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Öffentlicher Raum – - Institut für Geographie und Raumforschung

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GEOGRAZ 52 - 2013 INHALTInhaltS 4S 6S 8S 11S 14S 16S 22SABINE SCHNEPFLEITNERUniv.-Prof. Dr. Oliver Sass <strong>–</strong> Ein PortraitSCHWERPUNKTFRANZ BRUNNER<strong>Raum</strong> <strong>–</strong> öffentlicher <strong>Raum</strong> <strong>–</strong>gemeinsam geteilter <strong>Raum</strong> (Shared Space)BETTINA FISCHERDer öffentliche <strong>Raum</strong> als Spiegelbild einer sich wandelnden GesellschaftGEORG HATZENBICHLERVeränderung der sozial-räumlichen Nutzung des Shared SpaceSonnenfelsplatz anhand einer softwaregestützten <strong>Raum</strong>analyseANNA HARTMANNDas Image von Grazer Plätzen <strong>–</strong> Eine Untersuchung am Beispiel vonHauptplatz, Jakominiplatz<strong>und</strong> Kaiser-Josef-PlatzBEITRAGMILAN TOPICDer Weg zur nachhaltigen Abfallwirtschaft in Bosnien <strong>und</strong> Herzegowina <strong>–</strong>aktuelle Entwicklungen <strong>und</strong> HerausforderungenSCHULGEOGRAPHIEMARTIN MÖDERLExperimente im GW-UnterrichtS 262S 33IM TELESKOPOLIVER SASSMarokkos SüdenGebirgs-Vorland-Beziehungen am Rand der WüsteUNTERWEGS MIT GEOGRAZCHRISTIAN BAUER & GERHARD KARL LIEBJohnsbacher Almen (Gesäuseberge) <strong>–</strong>Mensch-Umwelt-Beziehungen im Wandel der ZeitAUSSERDEM(S 13) Studieren aktuell(S 15) (Ex)-GeoGrazer im Portrait: Alexander Ferstl(S 25) Vortragsreihe Geo-Kolloquium WS 2012/13(S 41) Aktuelles aus der Grazer <strong>Geographie</strong>(S 44) Neuerscheinungen(S 45) Frisch geprüft: AbsolventInnen des SS 2012Herausgeber:Österreichische Geographische Gesellschaft, Zweigstelle GrazPräses:Em. o.Univ.Prof. Dr. Herwig Wakonigg,<strong>Institut</strong> <strong>für</strong> <strong>Geographie</strong> <strong>und</strong> <strong>Raum</strong>forschung der Universität Graz,Heinrichstraße 36, 8010 GrazRedaktionAo.Univ.Prof. Mag. Dr. Gerhard Karl Lieb (Schriftleitung) (gerhard.lieb@uni-graz.at),Mag a . Sabine Schnepfleitner, Mag. Daniel BlažejSatz/Layout:Mag. Daniel Blažej (da.blazej@uni-graz.at)Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion wieder.Für Form <strong>und</strong> Inhalt der Beiträge sowie die Wahl geschlechtsneutraler Formulierungen sind die Autorinnen <strong>und</strong> Autorender Beiträge verantwortlich.titelseite: Der Jakominiplatz in Graz <strong>–</strong> grau,stressig, laut <strong>und</strong> ungemütlich? (Foto: Lieb)<strong>Institut</strong> <strong>für</strong> <strong>Geographie</strong> <strong>und</strong> <strong>Raum</strong>forschungder Karl-Franzens-Universität Graz,Heinrichstraße 36, A-8010 GrazTelefon: 0316/380/5135Fax: 0316/380/9886E-mail: geographie@uni-graz.atInternet: http://www.uni-graz.at/geowww


EDITORIALEditorialLiebe Leserinnen <strong>und</strong> Leser,liebe Fre<strong>und</strong>e der Grazer Integrativen <strong>Geographie</strong>!Im vorliegenden GeoGraz, mit dem Schwerpunktthema „<strong>Öffentlicher</strong><strong>Raum</strong> <strong>–</strong> Spiegel der Gesellschaft?“, möchten wir die Leserinnen<strong>und</strong> Leser mit einem Forschungsschwerpunkt aus demBereich des Masterstudiums Nachhaltige Stadt- <strong>und</strong> Regionalentwicklungvertraut machen. Die gesellschaftlich bedingten, veränderten<strong>Raum</strong>konstruktionen <strong>und</strong> <strong>Raum</strong>produktionen der Akteurinnen<strong>und</strong> Akteure (das Handeln der sogenannten Stakeholderaller Art, von den Bürgerinnen <strong>und</strong> Bürgern über die Wirtschaft,die Wissenschaft bis zur Politik <strong>und</strong> Verwaltung) führt zu einerneuen Sicht auf den öffentlichen <strong>Raum</strong> <strong>und</strong> damit auch zu einemneuen öffentlichen <strong>Raum</strong>.Basierend auf der handlungszentrierten Sozialgeographie BennoWerlens <strong>und</strong> dem sozial konstruierten <strong>Raum</strong> Peter Weichharts,wird einleitend ein „<strong>Raum</strong>modell“ zur empirischen Erarbeitungdes „betreffenden <strong>Raum</strong>es“, das die raumbezogenen Konfliktein einer differenzierten, aber auch segregierten Gesellschaft thematisiert,dargestellt (Franz Brunner). Dieses dient zugleich dennachfolgend in Kurzform präsentierten Masterarbeiten als empirische„Gr<strong>und</strong>lage“. Bettina Fischer behandelt in ihrem Beitrag„Der öffentliche <strong>Raum</strong> als Spiegelbild einer sich wandelnden Gesellschaft“besonders die Ökonomisierung <strong>und</strong> Festivalisierung<strong>und</strong> die damit einhergehenden Einschränkungen <strong>und</strong> Verbote imöffentlichen <strong>Raum</strong>. Das Image der Grazer Plätze wird im Kurzbeitragvon Anna Hartmann zuerst aus theoretischer Sicht <strong>und</strong>dann mit ersten Auswertungen einer Befragung thematisiert.Der am Titelbild dargestellte Jakominiplatz ist <strong>für</strong> viele Befragteneher stressig <strong>und</strong> ungemütlich. Georg Hatzenbichler behandeltden Shared Space am Grazer Sonnenfelsplatz, in unmittelbarerNähe der Universität gelegen. Die Magisterarbeit wurde vom AIT(Wien) beauftragt <strong>und</strong> beschäftigt sich mit der Verortung vonsubjektiven <strong>Raum</strong>wahrnehmungen zur Sicherheit, Geschwindigkeitsowie Attraktivität <strong>und</strong> deren Verschneidung mit gemessenenDaten aus Videoaufnahmen. Alle drei Beiträge der Studierendenzeigen, wie an der Grazer <strong>Geographie</strong> erarbeitete theoretischeGr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Arbeitstools in praktischer Arbeit gesellschafts<strong>und</strong>planungsrelevant umgesetzt werden können.Wie gewohnt bieten wir Ihnen neben diesem Schwerpunkt mehrereweitere Beiträge. Der erste von diesen stammt von Milan Topić<strong>und</strong> behandelt die Abfallwirtschaft in Bosnien <strong>und</strong> Herzegowina. ZurSchulgeographie liefert unser Fachdidaktiker Martin Möderl einen Artikelüber Experimente, ein im Fach <strong>Geographie</strong> <strong>und</strong> Wirtschaftsk<strong>und</strong>emeist unter seinen Potenzialen gehandeltes Segment der Unterrichtsmethodik.„Im Teleskop“ richtet der neue Professor <strong>für</strong> Physische <strong>Geographie</strong>,Oliver Sass, den wir Ihnen am Beginn des Heftes in einemInterview vorstellen, den Blick auf Marokko: Ein Landschaftsprofil vonder Atlantikküste über den Atlas zur Sahara macht die faszinierendeVielfalt im Süden dieses nordwestafrikanischen Staates lebendig.Die Exkursion in unserer Serie „mit GeoGraz unterwegs“ entführt Sieschließlich in den Nationalpark Gesäuse <strong>–</strong> die Almen im Südosten derGesäuseberge werden unter dem Aspekt der integrativen <strong>Geographie</strong>vorgestellt.Darüber hinaus gibt es wie immer ein Portrait eines unserer Absolventen,einen kritischen Beitrag von Seiten der Studierenden unter„Studieren aktuell“, zahlreiche Neuigkeiten aus den laufendenProjekten, Initiativen <strong>und</strong> Kooperationen unter „Aktuelles“ sowieschließlich zwei Buchvorstellungen. Im Besonderen möchte ich Siewieder auf unser Kolloquiums-Programm hinweisen <strong>–</strong> in loser Folgesetzen wir unsere im letzten Semester begonnene Vortragsreihe „Integrative<strong>Geographie</strong>: Ansätze, Beispiele, Grenzen“ fort <strong>und</strong> bereiteneine Sonderveranstaltung zum Arbeitsmarkt <strong>für</strong> Geographinnen <strong>und</strong>Geographen vor. Vielleicht nehmen Sie auch die Wanderausstellungdes <strong>Geographie</strong>verbandes Österreich zu vier aktuellen Themen unseresFaches (Urbanization and Demographic Change, Environmentand Society, Global Change and Globalization, Risks and Conflicts)als Anlass, unser <strong>Institut</strong> wieder einmal zu besuchen. Ich würde michdarüber sehr freuen.HerzlichstIhr Franz Brunner3


GeoGraz 52 - 2013IM PORTRAITMARTIN SABINE SCHNEPFLEITNERKUBANEKUniv.-Prof. Dr. Oliver SassEin PortraitHerzlich willkommen an Bord des Anthropozäns,des Zeitalters, in dem dieSpuren des Menschen nicht mehr wegwischbarsind, deren Fußabdrücke keinenStein mehr auf dem anderen liegen lassen.In einem Zeitalter, in dem die knallhartenNaturwissenschaften in ihrer Forschunglängst wahrgenommen haben, dass derMensch nur zu oft, da <strong>und</strong> dort seineFinger im Spiel der Natur hat. Herzlichbegrüßen möchten wir in diesem ZusammenhangOliver Sass, der dieHerausforderung Mensch <strong>und</strong>Natur in der naturwissenschaftlichenForschung annimmt <strong>und</strong>ein gutes F<strong>und</strong>ament <strong>für</strong> dieLösungsmöglichkeiten schafft.Nach einer kurzen Zwischenpauseist er als Professor <strong>für</strong> Physische<strong>Geographie</strong> nach Grazzurückgekehrt, er erweitert dasForschungsspektrum des <strong>Institut</strong>smit vielseitigen geomorphologischenFacetten <strong>und</strong> vernetztdie Grazer <strong>Geographie</strong> in der ganzenWelt.Der geographische Spagat vom Menschen zur Natur<strong>und</strong> von der Breite zur TiefeEs war am Kieler Geographentag 1969,als der Länderk<strong>und</strong>e, die in den 60ernnoch das Kerngebiet der geographischenWissenschaften einnahm, eine fehlendef<strong>und</strong>ierte Wissenschaftstheorie diagnostiziertwurde. Ab diesem Moment hat sichdie <strong>Geographie</strong> immer stärker geteilt, Forschung<strong>und</strong> Themen der Human- <strong>und</strong> derPhysiogeographie entfernten sich kontinuierlich.„Als ich zu studieren begonnen habe,war <strong>für</strong> mich ganz klar, was mich interessiert<strong>und</strong> was ich wollte: Physische <strong>Geographie</strong>.Wir ‚mussten‘ zwei Humanseminare machen,aber dieser Einheitsgedanke der <strong>Geographie</strong>wurde nicht transportiert.“ Es war ein Auseinanderdriftenpassiert, das vor allem inder Forschung noch heute gefordert oderauch notwendig ist. „Ende 2012 war ichbeim Arbeitskreis Geomorphologie <strong>und</strong> es„Die <strong>Geographie</strong> in ihrem Ganzenist gesellschaftsrelevant. Sie darfdeshalb auch nicht aufgegebenwerden. Ihre Stärke ist die Breite.“wurde über die Zukunft der Geomorphologiediskutiert. Mit einem klaren Ergebnis:Die jungen Wissenschafter/innen sehen sicheindeutig den Geowissenschaften zugehörig<strong>–</strong> den ‚harten‘ Geowissenschaften. Und zugegeben,Wissenschafter/innen werden an derForschungsfront auch so sozialisiert - hin zurindividuellen sektoralen Spitzenforschung. …Die <strong>Geographie</strong> ist immer ein Spagat zwischender individuellen Spitzenforschung <strong>und</strong>der Breite der <strong>Geographie</strong> <strong>und</strong> damit gelangenwir dann auch zur Integrativen <strong>Geographie</strong>.“Nehmen wir nun die verständlicheSichtweise junger Forscher/innen her, diesich in ihrem speziellen Sektor profilierenwollen, dann scheint es so, als wäre es ander Zeit die <strong>Geographie</strong> mit ihren Fachgebietenwissenschaftlich gerecht aufzuteilen:die Vegetationsgeographie derBiologie zuordnen, die Geomorphologieden Erdwissenschaften, die Klimageographiekommt bei der Physik unter <strong>und</strong>auch <strong>für</strong> die Humangeographie <strong>und</strong> ihreBereiche findet sich noch ein Platz in denSozial- <strong>und</strong> Wirtschaftswissenschaften.Wozu also dieser neue Trend hin zur gemeinsamenintegrativen Sprache? „Die<strong>Geographie</strong> als Wissenschaft hat eine historischePosition <strong>und</strong> es wäre gefährlich diesegewachsene Wissenschaft aufzugeben. … DerMehrwert der <strong>Geographie</strong> liegt eben mitunterim integrativen Gedanken <strong>und</strong> es gibt immermehr drängende Probleme im SpannungsfeldMensch <strong>–</strong> Umwelt, die die ganzheitlichen Lösungender <strong>Geographie</strong> brauchen.“Die multilinguale Welt der <strong>Geographie</strong> <strong>–</strong> Amtssprache:integrativ„In der deutschsprachigen <strong>Geographie</strong> gibt eseine Rückbesinnung auf die integrative <strong>Geographie</strong>.Oft bleibt es noch eine Worthülse <strong>und</strong>Lippenbekenntnis, denn sieht man oft genauerhin, was beispielsweise bei Projekten zur integrativen<strong>Geographie</strong> tatsächlich passiert,dann bleibt oft sehr wenig von der eigentlichenIdee. Aber das liegt eben auch an derAnforderung des immer wieder auftauchendenSpagats in der <strong>Geographie</strong>, dersich auch in ihren unterschiedlichenSprachen bemerkbar macht. Dabeigibt es dann die unterschiedlichenForschungsfronten der Human- <strong>und</strong>der Physiogeographie.“ Dass es einunterschiedliches Verstehen gibt,zeigen so manche Kritikpunkte,die die eine Wissenschaft deranderen vorwirft: die Humangeographiesei nicht genug klar<strong>und</strong> wissenschaftlich, es fehle diequantitative Empirie, dem gegenübersei die Physiogeographie nicht genugtheoriegeleitet, sie seien ‚naive‘ Empiriker.Sowieso könnte man meinen, empfindenPhysiogeograph/innen den Menschen alseine Störung im System, in der Natur, inihrem Forschungsgebiet, <strong>und</strong> irgendwiescheint auch die Natur in der humangeographischenErforschung der sozialen Gesellschaftnur eine unnötige Behinderungzu sein. Da drängt sich nun das Findennach einer gemeinsamen Verständnisebene<strong>und</strong> einer gemeinsamen Schnittmengeauf <strong>und</strong> damit der Umsetzung derIntegrativen <strong>Geographie</strong>. Und dass diesedritte verbindende Säule der Integrativen<strong>Geographie</strong> den Mehrwert der <strong>Geographie</strong>auszeichnet, das ist <strong>für</strong> den GeomorphologenOliver Sass nahezu in Steingemeißelt. „Vor etwa fünf Jahren, als ich inKöln gearbeitet habe, war dort die integrative<strong>Geographie</strong> überhaupt kein Thema. Ich wareinem Sonderforschungsbereich zugeordnet<strong>und</strong> hatte damit eine klare Positionierung inden Erdwissenschaften. Dann, 2008, in In-4


IM PORTRAITnsbruck, da habe ich erstmalsin der Lehre auch ein Seminarzur integrativen <strong>Geographie</strong>gehalten, gemeinsam mit einerHumangeographin <strong>und</strong>das fand ich sehr spannend. Essind die Mensch-Umwelt-Beziehungen,aus denen sich unglaublichfaszinierende Themenergeben.“Wie der Mensch den Stein bewegtStein <strong>für</strong> Stein, Schritt <strong>für</strong>Schritt wird nun eine Säuleder integrativen <strong>Geographie</strong>aufgebaut <strong>und</strong> etabliert. FürOliver Sass ist dabei klar: „Esbraucht Zeit <strong>und</strong> die Zeit musszeigen, wohin sich die <strong>Geographie</strong>entwickelt. Es ist gut <strong>und</strong>wichtig den integrativen Ansatzimmer mitzudenken.“ ImLeitbild des Grazer <strong>Institut</strong>sist die Integrative <strong>Geographie</strong>bereits fest verankertsowie auch in der Lehre,wo die Module Regionalgeographie <strong>und</strong>Mensch-Umwelt-Beziehung ins Curriculumintegriert wurden, aber wie gelingt diePraxis? Wie gelingt es Oliver Sass diesennoch jungen Denkansatz anzuwenden? „Inder Ausbildung stehe ich völlig dahinter, dassintegrative <strong>Geographie</strong> gelehrt werden soll, inmeiner Forschung ist sie im Moment aber nochnicht vorherrschend. Ich sehe dabei auch dasDilemma. In der Forschung ist es allerdingssehr schwierig. Ganz klar, kleine Projektein der integrativen <strong>Geographie</strong> sind immermöglich, aber kompetitive Drittmittelprojekte<strong>–</strong> wer kann die gegenwärtig begutachten?“Oliver Sass hinterfragt dabei sehr kritisch,welche Kriterien ein integrativ gedachtesProjekt mitbringen muss. Für ihn reicht esdabei nicht aus, beispielsweise physiogeographischeForschungen anzustellen <strong>und</strong>am Ende die Humangeograph/innen zubitten … noch ein bisschen Mensch als Systemkomponentedazuzugeben“.Gemeinsam statt einsamSchon im ersten Portrait von OliverSass im GeoGraz war das (internationale)Kooperieren <strong>und</strong> Austauschen eineselbstverständliche Komponente seinerForschungsarbeit. Damals präsent warenägyptische Dünen, die er mit Kolleg/innenin Heidelberg erforschte, die Klostermauern<strong>und</strong> ihr Feuchtegehalt in Englandoder auch die südafrikanische Bodenerosion,die er gemeinsam mit KollegInnenaus Oxford unter die Lupe nahm. Wo aufder Welt finden sich die Forschungsspurenvon Oliver Sass heute? „Der internationaleKontakt bleibt natürlich bestehen <strong>und</strong> ist absolutnotwendig. Beispielsweise die Thematikder Bauwerksverwitterung ist immer nochpräsent, <strong>und</strong> die internationale Kommunikationnach England <strong>und</strong> Nordirland dazugerade sehr intensiv. Neu dazu kommt möglicherweiseeine Zusammenarbeit in den USA,wobei es um eine Verlagerung von Flußmäandernin Arkansas geht. Die internationaleWahrnehmung unserer Forschungsarbeitbzw. generell die Wahrnehmung nachaußen ist absolut notwendig, was wirnatürlich unter anderem durch unserePublikationen, Tagungen, Forschungsprojektezu erreichen versuchen.“ Wirdsomit die „Grazer <strong>Geographie</strong>“, ähnlichwie die „Grazer Schule“ der Philosoph/innen<strong>und</strong> Psycholog/innen,als ein spezialisierte Denk- <strong>und</strong> Forschungsrichtungin diversen Lexikaaufgenommen werden? „Das ganze<strong>Institut</strong> als eine gesamte wahrnehmbarePosition, als ‚die‘ Grazer Integrative<strong>Geographie</strong>, das wird nicht einfach sein.Leichter kann es einzelnen Forschungsgruppengelingen international bekanntzu sein.“ Dazu ist nur zu sagen: OliverSass steht mit seiner Forschungsgruppezur alpinen Landschaftsdynamik„ALADYN“ bereits in denStartlöchern, um der internationalenScientific Community das Prozessgeschehender Ostalpen zu erklären.Hoher Atlas versus NordalpenWie sieht die berufliche Zukunft vonOliver Sass topographisch betrachtet aus?Die ist sonnig <strong>und</strong> es wird mitunter heißhergehen <strong>–</strong> zumindest was die Feldforschungsgebieteangeht. „Als neues außereuropäischesForschungsgebiet möchte ichden Hohen Atlas etablieren, vergleichendzur Forschung in den Ostalpen“. Das heißt,nach der geplanten Nordalpen-Exkursion,können die Studierenden die Bergschuhegleich anbehalten <strong>und</strong> sich schon mal rüsten<strong>für</strong> einen längeren Ausflug RichtungMarokko.TIPPBitte beachten Sie dazu den Beitrag vonO. Sass „im Teleskop“ ab Seite 26!5


GeoGraz 52 - 2013SCHWERPUNKTFRANZ BRUNNER<strong>Raum</strong> <strong>–</strong> öffentlicher <strong>Raum</strong> <strong>–</strong>gemeinsam geteilter <strong>Raum</strong> (Shared Space)<strong>Raum</strong> <strong>und</strong> vor allem öffentlicher <strong>Raum</strong> sind einerseits <strong>für</strong> die Stadtentwicklungsplanung, aber damit verb<strong>und</strong>ennatürlich auch <strong>für</strong> die Menschen in der Stadt, die AkteurInnen, die urbane Gesellschaft, von steigender Bedeutung.Gerade in Städten kommt es durch die Individualisierung der Lebensstile <strong>und</strong> entsprechende Machtstrukturen(machtvollere AkteurInnen) zu raumbezogenen Konflikten. Dies ist durch individuelle <strong>Raum</strong>konstruktionen <strong>und</strong><strong>Raum</strong>produktionen (<strong>Geographie</strong>-Machen) bedingt. Die nachfolgenden kurzen Zusammenfassungen bzw. Ausschnitteaus den Diplom- / Masterarbeiten behandeln den öffentlichen <strong>Raum</strong> in einer sich wandelnden Gesellschaft (BettinaFISCHER), das Image ausgewählter Grazer Plätze (Anna HARTMANN) <strong>und</strong> die sozial-räumlichen Veränderungen amShared Space Sonnenfelsplatz (Georg HATZENBICHLER) <strong>und</strong> bedienen sich dazu <strong>für</strong> die Empirie des „3 I-Modells“ zurraumbezogenen Analyse (Franz BRUNNER).ZUM AUTORFranz Brunner ist Assistenzprofessoran der Grazer<strong>Geographie</strong> <strong>und</strong> beschäftigtsich mit den Themen <strong>Raum</strong>,<strong>Raum</strong>produktion, raumbezogeneKonflikte <strong>und</strong>Partizipation aus handlungstheoretischerSicht.Die Bedeutung des <strong>Raum</strong>es an einem <strong>Institut</strong><strong>für</strong> <strong>Geographie</strong> <strong>und</strong> <strong>Raum</strong>forschungmuss natürlich nicht gesondert betontwerden. <strong>Raum</strong>bezogenheit im Zusammenhangmit dem öffentlichen <strong>Raum</strong>, derzunehmend <strong>–</strong> auch medial <strong>–</strong> in den Mittelpunktrückt <strong>und</strong> wo es vorrangig um denZugang „<strong>für</strong> alle“ geht (wer konstituiert<strong>und</strong> produziert „öffentlichen <strong>Raum</strong>“?), wirdzu einem bedeutenden Forschungsfeld.Besonders <strong>für</strong> Graz <strong>und</strong> die Steiermark istseit einigen Jahren die „Philosophie“ desShared Space(„<strong>Raum</strong> <strong>für</strong> Menschen“, geteilter<strong>Raum</strong>) in den Mittelpunkt gerückt<strong>–</strong> auch in unmittelbarer Universitätsnähe.Die <strong>Raum</strong>bezogenheit <strong>–</strong> man könntenatürlich ungenauer Weise auch nur „der<strong>Raum</strong>“ sagen <strong>–</strong> ist eigentlich immer auchein konfliktbehafteter Prozess, besondersin einer sich wandelnden, globalisiertenGesellschaft, in der einerseits Partizipationeine Rolle spielt, andererseits aber auchMachtinteressen ausgelebt werden. Geradein Städten, wo <strong>Raum</strong> meist knapp ist,gibt es viele Begehrlichkeiten <strong>und</strong> damitviele raumbezogene Konflikte <strong>und</strong> involvierte„<strong>Raum</strong>produzentInnen“. In diesemZusammenhang muss natürlich besondersdie Frage der Macht in den <strong>Raum</strong> gestelltwerden. Wir bewegen uns damit in Bereichender <strong>Geographie</strong>, die einerseits derSozialgeographie zuzuordnen sind, dieaber andererseits natürlich der Stadtgeographie<strong>und</strong> Stadtentwicklung sowie auchder Politischen <strong>Geographie</strong> angehören.Diesem doch bedeutenden Forschungsbereichim Rahmen der Grazer <strong>Geographie</strong>widmen sich im Folgenden Bettina Fischer,Anna Hartmann <strong>und</strong> Georg Hatzenbichler,die über ihre Masterarbeitenberichten.Abb. 1: Räume nach Weichhart (2008, 327), Grafik: G. HatzenbichlerEs sei mir erlaubt, gleichsam einleitend,einige Orientierungen zum Thema <strong>und</strong>dessen Verortung in der <strong>Geographie</strong> zugeben. Diese sind natürlich auch integralerBestandteil der jeweiligen Masterarbeiten<strong>und</strong> spiegeln sich in den betreffenden Beiträgenwider. Der theoretische Zugangzur Thematik „<strong>Raum</strong>“ erfolgt nach Werlens(1988, 2007, 2008) handlungszentrierter/handlungstheoretischerSozialgeographie.Damit ist die Gewichtigkeit des<strong>Raum</strong>es als Forschungsobjekt natürlichschon relativiert, denn das Handeln derSubjekte (AkteurInnen) tritt damit in denVordergr<strong>und</strong>. Darauf aufbauend lässt sichin Anlehnung an Reuber (1999, 2012)eine „Handlungstheorie <strong>für</strong> raumbezogeneKonflikte“ <strong>für</strong> z. B. den Öffentlichen<strong>Raum</strong> herausarbeiten, wobei es vorrangigum den individuellen Einfluss („rationalchoice“), der in der Post- oder Spätmoderneverstärkt zum Tragen kommt, aber auchum den gesellschaftlichen Input („publicchoice“) im Rahmen des Handelns geht.Machtvollere AkteurInnen sind dabei natürlichdie „gewichtigeren <strong>Raum</strong>produzentInnen“.Fragt man nach dem Einfluss des<strong>Raum</strong>es selbst (physisch-materielle Struktur),so ist dieser natürlich im Rahmender <strong>Raum</strong>konstruktionen der Subjekte/AkteurInnen ständig präsent (Wahrnehmungen<strong>und</strong> praktisches <strong>und</strong> diskursivesBewusstsein nach Giddens 1997) <strong>und</strong>schlägt sich in deren Handeln (im <strong>Raum</strong>)nieder. Es muss dabei auch auf gewisse6


SCHWERPUNKT„Action Settings“ (Weichhart 2004,2008) hingewiesen werden. Dabei wirdder individuell konstruierte Charakterder raumbezogenen Handlungen <strong>für</strong> einbestimmtes „Setting“ etwas zurückgenommen,gleichsam standardisiert. GeradePlätze in der Stadt, wie Tages- oderWochenmärkte oder der Kreuzungspunktaller städtischen Straßenbahnen <strong>und</strong> vielerBusse (siehe Titelfoto), aber auch stark geregelteSituationen des Verkehrs an Straßenkreuzungen,können da<strong>für</strong> Beispielesein. Bei einem Shared Space, der von vielenRegulationen befreit ist, kommt demindividuellen Handeln der AkteurInnenAbb. 2: 3 I-Modell der raumbezogenen Strukturen <strong>und</strong> Prozesse (Brunner 2011, 85) Grafik: G. Hatzenbichler(AutofahrerInnen, RadfahrerInnen, FußgängerInnen)wiederum mehr Gewichtzu. Mit April 2013 wird dieser Freiheit imVerkehr mit der Einführung von Begegnungszonenin Österreich <strong>und</strong> deren Verankerungin der Straßenverkehrsordnung(WALK SPACE) aber wieder ein bisschenein Ende gesetzt.Kurz sei noch auf die Frage des „geeigneten<strong>Raum</strong>es“ eingegangen. Hierkann <strong>für</strong> die gegenständlichen Untersuchungengenerell <strong>und</strong> speziell auch jenerim Rahmen der Masterarbeiten der <strong>Raum</strong>6S nach Weichhart (2008) als geeignetangesehen werden. <strong>Raum</strong> 6S (sozial konstituierter/konstruierter<strong>Raum</strong>) ist der<strong>Raum</strong> der handlungsorientierten Sozialgeographie(Abb. 1). Dazu sagt Weichhart(2008, 326) „…können wir ableiten, dass‚<strong>Raum</strong>‘ <strong>und</strong> ‚Räumlichkeit‘ in konkretenHandlungsvollzügen produziert <strong>und</strong> ‚gemacht‘werden.“ … „Der <strong>Raum</strong> wird alsodurch die Handlungspraxis (<strong>Geographie</strong>-Machen) konstituiert <strong>und</strong> stellt in mehrfacherHinsicht ein Konstrukt dar“.Wie wir sehen, spielen bei diesem sozialkonstituierten <strong>und</strong> konstruierten <strong>Raum</strong>auch eine konkreter Erdraumausschnitt(Ortsbezeichnung wie z.B. der GrazerHauptplatz, der Jakominiplatz oder derKaiser-Josef-Platz), der subjektiv erlebte<strong>Raum</strong> <strong>und</strong> die Räumlichkeit als Attributder Dinge (Lage zueinander) <strong>–</strong> wobeidie Körperlichkeit des Menschen (Subjekt,AkteurIn) zu inkludieren ist <strong>–</strong> eineentscheidende Rolle. Das alles hat beim„<strong>Raum</strong> Konstruieren bzw. Produzieren“eine entscheidende Bedeutung.Um sich dieser <strong>Raum</strong>bezogenheit,dem <strong>Raum</strong>konstituieren, dem <strong>Raum</strong>konstruieren<strong>und</strong> dem <strong>Raum</strong>produzieren derAkteurInnen in den empirischen Arbeitenzu nähern, wurde von mir das „3 I-Modellzur raumbezogenen Analyse“ (Brunner2011) entwickelt, das sich zumindestüber drei Perspektiven dem <strong>Raum</strong> annähert<strong>und</strong> verstehen lässt (nach einem teilsqualitativen Ansatz), was <strong>Raum</strong> im konkretenFall alles ist/sein könnte (Abb. 2).In Anlehnung an Läpples Matrix <strong>Raum</strong>(1991) <strong>und</strong> Weichharts (2008) Räumen6S, 4 <strong>und</strong> 1e (Abb. 1), sind es die sozialenKomponenten Image/Identität <strong>und</strong>Interaktionen sowie die eher physisch materielleKomponente Infrastruktur, die die<strong>Raum</strong>bezogenheit zumindest „aufhellen“können. Die empirischen Arbeiten in denfolgenden Beispielen (Masterarbeiten) bedienensich dieses Tools <strong>und</strong> untersuchen(Befragung, Filmaufnahme, Kartierung)„ihre“ Räume damit.QUELLENVERZEICHNISBrunner F. (2011): <strong>Raum</strong>produktion<strong>für</strong> Shared Space (3I-Modell zurraumbezogenen Analyse). In: GrazerSchriften der <strong>Geographie</strong> <strong>und</strong><strong>Raum</strong>forschung 46 (ZimmermannFestschrift), 81-92.Giddens A. (1997): Die Konstitutionder Gesellschaft. Frankfurt/M.,New York.Läpple D. (1991): Essay über den<strong>Raum</strong>. Für ein gesellschaftswissenschaftliches<strong>Raum</strong>konzept. In:Häussermann H. (Hrsg.): Stadt <strong>und</strong><strong>Raum</strong>. Soziologische Analysen.Pfaffenweiler, 157-207.Reuber P. (1999): <strong>Raum</strong>bezogenepolitische Konflikte. (Erdk<strong>und</strong>lichesWissen 131), Stuttgart.Reuber P. (2012): Politische <strong>Geographie</strong>.UTB 8486, Paderborn.WALK SPACE www.walk-space.at/images/stories/pdf/Begegnungszone_Oesterreich_Feb.2013.pdf(2/2013)Weichhart P. (2004): Action Setting <strong>–</strong>ein „unmögliches Forschungsprojekt.In: <strong>Raum</strong> 54. Wien, 44-49.Weichhart P. (2008): Entwicklungsliniender Sozialgeographie. VonHans Bobek bis Benno Werlen. Sozialgeographiekompakt 1. Stuttgart.Werlen B. (1998): Gesellschaft,Handlung <strong>und</strong> <strong>Raum</strong>. Gr<strong>und</strong>lagenhandlungstheoretischer Sozialgeographie.(Erdk<strong>und</strong>liches Wissen 89),Stuttgart.Werlen B. (2007): Sozialgeographie.In: Gebhardt H. et al. (Hrsg.):<strong>Geographie</strong>. Physische <strong>Geographie</strong><strong>und</strong> Humangeographie. Heidelberg,München, 579-598.Werlen B. (2008): Sozialgeographie.UTB 1911, Bern, Stuttgart, Wien.7


