimal gefragt zu haben, wasfür Filme Sie sich ansehen werden, obgleich siemir jedesmal die gleichen Antwort gaben, nämlich,dass Sie gar nicht wegen der <strong>Berlinale</strong> hierseien und sich gar keinen Film ansehen werden.Was ich sagen will ist folgendes: Ich werdeihnen die ganze Woche nicht zuhören. Weilalles, von dem sie reden, gerade nicht existentist. Es gibt nur Filme. Und Filme. Und noch viel,viel mehr Filme. Und Karten gibt es auch. Unddarüber kann man sich dann auch unterhalten.Alles andere ist belanglos. Daher tut es mirauch nicht aufrichtig Leid, macht das Leben indiesem seltsam desolaten Zustand doch einenganz ausgezeichnet angenehmen Sinn, in seinerzweitägigen absoluten Vorhersehbarkeit.23.30 UhrDenke heute wäre morgen. Denke morgen anFilme von gestern. Denke heute an Filme vonmorgen. Denke jetzt an morgen, für die Filmevon übermorgen. Denke, schlafen wäre nichtschlecht. Denke, schlafen ist nicht möglich.Denke, auf ein Bier ist noch ok. Denke, Zeitkommt mir gerade sehr unterschiedlich vor.Denke, Ironie oder Schicksal: 8 mm Bar. Undnoch mehr Filme.Berlin ist die Stadt, wo die Menschen aus Heimwehhinziehen. Treffe alte Dämonen aus derVergangenheit an der Theke. Da das, was malIdentität war, irgendwo in der Schlange amRoyal Palast vergessen oder stehen gelassenwurde, also nicht mehr da ist, kann man jetztauch anstoßen. Ist ja nicht Wirklichkeit. IstFilm. Herr Gerhold kommt. Wir stoßen noch oftan. Wir fühlen uns gut.Dienstag 10.02.0316.30 UhrMelvin van Peebles trägt neonpinkfarbeneSocken und ist noch viel unglaublich cooler alsbisher angenommen.Mittwoch 11.02.0300.00 UhrAlles ist Film. Trend spielen. Großartig. Fetzersingt und suhlt sich ganz Iggy Pop mäßig,direkt vor meinem Füßen auf dem Boden, währender sich Bier überschüttet. Das Filmmomentdaran: Die halbtotale Aufsicht. Von Fetzer berührtworden zu sein, danach heim gehen undmorgen nicht nach Bier zu stinken.Freitag 13.02.0320.00 UhrWie Tiere stürzen sich die Akkreditierten ohneKarten auf die ausgeteilten Nummern des Internationalpersonals,um später nach eben diesenNummern doch noch Einlass gewährt zu kommen.Eine der ersten Nummern in der Handstehe ich belächelnd daneben, fühle ich michdoch schon fast schon als erfahrener <strong>Berlinale</strong>besucher,während sich andere wild gegenseitigbeschimpfen und das Nummernsystem immernoch nicht verstanden haben. Meine Arroganzsollte bestraft werden. Es kommt keiner mehrrein. Daraufhin gehen meine überaus bezauberndeBegleitung und ich in die demInternational gegenüberliegende Bar und betrinkenuns sehr schnell und sehr kultiviert.Meine Begleitung ist angehende Produzentin53


»Noch ein Tag, noch ein Tag – jetzt bin ich soweit.«Primo AmoreRegie: Matteo GarroneItalien 200354und kurioserweise gelingt es mir das erste Maldiese Woche, mich nicht über Filme zu unterhalten.Anschließend besuchen wir eine von derdffb und der HFF ausgerichtete Festivität imHaus Bethanien, vor dessen Einlass eine 400Meter lange Schlange wartet. Meine Begleitungnimmt mich an der Hand und steuert zielstrebigan der Schlange vorbeilaufend den Eingang an,den zugerufenen Empörungen eine bestimmtes»Gästeliste« entgegensetzend. Produzenten sindja so ein Menschschlag für sich. Vorne angekommen.Sie so, »Nö, wir stehen nicht auf derListe, wir hatten nur keine Lust anzustehen.« Erso, »Egal.« Zehn Sekunden später bin ich drinund frage mich, was ich die ganze Woche überfalsch gemacht habe.Einige Stunden später finde ich mich mit denHerrn Bülow und Wambsganss an der Wand sitzendin einem Seitenraum wieder. Ein großerTorbogen uns gegenüber gibt den Blick auf denHauptgang frei. Wie Cinemascope, denke ich,nur längs. Wenn man den Bogen abschneidetist es 4:3 und damit Fernsehen. Alle 5 Minutenstreift mein Blick ein vor mir sitzendesPäärchen. Spekulativ betrachtet: Er hat sie voreinem halben Jahr verlassen und heute habensie sich das erste Mal seitdem wieder getroffen.Anfangs sind beide sehr konzentriert. FünfMinuten später: Er versucht sie zu küssen, siewendet sich ab. Später: Beide lachen. Nochmalspäter: Sie versucht ihn zu küssen, er wendetsich ab. Ich unterhalte mich eine Weile bis ichihnen wieder einen Moment meiner Aufmerksamkeitwidme. Mittlerweile hat sie geweintund signalisiert semiverführerisch, doch mitihm zu gehen. Eine ganze Weile später muss ichfeststellen, dass sie immer noch Händchen haltendda sitzen und nicht von einander lassenkönnen. Wenn ich nur eine Kamera dabei hätte.Ein super Film. Die Nacht singt ihre Lieder 2.Echte Gefühle. Großes Kino. … Oh Gott, wannhört das endlich auf.J.W.H.Zwei Bilder. Anfang. Sanftes Licht umschmeichelt Sonias Körper. DieKamera umfährt ihre Linien, mustert, tastet ab. Vittorio, sie hat ihn erstvor kurzem kennen gelernt, tut gleiches. Sonia ist Aktmodel. Viele Augenbetrachten ihren Körper, Hände übertragen ihn auf Leinwände.Mit ein paar Schritten Abstand umschleicht die Kamera Sonias Pose. DieArme unter dem schwarzen Haar verschränkt, die Beine zurückgelegt, dasBecken vorgeschoben liegt sie da. Die Rippen zeichnen sich zart ab, derBauch ist straff und weich zugleich. Das Gesicht trägt einen provozierend-verschmitztenGesichtsausdruck. Die Augen funkeln Stolz. Einig. Sosieht sie das Kinopublikum, doch Vittorios Blick scheint ein anderer zusein.Ende. Gnadenlose Totale zeigt ihre innere und äußere Nacktheit. Verwundbarkeit.Sonia ist an eine Wand im Keller gestellt. Hilflos, schüchtern,gebrochen. Ihre Arme irren umher und versuchen die Blöße zu bedecken.Die Blöße eines Körpers der nicht mehr ihr gehört, der nicht mehrsie ist. Die knochigen Schultern zusammengezogen, die dürren Beine stehenunsicher. Vittorio wütet um sie herum. Kramt Lebensmitteln hervor,welche er vor ihr versteckt hat, bewirft sie fast damit, beschimpft sie.Verbrennt im Ofen ihre Kleider.C.W.»Archäologische Suche nach hervorstehenden Knochen …«Innehalten. Eine Brust kommt von oben insBild, gigantisch auf der riesigen Leinwand des›Royal‹. Das Erhabene. Der Blick irrt umher undversucht vergeblich, sich zu orientieren. Wo istunser Standpunkt? Was ist das für eine Perspektive?Aber nicht nur die räumliche Koordinatensind uns abhanden gekommen. Die Großaufnahmelöst dieses Bild auch aus dem Flussder Zeit heraus – wie eine Fermate über einerblue note. Für den Moment dieser raumzeitlichenVerwirrung ist noch dazu die Handlungausgesetzt.Schließlich senkt sich die Brustwarze doch nachunten in Richtung auf ein männliches Gesicht.auto-gestion des plaisirs. Dies ist der einzigeMoment in »Primo Amore«, in dem Sonia ihreigener Körper gehört.L.H.55


