0.24 __ //// INTERVIEWS/FRAGEBOGENIst der Demonstrant der ausgemachte Feind der Demokratie,als der er 2007 stigmatisiert wurde?„Den“ Demonstranten gibt es m<strong>einer</strong> Ansicht nach nicht.Wenn es „2007“ um den Gipfel in Rostock geht, empfehle ichdas Buch „Das war der Gipfel“ aus <strong>dem</strong> Scheunenverlag (Hg.Andreas Ciesielski, 2. überarbeitete Auflage Sept. 2008). Jedenfallskommt es auf die Zielsetzung <strong>einer</strong> Demonstrationund ihre Vorbereitung an - aber die Grundsätze, nach denenManches erlaubt bzw. polizeilich geschützt und anderes verbotenund gewaltsam gestoppt wird, sind sicher nicht nur mir unverständlichWirtschaftlichesWie lebt es sich <strong>mit</strong> Einkünften aus Erzählungen und Romanen?Ich habe nie versucht „hauptamtlich“ zu schreiben und habeauch keine Agentin, was dafür wohl unabdingbar wäre. Aberich habe nie bei <strong>einer</strong> Publikation „draufgezahlt“. Mein (einziger)Verleger, der durch einen ehemaligen Studenten von mirgehört hatte, hat sich nach Kräften um den Absatz bemüht;aber es ist ein kl<strong>einer</strong> Verlag.Wer schreibt über die in HRO ansässige Rüstungsindustrie,wie sie kürzlich vom hiesigen Friedensbündnis dokumentiertwurde (siehe STADTGESPRÄCHE Heft 65/ Dezember2011, S.13 f.)Ich habe nur eine „Berta“ (No. 924 am 23.7.2011) über dasProtestcamp vor der Fahrrad<strong>dem</strong>o gegen den Transport „atomarerGrundstoffe“ über die Fähre von und nach Schwedengeschrieben; vorher wusste ich nichts, und bis zu <strong>dem</strong> erwähntenArtikel kaum mehr von diesem Problem. Ist ja bemerkenswert,worüber Presse und Radio, die beispielsweise die causaWulff <strong>mit</strong> solchem Eifer verfolgt haben, unisono konsequentschweigen können wie das Grab! Ich werde jetzt einmal nachfassen.(Altertumswissenschaft), Übersetzerin (Latein) und Amateur-Journalistin.Seit 1980 habe ich für verschiedene Zeitungen zunächst fachbezogene,dann auch andere Artikel geschrieben.Meine Bücher seit der Wende handeln sie von <strong>dem</strong>, was ich erlebt,gesehen, gelesen habe, sind aber niemals Fiktion.Ich werde 2012 fünfundachtzig Jahre alt, wurde 1945 nach Abiturund Arbeitsdienst während des Krieges Neulehrerin, studiertevon 1952 bis 1956, erst neben der Schule dann direkt,Alte Sprachen in Rostock und blieb danach bis zur Emeritierungals außerordentliche Professorin an der gleichen Universität,vertrat aber verschiedene Fächer.Seit 1972 habe ich eine Pflegetochter und inzwischen auch einen„Enkel“.Bisherige Veröffentlichungen(nur die Erinnerungsbücher) seit der „Wende“:Jugend in Rostock (1927 -1945), 158 S., ScheunenverlagKückenshagen, 4. Auflage 2004Alltag in der DDR, (1945) – 1975), 288 S., ebd., 2. durchges.Aufl. 2000Alles nur ein Übergang (DDR –Deutschland ab 1975), 327S., ebda., 2000Leben aus zweiter Hand, Tagebuch 2001-2002, 353 S., ebda.,2005Streiflichter, Tagebuch 2003-2006, 340 S., ebd., 2007Unverbesserlich, Tagebuch 2007/2008, 391 S., ebda, 2010.Außer<strong>dem</strong> bisher 950 Berta-Footh-Kolumnen im WarnowKurier, Rostock ¬Woran denken Sie beim Stichwort „Gentrification“ speziellfür Rostock?Ich komme zu wenig in der Stadt herum, um die Verdrängungvon ärmeren Mietern aus sanierten Häusern beobachten zukönnen, aufgefallen ist mir so etwas allenfalls in der östlichenAltstadt.Zur PersonZum Kreis der Angesprochenen gehöre ich eigentlich nicht,ich bin keine Dichterin, sondern Lehrerin, Wissenschaftlerin
