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2008 - ensemble magazin

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JEAN-BERNARD<br />

JEAN-BERNARD<br />

POMMIER<br />

Nachdenklicher<br />

Perf erfektionist<br />

ektionist<br />

KLAVIER KLAVIER<br />

STUDIEREN<br />

IN DER TÜRKEI<br />

Bilkent Bilkent<br />

University<br />

University<br />

JOSEF HOFMANN<br />

Phänomenaler Pianist und Erfinder<br />

Lars Vogt<br />

über Schubert<br />

ISSN 1434-3592<br />

G 44525<br />

'!1J60FB-gaedah!:K;N<br />

Mai / Juni<br />

3/<strong>2008</strong>


pearlriver und Ritmüller sind eingetragene Warenzeichen der Pearl River Piano Group Europe GmbH<br />

Inspiriert durch<br />

höchste Perfektion.<br />

music, music, music.<br />

Pearl River Piano Group Europe GmbH, Hauptstraße 17, D-82140 Olching bei München,Tel.: 0049 8142 65 27 00, www.pearlriver-europe.de


3 . 08<br />

Repertoire-Ansichten<br />

Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

Klavierwerke, die man kennt, hört man immer wieder gern.<br />

Warum? Nun, die helfen zu entspannen, das haben Studien<br />

bewiesen. Denn wenn man etwas bereits im „Ohr“ hat, ist es<br />

bedeutend leichter, sich zu entspannen, als wenn man etwas<br />

vollkommen Neues hört, was die Aufmerksamkeit doppelt<br />

erfordert. Doch kann das allein ein Grund sein, dass man hervorragendes<br />

Repertoire der Geschichte nicht beachtet, es nicht<br />

kennen lernt, da es kaum jemand spielt? Ist es nicht wirklich<br />

so, dass man sich gerne – und vor allem auch ein wenig phlegmatisch<br />

– der Musik zuwendet, die einen schon einmal begeistert<br />

hat, in Konzerte geht, dessen Repertoire man kennt, eine<br />

CD kauft, die ein gleiches Repertoire wieder und einen ähnlichen<br />

Klang vielleicht erneut bereithält? Ja, so ist es – und es<br />

bleibt spannungsgeladen, das alte, immer gleiche und hochwertige<br />

Repertoire der Klaviergeschichte mit immer neuen, immer anderen Künstlern zu hören – und<br />

erneut kennen zu lernen. Dies allein zeigt Lars Vogt mit seinen Schubert-Interpretationen auf, die er<br />

im Gespräch erläutert. Aber es gibt halt mehr, wie der Artikel von Anthony Spiri über die Werke der<br />

großen drei Bach-Söhne Friedemann, Carl Philipp Emanuel und Johann Christian zeigt. Es gibt Neues<br />

zu entdecken, aus Zeiten und von Komponisten, die einem anscheinend geläufig sind, die aber noch<br />

nie richtig betrachtet wurden und auch von vielen Interpreten nicht beachtet sind. Schade, denn da<br />

lassen sich – und hier sollten sich vor allem die jüngeren Pianisten inspiriert fühlen – brillante Werke<br />

entdecken, die man vielleicht zu wenig beachtet hat (und die sicherlich auch einmal gern von einem<br />

Lehrer, einer Wettbewerbs-Jury oder einer Prüfungskommission – einmal abgesehen von einem breiten<br />

Publikum – gehört werden). Ein weiteres Mal beschäftigen wir uns mit den unvollendeten<br />

Schubert-Sonaten, als Reaktion auf den Artikel von Gottlieb Wallisch in PIANONews 6-2007 – auch<br />

hier fast unbekanntes Repertoire, zu dem sich der Pianist Malcolm Bilson äußert.<br />

Doch das neue, das andere Repertoire, das es aus den Tiefen des Vergessens und aus dem sich breit<br />

machenden Mainstream an immer Gleichem zu heben gilt, ist nur eine Facette. Eine ganz andere sind<br />

die Instrumente selbst, die sich in den vergangenen zwei Jahren mehr und mehr verändert haben.<br />

Findige Klavierbauer haben Ideen entwickelt, um neue Materialien einzusetzen bei den traditionell<br />

seit 300 Jahren kaum veränderten Gegebenheiten eines Klaviers oder Flügels. Dies zieht auch eine<br />

neue Klangästhetik nach sich, wie der Bericht von Richard Dain über den Einsatz von Karbon im<br />

modernen Instrumentenbau ansatzweise aufzeigt. Nicht etwa ein neues Instrument soll dabei herauskommen,<br />

ein neuer Klang; vielmehr will man mit dem Einsatz von neuen Materialien den bestehenden<br />

Konstruktionen neues Volumen und eine bessere Tragweite geben. Das zeigten auch etliche neue<br />

Klavier- und Flügel-Modelle auf der Frankfurter Musikmesse, die wir näher betrachten.<br />

Was mehr muss noch erwähnt werden? Nun, der Pianist Jean-Bernard Pommier in einem spannenden<br />

Gespräch, Dafydd Llywelyn als Schöpfer Neuer Musik und vor allem auch der Blick in die Türkei, in<br />

der sich die private Universität in Bilkent aufschwingt, die Klavierausbildung auf ein internationales<br />

Niveau zu heben.<br />

Diese Ausgabe von PIANONews hält mannigfaltige Facetten des Klavierlebens in der Welt bereit, das<br />

so unerschöpflich ist, wie die Beschäftigung mit den Instrumenten, der Musik und den Pianisten, die<br />

sie uns näherbringen.<br />

Viel Spaß beim Lesen dieser Ausgabe wünscht Ihnen<br />

E E<br />

DITORIAL<br />

Carsten Dürer<br />

– Chefredakteur –<br />

Foto: get2gether<br />

3


I I NHALT<br />

Foto: Julia Baier/CAvi-music<br />

Lars Vogt<br />

Foto: Dürer<br />

Foto: Rafael Sala<br />

Dafydd Llywelyn<br />

Christoph<br />

Stiefel<br />

Bilkent University<br />

Jean-Bernard<br />

Pommier<br />

Foto: Jean-Claude Martinez<br />

3<br />

6<br />

7<br />

14<br />

16<br />

20<br />

24<br />

28<br />

32<br />

38<br />

42<br />

47<br />

48<br />

54<br />

E DITORIAL<br />

C RESCENDO<br />

INFOS AUS DER SZENE<br />

K LAVIER-NEWS<br />

NEUHEITEN VON DER FRANKFURTER<br />

MUSIKMESSE <strong>2008</strong><br />

A NSICHTEN<br />

SCHUBERTS UNVOLLENDETE<br />

KLAVIERSONATEN (2)<br />

VON MALCOLM BILSON<br />

K LAVIERBAU<br />

KOHLEFASER (KARBON) IN KLAVIEREN<br />

H ÄNDLER<br />

KLAVIERHÄNDLER IN ÖSTERREICH<br />

DAS KLAVIERHAUS<br />

I NTERVIEW<br />

ANDREAS VON IMHOFF<br />

ANMERKUNGEN EINES PRODUZENTEN<br />

LARS VOGT<br />

„ EIN STÜCK VOLLER RÄTSEL ...“<br />

J AZZ-INTERVIEW<br />

CHRISTOPH STIEFEL<br />

„SCHWIERIGES LEICHT KLINGEN LASSEN.“<br />

H OCHSCHULEN<br />

KLAVIER STUDIEREN IN DER TÜRKEI<br />

DIE KLAVIERABTEILUNG DER BILKENT<br />

GUSTAV IGNAZ STINGL IN WIEN<br />

P ORTRÄT<br />

JEAN-BERNARD POMMIER<br />

NACHDENKLICHER PERFEKTIONIST<br />

H ÄNDLER<br />

HIER KÖNNEN SIE PIANONEWS KAUFEN<br />

K OMPONISTEN<br />

DIE BACH-SÖHNE<br />

IM KLAVIERREPERTOIRE<br />

UNIVERSITY IN ANKARA<br />

K OMPONISTEN<br />

DAFYDD LLYWELYN<br />

DER MAGIER DER LEISEN TÖNE<br />

4 3 . 08


3 . 08<br />

F RAGEBOGEN<br />

14 FRAGEN AN HERBERT SCHUCH<br />

DVDS<br />

NEUES ZUM SCHAUEN UND HÖREN<br />

B ÜCHER<br />

NEUES LESEFUTTER FÜR KLAVIERLIEBHABER<br />

W ETTBEWERBE<br />

TERMINE FÜR PROFIS<br />

K ONZERTE<br />

TERMINE FÜR LIEBHABER<br />

I NHALT<br />

B ERICHTE<br />

UNTERSTÜTZUNG FÜR HOCHBEGABTE<br />

YAMAHA-STIPENDIEN-WETTBEWERB<br />

<strong>2008</strong> FÜR KLAVIER<br />

L EGENDEN<br />

JOSEF HOFMANN<br />

PHÄNOMENALER PIANIST UND ERFINDER<br />

N OTEN<br />

NEUE KLAVIERWERKE AUF DEM NOTENPULT<br />

J AZZ-WORKSHOP<br />

MIT RAINER BRÜNINGHAUS (7)<br />

I MPROVISATIONEN<br />

KLAVIER-IMPROVISATIONEN (TEIL 23)<br />

MIDDLE EASTERN<br />

P ROFI-TIPPS<br />

DER WETTBEWERBSPIANIST<br />

BESONDERE AUFNAHMEN<br />

- EIN FÜNFTES KLAVIERKONZERT VON<br />

RACHMANINOW?<br />

- LISZTS H-MOLL-SONATE SOLO UND FÜR<br />

ORCHESTER<br />

ALTE AUFNAHMEN<br />

GÉZA ANDA<br />

POP-HÖREINDRUCK<br />

POP-CDS IN DER KRITIK<br />

H ÖREINDRUCK<br />

NEUE CDS<br />

V ORSCHAU / IMPRESSUM<br />

57<br />

58<br />

60<br />

62<br />

64<br />

66<br />

70<br />

74<br />

82<br />

84<br />

86<br />

88<br />

89<br />

90<br />

92<br />

93<br />

106<br />

Herbert Schuch<br />

Yamaha-Wettbewerb<br />

Josef Hofmann<br />

Foto: Jürgen Olczyk<br />

Foto: Dürer<br />

Foto: Julia Baier/CAvi-music<br />

I<br />

5


C<br />

C RESCENDO<br />

Internationale Klavierakademie Freiburg <strong>2008</strong><br />

Die Internationale Klavierakademie Freiburg unter der<br />

Leitung von Jura Margulis, die in diesem Jahr vom<br />

14.–26. Juli stattfindet, basiert auf der über 30-jährigen Geschichte<br />

des legendären Klavier-Meisterkurses „Russische<br />

Schule“. Über 1000 Studenten aus aller Welt sind in der von<br />

Vitaly Margulis gegründeten „Russischen Schule“ im Historischen<br />

Kaufhaus der Stadt Freiburg unterrichtet worden.<br />

Diese Tradition fortführend, präsentiert die Internationale<br />

Klavierakademie Freiburg einen hochkarätigen Klaviermeisterkurs<br />

in derselben, unvergleichlich inspirierenden Atmosphäre<br />

und führt zusätzliche Seminare und Workshops durch,<br />

um das traditionelle Modell des Klaviermeisterkurses durch<br />

eine umfassendere Ausbildung zu ergänzen. Das zweiwöchige<br />

Erlebnis der IKA bietet eine Vielfalt von Informations- und Zugangsebenen,<br />

die es sonst nur selten in Klaviermeisterkursen<br />

angeboten werden.<br />

Die Hauptelemente der IKA 08:<br />

• Konzentrierter Klavierunterricht in einer anregenden<br />

Atmosphäre.<br />

• Ein Seminar zur systematischen Entwicklung virtuoser<br />

Klaviertechnik einschließlich eines<br />

• Vortrags über frühe Kompositions- und Klaviertechnik,<br />

einer Studie von pianistischen und pädagogischen Traditionen,<br />

der Veröffentlichung eines Kompendiums von Etüden<br />

und Übungen, basierend auf seltenen historischen Quellen,<br />

und der praktischen Anwendung des Materials im Meisterkurs-Unterricht.<br />

• Ein Seminar zum Verständnis historischer Tastenins-<br />

Diejenigen, die die Pianistin Ulrike<br />

Mai kennen, wissen, dass sie sich<br />

bei ihren Programmen und CD-Projekten<br />

immer wieder von atmosphärischen<br />

und übergeordneten Ideen inspirieren<br />

lässt, um Musik zusammenzufassen,<br />

die nur auf den ersten Blick vielleicht nicht zusammengehört.<br />

Nun hat sie sich im vergangenen Winter (auch<br />

wenn die Temperaturen schon wieder wärmer im Land<br />

geworden sind) mit kalten und schneebedeckten Landschaften<br />

beschäftigt und nennt ihr Programm „Weiße<br />

Landschaften“, namentlich nach dem Eröffnungswerk von<br />

Peteris Vasks „Weiße Landschaft“. Ulrike Mai vereint – spannend<br />

zusammengesetzt – Werke von Peteris Vasks, Ené<br />

Espere, Lutz Gerlach, John Cage, Philip Glass, Hans Otte,<br />

Claude Debussy und Schumann, um nur einige zu nennen.<br />

Einige mögen nun sagen, dass da zu viel Musik des „easy listening“<br />

und der „Minimal Music“ vertreten ist. Doch die Musik,<br />

die allgemein unter diesen Begriffen subsummiert wird, hat –<br />

ebenso wie die der Romantiker und Expressionisten – eines<br />

gemeinsam: Ihre Klavierstücke sind bereits so bezeichnet,<br />

dass sie in dieses Programm passen, oder aber die Musik<br />

Brad Mehldau wird Berater für die Wigmore Hall<br />

John Gilhooly, Direktor der berühmten Wigmore Hall in London, geht neue Wege. Die Wigmore<br />

Hall ist berühmt für ihre klassischen Musikserien, die mit einer riesigen Anzahl jedes<br />

Jahr stattfinden. Nun will Gilhooly auch den Jazz in der Wigmore Hall salonfähig machen. Dazu<br />

hat er sich namhafte Schützenhilfe geholt: Brad Mehldau. Der gefeierte amerikanische<br />

Komponist und Jazz-Pianist, wird in den kommenden Saisons 2009/10 und 2010/11 eine Jazz-<br />

Konzertserie mit vier Konzerten beratend aufbauen. Diese Jazz-Serie soll allerdings rein akustischen<br />

Jazz präsentieren. In den letzten zwei der vier Konzerte wird dann Mehldau selbst in die<br />

