1.2 Mit welchen Sinnen eine Fremdsprache <strong>lernen</strong>? 9allein spricht, nutzt aber keineswegs „mehrere Sinne“ für das Lernen. Das ist <strong>de</strong>r Fall,wenn statt<strong>de</strong>ssen <strong>de</strong>r Lernen<strong>de</strong> mit Emphase, Mimik und Gestik und zusätzlich nochsprachlich richtig Oh yes, I do / Oh yes, I like it antwortet. Dasselbe trifft im Französischenfür <strong>de</strong>n stereotypen Lehrer-Schüler-Dialog zu: Tu aimes la glace? Oui, je l’aime. Effektiverund pragmatisch richtig ist die mit überzeugen<strong>de</strong>r Emphase gesprochene Antwortohne le: Bien sûr, j’aime. Wenn zur Emphase noch die entsprechen<strong>de</strong> Gestik und Mimikkommt, dann wer<strong>de</strong>n unsere Sinne angesprochen. Intonation, Emphase, Rhythmus,Gestik, Mimik und Körperbewegung gehören nicht nur zur natürlichen Sprache,son<strong>de</strong>rn regen die Sinne in ganz an<strong>de</strong>rer Weise an und bewirken dadurch eineneffektiven <strong>Fremdsprachen</strong>unterricht.Auch das Hören <strong>de</strong>r Stimme <strong>de</strong>s Lehrers spricht keineswegs mehrere Sinne an, ganzgleich ob er native speaker ist o<strong>de</strong>r nicht, wenn dieses Hören nicht in Szene gesetzt wird.Seit bald hun<strong>de</strong>rt Jahren kann nun das Hören <strong>de</strong>r Fremdsprache durch Tonträger miteinem native speaker geschult wer<strong>de</strong>n. Wenn <strong>de</strong>r Lehrer aber einen ohne natürlicheEmphase gesprochenen Lektionstext einmal o<strong>de</strong>r mehrmals auf Tonträger abspielt, umihn dann lesen zu lassen, dann hat <strong>de</strong>r Schüler im schlimmsten Fall nur unverständlicheLaute gehört o<strong>de</strong>r im besten Fall einige wesentliche Punkte verstan<strong>de</strong>n. Seine Sinne sindaber dadurch kaum angeregt wor<strong>de</strong>n.Eine an<strong>de</strong>re Möglichkeit, mit mehreren Sinnen zu <strong>lernen</strong>, ist das Sehen vor <strong>de</strong>mgeistigen Auge, das mentale Sehen, die Aktivierung <strong>de</strong>r Vorstellungskraft <strong>de</strong>s Lerners.Eine ebenso neue Möglichkeit, bisher ungenutzte Sinne zum Lernen zu nutzen, ist dasLernen in einem „entspannten“ Aufmerksamkeitszustand. Um <strong>de</strong>m Lerner dies zuermöglichen, gibt es vielfältige Möglichkeiten, die im Folgen<strong>de</strong>n aufgezeigt wer<strong>de</strong>n.