GeoGraz 52 - 2013SCHWERPUNKTBETTINA FISCHERDer öffentliche <strong>Raum</strong> als Spiegelbildeiner sich wandelnden GesellschaftBachelor-Studium <strong>Geographie</strong>,Masterstudium NachhaltigeStadt- <strong>und</strong> Regionalentwicklung<strong>und</strong> Global Studies. Masterarbeitzum Thema dieses Artikels.Besonderes Interesse angesellschaftlichen Prozessen, diesich in räumlichen Strukturenwiderfinden.Im Rahmen meiner Masterarbeit, welcheich bei Ass. Prof. Dr. Franz Brunner schreibe,bearbeite ich das gesellschaftlich wiestadtplanerisch immer wichtiger werdendeThema des öffentlichen <strong>Raum</strong>es. Die Konstruktionder Begrifflichkeiten „<strong>Raum</strong>“<strong>und</strong> „öffentlicher <strong>Raum</strong>“ ist jedoch nichtimmer einfach. Vor allem der öffentliche<strong>Raum</strong> bietet eine Reihe von Definitionen.Doch sollte es im Rahmen der Arbeit nichtum das rein physisch-materielle Konstruktdes öffentlichen <strong>Raum</strong>es gehen, ich möchteanhand dieser Arbeit versuchen, denöffentlichen <strong>Raum</strong> in all seinen Facettendarzustellen. Im Zentrum des öffentlichen<strong>Raum</strong>es sollte also immer das handelndeSubjekt stehen (Werlen 2004, 310). DennMenschen konstituieren <strong>und</strong> produzierenmit ihren Handlungen Räume. Dieseerste Erkenntnis ist in weiterer Folge sehrwichtig, da man erst dadurch Veränderungender Gesellschaft auch in einerVeränderung des öffentlichen <strong>Raum</strong>es erkennenkann. Denn zweifelsohne erfährtder öffentliche <strong>Raum</strong> eine Rückeroberung.Auch beschäftigen sich immer mehr Menschenmit dem <strong>Raum</strong> <strong>und</strong> beanspruchendiesen <strong>für</strong> sich. Doch was ist denn jetztüberhaupt ein „öffentlicher <strong>Raum</strong>“? AmAnfang meiner Masterarbeit habe ich vielüber die Frage, welche Eigenschaften <strong>für</strong>mich einen <strong>Raum</strong> zu einem öffentlichen<strong>Raum</strong> machen, nachgedacht. Mir kamenZuschreibungen wie Parkanlage, Straßen,Fußgängerzonen, nicht privat, Spiegelbildder Gesellschaft, Marktplatz von Ideen,Entfaltungsmöglichkeiten […], aberdurchaus auch negativ behaftete Begriffewie teils zugemüllte Straßen, Bettelverbot,Alkoholverbot, Straßenmusikverbotetc. in den Sinn. Bei dem Begriff des öffentlichen<strong>Raum</strong>es handelt es sich um einoftmals sehr kontrovers diskutiertes Thema.Wie schon an den oben genanntenBegriffen in Abb. 1 erkennbar, weist deröffentliche <strong>Raum</strong> ein breites Spektrum anSinngehalten auf. „Ein öffentlicher <strong>Raum</strong>ist einer, der mit einer sozialen Nutzungeinhergeht. Unter einem öffentlichen<strong>Raum</strong> versteht jeder etwas anderes. Esgibt verschiedene Zugänge, wenn mansich die Frage stellt, was denn überhaupt8ein öffentlicher <strong>Raum</strong> sei“ (InterviewHainzl 2013). Der öffentliche <strong>Raum</strong> istauch immer eine Bühne. Er hat enormenRepräsentations- <strong>und</strong> Präsentationswert.Wir bewegen uns ja alle im öffentlichen<strong>Raum</strong> <strong>und</strong> präsentieren <strong>und</strong> repräsentierenetwas. Der öffentliche <strong>Raum</strong> wird oftmalsals Schauplatz der eigenen wie auch derfremden Darstellung wahrgenommen. Ichbewege mich an öffentlichen Plätzen umandere Menschen zu sehen, wie auch vonanderen gesehen zu werden.Im Rahmen der Masterarbeit habe ichauch acht Interviews in Graz <strong>und</strong> Wien,mit aus unterschiedlichen Berufsgruppenkommenden Menschen zum Thema öffentlicher<strong>Raum</strong> durchgeführt. Und alsich meine InterviewpartnerInnen nachder Qualität des öffentlichen <strong>Raum</strong>es befragte,kam eigentlich immer die Antwort,dass ein guter öffentlicher <strong>Raum</strong> einer sei,der eine multifunktionelle Dimensionaufweist, der <strong>für</strong> alle Bevölkerungsgruppenzugänglich ist <strong>und</strong> der vor allem auchallen Menschen die gleichen Rechte bietet.Wenn man diese qualitativen Zuschreibungenan einen „guten“ öffentlichen<strong>Raum</strong> weiterspinnt, bedeutet dies, dassein öffentlicher <strong>Raum</strong> keiner sein sollte,aus dem Menschen weggewiesen werden.“Ein guter öffentlicher <strong>Raum</strong> ist <strong>für</strong> michschon auch etwas, wo man ‚mein Gott‘,auch ein gewisses Maß an Ordnung duldenkönnen muss, also wo alle ihren Platzhaben, der aber dennoch so gestaltet ist,dass ich jetzt keine Angst haben muss. Esmuss eine Mischung an Nutzungen, eineMischung an Leuten den <strong>Raum</strong> benützenkönnen, das ist vielleicht <strong>für</strong> mich ein guteröffentlicher <strong>Raum</strong>. In dem Sinne auch von‚attraktiver Stadtraum‘, der nicht klinischgesäubert ist, der auch vom Design her daraufausgerichtet ist, dass man dort nichtnur konsumieren kann“ (Interview Fuchs2013). Natürlich kann ein öffentlicher<strong>Raum</strong> nicht alle Bedürfnisse bedienen,kann nicht allen Menschen zugleich genügen.Die <strong>Raum</strong>aneignung an sich beinhaltetja auch ein gewisses Konfliktpotential.„Der öffentliche <strong>Raum</strong> ist der <strong>Raum</strong>zwischen den Menschen, wie es HannahArendt ausdrückt. Also es ist ein Aufenthaltsraum,ein Kommunikationsraum, esist der <strong>Raum</strong>, an dem Gesellschaft entsteht.Und diese philosophische Definitiongefällt mir eigentlich am besten, weilsie ein Ideal ausdrückt, das schön wäre“(Interview Rolshoven 2013).Meine Masterarbeit beschäftigt sichaber nicht nur mit reinen Begrifflichkeiten<strong>und</strong> deren Auslegung. Im Zentrumstehen gesellschaftliche Veränderungen<strong>und</strong> der daraus folgende Umgangmit dem öffentlichen <strong>Raum</strong>. Es ist sehrspannend, wenn man sich vor Augen hält,wie menschliches Handeln <strong>und</strong> vor allemauch das menschliche Miteinander Räumebeeinflusst. „Menschen erschließensich gehend den Stadtraum. Wir eignenuns <strong>Raum</strong> an, in dem wir ihn uns vertrautmachen durch unsere Schritte, durch unseretäglichen Besorgungen. Und da wirdder <strong>Raum</strong>, wenn er uns vertraut wird, zueiner wichtigen Leitblanke des Sozialen“(Interview Rolshoven 2013). Das Soziale,also die Gesellschaft, spielt eine wichtigeRolle im öffentlichen <strong>Raum</strong>. Ich stelltemir auch die Frage, was denn überhaupteine Gesellschaft sei <strong>und</strong> wie sich dieseim öffentlichen wie auch privaten <strong>Raum</strong>im Laufe der Geschichte verändert hat.Der Umgang mit dem öffentlichen <strong>Raum</strong>änderte sich ja auch im Laufe unserer Geschichte.Doch darf man hier nicht demMythos der „guten alten Zeit“ verfallen,öffentliche Räume waren <strong>und</strong> sind immerschon Machträume gewesen. Dies spiegeltsich natürlich auch in der Gestaltung desöffentlichen <strong>Raum</strong>es wider. Doch möchteich, aufgr<strong>und</strong> des eingeschränkten Platzes,mich nachfolgend auf ein Phänomen beschränken,das meiner Ansicht nach einsozial wie auch stadtplanerisch sehr ambivalentes,jedoch hoch spannendes Themaist.Ökonomisierung, Festivalisierung <strong>und</strong>Verbotspolitk <strong>–</strong> ist der öffentliche <strong>Raum</strong> unsererStadt bedroht?Viele von uns kennen wahrscheinlich dieaktuelle Thematik der Ökonomisierung,Festivalisierung <strong>und</strong> Verbotspolitik in vielenStädten. Auch in Graz ist dieses Themasehr aktuell. Verfolgt man die Medien-


SCHWERPUNKTlandschaft, so ist immer häufiger von einer„Säuberung der Städte“ die Rede. Jetztkönnte man in einer ersten Assoziationdiese „Säuberung“ mit einem hygienischenInteresse verbinden, welches zweifelsohneauch ein immer größer werdendes „Geschäft“in Städten ist. Doch dieser Begriffbeinhaltet eine prekäre Doppeldeutigkeit.Der Schlüsselbegriff der „Sanierung <strong>und</strong>Säuberung“ wird auch auf den Menschenbezogen. Es geht nicht nur um die umweltpolitischeKomponente der stofflichenMüllentsorgung, es steht sozusagen einsozialreformistisches Interesse hinter dieserSäuberung. Doch: „Gesellschaft istnicht nur schön. Gesellschaft ist ein heterogenes,ungleich strukturiertes Gebilde.Und wenn öffentlicher <strong>Raum</strong> Gesellschaftabbildet, sollte sie auch die ungleich strukturierteDiversität abbilden“ (InterviewRolshoven 2013).Nicht nur die Gesellschaft an sich,auch Städte bzw. die Politik stehen unterenormer Anspannung. Städte unterliegen,ob ihrer Anstrengungen sich im Konkurrenzkampfum TouristInnen sichtbar zumachen, einem „Festivalisierungsdruck“.Häußermann u. Siebel (1993, 8) sprechenvon einer „Politik der Ereignisse“, wenn siedie Festivalisierung von Städten thematisieren.Städte müssen attraktiv <strong>für</strong> BesucherInnensein, attraktiv <strong>für</strong> Investoren<strong>und</strong> attraktiv als Lebensort. Prisching(2011, 86) formulierte den zunehmendenDruck auf Städte folgendermaßen: „Aucheine Stadt kann nicht mehr einfach in derLandschaft herumstehen“. Wir sehen also,Städte stehen unter einem zunehmendenKonkurrenzdruck, sie müssen sich von anderenStädten abgrenzen. Es reicht nichtmehr, wie es Prisching (2011, 85) formuliert,dass sie einfach nur da sind, Städtemüssen etwas bieten können, „sie müssenzu einer Marke <strong>und</strong> zu einem Geschehenwerden“.Der Leser bzw. die Leserin dieses Artikelsfragt sich an dieser Stelle vielleicht,was hat diese Festivalisierung jetzt eigentlichmit der „Säuberung von Städten“ zutun? Ist es nicht gut, dass Städte attraktiv<strong>für</strong> BesucherInnen sind? Dass sie einattraktiver Standort <strong>für</strong> Investoren sind?Geht nicht jedervon uns auchgern einmal aufein Fest, welches dieStadt organisiert, <strong>und</strong>was sollte schlecht daransein? Es ist doch gut, dasswas los ist, oder nicht?Beschäftigt man sichtiefer mit der Materie derFestivalisierung, kommtman dem gr<strong>und</strong>legendenDilemma dieser Politiknäher. Für die wohl situierteMehrheit der Bevölkerungist eine regulativePolitik weniger wichtig geworden.Es stellt sich die Frage, ob es sein könnte,dass eine Politik, welche ihr eigenes Überflüssigwerdenin den Augen der Wählerschaftahnt, nun Projekte als Selbstrechtfertigungerfindet: „Festivalisierung alsInszenierung der eigenen Daseinsberechtigung“(Häußermann u. Siebel 1993, 28)?Die zunehmende Festivalisierung kennzeichnetaber auch ein offensichtlichesWegsehen von sozialen, meist schwer lösbaren<strong>und</strong> ebenso wenig spektakulären Erfolgversprechenden Problemen. Die Mitbestimmungder BürgerInnen an solchenEvents scheint eher als störend. Festivalisierungdient vermehrt dazu, Akzeptanz<strong>für</strong> eine Politik, die top-down organisiertist, zu schaffen (vgl. Häußermann u. Siebel1993, 30). Wenn man sich attraktiveöffentliche Plätze ansieht, sind diese oft anbis zu 200 Tagen <strong>und</strong> mehr im Jahr ausgebucht.Als Beispiel kann hier der WienerRathausplatz genannt werden. Dieser istquasi kein öffentlicher Platz mehr, er wurdezu einem Platz mit einer segmentiertenTeilöffentlichkeit <strong>für</strong> bestimmte Events<strong>und</strong> Festivals (Schäfers 2011, 39). Obwohlnatürlich auch angemerkt werden muss,dass die Festivalisierung einen wichtigenBeitrag zur Verlebendigung der Stadtkulturwie auch zur Intensivierung desKulturprozesses bieten kann. Doch zeigtsie zugleich auch „eine gewisse Ambivalenz,da ich von einem guten öffentlichen<strong>Raum</strong> doch auch erwarte, das was los ist,das gehört zu einer Stadt dazu. Aber wo esdann wirklichproblematischwird, wenn ganzklar Kontrollen,Zugangsbarriereneingezogen werden, diemit der Konsumbereitschaftzu tun haben.Also dann ist es erstenskein öffentlicher <strong>Raum</strong>mehr <strong>und</strong> zweitens istes schon gar kein guter<strong>Raum</strong> mehr. Ganz klarist es auch Konsequenzeiner globalisiertenWettbewerbssituation,in der sich Städte ganz einfach duellieren“(Interview Fuchs 2013).Abb. 1: Der öffentliche <strong>Raum</strong> (eigener Entwurf )Die neue Sicherheitspolitik <strong>–</strong> wovor oder wem habenwir eigentlich Angst?In vielen europäischen Städten herrschteine vermeintliche Sicherheitspolitik.Räume, welche unter dem Deckmantelder Sicherheit geplant <strong>und</strong> gebaut wurden,schließen jedoch Randgruppen <strong>und</strong> sozialschwächer gestellte Menschen aus demurbanen Handlungsfeld aus (Koch 2011,54). Somit werden keine Räume geschaffen,in denen sich möglichst viele StadtbewohnerInnenwohl fühlen, es werdenRäume geschaffen, die den AkteurInnenbeinahe keinen Handlungsfreiraum mehrgewähren (ebd., 2011, 54). ÖffentlicheRäume werden vermehrt in Innenräumeverschoben, was laut Schubert (1999, 19)mit einer „Verhäuslichung“ beschriebenwerden kann. Durch diese „Sicherheitsvorkehrungen“kann dann z.B. durchprivate Sicherheitsfirmen unerwünschtenPersonen der Zutritt verweigert werden(Koch 2011, 54). Schubert (1999, 20)meint dazu weiters, dass „der öffentliche<strong>Raum</strong> in der gegenwärtigen Stadt wenigereine einheitsstiftende Funktion hat, sondernein Mosaik milieudifferenzierenderInseln darstellt“. Es geht auch darum, wieRäume gestaltet werden, denn: „Wennsich die Planer, Architekten <strong>und</strong> Politikerbewusst sind, was die realen Nutzungsbedingungenvon öffentlichen Räumen sind,ich denke die wissen das gar nicht. Die9


GeoGraz 52 - 2013SCHWERPUNKTwissen nicht, dass die Erfahrung von Öffentlichkeit<strong>für</strong> die StadtbewohnerInneneine ganz gr<strong>und</strong>legende Erfahrung ist,Fremdheit zu erleben. Dass Jugendlicheanders sind als Erwachsene, dass Frauenanders sind als Männer, dass Afrikanereine andere Hautfarbe haben als Grazer.Dieses Gewöhnen an andere kann nur imöffentlichen <strong>Raum</strong> erfolgen <strong>und</strong> kann nurerfolgen, wenn wir das auch zulassen, denöffentlichen <strong>Raum</strong> auch als Spiegelbildder Gesellschaft zu hegen <strong>und</strong> zu pflegen“Abb. 2: Aktion zum Grazer Bettelverbot. Quelle: derStandard, 2011(Interview Rolshoven 2013). Die Frage istnun, wovor oder wem haben wir Angst?Warum <strong>und</strong> wovor muss uns die Stadtpolitikbeschützen? Mit diesen Fragen habeich mich auch in meiner Masterarbeitbeschäftigt. Denn „wenn ich den öffentlichen<strong>Raum</strong> ernst nehme, dann begegneich dort auch verschiedenen Gruppen vonMenschen, ich muss alle Gruppen einschließen.Sobald ich bestimmte Gruppenausschließe, ist es kein öffentlicher <strong>Raum</strong>mehr“ (Interview Licka 2013). Nachfolgendmöchte ich noch kurz auf die aktuelleSituation in Graz eingehen.Einschränkungen im öffentlichen <strong>Raum</strong>?Sehen wir uns die Debatten in Graz an,lässt sich wohl nicht leugnen, dass aktuelleine Verbotspolitik die Stadt beherrscht.Alkoholverbot, Bettelverbot, StraßenmusikerInnenverbot,Einzäunung des Stadtparkpavillonsetc. stellen Maßnahmendar, die es Menschen erschweren, sichals mündige BürgerInnen im öffentlichen<strong>Raum</strong> zu fühlen.In Abb. 2 sehen wir eine Aktion zumGrazer Bettelverbot, welche im Rahmendes Lendwirbels 2011 stattfand. Die Vertreibungvon nicht erwünschten Menschenaus der Stadt scheint allgegenwärtig zusein. Am 15.2.2012 wurde im Landtag derSteiermark das Bettelverbot beschlossen(vgl. News 2012). Durch diesen Beschlusswurde eine der ärmsten Gruppen nochweiter an den Rand gedrängt, <strong>und</strong> auchdie Rechte der Allgemeinheit am öffentlichen<strong>Raum</strong> wurden weiter eingeschränkt.Am 10.1.2013 wurde das allgemeine Bettelverbotin der Steiermark durch den Verfassungsgerichtshofwieder aufgehoben.Weiterhin verboten ist aggressives Bettelnsowie das Betteln mit Minderjährigen.Seit April 2012 gilt in der GrazerInnenstadt ein großflächiges Alkoholverbot.Mit diesem Verbot sollte eine dochüberschaubare Gruppe vorwiegend jungerMenschen, welche sich beim so genannten„Billa-Eck“ am Grazer Hauptplatz trifft,vertrieben werden. Das Markenzeichendieser jungen Menschen: offener Alkoholkonsum<strong>und</strong> „punkiges“ Outfit. Wennwir uns Abb. 3 ansehen, sehen wir einenvergitterten Pavillon, der sich im GrazerStadtpark befindet. Mit diesem Gittersollten Grazer Punks davon abgehaltenwerden, den Pavillon <strong>für</strong> Ihre Bedürfnissezu nutzen. Jedoch bot genau dieser <strong>Raum</strong>den StreetworkerInnen Gelegenheit, aufdie jungen Menschen zuzugehen, <strong>und</strong> ihnenvielleicht helfen zu können. „Wennwir Zäune bauen, bewegen wir uns aufganz gefährlichem Terrain“ so Steinkellner,Leiter der Caritas Jugendstreetwork(Pichler 2012). Mit einem Plakat, welchesdie Aufschrift: „…damit keineR was davonhat!“ trägt, zeigten die Punks ihrenUnmut über die damalige Situation.Die Frage ist nun, was charakterisiertdenn eine Stadt? Ist es nicht das Gefühl,„dass man dort Fremder unter Fremdenwar oder sein konnte“? (Blum 2003, 54).Es braucht „Anonymität, Größe, Unübersichtlichkeit“(ebd. 54). Stadt braucht<strong>Raum</strong>, Stadt braucht Freiheit <strong>und</strong> Stadtmuss Menschen mit anderen Bedürfnissen,als es der Mainstream vorgibt, aushaltenkönnen <strong>–</strong> genau diese Eigenschaftenmachen eine Stadt ja aus. Anders ausgedrückt:„Die urbane Stadt, die noch <strong>für</strong>das seltsamste Bedürfnis die gewünschteBefriedigung bietet, ist akut gefährdet“(Siebel 1997). „Wir sind heute beinahe beiihrem Gegenbild angekommen“ (Blum2003, 54). Natürlich stellt sich hier auchzwangsläufig die Frage, was dieser Umgangmit unseren Mitmenschen über dieGesellschaft im Allgemeinen aussagt. DerPhilosoph Avishai Margalit drückt es folgendermaßenaus: „Eine Gesellschaft istdann anständig, wenn ihre <strong>Institut</strong>ionendie Menschen nicht demütigen. Mehrsei eigentlich nicht nötig“ (Blum 2003,71). Die Städte möchten aber sauber sein.Abb. 3: Vergitterter Stadtparkpavillon (eigene Aufnahme,Juli 2012)Sie stehen ja in einem ständigen Wettbewerbum KonsumentInnen mit anderenvergleichbaren Städten. Und wer gehtschon gern shoppen, wenn er ständig von„bettelnden Menschen“ „belästigt“ wird?Oder wenn er Angst haben muss sich inbestimmten Vierteln aufzuhalten, weildiese als sozialer Hotspot gelten? Städtereagieren natürlich auf den aktuellen Sicherheitsdiskursbzw. führen ihn ein. “Derbeste K<strong>und</strong>e der privaten Sicherheitsindustrieist die öffentliche Hand“ (InterviewFuchs 2013). Eine Stadt kann als Laboratorium<strong>für</strong> Gesellschaft gesehen werden,auch wenn sie nie die Sterilität erlangenwird, welche mit dem Begriff verb<strong>und</strong>enist, doch die Stadt ist auch eine Bühnesozialer Ungleichheit. Räumliche Strukturenkönnen Veränderungen beeinflussen,Stadtpolitik kann Entwicklungenverschärfen wie auch abmildern. Städtesind bzw. werden das Spiegelbild des gesellschaftlichenWandels, welcher sich seitjeher auch in der räumlichen Struktur abzeichnet(Blum 2003, 26). Und dieser Prozess,der sich in den Städten widerspiegelt,kann auch als bezeichnend <strong>für</strong> den öffentlichen<strong>Raum</strong> gesehen werden.QUELLENVERZEICHNISBlum E. (2003): Schöne neue Stadt <strong>–</strong> Wieder Sicherheitswahn die urbane Weltdiszipliniert. Birkhäuser Verlag <strong>für</strong>Architektur, Basel. 165 S.Der Standard (2011): Bettelverbot: Werhilft, wird mitschuldig. http://derstan-dard.at/1303950761247/Steiermark-Bettelverbot-Wer-hilft-wird-mitschuldig(Zugriff 12/2012)10


SCHWERPUNKTHäußermann H., Siebel W. (1993): DieFestivalisierung der Stadtpolitik. Stadtentwicklungdurch große Projekte. LeviathanSonderheft 13, Opladen, 341 S.Koch M. (2011): Frauen erleben Stadt. DieKonstruktion der Geschlechterverhältnisseim öffentlichen <strong>Raum</strong>. Diplomarbeit an derKarl Franzens Universität Graz. <strong>Institut</strong><strong>für</strong> Volksk<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Kulturanthropologie.193 S.News (2012): Internationales Bettelverbot:Gesetz ist „Verletzung der Menschenrechte“.Quelle: http://www.news.at/a/internationale-kritik-grazer-bettelverbotgesetz-verletzung-menschenrechte-289951(Zugriff 11/2012)Pichler A. (2012): Platz da! Sicher? In: Megaphon#198 <strong>–</strong> 16. Jahrgang, Mai 2012, 34 S.Prisching M. (2011): Die Kulturhauptstadtals Groß-Event. In: Betz. G., Hitzler R.,Pradenhauer M. (Hrsg.), Urbane Events.Wiesbaden: VS, Verlag f. Sozialwissenschaften,381 S.Schäfers B. (2011): Architekturen <strong>für</strong> dieStadt als Ort der Feste, Spiele <strong>und</strong> Events.In: Betz. G., Hitzler R., Pradenhauer M.(Hrsg.), Urbane Events. Wiesbaden: VS,Verlag f. Sozialwissenschaften, 381 S.Schubert H. (1999): Urbaner öffentlicher<strong>Raum</strong> <strong>und</strong> Verhaltensregulierungen. In:DISP. Dokumente <strong>und</strong> Informationen zurSchweizerischen Orts-, Regional- <strong>und</strong>Landesplanung, Jg. 35, Nr. 136-137, Zürich,17-24. http://www.f01.fh-koeln.de/imperia/md/content/www_srm/literatur/urbaner_oeffentlicher_raum.pdf (Zugriff 11/2012)Siebel W. (1997): Die Stadt <strong>und</strong> die Fremden.In: Brech J., Vanhué L. (Hg.), Migration.Stadt im Wandel. Darmstadt, 299 S.Werlen B. (2004): Sozialgeographie. EineEinführung. 2. Auflage. Haupt Verlag, Bern,Stuttgart, Wien, 379 S.Interviews:Mag Hainzl Joachim. Sozialpädagoge <strong>und</strong> Sozialhistoriker.Gründer des Vereins XENOSzur Förderung der soziokulturellen Vielfalt.Interview durchgeführt am 22.01.2013 inGraz.Dr. MA Fuchs Walter. Jurist <strong>und</strong> Kriminologe.Wissenschaftlicher Mitarbeiter am<strong>Institut</strong> <strong>für</strong> Rechts- <strong>und</strong> Kriminalsoziologiein Wien. Dissertation über Private Sicherheitsdienste<strong>und</strong> öffentlichen <strong>Raum</strong>. Interviewdurchgeführt am 18.01.2013 in Wien.Univ.Prof. Dr.phil Rolshoven Johanna.Leiterin des <strong>Institut</strong>s <strong>für</strong> Volksk<strong>und</strong>e <strong>und</strong>Kulturanthropologie, Karl Franzens UniversitätGraz. Interview durchgeführt am16.01.2013 in Graz.Univ.Prof. Dipl.-Ing. Lička Lilli. Leiterin des<strong>Institut</strong>es <strong>für</strong> Landschaftsarchitektur, Universität<strong>für</strong> Bodenkultur Wien. Interviewdurchgeführt am 11.01.2013 in Graz.GEORG HATZENBICHLERVeränderung der sozial-räumlichen Nutzungdes Shared Space Sonnenfelsplatz anhandeiner softwaregestützten <strong>Raum</strong>analyseDie Ursprünge der Shared Space-Philosophiesind in den Niederladen auszumachen<strong>und</strong> wurden unter der Schirmherrschaftdes Verkehrsplaners Hans Mondermannentwickelt. Sein soziologischer Ansatz<strong>und</strong> das vorangestellte partizipative Beteiligungsverfahrender involvierten Akteuresind charakteristisch <strong>für</strong> diesesverkehrliche Konzept. Shared Space istin erster Linie eine Geisteshaltung mitdem Ziel gegenseitige Rücksichtnahme,unter Miteinbeziehung verkehrsplanerischerGestaltungsprinzipien, zu fördern.Gr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong> die Gestaltung desStraßenraumes soll eine möglichst breite<strong>und</strong> intensive Beteiligung der ansässigenAkteure bei den Planungs- <strong>und</strong> Entscheidungsprozessensein (Hatzenbichler et. al.2012, 2, nach Bechtler <strong>und</strong> Hänel 2010,126). Ein weiteres Ziel ist es dabei die dreiGr<strong>und</strong>funktionen des Shared Space, Verbindung,Erschließung <strong>und</strong> Aufenthalt,zu überlagern <strong>und</strong> in einem möglichstortstypisch gestalteten gemeinsamen<strong>Raum</strong> in ein Gleichgewicht zu bringen.Der Verzicht von etablierten, den Verkehrregelnden Systemen, wie Lichtsignalanlagen<strong>und</strong> Verkehrsbeschilderung, ist kennzeichnend.Weiters wird versucht eine regeDurchmischung der einzelnen Verkehrsteilnehmertypenzu erreichen. Gr<strong>und</strong>gedankehierbei ist jedoch, dass sich motorisierterVerkehr eher als Gast in jenenBereichen wahrnimmt <strong>und</strong> diese nicht wiereguläre Straßenräume einschätzt.Ein konkret ausgestaltetes Fertigkonzeptdes Shared Space, welches pauschalangewendet werden könnte, gibt es nicht,denn jeder Ort benötigt eine auf seineUmstände angepasste, maßgeschneiderteLösung. So muss beim Umgestaltungsvorgangder Straße auf seine unverwechselbarenUmgebungselemente <strong>und</strong> so wenigwie möglich auf verkehrstechnischeMaßnahmen eingegangen werden. Diessoll sich fördernd auf das soziale Verhalten<strong>und</strong> Handeln der Akteure im <strong>Raum</strong> auswirken<strong>und</strong> zu erhöhter Aufmerksamkeitbeitragen. Durch zwischenmenschlicheVerständigung rücken Vorfahrtsregeln inZUM AUTORGeorg Hatzenbichler, Bakk. rer.nat., Studierender des Masterstudiumsder Umweltsystemwissenschaften,Schwerpunkt<strong>Geographie</strong>, berichtet in diesemBeitrag ebenfalls aus seinerMagisterarbeit.den Hintergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> sollten im Idealfallgänzlich durch diese ersetzt werden.Kommt es zu Unklarheiten in allfälligenSituationen, sollten die informellen Regelnder menschlichen Höflichkeit inKraft treten (Hatzenbichler et. al. 2012, 2,nach Gerlach et. al. 2009, 4). Das eherneZiel der Philosophie des Shared Space, sokönnte man behaupten, ist es, die Aufenthaltsqualität<strong>und</strong> Funktionalität der umgestaltetenRäume zu stärken <strong>und</strong> sozialeOrte zu schaffen, die eine wohltuende Atmosphäreaufweisen (Gerlach et. al. 2009,30).Einer dieser, gemäß den Shared Space-Prinzipien umgestalteten Räume ist amGrazer Sonnenfelsplatz seit Oktober 2011zu finden <strong>und</strong> wurde seither rege beobachtet<strong>und</strong> beforscht. Die hier vorgestellteMagisterarbeit (Betreuung durch Ass.-Prof. Dr. F. Brunner) beschäftigt sich mitder Verortung von subjektiven <strong>Raum</strong>wahrnehmungenzur Sicherheit, Geschwindigkeitsowie Attraktivität <strong>und</strong> derenVerschneidung mit gemessenen Datenam Sonnenfelsplatz. Methodisch basierendie gewonnenen Daten auf einer Befragung,welche direkt vor Ort am Sonnenfelsplatzbei 80 Probanden durchgeführtwurde. Neuartig war die Verwendungeines Tabletcomputers, welcher es ermöglichte,anhand einer Zonenkarte Fragenmit räumlichem Bezug, wie beispielsweisein welchen Bereichen des Platzes der Probandsich besonders unsicher fühle, direktam Platz zu verorten. Die anspruchsvollegraphische Umsetzung der Kartendarstellungen<strong>und</strong> der statistischen Daten warebenso von Wichtigkeit wie die anschließendeVerschneidung der subjektiven11


