PSYCHE InterviewSoziale phobieN–DIE ANGST VORMENSCHENJeder von uns kennt Situationen, in denen einem etwas peinlichist oder man Angst hat, sich zu blamieren, etwa wenn man eineRede halten muss. Doch was tun, wenn die Angst vor anderenMenschen oder Missgeschicken so groß ist, dass man sich vonder Öffentlichkeit komplett isoliert? NTC Impulse hat sich mitJoachim Saur, Facharzt für Neurologie <strong>und</strong> Psychiatrie ausNeusäß über Ursachen, Behandlungsoptionen <strong>und</strong> Vermeidungsmöglichkeitenvon sozialen Phobien unterhalten.interview: Anne GöttenauerHerr Saur, was genauversteht man unter einersozialen Phobie?Wer unter einer sozialen Phobieleidet – schätzungsweisebis zu 10 Prozent der Bevölkerung –,vermeidet zwanghaft den Kontakt mitanderen Menschen. Kern der sozialenPhobie ist dabei meistens die Furchtvor der Bewertung durch andere, dieAngst vor dem, was andere über einensagen oder denken. Die Betroffenenleben deshalb oft sehr zurückgezogen,isoliert von der Umwelt. Im Extremfallwird der soziale Kontakt dann aufeinen ausgewählten, meist sehr kleinenKreis aus Angehörigen <strong>und</strong> engenFre<strong>und</strong>en beschränkt. Daraus könnennatürlich enorme private, aber auchberufliche Probleme entstehen. DiePhobiker haben nur selten längerePartnerschaften <strong>und</strong> versuchen imBeruf, Aufgaben zu finden, bei denensie so wenig Kontakt wie möglich mitanderen Menschen haben.© Serenethos / Fotolia.com; © Elena Yakusheva / Shutterstock.com24
PSYCHE Interview© Andrew Lever / Fotolia.comWelche weiteren Auswirkungenkann die Phobie haben?Körperliche Symptome einer sozialenPhobie in Stresssituationen sindu. a. Erröten, Herzrasen, Schwitzen,Übelkeit oder Atemnot bis hin zudem Gefühl, ohnmächtig zu werden.Im schlimmsten Fall kann die Angstso groß werden, dass sie zu Panikattackenführt. Weitere Folgen könnenEssstörungen oder auch Alkohol<strong>und</strong>Drogenmissbrauch sein. Alkoholwird vor allem dann zum Problem,wenn die Betroffenen in Selbstversuchenmerken, dass sie in angetrunkenemZustand die Hemmung vor anderenMenschen verlieren <strong>und</strong> nichtmehr so selbstkritisch sind. Diese Artvon »Therapie« ist aber natürlich keineLösung. Nicht zuletzt leiden sehr vieleSozialphobiker unter Depressionen.Was können die Ursachen fürdiesen Rückzug sein?Normalerweise schützt uns einges<strong>und</strong>es Maß an Schüchternheitvor grobem Fehlverhalten in der Öffentlichkeit.Der Grad, an dem dieseSchüchternheit in eine ausgeprägtesoziale Phobie kippen kann, ist abersehr schmal. Die extreme Angst, imZentrum der Aufmerksamkeit zu stehen<strong>und</strong> sich in der Öffentlichkeit zublamieren kann in einer übertriebenenKritik an der eigenen Person bishin zur Selbstbestrafung für falschesVerhalten begründet sein. Aber auchein traumatisches Erlebnis, wie etwaeine sehr peinliche Situation in derSchule, ist häufig eine Ursache füreine Phobie.Welche Therapien können beieiner sozialen Phobie helfen?Wenn die Phobie mit einer starkenDepression verb<strong>und</strong>en ist, die auchmit körperlichen Symptomen, wieSchlafstörungen <strong>und</strong> Antriebslosigkeit,einhergeht, ist eine medikamentöseTherapie sinnvoll, da diese dannauch gegen die phobische Erkrankunghelfen kann: Die Medikamente versetzenden Patienten erst mal in