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Morgen Kinder wirds was geben - Dr. Andreas Weber

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GREENPEACE MAGAZIN X.XX Fotos: XXBlind STAND > satzspiegel; text nach oben (linkKürzlich fragte ich unvorsichtigerweisemeine Tochter nach ihrerMeinung bei Tisch. Ich hatte, wiemeist mittags in der Woche, gekocht. Ein bisscheneilig vielleicht. Wie häufig Pasta. Wie immer – sowar ich sicher – mit Liebe. Emma, acht Jahre alt,hatte gerade die nach dem Rezept einer italienischenFreundin hergestellte Salsa mit frischen Zutatender Saison verschmäht und ihre Nudeln unter einerSchlackeschicht aus Butter, Zimt und Zucker beerdigt.Mit der Betonung auf Zucker.Ich fragte sie: „Was ist der schlimmste Fehler,den Eltern bei der Ernährung der <strong>Kinder</strong> machenkönnen?“Emmas Antwort kam mit vollem Mund, aus demdie braunsaftigen Zuckerspaghetti baumelten: „Dasses zu wenig Erdbeeren mit Schlagsahne gibt!“Ein Seufzer der Resignation von der anderen Tischseite.Ich brauchte meine Frau gar nicht anzusehen.Sanft widersprach ich, mit Blick auf meineschlürfende Tochter: „Gerade nicht. Ich habe gelernt,dass Eltern sich nach zwei Grundregeln richten sollen.Erstens: Sie bestimmen, wie viel eingekauft wirdund <strong>was</strong> auf dem Tisch steht. Zweitens: Die <strong>Kinder</strong>entscheiden, <strong>was</strong> sie davon essen und wie viel. Somachen wir das jetzt auch.“„Aber das geht doch gar nicht!“, unterbrach michmeine Tochter empört. „Das stimmt doch bei unsalles nicht! Die Schokolade ist alle! Gummibärchenauch! Das ist doch alles aufgefressen!“Wer über Essen spricht, redet unweigerlich übersich selbst. Wer sich damit beschäftigt, welcheNahrung <strong>Kinder</strong> zu sich nehmen sollen, warum, wieviel, und zu welchem Zweck – der spricht nicht alleinüber Kalorien und Spurenelemente, sondern immerzugleich über Familie. Auch über die eigene. Überdas, <strong>was</strong> sie gelingen lässt, <strong>was</strong> sie zusammenhält„Von einem Menschen gezwungen zu werden,bestimmte Gerichte zu sich zu nehmen“, so der TherapeutJesper Juul, „ist wie zum Sex gezwungen zu werden.“und <strong>was</strong> sie in Schieflage bringt. Wer über die Speisegewohnheitenvon <strong>Kinder</strong>n nachdenkt und darüber,welche Art der Ernährung für sie gesund ist, ihrerSeele guttut und das Band zwischen ihnen und denEltern stärkt, der findet sich mitten in der Psychologiedes chaotischen Mini-Kosmos am häuslichenEsstisch wieder.Es ist ganz einfach so: Wer über <strong>Kinder</strong> und Essenschreibt, schreibt über die Liebe.Die Tischsituation birgt in vielen Familien echtesKatastrophenpotenzial – auch heute noch. Zwarmüssen sich Eltern hierzulande meistens nicht mehrdamit abquälen, hungrige Mäuler zu stopfen. Beiuns lassen sich selbst mit geringem Budget <strong>Kinder</strong>wachstums gerecht versorgen. Noch nie waren soviele hochwertige Nährstoffe so preiswert aufzutreibenwie heute in den Industriestaaten.Und dennoch: Fragt man Eltern, dann machenAngst und schlechtes Gewissen, dass ihre Kleinenzu viel oder zu wenig essen, dass sie vom Essen zufett werden oder zu mager, zu träge oder schlecht inder Schule, einen besonders schmerzlichen Teil derErziehungsqualen aus.Der Esstisch ist die