GeoGraz 52 - 2013SCHWERPUNKTAbb. 1: Korrelationskartendarstellung von subjektiver mit gemessener Geschwindigkeit von Kraftfahrzeugen (Eigene Darstellung, Erläuterungen im Text)Erhebungsdatenmit Messdaten ausVideoaufnahmen(Schönauer et. al.2012), welche anhandeiner semiautomatisiertenTrackingsoftwaregewonnen <strong>und</strong> vomAustrian <strong>Institut</strong>e ofTechnolgy zur Verfügunggestellt wurden.Als Beispiel seiin Abb. 1 eine Kartewiedergegeben,welche sich mit demsubjektiv geschätztenGeschwindigkeitsverhalteninKorrelation mitgemessenen Datenvon motorisiertemVerkehr beschäftigt.Es handelt sichhierbei um einekomplexanalytischeKartendarstellung,die versucht GemeinsamkeitenzwischenmethodischdifferenziertenErhebungsmethodenaufzuzeigen.In flächenhafterfarbiger Darstellungwerden gemesseneGeschwindigkeiten abgebildet.Demgegenüber werden die subjektivenGeschwindigkeitseinschätzungen der befragtenProbanden als Punktmuster mitunterschiedlichen Intensitäten gezeigt. Jegrößer der Radius der Punktsignatur ist,desto höher die geschätzte Durchfahrtsgeschwindigkeitdes motorisierten Verkehrsdurch die jeweilige Zone. Gut erkenntman, dass Gemessenes <strong>und</strong> Geschätztes,speziell in den Zu- bzw. Abfahrtsstraßen,einander stark ähneln. Besonders Zone 10,12 sowie 18 sind markant, denn hier treten,subjektiv wie gemessen, die höchstenGeschwindigkeiten auf. Deutlich zu erkennenist auch, dass die Bereiche von derZinsendorfgasse kommend hin zur Leechgasse,Zone 5 <strong>und</strong> 6, jene sind, in welchenLenker ihr Kraftfahrzeug beschleunigen,wie anhand der greller werdendenFärbung festgestellt werden kann. Erwartungsgemäßweisen die mittleren Bereicheam Platz niedrigere Geschwindigkeitenauf. Gut zu erkennen sind auch Lücken inder Spurwahl, die darauf hinweisen, dassgewisse Bereiche bei der Überquerungvermieden werden (Hatzenbichler et. al.2012, 11).Kommt man noch einmal auf die Philosophiedes Shared Space zu sprechen, sokann man eindeutig feststellen, dass diesestark polarisiert. In Zuge meiner Auseinandersetzungmit dieser Thematik <strong>und</strong>vor allem während der Durchführung derBefragung am Sonnenfelsplatz, wurde ichmit verschiedensten Sichtweisen konfrontiert.Ob mein Gegenüber dem nun positivgegenüber stand oder auch nicht, stetswar allgemeines Interesse vorhanden. Oftwurde die Sinnhaftigkeit der Umgestaltungdes Kreisverkehrs in Frage gestellt<strong>–</strong> doch ist das nicht immer so, wenn neueIdeen auf altbewährte treffen? Es war daher<strong>für</strong> mich umso erstaunlicher, währendder Auswertung der Daten festzustellen,dass die grantelnde österreichische Seeletendenziell mit der Umgestaltung desSonnenfelsplatzes einverstanden war, <strong>und</strong>wenn nicht, zumindest reges Interesse hattezu berichten, warum sie unzufrieden sei.Was sind nun Gründe <strong>für</strong> die Faszinationdieses Platzes? Er bricht mit alteingesessenen Reglements <strong>und</strong> propagiertsozusagen eine individuelle Konformität.Damit ist ein Funktionieren des Systemstrotz konfusen Regelwerks gemeint. Spiegeltdiese Sicht der Dinge nicht auf vielenEbenen unser modernes Gesellschaftsbildwider? Der Hang zum Individualismus,welcher jedoch erst durch gesellschaftlicheIntegration ermöglicht wird. Wendet man12


SCHWERPUNKTSTUDIEREN AKTUELLdiesen Gr<strong>und</strong>gedanken nun auf die Philosophiedes Shared Space an, so könnteman sagen, dass die Funktionalität derUmgestaltungen nicht gegeben wäre, würdesich der Einzelne dem großen Ganzennicht unterordnen. Diese eindimensionaleSicht der Dinge wäre jedoch gegenüberdem Gedanken, der hinter Shared Spacesteckt, nicht fair, ist seine Gr<strong>und</strong>intentiondoch diese, den <strong>Raum</strong> von seiner reinenFunktionalität als Verkehrsraum zu befreien<strong>und</strong> urbane oder auch non-urbaneBereiche zu erschaffen, die eine Steigerungvon Lebensqualität mit sich bringen.Für meine Person war es faszinierend festzustellen,welch offenes Weltbild mit allseinen sozialen Komponenten <strong>und</strong> welchgroßes stadtplanerisches Potential hinterder Philosophie des Shared Space steckt(Hatzenbichler 2012, 4).QUELLENVERZEICHNISBechtler C., Hänel A. (2010): ErfordertShared Space einen Paradigmenwechselin der Planungskultur?Sammelband Shared Space <strong>–</strong> Beispiele<strong>und</strong> Argumente <strong>für</strong> lebendigeöffentliche Räume. Bielefeld, 214 S.Gerlach J., Ortlepp J., Voß H. (2009):Shared Space <strong>–</strong> eine neue Gestaltungsphilosophie<strong>für</strong> Innenstädte?Beispiele <strong>und</strong> Empfehlungen <strong>für</strong> diePraxis. Gesamtverband der DeutschenVersicherungswirtschaft, 38 S.Hatzenbichler G. (2012): Veränderungder sozial-räumlichen Nutzungdes Shared Space Sonnenfelsplatz<strong>–</strong> anhand einer softwaregestützten<strong>Raum</strong>analyse. Magisterarbeit, Graz,116 S.Hatzenbichler G., Schönauer R.,Schrom-Feiertag H. (2012):<strong>Raum</strong>analyse am Sonnenfelsplatz <strong>–</strong>Veränderung der sozial-räumlichenNutzung durch die Shared SpaceGestaltung. Wien, 14 S.Schönauer R., Stubenschrott M., HelmutSchrom-Feiertag H., Mensik K.(2012): Social and spatial behavior inShared Spaces. Mobimera Fairkehrstechnologien,Austrian <strong>Institut</strong>e ofTechnology, Rosinak Partner ZTGmbH, Wien, 10 S.Die zwei Seitender Medaille <strong>–</strong>Kopf oder ZahlAls angehende Geographinnen <strong>und</strong> Geographen befassenwir uns tagtäglich mit dem <strong>Raum</strong>, der das verbindende Elementzwischen der Gesellschaft <strong>und</strong> der Natur darstellt.Um diesen <strong>Raum</strong> <strong>und</strong> all die Aktionen <strong>und</strong> Reaktionen darinverstehen zu können, reicht es aber nicht aus, nur imKontakt zur Studienvertretung <strong>Geographie</strong>:Email: geographie@oehunigraz.atWebsite: http://geographie.oehunigraz.at/,Facebook: „Studienvertretung <strong>Geographie</strong> Graz“Franziska HesseVorsitzende derStudienrichtungsvertretung<strong>Geographie</strong>Hörsaal zu sitzen. Ein positiver Aspekt unseres Studiums sind die Lehrausgänge, diesogenannten Exkursionen: raus aus der Uni, rein in die Praxis. Die Welt außerhalb desCampusareals erforschen zu können, zukünftige Berufsbereiche kennenzulernen <strong>–</strong> dasist eine Seite der Medaille, eine positive, eine sehr wichtige. Ein Umstand, den sichjede Studentin, jeder Student nur wünschen kann; ein Zustand, der sogar immer mehrgefordert wird, von Studierenden gleichermaßen wie von zukünftigen Arbeitgebern.Und wie sieht es mit der anderen Seite aus? Was ist mit dem bis dato noch kostenfreienBildungszugang <strong>für</strong> alle? Sobald eine Exkursion Teil der Pflichtlehre wird, entstehenKosten <strong>für</strong> die TeilnehmerInnen, die auf den ersten Blick unumgänglich sind.Aber welche Kosten sind zumutbar <strong>für</strong> die StudentInnen von heute: Beträge <strong>für</strong> einenEin-Tagestrip zum Grazer Hausberg, dem Schöckl? Aufwände <strong>für</strong> eine 3-Tages-Exkursionin ein Nachbarb<strong>und</strong>esland? Oder Kosten <strong>für</strong> eine 5-tägige Auslandsexkursion? BeiPflichtlehrveranstaltungen müssen alle TeilnehmerInnen die gleiche Chance auf eineLeistungsbeurteilung haben. Sobald die finanzielle Situation der TeilnehmerInnen jedochzum Thema wird, ist diese Chance nicht mehr gegeben <strong>und</strong> es kommt zu einerSelektion zu Gunsten der finanziell besser Gestellten. Wäre es zumutbar, wenn MedizinstudentInnenim Sezierkurs <strong>für</strong> die Leichenteile bezahlen müssten? Oder der Chemiestudent<strong>für</strong> den Laborversuch die Utensilien selbst einkaufen müsste?Wie könnten mögliche Lösungsansätze im Bereich des <strong>Geographie</strong>-Studiums aussehen?Wäre es eine Option, alle Lehrveranstaltungen, die Exkursionen beinhalten, nurmehr als Wahlfächer anzubieten? Oder sollte jede Pflichtlehrveranstaltung, die mit einerkostenintensiveren Exkursion verb<strong>und</strong>en ist, auch gleichzeitig eine <strong>–</strong> wohlgemerktim Vorhinein bekannte <strong>–</strong> kostengünstigere Alternative beinhalten? In jedem Fall solltenStudierende nicht extra zur Lehrveranstaltungs-Leitung gehen müssen, um nach einergünstigeren Option zu fragen <strong>und</strong> sich damit quasi als ärmer zu deklarieren. Der finanzielleStatus sollte nicht entscheidend sein <strong>für</strong> eine positive Leistungsbeurteilung.Kann Weiterbildung mit dem nötigen Praxisbezug nur dann stattfinden, wenn da<strong>für</strong> gezahltwird? Und wenn ja, welche Kosten sind vertretbar, solange es keine Alternativengibt: Kopf oder Zahl?Über Meinungen <strong>und</strong> Rückmeldungen zu diesem Themawürde sich die StV <strong>Geographie</strong> sehr freuen.13


GeoGraz 52 - 2013SCHWERPUNKTANNA HARTMANNDas Image von Grazer Plätzen <strong>–</strong>Eine Untersuchung am Beispiel von Hauptplatz,Jakominiplatz <strong>und</strong> Kaiser-Josef-PlatzZUR AUTORINAnna Hartmann, Bakk.rer.nat.,Masterstudium UmweltsystemwissenschaftenmitFachschwerpunkt <strong>Geographie</strong>,beschäftigt sich seit Studienbeginnschwerpunktmäßig mit<strong>Raum</strong> <strong>und</strong> <strong>Raum</strong>wahrnehmung.Stadtplätze stellen einen Teil des öffentlichenStadtraumes dar, der <strong>für</strong> jedermannjederzeit zugänglich ist (Aminde 1994,44). Eingeb<strong>und</strong>en in das Straßen- <strong>und</strong>Wegenetz einer Stadt nehmen sie einezentrale Stellung im urbanen <strong>Raum</strong> ein.Die städtische Bevölkerung ist auf denöffentlichen <strong>Raum</strong> aufgr<strong>und</strong> der Bewegungs-<strong>und</strong> Aufenthaltsmöglichkeiten angewiesen(Knirsch 2004, 48). Stadtplätzesind jene Knotenpunkte, an denen dieBewegungen der Menschen zusammenlaufen,wodurch sie den Stadtgr<strong>und</strong>rissstrukturieren <strong>und</strong> somit das Gesicht einerStadt prägen (Fenrich 2003, 7).Plätze sind eine Bühne öffentlichenLebens <strong>und</strong> besitzen verschiedene Funktionen.So werden sie beispielsweise alsOrte der Kommunikation <strong>und</strong> Aktion,Räume zum Flanieren <strong>und</strong> Ausruhen,Plattform <strong>für</strong> Feste <strong>und</strong> Märkte, politische<strong>und</strong> soziale Begegnungsräume, Orientierungs-<strong>und</strong> Treffpunkte <strong>und</strong> „Spielraum<strong>für</strong> ein gesellschaftliches Miteinander“gesehen (Knirsch 2004, 7 u. 47f.). Sie sindOrte zum Erleben von Stadtraum, zumSehen <strong>und</strong> Gesehenwerden <strong>und</strong> somit das„Gefäß eines Stadtlebens“ (Aminde 1994,50 u. 53).Nach Lynch (1989, 90) entsprechenStadtplätze sogenannten Brennpunkten,bei denen es sich um strategische Knotenpunktehandelt, an denen VerkehrsteilnehmendeEntscheidungen treffenmüssen. Diese zielgerichtete Bewegungder Menschen wird durch die Wahrnehmungermöglicht. Jeder Mensch nimmt„Räume“ <strong>und</strong> daher auch Stadtplätze aufunterschiedliche Weise wahr (Benk 1994,8 u. 13). Die aufgenommene Informationwird selektiert <strong>und</strong> interpretiert, waszu einer Verzerrung der „Wirklichkeit“führt (Weichhart 2008, 83). Wir entwickelnsubjektive Vorstellungsbilder, alsoImages, von unserer Umwelt. Diese entstehendurch unser subjektives Wertesystem,das von der sozialen Stellung, demBildungsniveau, den persönlichen Erfahrungen,dem Alter <strong>und</strong> anderen Variablenabhängig ist (Heineberg 2007, 36).Lynch (1989, 10) beschreibt den Vorgangfolgendermaßen: Das Bild eines jedenStadtbewohners „malt sich in den Farbenvon Erinnerungen <strong>und</strong> Bedeutungen“. Inweiterer Folge kommt es zu gruppen- <strong>und</strong>kulturspezifischen Imagezuschreibungen,also zu einem sogenannten kollektivenImage, das sich aus den Gemeinsamkeiten<strong>und</strong> Übereinstimmungen der subjektiven<strong>Raum</strong>bilder ergibt (Weichhart2008, 82). „In den Sozialwissenschaftenversteht man unter Image die Gesamtheitder Einstellungen, Werthaltungen,Kenntnisse, Erwartungen, Vorurteile <strong>und</strong>Anmutungen, die mit Meinungsgegenständenverb<strong>und</strong>en werden“ (Weichhart2008, 201). Die Imagebildung ist also einBewusstseinsprozess, der in unseren Köpfenvor sich geht. Die Tatsache, dass sichdieses Phänomen auf die Räumlichkeit derphysisch-materiellen Welt bezieht, erklärtdas Interesse der <strong>Geographie</strong> (Weichhartet. al. 2006, 29 u. 31).Im Rahmen meiner Magisterarbeit unterder Betreuung von Ass.-Prof. Dr. F.Brunner mit dem Titel „Das Image vonGrazer Plätzen <strong>–</strong> Eine Untersuchung amBeispiel von Hauptplatz, Jakominiplatz<strong>und</strong> Kaiser-Josef-Platz“ versuche ich dieseThematik aufzugreifen. Ziel ist es, dasBild, das die Grazer Bevölkerung von diesendrei Plätzen hat, mit jenem der Stadtverwaltungzu vergleichen. Um zu erheben,wie das Image dieser Plätze aus Sichtder Bevölkerung aussieht, wurde im Zeitraumvon 16.11.2012 bis 10.1.2013 eineschriftliche Befragung auf den zu untersuchendenPlätzen vorgenommen. Es wurdeninsgesamt 165 Befragungen durchgeführt,wobei darauf geachtet wurde, dassdie Stichprobe hinsichtlich Geschlecht<strong>und</strong> Alter die Grazer Bevölkerung repräsentiert.Die ersten Auswertungsschritte habengezeigt, dass es sich beim Hauptplatz sowohlum den zentralsten, als auch wichtigsten<strong>und</strong> schönsten Platz von Graz handelt.Die signifikantesten Eigenschaften,die dem Hauptplatz zugeschrieben werden,sind „vertraut“, „grau“ <strong>und</strong> „übersichtlich“.Im Vergleich dazu wird der Jakominiplatzals „grau“, „stressig“, „laut“ <strong>und</strong> „ungemütlich“wahrgenommen. Beim Kaiser-Josef-Platz handelt es sich nach Meinung derBefragten um einen „vertrauten“, „traditionellen“<strong>und</strong> „einladenden“ Platz. Dienächsten Arbeitsschritte sehen die Erhebungder Images der angesprochenen Plätzeseitens der Grazer Stadtverwaltung vor,um diese in weiterer Folge mit den bereitserhobenen Daten vergleichen zu können.QUELLENVERZEICHNISAminde H.-J. (1994): Auf die Plätze. ZurGestalt <strong>und</strong> zur Funktion städtischerPlätze heute. In: Aminde H.-J. (Hrsg.),Plätze in der Stadt. Verlag Gerd Hatje,Ostfildern-Ruit bei Stuttgart, 44-69.Benk B. (1994): Plätze sehen, Plätzewahrnehmen. In: Aminde H.-J. (Hrsg.),Plätze in der Stadt. Verlag Gerd Hatje,Ostfildern-Ruit bei Stuttgart, 8-17.Fenrich H. (2003): Geleitwort. In: KochM. (Hrsg.), Stadtplätze in Karlsruhe.INFO Verlag, Karlsruhe, 7-8.Heineberg H. (2007): Einführung in dieAnthropogeographie/Humangeographie.Gr<strong>und</strong>riss Allgemeine <strong>Geographie</strong>.Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn,3. Auflage, 448 S.Lynch K. (1989): Das Bild der Stadt.Bauwelt F<strong>und</strong>amente, Band 16, Stadtgestaltung/Stadterlebnis.Friedr. Vieweg &Sohn Verlagsgesellschaft mbH, Braunschweig/Wiesbaden,2. Auflage, 215 S.Knirsch J. (2004): Stadtplätze. Architektur<strong>und</strong> Freiraumplanung. VerlagsanstaltAlexander Koch Gmbh, Leinfelden-Echterdingen, 198 S.Weichhart P. (2008): Entwicklungsliniender Sozialgeographie: Von Hans Bobekbis Benno Werlen. Sozialgeographiekompakt. Franz Steiner Verlag, Stuttgart,439 S.Weichhart P., Weiske C., Werlen B. (2006):Place Identity <strong>und</strong> Images. Das BeispielEisenhüttenstadt. Abhandlungen zur<strong>Geographie</strong> <strong>und</strong> Regionalforschung,Band 9, <strong>Institut</strong> <strong>für</strong> <strong>Geographie</strong> <strong>und</strong>Regionalforschung der UniversitätWien, Wien, 288 S.14


AUSSERDEMWie lang der Weg von einemInformationsstand am GrazerGriesplatz in die BrüsselerEuropäische Kommission dauert? Naja, inetwa 6 Jahre. Zumindest hat es AlexanderFerstl in dieser Zeit geschafft. VomStudentenjob als Bürgerberater ist er überdie einzelnen Verwaltungsstufen der GrazerStadtverwaltung, zielgerade in die Zentraleder EU-Regionalpolitik in Brüssel gekommen <strong>–</strong><strong>und</strong> hat somit seinen Bildausschnitt der Stadt<strong>und</strong>Regionalentwicklung von Nahaufnahmeauf Panoramabild umgestellt. Am Arbeitenmit dieser „Weitwinkeleinstellung“, die denÜberblick <strong>und</strong> ein weitereichendes politischesHandeln erlaubt, hat der gebürtige Steirerjedenfalls Gefallen gef<strong>und</strong>en. Der <strong>Geographie</strong>hat er in all den Jahren die Treue gehalten:Der einstige EU-Programm-Manager arbeitetheute daran, wie die Klimawandelanpassungunserer Gesellschaft gelingen kann.„Die räumliche Dimension kulturellenHandelns“ ……, das war es, was Alexander Ferstl inseiner ersten Studienwahl der Volksk<strong>und</strong>e/Kulturanthropologie <strong>und</strong> Kunstgeschichtefasziniert hat. „Kultur, Gesellschaft <strong>und</strong> <strong>Raum</strong>gehören <strong>für</strong> mich sehr eng zusammen“ <strong>und</strong> damitwar die <strong>Geographie</strong> als ein zweites Studiumschon inskribiert. In dieser Kombinationscheinen ein Faible <strong>für</strong> die Humangeographie<strong>und</strong> deren Schwerpunktsetzung schonvorgezeichnet, aber: „Meine erstegroße fachliche Liebe galt eigentlich derGeomorphologie <strong>und</strong> ihrer Wechselwirkung mitder Kulturlandschaft.“ Eine Lehrveranstaltungnach der anderen hat ihn dann doch mehr<strong>und</strong> mehr in humangeographische Richtunggeleitet. „Es war mir dabei immer klar, dassich an einem gesellschaftsrelevanten Themaarbeiten will. Daher mein späterer Schwerpunktim Bereich der Stadtgeographie.“ Und nochwährend seines Studiums ging er in diepraktische Umsetzung.URBANe Lebensweisen„Mein erster Job dahingehend war:Bürgerberater <strong>für</strong> Stadtentwicklungsprojekte(EX)-GEOGRAZER im PortraitAlexANDER FERSTLAktuelles Berufsfeld: Referent <strong>für</strong> Klimapolitik in der Abteilung „Anpassung an denKlimawandel“, Generaldirektion Klimapolitik, Europäische Kommission, BrüsselDiplomstudium: <strong>Geographie</strong> (2001)Diplomstudium: Volksk<strong>und</strong>e/Kulturanthropologie <strong>und</strong> Kunstgeschichte (2000)Doktoratsstudium: <strong>Geographie</strong> (2005) <strong>–</strong> Promotion sub auspiciis praesidentisDissertationstitel: URBAN GRAZ : integrierte Stadtentwicklung 1996 <strong>–</strong> 2006: die EU-Gemeinschaftsinitiativen URBAN <strong>und</strong> URBAN II als Instrumente der Stadtentwicklungim Magistrat <strong>–</strong> ein klassischer Studentenjob, <strong>für</strong> denich acht St<strong>und</strong>en die Woche am Grazer Griesplatzverbracht habe, um Bürger/innen die Vorteilenachhaltiger Stadtentwicklung zu vermitteln. Ofteine ‚mission impossible‘, aber man lernt enorm vieldabei.“ Eine Erfahrung also, die bei ihm heute nochpräsent ist <strong>und</strong> die ihm immer wieder zu überlegengibt, wie weit weg so manche „europäischenAnliegen“ <strong>für</strong> die/den einzelne/n EU-Bürger/inerscheinen mögen. „Der Trend zum Urbanen istbis heute ungebrochen, <strong>und</strong> ich bin überzeugt, dassviel mehr Geograph/innen im Bereich städtischerEntwicklungsdynamiken arbeiten <strong>und</strong> forschen sollten.Wenn Architekten von Stadtentwicklung sprechen,reden sie über Häuser. Wir Geographen sehenden Menschen in seiner physischen <strong>und</strong> kulturellenUmwelt. Das ist doch wesentlich spannender alsFassaden <strong>und</strong> Dächer zu planen!“Nach sechs Jahren Stadtentwicklung in Graz<strong>und</strong> sieben Jahren EU-Regionalpolitik in Brüsselhat er seine Arbeitsinhalte nun verändert <strong>–</strong> <strong>und</strong>sich von der Generaldirektion <strong>für</strong> Regionalpolitikverabschiedet..Über die Hausfassaden himmelwärts <strong>und</strong>eine Versicherung <strong>für</strong> den KlimawandelMit letztem Sommer hat sich Alexander FerstlsArbeitsfokus vom städtischen Treiben hin zumumtriebigen Verhalten der Natur gewandelt. Inder Generaldirektion <strong>für</strong> Klimapolitik arbeitet eran Fragen der Klimawandelanpassung <strong>–</strong> daran„… wie sich unsere Gesellschaft an die jetzt bereitsunausweichlichen klimatischen Veränderungenanpassen muss. Hurricane Sandy war ein gutesBeispiel da<strong>für</strong>, was auf uns zukommen kann.Neben dem vorausgesagten Temperatur- <strong>und</strong>Meeresspiegelanstieg werden uns vor allemExtremwetterereignisse zu schaffen machen. Wirmüssen uns auf eine neues Klima vorbereiten <strong>–</strong> obwir es wollen oder nicht.“ Der Zuständigkeitsbereichdes Geographen konzentriert sich dabei vor allemauf den Finanz- <strong>und</strong> Versicherungssektor. Dabeigeht es neben der Finanzierung von Präventions<strong>und</strong>Schutzmaßnahmen vor allem um die Rolleder Versicherungskonzerne. Alljährlich steigendeSchadenssummen aus Klimaereignissen könnten inZukunft ganze Regionen „unversicherbar“ machen.„Wir in der Kommission wollen etwa sicherstellen,dass Haushalts- <strong>und</strong> Gebäudeversicherungenauch weiter verfügbar <strong>und</strong> leistbar bleiben.Steigende Klimarisiken bedeuten steigendeVersicherungsprämien, was vor allem ärmereoder besonders exponierte Regionen trifft. …Und was, wenn sich Versicherer dort komplettzurückziehen, weil es nicht mehr rentabel <strong>für</strong> sieist? Wer würde das Risiko in Kauf nehmen, nichtmehr gegen Klimaschäden, wie zum BeispielHochwasser, versicherbar zu sein?“Politisches Arbeiten beschreibt den Arbeitsalltagvon Alexander Ferstl. Vorschläge, die ereinbringt, betreffen in etwa eine halbe MilliardeMenschen. „Das Arbeiten auf europäischerEbene bedeutet selbstverständlich eine gewisseVerantwortung. Auch deshalb, weil wir in der EUKommission 27 bzw. bald 28 einzelstaatlicheInteressen berücksichtigen müssen, <strong>und</strong> das ohnedas größere Ganze aus den Augen zu verlieren. Esmacht auf jeden Fall Spaß!“Home Sweet Home <strong>–</strong>I‘ll be back in 2041Alexanders Lebensmittelpunkt ist nun Brüsselgeworden. Die belgische Hauptstadt ist <strong>für</strong>ihn „weder besonders schön noch besonderslebendig, aber trotzdem liebenswert. Und werAbwechslung braucht, setzt sich in den Zug <strong>und</strong>ist in einer St<strong>und</strong>e in Paris oder Amsterdam. NachLondon sind‘s 120 Minuten mit dem Eurostar.Das hat auch was!“. Als „guter Steirer“ vermisster in Belgien vor allem das in Österreichomnipräsente Angebot an Naturraum. Alleinschon deshalb kommt er auch regelmäßigzu Besuch, damit er seine „Reserven an guterLuft, schöner Landschaft <strong>und</strong> steirischem Kernölwieder auftanken“ kann. Und natürlich um seineFamilie in der Obersteiermark zu besuchen.Ob er wieder in die Heimat zurückkehrt?„Wer weiß! Ich habe unlängst gelesen, dassdie Steiermark im Jahr 2050 geradezu perfekteKlimaverhältnisse <strong>für</strong> ältere Menschen bietenwird: gemäßigte Sommer, wärmere Winter,vergleichsweise wenig Extreme. Also, dieSteiermark, die ist definitiv eine Option <strong>für</strong> 2041,meinem aktuell berechneten Pensionsantrittsalter.Aber bis dahin wird noch viel Wasser die Murrunterrinnen.“SABINE SCHNEPFLEITNER15


GeoGraz52 - 2013 BEITRÄGEMILAN TOPICDer Weg zur nachhaltigen Abfallwirtschaftin Bosnien <strong>und</strong> Herzegowina <strong>–</strong>aktuelle Entwicklungen <strong>und</strong> HerausforderungenAbfall stellt eines der größten Umweltprobleme in Bosnien <strong>und</strong> Herzegowina dar. Der aktuelle Zustand der bosnischenAbfallwirtschaft ist gekennzeichnet durch unzureichende staatliche Kontrollen, starke Umweltbelastungen <strong>und</strong> überfüllteDeponien. Neben der Vermittlung eines Überblickes zum Thema Abfallwirtschaft in Bosnien <strong>und</strong> Herzegowinawerden die Fortschritte <strong>und</strong> aktuellen Probleme, mit denen die Verantwortlichen der bosnischen Abfallwirtschaftheutzutage konfrontiert sind, diskutiert.ZUM AUTORMilan Topic ist Absolvent desDiplomstudiums <strong>Geographie</strong> mitSchwerpunkt <strong>Raum</strong>forschung <strong>und</strong>Regionalentwicklung an unserem<strong>Institut</strong>. Seit 2010 arbeiteter an einer Dissertation zumThema „Die Abfallwirtschaft in derRepublik Srpska <strong>–</strong> Strategien <strong>und</strong>Maßnahmen <strong>für</strong> die zukünftige Abfallentsorgung,Abfallvermeidung<strong>und</strong> Abfallverwertung“.1. EinleitungDie politische Wende <strong>und</strong> der Bürgerkriegin Bosnien <strong>und</strong> Herzegowina Anfang der1990er Jahre <strong>und</strong> die daraus folgendenwirtschaftlichen <strong>und</strong> sozialen Veränderungenhatten wesentliche AuswirkungenAbb. 1: Bosnien <strong>und</strong> Herzegowina; Quelle: MYGEO 2009 (eigene Darstellung)auf die Umweltsituation. Als Konsequenzder Vernachlässigung des Umweltschutzestraten vor allem nach der wirtschaftlichenErholung unzählige Problemfelder massivzu Tage. Seit Ende des Bürgerkriegs befindetsich Bosnien <strong>und</strong> Herzegowina ineiner Phase der umfassenden politischen,wirtschaftlichen <strong>und</strong> administrativenUmstrukturierung. Im Vordergr<strong>und</strong> standendie politisch-demokratischen Veränderungen<strong>und</strong> die daraus resultierendenschmerzhaften marktwirtschaftlichenÜbergangstransformationen. Bedenktman, dass sich Bosnien <strong>und</strong> Herzegowina<strong>für</strong> einen Prozess der Stabilisierung <strong>und</strong>den Beitritt zur Europäischen Union entschiedenhaben, worin die Umweltfragenhöhere Priorität haben, stellen das ThemaAbfallwirtschaft sowie deren Umstrukturierungdie ersten Schritte in diese Richtungdar.2. Kurzinformation zum StaatDer heutige Staat Bosnien <strong>und</strong> Herzegowinaging aus dem konfliktreichen Zerfalldes ehemaligen Jugoslawien hervor. DasLand ist weitgehend dezentralisiert <strong>und</strong>umfasst zwei autonome Einheiten, sogenannteEntitäten: (1) die Föderation Bosnien<strong>und</strong> Herzegowina, vorwiegend ausden bosniakischen (muslimischen) sowiekroatischen Mehrheitsgebieten bestehend,<strong>und</strong> (2) der Republik Srpska, vorwiegendgebildet aus den serbischen Mehrheitsgebieten.Daneben gibt es den Distrikt Brčko(Abb. 1). Die Föderation von Bosnien <strong>und</strong>Herzegowina umfasst 51% der Gesamtflächevon Bosnien <strong>und</strong> Herzegowina, währenddie Republik Srpska 49% einnimmt.Die Entitäten wurden im Rahmen desFriedensabkommens von Dayton 1995festgelegt <strong>und</strong> sind als ein Ergebnis dermassiven Veränderungen der ethnischenStruktur zu verstehen. Der Distrikt Brčkoim N des Landes wurde im Jahr 2000 ausTeilen beider Entitäten geschaffen. Offiziellgehört er zu beiden Entitäten, jedochwird er unter einem dezentralisierten Systemder lokalen Regierung verwaltet.Von den etwa 3,8 Mio. Einwohnern desLandes (2011) sind 48 % Bosniaken, 37,1%Serben <strong>und</strong> 14,3% Kroaten. Minderheitenwie Roma <strong>und</strong> Juden stellen 0,6% (Agencyfor Statistics of Bosnia and Hercegovina2012). Es ist zu beachten, dass seit 1991keine landesweite Volkszählung mehrstattgef<strong>und</strong>en hat. Die drei offiziellenStaatsvölker sprechen die eng miteinanderverwandten Sprachen Bosnisch, Serbisch<strong>und</strong> Kroatisch.Die Wirtschaft wurde aufgr<strong>und</strong> desjahrelangen militärischen Konfliktesschwer in Mitleidenschaft gezogen. Diewirtschaftlichen Aktivitäten kamen fastgänzlich zum Erliegen <strong>und</strong> reduziertensich überwiegend auf den landwirtschaftlichenBereich. Obwohl das Land durchdie zentrale geographische Lage eine günstigePosition, vor allem im MarktbereichSüdosteuropas, innehat, zählt Bosnien<strong>und</strong> Herzegowina mit einem Bruttoinlandsproduktpro Kopf 2011 von 3.392 €16


