Das <strong>Erwachsen</strong> <strong>werden</strong> ist <strong>ein</strong>e Übergangsphase, zu der <strong>Ritual</strong>e gehören.Wozu dienen erlebte, erlernte Symbolhandlungen, also Ri-Sie heben lebensgeschichtliche Ereignisse heraus, z. B. die Pubertät, die Heirat, die Geburt <strong>ein</strong>esKindes.• Sie stiften Gem<strong>ein</strong>samkeit,indem sie zum Beispiel Nähe undstand. Dass Jugendliche betontgleich aussehen wollen - trotz aller Individualitätsbestrebungen -und eben anders als <strong>Erwachsen</strong>e,signalisiert gruppeninterne Dazugehörigkeit ebenso wie gruppenfremde Distanz.• Mit <strong>Ritual</strong>en bewältigt manGefahrenmomente:- Beim Abschied wird nochmals das gem<strong>ein</strong>same Band betont,an Vergangenes erinnert, Treffpunkte in der Zukunft geplant, geküsst,intensiv berührt, gewinkt...phantasiereichste Beschwörungsrituale zur Risikoreduktion <strong>ein</strong>esnassen Bettes oder <strong>ein</strong>er nassenHose.• Einschlafrituale geben Sicherheit, so sind Krokodile untermBett oder andere Nachtmonsternichts anderes als Platzhalter fürUnbearbeitetes des Tages, also Tagesängste, die in <strong>ein</strong>e für Kinderbesser fassbare und dadurch auchbesser besiegbare Form gebrachtwurden.• <strong>Ritual</strong>e sollen das Unberechenbare <strong>ein</strong>dämmen, indem sieregelmäßig Wiederkehrendes bieten, Invarianten, an denen mansich festhalten kann, weil man sieeben schon kennt.• <strong>Ritual</strong>e <strong>werden</strong> zur Selbstverständlichkeit und lassen Gefühle des Eingebundens<strong>ein</strong>s undder Zugehörigkeit aufkommen.Distanz regulieren:Bitte und Danke zu sagen ist <strong>ein</strong><strong>Ritual</strong>, das uns sozial attraktivmacht.Geben und Nehmen sind Geschenkrituale, die unser Beziehungsnetz absichern.Auffällige Kleidung, <strong>ein</strong> bestimmter Geruch, <strong>ein</strong>e bestimmte Art zusprechen bilden <strong>ein</strong> Band umGleichgesinnte und halten andersAussehende, anders Riechendeund anders Sprechende auf Ab- Mit „heile, heile Gänschen, s'wird bald wieder gut" wird nach<strong>ein</strong>er Verletzung beruhigt. Hierwird die bloße Handlung im Wiederholungsfall zur Erfahrung, dass<strong>ein</strong> solcher Schmerz oder Schrecküberstehbar, bewältigbar und irgendwann vorbei ist. Das <strong>Ritual</strong>nimmt das Ende, schon bevor eserreicht ist, vorweg. Eine sehr beruhigende Erfahrung.- In m<strong>ein</strong>er Beratung für<strong>ein</strong>nässende Kinder begegnen mir<strong>Ritual</strong>e sind für Peer-Gruppenungeheuer wichtig. Sie sind Katalysatoren im Kontakt mit denGleichaltrigen, der für Eigenwahrnehmung und Rückkopplungsprozesse in diesem Alter ausschlaggebend ist. Das Befinden Jugendlicher hängt stark von ihrem Verhältnis zu Gleichaltrigen sowie ihrer Anerkennung in der Gruppe ab.Einer neuen Studie zufolge heimsen sie von Gleichaltrigen neunmal so viel Anerkennung <strong>ein</strong> wievon <strong>Erwachsen</strong>en. Ein interessantes Ergebnis, denn selbst wenn Anerkennung, je nachdem, von wemsie kommt, unterschiedlich gewertet wird, kann nur die Anerkennung <strong>ein</strong>geheimst <strong>werden</strong>, die <strong>ein</strong>em auch entgegengebracht wird!<strong>Ritual</strong>e ersetzen <strong>ein</strong>e direkteKommunikation und verhindern inemotionsirritierten Zeiten Missverständnisse. Die Symbolhandlungen sind ohne Worte überzeugend, zumindest ohne inhaltlichrelevante Worte. Die für die Jugend typischen Nonsense-Witze
sind gem<strong>ein</strong>schaftsstiftend, sie<strong>werden</strong> nicht hinterfragt, wer sieakzeptiert, hat ihre Botschaft verstanden und gehört dazu.• Sitzen zwei Kühe im Kellerund sägen Heizöl. Sagt die <strong>ein</strong>e:„Hilfe, ich hab' vergessen, morgenist Weihnachten!" Sagt die andere:„Macht nix, wir gehen sowiesonicht hin!"Laufen zwei Frauen dieStraße entlang, fällt die <strong>ein</strong>e in <strong>ein</strong>en geöffneten Kanalisationsschacht. Sagt die andere: „Machtnix, ich bin mit dem Fahrrad da!"Zwischen diesen zwei Witzenliegen über 30 Jahre, da sie <strong>ein</strong> <strong>Ritual</strong> darstellen, hat sich an ihnennichts Wesentliches verändert.Kleidung, Begrüßung, Gangart, Musik, Essen, Feste von Jugendlichen <strong>werden</strong> im Momentvielfältig auf ihre