Das Wertequadrat und seine Darstellung
Das Wertequadrat und seine Darstellung
Das Wertequadrat und seine Darstellung
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<strong>Das</strong> <strong>Wertequadrat</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>seine</strong> <strong>Darstellung</strong><br />
Geschichte <strong>und</strong> mögliche Weiterentwicklung<br />
<strong>Das</strong> <strong>Wertequadrat</strong> ist ein Denkwerkzeug, das Paul Helwig 1967 „erf<strong>und</strong>en“<br />
hat, zu dem Aristoteles „Vorarbeit“ geleistet hat, <strong>und</strong> das Friedemann Schulz<br />
von Thun in <strong>seine</strong>m zweiten Band von „Miteinander reden“ bekannt gemacht<br />
hat. 1 In diesem Artikel soll die Geschichte des <strong>Wertequadrat</strong>s <strong>und</strong> vor allem die<br />
<strong>seine</strong>r <strong>Darstellung</strong> nachgezeichnet werden, <strong>und</strong> es soll die Botschaft des<br />
Quadrats hervorgehoben werden. von Bernhard Possert<br />
Aristoteles <strong>und</strong> das rechte Maß<br />
„Bei jedem ausgedehnten <strong>und</strong> teilbaren Dinge kann man ein Zuviel<br />
oder Zuwenig <strong>und</strong> ein rechtes Maß unterscheiden, <strong>und</strong> dies entweder<br />
in Hinsicht der Sache selbst oder in der Beziehung auf uns. <strong>Das</strong><br />
rechte Maß liegt in der Mitte zwischen dem Zuviel <strong>und</strong> Zuwenig.<br />
Unter der Mitte eines Gegenstandes verstehe ich das, was von jedem<br />
der beiden Enden gleichen Abstand hat, <strong>und</strong> das gilt für alle<br />
Gegenstände als eines <strong>und</strong> dasselbe. In bezug auf uns aber bedeutet<br />
die rechte Mitte das, was weder zuviel noch zuwenig ist: das aber<br />
ist keineswegs bei allen eines <strong>und</strong> auch nicht dasselbe. So, wenn<br />
zehn viel, zwei aber wenig ist, so nimmt man in Hinsicht auf die<br />
Sache als die Mitte sechs an, weil es um ebensoviel das eine<br />
übertrifft, wie es vom anderen übertroffen wird; das aber bedeutet<br />
die Mitte im Sinne der arithmetischen Proportion. Dagegen darf<br />
Vergleichen wir diesen antiken Text mit einem<br />
„modernen“: Gregory Bateson, Kybernetiker der ersten<br />
St<strong>und</strong>e, bietet in <strong>seine</strong>m Artikel „Jeder Schuljunge weiß“<br />
sechzehn verschiedene Denkwerkzeuge an. Nr. 11: „In<br />
der Biologie gibt es keine monotonen ‚Werte’“<br />
„Ein monotoner Wert ist ein solcher, der entweder nur zu- oder<br />
nur abnimmt. Seine Kurve hat keine Schleifen; das heißt, <strong>seine</strong><br />
Kurve verändert sich nie von Zunahme zu Abnahme oder<br />
umgekehrt. Begehrte Substanzen, Dinge, Muster oder<br />
Erfahrungssequenzen, die in gewissem Sinne „gut“ für den<br />
Organismus sind (z.B. Nahrungsmittel, Lebensbedingungen,<br />
Temperatur, Unterhaltung, Sex <strong>und</strong> so fort), sind niemals so<br />
doppel punkt 2/2005<br />
das rechte Maß<br />
zu viel zu wenig<br />
man es nicht so fassen, wo es sich um die Beziehung auf uns<br />
handelt. Wenn für jemand zehn Pf<strong>und</strong> zu essen zuviel, zwei aber<br />
zuwenig sind, so wird ihm der Leiter in der Ringschule nicht gerade<br />
sechs Pf<strong>und</strong> vorschreiben; denn möglicherweise ist auch dies noch<br />
für denjenigen, der es bekommen soll, zuviel oder zuwenig. Für<br />