real gewordene Familienhölle.Die Psychologin Annette Kast-Zahn verweistin ihrem Buch „Jedes Kind kann richtig essen“ aufeine nicht repräsentative Umfrage unter 400 Elternpaaren.Diese wurden in einer Arztpraxis nach denEssgewohnheiten ihrer vier bis fünf Jahre altenSprösslinge befragt. Das Ergebnis: 20 bis 30 Prozentder Eltern empfanden das Essverhalten ihrer Kleinenals problematisch. Entweder befürchteten sie, die<strong>Kinder</strong> äßen zu einseitig. Oder sie hatten Angst, dasssie zu wenig zu sich nähmen.Zu wenig! Und das im Zeitalter der Adipositas.Im Jahr 2006 veröffentlichte das Robert-Koch-Institutdie groß angelegte „Studie zur Gesundheit von<strong>Kinder</strong>n und Jugendlichen in Deutschland“ (KiGGs).14.000 <strong>Kinder</strong> und Jugendliche wurden untersucht.Das erschreckende Ergebnis: Jedes sechste deutscheKind ist zu dick.Vor diesem Hintergrund könnte man meinen,Papa und Mama fahndeten ängstlich nach möglichenSpeckfalten am Bauch ihrer Kleinen. Aber weit gefehlt:Nur drei Prozent der Eltern, so Kast-Zahn,trieb diese Sorge um. Auch heute noch, in Zeiten desÜberflusses, bangen Eltern offenbar darum, ob ihreKleinen genug bekommen. Zu wenig und zu einseitigalso essen die <strong>Kinder</strong> nach Meinung vieler Eltern.Sie verzweifeln etwa daran, dass sie wochenlang aufNudeln-ohne-alles bestehen. Dass sie ihr Demeter-Gemüse ausnahmslos von der Gabel auf den Tellerzurückplatschen lassen – von theatralischem Würgenuntermalt. Dass sie überhaupt nur Ketchup zu sichnehmen, und dabei laut schmatzen, die Ellenbogenauf den Tisch gestützt wie ein Bierkutscher. Dass siebeim Sonntagsfrühstück bei Freunden fünf EsslöffelZucker im Tigerenten-Tee versenken.Wer selbst Nachwuchs hat oder ein bisschen Feldforschungbetreibt, stellt erstaunt fest: Das Überangebotan Speisen bewirkt paradoxerweise keine Entspannungbei Tisch. Eher eine Verschiebung4 5


der existenziellen Nöte. Die Nahrungsaufnahmewird von einem lebenswichtigen Bedürfnis, über dasniemand groß diskutiert, zu einer Kommunikationüber Achtung und Respekt, Freiheit und Gehorsam.Was das Kind isst und wie sehr es dabei mit denEltern kooperiert – das ist heute ein Stellvertreterkrieg,in dem in Wahrheit emotionale Schlachten ausgetragenwerden. Speise wird mit Liebe verrechnet.Und der Verdacht der Eltern, die ihre Kleinen gernebesser essen sähen, lautet: Irgendwie kriegen sievon beidem nicht genug.Jesper Juul, ein dänischer Pädagoge und Familientherapeut,schreibt in seinem Buch „Was gibt’s heute?“:„Probleme und Konflikte am Familientisch sindfast nie Ausdruck unseres Verhältnisses zum Essen,das auf dem Teller liegt. Sie sind vielmehr ein Indizdafür, wie sich jedes einzelne Familienmitglied fühltund <strong>was</strong> das Stimmungsbarometer beim Zusammenseinanzeigt.“ Die Spitze eines emotionalen Eisberges.Es geht nicht um Nahrung, sondern darum, wer wemwie viel Geborgenheit schenkt.Etwa bei Gemengelagen wie dieser:Werktags, 6.42 Uhr. <strong>Morgen</strong>dliches Esszimmer. ImHalbschlaf von Papa gedeckter Tisch: Bio-Äpfel, Bio-Bananen, Bio-Müsli, Bio-Haferfleks, Bio-Joghurt, Bio-Schinken, Bio-Salami, Bio-Frischkäse, Bio-Fencheltee,Bio-Vollkornbrot, Himbeermarmelade. Gut, nicht bio,zuge<strong>geben</strong>. Und, ähem, „Toasties“ aus der Tüte. Trotzdem:Angesichts der fortgeschrittenen Nachtstundeweitgehend gesund und politisch korrekt.Papa legt Tochter Emma eine frisch geschnitteneScheibe Vollkornbrot auf den Teller.Emma knallt das Brot ohne aufzusehen wiederzurück in den Korb.Papa: „Okay. Magst du lieber ein Toastie? Die isstdu doch gerade so gern. Mit Himbeermarmelade?