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Gedanken an Albert Schweitzer - Walcker Orgelbau

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¢ £ ¤ ¥ ¡ ¤ £ ¤ ¦ § ¡ ¨ © ¡ © ¡ ¨¡ ¤ ¢ ¡ ¨ ¨ ¡ ¦ £ ¤ © Gerhard <strong>Walcker</strong>-Mayer www.walckerorgel.de April 2004 1¢ ¡ ¨ ¤ ¢ ¢ ¡ ¡ ¦ ¢ ¡ ¤ ¡ © ¡ (gedenken wir <strong>Albert</strong> <strong>Schweitzer</strong> zu seinem Todestag am 4.September 1965 in Lambaréné)verfasst von Gerhard <strong>Walcker</strong>-Mayer am 1.September 2002Als <strong>Albert</strong> <strong>Schweitzer</strong> 1956 während einer Europareise auch in Ludwigsburg Haltmachte, um mit meinem Vater über Orgelfragen zu diskutieren, war sein Ruf schonlegendär.Der Riese <strong>Albert</strong> <strong>Schweitzer</strong>, der 1952 den Friedensnobelpreis verliehen bekam undüber dessen Tätigkeiten in Lambaréné schon zu dieser Zeit abenteuerlicheFernsehfilme liefen, hinterließ auf mich einen unheimlich starken Eindruck. Besondersseine hum<strong>an</strong>istische und toler<strong>an</strong>te Einstellung zum Leben und Lebenlassen, gepaartmit dieser eindeutigen und kompromisslosen Bereitschaft, alles dafür zu geben, damit<strong>an</strong>dere Menschen ein erträgliches Maß <strong>an</strong> Existenz erhalten, dies hat uns als jungeMenschen zutiefst fasziniert.Immer wieder kam so <strong>Albert</strong> <strong>Schweitzer</strong> in mein Bewusstsein, 1961 als <strong>Albert</strong><strong>Schweitzer</strong> einen Brief <strong>an</strong> meinen Vater schrieb, die Orgelrom<strong>an</strong>tik betreffend, beiseinem Tod am 4. September 1965 in Lambaréné, die wenigen Diskussionen in derMerzschule in Stuttgart über Hum<strong>an</strong>ismus waren ohne <strong>an</strong> <strong>Schweitzer</strong> <strong>an</strong>zuknüpfenundenkbar. Mein Eintritt in die Erich Fromm-Gesellschaft, die sich dem Hum<strong>an</strong>ismusverschrieben hat und die mit dem aktiven Hum<strong>an</strong>isten <strong>Schweitzer</strong> gewissermaßeneinen Gefährten zu Erich Fromm gefunden hat, haben alte <strong>Ged<strong>an</strong>ken</strong>verbindungenwieder aufgefrischt. Aber als Orgelmusiker und Kämpfer für ein Orgelideal ist mir<strong>Schweitzer</strong> kaum ins Bewusstsein getreten. Wir waren so fest eingebunden in eineOrgelbewegung, die nichts mehr bewegen sollte, dass von <strong>Ged<strong>an</strong>ken</strong> <strong>an</strong> die Gründerund Quellen, außer von ein paar liebenswürdigen Supper- Worten im Ars Org<strong>an</strong>ikaum mehr die Rede war.Die Revolution war zu Ende, das Ziel war längst erreicht - wir bauen heute in den60erJahren die besten Orgeln aller Zeiten - dies war ein Bewusstsein, wie es ziemlichgenau in den Jahren 1905 mit <strong>an</strong>deren Vorzeichen ebenso vorkam, zu einer Zeit also indenen <strong>Albert</strong> <strong>Schweitzer</strong> seine erste Kampfschrift „Deutsche und fr<strong>an</strong>zösische<strong>Orgelbau</strong>kunst und Orgelkunst“ schrieb. 1927 erfolgte die Ergänzung zu dieser Schriftmit selben Titel.Im Laufe der folgenden Jahrzehnte (1950-2000) wurde nun allgemein ein erweitertesBewusstsein entwickelt das vielleicht damit zusammenhängt, dass es in Europa nochnie eine Periode gegeben hat, wo 50 Jahre am Stück Friede geherrscht hat. Die erstePeriode der Bewusstseinsschaffung war zweifellos der Erste Weltkrieg, indem dieverschlafenen Bauern aller Nationen aus ihren Kuhställen geschleppt wurden und mitmodernsten Geräten und Kommunikationen konfrontiert werden sollten. BeideBewusstseinsepochen aber haben im Marschgepäck, dass die solchermaßen