Mehr als 7 Fragen anCarlo IhdeRegionalesWas ist Rostock für Sie – Geburtsort, Heimat, Nest, Vaterstadt,Mutterort?Für mich ist Rostock Stadt zum Wohnen und Leben, akzentuiertden aus der Mutterstadt Schwerin herrührenden mecklenburgischenEindruck aber um das Maritime und die Weite, sowieeine etwas reichhaltigere Kultur um den Preis eines fehlendenkulturellen Kristallisationskernes, wie es in Schwerin das –zur Zeit etwas wankende – Staatstheater ist. Da ich <strong>mit</strong> Rostockwesentlich durch das Studium konfrontiert werde, habensich auch welterschließende Lernprozesse irgendwie <strong>mit</strong> <strong>dem</strong>Namen dieser Stadt konnotiert. Ich wohne <strong>mit</strong>tlerweile seitviereinhalb Jahren hier, selbst wenn ich bald gehen sollte, sindRostock und seine Effekte biographisch nicht mehr zu tilgen.Und es gibt auch hier Ecken, an denen es sich herrlich urbananfühlen kann. Rostock ist für mich mehr als ein Transitorium.Welche Architektur bzw. welches Rostocker Bauwerk hierzustadt1945 bis heute beeindruckt oder irritiert Sie?Was mich an Architektur wirklich berührt, ist, wenn sie esschafft, dass man die Selbstverständlichkeit eines Einbettungsgefühlsverliert, man weiß plötzlich nicht mehr: Ist das nochdort? Gute Architektur erweitert das Ensemble der Stadteinrichtungum Dinge, die stören oder provozieren. Deswegenstört mich die stalinistische Bauweise der Langen Straße nicht,aus <strong>dem</strong> einfachen Grund, dass man Stalinismus abzulehnengezwungen ist, aus Gründen über die man nicht mehr zu reflektierenbräuchte. Die eigentlichen Augenweiden sind abergar nicht die großen Gebäude, sondern die kleinen Villen, etwadie recht neue Villa Hauptmann in Bahnhofsnähe, da lauf ichauch noch jeden Tag dran vorbei. Architektur muss Fragen-,Gefühls- oder Gedankenreichtum bemühen und darf nichtegal sein.Sprechen/verstehen Sie Plattdeutsch? Schon mal versuchtso zu schreiben?Verstehen: Hören sehr gut, lesen: schwerer. Sprechen: Mit Müheund Not, unter <strong>dem</strong> Einfluss vorgehaltener Handfeuerwaffen.Nein ehrlich: Ich halte nicht viel davon, aus bloßer Sentimentalitätan <strong>einer</strong> Sache festzuhalten, die sich in die sich wandelndenLebenssituationen nicht mehr einfügen mag, unddann zum bloßen Sentiment für alte Menschen wird oder alsOrnament in abgeschlossenen Kulturzirkeln etwas von der Eigentlichkeitregionaler kultureller Identität sagen soll. Schreibenin Plattdeutsch wäre für mich, auch qua schlechter Beherrschung,zu<strong>dem</strong> verbunden <strong>mit</strong> der Unmöglichkeit, die Dingeso selbstverständlich wie ich sie sagen will sagen zu können.Mit welchem Rostocker Phänomen möchten Sie sich gernauseinandersetzen?Ich habe schon versucht, die Nicht-Existenz <strong>einer</strong> Szene jungerLiteraten in Rostock literarisch diskursiv festzuhalten, um da<strong>mit</strong>den ersten Schritt in die gegenteilige Richtung zu gehen.Ich könnte mich auch dafür interessieren, warum zum Beispieldie Geisteswissenschaften der Universität so wenig in das geistigeLeben der Stadt hineinwirken. Aber die meiste Arbeit anPhänomenen bleibt in deren Beschreibung stecken, dabei istwahrscheinlich Beschreibung das Brot des Schriftstellers. Vielleichtmuss man daher die Auseinandersetzung <strong>mit</strong> RostockerMangelphänomenen <strong>mit</strong> nicht-schriftstellerischen Mitteln betreiben,aber ehrlich gesagt deckeln die realistisch abgeschätztenAussichten von ambitionierten Ansätzen klar meine Motivation.Es hat doch zu viele Beispiele von Menschen, die aus vagemMissionsbedarf und einem irgendwie erspürten Unbehagenheraus irgendein Engagement, das nichts ändert, als Tätigkeitausgeben.Woran denken Sie bei Rostock in der Nacht und am Tage?In der Nacht denke ich: Gottseidank führt dein Nachhausewegnicht durch Toitenwinkel und bei Tag denke ich: Boah, dieKröpi ist so schön geräumig, hoffentlich findet hier auf absehbareZeit nicht schon wieder so ein tiffiger Markt <strong>mit</strong> Buden-Reihen statt, wo man sich gegenseitig auf die Füße treten mussund wo die Buden immer an derselben Stelle stehen.Welche Rostocker Persönlichkeit vermissen Sie manchmal?Joachim Gauck. Wenn in Rostock die Rede auf ihn kommt,wird es leicht andächtig. Es gibt Persönlichkeiten, die erwirkenohne groß etwas zu tun, dass Menschen sich bedeutsam fühlen.Die gefühlte Bedeutsamkeit, die man anhand von HerrnGauck haben kann, ist dabei nie überheblich sondern dankbar.