die Lage,sich vernünftig mit seiner Situationzu befassen, also in einen strukturiertentherapeutischen Prozess zukommen. Wichtig für viele Patientenist, dass die Antidepressiva körperlichnicht abhängig machen. Häufig beiPhobien eingesetzte sogenannte Tranquilizerdagegen bergen eine gewisseGewöhnungsgefahr <strong>und</strong> sollten dahernur unter strenger ärztlicher Aufsichteingenommen werden.In einer Psychotherapie gilt es zunächstzu klären, was die Auslöserder Phobie waren bzw. immer nochsind. Welche Erlebnisse haben zumersten Rückzug aus der Öffentlichkeitgeführt, wie kritisch ist der Betroffenesich selbst gegenüber, waren evtl.auch die Eltern sehr streng?Sind solche Ursachen bekannt,kann eine kognitive Verhaltenstherapiehelfen. Diese gibtden Betroffenen vielesofort umsetzbareHandlungsanweisungenan die Hand <strong>und</strong>führt sie langsam anSituationen, die normalerweise gemiedenwerden, heran. So lernt derPhobiker, dass er an den Ereignissen,die ihn ängstigen, nichts ändern, erjedoch seine eigene Einstellung bzw.seine Art der Verarbeitung der Situationverändern kann. Hat er dies realisiert,ist man in der Therapie oft schoneinen großen Schritt weiter. Entsprechendgut sind die Erfolgsaussichtenfür Betroffene, die sich in eine Therapiebegeben. Wobei hier wie so oftgilt: Je früher die Therapie begonnenwird, desto besser. In schwerwiegendenFällen wird sicher auch zu einerstationären Therapie geraten.Angstlindernd können übrigensauch Entspannungstechniken, wieautogenes Training <strong>und</strong> progressiveMuskelentspannung, wirken.Welche Rolle spielen Angehörige<strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>e bei der Therapie?Die verbliebenen sozialen Kontakte,wie in der Familie <strong>und</strong> zu Fre<strong>und</strong>en,sind sehr wichtig. Sie müssendie Aufgabe übernehmen, »kontraphobisches«Verhalten zu unterstützen.Das heißt, sie müssen den Patientenimmer wieder darin bestärken,der Phobie entgegenzuwirken. Dabeikönnen viele gemeinsame Unternehmungenhilfreich sein. Bei möglichenRückschlägen sollten sie den Betroffenenmotivieren, nicht aufzugeben,sondern sich der Situation erneut zuVERHALTENS-THERAPIEKANN HELFENstellen. Somit helfen sie ihm, eine optimistischeHaltung <strong>und</strong> ein gestärktesSelbstvertrauen zu erlangen sowieÄngste zu überwindenWie könnten soziale Phobienvermieden werden?Wie Studien mit Zwillingen zeigen,ist eine soziale Phobie zu einem gewissenGrad genetisch bedingt. Dass siesich aber auch manifestiert, hängt ingroßem Maß von Umwelteinflüssen ab.Da viele Phobien bereits in der Kindheitentstehen, spielt also vor allemdie Erziehung eine sehr große Rolle.Umso wichtiger ist es für Eltern, aberauch in Kindergärten<strong>und</strong> in der Schule,zu vermitteln, dassSituationen, in denman sich blamiertoder auch mal versagt,zum Leben dazugehören <strong>und</strong> mandaran wächst. Durch zu hohe, unerfüllbareAnsprüche werden nurVersagensängste herangezüchtet.Stattdessen sollten Kinder auch fürkleinere Leistungen öfter gelobt werden.Zudem hilft es, wenn Kinder <strong>und</strong>Jugendliche in Gruppen agieren, wiein einem Verein. Hier lernen sie, Stressaushalten <strong>und</strong> nicht jede Kränkung alsBlamage zu erleben. Joachim SaurArzt für Neurologie <strong>und</strong>Psychiatrie in Neusäß25