“Emma: Keine Antwort, blättert in ihrer Star-Wars-Sammelkarten-Kollektion.Papa (ruhig): „Du musst gleich zur Schule.“Emma (gereizt): „Ich wei-heiß!“Papa (mit dem Toastie zwischen spitzen Fingern):„Soll ich dir das jetzt toasten?“Emma (ruhig, ohne aufzusehen): „Das ist eklig.“Papa (atmet aus): „Was willst du dann?“Emma: „Joghurt mit Flocken.“Es ist schon spät. Schwupps, der Joghurt steht vorihr. Ist ja auch viel besser. Nachhaltig. Soulfood füreine bessere Welt.Papa: „Iss mal, du musst gleich zur Schule.“Emma (abwesend): „Glei-heich.“Papa (eifrig): „Iss jetzt. Das ist gesund.“Emma isst nicht. Kippt wortlos den dritten LöffelZucker in ihren Tee, fasst nach für einen vierten.Mama (zieht den Zuckertopf weg. Der Berg aufdem Löffel verteilt sich weit über den Tisch): „Jetztreicht es. Du hast schon drei!“Emma (ruhig): „Das schmeckt sonst aber eklig.“Papa: „Iss jetzt deine Flocken.“Emma öffnet den Mund, schiebt die Oberlippe vorund macht Brechgeräusche.Papa: „Was ist denn nun?“Emma (lächelt): „Ich möchte lieber Melone!“Moderne Eltern sind ziemlich leidensfähig im Aushaltender Launen ihrer kulinarisch anspruchsvollen<strong>Kinder</strong>. Sie tragen ihnen die Speisen hinterher, damitsie ja nicht zu wenig Nährwert aufnehmen, streichennoch ein Nutellabrot zum verschmähten Mittagessen,damit die kleinen Liebsten überhaupt et<strong>was</strong> essen.ERNÄHRUNGSTIPPS FÜRELTERNwww.familienhandbuch.deDas Familienhandbuch desStaatsinstituts für Frühpädagogikhat ein eigenesKapitel über Ernährungvon Säuglingen, <strong>Kinder</strong>nund Jugendlichen. Wasbrauchen <strong>Kinder</strong> wirklich?Wie sieht das gesundePausenbrot aus? Hier findenEltern viele praktischeTipps für den Alltag.Tem fuga. Occae net eserfer ionsequ isquamex esed eossitat molupti busaped qui dusa quati as queconsecabo. Ost et inctiur sum voluptatiGREENPEACE MAGAZIN X.XX Fotos: XXBlind STAND > satzspiegel; text nach oben (linkAnders die Kriegsgeneration, die heutigen Großeltern.Wenn sich eine komplizierte Tischszene imBeisein etwa der Schwiegermutter abspielt, entzündetsich ganz anderes Sprengpotenzial. Schwiegermamitischt die eisernen Ratschläge aus der guten altenZeit auf, als das Essen den Kleinen mit Härte undUnerbittlichkeit eingetrichtert wurde. Aber auch damalsschon ging es nicht um Kalorien, sondern umAffekte. Die Eltern von einst verteilten ihre Liebeeben mit dem Holzhammer.Meine Urgroßmutter Grete musste bei Tischstehen, durfte erst nach der Mahlzeit trinken undhatte sowieso den Mund zu halten. Das war um1900. Strenge waltete in deutschen Speisezimmernfreilich noch viel länger. Noch in den 60er-Jahren,so erinnert sich Annette Kast-Zahn aus eigener üblerErfahrung, wurde kleinen Gästen wie ihr, denen dieaufgezwungene Großküchenspeise Brechreiz verursachte,in Ferienlagern zur Strafe der eigene Mageninhaltwieder aufgetischt.„Von einem Menschen gezwungen zu werden,bestimmte Gerichte zu sich zu nehmen“, meint derTherapeut Juul, „ist wie zum Sex gezwungen zu werden.