»Archäologische Suche nach hervorstehenden Knochen …«»Archäologische Suche nach hervorstehenden Knochen …«56Hybris. Er hat sich bis jetzt immer erst in einen Körper verliebt und imnachhinein in eine Seele. Diesmal ist es anders. Für Vittorio steht derKörper im Mittelpunkt. Besessen von einem sehr dürren Frauenidealmacht seine Freundin Sonia einen Transformationsprozess durch, derrein äußerlich in einer drastischen Abmagerungskur besteht.Doch in Wirklichkeit geht es um einen Schöpfungsprozess. Vittorioschafft Sonia nach seinem (Ideal-)Bild. Gewohnt als GoldschmiedGestalten ins Leben zu rufen, kann er nicht dem Drang widerstehen,Formen zu entwerfen, damit es funktioniert. Damit ihre Liebe nach seinenMaßstäben eine Chance hat. Er wird zum Schöpfer dieser Frau, beschränktsich dabei nicht nur auf die Morphologie, sondern lässt es sichnicht nehmen, auch die auf den neuen Körper abgestimmte Seele zumodellieren. Während seinem geschulten Blick kein Gramm Fett entgeht,kristallisiert sich seine Schöpfer-Existenz in der symbiotischen Beziehungmit Sonia, seinem Geschöpf. Sonias Nacktheit im Kunstatelier – dieanfangs noch unbekümmerte Weiblichkeit symbolisiert – dient VittoriosAugen dazu, Daten über Mängel dieses Körpers zu sammeln und davonausgehend den Schöpfungsprozess einzuleiten.Doch das Kunstwesen Sonia – definiert in Abhängigkeit zu ihrem Schöpfer,der durch sie erst dazu wird – bewahrt sich einen Rest Eigenständigkeit.Während er sich schon im Paradies wähnt und sein Körper gewordenesIdeal in Händen zu halten meint, kommt sie nicht mehr mit. Als die Verheißungschon nahe ist, das 40-Kilo-Paradies fast schon erreicht, brichtalles zusammen.Vittorio liebt diese Frau als sein Werk. Daher muss er sich in seiner Ehregekränkt fühlen, wenn dieses Werk aus der Form gerät. Mehr noch als sieliebt er das Bild, das er von seinem Ideal im Kopf hat. Am Ende steht daein nackter Körper, der nicht mehr Sonia ist und noch nicht dem IdealbildVittorios entspricht.K.R.body and mind. Was verhüllt Kleidung? Was soll, kann oder mußsie verhüllen? Nur Körper oder oder auch Geist? Vor dem zielstrebigenBlick des Jägers so gut wie nichts. Selbst Pullover, Mantel undSchal können überflüssige Pfunde einer Frau nicht vor ihm verbergen.So ist auch sein Blick auf die tatsächliche Nacktheit keiner desBegehrens, wie es der Titel Primo Amore nahelegen würde, sonderneiner, der Möglichkeiten abwägt. Unter ihm verändert sich ihreNacktheit auch für sie selbst. War der eigene Körper zuvor eineGegebenheit, die kein Anlaß zur Sorge gab, so verwandelt sich dieseSelbstverständlichkeit nun in Unsicherheit und Selbstzweifel. IhrBlick ist nun sein Blick, beginnt zu schweifen, zu vergleichen. Dereigene Körper wird zur unförmigen Masse, der Bikini offenbartschonungslos vermeindliche Problemzonen. Der Liebesakt wird zurarchäologischen Suche nach hervorstehenden Knochen undKnorpeln. Das Leben – ein Kampf gegen Kilos. Das Ende zeigt sienackt und schutzlos, ihn bekleidet und in der Rolle des Richters undVollstreckers. Sie steht vor seinem Gericht, aber es ist ihre Nacktheit,die ihn anklagt. Das Ende zeigt auch, wie sich scheinbar klareKonnotationen auf einmal ändern, daß in einem entblößten Körpernicht unbedingt ein nackter Geist stecken muß und daß Kleidungoft nicht nur einen nackten Körper verhüllt, sondern vielmehr einenschwachen Geist.R.U.Erbarmungslos. Unauffällig ist sie, eine stilleBeobachterin zweier Menschen, die sich nochnie gesehen haben und nun zum ersten Maltreffen. Sie sitzt am Nebentisch des Lokals,allein, gelangweilt. Und weil sie selbst nichts zutun hat, schaut sie, was andere so tun, hört, wasandere so reden. Sie sieht zur Seite, unbeweglich,den Mann in der linken, die Frau in derrechten Hälfte ihres Blickfeldes, zwischen ihnenein Tisch. Was sie sieht und was sie hört, istinteressant, also sieht und hört sie nicht weg.Die Profile sehen sie nicht. ›Was, er hat sichseine Verabredung dünner vorgestellt?‹ DieBeobachterin kann kaum glauben, was sie hört.Aber anmerken lassen darf sie sich ihrErstaunen nicht. Trotzdem, genauer anschauenmuss sie sich die zwei jetzt schon. Also bewegtsich ihr Blick langsam zu ihm, fixiert ihn,solange er spricht – Wie kann er so etwassagen, oder auch nur denken?! Die junge Fraubeginnt zu sprechen – Wie wird sie reagieren?Die Beobachterin löst ihren Blick langsam vonseinem Profil, um das der Frau zu fokussieren.Bloß nicht entdeckt werden. Die Kamera als dasbeobachtende Dritte. Das bleibt sie zunächst.Sie fokussiert Vittorio bald auch von vorn, aber,da sie nur beobachtet, bleibt sie außerhalb undkann uns sein Gesicht nur durch ein kleingerastertes Fenstergitter zeigen.Immer wieder werden wir geometrisierte Bilder sehen. Küchenkacheln,Bruchsteinwände, parallel stehende Baumstämme, Fenster- und Türrahmen,Spiegel und Pfeiler: All das zeugt von der Fremdheit, welche dasVerhältnis zwischen Vittorio und Sonia bestimmt, und der Gefangenschaft,in der die Protagonisten leben – Vittorio als Gefangener seinereigenen unmenschlichen Ideale; Sonia als Vittorios Gefangene, die sichfreiwillig in Ketten legen lässt. Das sind doch schon sehr durchkomponierteBilder, mit der uns der Film da etwas visualisieren will, was unsder Plot ohnedies unweigerlich vermittelt. Doch so auffällig diese Bildersind, so sehr haben sie ihre Berechtigung. Denn durch das Artifizielle entstehtDistanz. Und diese zu vermitteln hat die Kamera bitter nötig. Nichtnur um in ihnen eine generelle moralische Wertung zu transportieren,sondern vor allem um die eigene Scham zu verdeutlichen. Denn immerwieder hat sich die Kamera, die anfangs noch so unauffällig beobachtendgewesen war, schuldig gemacht, indem sie die Perspektive Vittorioseingenommen hat. Mit Vittorio hat sie den nackten Körper Sonias Zentimeterfür Zentimeter nach dem Zuviel abgesucht. So, als wäre da tatsächlichetwas zuviel gewesen. Gegen Ende, die Katastrophe erahnendund von dem nackten, knochigen, gebeugten Körper der ehemals soschönen Frau schockiert, zieht sich die Kamera durch eine offenstehendeTür zurück. Als wolle sie sagen: »Damit habe ich nichts zu tun.« Vielleichtaber auch »Das habe ich nicht gewollt.«.N.H.57


»Archäologische Suche nach hervorstehenden Knochen …«58Ka m e r a - Wahrnehmung und (weibliche) Körperlichkeit: EinVergleich (Confidences trop intimes/ Primo Amore):In »Confidences trop intimes« könnte man die Kamera als ein sehendesSubjekt begreifen: sie wirft Blicke auf den verhüllten Körper von SandrineBonnaire, und manchmal auch Einblicke, etwa von oben herab insDecolleté. Sie fängt die sich kringelnden, goldenen Haare im Nacken ein.Blickt auf den Mund, wenn er an einer Zigarette saugt. Es sind diejenigenBlicke, die der verklemmte Steuerberater Faber niemals wagen würdezu werfen.Ist die Kamera in »Confidences …« also eher als Auge oder Blick zubegreifen, so scheint sie in »Primo Amore« mehr ein fühlendes, tastendesSubjekt zu sein. Wie eine Hand streicht sie über den Körper von MichelaCescon, zeigt uns Details, die wir nie wirklich sehen würden, weil wirnicht auf sie achten: einzelne Stellen, Partien des Körpers und seinerHaut, Leberflecken, Konturen einzelner Rippen- oder Beckenknochen.Fast schon anatomisch wird hier der Körper fragmentarisiert. Unverhülltpräsentiert er sich den Zeichnern einer Kunstakademie. Und auch hierempfindet die Kamera, was diese Studenten von ihren Hockern hinter denLeinwänden niemals wahrnehmen könnten: sie sehen den Körper nurimmer als Ganzes in einer Pose, sie können ihn nicht anfassen, so wie dieKamera uns den Eindruck gibt.In »Confidences …« wie in »Primo Amore« agiert die Kamera in gewissenMomenten wie eine Sinneswahrnehmung, die bestimmten Akteuren einerSzene entgeht.J.W.


»Oh, du hast recht, ich liebe dich!«The MissingRegie: Ron HowardUSA 2003The OutfitRegie: John FlynnUSA 1973Kocham CieRegie: Pawel BorowskiPolen 200360»Oh, du hast recht, ich liebe dich!«zu: »The Missing« / Ron Howard / USA 2003Das Gesetz des Vaters. Die ersten Bilder sindfast ausschließlich den Frauen gewidmet.Maggie Gilkeson, die einige Stücke Zeitung zuKlopapier zusammenknüllt. Maggie Gilkeson,die einer alten Mexikanerin ihren letzten Zahnzieht. Maggies Tochter, die dabei hilft. DieTochter der Mexikanerin, die ihre Mutter festhält.Maggie, die nach getaner Arbeit mitten inder Prärie steht. Weites Land. KlassischeWesternbilder mischen sich mit aller Art Grenzüberschreitungen.Das ist sehr vielversprechend.Im Gegensatz zum klassischen Western scheint,ein matriarchales Universum geschildert zuwerden. Im Mittelpunkt nicht der schweigsamePistolenheld, sondern eine selbstbestimmteM u t t e r, die ihre beiden Töchter zu unabhängigenFrauen erziehen will. Sehr bald kommt danndoch der Patriarch ins Spiel. Lange verschollen,taucht er nach 20 Jahren auf und klopft bedenkenlosan die Tür seiner Tochter. Samuel Jonesist eine ethnische Grenzfigur, ein weißer Indianer.Sein Gegenspieler, der bösartige Schamane, derMaggies Tochter entführt hat, waltet ebenfallsan Grenzen. Er balanciert zwischen Zaubereiund materiellem Rationalismus.Viele Versprechungen macht der Film, kaumeine hält er. Alle Ambivalenzen lösen sich früheroder später eindeutig auf, keine Spur mehrvon Grenzüberschreitungen. Die Gesetze desklassischen Western werden leider nur reproduziertund keinesfalls unterlaufen.The Missing verliert sich in redundantesProduzieren bekannter Motive. Ein Kampf folgtohne lange Pause dem nächsten. Duelle, Schiessereien.Der Film kennt nicht ein retardierendesMoment, sondern mindestens fünf. Das steteScheitern aller Befreiungsversuche führt schleppendaber kontinuierlich zum groß angedachtenFinale. Dem geht ein intimes Gespräch zwischenMaggie und Samuel voraus, was nocheinmal alle Gesetze des klassischen Westernbestätigt und alle Hoffnungen auf eine matriarchalePerspektive im Keim erstickt. Am Lagerfeuersitzen Vater und Tochter zusammen.Maggie gibt ihm ihr silbernes Kreuz, daß siestets getragen hatte. Dieses Kreuz, so erfahrenwir jetzt, gehörte ihm. Bevor er die Familie verlassenhatte, gab er es Maggie. In dieser Szenewird aus der selbständigen, unabhängigenKämpferin die unmündige Tochter, die immerunter der doppelten Herrschaft des Vaters gestandenhat, des göttlichen und des leiblichenVaters. Auch Maggies vaterlose Töchter betendas ›Vater Unser‹.Der Vater ist Trauma und Gesetz. Er ist dasgegenwärtige Vergangene und das zukünftigGegenwärtige.T.U.zu: »The Outfit« / John Flynn / USA 1973Zaam, zaam, links, rechts. Der erste Film, den ich in der Retrospektivesehe. Ungeplant. Man kommt aus einem Film, denkt sich, »Mensch, jetztnoch einer – wäre – gut.« Da steht man vor dem Kinosaal, in dem dieRetrospektive läuft, sieht, dass in 10min der nächste Film startet, »TheOutfit« – Neo Noir. Perfekt. Die Schlange ist moderat bis kurz. Und hinein.Ich muss an schöne Frauen denken, die in Antihelden verliebt sind,unsterblich, bis sie auch oft sterben, in den Händen rauher Burschen, dievielleicht ein, zwei Szenen still trauern. Nur manchmal beginnen sie zuzweifeln, die schönen Frauen, sich zu erheben, werden wütend. Doch ein,zwei saubere Ohrfeigen links und rechts mit Handinnen- und -aussenseite,machen ihr klar, dass es doch bedingungslose Liebe ist. Gut, so läuftdas hier, auch in diesem Film. Bis – ich bin sprachlos, was ich sehe, schockiertmich, ich zucke zusammen. Was war das denn!? Der Protagonist(Robert Duvall), mit seinem Freund auf Rachefeldzug gegen die Mafia,kurz vor einem weiteren Überfall. Die Mafia zittert schon ein bisschen vorden Beiden. Gut, Robert Duvall sichert den Flur. Sein Partner, als Postboteverkleidet am Empfang, fragt die Telefonistin nach einem Mann. Siesuchen ein verstecktes Büro. Die Telefonistin steht auf um ihm mitzuteilen,dass es den Herrn, den er sucht in diesem Bürogebebäude nicht gibt.Ihr Hand wandert unter den Tresen. Doch bevor sie irgendwas machenkann, holt der Komplize mit seiner riesigen, überdimensionalen Faust ausund – zimmert ihr dermaßen einen hinter die Kiemen, dass sie im weiterenVerlauf nur kurz als Beine, die unter einem Tisch liegen, vorkommt.Also: »Ich liebe dich nicht mehr!« Zaam, zaam,links, rechts. »Oh du hast recht, ich liebe dich.«ist das eine, aber mit der Faust, eine rechteGerade, als stünde da Mike Tyson, der sichnackt in einer Gefängnisdusche verteidigen willund nicht eine kleine, zierliche Blondine. Also…Trotzdem bleiben die Protagonisten Sympathiefiguren.Das ist zu viel. Mit der Faust. Also ichmag »New Hollywood« Filme, aber mit derFaust, das ist zu viel. Und wenn ich es mir rechtüberlege, mag ich das »Zaam, zaam, links, rechts«auch nicht. Trotzdem war der Film unterhaltsam.Mehr aber auch nicht. Und beim Verlassendes Kinos muss ich an »Days of Thunder« denken.Dieser Film ist ja so oberflächlich, aberRobert Duval baut da 1a Stock-Cars für TomCruise, und der schlägt auch keine Frauen, erschläft mit ihnen. In »Days of Thunder« war dasNicole Kidmann. Auf »Cold Mountain« hab ichja überhaupt keine Lust. Was läuft als nächstes?T.F.61