Tasten greifen.<br />

www.wigmore-hall.org.uk<br />

Wie klingen „weiße Landschaften“?<br />

trumente einschließlich einer Exkursion zur Sammlung historischer<br />

Tasteninstrumente Fritz Neumeyer im Schloss Bad Krozingen,<br />

ein Vortrag über Urtext-Ausgaben, Einschätzung der<br />

Relevanz historischer Tasteninstrumente für zeitgenössische<br />

Interpretation und Unterricht auf den Instrumenten der<br />

Sammlung.<br />

• Demonstration von einmaligen Rollenaufnahmen auf einem<br />

authentischen Welte-Mignon-Flügel von Künstlern wie<br />

Debussy, Saint-Saëns, Skrjabin, Reger, Grieg und Busoni.<br />

• Info-Workshop mit einem Mitarbeiter einer internationalen<br />

Konzertagentur.<br />

• Das unvergessliche Ambiente des Historischen Kaufhauses<br />

mitten in Freiburgs mittelalterlicher Innenstadt.<br />

• Eine hochkarätige Konzertreihe:<br />

Das PianoFest<br />

14. 7. Eröffnungskonzert Jura Margulis<br />

17. 7. Klavierabend Lilya Zilberstein<br />

23. 7. Sonderkonzert Vitaly Margulis – Benefizkonzert für das<br />

Freiburger Münster<br />

26. 7. Abschlusskonzert der Teilnehmer der IKA 08<br />

• Zahlreiche Teilnehmerkonzerte während des Meisterkurses<br />

in Freiburg und Städten im Schwarzwald.<br />

• Ein Publikumswahl-Wettbewerb beim Abschlusskonzert der<br />

Teilnehmer, bei dem Förderpreise in Höhe von Euro 1200,vergeben<br />

werden.<br />

www.InternationalPianoAcademy.org<br />

www.InternationaleKlavierAkademie.org<br />

spricht genau die von der Pianistin als „Zauber der Unschuld“<br />

bezeichnete Atmosphäre an. Es ist wie ein Eintauchen in einen<br />

ruhenden Zustand, der aber auch immer wieder unterbrochen<br />

wird von unruhigem Flirren und Herumtanzen von<br />

akustischen „Schneeflocken“. Und so ist diese CD fast so<br />

etwas wie ein akustisches In-Sich-Kehren, ein Eindringen in<br />

eine Zeit der Umgebungsstille, in die diese Musik perfekt passt<br />

und diese Stille umrahmt wie ein schützender Wall. Ulrike<br />

Mai hat nicht nur eine wunderbare Zusammenstellung von<br />

Musik auf dieser CD gefunden, die einen sofort gefangen<br />

nimmt, sondern sie versteht auch die unterschiedlichen Stile<br />

perfekt zu gestalten, ohne dabei ihren Flügelklang großartig<br />

zu verändern; so bleibt diese CD ein akustisches Erlebnis einer<br />

Atmosphäre, auf die man sich einlassen sollte. Und auch<br />

wenn es momentan schon wieder warm ist, sollte man sich<br />

diese CD für die nächste Winterzeit zurechtlegen, um sie<br />

dann vollauf zu genießen.<br />

Weiße Landschaften<br />

Werke von Peteris Vasks, Ené Espere, Lutz Gerlach, John Cage,<br />

Philip Glass, Hans Otte, Claude Debussy und Robert Schumann<br />

Ulrike Mai, Klavier<br />

LGM Records (www.lgm-records.de)<br />

6 3. 08


3 . 08<br />

K LAVIER-NEWS<br />

Das Klavier verliert an Bedeutung auf der Musikmesse Frankfurt<br />

Es ist nicht allein ein Abbild der Entwicklung der Klavierindustrie<br />

in der Welt, was sich seit vielen Jahren auf der<br />

Internationalen Musikmesse in Frankfurt abzeichnet.<br />

Die Messe für die Instrumentenhersteller war lange Zeit integriert<br />

in die Frühjahrsmesse Frankfurt. Nachdem immer<br />

mehr Hersteller für die Musikinstrumente die Messe frequentierten<br />

und sie sich, immer mehr in Verbänden organisierten,<br />

entschloss man sich eine eigene Messe zu veranstalten, die<br />

Internationale Musikmesse Frankfurt. Lange Zeit war diese<br />

Messe die weltweit sicherlich wichtigste internationale Fachmesse<br />

für Musikinstrumente, Zubehör und Noten – aber eine<br />

reine Fachmesse, eine, auf der Geschäfte gemacht werden<br />

sollten, auf der Verkäufe für die Händler, die die Produkte an<br />

den Endverbraucher bringen sollten, im Mittelpunkt standen.<br />

Doch die Struktur, wie sie sich heute darstellt, war noch nicht<br />

gegeben. In den Hallen waren Schlagzeuge neben Blechblä-<br />

sern und Notenverlagen, waren Streichinstrumentenhersteller<br />

neben Klavierherstellern. Und die Klaviere machten allein<br />

aufgrund der Fläche, die die Instrumente benötigen, eine<br />

immer bedeutendere Herstellerfraktion aus. Bald schon bemängelte<br />

man die fehlende Beachtung dieser Hersteller als<br />

besondere Gruppierung. Der damalige Verband der Klavierhersteller<br />

entschied, sich ein Jahr komplett von der Musikmesse<br />

zurückzuziehen. Alsbald gab es den Piano-Salon, eine<br />

eigene Ausstellungshalle für die Klavierhersteller, die sich<br />

sofort und unabdingbar alle mit ihren Modellen und an recht<br />

großen Ständen präsentierten. Doch nach und nach ließ das<br />

Interesse an der Messe nach, wurden so viele international<br />

wichtige Messen gegründet, dass die Hersteller mehr und<br />

mehr auf ihre Bedürfnisse und ihre wichtigsten Märkte zugeschnitten<br />

ihre Messen aussuchten. Zudem wurde Frankfurt als<br />

Messestandort immer teurer, fast jährlich. Und so begann zu<br />

Beginn des Jahrtausends ein Dahinschwinden der Beteiligungen.<br />

Nachdem Steinway & Sons sich schon lange aus dem<br />

Messegeschehen zurückgezogen hatte, waren es bald auch<br />

andere Firmen, die entdeckten, dass ein Fortbleiben von der<br />

Frankfurter Musikmesse nicht gleichbedeutend mit dem<br />

geschäftlichen Niedergang ist, so wie es in früheren Zeiten<br />

noch gesehen wurde. Mittlerweile ging man zu Messen in<br />

Shanghai, in St. Petersburg und natürlich zur immer noch<br />

wichtigen NAMM-Show im kalifornischen Anaheim. Und<br />

dann gibt es ja auch noch die vielen kleinen Messen in<br />

Europa, in Paris, in England, fast überall. Bösendorfer blieb<br />

im Jubiläumsjahr 2003 (175 Jahr-Feier) weg, dann Bechstein,<br />

dann Fazioli. Mittlerweile schrumpfte die Beteiligung der<br />

K<br />

europäischen Firmen, die früher den Mittelpunkt des Piano-<br />

Salons gebildet hatten, auf eine überschaubare Anzahl zusammen<br />

und sie überließen vor allem den zahlreichen asiatischen<br />

(vor allem koreanischen und chinesischen Firmen) die<br />

großflächigen Stände. Zwischenzeitlich kamen auch russische<br />

Firmen mit zur Messe, bevor die russische Klavierherstellung<br />

vollkommen zusammenbrach. Bis vor einiger Zeit<br />

waren noch Firmen wie Feurich, Ibach, Fazioli, Bösendorfer<br />

oder Thürmer auf der Musikmesse anzutreffen. In den vergangenen<br />

Jahren war aus dem wichtigsten Land der Klavierherstellung,<br />

Deutschland, eine kleine Anzahl von Herstellern<br />

fest auf der Messe vertreten: Grotrian-Steinweg, Blüthner,<br />

Seiler, Sauter, Schimmel und Steingraeber & Söhne. Doch<br />

auch Steingraeber und auch Seiler hatten schon einmal ausgesetzt.<br />

War und ist diese Situation hausgemacht? Mittlerweile<br />

gibt es keinen Hersteller mehr, der nicht eine Submarke<br />

auch in Asien oder in einem osteuropäischen Land produzieren<br />

lässt und damit das Know-how, das über Jahrhunderte<br />

gewachsen ist, frei Haus in diese Länder liefert. Immer neue<br />

Firmen und Markennamen tauchen daher auf der Messe auf.<br />

Doch auch diese Hersteller haben nicht die finanzielle Kraft,<br />

die Kosten für die Beteiligung auf der Frankfurter Messe zu<br />

tragen. Das Ergebnis: Die Musikmesse wird für die Klavierhersteller<br />

und auch die an den Instrumenten Interessierten immer<br />

unbedeutender. Wie stark das Ausmaß mittlerweile ist,<br />

ließ sich in diesem Jahr erkennen. Auch Schimmel blieb mittlerweile<br />

als immer noch größter deutscher Hersteller der Messe<br />

fern. Ein fast schon trauriges Bild bot sich also dem Besucher,<br />

wenn er in den früher als Piano-Salon bekannt gewordenen<br />

Ausstellungsbereich der Musikmesse <strong>2008</strong> kam. Wieder<br />

einmal hatte man die Klavierhersteller in eine andere<br />

Halle verlegt. Ungünstig sind diese Lageveränderungen immer,<br />

denn zahlreiche Messebesucher kommen seit Jahren<br />

und wissen leicht, wo sie die Halle ihres Interesses finden.<br />

Aber die Halle 6.0 war vor allem in Bezug auf die Eintrittssituation<br />

eher katastrophal. Denn wenn man nicht vom<br />

Freigelände die Halle betrat, sondern von den Laufbändern<br />

auf der ersten Ebene, die auch gleichzeitig die Hauptzugangsebene<br />

der wichtigsten Eingänge ist, dann geriet man erst einmal<br />

in Halle 6.1 – und stand in einer leeren Halle – verwirrend,<br />

denn erst auf den zweiten Blick erkannte man, dass<br />

man über die Rolltreppe eine Etage tiefer muss. Hier nun eine<br />

große Halle, mit weiten Gängen. Gut, wenn die Besucher<br />

zahlreich kommen, weniger schön, wenn nur wenige Besucher<br />

in der Halle sind. Zudem war es sehr kalt in der Halle.<br />

Dennoch war die Stimmung auf den wenigen deutschen Ständen<br />

nicht bedrückt. Aber auch die restlichen europäischen<br />

Hersteller – denn die meisten waren mittlerweile Hersteller<br />

aus Asien (die meisten aus China) – begannen spätestens auf<br />

dieser Musikmesse zu hinterfragen, wie sinnvoll weitere<br />

Teilnahmen an dieser Ausstellung wirklich noch sind. Man<br />

wird sehen, wie die Musikmesse auf das immer stärkere<br />

Ausbleiben der Klavierhersteller reagiert, und man kann nur<br />

hoffen, dass sich die Situation wieder verbessert, denn ansonsten<br />

ist die Musikmesse für die Klavier- und Flügelenthusiasten<br />

keinen Besuch mehr wert, sondern man kann sich getrost<br />

auf die zahlreichen Notenverlage bei seinem Besuch beschränken,<br />

die immer noch vollständig antreten und bei denen<br />

man selbstverständlich auch immer immens viel neues<br />

Klavier-Noten-Material findet.<br />

Dennoch haben wir uns für Sie umgeschaut, was es unter den<br />

Klavierherstellern Neues gibt, und sind fündig geworden<br />

(lesen Sie auf den kommenden Seiten).<br />

7


K<br />

Es gibt aus gesundheitlichen Gründen<br />

tatsächlich eine EU-Verordnung,<br />

die besagt, dass bei der Herstellung<br />

von Endverbraucherprodukten<br />

kein Blei mehr verwendet werden<br />

darf, wenn der Verbraucher in<br />

direkten Kontakt mit dem Material<br />

kommen kann. Ein findiger Klaviertechniker,<br />

Udo Ellinger aus Frankfurt,<br />

hat sich vor einiger Zeit mit dieser<br />

Thematik beschäftigt und nach<br />

einer Lösung gesucht. Wo denn Blei<br />

im Klavier verwendet wird? Nun, ein<br />

wenig Blei gibt es in der Mechanik<br />

fast aller Klaviere und Flügel – unproblematisch,<br />

da man mit diesen<br />

Kleinteilen fast niemals in Berührung<br />

kommt. Anders allerdings stellt<br />

sich die Lage bei einer Klaviatur dar.<br />

Um die genaue Spielweise, das Gegengewicht<br />

der wie auf einer Wippe<br />

gelagerten Tasten hinzubekommen,<br />

die auch noch die Last der ruhenden<br />

K LAVIER-NEWS<br />

Bleifrei für Klaviere und Flügel<br />

Mechanik zu tragen haben, werden<br />

die Tasten alle mit Blei „ausgewuchtet“.<br />

Wenn man die Tasten aus dem<br />

Instrument nimmt, dann sieht man<br />

schnell, dass diese im Holz eingepresste<br />

Bleigewichte aufweisen, bis<br />

zu sieben Stück pro Taste. Mehrere<br />

Kilos an Blei kommen da bei einem<br />

Flügel schon zusammen.<br />

Ellinger trat mit einer anderen Idee<br />

an: Er wollte die Bleigewichte durch<br />

ein natürliches Material austauschen,<br />

mit Holz. Erste Versuche mit<br />

mehrfach verleimtem Holz, das auch<br />

im Stimmstock seine Dienste tut, verliefen<br />

nicht wirklich erfolgreich, da<br />

das Holz bei weitem nicht das Gewicht<br />

aufweist, das Blei mit sich<br />

bringt. Bald<br />

schon trat er in<br />

Kontakt mit der<br />

Oberhessichen<br />

Klaviaturenbau<br />

GmbH mit Sitz<br />

Lich. Deren Geschäftsführer<br />

Stefan Otto<br />

Heuss war begeistert<br />

von der<br />

Idee und gemeinsambegann<br />

man an<br />

einer praxistauglichenLösung<br />

zu feilen.<br />

Schnell war<br />

klar: Man benötigt<br />

ein schwe-<br />

reres Material als das übliche im<br />

Klavierbau verwendete Schichtholz.<br />

Doch die Richtung, die Ellinger eingeschlagen<br />

hatten war genau richtig:<br />

Das Fichtenholz der Klaviatur –<br />

es geht tatsächlich ausschließlich<br />

um die weißen Tasten – wird im vorderen<br />

Bereich von unten ausgespart.<br />

Dort sollte nun schweres Holz eingebracht<br />

werden, um die Gewichtung<br />

zu erzielen, die nötig ist, um das<br />

Spielgefühl in Waage zu halten. Mit<br />

dem Panzerholz hatte man Erfolg,<br />

da es schwer genug war, dass man<br />

eine Höhe der Einlage bieten konnte,<br />

die auch beim Niederdrücken der<br />

Taste dieses Holz nicht sichtbar werden<br />

ließ. Natürlich benötigen die<br />

Tasten eines Flügels, die in den tieferen<br />

Lagen ihren Dienst versehen,<br />

aufgrund der größeren Länge auch<br />

mehr Gewicht als die anderen. Entsprechend<br />

hat man mittlerweile die<br />

Einlage-Holzplatte zum Diskant hin<br />

verjüngen lassen. Dieses Ergebnis<br />

war schon gut, aber man musste ja<br />

auch noch die Praxistauglichkeit<br />

durch den Einbau solch einer Klaviatur<br />

in einen Flügel prüfen. Und da<br />

kam für Ellinger und Heuss nur ein<br />

hochwertiger Hersteller in Frage.<br />

Man landete schnell bei Grotrian-<br />

Steinweg. Und Burkhard Kämmerling,<br />

Cheftechniker des Braunschweiger<br />

Traditionshauses, war<br />

schnell begeistert von der Idee. Am<br />

Stand auf der Musikmesse Frankfurt<br />

konnte man also das erste Flügelmodell<br />

mit dieser bleilosen Klaviatur<br />

anspielen. Die meisten Spieler bemerkten<br />

keinen Unterschied – ein Erfolg<br />

für die drei Partner. Und so wird<br />

die Oberhessische Klaviaturenbau<br />

GmbH bald auch an andere Klavierhersteller<br />

eine bleilose Klaviatur<br />

liefern können.<br />

Kawai mit neuer Elektronik bei Stummschaltungs-Instrumenten<br />

Ebenso lange wie viele andere<br />

Hersteller ein Stummschaltungssystem<br />

für akustische Pianos anbieten,<br />

konnte auch Kawai immer<br />

schon mit den Modellen unter dem<br />

Namen „Anytime“ aufwarten. Aber<br />

ebenso wie zahlreiche andere Hersteller<br />

wurde auch im Anytime-<br />

System von Kawai die Abtastung<br />

unter der Klaviatur mittels mechanischem<br />

Sensor vorgenommen. Ein<br />

heutzutage recht veraltetes und mittlerweile<br />

im direkten Vergleich auch<br />

nicht mehr besonders präzises Abtastverfahren.<br />

Nun hat Kawai dieses<br />

System durch ein direkt an der<br />

Auslösung der Mechanik sitzendes,<br />

Vor der neuen Klaviatur mit<br />

Holzgewichten (v.l.n.r.): Udo Ellinger,<br />

Burkard Kämmerling und Stefan<br />

Heuss.<br />

Foto: Dürer<br />

optisches Sensor-System ausgetauscht.<br />

Und dabei wird jede einzelne<br />

Tasten- bzw. Mechanik- und Hammerstil-Bewegung<br />

gemessen. Das<br />

Ergebnis? Nun, eine um ein Vielfaches<br />

genauere Kontrolle des Spiels,<br />

vor allem bis hinein ins Pianissimo.<br />

Man kann nun bei stummgeschaltetem<br />

Klavier auch den Digital-Piano-<br />

Klang, der dann freigeschaltet wird,<br />

genauestens kontrollieren, ebenso<br />

wie bei dem akustischen Instrument.<br />

Das neue System hört auf den Namen<br />

„Integrated Hammer Sensing<br />

System“ (kurz auch als IHSS bezeichnet).<br />

Selbstverständlich sind alle<br />

Klaviere mittlerweile eh mit der mo-<br />

www.grotrian.de<br />

dernen Carbon-Mechanik von Kawai<br />

ausgestattet, die extrem präzise und<br />

zudem vollkommen unbeeinflusst<br />

von Witterungs- und Feuchtigkeitsschwankungen<br />

arbeitet.<br />

Die Steuerungseinheit für den digitalen<br />

Sound hat man geschickt in einen<br />

rechts unterhalb der Klaviatur<br />

versteckten kleinen Kasten gebracht,<br />

der mittels eines kurzen Drucks auf<br />

die Frontseite herausfährt und von<br />

oben problemlos gut bedient und<br />

abgelesen werden kann. Die Instrumente,<br />

die mit dem AnyTime X bezeichneten<br />

System ausgestattet sind,<br />

sind die Modelle der K-Serie: K 15, K<br />

2, K 3 und K 5 und kosten im direkten<br />

8 3 . 08


3 . 08<br />

K LAVIER-NEWS<br />

Die neue Abtastleiste im Kawai AnyTime X.<br />

Foto: Dürer<br />

Vergleich zu den rein akustischen<br />

Instrumenten dieser Reihe ca. 1500<br />

Euro mehr. Damit liegen die Preise<br />

dieser Modelle bei 4750,- Euro (für<br />

das K 15 ATX, 110 cm), 5550,- Euro<br />

(für das K 2 ATX, 114 cm), 6750,-<br />

Euro (für das K 3 ATX, 122 cm) und<br />

7890,- Euro (für das K 5 ATX, 125<br />

cm).<br />

Eine wirkliche Neuheit zeigte sich<br />

aber auch im Digital-Piano-Bereich.<br />

Kawai ist sich als Hersteller traditioneller<br />

Klaviere und Flügel durchaus<br />

seit vielen Jahren bewusst, dass man<br />

das Thema Digital-Piano nicht allein<br />

mit Instrumenten, die auch andere<br />

Hersteller im elektronischen Bereich<br />

anbieten, belassen kann. Die meisten<br />

D-Piano-Käufer sind keine Elektronik-Freaks,<br />

die viele Features haben<br />

wollen, sondern sind Klavierspieler,<br />

die die Vorteile eines D-Pianos<br />

in den häuslichen vier Wänden<br />

nutzen möchten. Schon mit dem CA<br />

91 war man einen neuen Weg in die<br />

Richtung gegangen: Man hatte ein<br />

D-Piano vorgestellt, das fast wie ein<br />

Konsolenklavier aussah, von hinten<br />

sogar einen Resonanzboden zeigte.<br />

Allerdings war es ein volles D-Piano,<br />

bei dem dieser Resonanzboden<br />

allein ein optisches Element darstellte,<br />

allerdings auch den Bassbereich<br />

als Resonanzträger verstärkte. Nun<br />

hat man einen sinnvollen Nachfolger<br />

auf der Musikmesse in Frankfurt<br />

Langsam, aber sicher scheint das<br />

vor einigen Jahren in Schieflage<br />

geratene Unternehmen Ed. Seiler<br />

Pianofortefabrik aus Kitzingen wieder<br />

in gerade Bahnen zu geraten, in<br />

ruhigere Gewässer mit einem wiederum<br />

überzeugenden Konzept.<br />

Nachdem man bei dem Unternehmen<br />

jahrelang immer und immer<br />

wieder das Siegel „Made in Ger-<br />

vorgestellt: das CA 111. Dieses<br />

Instrument sieht nun wirklich<br />

wie ein Konsolenklavier aus, das<br />

Gehäuse ist einem akustischen<br />

Instrument vollkommen entsprechend.<br />

Wie sehr, zeigte sich<br />

am Stand, als ein Kunde den<br />

oberen Deckel des Instruments<br />

zu öffnen versuchte, um einen<br />

Blick auf die Mechanik zu werfen<br />

wie bei einem akustischen<br />

Klavier. Doch es handelt sich<br />

um ein vollwertiges D-Piano mit<br />

Klaviergehäuse. Ebenso wie bei<br />

den AnyTime-Instrumenten wird die<br />

Bedienungseinheit ebenfalls per<br />

Druck auf den kleinen schwarzen<br />

Kasten rechts unterhalb der<br />

Klaviatur ausgezogen. Auf dem<br />

Instrument selbst findet man keinerlei<br />

Knöpfe. Das Sound-System ist<br />

Sieht aus wie ein Klavier: Das CA 111 D-Piano<br />

von Kawai.<br />

Foto: Dürer<br />

dem des CA 91 ähnlich und bietet<br />

auch hier eine Resonanzverstärkung<br />

durch den Pseudo-Resonanzboden.<br />

Zudem sind nun auch die schwarzen<br />

Obertasten aus Elfenbein und vermitteln<br />

beim Spiel dieses schwarzpolierten<br />

Instruments ein noch<br />

authentischeres Spielgefühl. Ein<br />

Instrument, das für 4.490,- Euro nun<br />

einen nicht nur klanglich, sondern<br />

auch optisch vollwertigen Ersatz für<br />

ein akustisches Klavier darstellt.<br />

www.kawai.de<br />

Seiler wieder auf „Made in Germany“-Kurs<br />

many“ hochgehalten hatte, war<br />

man nach den geschäftlichen Problemen<br />

auch bei Seiler mit der Submarke<br />

Eduard Seiler (die ursprünglich<br />

zur geschickten Auslastung des<br />

Kitzinger Fertigungswerks gedient<br />

hatte) zu einem Gang nach Fernost,<br />

nach China übergegangen, den<br />

schon so viele andere Klavierbauunternehmen<br />

mit Untermarken gegan-


K<br />

gen sind. Doch mittlerweile hat sich<br />

das Unternehmen stabilisiert, ohne<br />

dass Arbeitskräfte freigestellt werden<br />

mussten, ganz im Gegenteil, man<br />

hat sogar neue Mitarbeiter eingestellt.<br />

Neben Ursula Seiler hat der<br />

neue Geschäftsführer, Dr. herbert<br />

Zimmermann, diese Wende herbeiführen<br />

können, mit deutlicher Entscheidung<br />

für den Produktionsstandort<br />

Deutschland, wie das Unternehmen<br />

verlauten lässt. Selbst die Untermarke<br />

Eduard Seiler wird wieder in<br />

Kitzingen gebaut, wobei etliche<br />

wichtige Produkte in Asien eingekauft<br />

werden. Überhaupt hat der<br />

Kunde auch bei einigen der hochwertigen<br />

Klaviere des Unternehmens<br />

die Wahl von unterschiedlichen<br />

Qualitäten einiger Halbfertigteile, so<br />

beispielsweise einer Mechanik von<br />

dem renommierten Stuttgarter Mechanikwerk<br />

Renner oder einer aus<br />

Fernost. Der Preisunterschied liegt<br />

dabei meist nur bei ca. 1000,- Euro,<br />

so dass man sich schon fragen kann,<br />

warum nicht alle Instrumente dann<br />

doch ausschließlich mit den besseren<br />

Teilen ausgestattet werden.<br />

Doch auch bei Seiler achtet man<br />

mehr und mehr auf die Modernität<br />

der Gehäuse, will sogar demnächst<br />

mit renommierten Möbeldesign-Firmen<br />

zusammenarbeiten, um den<br />

Anschluss an den Publikumsgeschmack<br />

nicht zu verpassen. Schon<br />

vor einem Jahr hatte man mit einer<br />

komplett neuen Gehäuselinie innerhalb<br />

einer neuen Linie, der „Trend-<br />

Line“, Zeichen gesetzt, hatte die<br />

Richtung vorgegeben, in die man in<br />

Unser Kooperationspartner, der Online-Verlag<br />

INTER-NOTE, bietet allen PIANONews-Abonnenten<br />

pro Ausgabe 10 neue Notenausgaben zum kostenlosen<br />

Download; dabei handelt es sich nicht um<br />

Scans alter Ausgaben, sondern um Neuausgaben.<br />

Einige Raritäten, die ansonsten seit langem vergriffen<br />

sind, wurden auf diese Weise wieder einem größeren<br />

Publikum zugänglich gemacht.<br />

❐ Abonnenten haben pro Ausgabe Zugriff auf 10 Werke, die sie kostenlos<br />

downloaden können<br />

❐ Die Downloads können auf der Festplatte gespeichert und beliebig oft<br />

ausgedruckt werden<br />

❐ Alle Abonnenten erhalten bei ihrer ersten Notenbestellung als<br />

Begrüßungsgeschenk einen gedruckten Notenband („PIANONews<br />

Collection“)<br />

❐ Es wird spezielle Rabatt- und Bonusaktionen für PIANONews-<br />

Abonnenten geben<br />

INTER-NOTE<br />

Als weltweit einziger Verlag bietet INTER-NOTE keine fertigen Notenbände<br />

an, sondern ermöglicht es dem Kunden, seine persönlichen Notenbände<br />

online mit wenigen Mausklicks selbst zusammenzustellen. Diese werden<br />

dann direkt nach der Bestellung gedruckt, gebunden und verschickt.<br />

Den Inhalt jedes Notenbandes bestimmt also der Kunde selbst - und das zu<br />

dem erstaunlich günstigen Preis von 25 Cent pro Seite. Dabei kann der<br />

Kunde aus einem ständig wachsenden Bestand von derzeit über 2100<br />

Werken auswählen. Da der verfügbare Bestand von INTER-NOTE noch<br />

K LAVIER-NEWS<br />

Wird mit zwei<br />

unterschiedlichen<br />

Holzfurniervarianten<br />

geliefert: Das<br />

„Attraction“ von<br />

Seiler.<br />

Foto: Dürer<br />

Zukunft gehen wollte. Doch da war<br />

man noch auf der Suche nach Investoren,<br />

ja vielleicht sogar nach<br />

Aufkäufern, so dass keine konsequente<br />

Außendarstellung gelang.<br />

Diese Zeiten sind überstanden, man<br />

bekennt wieder Farbe!<br />

Zeitgemäß und spannend zeigte sich<br />

das Modell „Attraction“, das dem<br />

Seiler-Klavier 126 Zentimeter entspricht,<br />

einem großen Konzertklavier<br />

also. Entsprechend konnte man<br />

gestalterisch an dieses Instrument<br />

herangehen und brachte mit einem<br />

massiv wirkenden Rahmengehäuse<br />

in schwarzer Politur eine gute<br />

Grundlage für die in Edelholzfurnieren<br />

daherkommenden Ober- und<br />

Unterrahmen sowie den Seitenwänden,<br />

die zudem mit einer leichten<br />

und sanften Abflachung zu den Kanten<br />

hin dem Instrument noch mehr<br />

Exklusiver Notendownload für PIANONews-Abonnenten<br />

wesentlich größer ist, kann der Kunde auch Werke anfordern, die auf der<br />

Homepage noch nicht auffindbar sind. Diese werden dann innerhalb<br />

weniger Tage bereitgestellt.<br />

Und so kommen PIANONews-Abonnenten auf ihre INTER-NOTE-<br />

Download-Seite:<br />

➠ Gehen Sie auf www.inter-note.com auf „Mein<br />

Konto“<br />

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Kundennummer ein.Diese Sie finden diese auf<br />

Ihrem Adressaufkleber zwischen den beiden<br />

Doppelkreuzen # (PNXXXX). Geben Sie die vollständige<br />

Kundennummer (einschließlich PN) ein!<br />

➠ Nun befinden Sie sich in ihrem Account!In<br />

dem oben rechts stehenden Kasten befinden sich<br />

10 Werke, die Sie downloaden können!<br />

Plastizität verleihen. Doch das Besondere<br />

an diesem Modell: Der Kunde<br />

kann sich, wenn ihm das gerade<br />

im Fachgeschäft gesehene Furnier<br />

nicht gefällt, kostenfrei ein anderes<br />

bei Seiler bestellen, um sich ein individuelleres<br />

Instrument zusammenzustellen.<br />

Natürlich gibt es dieses<br />

Instrument auch noch in komplett<br />

schwarzer Optik, konsolenlos –<br />

wahrscheinlich einmalig auf dem<br />

Markt für ein Klavier dieser Höhe.<br />

Aber auch die anderen Modellen<br />

werden mit interessanten Furnieren<br />

angeboten, so mit weiß gebeizter<br />

Buche oder mit Nussbaumholz, das<br />

heute vor allem wieder im Möbelbaubereich<br />

eine wichtige Rolle<br />

spielt.<br />

Was also festgehalten werden muss:<br />

Zahlreiche Modelle der Trend-Line<br />

und einige der sogenannten Classic-<br />

Line, werden als Instrumente unter<br />

dem Markennamen Seiler und unter<br />

dem Markennamen „Eduard Seiler“<br />

angeboten. Die Gehäuse bleiben<br />

gleich, ebenso wie zahlreiche Halbfertigteile,<br />

die alle in Kitzingen zusammengebaut<br />

werden. Aber die<br />

Mechanik stammt halt aus Asien.<br />

Die rein asiatische Marke „Zeitter &<br />

Winkelmann“, die man noch vor<br />

einiger Zeit angeboten hat, läuft<br />

komplett aus, man will nur mehr die<br />

Restbestände veräußern, sagt man<br />

bei Seiler. Das bedeutet: Man konzentriert<br />

sich in Kitzingen wieder auf<br />

das „Made in Germany“, das so<br />

lange so wichtig für das Unternehmen<br />

und seine Kunden war.<br />

www.seiler-pianos.de<br />

10 3 . 08


3 . 08<br />

K LAVIER-NEWS<br />

Yamaha zeigt neue Hochund<br />

Niedrigpreis-Klaviere<br />

Die Modelle b1 und b2<br />

von Yamaha waren die<br />

ersten rein aus indonesischer<br />

Herstellung stammenden<br />

Klaviere, die Yamaha<br />

auf den Markt brachte. Der<br />

Vorteil: Die Yamaha-eigene<br />

Fabrikation in Indonesien<br />

ist deutlich preiswerter, als<br />

die Produktion der Klaviere<br />

für den europäischen Markt,<br />

die aus dem englischen<br />

Werk von Kemble stammen.<br />

Entsprechend hatten diese<br />

beiden ersten Modelle einen<br />

einschlagenden Erfolg,<br />

denn letztendlich sind es Instrumente,<br />

die nach Qualitätsvorgaben von Yamaha<br />

produziert werden. Entsprechend<br />

verkaufte man diese gut im<br />

Preis-Leistungs-Verhältnis austarierten<br />

Instrumente in großer Stückzahl.<br />

Nun kommt mit dem b3 eine Erweiterung<br />

dieser Reihe. Das b3 rundet diese<br />

preiswerte Serie nach oben hin ab,<br />

denn es ist ein 121 cm hohes Klavier,<br />

das ebenfalls wie das b2 als Konsoleninstrument<br />

daherkommt. Die Preisunterschiede<br />

allerdings sind nicht so<br />

immens, als dass man sich als Interessent<br />

für diese Instrumente nicht<br />

überlegen sollte, gleich ein b3 zu erstehen.<br />

Denn mit EUR 4550,- liegt es<br />

wirklich in der unteren Preisklasse auf<br />

dem Markt. Das b2 kostet EUR 4160,-<br />

(113 cm Höhe) und das b1 EUR 3520,-<br />

(109 cm Höhe und konsolenloses<br />

Gehäuse). Wahrscheinlich wird also<br />

das b3 dem b2 bald schon den Rang<br />

ablaufen ... Natürlich gibt es diese b-<br />

Serie auch mit Silent-Einrichtung und<br />

in einigen Furniervarianten und Farben<br />

sowie schwarz poliert. Der Klang<br />

ist gut, entspricht aber selbstverständlich<br />

nicht ganz den aus europäischer<br />

Fertigung stammenden Yamaha-Klavieren.<br />

Dennoch sind die b-Instru-<br />

Schließt die Reihe der b-Serie nach oben<br />

ab: das b3.<br />

Foto: Dürer<br />

Das neue RD 3 von Yamaha.<br />

Foto: Dürer<br />

mente beständig verbessert worden<br />

und in jedem Fall – mit der Erfahrung<br />

von Yamaha – zu anderen Instrumenten<br />

in dieser Preisklasse eine echte Alternative.<br />

Das b3 gibt es allerdings<br />

erst ab Juni <strong>2008</strong>.<br />

Eine vollkommen andere Art von Linie<br />

im Dschungel des riesigen Angebots<br />

der Yamaha-Klavier-Palette stellen die<br />

Klaviere der Radius-Reihe dar, die in<br />

England gebaut werden. Sie sind eigentlich<br />

schon eine Art Premium-Reihe,<br />

denn mit den in Details aufwendigen<br />

Gehäusen will man sich selbst von<br />

der eigenen Massenware abheben. Es<br />

sind ausschließlich für den europäischen<br />

Markt entwickelte Gehäuse, die<br />

in der Radius-Linie zu finden sind.<br />

Drei Modelle – in den Höhen 114, 116<br />

und nun auch 122 cm – werden als<br />

RD1, RD2 und RD3 bezeichnet. Und<br />

selbst das kleinste, das RD1, kommt<br />

schon mit einer Art Pseudo-Konsole<br />

daher, wobei die Beine fast am Gehäuse<br />

zurückversetzt sind; dennoch ist<br />

dadurch die Standfläche vergrößert<br />

und sicherer. Aufwendige abgerundete<br />

und abgefräste Gehäusekanten,<br />

vordere Rollen, alle drei Modelle mit<br />

drei Pedalen (mittig das Moderator-<br />

Pedal) sowie alle mit Messing- oder<br />

Edelstahlteilen (Pedale, Klaviaturdeckel-Scharniere,<br />

Rollen), stellen<br />

diese drei Klaviere eine hochwertige<br />

Linie dar, die klanglich<br />

schon lange bekannt ist, da in<br />

diesen Modellen die hochwertigen<br />

Yamaha-Klaviere aus der<br />

englischen Produktion unverändert<br />

ihren Dienst versehen. Die<br />

Preise liegen bei EUR 5510,- für<br />

das RD1, EUR 6030,- für das RD2<br />

und EUR 7300,- für das RD3.<br />

www.yamaha-europe.com


K<br />

Roland geht im Digital-Klaviermarkt<br />

seit vielen Jahren einen<br />

vollkommen eigenen Weg. Immer<br />

mehr und immer wieder tüftelt man<br />

an vollkommen eigenständigen<br />

Klängen, die aus unterschiedlichen<br />

Samples von akustischen Flügeln der<br />

besten Hersteller generiert werden,<br />

und schafft damit einen eigenen<br />

und unverkennbaren Flügelklang.<br />

Seit vielen Jahren hat<br />

man auch immer wieder das<br />

Thema Digital-Flügel in Angriff<br />

genommen und bemerkenswert<br />

umgesetzt. Allein: Die<br />

Preise waren zu hoch, da zu viel<br />

Entwicklungsarbeit und zu viel und<br />

vor allem teure Technik in diese Instrumente<br />

gegeben wurde, die letztendlich<br />

zu einem Produkt führten,<br />

das spannend, aber leider auch immens<br />

teuer war, so dass viele Kunden<br />

gleich zu einem akustischen<br />

oder aber Hybrid-Instrument griffen<br />

(akustisches Klavier mit Stummschaltungen).<br />

Nach vielen Jahren hat man nun auf<br />

der Frankfurter Musikmesse aber einen<br />

kurzen Digital-Flügel vorgestellt,<br />

der all die Erfahrungen beinhaltet<br />

und dennoch bezahlbar ist. Es musste<br />

wohl erst eine gewisse Zeit vergehen,<br />

bis sich die Entwicklungskosten<br />

amortisierten und bis die hochwertige<br />

Elektronik preiswerter wurde.<br />

Nun also gibt es den RG-1 Digital-<br />

Flügel von Roland. Schlicht kommt<br />

das Instrument daher, mit einem Gehäuse,<br />

das nur wenig länger ist als<br />

bei einem D-Klavier. Aber diese wenig<br />

längere Version wird ausgenutzt.<br />

Zum einen gibt es einen Flügeldeckel,<br />

der zu öffnen ist und damit den<br />

Flügelcharakter unterstreicht, aber<br />

vor allem ist es das sich darunter verbergende<br />

Soundsystem, das das<br />

Spielgefühl und die Klangentfaltung<br />

optimiert. Das Instrument ist mattschwarz<br />

lackiert und bietet daher<br />

eher ein für amerikanische Verhältnisse<br />

gewohntes Bild. Aber die technischen<br />

Details sind famos: So verfügt<br />

dieser Flügel über die hochwer-<br />

Die bekannte Klavier- und Flügelmanufaktur<br />

Steingraeber &<br />

Söhne mit Sitz in Bayreuth hat vor<br />

etlichen Jahren mit dem Konzertflügel<br />

E-272 einen Sprung in die höchste<br />

Liga der deutschen Flügelhersteller<br />

geschafft. Nun hat man diesem gro-<br />

K LAVIER-NEWS<br />

Roland stellt kleinen D-Flügel vor<br />

tige PHA II-Tastatur. Sie vermittelt<br />

ein unvergleichlich authentisches<br />

Flügelspielgefühl, da sie nicht nur<br />

über einen Druckpunkt verfügt, der<br />

dem eines<br />

Flügels<br />

gleicht, sondern<br />

auch so<br />

gestaltet ist,<br />

dass der Anschlag<br />

bei<br />

den tieferen<br />

Tasten<br />

ein etwas größeres<br />

Gegengewicht bietet als<br />

bei denen in der höheren Lage.<br />

Zudem variiert die Druckpunktstärke<br />

auch bei unterschiedlich<br />

schnellem Anschlag.<br />

Die Klaviatur ist zudem<br />

mit einer Oberfläche ausgestattet,<br />

die die Fingerfeuchtigkeit<br />

absorbiert und damit ein Spielgefühl<br />

ähnlich dem auf Elfenbeintasten vermittelt.<br />

Die Klangabstrahlung ist gut<br />

gelöst, da unter dem zu öffnenden<br />

kleinen Flügeldeckel zusätzlich Lautsprecher<br />

ihren Dienst versehen, die<br />

bei geschlossenem Deckel den Klang<br />

eines geschlossenen Flügels vermitteln.<br />

Bei nur 73 Zentimeter Tiefe ist<br />

dies ein bemerkenswertes Feature.<br />

Zudem aber sind die technischen Anbindungen<br />

dieses Instruments wichtig.<br />

Gleich rechts unter der Klaviatur<br />

findet man einen USB-Port, an dem<br />

man einen USB-Speicherstick anschließen<br />

kann, um die Sounds in<br />

WAV- oder Standard-MIDI-File-Art<br />

abzuspeichern oder einzuspeisen.<br />

Steingraeber & Söhne erweitert Flügelpalette<br />

ßen Konzertflügel einen kleineren<br />

Bruder zur Seite gestellt, den D-232,<br />

der auf der Musikmesse in Frankfurt<br />

deutsche Premiere feiern konnte.<br />

Und entsprechend dem Innovationsgeist<br />

bei Steingraeber weist auch dieses<br />

Instrument einige Eigenmerk-<br />

Über diesen Port kann man aber<br />

auch ein externes USB-CD-Laufwerk<br />

anschließen, um dann Audio-CDs<br />

abzuspielen.<br />

Für einen Preis von Euro 4999,- kann<br />

man sich nun endlich einen<br />

wunderbar hochwertigen D-<br />

Flügel von Roland leisten!<br />

Wer dann doch eher auf eine Hochglanz-Version<br />

in seinem Wohnzimmer<br />

Wert legt, muss sich dem HP<br />

207e von Roland zuwenden. Es bietet<br />

fast all die Features, die das<br />

RG-1 bietet, kommt aber in<br />

einem kleinen D-Piano-typischen<br />

schwarz hochglänzenden<br />

Konsolengehäuse daher.<br />

Der Sound ist mit einem 3-dimensionalen<br />

System wunderbar<br />

in Stereoqualität austariert.<br />

Neben all den Dingen, die auch das<br />

RG-1 bietet, findet man bei diesem<br />

Instrument sogar noch einen Anschluss<br />

für einen iPod oder einen anderen<br />

transportablen Player (Euro<br />

4199,- schwarz poliert).<br />

Wer es kleiner und moderner liebt<br />

und dennoch einen Blickfang haben<br />

möchte, wird nun bei Roland mit<br />

dem DP 990 fündig. Dieses Instrument<br />

ist ein kleines D-Piano in<br />

schlichter Optik in matt Schwarz<br />

oder matt Kirsche. Bei geschlossenem<br />

Klaviaturdeckel ist dieses Instrument<br />

ein rechteckiger optisch<br />

gefälliger Kasten. Dass man bei diesem<br />

preiswerten Instrument (Euro<br />

1659,-) dennoch nicht auf das gute<br />

Spielgefühl verzichten muss, ist<br />

ebenso Roland-typisch wie der auch<br />

hier integrierte USB-Anschluss. Allein<br />

was den Klang angeht, sollte<br />

man vielleicht besser über Kopfhörer<br />

spielen, da der Klang aus den integrierten<br />

Boxen zwar für solch ein<br />

kleines Instrument faszinierend groß<br />

erscheint, aber dann doch nicht an<br />

den eines Flügels heranreicht.<br />

www.roland-musik.de<br />

male auf, die den Klang und das<br />

Spielgefühl dieses Flügels zu etwas<br />

Besonderem machen. So hat Steingraeber<br />

diesen Semi-Konzertflügel in<br />

der Konstruktion stark an den großen<br />

Bruder in Bezug auf die Klangreflexzonen<br />

und die weit gezogenen<br />

12 3 . 08


3 . 08<br />

Blindböden angelehnt. Doch das ist<br />

noch nicht das, was den Klang so<br />

kraftvoll und gut kontrollierbar<br />

macht. Zum einen fällt einem beim<br />

Öffnen des Flügeldeckels schon auf,<br />

dass dieser extrem leicht ausgefallen<br />

ist. Damit will man erreichen, dass<br />

die Teiltöne beim Spielen angereichert<br />

werden und somit auch das<br />

Klangvolumen verbessert wird. Der<br />

Kapodaster reicht mit 46 Tönen über<br />

die Klaviaturmitte hinaus, so dass<br />

nur 42 Töne durch Agraffen gebunden<br />

sind. Dies führt zu einem wirklich<br />

anderen Klangvolumen. Doch<br />

das Spielgefühl ist ebenfalls andersartig:<br />

Mit einem Aufgewicht von nur<br />

20–25 Gramm ergibt sich eine hervorragende<br />

Kontrollierbarkeit beim<br />

Spiel. Die Klaviatur ist typischerweise<br />

Sauter mit Sonderholz-Modellen<br />

Dass die einmal von dem bekannten<br />

Möbeldesigner Peter Maly<br />

für Sauter gestalteten Klaviere mannigfache<br />

optische Variationsmöglichkeiten<br />

bereithalten, zeigt sich<br />

fast in jedem Jahr in dem Sortiment<br />

der Maly-Linie von Sauter aus Spaichingen.<br />

In diesem Jahr nun präsentierte<br />

man zwei Modelle in besonderem<br />

Edelholz-Design: Das Art Deco-<br />

Sauters Maly-Modell Artes in Makassar-<br />

Palisander. Foto: Dürer<br />

Klavier „Artes“ war anstatt in glänzend<br />

Schwarz oder Weiß in Makassar-Palisander<br />

zu sehen. Eine wahre<br />

Augenweide ist diese Furniervariation<br />

mit hochglänzendem Lack.<br />

Allerdings macht dieses edle Furnier<br />

das Instrument auch teuer: 18.040,-<br />

Euro kostet diese Edelversion, die nur<br />

auf Bestellung gefertigt wird. Eine<br />

weitere Neuvariante eines längst<br />

bestehenden Maly-Modells war die<br />

Version des „Pure“ mit matt-schwarzem<br />

Gehäuse und Nussbaum-Klaviaturtisch,<br />

der aus diesem schlichten<br />

Modell wie ein homogen wirkender<br />

Fremdkörper herausragt.<br />

Und selbst Maly-Flügel „Ambiente“<br />

gab es eine weitere Variation: Anstatt<br />

der normalerweise an diesem<br />

Flügel auf der Zarge verlaufenden<br />

schmalen Edelstahllinie hatte man<br />

K LAVIER-NEWS<br />

mit einer hochwertigen Mineraloberfläche<br />

versehen, die<br />

das „Elfenbeingefühl“ perfekt<br />

simuliert. Aber wahlweise<br />

kann man auch das von Steingraeber<br />

angebotene Mammut-Elfenbein<br />

auf den Untertasten<br />

erhalten. Der Klang ist<br />

großartig, fein kontrollierbar<br />

im Fortissimo wie im Pianissimo,<br />

farbenreich und bei der<br />

Spielbarkeit hervorragend.<br />

Dieser Flügel ist nicht ganz<br />

preiswert, wie dies bei komplett<br />

in Handarbeit gefertigten<br />

Instrumenten heutzutage<br />

nun einmal ist. Mit Euro 79.450,liegt<br />

dieses Instrument in jedem Fall<br />

im Markt an der oberen Spitze. Aber<br />

man sollte diesen Flügel einmal an-<br />

an dem auf der Messe gezeigten Modell<br />

eine Linie von Swarowski-Steinen<br />

angebracht, so dass sich eine<br />

funkelnde Linie auf dem schwarzen<br />

Gehäuse abzeichnete.<br />

www.sauter-pianos.de<br />

Udo Schmidt-Steingraeber am neuen D-232.<br />

Foto: Dürer<br />

testen, denn er bietet eine vollkommene<br />

Alternative und individuelle<br />

Klanglichkeit im Vergleich zu anderen<br />

Marken.<br />

www.steingraeber.de<br />

Das Modell Pure in neuer Variation.<br />

Foto: Dürer<br />

K<br />

13


I<br />

Von: Andreas von Imhoff<br />

I NTERVIEW<br />

Lars Vogt ist der international erfolgreichste deutsche Pianist, seit vielen Jahren. Dennoch<br />

sind seine 12 bislang als Solist bei EMI Classics erschienenen CDs nicht im Geringsten ein<br />

Abbild seines großen Repertoires, auch wenn die Epochen der Klassik und Romantik bei ihm<br />

im Zentrum seines Interesses stehen. Zahlreiche Einspielungen zeigen allerdings Lars Vogt<br />

auch als Kammermusiker, ein Feld, das er intensiv betreibt, nicht nur als Gründer und künstlerischer<br />

Leiter seines erfolgreichen Kammermusik-Festivals „Spannungen!“ in Heimbach.<br />

Nun erscheint die erste Solo-CD auf einem anderen Label, nachdem Vogt EMI verlassen hat.<br />

Endlich eine Aufnahme seiner Sichtweise auf Schuberts Klaviermusik.<br />

Wir baten den Produzenten der CD, Andreas von Imhoff (jahrelang auch Chef von EMI<br />

Classics in Deutschland), die Idee zu beschreiben, wie es zu dieser Einspielung gekommen ist.<br />