BEITRÄGEweiterhin zu den wirtschaftlich schwächstenLändern Europas (Agency for Statisticsof Bosnia and Hercegovina, 2012).Große Teile der Bevölkerung müssen sichmit dem Mindestlohn oder kargen Sozialleistungenbegnügen, weshalb verständlicherweisewenig Zeit <strong>und</strong> Muße bleibt,um sich mit umweltrelevanten Themenüberhaupt oder intensiver zu beschäftigen.Der nationale Umweltaktionsplan(NEAP) bestätigt den enormen Aufholbedarfim Umweltbereich. Als die bedeutendstenThemenfelder wurden identifiziert(NEAP 2003, 30): (1) Schonender<strong>und</strong> nachhaltiger Gebrauch der natürlichenRessourcen, (2) Abfallwirtschaft,(3) Naturschutzgebiete zum Erhalt derBiodiversität, (4) Minimierung der Luftverschmutzung,die derzeit vor allemdurch veraltete Industrieanlagen, Verkehr<strong>und</strong> Gewerbe verursacht wird, (4) besseresManagement der Wasserressourcen,zeitgemäße Trinkwasserversorgung <strong>und</strong>Abwasserentsorgung, (5) strengere Anwendungder Umweltgesetzgebung <strong>und</strong>moderne Kontrollen sowie (6) Kontrolle<strong>und</strong> Sanierung bereits verschmutzter Gebiete.Die Abfallwirtschaftsprioritätenbeinhalten (1) die Entwicklung einernachhaltigen Abfallwirtschaft <strong>und</strong> (2) dieAltlastsanierung.Abb. 2: Die institutionelle Organisation der Abfallwirtschaft in Bosnien <strong>und</strong> Herzegowina; Quelle: eigene Darstellung basierendam AEA Technology 20003. Aktuelle abfallwirtschaftlicheRahmenbedingungen in Bosnien <strong>und</strong> HerzegowinaDie Abfallwirtschaft in Bosnien <strong>und</strong>Herzegowina gilt bislang als ein unterentwickelterWirtschaftsbereich. In allenBereichen des Abfallmanagements <strong>–</strong> Logistik,Infrastruktur, Planung, Organisation,Ausführung <strong>und</strong> Kontrolle <strong>–</strong> bestehtBedarf an strukturellen Reformen. Dementsprechendwird die Abfallwirtschaftals eines der führenden Problemfelder genannt.Eine Reihe von Projekten <strong>und</strong> Studienhin zu einer positiven Entwicklungder gesamten Abfallwirtschaft wurdenvon der Weltbank, EG, anderen internationalenFinanzinstitutionen sowie lokalenBehörden finanziert, um die Situation zuverbessern.Das Projekt „Solid Waste Managementin Bosnia <strong>und</strong> Hercegovina“ wurde vonder Weltbank finanziert <strong>und</strong> lief in seinerersten Phase Ende 2009 aus. Im Rahmendieses Projektes wurden insgesamt 26Millionen US$ <strong>für</strong> fünf regionale Abfallzentrennach internationalem Standardbereitgestellt. Zudem wurden 145 illegaleMülldeponien saniert sowie zahlreicheWorkshops, Tagungen <strong>und</strong> Konferenzen<strong>für</strong> den Kapazitätsausbau durchgeführt.Die zweite Phase des Solid Waste ManagementProject läuft von 2009 bis 2014.Hier<strong>für</strong> sieht die Weltbank Mittel von38,5 Millionen US$ vor. Mit diesen Mittelnsollen bis zu acht weitere regionaleAbfallzentren realisiert <strong>und</strong> weitere Sanierungenwilder Deponien <strong>und</strong> Altlastendurchgeführt werden. Die beiden Projektträgerim Land sind zum einen das Ministerium<strong>für</strong> Umwelt <strong>und</strong> Tourismus inder Föderation Bosnien <strong>und</strong> Herzegowina<strong>und</strong> zum anderen das Ministerium <strong>für</strong><strong>Raum</strong>ordnung, Bauwesen <strong>und</strong> Ökologiein der Republik Srpska.3.1 Rechtliche RahmenbedingungenDer rechtliche Rahmen <strong>für</strong> den Umweltschutz<strong>und</strong> die Abfallwirtschaft wurdebereits 2002 <strong>und</strong> 2003 vorbereitet. Als Ergebniswurden Gesetze im Umweltbereichwie Umweltschutz-, Naturschutz-, Luftschutz-,Wasserschutz- <strong>und</strong> Abfallwirtschaftsgesetzverabschiedet. Die Gr<strong>und</strong>lage<strong>für</strong> die Abfallwirtschaftsgesetze in denEntitäten bildeten die europäischen Abfall-Richtlinien,die unter Bezugnahmeauf die bosnische Ausgangslage adaptiertwurden. Dementsprechend trat das Abfallwirtschaftsgesetz(AWG) der RepublikSrpska im Jahr 2002 in Kraft <strong>und</strong> definiertdie Abfallwirtschaft als eine komplexeGesamtheit von Rechten, Pflichten,Entscheidungen <strong>und</strong> Tätigkeiten von derAbfallentstehung bis hin zur Abfallbeseitigungverb<strong>und</strong>en mit einer notwendigenKontrolle. Das Abfallwirtschaftsgesetz(AWG) wurde mit der Liste der Abfälle(EU-Kommission 2000/532/EC) <strong>und</strong> derEU-Richtlinie 91/689/EWG über gefährlicheAbfälle in Einklang gebracht <strong>und</strong>deckt die Bewirtschaftung aller Arten vonAbfällen nach den zugr<strong>und</strong>e liegendenPrinzipien der EU-Umweltpolitik ab. DieGr<strong>und</strong>sätze des AWG (2002) orientierensich an (1) dem Prinzip der Prävention, (2)den Vorsichtsmaßnahmen, (3) der Verantwortungdes Produzenten, (4) dem Prinzip„der Verschmutzer/Verursacher zahlt“, (5)der Abfallhierarchie <strong>und</strong> (6) dem Prinzipder Rationalität. Zudem wurde in Übereinstimmungmit den EU-Richtlinieneine Reihe von Regeln <strong>und</strong> Vorschriftenauf dem Gebiet der Abfallwirtschaft verabschiedet.Neben der primären <strong>und</strong> sek<strong>und</strong>ärenGesetzgebung wurden weitere strategischePläne, Projekte <strong>und</strong> Studien inBezug auf die Abfallwirtschaft umge-17


GeoGraz 52 - 2013BEITRÄGElichen Regelungen sind innerhalb der Landesverwaltungauf mehrere Organisationseinheitenverteilt (Abb. 2). Die zuständige<strong>Institut</strong>ion <strong>für</strong> die Abfallwirtschaft in derRepublik Srpska stellt das Ministerium<strong>für</strong> <strong>Raum</strong>ordnung, Bauwesen <strong>und</strong> Ökologie,in der Föderation Bosnien <strong>und</strong> Herzegowinadas Ministerium <strong>für</strong> Umwelt <strong>und</strong>Tourismus <strong>und</strong> im Distrikt Brčko die Abteilung<strong>für</strong> <strong>Raum</strong>planung, Städtebau <strong>und</strong>Umwelt dar. Zusätzlich zu den genanntensind auch andere <strong>Institut</strong>ionen direkt oderindirekt in Entscheidungsprozesse involviert.In der Republik Srpska etwa ist dasAbfälle sind nicht inkludiert) abgedeckt,sowie Betrieb <strong>und</strong> Management der inden Gemeinden vorhandenen Deponien.Diese Gesetze verpflichten die Gemeindezur Organisation der kommunalen Angelegenheiten.Zu diesem Zwecke müssendie Gemeinden ein „kommunales Unternehmen“etablieren oder die Aufgaben anandere Unternehmen übertragen. Außerdemsind die Kommunen <strong>für</strong> die Entwicklungder lokalen Abfallwirtschaftspläne,das Budget <strong>für</strong> abfallwirtschaftliche Tätigkeitensowie <strong>für</strong> die Entwicklung <strong>und</strong>die Verwaltung der Ausschreibungen <strong>und</strong>Abb. 3: 1100 Liter- Haushaltcontainer in Sarajevo (Foto: Bauer 2012) Abb. 4: 5 m 3 Wechselbehälter vor der Gr<strong>und</strong>schule in Srbac (Foto: Bauer 2012)setzt, wie z. B. der „Nationale Umwelt-Aktionsplan“ (NEAP, 2003), die „Strategyof Solid Waste Management (2000)“,Machbarkeitsstudien <strong>für</strong> die Deponiesanierung,Berichte wie „Umweltschutz-Beurteilungsbericht <strong>für</strong> industriellen,gefährlichen <strong>und</strong> medizinischen Abfallin Bosnien <strong>und</strong> Herzegowina“ oder zahlreicheVerordnungen. Das gr<strong>und</strong>legendsteDokument <strong>für</strong> die Entwicklung der nachhaltigenAbfallwirtschaft in Bosnien<strong>und</strong> Herzegowina stellt die „Solid WasteManagement-Strategie in Bosnien <strong>und</strong>Herzegowina“ aus 2000 dar. Das Strategie-Papierregelt sowohl rechtliche Fragenals auch jene der institutionellen Zugehörigkeiten.Es dient als Gr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong>die zukünftige Abfallwirtschaftsplanung.Anhand dieser werden derzeit regionaleStrategien wie der Abfallwirtschaftsplan<strong>für</strong> die Region Banja Luka ausgearbeitet.3.2 <strong>Institut</strong>ionelle RahmenbedingungenDer erste Schritt der Entwicklung eines effektivenAbfallwirtschaftssystems ist, dieumweltorientierten Gesetze, Vorschriften<strong>und</strong> richtige Managementpraktiken zuetablieren. Diese müssen vor allem auf nationalerEbene anwendbar <strong>und</strong> spezifischgenug sein, um den charakteristischen Bedürfnissenvon Siedlungsabfall-Systemenauf lokaler Ebene gerecht zu werden. Umdies zu verwirklichen sind institutionelleRahmenbedingungen notwendig. Die abfallwirtschaftlichenAufgabenstellungenim Vollzug der b<strong>und</strong>es- <strong>und</strong> entitätsrecht-Ministerium <strong>für</strong> Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Sozialeszuständig <strong>für</strong> die rechtliche Organisationdes medizinischen Abfalls, das Ministerium<strong>für</strong> Industrie, Energie <strong>und</strong> Bergbau <strong>für</strong>die Verwaltung des Industrie- <strong>und</strong> Bergbauabfallssowie <strong>für</strong> Kraftwerksreststoffe.Für die Förderung der Entsorgungsinfrastruktur,Altlastensanierung, Bewusstseinsbildung<strong>und</strong> Know-how-Transfersind die Umweltb<strong>und</strong>esämter der jeweiligenEntität zuständig.Die kommunale Abfallwirtschaft wirdin Übereinstimmung mit den Entitätsgesetzenüber kommunale Angelegenheitenverwaltet <strong>–</strong> das Republik Srpska-Gesetzüber Kommunale Angelegenheiten (RS53/02) <strong>und</strong> der FB&H Gesetz über KommunaleAngelegenheiten (FB&H 33/03).Bei Tätigkeiten bezüglich „kommunalerAngelegenheiten“ sind die Sammlung, derTransport <strong>und</strong> die Entsorgung von Siedlungsabfällen(Industrie- <strong>und</strong> gefährlichedie Auftragsvergaben <strong>für</strong> die Abfallentsorgungsaktivitätenzuständig. Die kommunalenUnternehmen <strong>–</strong> private oderstaatliche <strong>–</strong> sind <strong>für</strong> die Bereitstellungeines Sammel- <strong>und</strong> Entsorgungsservicesinnerhalb der Gemeinde verantwortlich.Unter die Aufgaben der kommunalen Unternehmenfallen auch die Sanierung derwilden Deponien, Altlasten oder die Organisationder Kampagnen zur Bewusstseinsbildung.4. Kommunale Abfallentsorgung in Bosnien <strong>und</strong>HerzegowinaDie Abfallwirtschaft in Kommunen <strong>und</strong>der privaten Wirtschaft umfasst die Vermeidung,Verwertung <strong>und</strong> Beseitigungvon Abfällen <strong>und</strong> soll nach Maßgabestaatlicher Regulierung die Inanspruchnahmenatürlicher Ressourcen <strong>und</strong> dieUmweltauswirkungen möglichst geringhalten (Kranert u. Cord-Landwehr 2010,18


BEITRÄGE1). Die Siedlungsabfallentsorgung umfasstin den meisten Gemeinden Bosniens dreigr<strong>und</strong>legende Schritte: (1) Abfallsammlungin Haushalten <strong>und</strong> Gewerbe, (2)Transport von der Sammelstelle zur Abfallbehandlungs-bzw. Abfallentsorgungsanlage<strong>und</strong> (3) die Deponierung auf lokalenoder regionalen geordneten Deponien.An eine regelmäßige Abfallsammlungsind in Bosnien <strong>und</strong> Herzegowina derzeitca. 60% der Bevölkerung angeschlossen.Die Sammlung ist in größeren Gemeinden<strong>und</strong> Städten einigermaßen zufriedenstellendabgedeckt, obwohl die Anzahl<strong>und</strong> die Kapazität der Behälter erhöhtwerden könnten. Die Qualität der Müllfahrzeugehingegen variiert stark <strong>und</strong> lässtvielfach noch zu wünschen übrig. WesentlicheProbleme treten in (1) kleineren Gemeindenauf, in denen die Abdeckung derregelmäßigen Abfuhr deutlich geringerist, sowie in (2) ländlichen Gebieten mitfast keiner Müllabfuhr, was oft zur Entstehungillegaler Müllablagerungen führt.Die kommunale Abfallentsorgung inBosnien <strong>und</strong> Herzegowina wird größtenteilsvon staatlichen Betrieben durchgeführt<strong>und</strong> erfolgt vorwiegend im Holsystemausgestattet mit Behältern oderSammelsäcken. Neben abfallwirtschaftlichenAufgaben sind die kommunalenUnternehmen auch <strong>für</strong> andere Dienstleistungeninnerhalb der Gemeinde verantwortlich,so etwa <strong>für</strong> Wasserversorgung<strong>und</strong> Kanalisation, Straßenreinigung,Pflege der öffentlichen Park- <strong>und</strong> Grünanlagen,Winterdienst, manchmal <strong>für</strong> Bestattungoder <strong>für</strong> Organisation <strong>und</strong> Managementder Floh- <strong>und</strong> Gemüsemärkte.Das Abholintervall des Siedlungsabfallsvariiert in den bosnischen Gemeinden vonder täglichen in den Städten <strong>und</strong> großenZentren, zweimal oder dreimal wöchentlichin Vororten, wöchentlich in größerenDörfern bis hin zu keiner Abfuhr inden meisten ländlichen Gebieten. AlsSammelbehälter <strong>für</strong> Haushalte kommtüberwiegend die 120 Liter-Tonne zumEinsatz, jedoch haben die meisten großenStädte die 1100 Liter-„Eurobin“-Tonne alsStandard-Abfallbehälter <strong>für</strong> Hausabfälleangenommen. Zu erwähnen ist auch, dassAbb. 5: Produzierte, gesammelte <strong>und</strong> deponierte Siedlungsabfallmengen in der Republik Srpska; Quelle: <strong>Institut</strong>e of Statisticsof the Republic of Srpska 2011, eigene Bearbeitung.in öffentlichen Gebäuden, Industrie-, Gewerbe-<strong>und</strong> medizinischen Einrichtungensehr oft die 5 m³ Wechselbehälter Verwendungfinden (Abb. 3, 4). Viele Containerbefinden sich aber in sehr schlechtem Zustand.Gemäß des vom Statistikamt Bosnien<strong>und</strong> Herzegowina veröffentlichten Berichtes„Umwelt, Energie <strong>und</strong> Transport“betrug 2010 der über kommunale Strukturengesammelte Abfall in Bosnien <strong>und</strong>Herzegowina ca. 1,5 Mio. Tonnen (dasentspricht einer spezifischen Menge vonr<strong>und</strong> 395 kg/Ew.). Die Entwicklung derkommunalen Sammelmengen zeigt zwischen2008 <strong>und</strong> 2010 eine Zunahme um27 % (von 1,181.887 t auf 1,499.023 t). DerAnstieg ist einerseits auf eine verbesserteErfassungsquote, andererseits auf densteigenden Konsum <strong>und</strong> verstärkte Verpackungder Produkte zurückzuführen.Ein weiterer Vergleich des Aufkommensvon Siedlungsabfällen in der Entität derRepublik Srpska von 2006 bis 2011 ist inAbb. 5 dargestellt. Zu bemerken sind dieUnterschiede zwischen der produzierten<strong>und</strong> der gesammelten Müllmenge, wasnach Ansicht der Entitätsbehörden dasgrößte Problem in der Abfallwirtschaftdes Landes darstellt. Die Gründe da<strong>für</strong>sind vielseitig, jedoch ist die äußerst geringeErfassungsrate von Hausmüll in denländlichen Regionen hauptverantwortlich.Hier wird der Hausmüll überwiegend inoffenen Feuerstellen verbrannt, auf wildenDeponien abgelagert oder oftmals entlangder Flussufer oder am Straßenrand abgelagert,was gravierende Umweltprobleme<strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsrisiken mit sich bringt.5. DeponierungWeltweit wird der überwiegende Teil deranfallenden Abfälle deponiert. Auch inBosnien <strong>und</strong> Herzegowina spielt die Ablagerungvon Abfällen eine große Rolle.Derzeit erfolgt die Entsorgung von Müllauf dreierlei Arten: (1) in regionalen geordnetenDeponien, (2) in lokalen geordneten<strong>und</strong> ungeordneten Deponien oder(3) in wilden Deponien. Gemäß der abfallwirtschaftlichenStrategie <strong>für</strong> Bosnien<strong>und</strong> Herzegowina haben die Errichtung<strong>und</strong> der Wiederaufbau von 16 geordnetenregionalen Deponien höchste Priorität,wovon bis heute erst fünf im Betrieb sind.Diese Deponien besitzen regionalen Charakterbzw. inkludieren mehrere Gemeindenin der abfallwirtschaftlichen Regionmit dem Ziel der geregelten, technischakzeptablen <strong>und</strong> umweltfre<strong>und</strong>lichen Abfallentsorgung(Abb. 6).In Regionen ohne offizielle regionaleDeponie wird der gesammelte Siedlungs-,Industrie- <strong>und</strong> häufig gefährliche <strong>und</strong> medizinischeAbfall auf lokalen Deponienentsorgt. Aktuell existieren zwei Artenlokaler Deponien: (1) legale, also jene, dieim Rahmen einer Gemeindegenehmigungbetrieben werden, <strong>und</strong> (2) illegale, diewährend oder nach dem Krieg aufgr<strong>und</strong>19


GeoGraz 52 - 2013BEITRÄGEder Grenzänderungen bzw. ohne Genehmigungerrichtet wurden. In ländlichenGebieten, wo keine regelmäßige Müllabfuhrvorhanden ist, entstanden illegaleMülldeponien, von denen es laut Weltbank2008 r<strong>und</strong> 1.200 gab. Im Jahr 2010wurden im Rahmen des Projektes „Identifikation<strong>und</strong> Klassifikation der Altlastendie eigene durchgeführte Sammlung. Derwesentliche Anteil des Verwertungsmaterialswird in Nachbarländer exportiert. Zuerwähnen ist der Export von Altmetallen(Abb. 9). Dabei haben Unternehmen inBosnien <strong>und</strong> Herzegowina 2010 zusammen83.000 t an Metall wiederverwertet<strong>und</strong> exportiert.8. Ziele, Aktivitäten <strong>und</strong> ZukunftsstrategienDer regionale Ansatz der kommunalenAbfallsammlung, des Transports <strong>und</strong> derEntsorgung wurde teilweise als gute <strong>und</strong>kostengünstige Option bei der Regulierungder Abfallwirtschaft erkannt. Derzukünftige Fokus auf diesem Sektor liegtdarin, die Strategien zu implementieren<strong>und</strong> Rechtsvorschriften anzupassen, umdas System zu verbessern <strong>und</strong> die negativenAuswirkungen zu minimieren.Dementsprechend ist die Abfallwirtschaftin Bosnien <strong>und</strong> Herzegowina von nationalerPriorität <strong>und</strong> wird in drei Entwicklungssektorengegliedert:• Nationale Priorität 1: Regionale Deponierung<strong>–</strong> Der Ausbau <strong>und</strong> die Fertigstellungder regionalen geordnetenDeponien <strong>und</strong> die Einführung desPrinzips der Rationalität.• Nationale Priorität 2: Verbesserung derSammlungs-, Sortierungs- <strong>und</strong> Abfallentsorgungsstrukturen<strong>–</strong> Erweiterungdes Sammlungsgebietes auf die ländlichenRegionen <strong>und</strong> Modernisierungder Infrastruktur.• Nationale Priorität 3: Regulierung <strong>und</strong>Management der Abfallströme <strong>–</strong> DieAnnahme <strong>und</strong> die Umsetzung spezifischerRechtsvorschriften <strong>für</strong> die Verwaltungvon gefährlichem Abfall, Verpackungsabfall,medizinischem Abfall,Abb. 6: Die regionale Deponie Banja Luka, Blick auf dieBrückenwaage, wo jeder LKW gewogen wird <strong>und</strong> die Datenim Computer gespeichert werden (Foto: Depot Banja Luka)in der Republik Srpska“ 270 Altlastenidentifiziert (Abb. 7). Da die Deponierungnoch immer die wichtigste Entsorgungsmethodedarstellt, sich die Deponien jedochteilweise in sehr schlechtem Zustandbefinden, liegt vor allem in der Deponiesanierung<strong>und</strong> -sicherung sowie in derNeuerrichtung von Deponien ein großerHandlungsbedarf.6. RecyclingOffiziell gibt es in Bosnien <strong>und</strong> Herzegowinakein getrenntes Abfallsammelsystem.In größeren Gemeinden findet der Trennungsprozessin den Abfallverwertungsanlagen,die von mehreren privaten <strong>und</strong>staatlichen Unternehmen durchgeführtwerden (Abb. 8), statt. Laut Schätzungenwerden in Bosnien <strong>und</strong> Herzegowina derzeitnur etwa 5 % der kommunalen Abfällerecycelt. Die Spezialisierung einigerUnternehmen im Bereich „Recycling“ istein Hinweis darauf, dass in dieser Thematiksehr viel Potenzial steckt.Die Sek<strong>und</strong>ärrohstoffe werden meistensdurch die privaten Entsorgungsunternehmenauf unterschiedliche Art <strong>und</strong>Weise gesammelt: über den direkten Ankauf,durch Verträge mit Industrie <strong>und</strong>Gewerbe, durch den Ankauf von Abfällenvon kommunalen Stadtwerken oder durchAbb. 7: Illegale Mülldeponie in der Gemeinde Srbac (Foto: Topic 2011)Altöl, Reifen usw.Gemäß der abfallwirtschaftlichen Strategiesollen folgende Aktivitäten durchgeführtwerden: (1) Fertigstellung derverbleibenden Machbarkeitsstudien bzw.Anpassung der derzeitigen Pläne <strong>für</strong> regionaleDeponien, (2) Fertigstellung derBaupläne <strong>für</strong> regionale Deponien, (3)Altlastsanierung, (4) Verbesserung desSystems der Abfallentsorgung, des Transports,der Verwertung <strong>und</strong> Verbesserungim Bereich der Gebühren- <strong>und</strong> Tarifsysteme,(5) Monitoring <strong>und</strong> (6) Bewusstseinsbildung,Abfallberatung <strong>und</strong> Öffentlichkeitsarbeit.Die weiteren Fortschrittehängen einerseits von der Sicherung derFinanzierung <strong>und</strong> andererseits von derSuche nach passenden Standorten ab, diesämtliche erforderliche Kriterien <strong>für</strong> dieErrichtung einer autarken <strong>und</strong> kostengünstigenregionalen Deponie erfüllen.9. SchlussbemerkungenDie Abfallwirtschaft in Bosnien <strong>und</strong>20


BEITRÄGEQUELLENVERZEICHNISAbb. 8: Recyclingstation in Banja Luka, Verwertungsfirma „Nova Sirovina“ (Foto: Topic, 2012)Herzegowina stellt ein wesentliches Umweltproblemdar. Der B<strong>und</strong>, die Entitäten<strong>und</strong> die lokalen Behörden leisten großeAnstrengungen, um diesen Wirtschaftszweigzu reformieren. Gesetze, Vorschriften<strong>und</strong> Richtlinien wurden erarbeitet <strong>und</strong>verabschiedet; die abfallwirtschaftlichenInfrastrukturen sind im Prozess der Entwicklung<strong>und</strong> der Verbesserung. Jedochstellt die große Anzahl an wilden Müllablagerungsstätten<strong>und</strong> ungeordnetenDeponien die bosnische Abfallwirtschaftvor große Herausforderungen. Da es keineflächendeckende getrennte Sammlung<strong>und</strong> somit eine geringe Wiederverwertungdes Abfalls gibt, wird der Müll als Ganzesdeponiert. Durch die ungetrenntenAblagerungen von Haus-, Gewerbe- <strong>und</strong>Industrieabfällen entwickeln sich negativeImplikationen auf die Umwelt. Trotzdemkonnten im Bereich der Abfallverwertung<strong>und</strong> der getrennten Erfassung der einzelnenWertstofffraktionen wesentliche Erfolgeverbucht werden.Die zukünftige Entwicklung hängtvon einem adäquaten <strong>und</strong> nachhaltigenFinanzierungssystem <strong>und</strong> einem holistischenManagement-Ansatz mit demSchwerpunkt auf der Integration der Elementedes Systems wie Abfallsammlung,Transport, Recycling, Monitoring sowieinsbesondere von der Verbesserung der öffentlichenBewusstseinsbildung ab.Abfallwirtschaftsgesetz der Föderation Bosnien<strong>und</strong> Herzegowina (2003): AmtsblattFB&H Nr. 33/03.Abfallwirtschaftsgesetz der Republik Srpska(2002): Amtsblatt RS Nr. 53/02 <strong>und</strong>39/05.AEA Technology (2000): Strategy for SolidWaste Management in Bosnia and Hercegovina.Final Report produced for EUPHARE, Sarajevo.Agency for Statistics of Bosnia and Hercegovina(2012): Demography 2011, ThematicBulletin ISSN 1840-104X. Agency forStatistics of Bosnia and Herzegovina,Sarajevo: http://www.bhas.ba/saopstenja/2012/DEM_2012Q1_001_01-bh.pdfZugriff Januar 2013.Agency for Statistics of Bosnia and Hercegovina(2012): Environment, Energy andTransport 2011. Thematic Bulletin 13,ISSN 1840-104X. Agency for Statistics ofBosnia and Herzegovina, Sarajevo.Agency for Statistics of Bosnia and Herzegovina(2012): Gross Domestic Productof Bosnia and Herzegovina 2011, Productionapproach. First release number6. Agency for Statistics of Bosnia andHerzegovina, Sarajevo: http://www.bhas.ba/saopstenja/2012/GDP%20Proiz%20bh.pdf Zugriff Januar 2013.<strong>Institut</strong>e of Statistics of the Republic ofSrpska (2011): Environment Statistic,Annual Release No. 182/12, 2011. BanjaLuka, Bosnia and Herzegovina.Kranert, M. <strong>und</strong> Cord-Landweh, K. (2010):Einführung in die Abfallwirtschaft,Vieweg/Teubner Verlag, Wiesbaden,665S.Ministarstvo Okoliša i Turisma (2008):Strategija zaštite okoliša Federacije Bosnei Hercegovine. Sarajevo, 186 S.NEAP (2003): Action plan for environmentalprotection of Bosnia and Herzegovina,Ministry of urban planning and environment,Sarajevo.ÖGUT (2005): Umwelttechnikmärkte inSüdosteuropa. Umweltpolitiken, -strategien<strong>und</strong> Programme von Bulgarien, Rumänien,Kroatien, Mazedonien, Serbien<strong>und</strong> Montenegro, Albanien <strong>und</strong> Bosnien<strong>und</strong> Herzegowina. Wien, 285 S.Schweighofer, J., Frühwirth, W. u. Stark,W. (2005): Chancen österreichischerUnternehmen in der Abfallwirtschaftin Rumänien, Bulgarien, Kroatien <strong>und</strong>einigen Städten Russlands. EndberichtWien, 216 S.Urbanistički Zavod Banja Luka (2002): Studijaupravljanja čvrstim otpadom za regijuBanjaluka. Banja Luka, 211 S.Abb. 9: Export von Altmetallen 2006-2010; Quelle: Agency for Statistics of Bosnia and Herzegovina 201221