“Missbrauch, nichts weiter.So wie der Ernährungsstil der früheren Generationenderen oft gewalttätige und auf missbrauchendeArt effiziente Pädagogik widerspiegelte, lässtdie Qualzeit bei der Mahlzeit aber auch in heutigenjungen Familien tief blicken. All diese autoritärenFehler, an die wir uns selbst noch so schmerzlicherinnern, wollen wir hundertprozentig nicht mehrbegehen. Schließlich sind die <strong>Kinder</strong> unsere Freunde,nicht unsere Sklaven. Also machen wir frohgemutandere Dummheiten, ebenso wohlmeinend, ebensoverblendet.„Das Lächeln der Kleinkinder einsammeln“, so beschreibtJuul die Hauptbeschäftigung vieler junger,hedonistisch geprägter Mütter und Väter. Sie lehnenihre Führungsrolle gegenüber den Nachkommen abund hoffen stattdessen auf deren Freundschaft. Beider Mahlzeit heißt das: Papi kocht mit Olivenöl extravergine und wartet auf kameradschaftlichen Beifall.Stößt Lina oder Ben stattdessen brüsk den Teller weg,macht Papi das echt fertig.<strong>Kinder</strong>, so sind sich Psychologen heute weitgehendeinig, erwarten von ihren Eltern nicht Freundschaft,sondern Führung. Ihre Seelen suchen nach einerLeitfigur, sie wollen klare Vorgaben. Wenn ein Kindbeim Frühstück die Puppen tanzen lässt, sind dasungelenke Versuche, das Autoritätsvakuum selbstzu füllen – oder die Eltern so lange zu provozieren,bis sie die Leitrolle endlich annehmen. Dann leidermeist zornesrot und mit Gebrüll. Die Führungspositionaber, auch das ist Lehrmeinung der <strong>Kinder</strong>psychologie,sollte nicht mit gnadenloser StrengeVIELE ELTERN, DIEIHRE KINDER BE-SCHWÖREN, „ISS AUF,DAS IST GESUND“,FALLEN AUF NÄHR-STOFFMYTHEN HEREINSo enthält etwa der wegen seiner angeblich hochkonzentrierten Vitamineund Ballaststoffe <strong>Kinder</strong>n gern aufgedrängte Kopfsalat von beidembesonders wenig. In Spinat steckt nicht mehr Eisen als in vielen anderengrünen Gemüsen – selbst wenn er leicht bitter schmeckt, wie es sichfür eine gute Medizin gehört. Pflanzliche Bitterstoffe sind vielmehrHinweise auf natürliche Gifte – etwa Cucurbitacine in Zucchini. Diesekönnen <strong>Kinder</strong>n womöglich nicht bekommen, weshalb man sie auf keinenFall zwingen sollte, sie zu essen. Und ist brauner Zucker tatsächlichgesünder als weißer? Auf jeden Fall hat er gleich viele Kalorien. Wenner aus Zuckerrohr stammt, enthält er immerhin et<strong>was</strong> mehr Mineralienund Vitamine. Doch meistens wird er im Industrieverfahren aus weißemZucker und dunkler Melasse angemischt.oder endloser Krittelei wahrgenommen werden,sondern freundlich. Heiter wie ein Buddha. Geradediese weise Mischung, die eine liebevolle Autoritätverkörpert, fällt uns Eltern so schwer. Vielleicht,weil sie voraussetzt, die unsichere Reise zur stabilenPersönlichkeit bereits geschafft zu haben. Autonomzu sein und zugleich mit den anderen so verbunden,dass man sie nicht ändern oder steuern will.Elterliche Nörgelei am Tisch hagelt es heute vorallem bei mangelnden Leistungen. Früher sollten<strong>Kinder</strong> ihre Teller leer essen, um „groß und stark“zu werden. Heute, um smart und erfolgreich zu sein.Die richtige Nahrung ist zu einem wichtigen6 7