© Gerhard <strong>Walcker</strong>-Mayer www.walckerorgel.de April 2004 2aufgeklärten Massen den nächsten Schritt der Kultur<strong>an</strong>eignung nicht mehr mitmachen(konnten?) und zum Entsetzen der weisen Führer auf halben Wege stehen blieben.M<strong>an</strong> betrachte sich nur die heutige, völlig verblödete Fernsehgesellschaft (die aber,und hier kommen unsere <strong>an</strong> der Materie so interessierte Wissenschaften völlig insSchleudern, ein über alle Zeiten herausragendes faktisches Wissen besitzt).Nun diese zwei Jahrzehnte Bewusstseinserweiterung (1970 bis 1990) oder (1980-2000) (jeder soll sich seine individuelle Periode dazu eintragen wie er will) habendazu geführt dass alte Bewertungen neue Impulse erfuhren. „Die Moderne ist zuEnde“ will sagen, es gibt keine Metageschichten mehr, es gibt keine Story mehr, wom<strong>an</strong> jem<strong>an</strong>den erzählen k<strong>an</strong>n, dass es eine lineare Entwicklung gibt, von einemschlechten zu einem idealen Zust<strong>an</strong>d. Alles will gereizt werden. Lust, Freude,Leidertragenkönnen, Leidenschaften kehren zurück <strong>an</strong> den Tisch des Postmodernlers,der schnell in Beliebigkeiten ersaufen k<strong>an</strong>n. Denn wenn alles erlaubt ist, d<strong>an</strong>n istnichts mehr. Besinnung auf Tiefe und Antike und auf einen fremden Gott, der beim<strong>an</strong>chen auch der kommende Gott heißt oder der bei Pärt schon wieder eineklassische Dimension <strong>an</strong>genommen hat, wo allerdings in seiner Entrückung undAskese auf das Instrument verzichtet werden k<strong>an</strong>n, die Erde kaum noch gespürt wird.Vergeistigung ja, rufen wir aus, aber die Erde verlassen ? wollen wir das ?Wir denken zurück <strong>an</strong> die Großen der Geschichte, wir <strong>Orgelbau</strong>er und Orgelspieler,wir l<strong>an</strong>den immer irgendwo bei Bach und d<strong>an</strong>n kommen wir über Mendelssohn zuMessiaen oder sonstwohin und so ist es vielleicht heute im Zeitalter des Wasserm<strong>an</strong>ns,das als Jahrtausend des Gefühls, des Feminismus, der Irrationalität, der Großen Mutternicht verwunderlich, dass wir mit der nicht überwundenen Rom<strong>an</strong>tik des 19Jahrhunderts beginnen und die Rollläden schließen zu Schum<strong>an</strong>nscher Klaviermusik,später d<strong>an</strong>n legen wir Impromptus von Schubert auf und beweinen unsere Einsamkeit.Und hier in diesem Bewusstseinszust<strong>an</strong>de (vielleicht ist es Periode 3) finde ich <strong>Albert</strong><strong>Schweitzer</strong> als Kämpfer für ein Orgelideal, das wir in unseren jüngeren Tagen so garnie gek<strong>an</strong>nt haben. Die Perspektive ist klar eine <strong>an</strong>dere, wir heutigen sehen den Riesen<strong>Schweitzer</strong>, wie er als Feuerkämpfer 1905 eine Schrift verfasst hat, als dieIndustrialisierung in Deutschl<strong>an</strong>d und Engl<strong>an</strong>d wohl ihrem ersten Höhepunkteentgegenw<strong>an</strong>kte. Die Damaligen konnten nicht wissen, was da für ein willenstarkerMensch dahinter steckte, der später alles über Bord warf und jegliche Annehmlichkeitverwarf, der seine wunderbare Zukunftsaussicht in Fr<strong>an</strong>kreich oder Deutschl<strong>an</strong>d aufdem Altar des Hum<strong>an</strong>ismus und der Menschliebe opferte, der Menschen zu einer Zeitunter