GeoGraz 52 - 2013SCHULGEOGRAPHIEMARTIN MÖDERLExperimenteim GW-UnterrichtDas Wort „Experiment“ leitet sich vom griechischen Wortstamm „peira“ ab, dessen Bedeutung übersetzt „Versuch,Probe, Wagnis“ bedeutet. Ist das Experimentieren in GW ein Wagnis, dessen Einsatz sich überhaupt lohnt? Ein Wagnis,dessen Einsatz sich rechtfertigen lässt? Ja, denn bei einem fachdidaktisch sinnvoll eingesetzten (Unterrichts-)Experiment stehen die handelnden SchülerInnen in einem prozessorientierten Lernen im Mittelpunkt des Unterrichts.ZUM AUTORMag. Martin Möderl ist Fachdidaktikeran unserem <strong>Institut</strong> <strong>und</strong>Mitarbeiter des RFDZ GW. Das Experimentierenwurde als wichtigerBestandteil des GW-Unterrichtsverstärkt in Fachdidaktik-Lehrveranstaltungen am <strong>Institut</strong>untersucht.Allgemeines zu Experimenten in GWGerade im Zeitalter der Kompetenzorientierunggewinnt der Einsatz von Experimentenim GW-Unterricht immer mehran Bedeutung. Die Historie der unterschiedlichenSchwerpunktsetzungen beiExperimenten in der Geschichte der GW-Fachdidaktik wird in Tab. 1 gezeigt.Im Kompetenzmodell <strong>für</strong> GW wirdFolgendes gefordert: „Vor dem Hintergr<strong>und</strong>der gegebenen HerausforderungenTab. 1: Geschichte der Schwerpunktsetzungen von Experimenten in GW, Wilhelmi (2012)Tab. 2: Ziele des Einsatzes von Experimenten im <strong>Geographie</strong>unterricht nach Rinschede(2005)zielen die im Fach GWK zu vermittelndenKompetenzen auf die Entscheidungs- <strong>und</strong>Handlungsfähigkeit der Schüler/innen ab.Dies beinhaltet den kompetenten Umgangmit wesentlichen Fachinhalten <strong>und</strong>Fachmethoden. Inhalte wie Methodensollten sich dabei an den bei den Schüler/inne/nausgeprägten Motivationen,Interessen <strong>und</strong> Bedürfnissen orientieren<strong>und</strong> dem letzten Stand der fachlichen<strong>und</strong> fachdidaktischen Erkenntnisse entsprechen(BMUKK 2012).“ Darunterwird der Einsatz komplexerer Methodenverstanden, wie beispielsweise selbstgesteuertesforschendes Lernen im Gelände.Experimente bieten sich hier an, um die„Natur“ ins Klassenzimmer zu holen <strong>und</strong>dieses forschende Lernen an Modellen zupraktizieren. Haubrich (2006) formuliertes so: „Experimente gestatten es, naturgesetzlichablaufende Prozesse, die auszeitlichen <strong>und</strong>/oder räumlichen Gründennicht real beobachtet werden können, inverkleinertem Maßstab <strong>und</strong> unter markanterzeitlicher Raffung nachzuahmen<strong>und</strong> dabei die Wirkung einzelner Faktorengezielt zu verändern.“Aber auch Kommunikations- <strong>und</strong> Synthesekompetenzsowie die Fähigkeit zurReflexion <strong>–</strong> zentrale Säulen des zuvor angesprochenenKompetenzmodells <strong>–</strong> werdendurch den Einsatz von Experimentenverstärkt erworben.Beim Experimentieren wird das Konzeptdes instruierenden Unterrichts beikonsequenter Weiterführung dieser Überlegungenbezüglich des Kompetenzerwerbsimmer stärker zu einem Konzeptdes Konstruktivismus, bei dem die SchülerInnenbereits in der Hypothesenbildungvor der Experimentdurchführung selbständigagieren sollen. In weiterer Folgesind die SchülerInnen auch <strong>für</strong> die Planung<strong>und</strong> Durchführung des Experiments <strong>und</strong>die folgende Interpretation/Reflexion eigenverantwortlich.Die LehrerInnen werdenin diesem Unterrichtsprozess zu BeraterInnen,LernbegleiterInnen (Coaches),die diesen Entwicklungsprozess bei denSchülerInnen beobachten <strong>und</strong> bei Bedarfunterstützen, anregen <strong>und</strong> beraten. „Nichtdas Produkt in Form des nachzubauendenExperiments, nicht die Messungen <strong>und</strong>ihr Ergebnis stehen nunmehr im Zentrum,sondern der eigentliche Lernprozessdes Schülers“ (Wilhelmi 2012).In der Schulrealität sind diesem Zugangzum Unterrichts- bzw. Lernprozessdurch Experimente leider oftmals durchdie Zeitkomponente (starrer St<strong>und</strong>enkanon),den Materialaufwand (Materialienstammen häufig aus dem Physik- <strong>und</strong>/oderChemieunterricht, mit deren UmgangGW-LehrerInnen oft nicht so vertrautsind) <strong>und</strong> die <strong>Raum</strong>frage Grenzen gesetzt,sodass der konstruktivistische Einsatz vonExperimenten oftmals auf ein Vorzeigendurch die LehrerInnen oder durch ein(an-)geleitetes Durchführen des Experimentsdurch die SchülerInnen reduziertwird <strong>und</strong> somit wieder einen stärker instruierendenCharakter erhält. Dennochweist auch die Durchführung dieser Artder Experimente im Unterricht eine Reihevon Vorteilen auf (Tab. 2).Der besondere zusätzliche didaktischeWert des Experiments liegt nach Haubrich(2006) in der Kombination verschiedenerArbeitsweisen auf unterschiedlichem Ni-22


IM TELESKOPSCHULGEOGRAPHIEAbb. 2: Durchführung des Experiments im Rahmen des PubScience (Foto: Hans Eck)Abb. 1: Beobachtungsbogen „Experiment: Gebirgsfaltung“, eigener Entwurfveau (beobachten, beschreiben, analysieren,vergleichen, bewerten, protokollierenetc.). Dieser besondere Mehrwert im GW-Unterricht kann teilweise auch durch einreines Demonstrationsexperiment, egalob von LehrerInnen oder SchülerInnendurchgeführt, erreicht werden. Der didaktischeEinsatzort bzw. die didaktischeFunktion dieser Form der Durchführungeines Demonstrationsexperiments kannwie folgt differenziert werden (Rinschede2005):• Einführungsexperimente• Klärende oder entdeckende Experimente(=Erarbeitungsexperimente)• Anwendungs-, Kontroll- oder Bestätigungsexperimente(=Wiederholungsexperimente)• Hausaufgabe (=Heimexperimente).Experimente in der Einstiegsphase desUnterrichts haben den großen Vorteil derMotivationssteigerung <strong>und</strong> wecken dasInteresse bei den SchülerInnen. Sie dienenals Ausgangspunkt <strong>für</strong> weiterführendeExperimente oder Fragestellungen. ImGegensatz dazu entwickeln Experimentein der Erarbeitungsphase des Unterrichtsihre größte Wirkung, denn sie ermöglichenein Verifizieren oder Falsifizieren einerzuvor gemeinsam erarbeiteten Hypothese.Wiederholungsexperimente dienenüberwiegend einer vertieften Veranschaulichungvon bereits Gelerntem. Abschließendgibt es auch die Möglichkeit, dassSchülerInnen als Hausübung selbständigein Experiment durchführen (Rinschede2005).Im Rahmen der Fachdidaktikausbildungan unserem <strong>Institut</strong> wurden ineinem ersten Schritt Demonstrationsexperimente,deren Durchführung <strong>und</strong> derenfachdidaktischer Hintergr<strong>und</strong> besprochen.Im Zuge dieser Arbeit konnten zweiStudierende ausgewählte Experimente imRahmen eines Pub Science des RegionalenNetzwerks Steiermark (IMST) mitr<strong>und</strong> 200 BesucherInnen in der Aula derPH Steiermark präsentieren. Stellvertretendwird eines davon im Folgenden kurzvorgestellt (Abb. 2).Experiment: „Botox <strong>für</strong> die Alpen“Im GW-Lehrplan <strong>für</strong> die Unterstufe derAHS steht <strong>für</strong> die 7.Schulstufe das Grobziel„Lebensraum Österreich“ (BMUKK,2000). Für die Oberstufe der AHS findetman im GW-Lehrplan dementsprechend„Österreich-<strong>Raum</strong>-Gesellschaft-Wirtschaft:Naturräumliche Chancen <strong>und</strong>Risken“ (BMUKK, 2004). Daraus ableitbarist die Forderung, die Genese <strong>und</strong>23


GeoGraz 52 - 2013 SCHULGEOGRAPHIEAbb. 3: Experiment „Bergeaufwerfen“ (Müller <strong>und</strong>Papst 2012)den Aufbau des Naturraums „Alpen“ imUnterricht zu untersuchen, um in weitererFolge diese Gegebenheiten zu einerGr<strong>und</strong>lage bei der Beantwortung von geoökologischenFragestellungen zu machen.Das hier vorgestellte Experiment (Abb.1 <strong>und</strong> 2) stellt den vereinfachten Versuchdar, die Entwicklung der Alpen zu einemFalten- <strong>und</strong> Deckengebirge zu veranschaulichen.Vereinzelt verwenden auch SchulbuchautorInnenExperimente in ihren Schulbüchern.Ein vergleichbares Experiment„Berge aufwerfen“ findet man beispielsweiseim Schulbuch „ganz klar: Geografie3“ (Abb. 3).Mit Hilfe eines Blattes Papier statt derKnetmasse kann dieses Experiment starkvereinfacht durchgeführt werden. Eineprofessionelle Variante bietet Schmidkte(1995) mit dem Experiment „Gebirgsfaltung“.Dabei werden Filzlagen verwendet,die in einer Art Plastikbehälter liegen <strong>und</strong>mit Hilfe von zwei Holzschiebern aufeinandergepresstwerden (Abb. 4).Abschließend sei auf die Homepagedes Regionalen Fachdidaktikzentrums<strong>Geographie</strong> <strong>und</strong> Wirtschaftsk<strong>und</strong>e untergw.didaktik-graz.at hingewiesen. Unterdem Menüpunkt „Offene Lernmodelle“im Bereich „Unterricht“ findet manbeispielsweise einen Katalog von Experimentenzum Thema Erdöl inklusive didaktischenZusatzbemerkungen.Abb. 4: Experiment „Gebirgsfaltung“ (Schmidkte 1995)24


SCHULGEOGRAPHIEIM TELESKOPINTEGRATIVE GEOGRAPHIE: ANSÄTZE, BEISPIELE, GRENZENGeo-KolloquiumSOMMERSEMESTER 2013Do. 14. März 2013Univ.-PROF. Dr. ANDREAS KOCH (SALZBURG):„Integrative Sozialgeographie: Glaube an Holismus? Oder Bedarf an Assoziationen?“Do. 16. Mai 2013:PROF. Dr. Heather VILES (OxFORD):“Physical Geography in a Changing World:Integrating Cultural Heritage, Geodiversity and Biodiversity”Do. 13. Juni 2013ASS. PROF. COREy JOHNSON PhD. (GREENSBORO/NORTH CAROLINA)„Geography and the Global Resource Nexus: Thoughts on a Research Agenda“QUELLENVERZEICHNISBMUKK (2000): Lehrplan <strong>Geographie</strong><strong>und</strong> Wirtschaftsk<strong>und</strong>e <strong>für</strong> dieUnterstufe an AHS, veröffentlicht imBGBl. II Nr. 133/2000.BMUKK (2004): Lehrplan <strong>Geographie</strong><strong>und</strong> Wirtschaftsk<strong>und</strong>e <strong>für</strong> dieOberstufe an AHS, veröffentlicht imBGBl. II Nr. 277/2004.BMUKK (Hrsg.) (2012): Die kompetenzorientierteReifeprüfung aus<strong>Geographie</strong> <strong>und</strong> Wirtschaftsk<strong>und</strong>e.Haubrich H. (Hrsg.) (2006): <strong>Geographie</strong>unterrichten lernen, Oldenbourg,München.Müller A. <strong>und</strong> Papst P. (2012): ganz klar:Geografie 3, Jugend & Volk, Wien.Rinschede G. (2005): <strong>Geographie</strong>didaktik,Ferdinand Schöningh, Paderborn.Schmidt,H. (2003): So erkläre ichGeografie <strong>–</strong> Modelle <strong>und</strong> Versuche<strong>–</strong>einfach <strong>und</strong> anschaulich, Verlag ander Ruhr, Mühlheim an der Ruhr.Schmidtke K. (1995): Fünf-Minuten-Experimente <strong>für</strong> den <strong>Geographie</strong>unterricht.Aulis Verlag, Köln.Wilhelmi V. (2012): Die experimentelleLernform. In: Praxis <strong>Geographie</strong>,Heft 7-8, 2012, 4-8WEITERE VORTRÄGEDo. 25. April 2013MARIN CVITANOVIC, MSc (ZAGREB)„Balkan so<strong>und</strong>scapes: (Re)constructing geographical identities through popular music“Do. 2. Mai 2013Der Winter 2012/13 <strong>–</strong> Präsentation der prämierten Bilder des Steirischen Lawinenwarndienst-Schitourenforums mit FachvortragMag a . Dr in . RENATE RENNER, ao. UNIV. PROF. MAG. Dr. GERHARD KARL Lieb (GRAZ):„Risikokommunikation bei Lawinengefahr <strong>–</strong> das Beispiel Planneralm““Do. 20. Juni 2013Univ.-PROF. Dr. RUDOLF Juchelka (DUISBURG):„Logistik <strong>und</strong> Globalisierung: <strong>Raum</strong>bezüge <strong>und</strong> Standorteffekte“Gerne laden wir Sie herzlich zur folgenden Veranstaltung an unserem <strong>Institut</strong> ein:Fr. 21. Juni 2013, 9.30-12.00 h„Die <strong>Geographie</strong> <strong>und</strong> ihr Arbeitsmarkt“Mit einem Impulsvortrag von Prof. Dr. Rudolf Juchelka <strong>und</strong> anschließender Podiumsdiskussion mitAbsolventInnen der Grazer <strong>Geographie</strong> (das genaue Programm <strong>und</strong> der <strong>Raum</strong> werden zeitgerechtauf http://geographie.uni-graz.at bekanntgegeben)Weiters machen wir auf den folgenden, vom naturwissenschaftlichen Verein <strong>für</strong> Steiermarkveranstalteten Vortrag aufmerksam:Di. 7. Mai 2013, 17.15 h, HS 02.23 (Universitätsplatz 2, 2. Stock)Ao. Univ. PROF. Dr. Reinhold LAZAR (GRAZ)„Temperaturmessungen in Dolinen der Steiermark“Die Einladungen zur traditionellen Vortragsreihe „GEO-Kolloquium“ an der TechnischenUniversität Graz, die unser <strong>Institut</strong> gemeinsam mit <strong>Institut</strong>en der TU Graz <strong>und</strong> der ÖsterreichischenGesellschaft <strong>für</strong> Vermessung <strong>und</strong> Geoinformation veranstaltet, entnehmen Sie bitte dembeiliegenden Flyer!Alle Vorträge finden um 18.00 h im Hörsaal 11.03 am <strong>Institut</strong><strong>für</strong> <strong>Geographie</strong> <strong>und</strong> <strong>Raum</strong>forschung der Universität Graz,Heinrichstraße 36, bei freiem Eintritt statt.Eventuelle Änderungen <strong>und</strong> Ergänzungen in unserem Programmentnehmen Sie bitte unserer Website:http://geographie.uni-graz.at25


GeoGraz 52 - 2013IM TELESKOPOLIVER SASSMarokkos SüdenGebirgs-Vorland-Beziehungen am Rand der WüsteKahle, steinige Ebenen mit lediglich ein paar wenigen grünen Büschen in kaum wahrnehmbaren Tiefenlinien. Ziegenherdensuchen zwischen den Steinen nach ein paar dornigen Halmen. Und im Hintergr<strong>und</strong> ragt wie eine Fata Morganaeine schneebedeckte Gebirgskette in die Höhe <strong>–</strong> typische Kontraste, wie sie im Frühjahr am Südrand des Atlasgebirgeszu sehen sind. Marokko, von der Südspitze Spaniens gesehen in Sichtweite von Europa, war lange Zeit ein Reiseziel <strong>für</strong>Aussteiger <strong>und</strong> Individualtouristen. Seit einigen Jahrzehnten hat sich auch der Massentourismus fest etabliert <strong>–</strong> alsBadetourismus hauptsächlich im <strong>Raum</strong> Agadir, als Kulturtourismus hauptsächlich in Form von R<strong>und</strong>reisen <strong>und</strong> auch inForm von organisiertem Wüstentourismus. Für Geographen ist das Land jedoch auch aus dem Blickwinkel der Mensch-Umwelt-Beziehungen in Gebirgsräumen ein außerordentlich lohnendes Reiseziel.ZUM AUTOROliver Sass ist seit 1.9.2012Professor <strong>für</strong> Physische <strong>Geographie</strong>an unserem <strong>Institut</strong>.In diesem Beitrag spiegeln sichviele seiner Forschungs- <strong>und</strong>Lehrinteressen wider.Marokko nimmt aufgr<strong>und</strong> der Vielfalt seinesKlimas, seiner naturräumlichen Ausstattung<strong>und</strong> seiner kulturellen Schätzeeine Sonderstellung auf dem afrikanischenKontinent ein. Das Land ist im äußerstenNordwesten Afrikas gelegen <strong>und</strong> im Nordenvom Mittelmeer, im Osten von Algerien,im Süden durch die von Marokkobesetzte Westsahara <strong>und</strong> im Westen durchden Atlantik begrenzt. Mit einer Flächevon 446.550 km² ist es r<strong>und</strong> fünf mal größerals Österreich. „Rückgrat“ des Landesist das Atlasgebirge, das das ganze Landdiagonal durchzieht <strong>und</strong> in zwei Teilräumeteilt: Den von subtropischem Winterregenklimabeeinflussten Nordwesten <strong>und</strong>den von subtropischem Trockengebietsklimageprägten Südosten. In der arabischgeprägten Nordwesthälfte konzentriertsich der weit größere Teil der Bevölkerung,hier liegen die großartig erhaltenenhistorischen Königsstädte (Rabat, Fes,Meknes <strong>und</strong> Marrakech) sowie die heutigenEntwicklungszentren. Der Südostenweist dagegen eine deutlich geringere Einwohnerdichteauf <strong>und</strong> ist von vorwiegendberberischer Bevölkerung geprägt. Vonden Südhängen des Hohen Atlas geht dieLandschaft mehr <strong>und</strong> mehr in die wüstenhaftenRandgebiete der Sahara über. DemAtlasgebirge kommt dabei sowohl alsTrennlinie als auch als prägendem Landschaftselementeine zentrale Rolle zu.Der Atlas, ein HochgebirgeDie Landschaft Marokkos ist durch einenWechsel von Gebirgsmassiven, Hochebenen<strong>und</strong> großen Beckenlandschaften amGebirgsrand <strong>und</strong> an den Küsten geprägt.Mit dem Atlasgebirge, einem WSW-ENE orientierten Kettensystem, hatMarokko ein veritables Hochgebirge zuAbb. 1: Impression von der Südabdachung des Hohen Atlasbei Boulmane de Dades (Sass, 1998)bieten. Der höchste Gipfel, der Jebel Toubkal,erreicht mit einer Höhe von 4.165 mdurchaus hochalpine Dimensionen. DerHohe Atlas lässt sich in vier Teile gliedern:Den WestlichenHohen Atlas mitüberwiegendemPlateaucharakterbis zum Pass desTizi‘n‘Test; denMarrakech-Atlasoder ‚massif ancien‘,in dem derpräkambrischeSockel besondersstark herausgehobenist <strong>und</strong>in dem sich diehöchsten Gipfelbefinden, bis zumTizi‘n‘Tichka;<strong>und</strong> den ZentralenHohe Atlasmit einer Folgevon Becken<strong>und</strong> Kämmenaus mächtigen,verfalteten Kalk<strong>und</strong>Mergelfolgendes Juras, die im wenig ausgeprägtenIrhil M’Goun (4.071 m) nochmals über4.000 m aufragen. Im östlichen HohenAtlastreten dann wieder paläozoischeGesteine in den Vordergr<strong>und</strong>. Im Nordostendes Hohen Atlas zweigt der sogenannteMittlere Atlas ab, der mit maximal3.737 m über N.N. aber nicht mehr dessenHöhenlagen erreicht. Weiterhin gehörenzum Atlas-System das im Norden vonMarokko liegende Rif (bzw. der Rif-Atlas)mit einer maximalen Höhe von 2.456 m.Das Atlas-System erstreckt sich über MarokkosGrenzen hinaus bis nach Algerien<strong>und</strong> Tunesien <strong>und</strong> ist damit fast doppelt solang wie der Alpenbogen. Der südlich anschließendeAnti-Atlas gehört geologischAbb. 2: Geologisch-großgeomorphologische Gliederung Marokkos (nach Brede, 1987, verändert)26


IM TELESKOPnicht mehr zum alpidischenFaltungsgürtel, sondern istälter <strong>und</strong> weist meist sanftereMittelgebirgsformen auf (Abb.2). Die Küsten-Meseta im WestenMarokkos stellt mit einerLänge von ca. 400 km <strong>und</strong>einer Breite von ca. 50 km diegrößte zusammenhängendeTieflandsfläche dar <strong>und</strong> beherbergtdas große Ballungsgebietvon Rabat <strong>und</strong> Casablanca.Weitere wichtige Tiefländersind die Souss-Ebene bei Agadir<strong>und</strong> das Becken von Ouarzazate,das den Hohen Atlasvom Anti-Atlas trennt.Das gesamte Atlassystem ist heute unvergletschert.In den pleistozänen Kaltzeitenwaren jedoch relativ kleine Gletscheran den höchsten Gipfeln des HohenAbb. 4: Atlas-Zedern oberhalb von Ifrane, Mittlerer Atlas(Sass, 2010)Atlas (Jebel Toubkal, Irhil M’Goun <strong>und</strong>Jebel Ayachi, 3.751 m) sowie des MittlerenAtlas (Jebel Bou Iblane, 3340 m <strong>und</strong> JebelBou Naceur, 3310 m) vorhanden, die Glazialformenwie Kare <strong>und</strong> Moränen hinterlassenhaben (Mensching, 1957). Diezeitliche Stellung dieser Formen war langeunklar. Neueste Datierungen mittels kosmogenerNuklide legen nahe, dass es mindestensdrei zeitlich getrennte Vorstoßphasengab <strong>und</strong> dass die jüngsten Moränenim Zeitraum der African Humid Periodzwischen 14.800 <strong>und</strong> 5.500 BP gebildetwurden. Der markanteste Vorstoß scheintin die Zeit der Jüngeren Dryas (12.900 <strong>–</strong>11.700 BP) zu fallen (Hughes et al., 2011).Die ansonsten fast fehlende glaziale Überformungführt dazu, dass im Gegensatzzu den Alpen scharf ausgeprägte Kämmeoder Gipfel deutlich seltener sind. ÄltereAbb. 3: Schematisierte Vegetationsprofile von N nach S durch den Hohen Atlas (nach Engler& Drude, 1910, umgezeichnet)Zeugen von Klimaschwankungen sinddie ausgedehnten Terrassensysteme <strong>und</strong>inein ander verschachtelten Fußflächen,die sich am Südrand des Hohen Atlaserstrecken. Anhand von geomorphologischenFeldstudien kam Mensching(1957) zu dem Schluss, dass die Glacis-Systeme sich im Laufe von vier kaltenPluvialzeiten während des Pleistozänsgebildet haben. Weitere Untersuchungen<strong>und</strong> insbesondere Datierungen stehenjedoch noch aus, <strong>und</strong> es ist zu beachten,dass sich glaziale Vorstoßphasen im Atlasgebirgevermutlich nicht mit dem alpinenZeitschema korrelieren lassen.Auch ein weiteres Merkmal einesHochgebirgsraumesist imHohen <strong>und</strong> imMittleren Atlasganz eindeutiggegeben, <strong>und</strong> dassind ausgeprägteHöhenstufen derVegetation (Abb.3). Freilich mussman sich von einigen,aus den AlpenliebgewordenenGewohnheitenverabschieden. Beieiner Fahrt vonSüd nach Nordüber einen der Atlaspässeerreichtman schon balddie Waldgrenze<strong>–</strong> jedoch von unten. In den Ebenen<strong>und</strong> Becken südlich des HohenAtlas ist es <strong>für</strong> Baumwuchsbei einem Jahresniederschlagvon ca. 100-200 mm deutlich zutrocken. Mit der Höhe steigt diejährliche Niederschlagsmenge,so dass ab einer gewissen Höheerste waldartige Bestände vonBerberthuja (Tetraclinis articulata)oder Phönizischem Wacholder(Juniperus phoenicea) gedeihenkönnen. Es handelt sich hier umeine sogenannte hygrische Waldgrenze.Dringt man in größereHöhen vor, schließt sich beimittleren jährlichen Niederschlägenvon 500-1000 mm ein Gürtel vonhartblättrigen immergrünen Steineichen(Quercus ilex) an, zumindest an den wenigenStellen, an denen der Waldbestandnicht massiv anthropogen degradiert ist.Weiter oben folgt im Idealfall nochmalsein Gürtel von Spanischem Wacholder(Juniperus thurifera), bevor schließlich beir<strong>und</strong> 3.000 m Höhe die „gewohnte“ thermischeWaldgrenze erreicht ist, oberhalbderer sich charakteristische Dornpolsterflurenausbreiten. Auf der Nordseite desGebirges sind beide Waldgrenzen <strong>–</strong> diehygrische <strong>und</strong> die thermische <strong>–</strong> aufgr<strong>und</strong>der Staulage um einige H<strong>und</strong>ert Meternach unten gedrückt. Ein Sonderfall sindAbb. 5: Niederschlagsverteilung in Marokko (aus Müller-Hohenstein & Popp, 1990)27


GeoGraz 52 - 2013IM TELESKOPAbb. 6: Niederschlagsdiagramme von Casablanca, Marrakech <strong>und</strong> Ouarzazate (Daten aus www.klimadiagramme.de, Grafik K. Szarawara)die Bedingungen an der regenreichenNordwestabdachung des Mittleren Atlas:In der Kombination von kühlfeuchtenWintern mit weiterhin ausgeprägterSommertrockenheit schiebt sich zwischenQuercus ilex <strong>und</strong> Juniperus thurifera dieberühmte Atlas-Zeder (Cedrus atlantica)(Abb. 4), deren Holz so begehrt ist, dass eszum Beispiel an den Türen der Mitte des12. Jahrh<strong>und</strong>erts errichteten Moschee vonTin Mal in über 400 km Entfernung zufinden ist. Es ist daher nicht überraschend,<strong>und</strong> im Rif-Gebirge können über 1.000mm Niederschlag erreicht werden. Oft istzu lesen, der Hohe Atlas stelle eine markanteKlimascheide dar. Betrachtet manjedoch die Entwicklung der Niederschlägein einem Profil von Casablanca (430 mm)über Marrakech (247 mm) nach Ouarzazate(112 mm) (Abb. 6), so stellt man fest,dass es sich um eine eher kontinuierlicheAbnahme mit zunehmender Entfernungvom Meer handelt.Die Hauptprobleme <strong>für</strong> die NutzungAbb. 7: Durch episodisches Hochwasserereignis im Februar2010 zerstörte Straßenbrücke im südlichen Sousse-Becken (Sass, 2010)dass die einst ausgedehnten Bestände heuteauf etwa 3% ihres potenziellen Verbreitungsgebietszurückgedrängt sind.Das Wasserschloss MarokkosAufgr<strong>und</strong> seiner exponierten Lage imNordwesten Afrikas <strong>und</strong> seiner Topographieweist Marokko sowohl eine außergewöhnlichhohe Variabilität als auchextreme Unterschiede bei den Niederschlagsmengenauf, wie sie wohl in keinemanderen Land dieses Kontinents zu findensind. Die Niederschlagskarte (Abb. 5) verdeutlichtden starken Nordwest-Südost-Gradienten <strong>und</strong> die große Zunahme derNiederschläge mit der Höhe im Gebirgsraum.Insbesondere im Mittleren AtlasAbb. 8: Seguia-Kanäle in den Oasengärten von Tinerhir(Sass, 1998)ergeben sich zum einen durch die ungleichegeographische Verteilung der Niederschläge,zum anderen durch deren hoheVariabilität. Im ganzen Land liegen dieNiederschlagsmaxima in den MonatenOktober bis April, wobei längere Dürreperiodennach Süden <strong>und</strong> Osten hin immerhäufiger werden. Das Regime ist alsogeprägt durch „Unzuverlässigkeit, hoheVariabilität, Dürrerisiko <strong>und</strong> vereinzeltetorrentielle Niederschläge“ (Jungfer 2001,S. 57). Bei den in den IPCC-Reportsbeschriebenen Temperatur- <strong>und</strong> Niederschlagsveränderungenwird sich dasjetzt schon als water-stressed country bezeichneteLand bald zu einem chronicallywater-stressed country entwickeln (WorldAbb. 9: In Talnähe mit traditionellen Seguia-Systemenintensiv bewässerte Felder (Atlas-Südflanke am Tizi‘n‘Test).Im Vordergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> am linken Hang sind Regenfeldbau-Terrassen erkennbar, die zum Zeitpunkt des Fotos nicht inNutzung waren (Sass, 2008).Bank, 1995).Der Oberflächenabfluss konzentriertsich auf die Monate November bis März.85% der gesamten Abflussmenge z.B. desOued Massa im Sousse fallen in dieseZeit, während die restlichen 15% auf dieMonate April bis Oktober verteilt sind(vgl. Fox 2001). Dabei ist die Tendenzzu singulären Starkregenereignissen, dieauch erhebliche Schäden an landwirtschaftlichenFlächen <strong>und</strong> Infrastrukturverursachen können, keinesfalls zu unterschätzen(Abb. 7). Der Oued Drâa imSüden des Landes führt während seinerHochwasserstände sogar 95% des gesamtenJahresvolumens.Die semiariden bis vollariden Verhältnissesüdlich des Hohen Atlas, zusammenmit den relativ hohen Niederschlagssummenim Gebirge selbst, führen zu ausgeprägtenhydrologischen Gebirgs-Vorland-Beziehungen.In den wüstenhaftenLandschaften im südlichen Atlas-Vorlandhaben sich modellhaft ausgeprägte Flusswasser-Oasengebildet (von West nachOst: Drâa, Dadès, Todhra, Guir <strong>und</strong> Tafilalet).Die Wassernutzung mittels des28


IM TELESKOPAbb. 10: Im Draa-Tal südlich von Zagora (Sass, 1998)Seguia-Systems beginnt bereits im Oberlaufder Flüsse. Das aus den höheren Gebirgsbereichenstammende Wasser wird angeeigneter Stelle gefasst <strong>und</strong> mittels höhenlinienparallelerErdkanäle über weiteStrecken in einem Hauptkanal zu den talabwärtsgelegenen Feldern geleitet. Dortverzweigt sich der Seguia, <strong>und</strong> das Wasserkann mit einem System von Schleusen<strong>und</strong> Schiebern auf jedes individuelle Feldgeleitet werden (Abb. 8). Die Besitzer derParzellen erhalten in der Regel eine inSt<strong>und</strong>en bemessene Zuweisung, in denendas Wasser auf ihre Felder fließt, <strong>und</strong> sinddann selbst da<strong>für</strong> verantwortlich das Wasserbestmöglich zu nutzen. Diese Seguia-Systeme können in jedem der Täler auf derSüdseite des Gebirges beobachtet werden.Besonders im Frühjahr kontrastieren dieüppig grünen, intensiv genutzten Talsohlenmit den kahlen Hängen der Talflanken.Vergesellschaftet ist dieses landwirtschaftlicheSystem mit Regenfeldbau ingrößerer Entfernung zur Tiefenlinie (Abb.9). Natürlich ist es keineswegs so, dass sichdiese Bewässerungstechnik nur in Marokkofindet. Ein kleiner Sprung nach Nordenüber die Straße von Gibraltar, <strong>und</strong> wirsind in der Spanischen Sierra Nevada, anderen Hängen die maurischen Baumeisterähnlich kunstvoll angelegte Kanälegeschaffen haben, die noch heute in Betriebsind. Unabhängig davon wird dieselbeStrategie auch in anderen ariden odersemiariden Hochgebirgen genutzt: im Karakorum,in den Anden <strong>–</strong> <strong>und</strong> auch in deninneralpinen Trockenregionen der Alpen.In Südtirol werden die hangparallelen Bewässerungskanäleals Waale bezeichnet<strong>und</strong> leisten noch heute ihren Beitrag zurBewässerung von Obstkulturen.Aber die Fernwirkung der Wassernutzungerstreckt sich bis in viel weitere Entfernungzum Gebirge. Die großen Flusssystemedes Oued Drâa <strong>und</strong> des Oued Zizerstrecken sich über H<strong>und</strong>erte von Kilometernvom Hohen Atlas nach Süden, wobeisie die sanften Antiklinalen des Anti-Atlas in antezendenten Durchbruchstälerndurchschneiden. Sie führen periodischWasser zur Zeit des winterlichen Regenmaximumsim Gebirge, verlängert um denZeitraum der Schneeschmelze; es handeltsich also um ein pluvionivales Regime. Diegenannten Flüsse führen in den vollaridenTrockenraum der nordwestlichen Sahara,verlieren dort sukzessive ihr Wasser durchVerdunstung <strong>und</strong> Versickerung <strong>und</strong> endenschließlich <strong>–</strong> früher oder später, je nachStärke der Wasserführung.Der Oued Drâa versickert meist endgültigim Bereich von M‘Hamid, 300 Straßenkilometersüdlich des Gebirgsrands. Insehr regenreichen Wintern kann er jedochin Ausnahmefällen sogar den Atlantikerreichen. Auf seinem Weg versorgt erMarokkos längste Flussoase mit Wasser(Abb. 10). Bewässerungskanäle zapfen aufbeiden Seiten das Flusswasser ab <strong>und</strong> versorgeneinen r<strong>und</strong> 200 km langen Streifenvon Dattelpalmenhainen. Je weiter es nachSüden geht, desto stärker muss Brunnenwasserzusätzlich zur Bewässerung herangezogenwerden. Die Gr<strong>und</strong>wasserneubildungerfolgt dabei hauptsächlich währendder Hochwasserzeit durch Infiltrationdurch den Oued Drâa selbst, also handeltes sich auch hierbei zu großen Teilen umFlusswasser. Noch stärker als im Gebirgewird hier auf eine effektive Wassernutzungdurch Stockwerkbau geachtet. DieDattelpalme bildet dabei die Leitkultur<strong>und</strong> das oberste Stockwerk. Sie ist eine derältesten Kulturpflanzen der Erde <strong>und</strong> liefertnicht nur wertvolle Früchte, sondernbildet auch das „Dach“ der Oasen, welchesAbb. 11: Im mittleren Draa-Tal (Sass, 2008) Abb. 12: Blick in die Flussoase des Tafilalet (Sass, 2008)Menschen <strong>und</strong> Pflanzen vor direkter Sonneneinstrahlungschützt. In ihrem Halbschattengedeihen in der mittleren SchichtObst- <strong>und</strong> Mandelbäume, auf dem Bodenwerden Getreide <strong>und</strong> Gemüse angebaut.Tierhaltung spielt eine eher untergeordneteRolle <strong>und</strong> findet in den Oasen selbstnur als Stallhaltung statt <strong>–</strong> die pflegeintensivenKulturen sind zu wertvoll <strong>für</strong> eineWeidenutzung <strong>und</strong> die Ausnutzung desFutters ist bei der Stallhaltung deutlichhöher. Deshalb gehören Frauen <strong>und</strong> Lastesel,die das Grünfutter von den Feldernzu den Ställen tragen, zum Straßenbild(Abb. 11). Daneben werden auch dörflicheHerden von einem Gemeindehirten aufkollektive Weideflächen geführt; außerdemgibt es Weidefernwanderungen mitKleinvieh <strong>und</strong> Kamelen in nomadischerOrganisationsform (Ait Hamza, 1997).29