2. Folgerungen aus neuerer Gehirnforschung fürdas <strong>Fremdsprachen</strong><strong>lernen</strong>Seit über 30 Jahren ist es möglich, mit mo<strong>de</strong>rnen Geräten die Gehirnfunktionen noninvasivzu beobachten. Das geschieht mit fMRI (functional Magnetic Resonance Imaging),mit PET (Positron-Emission-Tomography) und in <strong>de</strong>n letzten Jahren mit fMRT (functionalMagnetic Resonance Tomography). Die damit durchgeführten Untersuchungen bestätigenin vielen Fällen das, was die Gehirnforschung bereits wusste. In zahlreichen Fällen sindaber präzisere Aussagen und in einigen Fällen auch neue Erkenntnisse möglich.Zuerst einige allgemeine Bemerkungen über die Sprachzentren im Gehirn. Bei <strong>de</strong>rMehrheit <strong>de</strong>r Menschen sind die bei<strong>de</strong>n für die Sprache zuständigen Zentren Broca undWernicke links angeordnet. Früher glaubte man, dass bei<strong>de</strong> getrennte Aufgaben hätten.Nun weiß man, dass bei<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>r Sprachproduktion und beim Sprachverstehen beteiligtsind, wobei das Broca-Areal mehr für die syntaktischen (Satzbildung) und das Wernicke-Areal mehr für die lexikalischen (Wortschatz) Funktionen <strong>de</strong>r Sprache zuständig ist.Hinsichtlich Phonologie (Lautunterscheidung), Morphologie (Wortbildung) und Semantik(Wortbe<strong>de</strong>utung) sind bei<strong>de</strong> involviert. Für <strong>de</strong>n Fremdspracherwerb ist beson<strong>de</strong>rs dasBroca-Areal wichtig, weil dort <strong>de</strong>r Sitz <strong>de</strong>r sogenannten Universalgrammatik ist, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mLernen<strong>de</strong>n Hilfestellung leistet (White 2003). Soweit die Sprachareale linkshemisphärischangeordnet sind, kann man sagen, dass die linke Gehirnhälfte mehr für Sprache undRhythmus zuständig ist, während die rechte Gehirnhälfte stärker für Prosodie (Sprachmelodie),Emotionen und räumliche Empfindung verantwortlich ist. Es gibt Dirigenten,die durch einen Schlaganfall in <strong>de</strong>r linken Gehirnhäfte so beeinträchtigt waren, dass siekaum noch sprechen konnten, jedoch ohne Behin<strong>de</strong>rung weiter dirigieren konnten.Obwohl, wie gesagt, bei<strong>de</strong> Sprachzentren beim Sprachverstehen und bei <strong>de</strong>r Sprachproduktionbeteiligt sind, kann man doch bei Läsionen <strong>de</strong>utliche Unterschie<strong>de</strong> feststellen.Wenn das Broca-Areal beeinträchtigt ist, ist das Verstehen noch gegeben, doch<strong>de</strong>r Betroffene reiht Inhaltswörter einfach aneinan<strong>de</strong>r. Man spricht von „Agrammatismus“.Ist das Wernicke-Areal betroffen, ist das Sprachverstehen beeinträchtigt, <strong>de</strong>rPatient spricht fließend, aber sinnlos. Man nennt dies „Paragrammatismus“ (vgl.Weskamp, S. 43 ff).Noch einige allgemeine Bemerkungen über die Lateralität <strong>de</strong>s Gehirns, also dieUnterteilung <strong>de</strong>s Gehirns in rechte und linke Hemisphäre. Auch wenn bei ca. 95 % <strong>de</strong>rMenschen, soweit sie Rechtshän<strong>de</strong>r sind, die Sprachzentren links sind, so ist dies beiLinkshän<strong>de</strong>rn keineswegs umgekehrt, <strong>de</strong>nn auch die Mehrheit <strong>de</strong>r Linkshän<strong>de</strong>r,nämlich ca. 70 %, hat die Sprachareale links.Hinsichtlich <strong>de</strong>r Sprache besteht also nicht automatisch eine Kreuzbeziehung, diedarin bestün<strong>de</strong>, dass Linkshän<strong>de</strong>r das Sprachzentrum rechts haben. Von „Kreuzbeziehungen“spricht man beim Hören, <strong>de</strong>nn hier aktiviert das durch das linke Ohr Gehörtedas in <strong>de</strong>r rechten Hemisphäre gelegene Hörzentrum und umgekehrt. Auch dieGliedmaßen <strong>de</strong>s Menschen wer<strong>de</strong>n kreuzweise vom Gehirn gesteuert. Das gleiche trifftaber nur teilweise auf das Sehen zu, nämlich insofern als nur eine Hälfte <strong>de</strong>s Sehfeldseines je<strong>de</strong>n Auges auf die gegenüberliegen<strong>de</strong> Hemisphäre projiziert wird.