die Arme griff, als in Europa der Teufel höchstpersönlich jede Form derMenschlichkeit verhöhnte.Und so haben wir heute eine seltsame, weil einseitig auf diese ungeheueremenschliche Leistung verzerrte Perspektive zu dem Riesen <strong>Schweitzer</strong>.Dennoch können wir klar und eindeutig <strong>Schweitzer</strong>s Bedeutung für ElsässischeOrgelreform und die daraus resultierende Orgelbewegung herausstreichen. Die Schrift„Deutsche und Fr<strong>an</strong>zösische <strong>Orgelbau</strong>kunst und Orgelkunst“ hat zwar eineneigenartigen Titel, denn es wird fast ausschließlich die Fr<strong>an</strong>zösische Orgelkunstbeschrieben, aber die Schrift ist von dem nach Wahrheit dürstenden undleidenschaftlichen Jünger Bachscher Orgelmusik beseelt und sie entbehrt vonkleineren Missgriffen abgesehen nicht der Fachkenntnis, sondern m<strong>an</strong> ist eher erstaunt,wie gut informiert <strong>Schweitzer</strong> in viele Dinge eingeweiht war.


© Gerhard <strong>Walcker</strong>-Mayer www.walckerorgel.de April 2004 3Angetrieben, von dem Umst<strong>an</strong>d, dass Regersche Orgelmusik weder in St. Sulpice,Paris noch Widorsche Symphonien in Deutschen Kathedralen spielbar sind beginntsich der Elsässer <strong>Albert</strong> <strong>Schweitzer</strong> berufen zu fühlen diesen Umst<strong>an</strong>d zu ändern. Einwesentliches Element dieses Antriebs war aber auch der Umst<strong>an</strong>d, dass viele gute undalte Orgeln in Deutschl<strong>an</strong>d dahingemordet wurden (wir kennen es ). Dem technischeWahnsinn, der sich in deutschen Orgeln breit machte mit Spielhilfen und Drückernund Tasten (wir kennen es) setzt <strong>Schweitzer</strong> das überlegte System der fr<strong>an</strong>zösischenOrgel entgegen, mit dem An- und Abkoppeln der Klaviere und die „Appels“ derZungen und Mixturen sowie die dynamische Steigerung des fr<strong>an</strong>z. Schwellwerks.Widor nun, der ein heftiger Gegner der Drucktaster unter dem I.M<strong>an</strong>ual war,beflügelte <strong>Albert</strong> <strong>Schweitzer</strong> zu der These, dass Fußtritte beim Bachschen Präludiumdie einzige Möglichkeit der Registrierung bieten.Wo nun <strong>Albert</strong> <strong>Schweitzer</strong> vollkommen irre geht, dies ist unsere heutige Auffassungvon historischer Entwicklung, er behauptet nämlich :“Es k<strong>an</strong>n nur e i n e n wirklichvollendeten Orgeltypus geben“. Hier spricht der große weise M<strong>an</strong>n eine platonischeWahrheit aus, die nach dem Ende der Moderne keine Gültigkeit mehr hat. Alspostmoderne Zeitgenossen wissen wir, dass alle Bewegung nicht teleologisch auf einEndziel ausgerichtet ist, aber auf Zwischenziele. Oder <strong>an</strong>ders ausgedrückt, es gibt vieleWahrheiten zu unterschiedlichen Zeiten zu dem selben <strong>Ged<strong>an</strong>ken</strong>komplex, oder, esgibt viele unterschiedliche Perspektiven auch, aber auch das wiederum ist nicht dieWahrheit, und alles ist mitein<strong>an</strong>der verschachtelt – kein Mensch weiß was, am Endel<strong>an</strong>den wir wieder bei Sokrates, wo der Wert die Tugend darstellt.Zwei Orgelsystem, wie die Kegellade und die Schleiflade haben ihre Berechtigung,ebenso zwei unterschiedliche Disponierweisen, wie z.B. die <strong>an</strong>gelsächsischeverglichen mit der unsrigen. Zu einem Orgelvortrag über eine Bachfuge zu sagen„wenn dies der ewige K<strong>an</strong>tor hören würde, er würde sich im Grabe umdrehen“ istbereits der Beginn