»Oh, du hast recht, ich liebe dich!«Sweet Sweetback Baadasssss SongRegie: Melvin van PeeblesUSA 1971Gettin´ the man´s foot outta your Badasssss!Regie: Mario van PeeblesUSA 200362»Kocham Cie« / Pawel Borowski / Polen 2003Ey Puppe wach auf. Pawel Borowski braucht genau sieben Minuten,um uns die Auswüchse des Chauvinismus, die Tiefen der weiblichenDuldsamkeit, die Realität einer polnischen (und ganz gewiss universellen)Hausfrau zu zeigen, die alles daran setzt, sich aus dieser realen Welt fortzureden.Sieben Minuten in denen wir lernen, das Frauen aufblasbareWesen sind, mit Löchern statt Mündern. Sieben Minuten, in denen sichdie blumigen Tagebucheinträge als traurige Ironie entlarven. SiebenMinuten, in denen wir ahnen, wie starr die Mauern dieser selbst errichtetenSchönmalerei einer gescheiterten Ehe sind. Sieben Minuten in denen wirmit Swetlana, Natascha oder auch Gabi, Petra und Mandy hoffen undbeten für dieses Haus im Grünen.Sieben Minuten, die wir an ihr rütteln möchten, um sie aus ihrem Puppendaseinzu erwecken. Sieben Minuten, in denen wir allmählich merken,dass Natasha, Swetlana oder Gabi genau weiß, dass sie nicht auf ihrenKen wartet. Sie weiß, dass er den Hochzeitstag vergessen hat. Sie weiß,er wird sie flachlegen – während sie von Romantik spricht. Sie weiß, siewird bei ihm bleiben und hoffen, das er ihn im nächsten Jahr nicht vergisst.Den dann fünften Hochzeitstag, an dem sie ebenso in den Spiegelblicken wird und den starren Augen einer aufblasbaren Puppe entgegensieht.Wach auf Puppe, Wach auf …S.R.Vater und Sohn. Wenn man einen Film übereinen Film seines Vaters macht, ist das ein gewagtesExperiment. 33 Jahre nach »Sweet Sweetback’sBaadassss Song« von Melvin van Peeblesmimt ihn sein Sohn fürs Making-Of. Sex undDrogen kennen wir ja schon. Erheiternd sindbei diesem Film vor allem Details. Wenn dieProtagonisten bei schlechten Western voräppelnden Pferden stehen. Wenn bei der freienLiebe auch an die Traumfänger im Hintergrundgedacht wurde. Wenn die Protagonisten Biertrinken, auf dessen Flaschen der afrikanischeKontinent abgebildet ist. Der Film wirkt nochimmer wie ein LSD-Rausch mit melancholischenEinsprengseln. Hollywood-Größen wie StevenSpielberg haben sich bereits an eine Inszenierungder Sklavenzeit gewagt, doch vermutlichgelingt es nur Afroamerikanern selber die eigeneRolle in den letzten Jahrzehnten filmisch inSzene zu setzen. Der Film über den Film ist indiesem Fall aber auch eine Verneigung vorMelvin van Peebles, die ihn selber wieder insRampenlicht stellt. Wo er dann auch lässig steht,in Sandalen mit knallroten Socken. K.K.»By all means necessary«You bled my momma. You bled my poppa. But you won´t bled me.Zu den wohl bekanntesten Blaxploitationfilmen zählt die ›Shaft‹ Trilogie,stellt sie sich doch tragischer Weise bei der politischen Betrachtung desGenres als konterrevolutionär verglichen zu anderen Filme gleichnamigenPhänomens dar. Shaft, der schwarze Detektiv, der die Straßen und marginalenViertel wie kein anderer kennt und dem System so viel besser dienenkann als andere Polizisten. Denke man hierbei an Filme wie z.B. Coffy,oder Black Gestapo. Die Figur Shaft als Afroamerikaner hätte es nichtgegeben, wäre »Sweet Sweetback Badasssss Song« kein so überraschendkommerzieller Erfolg geworden. Dieser war der erste Film von Schwarzenfür die Black Community, der seinen Produzenten, Regisseur und HauptdarstellerMelvin van Peebles zum so genannten ›Godfather of Blaxploitati o n ‹ machte. Ein Film gegen die Unterdrückung der Schwarzen, obgleichnicht aus dieser direkt resultierend, so doch cineastischer Ausdruck derBlack Power Bewegung Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre. Solange eskeinen Film mit einem schwarzen Protagonisten gab, reduzierte sich dieDarstellung schwarzer Filmfiguren auf dumme Helfershelfer, Sklavenoder gutmütigen Onkel Tom Stereotypen.63


»By all means necessary«»By all means necessary«64Sweetback ist ein Zuhälter und Live Sex Performer.Allein darin eröffnet sich bereits daskritische Potenzial des Films. Der amerikanischeAlptraum, der marginalisierte schwarze Mannaus der Unterwelt wird zum Helden. Der Pimpwird zum politischen Symbol afroamerikanischerSubkultur, ist er doch der erste, der esschafft, in der Marginalität Macht auf den weißenMann auszuüben.Sweetback, der anfangs noch mit korruptenPolizisten zusammen arbeitet, wird Zeuge, wieeben diese den schwarzen Anführer Mu – Muzusammen schlagen. Er greift ein, tötet diePolizisten. Erstmals wird nicht nur die Gewaltder Polizei, sondern auch die Legitimierung unddie Vertuschung dessen vor der Presse gezeigt.Sweetback befindet sich seitdem auf der Flucht.Er läuft und läuft unterlegt von Musik der frühenEarth, Wind and Fire zu denen Melvin vanPeebles singt: »You bled my momma, you bledmy poppa, but you won´t bleed me!« Ein Aufschrei.Eine Kampfansage. Eine Parole zumdurchhalten. Die Flucht, das Laufen wird wie inSabus Filmen zum Prozess der Selbsterkenntnis.Eine Metapher für die marginalisierte AfroamerikanischeGemeinschaft.Unterwegs werden sie von einer weißenRockergang gestoppt und zum Duell aufgefordert.Sweetback darf die Waffen wählen. Er entscheidetsich für »Fucking« und gewinnt, indemer die weiße Anführerin befriedigt. Ganz nachder Maxime der Black Panther Bewegung »byall means necessary« wird Sex und schwarzePotenz zur Waffe. Melvin van Peebles Phallusund Adoniskörper als Ausdruck schwarzenStolzes: »I´m black and proud!«. Er wird trotzdemverraten, tötet aber die Polizisten, die ihnfestnehmen wollten und schafft es über dieGrenze nach Mexiko.Der Abspann »A baad asssss nigger is comingback to collect some dues« gleicht einer Warnung.Ein Skandal, kann doch ein Film keinenSchwarzen zeigen, der Weiße tötet, und amSchluss noch damit durchkommt. Es findet sichlange kein Verleih. Und auf Grund eines X-Ratings wollen nur zwei Kinos den Film zeigen.Er wird trotzdem zum Erfolg. Ohne die kontextuelleBewertung zeigt sich »Sweet SweetbackBadasssss Song« heute wie eine MischungGodardhafter Nouvelle Vague und Trash.Mit »Gettin´ the man´s foot outa your Badasssss!«dokumentiert Melvin van Peebles Sohn Marioden Entstehungsprozess von »Sweet SweetbackBadasssss Song«. Es ist nicht nur eine liebevolleHommage an den Vater und den passioniertenFilmemacher als solchen, sondern Dokumentdes Filmemachens als politischer Akt. Melvinvan Peebles hatte als schwarzer Regisseur seinenersten Film Watermalon Man dem Missverständniszu verdanken, dass er auf Grund einesFrankreichs Aufenthaltes von den Studios füreinen Franzosen gehalten und so unter Vertraggenommen wurde. Trotz des Erfolgs des Debütslässt sich für Sweetback, seiner Thematikwegen, kein Produzent finden. Der Vertrag mitColumbia wird gekündigt. Auch die Gewerkschaftmuss umgangen werden, besteht Melvinvan Peebles doch darauf, seinen Film aus-schließlich mit einem Team Zugehöriger ethnischerMinderheiten zu machen.Das politische Potenzial »Gettin` the Mans footoutta your Badasssss!« besteht nicht nur in derDokumentation dessen. Mario van Peebles alsVertreter des ›New Black Cinema‹ schafft es eineBrücke zwischen beiden Genres zu schlagen.Waren doch in seinem Film »New Jack City« derHeld ein schwarzer Undercover Agent, der Antagonistder schwarze Zuhälter und Drogendealer,zeigen sich hier notwendige Wandlungenim Verständnis und in der strategischenEinsetzung afroamerikanischer Symbole analogzum Wandel der Zeit und der Gesellschaft. WeilHipHop Mainstream wurde und durch dieOmnipräsenz von Videoclips selbigen Genreswurde der Pimp zum Stereotyp, die einstigenSymbole zu Sexismus und zur bloßen Zurschaustellunghedonistischer Lebensäußerung.Die politische Relevanz »Gettin´ the man´s footouta your Badasssss!« über eine schwarzeGemeinschaft hinaus liegt darin, den Kontextzu erklären und alten Symbole und Strategienihre verlorene Bedeutung zurück zu geben bzw.von neuem aufzuladen. Gerade auch für einweißes, europäisches Publikum haben doch diverseSubkulturen im Pop, durch unreflektierteRetroisierung (Punk) oder Adaption (ebenHipHop) im Mainstream wie auch größtenteilsim Underground ihr kritisches Potenzial verlorenund sich vom Ursprung weg entpolitisiert.Die Notwendigkeit eben diesen Vorgehens zeigtsich auch im Mainstream. Snoop Doggy Doggarbeitet derweil an einem Remake von GordonPark Jr´s. Blaxploitationklassiker »Superfly.«J.W.H.65


