13.07.2015 Aufrufe

Im Spannungsfeld zwischen Schöpfung und Evolution - Zentrum ...

Im Spannungsfeld zwischen Schöpfung und Evolution - Zentrum ...

Im Spannungsfeld zwischen Schöpfung und Evolution - Zentrum ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

EditorialLiebe Leserinnen <strong>und</strong> Leser,die vorliegende Ausgabe derSchönberger Hefte ist in vielfältigerHinsicht Ergebnis der Fortbildungsarbeit,die wir – Hubert Meisinger<strong>und</strong> Björn Uwe Rahlwes – in engerKooperation in den vergangenenJahren gezielt für Religionslehrer/-innen angeboten haben. So habeneinige der Theolog-/innen <strong>und</strong> Naturwissenschaftler/-innen,die aufunseren Tagungen referierten, auchfür dieses Heft ihre gr<strong>und</strong>legendenGedanken <strong>und</strong> Positionen zu Kreationismus<strong>und</strong> Intelligent Design(ID) zu Papier gebracht. Ziel desThemenheftes ist es dabei, einenangemessenen Überblick über diewesentlichen Aspekte dieser Debatteum »<strong>Schöpfung</strong> oder <strong>Evolution</strong>«zu geben, die immer wieder vonMissverständnissen, Vorurteilen,geradezu reflexartigen Reaktionenaufeinander <strong>und</strong> starken Emotionengeprägt ist. Denn die Frage nach»<strong>Schöpfung</strong> oder <strong>Evolution</strong>« ist fürsich genommen bereits eine unzulässigeEngführung <strong>und</strong> damit einefalsche Alternative, die der Dynamikinterdisziplinärer Fragestellungenüberhaupt nicht gerecht wird. Aufder einen Seite stehen also nicht diereligiösen Menschen, die an eine<strong>Schöpfung</strong> glauben <strong>und</strong> auf der anderenSeite die atheistisch geprägtenNaturwissenschaftler/-innen,denen die <strong>Evolution</strong>stheorie derMaßstab allen Forschens ist. Zu einfachesLagerdenken hilft hier nichtweiter, die Risse gehen quer durchbeide Bereiche.In diesem Sinne befasst sich dereinführende Artikel von Hubert Meisinger»Intelligent Design – Lückenfüllermit einfachen Antworten aufkomplexe Fragen?« mit den Herausforderungen,die diese Bewegung<strong>und</strong> der Kreationismus für Naturwissenschaft<strong>und</strong> Theologie darstellen.Der niederländische Religionsphilosoph<strong>und</strong> Systematische TheologeTaede A. Smedes überprüft die ID-Bewegung daraufhin, ob sie »Theologie,Naturwissenschaft oder Ideologie?«ist <strong>und</strong> geht in diesem Zusammenhangder Frage nach »WievielQuatsch kann ein Theologeertragen?« Der bekannte Wissenschaftsjournalist<strong>und</strong> FernsehautorWolf-Rüdiger Schmidt stellt in seinemBeitrag »Unter Kreationismus-Verdacht?« die These auf, dassnicht der Kreationismus, sonderndas evolutionäre Weltbild Kirche<strong>und</strong> Theologie herausfordern. »Die›erstaunlichen Übereinstimmungen‹<strong>zwischen</strong> Bibel <strong>und</strong> <strong>Evolution</strong>stheorie:Was stimmt wirklich?«weisen des biblischen <strong>Schöpfung</strong>sglaubens<strong>und</strong> der modernen Naturwissenschaftverfasst. »Drei Unterrichtsideenfür die Oberstufe zueinem vielschichtigen Reizthema«stellt Harmjan Dam vor <strong>und</strong> präsentiertauf den Materialseiten unteranderem eine preisgekrönte Dialogpredigtvon Wolfgang Achtner zur»Religion nach Darwin«. EinenUnterrichtsentwurf für die Jahrgangsstufe5 zum Thema »GottesWelt – eine Schatztruhe voller W<strong>und</strong>er:Eine Entdeckung mit allen Sinnen«trägt die Herborner ReligionslehrerinSusanne Schmidt bei. KommentierteLiteratur-, Internet- <strong>und</strong>Medientipps zu Kreationismus <strong>und</strong>Intelligent Design r<strong>und</strong>en das Angebotdieses Themenheftes ab.Zusätzliche Beiträge <strong>und</strong> Unterrichtsmaterialienzum Schwerpunktthemafinden Sie in der Online-Versiondieser Ausgabe unter www.rpzekhn.de.Darunter zum Beispiel eineprägnante Positionierung von KirchenpräsidentProf. Dr. Peter Steinackersind Thema des Artikels von ThomasJunker, der Geschichte der Naturwissenschaftenan der Fakultät für Biologieder Universität Tübingen lehrt.Der Biologe <strong>und</strong> bekennende ChristJohannes Sikorski stellt im Anschlussdaran seine sehr persönlich gehaltenen»Anmerkungen zum Verhältnisvon Naturwissenschaft <strong>und</strong> Religion«vor. Der Bensheimer GemeindepfarrerStefan Kunz hat unter demTitel »Bei Dir ist die Quelle des Lebens«einen sehr klugen, w<strong>und</strong>erbarpoetischen Text mit spirituellemTiefgang zu den je eigenen Zugangsmitdem Titel »Alles andere als intelligent– Warum ich die ›Intelligent-Design-Bewegung‹ ablehne« aus»zeitzeichen«, Ausgabe November2007 sowie die umfangreichen, sehrpraxisnahen Ausarbeitungen einerwürttembergischen Lehrergruppe»NaTuR« (Naturwissenschaft, Technik<strong>und</strong> Religion), die Sie auch aufder Internetseite des dortigen EvangelischenSchulwerks unterwww.evangelisches-schulwerk-inwuerttemberg.deunter der Rubrik»Abends im Weckherlin-Haus« findenkönnen.Zum Schluss noch ein wichtigerHinweis: Pfarrer Dr. Jens Feld, bisherStudienleiter des ReligionspädagogischenAmtes in Nassau, ist von derKirchenleitung zum 1. Februar 2008als neuer Leiter des Referates Schule<strong>und</strong> Religionsunterricht <strong>und</strong> damitzum Nachfolger von OberkirchenratHans Jung ernannt worden. Wir wünschenHerrn Dr. Feld Gottes Segen<strong>und</strong> eine glückliche Hand bei derAusübung seiner neuen beruflichenAufgaben <strong>und</strong> werden ihn in dernächsten Ausgabe der SchönbergerHefte ausführlicher vorstellen.Wir wünschen Ihnen viel Freude<strong>und</strong> interessante Anregungen beimLesen dieser Ausgabe.Hubert MeisingerBjörn Uwe RahlwesSchönberger Hefte 1|081


Intelligent Design – Lückenfüller miteinfachen Antworten auf komplexe Fragen?Eine Herausforderung an Naturwissenschaft <strong>und</strong> Theologievon Hubert Meisinger1. Zum KontextEin Beitrag des Wiener Kardinals Christoph Schönbornin der New York Times im Juli 2005 mit dem Titel»Finding Design in Nature«, zwei ARTE-Sendungen imSeptember 2006 <strong>und</strong> März 07 über Intelligent Design<strong>und</strong> Kreationismus <strong>und</strong> politische Auseinandersetzungenum die bisherige Hessische Kultusministerin KarinWolff, die unter der Überschrift »<strong>Schöpfung</strong>slehre imBiologieunterricht« liefen, haben einem ur-amerikanischeThema letztlich im Jahre 2007 auch in Deutschlandeine breite öffentliche Debatte beschert: Es gehtum die alte Frage nach »<strong>Schöpfung</strong> oder <strong>Evolution</strong>«,allgemeiner nach »Glaube oder Naturwissenschaft«.Um es gleich vorweg zu nehmen:Dies ist eine falsche Alternative, dieder Dynamik interdisziplinärer Fragestellungenin keiner Weise gerechtwird. Denn es befinden sichnicht auf der einen Seite die strenggläubigenChristinnen <strong>und</strong> Christen,die an die <strong>Schöpfung</strong> glauben, <strong>und</strong>auf der anderen die atheistischenNaturwissenschaftlerinnen <strong>und</strong> Naturwissenschaftler,denen einzig<strong>und</strong> allein die <strong>Evolution</strong>stheorie gewissermaßenals Glaubensbekenntnisdient. Die Risse gehen jeweilsdurch beide Bereiche hindurch. Dasgilt schon für Galileo Galilei, der gerneals Paradigma der Auseinandersetzung<strong>zwischen</strong> modernem naturwissenschaftlichemWeltbild <strong>und</strong>veralteter theologischer Weltsichthochstilisiert wird – was dem historischenBef<strong>und</strong> in keiner Weise entspricht.Seine empirische Erkenntnisbasiswird heute vielfach alsnicht ausreichend für seine Folgerungenangesehen.Das konfliktreiche Gespräch,aber auch die wachsende gegenseitigeBelebung <strong>zwischen</strong> Theologie<strong>und</strong> dem neuen Wissen vom Menschen<strong>und</strong> vom Kosmos begleitetenvielmehr die revolutionären Einsichtender Naturwissenschaftenseit dem 15. Jahrh<strong>und</strong>ert – überDarwin, Planck, Einstein <strong>und</strong> Heisenberg(einige Zitate dazu sieheim Text von Stefan Kunz in diesemHeft ab S. 17) bis in die jüngste Zeit.Doch die Hoffnung – vom TheologenPaul Tillich 1965 geäußert –,dass die Religion der Zukunft »vondem sinnlos gewordenen Konflikt<strong>zwischen</strong> Glauben <strong>und</strong> Wissen« freisein werde, scheint momentan wie-der in weite Ferne zu rücken – dazuträgt die Intelligent Design Bewegungals eine neue evolutionskritischeBewegung, die in den 1990erJahren entstanden ist, einen großenTeil bei.2. Was ist Intelligent Design?Mit dem Gr<strong>und</strong>gedanken eines»Intelligent Designs« wenden sichihre Vertreter vor allem gegen einenatheistischen Naturalismus oderNeo-Darwinismus, der die Phänomenedes Lebens allein durch Zufall(<strong>und</strong> andere <strong>Evolution</strong>smechanismen)erklärt. Seine extremste Formfindet dieser Neo-Darwinismus inder Brights-Bewegung oder in Veröffentlichungenwie »Der Gotteswahn«von Richard Dawkins, die Religionals große Illusion zu entlarvenversuchen.Demgegenüber vertritt die IntelligentDesign Bewegung die Position,dass es nicht-reduzierbar komplexePhänomene in der Welt gebe, zuderen Erklärung hinsichtlich ihrerGenese ein intelligenter Designernotwendig hinzugezogen werdenmüsse – ohne diesen jedoch mitdem christlichen Schöpfergottgleichzusetzen. Neben dem Augeoder der Geißel eines Bakteriumsdient als populäres Beispiel hierfürdie Mausefalle: Würde bei ihr einElement fehlen – sei es die Federoder ein Haken –, würde sie nichtals Mausefalle funktionieren. Eineschrittweise Entstehungließe sich nicht denken.Nur das Endprodukt könnedie entsprechendeFunktion erfüllen.Organisiert wird dieIntelligent Design Bewegungvom Discovery Institutein Seattle aus, andem Wissenschaftler unterschiedlicherFachrichtungenarbeiten, die denID-Ansatz verfolgen, <strong>und</strong>das durch Spenden großzügigerkonservativerMäzene unterhalten wird.Dessen Aufgabe ist es,die Kritik an naturwissenschaftlichem<strong>und</strong> philosophischemNaturalismuszu formulieren <strong>und</strong> nichtreduktionistischeStudienüber die natürliche Weltvoranzutreiben. Die Aufgabedieses Instituts <strong>und</strong>sein Anspruch dürfennicht unterschätzt werden,stellt es doch den Versuch dar,Wissenschaftlichkeit nach außen zuvertreten, indem es wissenschaftlicheStrukturen quasi nachzeichnet.Das vor wenigen Jahren an dieÖffentlichkeit gelangte »Wedge-Document«(Wedge = Keil) macht dengr<strong>und</strong>sätzlichen Anspruch der ID-Bewegung deutlich: Als Fünf-Jahres-Ziel wird darin formuliert, dass dieID-Theorie als akzeptierte Alternativein den Naturwissenschaften <strong>und</strong>in naturwissenschaftlicher Forschungangesehen wird – ein Ziel,das bisher nicht erreicht wurde –,als 20-Jahres-Ziel wird sogar dieDominanz der ID-Theorie im Bereichder Natur- <strong>und</strong> Geisteswissenschaf-2 Schönberger Hefte 1 | 08


4. Wo liegen dieHerausforderungen?Drei Herausforderungen sollenbenannt werden: Der naturwissenschaftlicheZugang zur Welt istgr<strong>und</strong>sätzlich von hoher Rationalitätgekennzeichnet <strong>und</strong> liefert ein enormesMaß an Verfügungswissen. Dabeigerät das Orientierungswissen inden Hintergr<strong>und</strong>: Geklärt wird zwar,was ist <strong>und</strong> wie es zu etwas kommt,nicht aber, wozu etwas dient oderwelche ethischen Folgerungen darausgezogen werden könnten.Gleichzeitig wird die Religion alsOrientierungswissen liefernde »Institution«in unserer Gesellschaftpartiell an den Rand gedrängt – oderist dahin ausgewandert: Ihrer institutionalisiertenForm als Kirchenunterschiedlicher Konfessionen wirdtrotz oder gerade angesichts der vieldiskutierten Renaissance der Religionnicht mehr die Kraft zugetraut,auf der Gr<strong>und</strong>lage der alten Mythen<strong>und</strong> Weisheiten für heute Richtungweisende Wertsetzungen zu geben.Ihre Weltsicht erscheint vielen kritischenZeitgenossinnen <strong>und</strong> -genossenals veraltet. Dadurch ist in derBeantwortung der Frage »Wozu?«eine Leerstelle entstanden. Diesewird weder von den Vertreterinnen<strong>und</strong> Vertretern der Naturwissenschaftnoch denen der Theologieausreichend gefüllt. Entstanden istdamit ein Einfallstor für vernunftkritische,f<strong>und</strong>amentalistische religiöseBewegungen, die in einem quasinaturwissenschaftlichenGewanddaher kommen: Kreationismus <strong>und</strong>Intelligent Design. Durch ein neuestheistisches Weltbild versucht geradedie Intelligent Design Bewegungdie genannte Leerstelle zu füllen<strong>und</strong> leitet konkrete Handlungsantenbis hin zur Kunst <strong>und</strong> ein von IDdurchdrungenes religiöses, kulturelles,moralisches <strong>und</strong> politisches Lebenanvisiert.ID ist nur im weitesten Sinne desWortes ein Vertreter des Kreationismus,nämlich insofern es eine kritischebis ablehnende Haltung imBlick auf die <strong>Evolution</strong>stheorie einnimmt.<strong>Im</strong> Unterschied zu einem 7-Tage-Kreationismus, der die <strong>Schöpfung</strong>sgeschichteder Bibel in 1. Mosewörtlich nimmt, akzeptiert ID jedochlange Zeiträume <strong>und</strong> die Mikro-<strong>Evolution</strong>,die zu Veränderungen innerhalbeiner Art führt. In der Makro-<strong>Evolution</strong>, die oberhalb der Art-Ebenestattfindet <strong>und</strong> bei der beispielsweiseneue Gattungen in den Blickgeraten, sieht ID jedoch aufgr<strong>und</strong>des Argumentes einer irreduziblenKomplexität bei naturwissenschaftlich(noch) nicht ausreichend bekanntenMechanismen einen IntelligentenDesigner am Werk. Dieser IntelligenteDesigner wird bewusstnicht mit dem christlichen Gott oderSchöpfer identifiziert, um nicht mitKreationismus in einem engerenSinne gleichgesetzt zu werden <strong>und</strong>damit – wie bei diesem geschehen –Gefahr zu laufen, sich nicht in Schulendurchsetzen zu können. Gleichwohlweist der Intelligente Designereine große Nähe auf zum Konzepteines reduktionistisch verstandenenchristlichen Schöpfergottes im Sinneeines Lückenbüßer-Gottes. Esgibt aber sehr wohl auch nichtchristlichmotivierte ID-Bewegungen,beispielsweise im Islam <strong>und</strong>auch bei Menschen, die keiner Religionangehören.3. Ist Intelligent Design eine Naturwissenschaft,eine Theologieoder eine Religion?In der weltweiten naturwissenschaftlichenGemeinschaft wird IntelligentDesign mit guten Gründennicht als naturwissenschaftlicheTheorie angesehen. Denn IntelligentDesign liefert keine eigenen konstruktivenBeiträge zu naturwissenschaftlichenFragestellungen, sondernbezieht sich auf die zu naturwissenschaftlicherForschung geradeerforderlichen »Lücken« naturwissenschaftlicherErkenntnis <strong>und</strong>stellt mit dem »Kunstgriff« des intelligentenDesigners einen Lückenbüßerder Erklärung bereit. An denGrenzen naturwissenschaftlicherErkenntnis beginnt jedoch nicht Design,sondern Nichtwissen, das zuwissenschaftlicher Phantasie <strong>und</strong>Neugierde anregt. Von daher sollteID ebenfalls nicht als neue Metaphysikbezeichnet werden.Versteht man Theologie als wissenschaftlicheReflexion religiöserÜberzeugungen <strong>und</strong> Handlungen,dann ist ID auch keine Theologie.Einer funktionalen Interpretation derReligion als Komplexitätsreduktion,wie sie Niklas Luhmann vornimmt,kommt sie jedoch sehr nahe. Denndie Art <strong>und</strong> Weise ihres Umgangsmit der sog. irreduziblen Komplexitätläuft genau auf eine Komplexitätsreduktionhinaus: Es wird eineeinfache »Erklärung« für offene Frageneingeführt, nämlich der Schlussauf einen intelligenten Designer. ID»befriedigt« in gewissem Sinne dieSuche nach »klaren« <strong>und</strong> »einfachen«Antworten in einer zunehmendkomplexer werdenden Welt.Eine besondere Schwachstelledes religiösen F<strong>und</strong>amentalismus,des von ihm ausgehenden Kreationismus<strong>und</strong> auch seiner modernenVariante ID ist die völlige Ablehnungeiner auch historisch-kritischenSicht der biblischen Texte. Wer aberprinzipiell über dieses Wissen hinwegsieht,verfehlt in der Regel denSinn der biblischen Aussagen.<strong>Im</strong> wissenschaftlichen Diskurs inden Naturwissenschaften wie in derTheologie findet somit der IntelligentDesign Gedanke keine ernsthafteAnerkennung – »falls manhier überhaupt von ›Denken‹ redenkann«, so kritisch der Physiker <strong>und</strong>How <strong>Evolution</strong> Really WorksPhilosoph Hans-Dieter Mutschler(Intelligent Design. Spricht die <strong>Evolution</strong>von Gott?, in: BischöflichesOrdinariat Limburg: Alles reiner Zufall?Streit um Gott als intelligentenDesigner, Info 35, 3/2006, S. 104).Schönberger Hefte 1 | 083


weisungen ab, die der Aushöhlungvon Moral <strong>und</strong> Verantwortung durcheine materialistische Weltsicht entgegenwirken sollen – insofern dieseAushöhlung als real angesehen wird<strong>und</strong> man diese vereinfachende,monokausale Herleitung durch dieIntelligent Design Bewegung gewilltist zu teilen.Ein weiterer Punkt betrifft die Darstellungnaturwissenschaftlicher<strong>und</strong> theologischer Forschung in derÖffentlichkeit. Obwohl es im naturwissenschaftlichenBereich mit»Spektrum der Wissenschaft«, »Bildder Wissenschaft« oder »P.M.« <strong>und</strong>in der Theologie mit beispielsweiseder Zeitschrift »zeitzeichen« oderder Herder-Korrespondenz gute Angebotegibt, die auch in Richtung einerPopularisierung zielen, müssendiese Angebote dringend ausgebaut<strong>und</strong> einer größeren Öffentlichkeitzugänglich gemacht werden: die»Kunst der Wissenschaftspopularisierung«,der allgemein verständlichenDarstellung naturwissenschaftlicher<strong>und</strong> theologischer Forschung,ist neu einzuüben. Dabeimüsste es in erster Linie auch gelingen,das in der Öffentlichkeit alsvorherrschend wahrgenommeneKonflikt-Verständnis <strong>zwischen</strong> Naturwissenschaften<strong>und</strong> Theologieaufzubrechen. Ihm gegenüber giltes, auf die Pluralität an kreativen,diskursiven Ansätzen auch im konkretenDialog miteinander hinzuweisen,durch die das interdisziplinäreFachgespräch in Deutschland, Europa<strong>und</strong> weltweit gekennzeichnetist.Nicht zuletzt geht es umden Bereich der schulischenBildung. Dass die Unterrichtssituationvon Religion in denUSA verschieden ist zumdeutschen Schulsystem,muss nicht ausführlich erläutertwerden – das UnterrichtsfachReligion gehört nichtzum amerikanischen Fächerkanon<strong>und</strong> jede Schulbehörde kann eigeneLehrpläne aufstellen. Von daher versuchtID, unter dem Deckmantel derNaturwissenschaft Eingang ins Bildungssystemzu finden, <strong>und</strong> ist daran2005 in Dover gescheitert: RichterJohn E. Jones fällte dort ein klaresUrteil – Intelligent Design imUnterricht sei verfassungswidrig<strong>und</strong> die ID-Politik der entsprechendenSchulbehörde eine »atemberaubendeHirnverbranntheit«.Diese Vorgänge weisen aber aufdie Notwendigkeit hin, das evolutiveVerständnis von der Entstehungdes Kosmos, der Natur <strong>und</strong> desMenschen ausreichend <strong>und</strong> Zusammenhängeherstellend im Fächerkanonzu verankern – verb<strong>und</strong>enmit dem Gr<strong>und</strong>gedanken, dassin der Schule bereits eine differenzierteAuseinandersetzung mit denGrenzen naturwissenschaftlicherErkenntnis stattfinden sollte. So,wie es auch im Lehrplan Biologiefür den gymnasialen Bildungsgangdes Hessischen Kultusministeriumsaus dem Jahre 2003 für die 13.Jahrgangsstufe zum Thema <strong>Evolution</strong>zu finden ist: »Auseinandersetzungenmit philosophischen <strong>und</strong>religiösen Aussagen müssen dienaturwissenschaftliche Diskussionergänzen <strong>und</strong> erweitern«. Daraufhatte sich die bisherige hessischeKultusministerin Karin Wolff bezogen,nicht auf die simple Formel»<strong>Schöpfung</strong>slehre im Biologieunterricht«.Ein moderner Biologie- wie Physikunterrichtwird ebenso wie einmoderner Religionsunterricht seineeigenen Grenzen ertasten <strong>und</strong> durchinterdisziplinäre Angebote im jeweiligenFachunterricht oder in Projektengerade dadurch junge Menschensensibel <strong>und</strong> wachsam machengegenüber den unwissenschaftlichen<strong>und</strong> theologisch inakzeptablenVorstellungen der Kreationisten<strong>und</strong> der ID-Bewegung, aber auchgegenüber zu starken Vereinseitigungeneines Neo-DarwinismusDawkinscher Prägung.Dabei kann es nicht bei einem einfachenNebeneinander der verschiedenenDisziplinen bleiben, wie esimmer wieder formuliert wird. <strong>Im</strong>Sinne einer »fre<strong>und</strong>schaftlichenWechselwirkung« werden Berührungspunktezu finden sein, diegemeinsam, konstruktiv <strong>und</strong> mitgegenseitigem Respekt betrachtetwerden können. Nicht erst am Endesteht dabei die Gottesfrage – dieFrage nach einem neuen, dynamischerenGottesverständnis, das sichmöglicherweise aus dieser gemeinsameninterdisziplinären Suchbewegungheraus ergeben wird.Die Generierung <strong>und</strong> Entwicklungvon Gottes-, Menschen- <strong>und</strong> Weltbildernist Teil der Identitätsbildungeines Menschen, gerade imKinder- <strong>und</strong> Jugendalter, <strong>und</strong> diegelingende Verständigung darüberist ein lebenslang bedeutender Beitragzur Stabilität <strong>und</strong> Weiterentwicklungeiner Gesellschaft. In diesemSinne muss dem interdisziplinärenDialog im Alltag unsererSchulen, aber auch darüber hinaus,eine weitaus höhere Bedeutung alsbisher beigemessen werden.Pfarrer Dr. Hubert Meisinger ist Referentfür Umweltfragen im <strong>Zentrum</strong> GesellschaftlicheVerantwortung der EKHN <strong>und</strong>nebenamtlicher Studienleiter für Naturwissenschaft<strong>und</strong> Theologie an der Ev.Akademie Arnoldshain.Anschriften derAutorinnen <strong>und</strong>Autoren dieses HeftsFrank-Tilo BecherDr. Harmjan DamProf. Dr. Astrid DinterProf. Dr. Thomas JunkerDr. Stefan KunzDr. Hubert MeisingerBjörn Uwe RahlwesSusanne SchmidtDr. Wolf-Rüdiger SchmidtDr. Johannes SikorskiDr. Taede A. SmedesCarl-Franz-Straße 24, 35392, GießenRPZ Schönberg, <strong>Im</strong> Brühl 30, 61476 KronbergPädagogische Hochschule WeingartenKirchplatz 2, 88250 WeingartenUniversität Tübingen, Biologisches InstitutAuf der Morgenstelle 28, 72076 TübingenHemsbergstraße 48, 64625 Bensheim<strong>Zentrum</strong> Gesellschaftliche Verantwortung der EKHNAlbert-Schweitzer-Straße 113-115, 55128 MainzRPZ Schönberg, <strong>Im</strong> Brühl 30, 61476 KronbergNordring 28, 35614 Asslar-WerdorfZum Golzenberg 12, 65207 WiesbadenDSMZ – Deutsche Sammlung von Mikroorganismen <strong>und</strong>Zellkulturen GmbH, Inhoffenstraße 7B, 38124 BraunschweigLodewijk von Deyssellaan 51, 2182 VN Hillegom, Netherlands4 Schönberger Hefte 1 | 08


Intelligent Design:Theologie, Naturwissenschaft oder Ideologie?von Taede A. SmedesIntelligent Design (ID) hat sich ab 1990 aus demamerikanischen Kreationismus heraus entwickelt. IDwird oft charakterisiert als eine anti-evolutionäre <strong>und</strong>anti-wissenschaftliche Bewegung. Doch das stimmtnur zum Teil. ID ist anti-evolutionär, insofern als ID-Anhänger nicht akzeptieren, dass die evolutionärenMechanismen die Komplexität der Lebewesen adäquat<strong>und</strong> vollständig erklären können. Die meisten ID-Anhängerakzeptieren jedoch, dass Organismen sich imLaufe der Zeit ändern.Der entscheidende Punkt beimWiderstand gegen die <strong>Evolution</strong>stheorieist der Status des Menschen.Denn auch der Mensch ist nach heutigenwissenschaftlichen Erkenntnissenevolutionären Mechanismenunterworfen. Die <strong>Evolution</strong>stheoriebesagt, dass der Mensch ein entwickeltesTier ist <strong>und</strong> nicht ein durchGott direkt geschaffenes Wesen, dasüber die Natur erhaben ist.ID-Anhänger haben aber nicht nuranthropologische Schwierigkeitenmit der <strong>Evolution</strong>stheorie, es gibtauch große theologische Schwierigkeiten.Denn in der <strong>Evolution</strong>stheorieals naturwissenschaftlicher Theorieist für Gott kein Platz. Die <strong>Evolution</strong>stheoriegeht von einem methodischenNaturalismus aus, für denübernatürliche Ursachen oder Entitätenwie Gott – sofern hier überhauptvon einer Entität gesprochenwerden darf – methodisch irrelevantsind.Dieser methodische Naturalismusist ein essentielles Gr<strong>und</strong>prinzip derheutigen Naturwissenschaften. Erist, <strong>und</strong> das soll hier betont werden,eine methodische Voraussetzungder Wissenschaft. Dieser methodischeNaturalismus ist zu unterscheidenvon dem metaphysischen Naturalismus,der die Existenz transzendenterPrinzipien oder Ursachenablehnt. Der metaphysische Naturalismusbeinhaltet also eine ontologischeAussage, während der methodischeNaturalismus eine methodischeAnnahme ist, die – negativformuliert – nur besagt, dass die naturwissenschaftlicheMethode begrenztist, weil sie sich ausschließlichmit natürlichen Ursachen beschäftigt.Jedoch – <strong>und</strong> hier wird die Sachlagekomplizierter – glauben amerikanischeID-Anhänger, dass der Unterschied<strong>zwischen</strong> methodischem <strong>und</strong>metaphysischem Naturalismus nichtaufrecht zu erhalten ist. WilliamDembski <strong>und</strong> andere amerikanischeID-Anhänger glauben, es gäbe einekausale Verbindung <strong>zwischen</strong> methodischem<strong>und</strong> metaphysischemNaturalismus.Dabei ist zu bedenken, dass dieNaturwissenschaften großen Einflussin unserer Gesellschaft ausüben– nicht nur in technischer Hinsicht,sondern gerade im Hinblickauf das Weltbild unserer Gesellschaft.ID-Anhänger meinen nun,dass der metaphysische Naturalismusder Naturwissenschaften,insbesondere der darwinistischen<strong>Evolution</strong>stheorie, eine unmoralischeLebensführung zur Folge habe,die sich beispielsweise als wachsendeSäkularisation der Gesellschaftäußere, vor allem aber in ethischen»Auswüchsen« sichtbar werde wieder Akzeptierung oder sogar Institutionalisierungvon Euthanasie <strong>und</strong>Homoehe.Mit anderen Worten: ID-Anhängervertreten die Auffassung, dass dieNaturwissenschaften nicht neutralsind, sondern immer eine ideologischeKomponente besitzen. So sagtder Urvater der ID-Bewegung, derJurist Phillip Johnson, dass Ideologen<strong>und</strong> Weltbild-Philosophen diekulturelle Autorität der Naturwissenschaftenbenutzen, um metaphysischeAussagen zu legitimieren, dienicht testbar sind <strong>und</strong> weit über dievorhandenen empirischen Datenhinausgehen.Wissenschaft wird so in denAugen von ID-Anhängern zu eineratheistischen Ideologie.Weil die Naturwissenschafteneinen solch großen formenden Einflussauf unser Weltbild haben, strebenID-Anhänger eine Reformationder Naturwissenschaften selber an.Der methodische Naturalismus sollaufgegeben werden, so dass auch inden Naturwissenschaften Offenheitentsteht für die Möglichkeit, dasstranszendente Ursachen in unsererWelt wirksam sind. Dazu kommt,dass ID-Anhänger die darwinistischenMechanismen für eine Erklärungder Entstehung <strong>und</strong> Entwicklungder Komplexität irdischer Lebensformenwie die des Menschenals unzureichend ansehen.Ohne diesen methodischen Naturalismuswürde die Wissenschaft mitHilfe intelligenter Ursachlichkeitbesser erklären können, wie möglicherweisedas Leben oder, allgemeinerformuliert, nicht-reduzierbarekomplexe Strukturen auf der Erdeentstanden sind. Damit würde sichder Einfluss der Naturwissenschaftenin unserem Weltbild entscheidendändern. Jetzt, so glauben ID-Anhänger, haben die Naturwissenschafteneine atheisierende Wirkungauf das Weltbild vieler Menschen.Wenn aber die Naturwissenschaftendie Möglichkeit transzendenter Ursächlichkeitanerkennen, dann wirdauch der Mensch zukünftig wiedermit Gottes Präsenz <strong>und</strong> Wirksamkeitin der Welt rechnen müssen. So hoffenamerikanische ID-Anhänger wieDembski <strong>und</strong> Pearcey, dass eine Erneuerungder Naturwissenschaftennach ID-Kriterien die Furcht Gotteserneut in den Herzen der Menscheneinbringen wird, so dass sie ihr Lebennach evangelikalisch-normativenMaßstäben leben werden. Aufdiese Weise – so die damit verb<strong>und</strong>eneHoffnung der ID-Vertreter –werde die erneuerte Naturwissenschafteine Welt erschaffen ohneSchwangerschaftsabbruch, Euthanasie,Homoehe <strong>und</strong> so weiter.Ist ID also Theologie, Naturwissenschaftoder Ideologie? Ich binder Meinung, dass es sich bei IDum letzteres handelt: ID benutztdie Naturwissenschaften <strong>und</strong> derenAutorität, um ihr religiös inspiriertesGesellschaftsideal politischdurchzusetzen. Das aber ist reineIdeologie.Die Theologie der ID-Bewegungist – sofern man überhaupt von einerTheologie sprechen kann – äußerstf<strong>und</strong>amentalistisch, als ob esbei religiösen Aussagen um Beschreibungenvon Sachverhalten inder Wirklichkeit gehe. Jegliches hermeneutisches<strong>und</strong> religiöses Symbolbewusstseinist bei den meistenID-Anhängern völlig abwesend.Eine Identifikation des Designersmit dem Gott des christlichen Glaubensist jedoch theologisch problematisch,da der Designer nichttranszendent <strong>und</strong> nicht der erhabeneSchöpfer ist, sondern ein Wesen,das in einem KonkurrenzverhältnisSchönberger Hefte 1 | 085