eines riesigen Irrtums. Stellt nämlich der Komponist sein Werk zurVerfügung, so ist es im göttlichen Flusse, und er hat keine Macht mehr darüber. Nachdem II.Weltkrieg wurde eine neue Quellenbewertung der Bachschen Orgelwerkevorgenommen, nachdem Straube seine „rom<strong>an</strong>tische“ Edition revidierte. DieseVorstellung der „originalen“ und „authentischen“ Wiedergabe, die sich strikterQuellentreue und wissenschaftlich abgesicherter Simulation der historischenBedingungen verschrieb, k<strong>an</strong>n heute nur als moderne ästhetische Utopie bezeichnetwerden, also historische Fiktion, mit einem <strong>an</strong>deren Wort „musikwissenschaftlicherWahnsinn“.Diesen Wahnsinn unterstelle ich natürlich nicht <strong>Schweitzer</strong>, da er ja seine Schrift 1905verfasste und mit Sicherheit auch nicht in eine solche „Blutleerheit“ hineingetapptwäre, aber ich unterstelle ihm einer Perspektive zu unterliegen und die W<strong>an</strong>delbarkeitnicht erk<strong>an</strong>nt zu haben.Oscar <strong>Walcker</strong> verteidigt in seinen „Erinnerungen einer <strong>Orgelbau</strong>ers“ den Vorwurf<strong>Albert</strong> <strong>Schweitzer</strong>s, dass das „Org<strong>an</strong>ola“ gar der Sündenfall unseres Modernen<strong>Orgelbau</strong>s darstellt mit den Worten, dass die Freien Kirchen keine Org<strong>an</strong>isten hattenund er diese Idee der New Yorker Casson- Comp<strong>an</strong>ie für solche Zwecke übernahm.Natürlich st<strong>an</strong>den bei <strong>Walcker</strong> Geschäftsentwicklung und viele <strong>an</strong>dere Interessendahinter, aber auffällig ist, dass Oscar <strong>Walcker</strong> die berechtigte Frage <strong>Albert</strong><strong>Schweitzer</strong> überhaupt nicht verst<strong>an</strong>d. „Welche Geschmacksverirrung liegt aber schondarin, dass unser <strong>Orgelbau</strong> uns solche nichtssagende Dinge wie Echowerke und


© Gerhard <strong>Walcker</strong>-Mayer www.walckerorgel.de April 2004 4Org<strong>an</strong>ola zu offerieren wagt !“ entgegnet Oscar <strong>Walcker</strong> mit der Beschreibung einer„Wunderwelt <strong>an</strong> Technik“ und dass solche Rollen von Straube, Max Reger, AlfredSittard, Günter Ramin u.v.m. bespielt wurden, <strong>an</strong>statt einer musikalischen BegründungPlatz zu machen.<strong>Albert</strong> <strong>Schweitzer</strong> als Musiker von Fleisch und Blut wettert gegen die Pneumatik (imGegensatz zu Rupp) und erkennt völlig richtig, dass es auf solcherlei Orgel viel, vielschwerer ist, gut zu spielen – er k<strong>an</strong>n aber auch bestätigen, dass es geht. „Es gehört einKünstler dazu, um auf einer guten Pneumatik gut zu spielen. Und die pneumatischenSysteme unserer <strong>Walcker</strong> und Sauer, um nur zwei der hervorragendsten zu nennen,sind wahre Meisterwerke“ stimmen wieder versöhnlicher, aber das protzigeHerausstellen der Barkermaschinen der fr<strong>an</strong>zösischen Orgel gegenüber derpneumatischen Steuerung der deutschen Orgel leuchtet nicht ein, es sei denn, m<strong>an</strong>stellt uns eine gute Barkerorgel gegen eine schlechte Pneumatik mit viel zu l<strong>an</strong>genBleirohren und ohne Zwischenrelais als Vergleich vor Augen und Ohren.Zu der kl<strong>an</strong>glichen Entwicklung in Deutschl<strong>an</strong>d bis hin zu den Hochdruckstimmenbemerkt <strong>Schweitzer</strong> bissig „Eine fette Person ist weder schön noch stark. Künstlersichschön und stark ist nur die Form mit dem vollkommenen