Tem fuga. Occae net eserfer ionsequ isquamex esed eossitat molupti busaped qui dusa quati as queconsecabo. Ost et inctiur sum voluptatiZahnrad der übermächtigen Performance-Maschineriegeworden, in die ein Kind heute schon im Krippenaltergeworfen wird. Wer gesund speist, so dieÜberzeugung vieler Eltern, der ist besser aufgestellt.Ist sportlicher. Motorisch und sensorisch begabter.Schreibt bessere Schulnoten. Essen wird so – wieFechten auf Englisch und Mathe für Krabbelkinder –zu einem weiteren „Enhancer“, mit dem Eltern ihremProjekt Kind einen möglichst guten Startplatz in denberuflichen Wettbewerb sichern wollen.Ratgeber mit Titeln wie „Schlaue <strong>Kinder</strong> essenrichtig!“ vermitteln im sportlichen Müsli-Jargon diealte vulgärdarwinistische Botschaft: Nur wer einenWAS TUN BEIE SS STÖRUNGEN?www.bzga-essstoerungen.deAuf der Seite der Bundeszentralefür gesundheitlicheAufklärungfindet man alle notwendigenInformationen überMagersucht, Bulimie und„Binge Eating“, sowie Hilfeund Beratungseinrichtungenin der Nähe.ELTERN DÜRFEN GE-TROST SAGEN: ISSRUHIG, SO VIEL DUWILLST – WENN SIEDAS ANGEBOT RICHTIGMISCHENIm Grunde entspricht ein ausgewogener Speiseplan für <strong>Kinder</strong> derErnährung prähistorischer Jäger und Sammler. Vielleicht könnte mandas „Paradies-Diät“ nennen? Den frühen Menschen wuchsen Blätter,Wurzeln und Früchte geradezu in den Mund. Entsprechend können Obstund Gemüse <strong>Kinder</strong>n unbegrenzt angeboten werden – auch zwischendurch.Kartoffeln und Brot – das zeitgenössische Pendant zu Knollen undSamen – dürfen sodann als Kohlehydratquelle die Hälfte der aufgenommenenNahrungsenergie stellen. Fisch, Fleisch, Eier, Milch – dieseltenere tierische Beute mit hohem Eiweißanteil – sollten hingegengeringer dosiert werden, ebenso Fette wie Butter und Öl. Süßigkeitenund Softdrinks sind die ganz spezielle Lustquelle für besondere Tage.gesunden Körper hat, kann mithalten im Kampf allergegen alle. Sie versprechen „Rezeptfreie Nachhilfeaus dem Kochtopf“. Das heißt etwa: „Das Pausenbrotam Vormittag gibt der Leistungskurve den letztenKick bis zur Spitze“ – dem Motto folgend: „Für dasGehirn nur das Beste, damit einer tollen Schul leistungnichts mehr im Wege steht.“ Eltern wird empfohlen,zunächst ein Ernährungsprotokoll ihres Kindes anzufertigen,um dann energisch einzuschreiten.Als „Orthorektiker“ werden jene Menschen bezeichnet,die sich möglichst gesund ernähren und damitihre Probleme wegkauen wollen. <strong>Morgen</strong>s gefiltertesWasser, eine Handvoll Nüsse, ein Glas Molke, mittagsRohkost mit Distelöl und Vollkorn- Spaghetti, abendsGemüse-Sticks mit Magerquark-Dip.Das Problem ist: Der Orthorektiker schlummertin vielen Eltern, die sorgenvoll die Ernährung ihrer<strong>Kinder</strong> verfolgen. Der Nährstoff-Leistungsfanatikerlauert irgendwie schon im Hintergrund, wenn weißerZucker verdammt wird, wenn das Kleinkind bis zumdritten Lebensjahr keine Schokolade im Mund zerschmelzenlassen darf, nur Körnerbrot auf den Frühstückstischkommt und Cola auch an <strong>Kinder</strong>geburtstagenkategorisch verboten bleibt.Plakativ ließe sich behaupten: Der Müsli-Ideologe,der seinem Kind den Zucker verweigert, produzierterst das Problem, das er bekämpfen will. Er schürtAngst und <strong>Dr</strong>uck – das sichere Rezept für ein Kind,seine eigenen Gefühle ignorieren zu lernen und sichselbst nicht mehr zu verstehen.Vielleicht ist es darum