»Das hier ist echt!«66»Das hier ist echt!«zu: »Jarmark Europa« / Minze Tummescheit / Deutschland 2003Was wir nicht sehen. Man müsste Filmkritikso machen wie Minze Tummescheit ihren Dokumentarfilm.Sie reist nach Russland. Ihre Stimme aus demOff beschreibt, was sie sieht. Zum Beispiel dasEnde Europas, wenn der Zug in Brest in eineHalle fährt und dort die Wagons auf andereFahrgestelle umgebettet werden, weil in Russlanddie Schienen 18 cm breiter sind. Dann aufeinmal ein schwarzer Bildschirm. Sie erzähltuns dazu, was wir nicht sehen. Sie kann unskeine Bilder davon zeigen, wie Kaleria dieGrenze von Russland nach Polen mit unverzollterWare in einem Taxi überquert. Kaleria warKardiologin, Chefärztin der Poliklinik vonPenza, 700 km süd-östlich von Moskau. Jetzt istsie pensioniert. Aber die Rente reicht nicht zumÜberleben. Deshalb verkauft sie allen möglichenTrödel auf dem riesigen »Jarmak Europa«.Um dorthin zu kommen, nimmt sie eine zweitausendKilometer lange Reise von Penza nachWarschau auf sich, in deren Verlauf sie Geld fürWare, Visum, Fahrkarte, Bestechungsgeld fürden Taxifahrer und Standgebühr bezahlenmuss. Am Ende von zwei beschwerlichenWochen stehen ungefähr 100 Dollar Gewinn…Jarmark EuropaRegie: Minze TummescheitDeutschland 2003Land der VernichtungRegie: Romuald KarmakarDeutschland 2003Freedom2Speak V2.0Regie: M. Schmidt, C. Gampl,B. Kramer, M. MeyerDeutschland 2003The Yes-ManRegie: Dan Ollman, Sarah Price,Chris SmithUSA 2003me and my brotherRegie: Robert FrankUSA 1965-1968Dying at GraceRegie: Alan KingKanada 2003Die MitteRegie: Stanislaw MuchaDeutschland 2003Beeindruckend ist es, wie Tummescheit sich zu den Frauen, die sie dokumentiert, in Beziehungsetzt: »Auch von gegenseitigem Befremdem muss hier die Rede sein«. Sie erzählt uns zu den Bildernvon ihrer Rückreise, wie deutlich sie den Abstand zwischen den zwei Welten empfindet. Sie vergleichtihre beiden Einkommen »Mir stehen im Monat 700 Euro zur Verfügung, Kaleria soundsoviel Rubel. Von ihrer Rente könnte sie sich 125 Stück Butter kaufen. Wenn ich bei mir das gleicheVerhältnis anlegen würde, müsste ein Stück Butter 5,40 Euro kosten.« Bestechend ehrlich fügt siean: »Ich weiß auch nicht genau, was ich mit dieser Erkenntnis machen soll.«Auch den technischen Aspekt des Films betont Tummescheit, statt ihn zu verschleiern. Wir sehendie stillstehende Seilbahn von Penza mit verblassten gelben Fanta- und rosa CocaCola-Gondeln.Dazu Tummescheits Stimme aus dem Off, die erklärt, warum sie das Motiv interessant fand. Undsie fügt hinzu: »Die Aufnahmen sind etwas verwackelt – ich bin ohne Stativ gekommen. Deshalbgibt es auch keine Panorama-Aufnahmen in meinem Film, eher Details aus dem Leben herausgegriffen«.Als sie Penza ein zweites Mal besucht, filmt sie noch einmal die Seilbahn: »Diesmal mitStativ«. Trotz pixeligem Bild entstehen eindrucksvolle visuell-haptische Momente. Mit allererdenklichen Ruhe beobachtet die Kamera Swetlana beim Schneiden von gekochten Kartoffeln,während sie sich mit Minze unterhält. So einfach die Nahaufnahme und das gefilmte Objekt auchsind, umso direkter trifft einen die wunderschöne Einfachheit dieser Handlung. Man bekommt Lustauf Kartoffeln. Und dann schneidet sie noch Gemüse aus dem eigenen Garten und verrät uns:»Nichts riecht so gut wie frisch geschnittene Gurken!«Man müsste Filmkritik so machen wie MinzeTummescheit ihren Dokumentarfilm. Dazu stehen,das man sich nur für einen Aspekt interessiertund ihn verfolgen. Keine Angst davorhaben, einen Gemeinplatz zu äußern, wennman wirklich berührt ist. Nicht davor zurückschrecken,zu einfachen Darstellungsformen zugreifen. Den Mut dazu haben, als Persönlichkeitim Text aufzutauchen.L.H.zu: »Die Mitte« / Stanislaw Mucha / Deutschland 2003Europa (Un)verMittelt. »Wo befindet sich eigentlich die Mitte Europas?« Die Frage, in wenigenSekunden formuliert, stellt die Adressaten vor ungeahnte Schwierigkeiten. »Welche Mitte Europaseigentlich?« »Die geografische« insistiert der Fragende.Im Grunde hätte der Film im Studio gedreht werden können. Das Thema des Films erscheint bildtechnischnur unzureichend abbildbar. Karten erfüllen diesen Zweck nicht, Ortsschilder, Erläuterungstafelnoder Markierungen anderer Art behaupten etwas, ohne dass ihr Wahrheitsgehalt nachgeprüftwerden kann. Die Markierungen werden zu Orten, an denen das Leben Europas untersuchtwird. Dabei handelt es sich um alles andere als exponierte Orte. Es wird deutlich, dass in der vielbeschworenenMitte Europas im ersten Augenblick nichts besonderes steht.Was also befindet sich in der Mitte eines so abstrakten Gebildes wie Europa? Nicht viel, will mandem Regisseur und seiner Crew glauben. Ein paar Menschen, die davon gehört haben, dass inihrem Dorf vermeintlich die Mitte Europas sei. Doch die Orte, die uns gezeigt werden, sehen nichtso aus, wie wir uns in Berlin die Mitte, also das Zentrum Europas vorgestellt haben. Denkt man anMitte in Berlin, so denkt man an pulsierendes Leben. Die Mitte eines so großen geografischenGebildes wie Europa soll im Wald liegen? Der Zuschauer wird hier konfrontiert mit seiner naivenund dennoch weit verbreiteten Vorstellung, dass Mitte gleichbedeutend sei mit gesellschaftlichemZentrum. Die im Film gezeigte Fülle der Mitten deutet an, dass Europa schwer lokalisierbar ist unddas eigentliche Zentrum nicht auszumachen. Warum suchen wir denn überhaupt ein Zentrum? DerFilm suchte die geografische Mitte, die sich im Zuge der EU-Osterweiterung logischerweise inRichtung Osten verschiebt. Dabei ist der Film weder ein leichter noch ein politischer Film.Nach der fünften Mitte Europas ist dem Zuschauer hinreichend bekannt, dass die Ortsansässigenzur Mitte Europas meist wenig fundierte Angaben machen können und vielmehr durch ihrNichtwissen der Mitte Europas eine parodistische Note geben. Die Originalität, die diesen Film auszeichnet,besteht vor allem darin, dass sie die jeweilige Mitte mit der privaten Lebensgeschichte derOrtsansässigen verwebt. Diese erzählen uns, wie die Mitte Europas auf einmal zu ihnen kam undwas sich dadurch für sie geändert hat.Damit ist die Frage, wo die geografische Mitte Europas liegt, zwar noch nicht beantwortet, aberimmerhin wissen wir jetzt, weshalb die Reise in die Mitten Europas notwendig war. K.R.67


»Das hier ist echt!«»Das hier ist echt!«68zu: »Dying at Grace« / Alan King / Kanada 2003Vom Sterben im Kino. Ich dachte ziemlichgenau zu wissen, was mich erwartet, als ich zurPremiere von »Dying at Grace« ins Delphi ging:Ein 2,5 Stunden Dokumentarfilm, der sich demTod stellt, der fünf schwer krebskranke Menschenin einem Torontoer Krankenhaus auf ihremletzten Weg begleitet. Irgendwie hat mich dasfasziniert, wenn auch auf eine sehr diffuseWeise.Kurz bevor es los geht, der Saal ist ziemlich vollgeworden, wird Regisseur Alan King nach vornegebeten, um mit ein paar kurzen Sätzen seinenFilm einzuleiten. »Dying at Grace« sagt er, »solleMenschen helfen ihre Angst vorm Sterben zulindern«.Soweit so gut, denke ich, vielleicht bin ich deshalbhier, weil ich mich im Raum der Authentizität,die dieser Film verspricht, damit konfrontierenwill, was jeden von uns betrifft, latent,doch unvermeidlich, auch wenn wir noch jungsein mögen, auch wenn wir im realen Leben,fast alles dafür tun, es auszublenden, solangewir können.Es beginnt auf einem der langen, typischenFlure des Krankenhauses in abweisendemNeonlicht. Das verwendete DV-Material fängtrücksichtslos die ganze Tristes dieser sterilen We l tin rosa, mintgrün und weiß ein, die Schmalheitder Gänge, die Instrumentarien des Dahinsiechens,Rollbetten, Infusionsständer schließlichdie Menschen, die hier arbeiten.Gleich die ersten Bilder machen klar, dass dieserFilm nicht ausblenden wird, wo wir normalerweiselieber die Augen schließen: Die Leicheeiner Frau wird mit einer Marke am Fußzeh versehen,bevor sie zwei Schwestern gemeinsamauf ein Rollbett hieven und sie schließlich ineinem weißen Plastiksack verpackt im Schubfacheines riesigen Stahlkühlschranks verschwindet– God bless you!Dann lernen wir der Reihe nach Carmela, Joyce,Eda, Loyd und Rick kennen. Sie alle habenKrebs, sie alle werden sterben. Nur, dass dieseKamera anwesend ist, und ihnen dabei zusehenwird. Sie ist da, wenn sie schlafen, wenn siefernsehen, mit Schwestern und Angehörigensprechen, wenn sie sich an den letztenHoffnungen festklammern und auch wennihnen schließlich klar wird, dass es ke i n eHoffnung mehr gibt. Dabei rufen die endlosen,wackeligen Einstellungen, die unruhige Bewegtheitder Kamera, die hektischen Zoomsimmer wieder laut: Das hier ist echt! Wenn dieKamera zurückweicht, um den Angehörigen anLoyds Bett mehr Platz zu machen als es soweitist, wenn sie sich wieder und wieder zuschonungslosen Closeups von eingefallenenGesichtern und welken Händen zwingt, dieauch sie befangen wirken lassen, dann bestehtkeinen Augenblick lang ein Zweifeln daran,dass hier echtes, nacktes Leben, echtes Sterbenabgefilmt ist – bis man es nicht mehr aushält.Die letzte Einstellung ruht beklemmend nah aufdem Antlitz Edas, das kaum noch als das derFrau zu erkennen ist, die wir für 1,5 Stundenbegleitet haben. Fast 5 Minuten lang hören wirauf jeden ihrer, schnarrenden Atemzüge (ihreLunge hat sich mit Wasser gefüllt), während dieAbstände zwischen diesen immer größer werden.Die Hauptschlagader am Hals ist deutlichzu sehen und damit auch der Augenblick, alssie plötzlich zu pulsieren aufhört. Ein letztesAusatmen, wie ein Seufzer, dann ist es vorbei –endlich.Als die Titel über das schwarz gewordene Bildzu laufen beginnen und der ganze Saal wieparalysiert in Regungslosigkeit verharrt, niemandraschelt, niemand aufsteht, vereinzeltesSchluchzen zu hören ist, frage ich mich plötzlichwas hier eigentlich gerade passiert ist.Kann etwas, wie das eben Gesehene, wirklichdie Angst vorm Sterben lindern? Ist zwischenden Zeilen dieser Bilder nicht vielmehr deutlichzu lesen, dass dabei jeder der Erste ist, und dasses letztlich nichts auf der Welt gibt, was einendarauf wirklich vorbereitet?Und was kann dann dieser Film, was kann derechte Tod im Kino? Es wird viel gelitten undgestorben dieser Tage auf den Leinwänden amPotsdamer Platz, und mit Sicherheit wird dabeiauch viel geschluchzt. Natürlich, im Kino gehtes um die großen Emotionen. Aber was sie hervorruftist fiktiv. Diese fünf Menschen sind aberwirklich gestorben, nicht für die Kamera, sonderntrotz ihr und ich frage mich ob dieseTatsache nicht gerade Opfer der Kinoleinwandgeworden ist, auf der ich sie gesehen habe.Haben wir uns etwa, ohne es zu bemerken, ebeneinfach unterhalten lassen?Sterben gehört zum Leben dazu, wie dasGeboren werden – aber das macht es nicht ein -facher. Wenn überhaupt, dann ertragen wir esnur, wenn die Kunst es vorher für uns gebändigthat.J.B.zu: »me and my brother« / Robert Frank / USA 1965-1968Halbes Off. Der Film beginnt in Farbe. Es ist Nacht. An einem anonymen Platz zoomt die Kameraauf das Warnsignal ›Stop / Don` t Walk‹. Die Großaufnahme verharrt bis die Regelmäßigkeit desLeuchtintervalls die Warnung aufhebt und das Bild einprägt. Schnitt. Ein Filmset. Julius Orlovskyin nackter Umarmung mit einem Mann. Küsse. Gespielte Intimität auf Zelloid gebannt. DieLeinwand eines Kinos, im Vordergrund die rote Stuhlreihe, im Hintergrund die Erinnerungsfläche.Flackerndes Projektionslicht. Schwarz-Weiß: Allan Ginsberg trägt einen Teppich über eine Wiese.Er entrollt das eingewebte Porträt von John F. Kennedy. Ein Psychiater fragt Julius Orlovsky, ober Kennedy kenne. Er schweigt. Eine andere Szene läßt die Stimme von Julius im halben Off, siebeantwortet die Fragen einer Sozialarbeiterin, die Kamera zeigt seine Person, seine Augen blicke nzu ihr, aber seine Lippen bewegen sich nicht. Konträre und experimentelle Wort-, Ton- und Bildebenenhaben ihre Funktion. »Don`t be afraid Julius, don’t be afraid Julius, don’t be afraid …«Dokumentarische oder dokumentarisch wirkende Bilder einer Spokenwordperformance vonLiteraten der Beatgeneration. Indische Musik, dann Allan Ginsberg am Mikrophon. Hinter ihmJulius auf einem Stuhl im Bühnenlicht. Seine Miene ist unbewegt, während Allans Stimme anschwillt.Er soll in zwei hingehaltene Mikrophone sprechen, doch Julius vermag nur undeutlich zuflüstern,trotz der mehrfachen Aufforderung, lauter zu werden. Robert Franks präzise und zugleichdistanzierte Kamera schafft in ihrer Kadrierung politische Bilder, die den Blick des Zuschauersschärfen: Julius als Arbeiter der Müllentsorgung. In seiner Hosentasche die Daily News, ein Nameals Schlagzeile: Malcolm X. Andere Schlagzeilen an anderen Orten. In der letzten Sequenz desFilmes spricht Julius von Elektroschocks in der Nervenklinik. Er spricht direkt in die Kamera, erentzieht sich ihr nicht mehr, offen, selbstbewußt und mit einem Lächeln zwischen den Zeilen. DerSchluß abrupt, mitten im Satz als hörbares und sichtbares Ende des Filmstreifens. Der kurzeLichtschlag ins grelle Weiß. Der Kinovorhang beeilt sich, die wenigen Zuschauer nicht. W.B.69