einen Milo 2 wäre es zuwenig, für einen, der mit den Übungen erst<br />
beginnt, aber zuviel. Ebenso ist es mit Lauf <strong>und</strong> Ringkampf.<br />
Und so meidet denn jeder vernünftige Mensch das Zuviel <strong>und</strong> das<br />
Zuwenig <strong>und</strong> sucht dagegen die Mitte herauszufinden, <strong>und</strong> für<br />
diese entscheidet er sich; die Mitte aber, das heißt hier nicht die<br />
der Sache, sondern das Mittlere in bezug auf uns.“ 3<br />
Aristoteles spricht also vom rechten Maß, der rechten<br />
Mitte zwischen zu viel <strong>und</strong> zu wenig. <strong>Das</strong> könnte man so<br />
darstellen:<br />
beschaffen, dass mehr von der Sache stets besser ist als weniger<br />
davon. Vielmehr gibt es für alle Objekte <strong>und</strong> Erfahrungen eine<br />
Quantität, die einen optimalen Wert hat. Jenseits dieser Quantität<br />
wird die Variable toxisch. Unter diesen Wert zu fallen bedeutet<br />
Entbehrung.<br />
Dieses Charakteristikum des biologischen Werts ist nicht auf<br />
Geld übertragbar. Geld wird immer transitiv bewertet. Mehr Geld<br />
ist vermeintlich immer besser als weniger Geld. Beispielsweise sind<br />
1001 Mark 1000 Mark vorzuziehen. <strong>Das</strong> gilt aber nicht für<br />
biologische Werte. Mehr Kalzium ist nicht immer besser als weniger<br />
Kalzium. Es gibt eine optimale Kalziummenge, die ein gegebener<br />
Organismus in <strong>seine</strong>r Ernährung benötigen mag. Darüber hinaus<br />
wird Kalzium toxisch. Ähnlich gilt für den Sauerstoff, den wir<br />
37
einatmen, für Speise oder für Komponenten der Nahrung <strong>und</strong><br />
wahrscheinlich für alle Bestandteile von Beziehungen, dass genug<br />
besser ist als ein Gelage. Wir können sogar zu viel Psychotherapie<br />
bekommen. Eine Beziehung ohne Kampf ist langweilig, <strong>und</strong> eine<br />
Beziehung mit zu viel Kampf ist toxisch. Wünschenswert ist<br />
eine Beziehung mit einem gewissen Optimum an Konflikten. Wir<br />
können sogar zu der Auffassung kommen, dass Geld, nicht an<br />
sich selbst, sondern in <strong>seine</strong>r Wirkung auf Menschen, die es<br />
besitzen, jenseits eines bestimmten Punktes toxisch wird. Jedenfalls<br />
ist die Philosophie des Geldes, die Menge von Voraussetzungen,<br />
nach denen man nie genug Geld haben kann, vollkommen<br />
antibiologisch. Nichtsdestoweniger scheint es so, als könne man<br />
Lebewesen zu dieser Philosophie erziehen.“ 4<br />
<strong>Das</strong> eigentliche „<strong>Wertequadrat</strong>“:<br />
1967 erscheint Helwigs Buch „Charaktereologie“.<br />
Neben vielem anderen Wissenswerten findet man auf<br />
dreieinhalb Seiten das <strong>Wertequadrat</strong>. 5<br />
„Die Charaktereigenschaften sind immer zugleich Charakter-<br />
Werte (bzw. Unwerte). Es gibt keine Charaktereigenschaft, die<br />
nicht einen Wert oder Unwert darstellte.<br />
Die Vieldeutigkeit jedes dieser Charakterwerte bildet ein ständiges<br />
Ärgernis in der Diskussion:<br />
A sagt etwa, dass er die „kleinliche“ Art des X nicht mag. B<br />
erwidert, dass er dann offenbar „schludrig-oberflächliche“<br />
Charaktere mehr liebe. A erwidert, er liebe die „Großzügigkeit“.<br />
B antwortet, ihm sei „Gründlichkeit“ <strong>und</strong> „Genauigkeit“ wichtig.<br />
Im Folgenden soll nun ein, wie mir scheint, recht praktischer<br />
„Kunstgriff“ beschrieben werden, der eine schnelle <strong>und</strong> radikale<br />