zur Welt steht. ID-Anhänger meinennun, dass ein Handeln Gottes in derWelt ausgeschlossen ist, wenn dermethodische Naturalismus stimmt.Damit gerät der Gott des christlichenGlaubens in ein direktes Konkurrenzverhältniszur Welt. Weil Gottaber der Schöpfer der Welt ist, kanner nicht in einer solchen Konkurrenzstehen. Nur wenn Gott ein Objektwäre, könnte er mit der Welt konkurrieren.Der Gott von ID ist also ein kleinerGott, <strong>und</strong> nicht der transzendente<strong>und</strong> anbetenswürdige Gott deschristlichen Glaubens. ID ist somitnicht mehr als ein Versuch, GottesRealität zu domestizieren, zu zähmen<strong>und</strong> damit unter absolutemenschliche Kontrolle zu bekommen– dazu mehr in meinem folgendenArtikel.Dr. Taede A. Smedes (1973) ist Religionsphilosoph<strong>und</strong> Systematischer Theologe<strong>und</strong> spezialisiert auf das Verhältnis vonTheologie <strong>und</strong> Naturwissenschaft. ZurZeit arbeitet er als Research Fellow an dertheologischen Fakultät der KatholischenUniversität von Leuven (Belgien).Erschaffung der Pflanzen <strong>und</strong> BäumeErschaffung der TiereAbbildungen aus der Bibel des Abtes Matteo di Planisio. Ms. lat. 3550, folio 5 v. Biblioteca Apostolica Vaticana, VatikanIntelligent Design:Wieviel Quatsch kann ein Theologe ertragen?von Taede A. SmedesIn den letzten Jahren ist häufigüber die Möglichkeit von GottesHandeln in der Welt gesprochenworden: Divine action ist ein zentralerBegriff in der internationalen Debatteüber das Verhältnis von Theologie<strong>und</strong> Naturwissenschaften. Daszugr<strong>und</strong>e liegende Problem ist, dassviele Naturwissenschaftler wie auchviele Theologen meinen, dass dasErklärungspotenzial der Naturwissenschafteneine Bedrohung für dasReden über Gottes Handeln darstellt.Ein gutes Beispiel dafür istIntelligent Design: ID-Anhänger sindder Auffassung, dass es nicht längermöglich ist, von Gottes Handeln an<strong>und</strong> mit seinen Geschöpfen zu sprechen,wenn die darwinistischen <strong>Evolution</strong>smechanismenimstande sind,das Entstehen <strong>und</strong> die Entwicklungvon Leben auf der Erde ausreichendzu erklären. Dabei wird das Verhältnis<strong>zwischen</strong> Theologie <strong>und</strong> Naturwissenschaft– <strong>und</strong> das <strong>zwischen</strong>Gott <strong>und</strong> Welt – als ein Konkurrenzverhältnisbeschrieben.Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> versuchenID-Anhänger, die <strong>Evolution</strong>stheoriezu bekämpfen. Sie versuchenLücken in der <strong>Evolution</strong>stheoriezu finden, die dann als Öffnungenfür göttliche Interventionen im Weltprozessfungieren können. Leiderakzeptieren viele Gläubige diese Argumentationals zutreffend:Je mehr die Naturwissenschaftenerklären können, desto wenigerbleibt Raum, über Gott zu reden.Das Naturgeschehen, so wird in dieserArgumentation unterstellt, darfalso nicht geschlossen sein. Wennder Kausalnexus der Welt geschlossenist, gibt es keinen Raum für Gottzu handeln.Diese Weise über Gott zu denkenist weit verbreitet, nicht nur unterAtheisten wie Richard Dawkins <strong>und</strong>Daniel Dennett, sondern auch untergläubigen Menschen. Man könntediese Position »realistische Theologie«nennen, weil ihre Anhängermeinen, bei religiösen Aussagenhandele es sich um Beschreibungenvon bestimmten Sachverhältnissen.Ich halte das theologisch für äußerstproblematisch, weil Gott gar keinnaturwissenschaftliches Konzept ist.Das Wort »Gott« hat <strong>und</strong> macht6 Schönberger Hefte 1 | 08


Schönberger Hefte 1 | 08keinen Sinn in einem naturwissenschaftlichenKontext.Vergleichen Sie dazu diese beidenSätze: (1) Elektronen existieren –(2) Gott existiert. Beide weisen zwardie gleiche grammatische Strukturauf, <strong>und</strong> vielleicht würden mancheWissenschaftler <strong>und</strong> Gläubige sogarsagen: »Es handelt sich in beidenSätzen um Aussagen über unsichtbareEntitäten. Vielleicht kann mandurch Experimente den Wirkungendieser Entitäten auf die Spur kommen.«Genau das entspräche derPosition von ID. Ich glaube jedoch,dass beide Sätze trotz strukturellerGemeinsamkeiten in ihrem Sinn <strong>und</strong>in ihrer Bedeutung so f<strong>und</strong>amentalverschieden sind, dass die naturwissenschaftlicheAussage über Gottals »unsichtbare Entität, deren Wirkungenwir vielleicht auf die Spurkommen können« totaler Quatschist.Wenn wir die Transzendenz Gottesernst nehmen, können wir von Gottnicht als einer »Entität« reden. Gottist keine Entität, wie wir Entitäten inunserer Welt begegnen – einemPferd, einer Kuh, einer Apfeltorte,einer schönen Frau oder dem ICEnach Frankfurt. Das sind Entitäten –in dem Sinne, dass es in bestimmtenSituationen Sinn macht, überdiese Dinge als »Entitäten« zu reden.Aber Gott ist kein innerweltlichesObjekt, als Schöpfer liegt er innerweltlichenObjekten zugr<strong>und</strong>e. VonGott wird gesagt, dass er transzendentist. Also müssen wir eingestehen,dass unsere Sprache in gewisserHinsicht gar nicht geeignet ist,um über Gott zu reden. Wie diemittelalterlichen »negativen Theologen«<strong>und</strong> Mystiker schon wussten:wenn <strong>und</strong> wo wir Gott begegnen,kommt unser Sprachgebrauch anseine Grenze.Unsere Sprache ist zustande gekommenin Interaktion mit unsererempirischen Umwelt, unserer Lebenswelt.Wenn Gläubige von Gottreden, benutzen sie zwar Worte, diein dieser unserer Sprache vorhandensind, aber – <strong>und</strong> hier liegt derspringende Punkt – sie benutzendiese Worte nicht im selben Sinne.Sprachphilosophen haben schonlange gesagt, dass die Bedeutungunserer Wörter zusammenhängt mitdem Kontext, in dem sie benutztwerden. Das gilt auch für den Gebrauchvon Worten, für Sprache inreligiösen Kontexten. Wir verwendenWörter, die auch in unserer Lebensweltbenutzt werden, aber die Bedeutungdieser Wörter ändert sich,wenn über die transzendente RealitätGottes gesprochen wird. Gläubigebeten zwar zu Gott als »unserVater«, wissen aber genau, dass essich hier nicht um eine gewöhnlicheVater-Kind-Beziehung im Sinne einesbiologischen Verhältnisses handelt.Also ist es z.B. auch unsinnig,göttliches DNA finden zu wollen;wer sucht, wird sie nicht finden.Gerade die Kontextbezogenheit vonSprache <strong>und</strong> der Bedeutung einzelnerWörter wird aus den Augen verloren,wenn von Gottes Handeln auseiner naturwissenschaftlichen Perspektivegesprochen wird.Über GottesWirkungen kannnicht gesprochenwerden, als seiendiese Kausalwirkungender geschaffenenWelt –eben weil Gottder Schöpfer ist.Gott der Schöpferist nicht den Naturgesetzenunterworfen, dieer geschaffenhat. Gerade weilGott der Schöpferist, ist es ihm(vielleicht) möglich,auf eine Art<strong>und</strong> Weise in derWelt zu handeln,die inkommensurabelist mit denNaturgesetzen.Damit sind seineHandlungenin der Welt keineInterventionenoder Durchbrechungender geschaffenenOrdnung,denn Gottist überhauptnicht den Spielregeln, die für die geschaffeneOrdnung gelten, unterworfen.Seine Handlungen sind dieeiner anderen Ordnung.Wenn wir aber annehmen, Gottkönne nur handeln, wenn etwas inunserer Wirklichkeit aufhört zu handeln,dann sind wir mitten im Prozess,Gottes Transzendenz zu domestizieren:Wir reduzieren Gottes Realität zueiner Realität, die für unser naturwissenschaftlichgeprägtes Vorstellungsvermögenfassbar ist. Wirbeten dann keinen Gott mehr an,sondern ein Götzenbild, das nachmenschlichem Maß geschaffen ist.Vergleichen Siediese beiden Sätze:(1) Elektronen existieren –(2) Gott existiert.Beide weisen zwar diegleiche grammatischeStruktur auf, <strong>und</strong> vielleichtwürden manche Wissenschaftler<strong>und</strong> Gläubigesogar sagen: »Es handeltsich in beiden Sätzen umAussagen über unsichtbareEntitäten. Vielleicht kannman durch Experimente denWirkungen dieser Entitätenauf die Spur kommen.«Genau das entsprächeder Position von ID.Ich glaube jedoch, dassbeide Sätze trotz strukturellerGemeinsamkeiten inihrem Sinn <strong>und</strong> in ihrerBedeutung so f<strong>und</strong>amentalverschieden sind, dass dienaturwissenschaftlicheAussage über Gott als»unsichtbare Entität,deren Wirkungen wirvielleicht auf die Spurkommen können« totalerQuatsch ist.Damit will ich zeigen, dass einegroße Herausforderung der systematischenTheologie methodischerArt ist: Erforderlich ist eine konzeptionelleAnalyse religiöser Sprache,um heraus zu stellen, wie sich dieGrammatik dieses Sprachspielsunterscheidet von der des naturwissenschaftlichenSprachspiels. Mitanderen Worten: die Eigenlogik vontheologischen Konzepten muss klarherausgearbeitet werden. Nur wennder Unterschied <strong>zwischen</strong> diesenzwei Sprachspielen klar ist, kannman in einem zweiten Schritt sehen,ob <strong>und</strong> gegebenenfalls wo es Konflikte,Kontaktpunkte <strong>und</strong> vielleichtGelegenheiten zu einem Dialog <strong>zwischen</strong>Theologie <strong>und</strong>Naturwissenschaftengibt.Ich bin davon überzeugt,dass sich die<strong>Evolution</strong>stheoriedann nicht als Bedrohungfür die Theologieherausstellen wird,wie es jetzt von ID dargestelltwird. Ja, vielmehrwird sich ID selberals »falsche Theologie«herausstellen:als eine Weise überGott zu reden, die theologischinakzeptabelist, weil sie Gott zueinem Objekt unter(geschaffenen) Objektenmacht.Schroffer ausgedrückt:die Konstruktion,die ID von GottesHandeln macht, ist totalerQuatsch. Theologensollten sich deutlichdagegen wehren.Eben weil Gott Gott ist<strong>und</strong> kein Objekt unterObjekten, solltenTheologen klar machen,dass es keineKonkurrenz <strong>zwischen</strong> Gott <strong>und</strong> derWelt gibt. Damit würde dann auchder Konflikt <strong>zwischen</strong> dem naturwissenschaftlichenErklärungspotentialder <strong>Evolution</strong>stheorie <strong>und</strong> GottesHandeln als Scheinkonflikt entlarvt.Dr. Taede A. Smedes (1973) ist Religionsphilosoph<strong>und</strong> Systematischer Theologe<strong>und</strong> spezialisiert auf das Verhältnis vonTheologie <strong>und</strong> Naturwissenschaft. ZurZeit arbeitet er als Research Fellow ander theologischen Fakultät der KatholischenUniversität von Leuven (Belgien).7


Unter Kreationismus-Verdacht?Nicht der Kreationismus, sondern das evolutionäre Weltbild fordert Kirche <strong>und</strong> Theologie herausvon Wolf-Rüdiger SchmidtSind Theologen, Religionslehrer, Zeitgenossen mitInteresse an Religion, versprengte Christen hier <strong>und</strong>dort tatsächlich verspätete Wesen des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts,an denen die Naturwissenschaften, die Einsichtender <strong>Evolution</strong>sbiologie vorbei geglitten sind wieWasser an Öl? Muss man ihnen noch einmal zornig <strong>und</strong>ziemlich aufgeregt sagen, »die christliche <strong>Schöpfung</strong>slehresei keine eigentliche Wissenschaft«, wie es imJahr 2007 in einem heftigen Schlagabtausch nach Äußerungender damaligen Hessischen Kultusministerinmehrfach auch von gebildeten Naturwissenschaftlernzu vernehmen war? 1 Muss eine renommierte Instanz,ein Biologe <strong>und</strong> Frankfurter Stadtelternbeirat verärgertbetonen, »Adam <strong>und</strong> Eva« seien »unwissenschaftlicheGrößen«, ein »Mythos«, der nichts anderes sei als »einProdukt von Fantasien <strong>und</strong> Träumen«, wie Religion insgesamtals »vorwissenschaftlich« zu gelten habe, wasin der ansonsten sehr brauchbaren hessischen LehrerzeitschriftHLZ 2 zu lesen war?Nein, die Theologen <strong>und</strong> auchzahllose Eltern, die ihre Kinder zumReligionsunterricht schicken, Christenunterschiedlichster Konfessionensind tatsächlich weiter, als dassman ihnen nochmals sagen müsste,der »biblische <strong>Schöpfung</strong>sbericht«sei »unwissenschaftlich«. Andersals ein unbelehrbarer Kreationismuswissen sie durch eine einmalig akribischehistorisch-kritische Forschungspätestens seit dem 18. Jahrh<strong>und</strong>ert,seit H. S. Reimarus, G. E.Lessing <strong>und</strong> zahllosen anderen bisin die jüngste Zeit etwas von derhistorischen Bedingtheit <strong>und</strong> damitauch weltanschaulichen Relativitätder biblischen Aussagen, von ihrensehr unterschiedlichen Aussageformen,langen redaktionellen Prozessen,späten Überformungen <strong>und</strong> sofort.Natürlich, Natur-»Wissenschaft«im Sinne der Separierbarkeit <strong>und</strong>Reduktion, des wiederholbaren Experiments<strong>und</strong> der Berechenbarkeitsind die über zweieinhalbtausendJahre alten Texte nicht. Aber sie sindeben doch wesentlich mehr als »einReim, den sich die Menschen vorJahrtausenden auf die Existenz derWelt <strong>und</strong> des Menschen gemachthaben«. Sie sind zunächst einmalein herausragendes Dokument dereuropäischen Geistes- <strong>und</strong> Kulturgeschichte– das könnte auch ein Naturwissenschaftlerheute respektieren– <strong>und</strong> im Vergleich zu anderenantiken <strong>Schöpfung</strong>smythen in allerAmbivalenz (»Macht euch die Erdeuntertan!«) das Zeugnis einer frühenAufklärung. Selbstverständlichbleiben die Texte dabei im Horizontdamaliger Welterkenntnis, aber siehaben tiefgreifend Geschichte gemachtbis hin zu Darwin <strong>und</strong> zu uns.»... der Mensch selbst ist<strong>Evolution</strong>«Ganz offensichtlich traut man esder Kirche <strong>und</strong> ihren Theologennicht zu, dass sie das Wissen der<strong>Evolution</strong>sbiologie über die verbaleZustimmung hinaus wirklich ernstnehmen. Etwa das Wissen, dass allesLeben nicht nur dem zufälligenSpiel von Mutation, Selektion <strong>und</strong>Anpassung ausgeliefert ist, sonderndass der Mensch selbst im strengenSinne <strong>Evolution</strong> ist. Und dass ausder <strong>Evolution</strong> der Natur Kultur hervorgetretenist, eine neue Systemeigenschaft, zu der auch die Religionmit ihrer spezifischen Fähigkeit gehört,Welt <strong>und</strong> Leben zu deuten <strong>und</strong>eine existentielle Binnenperspektivedes Lebens zu formulieren. Mantraut es der Kirche <strong>und</strong> ihren Vertreternnicht zu, weil man nicht ganzunberechtigt wohl ahnt, dass Darwinfür das Gesamtsystem Religion<strong>und</strong> Glaube eine größere Herausforderungdarstellt als die schlichteAussage, der Mensch stamme vomAffen ab. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong>scheinen mir die Aufgeregtheitenverständlich zu werden, wenn sichirgendwer irgendwo zu einer kritischenVermittlung von biblischer<strong>Schöpfung</strong>ssicht <strong>und</strong> dem modernennaturwissenschaftlichen Weltbildäußert.Erinnert sei an den Aufschrei bishin zu einer Leserbriefflut in der Lokalpresse,als die erwähnte <strong>und</strong> seinerzeitigeHessische Kultusministerinim Sommer 2007 eine gewissmissverständliche, aber auch wohlwollendinterpretierbare Aussagezur »<strong>Schöpfung</strong>slehre im Biologieunterricht«machte. Obwohl siedeutlich erklärte, dass es in Genesis1 <strong>und</strong> 2 um »symbolhafte Erzählungen«<strong>und</strong> keinen »naturwissenschaftlichenAbriss« gehe, glaubtedie Frankfurter R<strong>und</strong>schau 3 feststellenzu können, »von wie weit obendie deutsche Pisa-Schwäche käme«.Und selbst ein Redakteur der ZEITsah in den Aussagen der Ministerin»ein Beispiel für die wachsende <strong>Im</strong>pertinenzreligiöser Menschen«. 4 Ineiner Reihe von Leserbriefen musstensich die ansonsten fitten Journalistensagen lassen, dass sich ihreReaktionen auf dem Niveau der vormehr als h<strong>und</strong>ert Jahren geführtenDiskussion um die <strong>Evolution</strong>stheoriebewegen.Insgesamt scheint dem Beobachteröffentlicher Lernprozesse diejüngste Diskussion um »Bibel <strong>und</strong>Biologie« jedoch zu zeigen, dassdas offenk<strong>und</strong>ige Defizit zunächstbei der Kirche selbst <strong>und</strong> der Vermittlungder Theologie in Predigt<strong>und</strong> Unterricht zu suchen ist. Es istnoch nicht gelungen, das evolutionäreWeltbild, das fraglos zunehmendalle Wissensbereiche unseresLebens durchdringt, mit dem bisheute vielfältig wirksamen Menschen-<strong>und</strong> Gottesbild der jüdischchristlich(<strong>und</strong> auch muslimisch) geprägtenTradition produktiv zu verbinden.Die weitreichende Einsicht in dendynamischen Charakter alles Werdensder Welt <strong>und</strong> des Lebensmacht vor gr<strong>und</strong>sätzlichen weltanschaulichenFragen nicht Halt. Zufragen ist etwa: Kann man von Gott,dem in der hebräischen Ursprungstraditionletztlich Unbenennbaren<strong>und</strong> Namenlosen, anders sprechenals ebenfalls in den Vorstellungendes Werdens, der <strong>Evolution</strong> – stattdes herkömmlichen zeitlosen Seins?Ist dieser Unbenennbare nicht einer,der – um es biblisch-anthropomorphzu sagen – stets »voraus zieht«, ein»Gott im Werden der Welt« <strong>und</strong> einWerden der Welt in Gott?Eine Sichtweise, die diese Fragenaufnimmt <strong>und</strong> eine Beziehung der<strong>Evolution</strong>sperspektive auf das jüdisch-christliche<strong>Schöpfung</strong>sverständnisgedanklich anregend herstellt,ist aus meiner Erfahrung nochimmer die des Neurologen <strong>und</strong> WissenschaftsjournalistenHoimar vonDitfurth: »<strong>Evolution</strong> ist die Auslegungder <strong>Schöpfung</strong> in der Zeit«,sagte er oft. Für ihn, den Naturwissenschaftler,ist »die Geschichte desKosmos nichts anderes als der Augenblickder <strong>Schöpfung</strong>«, <strong>und</strong> wirals Teil der <strong>Schöpfung</strong> erleben »denFortgang der <strong>Schöpfung</strong> in einerextremen Zeitlupe von innen als dieGeschichte dieses Kosmos« 5 , wodurchzwei Perspektiven – oder zweiErfahrungswelten – in eine spannungsreicheBeziehung gesetzt wer-8 Schönberger Hefte 1 | 08


Gott schafft die Gestirne durch seiner Hände Arbeit – wieein irdischer Künstler sein Werk. Mosaik 12. Jahrh<strong>und</strong>ert,Monreale, SizilienSchönberger Hefte 1 | 08den. Aber damit sind Dimensionendes Umdenkens auf beiden Seitenangesprochen, so die Beachtung<strong>und</strong> eine gewisse Wertschätzungreligiöser Welterfahrung auch aufnaturwissenschaftlicher Seite, ohnedas moderne Erkenntnisideal derKontrollierbarkeit, der Separierbarkeit<strong>und</strong> der Reduzierbarkeit zu verlassen.Und in gleicher Weise aufreligiöser Seite die Akzeptanz einerauch für den Glauben relevantenwissenschaftlichen Welterk<strong>und</strong>ung.»Gott im Werden der Welt«Es war der Paläoanthropologe <strong>und</strong>Theologe Teilhard de Chardin, derden bisher vielleicht größten Schrittzur Versöhnung von <strong>Evolution</strong> <strong>und</strong>Glauben wagte, hin zu einem evolutionärenGottesbild, weg von dertraditionellen Vorstellung des ewigin sich ruhenden Gottes, der einmaldie Welt schafft, sich dann in seinemWort offenbart <strong>und</strong> im Geiste biszum Ende gegenwärtig bleibt. Teilhardwar ein Anstoß, keine Antwort.Ebenso die Forderung nach einer»Theologie in einem evolutiven Weltbild«,die der große katholischeGelehrte Karl Rahner bereits vor 40Jahren für dringlich hielt. 6 GünterAltner, Biologe <strong>und</strong> Theologe, hatebenfalls vor mehreren Jahrzehntenbereits damit begonnen über »Gottim Werden der Welt« nachzudenken,in enger Begegnung mit der Physik<strong>und</strong> der <strong>Evolution</strong>sbiologie. 7 UndGerd Theißen schlug kürzlich in einemBeitrag 8 unter dem Stichwort»Die <strong>Evolution</strong> der Liebe« vor,»Religion als Eros zum Sein, inder uns etwas von der Tiefe derWirklichkeit aufgeht, die wirsonst nicht wahrnehmen« zu beschreiben.Leider blieb es beidiesen <strong>und</strong> sicher auch einigenanderen schönen Anregungen,nicht zuletzt auch in der englischsprachigenTheologie, dieden Herausforderungen einesschlichten, der historisch-kritischenForschung ausweichendenKreationismus heftiger ausgeliefertist als wir in Mitteleuropa.Die Aufgeregtheiten beimThema Kreationismus sollten ineinem weiterführenden Gespräch<strong>zwischen</strong> Naturwissenschaft<strong>und</strong> Theologie nicht dazuverführen, die tieferen weltanschaulichenProbleme einer zeitgemäßenTheologie <strong>und</strong> Redevon Gott aus den Augen zu verlieren.Es geht nicht mehr umdie herzerwärmende Frage nachAdam <strong>und</strong> Eva, um die handlicheFormel von einer »harten Wissenschaft«gegen einen »irrationalenGlauben«. Es geht um das großeProjekt der Anschlussfähigkeit desreligiösen Denkens <strong>und</strong> Glaubensan das evolutionäre Weltbild, ja, umein gewisses Maß an – so hat es dertheologische Lehrer Pannenberg inseinen Vorlesungen oft genannt –»Konsonanz« unseres naturwissenschaftlichenWissens vom Kosmos,vom Leben <strong>und</strong> vom Menschen miteiner über 2000 Jahren eingeübtenRede von Gott <strong>und</strong> dem Leben. Dabeiwird man als nachdenklicherMensch, der seiner Religion nochetwas zutraut, einigen Fragen nichtausweichen können. Etwa der nachder <strong>Evolution</strong> des Gottesbildesselbst, ja, der <strong>Evolution</strong> Gottes imBewusstsein der Menschheit <strong>und</strong>des Menschen. Zum Beispiel:Evolviert Gott im Bewusstsein derMenschen, im engen Bezug zur kulturellenBewusstseinsevolution vonhomo sapiens sapiens? Macht »ER«sich schrittweise in einem Prozessbekannt? Als der »Eine« hinter denvielen, zunächst verborgen <strong>und</strong>dann zunehmend klarer? Für dieChristen schließlich als der »Dreieine«hinter <strong>und</strong> in allem, was derMensch sonst noch für »heilig« haltenmöchte? Ist es ein doppelterProzess, in dem sich der Gr<strong>und</strong> derWelt selbst im menschlichen Bewusstsein»offenbar« macht <strong>und</strong>schließlich als ein transpersonales»DU« erschließt? Als ein DU, demdas menschliche Ich sehr nahe ist.Als »der Mensch gewordene Logos«,wie es die Christen ausdrücken, derin sehr unterschiedlichen historischen»heiligen« Texten <strong>und</strong> Traditionen»bezeugt« wird? Ist es schließlichnicht auch eine nicht mehr ableitbare,mystische Erfahrung reiner,unbenennbarer Gegenwärtigkeit, diein den biblischen Texten auch als»die Gegenwart des Reiches Gottes«angedeutet wird – so nahe, wie nurich mir selbst sein kann – <strong>und</strong> zugleichder alles umfassende »Urgr<strong>und</strong><strong>und</strong> das Urziel« 9 allen Werdens?Es gibt viele Fragen, die sich fürdas alte Menschheitswissen der Religionin einem zeitgemäßen Dialogmit dem naturwissenschaftlichenDenken unserer Zeit neu stellen. Siekönnen ein befreiendes Umdenkeneröffnen. Sie sind der Einstieg in einenbreiten <strong>und</strong> belebenden theologischenDisput, sofern Theologie sichso versteht wie einst die großen Theologienseit der Begegnung mit demhellenistischen Denken vor bald2000 Jahren. Fragen, die sich irgendwannaber auch jeder Christ/ jedeChristin stellt, wenn er/sie im 21.Jahrh<strong>und</strong>ert das Erbe seiner Religionnicht dem naturwissenschaftlichenDenken <strong>und</strong> Wissen opfern will.Dr. Wolf-Rüdiger Schmidt ist Wissenschaftsjournalist<strong>und</strong> arbeitete bis 2003als Redaktionsleiter im Bereich derHauptredaktion Kultur <strong>und</strong> Wissenschaftdes ZDF. Er ist Mitglied in dem Arbeitskreis»Wissenschaft, Mensch, Religion«der Evangelischen Akademie Arnoldshain,die in den letzten Jahren zahlreicheTagungen zur Thematik Naturwissenschaft<strong>und</strong> Religion durchgeführt hat._____________________1Was die Kultusministerin im Sommer2007 tatsächlich gesagt hat, ist zusammengefasstzu lesen in: FAZ, 29.06.2007, S.12HLZ 12/2007, für eine Antwort darauf sieheauch HLZ 1-2/2008.3Frankfurter R<strong>und</strong>schau vom 30.06.2007.4Die ZEIT 2007/ 28.5H. von Ditfurth hat diese Sichtweise indeutlicher Nähe zu Teilhard de Chardin inseinen zahlreichen Fernsehsendungen <strong>und</strong>Büchern oft variiert, siehe u.a. ausführlich ineinem Gespräch in: Wolf-Rüdiger Schmidt:Leben ist mehr. Fragen nach Gott in unsererZeit, Gütersloh 51989, S. 130f.6Karl Rahner: Die Christologie innerhalbeiner evolutiven Weltanschauung, in: Schriftenzur Theologie Band V, Köln 1964, S.183ff.7Etwa: Günter Altner: <strong>Schöpfung</strong>sglaube<strong>und</strong> Entwicklungsgedanke…, Zürich 1965,zuletzt: Charles Darwin <strong>und</strong> die Dynamik der<strong>Schöpfung</strong>, Gütersloh 20038Gerd Theisen: <strong>Evolution</strong>, in:Tobias D.Wabbel, <strong>Im</strong> Anfang war kein Gott. Düsseldorf(2004), S. 137.9Hans Küng gebraucht gern diese Begriffe,besonders in seinem sehr empfehlenswertenBuch: Der Anfang aller Dinge. Naturwissenschaft<strong>und</strong> Religion, München 2005, S.95f.9


