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Aussig an der Elbe - Giovanni Tetti

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mussten) aber auch die un<strong>an</strong>genehmsten und schwerstenArbeiten erledigen. In wenigen Jahren funktionierte dieProduktionswirtschaft in <strong>Aussig</strong> wie<strong>der</strong>, und esentst<strong>an</strong>den etliche neue Industriekomplexe, vor allem inden Bereichen <strong>der</strong> Chemie und <strong>der</strong>Nahrungsmittelproduktion. Es gab also nun wie<strong>der</strong> einelängere Phase <strong>der</strong> wirtschaftlichen und sozialen (Schein-)Stabilität – bis zu den ersten postkommunistischenJahren, als eine neue Krise die Stadt traf und vieleBetriebe wegen technologischer Überalterung, zu großerUmweltverschmutzung und m<strong>an</strong>geln<strong>der</strong> wirtschaftlicherProduktivität schließen mussten.Vor allem die niedrigqualifizierten Arbeitskräfte, diemeisten von ihnen Roma, wurden nun von einerArbeitslosigkeitswelle getroffen. In kurzer Zeit habensich damals frühere Arbeiterviertel wie Prödlitz undSchönpriesen in Kolonien von Arbeitslosen verw<strong>an</strong>delt,die von <strong>der</strong> Sozialhilfe leben mussten. Die schwierigeökonomische Situation und die großen kulturellenUnterschiede zwischen Tschechen und Roma hatten auchdie „Ausw<strong>an</strong><strong>der</strong>ung“ <strong>der</strong> meisten tschechischenEinwohner in <strong>an</strong><strong>der</strong>e Stadtviertel zur Folge. Mittlerweilesind noch weitere Roma-Familien in dieses sozialeVakuum von Prödlitz und Schönpriesen nachgekommen,auch wenn hier trotzdem viele Häuser leer gebliebensind. Auf diese Weise sind also die heutigen Roma-Ghettos von <strong>Aussig</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Elbe</strong> entst<strong>an</strong>den.Die Gründe, die zur Errichtung des Mauer-Zauns auf <strong>der</strong>Matiční Straße geführt haben, waren <strong>der</strong> Lärm, diefortschreitende Verwahrlosung durch Unmengen vonverstreutem Müll und die steigende Zahl von Einbrüchenin die Wohnungen auf <strong>der</strong> <strong>an</strong><strong>der</strong>en („tschechischen“)Seite <strong>der</strong> Straße.Nachdem sich nach <strong>der</strong> sk<strong>an</strong>dalträchtigen, öffentlichenAufregung um die „Mauer“ wie<strong>der</strong> die Stille desöffentlichen Schweigens, Verdrängens und Vergessensüber das Schicksal dieser Straße gebreitet hatte, sind alletschechischen Familien, die gegenüber den 4Wohnblöcken <strong>der</strong> arbeitslosen Roma wohnten, in <strong>an</strong><strong>der</strong>eStadtviertel gezogen. Die verlassenen Häuser sind in <strong>der</strong>Folge alle leer geblieben. Lediglich die Polizei hat ineinem dieser Häuser ein kleines Büro eingerichtet, und ineinem <strong>an</strong><strong>der</strong>en hat die Hilfsorg<strong>an</strong>isation „Člověk v tísni“einen Klub eröffnet, <strong>der</strong> soziale Hilfe für die Einwohnerdieses Viertels <strong>an</strong>bietet.Die 4 Wohnblöcke für Arbeitslose gehören <strong>der</strong>Gemeinde <strong>Aussig</strong>, welche die Mietverträge, die in <strong>der</strong>Regel befristet waren, schließlich nicht mehr verlängerthat. Die meisten früheren Bewohner sind nach Prödlitzo<strong>der</strong> in <strong>an</strong><strong>der</strong>e Viertel umgezogen, zuletzt bis auf 2Familien, die einen unbefristeten Mietvertrag hatten. Dieleeren Wohnungen wurden alle ausgeplün<strong>der</strong>t, verwüstetund zerstört, und einige von ihnen dienen jetzt alsinoffizielle Treffpunkte von Drogenabhängigen. Schutt,gebrochene Wasserleitungen, gebrauchte Spritzen,Exkremente, Müll – das ist alles was m<strong>an</strong> heute in den 4Wohnblöcken auf <strong>der</strong> Matiční Straße sehen k<strong>an</strong>n. Dieletzten 2 Familien, die hier gewohnt haben, mussten biszum 1. März 2011, als sie ebenfalls von hier ausgezogensind, täglich mit dieser Realität leben.Das Grundstück, auf dem diese Häuser bis heute noch3

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