Präzisierung dieser Begriffe <strong>und</strong> zugleich eine Präzisierung des in<br />
ihnen liegenden Problems ermöglicht.<br />
Alle diese Wert behafteten Begriffe (ich nenne sie im Folgenden<br />
abgekürzt „Werte“ schlechthin) ordnen sich zu einer „Vierheit“<br />
von Werten bzw. Unwerten. In jedem Wert liegt eine „Quaternität<br />
von Werten“ eingeschlossen. An einem Beispiel ist das am<br />
einfachsten klarzumachen.<br />
In diesem <strong>Wertequadrat</strong> steht zunächst die „Großzügigkeit“ als<br />
positiver Wert (Nr.1) der „Kleinlichkeit“ (Nr. 4) als ihrem<br />
negativen Gegenpol in der Diagonale gegenüber. Außerdem steht<br />
sie (in der Vertikale) der „Entartungsform“ der Großzügigkeit<br />
gegenüber: das ist die „Oberflächlichkeit“ („Schludrigkeit“,<br />
„Ungenauigkeit“). Diese steht als Unwert zugleich in konträrem<br />
Gegensatz (diagonal) zu Nr. 2, der „Gründlichkeit“, <strong>und</strong> die<br />
wieder in steht im Gegensatz (vertikal) zu Nr. 4, der<br />
„Kleinlichkeit“, die ihre Entartungsform darstellt. (Von den<br />
positiven Werten aus gesehen bezeichnen also die Vertikalen die<br />
Entartungsformen, die Diagonalen die komplementären<br />
Unwerte.)“<br />
Und später:<br />
„Die „Großzügigkeit“ (Nr. 1) bedarf, um bei ihrer Steigerung<br />
nicht in ihre Entartungsform (Nr. 3) vertikal abzugleiten, der<br />
Gegenspannung zur „Gründlichkeit“ (Nr. 2). Die<br />
„Gründlichkeit“ bedarf, um nicht in ihre Entartungsform (Nr.4:<br />
„Kleinlichkeit“) vertikal abzugleiten, des Gegendrucks der<br />
„Großzügigkeit“. ...<br />
<strong>Das</strong> Wertegesetz, das sich dabei zeigt, lautet: Jeder Wert<br />
ist nur in ausgehaltener Spannung zu <strong>seine</strong>m positiven<br />
Gegenwert ein wirklicher Wert. Vor allem lässt er sich<br />
in sich selbst nur steigern, wenn zugleich die Spannung<br />
zu diesem Gegenwert gesteigert wird, also wenn der<br />
positive Gegenwert entsprechend mitwächst. – Die<br />
„Großzügigkeit“ bedarf, um in gesteigerter Form auch<br />
an Wert zu wachsen, der Steigerung der „Gründlichkeit“<br />
<strong>und</strong> umgekehrt. Mit anderen Worten: Kein Wert ist an<br />
sich allein schon, was er sein soll – er wird es erst durch<br />
Einbeziehung des positiven Gegenwertes<br />
Miteinander Reden<br />
Friedemann Schulz von Thun hat durch sein Buch<br />
„Miteinander Reden 2: Stile, Werte, Persönlichkeitsentwicklung“<br />
das<br />
<strong>Wertequadrat</strong> einem breiterem<br />
Publikum angeboten. Er zieht<br />
die Verbindung zu Aristoteles<br />
<strong>und</strong> auch zum Yin-Yang-<br />
Verhältnis: „Sie durchdringen sich<br />
gegenseitig <strong>und</strong> enthalten doch jeweils<br />
schon selbst ein Spurenelement des<br />
Gegenpoles.“<br />
Schulz v. Thun adaptiert das <strong>Wertequadrat</strong> insofern, als<br />
er daraus auch ein Entwicklungsquadrat macht:<br />
<strong>Das</strong> Beispiel zeigt ein mögliches Entwicklungsquadrat<br />
für den Umgang mit Konflikten: Menschen, die dazu<br />
neigen „friedhöflich“ zu allem Ja <strong>und</strong> Amen zu sagen<br />
<strong>und</strong> alles zu schlucken, haben als Entwicklungsrichtung<br />
38 doppel punkt 2/2005
die „Konfrontation“, Personen, die dazu neigen, andere<br />
aggressiv zu entwerten, „sollen“ in Richtung<br />
„Akzeptierung“ an sich arbeiten.<br />