Und dann lassen wir den Pianisten selbst zu Wort kommen.<br />

Andreas von Imhoff<br />

Lange kenne ich Lars Vogt schon, seit den frühen<br />

Tagen aus der gemeinsamen Zeit, als er<br />

EMI-Exklusiv-Künstler war; viele gemeinsame<br />

Projekte haben wir verwirklicht, stets habe ich<br />

intensiv Anteil genommen und mitgeholfen, die<br />

Karriere von Lars weiterzubringen, die ihn heute<br />

auf einem Höhepunkt sieht, wo er weltweit unterwegs<br />

ist, sowohl als Kammermusiker als auch als<br />

Solist mit den besten Orchestern der Welt und als<br />

Meister des Solo-Repertoires.<br />

Und während dieser ganzen Zeit haben wir stets<br />

auch einen sehr treuen Partner im Boot gehabt,<br />

den Deutschlandfunk. Zuerst mit Wolf Werth und<br />

Norbert Ely als die großen Unterstützer; heute ist<br />

uns Maja Ellmenreich eine engagierte, sympathische,<br />

wohlwollende und kompetente Partnerin,<br />

sowohl für die Solo-Projekte als auch für die Kammermusikprojekte<br />

des SPANNUNGEN-Festivals,<br />

dessen sämtliche Konzerte mitgeschnitten werden<br />

und meinem Label CAvi-music zur Auswertung<br />

bereitstehen, nachdem die EMI 2005 ausgestiegen<br />

ist.<br />

Ich erinnere mich noch sehr genau – es war<br />

während der Schubertiade 2005 (nomen est<br />

Anmerkungen eines<br />

Produzenten<br />

omen) –, dass in einem der vielen Gespräche mit<br />

Lars auch das Thema neuer Solo-Alben angesprochen<br />

wurde und er zu meinem großen Glück ganz<br />

spontan sagte, dass das nächste Album auf meinem<br />

Label CAvi-music erscheinen könnte, denn<br />

die Bindungen an die EMI wollte er beenden. Wir<br />

ließen die Frage offen, welches Repertoire für die<br />

nächste CD auf dem Programm stehen sollte; mir<br />

war nur schon länger klar geworden, dass Lars ein<br />

ungewöhnlich tiefes Verständnis für Schubert entwickelt<br />

hatte. Intensivst hatte er sich mit dessen<br />

Kammermusik- und Solowerken auseinandergesetzt.<br />

Lars Vogt öffnete mir den Weg zu Schubert,<br />

vor allem zu seinem Spätwerk. Immer wieder<br />

begab er sich zusammen mit seinen Freunden auf<br />

den schweren Pfad, speziell in den Klaviertrios die<br />

Endzeitstimmung dieser Musik durch besonders<br />

geschliffenes Spiel, eine hohe Variation von Anschlagskultur,<br />

durch eine breite emotionale Palette<br />

und das tiefe Verständnis der musikalischen<br />

Linie die Psyche dieser Musik verständlich zu machen.<br />

Immer wenn ich ihn hörte und das jeweilige<br />

Stück zu Ende war, machte sich in mir ein tiefes<br />

Gefühl der Dankbarkeit breit, mit ihm und den<br />

Mitspielern die verschlungenen Wege der Schubert’schen<br />

Musik gegangen zu sein. Mir ist immer<br />

noch eine Bemerkung von Tanja Tetzlaff im Kopf,<br />

nach dem Ende des 2. Trios: „Wir sind ja wohl ein<br />

bißchen ‚spazieren’ gegangen!“ – so beschrieb sie<br />

einfach das musikalische Ereignis der vergangenen<br />

abgelaufenen 50 Minuten.<br />

Für die Saison 2005/2006 hatte Lars Vogt als<br />

zweiten Teil seines Klavierabends Schuberts B-Dur-<br />

Sonate auf das Programm gesetzt und sich in mindestens<br />

15 Abenden ausführlich mit dem Stück<br />

auseinandergesetzt; den Höhepunkt bildete ein<br />

Klavierabend beim Klavier-Festival Ruhr. Es war<br />

schnell klar, dass man dieses Programm als CD<br />

veröffentlichen müsste. Lars und ich sahen uns an,<br />

ich mehr fragend, denn ich wusste, dass er ja eigentlich<br />

keinerlei Zeit hatte. Die neue Saison wartete<br />

ja schon, ein anderes Programm war im Entstehen.<br />

„Andreas, besorge mir einen Tag in den näch-<br />

14 3 . 08


3 . 08<br />

sten sechs Wochen, und wir versuchen es“, meinte er,<br />

wie häufig verschmitzt lächelnd, fast herausfordernd,<br />

trotz aller Müdigkeit nach einem großen<br />

Klavierabend.<br />

Es dauerte nicht mal die Heimfahrt an diesem<br />

Abend, als ich versuchte mit Maja Ellmenreich<br />

vom Deutschlandfunk Kontakt aufzunehmen,<br />

denn nun hieß es, schnell handeln und die Chance<br />

beim Schopfe zu packen. Auch ihr blieb fast die<br />

Luft weg, als ich an sie die Frage richtete, ob sie<br />

sich denn mal den Plan des Kammermusiksaals<br />

am Raderberggürtel anschauen könnte, um „den“<br />

Tag zu finden …<br />

Alle wirbelten. Auch Stephan Schmidt, der Tonmeister<br />

und Aufnahmeleiter, war frei, und so warteten<br />

wir alle gespannt auf den Tag X (15. Oktober<br />

2006), an dem Lars schon früh angefahren kam.<br />

Er wärmte sich auf, kannte den Flügel, den der<br />

bewährte Klavierstimmer Christian Schoke wieder<br />

einmal prächtig präpariert hatte.<br />

Die Strategie war schon frühzeitig klar: so viele<br />

Gesamtdurchgänge wie möglich, den großen Bogen<br />

zu erhalten – sowohl die Struktur, der musikalische<br />

Zusammenhang, als auch die Zeit ließen<br />

fast gar keine anderen Überlegungen zu, sich in<br />

Einzelheiten zu vertiefen. Drei, vier Durchgänge,<br />

hier und da noch Passagen aus den einzelnen Sätzen<br />

oder besonders „haarige“ Stellen – das war’s.<br />

Lars wie auch Stephan Schmidt wollten es auch<br />

gar nicht anders. Ihnen lag am Herzen, mehr oder<br />

weniger ein Live-Ereignis (natürlich mit Wiederholungsmöglichkeiten)<br />

zu simulieren, das eben<br />

eine Nuance anders und gegebenenfalls perfekter<br />

war als der Livemitschnitt. Gegen 22 Uhr, nach ca.<br />

10 Stunden Schwerstarbeit, waren Lars und<br />

Stephan Schmidt sich einig und sicher. „Deckel zu“<br />

– ein „Ritt über den Bodensee“ war gelungen. Lars<br />

war zufrieden und andererseits aber auch überrascht,<br />

denn selbst er war sich nicht sicher gewesen,<br />

ob das Experiment klappen würde. Irgendwie<br />

fiel uns allen ein Stein vom Herzen, und mit großer<br />

Hochachtung planten wir den nächsten<br />

Schritt.<br />

Natürlich hatten wir alle schon im Kopf, welche<br />

zusätzlichen Stücke noch auf die CD sollten: Schuberts<br />

letzte „Drei Klavierstücke“ D 946. Das bot<br />

sich nicht nur musikalisch an, sondern entsprang<br />

auch fast dem Zufall, da Lars Vogt sich für die<br />

Saison 2006/2007 diese Werke für sein Recitalprogramm<br />

vorgenommen hatte. Auch hier gingen die<br />

Interpretationen erst einmal durch die Feuertaufe<br />

einiger Live-Auftritte, ehe Lars wiederum signalisierte,<br />

dass er sich eine Aufnahme durchaus vorstellen<br />

könnte. Wiederum war aufgrund des engen<br />

Zeitplans von Lars’ Verfügbarkeit kaum mit einer<br />

langwierigen Sitzung im Studio zu rechnen; es<br />

musste sich natürlich auch der Atmosphäre und<br />

Stimmung der B-Dur-Sonate anpassen, auch spontan<br />

leben und ein live-orientiertes Erlebnis werden:<br />

also wieder nur ein Tag, ein Sonntag, Ende<br />

September 2007. Die ganze Prozedur wiederholte<br />

sich also fast ein Jahr später – zwischen der vergangenen<br />

und der neuen Saison fand sich wieder<br />

„der“ Tag, an dem Lars Vogt wieder zum Flügel im<br />

Kammermusiksaal des Deutschlandfunks ging und<br />

in einem erneuten Marathon von 10 Stunden kon-<br />

I NTERVIEW<br />

zentrierter Arbeit die<br />

drei Stücke einspielte;<br />

wir kannten das Rezept,<br />

und wiederum<br />

erwies es sich als äußerst<br />

tragfähig, sich<br />

nicht in die Einzelheiten<br />

zu verlieren,<br />

den großen Bogen und<br />

die musikalischen Linien<br />

zu suchen. Mit eiserner<br />

Disziplin und erheblichemKraftaufwand<br />

bis zur Erschöpfung<br />

widmete sich Lars<br />

Vogt dieser so gnadenlos<br />

guten, so bewegenden<br />

Musik, manchmal<br />

am Rande der Verzweiflung,<br />

wenn die<br />

Nuance, der Anschlag,<br />

die Phrase, die Schattierung<br />

nach mehreren<br />

Wiederholungen nicht<br />

klappte. Lars hatte alles<br />

gegeben! Danke!<br />

Danke auch an Stephan<br />

Schmidt und alle guten Geister vor und hinter<br />

den Kulissen im Deutschlandfunk. Was für ein<br />

Ereignis und welche Erfahrung für alle!<br />

www.avi-music.de<br />

I<br />

Lars Vogt<br />

Julia Baier/CAvi-music<br />

15


I<br />

I NTERVIEW<br />

„Ein Stück voller Rätsel …<br />

Julia Baier/CAvi-music<br />

16 3 . 08


3 . 08<br />

PIANONews: Ist Schuberts Klaviermusik Ihrer Meinung<br />

nach besser für den kleinen, intimen Rahmen geeignet<br />

oder für den großen Konzertsaal?<br />

Lars Vogt: Schubert hat sicher nicht an einen Saal<br />

mit 2.000 Leuten gedacht. Es sind musikalische<br />

Aussagen, die ins Intime gehören, und bei denen<br />

er vielleicht an Aufführungen in unserem heutigen<br />

Sinne überhaupt nicht dachte.<br />

PIANONews: Hören Sie Todesahnung aus dieser Musik<br />

heraus? Eine Art kompositorischen Zeitdruck?<br />

Lars Vogt: Ohne Frage steckt in den Drei Klavierstücken<br />

und der B-Dur-Sonate viel Endzeitlichkeit.<br />

Gerade in der Sonate ist es ganz offensichtlich: das<br />

abrupte Stocken gleich zu Beginn, das sich durch<br />

den ganzen ersten Satz zieht.<br />

PIANONews: Sollte es Ihrer Meinung nach ein Mindestalter<br />

für Pianisten geben, die Schubert spielen?<br />

Lars Vogt: Schubert war in meinem jetzigen Alter<br />

schon acht Jahre tot! Aber ohne Frage hat er eine<br />

Reife besessen, die einem normalen 28-Jährigen<br />

abgeht – allein durch die Lebensumstände und die<br />

Art seiner Erfahrungen. Ich denke, dass auch junge<br />

Menschen in der Lage sind, sich in solch eine<br />

Gedankenwelt einzufühlen. Auch jeder junge<br />

Mensch hat schließlich seine ganz persönlichen<br />

Erfahrungen mit dem Tod. Und dennoch kann ich<br />

nicht umhin, zu sagen, dass sich meine Interpretation<br />

des anderen großen Heiligtums, der Beethoven-Sonate<br />

op. 111, die ich schon sehr früh –<br />

mit 17, 18 Jahren – gespielt habe, natürlich in den<br />

letzten 20 Jahren ungeheuer gewandelt hat. Mit<br />

wachsender Lebenserfahrung tut sich noch einiges.<br />

PIANONews: Wie wichtig ist es Ihnen, sich in die Lebenserfahrungen<br />

des Komponisten einzufühlen, sich<br />

mit dessen Lebensgeschichte auseinanderzusetzen?<br />

Lars Vogt: Je älter ich werde, umso mehr interessiere<br />

ich mich für den Lebensweg und die Lebensumstände.<br />

Doch letzten Endes spricht eine Partitur<br />

so intensiv und so unmittelbar für sich – gerade<br />

bei starken Persönlichkeiten wie Mozart, Schubert<br />

oder Beethoven –, dass man eigentlich den Menschen<br />

durch die Partitur viel besser kennen lernt<br />

als durch jegliche Lebensdetails. Schuberts B-Dur-<br />

Sonate schildert ein gnadenloses Abschiedsszenario<br />

und strahlt Hoffnungslosigkeit aus, obwohl<br />

sie in B-Dur komponiert wurde!<br />

I NTERVIEW<br />

PIANONews: Wenn Sie das aus dem Notentext herauslesen,<br />

dann kann es doch keine Musik sein, die Sie<br />

aus dem Stand heraus, zu jeder Tages- und Nachtzeit<br />

spielen können? Braucht es eine mentale Vorbereitungsphase?<br />

Lars Vogt: Dem Musiker geht es ähnlich wie dem<br />

Schauspieler: Man muss relativ schnell in unterschiedliche<br />

Stimmungen eintauchen können. Aber<br />

natürlich ist es hilfreich, sich bei der B-Dur-Sonate<br />

ein kleines bisschen von der Welt zu lösen, einen<br />

ruhigen Atem zu finden, um auf diesem Strom der<br />

Ewigkeit am Anfang loszuschwingen.<br />

PIANONews: Die liedhafte Melodie zu Beginn des<br />

Lars Vogt Vogt<br />

im Gespräch Von: Maja Ellmenreich<br />

ersten Satzes, die durch den Todestriller abgebrochen<br />

wird, scheint fast dazu aufzufordern, mitzusingen.<br />

Lars Vogt: Ich stelle mir in der Tat ein gesungenes<br />

Lied am Anfang vor, um zu vermeiden, dass ich es<br />

mit Bedeutung überlade. Es besteht nämlich immer<br />

eine Gefahr, wenn man sich solch einem Heiligtum<br />

nähert: Man empfindet die ungeheure<br />

Spannung zwischen den einfachen Tönen und ist<br />

versucht, alles zu interpretieren.<br />

PIANONews: Welche Argumente haben Sie überzeugt,<br />

die Wiederholungen zu spielen?<br />

Lars Vogt: In der ersten Klammer gibt es Takte,<br />

die sonst überhaupt nicht gespielt würden. Und in<br />

diesen Takten erscheint besagter Todestriller ein<br />

einziges Mal nicht im äußersten Pianissimo, sondern<br />

im Sforzatissimo.<br />

PIANONews: Der wiederkehrende Todestriller, das<br />

wiederkehrende Lied. In Schuberts B-Dur-Sonate trifft<br />

der Zuhörer immer wieder auf Vertrautes. Birgt das<br />

nicht die Gefahr, die Orientierung zu verlieren?<br />

Lars Vogt: Das kann im Konzert zum Problem<br />

werden. Bei Schubert muss man schon sehr genau<br />

vor Augen haben, welche Wendung als nächste<br />

kommt. Sonst beginnt man, sich im Kreis zu drehen,<br />

und das Stück wird noch länger, als es ohnehin<br />

schon ist ... Dem Interpreten wird Geduld abverlangt<br />

und das Wissen, dass diese Musik auch<br />

davon lebt, dass Zeit vergeht. Diese repetitiven<br />

Töne, die schon zu Beginn in der Begleitfigur von<br />

der linken Hand gespielt werden, erinnern mich<br />

immer an das Ticken einer Uhr und stellen den<br />

Fluss der Zeit dar.<br />

PIANONews: Ist das ein souveräner Umgang mit der<br />

Zeit? Die Erkenntnis, dass ich die Zeit weder anhalten<br />

I<br />

17


I<br />

W. A. Mozart<br />

Sonaten, Fantasien, Rondos,<br />

Adagio b-Moll, Duport<br />

Variationen<br />

EMI CD 3360802<br />

Ludwig van Beethoven<br />

- Klavierkonzerte Nr. 1 + 2<br />

City of Birmingham<br />

Symphony Orchestra<br />

Ltg.: Sir Simon Rattle<br />

EMI CD 5562662<br />

- Sonaten op. 10/1, 111 + 32<br />

Variations c-Moll<br />

EMI CD 5561362<br />

I NTERVIEW<br />

noch beschleunigen kann, sondern sie als gegeben hinnehmen<br />

muss?<br />

Lars Vogt: Es ist sicher etwas Fatalistisches darin.<br />

Obwohl die Zeit hier ja immer mal wieder stehen<br />

bleibt: Der Rhythmus hört auf, es folgt ein dunkler<br />

Triller, und alles kommt zum Stillstand, ehe es wieder<br />

anfängt.<br />

PIANONews: Schmerz, Erschütterung und Traurigkeit<br />

sprechen besonders aus dem zweiten Satz. Ist er nicht<br />

teuflisch schwierig zu spielen?<br />

Lars Vogt: Technisch ist das alles nicht so problematisch.<br />

In der ganzen Sonate nicht, im letzten<br />

Satz noch am ehesten. Aber die Interpretation ist<br />

ungeheuer schwierig. Man fühlt sich schließlich in<br />

keiner Weise befreit nach dem ersten Satz und<br />

erreicht mit zugeschnürter Kehle den zweiten Satz,<br />

und dann folgt diese Viertelstunde Trauermusik.<br />

Nach dem ersten Satz ist alles emotional aufgerieben,<br />

und nach dem zweiten Satz ist alles wie vereist,<br />

aber nach dem Mittelteil kehrt es wieder<br />

zurück in diese Eisstarre. Nur ganz am Ende gibt es<br />

einen kleinen Hoffnungsausblick der Erlösung,<br />

eine Vision im äußersten Pianissimo in Cis-Dur.<br />

Aber zum Schluss kehrt es zurück in diese Eisesstarre.<br />

PIANONews: Können Sie nach solcher Eiseskälte das<br />

aufgedrehte Menuett überhaupt ertragen?<br />

Lars Vogt: Ich habe mir ein paar Aufnahmen angehört<br />

und finde, dass es häufig zu aufgedreht gespielt<br />

wird. Es ist zwar mit ‚Allegro vivace’ ein<br />

lebendiges Allegro, aber ‚con delicatezza’ zu spielen.<br />

Es fängt im Pianissimo an und bleibt dort eine<br />

Ewigkeit. Das allein lässt sich mit einer aufgedrehten<br />

Derbheit nicht vereinen. Doch die B-Dur-<br />

Sonate ist offenbar ein Stück, bei dem man interpretatorisch<br />

sehr unterschiedlicher Meinung sein<br />

kann.<br />

PIANONews: Wozu dienen Ihnen Aufnahmen anderer<br />

Pianisten – als Hilfsmittel, um noch präziser den<br />

Weg zur eigenen Interpretation zu finden?<br />

Lars Vogt - Auswahldiskografie<br />

Robert Schumann /<br />

Edvard Grieg<br />

Klavierkonzerte<br />

City of Birmingham<br />

Symphony Orchestra<br />

Ltg.: Sir Simon Rattle<br />

EMI CD 7547462<br />

Johannes Brahms<br />

- Klavierstücke op. 117, 118 +<br />

119<br />

EMI CD 5575432<br />

- Sonaten op. 1, op. 2 und<br />

Scherzo op. 4<br />

EMI CD 5573922<br />

- Sonate f-Moll op. 5, Ballades<br />

op. 10<br />

EMI CD 5571252<br />

Lars Vogt: Schuberts B-Dur-Sonate zählt seit meiner<br />

Jugend zu meinen Lieblingssonaten. Somit<br />

habe ich schon früh viele verschiedene Aufnahmen<br />

gekannt. Als ich dann beschlossen habe, sie<br />

zu lernen, habe ich erst einmal keine weiteren<br />

Aufnahmen gehört. Das ist für mich immer ganz<br />

wichtig, um meine ganz persönliche Meinung zu<br />

finden. Und wenn ich dann mit dem Stück noch<br />

nicht ganz auf der Bühne bin, dann interessiert es<br />

mich wieder, was Kollegen dazu zu sagen haben,<br />

wie sie die Probleme lösen und interpretatorische<br />

Fragen beantworten.<br />

Ihre Meinungen finde ich interessant. Aber im<br />

Grunde ist es mir egal, ob ich gegen oder mit dem<br />

Strom schwimme. Schließlich ist es immer eine<br />

persönliche Sicht. Und dadurch klingt es bei jedem<br />

Interpreten immer ein bisschen anders, weil jeder<br />

Mensch die Dinge anders empfindet. Aber letztlich<br />

bleiben wir alle Suchende. Auch der größte Meister<br />

kann nicht von sich behaupten, dass er bei<br />

solch einem Stück der Wahrheit ganz klar ins Auge<br />

geblickt hat. Man findet schlüssige und weniger<br />

schlüssige Interpretationen, aber wir sind alle<br />

Blinde, die im Suchen begriffen sind. Und wenn<br />

die großen Highlights der Interpretationsgeschichte<br />

entstehen, ist jemand einäugig gewesen. Das<br />

soll keine Kritik sein! Aber ich denke, dass es nicht<br />

die eine gültige Interpretation gibt. Die gibt es einfach<br />

nicht! Jede Interpretation ist anders, neu.<br />

Wenn man das Stück von einer anderen Seite beleuchtet,<br />

kann das dem Stück nur dienen.<br />

PIANONews: Robert Schumann hat über den vierten<br />

Satz gesagt „… als könne er gar kein Ende haben<br />

…“ Wie gefällt Ihnen das?<br />

Lars Vogt: Das ist ein schöner Satz. Ich liebe ohnehin<br />

die Schumann’schen Kommentare! Was im<br />

ersten Satz der Triller war, ist nun eine einzelne<br />

Oktave. Sie klingt in meinen Ohren wie ein<br />

„Nein“, das immer wiederkehrt. Es beginnt eine<br />

Art Tanz, der sich immer nur im Kreis dreht und<br />

sich nicht lösen kann.<br />

PIANONews: Bleibt eine Art Ratlosigkeit zurück?<br />

Robert Schumann<br />

Kreisleriana op. 16, Bunte<br />

Blätter op. 99<br />

EMI CD 5554252<br />

Joseph Haydn: Sonaten<br />

Hob. XVI/50<br />

Johannes Brahms:<br />

Klavierstücke op. 119<br />

Helmut Lachenmann:<br />

Schubert-Variationen<br />

Franz Schubert: Sonaten<br />

op. 78<br />

EMI CD 7544462<br />

Joseph Haydn<br />

Sonaten Nr. 15, 33, 36, 37<br />

EMI CD 5550092<br />

Die aktuelle CD<br />

Franz Schubert<br />

Sonate B-Dur D 960<br />

Drei Klavierstücke D 946<br />

CAvi-music 4260085530984<br />

(Vertrieb: JaKlar!)<br />

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3 . 08<br />

Lars Vogt: Genau. Mit den Sechzehntel-Figuren<br />

scheint es gar kein Ende zu nehmen. Doch dann<br />

folgt eine typisch Schubert’sche Generalpause und<br />

ein Ausbruch von markerschütternder Verzweiflung.<br />

Er hält für etwa 20 Takte an, bevor es in ein<br />

seliges Pianissimo geht, das auch nicht enden will.<br />

Aber das wirkliche Rätsel kommt am Schluss: ein<br />

heiterer, fröhlicher Rausschmeißer.<br />

PIANONews: Kann man Brecht zitieren: Der Vorhang<br />

zu, und alle Fragen offen!<br />

Lars Vogt: Ja, vielleicht. Der Schluss wirkt auf<br />

mich wie bloßer Trotz. Aus den letzten Akkorden<br />

höre ich so etwas heraus wie „Kopf ab!“ Damit<br />

lässt uns Schubert zurück! Auch wenn in der Interpretation<br />

eines solchen Stückes viel Meinung, viel<br />

Persönliches steckt, glaube ich, dass trotzdem bestimmte<br />

Fragen nur angerissen werden, die man<br />

nie klären kann. Ein Stück voller Rätsel!<br />

PIANONews: Die Drei Klavierstücke geben auf andere<br />

Weise ein Rätsel auf. Wie nehmen Sie sie wahr, als<br />

drei einzelne, jeweils in sich abgeschlossene Stücke, die<br />

halt hintereinander gespielt werden?<br />

Lars Vogt: Man kann sie sicher auch mal einzeln<br />

spielen. Ich habe vor kurzem, als ein Programm<br />

nicht das gesamte Werk mit gut 30 Minuten<br />

zuließ, den frevelhaften Gedanken gehegt, nur das<br />

erste und das dritte Stück zu spielen, habe es dann<br />

aber doch nicht gemacht. Schließlich ergeben sie<br />

einen eigentümlichen Bogen.<br />

Die zwei Mittelteile im ersten Stück spiele ich<br />

beide, auch wenn der zweite nicht in der Erstausgabe<br />

abgedruckt ist. Ich spiele ihn aber, weil ich<br />

ihn sehr gut finde. Ich habe den Verdacht, dass<br />

Schuberts Freunde mal wieder gesagt haben: „Das<br />

ist zu lang, das kannst du nicht machen!“.<br />

Mit dem zweiten Stück folgt eine ganz friedliche,<br />

aber auch schmerzliche Melodie, die ganz dunkle,<br />

innige Mittelteile hat. Und zum Schluss ein Stück,<br />

das wie ein Scherzo wirkt.<br />

PIANONews: Erlauben Sie sich, ein Lieblingsstück unter<br />

diesen dreien zu haben?<br />

Lars Vogt: Am ehesten das zweite, wegen der<br />

wunderschönen Melodien in den Außenteilen und<br />

der Gespensterstimmung in den Mittelteilen. Die<br />

spiele ich besonders gerne.<br />

PIANONews: Worin besteht für Sie bei diesem Repertoire<br />

der Unterschied zwischen der Aufnahmesituation<br />

allein im Studio und der Konzertsituation vor<br />

Publikum?<br />

Lars Vogt: Ich habe mich bei der B-Dur-Sonate darum<br />

bemüht, dass mir das Gefühl eines Bogens<br />

vom ersten bis zum letzten Ton nicht verloren<br />

geht. Darum habe ich sie auch bei der Aufnahme<br />

mehrmals komplett gespielt. Damit ich mich nicht<br />

in den Kleinigkeiten verliere, um zu vermeiden,<br />

aus jeder Stelle das Äußerste herauszuquetschen,<br />

sondern darauf zu schauen, dass alles seinen Platz<br />

in einem Gesamtbild hat. Das war mir hier beson-<br />

I NTERVIEW<br />

ders wichtig, deshalb kommt es einem Konzertdurchlauf<br />

besonders nah. In einem Konzert – so<br />

sehr man sich da auch bemüht, zu sich selber zu<br />

finden – befindet man sich immer in einer<br />

Dialogsituation mit dem Publikum. Das ist gut so,<br />

wenn es einen nicht zu zappelig macht oder<br />

ablenkt. Man darf vom Kern nicht abkommen –<br />

besonders bei der B-Dur-Sonate.<br />

PIANONews: Eignet sich die Aufnahmesituation –<br />

ganz allein im Saal, nur von Mikrofonen umgeben –<br />

für diese Schubert-Sonate dann besonders gut?<br />

Lars Vogt: Das ist eine andere Situation, in der ich<br />

für mich bin, in mich hineinhören kann. Es<br />

herrscht absolute Stille, ich höre mein eigenes<br />

Herz klopfen und kann mich auf die Suche begeben.<br />

So empfinde ich es häufig, wenn ich mich im<br />

Studio an den Flügel setze, das rote Licht sehe und<br />

mir sage: Na, dann suche ich mal …<br />

Die Konzertsituation zuvor benötige ich als Vorbereitung<br />

für die Aufnahme. Da ist es mir sehr wichtig,<br />

das Gesamtbild der Komposition vor Augen zu<br />

haben, zu wissen, wie es sich anfühlt, wenn diese<br />

Zeit vergeht. Wenn ich etwas zu Hause spiele,<br />

kann ich jederzeit unterbrechen. Aber im Konzert<br />

muss ich das Bild vom ersten bis zum letzten Ton<br />

entwerfen. Ich muss physisch diese Anstrengung<br />

spüren, diese Qual und unglaubliche Freude zugleich.<br />

www.larsvogt.de<br />

I<br />

19


A<br />

A NSICHTEN<br />

Schuberts unvollendete Klaviersonaten (2)<br />

Mit dieser Ansicht bin ich vollkommen<br />

einverstanden. Es<br />

wäre undenkbar, eine ,komplette’<br />

Schubertsonaten-Serie aufzuführen<br />

oder aufzunehmen, ohne die<br />

Unvollendeten einzuschließen; ich habe<br />

sie in meiner Aufnahme (Schubert<br />

– Complete Piano Sonatas, Hungaroton<br />

HCD 41006) mit einbezogen und<br />

spiele sie auch öfter in Konzerten.<br />

Wenn man bedenkt, dass Schuberts<br />

Sonaten vor den 1930er Jahren fast<br />

nie gespielt wurden (hauptsächlich<br />

dank Artur Schnabel und Eduard<br />

Erdmann kamen sie langsam ins Repertoire),<br />

wäre es jetzt höchste Zeit,<br />

diese wundervollen Werke auch wieder einzuführen.<br />

Aber leicht ist diese Aufgabe nicht. Es gibt viele<br />

Probleme und Rätsel, die wahrscheinlich nie mit<br />

absoluter Sicherheit gelöst werden können. In der<br />

Tat sind die meisten der ein-<br />

zelnen Sätze komplett; nur<br />

eine Handvoll sind unvollendet<br />

geblieben. Das Problem<br />

ist eher, welche zusammengehören,<br />

um ein fertiges<br />

drei- oder viersätziges Werk<br />

zu gestalten? Und welche der<br />

unvollendeten Sätze waren<br />

evtl. als echtes Fragment gedacht?<br />

Welche, die Schubert<br />

beiseitelegte, um erst später weiterzuschreiben<br />

(was er dann aus irgendeinem Grund vergaß)?<br />

Welche waren für eine bestimmte Sonate bestimmt,<br />

die dann nicht zustande kam usw. usw.<br />

Bevor wir aber an die einzelnen Werke herangehen,<br />

wollen wir diese Probleme kurz unter die Lupe<br />

nehmen.<br />

In den Jahren zwischen 1815 und 1817 haben<br />

wir aus Schuberts Hand 14 Sätze in E-Dur oder e-<br />

Moll. Diese Sätze sind meistens vollständig, doch<br />

in keinem einzelnen Fall können wir feststellen, ob<br />

Schubert aus diesen oder jenen eine zusammengehörige<br />

Sonate machen wollte. Darüber herrschen<br />

seit Jahren die größten Verwirrungen und<br />

Kontroversen (z. B. im Falle der sogenannten Fünf<br />

Klavierstücke D 459). Dann gibt es gewisse Werke,<br />

wo die meisten Experten einverstanden sind, dass<br />

sie als echte mehrsätzige Werke konzipiert wurden<br />

(so die f-Moll-Sonate D 625, die fis-Moll Sonate D<br />

571 und die C-Dur-Sonate D 279). Die As-Dur-<br />

Sonate D 557 ist ein komplettes dreisätziges Werk;<br />

sie wurde meiner Ansicht nach irrtümlicherweise<br />

Von: Malcolm Bilson<br />

In PIANONews 6-2007 schreibt Gottlieb Wallisch höchst sympathisch über die sogenannten<br />

,unvollendeten’ Sonaten Franz Schuberts. Laut Wallisch sind dies nicht nur Werke, die unbedingt<br />

in den ,Kanon’ aufgenommen zu werden verdienen, sondern manche zeigen leidenschaftliche<br />

Tendenzen, die in den vollendeten Sonaten fast nicht anzutreffen sind und sie in<br />

mancher Hinsicht sogar übertreffen.<br />

„Die romantische Dichtart ist<br />

noch im Werden; ja das ist ihr<br />

eigentliches Wesen, daß sie ewig<br />

nur werden, nie vollendet sein<br />

kann.“<br />

Friedrich Schlegel<br />

in die Reihe der Unvollendenten gestellt,<br />

wegen der ungewöhnlichen<br />

Tonartfolge: erster Satz in As-Dur,<br />

zweiter Satz in Es-Dur und dritter Satz<br />

gleichfalls in Es-Dur (so ein Tonartenverhältnis<br />

taucht jedoch bereits bei<br />

C. P. E. Bach auf). Die sogenannte ,Reliquie’-Sonate<br />

D 840, das vielleicht<br />

größte und wichtigste unter diesen<br />

Werken, bleibt ein Sonderfall. Fangen<br />

wir bei ihr an.<br />

Das Autograph dieses Werkes<br />

scheint eine Reinschrift zu sein (d.h.<br />

sauber ausgeschrieben, fertig zum<br />

Setzen beim Verleger), aber vielleicht<br />

doch nicht ganz. Bei Schubert ist es oft<br />

nicht klar, ob wir einen Entwurf oder eine<br />

Reinschrift vor uns haben. Zwei Sätze, der erste<br />

und der zweite, sind komplett ausgeschrieben,<br />

darüber hinaus gibt es noch zwei weitere, nicht zu<br />

Ende geführte Sätze. Die thematische Verwandtschaft<br />

zu der im<br />

selben Jahr komponierten<br />

a-Moll-Sonate D 845<br />

ist evident, und manche<br />

sehen den ersten Satz<br />

von D 840 als einen Entwurf<br />

oder eine Skizze<br />

zum ersten Satz von D<br />

845. Doch das kann<br />

kaum der Fall sein – der<br />

erste Satz von D 840 ist<br />

ein monumentales, fantastisches Werk von höchster<br />

Originalität, das Donald Francis Tovey „the<br />

most subtle thing Schubert ever wrote“ nannte. Zwei<br />

komplette Sätze also, dann weitere unvollendete<br />

Sätze – die Lage ist fast identisch zu der großen<br />

,Unvollendeten’ h-Moll-Sinfonie D 579.<br />

Als Schubert 1822 ein Ehrendiplom von der Steierischen<br />

Gesellschaft der Musikfreunde in Graz erhielt,<br />

übersandte er ihnen diese unvollendete<br />

Sinfonie trotz der Tatsache, dass er viele fertige<br />

Werke bereit hatte! Eine hochangesehene Aesthetik<br />

des Fragmentes (siehe F. Schlegel) scheint damals<br />

in den deutschsprachigen Ländern eine große<br />

Rolle gespielt zu haben (auch öfter bei Schumann,<br />

siehe z. B. das erste Lied ,Im Wunderschönen Monat<br />

Mai’ aus der „Dichterliebe“, das schwebend in der<br />

Dominante endet). Ich fasse also die Reliquie als<br />

ein zweisätziges, unfertiges Werk auf: ein Fragment<br />

im Schlegel’schen Sinne, eine Hypothese, die niemals<br />

weder widerlegt noch bestätigt werden kann.<br />

Der dritte Satz, ein Menuetto, ist eines von Schuberts<br />

abenteuerlichsten und weitschweifigsten<br />

20 3 . 08


3 . 08<br />

kompositorischen Gefügen; von allen unvollendeten<br />

Sätzen in Schuberts Klavierschaffen gibt die<br />

Vervollständigung dieses Satzes das größte Rätsel<br />

auf. Ein Satz, der in As-Dur anfängt, gleich nach<br />

ein paar Takten in A-Dur übergeht, dann eine<br />

Durchführung nach Ges-Dur durch alle möglichen<br />

Tonarten, endlich eine Reprise in A-Dur, die mit<br />

der Anmerkung abbricht etc. etc; ein echtes Puzzle!<br />

(In meiner Aufnahme gebe ich meine vervollständigte<br />

Version bloß als Anhang.)<br />

Aber gerade dieses etc. etc. bringt uns zu der<br />

Frage, ob man vervollständigen soll oder nicht;<br />

was hatte Schubert damit gemeint? Viele Aufführungen<br />

der unvollendeten Sätze brechen dort ab,<br />

wo auch Schubert abbricht (Wallisch, Richter,<br />

Schiff, auch Rudolf Serkin). Als Grund dafür<br />

äußert sich Gottlieb Wallisch bündig: „(Es) ... stand<br />

für mich fest, bei den Aufnahmen ausschließlich Schuberts<br />

reinen Text, ohne jegliche Ergänzungen, spielen<br />

zu wollen. Denn die Schroffheit und Kühnheit dieser<br />

Musik liegt eben in ihrer Unvollständigkeit.” Einige<br />

von uns (Paul Badura-Skoda, Noël Lee, ich selber)<br />

sehen die Lage etwas anders und finden, dass<br />

diese fragmentarischen Sätze ergänzt werden müssen;<br />

nur so kann die volle Kraft der ,Schroffheit<br />

und Kühnheit’ zur Geltung kommen!<br />

Diejenigen Sätze, die abbrechen (und es sind ja<br />

schließlich nicht so viele), tun dies meistens knapp<br />

vor der Reprise. Schubert schreibt in jedem Fall bis<br />

zum Ende der Durchführung, zu einem Punkt, an<br />

dem man leicht die Reprise eher mechanisch ausschreiben<br />

könnte. In seinen kompletten Sätzen<br />

verfährt Schubert aber selten in dieser Weise, immer<br />

kommt irgendein wunderbar unerwartetes<br />

harmonisches Rücken, eine überraschende neue<br />

Wendung zum Entzücken des aufmerksamen<br />

Ohres. Für den Ergänzer ist das gleichzeitig aufregend<br />

und einschüchternd; man will ja Schuberts<br />

Sprache, die oft so knifflig und erfinderisch ist, völlig<br />

kennen und ihr treu bleiben.<br />

Schubert ganz treu zu bleiben, ist aber nicht nur<br />

bei den Ergänzungen ein Problem. Was die Quellen<br />

angeht, ist die Lage sehr gut; wir haben für die<br />

meisten dieser Sätze ein Autograph in Schuberts<br />

Hand. Doch kann ich manches Detail nicht ganz<br />

akzeptieren: ein dynamisches Zeichen, ein # oder<br />

b, eine Note oder einen Bindebogen – manchmal<br />

habe ich das sichere Gefühl, Schubert hätte sie<br />

später emendiert. Er scheint sehr schnell geschrieben<br />

zu haben, oftmals pflegte er dann später hier<br />

oder da eine Kleinigkeit zu ändern oder zu verbessern,<br />

so dass bei den späteren Werken, für die es<br />

eine Reinschrift gibt, solche Fragen fast nicht mehr<br />

auftauchen.<br />

Man wird z. B. nie mit Sicherheit sagen können,<br />

dass irgendwelche Sätze unbedingt zusammengehören,<br />

um eine mehrsätzige Sonate zu bilden, oder<br />

dass Schubert meine oder andere Ergänzungen<br />

gebilligt hätte, dass ein gewisser Akkord Moll oder<br />

Dur sein soll, usw. So werden alle diese Aspekte zu<br />

einer Interpretation, gleich allen Aspekten jeder Interpretation,<br />

die zur persönlichen Aussprache<br />

eines aufführenden Künstlers gehören. Meine<br />

Ergänzungen sind persönlich wie alle anderen<br />

interpretatorischen Faktoren auch – ich nehme<br />

kein Urheberrecht darauf in Anspruch und habe<br />

A NSICHTEN<br />

keine neue Ausgabe gemacht. Schuberts Musik ist<br />

schließlich eine höchst persönliche; ich habe versucht,<br />

sie persönlich aufzufassen.<br />

******<br />

Ein paar Bemerkungen zu den anderen Werken:<br />

Für die f-Moll-Sonate D 625 (als Schuberts ,Appassionata’<br />

bekannt) ist das Autograph verschollen.<br />

Wir haben eine zeitgenössische Abschrift des<br />

ersten Satzes (dieser bricht vor der Reprise ab) eines<br />

Scherzos in E-Dur (vermutlich ein dritter Satz)<br />

und eines fast vollständigen Finales, wiederum in<br />

f-Moll. Das Des-Dur-Adagio D 505 aus einer anderen<br />

Handschrift gehörte laut Schuberts Bruder<br />

Ferdinand an die zweite Stelle. Ich spiele das Werk<br />

dreisätzig, wobei ich das E-Dur-Scherzo weglasse.<br />

Dieser Satz scheint mir nicht hierherzugehören,<br />

und weist an manchen Stellen satztechnische und<br />

harmonische Ungeschicklichkeiten auf. Zweitens<br />

schreibt Schubert im ersten Satz wie in anderen<br />

unvollendeten Sonatensätzen Exposition und<br />

Durchführung völlig aus, bricht aber hier knapp<br />

vor der Reprise mit zwei unbegleiteten Tönen (f’,<br />

g’) in der rechten Hand ab. Diese Töne können<br />

unmittelbar in den zweiten Satz leiten, also ohne<br />

Reprise im ersten Satz!<br />

Diese Idee stammt von Andreas Krause, der in<br />

einem hochinteressanten und kontroversen Buch<br />

Die Klaviersonaten von Franz Schubert (Bärenreiter,<br />

1992) das Konzept vorlegt, dass Schubert in einigen<br />

Fällen, wo die Musik abbricht, einfach in den<br />

nächsten Satz leiten wollte (so z. B. am Ende des<br />

ersten Satzes der Wandererfantasie). Für D 625<br />

schien mir diese Idee völlig überzeugend, besonders<br />

nach der nicht nur in der Harmonik, sondern<br />

auch im musikalischen Stoff sehr weitschweifenden<br />

fantastischen Durchführung des ersten Satzes.<br />

Da die Durchführung am Ende in F-Dur landet,<br />

wird eine Reprise in der Subdominante b-Moll<br />

stark suggeriert (die meisten Ergänzungen sind<br />

diesen Weg gegangen); man ist aber dann<br />

gezwungen, diese zwei einleitenden Töne f’ g’ wegzulassen.<br />

Ferner hat Schubert am Ende der Exposition<br />

im ersten und dritten Satz nur die ersten<br />

A<br />

21


A<br />

Malcolm Bilson<br />

Foto: Ellen Zaslaw<br />

Wiederholungen ausgeschrieben. Ich habe an beiden<br />

Stellen die zweite in die Durchführung leitende<br />

Wiederholung harmonisch geändert.<br />

Sonate in e-Moll, D 566 – ich spiele dieses Werk<br />

zweisätzig; es erinnert an Beethovens Opus 90 in<br />

der gleichen Tonart, das zwei Jahre früher entstand.<br />

Ich finde, Schubert verfährt hier ganz wie<br />

Beethoven: ein dramatischer erster Satz in Moll,<br />

gefolgt von einem lyrischen zweiten in Dur. Ein<br />

wunderbares, sinnliches Stück, voll von schubertischen<br />

Feinheiten!<br />

Die Sonate in E-Dur D 459 ist ebenfalls ein lyrisches<br />

Werk; es wurde 1816 komponiert und erst<br />

1843 unter dem Titel Fünf Klavierstücke veröffentlicht.<br />

Diese 1843er-Ausgabe gibt folgende Sätze<br />

an: Allegro moderato in E (I), Allegro (Scherzo) in E<br />

(II), Adagio in C (III), Scherzo in A (IV) und Allegro<br />

patetico in E (V). (II) weist in den meisten Ausgaben<br />

das Wort „Scherzo“ auf, was kaum verständlich<br />

ist, da der Satz keineswegs ein Scherzo ist<br />

– er scheint ein Finalsatz zu sein und ich spiele ihn<br />

als solchen an vierter Stelle. (I) scheint selbstverständlich<br />

ein Kopfsatz zu sein, (III) und (IV) Mittelsätze,<br />

also eine ,normale’ viersätzige Disposition.<br />

Das an 5ter Stelle stehende Allegro patetico<br />

scheint ein gewichtiger Kopfsatz zu sein – hatte<br />

Schubert vielleicht vor, seine eigene „Sonate<br />

Pathétique“ zu schreiben? Und welche sind dann<br />

die anderen dazugehörigen Sätze?<br />

Bei der höchst originellen fis-Moll-Sonate D 571<br />

ist die Quellenlage noch komplizierter. Das Autograph<br />

vom ersten Satz vom Juli 1817 lautet<br />

„Sonata V“ (doch welche sind die früheren vier?),<br />

A NSICHTEN<br />

CD-Hinweis<br />

Franz Schubert<br />

Sämtliche Klaviersonaten<br />

Malcolm Bilson, Fortepiano<br />

Hungaroton 41006 (7 CDs)<br />

(Vertrieb: Klassik Center)<br />

das Autograph vom<br />

Andante weist kein<br />

Datum auf, Scherzo<br />

und Finale (in umgekehrter<br />

Reihenfolge)<br />

sind auf einem dritten<br />

Blatt, gleichfalls ohne<br />

Datum, erhalten. Es<br />

liegt jedoch auf der<br />

Hand, dass diese<br />

Sätze alle zusammengehören,<br />

u. a. weil fis-<br />

Moll eine damals so<br />

seltene Tonart für<br />

eine Sonate war.<br />

Der erste Satz ist ein<br />

unvergessliches, fast<br />

hypnotisches Werk,<br />

ständige fortlaufende<br />

Achtel vom Anfang<br />

bis zum Ende, und<br />

scheint ein Vorbote<br />

des Hauptthemas der großen vierhändigen f-Moll-<br />

Fantasie D 940 aus Schuberts letztem Lebensjahr<br />

zu sein. Bei diesem wie auch beim letzten unvollendeten<br />

Satz sind gewichtige Erwägungen für den<br />

Interpreten im Spiel. Schon erwähnt wurde die<br />

Tatsache, dass Schubert öfters wunderbare neue<br />

Wendungen bei seinen Reprisen einbringt; bei dieser<br />

Sonate schien es darüber hinaus angebracht,<br />

für beide unvollständigen Sätze eine angemessene<br />

Koda zu komponieren. Während der erste Satz<br />

eine traumhafte, schwindende Koda zu verlangen<br />

scheint, muss das Finale eine eher brillante, virtuose<br />

haben, ähnlich den Kodas von der a-Moll-<br />

Sonate (D 845) oder der B-Dur-Sonate (D 960).<br />

*************<br />

Schubert bleibt für mich einer der ,persönlichsten’<br />

aller Komponisten. Bei meinen Aufführungen und<br />

Einspielungen seiner Werke ist es, als ob er, ein<br />

guter Freund, bis vor wenigen Monaten gelebt hat;<br />

jetzt ist er tot und es bleibt meine Aufgabe, anderen<br />

seine Musik zu vermitteln. Es ist ein wunderbares<br />

Unternehmen, vielleicht voll von gefährlichen<br />

Klippen, doch kann fast keine andere Musik uns in<br />

gleicher Weise erfüllen. Und dazu gehören diese<br />

abenteuerlichen, sinnlichen, bis jetzt fast vergessenen<br />

Kompositionen: seine unvollendeten Klaviersonaten.<br />

Ich will hoffen, diese zwei Artikel werden<br />

die Leser dazu anregen, sie auszugraben um zu<br />

neuen, individuellen und persönlichen Auffassungen<br />

zu gelangen.<br />

22 3 . 08


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J<br />

Von: Tom Fuchs<br />

J AZZ-INTERVIEW<br />

Christoph Stiefel<br />

„Schwieriges leicht klingen lassen.“<br />

Musik, die komplex und einfach, intellektuell und emotional, abstrakt und sinnlich ist – ein<br />