GeoGraz 52 - 2013IM TELESKOPDas Drâatal ist eine marginalisierte Regionmit niedriger Bevölkerungsdichte<strong>und</strong> unzureichender Infrastruktur. Eskommt heute zu einer starken Abwanderungin die regionalen Zentren, wobei alsPull-Faktoren neben der Aussicht auf eingeregeltes Einkommen auch eine bessereVersorgung <strong>und</strong> Bildungzu nennen sind.Die Situation am OuedZiz ist recht ähnlich. DerFluss <strong>und</strong> der ihm zufließendeOued Gheris versorgendie langgestreckte,über 100 km lange Oasedes Tafilalet (Abb. 12)mit ihren 350.000 Dattelpalmenmit Wasser <strong>und</strong>enden schließlich in einergroßen, abflusslosen Senke<strong>–</strong> ein Lehrbuchbeispiel derendorheischen Entwässerung.Vom Fluss mitgebrachteSedimente lagernsich in großen Sebkhas(Salzpfannen) <strong>und</strong> Sandschwemmebenenab, von wo regelmäßigdie feinen Bestandteile ausgeweht werdenkönnen. Diese bilden die Gr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong>die Entstehung von Marokkos größtemSanddünengebiet, dem touristisch starkfrequentierten Erg Chebbi. Aus geomorphologischerwie auch aus touristischerSicht reicht also der Ferneinfluss des Gebirgesbis in die Wüste hinein.Seit Jahrh<strong>und</strong>erten war der Ksar <strong>–</strong> einebefestigte Siedlung <strong>–</strong> die Wohnleitformder Oasen des Tafilalet. Dicke Lehmmauerndienten zur Verteidigung, diemehrstöckigen, eng aneinander gebautenHäuser dämpften die teils extremen Temperaturen<strong>und</strong> schützten die Menschen vorSandstürmen. Heute werden die alten Formendes Dorfes vielfach als zu eng <strong>und</strong> zuunmodern empf<strong>und</strong>en, die ehemals strengesoziale Kontrolle wirkt erdrückend <strong>und</strong>Erbstreitigkeiten treten vermehrt auf. DieFolge ist eine Abwanderung in modernere,größere Städte oder die Gründung neuerErsatzdörfer in Form von Plansiedlungen,die heute bis zu 100.000 Menschen beherbergen.Der Verfall der ungenutztenLehmbauten verläuft ohne Wartung besondersschnell. Prägendes Bild in denOasenregionen Südmarokkos sind daherheute die neuen Dorfanlagen mit sehr unterschiedlichenGr<strong>und</strong>rissmustern, die direktneben den verfallenden traditionellenAbb. 13: Moderner Bewässerungskanal mit Schleusensystem im Tafilalet (Foto: Sass, 2010)Bauten entstanden sind.Neben der oberflächlichen Ausleitungdes Wassers mit Hilfe von Kanälen gibt esnoch weitere Strategien, das von den Gebirgenkommende Wasser zu nutzen. Einebeeindruckende Art der traditionellenGr<strong>und</strong>wassernutzung kann in der Umgebungdes Tafilalt beobachtet werden, wo inmehrere Zehner Kilometer langen Foggaras(unterirdischen Kanälen) das Gr<strong>und</strong>wasservon den umgebenden Bergländernzu den Oasen geleitet wurde. Heutesind diese in mühsamer <strong>und</strong> gefährlicherHandarbeit gegrabenen Kanalsysteme fastzur Gänze verfallen, <strong>und</strong> das Bewässerungswasserwird größtenteils aus Tiefbrunnenentnommen. Die langgestreckte,flache Randsenke des Sousse bei Agadirgalt z.B. bereits im 11. <strong>und</strong> 12. Jahrh<strong>und</strong>ertals bedeutendes Produktionsgebiet<strong>für</strong> Weizen, Reis <strong>und</strong> Zuckerrohr. Heutesind exportorientierte Orangenbaumkulturenmit intensiver Brunnenbewässerungverbreitet. Der Gr<strong>und</strong>wasserkörper wirdwiederum von dem Wasser gespeist, dasober- <strong>und</strong> unterirdisch von den umgebendenGebirgshängen einsickert. Derhohe Wasserbedarf einer auf den Exportausgerichteten Intensivlandwirtschafthat jedoch bereits zu einer erschreckendschnellen <strong>und</strong> weitreichenden Gr<strong>und</strong>wasserabsenkungvon über 1 m/Jahr geführt,<strong>und</strong> in einigen Bereichen zeigt sich eineextreme Versalzung der Böden (Puigdefábregas1997). Auch die Wasserversorgungvieler marokkanischer Städte hing <strong>und</strong>hängt immer noch am Tropf des Atlasgebirges.Marrakechs traditionelle Foggara-Kanäle versorgten über eine Entfernungvon mehreren Zehner-Kilometern dieStadt mit Wasser. Heute sind die meistender Stollen verfallen <strong>und</strong> wurden durchmoderne Rohrleitungen ersetzt.Wasserfassung in StauseenNoch deutlicher sichtbar als in den Alpenkann also das Atlasgebirgeals das „Wasserschloss Marokkos“bezeichnet werden.Es ist daher nur naheliegend,dass im Sinne einereffizienten Bewässerungswirtschaftgroße Stauseenerrichtet wurden. Im Jahr2004 gab es im Marokkobereits 92 Staudämme miteinem Gesamtfassungsvermögenvon 1.166.000 m³,womit ein bedeutender Anstiegder mobilisierbarenWassermenge erreichtwurde. Die bedeutsamstenDämme am Südrand desGebirges sind der Mansour-Eddahbi-Staudamm<strong>und</strong> der Hassan-Addakhil-Staudamm,die die bereits erwähnten Flüsse Drâa <strong>und</strong>Ziz kurz nach dem Verlassen des Gebirgesaufstauen.Die damit betriebene Wasserwirtschaftbeschränkte sich seit ihren Anfängennicht nur auf die Speicherung von Oberflächenwasser<strong>für</strong> Bewässerungszwecke,sondern diente auch der Trinkwasserversorgung,der Elektrizitätsgewinnung <strong>und</strong>dem Hochwasserschutz (Popp, 1993). DerStaudamm Hassan Addakhil ging 1965 inPlanung, nachdem eine vom Oued Ziz ausgehendeÜberschwemmung über 250.000Menschen obdachlos gemacht <strong>und</strong> einengroßen Teil der Palmgärten zerstört hatte.Das maximale Wasserspeichervolumendes Staudamms beträgt 350 Mio. m³. Erstim Jahr 2008 war der Staudamm erstmalskomplett aufgefüllt; der Wasserüberschussbestand bis 2009. Die größten Zuflüsseerfährt der Staudamm im November <strong>und</strong>Dezember. Wie viel Wasser abgelassenwerden darf, wird vom MarokkanischenLandwirtschaftsministerium festgelegt.Gewöhnlich werden im Jahr 4-5 großeSchübe Wasser abgegeben; einer dieser„lâchers“ hat typischerweise ein Volumenvon ca. 32 Mio. m³. Das Wasser wirdnicht durch das Flussbett, sondern durchein eigens errichtetes Kanalsystem verteilt(Abb. 13). Pro Sek<strong>und</strong>e werden außerdem30


IM TELESKOPdurch ein eigenes Leitungssystem ungefähr350 Liter Trinkwasser <strong>für</strong> die RegionEl-Rachidia abgeleitet. Auf das ganzeJahr hochgerechnet ergibt sich ein Gesamtvolumenvon ca. 11 Mio. m³, was klarmacht, dass die Trinkwasserentnahmequantitativ im Vergleich zur Bewässerungden Faktor 10 höher als die (mündlichen)Angaben der Betreiber. Das Maximumdes Zuflusses liegt an diesem Stausee späterals am Hassan-Addakhil (zwischenJanuar <strong>und</strong> März), wo<strong>für</strong> der Einfluss derSchneeschmelze im Hohen Atlas verantwortlichist. Dabei ist zu beachten, dassim strahlungsreichen Atlasgebirge etwa40-50% des Schnees durch Sublimationverschwinden <strong>und</strong> somit nicht zum nutzbarenOberflächenabfluss beitragen. Ineinem Untersuchungsgebiet im Drâa-Einzugsgebietergab sich an manchen Tagensogar ein Sublimationsverlust der nahezugesamten Wassermenge der Schneedecke(Speth et al. 2003).Wie bei jedem vergleichbaren Großprojektkann man auch bei den marokkanischenStaudämmen positive <strong>und</strong> negativeFolgen gegenüberstellen, ohne dabei zueiner eindeutigen Beurteilung kommen zukönnen. Die Stauseen haben in der Tat zueiner erheblichen Produktionssteigerungunterhalb der Dämme geführt, außerdemwurde das Ziel des Hochwasserschutzeszufriedenstellend erreicht. Auf der Negativseitestehen massive Probleme durchdie Sedimenteinschüttung, die das Speichervolumen<strong>und</strong> die Effizienz der Stauseenverringert <strong>–</strong> extrapoliert man die Sedimentationsratender letzten Jahrzehnte,wäre der Hassan-Addakhil-Staudamm imJahr 2030 nach Angaben des Conseil Supérieurde l’Eau komplett mit Sedimentengefüllt (Snoussi et al. 2006). Durch dieKappung der Hochwasserspitzen wird diesicherere, gleichmäßigere Bewässerungin gut erschlossenen Gebieten nahe desStaudamms damit erkauft, dass in denentfernteren Gebieten die seltenen Hochwasserausbleiben <strong>und</strong> damit das Gr<strong>und</strong>wassernicht mehr in gleichem Maße wiefrüher aufgefüllt werden kann. Überdiessind im Gebiet Tafilalt seit Fertigstellungdes Staudamms in einigen Bereichen aufgr<strong>und</strong>unprofessioneller Wasserverteilungerhebliche Salzverkrustungen entstandenAbb. 14: Bergnomaden im oberen Dadès-Tal (Foto: Sass, 2010) Abb. 15: Karges Weideland im oberen Dadès-Tal (Foto: Sass, 1998)nur wenig ins Gewicht fällt. Die nach derVerdunstungsformel von Thornthwaiteabgeschätzte Jahresverdunstung liegt beiknapp über 1.000 mm. Die Staudammbetreibergehen nach eigenen Angaben voneiner Verdunstung von 50.000 bis 100.000m³ pro Monat aus; bei einer Oberflächevon ca. 20 km² wären das 2,5 bis 5 mmim Monat. Die tatsächlich verdunstendeMenge liegt also vermutlich weit über denSchätzungen der Betreiber. (Alle Zahlenhochgerechnet aus mündlichen Angabenvon Angestellten vor Ort in 2010.)Der im Jahr 1972 errichtete Mansour-Eddahbi-Stausee am Oued Drâa erstrecktsich über 16,5 Kilometer <strong>und</strong> umfasst einVolumen von 440 Mio. m³. Beim Bau betrugdieses noch 560 Mio. m³, die Differenzist seither bereits durch Sedimentablagerungenverloren gegangen. Drei- bisviermal pro Jahr findet ein Abfluss zur Bewässerungstatt, wobei <strong>–</strong> im Gegensatz zurSituation im Tafilalet <strong>–</strong> das Wasser alleinigdurch das unveränderte Flussbett geleitetwird, d.h. es wurden keine zusätzlichenKanalsysteme errichtet. Die berechneteJahresverdunstung von der Wasserflächeliegt auch hier mit gut 1.000 mm etwazehnfach höher als der mittlere Niederschlag(112 mm in Ouarzazate) <strong>und</strong> summiertsich zu einem Verdunstungsverlustvon 18% der Gesamtwassermenge. Auchhier liegt der berechnete Wert etwa um(Mainguet, 1999).BergnomadismusTierhaltung in Marokko ist bis heute einGr<strong>und</strong>pfeiler ländlicher Existenzsicherung.So gehören 40 % der Schafe sowieein Großteil der Ziegen <strong>und</strong> Dromedareder noch bestehenden extensiven mobilenWeidewirtschaft an (Breuer, 2004). Diemeisten Nomaden leben dabei auf den ostmarokkanischenHochplateaus, an zweiterStelle stehen die Südhänge des HohenAtlas. Der dortige Bergnomadismus stellteine Variante des Halbnomadismus dar,bei dem die jahreszeitlich erfolgendenWanderungen vertikal gerichtet sind(Scholz, 1994). Im Trockengebiet der Atlas-Südabdachungheißt das konkret, dassdie Bergnomaden im Sommer mit ihrenHerden in höhere Gebirgsregionen ausweichen,um der Dürre im Flachland zuentgehen. Zum Ende des Sommers steigenMensch <strong>und</strong> Tier wieder in geringere Höhenab <strong>und</strong> entgehen damit der bevorstehendenWinterwetterlage im Gebirge.Nomadische Lebensweisen in Marokkosind seit Beginn des 20. Jahrh<strong>und</strong>ertseinem starken Wandel unterworfen. Vielerortssind dabei die ursprünglichennomadischen Lebensweisen völlig verschw<strong>und</strong>en;in peripheren Räumen habensich hingegen die Systeme mobiler Tierhaltunggehalten oder sogar dynamisch31


GeoGraz 52 - 2013IM TELESKOPweiterentwickelt. Eine Kombination vonmobiler Viehhaltung mit anderen Einkommensquellenermöglicht heute einewesentlich breitere wirtschaftliche Absicherung.Außerdem hat sich in den vergangenenJahrzehnten ein breit gefächertesSpektrum an Mobilitäten von stationärbis hochmobil herausgebildet. Die Nomadendes oberen Dadès-Tals betreibenzum Beispiel einen saisonalen Wechselzwischen den Hochflächen des ZentralenHohen Atlas <strong>und</strong> den südöstlich darananschließenden Gebieten (Breuer, 2004).Bei dieser heute hochmobilen Weidewirtschaftwerden Herde <strong>und</strong> Zelt mit einemgemieteten Lastwagen saisonal zu Weidengefahren. Die Entscheidung über dieWeideauswahl wird dabei direkt von deneinzelnen Haushalten getroffen. Um dieNutzung sehr weit entfernter Weiden zuorganisieren, werden neben persönlichenNetzwerken in immer stärkerem Maßemoderne Kommunikationsmittel wie Mobiltelefon<strong>und</strong> Radio eingesetzt.Mit einer Exkursionsgruppe in diesemGebiet angetroffene Nomaden (Abb. 14)berichteten, dass sich ihr Winterlager inder Nähe von Tata im Anti-Atlas befindet<strong>–</strong> in einer Entfernung von etwa 450Straßenkilometern. Wegen der großenEntfernung werden die Tiere mit Lastwagendorthin transportiert, eine Ausprägungdes Nomadismus, die als Fernnomadismusbezeichnet wird. Sowohl imFrühling als auch im Herbst diente dasvon unserer Gruppe besuchte Lager, inmittlerer Höhe (ca. 1500 m) gelegen, alsAufenthalts- <strong>und</strong> Weideort. Wenn imSommer die Nahrungsgründe (Abb. 15)weitestgehend abgeweidet sind <strong>und</strong> dieTrockenheit einsetzt, ziehen die Nomadenin noch höhere Gebiete des Atlas, welchenach der Schneeschmelze eine relativ starkausgeprägte Vegetation aufweisen.FazitMarokko ist ein Land mit einer faszinierendenVielfalt von kulturellen <strong>und</strong>landschaftlichen Eindrücken. Der Südenbietet eine Kombination von Hochgebirge<strong>und</strong> Halbwüste, wobei das Gebirge aushydrologischer Sicht den unverzichtbarenWasserlieferanten <strong>für</strong> das Vorland darstellt<strong>–</strong> <strong>und</strong> zwar über eine Entfernung von oftH<strong>und</strong>erten von Kilometern. Der Menschhat sich, seit Jahrh<strong>und</strong>erten <strong>und</strong> bis heute,diese naturräumlichen Begebenheitenzunutze gemacht. Zahlreiche Transformationsprozessesind zu beobachten, wobeisich traditionelle Siedlungs- <strong>und</strong> Wirtschaftsformenim Kern bis heute erhaltenhaben.QUELLENVERZEICHNISAit Hamza, M. (1997): Auswirkungender Arbeitsmigration auf die Oasen inSüdmarokko. Geographische R<strong>und</strong>schau49: 82-88.Brede, R. (1987): Strukturelle Entwicklungdes zentralen Hohen Atlas nordwestlichvon Errachidia (Marokko). Berlin, 65 S.Breuer, I. (2004): Moderne Nomaden?Existenzsicherung <strong>und</strong> Mobilität imariden Marokko. In: Die Arabische Weltim Spiegel der Kulturgeschichte. Mainz,S. 256-263.Engler, A. & Drude, O. (Hrsg.) (1910):Die Vegetation der Erde, Band IX: DiePflanzenwelt Afrikas insbesonderer seinertropischen Gebiete. I. Band: AllgemeinerÜberblick über die Pflanzenwelt Afrikas<strong>und</strong> ihre Existenzbedingungen. 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UNTERWEGS MIT GEOGRAZUnterwegs mit GeoGrazEin Exkursionsführer in FortsetzungenCHRISTIAN BAUER UND GERHARD KARL LIEBJohnsbacher Almen (Gesäuseberge)Mensch-Umwelt-Beziehungen im Wandel der ZeitMit der Ernennung zum bislang jüngstenösterreichischen Nationalpark 2002 hatdas Gesäuse an Attraktivität als Exkursionsziel<strong>für</strong> verschiedene Fachrichtungengewonnen. Die Verwaltung des Nationalparks(mit Sitz in Weng) trägt diesererhöhten Nachfrage durch ein umfangreichesBildungs- <strong>und</strong> VeranstaltungsprogrammRechnung, das unter www.nationalpark.co.atabgerufen werden kann.Für Schulklassen wird in jedem Jahr eineigenes „Schulprogramm“ angeboten, dasLehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer aus verschiedenenProjekttagen zusammenstellen oderals ganze Projektwoche (auch im Winter!)buchen können. Diese ausgezeichnetenProgramme können uneingeschränktempfohlen werden, haben aber <strong>–</strong> voneinzelnen Themenfeldern wie etwa ökologischerFußabdruck oder Orientierenim Gelände abgesehen <strong>–</strong> nur wenig geographischenBezug. Die hier vorgestellteExkursionsbeschreibung versucht dieseLücke zu schließen, indem sie gezielt geographische„Blicklenkung“ anbietet. DieGr<strong>und</strong>lage hier<strong>für</strong> bildet ein integrativerAnsatz, der physio- <strong>und</strong> humangeographischeAspekte zu verbinden sucht.Die Exkursion hat ihren Ausgangspunktim Hochtal von Johnsbach, dasauf einer Stichstraße aus dem Gesäuseerreichbar ist. Es wird empfohlen, <strong>für</strong> dieExkursion einen ganzen Tag einzuplanen,um auch handlungsorientierte Elemente(z.B. eigene Erk<strong>und</strong>ung, Kartierung,Dokumentation) integrieren zu können.Hier<strong>für</strong> reicht mittlere Kondition <strong>und</strong>strapazfähige Outdoor-Bekleidung, sodass die Exkursion <strong>für</strong> Schülerinnen- <strong>und</strong>Schülergruppen (auch schon in der Sek<strong>und</strong>arstufeI) uneingeschränkt empfohlenwerden kann.Abb. 1: Mensch-Umwelt-Interaktionsmodell am Beispiel einer Alm (Erläuterungen siehe Text, Zeichnung: C. Bauer)Für diese <strong>und</strong> drei weitere Exkursionenim Johnsbachtal stehen mit demnaturk<strong>und</strong>lichen Führer von Hasitschkau. Lieb (2012) ausführliche Routenbeschreibungen<strong>und</strong> umfangreiche Hintergr<strong>und</strong>informationenzur Verfügung. Andieser Stelle reichen daher die folgendenAngaben:• Der genannte Führer ist vor Ort in denGastbetrieben, in der Geschäftstelle desGrazer Alpenvereins (Sackstraße 16) oderüber den Online-Shop des ÖsterreichischenAlpenvereins (www.alpenverein.at) erhältlich.• Die Exkursionsroute ist identisch mit derWanderung 2 im Führer (Die „klassische“Johnsbacher Almr<strong>und</strong>e), weshalb auf dieBeschreibung der Strecke verzichtet wird.Stattdessen werden an 10 HaltepunktenVorschläge zu einer integrativ geographischenAuseinandersetzung mit den gebietsspezifischenMensch-Umwelt-Interaktionengeboten. Diese ergänzen entwederdie Inhalte des Führers oder ordnen sieunter dem genannten Gesichtspunkt neu,die Verwendung des Führers ist jedenfallszu empfehlen.• Als Stützpunkte im Johnsbachtal stehendie drei Gasthöfe Donnerwirt, Ödsteinblick<strong>und</strong> Kölblwirt zur Verfügung (www.johnsbach.at); <strong>für</strong> weitere Unterkünfte imGesäuse <strong>und</strong> seiner Umgebung siehe www.gesaeuse.at.• Die bei Weitem beste Karte ist die Alpenvereinskarte1:25.000, Blatt 16 EnnstalerAlpen, Gesäuse.• Ausgangspunkt der Exkursion ist der(auch <strong>für</strong> Busse geeignete) Parkplatz Ebner(975m) im Johnsbacher Talschluss. DieZufahrt ins Gesäuse kann von Osten überHieflau (von Graz erreichbar über denPräbichl <strong>und</strong> Eisenerz) oder von Westenüber Admont (Anschluss an die Pyhrn-Autobahn bei Ardning) erfolgen.• Für die R<strong>und</strong>tour sind in der beschriebenenForm inklusive Abstecher (ohne Beobachtungs-oder Arbeitsphasen) 4 <strong>–</strong> 4 ½St<strong>und</strong>en zu veranschlagen.33


GeoGraz 52 - 2013 UNTERWEGS MIT GEOGRAZAbb. 2: Übersichtskarte zur „Johnsbacher Almr<strong>und</strong>e“ mit Haltepunkten (Zeichnung: C. Bauer)Einführung: Theoretischer Hintergr<strong>und</strong>Der Beitragstitel deutet den gr<strong>und</strong>legendenkonzeptionellen Zugang an: Es wirdder Versuch unternommen, thematischfokussiert die Interaktionen zwischenMensch <strong>und</strong> Umwelt im gegenständlichenGebiet zu betrachten. Dies geschieht imBemühen um eine Überwindung der Dichotomiezwischen einer naturwissenschaftlichausgerichteten Physischen <strong>und</strong>einer sozialwissenschaftlich konzipiertenHumangeographie. Das <strong>Institut</strong> <strong>für</strong> <strong>Geographie</strong><strong>und</strong> <strong>Raum</strong>forschung der UniversitätGraz hat sich im Leitbild der „GrazerIntegrativen <strong>Geographie</strong>“ genau das zumZiel gesetzt. Dies bedeutet eine gezielteSuche zum einen nach Themen, die diePhysio- <strong>und</strong> Humangeographie sinnvollzusammen bearbeiten können, <strong>und</strong> zumanderen nach Konzepten, die einen solchengemeinsamen, „integrativen“ Wegüberhaupt erst ermöglichen. Während esnicht schwierig ist, „integrative“ Themenzu finden <strong>–</strong> Global Change <strong>und</strong> Naturrisikengelten schon längst als „Klassiker“<strong>–</strong>, mangelt es offenbar vor allem anda<strong>für</strong> operationalisierbaren Konzepten(Weichhart 2003).Sie werden als Leserin oder Leser sicherlichVerständnis da<strong>für</strong> aufbringen,wenn wir an dieser Stelle auf eine Reflexiondes laufenden Fachdiskurses um eine„Reintegration“ der <strong>Geographie</strong> oder dieEtablierung einer „Dritten Säule“ verzichten.Stattdessen wollen wir ganz pragmatischjenen Ansatz vorstellen, der sich invergleichbaren früheren Arbeiten (z.B.Bauer 2009) bereits zum Zweck einer systematisiertenBetrachtung der Mensch-Umwelt-Beziehung bewährt hat. Es istdies das aus der Sozialen Ökologie entlehnte„Interaktionsmodell Gesellschaft-Natur“ (z.B. Fischer-Kowalski u. Erb2006): Darin wird ein von bestimmten Interaktionengeprägtes gekoppeltes Systemvon „Natur“ <strong>und</strong> „Gesellschaft“ angenommen,wobei man das „natürliche System“,da es von physikalischen Gesetzmäßigkeitengesteuert wird, der Physischen <strong>Geographie</strong>,das „soziale System“ hingegender Humangeographie zuordnen kann.Im Überschneidungsbereich dazwischenliegen nun jene Forschungsgegenstände,die beiden Bereichen angehören <strong>und</strong> somitein hybrides System darstellen. In diesemBeitrag werden die Almen als ein solchesaufgefasst <strong>und</strong> in einer stark vereinfachtenVersion des sozialökologischen Interaktionsmodellszwischen verschiedene Teilkomponentendes natürlichen <strong>und</strong> sozialenSystems gestellt (Abb. 1).Dies ermöglicht einen klaren Blick aufdie gegenständlichen Interaktionen, diedadurch besser analysiert werden könnenals bei bloßer Aneinanderreihung vonbeob achteten „Geofaktoren“. BesonderesAugenmerk richten wir dabei auf die zielgerichtetenInterventionen in das natürlicheSystem („Kolonisierung“) sowie dessenReaktion auf veränderte Kolonisierungsaktivität(„Renaturierung“). Der Zweckder Kolonisierung wird über „Funktionen“beschrieben, denen wiederum bestimmteRahmenbedingungen (z.B. Besitzverhältnisse,rechtliche Vorgaben, individuelleEntscheidungen) des sozialen Systems zuGr<strong>und</strong>e liegen.Die Beschreibung der Gegebenheiten anden einzelnen Haltepunkten (Abb. 2)fokussiertauf die genannten Interaktionen, womitwir hoffen, eine integrative geographischePerspektive auf die bei Hasitschka u. Lieb(2012) in eher „lockerer“ Erzählweise dargestelltenPhänomene, speziell im Kontext derAlmwirtschaft, zu eröffnen. Dabei beziehenwir den Faktor Zeit systematisch mit ein <strong>und</strong>geben an fünf Haltepunkten mögliche Fragestellungen(Kästen) an, die dazu anregenmögen, Lernende an die beobachteten Phänomenein integrativer Weise heranzuführen.Die „Beantwortung“ der Fragen kann aufdiskursivem Weg <strong>und</strong>/oder durch Eigenarbeitder Lernenden (unter Benützung der Nationalpark-Homepage<strong>und</strong> der angegebenen Literatur)erfolgen.34


UNTERWEGS MIT GEOGRAZAbb. 3: Geschiebesperre beim Anwesen Gschaidegger mit Blick nach Westen zum AdmonterReichenstein (eigenes Foto)mit Risiko thematisieren.Die „Johnsbacher Almr<strong>und</strong>e“ (Abb. 2)Haltepunkt 1: Naturgefahrenprävention(Geschiebesperre beim Anwesen Gschaidegger,Abb. 3)Die 2005 errichtete Sperre eignet sichzur Thematisierung potenziell gefährlicherNaturprozesse, in diesem Fall der möglichenhohen Wasserführung sowie derMurstoßfähigkeit des oberen Johnsbaches<strong>und</strong> seiner Zubringer. Besucherinnen <strong>und</strong>Besucher dieser Stelle hatten schon beider Anreise durch das Gesäuse Gelegenheit,Beobachtungen zu potenziellen Naturgefahrenanzustellen <strong>und</strong> diese (bzw.den Umgang mit ihnen) zu reflektieren.Besonders eignet sich hier<strong>für</strong> der untereJohnsbach, entlang dessen man den Paradigmenwechselin der Wildbach- bzw.Flussverbauung seit der Nachkriegszeit(Thonhauser 2008), etwa am Themenweg„Wilder John“, studieren kann. Haltepunkt1 ergänzt dies durch den beispielhaften„Einblick“ in den oberen Teil desEinzugsgebietes. Dieses liegt zum größtenTeil in den wasser<strong>und</strong>urchlässigen Gesteinender Grauwackenzone (<strong>für</strong> einen geologisch-geomorphologischenÜberblicksiehe Lieb u. Premm 2008) <strong>und</strong> wurdeerst seit den 1990er Jahren systematischverbaut.Eine spektakuläre Kolonisierungsmaßnahme,wie sie eine fast 13 m hohe Geschiebesperredarstellt, kann nun sowohlin Hinblick auf die Naturprozesse, welchesie „kolonisieren“ soll, als auch in Hinblickauf das Schutzgut, also ihre Funktion(Minimierung des Risikos von Vermurungbzw. Hochwasser <strong>für</strong> den talabwärtsliegenden Siedlungsraum), untersuchtwerden (Kasten 1). Dabei kann man auchden Begriff „Risiko“ bzw. den UmgangHaltepunkt 2: Almwirtschaft (Zeiringeralm,Abb. 4)Als erste Alm erreichen wir die in nur1110 m Höhe gelegene Zeiringeralm,die während der Weidezeit im Sommerauch als Jausenstation geführt wird. DieseFunktion haben neben der Zeiringerauchnoch die Ebner-, Huber-, RadmererNeuburg- <strong>und</strong> Kölblalm, was die Almr<strong>und</strong>eals Wanderziel deutlich aufwertet.Informeller Ausschank von vor Ortproduzierten Produkten ist auf den Almenbereits durch die ersten auswärtigenBesucher im 19. Jh. bezeugt (Hasitschka2010) <strong>und</strong> entwickelte sich mit zunehmenderTourismusfrequenz an manchenStandorten von einer Neben- zur Haupteinnahmequelle.Mit dem Abkommender Sennereiwirtschaft im Gesäuse seitder Nachkriegszeit (ausführlich hierzuHasitschka u. Lieb 2012) ging die touristischeFunktion der Almen anfänglichzurück. Seit der Etablierung des Nationalparkshat sie sich jedoch rekonsolidiert,wo<strong>für</strong> u.a. die mit dem Attribut „Nationalpark“verb<strong>und</strong>ene Konnotation alsAbb. 5: Die Ebneralm mit Blick nach NW zum Großen Ödstein(eigenes Foto)Abb. 4: Die Zeiringeralm im Blick nach Süden auf einen Teil der in sanftes Reliefeingebetteten Weideflächen (eigenes Foto)KASTEN 1:Mögliche integrativeFragestellungen zu Haltepunkt1 (Naturgefahrenprävention):• Warum wurde die Sperre in dieser Größedimensioniert?• Welche Alternativen zum Schutz desSiedlungsraumes vor den gegenständlichenGefahren hätte es gegeben?• Wie schützte sich die betroffene Bevölkerungvor 2005 gegen diese Gefahren?• Welche Naturgefahren sind <strong>für</strong> deinenWohn-, Schul- <strong>und</strong>/oder Studienort relevant<strong>und</strong> wie wird ihnen begegnet?besuchenswerte „naturnahe“ Landschaftverantwortlich ist. Seit der Umstellungauf die arbeitsextensive Galtvieh- oderMutterkuhhaltung findet auf den Almenjedoch keine Milchverarbeitung mehrstatt. Deshalb bekommt man zwar keineim Sinne des romantischen Alpenbildes„typischen“ autochthonen Almprodukte,wohl aber qualitativ hochwertige regionaleSpezialitäten. Viele der Betriebe vermarktensich gemeinsam über die Kooperativeder „Nationalpark-Partner“.Die Alm befindet sich in wenig geneigtemGelände, das aus Moränen (diehochglazialen Gletscher aus dem Karnördlich des Leobner reichten bis hierher)<strong>und</strong> Murschutt besteht <strong>und</strong> zum beträchtlichenTeil günstige SW-Expositionaufweist. Die niedere Lage erlaubte auchdie Nutzung als Dauersiedlung zumindestbis ins ausgehende 18. Jh. (vgl. auchHaltepunkt 9). Die Rodungsfläche könntebereits eine sehr alte Kolonisationsleistung35