Die <strong>Darstellung</strong> des <strong>Wertequadrat</strong>s<br />
Die <strong>Darstellung</strong> der Begriffe als Quadrat ist an sich schon<br />
ein riesiger Fortschritt. Wer je versucht hat, Leuten das<br />
<strong>Wertequadrat</strong> zu erklären (besonders wenn es ein Thema<br />
ist, das die Leute persönlich betrifft!), weiß, dass ein paar<br />
Begriffe verb<strong>und</strong>en mit Strichen auf einem Blatt Papier<br />
oder einem Flipchart wahre W<strong>und</strong>er vollbringen können.<br />
doppel punkt 2/2005<br />
anders sein<br />
ist ok<br />
die anderen sind mir<br />
„wurscht“<br />
genau hinschauen, sich<br />
eine Meinung bilden<br />
alles, was anders ist,<br />
ist schlecht<br />
In „Miteinander Reden 3: ‚<strong>Das</strong> Innere Team’ <strong>und</strong> situationsgerechte Kommunikation“ habe ich dann, zugegebenermaßen<br />
leider erst im Zuge der Recherchen für den Artikel, folgende zumindest für mich wirklich brauchbaren <strong>Darstellung</strong>en<br />
gef<strong>und</strong>en: 6<br />
Teamarbeit der Gegenzwillinge (oben),<br />
Gefahr: Spaltung <strong>und</strong> Gegeneinanderarbeit (unten)<br />
<strong>Das</strong> <strong>Wertequadrat</strong> am Hügel<br />
Ich könnte mir noch eine andere <strong>Darstellung</strong> vorstellen:<br />
<strong>Das</strong> <strong>Wertequadrat</strong> auf einem Hügel.<br />
Die Idee: durch den Hügel wird sichtbar, dass es gilt, nicht<br />
aus dem Gleichgewicht zu kommen: Wenn man nur auf<br />
eine Seite setzt (z.B. Leistung belohnen), rutscht man<br />
unweigerlich ins Extrem (Kampf jeder gegen jeden ...).<br />
Durch das Kästchen wird der Zusammenhang der beiden<br />
positiven Werte noch deutlicher.<br />
Und doch war ich (nach der Lektüre von Miteinander<br />
Reden 2) immer auf der Suche nach Möglichkeiten, wie<br />
man darstellen kann, dass die oberen<br />
„Schwesterntugenden“ zueinander gehören. Ich behalf<br />
mir mit einem dicken waagrechten Strich zwischen den<br />
oberen beiden <strong>und</strong> den unteren beiden Werten <strong>und</strong> fügte<br />
die Botschaft hinzu: Wichtig ist nicht so sehr, ob wir<br />
links oder rechts liegen, sondern dass wir oberhalb dieser<br />
Linie liegen!<br />
Hilfe für die,<br />
die Hilfe brauchen<br />
Kein Anreiz für<br />
Eigeninitiative<br />
Hier wird durch den liegenden<br />
8er <strong>und</strong> die Gewitter-Pfeile klar,<br />
wie die Werte zueinander<br />
stehen.<br />
Leistung<br />
belohnen<br />
Schwache<br />
bleiben auf der<br />
Strecke<br />
39
Im Miteinander Reden 3 finden sich aber auch noch ganz<br />
andere Zeichnungen von Verena Hars. Schulz von Thun<br />
schreibt, dass er mit ihr wohl über fünfzig Mal zusammen<br />
gesessen ist, bis die über h<strong>und</strong>ert Zeichnungen (nicht<br />
nur <strong>Wertequadrat</strong>e ...) fertig entwickelt waren! So wie<br />
oben der Hügel, steht hinter dem nächsten <strong>Wertequadrat</strong><br />
eine Balancemetapher: Die Waage. 7<br />
Durch die Zeichnungen werden wir ganzheitlicher<br />
angesprochen: Es macht einen Unterschied, ob ich nur<br />
„Tagträumerei“ lese, oder ob ich jemanden in der<br />
Hängematte sehe!<br />
anders sein<br />
ist ok<br />
die anderen sind mir<br />
wurscht<br />
TOLERANZ<br />
Links sieht man eine etwas einfachere Form aus<br />
Miteinander Reden 3: 8 Hier gibt es keine Balance-<br />