Spiel der Muskeln“ und miteinem abschließenden Satz „Lüge besteht nicht in der Kunst, denn Kunst ist Wahrheit“. Die grenzelose Erzeugung von „elektrischem Windmassen“ und den „Wegfall derkünstlerischen“ Grenzen, erkennt <strong>Schweitzer</strong> vollkommen rein und klar die Domin<strong>an</strong>ztechnischer Spielereien vor der künstlerischen Askese. M<strong>an</strong> könnte es auch neuformulieren „mit dem Wegfall des Maßes“, was uns die Renaiss<strong>an</strong>ce mit ihrerVerehrung des <strong>an</strong>tiken Geistes geschenkt hat, mit Einbruch der Industrialisierung wirdunsere deutsche Orgel brutal und technisch. G<strong>an</strong>z exakt der Zust<strong>an</strong>d den wir heutedurchleiden, ohne dass es die meisten überhaupt realisieren.Der Feuerkämpfer <strong>Albert</strong> <strong>Schweitzer</strong> wird mir mit den nachfolgenden Sätzen mehrund mehr orgel-sympathisch, auch wenn er diese mit Sicherheit in späteren Jahrenwieder revidiert haben würde :“Kampf des Kaufmännischen mit dem Künstlerischen.Sieg des Kaufmännischen über das Künstlerische. Ein Haus, das das Künstlerischeüber das Kaufmännische stellte, war von vorneherein verloren“. Und er bemerkt, dassdie geniale deutsche Erfindungsgabe der letzten zehn Jahre fast nur auf Verbilligungausging und ausgehen musste. Dabei erinnere ich mich wieder <strong>an</strong> Oscar <strong>Walcker</strong>, der1923 nach dem Bek<strong>an</strong>ntwerden mit H<strong>an</strong>s Henny Jahnn und dessen Zahlensymbolikvon Kepler bis Pythagoras entgegnete : „meine heiligen Zahlen sind die derBetriebswirtschaft“.Beschwörend beschreibt <strong>Albert</strong> <strong>Schweitzer</strong> das ausgeglichene harmonische G<strong>an</strong>ze derCavailleschen Klaviere „Die Grundstimmen des Hauptwerks im ersten M<strong>an</strong>ual gebendie Grundierung ab, mit weichem und vollendet gesundem Ton; die des II.Klavieresbringen gewissermaßen die Helligkeit hinein; die des III liefern die Intensität. Es istbeim Hinzuziehen des III.M<strong>an</strong>uals, als ob mit jenem Augenblicke Licht,weißleuchtendes Licht, in die Grundstimmenmasse hereinflutete“. Aber er bemerktauch, dass bei ACC vielleicht die M<strong>an</strong>nigfaltigkeit, die einzelne deutsche <strong>Orgelbau</strong>erin der Flötenfamilie erreicht haben, fehlt. Bei den Zungen stellt <strong>Schweitzer</strong> fest, sobefriedigen weder die deutschen noch die fr<strong>an</strong>zösischen, da beide zu stark dominieren.„ Als ich Widor gelegentlich sagte, dass ich die niederschmetternde Wucht der sonstso prächtig gearbeiteten fr<strong>an</strong>zösischen Zungen für einen künstlerischen Nachteil hielte,


© Gerhard <strong>Walcker</strong>-Mayer www.walckerorgel.de April 2004 5gest<strong>an</strong>d er mir, dass er dieselben Überlegungen schon seit Jahren mit sichherumtrage.“Der Logik <strong>Albert</strong> <strong>Schweitzer</strong>s, dass ohne die vollendete <strong>Orgelbau</strong>kunst seiner ZeitBachsche Orgelkunst nie entst<strong>an</strong>den wäre, k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> durchaus folgen, um sofortnachzufassen, welche Orgelkompositionen heute nicht geschrieben werden unterwelcher <strong>Orgelbau</strong>kunst. Wir haben uns nämlich <strong>an</strong>gewöhnt zu glauben, dass inheutiger Zeit künstlerische Orgeln gebaut werden, was ich heftigst bestreite. Wirbauen heute ausschließlich technisch orientierte Orgeln ohne künstlerische Elementeund