GeoGraz 52 - 2013UNTERWEGS MIT GEOGRAZKASTEN 2:Mögliche integrativeFragestellungen zu Haltepunkt3 (Wintertourismus):darstellen, denn auf dem „Zossegg“ <strong>–</strong> derFlurname bezeichnet die Hangbereicheoberhalb der Alm <strong>–</strong> ist Bergbau auf Kupfer<strong>und</strong> (wie an vielen Stellen des Johnsbachtales)dessen Verarbeitung bereits seit dem2. Jahrtausend v. Chr. bezeugt. Die Renaturierungder Abraumhalden erfolgt wegenderen hohen Gehalts an metallischenBestandteilen nur sehr langsam. Somit habenwir ein Beispiel da<strong>für</strong> vor uns, dass dasnatürliche System auch Jahrh<strong>und</strong>erte nachdem Aufhören der Kolonisationstätigkeitsich nicht zum ursprünglichen Systemzustand(Wald) zurückentwickelt hat: Diewaldfrei gebliebenen Areale werden hier„Z<strong>und</strong>erflecken“ genannt (unmittelbar ander Exkursionsstrecke sind allerdings keinezu sehen). Die physiogeographischenGr<strong>und</strong>lagen eines prähistorischen Kupferschmelzplatzes<strong>und</strong> einer modernen Almsind mit der Verfügbarkeit von Wasser,Holz <strong>und</strong> ebenem Gelände dieselben.Haltepunkt 3: Almwirtschaft <strong>und</strong> Wintertourismus(Ebneralm, Abb. 5)Die Ebneralm (1265 m) stellt unzweifelhafteinen der besten Exkursions-Haltepunktedes gesamten Johnsbachtalesdar, allein schon deshalb, weil man vonhier aus besonders schön den innerenTalabschnitt <strong>und</strong> seine Position an dergeologischen Grenze zwischen Grauwackenzone<strong>und</strong> Nördlichen Kalkalpenüberblickt. Gr<strong>und</strong> da<strong>für</strong> ist die Lage auf36• Was sind die Ursachen <strong>für</strong> das Fehleneines Schigebietes?• Was sind die Folgen davon, dass es hierkeine Lifte <strong>und</strong> Pisten gibt?• Welche Vor- <strong>und</strong> Nachteile hätte es <strong>für</strong>die „Natur“ <strong>und</strong> die Bevölkerung, wennes zum Ausbau eines Schigebietes kommenwürde?• Welche Aktivitäten kann man in Johnsbachals Touristin <strong>und</strong> Tourist im Winterausüben?• Warum kannst du dir (nicht) vorstellen,einen Winterurlaub in Johnsbach zu verbringen?einem markanten Geländesporn, der imKern aus Dachsteinkalk besteht. Überdem Kalk lagern Juramergel, auf denentiefergründige Böden <strong>und</strong> sanfteres Reliefden Graswuchs fördern <strong>und</strong> somit dieViehwirtschaft begünstigen. Auch dieEbneralm wird als Jausenstation geführt,als einzige im Johnsbachtal hat sie beigünstigen Witterungsverhältnissen auchim Winter geöffnet (die <strong>für</strong> den Verkehrgesperrte Zufahrtsstraße vom ParkplatzEbner wird dann als Rodelbahn genutzt).Die dadurch höhere Wertschöpfung gestattetedem Besitzer der Alm auch einen(verglichen mit den Verhältnissen im weiterenUmkreis des Gesäuses) großzügigenAusbau der Hütte, die nun seit 2009 auchüber einen geräumigen, gediegen eingerichtetenGast raum verfügt.Mit einer Exkursionsgruppe kann aufder Ebneralm die Frage des Wintertourismusim Johnsbachtal thematisiert werden.Es fehlen <strong>–</strong> mit Ausnahme eines Schleppliftes<strong>–</strong> jegliche technische Erschließungsmaßnahmen.Mögliche Impulsfragen, diedaran anknüpfen können, sind in Kasten2 zusammen gestellt. Wichtig wäre herauszuarbeiten,dass das Fehlen massentouristischerAnlagen in keiner Weise mitden physiogeographischen Bedingungenzu erklären ist. Vielmehr sind diese mitidealem Schigelände (an der JohnsbacherSchattseite) <strong>und</strong> hoher Schneesicherheitim Nordstau geradezu optimal (weshalbdas Johnsbachtal ja auch zu den beliebtestenSchitourengebieten der SteiermarkAbb. 6: Die Methode der Wegsicherung am „Prügelweg“dürfte Jahrh<strong>und</strong>erte alt sein (eigenes Foto)gehört). Noch in einem Entwicklungsprogrammder 1970er Jahre war die Errichtungeines Schigebietes an den Hängender Grauwackenzone vorgeschlagen worden.Stattdessen sind (wie in weiten Teilender nordöstlichen Alpen) die Besitzverhältnisse<strong>–</strong> neben der verkehrstechnischenEntlegenheit <strong>–</strong> hauptverantwortlich da<strong>für</strong>,dass das Gebiet nicht am nachkriegszeitlichenTake-off des (Winter-)Tourismusteilhaben konnte.Haltepunkt 4: Verkehrswege im Hochgebirge(„Prügelweg“, Abb. 6)Die quer zum Wegverlauf ausgelegtenHolzpfosten erleichtern das Überquerenfeuchter Wegstellen, die im Bereich östlichder Ebneralm auf Gr<strong>und</strong> des wasserstauendenUntergr<strong>und</strong>es (würmzeitlicheMoränen über Werfener Schiefer) häufigauftreten. Der Wegabschnitt selbst ist einTeilstück des „Johnsbacher Weges“, überden noch bis ins 19. Jh. Holzkohle aus demJohnsbachtal (deren Produktion damalsdie wichtigste Einnahmequelle der Bauernwar) nach Hieflau befördert wurde. Hieflaubeherbergte damals die Zentralköhlereider Innerberger Hauptgewerkschaft,von wo aus alle Eisenschmelzen, die dasam Erzberg geförderte Erz zu Roheisenumwandelten, beliefert wurden. Der beschwerlicheWeg dorthin führte entlangunserer Route zur Neuburgalm, dann überden Hüpflingerhals in den Hartelsgraben<strong>und</strong> schließlich über die „Wag“.Das Wegenetz im Hochgebirge entstandals Kolonisationsleistung synchronmit dem Einsetzen der wirtschaftlichenNutzung, die wir im Johnsbachtal bis indie Zeit vor r<strong>und</strong> 3500 Jahren (Abbau <strong>und</strong>Verhüttung von Kupfer, vgl. auch Haltepunkte2 <strong>und</strong> 11) zurückverfolgen können.Besonderheiten des Tales waren dabei vonAnfang an dessen schwierige Zugänglichkeitbei gleichzeitiger starker Außenorientierung,wie bereits am Beispiel desHolzkohlenfuhrweges gezeigt wurde.Man geht davon aus, dass die Nutzung derKupfererzlager <strong>und</strong> die spätere Besiedlungvom Paltental aus erfolgte, was die sukzessiveEntstehung eines dichten Wegenetzesüber den Hauptkamm der Eisenerzer Alpennach sich zog. Wie Schmelzplatzf<strong>und</strong>e(etwa an Haltepunkt 11) belegen, müssenaber schon in prähistorischer Zeit auch diesteilen <strong>und</strong> felsigen Nördlichen Kalkalpenbegangen worden sein.Spätestens mit der Siedlungsverdichtung<strong>und</strong> Nutzungsintensivierung desHochmittelalters wurden auch die entlegenstenGebietsteile <strong>–</strong> durchaus auch übernach heutigen Maßstäben schwieriges<strong>–</strong> Gelände hinweg begangen (insbesonderezur Jagd <strong>und</strong> Heugewinnung). Dasheutige Wegenetz ist damit schon sehralt, wobei jedoch mit der geänderten wirtschaftlichenBedarfslage viele Wege auchwieder abgekommen, also im sozialökologischenSinn renaturiert sind. Die Forst-


UNTERWEGS MIT GEOGRAZAbb. 7: Blick von der Schröckalm nach NW; in der Bildmitte die Stadelfeldschneid(eigenes Foto)Abb. 8: Die Huberalm auf der „Neuburg“ von E; im Vordergr<strong>und</strong> rechts die im Texterwähnte Lägerflur (eigenes Foto)<strong>und</strong> Almgebiete wurden seit Beginn des20. Jhs., schwerpunktmäßig in der Nachkriegszeit,durch Straßen erschlossen(Haltepunkt 12). Allen Verkehrswegen imHochgebirge ist ungeachtet ihres Altersihre starke Bindung an die topographischenGegebenheiten gemeinsam.Haltepunkt 5: Almwirtschaft (Schröckalm,Abb. 7)Die Schröckalm (1344 m) repräsentiertidealtypisch ein historisches Almhütten-Ensemble der Gesäuseberge (wenn auchmit extensivierungsbedingt verkleinertemWirtschaftsgebäude), aber auch jenecharakteristischen physiogeographischenStrukturen, die <strong>für</strong> die Anlage von Almenvorhanden sein mussten (vgl. Haltepunkt2). Gut ist im Blick auf die im N sich erhebendeBergkette (Stadelfeldschneid,Gsuchmauer, Glaneggturm) zu erkennen,warum sich viele Almen der Gesäusebergein auffallend tiefer Lage befinden: Es istdas an den Dachsteinkalk geb<strong>und</strong>ene Steilreliefder Hochlagen, das dort schlicht <strong>und</strong>einfach die Errichtung von Hütten nichterlaubt(e). Allerdings wurden die steilenFlanken, sofern sie noch rasendurchsetztwaren, sehr wohl vom weidenden Viehbegangen, was das in der Alpenvereinskarteverzeichnete Namensgut unmissverständlichzum Ausdruck bringt (z.B.Kölbl-Galtviehmäuer). Rasenflächen, diedem Vieh zu steil waren, wurden abernoch gemäht, denn die Existenzsicherungder bäuerlichen Betriebe beruhte beiden geringen Flächenproduktivitäten vordem 20. Jh. auch auf der Nutzung selbstschwerst zugänglicher Flächen.Die völlige Aufgabe jeglicher Kolonisationstätigkeitin diesen Arealen wirdheute unter dem Schutzaspekt des Nationalparksals positiv bewertet. Allerdingsist auch hierbei festzustellen, dass die Renaturierungkeineswegs linear zum „natürlichen“System zurückführt <strong>–</strong> so etwaist vermehrtes Auftreten von Schneeschurfplaikenauf nicht mehr beweidetenSteilhängen (etwa an der Westflanke desGlaneggturms) fotographisch dokumentiert(genauere Forschungen dazu stehenjedoch noch aus).Haltepunkt 6: Almwirtschaft (Neuburgalm/Huberalm, Abb. 8)Neuburgalm oder kurz „die Neuburg“ist eine Sammelbezeichnung <strong>für</strong> die Almflächenbeiderseits des Neuburgsattelszwischen der Schröck- <strong>und</strong> der RadmererNeuburgalm. Das „Herzstück“ der Neuburgist die weite Wiesenmulde, in derenMitte die bewirtschaftete Huberalm(1389m) steht. Der Name Neuburg dürftesich auf ein heute nicht mehr lokalisierbaresmittelalterliches Gebäude an derGrenze zwischen den Besitzungen desStifts Admont (Johnsbachtal) <strong>und</strong> denendes Landes<strong>für</strong>sten (Radmer) beziehen.Daher kann man davon ausgehen, dass zumindestseit damals hier ununterbrochenAlmwirtschaft betrieben wurde. DerenEntwicklung <strong>und</strong> Wandel kann auf derNeuburgalm gut nachverfolgt werden:• Beruhend auf den günstigen Geländebedingungen(Werfener Schiefer mitglazialer <strong>und</strong> periglazialer Sedimentüberdeckung)wurde der Wald <strong>–</strong> möglicherweiseausgehend von Kahlschlägen<strong>–</strong> gerodet, besonders an den sonnseitigenHängen bis hinauf zum Hüpflingerhals.• Im Laufe der Zeit kam es zur Errichtungvon 15 Almgebäuden, von denendie meisten mit der Extensivierung derAlmwirtschaft im 20. Jh. wieder abkamen.• Die Almwirtschaft erscheint in jüngsterZeit wieder konsolidiert: Die Bewirtschaftungerfolgt durch die „WeidegemeinschaftNeuburgalm“, der 11Bauern gehören. Es werden derzeit 150Weidetiere (Galtvieh <strong>und</strong> Mutterkühe)gesömmert, die von einem Halter beaufsichtigtwerden, der auf der Huberalmwohnt <strong>und</strong> diese gleichzeitig alsJausenstation bewirtschaftet.• Während die Areale mit hoher BonitätKASTEN 3:Mögliche integrativeFragestellungen zu Haltepunkt3 (Almwirtschaft):• Welche natürlichen <strong>und</strong> sozioökonomischenVoraussetzungen führten dazu,dass schon vor Jahrh<strong>und</strong>erten, möglicherweiseJahrtausenden, Almen angelegtwurden?• Worin liegt die wirtschaftliche Bedeutungvon Almen in der heutigen Zeit?• Was könnten die Ursachen da<strong>für</strong> sein,dass die Almwirtschaft nur in Ausnahmefällenrentabel geführt werden kann?• Welche Aktivitäten gehören heute zumBerufsalltag der „Almleute“?• Warum würdest du dich (nicht) um einenFerialjob auf einer Alm bewerben?37


GeoGraz 52 - 2013UNTERWEGS MIT GEOGRAZAbb. 9: Radmerer Neuburgalm mit Blick nach Osten zur Kaiserschildgruppe (eigenes Foto)im Umkreis der Almhütten nach wievor intensiv beweidet werden, unterliegendie höheren <strong>und</strong> steileren Lagenmit nachlassendem Weidedruck <strong>und</strong>unterlassenen Pflegearbeiten starkenRenaturierungsprozessen durch Sukzession(vgl. dazu Werschonig 2009)KASTEN 4:Mögliche integrativeFragestellungen zu Haltepunkt8 (Alm- <strong>und</strong> Forstwirtschaft):• Worin besteht das Problem der Waldweideaus der Sicht der Forstwirtschaft?• Worin besteht das Problem der Waldweideaus der Sicht der Almwirtschaft?• Welche Funktionen werden dem Waldzugewiesen?• Was könnten die Ursachen da<strong>für</strong> sein,dass speziell auch der Nationalpark dieTrennung von Weide- <strong>und</strong> Almflächenunterstützt?Im Nahbereich der Huberalm liegen ausgedehnteLägerfluren, das sind Areale, dievom Weideunkraut Alpenampfer (Rumexalpinus) eingenommen werden. Hierbeihandelt es sich um eine nicht intendierteKolonisierungsfolge, nämlich Überdüngungan jenen hüttennahen Stellen, andenen sich das Vieh besonders häufigaufhält. Solche Areale wieder als Weideflächenzurückzugewinnen, wäre zwarerwünscht, erfordert aber arbeitsintensivePflegemaßnahmen, die in den meistenFällen (wie auch hier) aus Kostengründenunterbleiben (Kasten 3), so lange keineeinschlägigen Entgelte hier<strong>für</strong> verfügbargemacht werden.Ein weiterer geographisch interessanterAspekt ist das System von Lagebeziehungen,worin die Almwirtschaft eingeb<strong>und</strong>enist. Hierbei ist zwischen normativenSetzungen auf verschiedenenMaßstabsebenen zu unterscheiden:• Der Großgr<strong>und</strong>besitz ist wie in denmeisten Gebieten im Osten der österreichischenAlpen ein Ausdruck überregionalerwirtschaftlicher Interessen.Auf den Johnsbacher Almen war hierbeivor allem der Holzbedarf <strong>für</strong> dieEisenverarbeitung im Umkreis des Erzbergesder entscheidende Faktor. Er begründeteeine Jahrh<strong>und</strong>erte währendeStreitgeschichte um die Bewirtschaftungder Wälder (Hasitschka 2005)<strong>und</strong> beschränkte die Bergbauern- <strong>und</strong>Almwirtschaft auf (im Gegensatz zuWestösterreich) kleine Areale, weshalbder Wald das Landschaftsbild dominiert.• Die Nutzungsrechte der meisten Almenin den östlichen Gesäusebergenhatten ursprünglich Bauern aus derUmgebung von Admont inne, weil anden dortigen Berghängen zu geringe,als Almen nutzbare Flächen zur Verfügungstanden. Die traditionellenAlmen der Johnsbacher Bauern lagenAbb. 10: Pfarralm mit Blick nach NNE zum Glaneggturm, imVordergr<strong>und</strong> das Meerauge (eigenes Foto)hingegen an der Schattseite des Tales(Grauwackenzone). Erst im Laufe des20. Jhs. kamen auf der Neuburg auchJohnsbacher Bauern zu Almrechten <strong>–</strong>der Huber hat beispielsweise die nachihm benannte Alm erst seit 1976 inne.• Im lokalen Maßstab differiert die Flächeninanspruchnahmeden Sachlogikender Weidewirtschaft folgend.Besonders bedeutend ist hierbei derWeideumtrieb, das ist die Beweidungjeweils unterschiedlicher Flächen imLaufe der Weidezeit, um den Weidedruckauf die zur Verfügung stehendeFläche annähernd gleichmäßig zu verteilen.In den traditionellen Flurnamenfinden sich noch Namen wie Freitagriedloder Sonntagleiten (beide NW<strong>und</strong> N der Huberalm), die an den einsteinem strengen, erfahrungsbasiertenRhythmus gehorchenden Weideumtrieberinnern.Haltepunkt 7: Almwirtschaft (RadmererNeuburgalm, Abb. 9)Dieser Abstecher folgt der Almstraßezum Neuburgsattel <strong>und</strong> passiert dabeidas Kern-Marterl, das an den tragischenTod eines Almhalters <strong>und</strong> somit an diefrüheren Arbeitswelten <strong>und</strong> sozialen Bedingungenerinnert, die bei Hasitschkau. Lieb (2012) detailliert geschildert sind.Es kann die generalisierte Aussage getroffenwerden, dass die Arbeit der Almleute(wie die aller anderen Angehörigen38


UNTERWEGS MIT GEOGRAZder bäuerlichen Subsistenzkultur) weithinSchwerarbeit, deren soziales Ansehen wegender hohen Verantwortung <strong>für</strong> das lebensnotwendigeVieh jedoch relativ hochwar. Über die aktuellen Gegebenheitengibt das Personal auf den bewirtschaftetenHütten gerne Auskunft.Die Radmerer Neuburgalm liegt jenseitsdes vom Radmerer Moos, einemgeräumigen Hochmoor, eingenommenenNeuburgsattels (1439 m). Sie bietet einenhervorragenden Blick über das Radmertalhinweg zu den Eisenerzer Alpen mit derKaiserschildgruppe (Hochkogel, 2105 m).Abb. 11: Kölblalm mit Blick nach S zum Leobner (Eisenerzer Alpen) (eigenes Foto)hung als Toteisloch in spätglazialen Sedimentengedeutet wird. Die nahe Hütte <strong>und</strong> Forstwirtschaft (Grenzstein bei der Ab-Haltepunkt 10: AlmderPfarralm (1302 m) dient nicht mehr zweigung zur Kölblalm)der Almwirtschaft, sondern als Freizeitwohnsitz.Die Fläche südöstlich davon schon nahen Kölblalm verdient Aufmerk-Der Felsblock beim Wegweiser zur hierist das markante Beispiel eines im ersten samkeit, weil er ein Dokument <strong>für</strong> die Sicherungvon Nutzungsrechten darstellt.Jahrzehnt des 21. Jhs. erfolgten Reinweidetauschesauf dem Gr<strong>und</strong>besitz der Die in den 1870er Jahren angebrachte,Steiermärkischen Landesforste. Mit diesemPilotprojekt reagierten die beteiligten <strong>für</strong> die Innerberger Hauptgewerkschaftfarbig hervorgehobene Gravur „IH“ stehtAkteure (Gr<strong>und</strong>besitzer, Almberechtigte, <strong>und</strong> erinnert an deren Nutzungsprivileg inAgrarbehörde, Alminspektion) auf den Bezug auf die Wälder. Die an den beidenseit Jahrh<strong>und</strong>erten schwelenden, <strong>für</strong> weite Seiten im unteren Teil des Blockes eingraviertenBuchstaben „S“ <strong>und</strong> „R“ stehenTeile der Alpen typischen Nutzungskonfliktder Waldweide (Kasten 4). Flaches, <strong>für</strong> Stockrecht <strong>und</strong> <strong>Raum</strong>recht: Ersteres<strong>für</strong> die Beweidung günstiges Gelände bedeutet alleinige Forstnutzung, letzteres(hier eine spätglaziale Moräne) wurde gerodet<strong>und</strong> eingesät <strong>und</strong> damit Reinweide dung der Fläche. Es handelt sich also umdas Recht eines Begünstigten zur Bewei-geschaffen. Im Gegenzug wurden Waldflächenausgezäunt <strong>und</strong> diesen damit Ge-Wald <strong>und</strong> Weide, vergleichbar demeine frühe Festlegung zur Trennung vonmo-legenheit zur erwünschten Renaturierunggegeben. Für einen vertieften Einblick indie Waldgesellschaften der Gesäusebergewird auf Zimmermann u. Kreiner (2012)verwiesen.Haltepunkt 9: Lawinen (Hirschofen)Die Almstraße überquert beim Hirschofendie Lawinenbahn im Auslauf desKammerlgrabens <strong>und</strong> der Weitplan (Abb.2), was an der Waldfreiheit des Geländesgut zu erkennen ist. In den meisten Jahrenliegt hier bis weit in das Frühjahr hineinLawinenschnee, der zu Beginn der Almzeithäufig erst beseitigt werden muss, umdie Zufahrt zu ermöglichen. Für nähereInformationen zur Lawinensituation wirdauf Hasitschka u. Lieb (2012, 98 u. 112)verwiesen.dernen Reinweidetausch (wie bei Haltepunkt8 beschrieben).Haltepunkt 8: Alm- <strong>und</strong> Forstwirtschaft(Pfarralm, Abb. 10)Auffälligstes Formenelement auf derPfarr alm ist das „Meerauge“, ein kleiner,fast kreisr<strong>und</strong>er See, dessen Entste-Abb. 12: Winterliche Ebnerklamm mit einem der beiden Straßentunnels (eigenes Foto)Haltepunkt 11: Almwirtschaft <strong>und</strong> Nationalpark(Kölblalm, Abb. 11)Auch die Kölblalm (1108 m) ist in ihremheutigen Erscheinungsbild ein ProduktJahrtausende währender Kolonisierungstätigkeitmit unterschiedlichen Funktionen:• In unmittelbarer Nähe der Hütte istein prähistorischer Kupferschmelzplatznachgewiesen. Bemerkenswertist, dass die nächst liegende, potenziellkupfererzhältige Gesteinsserie etwa2km Luftlinie (nahe der Zeiringeralm)entfernt ist. Das Erz muss also mühsamzur Verhüttung hierher <strong>und</strong> dannnoch mühsamer über den Hauptkammder Eisenerzer Alpen zu den Verbrauchernbzw. zum überregionalen Handelswegim Paltental getragen wordensein. Dies macht nur Sinn, wenn manannimmt, dass die zur Verhüttung notwendigeRessource Holz direkt an denAbbaustätten, also an der JohnsbacherSchattseite, nicht mehr ausreichend zurVerfügung stand. Das bedeutet, dassdie Hänge damals also schon weitflächigentwaldet gewesen sein dürften <strong>–</strong>mit entsprechenden (jedoch noch nichterforschten) Rückwirkungen auf dieMorphodynamik!• Wie die Zeiringer- war auch dieKölblalm ursprünglich ein ganzjährigbewohnter Hof, der als Schwaige (aufViehwirtschaft spezialisierter Betrieb)bereits 1335 in einer Urk<strong>und</strong>e erwähntwurde. Diese Funktion sieht man dem39


GeoGraz 52 - 2013UNTERWEGS MIT GEOGRAZGebäude noch daran an, dass ein Teildes Untergeschoßes gemauert ist, wasnicht der Bauweise von Almhütten indiesem Teil der Alpen (ausschließlicheVerwendung von Holz) entspricht.• Seit dem 18. Jh. hat die Kölblalm ihreheutige Funktion als Alm, seit dem 19.Jh. gehört sie zum Namen gebendenKölblgut (heutiger Kölblwirt). Heutewerden hier Mutterkühe mit ihrenKälbern gesömmert <strong>und</strong> die Alm ist alsJausenstation ein viel besuchtes Ausflugs-<strong>und</strong> Wanderziel.In Bezug auf den Nationalpark Gesäuse isterwähnenswert, dass die Kölblalm als einzigePrivatparzelle Teil des NationalparksKASTEN 5:Mögliche integrativeFragestellungen zu Haltepunkt11 (Nationalpark):• Welche möglichen Nutzungen könnenmit den Intentionen des Nationalparks inKonkurrenz treten?• Worin könnte der Wert von Almflächen<strong>für</strong> den Nationalpark liegen?• Warum ist die einheimische Bevölkerung<strong>–</strong> wie auch hier im Gesäuse <strong>–</strong> anfänglichhäufig skeptisch, wenn es um die Einrichtungvon Großschutzgebieten geht?• Welche positiven Wirkungen von Schutzgebietenwie dem Nationalpark führenschließlich zu deren Akzeptanz bei derBevölkerung?• Welche Bedeutung hat das Attribut „Nationalpark“<strong>für</strong> dich pesönlich?ist. Die übrige Fläche befindet sich imBesitz der Steiermärkischen Landesforste,was letztlich ein Resultat der anfänglichenSkepsis der Gr<strong>und</strong>besitzer <strong>und</strong> Almberechtigtengegenüber dem Nationalparkauf Gr<strong>und</strong> be<strong>für</strong>chteter Nutzungseinschränkungenwar (Kasten 5). DieserUmstand erklärt auch den eigenartigenGr<strong>und</strong>riss des Nationalparkgebietes, dassich von wenigen Arealen (wie etwa hier<strong>und</strong> im Bereich des Prügelweges) abgesehenausschließlich auf Gebiete mit schroffemHochgebirgsrelief, auf denen keineNutzungsinteressen bestehen, beschränkt.40Haltepunkt 12: Verkehrswege im Hochgebirge(Ebnerklamm, Abb. 12)Durch die kurze, aber pittoreske Ebnerklamm,entstanden als Durchbruch desKlammbaches durch die Dachsteinkalk-Scholle der Ebnermauer, wurde erst imZweiten Weltkrieg eine Straße angelegt,die in den 1950er Jahren zur Kölbl- <strong>und</strong>Neuburgalm verlängert wurde. Die Zugängezu den Almen umgingen bis dahindie Klamm (zur Kölblalm etwa entlangdes westlich gelegenen Pernsolbaches) <strong>und</strong>verloren nach der Errichtung der Straßeihre ursprüngliche Funktion, blieben indiesem Fall jedoch jeweils als markierteWanderwege erhalten. Das Beispiel zeigt,wie durch eine Kolonisierungstätigkeitnicht nur das Natursystem verändert,sondern langfristig auch das <strong>Raum</strong>verhaltender betroffenen Menschen beeinflusstwird: Die Straße hat mit dazu beigetragen,dass die Beaufsichtigung des Viehs nunmehrvom Heimhof aus möglich ist, wasweniger Personal auf den Almen erfordert.QUELLENVERZEICHNISBauer C. (2009): Interaktionen zwischenMensch <strong>und</strong> Karst. Ein integratives Funktionsmodell<strong>und</strong> seine praktische Anwendungam Beispiel Tanneben, Steiermark.In: Mitteilungen der ÖsterreichischenGeographischen Gesellschaft 151, 119-140.Fischer-Kowalski M., Erb K. (2006): Epistemologische<strong>und</strong> konzeptuelle Gr<strong>und</strong>lagender Sozialen Ökologie. In: Mitteilungender Österreichischen GeographischenGesellschaft 148, 33-56.Hasitschka J. (2005): Gesäusewälder. EineForstgeschichte nach Quellen von denAnfängen bis 1900. Schriften des NationalparksGesäuse 1, Admont, 120 S.Hasitschka J. (2010): Alpingeschichte kurz<strong>und</strong> bündig <strong>–</strong> Johnsbach im Gesäuse.Hrsgg. v. Österreichischen Alpenverein,Innsbruck, 122 S.Hasitschka J., Lieb G. K. (2012): Naturk<strong>und</strong>licherFührer Johnsbacher Almen. Einkulturgeschichtlicher Wanderführer. Naturk<strong>und</strong>licherFührer B<strong>und</strong>esländer, Band18 (hrsgg. v. Österreichischen Alpenverein),Innsbruck, 184 S.Lieb G. K., Premm M. (2008): Das Johnsbachtal<strong>–</strong> Werdegang <strong>und</strong> Dynamik imFormenbild eines zweigeteilten Tales. In:Der Johnsbach. Schriften des NationalparksGesäuse 3, Weng, 12-24.Thonhauser H. C. (2008): Verbauungsgeschichte<strong>und</strong> der daraus resultierendeGewässerstrukturwandel. In: Der Johnsbach.Schriften des Nationalparks Gesäuse3, Weng, 25-36.Weichhart P. (2003): Physische <strong>Geographie</strong><strong>und</strong> Humangeographie <strong>–</strong> eine schwierigeBeziehung: Skeptische Anmerkungen zueiner Gr<strong>und</strong>frage der <strong>Geographie</strong> <strong>und</strong> zumMünchner Projekt einer „Integrativen Umweltwissenschaft“.In: Heinritz G. (Hrsg.),Integrative Ansätze in der <strong>Geographie</strong><strong>–</strong> Vorbild oder Trugbild? MünchnerSymposium zur Zukunft der <strong>Geographie</strong>,28.4.2003. Eine Dokumentation. MünchnerGeographische Hefte 85, 17-34.Werschonig E. (2009): Vegetationsökologisch-physiogeographischeExkursion inden steirischen Nationalpark Gesäuse.In: Hitz H., Wohlschlägl H. (Hrsg.), Dasöstliche Österreich <strong>und</strong> benachbarte Regionen.Ein geographischer Exkursionsführer.Böhlau Verlag, Wien, Köln, Weimar,333-343.Zimmermann T., Kreiner D. (2012): LuftbildbasierteModellierung der aktuellenWaldvegetation <strong>für</strong> das Natura-2000-GebietEnnstaler Alpen & Nationalpark Gesäuse(Nördliche Kalkalpen, Steiermark).In: Mitteilungen des naturwissenschaftlichenVereines <strong>für</strong> Steiermark 142, 99-116.