Metapher, dafür klare Zeichnungen für die 4 Begriffe.<br />
Was ist die Frage?<br />
Was meines Erachtens in der <strong>Darstellung</strong> noch ein wenig<br />
zu kurz kommt: Was ist die Frage, zu der das<br />
<strong>Wertequadrat</strong> Stellung bezieht? Was ist der Kontext? Als<br />
Überschrift z.B. für das Quadrat mit den Begriffen<br />
„Großzügigkeit“ <strong>und</strong> „Abgrenzungsfähigkeit“ könnte<br />
dienen: „Wenn meine Großzügigkeit ausgenützt wird“.<br />
<strong>Das</strong> klärt den Kontext <strong>und</strong> erleichtert meines Erachtens<br />
den Transfer in den Alltag.<br />
Statt einer Frage könnte natürlich auch ein Begriff über<br />
dem Quadrat stehen, der die Synthese der positiven<br />
Werte darstellt <strong>und</strong> andererseits vom <strong>Wertequadrat</strong><br />
erläutert wird. Der Synthese-Wert zum <strong>Wertequadrat</strong> mit<br />
dem waagrechten Strich könnte also lauten:<br />
genau hinschauen, sich<br />
eine Meinung bilden<br />
alles, was anders ist,<br />
ist schlecht<br />
40 doppel punkt 2/2005
Es gibt aber auch die Möglichkeit, einen Überbegriff<br />
zu finden, der bereits die beiden Pole beinhaltet. Zum<br />
Beispiel könnte der Titel des Hügel-Quadrats lauten:<br />
„Soziale Marktwirtschaft“, der Titel des Waagen-<br />
Quadrats: „gelassene Zielstrebigkeit“. Zugegeben: <strong>Das</strong><br />
klingt jetzt ein wenig billig: Einfach aus einem Wert ein<br />
Adjektiv machen <strong>und</strong> damit den anderen bezeichnen?<br />
Aber wenn ich eine Klausur moderiere, <strong>und</strong> die<br />
Teilnehmer ringen nach einer Formel, mit der alle leben<br />
können <strong>und</strong> die trotzdem noch Substanz hat, dann kann<br />
mir nichts Besseres passieren als so einen Überbegriff<br />
mit einem <strong>Wertequadrat</strong> darunter anzuwenden.<br />
Legende:<br />
li oben: Der Pferdeflüsterer: Bedürfnisse hören, individuell auf Menschen eingehen<br />
re oben: Es geht dahin: Der Kutscher treibt die Pferde an<br />
li unten: den Pferden immer hinten nach sein <strong>und</strong> den Dreck wegputzen ...<br />
re unten: Der Karren steckt im Dreck, die Pferde bekommen die Peitsche<br />
Komplexe <strong>Darstellung</strong>sformen<br />
Eine weitere (auf den ersten Blick für mich verwirrende)<br />
Variante des <strong>Wertequadrat</strong>s findet sich auf der Website<br />
der Firma „Parcon“ in der Schweiz. 9<br />
„PARCON verwendet seit einiger Zeit auf der Basis<br />
des <strong>Wertequadrat</strong>es einen einfachen, wissenschaftlich<br />
zwar nicht erhärteten, jedoch trotzdem sehr<br />
aussagefähigen Fragebogen, der als Resultat jeweils eine<br />
Grafik nach nebenstehendem Beispiel ergibt. Dabei<br />
verknüpft wurden die beiden Eigenschaften «Personenorientiertes<br />
Verhalten» (waagrechte Linie) mit den<br />
beiden Schwestertugenden Nähe (C.G.Jung: fühlen) <strong>und</strong><br />
Distanz (C.G.Jung: denken) sowie «Aufgabenorientiertes<br />
Verhalten» (senkrechte Linie) mit den<br />
doppel punkt 2/2005<br />
Metaphern <strong>und</strong> <strong>Wertequadrat</strong>e<br />
Über meine Arbeit mit Metaphern kam ich auf die Idee,<br />
<strong>Wertequadrat</strong>e in Metaphern zu übersetzen <strong>und</strong> die vier<br />
Werte in dieser Metapher nur bildlich auszudrücken.<br />
Johannes Zollner hat nach meinen Vorstellungen<br />
folgendes <strong>Wertequadrat</strong> zum Thema Führung<br />