Widerspruch? Nicht für Christoph Stiefel. Der Schweizer Pianist erläutert, wie er nach<br />

anfänglichen Schwierigkeiten sein Konzept der „Isorhythmie“ in einen Jazzkontext bringen<br />

konnte.<br />

PIANONews: Herr Stiefel, Isorhythmie – was genau<br />

hat man sich darunter vorzustellen?<br />

Christoph Stiefel: Der Begriff stammt nicht von<br />

mir, er bezeichnet Kompositionstechnik für Kirchenmusik<br />

aus der Zeit der Renaissance. Es geht<br />

darum, dass man mit einer wiederholenden Melodik,<br />

die nicht kongruent ist mit der ihr zugrund<br />

liegenden Rhythmik, verschiedene rhythmische<br />

Ebenen oder Illusionen erzeugen kann. Also eine<br />

Art Polyrhythmik, aber basierend nur auf der Melodie,<br />

auf einem melodischen Pattern.<br />

PIANONews: Wie floss dieser theoretische Unterbau<br />

in die konkrete Praxis ein?<br />

Christoph Stiefel: Eigentlich durch Zufall. Ich hab’<br />

das nicht studiert und dann angefangen isorhythmisch<br />

zu spielen, sondern umgekehrt. Ich habe<br />

einmal ein Stück komponiert, „Sweet Paradox“,<br />

das war „Isorhythm No. 1“, zunächst nur für die<br />

rechte Hand und dann für die linke separat und<br />

habe gedacht, mein Gott, wenn ich das jemals<br />

spielen könnte ... Zu der Zeit war ich gleichzeitig in<br />

einem Kurs für Weiterbildung in Komposition. Als<br />

dann Kompositionsgeschichte behandelt wurde,<br />

erzählte der Dozent etwas von Isorhythmie. Da<br />

hat es bei mir geklickt, weil ich ja solch ein Stück in<br />

der Schublade liegen hatte. Der Professor hat mir<br />

dann bestätigt, dass ich ein veritables Stück Isorhythmie<br />

geschrieben hatte – ohne es zu wissen.<br />

PIANONews: Wie sind Sie darauf gekommen, dies<br />

zur Grundlage für Ihre eigene Musik zu machen?<br />

24 3 . 08


Christoph Stiefel: Meine großen Stärken sind<br />

Rhythmus und Melodie. Oft ist es doch so: Immer<br />

wenn es rhythmisch komplex wird, dann entsteht<br />

mitunter ganz unzugängliche Musik, finde ich<br />

jedenfalls. Niemand weiß dann so genau, wo die<br />

„Eins“ liegt. Das hat mich alles nicht interessiert,<br />

aber ich wollte schon die Grenzen des Rhythmus<br />

ausloten, das war mein Ziel. Und dann habe ich so<br />

ein Vehikel kreiert und festgestellt: Mensch, so<br />

spielt ja sonst niemand. Das macht sehr viel Spaß,<br />

aber ich musste mir das alles sehr hart erarbeiten.<br />

PIANONews: Sicher ein langwieriger Prozess für<br />

jemanden, der bislang herkömmlichen Jazz gespielt<br />

hatte.<br />

Christoph Stiefel: Ja, es mögen so um die 10 Jahre<br />

gewesen sein. Ich hatte mich aber nicht nur auf<br />

dieses Konzept fokussiert, sondern immer mal wieder<br />

ein Stück komponiert. Es war aber unspielbar,<br />

weil man letztlich eine Illusion kreiert, die man<br />

selber zwar spielen muss, aber man darf dem ja<br />

nicht zu sehr nachspüren, weil man ja sonst selbst<br />

in der Illusion drin ist. Ich musste immer im Zentrum<br />

bleiben und alles rundherum kreieren, aber<br />

immer noch den Grundbeat spüren können. Bei<br />

der Komposition ging das ja noch, aber bei der Improvisation<br />

tauchten ständig neue Polyrhythmen<br />

auf, was extrem schwierig zu spielen war. In den<br />

ersten Jahren hat es mich oft regelrecht rausgehauen.<br />

So will man ja nicht unbedingt auf die<br />

Bühne, weil es auch für den Zuhörer Stress bedeutet,<br />

zu hören, wie der Musiker kämpft [lacht]. Aber<br />

ich machte dann einfach weiter und spielte live<br />

auch immer mal wieder eine isorhythmische<br />

Komposition, und habe schnell gemerkt, o.k., für<br />

die Musiker ist das sehr schwer, eine am Abend<br />

geht und das reicht dann auch. Aber irgendwann<br />

hab’ ich den Mut haben müssen, zu sagen, jetzt<br />

hast du das 10 Jahre so ein bisschen nebenher gemacht,<br />

also entweder machst du das jetzt richtig,<br />

oder du kannst gleich damit aufhören. Wenn du<br />

es jedoch richtig machen willst, musst du alle deine<br />

Energie darauf verwenden, sonst kriegt man es<br />

nicht dorthin, wo es sein soll, vom Spiel her. Dann<br />

habe ich in Willisau ein Solokonzert von Michel<br />

Petrucciani gehört. Nun bin ich nicht gerade ein<br />

großer Fan von ihm, aber zu erleben, wie er seine<br />

J J<br />

AZZ-INTERVIEW<br />

Musik gespielt hat, das war schon fantastisch. Er<br />

hat das Maximum von dem herausgeholt, was<br />

seine Musik aussagt. Da ging mir ein Licht auf: Ich<br />

muss meine Musik so spielen können wie er seine,<br />

mit dieser Leidenschaft, da muss ich unbedingt<br />

hin. Das bedeutete aber auch einen radikalen<br />

Schnitt, ich musste also einige Projekte fallen lassen.<br />

PIANONews: Was ist Ihrer Meinung nach dann das<br />

Unvergleichliche an der Isorhythmie?<br />

Christoph Stiefel: Das Gegenteil von dem, was ich<br />

zunächst befürchtet hatte, fand statt: Es war überhaupt<br />

nicht monoton, sondern je weiter ich mich<br />

mit der Isorhythmie beschäftigt habe, umso interessanter<br />

wurde es. Und die Herausforderungen<br />

wurden immer größer. Vergleichbar mit dem<br />

Hörerlebnis Bach: Wenn man ihn einfach so ein<br />

bisschen hört und man hat keine rechte Ahnung<br />

davon, denkt man vielleicht: Ach, das klingt alles<br />

irgendwie ähnlich. Aber wenn man sich einmal<br />

mit einem bestimmten Stück näher beschäftigt, gehen<br />

auf einmal Welten auf. Und so ist es mir letztlich<br />

mit meinem eigenen Projekt ergangen. Die<br />

Reaktionen des Publikums bei unseren Konzerten<br />

zeigen mir zudem, dass ich auf einem richtigen<br />

Weg bin.<br />

PIANONews: Mittlerweile scheinen Sie ein solches<br />

Level erreicht zu haben, dass man gelegentlich meint,


J<br />

7meilenstiefel (2006)<br />

Isorhythms for Solo Piano (2007)<br />

J AZZ-INTERVIEW<br />

zwei Pianisten zu hören, wie bei dem Stück „Isorhythm<br />

No. 4“...<br />

Christoph Stiefel: Bei den neueren Stücken kann<br />

es wirklich zwei Jahre dauern, bis ich sie aufnehme,<br />

also auch jetzt noch, nachdem ich doch<br />

eigentlich diese Sache schon so lange betreibe. Es<br />

muss halt für meine Begriffe sehr gut spielbar sein,<br />

dass die Leute das Gefühl haben, wenn sie mich<br />

hören, es sei ganz einfach. Es darf einfach kein<br />

Gefühl beim Hörer aufkommen, dass dies sehr<br />

schwierig ist. Es kommt auch niemand nach einem<br />

Konzert und fragt nach den technischen Schwierigkeiten.<br />

In finde, das ist eigentlich ein gutes<br />

Zeichen. Es gibt verschiedene Phasen, bis ein Stück<br />

so weit ist. Das eine ist der ganze kompositorische<br />

Aspekt, nämlich von einer rhythmischen Idee ausgehend<br />

ein wirkliches Stück Komposition zu schaffen,<br />

das sich organisch entwickelt, und wobei ich<br />

auch auf nichts von dem, was Jazz wirklich ausmacht,<br />

verzichten muss.<br />

PIANONews: Was genau meinen Sie damit, das<br />

Gefühl für Swing?<br />

Die aktuelle CD<br />

Christoph Stiefel Trio<br />

Inner Language<br />

Neuklang 4025<br />

(alle bei Neuklang/SunnyMoon<br />

erschienen)<br />

Christoph Stiefel: Ja, das<br />

auch, aber nicht im Sinne<br />

von einem Walking Bass<br />

oder so, ich meine eher<br />

die Mittel der Improvisation.<br />

Ich will ja keine Minimal<br />

Music machen, ich<br />

will mir die Freiheit nehmen<br />

können, das Ausgangsmaterial<br />

zu formen,<br />

zu gestalten. Ich möchte<br />

nicht die ganze Jazzharmonik<br />

aufgeben, all diese<br />

Dinge. Nehmen wir zum<br />

Beispiel das Titelstück der<br />

neuen CD, „Inner Language“,<br />

das sind zunächst<br />

drei Takte in Siebenviertel<br />

mit einer Überlagerung.<br />

Das klingt am<br />

Schluss ganz einfach, außer<br />

man zählt und denkt,<br />

was ist denn hier los. Es<br />

ist extrem komplex und<br />

schwierig zu spielen. Die<br />

erste große Arbeit für<br />

mich besteht darin, das Stück als in sich rund zu<br />

entwickeln, und daneben den Spaß am Spiel nicht<br />

zu verlieren. Und dann besteht noch einmal ein<br />

großer Unterschied, ob ich nun solo spiele oder<br />

mit der Band.<br />

PIANONews: Wie stehen die Mitspieler zu Ihrem<br />

Konzept?<br />

Christoph Stiefel: Anfangs war es schwer, sie dafür<br />

zu gewinnen, aber dann haben sie gemerkt,<br />

dass das keine fixe Idee von mir ist, sondern aus<br />

innerer Überzeugung geschieht. Wir sind aber<br />

insoweit offen zu reagieren, wenn an einem Abend<br />

das Publikum eher reserviert auf die Isorhythmen<br />

reagiert. Dann können wir auch schon mal einen<br />

Jazztune spielen und lassen das Konzept ganz beiseite.<br />

Ich möchte nicht auf die Bühne gehen und<br />

nur Komposition spielen, wie etwa mein Kollege<br />

und Freund Nik Bärtsch. Das ist so weit auch in<br />

Ordnung, aber es ist nicht mein Ansatz.<br />

Diskographie (Auswahl) Aktuelle Konzertdaten<br />

Konzerte mit dem „Inner Language Trio“<br />

17.05. Winterthur (CH), Gaswerk<br />

20.05. Kassel, Theaterstübchen<br />

21.05. Köln, Loft<br />

22.05. Frankfurt, Jazzkeller<br />

23.05. Stuttgart, BIX Jazzclub<br />

25.05. Bern (CH), Turnhalle im „Progr“<br />

22.09. Wallisellen (CH), Musikfesttage<br />

30.09. Frauenfeld (CH), Generations Jazzfestival<br />

03.10. Luzern (CH), Casino<br />

24.10. Schaffhausen (CH), Sommerlust<br />

06.12. Rostock, Jazzbühne<br />

26 3 . 08


88<br />

MULTISAMPLE<br />

128<br />

ESCAPEMENT<br />

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PURER LUXUS!<br />

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HP207e-EPE


K K LAVIERBAU<br />

In diesem Artikel schreibt Richard Dain über die Entwicklung des Einsatzes von Kohlefaser im Klavierbau,<br />

der immer interessanter wird und momentan viele spannende Projekte aufzeigt, die zu funktionieren<br />

scheinen, nachdem jahrhundertelang alleinig Holz als das Nonplusultra als Einsatzmaterial galt.<br />

Mittlerweile ist allerdings der Klavierhandel durchaus – wie in allen anderen Branchen – global geworden.<br />

Damit kommen auf die Erzeugnisse auch neue und große Herausforderungen zu, die sich unter anderem<br />

auch auf die klimatischen Bedingungen beziehen. Doch der Einsatz von Kohlefaser kann auch eine<br />

neue Ära für den Klang bedeuten, da sich durch dieses Material durchaus neue Konstruktionsmerkmale<br />

ergeben können. Richard Dain ist Inhaber der Hurstwood Farm in England, betreibt auf dieser Farm nicht<br />

nur einen Handel, sondern entwirft auch die erfolgreichen Flügel unter dem Namen Phoenix, die beständig<br />

weiterentwickelt werden und mit konstruktiven Neuheiten aufwarten. Diese Flügel werden momentan<br />

in Zusammenarbeit mit der Firma Steingraeber & Söhne in Bayreuth gebaut.<br />

Von: Richard Dain<br />

Der erste Flügel mit Karbon-Resonanzboden<br />

von Steingraeber & Söhne / Phoenix.<br />

Foto: Dain<br />

Was ist Kohlefaser?<br />

Kohlefaser (im folgenden Karbon genannt) wurde<br />

erstmals in den 1960er Jahren als industrielles<br />

Material kommerziell verfügbar. In optimaler<br />

Form hat es die Steifheit, die Stahl gleichkommt.<br />

Es besitzt auch die Stärke und Härte, die fast der<br />

von Stahl gleichkommt, besitzt aber nur ein<br />

Fünftel der Dichte. Die Kohlefasern, die diese Eigenschaften<br />

aufweisen, sind in ein Kunstharz eingebettet,<br />

um dem Material Solidität zu geben. Die<br />

besten physischen Proportionen sind direktional<br />

zur Achse der Fasern ausgerichtet, so dass die Fasern<br />

in mehreren Schichten multi-direktional gelegt<br />

(verflcohten) sein müssen, um eine Einheit<br />

der Proportionen in alle Richtungen zu gewährleisten.<br />

Das Mittelmaß der Proportionen ist dann in<br />

der Konsequenz unterhalb des erreichbaren Maximums<br />

uni-direktional. Karbonmaterialien kann<br />

Kohlefaser<br />

(Karbon) in<br />

Klavieren<br />

man formen oder auch bohren, sie können gefeilt<br />

werden, auch mit Maschineneinsatz, eben genauso<br />

wie Metalle. Karbon besitzt einen hohen natürlichen<br />

Korrosionswiederstand und ist fast undurchdringlich<br />

in Bezug auf Wasseraufnahme.<br />

Karbon in Musikinstrumenten<br />

Viele Jahre lang gab es ein Interesse daran, Karbon<br />

im Musikinstrumentenbau einzusetzen. Experimentelle<br />

Klaviere, Lautsprecher, Streichinstrumente<br />

und Cembali wurden mit Karbon-Teilen in<br />

Mechaniken gebaut, oder um Holzteile durch dieses<br />

Material zu ersetzen, beispielsweise auch Resonanzböden.<br />

Im Allgemeinen waren diese Versuche<br />

nur begrenzt erfolgreich. Forschungen, um Holz,<br />

Plastikschaum und andere Materialien mit Karbon<br />

zu verbinden, versprechen da schon bessere Ergebnisse.<br />

28 3 . 08


3 . 08<br />

K LAVIERBAU<br />

Karbon ist nicht das einzige Material, das man für Resonanzböden in<br />

Klavieren einsetzen kann. Glas, Metalle und andere Komponenten sind ebenfalls<br />

getestet worden.<br />

Neues Konzept für Klavierdesign<br />

Kürzlich haben hochwertige Klaviere das Konzept des traditionellen Klavierbaus<br />

verändert, fast unbemerkt von der Firma Steinway & Sons, die dieses Feld<br />

einmal anführte, aber überraschender Weise seine intensiven und aktiven Klavierinnovationen<br />

vor über einem Jahrhundert beendete. Im neuen Millennium<br />

wird durch die aktiven Klavierbauunternehmen sehr deutlich, dass Musikliebhaber<br />

nach Verbesserungen suchen, die durch moderne Technologie in den Bereichen<br />

Akustik und neue Materialien ermöglicht werden. Diese Herausforderung<br />

wurde erstmals von Wayne Stuart in Australien aufgegriffen, wurde<br />

aber mittlerweile von anderen Klavierbauern adaptiert, solche die neu im Bereich<br />

des Klavierbaus sind, und längst etablierten Unternehmen. Hochwertige<br />

Klaviere mit herausfordernden Leistungen, die auf der Grundlage von verschiedenen<br />

Arten hochentwickelter Technologie arbeiten, werden heute von Stuart<br />

and Sons, Steingraeber-Phoenix, Fazioli und Stephen Paulello angeboten, aber<br />

nur Stuart und Steingraeber sind bisher die Einzigen, die Flügel mit Karbon-Resonanzböden<br />

gebaut haben (wenn man einmal den einmaligen Versuch eines<br />

Sauter-Flügels vor 25 Jahren außer Acht lässt, bei dem das Material noch<br />

durchaus anders geartet war). Kawai hat eine Karbon-Mechanik entwickelt<br />

(mit Ausnahme der Hammer-Schenkel, die mit ihrer Eigenfrequenz ungewollt<br />

mitklingen würden).<br />

Es gibt drei Wege, wie man sinnvollerweise Karbon im Klavierbau einsetzen<br />

kann:<br />

1. Spielbarkeit und Klangqualität<br />

Ein idealer Klavier-Resonanzboden sollte eine niedrige Dichte und Masse haben<br />

und sollte keine akustische Energie innerhalb der Eigenmasse absorbieren.<br />

Er sollte steif und stark und elastisch sein, und sollte von Luftfeuchtigkeit unbeeinflusst<br />

sein, wenn man eine gute Stimmhaltung anstrebt. Wenn diese<br />

Voraussetzungen gegeben sind, kann man die Klangstärke, den langen Nachklang<br />

und die Standfestigkeit eines Klaviers optimieren. Karbon bietet das<br />

Potenzial, um all diese Attribute zu verbessern.<br />

Im Klavierbau muss darauf geachtet werden, dass die hohen Frequenzen im<br />

Klang nicht angereichert werden, ansonsten wird ein Klavier zu brillant und<br />

die hohen Harmonien klingen uneinheitlich. Das war die Hersausforderung<br />

bei der Entwicklung eines Resonanzbodens aus Karbon. Steingraeber hat mit<br />

dem Autor an zwei bestimmten Typen von Karbon-Resonanzböden gearbeitet,<br />

in denen eine Karbonschicht variabler Stärke in unterschiedlichen Bereichen<br />

und von direktionalen Kohlefasern eingearbeitet ist. Diese liegt sandwich-ähnlich<br />

zwischen zwei Schichten von Ahornfurnier. Der eine Typ weist eine solide<br />

Schicht von Karbon in einer Stärke von 1,5 und 2,5 Millimeter Dicke auf. Die<br />

Bodenkrone (in Form eines Doms) ist bei dem einen Resonanzboden in konventioneller<br />

Weise durch auf die Unterseite geschraubte und geleimte Rippen<br />

geformt. Der andere Typ zeigt eine hexagonalen Karbon-Struktur und ist zwischen<br />

zwei sehr dünne Schichten von Karbon-Blättern gelegt, die die Krone des<br />

Resonanzbodens bilden, und dann zwischen zwei Furnierblätter geleimt. Die<br />

zuletzt genannte Form, auch wenn sie nur 4,5 Millimeter Dicke aufweist, ist<br />

stark und steif genug, um eine Krone im Resonanzboden beizubehalten, ohne<br />

dabei auf Rippen zurückgreifen zu müssen.<br />

Die Schichten Holzfurnier wurden gewählt, um die Reaktion des Resonanzbodens<br />

auf hohe Harmonien zu reduzieren, obwohl auch andere Dämpfungsmaterialien<br />

aus der Akustik gewählt werden könnten, um die hochfrequenten<br />

Harmonien an der Spitze des Resonanzbodens zu filtern, ohne Holz zu benutzen,<br />

so beispielsweise akustischer Schaum, wie er in Hörhilfen oder Hörschutz-<br />

Hilfen zum Einsatz kommt. Mehr durch Glück als durch Absicht zeigte sich allerdings,<br />

dass das Ahornfurnier sich besonders gut eignet. Und Ahorn wurde<br />

gewählt, um die Reflektion im akustischen Körper zu erhöhen.<br />

Erfahrungen mit diesem holzbeschichteten Karbon-Resonanzboden, in<br />

Kombination mit den speziell entwickelten Stegagraffen, haben gezeigt, dass es<br />

möglich ist, einen Stutzflügel zu bauen, dessen klangliches Ergebnis dem eines


K K LAVIERBAU<br />

Konzertflügels ähnlich ist oder nahekommt. Diese<br />

Flügel benötigen allerdings weichere und flexiblere<br />

Hammerköpfe als die, die in konventionellen<br />

Flügeln eingesetzt werden; und zudem harmonische<br />

Filter in den Stegagraffen, um das Problem<br />

der hohen Harmoniefrequenzen zu reduzieren.<br />

Ein Bonus, den man erfahren konnte, ist, dass<br />

Künstler, die einen Steingraeber-Flügel spielten,<br />

der mit diesen Veränderungen ausgestattet war,<br />

einhellig meinten, dass diese Flügel „eine bessere<br />

Mechanik“ hätten. Tatsächlich aber ist die Mechanik<br />

komplett konventionell. Da der Pianist aber<br />

weniger Anstrengung benötigt, um den gewünschten<br />

Klang zu erzielen, verfügt er über eine bessere<br />

Kontrolle des Klangs. In diesem Beruf spricht man<br />

dann von einem guten „artists / instrument interface“.<br />

2. Klaviergewicht<br />

Der größte traditionell gebaute Konzertflügel<br />

wiegt knapp unter einer Tonne. Selbst ein kleiner<br />

Flügel wiegt immer noch um die 250 Kilogramm.<br />

Blick in die Millenium-Mechanik von Kawai<br />

mit Karbonelementen.<br />

Foto: Kawai<br />

Solch einen Flügel zu bewegen, erfordert ein Team<br />

starker Männer. Die Konsequenz ist, dass nur ganz<br />

wenige Künstler es sich leisten können, in ihren<br />

Konzerten ihren eigenen Flügel zu spielen. Die<br />

Flügel, die sie spielen sollen, sind in den meisten<br />

Sälen doch eher ein Ärgernis oder zumindest ein<br />

Grund zur Kritik. Ein Künstler gewöhnt sich an sein<br />

eigenes Instrument, gleichgültig, ob es nun besser<br />

oder schlechter ist. Er ist mit diesem Instrument<br />

vertraut und wird deshalb auf diesem Instrument<br />

auch besser spielen. Zudem ist die Öffentlichkeit<br />

mittlerweile extrem gelangweilt von dem uniformierten<br />

Klang der Instrumente in den Sälen. Vor<br />

einem halben Jahrhundert gab es eine große Vielfalt<br />

des Klangs, aufgrund der vielen unterschiedlichen<br />

und guten Konzertflügel-Erbauer; aber heutzutage<br />

dominiert eine Marke die Szene.<br />

Karbon ist wiederum das Material, um dies zu<br />

ändern. Soweit bislang bekannt, hat noch kein<br />

Klavierbauer einen Flügel mit einem Rahmen aus<br />

Karbon anstelle des gusseisernen Rahmens ge-<br />

baut. Dies wäre allerdings, als isoliertes Merkmal,<br />

auch nicht sonderlich klug. Falls man als Material<br />

für den Rahmen Karbon verwenden würde, so wäre<br />

es offensichtlich besser, wenn man einen Karbon-Resonanzboden<br />

direkt in die Rahmenkonstruktion<br />

einbinden würde, als den Rahmen und<br />

den Resonanzboden getrennt voneinander in einen<br />

steifen, schweren und robusten Resonanzkörper<br />

einzufügen, wie man es heutzutage in konventionellen<br />

Konstruktionen zu tun pflegt. Das Gehäuse,<br />

falls es überhaupt vorhanden ist, kann<br />

dann etwas werden, das nicht mehr als Styling ist,<br />

ein Resonanzkörper und eine Form, um die Mechanik<br />

zu tragen. Wenn man dies macht, wird eine<br />

große Gewichtsreduktion möglich.<br />

Broadwood hat nach dem Ersten Weltkrieg ein<br />

Klavier vorgestellt, das einen rastenlosen Rahmen<br />

hatte (das sogenannte Barless Piano). Die Anforderung<br />

an Steifheit und Stärke von diesem Konzept<br />

hat das Klavier sehr schwer gemacht und der<br />

Rahmen bedingte eine klobigen Außenwand-Erscheinung.<br />

Dennoch eliminierte dieses Konzept<br />

zumindest virtuell alle Probleme des traditionellen<br />

Klavierbaus im Bereich von uneinheitlicher<br />

Klangqualität zwischen den geteilten Registern,<br />

die aufgrund des Platzes für die BARS aufkamen.<br />

Akustisch hat dieses Klavier eine großartige<br />

Leistung. Broadwood Barless Klaviere sind heutzutage<br />

beliebte Sammlerstücke. Karbon ist als<br />

Material stark und steif genug, um heutzutage ein<br />

brauchbares rastenloses Klavier zu bauen, ohne<br />

die Nachteile dieser frühen Klaviere.<br />

3. Stimmhaltung<br />

Nachdem sich die metallisch-kristalline Struktur in<br />

den Klaviersaiten durch das ursprüngliche Dehnen<br />

stabilisiert hat, ist der Hauptgrund, warum<br />

ein Klavier aus der Stimmung gerät, der Wechsel<br />

der Luftfeuchtigkeit in der Umgebung des<br />

Instruments. Luftfeuchtigkeit verursacht Nässe in<br />

der Holzstruktur, besonders in den Rippen und<br />

dem Resonanzboden einen Wechsel. Mit höherer<br />

Flüssigkeit im Holz schwillt auch die Krone des Resonanzbodens<br />

an und verstärkt dadurch die Spannung<br />

der Saiten. Kontrovers verhält es sich bei Trockenheit<br />

in der Atmosphäre: Das Holz schrumpft.<br />

Bei extremen Situationen kann es passieren, dass<br />

ein Resonanzboden derartig anschwillt, dass die<br />

Leimschicht zwischen den einzelnen Resonanzbodenbrettchen<br />

aufreißt. Nach der Erfahrung des<br />

Autors haben nur wenige Klaviere in Europa, die<br />

älter als 50 Jahre sind, intakte Resonanzböden; bei<br />

den meisten ist die Krone der Resonanzböden aufgrund<br />

der Schwellung und des damit einhergehenden<br />

beständigen Drucks der Saiten kollabiert. Die<br />

Krone eines Resonanzbodens hält in der Regel 25<br />

bis 40 Jahre lang, je nachdem wie stabil die Gesamtkonstruktion<br />

ist. Danach wird die Krone<br />

nachgeben unter dem beständigen Druck der Saiten,<br />

der mehr als eine halbe Tonne ausmacht.<br />

Karbon ist fast komplett resistent gegen Feuchtigkeitsaufnahme<br />

und ist daher stabil in allen Umständen<br />

von Leuchtfeuchtigkeit. In einem kürzlich<br />

durchgeführten Experiment hat ein Flügel mit wenig<br />

Stegdruck und der nicht besonderen Luftfeuchtigkeiten<br />

ausgesetzt war, seine Stimmung 17 Mo-<br />

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nate lang gehalten, was allein schon die Anwendung<br />

von Karbon in einer Klavierkonstruktion akzeptabel<br />

macht. Daher ist ein Flügel mit Karbon-<br />

Resonanzboden ohne Rippen und mit Stegagraffen,<br />

die keinen Resonanzbodendruck ausüben,<br />

eine präferierte Option. Da es zwei Jahre dauert,<br />

bis neugezogener Stahl in Klaviersaiten die volle<br />

Stabilität erreicht, wird es drei bis vier Jahre dauern,<br />

bevor die Erwartungen durch letztendliche<br />

Ergebnisse bestätigt werden können.<br />

Die Zukunft<br />

Es war lange Zeit das Feld von Ingenieuren, moderne<br />

Technologien und hochtechnische Materialien<br />

zu benutzen, um kleinere und leichtere leistungsstarke<br />

Klaviere zu bauen, die für den Künstler<br />

leichter und praktischer zu transportieren wären.<br />

Nur die Kosten und der kommerzielle Druck<br />

seiten derer, die ein Interesse daran haben, dass<br />

der Status Quo beibehalten wird, haben dies verhindert.<br />

Solch ein Klavier zu bauen, ist keine „Raketen-Wissenschaft“.<br />

Mittlerweile verfügen Klavierbauer<br />

über die notwendigen Ingenieur-Kenntnisse.<br />

Wäre Karbon für Heinrich Steinway, Carl<br />

Bechstein oder Ignaz Bösendorfer und ihre Zeitgenossen<br />

verfügbar gewesen, wäre es heutzutage<br />

üblich in Klavieren.<br />

Ein Weg, ein Klavier klein und leicht genug zu<br />

bauen, dass ein Mann es auf seinem Rücken durch<br />

K LAVIERBAU<br />

Der erste Steingraeber & Söhne / Phoenix-<br />

Flügel mit Carbon-Boden.<br />

Foto: Dürer<br />

die Rocky Mountains tragen kann, wurde schon<br />

für die Goldgräber erfunden. Wir sollten uns nicht<br />

angesichts einer solchen Herausforderung geschlagen<br />

geben. Es ist möglich, dass ein akustisches Klavier<br />

eines Tages Standard in der First Class eines<br />

transatlantischen Fluges ist.<br />

K<br />

31


H<br />

H OCHSCHULEN<br />

Klavier studieren in der Türkei<br />

Die Klavierabteilung der Bilkent University in Ankara<br />

Das große Gebäude der Musik-Falkultät<br />

der Bilkent Universität in Ankara.<br />

Foto: Dürer<br />

Nein, berühmt ist die Türkei nicht gerade für ihre Interpreten von klassischer Musik. Doch wenn man nur<br />

kurzfristig nachdenkt, fallen einem Namen türkischer Pianisten ein: Idil Biret, Fazil Say, Gülsin Onay,<br />

Süher und Güher Pekinel, Ferhan und Ferzan Önder. Oder auch noch Huseyin Sermet. Doch wurden nicht<br />

alle von ihnen wirklich in ihrer Heimat ausgebildet. Doch heutzutage ist es anders, gibt sich dieses Land<br />

viel Mühe, um die klassische Musik als wichtigen Ausbildungsbestandteil in seiner Kultur zu verankern.<br />

An vielen Universitäten gibt es mittlerweile eine grundsolide Ausbildung, immer mehr Musikschulen<br />

werden gegründet. Die meisten Universitäten sind staatlich und unterliegen daher eher strengen<br />