Die »erstaunlichen Übereinstimmungen« <strong>zwischen</strong>Bibel <strong>und</strong> <strong>Evolution</strong>stheorie: Was stimmt wirklich?von Thomas JunkerDieser Versuchung können viele religiöse Menschennicht widerstehen: In Anlehnung an einen Bestsellerder 1950er Jahre – »Und die Bibel hat doch recht ...« –hoffen sie in den Berichten des Alten Testaments (oderdes Korans) auch Wahrheiten über die Natur zu finden.Die biblischen Legenden sollen mehr sein als zeitgeb<strong>und</strong>eneDokumente eines aus heutiger Perspektiveurtümlichen <strong>und</strong> in vielerlei Hinsicht irrigen Weltverständnisses<strong>und</strong> göttliche Inspiration verraten. DieserGedanke wird in vielfältigen Abwandlungen <strong>und</strong> mitunterschiedlicher Bestimmtheit vorgetragen. Einigechristliche <strong>und</strong> islamische Richtungen setzen die »inden ersten elf Kapiteln des Genesisbuches [...] geschilderte»biblische Urgeschichte« [...] für das Verständnisder Geschichte des Lebens« sogar voraus (R.Junker & Scherer 2006, S. 291; vgl. kritisch Kutschera2007).Bis zum Erstarken der Naturwissenschaftenim 19. Jahrh<strong>und</strong>ert wareine entsprechende wörtliche Interpretationintegraler Bestandteil derGlaubens- <strong>und</strong> Lehrsätze der christlichenKirchen; heute wird sie nurnoch von einigen f<strong>und</strong>amentalistischenGruppierungen vertreten. Inden letzten Jahrzehnten gab es abervermehrt Bestrebungen – vor allemin den USA, aber auch in anderenLändern –, die wörtliche Interpretationder Bibel unter dem Namen»Kreationismus« (d.h. <strong>Schöpfung</strong>slehre)neu zu beleben. Die kreationistischeAuffassung steht in vielerleiHinsicht im Widerspruch zu wissenschaftlichenErkenntnissen. Da derGenesis-Text vor allem die Entstehungder Tier- <strong>und</strong> Pflanzengruppenschildert, sind die Biologie <strong>und</strong> die<strong>Evolution</strong>stheorie zwar besondersbetroffen, es geht aber auch umKosmologie <strong>und</strong> Geologie <strong>und</strong> letztlichum die Naturwissenschaften imAllgemeinen (vgl. T.Junker & Hoßfeld2001).Obwohl viele religiöse Menschen<strong>und</strong> auch die großen christlichenKirchen in Deutschland die biblischenTexte nicht mehr in dieserWeise wörtlich verstanden wissenwollen, wird der zugr<strong>und</strong>eliegendeGedanke in abgeschwächter Formnoch erstaunlich häufig <strong>und</strong> prominentvertreten. So ließ die hessischeKultusministerin Karin Wolff, die alsTheologin <strong>und</strong> ehemalige Religionslehrerinnicht nur sachk<strong>und</strong>ig seinsollte, sondern sich zudem in vielfältigerWeise in <strong>und</strong> für die EvangelischeKirche Deutschlands engagierthat, verlauten: »In der Debatte umdie <strong>Schöpfung</strong>slehre geht es in denAugen der Ministerin darum, die Bibelernst, aber nicht wörtlich zu nehmen.[...] Ist es in diesem Zusammenhangnicht eine erstaunliche Erkenntnis,wie sehr Biologie <strong>und</strong> diesymbolhafte Erzählung von den sieben<strong>Schöpfung</strong>stagen auch übereinstimmen[...]?« (Brief des Leitersdes Ministerbüros des HessischenKultusministeriums vom 1. November2006 an den Vorsitzenden derAG <strong>Evolution</strong>sbiologie im VerbandDeutscher Biologen, Ulrich Kutschera;Ende Juni 2007 wiederholtesie diese Aussage geringfügig modifiziertin einem Zeitungsinterview(FAZ 2007).Ein Einzelfall? Ein Missverständnis?Keineswegs, wie das aktuelleBuch Was stimmt? <strong>Evolution</strong>: diewichtigsten Antworten (2007) desZoologen Josef H. Reichholf zeigt.Der Autor leitet die Wirbeltierabteilungder Zoologischen Staatssammlungin München, lehrt an beidenMünchner Universitäten <strong>und</strong> wird imKlappentext des Buches als »einerder führenden deutschsprachigen<strong>Evolution</strong>sbiologen« vorgestellt.»Die Faszination des <strong>Schöpfung</strong>sberichts«,so schreibt Reichholf, liege»in der so dicht gedrängten Darlegungdes Ablaufs vom Anfang [...]bis hin zum Menschen«. Man dürfeden Text zwar nicht »allzu wörtlich«nehmen, aber »die Gr<strong>und</strong>idee« <strong>und</strong>»die Abfolge in sechs Hauptschrittentrifft im Kern das Geschehen, sowie wir es gegenwärtig aus der naturwissenschaftlichenForschungheraus verstehen« (S. 120-121).Wenn es »erstaunliche« Übereinstimmungen<strong>zwischen</strong> den biblischenLegenden <strong>und</strong> der modernen<strong>Evolution</strong>stheorie geben sollte,dann wäre dies in der Tat eine interessanteBeobachtung.Was also sind die Gr<strong>und</strong>ideen der<strong>Evolution</strong>stheorie? 1) Die allmählicheVeränderung <strong>und</strong> Aufspaltungvon Arten über lange Zeiträume. Aufdiese Weise entstanden beispielsweiseim Laufe vieler Millionen Jahredie Vögel aus den Dinosauriern <strong>und</strong>Menschen aus (anderen) Affen.2) Die gemeinsame Abstammungder großen Tier- <strong>und</strong> Pflanzengruppen<strong>und</strong> letztlich aller Organismen.Menschen sind also nicht nur mitAffen verwandt, sondern auch mitFischen, Regenwürmern <strong>und</strong> Fruchtfliegen.3) Diese Veränderungenwerden durch einen ungeplantenNaturprozess bewirkt, durch die natürlicheAuslese (Variation <strong>und</strong> Selektion)(vgl. Mayr 1994, S. 58-59).Gibt es in dieser Hinsicht Übereinstimmungen?Abgesehen von dersehr allgemeinen Aussage, dass dieOrganismen nicht auf einmal, sondernnacheinander entstanden sindbzw. erschaffen wurden, findet sichkeine der evolutionstheoretischenGr<strong>und</strong>ideen im Bibeltext, sonderngerade das Gegenteil: Die Rede istvon der getrennten <strong>Schöpfung</strong> (unveränderlicher)Tier- <strong>und</strong> Pflanzengruppenin kurzer Zeit durch eineübernatürliche Macht. Auch die zeitlichgestaffelte <strong>Schöpfung</strong> der Organismenals solche entspricht ganz<strong>und</strong> gar nicht dem evolutionärenSzenario, denn es ist ja nicht so,dass beispielsweise erst alle Pflanzenentstanden <strong>und</strong> dann verschiedeneTiergruppen, sondern die <strong>Evolution</strong>der Pflanzen- <strong>und</strong> Tierartenerfolgt parallel, in ökologischen Zusammenhängen.In Bezug auf dieGr<strong>und</strong>ideen gibt es also keineÜbereinstimmung, sondern tiefgreifendeUnvereinbarkeiten <strong>und</strong>Widersprüche.Könnte es aber in anderer Hinsichtdie behaupteten Übereinstimmungengeben? Leider hat Karin Wolfftrotz mehrfacher Nachfragen davonAbstand genommen, ihre Aussagenzu präzisieren (vgl. Bahners 2007;Hessischer Landtag 2007). Etwaskonkreter äußerte sich Josef H.Reichholf: »Ersetzt man die »Tageder <strong>Schöpfung</strong>« durch Phasen (oderlange Zeiten) der <strong>Evolution</strong>, kommtin der Gr<strong>und</strong>idee eine recht guteÜbereinstimmung zustande« (2007,S. 121). Ist das der Fall? Für den folgendenVergleich habe ich die Einheitsübersetzungbzw. ergänzenddie Lutherbibel zugr<strong>und</strong>e gelegt. Ineckigen Klammern ist jeweils diefrüheste Entstehung der am ehestenzuzuordnenden Gruppen angeben(MJ = Millionen Jahre; vgl. Kutschera2006).Nach den biblischen Legenden beginntdie Erschaffung der Lebewesenam 3. Tag, <strong>und</strong> zwar mit denLandpflanzen: »Das Land lasse jungesGrün wachsen (Landpflanzen,10 Schönberger Hefte 1 | 08


Sterne 13.600 MJ 4. TagSonne 4.570 MJ 4. TagMond 4.527 MJ 4. TagWassertiere 570 MJ 5. Tag»Gewürm« (Anneliden) 570 MJ 6. Tag (1. Hälfte)Landpflanzen 425 MJ 3. TagLandtiere 380 MJ 6. Tag (1. HälfteSamenpflanzen (Spermatophyta) 360 MJ 3. TagKriechtiere 300 MJ 6. Tag (1. HälfteVögel 150 MJ 5. TagTiere des Feldes (frei lebende Säugetiere) 150 MJ 6. Tag (1. Hälfte)Bäume mit Früchten (Angiospermen) 130 MJ 3. Tag»Große Seetiere« (Wale) 52 MJ 5. TagMenschen 2 MJ, 200.000 J 6. Tag (2. Hälfte)Vieh (domestizierte Säugetiere) 10.000J 6. Tag (1. Hälfte)Schönberger Hefte 1 | 08425 MJ), alle Arten von Pflanzen, dieSamen tragen (Spermatophyta, 360MJ), <strong>und</strong> von Bäumen, die auf derErde Früchte bringen mit ihrem Samendarin (Angiospermen, 130 MJ).«Am 4. Tag folgt dann die Erschaffungvon Sonne (4570 MJ), Mond (4527MJ) <strong>und</strong> Sternen (13600 MJ). Abgesehendavon, dass einige Sterne umein mehrfaches älter sind als die amersten Tag erschaffene Erde <strong>und</strong> diechemische Verbindung von Sauerstoff<strong>und</strong> Wasserstoff (Wasser), sindgrüne Pflanzen auf die Photosynthese<strong>und</strong> damit auf Sonnenlicht angewiesen.Durch »lange Zeiten« der<strong>Evolution</strong> sollen sie also ohne ihreprimäre Energiezufuhr ausgekommensein, eine abwegige Vorstellung.Am 5. Tag folgen Wassertiere <strong>und</strong>Vögel: »Gott schuf alle Arten vongroßen Seetieren (Luther: »Walfische«,52 MJ) <strong>und</strong> anderen Lebewesen,von denen das Wasser wimmelt(Wassertiere, 570 MJ), <strong>und</strong> alle Artenvon gefiederten Vögeln (150MJ).« Hierzu ist zu sagen, dass sowohldie wasserlebenden Säugetiere(Wale) als auch die Vögel von bodenlebendenLandtieren abstammen,die zu diesem Zeitpunkt derBibel zufolge noch nicht existieren.Weiter sollte beachtet werden, dassdie ersten Wassertiere der <strong>Evolution</strong>sbiologiezufolge deutlich früherentstanden als die Landpflanzen<strong>und</strong> nicht umgekehrt.In der ersten Hälfte des 6. Tageswerden dann die Landtiere erschaffen:»Das Land bringe alle Arten vonlebendigen Wesen hervor (Landtiere,380 MJ), von Vieh (landwirtschaftlichgenutzte, domestizierteSäugetiere, 10000 Jahre), vonKriechtieren (Reptilien, 300 MJ, bzw.Luther: »Gewürm« (Anneliden), 570MJ) <strong>und</strong> von Tieren des Feldes (freilebende Säugetiere (?), 150 MJ).«Abgesehen davon, dass es domestizierteTiere (»Vieh«) erst seit wenigentausend Jahren gibt, ist hier zubemerken, dass andere genannteLandtiere älter sind als einige »großeSeetiere«, die Vögel <strong>und</strong> fruchttragendePflanzen, die sämtlich anfrüheren Tagen erschaffen wordensein sollen.In der zweiten Hälfte des 6. Tagesfolgen schließlich die Menschen:»Gott schuf also den Menschen alssein Abbild [...]. Allen Tieren desFeldes, allen Vögeln des Himmels<strong>und</strong> allem, was sich auf der Erderegt [...], gebe ich alle grünen Pflanzenzur Nahrung.« Hierzu ist Folgendeszu bemerken: Zum einen istnicht klar, welche Menschen Gott erschaffenhaben soll – die GattungHomo (z. B. Homo erectus, ca. 2 MJ)oder die Art Homo sapiens (ca.200.000 Jahre)? In beiden Fällenaber sind Menschen nicht die zuletztentstandene Tierart. <strong>Im</strong> afrikanischenVictoriasee beispielsweisesind innerhalb der letzten 100.000Jahre 300 bis 500 neue Arten vonBuntbarschen entstanden (vgl. Meyer2005). Dass domestizierte Tiere(»Vieh«) ihren Haustierstatus denMenschen verdanken, wurde schonerwähnt <strong>und</strong> schließlich widersprichtdie Vorstellung, dass alleTiere, auch Löwen, Adler oder Blutegelursprünglich »grüne Pflanzen«zur Nahrung hatten, allen biologischenErkenntnissen.Ist es überhaupt angemessen <strong>und</strong>fair, die Bibel mit den Erkenntnissender modernen Wissenschaft zu vergleichen?Ja <strong>und</strong> nein. Wenn manannimmt, dass es sich um ein historischesDokument handelt, das aufeinem ursprünglichen <strong>und</strong> notwendigerweisefehlerhaftenNaturverständnisberuht,dann ist es natürlichabsurd, denText am heutigenWissen zu messen.Diese Unfairnesswird den biblischenLegendenaber von ihren religiösenInterpretenaufgebürdet,wenn sie nach Belegenfür göttlicheEingebungen, d.h.nach zeitlosemWissen, suchen. Und wenn sie dabeinoch nonchalant über die Masse derWidersprüche hinweggehen <strong>und</strong>sich die doch sehr dürftigen Rosinenherauspicken, dann ist es im Sinneder Wahrheitsfindung höchste Zeitdarauf hinzuweisen, dass die wissenschaftlichen(<strong>und</strong> allgemein geltenden)Regeln sachlichen Argumentierensnicht außer Kraft gesetztwerden, nur weil eine religiöse Orga-nisation ihren Geltungsanspruchuntermauern möchte.Was also bleibt von den »recht guten«Übereinstimmungen <strong>zwischen</strong>Bibel <strong>und</strong> Biologie übrig? Nichts!Es gibt keine Übereinstimmung, dieüber das hinausgeht, was einZufallsgenerator auch produzierenwürde. Die Behauptungen von KarinWolff <strong>und</strong> Josef H. Reichholf lassensich nur aufrecht erhalten, wennman einige Punkte willkürlich herausgreift<strong>und</strong> andere ignoriert. Mitdieser Methode ließe sich aber auchbeweisen, dass Astrologen die Zukunftvoraussagen können. Und einSchulkind, das darauf vertraut, dassman seine Antworten in der Prüfungdoch bitte schön »symbolhaft« <strong>und</strong>»nicht allzu wörtlich« nehmen sollte<strong>und</strong> dass nur die zufällig richtigenAussagen gelten, wird hoffentlichauch in Hessen eine schlechte Notebekommen.Prof. Dr. Thomas Junker ist Mitglied derAG <strong>Evolution</strong>sbiologie im Verband DeutscherBiologen <strong>und</strong> lehrt Geschichte derNaturwissenschaften an der Fakultät fürBiologie der Universität Tübingen.LiteraturBahners, Patrick. »Die Ministerin kneift:Wissenschaft als Hordentrieb: Ein FrankfurterDisput über <strong>Schöpfung</strong> <strong>und</strong> <strong>Evolution</strong>,«Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.07.2007,Nr. 159, S. 36.FAZ 2007. «Wolff will <strong>Schöpfung</strong>slehre imBiologieunterricht. Hessens Kultusministerin:<strong>Evolution</strong>stheorie in erstaunlicher Übereinstimmungmit der Bibel,« Frankfurter AllgemeineZeitung, 29.06.2007, Nr. 148, S. 1.Hessischer Landtag, 138. Sitzung, 5. Juli2007: Aktuelle St<strong>und</strong>e (Wolff auf Abwegen:Grenzen <strong>zwischen</strong> Religion <strong>und</strong> Naturwissenschaftenan hessischen Schulen nichtverwischen!). Drucksache 16/7534, Plenarprotokoll16/138, S. 9603-15.Junker, Reinhard, & Siegfried Scherer.<strong>Evolution</strong>. Ein kritisches Lehrbuch. 6., akt.<strong>und</strong> erw. Aufl. Giessen: Weyel, 2006.Junker, Thomas, & Uwe Hoßfeld. Die Entdeckungder <strong>Evolution</strong> – Eine revolutionäreTheorie <strong>und</strong> ihre Geschichte. Darmstadt:Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2001.Junker, Thomas. Die <strong>Evolution</strong> des Menschen.Reihe Beck Wissen. München: C. H.Beck Verlag, 2006.Kutschera, Ulrich (Hg.). Kreationismus inDeutschland. Fakten <strong>und</strong> Analysen. Naturwis-senschaft<strong>und</strong> Glaube, Bd. 1. Münster:Lit-Verlag, 2007.Kutschera, Ulrich. <strong>Evolution</strong>sbiologie. 2.Aufl. Stuttgart: Eugen Ulmer, 2006.Mayr, Ernst. ... <strong>und</strong> Darwin hat doch recht.Charles Darwin, seine Lehre <strong>und</strong> die moderne<strong>Evolution</strong>sbiologie. Übers. von Inge Leipold.München, Zürich: Piper, 1994.Meyer, Axel. »Kann man zusehen, wie Artenentstehen?« In <strong>Evolution</strong>: Wege des Lebens.Hg. von Johann Grolle. München:Deutsche Verlags-Anstalt, 2005, S. 71-80.Reichholf, Josef H. Was stimmt? <strong>Evolution</strong>:die wichtigsten Antworten. Herder-Spektrum,Bd. 5779. Freiburg, Br., Herder, 2007.11


Anmerkungen zum Verhältnis vonNaturwissenschaft <strong>und</strong> Religionvon Johannes SikorskiDie biologische Vielfalt auf der Erde ist etwas, wasuns alle aus verschiedensten Gründen direkt berührt.Die Frage, wie diese Vielfalt entstanden ist, wird in deröffentlichen Diskussion oft auf die Phrase »Gott oderDarwin?« reduziert.Hat Gott die Welt geschaffen, <strong>und</strong> sind die Ansätzeder <strong>Evolution</strong>sbiologen nur hilf- <strong>und</strong> gottlose Erklärungsversuche?Oder ist die <strong>Evolution</strong>stheorie wahr, die damitangeblich auch die Nicht-Existenz Gottes belegt?Muss man den Verstand an der Tür des Glaubensabgeben? Oder muss man den Glauben an der Tür desVerstandes abgeben?Oder wird sich unter Umständen herausstellen, dassbeide Ansätze zu radikal sind <strong>und</strong> das eher eine Positionin der Mitte einzunehmen ist?Die polarisierenden Gegensätzewerden auf der einen Seite von sog.Kreationisten <strong>und</strong> Anhängern der Intelligent-DesignHypothese (ID) vertreten,auf der anderen Seite durchf<strong>und</strong>amentalistische <strong>Evolution</strong>sbiologen(z.B. Richard Dawkins).<strong>Im</strong> folgenden werde ich daher diewissenschaftlichen Aspekte beleuchten<strong>und</strong> diskutieren, ob ein tatsächlicherWiderspruch <strong>zwischen</strong><strong>Evolution</strong>stheorie <strong>und</strong> dem Glaubenan Gott als Schöpfer besteht.Wissenschaft ist die Verwendungvon empirischen Belegen um prüfbareErklärungen <strong>und</strong> Vorhersagenfür natürliche Phänomene zu finden,sowie der Erkenntnisgewinn im Verlaufedieses Prozesses. In der Wissenschaftmüssen Erklärungen aufErkenntnissen beruhen, die der natürlichenWelt entnommen wurden.Wissenschaftliche Erkenntnis beginntmit einer Hypothese, einerSchlussfolgerung auf der Basis anfänglichbruchstückhafter <strong>und</strong> bisheroft ergebnisloser Bef<strong>und</strong>e. DieErhärtung einer Hypothese erfolgtdurch weitere, unabhängige, mitverschiedenen Methoden gewonneneBelege. <strong>Im</strong> Falle ausreichenderBelege innerhalb dieses kumulativenProzesses kann eine Hypothesezu einer Theorie erhoben werden,welche eine umfassende Erklärungeines bestimmten Sachverhaltes inder Natur auf der Basis einer überwältigendenAnzahl an Belegen darstellt.Ein Beispiel ist die heliozentrischeTheorie in der Astronomie. Esist extrem unwahrscheinlich, dassirgendein noch zu erwartender experimentellerBef<strong>und</strong> unsere gegen-wärtige Überzeugung wiederlegenwird, dass die Sonne im Mittelpunktunseres Planetensystems liegt, <strong>und</strong>dass die Erde um die Sonne kreist.Deswegen befassen sich Wissenschaftlernicht mehr mit der Fragedes »ob«, sondern sie versuchen,das »wie« dieses Phänomens näherzu ergründen. Dennoch, wie in jederaktiven wissenschaftlichen Disziplin,wird es immer offene Fragen <strong>und</strong> aktuelleUnstimmigkeiten geben.Ähnlich verhält es sich mit derTheorie der <strong>Evolution</strong>. Unter »<strong>Evolution</strong>«ist in erster Linie ein Prozesszu verstehen. Biologische <strong>Evolution</strong>umschreibt die Veränderung vonEigenschaften in einer Population(diese besteht aus vielen Mitgliederneiner Art) im Laufe der Zeit (derGenerationenfolge). Mitglieder einerArt sind oft verschieden (wir müssennur uns Menschen anschauen). Diebiologische Ursache der Unterschiedlichkeitist genetische Vielfalt,hervorgerufen durch Mutationen imErbmaterial (der DNS) <strong>und</strong> durchVermischung des Erbmateriales imFortpflanzungsprozess. Sehr vereinfachtausgedrückt, führt Umweltdruck(als selektives Mittel) dazu,dass nicht alle Mitglieder einer Artgleichermaßen viele Nachkommenerzeugen. <strong>Im</strong> Mittel bekommen dieIndividuen, die am besten dem Umweltdruckstandhalten, auch diemeisten Nachkommen. Dies wird alsnatürliche Selektion bezeichnet. Dasich die Umwelt in geologischenZeiträumen (oder auch kürzer) permanentändert, verändern sich auchzwangsläufig die Eigenschaften vonPopulationen, um den verändertenUmweltbedingungen Rechnung zutragen. Nichts anderes ist <strong>Evolution</strong>.Die <strong>Evolution</strong>sforschung versuchtdie Ursachen <strong>und</strong> Mechanismendieser Veränderungen zu benennen<strong>und</strong> zu verstehen.Die <strong>Evolution</strong>stheorie stellt somitein Erklärungsmodell für das Entstehender rezenten <strong>und</strong> ehemaligenBiodiversität dar. Die <strong>Evolution</strong>stheorieist ein in sich stimmiges Modell,welches Daten aus Biologie (u.a.Molekulargenetik, Biochemie, Populationsgenetik,Ökologie, ... ), Chemie,Physik (Atomphysik, Kosmologie,Astrophysik), Geologie (u.a.Plattentektonik, Geomagnetismus),Archäologie <strong>und</strong> (Bio-) Informatik,aber auch aus der Verhaltensforschung<strong>und</strong> Sozialwissenschaft einbezieht.Viele der Erkenntnisse ausdem einen Fachgebiet werden dabeidurch Erkenntnisse aus anderenFachgebieten unterstützt.Wissenschaft <strong>und</strong> Religionbasieren auf unterschiedlichenAspekten menschlicherErfahrungenIn der Wissenschaft, wie obenausgeführt, müssen Erklärungen aufnatürlichen Phänomenen beruhen.Natürliche Ursachen sind, im Prinzip,reproduzierbar <strong>und</strong> können daherunabhängig durch andere geprüftwerden. Wenn sich Erklärungenjedoch auf Kräfte außerhalb derEbene der Natur stützen, so habenWissenschaftler keine Möglichkeit,diese Erklärungen zu bestätigenoder zu verwerfen. Jede wissenschaftlicheErklärung muss überprüfbarsein. Solange eine Erklärungnicht potentiell durch empirischeBelege widerlegbar ist, solange istdiese Erklärung wissenschaftlichnicht überprüfbar.Religion dagegen beruht nichtauf empirischen Belegen. Derchristliche Glaube an einen liebenden<strong>und</strong> gütigen Gott, der die Menschenals sein Volk geschaffen hat,der seinen Sohn am Kreuz geopferthat, um die Menschen von ihrenSünden zu erlösen, dieser Glaubewird nicht im geringsten von naturwissenschaftlichenErkenntnissenberührt. In diesem Sinne sind Glaube<strong>und</strong> Naturwissenschaft getrennt<strong>und</strong> sprechen Aspekte menschlichenVerstehens unterschiedlichan.Wer dagegen Glaube <strong>und</strong> Naturwissenschaftgegeneinander ausspielt,sei es dass er, angeblich naturwissenschaftlichbegründet, gegeneinen »Gotteswahn« hetzt (z.B.Richard Dawkins), oder dass er, diewortwörtliche Interpretation der<strong>Schöpfung</strong>sgeschichte als naturhistorischeTatsache nehmend, diezentralen Erkenntnisse der <strong>Evolution</strong>sbiologieals naturwissenschaftlichfalsch erachtet (Kreationisten<strong>und</strong> Anhänger der ID-Bewegung),der facht eine Kontroverse an einer12 Schönberger Hefte 1 | 08


Stelle an, wo gar keine Kontroversebesteht.Zusammengefasst: Wer glaubt,muss beileibe nicht seinen Verstandan der Haustür abgeben.Ebenso, wer naturwissenschaftlichforscht, muss beileibe nicht Abstandvon seinem Glauben nehmen.Glaube <strong>und</strong> Wissenschaft könnensich friedlich auf Augenhöhe begegnen.Diese Erkenntnis zu gewinnen,kann nicht leicht sein, wie ich selbererfahren habe. In einem christlichenElternhaus aufgewachsen, <strong>und</strong> mit19 Jahren bewusst zum christlichenGlauben gekommen, war unter anderemeine Motivation für mein Biologiestudium,den <strong>Evolution</strong>sbiologendurch fachliche Argumentationaufzuzeigen, dass sie nicht recht habenkonnten. Je tiefer ich jedoch indie fachliche Materie eindrang, umBelege gegen die <strong>Evolution</strong>stheoriezu finden, desto mehr musste ich erkennen,dass die Aussagen der <strong>Evolution</strong>sbiologensehr f<strong>und</strong>iert begründetwaren. Ich befand mich ineinem Dilemma: Ich musste mir entwedereingestehen, rationalen Argumentennicht zugänglich zu sein,oder ich musste von meiner ablehnendenHaltung der <strong>Evolution</strong>stheoriegegenüber Abschied nehmen.Ich entschied mich für letzteres, hoffentlichverständlicherweise. Diesführte jedoch nicht, wie mancher Leserannehmen mag, zu einer Abkehrvom Glauben. Allerdings befand ichmich eine Zeitlang in einem Stadiumder Unsicherheit. Ich erkannte, dasses zwei Wahrheiten gab – die meinespersönlichen Glaubens an Gottals liebenden Schöpfer der Welt;<strong>und</strong> die der Erkenntnisse der Wissenschaft– , die ich anfangs nichtin einen Einklang bringen konnte,obwohl sie letztendlich zwei Seitenderselben Medaille sein mussten.Heute weiß ich, dass weder derGlaube die Erkenntnisse der Naturwissenschaftablehnen muss, nochdass die Naturwissenschaft Belegebereit hält, die eine Ablehnung desGlaubens an Gott notwendig machen.Während der fachlichen Auseinandersetzungmit der <strong>Evolution</strong>stheorie(ursprünglich, um Gegenargumentezu finden), habe ich interessanterweiseeine derartige Faszinationfür dieses Fachgebiet entwickelt,dass ich heute als Naturwissenschaftlerberuflich tätig bin. Ich untersuchedie evolutiven Anpassungsprozessevon Bakterien an ökologischverschiedene Umwelthabitate,wie sie zum Beispiel im sogenannten»<strong>Evolution</strong> Canyon« in Israel sehrgut zu untersuchen sind (www.johannes-sikorski.net).Mit Kollegenhaben wir dazu eine neue bioinformatischeSoftware entwickelt, welchemittels DNS-Sequenzen den <strong>Evolution</strong>sprozessvon Populationen simuliert<strong>und</strong> dabei auch Ereignisseder evolutiven Aufspaltung (Art-Bildung)identifiziert. Solche Aufspaltungsereignissesind nichts anderesals f<strong>und</strong>amentale Ereignisse der evolutivenAnpassung an Umweltbedingungen.Somit gibt uns die SoftwareVoraussagen (Hypothesen) an dieHand, wie sich Organismen in derUmwelt durch <strong>Evolution</strong> angepassthaben sollen (diese Software ist freibeziehbar unter http://fcohan.web.wesleyan.edu/ecosim/).Mit den Erkenntnissen <strong>und</strong> Vorraussagender Software gehen wir in dieUmwelt <strong>und</strong> prüfen anhand der dortvorhandenen Lebewesen, ob die theoretischermittelten Vorraussagen(auf der Basis unseres gegenwärtigenVerständnisses des <strong>Evolution</strong>sprozesses)auch zutreffen. Die Ergebnissehaben wir in einschlägigen,teils frei zugänglichen, Fachjournalenveröffentlicht:Sikorski, J., and Nevo, E. (2005)Adaptation and Incipient SympatricSpeciation of Bacillus Simplex <strong>und</strong>erMicroclimatic Contrast at »<strong>Evolution</strong>Canyons« I and II, Israel.Proc Natl Acad Sci USA 102:15924-15929.(http://www.pnas.org/cgi/reprint/ 102/44/15924)Sikorski, J., and Nevo, E.(2007) Patterns of ThermalAdaptation of Bacillus Simplexto the MicroclimaticallyContrasting Slopes of »<strong>Evolution</strong>Canyon« I and II,Israel. Environ Microbiol 9:716-726.(http://www.blackwellsynergy.com/doi/abs/10.1111/j.1462-2920.2006.01193.x)Koeppel, A., Perry, E.B.,Sikorski, et al. (2008) Identifyingthe F<strong>und</strong>amental Unitsof Bacterial Diversity: A ParadigmShift to IncorporateEcology into Bacterial Systematics.Proc Natl Acad SciUSA: 105(7): 2504-2509.(http://www.pnas.org/cgi/reprint/0712205105v1)Dr. Johannes Sikorski ist Biologe<strong>und</strong> arbeitet an der DeutschenSammlung von Mikroorganismen<strong>und</strong> Zellkulturen in Braunschweig.Schönberger Hefte 1 | 0813