gezeichnet. Meines Erachtens sind diese Bilder geeignet,<br />
um mit Führungskräften <strong>und</strong> Mitarbeitern über Führung<br />
ins Gespräch zu kommen <strong>und</strong> verschiedene<br />
Vorstellungen abzugleichen.<br />
Schwestertugenden Dauer (C.G.Jung: introvertiert) <strong>und</strong><br />
Wechsel (C.G.Jung: extrovertiert), zu einer einzigen<br />
<strong>Darstellung</strong>.<br />
Der Hintergr<strong>und</strong> ist aus der untenstehenden <strong>Darstellung</strong><br />
ersichtlich. Daraus ergibt sich, dass die beiden Werte<br />
Dauer <strong>und</strong> Distanz zusammengefasst werden können<br />
zum neuen Wert Strukturiertheit. Der Unwert dazu<br />
(negative Übertreibung) wäre [Eiskalte Verdinglichung].<br />
Dies bedeutet, dass eine Person mit einer sehr hohen<br />
Ausprägung in Distanz <strong>und</strong> Dauer gr<strong>und</strong>sätzlich dazu<br />
tendiert, dass sie zu sehr auf sich selbst bezogen ist, somit<br />
das personale Umfeld <strong>und</strong> die zwischenmenschlichen<br />
Beziehungen unberücksichtigt lässt <strong>und</strong> von der<br />
Arbeitserledigung her als übertrieben pedantisch<br />
wahrgenommen wird.<br />
41
Als Entwicklungsempfehlung<br />
kann dann dieser Persönlichkeit<br />
geraten werden, dass sie sich<br />
<strong>und</strong> den andern mehr Raum<br />
gewähren <strong>und</strong> damit von einer<br />
Ziel- vermehrt zu einer<br />
[Prozessorientierung] (sowohl<br />
aufgaben- wie auch personenorientiert)<br />
verändern muss.<br />
<strong>Das</strong> gleiche Verhalten, jedoch<br />
mit anderer Wirkung, gilt für<br />
Personen mit hoher<br />
Ausprägung im Bereich<br />
Kohärenz (Zusammenhang),<br />
was sich im Unwert<br />
[Verschmelzung <strong>und</strong><br />
Abschottung gegen Außen]<br />
darstellt. Diesen ist als<br />
Entwicklungsempfehlung zu<br />
raten, dass sie ihren Blick, ihre<br />
Ohren <strong>und</strong> Ihre Zunge schärfen<br />
müssen.<br />
Der Wert Individualität<br />
bedeutet analog in der<br />
negativen Übertreibung<br />
(Unwert) [Kontaktverlust <strong>und</strong><br />
Zerfall] <strong>und</strong> kann mit der<br />
bewusst angegangenen<br />
Entwicklung in Richtung<br />
[Verbindlichkeit schaffen] aktiv<br />
kompensiert werden.<br />
Lebendigkeit als letzter Wert im<br />
Quadrat verkommt zu<br />
[Beziehungsverstrickungen]<br />
<strong>und</strong> endlosem Gelaber, welche<br />
in sich aufgefangen werden<br />
können mit [konsequentem<br />
Verschmelzung,<br />
Abschottung nach<br />
außen<br />
Nähe:<br />
* Akzeptanz<br />
* Harmonie<br />
* Wir-Gefühl<br />
Endloses Gelaber,<br />
Beziehungsverstrickungen<br />
Strukturieren] (Aufbau- <strong>und</strong> Ablauforganisation,<br />
Sitzungsorganisation, ...).“<br />
Im Gegensatz zum „normalen“ <strong>Wertequadrat</strong> mit zwei<br />
positiven Werten <strong>und</strong> zwei Unwerten finden sich hier<br />
vier positive Werte <strong>und</strong> dazu jeweils vier Unwerte. Was<br />
es noch kompliziert aussehen lässt: Die vier positiven<br />
Werte werden jeweils generiert aus der<br />
Zusammenfassung von zwei Begriffen der Polaritäten<br />
„Nähe-Distanz“ <strong>und</strong> „Dauer-Wechsel“. Ich halte das<br />
konkrete Blatt für großartig, wenn man es für sich selbst<br />
durchgearbeitet hat, aber leider für ziemlich ungeeignet,<br />
