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Vom Umgang mit dem Stigma einer „Nazi-Stadt“. - Stadtgespräche ...

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0.14 __ //// A.I.R. | EINFÜHRUNG THEMENSCHWERPUNKTAsylanten und Migranten.Mit <strong>dem</strong> Brandanschlag von Lichtenhagen tauchen in der Geschichteneben den EinwohnerInnen weitere Figuren auf, dieebenfalls zu kurz gekommen waren. Mitbedingt durch die Liv -e-Berichterstattung gab es NaziTourismus nach Rostock, wahrscheinlichab Tag zwei der Ausschreitungen. Für den Anschlagauf das Wohnheim der VietnamesInnen gilt nicht nur die Anwesenheitvon Neonazis, sondern auch die Koordination durchdiese als belegt. Seither ist Mecklenburg-Vorpommern ein Einwanderungslandfür Rechtsausleger aus den alten Bundesländern,zumal die Immobilienpreise hier die Kriegskassen derbraunen Institutionen nicht überforderten. Im Zuge dieserRechtswanderung trafen westdeutsche Funktionäre auf einenidealen Nährboden, wie Bakterien in <strong>einer</strong> Petrischale. In den1990er Jahren brachen fast alle jugendorientierten Fremd- undSelbstorganisationen entweder ein bzw. scheiterten an Erwachsenen,die <strong>mit</strong> sich selbst zu tun hatten. Dazu zählten Schulen,Lehrbetriebe, Sportvereine, Freiwillige Feuerwehren, Ortsvereineoder andere Ausbildungs- und Freizeitstrukturen.Schon damals und bis heute hat Mecklenburg-Vorpommernein doppeltes Migrationsproblem. Es sind vor allem junge, bildungsaffineund weibliche Bürger, die <strong>dem</strong> Land verloren gehenund Subkulturen von zu kurz gekommenen und kurzgeschorenenjungen Männern entstehen lassen, in denen Reflexionund Vielfalt aufgehört haben zu existieren. Die Ideologieder zu kurz Gekommenen war nicht neu. Das Unwort vomDeutschen zweiter Klasse hatte über vier Jahrzehnte die ostdeutschenMentalitäten geprägt. Der Nationalsozialismus warauch noch da. Es hatte zu den Lebenslügen der DDR gehört,dass <strong>mit</strong> der Entmachtung der Kriegsverbrecher und der Gerontokratieder ehemaligen Opfer die Nazi-Vergangenheitstaatlich bewältigt worden wäre. Bei aller umweltbibliothekarischenoder Punk-Seligkeit der 1980iger wird <strong>mit</strong>unter vergessen,dass auch nationalsozialistische Ideologie und dazugehörigesOutfit, das damals noch Skinhead hieß, zu den antistaatlichenJugendbewegungen gehörten, welche die Agonie derDDR prägten.Die Hoffnung, dass sich dieser ideologische Abgrund <strong>mit</strong> <strong>einer</strong>Wirtschaftswundermentalität bedecken ließe, so wie es nach1945 an der Oberfläche der alten Bundesländer funktionierthatte, erfüllte sich nicht schnell genug. In einem Land, in <strong>dem</strong>über Jahre mehr abgewickelt wurde als aufgerollt, entstand zunächstkein Wirtschaftswunder, sondern ein Förderfriedhof.Diese von Großindustrie befreite Zone ist <strong>mit</strong>tlerweile aufgeräumtund hat sich vielerorts die Oberfläche eines Wirtschaftswundersgegeben. Ich vermute, dass es unter anderem die siedlungsästhetischeKonsolidierung der letzten 15 Jahre war, dieden deutschen Staat die ostdeutsche Gefahr von Rechts sonachdrücklich vergessen ließ. Konnte es in diesen Schmuckstädten,hinter den gedämmten Fassaden und den kundenfreundlichenEinkaufszentren brutale Gewalt und verbohrtenHass geben?Vor zwanzig Jahren war die Stimmung eine ganz andere. ImOsten hatte sich nach anfänglicher Euphorie Enttäuschungbreit gemacht. Waren 