Intelligent Design als Herausforderungan die Theologie <strong>und</strong> die Religionspädagogikvon Astrid DinterDie Auseinandersetzung um die <strong>Evolution</strong>stheorie istin den USA zu einem zentralen Topos des öffentlichenpolitischen Diskurses geworden. So entzündete <strong>und</strong>entzündet sich die Debatte nun an der Frage, ob auchandere Deutungen des <strong>Evolution</strong>sprozesses zulässigsind <strong>und</strong> die <strong>Evolution</strong>stheorie nur eine fakultativeTheorie unter mehreren potentiellen Theorieangebotendarstellt.Ein konkurrierendes Argument,das sich großer Popularität in denVereinigten Staaten erfreut, ist dasso genannte »Intelligent Design Argument«.Dieses nimmt an, dass der<strong>Evolution</strong>sprozess nur unter der Annahmedes »Trägers von Intelligenz«erklärbar ist, der diesen in eine vorgegebeneRichtung lenkt <strong>und</strong> in diesementsprechende Ziele verwirklicht.Das alleinige Spiel von Mutation<strong>und</strong> Selektion wird als Erklärungsgr<strong>und</strong>lagedes <strong>Evolution</strong>sprozessesabgelehnt. Hauptproblemeiner derartigen Position ist eine alleinmonistische Weltsicht, in dernaturwissenschaftliche <strong>und</strong> religiöseElemente vermischt werden. 1Doch im Blick auf das gesamteSpektrum der amerikanischen Debatteum die <strong>Evolution</strong>stheorie, dasbis hin zum »Junge-Erde-Kreationismus«reicht, der jegliche historischkritischeBibelauslegung unterläuft,hat das »Intelligent Design Argument«noch eher als moderat zu gelten.So nimmt der »Junge-Erde-Kreationismus«an, dass die Welt vor6000-10000 Jahren geschaffen wurde.In dem Sinne rezipiert kreationistischesVerständnis die biblischenÜberlieferungen wörtlich. Dabeifinden sich auch Spielarten dieserPosition, die von einem etwas größerenZeitraum der Erderschaffungausgehen <strong>und</strong> annehmen, die<strong>Schöpfung</strong>stage besäßen eine metaphorischgemeinte Dauer (im Sinnevon »tausend Jahre sind wie ein Tag«,vgl. Psalm 90,4). Allerdings liegtauch derartigen Argumentationsmusternein wörtliches Verständnisder biblischen Überlieferungen zugr<strong>und</strong>e,weshalb hier ebenfalls keinwirklich differenzierter hermeneutischerZugang vorliegt.Aus religionspädagogischer Sichtsind die aktuell geführten Debattenin den USA insbesondere deshalbfatal, weil sie einen erheblichen Einflussauf den Schulunterricht haben.So unterliegt die letzte Entscheidungüber die jeweilige Gr<strong>und</strong>ausrichtungdes Unterrichts z.B. im Staat Kansasden lokalen Schoolboards <strong>und</strong> lässtsogar Positionen wie den »Junge-Erde-Kreationismus« zu. Wurden inden USA in 20 B<strong>und</strong>esstaaten Gesetzesvorlagen,die den Unterrichthinsichtlich der <strong>Evolution</strong>stheoriebetreffen, auf den Weg gebracht, sostellt sich die Gesamtsituation nunwieder weniger in Richtung auf radikalereligiöse Positionen hin orientiertdar, nachdem die Vertreter der»Intelligent Design Position« im Dezember2005 eine Niederlage vorGericht in Dover im B<strong>und</strong>esstaatPennsylvania erlitten hatten.Zur Europäischen SituationAnders gestaltet sich die Situationin Europa. Hier sind nach wie vorfortdauernde traditionell-religiöseAbbruchsbewegungen zu verzeichnen.Besonders signifikant sind derartigeTransformationsprozesse vonReligion im Osten Deutschlands. Sogeschieht hier durchaus Sinnsuche,aber abseits der traditionell-kirchlichenFormen. Vielmehr sind transformiertebzw. verflüssigte Formenvon Religion zu verzeichnen.Allerdings deuten sich auch hierDiskurse an, wie sie die amerikanischeÖffentlichkeit kennzeichnen.Dies zeigt die sogenannte »Althaus-Debatte«: Thüringens MinisterpräsidentDieter Althaus plante im Herbst2005 in der Reihe »Erfurter Dialoge«eine Veranstaltung, bei der Kreationisten<strong>und</strong> <strong>Evolution</strong>sforscher überdie jeweils unterschiedlichen Ansätzediskutieren sollten. Althaus erklärtediesbezüglich, dass es »keinabgeschlossenes wissenschaftlichesKonzept« gebe, hat sich in<strong>zwischen</strong>aber wieder auf öffentlichen Druckhin von dieser Position distanziert.Dieter Althaus wollte den MünchnerMikrobiologen <strong>und</strong> führendenVertreter der »Intelligent Design«-Bewegung Siegfried Scherer zum ErfurterForum einladen. Scherer hatzusammen mit Reinhard Junker dasSchulbuch »<strong>Evolution</strong> – ein kritischesLehrbuch« erarbeitet. DiesesLehrbuch – das nicht als offiziellesLehrbuch zugelassen ist – fand <strong>und</strong>findet an einigen Schulen im BiologieunterrichtVerwendung, in denenauch die Intelligent Design Positionvertreten wurde <strong>und</strong> wird. Zudemhatte die US-amerikanische Debatte– wie zu befürchten war – <strong>Im</strong>pulseauf Europa.Gr<strong>und</strong>sätzlich ist jedoch zu sagen,dass der kontinental-europäischeDiskurs um »Theologie <strong>und</strong> Naturwissenschaft«immer eine etwas andereAusrichtung als der angelsächsischebesaß <strong>und</strong> besitzt. In der angelsächsischenTheologie herrschte<strong>und</strong> herrscht seit Jahrh<strong>und</strong>erten einungebrocheneres Verhältnis zumGedanken »natürlicher Gotteserkenntnis«,gemäß der die ExistenzGottes durch Vermittlung der geschaffenenDinge aus dem »Buchder Natur« erschlossen werdenkann. Diese Form der »Physikotheologie«hatte im angelsächsischenRaum selbst nach Ablehnung der»natürlichen Gotteserkenntnis«durch Hume kein Ende gef<strong>und</strong>en.Die kontinentale Theologie stand<strong>und</strong> steht dagegen – zumindest improtestantischen Bereich – stärkerin der Tradition der dialektischenTheologie, die ein klares »Nein« zur»natürlichen Gotteserkenntnis« gesprochenhat. Zudem konnte dasWerk Kants einen weit reichendenEinfluss auf die Theologie bzw. diePhilosophie gewinnen.Einen derartigen differenziertenFokus sollte sich die europäischeTheologie – nicht im Sinne einer gezieltenSelbstisolierung, sondern imSinne der Wahrung erreichter theologischerStandards, wie z.B. imBereich historisch-kritischer Exegese<strong>und</strong> kritischer Hermeneutik – in Theorie<strong>und</strong> kirchlicher bzw. religionspädagogischerPraxis erhalten. DieseHerausforderung stellt sich geradeangesichts der Tatsache, dass dieamerikanischen Debatten – unterstütztdurch entsprechende Ressourcenan Geld <strong>und</strong> Macht – durchausauch bei uns weiter an Relevanzgewinnen könnten. Dabei ist es fürden Common Sense durchaus nichtleicht, <strong>zwischen</strong> unterschiedlichenWeisen der Weltsicht – wie sie Naturwissenschaft<strong>und</strong> Theologie darstellen– zu differenzieren. Vielmehrmüssen diese Fähigkeiten erst inder kognitiven Individualentwicklungerworben werden.14 Schönberger Hefte 1 | 08


Religionspädagogische<strong>Im</strong>plikationenEin möglicher Weg für die Religionspädagogikzur Bewältigung<strong>und</strong> Differenzierung derartiger Fragestellungenhinsichtlich der Diskussionum die »Intelligent Design«-Position ist es, ein möglichst komplexes<strong>Schöpfung</strong>sverständnis <strong>und</strong>Zugänge zu kritischer Hermeneutikin Bezug auf die biblischen Schriftenzu erarbeiten.Ein anderer Weg kann sein, dieMultivalenz verschiedener Weltzugängezu unterscheiden: Hier werdendann wissenschaftstheoretischeGr<strong>und</strong>unterscheidungen wichtig. 2Ein weiterer Zugang ist, den Umgangmit Komplementarität einzuüben,also mit Positionen umzugehen,die sich scheinbar widersprechen<strong>und</strong> doch zusammengehören.Setzen die wissenschaftstheoretischenOperationen einen strukturell-kognitiven Status <strong>und</strong> einen Kenntnisstandvoraus, der eher in höherenKlassenstufen anzutreffen ist,so kann der gr<strong>und</strong>sätzliche Umgangmit Komplementarität schon in der5./6. Klasse eingeübt werden. 3 Zielfokuspädagogischer Prozesse, diemit Jugendlichen eine Verhältnisbestimmungvon theologischem <strong>und</strong>naturwissenschaftlichem Denkenvornehmen, sind also das Aushaltenvon Komplementarität <strong>und</strong> das Einübeneiner wissenschaftstheoretischenUnterscheidung von verschiedenenSymbolsystemen. Letztlichgeht es also um ein gegenseitigesBemühen, um »Fremdverstehen«.Prof. Dr. Astrid Dinter ist Theologin <strong>und</strong>Religionspädagogin <strong>und</strong> arbeitet an derPädagogischen Hochschule in Weingarten.1Vgl. dazu Dinter, A., Intelligent Design,Gentechnik <strong>und</strong> künstliche Intelligenz. AktuelleHerausforderungen des Diskurses<strong>zwischen</strong> Theologie <strong>und</strong> Naturwissenschaften<strong>und</strong> ihre <strong>Im</strong>plikationen für das Zusammenlebenin einer pluralistisch-multireligiösenGesellschaft nach dem 11. September2001, in: Audretsch, J./ Nagorni, K. (Hrsg.),Zwei Seiten der einen Wirklichkeit? Bilanz<strong>und</strong> Perspektiven des Dialogs <strong>zwischen</strong> Naturwissenschaft<strong>und</strong> Theologie, Bad Herrenalb2007, S. 32-51.2Vgl. dazu Rothgangel, M., Naturwissenschaft<strong>und</strong> Theologie. WissenschaftstheoretischeGesichtspunkte im Horizont religionspädagogischerÜberlegungen, ARP Bd. 15,Göttingen 1999; Dieterich, V.-J., Science andTheology in Religious Education, in: JET 3(1990c), H. 1, S. 47-57; Dinter, A., Models ofHow to Relate Science and Theology, in:Synthesis Philosophica 2004, S. 245-257.3Reich/Schröder entwickeln den Zugangzum Sowohl-als-auch Denken für die 5./6.Klassen am Beispiel eines differenziertenVerständnisses von Zeit, bzw. an der Erarbeitungeines Verständnisses für unterschiedlicheGenres von Texten. Vgl. dazu Reich, H. /Schröder, A., Komplementäres Denken imReligionsunterricht, Freiburg 1995.Dirk Kutting: Lehrer sein. Spirituelle LösungenVandenHoeck & Ruprecht 2007, 96 Seiten, 12, 90 €Buchbesprechungvon Harmjan Dam»Lehrer sein, wie halten Sie dasdurch?« fragte mich neulich eine Mutter.»Mir reichen schon meine zwei pubertierendenJungs <strong>und</strong> Sie haben 30 vonder Sorte .. . !«Diese Frage, »Wie hält man Lehrer-Sein durch?« ist das Leitthema des Buchesvon Dirk Kutting »Lehrer sein«, dasneulich erschien. Wir kennen Dirk Kuttingschon als Autor vieler »Wegzehrungen«in den Schönberger Heften. Einigedieser Texte finden wir in seinem Buchwieder <strong>und</strong> dies weist hin auf den Untertitel:Spirituelle Lösungen.Mit diesem Buch will Dirk Kutting einegeistige <strong>und</strong> geistliche Basis für den Berufdes Lehrers legen <strong>und</strong> gleichzeitigSpiritualität als Ressource zur Bewältigungder täglichen Aufgaben in derSchule anbieten. Durch diese doppelteZielrichtung ist es ein weises <strong>und</strong> einschönes Buch geworden. Es ist ein weisesBuch, weil es für das geistige F<strong>und</strong>ament des Lehrer-Seinsden Blick auf das Ganze richtet <strong>und</strong> dafür beidem Besten, was Psychologie, Philosophie <strong>und</strong> Theologiein den letzten Jahrh<strong>und</strong>erten zu bieten hat, zu Rategeht. Es ist ein schönes Buch, weil Dirk Kutting esschafft, schwierige <strong>und</strong> tiefe Einsichten aus diesen Wissenschaftenin klarer Sprache <strong>und</strong> schönen Bildern auszudrücken,damit diese Gedanken auch wirklich einleuchten.Zum Beispiel: Viktor Frankl oder wie man sichdas Falsche im eigenen Handeln durch paradoxe Intentionenabgewöhnen kann. Zum Beispiel: Eric Berne oderwie seine »transaktionelle Analyse« hilft, die alltäglicheKommunikation im Lehrerzimmer zu verstehen. ZumBeispiel: Donald Winnicot (»Übergangsobjekte«) oderwarum wir als Lehrer einen Zwischenraum <strong>zwischen</strong> Sollen<strong>und</strong> Wollen brauchen. Alfred Adler oder warum alleSchüler nach Aufmerksamkeit streben. Sören Kierkegaardoder warum Zuhören besser ist als Zutexten usw.Bei den leitenden Gedanken <strong>und</strong> Einsichten dieser vielenPersonen verfolgt Kutting zudem zwei andere Themen,die das Lehrer-Sein täglich begleiten: Wie gehe ichmit Unterrichtsstörungen <strong>und</strong> wie gehe ich mit der Konkurrenzim Kollegium um?Die »spirituellen Lösungen« setzen auf den christlichenGlauben als Geschenk, der eine gute Basis fürges<strong>und</strong>e Selbstakzeptanz ist. Wir brauchen uns unsererchristlich-humanistischen Basis nicht zu schämen, <strong>und</strong>dafür gibt es gute Gründe, so erinnert Dirk Kutting anseinen Lehrmeister Eilert Herms. Kritisch sei hier angemerkt,dass m. E. diese Basis besser als »Glaube« stattals »spirituelle Kompetenz« bezeichnet werden sollte.Der eher einem funktionalen <strong>und</strong> ökonomischen Denkenverhaftete Begriff »Kompetenz« bildet in Verbindung mit»Frömmigkeit« fast eine contaminatio in terminis.Zusammenfassend kann gesagt werden, dass dasBuch jedem Lehrer/jeder Lehrerin Argumente bietet gegenjeglichen Relativismus der eigenen Aufgaben <strong>und</strong>gegen die immer drohende Resignation. Es ist ein Plädoyerfür eine gelassenere Haltung, die auf Rollenkonsistenzstatt auf Authentizität setzt. Ein Haltung, die hilftmehr auf den Käse, statt auf die Löcher im Käse zuschauen. Eine Haltung, die aufs Ganze schaut <strong>und</strong> Religionals notwendige Basis dazu einschließt.Herzlich empfohlen!Dr. Harmjan Dam ist Dozent am ReligionspädagogischenStudienzentrum(RPZ) im Kronberger Stadtteil Schönberg.Schönberger Hefte 1 | 0815


Kann ein gläubiger Christ die <strong>Evolution</strong>stheorie befürworten?Interview mit dem evangelischen Dekan Frank-Tilo Becher aus Gießen<strong>Im</strong> September 2006 löste ein Beitrag des FernsehsendersARTE über Kreationismus <strong>und</strong> IntelligentDesign eine lebhafte Debatte aus über die Vermittlungeiner biblischen <strong>Schöpfung</strong>slehre an Schulen. AlsBeispiel wurden in dieser Sendung zwei Schulen inGießen genannt: Sowohl an der privaten August-Hermann-Francke-Schuleals auch am staatlichen Liebig-Gymnasium würden Intelligent Design Gedanken imUnterricht – auch im Biologieunterricht – vermittelt<strong>und</strong> das Buch »<strong>Evolution</strong>. Ein kritisches Lehrbuch« vonSiegfried Scherer <strong>und</strong> Reinhard Junker eingesetzt,obwohl es offiziell keine Zulassung als Schulbuch hat.Die Überprüfungen durch das staatliche Schulamtwurden am 10. Oktober 2006 abgeschlossen <strong>und</strong> derbetroffene Lehrer der Liebig-Schule versicherte, dasser missverständliche Äußerungen zu Glaubensfragenkünftig unterlassen werde. Für die private Schule wurdefestgestellt, dass man hier keine Eingriffsmöglichkeitensehe.Der evangelische Dekan Frank-Tilo Becher aus derEvangelischen Kirche in Hessen <strong>und</strong> Nassau äußertesich zu diesen Vorgängen in einem Gespräch mit derOnline-Redaktion der EKHN:Was halten Sie davon, dass die <strong>Schöpfung</strong>stheorieder Bibel als »wissenschaftliche« Alternative zur <strong>Evolution</strong>stheorieim Biologieunterricht an zwei GießenerSchulen unterrichtet wurde?Becher: Aus meiner Sicht hat es keinen Sinn, den<strong>Schöpfung</strong>sglauben der <strong>Evolution</strong>stheorie gegenüberzustellen,um sich dann für eine Erklärung zu entscheiden<strong>und</strong> die andere zu verwerfen. Glaube <strong>und</strong> Wissenschaftschließen sich hier nicht aus. Es sind vielmehrzwei verschiedene Sichtweisen, mit denen ich auf dieWelt blicke. Ich halte das Gespräch <strong>zwischen</strong> Glaube<strong>und</strong> Naturwissenschaft für notwendig, um Missverständnissezu vermeiden.Bitte schildern Sie diese unterschiedlichen Sichtweisen!Wie erklären Sie Ihren Kindern die Entstehungder Erde <strong>und</strong> des Menschen?Becher: Meine Kinder wachsen in die Geschichtender Bibel hinein. Anhand der <strong>Schöpfung</strong>sgeschichtehabe ich ihnen unterschiedliche zentrale Inhalte desChristentums vermittelt: Sie haben Gott als Ursprung allenLebens kennen gelernt <strong>und</strong> sie haben erfahren, dassGott dem Menschen einen besonderen Wert verleiht,weil Gott ihn als sein Ebenbild erschaffen hat. Dadurch,dass Gott den Menschen beauftragt hat, die <strong>Schöpfung</strong>zu bewahren, hat er ihm auch einen Sinn <strong>und</strong> ein Ziel fürsein Leben gegeben. In der biblischen <strong>Schöpfung</strong>sgeschichtegeht es also um die Beziehung <strong>zwischen</strong> Gott<strong>und</strong> den Menschen. Und gleichzeitig wachsen meineKinder in die Naturerforschung hinein <strong>und</strong> erfahren inder Schule von der <strong>Evolution</strong>stheorie.Wie verträgt sich der Glaube mit der naturwissenschaftlichenPerspektive?Becher: Die Vernunft ist keinesfalls der Feind desGlaubens. Denn dass wir uns in der Welt <strong>und</strong> vor Gottals vernunftbegabte Wesen wieder finden, macht esnotwendig, aus erkannten Gesetzmäßigkeiten richtigeSchlüsse zu ziehen <strong>und</strong> entsprechend zu handeln.Die <strong>Evolution</strong>stheorie erklärt, wie die Lebewesen sichüber die Jahrtausende zu dem entwickelt haben, wassie heute sind – <strong>und</strong> dass sie sich auch in Zukunft weiterverändern werden. Der Glaube hingegen setzt die Menschen<strong>und</strong> die <strong>Schöpfung</strong> in ein Verhältnis zu Gott. DerGlaube vermittelt dem menschlichen Leben seinen Ursprung,seinen Sinn <strong>und</strong> sein Ziel.Von daher lässt sich aus der biblischen <strong>Schöpfung</strong>sgeschichteableiten, wie Christen mit wissenschaftlichenErkenntnissen umgehen können. Mit der Erkenntnisder <strong>Evolution</strong>stheorie, bei der sich das am besten andie Umwelt angepasste Lebewesen durchsetzt, kannman unter dem Stichwort »Survival of the Fittest« betonen,dass mit gutem Recht Starke die Schwächerendominieren sollen oder ich kann aus den engen genetischenZusammenhängen in der Natur Verantwortungableiten, im Sinne des Auftrages zur Bewahrung der<strong>Schöpfung</strong>. Insofern verträgt wissenschaftliche Erkenntnisden Glauben sehr gut, um den nüchternen Fakteneinen Sinn <strong>und</strong> eine Richtung zu geben.Manche Menschen bestreiten, dass Mensch <strong>und</strong> Affegemeinsame Vorfahren haben <strong>und</strong> beziehen sich hierbeiebenfalls auf die <strong>Schöpfung</strong>sgeschichten derBibel. Welche unterschiedliche Rolle spielen <strong>Schöpfung</strong>s-<strong>und</strong> <strong>Evolution</strong>stheorie, um die Entstehung <strong>und</strong>Bedeutung des Menschen zu erklären?Becher: Nach bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissenhat der Mensch gemeinsame Vorfahren mit einigenAffenarten. Der Glaube sagt dem Menschen: »Sowie du bist, hat Gott dich gewollt <strong>und</strong> beauftragt, die<strong>Schöpfung</strong> zu bewahren.« Der Glaube beantwortet folglichdie Frage nach dem »Wozu«. Also: »Wozu lebt derMensch?« Die Wissenschaft beantwortet die Frage:»Wie ist der Mensch entstanden?« Nur auf einem Beinalleine steht es sich schlecht.Wie unterscheidet sich Ihre Auffassung von derjenigen,die die Kreationisten vertreten?Becher: Hauptsächlich liegt der Unterschied wohldarin, wie wir mit der biblischen Überlieferung umgehen.Ich verstehe die Bibel als Glaubenszeugnis vonMenschen, in dem Gottes Wort zum Ausdruck kommt.Kreationisten hingegen gehen davon aus, dass die Bibelauch wissenschaftlich brauchbare Erklärungen liefert<strong>und</strong> somit viele Welträtsel löst. Aus meiner Sicht verliertdie Bibel durch diese Sichtweise an Tiefe. Denn wenndie Bibel ein wissenschaftlich haltbares Buch sein soll,erzählt sie nicht mehr von Gott. Die Erfahrungen mitGott sind vielschichtig <strong>und</strong> nach menschlichem Ermessenoft nicht logisch. Gerade darin werden sie der ganzenTiefe menschlicher Existenz gerecht, die eben überdas wissenschaftlich Darstellbare hinausreicht. Undgenau das wird im Lesen der Bibel immer wieder neu<strong>und</strong> aktuell lebendigVielen Dank für das Gespräch.16 Schönberger Hefte 1 | 08


»Bei Dir ist die Quelle des Lebens«Biblischer <strong>Schöpfung</strong>sglaube <strong>und</strong> moderne Naturwissenschaftvon Stefan KunzJeder, der einmal zu einem blühenden Kirschbaum inRuhe aufgeblickt oder einen funkelnden Sternenhimmelin dunkler Nacht hat auf sich wirken lassen, hateine Ahnung von dem, was das Wort »<strong>Schöpfung</strong>sglaube«bedeuten mag.Wer auch immer mit wachen Sinnen einen Sonnenaufgangauf einem hohen Berggipfel miterlebt oderdas atemberaubende Farbenspiel eines wolkendurchleuchtetenrötlichen Abendhimmels geschaut hat, hateinen Begriff von der Größe <strong>und</strong> Erhabenheit der<strong>Schöpfung</strong>.Wer jemals eine Forelle in einem Bach hat springensehen oder einen Eisvogel im Flug hat beobachten können,wer mit Erstaunen wahrnahm, wie ein kleiner Löwenzahneine schwarze Asphaltdecke zu durchbrechenvermochte, ahnt, was mit dem Ausdruck »Quelle desLebens« gemeint sein könnte.Alle, die einmal die glücklich verlaufende Geburteines Kindes ergriffen miterlebt haben oder nachschwerer Krankheit dankbar genesen sind, könneninnerlich nachvollziehen, was Menschen meinen, wennsie bekennen: »Bei Dir ist die Quelle des Lebens <strong>und</strong>in Deinem Lichte sehen wir das Licht.« (Psalm 36,10)Schönberger Hefte 1 | 08Wir alle haben unmittelbare Zugängezum Geheimnis der <strong>Schöpfung</strong>.Aber auch dann, wenn wir als Naturforscherdie Natur zum Gegenstandkritischer Untersuchung <strong>und</strong>forschender Analyse machen, wennwir durch Beobachtung <strong>und</strong> VermutungTheorien über die Gesetzmäßigkeitenin der Natur aufstellen<strong>und</strong> sie experimentell überprüfen,löst sich das Geheimnis der Naturkeineswegs auf, im Gegenteil:Je tiefer die Naturerkenntnisdringt, um so überraschender ist oftdie unvermutete Schönheit <strong>und</strong> Eleganzder Strukturen, die den sichtbarenPhänomenen in der Natur zugr<strong>und</strong>eliegen.Der große Mediziner <strong>und</strong> ZoologeKarl Ernst von Baer, der Entdeckerder menschlichen Eizelle, hat einmalgeschrieben: »Der Naturforscher findetbald, wenn er sich nach mannigfachenRichtungen auf seinem Feldebewegt, überall ein Geheimnis; ererkennt aber auch, daß alle dieseGeheimnisse sich auf ein allgemeinesGeheimnis zurückführen lassen– es ist die <strong>Schöpfung</strong> selbst. DenGr<strong>und</strong> der <strong>Schöpfung</strong> kann er mitseinem Denkvermögen nicht erreichen.Nur in einer inneren Ahnungerkennt er, daß ein solcher Gr<strong>und</strong> dasei.« 1Was im Naturforscher im Fortschreitenseiner Erkenntnisse hin<strong>und</strong> wieder als eine »innere Ahnung«aufsteigen mag, ist für denPsalmbeter eine tiefe innere Gewissheit.Er betet im Psalm 36, einemLobpreis auf die überfließende Güte<strong>und</strong> Liebe des lebendigen Gottes:»Bei Dir ist die Quelle des Lebens,<strong>und</strong> in Deinem Lichte sehen wir dasLicht.«Er will damit sagen: Ich glaube anGott, den Schöpfer des Himmels<strong>und</strong> der Erde. Ich glaube, daß ER dieQuelle <strong>und</strong> der Gr<strong>und</strong> allen Lebens<strong>und</strong> aller Erkenntnis ist. Ich glaube,daß ohne IHN weder Sein noch Lebennoch Denken noch schauendeEinsicht möglich ist. Ich verdankemich zusammen mit allem Seiendenseiner Gnade. Ohne IHN bin ich nichts,habe ich nichts, vermag ich nichts.Doch wie verhalten sich in heutigerZeit die Erkenntnisse <strong>und</strong> »Ahnungen«moderner Naturwissenschaftlerzu den alten Gewißheitendes biblischen <strong>Schöpfung</strong>sglaubens?Stehen sie in einem Spannungsverhältnisoder gar in einem unüberbrückbarenWiderspruch zueinander,wie die überwältigende Zahl derNaturforscher noch zu Beginn des20. Jahrh<strong>und</strong>erts dachte? Schließensie einander aus?Oder haben sich die damals verhärtetenFronten in<strong>zwischen</strong> aufgelöst?Sind beide Betrachtungsweisendes Universums miteinanderverträglich? Ergänzen, korrigieren<strong>und</strong> bereichern sie einander etwa?Die Absicht dieses Beitrags istes, ein neues Gespür für die je eigeneZugangsweise zu wecken, dieder modernen Naturwissenschaft<strong>und</strong> dem christlichen <strong>Schöpfung</strong>sglaubenzugr<strong>und</strong>e liegt. Vor allemaber will er die Freude daran wekken,den inneren Zusammenklangbeider so unterschiedlicher Zugängezur Wirklichkeit an vielenStellen neu zu hören <strong>und</strong> die Ergänzungbeider so gr<strong>und</strong>verschiedenerSichtweisen neu wahrzunehmen.Dazu mag es hilfreich sein, zunächsteinige der großen Physikerdes 20. Jahrh<strong>und</strong>erts selbst zu Wortkommen zu lassen. Wie haben siedas Verhältnis von Glauben <strong>und</strong> Naturwissenschaftwahrgenommen?Der große Physiker Max Planck,Entdecker des nach ihm benanntenWirkungsquantums, Begründer derQuantentheorie, hat sich in einemVortrag unter dem Titel »Religion<strong>und</strong> Naturwissenschaft« zu dieserFrage geäußert. Am Ende seinesVortrags heißt es:»Wohin <strong>und</strong> wie weit wir alsoblicken mögen, <strong>zwischen</strong> Religion<strong>und</strong> Naturwissenschaft finden wirnirgends einen Widerspruch, wohlaber gerade in den entscheidendenPunkten volle Übereinstimmung.Religion <strong>und</strong> Naturwissenschaft –sie schließen sich nicht aus, wiemanche heutzutage glauben oderfürchten, sondern sie ergänzen <strong>und</strong>bedingen einander. Wohl den unmittelbarstenBeweis für die Verträglichkeitvon Religion <strong>und</strong> Naturwissenschaftauch bei gründlichkritischerBetrachtung bildet diehistorische Tatsache, daß gerade diegrößten Naturforscher aller Zeiten,Männer wie Kepler, Newton, Leibniz,von tiefer Religiosität durchdrungenwaren. Zu Anfang unserer Kulturepochewaren die Pfleger der Naturwissenschaft<strong>und</strong> die Hüter der Religionsogar durch Personalunion verb<strong>und</strong>en.Die älteste angewandteNaturwissenschaft, die Medizin, lagin den Händen der Priester, <strong>und</strong> diewissenschaftliche Forschungsarbeitwurde noch im Mittelalter hauptsächlichin den Mönchszellen betrieben.Später, bei der fortschreitendenVerfeinerung <strong>und</strong> Verästelungder Kultur, schieden sich die Wegeallmählich immer schärfer voneinander,entsprechend der Verschiedenheitder Aufgaben, denen Religion<strong>und</strong> Naturwissenschaft dienen.Denn so wenig sich Wissen <strong>und</strong>Können durch weltanschauliche Gesinnungersetzen lassen, ebensowenig kann die rechte Einstellungzu den sittlichen Fragen aus rein verstandesmäßigerErkenntnis gewonnenwerden. Aber die beiden Wegedivergieren nicht, sondern sie geheneinander parallel, <strong>und</strong> sie treffensich in der fernen Unendlichkeit andem nämlichen Ziel.Um dies recht einzusehen, gibt eskein besseres Mittel als das fortgesetzteBemühen, das Wesen <strong>und</strong> dieAufgaben einerseits der naturwissenschaftlichenErkenntnis, andererseitsdes religiösen Glaubens immer17