kein Wunder, dass heuteEssstörungen einen so prominenten Anteil derseelischen Erkrankungen ausmachen – auch schonbei <strong>Kinder</strong>n. Ein gutes Fünftel der 11- bis 17-Jährigen– auch das ergab die KiGGs- Studie – ist gefährdet,magersüchtig oder bulimisch oder „Binge Eater“ zuwerden, also unter regelmäßigen Fressanfällen zu leiden(siehe Linktipp). Ausge klügelte Diäten und krassesHungern für den Traumkörper sind unter Teensfast schon die Regel.Schon im Säuglingsalter kann die Nahrung zumProblem werden. In den <strong>Kinder</strong>praxen werden dieFälle sogenannter Fütterstörungen immer häufiger:Eltern, die am Ende ihrer Kräfte sind, schleppensich mit Säuglingen ins Wartezimmer, die hungrigvon der Brustwarze abrutschen oder ihren Kopfwegdrehen, statt aus der liebevoll bereiteten Flaschezu trinken. Mit Krabblern, die drei Löffel Brei schluckenund dann nur noch strampeln und schreien.Und fast immer haben Mutti oder Vati mit ihrer übertriebenenFurcht, das Kleine könnte zu wenig, dasFalsche oder Ungesundes zu sich nehmen, die Kriseselbst mit ausgelöst.Dabei muss ein Kind Hunger und Durst vonseinen Eltern nicht lernen. Im Gegenteil: Es8 9


GREENPEACE MAGAZIN X.XX Fotos: XXBlind STAND > satzspiegel; text nach oben (linkMIT KINDERN KOCHENwww.zzzebra.deDas Web-Magazin„Zzzebra“ hat viele BackundKoch-Rezepte für<strong>Kinder</strong>. Die Abläufe sindschön und verständlichmit Zeichnungen illustriert.Einfach im „Inhaltsverzeichnis“unter dem Punkt„Das schmeckt“ suchen.Unter der „Waldküche“findet man sogar Rezeptemit Zutaten zum Selberpflücken.weiß traumwandlerisch sicher, <strong>was</strong> es braucht. EinSäugling kennt seine Gefühle besser als seine Elterndie ihren. „Unsere kleinen <strong>Kinder</strong> haben ein weitgehendunverfälschtes inneres Regelsystem“, sagtdie Psychologin Kast-Zahn. „Wir sollten von ihnenlernen.“Die amerikanische Kognitionsforscherin AlisonGopnik meint sogar, dass Babys mit einem „Leuchten-Bewusstsein“durch die Welt robbten, einer hochsensiblenWahrnehmung, die unseren intensivstenErfahrungen bei Reisen oder entrückter Meditationentspreche. <strong>Kinder</strong> hören die innere Stimme, welchedie Bedürfnisse ihres Körpers ausdrückt. Werden siebeständig zum falschen Essen gezwungen, lernen sie,sich selbst zu misstrauen und nicht mehr auf ihreGefühle zu lauschen. Kurz: Neurotiker zu werden,wie die meisten Erwachsenen.Ernährungsforscher sind sich weitgehend einig:Eltern brauchen zur Esserziehung keine Kalorien-Tabellen. Sie können sich sparen, die Ernährungspyramidean den Kühlschrank zu heften (langweiligesSchwarzbrot als breite Basis, leckerer Schinkenals schmaler Überbau, Gummibärchen unerreichbarganz oben). Sie brauchen nichts zu tun, als das, <strong>was</strong>ihnen selbst schmeckt, auf den Tisch zu stellen. Klar,das setzt voraus, dass Sie nicht jeden Tag nur Hamburgerund Chips essen. Und klar, Bio sollte es auchsein – aber nicht, um die Leistungs fähigkeit zu optimieren,sondern den leidenden Tieren zuliebe. Jedes<strong>Kinder</strong> dürfen essen, <strong>was</strong> sie wollen. Wieviel siewollen. Aber: Die Eltern sind der Chef. Sie bestimmen,<strong>was</strong> überhaupt auf den Tisch kommt.gesunde Kind sucht sich das aus, <strong>was</strong> es braucht, inder richtigen Menge. Dieses