Vorgaben, die nicht immer die besten Ergebnisse erzielen, wenn es um eine umfangreiche und vielschichtige<br />

moderne Ausbildung geht. Allein in der Hauptstadt Ankara gibt es mehrere Universitäten. Doch nur<br />

eine Privatuniversität, die erst vor 22 Jahren überhaupt gegründet wurde, mittlerweile aber den wahrscheinlich<br />

besten Ruf im Bereich der Musikausbildung besitzt: die Bilkent Universität. Wir besuchten die<br />

Klavierabteilung dieser Universität, um uns ein Bild von der Ausbildung dort zu machen, und unterhielten<br />

uns mit Isin Metin, dem Direktor der Musikhochschule, und mit Emre Sen, dem Koordinator der<br />

Klavierabteilung.<br />

Von: Carsten Dürer<br />

Sind wir doch ehrlich: Was wissen wir schon<br />

von den Musikern und der Musikausbildung<br />

in der Türkei? Eigentlich nichts, müssen<br />

sicherlich die meisten unumwunden zugeben. Und<br />

dies, obwohl vor allem in Deutschland und in<br />

Österreich große Teile der Bevölkerung mittlerweile<br />

in zweiter oder dritter Generation aus der Türkei<br />

stammen. Eine Schande? Nicht wirklich, denn die<br />

Türkei ist – als Republik – immer noch ein junges<br />

Land, das sich nur langsam dem Westen und seiner<br />

Musik aus unterschiedlichen Jahrhunderten<br />

zuwendet. Erst nachdem Mustafa Kemal Atatürk<br />

1923 die Republik ausrief, kam es zu einem Umdenken.<br />

Zwar hatten die Türken (wie schon zu<br />

Zeiten des Osmanischen Reiches) immer auch einen<br />

Kontakt zu der Musik der wichtigsten Musikmetropolen<br />

Europas, so beispielsweise nach Wien,<br />

doch war die Beeinflussung eher in die Richtung<br />

der klassischen Musiker damaliger Zeiten gelangt,<br />

so dass man das „Muselmanische“ oder die „türki-<br />

schen Volksmusikthemen“ wie in Mozarts Sonate<br />

KV 331 mit seinem berühmten „alla turca“-Satz<br />

immer wieder findet. Doch in die andere Richtung<br />

tendierte die Musikbeeinflussung nur wenig, waren<br />

die Islam-Gläubigen den „Ungläubigen“<br />

gegenüber eher zurückhaltend, wenn nicht sogar<br />

abweisend.<br />

Doch mit der Öffnung der politischen Gegebenheiten<br />

erfuhr auch die allgemeine Ausbildung eine<br />

Öffnung gegenüber der traditionsreichen europäischen<br />

Kultur, ganz besonders der Musik. Bemerkenswert<br />

innerhalb eines Staates, der dem islamischen<br />

Glauben angehört und selbst über eine<br />

lange Geschichte auch innerhalb von musikalischer<br />

Kultur verfügt, wenn man sich die Geschichte<br />

Anatoliens genau ansieht. Dennoch ist<br />

diese Form der klassischen Musikausbildung noch<br />

jung, und so erfahren wir bislang nur wenig über<br />

die konkrete Situation in der Türkei.<br />

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3 . 08<br />

Privat: Die Bilkent Universität<br />

Die Universität in Bilkent ist als private Einrichtung<br />

eine Besonderheit in der Türkei. Gegründet<br />

wurde sie 1986 von dem heute mit 93 Jahren<br />

hochbetagten Ihsan Dogramaci, der sein mit<br />

unterschiedlichen Geschäften erwirtschaftetes<br />

Kapital unter anderem in den Ankauf und die<br />

Etablierung des wunderbar auf einem Hügel gelegenen<br />

Landes steckte, um dort eine Universität mit<br />

allen wichtigen Fakultäten unter der Vorgabe<br />

einer von staatlichen Einflüssen freien Ausbildung<br />

zu gründen. Das Gelände der Universität ist groß<br />

und luftig angelegt. Kaum eine wichtige Richtung<br />

fehlt. Und das Gebäude der Musik-Fakultät liegt<br />

auf dem höchsten Punkt der Universität. Betritt<br />

man die Musikfakultät, dann betritt man ein<br />

großzügiges Oval, dessen Treppenhaus allein<br />

schon erkennen lässt, dass dem Gründer an einer<br />

offenen Denkweise und einer großzügigen Ausstattung<br />

gelegen war. In den Seitengängen findet<br />

man – wie überall in solchen Musikhochschulen –<br />

zahlreiche Unterrichts- und Überäume. Der Unterschied<br />

in Bilkent: Es gibt ausreichend viele Überäume,<br />

immerhin weit über 140 für „nur“ 368 Studenten,<br />

die momentan in fast allen Fachbereichen<br />

an dieser Musikeinrichtung studieren. Doch man<br />

muss mehr erfahren, wie das System organisiert<br />

ist, um zu verstehen, wie man in Bilkent arbeitet,<br />

welche Ziele man verfolgt und wo die Zukunft<br />

gesehen wird.<br />

Der Direktor der Fakultät für Musik<br />

Als Erstes sprachen wir mit dem Direktor der Musik-Fakultät<br />

in Bilkent, mit Isin Metin. Er ist jung,<br />

gerade um die 40 Jahre. Selten in Deutschland<br />

anzutreffen, dass man solch einen jungen, aber<br />

gut ausgebildeten Mann zum Direktor einer solchen<br />

Hochschuleinrichtung erklärt. Aber es ist<br />

sinnvoll, das hat man schon an anderen Orten in<br />

der Welt erfahren können.<br />

PIANONews: Die Bilkent Universität ist ja noch recht<br />

jung, im Vergleich zu anderen Universitäten auch in<br />

der Türkei. Ist es die erste private Universität?<br />

Isin Metin: Ja, es ist die erste private Universität<br />

und ist heute eine gemeinnützige Gesellschaft. Getragen<br />

wird sie von einer Stiftung, die Ihsan Dogramaci<br />

gegründet hat. Sogar seine Kinder haben<br />

auf ihr Erbe verzichtet, damit auch nach seinem<br />

Wirken die Stiftung genug Vermögen hat, um die<br />

Universität weiter zu tragen. Alle Einnahmen kommen<br />

also der Universität zugute, wobei nicht das<br />

Unternehmen die Universität besitzt, sondern die<br />

Universität das Unternehmen.<br />

Als sie 1986 gegründet wurde, gab es drei Fakultäten,<br />

wovon eine die für Schöne Künste und<br />

Musik ist. Aber bald schon wurde diese Fakultät<br />

aufgesplittet und daraus entstanden die Fakultäten<br />

der „Schönen Künste und Grafikdesign“ und<br />

für „Musik und darstellende Kunst“. Das war Ende<br />

1987, und im Jahre 1988 kamen die ersten Musikstudenten<br />

zu uns. Ich selbst bin einer der ersten<br />

Absolventen der Kompositionsabteilung an dieser<br />

Schule.<br />

H OCHSCHULEN<br />

PIANONews: Wie sieht es denn heutzutage in dieser<br />

Universität aus, die ja nicht allein Studenten auf<br />

Hochschulniveau ausbildet?<br />

Isin Metin: Heutzutage haben wir eine Grundschule,<br />

um bei den Jüngsten zu beginnen. Diese<br />

Schule ist eine Ganztagsschule, was bedeutet, dass<br />

die Schüler nicht an einer anderen Schule unterrichtet<br />

werden. Wir wählen pro Jahr ungefähr 10<br />

bis 12 Schüler aus, die bei uns studieren dürfen.<br />

Sie müssen Examina machen, um dann in die Mittelschule<br />

(Highschool) zu gehen. Diese ist allerdings<br />

nur für Musik, mit allen obligatorischen Fächern,<br />

die vom nationalen Erziehungsministerium<br />

in der Türkei vorgeschrieben werden. Das klingt<br />

ein wenig hart, beide Dinge, die Musik und die<br />

normale Schule, gleichzeitig zu bewältigen. Aber<br />

da unsere Klassen nur höchstens 12 Kinder haben,<br />

ist dies letztendlich kein Problem, da man sich<br />

intensiv um jeden Schüler kümmern kann. Nach<br />

der Highschool kommt die Undergraduate-School,<br />

in der nun wirklich alle Musik-Fächer unterrichtet<br />

werden – mit zwei Ausnahmen: Wir haben keine<br />

Abteilung für Alte Musik und wir haben keine für<br />

Jazz. Danach kommen dann die Postgraduate-<br />

Studiengänge, in denen man natürlich unterschiedliche<br />

Degrees erreichen kann, einen „Master<br />

of Performing Art“, bis hin zu einem Doctoral-<br />

Degree, das hier allerdings anders geartet ist als in<br />

Europa und eher mit einem Doctoral Degree in<br />

den USA verglichen werden kann.<br />

Doch noch einmal zurück zur Grundschule: Dort<br />

starten die Schüler in der ersten Klasse mit Violine<br />

oder Klavier. Von diesen aus gehen sie dann auf<br />

die anderen Instrumente über. Die größte Anzahl<br />

an Studenten, die wir annehmen, sind allerdings<br />

Klavierschüler. Einige behalten das Instrument<br />

bei, doch viele wechseln tatsächlich das Instrument,<br />

wenn sie älter werden. Dagegen behalten<br />

die Anfänger im Fach Violine meist ihr Instrument<br />

bei, wechseln höchstens schon einmal zur Viola<br />

über. Nur ganz wenige beginnen schon mit anderen<br />

Instrumenten, die sie dann beibehalten. Zudem<br />

gibt es ein spezielles Programm für besonders<br />

begabte Schüler. Diese trennen wir von den anderen<br />

und sie erhalten dann einen gesonderten Unterricht.<br />

Wir wollen nicht, dass alle Schüler auf<br />

dieselbe Schiene gesetzt und damit vereinheitlicht<br />

unterrichtet werden. Wir wollen bei Hochbegabten<br />

die individuelle Förderung vorantreiben.<br />

Wir haben auch ein sogenanntes „Early Music Program“,<br />

ein Programm, das noch vor der Alten-<br />

Musik-Szene in unserem Land so benannt wurde.<br />

Bei uns bedeutet dies, dass man vor der Grundschule<br />

in musikalischen Dingen ausgebildet wird.<br />

Dies ist allerdings nur ein Teilzeitprogramm, das<br />

nur an einigen Tagen läuft. Und bemerkenswerterweise<br />

kommen bei uns meistens die Väter mit<br />

ihren Kindern zu diesem Programm. Das Ziel dieses<br />

Programms ist es allerdings nicht, Musiker heranzuziehen.<br />

Wir wollen vielmehr eine Basis für die<br />

Musik kreieren. Denn immerhin könnte ja eines<br />

dieser Kinder später der Minister für Kultur werden<br />

[er grinst].<br />

PIANONews: Wenn dies eine private Universität ist,<br />

dann müssen die Studenten also bezahlen?<br />

H<br />

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H<br />

Der weitläufige<br />

Eingangsbereich mit<br />

der ovalförmigen Öffnung<br />

der Stockwerke.<br />

Foto: Dürer<br />

H OCHSCHULEN<br />

Isin Metin: Oh, das habe ich ganz vergessen zu erwähnen:<br />

25 Prozent aller Studenten an dieser<br />

Universität studieren mit einem Stipendium. Die<br />

Musikstudenten allerdings studieren fast alle mit<br />

einem Stipendium bei uns. Allerdings bezahlen sie<br />

ein Achtel der Studiengebühren selbst. Warum wir<br />

das so handhaben? Nun, jeder Student bekommt<br />

in jedem Fall die nötige Grundlage für das Studium,<br />

je nach der finanziellen Situation der Eltern.<br />

Doch darüber hinaus sollen die Studenten das Studium<br />

nicht als garantiert ansehen und sich ein wenig<br />

anstrengen.<br />

PIANONews: Auch wenn also die Gesamtanzahl der<br />

Musikstudenten, die die Bilkent Universität mit einem<br />

Abschluss verlassen, nicht sonderlich groß ist, erlauben<br />

Sie die Frage, was mit den Absolventen passiert?<br />

Isin Metin: Natürlich wissen wir nicht von allen,<br />

was mit ihnen passiert, das sind ca. 10 Prozent.<br />

Von denen, von denen wir es wissen, erfahren wir<br />

allerdings Folgendes: Circa 30 Prozent gehen ins<br />

Ausland, meist um ein fortführendes Studium zu<br />

beginnen. Die anderen 60 Prozent teilen sich auf:<br />

Einige spielen dann in einem der türkischen Orchester,<br />

unterrichten oder üben natürlich einen<br />

anderen Beruf aus, oder aber geben das Musizieren<br />

meist aufgrund von Heirat oder anderen familiären<br />

Gründen auf. Doch um Ihnen zu erklären,<br />

welches Niveau unsere Absolventen haben: Wenn<br />

ein Student der Bilkent Universität heutzutage an<br />

einem der Bewerbungsvorspiele bei einem Orchester<br />

teilnimmt, dann bekommt er die Stelle.<br />

PIANONews: Wie sieht der reguläre Unterricht für die<br />

Musikstudenten aus?<br />

Isin Metin: Das ist relativ luxuriös, denn wir haben<br />

zwei Wochenstunden Instrumentalunterricht,<br />

in der Grundschule sind es sogar vier Stunden à 40<br />

Minuten. Die Anzahl der Überäume ist extrem<br />

hoch, so dass wir keinerlei Probleme von dieser<br />

Seite haben. Alles in allem ist es recht luxuriös,<br />

was wir zu bieten haben.<br />

PIANONews: Wächst die Anzahl der Studenten denn<br />

auch bei Ihnen beständig, wie dies fast weltweit der<br />

Fall ist?<br />

Isin Metin: Ich habe immer versucht nicht die<br />

Quantität zu erhöhen, sondern die Qualität. Wenn<br />

es um Wachstum geht, dann würde ich gerne eine<br />

Ballettabteilung haben, und eine Abteilung für<br />

Operngesang, mehr in dem Sinne eines Opernstudios.<br />

PIANONews: Wie sieht es mit der Internationalität<br />

aus?<br />

Isin Metin: Wir sind erst einmal für die Studenten<br />

in unserem Land da. Aber wir versuchen natürlich<br />

beständig Einflüsse von außerhalb zu erhalten. So<br />

beispielsweise durch Meisterklassen. Natürlich laden<br />

wir auch Professoren für Meisterklassen zu uns<br />

ein, aber das ist nicht das, wonach ich suche.<br />

Denn wer entscheidet, wer hierherkommt? Meine<br />

Kollegen und ich. Das bedeutet, wir haben bereits<br />

einen Kontakt zu dieser Fachkraft. Aber ich will lieber,<br />

dass andere unsere Studenten aussuchen. Wie<br />

das passieren kann? Nun, indem sich unsere Studenten<br />

bei internationalen Meisterkursen bewerben<br />

und dann mit Unterstützung von Bilkent dorthin<br />

gehen, wenn sie gut genug sind.<br />

PIANONews: Und die Internationalität der Studenten<br />

selbst, wäre es interessant für einen ausländischen<br />

Studenten, sich in Bilkent zu bewerben?<br />

Isin Metin: Nun, wir nehmen am Erasmus-Programm<br />

teil, aber mussten dafür erst noch Grundlagen<br />

schaffen. Aber was dabei herauskommt,<br />

weiß ich nicht wirklich, auch wenn es Möglichkeiten<br />

bereithält. Wie auch immer, die Grundlage<br />

ist die Unterrichtssprache. Und selbst wenn wir<br />

hier nur in Türkisch unterrichten würden, und betrachten<br />

die gesamte Population weltweit, die Türkisch<br />

spricht, dann hätten wir sehr viele Möglichkeiten,<br />

in Aserbaidschan und sogar in China, wo<br />

eine große Bevölkerungsschicht Türkisch spricht.<br />

Die Universität hier hat aber das Prinzip, dass die<br />

Sprache, in der unterrichtet wird, Englisch ist. Hier<br />

müssen also alle Schüler schon am Ende der Highschool<br />

ein Examen in Englisch ablegen, was dann<br />

in der Universität weitergeht. Im vergangenen<br />

Jahr haben wir also auch die Kurse an der Musikfakultät<br />

verändert und haben die Kurse in Harmonielehre,<br />

Kontrapunkt, Formenanalyse und Theorie<br />

sowie Musikliteratur in englischer Sprache eingeführt.<br />

Diese Kurse benutzen unterschiedliche Bücher,<br />

die ebenso in englischer Sprache sind. Auch<br />

Gehörbildung haben wir geändert, so dass es viele<br />

Stunden sind, die in Englisch unterrichtet werden.<br />

Es mag sein, dass es für einige Studenten nicht so<br />

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H OCHSCHULEN<br />

wichtig ist, in Englisch unterrichtet zu werden. Aber für auftretende Künstler ist es<br />

besonders wichtig. Vor allem aber ist auch eine andere Facette wichtig: Ich erinnere<br />

mich an meine Studien, bei denen wir vier wichtige – gute – Bücher in türkischer<br />

Sprache hatten. Aber wie viele Bücher und Materialien stehen in englischer<br />

Sprache zur Verfügung? Massen! Das heißt: Mit der Einführung der englischen<br />

Sprache als Unterrichtsform können wir nun endlich über Erasmus-Programme<br />

sprechen. Was passiert aber, wenn ein deutscher Student über Erasmus nach<br />

Spanien geht? In welcher Sprache wird er unterrichtet? Es sind viele Studenten aus<br />

dem Ausland, die sich hier bewerben, aber es sind nur wenige, die hier wirklich<br />

angenommen werden. Wenn wir nun über ausländische Studenten sprechen,<br />

dann haben wir solche aus Bulgarien und Aserbaidschan, was vielleicht nicht so<br />

sehr zählt, weil dort die Musikschulen vielleicht schlechter sind als unsere. Aber<br />

ich kann Ihnen sagen, dass der Austausch mit den anderen Ländern immer intensiver<br />

wird, von beiden Seiten aus gesehen. Im vergangenen Jahr kamen Vertreter<br />

von drei Hochschulen aus dem Ausland zu uns. Und wir haben nun eine eigene<br />

Kraft eingestellt, deren Job es ist, ausschließlich Austauschprogramme mit anderen<br />

Hochschulen zu vereinbaren.<br />

Die Frage, die sich für mich – auch bezüglich des Erasmus-Programms – stellt, lautet:<br />

Was machen unsere Studenten, wenn sie in andere Länder in Europa gehen?<br />

Denn mit Ausnahme von Großbritannien gibt es nur wenige Unterrichtskurse in<br />

englischer Sprache.<br />

PIANONews: Können Sie uns sagen, auf welchem Niveau sich Bilkent befindet, wenn<br />

man diese Hochschule mit den anderen in der Türkei vergleicht?<br />

Isin Metin: Die erste Musikhochschule gab es in unserem Land 1923 in Istanbul.<br />

Dann folgten weitere und heute will jede Stadt ihr Konservatorium haben. Wir,<br />

nebenbei bemerkt, sind eine Fakultät, kein Konservatorium, was ein großer<br />

Unterschied ist. All diejenigen, die in den vergangenen Jahren gegründet wurden,<br />

nehmen unser Modell zur Grundlage. Sie wollen die Grundschule haben, wollen<br />

all diese Dinge haben, die wir entwickelt haben. Was das heißt, können Sie selbst<br />

beurteilen.<br />

Koordinator der Klavierabteilung<br />

Da gibt es noch einige Besonderheiten, die erwähnt werden sollten. So muss jeder<br />

Student in den letzten zwei Semestern Operngeschichte belegen. Isin Metin meint,<br />

dass dies wichtig sei, da die Oper immer weniger zeitgenössische Werke hervorbringe<br />

und fast im Sterben begriffen sei. Die heutigen Komponisten würden alle<br />

Genres bedienen, nur die Oper nicht. Dies gilt anscheinend für die Türkei speziell.<br />

Im deutschsprachigen Raum kann man fast das Gegenteil behaupten, wenn ein<br />

junger Komponist erst einmal Erfolg hat.<br />

Der nächste Vertreter, mit dem wir sprechen, wenn es um die Organisation, um<br />

die Inhalte geht, ist der Koordinatoren-Professor für Klavier an der Bilkent Hochschule,<br />

Emre Sen. Er ist jung, jünger noch als der Direktor. Es scheint sich ein Wille<br />

zu neuen Ideen und Energien zu bündeln. Letztendlich ist, das Können und der<br />

Eifer, etwas zu bewegen, was zählt.<br />

PIANONews: Herr Sen, Sie werden nicht als Leiter der Klavierabteilung bezeichnet, sondern<br />

als Koordinator. Was ist der Unterschied?<br />

Emre Sen: Koordinator bedeutet zu koordinieren. Was ich also grundsätzlich nicht<br />

tue, ist, Dinge zu entscheiden, zu bestimmen, was getan wird. Ich versammle vielmehr<br />

die Pianisten, die in der Fakultät beschäftigt sind, und organisiere ein Treffen,<br />

das mehrere Stunden dauern kann. In solch einem Treffen formen wir das<br />

Repertoire für jede Klasse. Wir besprechen alles so lange, bis jeder Professor in der<br />

Fakultät zustimmt und zufrieden ist. Das letzte Treffen war beispielsweise sehr<br />

interessant, denn einige, die älteren Kollegen, wollen mehr Bach und Beethoven<br />

im Repertoire, da sie aus dieser Tradition stammen. Sie wollen jedes Jahr das gleiche<br />

Repertoire aufgenommen wissen. Aber es ist auch wichtig, die moderne Musik,<br />

aber auch die Impressionisten aufzunehmen. Ich bin dann derjenige, der alles<br />

so zusammenbringt, dass jeder Professor gerne und mit Überzeugung unterrichtet<br />

– und dem Plan zustimmt. Wenn man der Abteilungsleiter wäre, dann wäre diese<br />

Art des Besprechens sicherlich anders, denn dann wird mehr oder weniger<br />

bestimmt und nicht besprochen.


H<br />

H OCHSCHULEN<br />

PIANONews: Sie haben gesagt, Sie seien auf dieser<br />

Hochschule vor 20 Jahren gewesen, aber diese<br />

Universität wurde doch erst vor 22 Jahren gegründet.<br />

Emre Sen: Ja richtig, ich war einer der Ersten. Ich<br />

habe 1987 begonnen.<br />

PIANONews: Seit wann sind Sie dann Koordinator?<br />

Emre Sen: Seit drei Jahren. Ich habe meine Studien<br />

1995 abgeschlossen.<br />

PIANONews: Haben Sie direkt im Anschluss an Ihre<br />

Studien hier zu unterrichten begonnen?<br />

Emre Sen und eine seiner<br />

Schüülerinnen in seinem<br />

Unterrichtsraum.<br />

Foto: Dürer<br />

Emre Sen: Nein, ich war auch im Ausland, in Italien,<br />

in Frankreich am Conservatoire, war in den<br />

USA und habe bei Oxana Yablonskaja an der Juilliard<br />

School in New York studiert. Mein Master Degree<br />

habe ich dann in London bei Kevin Kenner<br />

absolviert. Danach kam ich zurück und begann zu<br />

unterrichten.<br />

PIANONews: Erst einmal wüsste ich nun auch gerne<br />

statistische Zahlen. Wie wir schon erfahren haben, studieren<br />

momentan 368 Studenten an dieser Hochschule,<br />

das obere Limit läge bei 500 Studenten, die unterrichtet<br />

werden könnten. Aber momentan ist man<br />

weniger daran interessiert, dass die Anzahl der Studenten<br />

wächst als vielmehr die Qualität der Studenten.<br />

Wie viele Schüler und Studenten studieren hier Klavier?<br />

Emre Sen: Man muss natürlich unterscheiden, an<br />

welcher Schule in Bilkent sie studieren. Wir haben<br />

ja die Grundschule und so fort bis hin zur Universität.<br />

Insgesamt sind es um die 60, die Klavier studieren.<br />

Im Hochschulbereich sind es in der Klavierabteilung<br />

12 Studenten, nicht sehr viele, aber<br />

wir versuchen die Qualität zu erhöhen, wie Isin<br />

Metin Ihnen schon gesagt hat.<br />

PIANONews: Und von wie vielen Lehrern werden diese<br />

unterrichtet?<br />

Emre Sen: Es sind mit mir 10 Lehrer. Allerdings<br />

unterrichten diese natürlich alle unterschiedlichen<br />

Altersstufen.<br />

PIANONews: Dennoch ist die Balance zwischen Lehrern<br />

und Schülern, verglichen mit anderen Ländern,<br />

wirklich bemerkenswert. Wenn alle Lehrer alle Altersgruppen<br />

unterrichten, hilft dies vielleicht auch eine<br />

gewisse Arroganz gegenüber den bislang weniger ausgebildeten<br />

Jüngeren abzubauen, oder?<br />

Emre Sen: Ja natürlich. Aber dazu muss man sagen,<br />

dass wir momentan wirklich ganz außerordentliche<br />

junge Studenten in den jüngeren Klassen<br />

haben. Als ich noch jung war, konnte man natürlich<br />

nirgendwo mit sieben Jahren zu studieren<br />

beginnen. Jetzt, wo es hier die Grundschule gibt,<br />

beginnen viele Mädchen und Jungen mit sechs<br />

oder sieben Jahren und entwickeln sich bis zum<br />

Alter von 13 Jahren sehr schnell. Und bald schon<br />

weiß man, wer begabt, wer hochtalentiert und<br />

wer genial ist. Ich konnte erst mit 13 Jahren beginnen,<br />

hatte also nur sieben Jahre zur Entwicklung.<br />

Heute sprechen wir von vollkommen anderen<br />

Voraussetzungen. Wenn die Aufnahmeprüfungen<br />

oder die Prüfungen zu einer anderen Schulform<br />

anstehen, ist es sehr schwierig, gleichberechtigt zu<br />

urteilen, wenn ein Schüler erst mit 13 Jahren oder<br />

bereits mit sechs Jahren das Instrument begonnen<br />

hat. Es ist dann schwer, zu sagen, ob der eine<br />

talentierter ist als der andere.<br />

PIANONews: Nimmt gerade bei den Bewerbungen<br />

für die Grundschule die Anzahl sehr zu?<br />

Emre Sen: Immens stark, ja. Und es gibt immens<br />

viele Talente unter ihnen. Ich erinnere mich an<br />

keine Zeit, in der es so viele talentierte junge Schüler<br />

gab wie momentan. Natürlich gibt es weltweit<br />

wahnsinnig viele Talente, aber in der Türkei ist<br />

dies schon etwas ganz Besonderes. Ich denke, das<br />

beweist auch, dass der Beginn von Instrumentalunterricht<br />

mit sechs oder sieben Jahren durch diese<br />

Talente gerechtfertigt wird.<br />

PIANONews: Was denken woran es liegt, dass gerade<br />

heutzutage diese große Anzahl an neuen Talenten<br />

in Ihrem Land zutage tritt? Die westliche, klassische<br />

Musik wurde ja erst in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts<br />

wirklich entdeckt und ausgeübt. Und dies<br />

meist von einer Art intellektueller Schicht. Seither hat<br />

sich diese Musik zwar verbreitet, aber das heißt nicht,<br />

dass die Talente von selbst kommen.<br />

Emre Sen: Da gibt es mehrere Aspekte. Zum einen<br />

sind da die Medien, die die breite Öffentlichkeit<br />

informieren, dass es überhaupt so etwas wie klassische<br />

Musik gibt. Zudem gehen immer mehr<br />

Menschen auch ins Ausland und kehren zurück.<br />

Aber auch der Regierung ist klar, welchen Erfolg<br />

die klassische Ausbildung dem Land bringt. So<br />

wird die klassische Musik von beiden Seiten, von<br />

der Öffentlichkeit und von der Regierung mehr<br />

und mehr unterstützt. Ein gutes Beispiel ist Fazil<br />

Say, der natürlich viel berühmter als erfolgreiche<br />

Wissenschaftler in anderen Fächern ist. Er spielt<br />

überall und wahrscheinlich ist er momentan der<br />

vielleicht bekannteste Türke in der Welt. Und er<br />

spielt Klavier! Was dadurch passiert, ist einfach:<br />

Die Eltern wollen, dass ihre Kinder ein zweiter<br />

36 3 . 08


3 . 08<br />

Fazil Say werden. So kommen immer mehr und<br />

mehr hierher.<br />

In früheren Zeiten war die Musik des Westens eher<br />

etwas Geheimnisvolles, etwas, über das man nicht<br />

viel wusste und der man damit auch ablehnte.<br />

PIANONews: Aber unterstützt die Regierung eine<br />

Person wie Fazil Say?<br />

Emre Sen: Ich denke Folgendes: Ich bin nicht an<br />

elektronisch-moderner Musik interessiert, aber ich<br />

bin mir bewusst, dass es diese Musik gibt und dass<br />

sie bei Jugendlichen besonders gut funktioniert.<br />

Ich würde sie aber nicht ausüben oder unterstützen.<br />

Die Regierung ist sich bewusst, dass Fazil Say<br />

da ist und funktioniert.<br />

Die Menschen in der Welt können nicht alle gleich<br />

interessiert sein an klassischer Musik, aber sie wissen,<br />

dass es sie gibt. Und das bewirkt eine ganze<br />

Menge. Selbst in der Türkei sind die Konzerte mit<br />

klassischer Musik gut besucht. So gibt es weltweit<br />

immer eine Schicht von an dieser Musik Interessierten.<br />

Und dieses Bewusstsein hat sich in unserem<br />

Land erst herausgebildet.<br />

PIANONews: Nun will ich aber doch noch einmal auf<br />

die politische Situation in Ihrem Land zu sprechen<br />

kommen, die ja momentan von einer sehr starken religiösen<br />

Partei geleitet wird. Für diese Partei ist die<br />

Unterstützung von Musik kein Ziel, ganz im Gegenteil<br />

kann es so sein, dass sie eine Gefahr nicht nur für die<br />

klassische Musik bedeuten kann, sondern für die Musik<br />

überhaupt. Wie sehen Sie diese Gefahr?<br />

Emre Sen: Ich sage immer: Religion kann keine<br />

Gefahr für die Musik sein, denn die Musik ist keine<br />

Sünde. Aber religiöse Menschen haben dieses<br />

„Extra“, das die klassische Musik stoppen kann: Es<br />

ist westliche Musik, also muss man sie nicht unterstützen.<br />

Aber ein Regierungsmitglied, gleichgültig<br />

welcher Partei es angehört, muss verstehen und<br />

erkennen, dass diese Musik positiv wirkt. Dass es<br />

im Kontakt mit anderen Ländern hilft.<br />

PIANONews: Noch einmal zurück zu den Lehrern an<br />

dieser Schule hier. Sind alle Lehrer aus der Türkei, die<br />

hier Klavier unterrichten?<br />

Emre Sen: Ungefähr vor 12 Jahren wurde das Bilkent<br />

University Orchestra gegründet. Die meisten<br />

Mitglieder kamen aus Russland, aus Aserbaidschan<br />

und anderen Ländern. Sie haben dann<br />

begonnen zu unterrichten, kamen also mit der russischen<br />

Lehrmethodik hierher. Ich sehe also diese<br />

Schule anders als andere Schulen in der Türkei,<br />

denn es handelt sich bei unseren Lehrern um eine<br />

Verbindung von russischer und türkischer Schule.<br />

Sie haben eine ältere Musiktradition in unser Land<br />

mitgebracht.<br />

PIANONews: Ich verstehe, dass es viele Einflüsse gab.<br />

Aber wie sieht es heutzutage aus, sind alle 10 Klavierlehrer<br />

Türken?<br />

Emre Sen: Nein, es ist ungefähr halb und halb. Sie<br />

sind jetzt alle Türken, da sie ihre Staatsange-<br />

H OCHSCHULEN<br />

hörigkeit geändert haben, aber viele kommen aus<br />

Aserbaidschan. Bislang kommt niemand der Lehrer<br />

aus den USA oder aus Deutschland oder ähnlichen<br />

Ländern. Wir versuchen die Kontakte zu intensivieren.<br />

Das ist uns auch sehr wichtig und ich<br />

träume davon, dass es sich in der Zukunft internationaler<br />

entwickelt.<br />

H<br />

Wir machen mit Emre Sen<br />

einen Gang durch die Räume.<br />

Tatsächlich ist die Anzahl<br />

von Unterrichts- und<br />

Überäumen immens groß,<br />

vor allem für die Studentenanzahl.<br />

Die Räume sind<br />

groß und hell, immer mit<br />

einem Fenster ausgestattet,<br />

so dass genügend Tages-<br />

Blick in einen Überaum der<br />

licht auf den Tasten liegt.<br />

Universität.<br />

In den Unterrichtsräumen<br />

Foto: Dürer<br />

stehen Flügel zur Verfügung,<br />

meist sogar zwei. Während in den Konzertsälen<br />

der Universität ausschließlich Steinway-Flügel<br />

ihren Dienst versehen, findet man in den Unterrichts-<br />

und Überäumen allerdings ausnahmslos<br />

eine Marke: Young Chang. Emre Sen: „Das ist wirklich<br />

etwas schade, ich weiß auch nicht genau, warum<br />

dies so ist. Aber für Instrumente, die beständig und<br />

jeden Tag gespielt werden, sind diese Instrumente<br />

nicht geeignet, sie sind einfach nach zwei oder drei<br />

Jahren kaputt. Ich wäre froh, wenn in meinem<br />

Unterrichtsraum anstatt zwei Young Chang-Flügeln ein<br />

ordentlicher Flügel von Kawai oder Yamaha stehen<br />

würde.“ In den gesamten Räumen findet man nur<br />

einen Flügel von Kawai, ansonsten ist es eine Alleinstellung<br />

von Young Chang.<br />

Das Café „Mozart“ ist die hauseigene Mensa,<br />

wenn man so will. In einem halbrunden Speisesaal<br />

der verglast über das Tal schauen lässt, findet<br />

man hier recht preiswert Getränke und Speisen.<br />

Einfaches und qualitativ nicht zu gutes Essen, wie<br />

man uns sagt; aber im Vergleich mit vielen bundesdeutschen<br />

Mensen sicherlich unbedingt konkurrenzfähig.<br />

Was der Gründer Ihsan Dogramaci mit der Bilkent<br />

Universität in Ankara geschaffen hat, ist unvergleichlich<br />

in der Welt. Keine andere Universität<br />

von diesen Ausmaßen, mit diesem Weitblick und<br />

mit dieser Offenheit ist mir bekannt, die von privater<br />

Hand gegründet wurde – aus Überzeugung.<br />

Die Regierung unter der Leitung von Präsident Erdogan<br />

und der Einfluss der religiösen Partei ist allerdings<br />

für das freiheitliche Kulturdenken in der<br />

Türkei eine Gefahr. Dagegen versuchen alle mit<br />

der klassischen Musik befassten Personen ihren<br />

Ehrgeiz auf der einen und ihre Liebe zur klassischen<br />

Musik auf der anderen Seite einzusetzen.<br />

Kontakt<br />

Bilkent University<br />

Faculty of Music and Performing Arts<br />

TR - 06800 Bilkent, Ankara<br />

Tel.: 0090 / 312 / 290 4000<br />

Fax: 0090 / 312 / 266 4127<br />

E-Mail: bilinfo@bilkent.edu.tr<br />

www.bilkent.edu.tr<br />

37


H<br />

Von: Carsten Dürer<br />

H ÄNDLER<br />

KLAVIERHÄNDLER IN ÖSTERREICH<br />

WIE IN FRÜHEREN ZEITEN<br />

Das Klavierhaus Gustav Ignaz Stingl in Wien<br />

Mitten in der City liegt das Klaviergeschäft<br />

Gustav Ignaz Stingl. Von außen ist nicht zu<br />

erkennen, was einen innen erwartet.<br />

Foto: Dürer<br />

Wien ist nicht nur die politische, sondern ebenfalls die kulturelle<br />

Hauptstadt Österreichs. Und selbst wenn Salzburg und Graz versuchen<br />

sich musikalisch immer profilierter darzustellen, bleibt diese<br />

Aussage ein Faktum. Dass in solch einer europäischen Musikmetropole<br />

der Klavierhandel seit langer Zeit eine wichtige Institution<br />

darstellt, versteht sich dabei von selbst. Waren es in früheren Zeiten,<br />

als Mozart oder Beethoven noch in Wien wirkten, die Klavierhersteller,<br />

für die Wien berühmt war, so sind es heute mehr die<br />

Klavierhändler, die die professionellen Pianisten betreuen. Einer der<br />

Händler, der eine Art Traditionsunternehmen in Wien darstellt, ist<br />

das Klavierhaus Stingl. Heute wird dieses Klavierhaus, das im vierten<br />

Bezirk der Hauptstadt seinen Sitz hat – und damit mitten im<br />

Seit 1989 alleiniger Inhaber des<br />

Klaviergeschäftes: Gustav Ignaz Sych.<br />

Foto: Dürer<br />

Herzen der Stadt – von Gustav Ignaz Sych geleitet. Wie aber stellt sich heute die Situation eines Händlers<br />

für Klaviere und Flügel in Wien dar, wie sieht die Konkurrenz aus und wie hält man in dieser lebendigen<br />