wenn man es zur Vermittlung in Gruppen verwenden<br />
möchte – zu groß wäre meine Sorge, dass einige Leute<br />
„aussteigen“.<br />
Die Struktur selbst finde ich faszinierend: Theoretisch<br />
braucht man nur zwei gr<strong>und</strong>sätzliche Polaritäten-Achsen<br />
– <strong>und</strong> der Rest ergibt sich (fast) von selbst! Es fehlen<br />
nur noch die Zeichnungen, <strong>und</strong> das Blatt ist mit Leben<br />
erfüllt!<br />
Kohärenz:<br />
* Verbindlichkeit<br />
* Wir-Gefühl<br />
* Kuh-Wärme<br />
Kontakt, Verbindlichkeit,<br />
Koordination fördern!<br />
Regeln vereinbaren!<br />
Kontakt <strong>und</strong> Gefühle<br />
fördern! Prozessbeobachtung<br />
einführen!<br />
Lebendigkeit:<br />
* synergetische<br />
Bewegung<br />
* 3m über Boden<br />
Dauer:<br />
* Struktur<br />
* Ordnung<br />
* Systematik<br />
Wechsel:<br />
* Spontaneität<br />
* Kreativität<br />
* Bewegung<br />
Strukturiertheit:<br />
* klares Ziel- <strong>und</strong><br />
Rollenbewusstsein<br />
* Sachlichkeit<br />
Struktur! Rollen- <strong>und</strong><br />
Lenkungsklärung! Und<br />
nochmals Struktur!<br />
Unterschiede sehen! Zu<br />
Konflikten ermutigen!<br />
Konfrontationen wagen!<br />
Individualität:<br />
* persönliche<br />
Freiheit<br />
* „Eigen-Sinn“<br />
Eiskalte<br />
Verdinglichung<br />
Kontaktverlust,<br />
Zerfall<br />
<strong>Das</strong> <strong>Wertequadrat</strong> hat immer recht?<br />
Distanz:<br />
* Abgrenzung<br />
* Ordnung<br />
* Beurteilung<br />
* Solistentum<br />
Bei der Internet-Recherche für den Artikel bin ich auf<br />
nebenstehendes <strong>Wertequadrat</strong> gestoßen. 10<br />
Aus dem Begleittext:<br />
„In unserem Kulturkreis sind vor allem die Werte „oben<br />
rechts“, aber auch teilweise noch die Unwerte „unten<br />
rechts“ jeweils hoch im Kurs. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong><br />
wird es verständlich <strong>und</strong> für die Humanisierung des<br />
Menschen erstrebenswert, wenn die Entwicklungslinie<br />
von unten rechts („Zwangs“-Monogamie) nach oben<br />
42 doppel punkt 2/2005
links verläuft („Freie Liebe“) - auch um<br />
die Gefahr, dass das Gegenpendel<br />
gelegentlich zu weit schlägt („narzistische<br />
Beziehunglosigkeit“). Deshalb ist darauf<br />
zu achten, dass die neuen Werte bezüglich<br />
der Idee der „freien Liebe“ nicht zu einer<br />
Art Pflichtprogramm werden. ...“<br />
Ich will mit diesem Beispiel zeigen:<br />
Man kann mit <strong>Wertequadrat</strong>en alles<br />
argumentieren. Nur weil man eine<br />
Balance darstellt, heißt das nicht, dass sie<br />
für den Menschen, um den es geht, auch<br />
eine ist (vgl. Aristoteles oben: „die Mitte aber, das heißt<br />
hier nicht die der Sache, sondern das Mittlere in bezug auf uns.“)<br />
Ich könnte z.B. auch ein <strong>Wertequadrat</strong> zum Thema<br />
Erziehung erstellen mit den positiven Begriffen „leichte<br />
Prügel“ <strong>und</strong> „psychischer Druck“, <strong>und</strong> den<br />
Übertreibungen „Schlagen, das Spuren hinterlässt“ <strong>und</strong><br />
„psychische Folter“; Auch das wäre eine Art von<br />
Balance...<br />
Dialektik – zur Lösung oder Polemik<br />
<strong>Das</strong> ist wohl auch der Gr<strong>und</strong>, warum die Dialektik<br />
immer wieder in Verruf gekommen ist: Ich kann das<br />
<strong>Wertequadrat</strong> durchaus auch verwenden, um jemanden<br />