»Das hier ist echt!«»Das hier ist echt!«70zu: »The Yes-Man« / D. Ollman, S. Price, C. Smith / USA 2003Michael´s Family. Wer sich totlachen würde,wenn G.W. Bush sich auf ein Furzkissen setzt,weiß auch die politischen Aktivitäten der »Yes-Men« und deren filmische Inszenierung zuschätzen.Wenn Andy und Mike mit gigantischen Gold-Penissen und gepresster Scheiße als WTO-VertreterKongresse aufmischen, wollen sie zeigen,was Globalisierung bedeutet.Die dokumentarische Kamera von Dan Ollman,Chris Smith und Sarah Pride unterscheidet sichnur in wenigen Zügen von einem Hund. Erstensbegleiten sie ihre Herrchen auf keinem Trip inden Park, sondern einem rund um die Welt, undzweitens muss die Kamera während Autofahrtennicht in den Kofferraum, sondern darf auf demBeifahrersitz sitzen. Den Jungs macht es mehrSpaß, satirisch als ernst zu sein, sagen sie. Stolzsammeln sie deshalb Zeitungsausschnitte überihre skurilen Auftritte, zu denen sich die WTOnicht äußert.Stellt euch vor, es ist Globalisierung und keinergeht hin! Erreichen tut die offensichtliche Kritikjedoch nur wenige der Verantwortlichen, denndie Anzüge der Yes-Men und ihre PowerPoint-Präsentationen sind »business as usual«. Damitzwingt das abgebrühte Publikum die »Ye s - M e n «,beim nächsten Mal zu noch extremeren Show-Effekten zu greifen. Sigmund Freud hätte seineFreude gehabt an so einer ausgeprägten analenPhase, aber der ist tot.Vielleicht hätte man also die Flug- und Hotelkostenauch in sinnvollere Anti-Globalisierungsprojektestecken können. Dann hätten dieKinozuschauer aber einen guten alten Bekannten,Michael Moore, nicht gesehen. Denn wie so oft,hält das Maskottchen der populistischen Anti-Globalisierungsbewegung seinen Kopf ins Bild.Das ist nett, denn schließlich haben wir denteilweise seit der Oscar-Verleihung vor einemJahr nicht mehr gesehen. Und außerdem hattendie Jungs doch eine Menge Spaß. K.K.zu: »Land der Vernichtung« / Romuald Karmakar / D 2003Fünfzehn, Sechszehn, Siebzehn... Eine Handkamera.Der Subjektive Blick entlang einesalten Konzentrationslagerzauns. Aus dem Offder Kameraton. Die Kommentare des Kameramanns,gleichzeitig der Regisseur: RomualdKarmakar. Langsam beginnt er eine Längsseitedes Lagers abzuschreiten und zählt jedenSchritt laut mit. Eins, zwei, drei, vier, fünf,sechs, sieben, acht, neun, zehn, elf, zwölf, dreizehn,vierzehn, fünfzehn, sechzehn, siebzehn,achtzehn, neunzehn, zwanzig, einundzwanzig,zweiundzwanzig… hundert, eins, zwei, drei,vier… zweihundert… dreihundert… vierhundert…fünfhundert… sechshundert… irgendwann musser den Akku der Kamera wechseln.Das Bild springt kurz, aber wir stehen immernoch am Lagerzaun und blicken daran entlang…achthundert. Es scheint nicht enden zuwollen. Es geht weiter und weiter und weiter.Der Anfang dieser Dokumentation ist zäh undquält. Bis wir am anderen Ende des Lagers ankommen.Über tausend Schritte. Eine einfache,aber auch effektive Methode im Kino die Ausmaßeder Nazigreuel erfahrbar zu machen. DieGröße des Konzentrationslagers ist keine faktischeGröße mehr, keine Zahl. Sondern langsame,erfahrbare Zeit. Später in der Dokumentationwird Karmakar sich wieder dieserMethode bedienen. Wenn er die Massengräberabschreitet.Auch wenn es dieser Dokumentation an vielemfehlt, was andere Dokumentationen zu diesemThema haben, wie z.B. Fakten, altes Filmmaterialoder ein klares Ziel, so sind es andereAspekte, die diese Dokumentation sehenswertmachen. Während der ganzen Dokumentationsteht zwischen Karmaker und den Menschen,die er interviewt, die Sprache. Er kann keinPolnisch und die Interviewten kein Deutsch.Nur manchmal steht ihm ein Dolmetscher zurVerfügung, der allerdings kein Deutsch, sondernnur etwas Französisch kann. Als Zuschauernimmt man nun, man hat Untertitel,daran Teil, wie die Fragen Karmakars und dieAntworten der Menschen durch diese Filtergehen und dadurch verändert werden. Daswiederum hat Auswirkungen auf die Fragen,die der Regisseur weiter stellt. Es ist interessantzu sehen, wie trotz der sprachlichen Barrieren,die Verständigung funktioniert, da beide Seitenungefähr Wissen, was die Basis des Gesprächsist. Viel interessanter ist jedoch, was durchdiese Situation zusätzlich sichtbar, bzw. hörbar,bzw. lesbar wird: die Erwartungen. Es tritt dieErwartung zu Tage. Oder auch das vermeintlicheWissen über die Erwartungen des Gegenüber.Vielleicht auch die Gewohnheit, z.B. dassviele der polnischen Interviewten überzeugtsind, Karmakar müsse Jude sein. Warum sollteer sich sonst für dieses Thema interessieren. Aufder anderen Seite, wenn Karmakar eine Fragestellt, sein Gegenüber diese nicht versteht undauf das antwortet, was er glaubt gefragt wordenzu sein, dann lesen wir etwas darüber, was diesenMenschen für Fragen gestellt werden undwelche eher nicht. Die Erfragung von Datenfunktioniert, die Erfragung von Gefühlen meistnur im Subtext der Antworten.Auch wenn diese Dokumentation manchmaletwas ziellos wirkt und der Informationsgehaltein anderer, ungewohnter ist und nicht sofort,in der ersten Ebene lauert. Gerade deswegen istsie sehenswert.T.F.71