1991 noch 36% aller Deutschen <strong>mit</strong> derVereinigung zufrieden, sank dieser Anteil auf 17% im Westenund 19% im Osten (Schöppner, 1993). Diese Landschaftenwollten nicht blühen, doch sie blieben still, trotz der Arbeitslosenquoten,die <strong>mit</strong> denen der Weimarer Republik vergleichbarwaren. Mit den Ereignissen von Lichtenhagen aber wurde derOsten sichtbar als Paradies für mehr oder weniger zu kurz gekommene„Führer“ aus den alten Bundesländern. Im Ostenließ sich nicht nur milieugelöstes Jungvolk rekrutieren, sondernman konnte sich auch der versteckten oder offenen Billigungdurch große Teile der Bevölkerung sicher sein.Die Bilder aus Lichtenhagen haben jene völkischen Einstellungensichtbar gemacht, die aus soziologischen Untersuchungenbekannt waren: Rassismus ist nicht an eine soziale Klasse gebunden,sondern ändert seine Form, je nach Herkunft seinesTrägers. Die Ostdeutschen insgesamt gingen in die deutscheVereinigung nicht als Rechte, jedoch <strong>mit</strong> ausgeprägter Xenophobie.Sie bekamen Geld verabreicht und Zeit, jedoch keineArbeit. Sie waren unzufrieden ohne sich zu empören. Den sozialenWandel mochten sie vielleicht herbei<strong>dem</strong>onstriert haben,die Übernahme eines unbekannten Systems jedoch verdammtesie zur Passivität. In anderen Worten: Die ModernisierungOstdeutschlands wurde durch einen Mangel an ostdeutschenAkteuren bestimmt. Richter, Polizeioberräte, Parteifunktionäre,Politiker, Lehrstuhlinhaber, Steuerfachleute, Förderspezialisten,Aufsichtsräte, Gemeinderäte, Anwälte, Stadtplaner,Klinikdirektoren und Notare mussten in Massen importiertwerden.Neben den Funktionseliten kamen rechte Eliten und nahmenim Osten Wohnung. Ein Nordrhein-Westfale machte sich daran,Mecklenburg-Vorpommern erst hektarweise zu kaufen unddann zu missionieren, ein Nürnberger, der eine „Wehrsportgruppe“nach sich benannt hatte, kaufte nach s<strong>einer</strong> Entlassungaus <strong>dem</strong> Gefängnis halb Kahla und ein Rittergut in Sachsen,ein Einzelkind aus Viersen reaktivierte die halbtote NPD inOstdeutschland, ein Hildesheimer sitzt für sie im SächsischenLandtag. Die Grüße aus Lichtenhagen waren die Einladung zurÜbersiedlung. Heute wissen wir wohin diese Einladung führte.Einerseits konnte die NPD so an Struktur und zunehmend anEinfluss gewinnen und macht seit zwei Legislaturperioden <strong>dem</strong>Schweriner Landtag den Alltag schwer. Andererseits wurde aufdiese Weise der rechte Terrorismus gefördert, denn die rechteGewaltszene wurde von NPD-Funktionären gestützt, traf sichauf <strong>dem</strong> Rittergut <strong>mit</strong> den Legenden der 70er und 80er Jahreund übernahm die Militanz und Hinterhältigkeit der Anschlägevon München und Bologna. Wir erinnern uns, dass die rechtenTerroristen auch in Rostock mordeten. Die Opfer, so berichtenes die Zeitungen, wurden jeweils <strong>mit</strong> Hilfe eines örtlichenUnterstützernetzwerkes ausgespäht und ich überlasse esihnen, sich den Rest auszumalen.In der Geschichte Rostocks treffen noch heute AsylantInnenauf deutsche MigrantInnen aller Art. Noch heute kommen gebildetereLandesbürgerInnen hier zu kurz und wandern auf derDeutschlandkarte eher nach links, wo<strong>mit</strong> sich das Rechtspotenzialder Hiergebliebenen ständig erhöht. Soviel zum ThemaLichtenhagen und VOLK, zur Natur des Makels. Lassen Sie

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