AUSSERDEMAktuelles aus der Grazer <strong>Geographie</strong>Posterausstellungdes Verbands derwissenschaftlichen<strong>Geographie</strong> Österreichs <strong>–</strong>geographieverband.at imMärz <strong>und</strong> April in GrazDie Posterausstellung des Verbands derwissenschaftlichen <strong>Geographie</strong> Österreichs<strong>–</strong> geographieverband.at wurde <strong>für</strong> denInternational Geographical Congress (IGC)im August 2012 in Köln vom geographieverband.atkonzipiert. Damit wurden zwei Zieleverfolgt: Zum einen die Möglichkeit zur internationalenPräsentation der österreichischengeographischen Forschung <strong>und</strong> zumzweiten die Präsentation <strong>und</strong> weitere Bekanntmachungdes geographieverband.at.Für die Strukturierung der Darstellung dergeographischen Forschung Österreichswurde auf die thematische Gliederung desInternational Geographical Congress zurückgegriffen.Jedes der vier Themen Urbanizationand Demographic Change, Environmentand Society, Global Change andGlobalization <strong>und</strong> Risks and Conflicts wurdevon je zwei ProfessorInnen kuratiert. Österreichweitwurden WissenschafterInnen anGeographischen <strong>Institut</strong>en <strong>und</strong> an geographienahen<strong>Institut</strong>en der ÖsterreichischenAkademie der Wissenschaften eingeladen,Posterbeiträge zu diesen Themen einzureichen.Davon wurden je Thema vier Einreichungenausgewählt. Die in einem einheitlichenLayout gestaltete Ausstellung bestehtsomit aus 16 thematischen Postern von inÖsterreich tätigen WissenschafterInnen <strong>und</strong>aus drei ergänzenden Postern zum geographieverband.at,zu den fünf geographischen<strong>Institut</strong>en an österreichischen Universitätensowie zu drei geographischen Forschungsinstituten<strong>und</strong> der Österreichischen GeographischenGesellschaft.Seit Ende des vergangenen Jahres ist dieAusstellung als Wanderausstellung an verschiedenen<strong>Geographie</strong>standorten in Österreichzu sehen. In den Monaten März <strong>und</strong>April wird die Ausstellung im <strong>Institut</strong> <strong>für</strong><strong>Geographie</strong> <strong>und</strong> <strong>Raum</strong>forschung der UniversitätGraz, Heinrichstraße 36, im Parterregezeigt.Neues aus demRegionalenFachdidaktikzentrum<strong>Geographie</strong> <strong>und</strong>Wirtschaftsk<strong>und</strong>eAm Fachdidaktiktag im Rahmen der IMST-Österreich-Tagung vom 25. bis 27.9.2012in Klagenfurt war die Grazer Fachdidaktik<strong>Geographie</strong> <strong>und</strong> Wirtschaftsk<strong>und</strong>e <strong>und</strong> somitdas Regionale Fachdidaktikzentrum GW(RFDZ) durch Martin Möderl vertreten. Zusammenmit FachdidaktikerInnen von anderenUniversitäten <strong>und</strong> Pädagogischen Hochschulensowie SchulpraktikerInnen wurdensehr konstruktiv verschiedene Aspekte dermomentanen (Fach-)Didaktikdiskussion erörtert.Beispielsweise wurde beschlossen,dass die Fachgruppe Fachdidaktik der <strong>Geographie</strong><strong>und</strong> Wirtschaftsk<strong>und</strong>e vertretendurch den „Verein <strong>für</strong> <strong>Geographie</strong>- <strong>und</strong>Wirtschaftserziehung“ der tags zuvor neugegründeten Österreichischen Gesellschaft<strong>für</strong> Fachdidaktik (ÖGFD) beitreten soll. DieÖGFD bietet zukünftig eine Plattform allerFachdidaktiken <strong>und</strong> stellt ein gemeinsamesSprachrohr der Fachdidaktik dar, welches imZuge der bevorstehenden Umsetzung derLehrerInnenbildung NEU an Bedeutung gewinnenwird.Weiters wurden die Kompetenzorientierungin GW <strong>und</strong> die Vorwissenschaftliche Arbeitin GW besprochen <strong>und</strong> Problemfelder bzw.Anforderungen an zukünftige Aus- <strong>und</strong> Fortbildungsschwerpunktediskutiert. Vor allemdas Formulieren geeigneter Forschungsfragenvor dem Hintergr<strong>und</strong> eines aktuellenfachwissenschaftlichen Diskurses kann möglicherweiseeine Schwierigkeit darstellen.Das RFDZ hat im vergangenen Jahr sehr starkan der Konzeptionierung des Projektes IMST2013-2015 („Innovationen machen Schulentop“) <strong>und</strong> damit verb<strong>und</strong>en an der allgemeinenWeiterentwicklung der regionalenFachdidaktikzentren mitgewirkt. In dreizweitägigen österreichweiten Workshopswurden Leitfragen <strong>und</strong> Qualitätsrichtlinien<strong>für</strong> RFDZ <strong>und</strong> mögliche zukünftige RECC(Regional Educational Competence Centers)Mittels unterschiedlicher Methoden werdenStrukturen <strong>und</strong> Prozesse innerhalb der wirkendenAkteursgruppen in den als Good-Practice Regions fungierenden Partnerregionen(„Geberregionen“) analysiert <strong>und</strong> aufihre Erfolgs- aber auch Misserfolgsfaktorenhin untersucht. Gemeinsam mit der UniversitätFreiberg unternimmt unser <strong>Institut</strong> Anfestgelegt.Durch die Vernetzung mit allensteirischen Bildungseinrichtungen <strong>und</strong> derneuen Professur <strong>für</strong> Humangeographie unterBerücksichtigung der Fachdidaktik am<strong>Institut</strong> <strong>für</strong> <strong>Geographie</strong> <strong>und</strong> <strong>Raum</strong>forschung(Prof. U. Ermann) ist das steirische RFDZ GWbestens <strong>für</strong> kommende Aufgaben gerüstet!Ein wichtiges Anliegen ist dem RFDZ auch,eine weiterhin verstärkte Präsenz im regionalenNetzwerk (RN) IMST-Steiermark zuzeigen. Ging die Anzahl an Förderanträgen<strong>für</strong> Schulprojekte in letzter Zeit deutlich zurück,so konnte im letzten Schuljahr wiederein leichter Anstieg verzeichnet werden.Durch die verbesserte Kooperation RFDZ<strong>–</strong> RN konnten beispielsweise Studierendedes <strong>Institut</strong>es am letzten Großprojekt desRN teilnehmen. Am 19.12.2012 wurde inder Aula der PH Stmk ein „Pub Science“mit 30 Experimentiertischen <strong>und</strong> r<strong>und</strong> 200BesucherInnen unter Beteiligung von Lehramtsstudierendenunseres <strong>Institut</strong>es durchgeführt.Die Vernetzungstätigkeiten sollenzukünftig weiterhin verstärkt werden, umdaraus gewonnene Synergien <strong>und</strong> Fördermöglichkeitennoch stärker nutzen zu können.ShiFT-X Projekt gestartetDas in der letzten Ausgabe von GeoGraz(51/2012) vorgestellte Central Europe-ProjektSHIFT-X hat seine Auftaktveranstaltungbeim polnischen Projektpartner, derStadtverwaltung Bydgozscz/Polen, hintersich gebracht <strong>und</strong> befindet sich nun inmittender Phase des gegenseitigen Wissens- <strong>und</strong>Erfahrungsaustausches (im Projekt als „Tandem-meetings“bezeichnet). Diese Treffen,die Mitte Februar bis Mitte März 2013 in Leoben,Welzow (D) <strong>und</strong> Genk (B) stattfinden,sind als wesentliche Bausteine zu verstehen,damit darauf aufbauend im Rahmen des WP3 („Advancing management structures forcultural heritage in old-industrialised regions“;Verantwortlichkeit UNI Graz) inhaltlichweitergearbeitet werden kann.41


GeoGraz 52 - 2013 AUSSERDEMstrengungen, wissenschaftliche Erkenntnissezu generieren <strong>und</strong> zu publizieren. Von dengewonnenen Erkenntnissen sollen im SHIFT-X Projekt in erster Linie die so genannten„Nehmerregionen“ profitieren, danebenaber auch möglichst viele andere Altindustrieregionen,die sich gerade am Weg inRichtung Neuorientierung befinden. DerMuseumsverb<strong>und</strong> Leoben/Steirische Eisenstraßestartet mit diesem Prozess <strong>und</strong> wirddeshalb von allen Projektpartnern Mitte Februar2013 aufgesucht <strong>und</strong> in Hinblick aufseine Erfolgsfaktoren analysiert.Im Rahmen des SHIFT-X Projektes sind nebendem Projektleiter W. Fischer zwei weiterePersonen tätig, die wir Ihnen im Folgendengerne vorstellen. Verena Scharf ist<strong>Geographie</strong>-Studierende an unserem <strong>Institut</strong>(Schwerpunkt „Nachhaltige Stadt- <strong>und</strong> Regionalentwicklung“)<strong>und</strong> seit Oktober 2012im SHIFT-X Projekt tätig, worin sie ihre Abschlussarbeitverfassen wird. Während ihresMasterstudiums erlangte sie nicht nur inVerena ScharfJörn HarfstGraz ihr Fachwissen, sondern auch am <strong>Institut</strong><strong>für</strong> Geographische Wissenschaften derFreien Universität in Berlin. Im Rahmen vonLehrveranstaltung war sie als studentischeMitarbeiterin tätig. Des Weiteren befasstsie sich mit den Themen Orts- <strong>und</strong> Regionalentwicklung,Nachnutzungsoptionen beigewerblich Ablagerungsflächen <strong>und</strong> Aufbauvon Kompetenzzentren.Jörn Harfst hat bis 2005 an der UniversitätHamburg <strong>und</strong> an der Universität Southamptonstudiert. Danach war er im Rahmen derProjekte TransEcoNet, KLIMAfit <strong>und</strong> Re-SOURCE (<strong>Institut</strong> <strong>für</strong> ökologische <strong>Raum</strong>entwicklungin Dresden) tätig. Im Rahmen dieserTätigkeiten sind bereits einige Publikationenentstanden (siehe Homepage des <strong>Institut</strong>s).Seine Interessensgebiete (Forschungsschwerpunkte)sind Fragen der Stadt- <strong>und</strong>Regionalentwicklung, urbane <strong>und</strong> regionaleGovernance-Prozesse, Altindustrieregionen,Regionale Umbau- <strong>und</strong> Vernetzungsprozessein Europa sowie Forschungs- <strong>und</strong> Projektmanagementeuropäischer Forschungs<strong>und</strong>Kooperationsprojekte.Aktuelles aus demProjekt EduCampEduCamp (Education for Sustainable Developmentbeyond the Campus) ist ein von derEU gefördertes TEMPUS-Projekt. Beginnendmit Herbst 2010 sind sechs europäischePartner (aus Österreich, Deutschland, Irland<strong>und</strong> Portugal) <strong>und</strong> 14 ägyptische Partner indieses Projekt involviert, welches von derRWTH Aachen geleitet wird. An der UniversitätGraz ist das RCE Graz-Styria unterLeitung von O.Univ.-Prof. Friedrich M. Zimmermanninvolviert.Ziel von EduCamp ist es, Bildung <strong>für</strong> nachhaltigeEntwicklung (BNE) in die ägyptischeGesellschaft zu tragen <strong>und</strong> Universitäten<strong>und</strong> Schulen strukturell miteinander zu verbinden.Dies passiert durch die Errichtungvon Bildungszentren an sieben ägyptischenUniversitäten, der Entwicklung von innovativenLehrmaterialien zu BNE, die an dieägyptischen Schulcurricula angepasst sind<strong>und</strong> SchülerInnen verstärkt in den Unterrichteinbeziehen sollen, sowie durch dieDurchführung eines Training of TrainersPrograms, wo ProfessorInnen zu BNE weitergebildetwerden, die dann wiederumLehrerInnen in Ägypten fortbilden. Am RCEGraz-Styria führten Dr. Clemens Mader <strong>und</strong>Mag a . Marlene Mader bereits zwei Trainingszu Nachhaltiger Entwicklung durch (imMärz <strong>und</strong> November 2012), wo jeweils ca.18 TeilnehmerInnen von unterschiedlichenägyptischen Universitäten <strong>und</strong> Schulen eineWoche lang in interaktiven Workshops <strong>und</strong>Inputsessions gemeinsam ein Verständnis<strong>für</strong> BNE <strong>und</strong> deren Anwendbarkeit in Ägyptenentwickelten.Schon jetzt können die Erkenntnisse gewonnenwerden, dass die Stärken von EduCamp(1) in der Arbeit in einem Multi-StakeholderKonsortium liegen (neben Universitäten sindRCEs, Forschungseinrichtungen, Ministerien<strong>und</strong> NGOs involviert), (2) dem Eingehen auflokale Bedürfnisse <strong>und</strong> Herausforderungen(Abstimmung der Lehrmaterialien <strong>und</strong> Lehrmethodenauf die regionale Lebenswelt derSchülerInnen), (3) der Planung von Aktivitätennach Projektende (durch die Einbindungder Ministerien <strong>und</strong> Folgeprojektewird eine Weiterführung <strong>und</strong> Implementierungder Aktivitäten gewährleistet), sowie(4) durch die persönliche Motivation derPartner, deren Überzeugung, Engagement<strong>und</strong> Know-How essentiell <strong>für</strong> den Erfolg desProjektes sind.Trotz der schwierigen politischen Lage inÄgypten, was insbesondere in der Zusammenarbeitmit den Ministerien <strong>für</strong> Herausforderungsorgt, da sich durch personelleUmstrukturierungen die Ansprechpartner inden letzten Monaten mehrmals änderten,sind die Meilensteine des Projektes gut imPlan. Von 19.-21. Februar findet an der UniversitätGraz ein Projektmeeting statt, umweitere Schritte bis zum Projektende (Herbst2013) zu planen <strong>und</strong> bisher Geschehenes zureflektieren.Weiterführende Informationen finden sichauf: www.educamp.eu.Sustainicum <strong>–</strong> Plattform<strong>für</strong> NachhaltigkeitSUSTAINICUM (Nachhaltigkeit in der Lehre<strong>–</strong> die Ökologische Dimension. Basiswissen<strong>für</strong> Alle) ist ein Kooperationsprojekt der UniversitätGraz, der Universität <strong>für</strong> Bodenkul-42


AUSSERDEMtur Wien sowie der Technischen UniversitätGraz. Es zielt darauf ab, nachhaltigkeitsrelevanteThemen aus der Sicht verschiedenerFachgebiete in die universitäre Lehreeinzubringen. Zu diesem Zweck wurde einePlattform aufgebaut, auf der Ressourcenverschiedenen Typs (Bausteine, Lehrmethoden,Skripten <strong>und</strong> Lehrmodule) gesammelt<strong>und</strong> angeboten werden. Diese Ressourcensollen Lehrende inhaltlich <strong>und</strong> durch die Anwendunginnovativer Lehrformen unterstützen<strong>und</strong> ein systemisches <strong>und</strong> ganzheitlichesDenken fördern.• Bausteine sind thematisch begrenzte Einheiten(wie Experimente, Computersimulationen,Spiele <strong>und</strong> kleine Projekte <strong>für</strong>Studierende) zur Erlebbarmachung <strong>und</strong>Veranschaulichung von Begriffen, Prozessen<strong>und</strong> Zusammenhängen mit Nachhaltigkeitsbezug.Hier liegt der Fokus aufmöglichst leicht verständlichen <strong>und</strong> möglichstwenig Zeit beanspruchenden Tools.• Lehrmethoden geben Auskunft über moderneWege, Studierende zu aktivieren<strong>und</strong> innovative Lehrformen in die Lehrezu integrieren <strong>und</strong> auf diese Weise Studierendenbei der Erarbeitung <strong>und</strong> Festigungvon Wissen sowie bei der Erlangung vonKompetenzen zu helfen.• Skripten zu Lehrveranstaltungen mitNachhaltigkeitsbezug ergänzen den Poolan inhaltlichen Ressourcen.• Lehrmodule sind didaktisch-methodischausgereifte Lehrkonzepte zur Vermittlungnachhaltigkeitsrelevanter Inhalte <strong>und</strong>Kompetenzen <strong>und</strong> reichen von Lehrveranstaltungseinheitenüber Lehrveranstaltungen<strong>und</strong> Lehrveranstaltungsblöcken biszu umfangreichen Curricula <strong>und</strong> Konzepten<strong>für</strong> Sommerschulen.Querbezüge zwischen diesen Ressourcenhelfen bei der Schaffung neuer Lehrveranstaltungen,vom inhaltlichen Detail überpädagogisch-didaktische Methoden bis zugroßen curricularen Konzepten. Die Ressourcenauf dieser Plattform stehen ab März2013 unter www.sustainicum.at frei <strong>für</strong> denEinsatz in der Lehre <strong>und</strong> <strong>für</strong> die Lehrplanungzur Verfügung. Lehrende können einerseitsvorhandene Ressourcen nutzen, andererseitsaber auch ihre eigenen Materialien,Methoden <strong>und</strong> Konzepte zu nachhaltigkeitsrelevantenThemen auf der Plattformzur Verfügung stellen. Eine Fokussierungauf ökologische <strong>und</strong> naturwissenschaftlicheAspekte soll vor allem bei weiblichen Studierendendas Interesse <strong>für</strong> die MINT-FächerMathematik, Informatik, Naturwissenschaften<strong>und</strong> Technik wecken (Das Projektwird im Rahmen der Ausschreibung ProjektMINT-Massenfächer (2011) vom österreichischenBMWF gefördert).Kontakt: O. Univ.-Prof. Dr. Friedrich M. Zimmermann(friedrich.zimmermann@uni-graz.at), Ricarda Rindlisbacher MSc BSc (ricarda.rindlisbacher@uni-graz.at)Eine neueMitarbeiterin in derForschungsgruppe AlpineLandschaftsdynamikMag a . phil. Isabel Egartnerstammt aus demkleinen Ort Arriach, dersich in der Region derNockberge in Kärntenbefindet. Sie hat an derUniversität Graz einStudium der Archäologieabgeschlossen sowieIsabel Egartnerin den Erdwissenschaftenan der KFU <strong>und</strong> TU Graz einen zusätzlichenBachelorabschluss erworben. Seither hat siean unterschiedlichen geowissenschaftlichenProjekten mitgearbeitet, hat dort vorwiegendLaborarbeiten durchgeführt (XRD,XRF, FT-IR, Dünnschliffpräparation, Tonmineralogie,Korngrößenanalyse, usw.) <strong>und</strong>hat überdies an zahlreichen archäologischenForschungsgrabungen im In- <strong>und</strong> Auslandteilgenommen. Dadurch erweitert sie an unserem<strong>Institut</strong> die Kompetenzen in RichtungGeologie <strong>und</strong> (Geo-)Archäologie.In der Forschungsgruppe „Alpine Landschaftsdynamik“(Prof. Sass) ist sie im BereichVerwitterung in alpinen <strong>und</strong> aridenGebieten tätig <strong>und</strong> wird in diesem Themenbereichein Dissertationsprojekt bearbeiten.Außerdem wird sie voraussichtlich an imAufbau befindlichen geoarchäologischenForschungen im Judenburger Becken beteiligtsein. In der Lehre wird sie ein Gelände<strong>und</strong>Laborpraktikum in der Physischen <strong>Geographie</strong><strong>und</strong> ab dem Wintersemester aucheine Einführungsexkursion anbieten.43


GEOGRAZ 52 - 2013NeuerscheinungenAUSSERDEMGRATZL K. (HG.) (2012)Ätna. Der höchste aktiveVulkan EuropasWeishaupt Verlag, Gnas, 271 Seiten, ISBN 978-3-7059-0348-7.Mit einer Höhe von 3321 m <strong>und</strong> einemDurchmesser von 40 km ist der Ätnaschon in seinen Dimensionen ein Vulkander Superlative. Seine Besonderheit bestehtjedoch darin, dass er seit Menschengedenkenhochaktiv ist <strong>und</strong> mit Explosionen<strong>und</strong> Lavaströmen bewohnte oderbewirtschaftete Flächen <strong>und</strong> Menschenlebenbis heute bedroht. Seine Flanken bietenbeste natürliche Voraussetzungen <strong>für</strong>Siedlungen <strong>und</strong> den Anbau hochwertigerKulturpflanzen, weshalb die Bevölkerungs-<strong>und</strong> Nutzungsdichte sehr hoch ist.R<strong>und</strong> die Hälfte der Fläche des Vulkanssteht seit 1987 als Parco dell’Etna unterSchutz, um die wertvollen Ökosystemeder höheren Lagen vor weiteren Zugriffenzu bewahren.Über diesen bemerkenswerten Berg fehltein der deutschsprachigen Literatur bislangeine umfassende (über den Vulkanismushinausgehende) Monographie, die mitdiesem im Herbst 2012 präsentierten Buchvorgelegt wird. Ein Team von österreichischen<strong>und</strong> sizilianischen Wissenschafternbeschreibt den Ätna fachlich exakt <strong>und</strong>doch leicht verständlich aus verschiedenenPerspektiven, worin sich der Bogen vonder Urgeschichte über die Mythologie<strong>–</strong> mit generell deutlichem kulturhistorischenFokus <strong>–</strong> bis zum Weinbau <strong>und</strong> vonder geologischen Entwicklung über dieLandnutzung bis zu den Höhlen spannt.Ausgewählte Tipps zum Erleben des Ätna<strong>und</strong> ein Glossar r<strong>und</strong>en das Werk ab.Unter den Autoren befinden sich mit G.K. Lieb <strong>und</strong> W. Sulzer zwei Mitarbeiterunseres <strong>Institut</strong>s, auch die Kartographiewurde von unserem Haus (M. Muick)übernommen. Damit reiht sich das Buchin eine lose Folge von Monographien zu„exotischen“ Bergen <strong>und</strong> Gebirgslandschaften(bisher Damavand, Aconcagua,Bergwelt Irans), die vom selben Verlag herausgegebenwurden, ein. Wie die anderenBände ist auch der vorliegende mit ca. 300Farb- <strong>und</strong> Schwarzweißabbildungen sehrgroßzügig gestaltet <strong>und</strong> kann als Lesebuch<strong>und</strong> Bildband, aber auch als Handreichungzur Erk<strong>und</strong>ung dieser herausragendeneuropäischen Berglandschaft empfohlenwerden.Reinhold LazarDer Band ist im gut sortierten Buchhandelzum Preis von € 49,90 erhältlich.PAECHTER M., STOCK M., SCHMÖLZER-EIBINGER S.,SLEPCEVIC-ZACH P., WEIRER W. (HRSG.)Handbuch KompetenzorientierterUnterricht.”Beltz Verlag, Weinheim <strong>und</strong> Basel, 336 S. ISBN 978-3-407-83177-4Die Kompetenzorientierung ist unzweifelhaftdas in der gegenwärtigen Fachdidaktikbei Weitem meistdiskutierte methodisch-didaktischePrinzip. In Österreicherhält es dadurch einen besonderen Stellenwert,dass die künftige Reifeprüfungkompetenzorientiert zu erfolgen hat, wasnicht nur die völlige Neukonzeption vonMaturafragen erforderlich macht, sondernauch weitreichende Konsequenzen auf denUnterricht in allen Schulfächern zeitigt.Das Konzept selbst hat dem fachdidaktischenDiskurs jedenfalls eine deutlich erkennbareDynamik gegeben, die sich auchim gegenständlichen Buch widerspiegelt.Das Herausgeberteam besteht zurGänze aus Fachdidaktikerinnen <strong>und</strong>Fachdidaktikern der Universität Graz, dieauch im Forschungsschwerpunkt Lernen-Bildung-Wissen bzw. im ForschungsnetzwerkFachdidaktik aktiv sind. Insgesamt40 Autorinnen <strong>und</strong> Autoren aus Österreich<strong>und</strong> Deutschland loten in 20 Einzelbeiträgenden Kompetenzen-Begriffaus unterschiedlichsten Blickwinkelnaus. Die Beiträge sind in vier thematischeBlöcke gegliedert, die der Reihe nach dieGr<strong>und</strong>lagen des kompetenzorientiertenUnterrichts, fächerübergreifende Aspekte,fachspezifische Herausforderungen sowieschließlich Schlussfolgerungen auf dieAus- <strong>und</strong> Weiterbildung von Lehrerinnen<strong>und</strong> Lehrern umfassen.Die größte Stärke des Buches ist sicherlich,keine wesentliche Facette desaktuellen Diskurses um Kompetenzenunbeachtet zu lassen. Allerdings handeltes sich nicht, wie der Titel „Handbuch“vermuten ließe, um ein Nachschlagewerk,worin die wichtigsten Sachverhaltein übersichtlicher Weise zusammengefasstwären. Vielmehr ist es ein „normales“ wissenschaftlichesSammelwerk mit heterogenenEinzelaufsätzen, die die Multiperspektivitätdes gegenständlichen Konzeptshervorragend abbilden, aber nicht daraufabzielen, eine Handreichung <strong>für</strong> Praktikerinnen<strong>und</strong> Praktiker im Schulbetrieb zusein. Die wissenschaftliche Fachdidaktikwird jedoch ab sofort wohl nicht mehr umdiesen Band herumkommen, wenn es umKompetenzen im Schulunterricht geht.Gerhard Karl LiebDas Buches kann zum Preis von € 39,99beim Verlag, über Amazon oder den gutsortierten Buchhandel bestellt werden.Beachten Sie dazu bitte den beiliegendenFlyer!44


AUSSERDEMFrisch geprüft:AbsolventInnen des Wintersemesters 2012/13 <strong>und</strong> ihre AbschlussarbeitenGebirgs- <strong>und</strong> KlimageographieTillian MarleneGeotrails im GeoPark Karnische Alpen - Didaktische Neukonzeption <strong>und</strong> UmsetzungPiringer DominikWindpotenzialanalysen in Gebirgslagen am Beispiel der SteiermarkSchnepfleitner HaraldAnalyse der Gesteinsfeuchte an natürlichen Felswänden mit dem Simulationsprogramm WUFIGeospaTIal TechnologiesSalentinig AndreasMandl Bettina TheresiaRemote sensing change detection in urban environmentswith very high resolution Ultracam dataSmart City. Voraussetzungen <strong>für</strong> die Stadt der ZukunftGlobal StudiesVuksa MirjanaSperl Raphael StefanFleck ChristopherEnvironmental Sustainability in international companies(Entering the Serbian market, case study IKEA)Gentrification in Berlin, London, Prag <strong>und</strong> Wien. Ein stadtgeographischer VergleichIsrael <strong>und</strong> der Arabische FrühlingJoint InternaTIonal Master in Sustainable DevelopementWinkler ThomasEcotourism as Community Development Tool: Development of an Evaluation FrameworkLehramtstudiumPetr AndreasStockenhuber SarahVouk ErwinDie Bevölkerungsentwicklung <strong>und</strong> Bevölkerungsstruktur in den Gemeinden der Wölzer Tauern.Kompetenzorientierter Unterricht mit dem Schulatlas Steiermarkam Beispiel von Verkehr/Mobilität <strong>und</strong> TourismusChina‘s World City - Hong Kong or Shanghai?NachhalTIGe Stadt- <strong>und</strong> RegionalentwicklungNeger ChristophDie Rolle des Ökotourismus <strong>für</strong> die Nachhaltige Entwicklungeiner Region: Fallstudien aus Los Tuxtlas/MexikoUmweltsystemwissenschaften <strong>Geographie</strong>Pfeifer ChristophZweckoptimierter Mapping Workflow - Untersuchungen zurLeistungsfähigkeit des Mapping-Moduls von ESRI ArcGIS 10Mascher WolfgangChloridkonzentrationsentwicklung <strong>und</strong> -verteilung im Gr<strong>und</strong>wasser des Murtales(Graz bis Bad Radkersburg) <strong>und</strong> deren anthropogene BeeinflussungBauernhofer SabrinaAbfallvermeidungspotentiale in der Gastronomie im AbfallwirtschaftsverbandWeiz - ein Beitrag zur integrativen AbfallvermeidungBerger ClaudiaThe Urban Development of Hong Kong - From Barren Island to Global CityPfaffinger EvelineStadtklimatologische Untersuchungen im Westen von Grazim Zuge der Planung eines neuen StadtteilsBeham MichaelErfassung der räumlichen Temperaturverteilung an Felswänden mittels Infrarotthermografie45


Mitglied werdenbei derÖsterreichischen Geographischen GesellschaftDie Österreichische Geographische Gesellschaft bietet die Plattform <strong>für</strong> den Austausch <strong>und</strong> die Forschungsförderunggeographischen Wissens <strong>und</strong> gestaltet die Wissenschaft <strong>Geographie</strong> mit. Die Mitgliedschaftin der ÖGG ist eine gute Möglichkeit <strong>für</strong> alle Geographinnen <strong>und</strong> Geographen ihr Engagement<strong>für</strong> <strong>Geographie</strong> zu leben <strong>und</strong> dabei auch viele Vorteile <strong>für</strong> sich selbst zu nutzen. Zweigstellen wie unsere inGraz ermöglichen zusätzlich den geographischen Bezug vor Ort.Die Vorteile der ÖGG Mitglieder:• Breites Vortrags- <strong>und</strong> Veranstaltungsprogramm des Gesamtvereins <strong>und</strong> der Zweigstelle• Zugang zum Exkursionsangebot aller deutschen Geographischen Gesellschaften• Nutzung der Bibliothek der ÖGG im Staatsarchiv (inkl. Sammlung internationaler geographischerFachzeitschriften)• <strong>Geographie</strong>-Netzwerk, in Österreich <strong>und</strong> international über EUGEO• Geographisches Fachjournal „Mitteilungen der Österr. Geogr. Gesellschaft“ (MÖGG) (einmal jährlich)• GeoGraz, das Journal unserer Zweigstelle (zweimal jährlich)Beitrittserklärung bitte abtrennen <strong>und</strong> an das <strong>Institut</strong> <strong>für</strong> <strong>Geographie</strong> <strong>und</strong> <strong>Raum</strong>forschung, Heinrichstraße 36, 8010 Graz | Fax: +43316 380-9886| E-Mail: geographie@uni-graz.at senden. Hinweis: Das Beitreten ist auch online über www.oegg.info möglich.BeitrittserklärungNachname Vorname TitelStraße PLZ Ort StaatencodeTelefonE-MailGeburtsdatum Geburtsort BerufJa, ich möchte ÖGG Mitglied / Zweigstelle: Graz werdenArt der MitgliedschaftA ordentliches Mitglied jährlicher Mitgliedsbeitrag 42 EuroA1 ordentliches Mitglied (ohne Bezug der MÖGG) jährlicher Mitgliedsbeitrag 21 Euro (nur <strong>für</strong> Fachgruppen-Mitglieder)B ordentliches Mitglied im Ausland jährlicher Mitgliedbeitrag 49 EuroC außerordentliches Mitglied (Studenten, Schüler) jährlicher Mitgliedsbeitrag 28 EuroD Familienmitglied jährlicher Mitgliedsbeitrag 7 EuroDatum, Unterschrift


MIT GEOGRAZ unterwegs <strong>–</strong>in diesem Heft zu den Johnsbacher Almen in den Gesäusebergen

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