Metropole den Kontakt zu seinen Kunden?<br />

38 3. 08


3 . 08<br />

Das Klavierhaus „Piano Stingl“ findet man<br />

in der Wiedner Hauptstraße in Wien,<br />

kaum mehr als 10 Fußminuten von der<br />

Staatsoper und vielleicht nur fünf weitere Minuten<br />

vom wichtigsten Konzertsaal Wiens entfernt: dem<br />

Wiener Musikverein. Der Schriftzug ist deutlich am<br />

Haus angebracht, und ein kleines Ladenlokal<br />

macht nochmals aufmerksam auf das Klavierhaus.<br />

Aber das kann doch nicht alles sein, oder?<br />

Der Eindruck täuscht, den man von dem kleinen<br />

Ladenlokal mit nur einem Konzertflügel im Inneren<br />

erhält, denn ein kleines Schild verweist auf<br />

den Hauseingang seitlich des Ladenlokals: Dort<br />

kann man eintreten, indem man einen Türdrücker<br />

betätigt, und gelangt in den ersten Stock des<br />

Hauses, in dem sich dann ein großes Klavierfachgeschäft<br />

mit zahlreichen kleinen Nebenräumen<br />

präsentiert. Die „Beletage“ war in Österreich traditionell<br />

für Geschäfte mit größeren Ausstellungsstücken<br />

gedacht. Zudem ist es hier heutzutage<br />

weitaus ruhiger als in einem Ladenlokal, das<br />

ebenerdig den starken Verkehr auf der Straße mit<br />

großem Isolierungsaufwand ausschließen müsste.<br />

Im Hauptraum präsentieren sich zahlreiche Flügel<br />

unterschiedlicher Marken, in den Nebenräumen<br />

sind es die Klaviere und auch gebrauchte und<br />

in der hauseigenen Werkstatt aufgearbeitete Instrumente.<br />

Erst beim Umherschweifen durch die<br />

traditionellen Räume wird dem Besucher klar,<br />

dass hier die Auswahl recht groß ist, die Markenvielfalt<br />

ebenfalls. Und durch die zahlreichen Plakate<br />

mit Widmungen an den Eigentümer wird<br />

auch deutlich, dass eine enge Zusammenarbeit<br />

zwischen den Künstlern und diesem Klavierhaus<br />

besteht.<br />

Kurze Geschichte<br />

1860 hatte Anton Stingl (1825–1885) den Tischlereibetrieb<br />

von seinem Onkel übernommen und<br />

widmete sich schon bald dem Bau von Klavierkorpussen<br />

– das war im fünften Bezirk in Wien. 1887<br />

nahm er seine drei Söhne Gustav, Ignaz und<br />

Wilhelm in seinen Betrieb auf und wurde zu Gebr.<br />

Stingl. Diese widmeten sich verstärkt dem Klavierbau<br />

und übernahmen bald schon die Räumlichkeiten<br />

der berühmten Firma Streicher in Wien, genauer<br />

in der Ungargasse. Da die Familie Streicher<br />

nach einer enormen Historie kinderlos ausstarb,<br />

war der Grundstein für das Aufblühen des Unternehmens<br />

Stingl gelegt. In dem ehemaligen Gebäude<br />

des Unternehmens Streicher, dem sogenannten<br />

„Streicherhof“, baute man eine Fertigung<br />

für Klaviere auf. Bald schon wurden die Brüder als<br />

wichtigster Instrumentenerzeuger der damaligen<br />

Monarchie bezeichnet; und dies immerhin gegen<br />

so berühmte österreichische Hersteller wie Ehrbar,<br />

Bösendorfer und einige andere. Von Anfang an<br />

hatte man einen Schwerpunkt der Produktion auf<br />

die Klaviere, nicht auf die Flügel gelegt, im Gegensatz<br />

zu den zahlreichen anderen Herstellern.<br />

Um 1910 war das Unternehmen zu einer AG geworden.<br />

Nach und nach starben die Erben der<br />

Stingls und das Unternehmen geriet in die Hände<br />

einer tschechischen Bank. Doch die Geschäfte liefen<br />

nicht mehr so wie noch unter den Familien-<br />

H ÄNDLER<br />

mitgliedern, eine wirkliche Neuerzeugung gab es<br />

kaum mehr, auch wenn damals die Marke „Stingl<br />

Original“ begründet worden war. Es wurden Restbestände<br />

und altes Wissen verarbeitet. Später gingen<br />

diese Restbestände an das tschechische Klavierbauunternehmen<br />

Lauberger & Gloss, die bis zu<br />

Beginn des 1. Weltkriegs kleine Stückzahlen unter<br />

diesem Namen fertigten.<br />

Der einzige noch lebende Nachfahre der Stingls,<br />

Gustav Ignaz Stingl, gründete dann 1921 das Unternehmen<br />

„Gustav Ignaz Stingl“ in Wien. Dieser<br />

hatte noch das Klavierbauhandwerk in der Ungargasse<br />

als junger Mann gelernt. Er war der Onkel<br />

des heutigen Besitzers Gustav Ignaz Sych. Es war<br />

ein Handelsbetrieb, der 1921 eingetragen wurde,<br />

aber ein Jahr später erhielt man auch die Berechtigung<br />

zur Fertigung von Neuinstrumenten. Doch<br />

Gustav Ignaz Stingl schwebte längst kein Produktionsbetrieb<br />

mehr vor, wie ihn seine Vorfahren<br />

betrieben hatten, sondern er begann neben dem<br />

Verkauf von Klavieren und Flügeln mit der handwerklichen<br />

Fertigung einiger weniger Klaviere.<br />

„Heute ist es so, dass wir auf Kundenwünsche immer<br />

noch hier und da einige wenige Stücke rein handwerklich<br />

fertigen“, erklärt Gustav Ignaz Sych und fügt<br />

hinzu: „Aber das ist nichts, wovon man lebt, sondern<br />

man erhält sich einige Fertigkeiten in der Werkstatt.“<br />

Das heutige Geschäft<br />

So richtig gewandelt hat sich das Kerngeschäft im<br />

Handel vor allem in den 70er Jahren, als noch<br />

mehrere Klaviere jeden Tag verkauft werden<br />

Ferienwohnung mit Steinway-Flügel<br />

H<br />

Die Flügelgalerie steht zum<br />

Anspielen bereit.<br />

Foto: Dürer<br />

Landhaus Woltersmühlen,Nähe Timmendorfer Strand, vermietet eine<br />

große komfortable Ferienwohnung mit Steinway-Flügel in romantischer<br />

Wassermühle -schönste Lage.<br />

Tel.: 0177-7777359 oder 04524 / 359 Fax: 04524 / 900456<br />

www.landhaus-woltersmuehlen.de<br />

39


H<br />

Nicht nur die Plakate an den Wänden atmen Geschichte, sondern<br />

auch die Lampen und die Innenausstattung.<br />

Foto: Dürer<br />

H ÄNDLER<br />

konnten. Bis zu dieser Zeit, so sagt der heutige Inhaber,<br />

wurden im handwerklichen Betrieb noch<br />

70 bis 80 Klaviere der eigenen Marke gefertigt und<br />

waren auch für den Broterwerb des Unternehmens<br />

eine wichtige Säule. Und so lernte auch Sych das<br />

Klavierbauhandwerk im hauseigenen Betrieb sowie<br />

in Deutschland – doch nebenher absolvierte er<br />

Aufgrund der hohen Decken in dem<br />

alten Gebäude ist der Klang beim<br />

Anspielen hervorragend.<br />

Foto: Dürer<br />

auch eine betriebswirtschaftliche Ausbildung. Zu<br />

Beginn war das Unternehmen noch eine OHG, in<br />

der auch sein Vater Gesellschafter war. Nach dessen<br />

Tod 1989 allerdings wurde das Unternehmen<br />

zu einer Einzelhandelsgesellschaft und Gustav<br />

Ignaz Sych war allein verantwortlich.<br />

Wie hat sich das Geschäft für Sych in einer Stadt<br />

wie Wien verändert, in der es ja auch in den vergangenen<br />

Jahrzehnten zahlreiche Änderungen gegeben<br />

hat? „Nun, so wie wir es empfinden, hat es vor<br />

allem eine Änderung hin zum Interesse an Flügeln gegeben“,<br />

sagt Sych. „Das sage ich nur ganz grob. Da<br />

gehören sicherlich Wohlstandsstrukturen hinzu. Das<br />

Klavier, auf dem man Jahrzehnte gespielt hat, kommt<br />

in den Zweitwohnsitz, Kinder ziehen aus, es entsteht ein<br />

größerer Musikraum – und so ist Platz für einen Flügel.<br />

Zudem gibt es wieder sehr viele Musiksalons. Nicht in<br />

der geschlossenen, biedermeierlichen Atmosphäre wie<br />

früher, aber in jedem Fall in einem privaten Bereich.<br />

Dieses Leben ist in Wien sehr intensiv geworden, auch<br />

durch die Internationalität. Zudem ist es natürlich die<br />

große Anzahl der Studenten, die nach Wien kommen,<br />

um hier Klavier zu studieren.“ Eine grobe Einschätzung.<br />

Natürlich kommt das reichhaltige Konzertleben<br />

hinzu. „Das Angebot ist so enorm, dass ja zeitweise<br />

die Studenten das Studieren zu vergessen scheinen“,<br />

grinst Sych. Immer wieder kommt es vor,<br />

dass gleich zwei Konzerte in einem kleinen Rahmen<br />

am gleichen Tag vom Klaviergeschäft Ignaz<br />

Stingl mit Gestellungsinstrumenten beliefert werden.<br />

Die Konkurrenz aber hat sich auch geändert,<br />

denn immerhin gibt es mittlerweile neben dem<br />

traditionsreichen Stadtsalon von Bösendorfer im<br />

Musikverein auch ein Steinway-Haus in Wien<br />

sowie ein eigenes Fachgeschäft von Blüthner. „Es<br />

wird interessanter“, sagt Sych ganz ruhig, „jeder versucht<br />

in einer Stadt wie Wien die Aufmerksamkeit auf<br />

sich zu ziehen.“ Insgesamt haben die Klavierfachhändler<br />

auch heute weniger Marken als früher<br />

noch. Das Klavierfachgeschäft Stingl arbeitet mit<br />

den Marken Kawai, Fazioli, Grotrian-Steinweg und<br />

Rönisch. „Wir hatten niemals das Interesse, unseren<br />

Betrieb mit einer großen Markenvielfalt aufzublähen“,<br />

meint Sych, „auch wenn es immer wieder leichte<br />

Verschiebungen im Angebot gab. Unsere Klientel ist<br />

stark klassisch orientiert und so haben wir unser<br />

Angebot darauf stark abgestimmt.“ Gebrauchte Instrumente<br />

werden ebenfalls angeboten, aber stellen<br />

nur einen geringen Anteil am Instrumentenverkauf<br />

dar. Die Instrumente, die bei Stingl angeboten<br />

werden, sind Instrumente, die man bereits<br />

kennt, die man betreut hat, und die in der eigenen<br />

Werkstatt aufgearbeitet wurden.<br />

Service wird bei Sych großgeschrieben. „Wir haben<br />

eine eigene Werkstatt, in der ja auch noch immer<br />

produziert wird. Wir sehen es als etwas sehr Wertvolles<br />

an, dass wir eine Betreuung in jeder Hinsicht, auch in<br />

der Werkstatt anbieten können. Vor allem im öffentlichen<br />

Bereich von Konzertveranstaltern, Musikschulen,<br />

Konservatorien und Hochschulen ist es schlicht von<br />

unserer Warte aus wichtig, dass innerhalb von drei<br />

Stunden jemand von uns vor Ort ist. Da wir solche<br />

Institutionen beständig betreuen, ist dies etwas sehr<br />

Wertvolles.“ Sych kennt als Wiener den Markt vor<br />

der Haustür bis ins Kleinste und ist stolz auf die<br />

40 3 . 08


3 . 08<br />

Flexibilität, die er bieten kann. Allerdings bietet er seinen Service nur für<br />

Instrumente an, die auch aus seinem Geschäft stammen: „Wien hat ein<br />

gewisses Eigenleben in vielerlei Hinsicht“, sagt er, „und da wollen wir<br />

Komplikationen vermeiden. Es soll nicht heißen, dass das Instrument auf einmal<br />

etwas anders ist, da die Firma X an diesem Instrument geschraubt hat. Es soll die<br />

Firma X nicht die Kastanien für die Firma Y aus dem Feuer holen. Wir sind gerne<br />

für die Instrumente im öffentlichen Bereich tätig, die von uns stammen.“ Dies<br />

sind dann vor allem Instrumente der Marken Kawai, Fazioli und Grotrian-<br />

Steinweg. Dies sind die Hauptflügelmarken aus dem Fachgeschäft. Die<br />

Universität für Musik in Wien hat sogar dreistellige Zahlen von<br />

Instrumenten aus dem Hause Sych im Einsatz, einige sind allerdings auch<br />

schon 30 Jahre lang dort.<br />

Die Werkstatt vom Klavierhaus Gustav Ignaz Stingl liegt im 12. Bezirk,<br />

allein schon aufgrund des Platzangebotes. Dort arbeiten zwei feste Klavierbauer.<br />

Einer dieser ist zudem für den Service außerhalb der Werkstatt<br />

zuständig. Daneben arbeitet man mit einem freien Stimmer, der aber<br />

hauptsächlich für Stingl tätig ist.<br />

Eine Besonderheit im österreichischen Markt, was man in Deutschland<br />

schon als absolute Normalität seit Jahrzehnten ansieht, erklärt Sych zudem:<br />

„Es gibt immer mehr Anbieter von Instrumenten im privaten Bereich. Das war<br />

früher einfach nicht der Fall. Dies hat sich – in einer merklichen Stückzahl – erst in<br />

den vergangenen fünf bis zehn Jahren herauskristallisiert.“ Dies mag auch daran<br />

liegen, dass nach dem Zweiten Weltkrieg noch zahlreiche Instrumente<br />

in Privathand blieben, da die Instrumente nicht zerstört worden waren.<br />

Dies sagt Sych vor allem aus Kenntnis für Ostösterreich. Während unseres<br />

Besuches kommen immer wieder begabte Studenten und Schüler in das Geschäft,<br />

um Flügel anzuspielen – ein eher seltenes Bild im Klavierfachhandel,<br />

dass so viel Betrieb an einem Vormittag herrscht. Sind die Kontakte zu<br />

Künstlern in einer Stadt wie Wien besonders wichtig? „Es entsteht einfach ein<br />

engerer, intensiverer Kontakt, wenn wir die Instrumente für die Konzerte betreuen.“<br />

Ein aggressives Angehen an die Künstler will Sych allerdings nicht<br />

betreiben, vielmehr ist seine Devise, für den Künstler da zu sein, wenn man<br />

gebraucht wird. „Wir wollen Partner der Künstler sein“, apostrophiert er.<br />

Künstler kommen aufgrund der Marken gerne in das Fachgeschäft, hier<br />

knüpft man die ersten Kontakte – oftmals recht früh: „Wir lernen viele<br />

Künstler hier kennen, wenn sie vielleicht noch einfache Studenten sind, wir aber<br />

schon merken, aus diesem oder jenem kann etwas werden. Und wir halten einfach<br />

den Kontakt.“ Markus Schirmer und Jasminka Stancul gehören zu<br />

Stammgästen des Hauses, ebenso wie der Dirigent Fabio Luisi. Es ist eine<br />

fachlich verankerte Zusammenarbeit auch zu der Privatuniversität, dem<br />

Konservatorium, aber auch zu Mitgliedern der Wiener Orchester, die von<br />

Sych gepflegt wird.<br />

In den Räumen von Piano Stingl herrscht eine geschäftige Atmosphäre,<br />

die sich beständig auf einem hohen Niveau zu bewegen scheint, hört man<br />

den Kunden zu. Kein Wunder, die Räume strahlen diese Atmosphäre aus,<br />

ebenso wie Gustav Ignaz Sych, der sich fachlich gerne mit den Kunden auseinandersetzt.<br />

Dieses Fachgeschäft mit seiner interessanten Historie gehört<br />

sicherlich zu den bemerkenswertesten in Österreich.<br />

Gustav Ignaz Stingl<br />

Wiedner Hauptstraße 18<br />

1040 Wien<br />

Tel.: 0043 / 1 / 587 862 4<br />

Fax: 0043 / 1 / 587 862 415<br />

E-Mail: info@stingl-klavier.at<br />

www.stingl-klavier.at<br />

H ÄNDLER<br />

Mitarbeiter: 4<br />

Ausstellungsfläche: 450 Quadratmeter<br />

Marken: Fazioli, Grotrian-Steinweg, Kawai, Rönisch<br />

Gestellservice: Fazioli, Kawai, Grotrian-Steinweg<br />

Mietinstrumente: ja<br />

Werkstatt: 180 Quadratmeter<br />

Digital-Pianos: ja


P<br />

P ORTRÄT<br />

OTTRÄT<br />

Nachdenklicher Perfektionist<br />

JEAN-BERNARD POMMIER<br />

Von: Carsten Dürer<br />

Der Name dieses französischen Pianisten ist den meisten Lesern wahrscheinlich mehr aus den<br />

80er und dem Beginn der 90er Jahre geläufig. Doch Jean-Bernard Pommier ist immer noch<br />

da, ist einer der beachtlichsten Pianisten, die weltweit aktiv sind. Und seine schon älteren<br />

Gesamteinspielungen aller Beethoven-Sonaten und aller Mozart-Sonaten und -Konzerte können<br />

auch heute noch als Referenzeinspielungen gelten, die besonders die Hörer begeistern,<br />

für die das Werk mehr im Vordergrund steht als der Pianist. Pommier ist ein ernsthafter, aber<br />

ein zurückhaltender Künstler, einer, für den das Werk des Komponisten, der Notentext wichtiger<br />

ist als ganz persönliche, vordergründige Ansichten. Die Aussagekraft kommt bei ihm aus<br />

der langjährigen Beschäftigung mit den einzelnen Werken. Und damit ist er einer der<br />

Pianisten, die die Ideen einer fast vergangenen Pianistengeneration aufrechterhalten und<br />

ihnen folgen. Wir trafen den heute 64-jährigen, aber immer noch jugendlich wirkenden Jean-<br />

Bernard Pommier in Amsterdam, einem seiner drei Wohnorte: Er ist mit einer russischen<br />

Geigerin verheiratet und hat daher mit ihr eine Wohnung in St. Petersburg und natürlich<br />

auch in Béziers, seinem Geburtsort. Es entspann sich ein spannendes Gespräch über die<br />

Ansichten über Musik im Allgemeinen, über die Art, wie man empfinden muss, um die Musik<br />

auf ein Publikum zu transportieren, was man beachten sollte, um ein Werk immer wieder so<br />

faszinierend erklingen zu lassen, als würde es soeben das erste Mal vom Interpreten gespielt.<br />