Symbolfunktionuntersucht. Immer wird Gem<strong>ein</strong>samkeit zelebriert, gruppeninterneNähe und gruppenfremde Distanzsignalisiert.Sensation seeking wird alsMutritual verstanden. Es ist die Bewältigungsunsicherheit, die alsHerausforderung erlebt wird. Manmöchte sich bewusst außerhalb derGrenzen, außerhalb der bekanntenKontrollen bewegen und Unerwartetes, Unvorhersehbares erleben. „Es ist <strong>ein</strong>e Chance, Göttliches Einzug halten zu lassen, dieWahrnehmung zu erweitern. DieExtremerfahrung als Symbol eigener emotionaler Signalsetzung."Aber halt: Unerwartetes, Unvorhersehbares erleben, aber dennoch gibt es <strong>ein</strong> Startritual, <strong>ein</strong>eBeschwörungsformel, <strong>ein</strong>e bestimmte Bewegung, die Unberechenbares <strong>ein</strong>dämmen soll. Selbstim unkontrollierbaren Bereich willman Wirksamkeit und Eigenkontrolle spüren.Urheberschaft, Wirksamkeit und Eigenkontrolle erleben, das sind Erfahrungen höchsterPriorität im Entwicklungsverlauf.<strong>Erwachsen</strong> <strong>werden</strong>führt in <strong>ein</strong>eSchwellensituationDie Problematik heutiger Jugend ist schnell umschrieben: DieZukunft wirkt unüberschaubar,vom Einzelnen als nicht steuerbarerlebt. Zu viele alternative Lebensmodelle für die <strong>Erwachsen</strong>enwelt <strong>werden</strong> als theoretischmachbar verkauft. Doch wählenkann nur, wer weiß, was er will.Und was ist denn eigentlich „normal"? Der „neue" Mann, die„neue" Frau <strong>werden</strong> zumindest amAnfang nicht als Bereicherung,sondern als massive Irritation aufder Suche nach der eigenen Geschlechtsidentität verstanden.Positive Teamerfahrungen undindividuell als wertvoll verbuchteGem<strong>ein</strong>schaftserlebnisse fehlen,deshalb ersch<strong>ein</strong>t Jugendlichen dieIdee, Zukunft und Sinnsuche gem<strong>ein</strong>sam in Angriff zu nehmen, alsnicht vorstellbar, k<strong>ein</strong>eswegs realistisch. Ihr Lebensweg in die Pubertät und spätestens dann die Pubertätssituation haben ihnen immer wieder vor Augen geführt, wiewenig Chancen echter Einflussnahmesie hatten und haben.Wären sie zum Entscheiden erzogen, wären sie auch fähiger zuHandeln.Heute geht man davon aus,dass die notwendige Bindungsaufsprengung in der Pubertät ebensogenetisch verankert s<strong>ein</strong> muss wiedie Fähigkeit, am Lebensanfang<strong>ein</strong>e intensive Bindung <strong>ein</strong>zugehen. Doch diese Bindungsaufsprengung, diese Ablösung bedeutet nicht den Verlust aller Beziehungen, sondern deren zukunftsfähige Umgestaltung, an der beide Seiten arbeiten müssen, die Eltern wie die Kinder.Und durch uns erfahren Jugendliche noch, dass die Erwerbsarbeit, als Basis für Identität,brüchig wird, und sie spüren, dasswir bislang k<strong>ein</strong>en überzeugendenErsatz nachzuschieben haben.Ein Vergleich mit traditionalenGesellschaften würde zu weitführen. Doch möchte ich nicht auf<strong>ein</strong>en Hinweis verzichten: Pubertäts-und Initiationsriten sind in ihrer ursprünglichen Funktion alsHilfestellung der Gesellschaftbeim Übergang von der Kindheitins <strong>Erwachsen</strong>enalter zu verstehen.Die genaue Festlegung ihres Ablaufs lässt den Jugendlichen k<strong>ein</strong>enMoment all<strong>ein</strong>; die Übergangsphase ist sicher <strong>ein</strong>e der betreuungsreichsten s<strong>ein</strong>es Lebens. Er ist vonden Besten des Stammes umgebenund wird in die Stammesgeheimnisse <strong>ein</strong>geweiht.Die Initiationsriten beweisenihm s<strong>ein</strong>e soziale Einbettung, siesind aber auch Zeichen s<strong>ein</strong>er Unfreiheit, sich zu <strong>ein</strong>er anderen Lebensform als zu der s<strong>ein</strong>er Eltern,s<strong>ein</strong>es Stammes, zu entschließen.S<strong>ein</strong> Weg ist lückenlos geschützt,der Preis hierfür ist s<strong>ein</strong>e bedingungslose Vorgegebenheit.Dies kann nicht der Weg unserer Jugendlichen s<strong>ein</strong>, doch dürfen<strong>Erwachsen</strong>e nicht auf jede Begleitung fahrlässig verzichten (Haug-Schnabel 1993).Bei uns gibt es k<strong>ein</strong>e Pubertätsrituale mehr, nur noch Rudimente, denen es an symbolischerBedeutung fehlt, und die vor allemk<strong>ein</strong>e Konsequenzen für den Alltag der Jugendlichen haben. WederKonfirmation noch Jugendweiheöffnen <strong>ein</strong>e Türe ins <strong>Erwachsen</strong>enleben.