»Das hier ist echt!«»Das hier ist echt!«72zu: »Freedom2Speak V2.0« / M. Schmidt, C. Gampl, B. Kramer, M. Meyer, U. Nagel / D 2003Das Schönste am Krieg oder Freiheit macht arm. Während imFebruar 2003 der Irak Krieg kurz vor der Eskalation steht, dokumentiertein Team von fünf Filmemachern die Reaktionen hierzu auf der <strong>Berlinale</strong>.So auch während des Krieges auf den Filmfestspielen in Istanbul undnach dem ausgerufenen Ende des Krieges seitens der USA in Cannes.Diverse Filmschaffende aus aller Welt kommen in Interviews zu Wort.Durchsetzt ist die Doku Collage mit Trennern, die den Verlauf des Weltgeschehenswiedergeben und Kurzfilmen oder Spotsequenzen zum Irakkrieg.Man wollte der Ohmacht etwas entgegensetzten, so der Text. Fragt sichnur welcher Ohnmacht in Anbetracht des Films. Überraschend zeigt sich,das kaum jemand zur <strong>Berlinale</strong> 2003 über oberflächliche, banale Aussagehinauskommt. An den Stellen, wo es dann mal interessant werden könnte,hören die Interviews auf. Stattdessen sieht man jeden noch so kurzenAuftritt von Georg Clooney und Dustin Hoffman, die man auf Grund desvermeintlichen Skandals im Fernsehen andauernd gesehen und heuteimmer noch auswendig mitsprechen kann. Hinzu kommt, dass sie imGrunde nichts anderes sagen als »ich bin dagegen.« Daran ändert sichauch nichts in Istanbul oder Cannes. Gelegentlich wird man ein wenigzynisch, wenn bspw. ein Cutter erzählt, wie schlecht inszeniert undgeschnitten doch die Bilder vom Fall der Saddamstatue waren. DieSinnlosigkeit des Filmes offenbart sich bereits nach 15 Minuten, wasnicht den befragten anzukreiden ist, sondern in der ideenlosenHerangehensweise der Macher von »Freedom2Speak« begründet ist.Aneinander geschnitten wirkt es fast grotesk, wenn belanglose Reflexionauf Filmfestivals auf reißerisch inszenierte Fakten über den Krieg aufBildzeitungsniveau treffen. Ferner habe ich die Wirklichkeit in einemDokumentarfilm selten erlebt. Die Kurzfilme machen alles noch vielschlimmer, schwanken sie meistens nur zwischen Stammtischphrasen,plumpen Antiamerikanismus und Geschmacklosigkeit.Außerhalb eines Festivals verfolgen wir plötzlich irgendwo im BerlinerSommer ein Gespräch zwischen Volker Schlöndorff und Gerd Conradt.Schlöndorff argumentiert die deutsche bzw. die gesamte internationaleProtestbewegung sei sinnlos, da es sich hierbei ausschließlich um einProblem der USA handle und eben nur dort gegen diesen Krieg demonstriertwerden solle. Wie hahnebüchen diese Herleitung, das gesamteArgument auch sein mag, so unnötig ist es doch auch eine solche Szenezu verwenden, widerspricht sie doch auch dem Festivalkonzept. Dient siedoch ausschließlich der Stigmatisierung Schlöndorffs. Will man uns hiersagen, man solle seine Filme von nun an boykottieren, vertritt er dochdie falsche Meinung? Und auf eben einer solchen unsympathischen Artund Weise skizziert »Freedom2Speak« diese eine Sichtweise: nämlich die»einzig Richtige«. Behauptet dies zumindest. Und wird damit zu einer Artreißerischem politischen Boulevardjournalismus in der A- F i l m f e s t i v a l w e l t .Die »Bild« unter den Filmemachern. Produkt der Blumfeld/Roger Behrensschen›Diktatur der Angepassten‹.Gerd Conradt hat auch einen dieser Spotsequenzen. Gerd Conradt hatmeiner Meinung nach mit Die rote Fahne 1968 einen der besten Polit/Agitprop Filme gemacht, die damals an der dffb entstanden. Und ja ichmag diesen Menschen sehr. Die rote Fahne war wild und Ausdruckemphatischer Energie. Aber hier steht er nur ganz hippieesk vor einemalten Baum und umarmt diesen, angesichts dessen, was dieser Baumschon so alles gesehen haben mag. Im Umschnitt steht er ganz ohnmächtigvor einem Rosinenbomber und fordert eben diese: »Rosinenbomber!Das ist es doch was wir brauchen! Rosinenbomber!«. Nein, nein.Ein Statement allein heiligt nicht den Film. Und politischer Film ist etwasanderes. Wenn Conradts melodramatischer Blick auch auf echter Verzweiflungberuht und eine Ausnahme darstellt, fragt es sich doch:Welcher Ohmacht wollte man denn entgegen treten, findet man doch hierkeine selbstkritische Reflexion, sondern nur Selbstgefälligkeit und Selbstgerechtigkeitgegenüber dem eigenen Privileg?Es ist genau das was »Freedom2Speak V 2.0« darstellt. Ein unreflektiertesAnbiedern an einen pseudo linken Mainstream.Wenn schon, wie aufgeführt wird, die Mehrheit gegen den Krieg ist, dannist ein Film, der nichts weiter sagt, als »Krieg ist doof« und »Georg W.Bush ist doof« genau so unnötig wie »Schill raus« Plakate nach der letztenHamburg Wahl. Schlimmer noch. Es ist ein populistischer Film, dereine stumpfe Absolution erteilt, indem er behauptet, man wäre mit jedernoch so belanglosen Aussage, Hauptsache sie sei gegen den Krieg, auf derrichtigen Seite. Es ist diese Art an albernem politischen Geschwätz, dasseinen dummen unreflektierten Antiamerikanismus und eine ebenso gestörte,vermeintlich linke Renationalisierung Deutschlands nährt. Mankönnte schon fast meinen, »Freedom2Speak« zeigt ungewollt den sichentpolitisierenden Moment einer sich kurzzeitig politisierenden Mehrheit,der sich in seiner Belanglosigkeit und Selbstgenügsamkeit (vom Ursprung,dem Widerstand und der Absicht weit entfernt,) in sich selbst auflöst.Es sollte sich aber alles noch nach dem Film erklären, als Markus C.M.Schmidt, Brigitte Kramer, Christoph Gampl, Marc Meyer und Uwe Nagelden Saal betreten, um Rede und Antwort zu stehen.Ich frage nach: »Manipulation durch Montage seitens der USA wurdeeinerseits in den Statements thematisiert und kritisiert, gleichzeitig wirddiese wiederum sichtbar in den Kurzfilmen als Stilmittel eingesetzt. Inwiefernwurde nun bei der Montage der Statements, also der Auswahl,unsichtbar selektiert und damit manipuliert?« Meine Frage wird wederauf Englisch noch auf Deutsch verstanden. Ich bekomme vom EditorMarkus C. M. Schmidt nur ein »Montage ist immer Manipulation« zuhören. Kurzes gegenseitiges auf die Schulter klopfen, dann die wohlwollendenFrage: »Warum nur so wenig Georg Clooney und Dustin Hoffman?«Brigitte Kramer entschuldigt sich, man habe ja nur normale Akkreditierunggehabt, da wäre es nicht möglich gewesen, extra Interviews zubekommen. Was ich persönlich für einen Film im Panorama der <strong>Berlinale</strong>als Entschuldigung für nicht akzeptabel halte. Und dann: Marc Mayerspricht weiter und verrät endlich genau das, was ich die ganze Zeit hörenwollte: »Natürlich war es eben wichtig diese in den Vordergrund zu stellen.Die Schönen und Berühmten. Weil sie sexy sind. Und Sex sells. …«Und damit erklärt sich alles, was man durch die Handschrift der Filmemacherdurch den Film transportiert bekam. Sie selbst sichtlich erfreutund stolz auf ihr Werk vor dem Publikum und unausgesprochen steht imRaum: »Das Schönste an diesem Krieg war doch, dass wir diesen Filmmachen konnten und heute hier sind.«Ich verlasse augenblicklich den Saal, um mich sehr entspannend einemSchreikrampf hinzugeben.J.W.H.73


»Ihre Antwort dehnt den Augenblick«74»Ihre Antwort dehnt den Augenblick«B-HappyRegie: Gonzalo JustinianoChile/Spanien/Venezuela 2003Wunderbare Leichtigkeit. Südliche Farben,staubige Straßen, ein schmieriger Lastwagenfahrer.In seinem Laden hebt die Mutter ihrKleid, die Tochter weiß sich ihm zu wehren.Katti ist ein junges Mädchen, und ihre Augenhaben bereits die Härte des Lebens gesehen. IhrVater ist nur kurze Zeit aus dem Gefängnis undwieder auf der Flucht und auch ihr BruderDanilo und ihre Mutter lassen sie allein zurück.Chemo und Katti begegnen sich in der Schuleund auf dem Weg sprechen sie die ersten Wortemiteinander. Ihr flüchtiger Abschied kennt dasWiedersehen.In ihrem Zimmer bewegen sie sich aufeinanderzu. Sein Moment des Innehaltens und Kattisbestimmende Worte »Zieh dich aus«. Seine fragendeund dann schnellere Bewegung desEntkleidens. Ihre Antwort dehnt den Augenblick.Sonnenstrahlen tauchen sie in ein Licht,umschmiegen ihren Körper und schenken eineFotografie, deren Schönheit berührt. Die Kameradeutet ihre Umarmung nur an, sie verweilt nicht.Sie findet einen Raum für das eigentliche Kleid,das erste Mal. Es ist ihr Mann und ihr Augenblickund wir erleben die Leichtigkeit, die ihrnatürliches Wesen zeichnet.Kattis Suche nach ihrem verschwundenen Vaterwird zu einer Reise der Begegnungen. MitSehnsucht in der Stimme hatte er ihr von einerHafenstadt erzählt. Anfang und Ende von »B-Happy« wiederholen die wie ein Gedicht gesprochenenWorte: Ich habe keine Angst, nichtvor dem Wind, nicht vor den Zigeunerinnen …Gonzalo Justinianos Film und Manuela Martellimachen nachdenklich-glücklich und bald süchtignach einem Wiedersehen.W.B.Jenseits der Kulissenhaut. Eine Szene ineinem verlassenen Haus. Die Katze schleichtdurch die leeren Räume. Nur Katti und Chemo.Der Wind spielt zaghaft an den Fensterläden.Sie quietschen. Bestimmt aber sanft befiehlt sieihm, sich auszuziehen. Sie sind Schulfreunde.Sitzen nebeneinander in der Klasse. Zögerndstreift er seinen Pullover ab, dann das Hemd,die Hose – Kattis Gesicht blinzelt vor Neugierde.Sie muss ungefähr 13 oder 14 sein, nicht älter.In Windeseile hat sie sich ausgezogen. Nackt.Kindlich. Erotisch steht sie vor ihm, fragt, obihm gefällt was er sieht. Gleich einer Katze klettertsie zu ihm aufs Bett. Ihr Körper ist fest,klein und stark. Ihre honigbraune Haut leuchtetim zaghaften Licht. Man kann sich eine Katze,einen Hund oder seine Freunde aussuchen, aberseinen Vater, seine Familie, die kann man nichtwählen. Katti bestimmt Chemo zu ihrem erstenLiebhaber, weil man sagt, dass man das ersteMal nicht vergisst. Als könnte sie ihn in ihreErinnerung brennen – da in diesem nacktenund warmen Augenblick. Als könnte sie diesevon ihr erwählte Erinnerung über die anderenErinnerungen legen, sie erstummen lassen.Es gibt jene Momente im Kino, in denen dieKamera unseren Blick direkt da auf der nacktenHaut ablegt. Momente, in denen wir zuschauendürfen, wenn das Paar sich liebt. In denen wirzwischen den Finger hindurch luken, wennDemütigung und Erniedrigung einsetzt. Peinlichkeit.Scham. Nacktheit als Entblößung. Alsverführerischer Moment. Als Spiel. Nacktheitals Natürlichkeit. Als Peinigung. Strafe. AlsWaffe. Das Gesicht der Nacktheit weiß einevielfältige Mimik.Wenn Katti sich vor Chemo entkleidet, ist siemit sich angezogener denn je. Es ist dieser insich nackte Moment, in dem es nicht um ihreEntblößtheit als solche geht. Nicht um das Spielder Liebenden. Nicht um Verführung. Vielmehrist es der Augenblick, in dem sie sich das ersteMal offenbart, das erste Mal nach dem greift,was sie allein will. Das diese erste ÖffnungKattis mit dem Moment ihres ersten Malszusammenfällt, untermalt die Bewusstheit diesesfilmischen Augenblicks. Wenn Katti ihreKleider ablegt, streift sie auch ihre Kindhaftigkeitvon sich. Kattis honigbraune Haut wird zurProjektionsfläche einer Selbstbestimmung.Wird zum Gewand ihrer Mutes, sich das eigeneLeben anzueignen. Das eigene Leben da in demverlassenen Haus in den Bergen Chiles. Wenndie Kamera rechtzeitig das Liebespaar verlässtund weiter an diesem coming-of-age Poemdichtet, wird deutlich, dass sich das. was unsder Film »B-Happy« wirklich erzählen möchte,jenseits dieser Kulissenhaut bewegt. S.R.75