tiefer zu erfassen. Dann wird sich inimmer wachsender Klarheit herausstellen,daß, wenn auch die Methodenverschieden sind – denn dieWissenschaft arbeitet vorwiegendmit dem Verstand, die Religion vorwiegendmit der Gesinnung –, derSinn der Arbeit <strong>und</strong> die Richtung desFortschrittes doch vollkommen miteinanderübereinstimmen.Es ist der stetig fortgesetzte, nieerlahmende Kampf gegen Skeptizismus<strong>und</strong> gegen Dogmatismus,gegen Unglaube <strong>und</strong> gegen Aberglaube,den Religion <strong>und</strong> Naturwissenschaftgemeinsam führen, <strong>und</strong>das richtungsweisende Losungswortin diesem Kampf lautet von jeher<strong>und</strong> in alle Zukunft: Hin zuGott!« 2Albert Einstein hat sich ebenfallsin einem denkwürdigen Aufsatz über»Naturwissenschaft <strong>und</strong> Religion«zum Verhältnis beider geäußert. Erschreibt:»Selbst bei einer reinlichen Scheidungvon Religion <strong>und</strong> Naturwissenschaftbleiben starke wechselseitigeBeziehungen <strong>und</strong> Abhängigkeitenbestehen. Obwohl die Religion dasZiel bestimmt, hat sie doch weitgehendvon der Wissenschaft gelernt,mit welchen Mitteln sich diese vonihr gesetzten Ziele erreichen lassen.Die Wissenschaft kann indessen nurvon denen aufgebaut werden, diedurch <strong>und</strong> durch von dem Strebennach Wahrheit <strong>und</strong> Erkenntnis erfülltsind. Die Quelle dieser Gesinnungentspringt aber wiederum auf religiösemGebiet. Hierher gehört auchder Glaube an die Möglichkeit, daßdie Welt der Erscheinungen nach Gesetzender Vernunft gelenkt wird<strong>und</strong> daß diese Welt mit dem Verstandzu erfassen ist. Ohne diesenGlauben kann ich mir einen echtenWissenschaftler nicht vorstellen. EinBild vermag dieses Verhältnis veranschaulichen:Naturwissenschaft ohneReligion ist lahm, Religion ohneNaturwissenschaft ist blind.« 3Werner Heisenberg berichtet inseinem autobiographischen Buch»Der Teil <strong>und</strong> das Ganze« von einemGespräch mit seinem Kollegen WolfgangPauli bei einem Spaziergangdurch den abendlichen Hafen vonKopenhagen:»Wir gingen nun eine Zeitlangschweigend nebeneinander her <strong>und</strong>hatten bald das nördliche Ende derLangen Linie erreicht. – Als wir eineWeile am Ende der Mole gestandenhatten, fragte Wolfgang mich ziemlichunvermittelt: ›Glaubst du eigentlichan einen persönlichen Gott? Ichweiß natürlich, daß es schwer ist, ei-ner solchen Frage einen klaren Sinnzu geben, aber die Richtung der Frageist doch wohl erkennbar.‹«»Darf ich die Frage auch andersformulieren?«, erwiderte ich. »Dannwürde sie lauten: Kannst du oderkann man der zentralen Ordnungder Dinge oder des Geschehens, ander ja nicht zu zweifeln ist, so unmittelbargegenübertreten, mit ihrso unmittelbar in Verbindung treten,wie dies bei der Seele eines anderenMenschen möglich ist? Ich verwendehier ausdrücklich das so schwerdeutbare Wort ›Seele‹, um nichtmißverstanden zu werden. Wenn duso fragst, würde ich mit Ja antworten.«4Schließlich schreibt der Physiker<strong>und</strong> Philosoph Carl Friedrich vonWeizsäcker:»Aus dem Denken gibt es keinenehrlichen Rückweg in einen naivenGlauben. Nach einem alten Satztrennt uns der erste Schluck ausdem Becher der Erkenntnis vonGott, aber auf dem Gr<strong>und</strong>e des Becherswartet Gott auf den, der ihnsucht. Wenn es so ist, dann gibt eseinen Weg des Denkens, der vorwärtszur Fähigkeit führt, religiöseWahrheiten aufzufassen, <strong>und</strong> nurdiesen Weg zu suchen ist lohnend.Wenn es nicht so ist, wird unsereWelt auf die Religion ihre Hoffnungenvergeblich setzen.« 5Aus diesen Zeugnissen wird deutlich:Naturwissenschaft <strong>und</strong> Religionkönnen in eine fruchtbare Beziehungzueinander eintreten. Sie sindverschieden, aber sie ergänzen sich.Sie widersprechen sich jedenfallsnicht. Alte Barrieren wie das mechanistischeWeltbild, das seit NewtonsZeiten für unerschütterlich gehaltenwurde, sind längst hinweggeräumt.Naturwissenschaft <strong>und</strong> Religionsind verschiedene Zugänge zurWirklichkeit.Vielleicht könnte man sagen:Die Naturwissenschaft sieht dieWirklichkeit mit dem »Auge desVerstandes«, der <strong>Schöpfung</strong>sglaubesieht die Wirklichkeit mit dem»Auge des Herzens«.Ein Beispiel möge verdeutlichen,was damit gemeint ist:Stellen Sie sich vor, Sie gehen aneinem schönen Wintertag durch denverschneiten <strong>und</strong> sonnendurchstrahltenWald. Sie können diesenWald mit den leiblichen Augen wahrnehmen.Sie sehen das filigrane Geästder Bäume, den weißen Schnee,die glitzernden Eiskristalle auf denTannennadeln, den durchscheinen-den blauen Himmel, die ganzesichtbare Schönheit des Waldes aneinem klaren, sonnigen Wintertag.Sie können den Winterwald aberauch mit dem Auge des Verstandesbetrachten. Ein Förster oder einFortwissenschaftler wird den Waldmit dem Auge seines geschultenVerstandes anschauen. Er sieht dieSpuren im Schnee <strong>und</strong> kann darauswichtige Schlüsse über den Wildbestandim Wald ziehen. Er sieht an einigenBäumen sog. Angsttriebe, diedaraufhin deuten, daß diese Bäumekrank sind. Er kann das Holzvolumender Eichen <strong>und</strong> Buchen abschätzen,die vor ihm stehen, erweiß ungefähr, welchen Erlös er erzielenkönnte, wenn er diese Bäumezum Schlagen <strong>und</strong> Verkaufen freigäbe.Er sieht den Winterwald mit demAuge des Verstandes. Er hat einenanalytischen Blick auf den Wald.Ich kann aber auch in den Winterwaldgehen <strong>und</strong> beim Schauen <strong>und</strong>Gehen – <strong>und</strong> noch mehr beim Stillstehen– mit dem Auge des Herzenserkennen: Dieser herrliche Winterwaldist genauso wie ich ein Teil vonGottes w<strong>und</strong>erbarer <strong>Schöpfung</strong>. Ichselbst, der Schnee unter mir, derWald um mich herum, der Himmelüber mir, das alles gehört hinein inden einen großen Raum der <strong>Schöpfung</strong>Gottes, in dem das göttlicheLicht sich auf w<strong>und</strong>erbare Weisebricht <strong>und</strong> mein Herz erfüllt. Ich seheden Winterwald mit dem Augedes Herzens.Mit dem Auge des Leibes sehe ichalso die Farben <strong>und</strong> Konturen in derWelt, mit dem Auge des Verstandesanalysiere <strong>und</strong> sehe ich die Strukturender Welt, <strong>und</strong> mit dem Auge desHerzens sehe ich das Wesentliche,mit dem Auge des Herzens sehe ichdas W<strong>und</strong>er der <strong>Schöpfung</strong> <strong>und</strong> inihr die Quelle allen Lebens.Naturwissenschaft <strong>und</strong> Religionsind also verschiedene Sichtweisen,verschiedene Zugänge zur Wirklichkeit.Ähnlichkeit <strong>und</strong> Unterschiedenheit<strong>zwischen</strong> beiden mögen dabeidurch die folgende Gegenüberstellungverdeutlicht werden:Wer das Universum im Sinne dermodernen Naturwissenschaft alsphysikalisches Universum verstehenwill, braucht dazu– die überlieferten Forschungsergebnisseder Physik,– einen klaren Verstand,– eine wache Intuition,– einen experimentellen Zugang zurWirklichkeit.Wer das Universum im Sinne derbiblischen Tradition als <strong>Schöpfung</strong>18 Schönberger Hefte 1 | 08


verstehen will, braucht dazu– die überlieferten Glaubenszeugnisseder biblischen Tradition,– einen klaren Verstand,– eine wache Intuition,– einen geistlichen Zugang zur Wirklichkeit,der von uns nicht hergestellt,sondern nur von Gott hergeschenkt <strong>und</strong> von uns dankbarempfangen werden kann.Er braucht dazu den HeiligenGeist, den Geist Gottes.Denn es ist offenk<strong>und</strong>ig: Wenn derSchöpfer aller Welten, wie in Psalm104,30 angedeutet, durch seinenGeist auch unsere Welt erdacht,gewollt <strong>und</strong> erschaffen hat <strong>und</strong> siedurch seinen göttlichen Geist formt<strong>und</strong> entwickelt, sie erhält <strong>und</strong> verjüngt,dann brauchen wir seinenHeiligen Geist, damit in uns die Weltzur Erkenntnis ihres eigenen Ursprungserwachen kann <strong>und</strong> damitfür uns die Welt transparent werdenkann auf ihren göttlichen Ursprunghin.Die Zielrichtung des vorliegendenBüchleins besagt, daß »Pfingsten«(Fest des Heiligen Geistes) <strong>und</strong>»Erntedank« (Fest des Dankes fürGottes gute <strong>Schöpfung</strong>sgaben)enger zusammengehören, als wirgemeinhin zu denken gewohnt sind,daß der <strong>Schöpfung</strong>sglaube <strong>und</strong> derGlaube an den Heiligen Geist einanderbedingen. Sie besagt, daß wirGottes Geist im Horizont der <strong>Schöpfung</strong>auf eine siebenfache Weisebrauchen:1. Der Geist Gottes hilft uns, zustaunen über das W<strong>und</strong>er der<strong>Schöpfung</strong>.2. Der Geist Gottes hilft uns, zudanken für die Erhaltung der<strong>Schöpfung</strong>.3. Der Geist Gottes hilft uns, zuglauben an den göttlichen Ursprungder <strong>Schöpfung</strong>.4. Der Geist Gottes hilft uns zuklagen <strong>und</strong> zu seufzen über dieUnerlöstheit der <strong>Schöpfung</strong>.5. Der Geist Gottes hilft uns zuhoffen auf die Vollendung der<strong>Schöpfung</strong>.6. Der Geist Gottes hilft uns, zuschweigen über die verborgenenGeheimnisse der <strong>Schöpfung</strong>.7. Der Geist Gottes hilft uns, einzustimmenin den großen Lobpreisder <strong>Schöpfung</strong> <strong>und</strong> den zu rühmen,von dem, durch den <strong>und</strong> zudem alle Dinge sind.*Staunen, Danken, Glauben, Klagen<strong>und</strong> Seufzen, Hoffen, Schweigen<strong>und</strong> Lobsingen – das sind Vollzügeim menschlichen Dasein, dieverschieden sind vom Vollzug desobjektivierenden Denkens, von derrationalen Theoriebildung in der modernenNaturwissenschaft.Dennoch stehen diese Daseinsvollzügenicht im Widerspruch zumVollzug einer naturwissenschaftlichenWelterklärung. Alle diese Vollzügehaben ihr eigenes Recht <strong>und</strong>ihr eigenes Gewicht im menschlichenLeben. Es wäre eine unhaltbareAnmaßung, wenn man die naturwissenschaftlicheZugangsweisezur Wirklichkeit in mathematischerTheorie <strong>und</strong> kontrollierbarem Experimentfür den einzig rechtmäßigenVerstehenshorizont der Welt hielte.Die Naturwissenschaft beschreibt,was auf der elementarenEbene der Wirklichkeit geschieht<strong>und</strong> formuliert Gesetzmäßigkeiten,wie es geschieht. Sie sagt abernicht, warum es geschieht <strong>und</strong>wozu es geschieht. Die Frage nachdem Sinn des Ganzen, nach Gr<strong>und</strong><strong>und</strong> Ziel der Welt, des Lebens, desmenschlichen Daseins wird in ihrnicht gestellt.– Warum ist überhaupt etwas <strong>und</strong>nicht vielmehr nichts?– Warum existiert seit ca. 14 MilliardenJahren unsere Welt?– Woher kommen die Gesetze, diesie bewegen?– Wären auch andere möglich?– Was war »vor der Zeit«?– Was ist »jenseits des Raumes«?– Welcher »Geist« materialisiertsich in der sichtbaren Welt?Das alles kann <strong>und</strong> will die Naturwissenschaftnicht beantworten.Jeder Mensch aber ist aufgerufen,eine persönliche Antwort zu gebenauf die letzten Fragen seines Lebens.Die biblische Überlieferung gibteine Fülle von Antworten auf dieseFragen in Bildern, Gleichnissen, Erzählungen<strong>und</strong> Glaubenszeugnissen.Sie gibt Antwort in vielen Lob<strong>und</strong>Klageliedern, im dankbaren <strong>und</strong>staunenden Bekenntnis zum GottIsraels, dem Vater Jesu Christi, demSchöpfer der Welt.Nachdem es im 19. <strong>und</strong> angehenden20. Jahrh<strong>und</strong>ert noch viele steinerneFronten <strong>zwischen</strong> Naturwissenschaft<strong>und</strong> Theologie gab, sinddiese Fronten mittlerweile weithinaufgelöst oder in Auflösung begriffen.Totalitäre Weltbilder der Naturwissenschaftwie der »Materialismus«oder der »Determinismus« alter Prägunggelten unter den gebildetenNaturwissenschaftlern als widerlegt<strong>und</strong> überholt.Es wird deutlich:Die Naturwissenschaft analysiertdie Welt als einen »Text«, den siegleichsam auf seine Buchstaben<strong>und</strong> grammatischen Regeln hin äußersterfolgreich untersucht. Sie vermagverläßliche Prognosen aufzustellen,wie die »Wörter« der Welt zusein pflegen. Sie erhebt aber nichtden Anspruch zu verstehen, wasdiese »Wörter« bedeuten. Die Semantikder Welt ist der Naturwissenschaftfremd.Der biblische <strong>Schöpfung</strong>sglaubeaber versteht die Welt als einen»Text«, der über sich hinausweist,der etwas »bedeutet«, der hinweistauf die Quelle, der wir uns mit allem,was ist, verdanken.Der biblische <strong>Schöpfung</strong>sglaubedenkt dabei letztlich nicht von derVergangenheit, sondern von der Zukunfther, von dem Gott her, der vonsich sagt: »Ich werde sein, der ichsein werde« (2.Mose 3,14). Der aufuns zukommende Gott in der unendlichenFülle seiner Möglichkeitenwird als die Quelle aller Wirklichkeiterfahren <strong>und</strong> gepriesen.ER, der auf uns Zukommende,schenkt uns Leben, Raum <strong>und</strong> Zeit,er schenkt uns die Freiheit, in Verantwortungvor ihm unser Lebennach dem Maß seiner Liebe zu führen<strong>und</strong> mit seines Geistes Hilfe zugestalten. Er schreibt als der Zukommendeden »Text« unseres wirklichenLebens. In diesem Text istauch der Text jenes Bekenntnissesenthalten, der allen <strong>Schöpfung</strong>sglaubenumfaßt <strong>und</strong> der aus uraltenTagen bis heute seinen frischenKlang nicht verloren hat: »Bei Dirist die Quelle des Lebens, <strong>und</strong> inDeinem Lichte sehen wir das Licht.«Dr. Stefan Kunz ist Gemeindepfarrer inBensheim <strong>und</strong> seit 1988 engagiert imDarmstädter Arbeitskreis»Physiker <strong>und</strong> Theologen im Gespräch«.* Die vollständige Fassung dieses Beitragesvon Stefan Kunz mit allen sieben Kapitelnfinden Sie in der Online-Ausgabe derSchönberger Hefte auf unserer Websitewww.rpz-ekhn.de unter Institut, weiter zuPublikationen <strong>und</strong> dann zu der entsprechendenAusgabe der Schönberger Hefte._________________1zitiert nach C. Bresch u.a. (Hg.): Kannman Gott aus der Natur erkennen?,Freiburg i.Breisgau, 1990, S.722M. Planck: Vorträge <strong>und</strong> Erinnerungen,Darmstadt 1981, S.3333A. Einstein: Aus meinen späten Jahren,Stuttgart 1952, S. 324W. Heisenberg: Der Teil <strong>und</strong> das Ganze,München 1969, S. 334f.5C. F. v. Weizsäcker: Die Geschichte derNatur, Göttingen 1954, S.117f.Schönberger Hefte 1 | 0819


<strong>Schöpfung</strong> versus <strong>Evolution</strong>?Drei Unterrichtsideen für die Oberstufe zu einem vielschichtigen Reizthemavon Harmjan DamDas Thema <strong>Schöpfung</strong> oder <strong>Evolution</strong> ist ein immerwiederkehrendes Reizthema in der Oberstufe des Gymnasiums.Dass das Thema wiederkehrt, hängt mit denverschiedenen Ebenen zusammen, die hier enthaltensind. Die zwei Aspekte, die in diesem Schönberger Heftvor allem angesprochen wurden, sind Intelligent Design<strong>und</strong> die Wirklichkeitsauffassungen in unterschiedlichenWissenschaften. Werden die Schönheit der Natur<strong>und</strong> die Logik der natürlichen Prozesse, die zu beobachtensind, durch Begriffe <strong>und</strong> Modelle der Physikgenügend erklärt? Gibt es Hinweise auf ein Prinzipoder einen Entwurf dahinter? Lässt dies auf einen»Designer« schließen? Kann man bei diesem Designeran Gott-Schöpfer denken? Was meinen wir als Christen,wenn wir für die Dankbarkeit über das uns geschenkteLeben das Wort »Gott« verwenden? Ist diesesWort nicht ganz anders als Wörter wie »Kühlschrank«,»Pferd«, »Aggregatzustand« oder wie eine mathematischeFormel? Auf diese Weise fragen wir nach demWahrheitsbegriff in den verschiedenen Wissenschaften.Was meinen ein Biologe <strong>und</strong> der Theologe, wennsie sagen, dass etwas »wahr« ist?Alle diese Fragen kommen, zwarnicht so genau ausformuliert, in derRegel schon am Anfang der Oberstufezur Sprache, wenn das Thema»Religion/Religionen« thematisiertwird (Kurs 11.1). In der Frage nachdem »Gegenstand« des Religionsunterrichtswerden die verschiedenenZugänge der Fächer entfaltet.Religion spricht anders von derWirklichkeit als Biologie, Physikoder Mathematik. Auch wenn diesausführlich behandelt wurde, kannin Kurs 11.2 (»Heilige Schriften verstehen«)ein Schüler unvermitteltsagen: »Aber in der Bibel steht doch,dass Gott die Erde in sieben Tagengemacht hat!« Aber auch dort verhindertdie sorgfältige Trennung <strong>und</strong>Auslegung von Gen. 1- 2,3 <strong>und</strong> Gen.2, 4a-25 nicht, dass es in Kurs 12.2(Menschenbilder/Ethik) noch vieleSchülerinnen <strong>und</strong> Schüler gibt, diedie Geschichte von Adam <strong>und</strong> Evaals unwissenschaftlich ablehnen. InKurs 13.1 (»Gott als Geheimnis«, sonenne ich diesen Kurs) können diegleichen Fragen wie oben noch malkommen, wenn es um die Vorstellungvon Gott als Schöpfer geht.<strong>Im</strong> Hessischen Lehrplan der Oberstufeist das Thema »<strong>Schöpfung</strong>/<strong>Evolution</strong>« darum nicht an einemKurshalbjahr festgemacht, sondernkann (<strong>und</strong> wird!) an mehreren Stellenangesprochen. Dann kann (<strong>und</strong>muss!) es auf unterschiedlicheWeise vertieft werden, weil eine»abschließende Behandlung«,schon des Inhalts wegen, nicht möglichist.<strong>Im</strong> Folgenden sind drei Ideen fürden Unterricht kurz angedeutet. Fürden ethischen Zugang (Gott gegenDarwin?) haben wir die preisgekröntePredigt von Dr. Achtner aufgenommen,allerdings in einer für denUnterricht überarbeiteten Form. DieOriginalfassung finden Sie auf unsererWebsite.Liebe oder Hormone?Am Anfang der St<strong>und</strong>e wird dieBrisanz der Frage <strong>Schöpfung</strong> versus<strong>Evolution</strong> kurz dargelegt:Kreationisten,Gießener Bio-Lehrer,Intelligent Design, KardinalSchönborn, Spiegel-Titelbild24.12.2005 usw.) Danachwird die Klasse in zweiGruppen geteilt. Ameinfachsten ist es, abzuzählen.Drei Personenwerden zudem fürdie Moderation <strong>und</strong>das St<strong>und</strong>enprotokollfreigestellt. Gruppe 1bekommt als Auftrag,gute Gründe zu benennenam biblischen<strong>Schöpfung</strong>sberichtfestzuhalten. Gruppe 2muss gute Gründe dafürbenennen, dass derMensch ein Produktder <strong>Evolution</strong> <strong>und</strong> diebiblische <strong>Schöpfung</strong>sgeschichteein Märchenist. Nach ca. 15Minuten diskutierenbeide »Bänke« (links<strong>und</strong> rechts im Klassenzimmer)etwa 20 Minuten über dieseFrage. Als Lehrer/-in können Siein Ruhe die unterschiedlichen Argumentemitschreiben <strong>und</strong> später ander Tafel in zwei Spalten zusammenfassen<strong>und</strong> kommentieren. Unschwerist es, dann klar zu machen,dass zwar viele Argumente hervorgebrachtwurden, aber dass aneinandervorbei geredet wurde.Die »<strong>Evolution</strong>isten« redetenüber das WIE der natürlichen Prozesse,die »<strong>Schöpfung</strong>sgläubigen«über das WOZU des Menschen.Hier ließe sich verdeutlichen, welcheunterschiedlichen Menschenbilderhinter beiden Disziplinen stehen.Ist der Mensch nur ein nackter Affe?Liebe oder Hormone?Gott oder <strong>Evolution</strong>? Die Alternative ist von ähnlichemKaliber wie die von »Liebe oder Hormone?«Bei der Liebe spielen Hormone eine gewaltige Rolle.Doch die Rede davon macht die Liebe noch nichtverständlich. Entsprechend ist der Eindruck von derDebatte um »Intelligent Design«, die nach KardinalSchönborns Gastkommentar in der New York Timesam 7. Juli 2005 auch in Europa begann. Man redetleidenschaftlich aneinander vorbei, behandelt diebiblische <strong>Schöpfung</strong>sgeschichte wie einen Forschungsbericht<strong>und</strong> biologische Forschungen wiereligionsphilosophische Erkenntnisse. UnkontrollierteÜbergänge <strong>zwischen</strong> biologischen <strong>und</strong> theologischenKategorien beherrschen das Feld. [...]Der Debatte helfen zwei Feststellungen:– Die gr<strong>und</strong>legenden evolutionsbiologischen Einsichtensind empirisch sicherer erwiesen als vieleandere Hypothesen.– Doch für das Gespräch über Naturwissenschaft<strong>und</strong> Religion braucht es mehr: ein Denken, dasnicht gegeneinander ausspielt oder vermischt,wo unterschieden werden muss.Michael Meyer-Blank <strong>und</strong> Wighart von Koenigswald. RheinischeMerkur 1/06, 5.1. 2006Der kleine Text von Michael Meyer-Blank (siehe Kasten) erklärt diesesich nicht berührenden Ebenen mitRomanzeSie trafen sich am Strand kurz vor dem Sonnenuntergang<strong>und</strong> lächelten <strong>und</strong> waren leicht verlegen.Alles war so neu, sie kannten sich noch nicht sehr lang.Er streckte ihr ’nen Rosenstrauß entgegen.Sie sagte: »Rosen wecken so romantische Gefühle.«Da nickte er <strong>und</strong> sprach: »Ja, zweifelsohne!Da reichen in der Nase ein paar tausend Moleküleder Duftstoffe mit Namen ›Pheromone‹.«Text Daniel Dickopf, Wise Guys CD: »Radio«, Strophe 120 Schönberger Hefte 1 | 08


der Metapher »Liebe oder Hormone«.Als musikalischer <strong>Im</strong>puls kannauch der Text des Liedes »Romanze«der Wise Guys (hier nur Strophe 1)eingespielt werden. Wer mit demReligionsbuch Oberstufe (CornelsenVerlag 2006) arbeitet, findet imzweiten Kapitel »Wir <strong>und</strong> die Wirklichkeit«(S. 68-80) <strong>und</strong> im Kapitel»Der Mensch als Frage« (S.224-230)viele anregende Texte <strong>und</strong> weitereUnterrichtsideen.zudem klären, wo das Eigentlichedes biblischen <strong>Schöpfung</strong>sglaubensliegt: in dem Staunen über <strong>und</strong> denDank für das geschenkte Leben. Undals Adressaten für unseren Danksprechen wir das Wort Gott.Gott oder Darwin?Ein dritter Zugang fragt nach denethischen Folgen der unterschiedlichenwissenschaftlichen Zugänge<strong>und</strong> Entwürfe. Es ist nicht egal, obwir den Menschen als »nacktenAffen« oder als »Ebenbild Gottes«sehen. Die Folgen des einseitigenFesthaltens an der biblischen<strong>Schöpfung</strong>serzählung oder an der<strong>Evolution</strong>stheorie sind gravierend.In der Predigt von Wolfgang Achtner(M1) ruft Gott Charles Darwin zurVerantwortung: »Was hat dich dazubewegt, diese revolutionäre Theoriezu formulieren?« <strong>und</strong> »Du hast dieVorsehung eines gütigen Gottesdurch einen Kampfplatz um dasÜberleben der Besten ersetzt!«Auch wenn Theologen <strong>und</strong> Biologenaneinander vorbei reden können,ist es nicht egal, welches Menschenbild,welches Weltbild <strong>und</strong>welches Gottesbild sie haben. Cuibono. Die unterschiedlichen Interessen,sowie die Chancen <strong>und</strong> Gefahrenunterschiedlicher Zugänge zurWirklichkeit können mit dieser Predigtthematisiert werden. Auch hierbietet das Religionsbuch Oberstufeweitere Unterrichtsideen zu den Debattenum den Kreationismus (S. 81-89) <strong>und</strong> um den F<strong>und</strong>amentalismus(S.118-119).Dr. Harmjan Dam ist Dozent am ReligionspädagogischenStudienzentrum(RPZ) im Kronberger Stadtteil Schönberg.Schönberger Hefte 1 | 08Die Wahrheit oder dieunterschiedlichen FlaschenDass die <strong>Schöpfung</strong>sgeschichtenin der Bibel nicht als biologischeroder geologischer Forschungsberichtgelesen werden dürfen, kannmit einem Hinweis auf die Gattungender unterschiedlichen biblischen<strong>Schöpfung</strong>serzählungen verdeutlichtwerden. Dazu braucht manam Anfang der St<strong>und</strong>e nur siebenverschiedenen Glasgefäße hinzustellen<strong>und</strong> zu fragen, in welchesGefäß was gehört. Dass man Weinnicht in ein Marmeladenglas füllt,Kaffeesahne nicht in eine Weinflasche<strong>und</strong> Schnaps nicht in eineMilchflasche, leuchtet jedem ein.Nun können unterschiedliche Gattungenin der Bibel gef<strong>und</strong>en werden:Psalmen, Geschichtserzählungen(1. Könige), Sprichwörter (Kohelet),Briefe, Evangelien, Abstammungslisten,Gesetzestexte (Lev)usw.Der nächste Schritt wäre, vier<strong>Schöpfung</strong>serzählungen nach Gattungeneinzuordnen: Gen. 1, 2,3 <strong>und</strong>Gen. 2, 4a-25, Ps 104 (oder Hiob 38-39), Ps 139 (oder Ps 8). In drei dervier Fällen handelt es sich um Poesie.In der »Guten Nachricht-Übersetzung«ist Gen.1 darum als Gedichtgesetzt. Was will der Gläubige mitdieser Poesie sagen? Ein Vergleichmit außerbiblischen <strong>Schöpfung</strong>serzählungen(enuma elisch usw.) kannDie Galapagos-Inseln mit ihren urweltlichen Lebewesen, aber auch denFinken (unten) boten Charles Darwin eine Fülle von entscheidendemAnschauungsmaterial für seine Theorie der <strong>Evolution</strong>.21


»Religion nach Darwin«Ein Gespräch mit vier Rollen: Sprecher, Gott, Jesus, Charles DarwinSprecher: Haben Sie sich schon einmal vorgestellt, wiees wäre, dort zu sein, wo sich alle Rätsel des Lebens,alle Welträtsel gelöst haben? Haben Sie sich schon einmalvorgestellt, dort zu sein, wo alle quälenden Fragenbeantwortet werden, wo alle wissenschaftlichen Problememit einem gleichsam göttlichen Blick durchsichtigwerden? Kurz gesagt, haben Sie sich schon einmal vorgestellt,im Himmel zu sein?Stellen wir uns einmal vor, wir seien im himmlischenThronsaal <strong>und</strong> würden Zeuge der täglichen Arbeit dortoben. Dann könnten wir vielleicht folgendes erleben.Vor uns sitzt in würdiger Haltung Gott Vater, zu seinerRechten sein Sohn, zu seiner Linken sehen wir einenflammenden Kraftstrom auf <strong>und</strong> nieder steigen, den HeiligenGeist. Hinter ihnen schweben die Erzengel auf <strong>und</strong>nieder <strong>und</strong> dahinter breitet sich das große Meer derfrohlockenden Gläubigen aus. Wir werden Zeuge einereindrucksvollen Begebenheit.Gott Vater: »Ich begrüße Euch alle ganz herzlich zuunserer heutigen Sitzung. Mein Sohn kannst du uns einmaldie Losung zum heutigen Tag vorlesen«?Jesus: »Aber natürlich, Vater«.Sprecher: Er kramt eine alttestamentliche Schriftrollehervor <strong>und</strong> liest:Jesus: »Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk,den Mond <strong>und</strong> die Sterne, die du bereitet hast,Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, <strong>und</strong> desMenschen Kind, dass du dich seiner annimmst?Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre<strong>und</strong> Herrlichkeit hast Du ihn gekrönt.Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner HändeWerk, alles hast Du unter seine Füße getan.Schafe <strong>und</strong> Rinder allzumal, dazu auch die wilden Tiere,die Vögel unter dem Himmel <strong>und</strong> die Fische im Meer<strong>und</strong> alles, was die Meere durchzieht.Herr unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allenLanden«.Gott Vater: »Ach ja, der Psalm 8 ›Was ist der Mensch‹,ich höre ihn immer wieder gern, <strong>und</strong>, wie ich sehe, passter auch zu unserem heutigen Fall. Petrus, bring unsdoch mal für die Sitzung das große Buch des Lebens«.Sprecher: Petrus bringt das Buch des Lebens herein<strong>und</strong> sagt, dass sie bei den Verhandlungen bei demBuchstaben ›D‹ angekommen sind. Gott Vater seufztdarauf ein wenig <strong>und</strong> sagt:Gott Vater: »Richtig, zur Verhandlung steht heute an›Charles Darwin‹, ein schwieriger Fall, Petrus kannst duihn holen«?Sprecher: Die Tür zum Purgatorium öffnet sich <strong>und</strong>herein tritt verlegen, die Augen niedergeschlagen,Charles Darwin.Gott Vater: »Guten Tag, Charles. Wie geht es Dir?(Bild Darwin)Charles Darwin: »Danke, besser als ich erwartet hatte«.Gott Vater (lächelnd): »Das freut mich, aber Dubrauchst deine Augen nicht niederzuschlagen <strong>und</strong> Dukannst mich auch direkt anschauen <strong>und</strong> anreden, wiedu siehst bin ich eine Person, wenn auch in dreifacherGestalt«.Charles Darwin: »Das ist sehr fre<strong>und</strong>lich, ich würdeeuch auch gerne persönlich anreden, aber da ich es inM 1meinem Leben nie gemacht habe, weiss ich die angetheorie,richtig«?Charles Darwin: Charles Darwin im hohen Alter»Ja, euer Gnaden«Gott Vater (eindringlich): »Was hat dich dazu bewegt,diese revolutionäre Theorie zu formulieren«?Charles Darwin (mit glänzenden Augen): »Euer Gna-Gott Vater: »Du hältst also den Schluß von der <strong>Schöpfung</strong>auf den Schöpfer für nicht zwingend«?Charles Darwin (lächelt): »Euer Gnaden, selbst dieTheologen wissen in<strong>zwischen</strong>, dass Gottesbeweise keinerichtigen Beweise sind.«Schönberger Hefte 1 | 08messene Anrede nicht«.Gott Vater: »Aber Charles, du hast immerhin einige SemesterTheologie studiert«! Charles Darwin (sichlichpeinlich berührt stottert herum): »Ja, also, ähm, ...hmm, na ja, ... «Gott Vater:»Schon gut, ichwill da nicht weiterbohren«.Charles Darwin:»Ich vermute,dass ich hier ineiner Art Gerichtbin, dann werdeich wahrscheinlichmit ›Euer Gnaden‹nicht ganz falschliegen, oder«?Gott Vater: »Istrecht, mein Sohn.Nun aber zur Sache.Also Charles,du bist der legendäreBegründerder <strong>Evolution</strong>s-den, ich bin eine leidenschaftliche Forschernatur. Ichwollte meinen Beitrag zum Fortschritt der Wissenschaftleisten. Das hat meinem Leben Sinn gegeben <strong>und</strong> dafürhabe ich keine Mühen <strong>und</strong> Kosten gescheut. Der Drangin die Weite hat mich auch auf meiner Forschungsreiseauf dem Schiff HMS Beagle um den halben Globus geführt,ich habe die ungeheure Vielfalt, ... äh, ... eurer ...<strong>Schöpfung</strong> kennengelernt. Das hat mich so tief bewegt,dass ich verstehen wollte, woher dieser Formenreichtumkommt«.Gott Vater: »Das sind sehr lobenswerte Motive. Abersage mir, du hast doch in deinem Theologiestudium mitEifer die Werke meines Dieners William Paley studiert.Er hat doch in seiner »Natural Theology« dargelegt, wiew<strong>und</strong>erbar angepasst ich die einzelnen Arten eingerichtethabe. Hat es dir nicht gereicht, von der Schönheit<strong>und</strong> klugen Einrichtung der <strong>Schöpfung</strong> auf den Schöpferzu schließen, wie die vielen anderen gläubigen Menschenauch?«Charles Darwin: »Euer Gnaden, ich möchte Euch nichtzu nahe treten, aber Paleys Thesen schienen mir etwaszu kurzschlüssig <strong>und</strong> wissenschaftlich nicht haltbar, obwohlich zugeben muss, dass ich von seinem Werk sehrprofitiert habe«.Materialblatt