schlecht zu machen, anstatt gemeinsam Fortschritt zu<br />
erzielen: Wenn A sagt: „Wir müssen mehr sparen“, könnte B<br />
sagen: „Ja, schon, aber eben nicht Kaputt-Sparen, sondern auch<br />
großzügig sein bei Bereichen wo es notwendig ist <strong>und</strong> wo es etwas<br />
bringt. Gleichzeitig bin auch ich gegen Verschwendung. Wo können<br />
wir die Linie ziehen: Wo ist es zuviel Sparen, <strong>und</strong> wo ist es zu<br />
viel Großzügigkeit?“ Aber B könnte auch sagen: „Sie sagen<br />
Fußnoten<br />
1 Kurzeinführungen finden Sie auch im Internet: http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/KOMMUNIKATION/<strong>Wertequadrat</strong>.shtml<br />
http://www.kca.ch/unternehmen/philosophie/management-by-values/werte-quadrat.htm (beide: 29.9.2005)<br />
2 Milo von Kroton, berühmter Ringer des Altertums<br />
3 Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch 2, 5. Kapitel, Deutsch: Adolf Lasson, Jena 1909, http://www.aristoteles-heute.de/<br />
SeinBewegtBelebtBewusst/Ethik/Ethik0205.htm (29.9.2005)<br />
4 Gregory Bateson, Geist <strong>und</strong> Natur. Eine notwendige Einheit. Frankfurt 19975, 72f.<br />
5 2 Paul Helwig, Charaktereologie, Freiburg 1969 , 65ff<br />
6 Friedemann Schulz von Thun, Miteinander Reden 3, 2003, 198.<br />
7 Miteinander Reden 3, 152.<br />
8 Miteinander Reden 3, 220.<br />
9 http://www.parcon.ch/i_wertequadrat.htm (29.9.2005)<br />
10 http://www.timowendling.de/fl/ (30.9.2005)<br />
doppel punkt 2/2005<br />
Bernhard Possert<br />
Freie Liebe<br />
Freiheit<br />
Abenteuersexualität<br />
Abwechslung<br />
narzistische<br />
Beziehungslosigkeit<br />
Bindungslosigkeit<br />
Selbstsüchtige Egozentrik<br />
Sexualkonsum<br />
immer, Sie wollen sparen: In Wahrheit wollen Sie alles Kaputt-<br />
Sparen! Sie wollen Dinge kaputt machen, die notwendig sind <strong>und</strong><br />
die etwas bringen! Man muss großzügig sein, schon mit Augenmaß,<br />
aber großzügig!“ Je nach Stimmung <strong>und</strong> je nach Ziel <strong>und</strong> je<br />
nach Kultur ...<br />
Zusammenfassend:<br />
<strong>Das</strong> <strong>Wertequadrat</strong> ist großartig, um aus polarisierten<br />
Situationen herauszukommen.<br />
Zu beachten ist:<br />
� grafische <strong>Darstellung</strong><br />
� Begriffe, mit denen die Zielgruppe etwas<br />
anfangen kann<br />
� <strong>Das</strong> <strong>Wertequadrat</strong> ist kein wasserdichter<br />
Qualitäts-Check für eine gute Balance: Wenn man<br />
will, kann man alles argumentieren; es gibt keine<br />
richtigen <strong>Wertequadrat</strong>e<br />
� Werte-Quadrate malen will geübt sein!<br />
arbeitet vor allem als Moderator von Klausuren, Mediator <strong>und</strong> Coach in NPOs, NGOs,<br />
Verwaltung <strong>und</strong> politischen Organisationen. Inhaltliche Schwerpunkte derzeit: Visuelle<br />
<strong>Darstellung</strong> von Company-Maps, <strong>Darstellung</strong> von Lernzielen, u.a. für Kinder<br />
[„Weltwissen der 7-Jährigen ...], Persönliches Wissensmanagement<br />
Kontakt: office@possert.at<br />
Zweierliebe<br />
Bindung (Hingabe an<br />
den/die PartnerIn), Intimität<br />
Kontinuität<br />
„Zwangs“-<br />
Monogamie,<br />
Geb<strong>und</strong>ensein<br />
Symbiotische Verschmelzung,<br />
Selbstlosigkeit, asketische<br />
Selbstentfremdung<br />
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