»Ihre Antwort dehnt den Augenblick«»Ihre Antwort dehnt den Augenblick«76Interview mit GonzaloJustiniano / Regisseurvon »B-Happy«Ein Mann mit einem traurigen Blick macht einen Film über das GlückIch warte im Forum Office Büro auf Herrn Justiniano. Ich lese zuvor nochettliche Male seinen Namen im Programmheft nach und versuche, ihnmöglichst spanisch auszusprechen. Ich kann durch die große Glasfassadeauf den Eingang der Arkaden blicken, wo Menschen mit Einkaufstütenaus- und einströmen. Ich suche Herrn Justiniano unter ihnen. Nachdemich nach 45 Minuten Warten an dem Punkt einer gewissen Hoffnungslosigkeitangekommen bin, kommt ein großer, kräftiger und dunkler Manndurch die Tür direkt auf mich zu. Señor Justiniano. Bevor ich versuche,mich an seinen Namen zu erinnern, stellt er sich mit Gonzalo vor.Gonzalo mit den unheimlich traurigen Augen machte einen Film über dasGlück. Und auf eine gewisse Weise passt dies sehr gut zusammen…S.R. Bestimmt ahnen Sie bereits, um was sich meine Fragen an Sie drehenwerden. Aber es ist fast unmöglich, wenn Sie einen Film »B-Happy«nennen, dass ich Sie nicht über Glück und Glücklichsein befrage. Was istdas für eine Art Glück, welches Sie in der Person von Katti erzählen?G.J. Für mich verbirgt sich hinter dem Titel »B-Happy« eine gewisseIronie. Ironie in der Weise, dass man uns eine Art Glück zu verkaufenversucht, dass man uns Glück beibringen möchte, als könnte man eserlernen … wir kaufen mehr Dinge und werden dann glücklich, obgleichdie Mehrheit der Menschen dazu keine Möglichkeit hat. Das Glück, wasich zu zeigen versuche, ist das Glück der einfachen Menschen. Menschen,die mit vielen Schwierigkeiten leben müssen und mit dem Versuch überhauptzu überleben – die nur kleine Dinge haben, eine kleine Arbeit, einekleine Liebe und etwas ganz großes, das sie das Leben genießen.S.R. Mein erster Gedanke war der Titel als eine Art Botschaft oder eherAufforderung…G.J. Es gibt eine Szene im Film, wo die Lehrerin englisch unterrichtet unddie Schüler ihr nachsprechen müssen: to be happy… Das beschreibt esglaube ich sehr gut, was ich meinte mit dem Beibringen von Glück. Invielen Ländern, in Chile und bestimmt auch in Deutschland, ist Glücklichseinoft ein englischer Begriff – happy – man lernt ein englischesKonzept von Glücklichsein. Was ich in meinem Film zeigen möchte, istein Mädchen was versucht ihr eigenes Leben zu meistern und zu finden.Sie sucht eine andere Art von Glück, ein einfacheres Glück vielleicht.S.R. Glauben Sie, dass Sie die Menschen mit Ihrem Film glücklichmachen, vielleicht im Sinne des einfachen Glücks?G.J. Ich glaube nicht, dass die Menschen mit meinem Film glücklich werden.Gut, wenn sie ihn mögen vielleicht oder wenn sie mit Katti mitfühlenkönnen. Ich habe ein sehr hartes und ernstes Thema gewählt – es istschwierig damit glücklich zu werden. Aber ich wollte oder musste eineArt von Menschen zeigen, die nicht damit aufhören, für das zu kämpfenan das sie glauben und somit nicht aufhören, an das einfache Glück zuglauben. Katti hat viele Probleme und gibt doch nie auf, das ist der Film.S.R. Wenn die Geschichte von Katti eine Nationalität hat, ist dies für Sieeine typisch chilenische?G.J. Es ist zweifelsfrei eine sehr universelle Geschichte. Überall auf derWelt gibt es Mädchen in diesem Alter. Ein Alter, wo es überall ähnlichProbleme geben kann. Jedes Mädchen hat zumBeispiel ihr erstes Mal. Das ist nicht immer einfach.Natürlich hat nicht jede so viele Problemewie das Mädchen, was ich in dem Film zeige.Kattis Geschichte basiert auf einer wahrenBegebenheit. Ich traf im Norden Chiles einMädchen, die war 14 Jahre alt und reiste seitanderthalb Jahren durch Chile. Sie war vonZuhause, von ihrem Vater abgehauen und reistevom Süden Chiles bis in den Norden. Als ich siein dieser Bar traf, wo sie kellnerte, fehlten ihrnur noch 40 Kilometer bis nach Arica – dienördlichste Stadt an der chilenischen Küste …Ich hoffe, dass die Menschen etwas Gutes fühlendurch den Film. Dass sie eine andere Artvon Glück finden. Was denkst du?S.R. Ich glaube, dass mich der Film glücklichmachte, weil er so eine Kraft verströmte. EineKraft, die sich nicht kaputt machen läßt, durchnichts und niemanden. Diese Kraft war Katti.Der Film schafft etwas, gerade durch all dasTraurige und Grausame, er schafft es, Lust zumachen – Lust aufs Leben.G.J. Ja das ist es. Man sieht in meinem Filmjemanden, der leben will, der nicht sofort mitden ersten Problemen aufgibt.S.R. Basiert die Rolle des Vaters ebenso aufeiner realen Figur?G.J. Die ganze Geschichte des Mädchens in derKneipe war sehr traurig und schrecklich, weilihr Vater sie vergewaltigt hatte. Im Film dagegenist das eigentlich wichtige Thema die Abwesenheitdes Vaters. Katti sucht unermüdlichihren Vater, obwohl sie weiß, dass sie keineErwartungen an ihn stellen kann. … because heis a little bit crazy … Sie ist alleine. Ja, in diesemMoment ist sie alleine auf diesem Planetenund muss mit 13 oder 14 Jahren versuchendamit umzugehen. Katti wird sehr schnell zueiner Frau. Ihr Leben ist so extrem, dass sie sehrfrüh erwachen musste – in einer sehr hartenWeise.S.R. Als sie gestern nach dem Film von Kattisprachen, klang dies für mich als sprachen sievon ihrer eigenen Tochter.G.J. Katti ist keine Tochter für mich – so alt binich dann doch noch nicht. In einer Art undWeise ist natürlich jeder Film ein Kind von mir.Aber ich glaube, dass ich genug Distanz zu diesemFilm und zu Katti habe, ausreichendDistanz als daß sie meine Tochter wäre. Ichhabe versucht, mit Katti eine Metapher zukreieren. In einer Art und Weise ist das menschlicheLeben sehr grausam. Die Dinge, die mitKatti passiert sind, passieren vielen von uns.Jeder kann sterben, wir sind häufig alleine undjunge Menschen fragen oft wofür das alles gutist, wieso diese Welt so ist wie sie ist. Menschenwerden depressiv und gelähmt und wissen nichtwie sie handeln sollen. Andere Menschen dagegensind mehr abgehärtet und versuchen in derArt zu leben wie sie es können. Was diesemMädchen passiert und wie sie reagiert, ist fürmich eine Metapher des menschlichen Lebens,des Instinkts zu leben. Eine Metapher für denInstinkt. Den Instinkt, das Leben, was wirhaben, trotz schwieriger Situationen irgendwiezu leben, zu überleben, weiterzuleben.S.R. Mit Katti haben sie eine sehr starke Figurerschaffen. Ich glaube das die wenigstenMenschen so stark sind.G.J. Katti weiß auch, dass sie schwach ist. DieFrage ist nicht, ob man Angst hat oder nicht,sondern daß man lernt, mit der Angst zu leben.Katti vermag ihre Probleme und ihre Angst zuerfassen und kann so mit ihnen leben.S.R. Ist Katti als Chilenin stärker, mutiger oderlebensfroher als es Figuren in anderen Ländern,wie in Europa wären?G.J. Jeder Film erzählt die Geschichte von demLand, wo er spielt. Ich habe mir mein Land undmeinen Vater nicht ausgesucht. Genauso wieKatti dies nicht tun konnte. Und wenn ich dieseGeschichte erzähle, erzähle ich auch ein Stückaus meinem Leben und aus meinem Land. Ichdenke, dass es in Chile mehr von dieser Art77


»Ihre Antwort dehnt den Augenblick«78Glück geben kann, weil es ein unterentwickeltesLand ist, in dem die Menschen nicht denStress wie in Europa haben. Sie haben nichtdiesen Druck zu konsumieren und erfolgreichzu sein. Sie leben ihr Leben mit weniger Dingenund mit weniger Stimulation als die Menschenhier.S.R. Sie haben sowohl in Europa als auch inChile gelebt. Wo ist es einfacher, glücklich zusein?G.J. Heute in Chile. Auch wenn ich viele Dingedort nicht mag, so mag ich das Land und dasLeben in Chile. Ich denke, es ist ein menschlicheresLeben dort als im Rest der Welt. Ichhabe in Paris gelebt. Das ist eine Stadt, wherepeople become crazy…S.R. Haben Sie ein eine Art Lieblingsbild ausihrem Film?G.J. Mhm… Vielleicht wenn sie Liebe machen.Ich denke es ist eine sehr schöne Lösung, diedieses Mädchen für ihr Leben findet. Sie sagt,sie will sich ihren ersten Mann aussuchen, weilman sagt, dass man sich an sein erstes Malerinnert. Sie will ihren kleinen Freund nichtvergessen. Und sie erzählt es ihrer Freundin undunterrichtet sie so, dass sie sich ebenso ihrenersten Mann wählen soll. Wie Kattis Muttersagt, kann man sich eine Katze oder einenHund aussuchen, aber nicht den eigenen Vater.Darum wählt Katti ihren Chemo.S.R. Haben sie auch eine Tochter?G.J. Ja, sie ist zehn Jahre alt, aber ich glaubenicht, dass sie so wird wie Katti.S.R. Ich denke, Katti hat auch ein anderesUmfeld, einen anderen Vater.G.J. Ja, danke.S.R. Welche Fragen würden sie sich an meinerStelle stellen?G.J. Das ist eine schwere Frage… Vielleicht wievielProzent Realität dieser Film besitzt!?In einer Weise ist der Film sehr real. DieCharaktere sind sehr nah am Leben und aufdiese oder jene Weise existiert dieses Leben imFilm auf viele Weisen an vielen anderen Orten.Aber ich weiß nicht, ob ich verrückt bin zuglauben, dass dies das reale Leben von anderenMenschen ist!? Womöglich ist dies alles auchnur Imagination. Aber die Probleme, die Kattimit ihrer Familie hat sind nicht überall gültig,auch wenn es sie gibt. Haben Sie Familie?S.R. Ich bin eine Tochter von einem gutenVater.G.J. Das ist gut.S.R. An welchen Projekt arbeiten sie derzeit?G.J. Es ist die Geschichte eines jungen mexikanischenMädchens, was von der USA träumtund illegal einwandert, weil sie glaubt dort eingroßer Filmstar zu werden. Neben vielen Problemen,bekommt sie das was sie will, nur ineiner sehr anderen Art. Das ist die Geschichte.S.R. Geht es darin auch um das Glück?G.J. In gewisser Weise geht es immer um dasGlück oder Schicksal, ganz wie man es nennenmöchte. Aber es wird eine andere Geschichte,mit anderen Charakteren, anderen Problemen,einer anderen Katti. Vielleicht kann man keineFilme machen, ohne gleichzeitig vom Glück zuerzählen. Von diesem einfachen Glück, was ichmeinte.