Jean-Bernard Pommier ist in Deutschland heutzutage<br />

nicht so präsent, wie man es vielleicht<br />

wünschen würde. Seine frühen Einspielungen<br />

bei Virgin Classics mit Werken von Debussy, aller<br />

Chopin-Walzer, seine Kompletteinspielung der<br />

Beethoven-Sonaten, die bis in die 90er Jahre andauerte,<br />

ließen ihn mehr präsent sein, nicht nur in<br />

den Medien, sondern auch im Konzertsaal. Seine<br />

intensivste Zusammenarbeit in Deutschland reicht<br />

allerdings in die Karajan-Ära zurück, zu dem er<br />

einen engen Kontakt hielt.<br />

Die ersten Schritte und große Lehrer<br />

Pommiers Vater war Organist in Béziers. War dies<br />

die Initialzündung für ihn, das Musizieren im Alter<br />

von vier Jahren zu beginnen? Und wenn ja, warum<br />

nicht das Orgelspiel, sondern das Klavierspiel?<br />

„Ich würde sagen, die Antwort ist: das Tastenspiel.<br />

Ich erinnere mich zwar nicht mehr genau, aber<br />

meine Familie hat es mir immer wieder erzählt, dass es<br />

einen Zwischenfall gab, der den Auslöser bedeutete.<br />

Aber zuerst muss ich noch etwas anderes erwähnen<br />

42 3 . 08<br />

Foto: Jean-Claude Martinez


3 . 08<br />

und erzählen: Ich bin das achte von acht Kindern, was<br />

sehr wichtig war. Ich wurde also 1944 geboren, in eine<br />

Zeit, als alles andere wichtiger war, als sich um meinen<br />

Musikunterricht zu kümmern, es war gerade das Ende<br />

des Krieges, alles war zerstört. Aber es gab ein Zeichen,<br />

das mit der Orgel in Zusammenhang steht. Mein Vater<br />

vergaß mich eines Tages nach der Messe in der Kirche,<br />

an der Orgel. Er dachte, ich wäre bereits mit meiner<br />

Mutter und meinen Geschwistern aus der Kirche gegangen.<br />

Er schloss also die Kirche ab und ich war<br />

allein. Und als mein Vater draußen war, hörte er auf<br />

einmal die Orgel spielen und war schockiert. Er schloss<br />

wieder auf, ging zurück in die Kirche, rannte zur Orgel<br />

hoch und sah mich dort sehr vorsichtig auf den Tasten<br />

spielen, improvisieren, da die Orgel immer noch<br />

Restluft hatte. An diesem Punkt startete meine musikalische<br />

Karriere“, erklärt der Franzose schmunzelnd.<br />

Pommiers Heimatstadt Béziers war in einer Gegend,<br />

in die die Deutschen laut Vereinbarung<br />

auch während des Krieges nicht einmarschierten.<br />

Entsprechend, so erklärt Pommier, ließen sich in<br />

der Region zahlreiche Juden und Russen nieder,<br />

vor allem auch verfolgte Künstler. „Zu dieser Zeit<br />

kam auch eine ukrainische Pianistin, Mina Koslowa,<br />

nach Béziers. Sie war bereits um die 50 Jahre, hatte<br />

ihre Karriere aufgegeben. Sie war sehr befreundet mit<br />

Vladimir Horowitz, mit dem sie gemeinsam aufwuchs.<br />

Wie auch immer, mein Vater kannte natürlich als<br />

Organist der Kirche fast jeden in der Gemeinde. Und<br />

nachdem er mich die Orgel hatte spielen hören, brachte<br />

er mich sofort zu ihr. Und sie sagte sofort: Natürlich,<br />

morgen beginnt der Junge bei mir zu lernen.“ So kam<br />

es, dass sein gesamtes Leben sich ab diesem<br />

Zeitpunkt um die drei Stunden Unterricht bei Mina<br />

Koslowa drehte und organisiert wurde. „Drei Stunden,<br />

jeden Tag, außer Sonntag. Von 9 bis 12 Uhr war<br />

ich bei ihr, studierte alles, was wichtig war. Und dies<br />

im Alter von vier bis 11 Jahren. Ich erwähne das, weil<br />

dies ein Geschenk Gottes war. Sie war nicht nur eine<br />

gute Pädagogin, sondern auch eine wunderbare Pianistin<br />

aus der russischen Klaviertradition, in der ich<br />

nun studierte.“ Das war der Beginn.<br />

Doch die Heimat von Pommier war auch der Geburtsort<br />

eines anderen berühmten französischen<br />

Pianisten: Yves Nat. „Mein Vater kannte Yves Nat<br />

und als ich acht Jahre alt war, schlug Mina Koslowa<br />

meinem Vater vor, mich zu Yves Nat zu bringen. So<br />

ging ich nach Paris und begann bei ihm alle zwei<br />

Wochen zu studieren. Natürlich war es etwas anderes<br />

als ein regulärer Unterricht, er war wie ein Großvater<br />

für mich. Wir fuhren die gesamte Nacht durch, um<br />

nach Paris zu gelangen und einen Tag mit ihm, seiner<br />

Frau und seinem Hund zu verbringen, der sogar mit<br />

uns am Mittagstisch saß.“ Diese privaten Unterrichtseinheiten<br />

von acht bis 11 Jahren waren eine<br />

Bereicherung der Ansichten des jungen Pommier.<br />

Seine erste Konzerterfahrung hatte Pommier<br />

bereits mit sieben Jahren in Béziers mit Mozarts<br />

Klavierkonzert KV 488 gesammelt, aber seinen<br />

ersten Auftritt in Paris verdankte er Yves Nat, der<br />

ihn in eines seiner Konzerte einlud. „Das war 1954.<br />

Ich spielte eine Englische Suite von Bach, die ‚Arabeske’<br />

von Schumann und eine Haydn-Sonate, die in D-Dur.“<br />

Ein beachtliches Programm für einen Zehnjährigen.<br />

„Noch bevor Yves Nat verstarb, erklärte er meinem<br />

Vater, dass er mich zu einem seiner Schüler, zu<br />

Pierre Sancan nach Paris bringen sollte, um bei ihm<br />

P ORTRÄT<br />

weiterzustudieren.“ Das war dann am Pariser Conservatoire<br />

im Jahre 1958. Dort verblieb er bis zu<br />

seinem Abschluss im Jahre 1961. Doch die Karriere<br />

hatte schon ihren Anfang genommen. 1960 nahm<br />

Pommier am Klavierwettbewerb der Jeunesses Musicales<br />

in Berlin teil und gewann den ersten Preis:<br />

„Das war noch zu der Zeit, als ich im Conservatoire<br />

war. Man hatte mich gefragt, ob ich dort nicht teilnehmen<br />

wolle, so fuhr ich hin und gewann erstaunlicherweise<br />

den ersten Preis. Den zweiten Preis erhielt Maria<br />

João Pires.“<br />

Tschaikowsky-Wettbewerb und seine Folgen<br />

Doch in jeder biografischen Beschreibung Pommiers<br />

wird erwähnt, dass er im Tschaikowsky-<br />

Wettbewerb in Moskau im Jahre 1962 der jüngste<br />

Finalist war. Ein Ereignis? Was passierte danach<br />

mit seiner Karriere? „Wissen Sie, nachdem im Tschaikowsky-Wettbewerb<br />

zuvor Van Cliburn gewonnen<br />

hatte, war dieser Wettbewerb mit einem Schlag berühmt.<br />

So achtete man in der Öffentlichkeit noch viel<br />

stärker auf das, was danach in diesem Wettbewerb<br />

passieren würde.“ Also brachte es ihm wirklich einen<br />

Karriereschub, auch wenn er diesen Wettbewerb<br />

nicht gewann? „Oh ja, er brachte alles für<br />

mich“, erklärt er mit großen Augen und fährt fort:<br />

„Ich erhielt sofort Konzert-Engagements, zudem wurde<br />

ich noch 11 Mal in die Sowjetunion eingeladen, um<br />

dort zu spielen.“ Doch Jean-Bernard Pommier hatte<br />

auch schon zuvor eine Art von Netzwerk aufgebaut,<br />

das ihm half. „Als ich noch in Béziers lebte, reiste<br />

ich nach Prades, um Pablo Casals vorzuspielen,<br />

den mein Vater wiederum kannte. Er wollte einfach von<br />

ihm wissen, ob ich mich in der richtigen Richtung entwickeln<br />

würde. Das war sehr wichtig für mich, denn<br />

ich spielte für Casals und er wollte, dass ich für Clara<br />

Haskil, für Myra Hess, für Rudolf Serkin, für all die<br />

großen Künstler spielte, die auch zu diesem Festival in<br />

Prades kamen. So fuhr ich mehrere Jahre hintereinander<br />

immer wieder zu diesem Festival, spielte auch für<br />

William Kappell, Horszowski und andere. Das war zwischen<br />

1950 und 1955. 15 Jahre später traf ich dann<br />

alle diese Leute in den USA wieder, als ich dort für eine<br />

Weile immer wieder auftrat. Es war in diesem Moment,<br />

als würde eine Art Familie sich wiederfinden.“ Dennoch<br />

bedeutete die Teilnahme am Tschaikowsky-<br />

Wettbewerb den eigentlichen Durchbruch, Eugene<br />

Istomin arrangierte einen längeren Aufenthalt in<br />

den USA für ihn. „Glücklicherweise verlief alles sehr<br />

leicht und stringent. Auch die Sache mit Herbert von<br />

Karajan war ein Zufall: Er sah mich im französischen<br />

Fernsehen in der Nacht, als man eine Aufnahme von<br />

mir mit der Liszt-Sonate übertrug. Er griff zum Telefon<br />

und erkundigte sich, wer dieser Junge sei, und engagierte<br />

mich nach Salzburg.“ Allerdings war dies<br />

noch kein Solokonzert, sondern er sollte das 1. Klavier<br />

im Konzert für vier Klaviere von Bach mit Karajan<br />

selbst am Klavier und mit Justus Frantz und<br />

Walter Klien spielen. Aber schon in der Pause der<br />

Probe bot ihm Karajan ein Konzert in Berlin an.<br />

Ähnliches passierte ihm mit Celibidache. Man erklärte<br />

dem berühmten Dirigenten, dass man ein<br />

Konzert mit diesem Jungen vorschlagen würde. So<br />

kam er zu einem Pariser Konzert von Pommier und<br />

fragte ihn danach, was er gerne mit ihm spielen<br />

würde: „Ich sagte: Alles, was Sie wollen. Er erklärte,<br />

P<br />

43


P<br />

P ORTRÄT<br />

dass man dies doch in Ruhe besprechen solle. So kam<br />

er am kommenden Tag zu mir und wir verbrachten<br />

fünf intensive Stunden miteinander, in denen wir alles<br />

Mögliche diskutierten.“ Immer wieder wurde er von<br />

diesen so unterschiedlichen Dirigenten eingeladen,<br />

mit ihnen zu konzertieren, auch wenn er den<br />

Namen Karajan Celibidache gegenüber nicht<br />

erwähnen durfte, Karajan ihn dagegen stichelnd<br />

Foto: Jean-Claude Martinez<br />

fragte, wie es dem anderen Dirigenten ginge. „Ich<br />

befand mich zu dieser Zeit zwischen Karajan und<br />

Celibidache auf der einen, und Daniel Barenboim und<br />

Zubin Mehta auf der anderen Seite“, sagt er lachend.<br />

Aber auch zu vielen anderen Dirigenten pflegte er<br />

gute berufliche Kontakte.<br />

Repertoire und Einspielungen<br />

Wie war es mit dem Repertoire? Verspürte er jemals<br />

den Druck, mehr französisches Repertoire<br />

spielen zu sollen, da er Franzose ist, als anderes<br />

Repertoire? „Nein, das war bei mir niemals der Fall.<br />

Bei mir stand immer die Qualität im Vordergrund,<br />

mein Spiel, niemals meine Nationalität. Vielleicht<br />

kommt dies auch aufgrund meiner Ausbildung zustande.<br />

Ich habe sehr viele Organisten getroffen, habe<br />

auch lange immer wieder in Paris Orgel gespielt. Zum<br />

anderen meine Lehrerin Mina Koslowa, die mehr auf<br />

die Musik achtete als auf andere Dinge. Mir sagte man<br />

nicht, dass ich jenes so oder so spielen sollte, sondern<br />

man fragte mich immer genau, warum ich dies so<br />

spielte, und nicht anders. Es war mehr eine transzendentale<br />

Ausbildung im Bereich der Musik als eine rein<br />

technische.“<br />

Aufgenommen hat er vielfach komplette Zyklen,<br />

die kompletten Beethoven-Sonaten für Erato, die<br />

kompletten Mozart-Sonaten. Was ist so besonders<br />

daran, alles komplett einspielen zu wollen? „Nun,<br />

das liegt an den Wünschen einer Schallplattenfirma.<br />

Als ich meinen ersten Vertrag bei EMI unterschrieb,<br />

war ich gerade einmal 19 Jahre. Und als man mich<br />

fragte, ob ich Schumann aufnehmen möchte, sagte ich<br />

natürlich ja. Und ich sollte dann die komplette Klaviermusik<br />

von Debussy einspielen, aber dazu kam es<br />

nicht mehr ganz, da wir die Zusammenarbeit in der<br />

Mitte unterbrachen. Wie auch immer, man entspricht<br />

den Wünschen einer Schallplattenfirma. Zudem waren<br />

dies auch noch ganz andere Zeiten, als ich diese Aufnahmen<br />

gemacht habe.“ Dennoch, das Repertoire<br />

lässt sich bei Pommier kaum festlegen, fast alles<br />

hat er gespielt, von Bach bis Schönberg, kaum<br />

Ausnahmen sind auszumachen, auch wenn es<br />

vielleicht immer wieder einmal Schwerpunkte gab.<br />

Erklärend sagt er: „Ich war mein ganzes Leben lang<br />

sehr hungrig nach Musik. Ich habe alles in mich hineingefressen,<br />

habe alles versucht zu spielen. Ich hatte<br />

die gewisse Fähigkeit, sehr schnell zu lernen. Heutzutage<br />

ist es etwas langsamer geworden“, schmunzelt<br />

er mit Hinweis auf sein Alter. „Aber ich sage niemals<br />

nein zu einem neuen Stück. Wenn ich einige meiner<br />

Kollegen sehe, die immer wieder sagen: ‚Oh nein, das<br />

und das spiele ich nicht, vielleicht in zwei Jahren.’<br />

Dann aber sage ich: ‚Stell doch einfach die Noten aufs<br />

Pult und spiel es durch.’“ Er lacht bei dieser Aussage<br />

über sich selbst.<br />

Momentan spielt Pommier erstmals in seinem<br />

Leben die 32 Klaviersonaten von Beethoven zyklisch<br />

in mehreren Städten Europas, in London, in<br />

Paris, in Lissabon und in St. Petersburg. „Ein weiterer<br />

Ort wird ein kleiner Ort in Frankreich sein, wo eine<br />

wunderbare kleine Konzertserie von einem Freund von<br />

mir veranstaltet wird“, sagt er und ergänzt, dass Pianisten<br />

wie Lupu und Ashkenazy dorthin gehen, da<br />

sie mit einem hervorragenden Wein honoriert<br />

werden. Warum aber spielt er diese Sonaten chronologisch<br />

nach dem Entstehen? „Das war ein<br />

Wunsch des Veranstalters in London. Ich war dagegen,<br />

da ich der Meinung bin, dass es kein sehr gutes<br />

Konzept ist. Verstehen Sie: Ein Komponist schreibt über<br />

sein gesamtes Leben 32 Klaviersonaten. 100 Jahre<br />

nachdem er verstorben ist, sieht man, dass es bei diesen<br />

32 Sonaten interessante Bezüge zwischen einigen<br />

zu vollkommen unterschiedlichen Zeiten entstandenen<br />

Sonaten gibt. Das ist spannend und ist auch ein wichtiges<br />

Indiz für das Überleben dieser Musik.“ Wie<br />

denkt er über seine Art des Zugangs aus früheren<br />

Zeiten? Denn immerhin wurde der Beethoven-<br />

Sonaten-Zyklus auf CD bereits zu Beginn der 90er<br />

Jahre abgeschlossen. Hat sich die Sichtweise verändert?<br />

„Das ist ein wichtiger Aspekt: Ich würde sagen,<br />

dass das Konzept grundsätzlich und organisch<br />

einfach vorhanden ist. Denn auch zu dieser Zeit war es<br />

nicht anders für mich, die Musik zu lesen, als es heutzutage<br />

der Fall ist. Man muss strukturell verstehen,<br />

was das Stück sagen will. Die jüngeren und die mittelalten<br />

Pianisten geben diesen Sonaten eine andere<br />

Substanz. Im Besonderen im Bereich der Tempi. Das<br />

heißt nicht, dass sie schneller oder langsamer spielen.<br />

Ein Satz ist wie ein Tunnel, der vorwärtsführt. Wenn<br />

man die Tempi innerhalb dieses Satzes verändert,<br />

erhält man andere Proportionen. Ich will versuchen,<br />

mich davor zu bewahren. Natürlich spielt man anders<br />

mit 20 als mit 60 Jahren, denn in der Zwischenzeit hat<br />

man mehr und mehr erkannt, warum man etwas auf<br />

eine bestimmte Art spielt. Aber wenn man ein Stück<br />

spielt, dann sollte es so wirken, als wäre es das erste<br />

Mal, dass man dieses Werk spielen würde. Aber daher<br />

muss man auch genau wissen, was man macht, um es<br />

so klingen zu lassen. Man muss die alten, in der<br />

Jugend überlegten Dinge wieder über das Stück stülpen.<br />

Es gibt einen Grund, warum es so ist: die Griechen.<br />

All unsere Musik kommt aus der antiken Geschichte,<br />

aus der griechischen und römischen Philosophie,<br />

von Sokrates und Platon, aus der Physik dieser<br />

44 3 . 08


3 . 08<br />

P ORTRÄT<br />

Foto: Jean-Claude Martinez<br />

Zeit – dort liegen die Wurzeln. Dort wie in der Musik gibt es ein<br />

wichtiges Wort: Agogik. Der Wortstamm findet sich in allen<br />

möglichen Worten des Lebens: Pädagogik, Synagoge ... alles<br />

ist mit dieser Idee verbunden. Ein Interpret muss ein Stück<br />

angehen, als würde er zu einem Ziel kommen wollen, aber er<br />

muss dieses Ziel dadurch erreichen, dass er einen bestimmten<br />

Weg durchschreitet. Heutzutage nimmt man das Flugzeug,<br />

den Helikopter, um eine Wegstrecke zu überwinden; aber wenn<br />

man nicht selbst auf dem Boden läuft, dann lernt man nicht<br />

das Stück kennen. Da gibt es dann noch das wichtige Phänomen<br />

der Zeit.“ Diese fixen Punkte machen es, so Pommier,<br />

möglich, dass man zu einem Stück immer und immer<br />

wieder wie zu einem neuen Werk zurückkehren kann.<br />

Wenn man nun aber zu einem Stück zurückkehrt, ändert<br />

sich die Interpretation nicht auch durch die Erfahrung,<br />

die emotionale Erfahrung des Lebens, die man in<br />

auch noch so kurzer Zeit zwischen zwei Aufführungen gemacht<br />

hat? Fügt man diese emotionale Ebene der Erfahrung<br />

nicht dem Stück hinzu? „Natürlich und Sie haben<br />

schon die Antwort gegeben“, lacht er. Einmal hat Pommier<br />

gesagt, dass es nicht so wichtig sei, die Schönheit des<br />

Klangs in den Vordergrund zu stellen, sondern die Wahrheit<br />

des Werks. Wenn man dann aber seine Aufnahmen<br />

anhört, dann fällt gerade seine wunderbare Tongebung<br />

auf. Ist er sich dessen bewusst, macht er es bewusst? Wenn<br />

ja, warum ist der Klang dann nicht so wichtig? „Klang ist<br />

ein ehrliches Vehikel. Wenn man einen Klang wählt, dann sollte<br />

der Klang gerade, klar und großzügig sein. Wenn man sich<br />

selbst zuhört und man einen Klang hässlich findet, dann sollte<br />

man sich selbst nicht erlauben, so fortzufahren. Wenn man<br />

dem Klang Aufmerksamkeit widerfahren lässt und man ihn<br />

dann augenblicklich verändert, dann klingt es auf einmal weitaus<br />

besser. Man muss sein eigener Alliierter in Bezug auf den<br />

Klang werden. Das bedeutet, dass ich das Klavier respektiere.<br />

Ich denke, dass ein Klavier der Hand antwortet. Die Hand ist<br />

ein Organ, das aufgewärmt werden muss, bei dem man jegliche<br />

kleine Berührung in den Fingern fühlen muss. Ein Pianist<br />

muss dieser Entwicklung seiner eigenen Fähigkeiten, der Hand<br />

zu lauschen, eine immense Aufmerksamkeit widmen. Es ist ein<br />

Phänomen, das meist in Widersprüchlichkeiten resultiert. Man<br />

hat eine immense Energie in sich. Diese Energie muss man<br />

nach außen tragen, um diese Energie in Klang umzuwandeln.<br />

Das kann aber auch etwas vollkommen Leises sein. Der Klang<br />

selbst bedeutet gar nichts, man hat immer irgendwelche Geräusche<br />

um sich. Die Energie muss aber in Klang umgesetzt<br />

werden, nicht in Geräusche.“ Neben diesen Ansichten,


P<br />

Die aktuellen<br />

Konzertdaten von Jean-<br />

Bernard Pommier in<br />

Deutschland<br />

Wuppertal<br />

Historische Stadthalle<br />

15. September <strong>2008</strong><br />

Leverkusen<br />

Bayer Erholungshaus<br />

17. September <strong>2008</strong><br />

Programm:<br />

Ludwig van Beethoven<br />

Variationen op. 34<br />

SonateOp. 57<br />

„Appassionata“<br />

Franz Liszt<br />

Sonate h-Moll<br />

P ORTRÄT<br />

nimmt er noch ein weiteres Gedankenspiel vor:<br />

„Wir müssen uns doch selbst fragen: Warum mögen<br />

wir ein bestimmtes Stück Musik? Und: Warum existiert<br />

dieses Stück Musik, was sind die Gründe dafür? Gibt es<br />

überhaupt einen Grund? Und dann müssen wir die<br />

Frage beantworten, ob wir ein kleiner Teil dieses Werks<br />

sein können, um dieses Stück Musik so werden zu lassen,<br />

dass es existiert, dass es gemocht wird, dass wir es<br />

mögen. In diesem Moment werden wir den Zugang zu<br />

einem Musikstück verändern. Ich versuche nicht die<br />

Musik zu erklären, ich versuche aber mit ihr zu leben.“<br />

Musikalische Gedanken<br />

Jean-Bernard Pommier fühlt sich als echter Interpret<br />

im besten Sinne, als ein Künstler, der sich<br />

viele Gedanken über Musik, die Wirkung und das<br />

Transportieren dieser auf ein Publikum gemacht<br />

hat. Vielleicht dadurch wirken seine Darstellungen<br />

von unterschiedlichen Werken immer so ehrlich,<br />

so nah am Werk, so als würde man erstmalig die<br />

Wahrheit in dieser Musik hören. Er fährt fort: „Um<br />

auf den Weg zum Ziel zurückzukommen: Innerhalb<br />

eines Satzes sollte man versuchen, den organischsten<br />

Weg zu finden, um ans Ziel zu gelangen, dann ist dieser<br />

Satz dem Leben am nächsten. Zahlreiche Interpreten<br />

haben beispielsweise bei Schumann oder<br />

Brahms immer wieder überzogene Expressivität in die<br />

Werke hineininterpretiert. Aber wenn man in die Noten<br />

schaut, und wenn man dies in Relation zu den Harmonien<br />

setzt und erkennt, warum eine bestimmte Harmonie<br />

auf die vorangegangene folgt, dann erkennt<br />

man, dass die Aussagekraft in dieser Musik selbst<br />

steckt. Und Brahms war vielleicht der Erste in dieser<br />

Zeit, der beispielsweise den Ausdruck ‚non troppo<br />

espressivo’ benutzt, da er nicht wollte, dass man seine<br />

Musik – auch nicht in seiner Zeit – über Gebühr expressiv<br />

spielt.“<br />

Mit seiner Art des Spiels, mit seiner Art des Denkens<br />

über Musik: Ist er eine Art Bewahrer einer<br />

Spieltradition, die auszusterben beginnt? „Ich bin<br />

ja auch schon alt“, sagt er grinsend und fügt aber<br />

Johann Sebastian Bach<br />

Toccaten und Inventionen (EMI)<br />

Ludwig van Beethoven<br />

Sämtliche Klaviersonaten<br />

(Erato)<br />

Frédéric Chopin<br />

Walzer op. 18, op. 34/1,2,3<br />

Walzer op. 42<br />

Walzer op. 64/1,2,3<br />

Walzer op. 69,1<br />

(Erato)<br />

Frédéric Chopin<br />

Sonate Nr. 3; Fantasie op. 49;<br />

Polonaise-Fantasie op. 61; Andante<br />

Spianato und Grande Polonaise<br />

Brillante op. 22<br />

(Erato)<br />

Claude Debussy<br />

Préludes; Images; Children's<br />

dann ernsthaft hinzu: „Es ist eine Art Paradox in<br />

meinem Leben. Manches Mal, wenn jemand hört, dass<br />

meine Frau mit dem Pianisten Pommier verheiratet ist,<br />

erhält sie als Antwort: ‚Lebt er noch?’ Ein anderer<br />

fragt: ‚Oh, spielt er immer noch Klavier?’ Das liegt<br />

daran, dass ich so früh begonnen habe. Es ist nun einmal<br />

ein Teil meiner Erziehung, dass ich von großartigen<br />

Künstlern umgeben war, die unglaublich gut zu<br />

mir waren – es ist für mich nun Zeit, mich dieser Tatsache<br />

zu erinnern ...“, sagt er nachdenklich. „Was<br />

aber meint man mit Tradition? Für mich ist Tradition<br />

auch immer der Weg nach vorne, allerdings mit dem<br />

Wissen aus der Vergangenheit.“<br />

Ist es denn bei all diesen zuvor angestellten<br />

Überlegungen wichtig, die Kontrolle zu behalten?<br />

„Was heißt das denn, die Kontrolle behalten? Ich<br />

denke, dass es kaum ein Limit gibt, exakt zu spielen.<br />

Das rhythmische Element ist dabei sehr wichtig. Und<br />

ich meine nun nicht die niedergeschriebene Rhythmik<br />

eines Werkes, sondern die intuitive Rhythmik, die man<br />

aus dem Körper heraus spürt. Und dann kommt noch<br />

die Akustik ins Spiel. Und ich meine nicht allein die<br />

Akustik des Raums, sondern die Akustik, die man noch<br />

gar nicht wahrnimmt. Das bedeutet: Man muss das<br />

Werk genau kennen, um im Voraus zu hören, was an<br />

Klang kommen soll. Dieses Element müssen wir entwickeln,<br />

und dieses Element müssen wir wieder – auch<br />

für die Musikausbildung – entwickeln, da junge Menschen<br />

sehr viel von Lärm und Geräuschen umgeben<br />

sind, so dass sie dieses Element nicht wirklich zu entwickeln<br />

verstehen.“ Über die Kontrolle sagt er auch:<br />

„Man muss so lange die Kontrolle behalten, bis man<br />

merkt, dass man ein Risiko eingehen kann.“<br />

Jean-Bernard Pommier ist ein emotionaler Intellektueller,<br />

ein Pianist, der die Werke und ihre Bedeutung<br />

durchdringt, bevor er mit dem Werk auf<br />

eine Bühne geht. Wünsche bleiben offen: „Ich<br />

würde gerne die Gesamteinspielung von Debussy vollenden“,<br />

sagt er und fügt hinzu, dass er wisse, dass<br />

er auch wieder Aufnahmen machen sollte – und<br />

lächelt wissend und ein Stück weise.<br />

Jean-Bernard Pommier - Auswahldiskografie<br />

Corner; Pour le piano; Estampes<br />

(Virgin)<br />

Wolfgang Amadeus Mozart<br />

Sämtliche Klaviersonaten<br />

(Virgin)<br />

Wolfgang Amadeus Mozart<br />

Klavierkonzerte KV 503 und KV<br />

537<br />

Philharmonia Orchestra<br />

Jean-Bernard Pommier, Solist<br />

und Dirigent<br />

(Erato)<br />

Wolfgang Amadeus Mozart<br />

Klavierkonzerte KV 467 und KV<br />

488<br />

Sinfonia Varsovia<br />

Jean-Bernard Pommier, Solist<br />

und Dirigent<br />

(Virgin)<br />

Sergej Rachmaninow<br />

Klavierkonzert Nr. 2<br />

Peter Tschaikowski<br />

Klavierkonzert Nr. 1<br />

Hallé Orchestra<br />

Ltg.: Lawrence Foster<br />

(Virgin)<br />

Felix Mendelssohn-<br />

Bartholdy: Variations sérieuses<br />

Robert Schumann: Noveletten<br />

Johannes Brahms: Intermezzi<br />

op. 118<br />

César Franck: Prélude, Choral<br />

und Fuge - Prélude, Aria und Finale<br />

Gabriel Fauré: Ballade op. 19<br />

(Northern Sinfonia)<br />

(EMI)<br />

Peter Tschaikowski<br />

Große Sonate<br />

(EMI)<br />

46 3 . 08


3 . 08<br />

PLZ-Gebiet 0<br />

Pianogalerie Dresden<br />

Bautner Landstr. 6<br />

01324 Dresden<br />

Piano Gäbler<br />

Comeniusstr. 99<br />

01309 Dresden<br />

Julius Blüthner<br />

Markt 1<br />

04109 Leipzig<br />

Klavierhaus Zöschen<br />

Leipziger Str. 92 a<br />

06254 Zöschen<br />

Piano Centrum Leipzig<br />

Löhrstr. 2<br />

04105 Leipzig<br />

PLZ-Gebiet 1<br />

Piano-Haus Möller<br />

Goethestr. 22<br />

18055 Rostock<br />

Piano-Haus Kunze<br />

Lübstorfer Straße 11<br />

19069 Alt Meteln<br />

Piano Centrum Rostock<br />

Lange Str. 13<br />

18055 Rostock<br />

PLZ-Gebiet 2<br />

Pianohaus Trübger<br />

Schanzenstr. 117<br />

20357 Hamburg<br />

Per Tutti Musikalien<br />

Fleischhauerstr. 16<br />

23552 Lübeck<br />

Pianohaus Zechlin<br />

Große Str. 6 A<br />

22926 Ahrensburg<br />

Clavis Musikhaus<br />

Vegesacker Heerstr. 115<br />

28757 Bremen<br />

Ahrensburger Klaviergalerie<br />

Königstr. 3<br />

22926 Ahrensburg<br />

PLZ-Gebiet 3<br />

Schimmel Auswahlcentrum<br />

Friedrich-Seele-Str. 20<br />

38122 Braunschweig<br />

H H<br />

ÄNDLER Bei diesen Fachhändlern und an über 600 Bahnhofsbuchhandlungen und ausgesuchten Kiosken finden Sie PIANONews.<br />

Klavierhaus Döll<br />

Schmiedestraße 8<br />

30159 Hannover<br />

Klavierhaus Krefft<br />

Gifhorner Str. 148<br />

38112 Braunschweig<br />

Musik Aktiv Schallenberg<br />

Nordstr. 15<br />

33102 Paderborn<br />

PLZ-Gebiet 4<br />

Gottschling - Haus der Klaviere<br />

Graskamp 17<br />

48249 Dülmen-Hiddingsel<br />

Pianohaus Micke<br />

Wolbeckerstr. 62<br />

48155 Münster<br />

Klavierhaus Schröder<br />

Immermannstr. 11<br />

40210 Düsseldorf<br />

Heinersdorff<br />

Steinway-Haus Düsseldorf<br />

Kronprinzenstraße 97<br />

40217 Düsseldorf<br />

Pianohaus van Bremen<br />

Hansastraße 7-11<br />

44137 Dortmund<br />

Piano Faust<br />

Reichsstr. 1<br />

42275 Wuppertal<br />

Bettich Piano<br />

Fuggerstr. 6<br />

49479 Ibbenbüren<br />

PLZ-Gebiet 5<br />

Musikhaus Tonger<br />

Breite Strasse 2-4<br />

50667 Köln<br />

Klaviermomente<br />

Wilhelmstr. 43<br />

58332 Schwelm<br />

Klavier & Flügel Galerie<br />

Maiwald<br />

Herbert-Wehner-Str. 1<br />

59174 Kamen<br />

Piano Rumler<br />

Königswinterer<br />

Str. 111-113<br />

53227 Bonn-Beuel<br />

Piano Flöck<br />

Kesselheimer Str. 20<br />

56220 St. Sebastian<br />

Pianohaus Micke<br />

Wiesenstr. 12<br />

59269 Beckum<br />

Musikhaus Littau<br />

Münsterstr. 29-31<br />

59348 Lüdinghausen<br />

PLZ-Gebiet 6<br />

Piano, Piano<br />

Überhofer Str. 56<br />

66292 Riegelsberg<br />

Musikhaus Hochstein<br />

Bergheimer Str. 9-11<br />

69115 Heidelberg<br />

Musikalien Petroll<br />

Marktplatz 5<br />

65183 Wiesbaden<br />

PLZ-Gebiet 7<br />

Hermann Klaviere & Flügel<br />

Hindenburgstr. 28<br />

71696 Möglingen<br />

Pianohaus Lepthien<br />

Hildastraße 5<br />

79102 Freiburg<br />

Klavierhaus Hermann<br />

Marktplatz 19<br />

78647 Trossingen<br />

Piano Fischer<br />

Theodor-Heuss-Str. 8<br />

70174 Stuttgart<br />

Klavierhaus Labianca<br />

Zähringerstr. 2<br />

77652 Offenburg<br />

Klavier Striegel<br />

Werkstatt für<br />

Tasteninstrumente<br />

Hirschstr. 8<br />

73432 Aalen-Elnat<br />

PLZ-Gebiet 8<br />

pianofactum<br />

Musikhaus<br />

Schmidgasse 23<br />

87600 Kaufbeuren<br />

Piano Fischer<br />

Thierschstr. 11<br />

80538 München-Lehel<br />

Bauer & Hieber<br />

Landschaftstraße<br />

80331 München<br />

PLZ-Gebiet 9<br />

Piano Niedermeyer<br />

St. Georgen 42<br />

95448 Bayreuth<br />

Steingraeber & Söhne<br />

Friedrichstraße 2<br />

95444 Bayreuth<br />

Johannes Bellmann<br />

Ludwigstraße 4<br />

99092 Erfurt<br />

Musica<br />

Records & Books<br />

Neustädter<br />

Kirchenplatz 2<br />

91054 Erlangen<br />

Österreich<br />

Gustav Ignaz Stingl<br />

Wiedner Hauptstr. 18<br />

1040 Wien<br />

Klavierhaus<br />

Schimpelsberger<br />

Hans-Sachs-Str. 120<br />

4600 Wels<br />

Klavierfabrik<br />

J. Nemetschke KG<br />

Reinlgasse 10<br />

1140 Wien<br />

Wendl & Lung<br />

Kaiserstr. 10<br />

1070 Wien<br />

Schweiz<br />

music etc.<br />

Talstrasse 2<br />

3053 Münchenbuchsee<br />

47


K<br />

K OMPONISTEN<br />

Die Bach-Söhne<br />

im Klavierrepertoire<br />

Wenn es am völlig anderen Wesen der Klaviere<br />

vor der Mitte des 19. Jahrhunderts im<br />

Vergleich zu den heutigen läge, müssten<br />

Bach und Mozart ein ebensolches Nischendasein<br />

führen: Sie kannten das Klavier im heutigen Sinn genauso<br />

wenig wie ihre zuletzt genannten Tastengenossen.<br />

Der Siegeszug der gleichschwebenden Temperatur<br />

am Klavier hat die Tonsprache der bisherigen<br />

Musik ungefähr seit der Mitte des 19. Jahrhunderts<br />

stark nivelliert; doch trotz des riesigen Verlustes<br />

an intervallischer Vielfalt – wir haben ja „nur“ noch<br />

12 Töne pro Oktave und keine reelle Tonartencharakteristik<br />

mehr – hat ein gewisser Corpus von Musik<br />

aus der Zeit von Bach bis Beethoven die Übertragung<br />

Von: Anthony Spiri<br />

Wilhelm Friedemann Bach Carl Philipp Emanuel Bach Carl Johann Christian Bach<br />

Ja, es gibt tatsächlich so etwas (Suspektes) wie ein ‚Standard-Repertoire’ am Klavier, angeblich<br />

aus einem breiten Spektrum vieler Länder und Epochen, doch in der Tat recht eingeschränkt.<br />

Denn wie oft begegnen wir im Konzertsaal Klaviermusik beispielsweise von Dvorák<br />

oder Fauré? Bedeutende Klavierkomponisten des 20. Jahrhunderts wie Roger Sessions oder<br />

Paul Hindemith scheinen ausrangiert zu sein. Oder wenn wir überlegen, welche Musik aus<br />

der Zeit vor Beethoven zum ‚Repertoire’ gehört, also älter als ungefähr 200 Jahre ist, dann<br />

fallen uns eigentlich nur vier Namen ein: Mozart, Haydn, Domenico Scarlatti und Johann<br />

Sebastian Bach; kein Rameau, kein Händel, keiner der Couperins, um von den Meistern des<br />

17. Jahrhunderts wie Froberger, Frescobaldi oder Sweelinck ganz zu schweigen. Diese werden<br />

in die sogenannte Alte Musik-Ecke gestellt und sind den meisten Pianisten oft nur aus den<br />

Geschichtsbüchern bekannt.<br />

Natürlich ist das heutige Klavier ein relativ neues Mitglied unseres Gesamtinstrumentariums.<br />

Dennoch können die Tasteninstrumente als ‚Familie’ – mit ihrem einzigartigen Potenzial in<br />

Bezug auf Umfang, Intonation und Mehrstimmigkeit – bereits auf eine lange Geschichte<br />

zurückblicken. Je nachdem, wo man die Grenzen der Gattung zieht, dürften wir die Entwicklung<br />

mindestens bis zu der von Heron von Alexandrien vor 2000 Jahren kreierten Orgel<br />

zurückverfolgen können. Und obwohl keine andere Kunst über eine so kurze Geschichte verfügt<br />

wie die Musik, darf man die Frage stellen, warum wir uns generell, aber besonders am<br />