wir verraten jeden Ansatz von Kunstschaffen indem wir es technisch absaufenlassen. Wie würde sich <strong>Albert</strong> <strong>Schweitzer</strong> wohl mit einer klonierten Silberm<strong>an</strong>norgelbefasst haben, einem Monster das zwischen Kunststoff-Phallus und ThomasGottschalk als Prediger bei der Samstagabendmesse r<strong>an</strong>giert, womöglich noch unterGöteborgscher Regie, wo die Weisheit in Listen gefasst und die Klugheit allerPhilosophen gepaart auf zw<strong>an</strong>zig CDs ein Credo verkünden „ es gibt nichts mehr“.Und diese neurotischen Plastikaffen, die d<strong>an</strong>n nur noch zwischen allerschärfstenReizen reagieren, wie „H“ totale Glotze 24 Stunden am Tag (MTV oder VIVA)werden in unserer „Telekratie“ (was ist denn Demokratie?) inszeniert, sie brauchenkeine Inszenierung mehr und damit auch keinen musikalischen Vortrag.Ich bin mit <strong>Albert</strong> <strong>Schweitzer</strong> der Auffassung, wir haben ein unbedingtes Zurücknotwendig– zurück zur Orgel des 18. und 19. Jahrhunderts, ein zurück zur Rom<strong>an</strong>tikdes 19 Jahrhunderts und zu der Ausg<strong>an</strong>gstellung vor den zwei Weltkriegen, die unsden heutigen Nihilismus serviert haben, ein zurück zur Antike und hier zu seinenhohen ethischen Ansprüchen. Erst hier, bei Plato’s Dialogen mit Sokrates erfahren wir,dass es außer der Tugend nichts zu erstreben gibt. In einem solch ethischen Raumwürden derartig perverse Ideen von Klonierungen wie sie eigentlich nur halbblödenWissenschaftlern in den Sinn kommen, niemals her<strong>an</strong>reifen.Der deutsche und der fr<strong>an</strong>zösische Genius sind in der Kunst aufein<strong>an</strong>der <strong>an</strong>gewiesen,sagt <strong>Albert</strong> <strong>Schweitzer</strong> und in seinem Nachwort von 1927 bemerkt er „Dass ich selbermich von der Fabrikorgel nicht betören ließ, verd<strong>an</strong>ke ich dem Umst<strong>an</strong>de, dass ichunter lauter tonschönen Orgeln aufgewachsen bin. Als Knabe spielte ich auf<strong>Walcker</strong>schen Orgeln, die in der besten Zeit dieses Hauses, in den sechziger undsiebziger Jahren des 19.Jahrhunderts, gebaut worden waren. Die eine, zweiundsechzigStimmen zählend, st<strong>an</strong>d in der ev<strong>an</strong>gelischen Steph<strong>an</strong>skirche zu Mühlhausen im Elsaß.Gegen Ende des Jahrhunderts wurde sie d<strong>an</strong>n von dem Hause, das sie erbaut hatte, sorenoviert und modernisiert, dass vom alten schönen Kl<strong>an</strong>g nichts mehr übrig blieb. Die<strong>an</strong>dere, <strong>an</strong> die vierzig Stimmen stark, in der ev<strong>an</strong>gelischen Kirche zu Münster imElsaß, vermochte ich vor gleichem Schicksal zu bewahren. Aber sie fiel d<strong>an</strong>n demKriege zum Opfer.<strong>Schweitzer</strong>s Begeisterung über die Cavaillsche Schleiflade mit differenziertemWinddruck ließ rasch nach und dies zeichnet ihn wiederum aus, er gibt im Nachwortoffen zu, dass er sich geirrt hatte : „die damit ausgestatteten Orgeln haben einenweniger vollen und runden Ton als die alten Orgeln Cavaille-Colls mit den einfachenSchleifladen.<strong>Schweitzer</strong> propagiert die vollständige Orgel mit ihren drei Kl<strong>an</strong>gindividualitäten :Rückpositiv, Hauptwerk und Schwellwerk. Weil Cavaille-Coll der fünfklavierigenOrgel zu St. Sulpice ihr Rückpositiv genommen hat, spielt Widor, wie er ihmvorzuhalten pflegte, auf einer zweiklavierigen Orgel mit fünf Klaviaturen.