Gott Vater (etwasärgerlich): »Ja, ja, dieTheologen, ... was dienicht alles wissen. Einbisschen mehr Glaubenwürde ihnen nicht schaden.Aber zurück zumThema. Du hast dielange vertretene Theorieder Artkonstanz bestritten<strong>und</strong> an ihre Stelledie These gesetzt, dasssie zeitweilig stabile Formensind, die sich aberüber sehr lange Zeiträumedurch eine nichtgesteuerte Mutation<strong>und</strong> Selektion weiterentwickeln,richtig?«Charles Darwin: »Ja,Darwins Forschungsschiff »Beagle« im Hafeneuer Gnaden.«von Sydney, 1841. Aquarell von Owen Stanley,National Maritime Museum, GreenwichGott Vater: »Ich mussgestehen, eine grandioseIdee, mutig, mit solangen Zeiträumen von vielen Millionen Jahren zu rechnen,das ist ja fast schon wie bei uns in der Ewigkeit,wenn auch eine schlechte Ewigkeit«.Charles Darwin: »Ich brauchte diese langen Zeitläufe,damit sich kleine Veränderungen zu großen Veränderungenaufsummieren«.Gott Vater: »Bei mir geht es etwas schneller – wennich wollte. Nun sage mir: Was hat dich denn an PaleysBeweis meiner Existenz genau gestört?«Charles Darwin: »Ich bin erstaunt, Euer Gnaden, dassIhr mir diese Frage stellt. Die Antwort liegt doch auf derHand! Wenn es möglich ist, ein Phänomen mit wissenschaftlichenMethoden zu erklären – in meinem Falle dieEntstehung der Arten – dann wäre es doch töricht, zuEuch, Euer Gnaden, als Erklärungslücke Zuflucht zu nehmen.Ich denke, es gereicht Euch doch zu weit höhererEhre, nicht auf den zweifelhaften Status eines Lückenbüßergottesherabgewürdigt zu werden, oder?«Gott Vater (stotternd): »Nun ja, wechseln wir das Thema.Aber sag mir: Deine These über die Entstehung derArten hat dich doch in Konfliktmit der Kirche <strong>und</strong> ihren theologischenLehren gebracht, wassagst du dazu?«Charles Darwin: »Euer Gnaden,es war die Hölle, diese Anfeindungen,vor allem dieser unsäglicheBischof Wilberforce, wie er versuchthat, meine wissenschaftlichenTheorien lächerlich zu machen.1864 hat das katholischeLehramt unter Papst Pius IX mitdem Syllabus gegen meine sogenanntenmodernistischen Irrtümergekämpft – 100 Jahre lang! <strong>Im</strong>merhin,meine Bücher wurden nichtauf den Index gesetzt. Aber, dasmuss ich auch sagen, die nordamerikanischenProtestantenunter der Führung von ReverendJosiah Strong waren zum großenTeil Befürworter meiner Theorie, Charles Darwinim Gegensatz übrigens zu ihrenNachfahren, den Kreationisten, die die <strong>Evolution</strong>stheoriesogar aus dem Unterricht verbannen wollen.«Gott Vater: »Charles, deine Fre<strong>und</strong>e, allen voran deineBulldogge Huxley, aber auch dein deutscher Fre<strong>und</strong>Ernst Haeckel, haben auch scharf geschossen.«Charles Darwin: »Ich hatte befürchtet, dass es Ärgermit der Kirche geben wird.«Gott Vater: »Nun Charles, ist das verw<strong>und</strong>erlich? Duhast an die Stelle eines gütigen, vorauswissendenSchöpfergottes ein blindes Spiel der Kräfte gesetzt, jedenfallsso wie man mich im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert verstandenhat. Das ist nicht sehr tröstlich.«Charles Darwin: »Ich muss gestehen, dass ich damalsmeine Zweifel an einem gütigen Schöpfergott hatte.«Gott Vater: »Ach, warum?«Charles Darwin: »Euer Gnaden, ich habe nicht nur dieSchönheiten der Natur gesehen wie die frommen Theologenunter Paley, sondern auch die Grausamkeiten.Was ist mit dem ›struggle for life‹, in dem schon tausendevon Arten unwiederbringlich ausgestorben sind! Wiesoll ich an einen gütigen Schöpfer glauben, der Dinosaurier,Mammute, <strong>und</strong> andere Tierarten, ja auch Menschenartenwie z.B. die Neandertaler, einfach von derBildfläche verschwinden lässt? Wie soll ich an einen gütigenSchöpfer glauben, der tagtäglich unsagbares Leidder gequälten Kreatur, der Fressen <strong>und</strong> Gefressen werdenzulässt? Das sind Fakten, euer Gnaden! Und außerdem...«, (Darwin zittert)Gott Vater: »Ja, was noch, Charles ...?«Charles Darwin: »Euer Gnaden, wenn ihr, wie ihr behauptet,ein gütiger <strong>und</strong> allmächtiger Gott seid, warumhabt ihr dann meine geliebte Tochter, die fröhliche, begabte<strong>und</strong> unschuldige Annie im Alter von 10 Jahrensterben lassen? Warum habt ihr mich <strong>und</strong> meine FrauEmma, die noch dazu schwanger war, monatelang umihr Leben kämpfen lassen, nur um sie nach einem ständigenWechselbad von Hoffnung <strong>und</strong> Verzweiflung kurznach ihrem 10. Geburtstag doch sterben zu lassen? Ja,ich habe ihn selbst erlebt, den ›Struggle for Life‹, <strong>und</strong>den ›Survival of the Fittest‹, warum also ließet ihr meineunschuldige Tochter Annie sterben, wenn ihr ein gütigervorausschauender Gott seid?«Emma Darwin, geb. WedgwoodAquarell von J. Richmond, 1839 um 1840MaterialblattSchönberger Hefte 1 | 08


Sprecher: Gott Vater ist sichtlich betroffen. Er räuspertsich.Gott Vater: »Charles, ich verstehe Deinen Schmerz!Aber ich habe einen Trost für dich. Du wirst Annie wiedersehen,auch wenn Du nicht an ein Leben nach demTod geglaubt hast. Du hast auf Erden deine Forschungenmit den Finken begonnen <strong>und</strong> schließlich den Himmelden Spatzen überlassen. Deine gläubige Frau Emmahat mir über deinen Unglauben in dieser Hinsicht immerwieder unter Tränen berichtet – <strong>und</strong>, sie hat immer auchfür dich gebetet.«Charles Darwin (gerührt): »Ja, meine gute, guteFrau ..., ist sie hier?«Gott Vater (streng): »Später, meinlieber Charles. Wir müssen jetzt aufeinen heiklen Punkt zu sprechenkommen. Du hast die Vorsehungeines gütigen Gottes durch einenKampfplatz um das Überleben derBesten ersetzt. Du hast mir keinenRaum mehr gelassen in meiner<strong>Schöpfung</strong>. Und Leute, die eine wissenschaftlicheTheorie mit der Wirklichkeitverwechseln <strong>und</strong> in Weltanschauungverwandeln, haben sichvon deiner Theorie wichtige Anregungengeholt. Ich denke nur anFriedrich Nietzsche, der immerhinmeinen Tod verkündet hat, ich denkean Ernst Haeckel, aber auch KarlMarx, Herbert Spencer. Du warstzunächst gläubiger Unitarier, dannimmerhin noch Deist, schließlichAgnostiker. Aber diese Herrenwaren unter Berufung auf dein Werkmilitante Atheisten <strong>und</strong> haben Millionenvon Menschen verführt. Wassagst du dazu?«Charles Darwin: »Ich kann nichtsdafür, wenn andere Leute in meinWerk mehr hineinlesen als drinsteht. Ich bin Naturforscher <strong>und</strong>über Gott, den christlichen Gott,habe ich mich, zumindest öffentlich,immer nur sehr vorsichtig geäußert.Es lag mir fern, irgendjemanden von seinem Glaubenabzubringen. Selbst als ich nach dem Tod meiner TochterAnnie den Glauben an dich verloren hatte, habe ichmeine Familie immer noch bis zum Gottesdienst begleitet,die Kirche selbst allerdings nicht mehr betreten.«Gott Vater: »Ich möchte deine honorigen Motive nichtin Zweifel ziehen, mein lieber Charles, aber die Sache istmit dem Atheismus noch nicht zu Ende. Denn wenn die<strong>Schöpfung</strong> <strong>und</strong> die Zukunft dem Planen <strong>und</strong> Handelneines gütigen Gottes entw<strong>und</strong>en ist, dann liegt der Gedankenahe, die Entwicklung der <strong>Evolution</strong> selbst in dieHand zu nehmen, also die natürliche Zuchtwahl durchkünstliche Zuchtwahl zu ersetzen.«Charles Darwin: »Sicher, die Menschen haben schonseit vielen Tausenden von Jahren an Pflanze <strong>und</strong> TierZüchtungen vorgenommen.«Gott Vater: »Wir wollen präzise sein, Charles – hierwird alles offengelegt – , ich meine mit der künstlichenZuchtwahl die Züchtung von Menschen, die Eugenik!«Sprecher: Charles Darwin schweigt.Gott Vater: »Du schweigst? Mit Recht! In DeutschlandEine Karikatur von Darwin, 1874hat dein guter Fre<strong>und</strong> Ernst Haeckel vorgeschlagen,behinderte Kinder sofort nach der Geburt zu töten, daswürde die <strong>Evolution</strong> der Gesellschaft beschleunigen,meinte er. Er hat weiterhin vorgeschlagen, dass manMenschen mit Lepra, Krebs <strong>und</strong> Geisteskrankheitenschmerzlos töten sollte! Auch dein Vetter Francis Galton<strong>und</strong> dein Sohn Leonhard haben nicht nur in die Richtungder Eugenik gedacht, sondern auch Versuche unternommen,die Eugenik praktisch umzusetzen. Aufbauend aufihre Vorarbeiten wurden später in Amerika rassistischeTheorien über die Minderwertigkeit der schwarzenRasse aufgestellt, ebenso über die Minderwertigkeitder Armen, übrigens in Fortführung der pseudotheologischenGedanken deines Bew<strong>und</strong>erersReverend Josiah Strong. Manhat in Amerika gefordert, Arme <strong>und</strong>Schwarze zu sterilisieren – auch unterZwang. Fünf amerikanische Präsidentenwaren Befürworter der Eugenik,1928 schlug der Vorsitzende der»American Genetic Association« HarryLaughin vor, die 10% der »inferiören«Teile der amerikanischen Gesellschaftzu sterilisieren, um sie soauszumerzen. Die großen amerikanischenStiftungen, die RockefellerFo<strong>und</strong>ation <strong>und</strong> die Carnegie Fo<strong>und</strong>ation,haben eugenische Programmeunterstützt, 1928 z.B. mit$325.000 mit einer Grant zur Errichtungdes neuen Gebäudes des KaiserWilhelm Institutes für Anthropologie,Eugenik <strong>und</strong> Genetik, auch alsdiese Forschungen unter der Regieder Nazis standen, floss der Geldstromaus Amerika.«Charles Darwin (entrüstet): »Dasist unfair, euer Gnaden, ich bin nieein Rassist gewesen <strong>und</strong> habe dergleichenDinge weder gedacht, nochgefordert. <strong>Im</strong> Gegenteil, in meinerFamilie wurde aktiv gegen den Rassismus<strong>und</strong> gegen die Sklaverei gekämpft,das kann ich beweisen. Undaußerdem, ich habe meine Hausangestelltenaus den unteren Schichtenimmer sehr menschlich behandelt,ihnen ein viel besseres Auskommen gewährt alsviele meiner Bekannten aus der Gentry. Selbst die Tierehatten es bei mir gut, ich habe nie jemandem auch nurein Haar gekrümmt.«Gott Vater: »Charles, ich weiß, du hast ein gutes Herz,dein Verhalten ist untadelig, dein Verstand aber hat dirgesagt, dass du die Grausamkeiten in der Natur nichtignorieren darfst, auch sie müssen in die Theorie einfließen.Das hast du mit der Theorie von dem ›Survivalof the Fittest‹ versucht. Aber irgendetwas ist schiefgelaufenin der angemessenen theologischen Rezeptiondeiner Ideen.«Charles Darwin: »Euer Gnaden, ich hatte die Theologieauch nicht ohne Gr<strong>und</strong> aufgegeben, nachdem icheine bessere Erklärung der Entstehung der Arten gef<strong>und</strong>enhatte als mein theologischer Lehrer William Paleymit seiner Natural Theology. Die Reaktionen der Kirche<strong>und</strong> ihrer Theologen auf meine Theorie taten dann einÜbriges, um mich ganz von der Theologie zu verabschieden.«Gott Vater: »Charles, ich verstehe dich. Ich verrate dirMaterialblattSchönberger Hefte 1 | 08


jetzt ein Geheimnis. Ich sage dir: Ich bin deiner <strong>Evolution</strong>stheoriegar nicht so abgeneigt.«Charles Darwin: »Euer Gnaden! Ach, das hätte ichnicht gedacht, wie kommt Ihr dazu?«Gott Vater: »Nun, es hängt letztlich mit meinem trinitarischenWesen zusammen.«Charles Darwin: »Euer Gnaden, ich war einmal Unitarier,wir hatten Schwierigkeiten mit der Trinität, aber sagemir, was hat Eure Heilige Trinität, die ich ja jetzt sehe,mit der <strong>Evolution</strong> zu tun. Das verstehe ich nicht.«Gott Vater: »Ich weiss, auch die <strong>Evolution</strong> von Ideenbraucht ihre Zeit. Ich möchte jetzt nicht in die Detailsgehen, um die <strong>Evolution</strong> mit meinem trinitarischen Wesen.Mein Diener Johannes Paul II hat 1992 gesagt:›Heute geben neue Erkenntnisse dazu Anlass, in der<strong>Evolution</strong>stheorie mehr al eine Hypothese zu sehen.‹Ja, lieber Charles, manche Theologen übertragen den<strong>Evolution</strong>sgedanken sogar auf mich selbst <strong>und</strong> sagenheute sogar: ›Gottes Sein ist im Werden‹. Aber der Kreationismus,wie er vor allem in einigen protestantischenLagern vertreten wird, ist natürlich Unsinn. Gerade dieProtestanten, die doch die Bibel verstehen wollen, habensie hier in ihrer pseudo-rationalistischen Schriftauslegunggründlich missverstanden. Ich sehe mit großemSchmerz, dass in Italien gerade die <strong>Evolution</strong>slehre ausTeilhard de Chardindem Unterricht der öffentlichen Schulen verbannt werdensoll, so wie schon mal in Kansas, in den USA. Dasverlangt noch nicht einmal mein Diener, der Papst.«Charles Darwin: »Jetzt hast Du mich aber neugieriggemacht. Du <strong>und</strong> Dein Wirken sind doch ganz anders alsich mir das damals gedacht habe. Hat es denn auch einmaleinen Versuch von Theologen gegeben, die <strong>Evolution</strong>positiv zu sehen?«Gott Vater: »Sicher, mein Diener Teilhard de Chardinhat die <strong>Evolution</strong> insgesamt als ein göttliches Unternehmeninterpretiert, <strong>und</strong> sogar meinen Sohn als PunktOmega, als den Zielpunkt einer universellen, kosmischenLiebe eingebaut. Er ist weit über dich hinausgegangen,mein lieber Charles.«Charles Darwin: »Das ginge mir aber zu weit. Ichwollte nur die <strong>Evolution</strong> der Arten erklären. Die <strong>Evolution</strong>als göttliches Unternehmen zu sehen, ja, GottesWirken mit der <strong>Evolution</strong> gleichzusetzen, das scheintmir doch eine ziemlich vorschnelle gedankenlose Vereinnahmungmeiner Theorie durch Theologen zu sein.Aber das ist man ja von denen gewohnt.«Gott Vater: »Sei nicht so streng Charles.«Sprecher: Darwin <strong>und</strong> Gott reden noch lange überneue Einsichten, die Darwin, wartend in der Vorhölle,zur Entwicklung der Religionen entwickelt hat.Gott Vater: »Lieber Charles, unsere Zeit ist leider abgelaufen,wir müssen jetzt Schluss machen. Unsere Diskussionhat neue Einsichten gebracht <strong>und</strong> neue Fragenaufgeworfen <strong>und</strong> ich sehe, du hast in deinem Purgatoriumdazugelernt. Trotzdem werde ich dich noch einmalins Purgatorium zurückschicken, dir aber zwei Fragenfür unser nächstes Teffen mit auf den Weg geben.«Charles Darwin: »Ich bin gespannt, Euer Gnaden.«Gott Vater: »Erste Frage: Wie kannst du in deinem <strong>Evolution</strong>ssystemunterbringen, dass ich mich, ob zwarsehr selten, Menschen offenbare, z.B. meinem DienerMose, als ich ihm die 10 Gebote gegeben habe, vondenen das erste – ›Ich bin der Herr dein Gott, du sollstkeine anderen Götter haben neben mir‹ – zumindest keinenunmittelbaren Überlebensvorteil bietet?Zweite Frage: Was ist mit den Menschen, die durch ihrereligiösen Überzeugungen, ihre Unangepasstheit,Nachteile in Kauf nehmen mussten? Ich denke an meinePropheten, die man verfolgt hat, ich denke an die Märtyrerder Kirche, ich denke an Martin Luther King, dererschossen wurde, ich denke an Dietrich Bonhoeffer,der am Fleischerhaken endete, <strong>und</strong> schließlich auch anmeinen Sohn.So Charles, denke über diese Fragen bis zu unserernächsten Zusammenkunft einmal nach, vielleicht ist derMensch ja doch etwas mehr als eine Überlebensmaschine!Und hier nimm dir zum Studium das Alte Testamentmit, mit dem hattest du ja auf Erden deine Schwierigkeiten«.Sprecher: Gott Vater wendet sich zur Rechten an Christus<strong>und</strong> bittet, ihm noch einmal die wichtigsten Teileaus Psalm 8 vorzulesen.Jesus: »Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst,<strong>und</strong> des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre<strong>und</strong> Herrlichkeit hast du ihn gekrönt.«Gott Vater: »So sei es, danke mein Sohn. Auf WiedersehenCharles, wir sehen uns demnächst wieder; dernächste bitte!«Charles Darwin: »Gott befohlen, euer Gnaden.«Gekürzte <strong>und</strong> überarbeitete Dialogpredigt von Dr. Peter Marinkovi<strong>und</strong> Dr. Wolfgang Achtner (Okt. 2004). Gewinner des deutschenPredigtpreises 2005 des Verlags für die Deutsche Wirtschaft AG.Die vollständige Fassung: www.rpz-ekhn.deAufgaben:1. Analysiern Sie die Kritik, die Gott Vater anCharles Darwin richtet.2. Setzen Sie sich – auch aus der Perspektivedes Charles Darwin – mit den beiden Schlussfragenvon Gott Vater auseinander.MaterialblattSchönberger Hefte 1 | 08


WegzehrungStaunenLebendiger Gott,wenn ich bedenke,dass unsere Erdenur ein winziges Sandkorn istin den riesigen Weiten unserer Milchstraße,die ihrerseitsnur eine von h<strong>und</strong>ert Milliarden von Galaxien istin den unermesslichen Tiefen des Universums,das 10 hoch 40 mal größer ist als ich selbst,wenn ich bedenke,dass unsere menschliche Lebenszeitnur der zweih<strong>und</strong>ert millionste Teil istvon der gigantischen Geschichte des Alls,dann STAUNE ich,dass ich winziger Menschdies alles erkennen kann!Wenn ich bedenke,dass unsere Vernunft in der Lage ist,die innere Ordnung der Dingebis zu den kleinsten Teilchen <strong>und</strong> Strukturendie 10 hoch 40 mal kleiner sind als wir selbst,zu erforschen <strong>und</strong> zu erkennen,dann STAUNE ich,dass Du uns solch eine Vernunftgegeben <strong>und</strong> anvertraut hast!Wegzehrung für ReligionspädagogenWenn ich bedenke,dass jeder Weg eines Lichtstrahlsin seiner absolut verlässlichen Schnelligkeit <strong>und</strong> Genauigkeitwie ein W<strong>und</strong>er aufleuchtetvor dem unendlichen Chaosder denkbaren möglichen Wege des Lichts,wenn ich bedenke,dass jeder Vorgang in den Weiten des Allsunveränderlichen Gesetzen genügtdie in ihrer Einfachheit <strong>und</strong> symmetrischen Schönheiteine schier unendliche Fülle der Erscheinungenhervorzubringen vermögen,dann STAUNE ichüber die Größe, die Fülle <strong>und</strong> die Weisheit all Deiner Werke!Wenn ich das W<strong>und</strong>er des Lebens spüreim Wechsel der Jahreszeiten <strong>und</strong> jeden Tag neu,etwas ahne vom W<strong>und</strong>erwerkaller Regelkreise in der Natur,wenn ich höre,wie mein Körper gesteuert wirddurch komplizierteste chemische <strong>und</strong> biologische Vorgänge,ermöglicht durch Millionen von Genen,Kunstwerken aus Tausenden von Nukleotiden,<strong>und</strong> jedes von diesen wiederumein Doppelring aus einem Dutzend Atomen,dann STAUNE ichüber die W<strong>und</strong>er in Deiner <strong>Schöpfung</strong>!Wie geheimnisvoll ist Dein Wirken<strong>und</strong> wie tief sind Deine Gedanken,Gott, Du Schöpfer der Welt!Ich STAUNE <strong>und</strong> bete Dich an:»Bei Dir ist die Quelle des Lebens<strong>und</strong> in Deinem Lichte sehen wir das Licht!«Stefan Kunz26 Schönberger Hefte 1 | 08


Gottes Welt – eine Schatztruhe voller W<strong>und</strong>er:Eine Entdeckung mit allen Sinnenvon Susanne Schmidt»<strong>Schöpfung</strong>« contra »Weltentstehung«?<strong>Im</strong> Rahmen des Unterrichtsthemas »<strong>Schöpfung</strong>« in derJahrgangsstufe 5 ist oft die Schüleranmerkung »Dashaben wir doch schon in der Gr<strong>und</strong>schule gemacht!«zu hören. Unterrichtende sehen sich folglich vor dieAufgabe gestellt, einen bereits behandelten Unterrichtsinhaltunter neuen Aspekten ins <strong>Zentrum</strong> desUnterrichts zu rücken <strong>und</strong> so die Schülermotivation erneutzu wecken.Schönberger Hefte 1 | 08<strong>Im</strong> Hinblick auf das Thema»<strong>Schöpfung</strong>« bleibt für die Lehrendengleichzeitig zu berücksichtigen,dass die Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler –anders als im Gr<strong>und</strong>schulalter, wodie biblischen Erzählungen wohleher selten hinterfragt werden – nunneue Fragen an biblische Texte stellen.Während die Einen, angeregtdurch Informationen aus TV-Dokumentationenoder Sachbüchern, diebiblischen Erzählungen auf derGr<strong>und</strong>lage des modernen Weltbildeskritisch hinterfragen, betrachtenAndere die biblische Weltsicht eventuellals »veraltet«, während wiederAndere die Wahrheit der biblischenErzählungen durch die naturwissenschaftlichenErkenntnisse bedrohtsehen.Um den biblischen Texten gerechtzu werden <strong>und</strong> zentrale Schülerfragennach dem Wahrheitsgehalt derbiblischen Texte aufzugreifen, istfolglich bereits in der Jahrgangsstufe5 zunächst eine Thematisierungder jeweils zu Gr<strong>und</strong>e liegendenWeltbilder (biblische Weltsicht – modernesWeltbild) unerlässlich.Dabei ist den Schülerinnen <strong>und</strong>Schülern zu verdeutlichen, dass esder Bibel nicht zentral um naturwissenschaftlicheAussagen geht, sonderndass die biblischen Texte Bekenntnissesind, die Lob <strong>und</strong> Dankzum Ausdruck bringen wollen. Esmuss deutlich werden, dass auchwenn die biblischen <strong>Schöpfung</strong>serzählungendas ihnen verfügbareWissen über die Weltentstehung inihre Glaubensaussagen integrierten<strong>und</strong> somit theologisches <strong>und</strong> »naturwissenschaftliches«Wissen miteinanderverwoben haben, das <strong>Zentrum</strong>der Texte das Bekenntnis zuGott dem Schöpfer bleibt. Auf dieserGr<strong>und</strong>lage kann dann deutlich werden,dass Menschen – damals wieheute – ihr Lob <strong>und</strong> ihren Dank angesichtsder Schönheit der <strong>Schöpfung</strong>Gottes zum Ausdruck bringen.Das Geheimnis der Eulen oder:Staunen kann man lernenWährend meiner Vorbereitungendes Themas stieß ich auf die Fabel»Das Geheimnis der Eulen« ( KursbuchReligion 1, Calwer/ Diesterweg,2005, S. 55), die die Wahrnehmungder Natur als eine »Schatztruhevoller kleiner W<strong>und</strong>er« thematisiert.Mir kam in den Sinn, dass die direkteBegegnung mit der Natur, dasStaunen über ihre Schönheit <strong>und</strong>Vielfalt in der Lebenswelt vieler Kinderoft einen zunehmend kleinerwerdenden Stellenwert einnimmt.Meist stehen in der ErfahrungsweltDas Geheimnis der Eulender Kinder virtuelle Welten (Fernsehen,Internet, etc.) deutlich stärkerim Vordergr<strong>und</strong> als die Wahrnehmungder sie umgebenden Natur.<strong>Im</strong> Rahmen des Themas »<strong>Schöpfung</strong>«wurde mir daher wichtig, denSchülerinnen <strong>und</strong> Schülern nebeneiner Auseinandersetzung mit denInhalten <strong>und</strong> Aussagen von Genesis1 <strong>und</strong> 2 vor allem das Staunen überdie »W<strong>und</strong>er« der Natur zu vermitteln<strong>und</strong> ihnen über das eigene Erlebendiese »W<strong>und</strong>er« der <strong>Schöpfung</strong>Gottes erfahrbar <strong>und</strong> »begreifbar«zu machen.Die Erzählung »Das Geheimnis derEulen« schien mir geeignet, um dieAuf einem Bauernhof lebte allerhand Federvieh, das nichts weiter im Sinnhatte als Fressen <strong>und</strong> Trinken. Um an die größten Brocken zu kommen odereinfach nur aus Langeweile hackten die Hühner <strong>und</strong> Gänse, Pfau <strong>und</strong> Entennacheinander <strong>und</strong> fielen übereinander her. So ging es das ganze Jahr hindurch.Eines schönen Tages entdeckte der Pfau zwei Eulen in einem alten Gemäuer.Es nahm ihn W<strong>und</strong>er, warum die beiden nicht miteinander stritten. So viel Ruhe<strong>und</strong> Zufriedenheit strahlte von ihnen aus, dass dem Pfau ganz merkwürdigzumute wurde. Sollten die beiden etwa glücklich sein? Der Pfau kehrte zumHühnerhof zurück <strong>und</strong> machte allen seine Entdeckung bekannt. Das Hühnervolkschlug dem Pfau vor, die Eulen zu besuchen. Er sollte sie fragen, warumsie so still <strong>und</strong> friedvoll zusammenlebten.In seinem ganzen Prunk stolzierte der Pfau zu den Eulen zurück. Dannschlug er ein Rad, dass seine Federn rauschten, <strong>und</strong> scharrte mit dem Fuß,um sich bemerkbar zu machen. Die Eulen machten große Augen, als sie hörten,was er von ihnen wissen wollte. Doch sie sagten: »Gut, lieber Pfau, gehnur <strong>und</strong> hole deine Fre<strong>und</strong>e; wir wollen euch alles erklären.«Als das ganze Federvieh versammelt war, fingen die Eulen an zu erzählen,was sie an einem Tag erleben:»Die Welt ist wie eine Schatztruhe voller kleiner W<strong>und</strong>er. Wenn morgens dieSonne aufgeht, vertreibt sie die Dunkelheit der Nacht <strong>und</strong> taucht alles in einwarmes, fre<strong>und</strong>liches Licht. Der Wald erwacht, die Vögel beginnen zu singen<strong>und</strong> erfüllen die Luft mit Leben. Die Sonne spiegelt sich in den Tropfen. DasBlatt mit saftigem Grün <strong>und</strong> seinen Adern ist ein kleines W<strong>und</strong>er des Lebens.Wir sehen den Bach, der sich durch Wald <strong>und</strong> Wiesen schlängelt, wir hören,wie er munter dahinplätschert. Er löscht den Durst von Pflanzen <strong>und</strong> Tieren.«Hühner <strong>und</strong> Gänse, Pfau <strong>und</strong> Enten schauten sich um, sahen die Bäume <strong>und</strong>den Bach <strong>und</strong> verstanden nichts. Die Eulen erzählten weiter:»Wir sehen die Felder: zartes Grün. Halme stehen dicht an dicht. Wir hörenden Wind, der über sie dahinstreicht <strong>und</strong> sie bewegt.Der Tag neigt sich. Abendnebel wehen über die Felder. Langsam breitet sichdie Dunkelheit aus <strong>und</strong> die Geräusche des Tages verklingen.«Die Eulen verstummten, aber ungeduldig drängelte das Federvieh: »Undweiter <strong>und</strong> weiter?« – »Nichts weiter«, entgegneten die Eulen ruhig.»Was für ein Unsinn«, schrien die Hühner, die Enten, der Pfau <strong>und</strong> die Gänsedurcheinander, denn sie hatten nichts begriffen.Nach <strong>und</strong> nach verstummten sie enttäuscht. Und die Eulen sagten:»Unser Geheimnis sind wache Augen, ein feines Gehör <strong>und</strong> ein offenesHerz.«Nach Celestino Piatti(Das Kursbuch Religion 1, Calwer/Diesterweg 2005, S.55)27


Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler für eineWahrnehmung der <strong>Schöpfung</strong> Gottesmit allen Sinnen zu sensibilisieren.Auf einer zunächst theoretischenEbene verdeutlicht »Das Geheimnisder Eulen« sehr anschaulich,wie eine bewusste Wahrnehmungder »W<strong>und</strong>er« der <strong>Schöpfung</strong>Gottes erfolgen kann, denn am Endeder Erzählung verraten die still <strong>und</strong>friedlich miteinander lebenden Eulenihr Geheimnis: »Wache Augen,ein feines Gehör <strong>und</strong> ein offenesHerz«. Ohne eine bewusste Wahrnehmungder Umwelt, ohne die Fähigkeit,über die alltäglichen Dingein der Natur zu staunen – so machtdie Fabel deutlich – sind diese»W<strong>und</strong>er« der Natur nicht erfahrbar.Doch wie ließe sich eine Begegnungmit der Natur, eine Erfahrungihrer Schönheit im Klassenzimmerermöglichen? Wie könnten die Schülerinnen<strong>und</strong> Schüler für eine bewusstereWahrnehmung der Schönheitder <strong>Schöpfung</strong> sensibilisiertwerden? Wie die Vielfalt <strong>und</strong> Schönheitder <strong>Schöpfung</strong> Gottes erfahrbarmachen?Ein ganzheitlicher Zugang, der die<strong>Schöpfung</strong> Gottes als Geschenk mitallen Sinnen begreifbar macht,schien mir geeignet, diese Anliegenaufzugreifen. Einen ersten Schrittauf diesem Weg bildete die vorliegendeErzählung, auf deren Hintergr<strong>und</strong>die Schülerinnen <strong>und</strong> Schülerdas Geheimnis einer bewusstenWahrnehmung der Natur zunächsttheoretisch entdecken konnten.Nachdem ich den Schülerinnen<strong>und</strong> Schülern die Fabel vorgelesenhatte, sprachen wir darüber, warumdie Eulen so friedlich miteinanderumgingen, was ihr Geheimnis zudieser Gr<strong>und</strong>stimmung beitragen<strong>und</strong> was diese Fabel wohl über dieMenschen aussagen könnte. DieSchülerinnen <strong>und</strong> Schüler erkanntensehr schnell, dass die Hühner <strong>und</strong>Gänse, der Pfau <strong>und</strong> die Enten aufGr<strong>und</strong> der vielen Streitereien denBlick für ihre Umgebung verlorenhatten. <strong>Im</strong> Gegensatz dazu, so dieSchülerinnen <strong>und</strong> Schüler, blicktendie Eulen mit Ruhe <strong>und</strong> voller Staunenauf die Natur.Schatztruhen voller W<strong>und</strong>erNach der Thematisierung der Fabel<strong>und</strong> der Entschlüsselung desGeheimnisses der Eulen sollten dieSchülerinnen <strong>und</strong> Schüler sich nunauf Entdeckungsreise begeben.Denn nicht nur »wache Augen, einfeines Gehör <strong>und</strong> ein offenes Herz«machen die Schönheit <strong>und</strong> Vielfaltder Natur begreifbar. So wie sich dieuns umgebende Natur als vielfältigerweist, zeigt sich auch die menschlicheWahrnehmung als vielgestaltig(hören, sehen, tasten, schmecken,riechen), um die »Schatztruhen vollerW<strong>und</strong>er« zu entdecken.Dem Geheimnis der Eulen auf derSpur sollten sie die »W<strong>und</strong>er derNatur«, die sich in einzelnen Schatztruhenverbargen, entdecken. In Anlehnungan die fünf Sinne des Menschengalt es, die beiden »Aufgaben«jeder Schatztruhe in Partnerarbeitzu »bearbeiten«. Dabei sollten dieSchülerinnen <strong>und</strong> Schüler mit demjeweils genannten Sinn herausfinden,was sich in den einzelnen Truhenbefand. Ein Laufzettel (M1), aufdem die entsprechenden »Lösungen«einzutragen waren, diente derErgebnissicherung.Während sich in Schatztruhe 1 ineiner Tasche zwei zu ertastende Naturgegenstände(z.B. Steine, Moos,Rinde, Gras) versteckten, verbargSchatztruhe 2 zwei Dosen mit Düften(z.B. Zimt, Pfefferminze), die zu»erriechen« waren. In Schatztruhe 3befanden sich in zwei kleinen Behältnissenzwei Obst- oder Gemüsesorten(Trauben, kleine Tomaten,Möhrenstücke, Mandarinen, etc.).Schatztruhe 4 war gefüllt mit zweiCD-Spielern, aus denen Vogelstimmen<strong>und</strong> Meeresrauschen zu vernehmenwaren, <strong>und</strong> in Schatztruhe5 versteckten sich zwei kleine Dia-Ansicht-Geräte, mit deren Hilfe mandas Bild eines Apfelbaums in Blütebzw. einer Biene auf einer Blume bestaunenkonnte.Bereits während der »Schatzsuche«der Schülerinnen <strong>und</strong> Schülerwurde erkennbar, mit wie viel Neugier<strong>und</strong> (Vor-)Freude sie sich an dieeinzelnen Stationen begaben, umdie darin verborgenen »W<strong>und</strong>er« zuentdecken. Den Schülerinnen <strong>und</strong>Schülern wurde dabei bereits exemplarischdeutlich, wie vielfältig <strong>und</strong>w<strong>und</strong>erbar Gottes <strong>Schöpfung</strong> ist.Gleichzeitig zeigte sich bei der»Bearbeitung« der Stationen auch,dass es vielen Schülerinnen <strong>und</strong>Schülern nicht gerade leicht fiel,sich auf die Ungewissheiten, die dieSchatztruhen verbargen, einzulas-sen. Vor allem das »Schmecken«sorgte hier <strong>und</strong> da für Aufgeregtheit,da einzelne Kinder vermuteten, essei etwas zu schmecken, das sienicht mögen könnten. Hier ist esallerdings wichtig, mögliche Speiseallergieneinzelner Kinder im Vorhineinauszuschließen.Nachdem die Schülerinnen <strong>und</strong>Schüler alle Stationen durchlaufenhatten, trugen wir die »Lösungen«zusammen <strong>und</strong> thematisierten auchErfahrungen mit diesem Zugang. Dabeiwurde immer wieder deutlich,wie viel Spaß die Kinder bei der Erschließungder geheimnisvollenSchatztruhen hatten.Um das Erlebte zu vertiefen, erhieltensie in einer Hausaufgabe denAuftrag, einen Spaziergang zu machen<strong>und</strong> nachfolgend zu beschreiben,was sie gehört, gesehen <strong>und</strong>gerochen hatten. Hier konnten einigeKinder ihre Vorfreude auf dieseetwas andere Hausaufgabe nichtverbergen <strong>und</strong> Schüleräußerungenwie »Wann machen wir das wieder?«oder »Coole Hausaufgabe!« ließenmich schmunzeln.Ein bewusst wahrnehmenderSpaziergangAbhängig von den örtlichen Gegebenheiten,die die Schülerinnen <strong>und</strong>Schüler für ihre Spaziergänge wählten,konnte in der darauf folgendenSt<strong>und</strong>e dann die bewusste Wahrnehmungder Umwelt (Natur, <strong>Schöpfung</strong>Gottes, aber auch einzelne diese<strong>Schöpfung</strong> gefährdende Aspekte)in der unmittelbaren Erfahrungsweltder Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler ins<strong>Zentrum</strong> des Unterrichts rücken.Gerade auch die Wahrnehmungder die <strong>Schöpfung</strong> bedrohendenAspekte des Spaziergangs sollte dabeibedeutsam werden. Denn nichtzuletzt verdeutlichen gerade diesedie Notwendigkeit eines ges<strong>und</strong>enUmwelt- bzw. Verantwortungsbewusstseins,das die <strong>Schöpfung</strong> aufdem Hintergr<strong>und</strong> der zentralen Glaubensaussagender biblischen Berichteals »Geschenk <strong>und</strong> Auftrag«verstanden wissen will. Den Schülerinnen<strong>und</strong> Schülern sollte in diesemZusammenhang schließlich auch ihreeigene Verantwortung im Umgangmit der Natur bewusster werden.Eine Wahrnehmung der <strong>Schöpfung</strong>als »Schatztruhe voller W<strong>und</strong>er«macht dabei erneut deutlich,dass mit der Schönheit <strong>und</strong> Vielfaltdieser <strong>Schöpfung</strong> Gottes nicht willkürlichverfahren werden sollte.Susanne Schmidt ist Studienrätin amJohanneum Gymnasium in Herborn.28 Schönberger Hefte 1 | 08


M 1Gottes Welt – eine Schatztruhe voller W<strong>und</strong>er1. Gottes <strong>Schöpfung</strong> mit allen Sinnen wahrnehmenIn der<strong>Schöpfung</strong>gibt es vieleszu sehen.Schaue!Was siehst du? _______________________________________________________________Wie sieht es aus? ____________________________________________________________In der<strong>Schöpfung</strong>gibt es vieleDüfte.Rieche!Erkennst du diesen Geruch? Ich rieche _____________________________________Wie duftet es? ________________________________________________________________In der<strong>Schöpfung</strong>gibt es vieleGeräusche.Höre!Was hörst du? ________________________________________________________________Wie klingt es? ________________________________________________________________Die<strong>Schöpfung</strong>kann man auchfühlen.Taste!Kannst du mit einer Hand ertasten, was sich hier verbirgt? _______________Wie fühlt es sich an? _________________________________________________________Man kanndie <strong>Schöpfung</strong>auchschmecken.Schmecke!Erkennst du diesen Geschmack? ___________________________________________Wie ist dieser Geschmack? __________________________________________________2. Was uns an Gottes Welt in der Natur besonders gut gefälltHausaufgabe: Macht einen Spaziergang in eurem Wohnort (ca. 10 min.).Versucht diesen Spaziergang ganz bewusst zu erleben: Notiert euch nach dem Spaziergangauf einem Blatt alles was ihr hörend, sehend <strong>und</strong> riechend wahrgenommen habt.MaterialblattSchönberger Hefte 1 | 08


Kommentierte Literatur-, Internet- <strong>und</strong> Medientipps zuKreationismus <strong>und</strong> Intelligent Designvon Hubert MeisingerDie Anzahl an Veröffentlichungen zum Thema Kreationismus <strong>und</strong> Intelligent Design hateine stark ansteigende Tendenz. Die vorliegenden kommentierten Tipps stellen einewichtige Auswahl zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Ausgabe der SchönbergerHefte dar, in der zentrale Veröffentlichungen, Internetseiten <strong>und</strong> Medien aufgeführt sind.Zur Diskussion um Intelligent Design (ID):Besier, Gerhard <strong>und</strong> Hubert Seiwert (Hg.): ThemenschwerpunktKreationismus vs. <strong>Evolution</strong> / Intelligent Design vs. <strong>Evolution</strong>, Religion–Staat–Gesellschaft.Zeitschrift für Glaubensformen <strong>und</strong>Weltanschauungen 7 (2, 2006) Berlin: Duncker & Humblot.In den Beiträgen kommen Kritiker <strong>und</strong> Befürworter des IntelligentDesigns zu Wort, wobei Letzteren mehr Raum gewährt wird, da ihnen– so Zitat aus dem Vorwort von Gerhard Besier – »für gewöhnlichweniger Platz gewährt« würde. »Außenseiter« sollen zu Wortkommen dürfen.Christlicher <strong>Schöpfung</strong>sglaube <strong>und</strong> naturwissenschaftliches Weltverständnis,epd Dokumentation 32/07, Frankfurt 2007.Beiträge zum Thema christlicher <strong>Schöpfung</strong>sglaube <strong>und</strong> naturwissenschaftlichesWeltverständnis, die sich auf die Intelligent DesignDebatte beziehen, aber auch über diese hinaus gehen.Darwin, Charles: Die Entstehung der Arten, Stuttgart 1989 (Reclam3071). Der Klassiker von 1859 schlechthin, der die gesamte Diskussionin Gang gesetzt hat. <strong>Im</strong>mer noch sehr gut lesbar.Hemminger, Hansjörg: Mit der Bibel gegen die <strong>Evolution</strong>. Kreationismus<strong>und</strong> »intelligentes Design« – kritisch betrachtet, EvangelischeZentralstelle für Weltanschauungsfragen, Berlin, EZW-TexteNr. 195/2007. Historisch <strong>und</strong> systematisch äußerst aufschlussreich<strong>und</strong> mit einem pädagogischen Nachtrag versehen setzt sich derAutor, ein Natur- <strong>und</strong> Verhaltenswissenschaftler, mit der Entwicklungdes Kreationismus <strong>und</strong> zentraler Annahmen von ID-Vertreternauseinander. In seinen theologischen Überlegungen lässt er sichvon Gedanken der Karl-Heim-Gesellschaft leiten.Körtner, Ulrich H.J./Marianne Popp (hg.): <strong>Schöpfung</strong> <strong>und</strong> <strong>Evolution</strong>– <strong>zwischen</strong> Sein <strong>und</strong> Design. Neuer Streit um die <strong>Evolution</strong>stheorie,Wien u.a.: Böhlau 2007. Dieses Buch renommierter Wissenschaftlereiner interdisziplinären Arbeitsgemeinschaft aus Biologie, Physik,Philosophie <strong>und</strong> Theologie geht von einer Differenzhermeneutikaus, die besagt, dass wir uns der Wirklichkeit nur multiperspektivischannähern können, wobei keine der am interdisziplinärenDialog beteiligten Wissenschaften einen privilegierten Zugang hatzu dem, was wir Wirklichkeit nennen.Kutschera, Ulrich: <strong>Evolution</strong>sbiologie, Stuttgart 2006, 2. Auflage.Der Kasseler <strong>Evolution</strong>sbiologie ist der prominenteste deutscheStreiter gegen Kreationismus <strong>und</strong> Intelligent Design. Das Buchrichtet sich nicht nur an Biologinnen <strong>und</strong> Biologen, sondern auchan naturwissenschaftlich vorgebildete Psychologen, Theologen,Mediziner <strong>und</strong> Lehrende an Gymnasien.Kutschera, Ulrich (Hg.): Kreationismus in Deutschland. Fakten <strong>und</strong>Analysen, Berlin 2007. Dieser Sammelband enthält Beiträge zumThemenbereich »Kreationismus <strong>und</strong> Intelligent Design« von Mitgliedernder Arbeitsgemeinschaft <strong>Evolution</strong>sbiologie im Verbanddeutscher Biologen.Morphisto – <strong>Evolution</strong>sforschung <strong>und</strong> Anwendung GmbH (Hg.):Kreationismus versus <strong>Evolution</strong> – Intelligent Design <strong>und</strong> Physikotheologie– The Creation Controversy, Querschnitte. Materialien fürUnterrichtsvorbereitung <strong>und</strong> Selbststudium 1 (3, 2006).Als erste Ausgründung des Forschungsinstitutes Senckenberg führendie Mitarbeiter der Morphisto GmbH das Programm der <strong>Evolution</strong>sforschungfort, welches am Senckenberg-Institut über vieleJahrzehnte hinweg entwickelt wurde, die so genannte »Frankfurter<strong>Evolution</strong>stheorie«. Das vorliegende Heft bietet Einblicke in ihreAuseinandersetzung mit Kreationismus <strong>und</strong> Intelligent Design.Numbers, Ronald L.: The Creationists. From Scientific Creationismto Intelligent Design, Cambridge, Mass. 2006.Der international angesehene Wissenschafts- <strong>und</strong> MedizinhistorikerRon Numbers gibt hier einen geschichtlichen Überblick überdie Entwicklung des Kreationismus bis hin zur Intelligent DesignBewegung – vor allen Dingen in den USA, aber auch mit einemAusblick auf die weltweiten Entwicklungen.Schanks, Niall: God, the Devil, and Darwin. A Critique of IntelligentDesign Theory, Oxford 2007. Eine Kritik der Intelligent Design Bewegung,ihrer Vertreter <strong>und</strong> ihrer Theorien, vor allem in einer amerikanischenPerspektive. Vorwort von Richard Dawkins, dem Verfasservon »Der Gotteswahn«.Schönborn, Christoph Kardinal: Ziel oder Zufall? <strong>Schöpfung</strong> <strong>und</strong><strong>Evolution</strong> aus der Sicht eines vernünftigen Glaubens, Freiburg-Basel-Wien2007. Der Wiener Kardinal erläutert zum einen, dass derchristliche <strong>Schöpfung</strong>sglaube nichts zu tun hat mit f<strong>und</strong>amentalistischenMissverständnissen der biblischen Botschaft. Zum anderenwendet er sich gegen die Tendenz, aus der naturwissenschaftlichen<strong>Evolution</strong>stheorie eine alles erklärende Weltanschauung zumachen, in der kein Raum mehr sein soll für den vernünftigenGlauben an einen Sinn der <strong>Schöpfung</strong> <strong>und</strong> des menschlichen Lebens:»Das Staunen ist der Anfang der Philosophie.«Schrader, Christopher: Darwins Werk <strong>und</strong> Gottes Beitrag. <strong>Evolution</strong>stheorie<strong>und</strong> Intelligent Design, Stuttgart 2007.Die Gr<strong>und</strong>annahmen von ID werden erst ausführlich dargestellt<strong>und</strong> im Anschluss einer kritischen Prüfung unterzogen. Auch wennder Autor dabei nicht ausreichend differenziert über eine reineWissenschaftlichkeit der <strong>Evolution</strong>stheorie im Gegensatz zureligiösen Motivation von ID spricht, ist diese Buch doch ausgesprochenempfehlenswert als kritische Lektüre.ID-Positionen:Behe, Michael: Darwin’s Black Box. Biochemische Einwände gegendie <strong>Evolution</strong>stheorie, Gräfelfing 2007. 1996 erstmals in den USAerschienen hat dieses Buch maßgeblich die Diskussion um IntelligentDesign bestimmt. Die deutsche Ausgabe ist um ein Kapitel ergänzt,in dem die Diskussion seit dem ersten Erscheinen betrachtetwird.Junker, Reinhard / Siegfried Scherer: <strong>Evolution</strong>. Ein kritisches Lehrbuch,Gießen 2006, 6. aktualisierte <strong>und</strong> erweiterte Auflage.Dieses Buch, das nicht als Lehrbuch zugelassen ist, stellt die <strong>Evolution</strong>slehreunter der Perspektive von <strong>Schöpfung</strong> dar.Stein, Alexander vom: Creatio. Biblische <strong>Schöpfung</strong>slehre, Lychen2005. Ziel des Buches ist es, die Aussagen der Bibel über <strong>Schöpfung</strong><strong>und</strong> Frühgeschichte vorzustellen <strong>und</strong> zu zeigen, dass dieseBerichte heute noch ihre volle Gültigkeit haben.Studiengemeinschaft Wort <strong>und</strong> Wissen – Junker, Reinhard / SiegfriedScherer: <strong>Schöpfung</strong> (o)der <strong>Evolution</strong>. Denkansätze <strong>zwischen</strong>Glauben <strong>und</strong> Wissen, Neuhausen-Stuttgart 2001, 4. Auflage.Die Studiengemeinschaft Wort <strong>und</strong> Wissen versucht in diesemBuch, ihre f<strong>und</strong>amentalistisch geprägten Ansätze darzustellen,wie der Glaube an das <strong>Schöpfung</strong>shandeln Gottes mit den Erkenntnissender Naturwissenschaft zusammengebracht werden kann.Zillmer, Hans-Joachim: Die <strong>Evolution</strong>s-Lüge. Die Neandertaler <strong>und</strong>andere Fälschungen der Menschheitsgeschichte, München 2005.Prominentester Vertreter des Kreationismus in Deutschland, der indieser <strong>und</strong> zahlreichen anderen Veröffentlichungen die <strong>Evolution</strong>stheorieals auf Fälschungen basierend zu entlarven versucht.<strong>Evolution</strong>stheorie <strong>und</strong> Theologie:Hefner, Philip: The Human Factor. <strong>Evolution</strong>, Culture and Religion,Theology and the Sciences, Minneapolis: Fortress Press 1993.Überzeugender <strong>und</strong> konstruktiver Brückenschlag <strong>zwischen</strong> denmodernen Konzepten einer biokulturellen <strong>Evolution</strong> <strong>und</strong> christlicherTheologie durch einen international renommierten lutherischenTheologen <strong>und</strong> ehemaligen Direktor des Zygon Center forReligion and Science in Chicago/USA.Horn, Otto <strong>und</strong> Siegfried Wiedenhofer (Hg.): <strong>Schöpfung</strong> <strong>und</strong> <strong>Evolution</strong>.Eine Tagung mit Papst Benedikt XVI. in Castel Gandolfo,Augsburg: St. Ulrich Verlag 2007. Dieser Band dokumentiert eineTagung, zu der Papst Benedikt XVI. über das Thema »<strong>Schöpfung</strong><strong>und</strong> <strong>Evolution</strong>« eingeladen hatte: mit den dort gehaltenen Vorträgenaus Naturwissenschaft, Philosophie <strong>und</strong> Theologie sowie derDiskussion, an der der Papst selbst aktiv teilgenommen hat.Junker, Thomas: Die <strong>Evolution</strong> des Menschen, München: C.H. Beck2006. Warum gibt es Menschen? Wie lassen sich ihre körperlichenMerkmale <strong>und</strong> typischen Verhaltensweisen erklären? Das Buchzeigt, wie diese uralten <strong>und</strong> zugleich höchst aktuellen Rätsel durchdie neuesten Erkenntnisse der <strong>Evolution</strong>sbiologie gelöst werdenkönnen.30 Schönberger Hefte 1 | 08


Lüke, Ulrich/ Jürgen Schnakenberg <strong>und</strong> Georg Souvignier (Hg.):Darwin <strong>und</strong> Gott. Das Verhältnis von <strong>Evolution</strong> <strong>und</strong> Religion, Darmstadt:Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2004. Vertreter derFachrichtungen Soziobiologie, Neurobiologie, Psychologie, Religionswissenschaft,Theologie <strong>und</strong> Philosophie gehen der Fragenach, ob das Verhältnis von Religion koproduktiv, kontraproduktivoder unproduktiv ist. Aus der unterschiedlichen Fachperspektiveerwächst anregende Spannung auch in gegenseitiger Bezugnahme.Lüke, Ulrich: Das Säugetier von Gottes Gnaden. <strong>Evolution</strong>, Bewusstsein,Freiheit, Freiburg: Herder, Auflage 2006, 2. Auflage.Lüke vertritt die These, dass theologisch-christlich gesprochen diebiologische Rekonstruktion von <strong>Evolution</strong> <strong>und</strong> Hominisation dieSpuren sichernde Verfolgung der vestigia die bis zur imago die bedeutet.Von daher habe die Naturwissenschaft ein Mitspracherechtbei der Theologie <strong>und</strong> diese eine Konsultationspflicht bei den Naturwissenschaften.Meisinger, Hubert <strong>und</strong> Jan C. Schmidt (Hg.): Physik, Kosmologie<strong>und</strong> Spiritualität. Dimensionen des Dialogs <strong>zwischen</strong> Naturwissenschaft<strong>und</strong> Religion, Darmstädter Theologische Beiträge zu Gegenwartsfragen,Bd. 11, Frankfurt: Peter Lang 2006. Dieses Buch analysiertdie Herkunft <strong>und</strong> Zukunft der Fragen nach dem Kosmos,dem Leben <strong>und</strong> nach Gott, zielt darüber hinaus auf implizite, oftvergessene Fragen, wie sie sich in der Lebenswelt stellen: etwa inTechnik <strong>und</strong> Kunst, in Literatur <strong>und</strong> Predigt, in öffentlichen Diskursen<strong>und</strong> medienwirksamen Debatten. So argumentiert es programmatischfür einen erweiterten, transdisziplinären Dialog.Mortensen, Viggo: Theologie <strong>und</strong> Naturwissenschaft, Gütersloh1995. Ein dänischer Theologe befasst sich mit dem kontinentaleuropäischen<strong>und</strong> dem anglo-amerikanischen Dialog, um letztlicheine »fre<strong>und</strong>schaftliche Wechselwirkung« <strong>zwischen</strong> Theologie <strong>und</strong>Naturwissenschaft vorzuschlagen: unvermischt <strong>und</strong> ungetrennt.Peters, Ted/ Gaymon Bennett <strong>und</strong> Kang Phee Seng (Hg.): Brückenbauen. Naturwissenschaft <strong>und</strong> Religion, Religion, Theologie <strong>und</strong>Naturwissenschaft, Bd. 5, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht2006. Dieser Band dokumentiert mit seinen unterschiedlichen Beiträgenden Stand der interdisziplinären Diskussion in den USA fürein breiteres Publikum In der deutschen Ausgabe ist ein Kapitelüber die Entwicklung des Verhältnisses <strong>zwischen</strong> Naturwissenschaft<strong>und</strong> Theologie in Deutschland hinzugefügt worden. Zu denbesonderen Akzenten des Bandes zählt auch, dass er auf das Verhältnisanderer Religionen wie Islam, Buddhismus, Hinduismus<strong>und</strong> Judentum zur Naturwissenschaft eingeht.Theißen, Gerd: Art. <strong>Evolution</strong>, in: Tobias Daniel Wabbel (Hg.): <strong>Im</strong>Anfang war kein Gott. Naturwissenschaftliche <strong>und</strong> theologischePerspektiven, Düsseldorf: Patmos, 2004, S. 147-158.Ein prägnanter Artikel des Heidelberger Neutestamentlers GerdTheißen, in dem dieser die Herausforderungen der <strong>Evolution</strong>stheoriefür die Theologie nicht nur benennt, sondern diese auch konstruktivtheologisch deutet <strong>und</strong> zugänglich macht.Religionspädagogik:Alles reiner Zufall? Streit um Gott als intelligenten Designer, Informationenfür Religionslehrerinnen <strong>und</strong> Religionslehrer BistumLimburg, Info 35 (3/2006) – im Internet unter: www.service.bistumlimburg.de/ifrr/PDFs/INF_06_3.pdfNaturwissenschaftliche <strong>und</strong> theologische Beiträge zu IntelligentDesign <strong>und</strong> der Feinabstimmung des Universums finden sich ebensodarin wie unterrichtspraktische Überlegungen <strong>und</strong> Bausteine.Dieterich, Veit-Jakobus: Glaube <strong>und</strong> Naturwissenschaft, OberstufeReligion. Materialheft 2, Eckhart Marggraf <strong>und</strong> Eberhard Röhm(Hg.), Stuttgart: Calwer Verlag 1996, 8. Auflage. Ein sehr gelungenerBand, das Thema Glaube <strong>und</strong> Naturwissenschaft für die Oberstufeaufzubereiten. Mit sehr gut ausgewählten Texten <strong>und</strong> vielenfarbigen Bildern (Gemälde, Werbung, Kirchenfenster), die zu kreativemUmgang mit dem Thema einladen.Reich, Karl H./ Reto L. Fetz <strong>und</strong> Peter Valentin: Weltbildentwicklung<strong>und</strong> <strong>Schöpfung</strong>sverständnis. Eine strukturgenetische Untersuchungbei Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen, Stuttgart: Kohlhammer 2001.Weltentstehung <strong>und</strong> Gottesfrage hängen sowohl in der Menschheitsgeschichteals auch in der Entwicklung des Einzelnen eng miteinanderzusammen. Das Buch klärt, wie sich die Reflexion entwickelt,das Wirklichkeitsverständnis ausbildet sowie Religion <strong>und</strong>Naturwissenschaft aufeinander bezogen werden können. Fallstudienwerden dargestellt sowie praktische Konsequenzen für Philosophie-<strong>und</strong> Religionsunterricht gezogen.Reich, Helmut K. <strong>und</strong> Anke Schröder: Komplementäres Denken imReligionsunterricht: Ein Werkstattbericht über unser Unterrichtsprojekt,Loccumer Pelikan / Sonderheft 3, Loccum: ReligionspädagogischesInstitut 1995. Reich <strong>und</strong> Schröder entwickeln den Zugangzum Sowohl-als-auch-Denken für die 5./6. Klasse am Beispieleines differenzierten Verständnisses von Zeit bzw. an der Erarbeitungeines Verständnisses für unterschiedliche Genres von Texten.Schwarke, Christian <strong>und</strong> Roland Biewald: Weltbilder – Menschenbilder.Naturwissenschaft <strong>und</strong> Theologie im Dialog, ThemenhefteReligion Heft 3, Leipzig: Ev. Verlagsanstalt 2003. Weniger bunt alsV.-J. Dieterich, dafür mit einer sehr guten kurzen Problemgeschichtedes Verhältnisses von Theologie <strong>und</strong> Naturwissenschaft,klaren didaktischen Hinweisen, Unterrichtsmodulen <strong>und</strong> einer ausführlichenMaterialsammlung sowie einem sehr guten Literaturverzeichnis.Science and Religions in Schools. A Guide to the Issues for PrimarySchools, The Science and Religion in Schools Project, Oxford/ UK2006. Desgl. for Secondary Schools.Anliegen dieses englischen Projektes ist es, Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehreranzuregen, interdisziplinäre Fragestellungen im Unterricht aufzugreifen<strong>und</strong> ihnen dazu Materialien zur Verfügung zu tellen. Jeweilsmit Support CD-Rom. (www.srsp.net)Filme:»Dem Geheimnis des Lebens nahe«, Drei Linden FilmproduktionFritz Poppenberg, Illustra Media 2006. Deutsche Fassung von»Unlocking the Mystery of Life. The Scientific Case for IntelligentDesign« des Discovery Institutes, des führenden US-ID-Instituts.»Genesis. Woher kommen wir?«, von Claude Nuridsany <strong>und</strong> MariePérennou, 2004. Ein Schamane erzählt in eindrucksvoller mythischerBildsprache die Geschichte des Kosmos <strong>und</strong> des Lebens alswissenschaftlichen Mythos vom Werden <strong>und</strong> Vergehen <strong>und</strong> lässtuns die Natur <strong>und</strong> mit ihr das Lebewesen Mensch mit anderen Augensehen. Das Begleitbuch ist im Gerstenberg Verlag erschienen.Links zur Debatte um Intelligent Design:www.the-brights.net bzw. www.brights-deutschland.deWebsites der internationalen <strong>und</strong> nationalen Brights-Bewegung,die einem neuen Atheismus das Wort reden.www.discovery.orgWebsite des Discovery Institutes, des führenden amerikanischenID-Instituts, zu dem auch das »Center for Science and Culture« gehört.www.genesisnet.infoWebsite der deutschen Kreationismus <strong>und</strong> ID-Vertreter.www.wort-<strong>und</strong>-wissen.deWebsite der Studiengemeinschaft Wort <strong>und</strong> Wissen e.V. mit Sitz inBaiersbronn im Schwarzwald. Sie vertritt eine <strong>Schöpfung</strong>slehre,die sich eng an die wörtlichen Aussagen der Bibel anlehnt.www.venganza.org/Website der »Church of the Flying Spaghetti Monster«, einer Satireauf die ID-Bewegung, dessen Erfinder in einem offenen Brief andas Kansas School Board fordert, neben ID auch das »FliegendeSpaghettimonster« zu lehren. Darin wird ein Zusammenhang <strong>zwischen</strong>Erderwärmung <strong>und</strong> der Abnahme an Piraten auf der Erdehergestellt ...www.forum-grenzfragen.de/grenzfragen/open/webtodate/aktuelles/53204297740a9c101/index.htmlWebsite mit ausführlichem Hintergr<strong>und</strong>material zu Kreationismus<strong>und</strong> Intelligent Design.www.evolutionsbiologen.de/Website der AG <strong>Evolution</strong>sbiologie im Verband deutscher Biologenmit vielen Hinweisen auf Veröffentlichungen <strong>und</strong> Veranstaltungen.Links zum interdisziplinären Dialog:www.karl-heim-gesellschaft.deDer protestantische Theologe Karl Heim beschäftigte sich ausführlichmit dem interdisziplinären Gespräch <strong>zwischen</strong> Naturwissenschaft<strong>und</strong> Theologie. Die Gesellschaft führt dieses Gespräch vorallem im deutschen Raum weiter.www.esssat.orgWebsite der »European Society for the Study of Science and Theology«,mit vielen weiteren Links zu internationalen interdisziplinärenGesellschaften.www.issr.org.ukWebsite der »International Society for Science and Religion«, einerVereinigung weltweit anerkannter NaturwissenschaftlerInnen,PhilosophInnen <strong>und</strong> TheologIn-nen, die sich mit Fragen des interdisziplinären<strong>und</strong> interreligiösen Gesprächs auseinandersetzen.Schönberger Hefte 1 | 0831


“Religion nach Darwin”Dialogpredigt, Dr. Peter Dr. Wolfgang Achtneran der Universitätskirche St. Markus 18. 6. 2006Predigttext Ps. 8Liebe Gemeinde,Sprecher:Haben Sie schon einmal vorgestellt, wie es wäre, dort zu sein, wo sich alle Rätseldes Lebens, alle Welträtsel gelöst haben?Teil IHaben Sie sich schon einmal vorgestellt, dort zu sein, wo alle quälenden Fragenbeantwortet werden, wo alle wissenschaftlichen Probleme mit einem gleichsamgöttlichen Blick durchsichtig werden?Kurz gesagt, haben Sie sich schon einmal vorgestellt, im Himmel zu sein?Nun, von der Kirche zum Himmel ist es zwar noch ein großer Schritt, aber stellenwir uns einmal vor, wir seien im Himmel <strong>und</strong> würden Zeuge der täglichen Arbeitdort oben. Dann könnten wir vielleicht folgendes erleben.Wir befinden uns im himmlischen Thronsaal. Vor uns sitzt in würdiger HaltungGott Vater, zu seiner Rechten sein Sohn, zu seiner Linken sehen wir einenflammenden Kraftstrom auf <strong>und</strong> nieder steigen, den Heiligen Geist. Hinter ihnenschweben die Erzengel auf <strong>und</strong> nieder <strong>und</strong> dahinter breitet sich das große Meer derfrohlockenden Gläubigen aus. Wir werden Zeuge einer eindrucksvollenBegebenheit.Gott Vater:“Ich begrüße Euch alle ganz herzlich zu unserer heutigen Sitzung. Mein Sohnkannst du uns einmal die Losung zum heutigen Tag vorlesen”?Sohn: “Aber natürlich, Vater”.(Christus kramt eine alttestamentliche Schriftrolle hervor <strong>und</strong> liest: )“Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond <strong>und</strong> die Sterne, die dubereitet hast,Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, <strong>und</strong> des Menschen Kind, dass du dichseiner annimmst?Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre <strong>und</strong> Herrlichkeit hast Duihn gekrönt.Schönberger Hefte 2008 Heft 1“Religion nach Darwin” - Dialogpredigt, Dr. Peter Dr. Wolfgang AchtnerSeite 1 von 13


Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk, alles hast Du unter seineFüße getan.Schafe <strong>und</strong> Rinder allzumal, dazu auch die wilden Tiere, die Vögel unter demHimmel <strong>und</strong> die Fische im Meer <strong>und</strong> alles, was die Meere durchzieht.Herr unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen”.Gott Vater:“Achja, der Psalm 8 ‘Was ist der Mensch’, ich höre ihn immer wieder gern, <strong>und</strong>,wie ich sehe, passt er auch zu unserem heutigen Fall. Petrus, bring uns doch mal fürdie Sitzung das große Buch des Lebens”.Petrus:“Hier ist es, wir waren beim Buchstaben ‘D’”.Gott Vater, seufzt ein wenig:“Richtig, zur Verhandlung steht heute an ‘Charles Darwin’, ein schwieriger Fall,Petrus kannst du ihn holen”?(Die Tür zum Purgatorium öffnet sich <strong>und</strong> herein tritt verlegen, die Augenniedergeschlagen, Charles Darwin.)Gott Vater:“Guten Tag, Charles. Wie geht es Dir?Charles Darwin:“Danke, besser als ich erwartet hatte”.Gott Vater (lächelnd):“Das freut mich, aber Du brauchst deine Augen nicht niederzuschlagen <strong>und</strong> Dukannst mich auch direkt anschauen <strong>und</strong> anreden, wie du siehst bin ich eine Person,wenn auch in dreifacher Gestalt”.Charles Darwin:“Das ist sehr fre<strong>und</strong>lich, ich würde euch auch gerne persönlich anreden, aber da iches in meinem Leben nie gemacht habe, weiss ich die angemessene Anrede nicht”.Gott Vater:“Aber Charles, du hast immerhin einige Semester Theologie studiert”!Charles Darwin (sichlich peinlich berührt) stottert herum:“Ja, also, ähm, …hmm, na ja,..”Gott Vater:“Schon gut, ich will da nicht weiter bohren”.Schönberger Hefte 2008 Heft 1“Religion nach Darwin” - Dialogpredigt, Dr. Peter Dr. Wolfgang AchtnerSeite 2 von 13


Charles Darwin:“Ich vermute, dass ich hier in einer Art Gericht bin, dann werde ich wahrscheinlichmit ‘Euer Gnaden’ nicht ganz falsch liegen, oder”?Gott Vater:“Ist recht, mein Sohn. Nun aber zur Sache. Also Charles, du bist der legendäreBegründer der <strong>Evolution</strong>stheorie, richtig”?Charles Darwin:Ja, euer Gnaden”Gott Vater:“Was hat dich dazu bewegt, diese revolutionäre Theorie zu formulieren”?Charles Darwin, mit glänzenden Augen:“Euer Gnaden, ich bin eine leidenschaftliche Forschernatur. Ich wollte meinenBeitrag zum Fortschritt der Wissenschaft leisten. Das hat meinem Leben Sinngegeben <strong>und</strong> dafür habe dafür keine Mühen <strong>und</strong> Kosten gescheut.Der Drang in die Weite hat mich auch auf meiner Forschungsreise auf der HMSBeagle um den halben Globus geführt, ich habe die ungeheure Vielfalt, …äh, … (erzögert ein wenig) ….eurer <strong>Schöpfung</strong> kennengelernt. Das hat mich so tief bewegt,dass ich verstehen wollte, woher dieser Formenreichtum kommt”.Gott Vater:“Das sind sehr lobenswerte Motive. Aber sage mir, du hast doch in deinemTheologiestudium mit Eifer die Werke meines Dieners William Paley studiert.Er hat doch in seiner „natural theology“ dargelegt, wie w<strong>und</strong>erbar angepasst ich dieeinzelnen Arten eingerichtet habe. Hat es dir nicht gereicht, von der Schönheit <strong>und</strong>klugen Einrichtung der <strong>Schöpfung</strong> auf den Schöpfer zu schließen, wie vielenanderen gläubigen Menschen auch?”Charles Darwin:“Euer Gnaden, ich möchte Euch nicht zu nahe treten, aber Paleys Thesen schienenmir etwas zu kurzschlüssig <strong>und</strong> wissenschaftlich nicht haltbar, obwohl ich zugebenmuss, dass ich von seinem Werk sehr profitiert habe”.Gott Vater: “Du hältst also den Schluß von der <strong>Schöpfung</strong> auf den Schöpfer für nichtzwingend”?Charles Darwin, lächelt:“Euer Gnaden, selbst die Theologen wissen in<strong>zwischen</strong>, dass Gottesbeweise keinerichtigen Beweise sind”.Schönberger Hefte 2008 Heft 1“Religion nach Darwin” - Dialogpredigt, Dr. Peter Dr. Wolfgang AchtnerSeite 3 von 13


Gott Vater, etwas ärgerlich:“Ja, ja, die Theologen, … was die nicht alles wissen. Ein bischen mehr Glaubenwürde ihnen nicht schaden. Aber zurück zum Thema. Du hast die lange vertreteneTheorie der Artkonstanz bestritten <strong>und</strong> an ihre Stelle die These gesetzt, dass siezeitweilig stabile Formen sind, die sich aber über sehr lange Zeiträume durch einenicht gesteuerte Mutation <strong>und</strong> Selektion weiterentwickeln, richtig?”.Charles Darwin:“Ja, euer Gnaden”Gott Vater:“Ich muss gestehen, eine grandiose Idee, mutig, mit so langen Zeiträumen vonvielen Millionen Jahren zu rechnen, das ist ja fast schon wie bei uns in derEwigkeit, wenn auch eine schlechte Ewigkeit”.Charles Darwin:“Ich brauchte diese langen Zeitläufe, damit sich kleine Veränderungen zu großenVeränderungen aufsummieren”.Gott Vater:“Bei mir geht es etwas schneller - wenn ich wollte. Nun sage mir: Was hat dichdenn an Paleys Beweis meiner Existenz genau gestört?“Darwin:„Ich bin erstaunt, Euer Gnaden, dass ihr mir diese Frage stellt. Die Antwort liegtdoch auf der Hand! Wenn es möglich ist, ein Phänomen mit wissenschaftlichenMethoden zu erklären – in meinem Falle die Entstehung der Arten – dann wäre esdoch töricht, zu Euch Euer Gnaden als Erklärungslücke Zuflucht zu nehmen. Ichdenke, es gereicht Euch doch zu weit höherer Ehre, nicht auf den zweifelhaftenStatus eines Lückenbüßergottes herabgewürdigt zu werden, oder?“Gott Vater (stotternd):„Nun ja, wechseln wir das Thema. Aber sag mir: Deine These über die Entstehungder Arten hat dich doch in Konflikt mit der Kirche <strong>und</strong> ihren theologischen Lehrengebracht, was sagst du dazu”.Charles Darwin:“Euer Gnaden, es war die Hölle, diese Anfeindungen,vor allem dieser unsägliche Bischof Wilberforce, wie er versucht hat, meinewissenschaftlichen Theorien lächerlich zu machen. 1864 hat das katholischeLehramtunter Papst Pius IX mit dem Syllabus gegen meine sogenannten modernistischenIrrtümer gekämpft – 100 Jahre lang!. <strong>Im</strong>merhin, meine Bücher wurden nicht aufden Index gesetzt.Schönberger Hefte 2008 Heft 1“Religion nach Darwin” - Dialogpredigt, Dr. Peter Dr. Wolfgang AchtnerSeite 4 von 13


Aber, das muss ich auch sagen, die nordamerikanischen Protestanten unter derFührung von Reverend Josiah Strong waren zum großenTeil Befürworter meinerTheorie, im Gegensatz übrigens zu ihren Nachfahren, den Kreationisten, die die<strong>Evolution</strong>stheorie sogar aus dem Unterricht verbannen wollen”.Gott Vater:“Charles, deine Fre<strong>und</strong>e, allen voran dein Bulldogge Huxley, aber auch deindeutscher Fre<strong>und</strong> Ernst Haeckel, haben auch scharf geschossen”.Charles Darwin:“Ich hatte befürchtet, dass es Ärger mit der Kirche geben wird”.Gott Vater:“Nun Charles, ist das verw<strong>und</strong>erlich? Du hast an die Stelle eines gütigen,vorauswissenden Schöpfergottes ein blindes Spiel der Kräfte gesetzt, jedenfalls sowie man mich im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert verstanden hat. Das ist nicht sehr tröstlich”.Charles Darwin:“Ich muss gestehen, dass ich damals meine Zweifel an einem gütigen Schöpfergotthatte”.Gott Vater:“Ach, warum?”Charles Darwin:“Euer Gnaden, ich habe nicht nur die Schönheiten der Natur gesehen wie diefrommen Theologen unter Paley, sondern auch die Grausamkeiten. Was ist mit dem‚struggle for life“, in dem schon tausende von Arten unwiederbringlichausgestorben sind! Wie soll ich an einen gütigen Schöpfer glauben, derDinosaurier, Mammute, <strong>und</strong> andere Tierarten, ja auch Menschenarten wie z.B. dieNeandertaler, einfach von der Bildfläche verschwinden lässt? Wie soll ich an einengütigen Schöpfer glauben, der tag täglich unsagbares Leid der gequälten Kreatur,der Fressen <strong>und</strong> Gefressen werden zulässt. Das sind Fakten, euer Gnaden! Undaußerdem…”, …Darwin zittertGott Vater:“Ja, was noch, Charles…”?Charles Darwin:“Euer Gnaden, wenn ihr, wie ihr behauptet, ein gütiger <strong>und</strong> allmächtiger Gott seid,warum habt ihr dann meine geliebte Tochter, die fröhliche, begabte <strong>und</strong>unschuldige Annie im Alter von 10 Jahren sterben lassen?Warum habt ihr mich <strong>und</strong> meine Frau Emma, die noch dazu schwanger war,Schönberger Hefte 2008 Heft 1“Religion nach Darwin” - Dialogpredigt, Dr. Peter Dr. Wolfgang AchtnerSeite 5 von 13


monatelang um ihr Leben kämpfen lassen, nur um sie nach einem ständigenWechselbad von Hoffnung <strong>und</strong> Verzweiflung kurz nach ihrem 10. Geburtstag dochsterben zu lassen? Ja, ich habe ihn selbst erlebt, den struggle for life, <strong>und</strong> densurvival of the fittest, warum also ließet ihr meine unschuldige Tochter Anniesterben, wenn ihr ein gütiger vorausschauender Gott seid”?(Gott Vater ist sichtlich betroffen. Er räuspert sich.)Gott Vater:“Charles, ich verstehe Deinen Schmerz! Aber ich habe einen Trost für dich. Duwirst Annie wiedersehen, auch wenn Du nicht an ein Leben nach dem Tod geglaubthast.Du hast auf Erden deine Forschungen mit den Finken begonnen <strong>und</strong> schließlich denHimmel den Spatzen überlassen.Deine gläubige Frau Emma hat mir über deinen Unglauben in dieser Hinsichtimmer wieder unter Tränen berichtet – <strong>und</strong>, sie hat immer auch für dich gebetet”.Charles Darwin, gerührt: “Ja, meine gute, gute Frau…, ist sie hier?”.Teil IIGott Vater:“Später. Mein lieber Charles. Wir müssen jetzt auf einen heiklen Punkt zu sprechenkommen. Du hast die Vorsehung eines gütigen Gottes durch einen Kampfplatz umdas Überleben der Besten ersetzt. Du hast mir keinen Raum mehr gelassen inmeiner <strong>Schöpfung</strong>. Und Leute, die eine wissenschaftliche Theorie mit derWirklichkeit verwechseln <strong>und</strong> in Weltanschauung verwandeln, haben sich vondeiner Theorie wichtige Anregungen geholt. Ich denke nur an Friedrich Nietzsche,der immerhin meinen Tod verkündet hat, ich denke an Ernst Haeckel,aber auch Karl Marx, Herbert Spencer.Du warst zunächst gläubiger Unitarier, dann immerhin noch Deist, schließlichAgnostiker. Aber diese Herren waren unter Berufung auf dein Werk militanteAtheisten <strong>und</strong> haben Millionen von Menschen verführt. Was sagst du dazu?”.Charles Darwin:“Ich kann nichts dafür, wenn andere Leute in mein Werk mehr hineinlesen als drinsteht. Ich bin Naturforscher <strong>und</strong> über Gott, den christlichen Gott, habe ich mich,zumindest öffentlich, immer nur sehr vorsichtig geäußert. Es lag mir fern,irgendjemanden von seinem Glauben abzubringen. Selbst als ich nach dem Todmeiner Tochter Annie den Glauben an dich verloren hatte, habe ich meine Familieimmer noch bis zum Gottesdienst begleitet, die Kirche selbst allerdings nicht mehrbetreten”.Schönberger Hefte 2008 Heft 1“Religion nach Darwin” - Dialogpredigt, Dr. Peter Dr. Wolfgang AchtnerSeite 6 von 13


Gott Vater: “Ich möchte deine honorigen Motive nicht in Zweifel ziehen, mein lieberCharles, aber die Sache ist mit dem Atheismus noch nicht zu Ende. Denn wenn die<strong>Schöpfung</strong> <strong>und</strong> die Zukunft dem Planen <strong>und</strong> Handeln eines gütigen Gottesentw<strong>und</strong>en ist, dann liegt der Gedanke nahe, die Entwicklung der <strong>Evolution</strong> selbstin die Hand zu nehmen, also die natürliche Zuchtwahl durch künstliche Zuchtwahlzu ersetzen”.Charles Darwin:“Sicher, die Menschen haben schon seit vielen Tausenden von Jahren an Pflanze<strong>und</strong> Tier Züchtungen vonrgenommen”.Gott Vater:“Charles, du weichst aus. Du weisst genau, was ich meine”.Charles Darwin wird rot:“Ach so, ja, mein Vetter Francis Galton <strong>und</strong> mein Sohn Leonhard Darwin haben indiese Richtung gedacht”.Gott Vater:“Wir wollen präzise sein, Charles – hier wird alles offengelegt - , ich meine mit derkünstlichen Zuchtwahl die Züchtung von Menschen, die Eugenik!”Charles Darwin schweigt.Gott Vater:“Du schweigst? Mit Recht! In Deutschland hat dein guter Fre<strong>und</strong> Ernst Haeckelvorgeschlagen, behinderte Kinder sofort nach der Geburt zu töten, das würde die<strong>Evolution</strong> der Gesellschaft beschleunigen, meinte er. Er hat weiterhinvorgeschlagen, dass man Menschen mit Lepra, Krebs <strong>und</strong> Geisteskrankheitenschmerzlos töten sollte!Auch dein Vetter Francis Galton <strong>und</strong> dein Sohn Leonhard haben nicht nur in dieRichtung der Eugenik gedacht, sondern auch Versuche unternommen, die Eugenikpraktisch umzusetzen. Aufbauend auf ihre Vorarbeiten wurden später in Amerikarassistische Theorien über die Minderwertigkeit der schwarzen Rasse aufgestellt,ebenso über die Minderwertigkeit der Armen, übrigens in Fortführung derpseudotheologischen Gedanken deines Bew<strong>und</strong>erers Reverend Josiah Strong. Manhat in Amerika gefordert, Arme <strong>und</strong> Schwarze zu sterilisieren – auch unter Zwang.Fünf amerikanische Präsidneten waren Befürworter der Eugenik,Teddy Roosevelt, William Taft, Woodrow Wilson, Calvin Coolidge <strong>und</strong> HerbertHoover. Und was wurde mir von Teddy Roosevelt berichtet? Er schrieb: “It isobvious that if in the future racial qualities are to be improved, the improving mustbe wrought mainly by favoring the fertility [org.:fec<strong>und</strong>ity] of the worthy types. …At present we do just the reverse. There is no check to the fertility of those who aresubnormal”. 1928 schlug der Kommissionsvorsitzende der American GeneticAssociation Harry Laughin vor, die 10% der “inferior” Teile der amerikanischenSchönberger Hefte 2008 Heft 1“Religion nach Darwin” - Dialogpredigt, Dr. Peter Dr. Wolfgang AchtnerSeite 7 von 13


Gesellschaft zu sterilisieren, um sie so auszumerzen (“eradicate”).Die großen amerikanischen Stiftungen, die Rockefeller Fo<strong>und</strong>ation <strong>und</strong> dieCarnegie Fo<strong>und</strong>ation, haben eugenische Programme unterstützt, 1928 z.B. mit$325.000 mit einer grant zur Errichtung des neuen Gebäudes des Kaiser WilhelmInstitutes für Anthropologie, Eugenik <strong>und</strong> Genetik, auch als diese Forschungenunter der Regie der Nazis standen, floss der Geldstrom aus Amerika”.Charles Darwin, entrüstet:“Das ist unfair, euer Gnaden, ich bin nie ein Rassist gewesen <strong>und</strong> habe dergleichenDinge weder gedacht, noch gefordert. <strong>Im</strong> Gegenteil, in meiner Familie wurde aktivgegen den Rassismus <strong>und</strong> gegen die Sklaverei gekämpft, das kann ich beweisen,hier schau auf diese Plakette”.(Zeigt die Plakette mit einem in Ketten gelegten schwarzen Sklaven mit der Aufschrift:“Am I not a man and a brother”)Charles Darwin:Und außerdem, ich habe meine Hausangestellten aus den unteren Schichten immersehr menschlich behandelt, ihnen ein viel besseres Auskommen gewährt als vielemeiner Bekannten aus der gentry. Selbst die Tiere hatten es bei mir gut, ich habenie jemandem auch nur ein Haar gekrümmt”.Teil IIIGott Vater:Charles, ich weiß, du hast ein gutes Herz, dein Verhalten ist untadelig, deinVerstand aber hat dir gesagt, dass du die Grausamkeiten in der Natur nichtignorieren darfst, auch sie muessen in die Theorie einfließen. Das hast du mit derTheorie von dem “survival of the fittest” versucht. Aber irgendetwas istschiefgelaufen in der angemessenen theologischen Rezeption deiner Ideen”.Charles Darwin:Euer Gnaden, ich hatte die Theologie auch nicht ohne Gr<strong>und</strong> aufgegeben, nach demich eine bessere Erklärung der Entstehung der Arten gef<strong>und</strong>en hatte als meintheologischer Lehrer William Paley mit seiner natural theology. Die Reaktionen derKirche <strong>und</strong> ihrer Theologen auf meine Theorie taten dann ein Übriges, um michganz von der Theologie zu verabschieden”.Gott Vater:“Charles, ich verstehe dich. Ich verrate dir jetzt ein Geheimnis. Ich sage dir: Ich bindeiner <strong>Evolution</strong>stheorie gar nicht so abgeneigt”.Charles Darwin: “Euer Gnaden! Ach, das hätte ich nicht gedacht, wie kommt Ihr dazu”?Schönberger Hefte 2008 Heft 1“Religion nach Darwin” - Dialogpredigt, Dr. Peter Dr. Wolfgang AchtnerSeite 8 von 13


Gott Vater:“Nun, es hängt letztlich mit meinem trinitarischen Wesen zusammen”Charles Darwin:“Euer Gnaden, ich war einmal Unitarier, wir hatten Schwierigkeiten mit derTrinität, aber sage mir, was hat Eure Heilige Trinität, die ich ja jetzt sehe, mit der<strong>Evolution</strong> zu tun. Das verstehe ich nicht”.Gott Vater:“Ich weiss, auch die <strong>Evolution</strong> von Ideen braucht ihre Zeit. Ich möchte jetzt nicht indie Details gehen, um die <strong>Evolution</strong> mit meinem trinitarischen Wesen, genauergesagt mit den opera ad extra, zu verknüpfen. Erst einmal müssen dieFehlentwicklungen korrigiert werden. Aber meine Theologen auf Erden machen inder Auseinandersetzung mit deinem Werk auch erst langsame Fortschritte. Geradejetzt findet in der Unikirche St. Markus in München ein Gottesdienst mit einerDialogpredigt meiner beiden Diener Pfarrer Achtner <strong>und</strong> Pfarrer Marinkovic zudiesem Thema statt. Ich sehe ja, wie die beiden sich redlich abmühen”.Charles Darwin:“Ach wie schön, das freut mich. Ich hätte nicht gedacht, dass meine Theorie einmalGegenstand einer Predigt werdern würde”.Gott Vater:“Also, noch mal zurück: Was ist schiefgelaufen mit der theologischen Rezeptiondeiner <strong>Evolution</strong>stheorie? Nun, ich denke, meine katholischen Diener haben zulange an ihrer aristotelisch inspirierten Substanzontologie in ihrem Neothomismusfestgehalten. Dies hat sie intellektuell gehindert, das Werden der <strong>Schöpfung</strong>theologisch angemessen auszusagen”.Charles Darwin:“Ich wußte gar nicht, dass das Werden, also die <strong>Evolution</strong>, in der Theologie eineRolle spielt, zu meiner Zeit wurde Gott immer in einem Atemzug mitirgendwelchen festgefügten ewigen Ordnungen in Verbindungen gebracht ”.Gott Vater, lächelt:“Auch Theologen sind Kinder ihrer Zeit, Charles. Aber in der Zwischenzeit hatman von der Verurteilung des Lehramtes Abstand genommen.Mein Diener Pius XII hat in seiner Enzyklika Humani Generis von 1950 den“<strong>Evolution</strong>ismus” als “Ernst zu nehmende Hypothese” bezeichnet.Und mein Diener Johannes Paul II hat 1992 gesagt: “Heute, beinahe ein halbesJahrh<strong>und</strong>ert nach dem Erscheinen der Enzyklika, geben neue Erkenntnisse dazuAnlass, in der <strong>Evolution</strong>stheorie mehr al seine Hypothese zu sehen”. Ja, lieberSchönberger Hefte 2008 Heft 1“Religion nach Darwin” - Dialogpredigt, Dr. Peter Dr. Wolfgang AchtnerSeite 9 von 13


Charles, manche Theologen übertragen den <strong>Evolution</strong>sgedanken sogar auf michselbst <strong>und</strong> sagen heute sogar: ‘Gottes Sein ist im Werden’.”Gott Vater:“Aber auch der Kreationismus, wie er vor allem in einigen protestantischen Lagernvertreten wird, ist natürlich Unsinn. Gerade die Protestanten, die doch die Bibelverstehen wollen, haben sie hier in ihrer pseudorationalistischen Schriftauslegunggründlich missverstanden. Ich sehe mit großem Schmerz, dass in Italien gerade die<strong>Evolution</strong>slehre aus dem Unterricht der öffentlichen Schulen verbannt werden soll,so wie schon mal in Kansas, in den USA. Das verlangt noch nicht einmal meinDiener, der Papst”.Charles Darwin:“Jetzt hast du mich aber neugierig gemacht. Du <strong>und</strong> dein Wirken sind doch ganzanders als ich mir das damals gedacht habe. Hat es denn auch einmal einen Versuchvon Theologen gegeben, die <strong>Evolution</strong> positiv zu sehen?”Gott Vater:“Sicher, mein Diener Teilhard de Chardin hat die <strong>Evolution</strong> insgesamt als eingöttliches Unternehmen interpretiert, <strong>und</strong> sogar meinen Sohn als Punkt Omega, alsden Zielpunkt einer universellen, kosmischen Liebe eingebaut. Er ist weit überdich hinausgegangen, mein lieber Charles”.Charles Darwin:“Das ginge mir aber zu weit. Ich wollte nur die <strong>Evolution</strong> der Arten erklären. Die<strong>Evolution</strong> als göttliches Unternehmen zu sehen, ja, Gottes Wirken mit der<strong>Evolution</strong> gleichzusetzen, das scheint mir doch eine ziemlich vorschnellegedankenlose Vereinnahmung meiner Theorie durch Theologen zu sein. Aber dasist man ja von denen gewohnt”.Gott Vater:“Sei nicht so streng Charles”.Charles Darwin:“Ich bitte um Vergebung, Euer Gnaden. Aber Eure für mich unerwartete positiveEinstellung zur <strong>Evolution</strong> ermutigt mich, nun auch meinerseits Euch ein Geheimniszu verraten”.Gott Vater:“Nämlich”?Charles Darwin:“Nun, euer Gnaden, ich habe im Purgatorium, wohin ihr mich ja verwiesen habt,meine Zeit genutzt, um mich mit einigen meiner Zimmergenossen zu unterhalten.Schönberger Hefte 2008 Heft 1“Religion nach Darwin” - Dialogpredigt, Dr. Peter Dr. Wolfgang AchtnerSeite 10 von 13


Es waren sehr interessante Leute darunter, auch religiöse, z.B. Schamanen, Anbetervon Muttergottheiten, von solaren Gottheiten etc.”Gott Vater: “Und”?Charles Darwin: “Sie haben mir von ihren Religionen erzählt. Und ich habe dabeientdeckt, dass ihre Religionen sehr gut in meine Theorie der Mutation <strong>und</strong>Selektion <strong>und</strong> Anpassung zusammenstimmen, ja dass sie sogar einenÜberlebensvorteil bieten, kurz gesagt, auch die Religionen unterliegen der<strong>Evolution</strong>”Gott Vater:“Bravo, ich sehe, du hast deine Zeit im Purgatorium genutzt, das ist ja auch derSinn der Sache. Aber nun erkläre mir das genauer, fasse dich aber kurz, wir habennicht mehr viel Zeit”.Charles Darwin:“Euer Ehren, es ist eigentlich ganz einfach. Der Schamane kam aus der Gegend vonAltamira <strong>und</strong> Lascaux. Er hatte dort in den Höhlen mit ihren w<strong>und</strong>ervollenMalereien von wilden Tieren, die sie als göttlich verehrten, sein priesterlichesLeben mit Jagdzauber zugebracht. Biologisch gesehen handelt es sich bei seinenkultischen Zeremonien um Probehandlungen, die Zukünftiges handelndanitzipieren. Sie sind natürlich den zu jagenden Tieren angepaßt auf diese Weisebieten sie einen Überlebensvorteil. Schamanismus macht unter dem Gesichtspunktder Angepaßtheit natürlich nur in einer Jäger- <strong>und</strong> Sammlerkultur einen Sinn.Daher ist sie auch in den nachfolgenden Religionen wieder verschw<strong>und</strong>en”.Gott Vater: “Nicht ganz Charles, heute sitzen in den Industriegesellschaften die Managerals Freizeitschamanen in den Schwitzhütten, aber ok, in der <strong>Evolution</strong> gibt es jaauch Atavismen, weiter”.Charles Darwin:“In den nachfolgenden Ackerbaugesellschaften verliert der Schamane seinen Sinn,die Erde <strong>und</strong> die Jahreszeiten werden nun religiös wichtig. Daher entstehenMuttergottheiten, ja, der Kult der großen Mutter,der magna mater. Man kann ihre Existenz in allen Ackerbaugesellschaftennachweisen. Sie sind unter dem Namen Inanna, Artemis, Diana, Kybele etc.bekannt, aber machen natürlich nur in einer Ackerbaugesellschaft einen Sinn, sinddort angepasst”.Gott Vater:“Nun ja, Blut <strong>und</strong> Boden, heilige Mutterschaft sind mir auch später noch begegnet,aber das will ich jetzt nicht weiter vertiefen, weiter”.Schönberger Hefte 2008 Heft 1“Religion nach Darwin” - Dialogpredigt, Dr. Peter Dr. Wolfgang AchtnerSeite 11 von 13


Charles Darwin: “Ich komme zum letzten Punkt. In dem Maße, in dem die Stadtkulturentsteht, entstehen als Konkurrenz zu den Muttergottheiten derAckerbaugesellschaften die solaren Gottheiten der hierokratischen Stadtstaaten,z.B. in Babylon. Ich kann zeigen, dass in Mesopotamien der solare Gott Marduksich gegen die Muttergottheit Tiamat durchsetzt, in Ägypten der Gott Horus,schließlich als Sonnengott Amon Re, ja, sogar bei den Atzteken kennen wir denSonnengott Quetzacoatl.Kurz gesagt: Der Sonnengott repräsentiert das männlich-rationale Prinzip, das fürdie Organisation höherer sozialer Gebilde notwendig ist. Und der Gipfel dieserreligiösen Entwicklung ist Aegypten… . Einer meiner Zimmergenossen imPurgatorium ist ein ehemaliger Pharao. Er hat mir erzählt, dass er einst als Gottangebetet wurde <strong>und</strong> so die Stabilität des Staates garantierte. Ohne Religion, dasskann ich heute sagen, wäre die Anpassung an die jeweiligen Lebensumstände nichtgelungen”.Charles Darwin sieht Gott erwartungsvoll an.(Gott Vater, nach langem Schweigen <strong>und</strong> Nachdenken):“Ich sehe Charles, du stellst die Religion ganz in den Dienst des ‘survival of thefittest’. Du befragst sie nach ihrem Überlebensvorteil”.Charles Darwin:“Aber sicher, das ist doch der Sinn der <strong>Evolution</strong>”.Gott Vater:“Lieber Charles, unsere Zeit ist leider abgelaufen, wir müssen jetzt Schluss machen.Unsere Diskussion hat neue Einsichten gebracht <strong>und</strong> neue Fragen aufgeworfen <strong>und</strong>ich sehe, du hast in deinem Purgatorium dazugelernt. Trotzdem werde ich dichnoch einmal ins Purgatorium zurückschicken, dir aber drei Fragen für unsernächstes Teffen mit auf den Weg geben”.Charles Darwin:“Ich bin gespannt, Euer Gnaden”Gott Vater:“Erste Frage: Wenn Religion, wie Du meinst, lieber Charles, einenÜberlebensvorteil bietet, was ist dann mit den Opfern dieses Überlebensvorteils.Ich kann noch präziser sein: Frage einmal deinen Zimmergenossen, den Pharao, ober auch ‘das Schreien des Volkes der Hebräer in Ägyptenland gehört hat“,(Leise hinzufügend) „wie ich”.Gott Vater:“Zweite Frage: Wie kannst du in deinem <strong>Evolution</strong>ssystem unterbringen, dass ichmich, obzwar sehr selten, Menschen offenbare, z.B. meinem Diener Mose, als ichihm die 10 Gebote gegeben habe, von denen das erste – „Ich bin der Herr dein Gott,Schönberger Hefte 2008 Heft 1“Religion nach Darwin” - Dialogpredigt, Dr. Peter Dr. Wolfgang AchtnerSeite 12 von 13


du sollst keine anderen Götter haben neben mir – zumindest keinen unmittelbarenÜberlebensvorteil bietet”Gott Vater:“Dritte Frage: Was ist mit den Menschen, die durch ihre religiösen Überzeugungen,ihre Unangepasstheit, Nachteile in Kauf nehmen mussten. Ich denke an meinePropheten, die man verfolgt hat, ich denke an die Märtyrer der Kirche, ich denke anMartin Luther King, der erschossen wurde, ich denke an Dietrich Bonhoeffer, deram Fleischerhaken endete, <strong>und</strong> schließlich auch an meinen Sohn”, (Wendet sich zurRechten).Gott Vater:“So Charles, denke über diese Fragen bis zu unserer nächsten Zusammenkunfteinmal nach, vielleicht ist der Mensch ja doch etwas mehr als eineÜberlebensmaschine! Und hier nimm dir zum Studium das Alte Testament mit, mitdem hattest du ja auf Erden deine Schwierigkeiten”.Gott Vater wendet sich zur Rechten an Christus <strong>und</strong> sagt ihm:“Mein Sohn, ließ Charles doch noch mal die wichtigsten Teile aus der heutigenLosung, Psalm 8 vor”.Christus:“Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, <strong>und</strong> des Menschen Kind, dass dudich seiner annimmst. Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre <strong>und</strong>Herrlichkeit hast du ihn gekrönt”.Gott Vater:“So sei es, danke mein Sohn. Auf Wiedersehen Charles, wir sehen uns demnächstwieder; der nächste bitte”.Charles Darwin:“Gott befohlen, euer Gnaden”Schönberger Hefte 2008 Heft 1“Religion nach Darwin” - Dialogpredigt, Dr. Peter Dr. Wolfgang AchtnerSeite 13 von 13

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!