Ergebnis brachte einExperiment aus den 20er- und 30er-Jahren in einemamerikanischen Waisenhaus zum Vorschein. Kleinkindernwurde es selbst überlassen, welche Speisensie verputzen wollten. Das Erstaunliche: Sie wurdenweder über- noch untergewichtig. Alle diese <strong>Kinder</strong>entwickelten sich genauso gesund wie ihre Altersgenossen,denen Essen vorgesetzt wurde. Die Botschaftdaraus ist: <strong>Kinder</strong> verhungern nicht, solange sie gesundsind. Sie essen nur so viel, wie sie brauchen.Aber, werden Sie jetzt denken. Aber.Ich weiß.Die Nutella. Die Chips. Die Nimm Zwei. Die Gummibärchen.Die Schaumwaffeln. Die Schokoweihnachtsmänner.Die Gelee-Eier. Die Brausepulver-Strohhalme. Die <strong>Kinder</strong>-Pinguis. Der Zucker, Geißeldes Elternseins!Alles wird gut.Tatsächlich ist das Waisenhaus-Experiment mitVorsicht zu betrachten. Die <strong>Kinder</strong> erhielten nämlichnur vollwertige, unverarbeitete Kost. Das heißt: keinBrot und keine Suppe, aber vor allem auch – keineBig-Macs, keine Cola, keine Schokolade, kein Kuchenund kein Eis. Sehr wahrscheinlich, das räumt die PsychologinKast-Zahn ein, wäre das Experiment andersausgegangen, wenn auch Süßigkeiten zur Auswahlgestanden hätten. Denn „<strong>Kinder</strong> haben eine angeboreneVorliebe für Süßes“, schreibt sie in ihrem Buch.Daher noch einmal zur Erinnerung: <strong>Kinder</strong> dürfenessen, <strong>was</strong> sie wollen und wie viel sie wollen. Wieviel von ihrer Portion sie wollen. Nur den Nachtisch.Oder nur die Vorsuppe. Ein Stück Brot, wenn allesandere „eklig“ ist. Dazwischen Obst nach Belieben.Das ist die eine Regel.Die andere aber lautet: Die Eltern sind der Chef.Sie bestimmen, <strong>was</strong> und wie viel davon überhauptauf den Tisch kommt.(Ich schreibe es noch einmal, meine Tochter istgerade nicht im Raum. Und keine Sorge, sie liestsowieso keine Magazine.)Liebe Eltern, Sie entscheiden, ob Sie Süßigkeitenmit hoher Energie- und niedriger Nährstoffdichtekaufen, wie viel sie davon kaufen.Keine Sorge. Es geht. Ich habe es ausprobiert.Bei uns funktioniert es auch. Meistens jedenfalls.Wie immer in der <strong>Kinder</strong>erziehung sind nicht die<strong>Kinder</strong>, sondern die Eltern die Schwachstelle. Meistensverstecken sie die Naschvorräte nicht sicher.Sie wundern sich dann erst, dass der Nachwuchsbeim Abendbrot untypischerweise das Jumbo-Nutellaglas ignoriert und später über sauber entleerteToffifee-Schachteln unter dem Kopfkissen. Ichweiß, wovon ich spreche.Wir fuhren im Auto. Emma war noch nicht geboren,sie schwebte im Bauch ihrer Mutter. Diese stillteihre Gelüste mit dänischen Butter-Sahne-Bonbons,die in dünne Goldfolie verpackt waren. Emmas Bruder,zu der Zeit gerade zwei Jahre alt, schlief in seinerSicherheitsschale auf der Rückbank. Sein Kopf rolltein den Kurven sanft von einer Seite auf die andere.Meine Frau gab sich wirklich Mühe. Zauberleichtund fast ohne Knistern wickelte sie das erste Bonbonihrer Tagesration aus dem Goldpapier, als von hintender laut und klar gesprochene Befehl kam.„Mama packt da irgend<strong>was</strong> aus. Haben.“Wir mussten lachen.Wie sagte Jesper Juul doch noch gleich? Der bedeutendsteTeil des sozialen Lernens findet bei denMahlzeiten statt.10 11

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