© Gerhard <strong>Walcker</strong>-Mayer www.walckerorgel.de April 2004 6Die herausragende Parole <strong>Albert</strong> <strong>Schweitzer</strong>s könnte auch heute keinen Deut <strong>an</strong>dersheißen als :“Zurück zur Orgel, als der <strong>Orgelbau</strong>meister noch als Künstler arbeitenkonnte“ nach <strong>Albert</strong> <strong>Schweitzer</strong> war dies das 18.Jahrhundert und das 19.Jahrhundertvon 1800 bis 1870, also die Schaffenszeit Eberhard Friedrich <strong>Walcker</strong>s. Es ist unsallen klar, dass sowohl in Fr<strong>an</strong>kreich wie in der Auftragsklientel Eberhard Friedrich<strong>Walcker</strong>s genügen Geld in den Kassen waren und daher künstlerische Arbeitermöglicht wurde. Wo ist das Geld heute, so könnte m<strong>an</strong> fragen, aber auch hier würdeich abwiegeln und sagen, selbst dort wo die Bereitschaft stände ausreichende Summenfür kunstschöne Orgeln zu spendieren, würde a) der <strong>Orgelbau</strong>er nicht von heute aufmorgen zum Künstler mutieren und b) noch weniger der Sachverständige.Die Begeisterung die ich aus den Schriften <strong>Albert</strong> <strong>Schweitzer</strong>s und Emile Rupperfahren durfte, hat mich immer wieder ver<strong>an</strong>lasst nachzufragen, warum in derheutigen Orgelwelt, weder in Fr<strong>an</strong>kreich noch in Deutschl<strong>an</strong>d Personen sind, die unsmahnen, die durch das Prisma der Verg<strong>an</strong>genheit so klar vergrößerten elementarenFehlentwicklungen nicht zu wiederholen. Wir haben scheinbar so dünkt mich, eineStufe des Gleichmuts erfahren, wo keine nennenswerte Hinterfragung mehrstattfinden – oder , dies wäre ein äußerst beängstigendes Bild, keinerlei Mut mehr aufEntwicklungen zu reagieren oder Entwicklungen einleiten zu wollen. Wo sind dieHelden heute ?1927 schreibt <strong>Albert</strong> <strong>Schweitzer</strong> „Wer bringt uns die schönen alten Orgeln wieder, diewir in unserer Verblendung vernichtetet?“ - wenige Jahre vor der totalen Vernichtungdurch Nazis, Krieg und Nachkriegsvernichter.Und ich denke, dass uns eine noch viel dramatischere Vernichtung bevorsteht, wennnicht unbedingt <strong>an</strong> der Materie selbst, so doch im Inneren, hier lassen wir Federn, Tagfür Tag, lassen uns m<strong>an</strong>ipulieren, wir lassen es zu, seelisch abzustumpfen undunkünstlerisch zu werden, weil es so bequemer ist, wir lassen es zu ,dass mit Kitschund Oberfläche unsere feinsten Strukturen zerstört werden, unsere Echtheit inamerik<strong>an</strong>ische Halbheit heruntergedrückt wird.Seien wir Helden wenigstens darin, uns nicht missbrauchen zu lassen und unsereIndividualität zu wahren, und seien wir Helden in unserem Anspruch <strong>an</strong> Tugend.Lassen wir <strong>Albert</strong> <strong>Schweitzer</strong> als Mahner für Hum<strong>an</strong>ismus und Ethik und für einen<strong>Orgelbau</strong> der Wahrheit im Geiste weiterleuchten.© gwm 2002-09-01www.walckerorgel.de

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