80INDEXClaudia WeigelDas Verbindende. Der Moment. Der Trailer......4Was bleibt ist Sex mit Unbekannten...............20Ästhetische Höhlenhölle....................................23Russland quer auf Halbhöhe.............................34Zwei Bilder..........................................................55Jens BrendelNacktheit als Maske. Nacktheit als Waffe.......12Porno auf 9x5m..................................................21Die Widerspenstige.............................................25Vom Sterben im Kino........................................68Jonas Weber HerreraWa h r n e h m u n g . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6Musik im Film.......................................................9Die kulturelle Identität......................................16Persönliche Wunschvorstellung.......................26Mädchen im Film. Julia Hummer forever.......46B e r l i n a l e t a g e b u c h . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51You bled my brother, you bled my poppa......63Das schönste am Krieg oder.............................72Julius WindhorstMischen Impossible............................................16Wenn alles verrückt spielt.................................35Kamerawahrnehmung und Körperlichkeit.......58Katharina KarcherK r e u z z u n g e n . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11Vergessen vergessen...........................................32Das Land, das es nicht gibt................................43Vater und Sohn...................................................63Michael´s Family.................................................70Kendra ReinhardtMilieu gefiltert....................................................36H y b r i s . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 6Europa (Un)verMittelt........................................67Lea HartungI m p r e s s i o n e n . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5Absurdes Theater..................................................8A b b i l d u n g s v e r h ä l t n i s s e . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 8B l i c k m a s c h i n e . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 8Gedenken nicht schneiden.................................42I n n e h a l t e n . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 5Was wir nicht sehen...........................................66Nadin HeerS e n t i m e n t a l . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7S c h o c k i e r e n d . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2A u f w ü h l e n d . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 5A k t u e l l . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31L y r i s c h . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 7E n d l o s . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 5U n v e r s t ä n d l i c h . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 9E r b a r m u n g s l o s . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 7Rahel UedingDoch schwarz-weiß..........................................................7Ein Film, den keiner vermisst hätte..............................36body and mind................................................................56Susanne RadelhofGüldener Sandmännchensand........................................5Begrabene Melodie.........................................................14P i xe l p e n i s . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 9Zuhause im Körper.........................................................22F i x s t e r n . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 9Schon mal bei Rot über die Ampel gegangen?............41Ey Puppe wach auf.........................................................62Jenseits der Kulissenhaut..............................................74Ein Mann mit einem traurigen Blick............................76Stephan BülowSplitter und Sponsoren.........................................5Warten auf Versöhnung.......................................6Yuppies und Yakuza...........................................10A b b i l d u n g s v e r h ä l t n i s s e . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 8<strong>Teresa</strong> <strong>Urban</strong>T r ä n e n . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7Bloß keine Entblößung.......................................13Befriedigende Bilder...........................................20Im Visier...............................................................40Z w i t t e r b i l d e r. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 0Das Gesetz des Vaters.........................................60Thomas FriedrichCharlize Theron is running on Karma..............12Das Sushi-Schuldröllchen.................................15Der langweiligste Schock...................................24Der Spiegel weint................................................38Für eine qualitative Preisstaffelung..................44Die Farben...........................................................48How I learned to stop.........................................50Zaam, zaam, links, rechts...................................61Fünfzehn, Sechszehn, Siebzehn........................71Ute HollE d i t o r i a l . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3Wolfgang BornLeiser Napoleon..................................................35Junge Zuneigung................................................37Halbes Off............................................................69Wunderbare Leichtigkeit....................................7481


82»AE FOND KISS«Regie: Ken Loachmit Atta Yaqub, Eva Birthistle103’ GB/Italien/Deutschland/Spanien 2003»ANATOMIE DE L'ENFER«Regie: Catherine Breillat77’ Frankreich 2003»ANONYMOUS«Regie: Todd Verowmit Todd Verow, Dustin Schell, Sophia Lamar82’ USA 2003»BEAUTIFUL BOXER«Regie: Ekachai Uekrongthammit Asanee Suwan, Sorapong, Chatree,Orn-Anong Panyawong116’ Thailand 2003»BEAUTIFUL COUNTRY«Regie: Hans Petter Molandmit Damien Nguyen, Bai Ling, Tim Roth, Nick Nolte126’ Norwegen/USA 2003»B-HAPPY«Regie: Gonzalo Justinianomit Manuela Martelli, Eduardo Barril, Lorene Prieto90’ Chile/Spanien/Venezuela 2003»BLIND«Regie: Saskia Jell20’ Deutschland 2003»COUNTRY OF MY SKULL«Regie: John Boormanmit Juliette Binoche, Samuel L. Jackson,Brendan Gleeson100’ Großbritannien/Irland 2003»DARKNESS BRIDE«Regie: You Goumit William Kwok Wai Lun1<strong>04</strong>’ China 2003»DIESES JAHR IN CZERNOWITZ«Regie: Volker Koepp134’ Deutschland 2003»DYING AT GRACE«Regie: Allan King148’ Kanada 2003»THE FINAL CUT«Regie: Omar Naïmmit Robin Williams, Jim Caviezal, Mira Sorvino105’ USA 2003»FOLLE EMBELLIE«Regie: Dominique Cabreramit Miou Miou,Marilyne Canto, Jean-Pierre Léaud100’ Frankreich/Belgien/Kanada 2003»FORBRYDELSER«/ In Deinen HändenRegie: Annette K. Olesenmit Ann Eleonara Jørgensen, Trine Dyrholm, SonjaRichter101’ Dänemark 2003»FREEDOM2SPEAK V2.0«Regie: Markus C. M. Schmidt, Christoph Gampl,Brigitte Kramer, Marc Meyer, Uwe Nagel60´ Deutschland 2003»GEGEN DIE WAND«Regie: Fatih Akinmit Birol Unel, Sibel Kekrilli, Catrin Striebeck123’ Deutschland 20<strong>04</strong>»GETTIN' THE MAN'S FOOT OUTTA YOURBAADASSSS!«Regie: Mario Van Peeblesmit Mario Van Peebles, Joy Bryant, Nia Long108’ USA 2003Filmographie»HARD LUCK HERO«Regie: Sabumit Sakamoto Masayuki, Nagano, Hiroshi, InoharaYoshihiko79’ Japan 2003»JARMARK EUROPA«Regie: Minze Tummescheit124’ Deutschland 2003»KOCHAM CIE« / Ich liebe dichRegie: Pawel Borowski7’ Polen 2003»KOKTEBEL« / Roads to KoktebelRegie: Boris Chlebnikow, Alexej Popogrebskij105’, Russland 2003»LAND DER VERNICHTUNG»Regie: Romuald Karmakar140’ Deutschland 2003»MARIA, LLENA ERES DE GRACIA«Regie: Joshua Marstonmit Catalina Sandino Moreno, Yenny Paola Vega101’ Kolumbien/USA 20<strong>04</strong>»ME AND MY BROTHER«Regie: Robert Frankmit Julius Orlovsky, Peter Orlovsky, Allen Ginsberg91’ USA 1965-68»THE MISSING«Regie: Ron Howardmit Tommy Lee Jones, Cate Blanchett, Evan RachelWood, Jenna Boyd137’ USA 2003»MITFAHRER«Regie: Nicolai Albrechtmit Ulrich Matthes, Anna Brüggemann, IvanShvedoff90’ Deutschland 2003»DIE MITTE«Regie: Stanislaw Mucha90’ Deutschland 2003»MONSTER«Regie: Patty Jenkinsmit Charlize Theron, Christina Ricci, Bruce Dern,110’ USA 2003»MUXMÄUSCHENSTILL«Regie: Marcus Mittermeiermit Jan Henrik Stahlberg, Fritz Roth90’ Deutschland 2003»DIE NACHT SINGT IHRE LIEDER«Regie: Romuald KarmakarAnne Ratte-Polle,Manfred Zapatka, Marthe Keller95’ Deutschland 2003»NORTHERN STAR«Regie: Felix Randaumit Julia Hummer, Nic Romm, Dennis Moschitto80´ Deutschland 2003»THE OUTFIT«Regie: John Flynnmit Robert Duvall, Karen Black, Joe Don Baker103’ USA 1973»PRIMO AMORE« / First LoveRegie: Matteo Garronemit Vitaliano Trevisan, Michela Cescon100’ ITALIEN 2003»THE RASPBERRY REICH«Regie: Bruce LaBrucemit Susanne Sachsse, Daniel Bätscher90’ Deutschland 2003»SAMARIA«Regie: Kim Ki-Dukmit Uhl Lee, Kwak Ji-Min, Seo Min-Jung95’ Korea 20<strong>04</strong>»THE SHOOTING«Regie: Monte Hellmanmit Warren Oates,Will Hutchins, Jack Nicholson82’ USA 196683


84»SVJEDOCI« / Die ZeugenRegie: Vinko Bresanmit Leon Lucev, Alma Prica, Mirjana Karanovic88’ Kroatien 2003»SWEET SWEETBACK'S BAADASSSSS SONG«Regie: Melvin Van Peeblesmit Melvin Van Peebles, Simon Chuckster, HubertScales93’ USA 1971»TOUCH ME«Regie: Anna Jadowska, Ewa Stankiewicz82´ Polen 2003»DER TYP«Regie. Patrick Taussmit Stipe Erceg, Bernadette Heerwagen, Karen Böhne50’ Deutschland 2003»THE YES MEN«Regie: Dan Ollman, Sarah Price, Chris Smith80’ USA 2003»ZABRISKIE POINT«Regie: Michelangelo Antonionimit Mark Frechette, Daria Halprin, Rod Taylor111’ USA 1969/70»20 : 30 : 40«Regie: Sylvia Changmit Sylvia Chang, Rene Liu, Lee Sinje107’ China 2003»WAS NÜTZT DIE LIEBE IN GEDANKEN«Regie. Achim von Borriesmit Daniel Brühl, August Diehl, Anna Maria Mühe88’ Deutschland 2003»WILD SIDE«Regie: Sébastien Lifshitzmit Stéphanie Michelini, Edouard Mikitine, YasmineBelmadi94’ Frankreich/Belgien/Großbritannien 2003I m p r e s s u mV. i . s . d . P.: Dr. Ute HollBauhaus-Universität We i m a rB a u h a u s s t r. 1199423 We i m a rL a y o u tSusanne RadelhofM a r i e ke Bielas

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