Klavier, so selektiv aus bestimmten Perioden ‚bedienen’.<br />

auf das moderne Instrument und ein anderes Skalensystem<br />

‚überlebt’.<br />

Daher verwundert die Vernachlässigung der drei<br />

prominentesten Söhne Johann Sebastian Bachs.<br />

Wilhelm Friedemann, Carl Philipp Emanuel und<br />

Johann Christian Bach waren alle drei berühmte<br />

Tastenvirtuosen und wurden auch in anderen Gattungen<br />

zu den wertvollsten Komponisten ihrer Zeit<br />

gezählt. Johann Christoph Friedrich Bach (1732–95)<br />

wollen wir hier nicht ganz unerwähnt lassen, doch<br />

scheint seine Musik nicht annähernd das Niveau der<br />

drei Brüder bzw. Halbbrüder zu erreichen und stellt<br />

keine wirkliche Bereicherung des Klavier-Repertoires<br />

dar. Andere mögen vielleicht zu einer positiveren<br />

48 3 . 08


3 . 08<br />

Ansicht gelangen.<br />

Verhärtete Strukturen bei Prüfungen und Wettbewerben<br />

mögen Klavierstudenten wenig Spielraum zwischen<br />

den Pflichtwerken J. S. Bachs und den Sonaten der Wiener<br />

Klassik lassen, doch bei Profis kann diese Erklärung nicht<br />

mehr überzeugen. Stärker ins Gewicht fällt die Tatsache,<br />

dass diese Musik bis vor wenigen Jahren nur spärlich in<br />

modernen Ausgaben vorhanden war. Bei Wilhelm Friedemann<br />

Bach ist das immer noch der Fall. Und auch bei<br />

den anderen beiden Bach-Söhnen ist bis heute keine moderne<br />

Gesamtausgabe ihrer Klavierwerke erschienen, wie<br />

wir sie jeweils mehrfach für Domenico Scarlatti, Mozart,<br />

Haydn und Beethoven besitzen, sondern ‚nur’ Faksimile-<br />

Reihen, die als unerlässliche Referenz, aber nicht zum<br />

praktischen Gebrauch geeignet sind (siehe Bibliographie<br />

am Ende dieses Artikels). Dies stellt sicherlich ein Hindernis<br />

dar für alle, die sich mit diesen Werken beschäftigen<br />

wollen. Obwohl Berufsmusiker eigentlich nicht von modern<br />

gedruckten Ausgaben und ihren Herausgebern abhängig<br />

sein sollten, sondern selber in der Lage sein müssten,<br />

die Quellen nutzbar zu machen, können wir hier einen<br />

Grund für eine fehlende Aufführungstradition dieser<br />

Musik ausmachen.<br />

Ein weiterer Grund ist unser musikhistorisches Gesamtbild,<br />

das mit der Periode zwischen den bereits unzutreffend<br />

bezeichneten ‚barocken’ und ‚klassischen’ Epochen<br />

nicht viel anzufangen weiß. Die meisten Werke der Zeit<br />

zwischen 1735 und 1780, die Epoche der Bach-Söhne,<br />

sind gängigen Stil-Kategorien wie ‚galant’, ‚empfindsam’<br />

oder ‚vorklassisch’ nicht zuzuordnen. Im Gegenteil: Diese<br />

Begriffe haben sich schon längst als Hindernisse erwiesen,<br />

die uns den Zugang zu dieser Musik eher erschweren.<br />

Dass die Komponisten selbst keineswegs in solchen Kategorien<br />

dachten, beweist die Selbstverständlichkeit, mit<br />

der sie Sonaten oder Einzelsätze aus älterer Zeit viele Jahrzehnte<br />

später wieder aufgriffen oder in neuere Werke einfügten.<br />

In Wirklichkeit existierten die verschiedenen Stilrichtungen,<br />

falls wir sie überhaupt als solche identifizieren<br />

können, nebeneinander, oft in ein und demselben<br />

Satz, nicht chronologisch nacheinander.<br />

Die Bach-Söhne unterscheiden häufig im Klavierwerk<br />

zwischen pädagogisch konzipierten Sammlungen und<br />

repräsentativer Konzertmusik für Profis, eine Unterscheidung,<br />

wie wir sie, eher stufenweise ausgeprägt, auch bei<br />

J. S. Bach kennen. Dazu kommt eine neue Art kommerzieller<br />

Unterhaltungsmusik, die über neue Massenmedien<br />

betrieben wurde und als deren Vorreiter Telemann gesehen<br />

wird. J. S. Bach lieferte nur wenig in dieser Richtung,<br />

hauptsächlich Lieder und quasi anonym. Wilhelm Friedemann<br />

weigerte sich ganz, so etwas ‚Niederes’ zu schreiben.<br />

Carl Philipp Emanuel machte keinen Hehl aus seinen<br />

kommerziellen Machwerken; völlig bewusst strich er die<br />

Gewinne ein, um künstlerisch wertvollere Projekte finanzieren<br />

zu können. Erst spät konnte er den schmerzhaften<br />

Gegensatz zwischen Kunst und Kommerz überwinden.<br />

Johann Christian Bach erntete den Spott seiner Brüder,<br />

weil er von Anfang an gar nichts anderes vorhatte, als die<br />

Wünsche der zahlenden Masse mit den eigenen hohen<br />

Ansprüchen auf einen Nenner zu bringen.<br />

Diese Zeilen wollen einen kleinen Überblick über das<br />

Soloklavierwerk der drei Meister bieten, eine praktische<br />

Hilfe zum Einstieg in diesen breit gestreuten, einen Zeitraum<br />

von mehr als 50 Jahren ausfüllenden Werkkomplex.<br />

Von allen drei Meistern gibt es auch reichlich Solokonzerte<br />

für Tasteninstrumente mit Orchester und Kammermusik<br />

mit einem modernen, von der reinen Continuo-<br />

Funktion losgelösten Klaviersatz, also beides Gattungen,<br />

K OMPONISTEN<br />

Anthony Spiri<br />

Foto: Theresia Linke<br />

die von J. S. Bach nicht erfunden, doch zum ersten Mal<br />

konsequent gepflegt wurden. Die Entwicklung des<br />

vierhändigen Spiels war ein besonderes Anliegen Johann<br />

Christian Bachs und hängt anscheinend mit der speziellen<br />

Art der geselligen Musikausübung in England zusammen,<br />

eine Mode, die sich von dort aus bald überall verbreiten<br />

sollte. Doch müssen diese Formen einem späteren<br />

Diskurs vorbehalten bleiben, während wir zu den Einzeldarstellungen<br />

schreiten.<br />

K<br />

49


K<br />

Wilhelm Friedemann Bach (1710–1784)<br />

Der älteste und brillanteste der Bach-Söhne ist zugleich<br />

der problematischste, sein Leben am schlechtesten<br />

dokumentiert. Er hinterließ sein kompositorisches<br />

Œuvre in einem äußerst lückenhaften Zustand.<br />

Genauso sorglos wie er die vom Vater geerbten Kirchenkantaten<br />

verwaltete, ging er mit der eigenen<br />

Produktion um. Unter dem dünnen Quellenbefund<br />

leidet die Rezeption seiner Musik noch heute.<br />

Friedemann Bach: Fantasia e<br />

K OMPONISTEN<br />

Bis neue Dokumente auftauchen, können wir über<br />

die Ursachen und Einzelheiten seiner offenbar<br />

schwer gestörten Persönlichkeit nur raten. Geistige<br />

Instabilität war in der Familie Bach keine Seltenheit.<br />

J. C. Bach<br />

Sechs Klaviersonaten op. 17<br />

Arte Nova / SonyBMG 74321 84431 2<br />

C. P. E. Bach<br />

Sonaten, Fantasien, Rondos, Vol. 1<br />

Orfeo C 639 061 A<br />

W. F. Bach<br />

3 Sonaten, 3 Fugen und 3 Fantasien<br />

OehmsClassics / HM OC 56<br />

Im Falle Wilhelm Friedemann Bachs mag eine langsam<br />

wachsende, selbstzerstörerische Hassliebe gegenüber<br />

dem Vater dahinterstecken, später durch<br />

Misanthropie und Alkoholismus denkbar ungünstig<br />

ergänzt. Immerhin wurde er über 70 Jahre alt und<br />

gerade sein letztes Jahrzehnt scheint sehr produktiv<br />

gewesen zu sein. Und die biographischen Umstände<br />

sollten unseren Blick auf die erhaltenen Werke nicht<br />

trüben, die von erhabener Schönheit und sehr<br />

hohem musikalisch-technischen Anspruch geprägt<br />

sind.<br />

Viele Sätze aus dem Klavierschaffen sind streng<br />

polyphon, wirklich eine Anomalie in dieser Periode<br />

der Kehrtwende vom Kontrapunkt und ihrer fast programmatischen<br />

Fixierung auf Oberstimmen-Gesanglichkeit.<br />

Bachs typische Dreistimmigkeit lässt die<br />

mittlere Stimme virtuos zwischen den beiden Händen<br />

hin und her springen. Andere Sätze zeigen einen<br />

brüchigen, sarkastischen Humor, den zeitgemäßen<br />

Modestil durch Übertreibung gleichsam verspottend.<br />

Manche scheinbar leichteren Werke treiben ein ‚verrücktes’<br />

motivisches Spiel. Seine Musik sträubt sich in<br />

jedem Takt gegen bloße Gefälligkeit und wartet immer<br />

wieder mit dramatischen Momenten und Gefühlstiefe<br />

auf.<br />

Unter den damals gedruckten Werken sind die<br />

Zwölf Polonaisen von 1765, fast alle langsam und<br />

kaum noch als Tänze zu interpretieren, möglicherweise<br />

sogar als ‚Tanzverweigerung’ gemeint! 1778<br />

erschienen Acht Fugen (ohne Präludien!), der Kontrapunkt<br />

liebenden Prinzessin Amalie von Preußen,<br />

Schwester Friedrichs des Großen und selbst Profimusikerin,<br />

gewidmet. Trotz ihrer Kürze sind diese Fugen<br />

äußerst dicht gearbeitet und zugleich anmutig. Sie<br />

erinnern uns mehr an die Fugen Mendelssohns als<br />

an Johann Sebastian Bach. Ein Juwel ist auch die<br />

1745 gedruckte Sonate in D-Dur Falck 3. Viele, aber<br />

längst nicht alle handschriftlich überlieferten Werke<br />

sind inzwischen veröffentlicht und wir können hoffen,<br />

dass die mit viel Geld zurückgekaufte und mit<br />

viel Werbung angekündigte Notensammlung der<br />

ehemaligen Berliner Singakademie weitere Schätze<br />

aus Friedemann Bachs Feder freigeben wird. Weitere<br />

handschriftliche Funde lassen Martin Falcks wichtiges,<br />

aber bereits vor einem halben Jahrhundert fertig<br />

gestelltes Werkverzeichnis inzwischen überholt<br />

erscheinen.<br />

CD-Hinweise zu Anthony Spiri<br />

C. P. E. Bach<br />

Klavierwerke, Vol. 2 (Sonaten, Fantasien,<br />

Fugen)<br />

Aufnahme Februar 2007 BR/ Orfeo<br />

International<br />

(noch nicht erschienen)<br />

C. P. E. Bach<br />

Fünf Klaviertrios (1776/77)<br />

Mit Ariadne Daskalakis, Violine und<br />

Sebastian Hess, Violoncello<br />

Aufnahme Dezember 2006 BR/ Orfeo<br />

(noch nicht erschienen)<br />

50 3 . 08


3 . 08<br />

Carl Philipp Emanuel Bach (1714–1788)<br />

Die Geschäftstüchtigkeit des zweitältesten Bach-Sohnes<br />

ist ein Glücksfall für uns, denn wegen seiner jahrzehntelangen<br />

Wirksamkeit nach außen ist sein kompositorisches<br />

Œuvre besonders gut überliefert. In Berlin<br />

und Hamburg pflegte er Umgang mit den großen<br />

Philosophen, Wissenschaftlern und Dichtern seiner<br />

Zeit. In seinen anspruchsvollsten Werken war er<br />

bestrebt, ethischen und ästhetischen Idealen musikalischen<br />

Ausdruck zu verleihen, was damals bei ‚Kennern’<br />

durchaus registriert wurde. Hierin nimmt er<br />

Beethovens Haltung auf erstaunlicher Weise vorweg.<br />

Manches fiel so radikal aus, dass Bach an eine Veröffentlichung<br />

gar nicht denken wollte und die Werke<br />

unter der Hand im Bekanntenkreis vorzeigte; zwei<br />

Beispiele dafür: die Sonaten in C-Dur, Helm 248 und<br />

in c-Moll, Helm 298. Andere Werke wurden, wie Bach<br />

selber zugab, den Marktchancen zugeschnitten und<br />

besaßen in seinen Augen nur minimalen Kunstwert;<br />

auch hier eine Parallele zu Beethoven. Weder mit<br />

dem alten, feudalen System noch mit dem Geist der<br />

Aufklärung konnte er voll sympathisieren, und so<br />

wird es vielen seiner Generation ergangen sein!<br />

Wenn wir in Hinblick auf das moderne Instrument<br />

eines der Klavierwerke Emanuel Bachs an erste Stelle<br />

setzen wollten, dann fiele die Wahl auf seine sechs<br />

gedruckten Folgen von Sonaten, Fantasien und Rondos<br />

‚für Kenner und Liebhaber’, die im letzten Lebensjahrzehnt<br />

des Komponisten erschienen und sofort riesigen<br />

Erfolg hatten. Besonders die Rondos wurden<br />

explizit für das Fortepiano konzipiert und lassen sich<br />

auch am modernen Flügel bestens darstellen. Die<br />

dankbare Sonate in A-Dur, Helm 186 bietet sich dem<br />

heutigen Pianisten ebenso an wie Bachs letztes Klavierwerk,<br />

die Fantasie in fis-Moll, Helm 300.<br />

Variationszyklen für Klavier waren zu dieser Zeit<br />

als Kompositionen nicht hoch geschätzt. Meistens<br />

wurden sie im Konzert auf gängigen Themen improvisiert,<br />

aber nicht aufgeschrieben. Daher überrascht<br />

es, dass Bach zwei Meisterwerke in dieser Form lieferte,<br />

die C-Dur-Variationen über ein eigenes Thema, Helm<br />

259, aus dem Jahre 1777 und die d-Moll-Variationen<br />

über das berühmte, aber sehr altmodische La Folia,<br />

Helm 263, aus dem Jahre 1778. Von den früheren<br />

Klavierwerken sind zum Beispiel die ‚Württembergischen’<br />

Sonaten, erschienen 1744, von höchster Qualität<br />

und für das moderne Klavier besser geeignet als<br />

die meisten Klavierwerke Johann Sebastian Bachs.<br />

In vielen seiner gedruckten und ungedruckten<br />

Sonaten vermittelt uns Bach durch das Ausschreiben<br />

der normalerweise improvisierten ‚variierten Reprisen’<br />

die Musizierpraxis. Dabei wurden wiederholte<br />

Abschnitte, wie die gesamte Exposition eines Sonatensatzes,<br />

nicht einfach mit frischen Verzierungen<br />

versehen, sondern völlig neu und konsequent umgestaltet,<br />

bis in die Motivik und Dynamik hinein. Dass<br />

Mozart und Haydn mit dieser Praxis vertraut waren<br />

und sie auch ausübten, können wir kaum bezweifeln.<br />

Trotzdem weigern wir uns heute, die Konsequenzen<br />

daraus zu ziehen.<br />

So ist auch das ‚Präludieren’ und ‚Fantasieren’ –<br />

von Bach in seinem berühmten, bis weit ins 19.<br />

Jahrhundert tonangebenden Buch Versuch über die<br />

wahre Art, das Clavier zu spielen (1753) dargelegt – wie<br />

es auch später von Czerny und Hummel ausgeübt<br />

K OMPONISTEN<br />

wurde, heutzutage<br />

eine ausgestorbene<br />

Praxis. Uns<br />

stört es heute<br />

nicht, eine Suite<br />

direkt mit der<br />

Allemande oder<br />

eine Sonate mit<br />

dem Beginn des<br />

notierten ersten<br />

Satzes zu beginnen;<br />

damals hätte<br />

das für einen professionellenMusiker<br />

als kreatives<br />

Armutszeugnis<br />

und Formfehler<br />

gegolten.<br />

Der Überblick<br />

auf Philipp Emanuel<br />

Bachs riesiges<br />

Klavierschaffen<br />

wird durch die<br />

hartnäckige Verwendung<br />

des 1905<br />

erstellten Werkverzeichnisses<br />

des<br />

Belgiers Alfred<br />

Wotquenne erschwert,<br />

obwohl<br />

dies damals eine<br />

bahnbrechende<br />

Leistung war, ist<br />

Carl Philipp Emanuel Bach:<br />

es längst durch<br />

Handschrift einer der „verbotenen Sonaten“<br />

das chronologisch<br />

aufgebaute und um viele Werke ergänzte Verzeichnis<br />

von E. Eugene Helm abgelöst worden.<br />

Johann Christian Bach (1735–1782)<br />

Schon durch seine späte Geburt war Johann Christian<br />

Bach kein Kind des Barocks (mehr). Die Oberstimmenseligkeit<br />

war ihm nicht Programm, sondern<br />

Selbstverständlichkeit. Seine Mutter Anna Magdalena<br />

Bach war, im Gegensatz zu Maria Barbara Bach<br />

(Mutter von Wilhelm Friedemann und Carl Philipp<br />

Emanuel), eine ausgebildete Opernsängerin und wir<br />

wundern uns nicht, dass er schon in jungen Jahren<br />

eine Laufbahn als Opernkomponist anstrebte, auch<br />

wenn ‚so etwas’ in der Familie noch nie vorgekommen<br />

war und der Clan es als Skandal empfand.<br />

Wahrscheinlich musste er dem Druck des berühmten,<br />

doch komplizierten und nicht immer harmonischen<br />

Familienverbands förmlich entkommen, um<br />

seine eigene Entwicklung nicht zu ersticken. Der<br />

Vergleich mit Domenico Scarlatti, der zunächst im<br />

Schatten seines Vaters, der legendären und langlebigen<br />

Ikone der italienischen Vokalmusik Alessandro<br />

Scarlatti, stand, drängt sich fast auf. Ihm blieb<br />

schließlich auch nichts anderes übrig, als auszuwandern<br />

und sich eben der Musikgattung zu widmen, die<br />

seinem Vater immer fremd geblieben war: der Soloklaviermusik.<br />

Johann Christian Bachs Eigenständigkeit<br />

stand jedenfalls früh fest, als er 18-jährig<br />

nach Italien durchbrannte. Böse Zungen mögen<br />

munkeln, er ging als Liebhaber einer italienischen<br />

K<br />

51


K<br />

K OMPONISTEN<br />

Opernsängerin, doch hatte er immerhin die besten<br />

Empfehlungen nach Mailand und den Segen des<br />

Vaters dazu.<br />

Sein stilbildender Einfluss auf Mozart und dessen<br />

Generation ist hinlänglich bekannt. Dennoch sollte<br />

man ihn nicht als eine Art ‚Prä-Mozart’ abstempeln,<br />

wie es heute oft geschieht. Man findet bei ihm noch<br />

reichlich Spuren des polyphonen Zeitalters und in<br />

Johann Christian Bach: Sonate Op. 17 Nr. 3 in der Frühfassung<br />

vielen Sätzen eine Nähe zu Domenico Scarlatti, der<br />

durch seine gedruckten Esercizii in Johann Christian<br />

Bachs Wahlheimat England viel bekannter war als<br />

auf dem Kontinent. Seine Formstringenz, was Leopold<br />

Mozart ‚il filo’ nannte, verließ ihn nie.<br />

Neben den beiden wichtigen Sonatenzyklen op. 15<br />

und op. 17, beide jeweils sechs Sonaten mit ansteigendem<br />

Schwierigkeitsgrad enthaltend, hinterließ<br />

Bach weitere Einzelwerke für Klavier und viel Kam-<br />

Anthony Spiri<br />

Der Pianist Anthony Spiri gilt als einer der vielfältigsten und angesehensten<br />

Liedbegleiter, Kammermusiker und Solisten der heutigen<br />

Musikszene. Geboren in den USA, erhielt er seine Ausbildung<br />

in Cleveland und Boston, bevor ihn sein künstlerischer Werdegang<br />

nach Europa führte, wo er am Salzburger Mozarteum sein<br />

Studium abschloss.<br />

Sein umfangreiches Repertoire, das von Alter Musik bis zu Werken<br />

des 21. Jahrhunderts reicht, hat Anthony Spiri mit Klavierabenden<br />

durch viele Länder Europas, nach Asien und Amerika<br />

geführt.<br />

Als Klaviersolist ist er mit dem Chamber Orchestra of Europe unter<br />

Nikolaus Harnoncourt und Michael Tilson-Thomas, der<br />

Camerata Academia Salzburg unter Sandor Végh, der Jungen<br />

Deutschen Philharmonie, dem Ensemble Wien Modern, dem<br />

Kammerorchester Basel unter Christopher Hogwood, dem<br />

Mozarteum Orchester Salzburg unter Leopold Hager und anderen<br />

Orchestern aufgetreten. Als Liedbegleiter hat Anthony Spiri mit<br />

vielen renommierten Sängern wie Peter Schreier, Marjana<br />

Lipovšek, Edith Mathis, Bernarda Fink und anderen konzertiert.<br />

Zu seinen Kammermusikpartnern zählen prominente Instrumen-<br />

mermusik mit ‚obligatem’ Klavier. Bei vielen dieser<br />

Werke mag das Klischee-Wort galant tatsächlich passen!<br />

Er galt als Pionier in der Verwendung des Fortepianos<br />

gegenüber dem Cembalo und ebenso fortschrittlich<br />

in der Entwicklung des vierhändigen<br />

Klavierspiels und des Klavierkonzerts. Die Übertragung<br />

seiner Musik auf das moderne Instrument ist<br />

generell weniger problematisch als bei seinen älteren<br />

Brüdern, und sein häufig Mozart naher Stil scheint<br />

uns weniger fremd. Doch seine etwas pauschale<br />

Notationsweise und die Sparsamkeit seiner Vortragsbezeichnungen<br />

lassen viele Fragen zu Tempo, Dynamik<br />

und Artikulation offen.<br />

Besonders glänzend und mit einem der schönsten<br />

langsamen Sätze der Epoche ausgestattet ist die B-<br />

Dur-Sonate op. 17/6. Die ebenso wirkungsvolle Sonate<br />

in c-Moll op. 5/6 beweist, dass Johann Christian Bach<br />

den Fugenstil nicht verlernt hatte, den er aber völlig<br />

anders handhabt als der Rest seiner Familie. Als<br />

Zeugnis von Bachs Lehrtätigkeit dient die Mitarbeit<br />

an einem Schulwerk pour le forte-piano ou clavecin,<br />

das für das Konservatorium in Neapel geplant war,<br />

aber erst posthum gedruckt werden konnte.<br />

________________________<br />

Jede Periode bewertet ihr musikalisches Erbe anders.<br />

Die Musik Johann Sebastian Bachs wurde zu seiner<br />

Zeit nur von einem kleinen Kreis als genießbar empfunden<br />

und wir wundern uns über Tschaikowskys<br />

Äußerungen zur Matthäus-Passion oder Schumanns<br />

Meinung zu Joseph Haydn. Es hat über hundert<br />

Jahre gedauert, bis die Bedeutung der späten Werke<br />

Beethovens allgemein erkannt wurde und die<br />

Meinung, ihre Schwierigkeiten seien dessen Taubheit<br />

zuzuschreiben, aussterben durfte. Die Renaissance<br />

des späten Schumann hat erst vor 20 Jahren eingesetzt.<br />

Dabei werden künftige Generationen wahrscheinlich<br />

über unsere Festspielprogramme lachen – und<br />

weinen. In meiner Jugend habe ich über die Klavierabend-Programme<br />

meiner Großtante, der kanadischen<br />

Pianistin Mariette Gauthier, den Kopf geschüttelt.<br />

Heute empfinde ich sie als erfrischend und<br />

intelligent zusammengestellt: Sie atmen den Geist<br />

der Epoche Robert Lortats und Nadia Boulangers<br />

talisten, Streichquartette und Ensembles unserer Zeit. Von<br />

1987–1993 war er Assistent von Nikolaus Harnoncourt am Salzburger<br />

Mozarteum.<br />

Anthony Spiri engagiert sich auch für die zeitgenössische Musik<br />

und spielte beispielsweise Uraufführungen von Werken der<br />

Komponisten Wolfgang Rihm, Rainer Bischof, Ernst Krenek und<br />

Sofia Gubaidulina. Als Entdecker betätigt sich Spiri bei Klavierwerken<br />

und Liedern von Eduard Marxsen, dem Kompositionslehrer<br />

von Johannes Brahms, sowie bei französischen Komponisten<br />

der Epoche Gabriel Faurés. Im Mozart-Jahr 2006 führte er<br />

zyklisch sämtliche Klavier- und Violinsonaten des Salzburger<br />

Komponisten auf.<br />

Seine umfangreiche Diskographie ist ein weiterer Beleg seiner<br />

Vielseitigkeit. Besondere Aufmerksamkeit widmet der Pianist den<br />

Werken der Söhne Johann Sebastian Bachs, deren Kompositionen<br />

er mit zahlreichen Aufnahmen auf CD festhielt. Er ist somit einer<br />

der wenigen Interpreten der Klaviermusik von Wilhelm Friedemann,<br />

Carl Philipp Emanuel und Johann Christian Bach auf dem<br />

modernen Flügel. Heute lebt Anthony Spiri in München und ist als<br />

Professor für Klavierkammermusik an der Musikhochschule Köln<br />

tätig.<br />

www.anthony.spiri.com<br />

52 3 . 08


3 . 08<br />

Wilhelm Friedemann Bach (1710–1784)<br />

– Klavierwerke (Sonaten und Fantasien) aus<br />

der Hs. P883 Berlin (Hänssler-Verlag)<br />

– Zwölf Polonaisen (1765), Hrsg. A. Bohnert<br />

(Henle)<br />

– Neun Klaviersonaten, Hrsg. F. Blume<br />

(Nagel/ Kalmus)<br />

– Ausgewählte Klavierwerke (Suite, 3<br />

Sonaten, 2 Fantasien), Hrsg. A. Böhnert<br />

(Henle)<br />

– Klavierfantasien, Hrsg. P. Schleuning<br />

(Schott)<br />

– Sonate in F-Dur für zwei Klaviere, Hrsg.<br />

C.A. Martienssen (C.F. Peters)<br />

– Martin Falck: W.F. Bach, sein Leben und<br />

seine Werke, mit thematischem<br />

Verzeichnis<br />

(Kahnt, 1956)<br />

Carl Philipp Emanuel Bach<br />

(1714–1788)<br />

– Solo Keyboard Works, Faksimile-<br />

Ausgabe in<br />

6 Bänden, Hrsg. D. Berg (Garland)<br />

– Ausgewählte Klaviersonaten in drei<br />

Bänden, Hrsg. D. Berg (Henle)<br />

– Great Keyboard Sonatas (2 Bände),<br />

Dover,<br />

Reprint der Ausgabe: Le trésor des<br />

pianistes,<br />

Hrsg. A. & L. Ferrenc, (1860–74)<br />

– Die sechs Preußischen Sonaten<br />

(1742),<br />

Hrsg. R. Steglich (Nagel)<br />

– Die sechs Württembergischen<br />

Sonaten<br />

(1744) Hrsg. R. Steglich<br />

(Bärenreiter)<br />

– Die sechs Sammlungen für Kenner<br />

und<br />

Liebhaber (Sonaten, Fantasien,<br />

Rondos),<br />

1779-87), Hrsg. C. Krebs, Revision<br />

L.<br />

Hoffmann-Erbrecht (Breitkopf &<br />

Härtel)<br />

– Sonaten und Stücke, Hrsg. K.<br />

Herrmann<br />

(C.F. Peters)<br />

und sind alles andere als dumm<br />

oder unkünstlerisch zu bezeichnen.<br />

Heute werden Händel, Puccini,<br />

Schostakowitsch, Messiaen und<br />

Arvo Pärt viel gespielt – wer weiß,<br />

wie es damit in zehn, fünfzig oder<br />

in 200 Jahren aussehen wird? Also<br />

wäre es höchst interessant, zu<br />

hören, was die jetzige Generation<br />

von Pianisten aus dem Klavierschaffen<br />

der Bach-Söhne ‚machen’<br />

kann, würde sie sich damit beschäftigen.<br />

Eine wertvolle Bereicherung<br />

unserer Klavierlandschaft<br />

könnte das Ergebnis sein!<br />

K OMPONISTEN<br />

Ausgewählte Notenausgaben<br />

Versuch über die wahre Art, das Clavier zu spielen<br />

in zwei Teilen (1753/1762)<br />

Faksimile-Nachdruck, Hrsg. L. Hoffmann-<br />

Erbrecht (Breitkopf & Härtel)<br />

Sechs Sonaten (Probestücke aus dem<br />

Versuch über die wahre Art, das Clavier zu<br />

spielen, 1. Teil, 1753), Hrsg. E. Doflein<br />

(Schott)<br />

– E. Eugene Helm: Thematic Catalogue of the<br />

Works of C.P.E. Bach, (Yale Univ. Press<br />

1987)<br />

Johann Christian Bach (1735–1782)<br />

– Collected Works, Faksimile-Ausgabe, Hrsg.<br />

S. Roe (Garland)<br />

K<br />

– Sechs Sonaten op. 5 (17), Hrsg. E.<br />

Heinemann (Henle)<br />

– Sechs Sonaten op. 17 (17), Hrsg. E.<br />

Heinemann (Henle)<br />

– Sonate in Es-Dur op. 17/3 (Erste Fassung),<br />

Hrsg. S. Staral (Heinrichshofen)<br />

– Solo und Sonate, Hrsg. S. Staral<br />

(Heinrichshofen)<br />

Méthode ou receuil des connoissances élémentaires<br />

pour le forte-piano ou clavecin (Mitautor<br />

F.P. Ricci), Faksimile der Pariser Ausgabe von<br />

1786 (Minkoff)<br />

53


K<br />

Dafydd Llywelyns Klavierzimmer erinnert<br />

ein wenig an das Kabinett von<br />

Goethes Faust.<br />

Foto: Rafael Sala<br />

K OMPONISTEN<br />

Dafydd Llywelyn<br />

Der Magier der leisen Töne<br />

Wer ein Interview mit dem walisischen Komponisten Dafydd Llywelyn führen will, muss viel<br />

Zeit mitbringen: Mehrere Stunden hat das Gespräch gedauert, das ich mit ihm in seiner<br />

Stadtwohnung im Münchner Viertel „Westend“ geführt habe. Seit 25 Jahren wohnt er dort –<br />

und hat sich inmitten von Büchern, Manuskripten, Noten, Zeitschriften und unzähligen CDs,<br />

die sich auf seinem Flügel türmen, ein eigenes Reich geschaffen. Eines, das in seiner kühnen<br />

Unordnung an das Kabinett von Goethes Faust erinnert.<br />

Von: Rafael Sala<br />

Essensgeruch liegt in der Luft. Eine steile Treppe<br />

führt in den zweiten Stock, knarzenden<br />

Schrittes geht es die Stufen hinauf. Die Türen<br />

der beiden Appartements, die Llywelyn mit seiner<br />

Lebensgefährtin Hedi Schmitt bewohnt, stehen<br />

fast immer offen. Im Erdgeschoss befindet sich der<br />

Lieferanteneingang für ein Restaurant, Kisten mit<br />

Zucker und Gemüse stapeln sich davor. Es ist ein<br />

Stadthaus mit viel Durchgangsverkehr, Klingeln<br />

surren, immer huscht irgendjemand vorbei. Ein<br />

wenig hektisch und abgelebt wirkt der Ort, aber<br />

für einen Komponisten ist er nicht ungewöhnlich,<br />

wie Llywelyn selbst bemerkt: „Brahms hat schließlich<br />

auch im Herzen von St. Pauli gewohnt, ich befinde<br />

mich da in bester Gesellschaft“, lacht der groß gewachsene<br />

Mann mit dem breiten Gesicht, in das<br />

sich immer ein paar widerspenstige Strähnen aus<br />

seiner blonden Mähne verirren. „Da kann ich we-<br />

54 3 . 08


3 . 08<br />

K OMPONISTEN<br />

nigstens spielen, so lange ich will, hier stört das niemanden.“ Wenn er, wie es<br />

seine Gewohnheit ist, tief in der Nacht an seinem schwarzen Seiler-Flügel<br />

sitzt, eine Zigarette nach der anderen raucht und wahnwitzige Akkorde<br />

über die Tasten jagt, oder eine CD mit düsteren Klängen einlegt, dann<br />

kann man sich gut vorstellen, wie das früher den Nachbarn die Wut ins<br />

Gesicht getrieben hat. Mehrere Male musste Llywelyn umziehen, bis er<br />

hier, im ehemaligen Münchner „Glasscherbenviertel“, sein endgültiges<br />

Zuhause gefunden hat. Dabei ist der Sohn eines walisischen Arztes eher<br />

ein Mann der leisen Töne: Als „religiöser Mystiker aus Wales“ gilt er in der<br />

Klassikszene – ein Titel, den Llywelyn, wie er selbst sagt, sehr treffend findet,<br />

auch wenn das so eine Sache sei mit Klassifizierungen: „Sie klingen<br />

zwar immer recht griffig, aber sie geben doch nur die halbe Wahrheit über den<br />

Menschen wieder.“ Doch wenn es schon Attribute sein müssen, dann seien<br />

ihm diese noch am liebsten, fügt er mit einem schelmischen Lächeln<br />

hinzu. In der Tat passt schon biografisch keines besser auf den 68-Jährigen<br />

als dieses: 1939 in Mittelengland geboren, hat Llywelyn bereits mit drei<br />

Jahren seine Mutter verloren. Ein Ereignis, das ihn wie kein anderes geprägt<br />

hat, wie er betont: „Sie war der wichtigste Mensch in meinem Leben,<br />

obwohl ich sie kaum gekannt habe.“ Die meditativ beseelten Klangfiguren,<br />

die der erst Sechsjährige komponiert, die an barocke Meister erinnernde<br />

Polyphonie, die ihre Leuchtspur in den feingliedrigen Akkorden des gereiften<br />

Komponisten ziehen wird, das gregorianisch dahinfließende Melos in<br />

Stücken wie dem Jugendwerk „Dies Irae“, überhaupt die tiefe Religiosität<br />

in seiner Musik – all das, so sieht es Llywelyn, ist die Folge dieses tragischen<br />

Ereignisses am Beginn seines Lebens.<br />

Den ersten Klavierunterricht erhält er von seinem Vater, später in einem<br />

klösterlichen Internat in Mittelengland. Der britische Pianist Tom Bromley<br />

unterrichtet ihn, zu seinen Lehrern zählen auch Johann Trygvasson, der<br />

Schwiegervater von Vladimir Ashkenazy, und Peter Feuchtwanger, Neffe<br />

des Schriftstellers Lion Feuchtwanger. Auf den Rat von Pierre Boulez ist er<br />

dann nach Deutschland gekommen. Dort freundete sich Llywelyn mit<br />

dem russischen Dirigenten Kirill Kondraschin an, der ihm Schostakowitsch<br />

nahebringt. Um sich über Wasser zu halten, schreibt er in den 60er Jahren<br />

Filmmusik, auch war er Gründer der Band „Supertramp“, die damals noch<br />

„The Joint“ hieß und in den 70er und frühen 80er Jahren die Charts<br />

erobern wird. Doch all das betrachtet er als „Jugendsünden“ und Eskapaden,<br />

geboren aus der Not, sich als Musiker seinen Lebensunterhalt zu<br />

verdienen: „Mein eigentliches Metier war und ist immer die Klassik geblieben.“<br />

Seit 1971 lebt der Klavierpädagoge in München und ist dort längst<br />

bekannt geworden. Geradezu legendär geworden ist der Abend des 27.<br />

April 1998, als der weltberühmte russische Pianist Boris Berezowsky im<br />

Münchner Herkulessaal den siebten Teil aus Llywelyns monumentalem<br />

Klavierzyklus „Time Quake“ spielte: Es gab Standing Ovations, die Presse<br />

überschlug sich vor Begeisterung. Nicht geringer fiel 2003 die Resonanz im<br />

Großen Saal des Amsterdamer Concertgebouw aus, wo Berezowsky aus<br />

seiner „Fantasia apoplectica“ spielte, ein „work in progress“, an dem<br />

Llywelyn seit einem guten Jahrzehnt arbeitet. An die 2000 Zuhörer saßen<br />

im Saal, immer wieder gab es Bravo-Rufe. Dabei ist der Weg zu Llywelyns<br />

Musik ein dornenreicher, der Einstieg alles andere als leicht: „Anfangs<br />

habe ich seine Musik gehasst, ich konnte damit nichts anfangen“, gesteht<br />

Berezowsky. Vielleicht liegt diese anfängliche Abneigung an der kompositorisch<br />

höchst ungewöhnlichen Ahnenreihe, aus der sich seine Musik zusammensetzt.<br />

Gregorianik, Bach, Beethoven, Chopin, Rachmaninow,<br />

Mahler, Schostakowitsch, Busoni, Sorabji, Havergale Brian – all diese<br />

Komponisten fließen in Llywelyns Musik ein und werden dort in eine ganz<br />

eigene, archaische Klangsprache umgeschmolzen, in der starke Kontraste,<br />

hämmernde Intervalle und hochvirtuose Passagen den Ton angeben.<br />

Gefürchtet sind vor allem seine Akkorde, die schon mal aus 12 Noten<br />

bestehen und schlagartig von einem Fortissimo in den Piano-Bereich<br />

springen können. Wer sich ihnen nähert, muss – wie Berezowsky – nicht<br />

nur breite Hände haben, sondern er benötigt eine spezielle „technique“,<br />

wie einer von Llywelyns Lieblingsausdrücken lautet: „Meine Auffassung von<br />

Komponieren ist von der altrussischen Schule geprägt, die leider heutzutage<br />

kaum noch Anhänger hat. Ultra-polyphone Klangelemente sind das Markenzeichen<br />

dieser Lehre.“ Schweißtreibend sind aber auch die Pianissimo-<br />

Passagen, die sich inmitten dieser clusterartigen Gebilde wie irrlichternde<br />

Inseln der Glückseligkeit auftun. Ein Atlantis der Töne, das zeitlos über


K<br />

Dafydd Llywelyn liebt<br />

Ikonen, die er zu<br />

einem „Hochaltar“<br />

gruppiert hat.<br />

Foto: Rafael Sala<br />

K OMPONISTEN<br />

dem Grund religiöser Empfindungen schwimmt.<br />

Hier entfaltet sich die Mystik, für die Llywelyn<br />

berühmt geworden ist. Um in diese Welt einzutauchen,<br />

müssen die Pianisten jede Kopflastigkeit von<br />

sich werfen. Berezowsky, der jüngst Llywelyns<br />

„Mutata Consilia“ eingespielt hat, schätzt gerade<br />

diese Elemente am meisten: „Sie haben eine Grundstimmung,<br />

die ich in keiner anderen Musik gefunden<br />

habe, eine vollkommene Ruhe geht von ihnen aus.<br />

Llywelyns Werke sind eigentlich impressionistisch, sie<br />

haben etwas sehr Meditatives und Atmosphärisches.“<br />

Nicht nur von Berezowsky wird Llywelyns Klaviermusik<br />

gespielt, auch Pianisten wie Daniel Röhm,<br />

Severin von Eckartstein, Roberta Pili, der Amerikaner<br />

Nathan Cartarett und Dudana Mazmanishvili<br />

gehören zu denjenigen, die sein Werk zum festen<br />

Bestandteil ihres Repertoires gemacht haben.<br />

Die aus Georgien stammende Mazmanishvili beispielsweise<br />

hat erst unlängst sein in den 80er<br />

Jahren entstandenes Klavierwerk „Erzengel Ga-<br />

Llywelyn beim Komponieren an seinem schwarzen Seiler-Flügel.<br />

Foto: Rafael Sala<br />

briel“ in der Carnegie-Hall in New York aufgeführt.<br />

Es folgten weitere Auftritte in Washington<br />

und Pennsylvania.<br />

Das Faszinierendste an Llywelyn ist aber vielleicht<br />

seine unorthodoxe Art zu denken: Die<br />

Vielfalt der musikalischen Einflüsse, die sich in seinen<br />

Werken widerspiegelt, scheint sich wie ein<br />

Riegel vor jedes Dogma zu schieben. Tatsächlich<br />

steht Llywelyn – anders als die meisten seiner Zeitgenossen<br />

– Klassifizierungen wie „realistisch“,<br />

„avantgardistisch“ oder „romantisch“ äußerst<br />

skeptisch gegenüber. Nichts verachtet er mehr als<br />

den „Zeitgeist“, der Musiker zu bestimmten Lehren<br />

verpflichten will. „In den sechziger Jahren wurden romantische<br />

Komponisten strikt abgelehnt, man gab<br />

sich der Lächerlichkeit preis, wenn man erklärte, etwa<br />

Chopin als Vorbild zu haben. Das mag aus historischen<br />

Gründen verständlich sein – schließlich haben<br />

die Romantik und der Irrationalismus die Ideenwelt<br />

Hitlers erst beflügelt und damit zu den Katastrophen<br />

des Jahrhunderts beigetragen. Man denke nur an den<br />

musikalischen Größenwahn eines Richard Wagner.<br />

Aber dieses Musikverständnis der so genannten „Realisten“<br />

war eben auch selbst eine Doktrin.“ Wichtiger<br />

sei es, „authentisch“ zu komponieren und alleine<br />

seine Gefühle zum Maßstab der künstlerischen<br />

Umsetzung zu machen – dies freilich nicht rückwärtsgewandt<br />

und anachronistisch, sondern mit<br />

den Mitteln der zeitgenössischen Musik. „Musiker<br />

sollten vor allem aufrichtig sein, aufrichtig zu sich<br />

selbst, und keinen von der Gesellschaft sklavisch vorgegebenen<br />

Idealen nacheifern.“ Mittlerweile ist es spät<br />

in der Nacht. Llywelyn schlägt einige leise Akkorde<br />

auf dem Flügel an. Sie scheinen mit der Ruhe im<br />

Raum und mit der Stille um diese Uhrzeit zu verschwimmen.<br />

Noten und CDs können direkt über<br />

dafyddllywelyn@web.de bezogen werden.<br />

56 3 . 08


3 . 08<br />

Wann begannen Sie Klavier zu spielen?<br />

Mit 6 Jahren.<br />

Welches war das erste Stück, das Sie<br />

öffentlich spielten, wann und wo war das?<br />

Eine zweistimmige Invention von Bach bei<br />

meiner Aufnahmeprüfung 1987 an der<br />

Spezialmusikschule in Timisoara, Rumänien.<br />

Welchen anderen Beruf würden Sie gerne<br />

ausüben, wenn Sie nicht Pianist wären,<br />

bzw. was wollten Sie werden, als Sie 13<br />

Jahre alt waren?<br />

Mit 13 hatte ich die Illusion, Pianist zu werden.<br />

Meine beiden Ausweichinstrumente<br />

sind Cello und Barockoboe. Leider kann ich<br />

keines der beiden Instrumente spielen, also<br />

müsste ich mir einen anderen Beruf aussuchen.<br />

Vielleicht Filmkritiker? Dann könnte<br />

ich mehr ins Kino gehen.<br />

Was stört Sie am meisten an Ihrem Beruf?<br />

Siehe oben.<br />

Was lesen Sie am liebsten?<br />

Die Sprachbeherrschung von Thomas Mann und<br />

Hermann Hesse ist unglaublich.<br />

Welchen Komponisten würden Sie am liebsten<br />

kennen lernen, oder gekannt haben?<br />

Beethoven, Bach oder Mozart. Ich möchte diesen<br />

Leuten zu gern beim Komponieren zusehen.<br />

Welchen Pianisten bewundern Sie am meisten<br />

und warum?<br />

Mittlerweile Alfred Brendel, da ich 10 Jahre<br />

gebraucht habe, um zu verstehen, was ihn so<br />

besonders macht. Da ist eine Meisterschaft im<br />

Spiel, die im besten Sinne des Wortes „nachhaltig“<br />

ist.<br />

Welche Musik hören Sie außer Klaviermusik am<br />

liebsten?<br />

Alles außer Rock und Mainstream-Pop.<br />

In welchem Land, in dem Sie noch nicht aufgetreten<br />

sind, möchten Sie gerne einmal spielen?<br />

Japan. Aber 2009 ist es dann so weit.<br />

Welchen Tipp können Sie an Studenten weitergeben,<br />

wenn es um den Beruf Pianist geht?<br />

Eigene Aufnahmen anhören. Der Lerneffekt ist mit<br />

nichts zu vergleichen.<br />

Für welches Essen schlägt Ihr Herz am meisten?<br />

Gute Qualität der Zutaten ist das Wichtigste.<br />

Was war die schlimmste Erfahrung mit einem<br />

Instrument, die Sie gemacht haben?<br />

Ich bin bis jetzt Gott sei Dank vor zusammenkra-<br />

F RAGEBOGEN<br />

In dieser Rubrik stellen wir einem Pianisten dieselben 14 Fragen.<br />

14 Fragen an Herbert Schuch<br />

chenden Stühlen und reißenden Saiten während<br />

eines Konzertes verschont geblieben. Ich kann<br />

mich allerdings an ein Konzert erinnern, bei dem<br />

der Veranstalter selbst mich ermunterte, das<br />

Konzert wegen des schlechten Flügels abzusagen.<br />

Leider habe ich es nicht gemacht.<br />

Was wünschen Sie sich für Ihre pianistische<br />

Zukunft?<br />

Dass die nächsten 50 Jahre mir genauso viel<br />

Freude bereiten wie die letzten fünf.<br />

Welche Ihrer eigenen Aufnahmen finden Sie am<br />

besten und warum?<br />

Ich habe daheim circa 200 CDs von meinen eigenen<br />

Konzerten der letzten 15 Jahre. Wenn ich einmal<br />

über sehr viel Zeit verfüge, komme ich auf<br />

diese Frage zurück.<br />

DIE AKTUELLE CD<br />

Franz Schubert<br />

Klaviersonaten G-Dur D 894; a-Moll<br />

D 537<br />

Helmut Lachenmann<br />

Fünf Variationen über ein Thema<br />

von Franz Schubert; Guero<br />

Herbert Schuch, Klavier<br />

Oehms Classics 593<br />

(Vertrieb: Harmonia Mundi)<br />

(Lesen Sie auch die Besprechung<br />

der CD auf Seite 93.)<br />

Foto: Jürgen Olczyk<br />

F<br />

57


D<br />

Wie Daniel Barenboim die Zillionen<br />

Noten der fünf Klavierkonzerte<br />

von Ludwig van Beethoven inklusive<br />

Orchesterpartitur im richtigen Moment<br />

auf Abruf parat hat, bleibt sein Geheimnis.<br />

Jedenfalls hat er mit der Staatskapelle<br />

Berlin, deren Chefdirigent er auf<br />

Lebenszeit ist, an drei Abenden beim<br />

Klavier-Festival Ruhr diese Konzerte in<br />

Personalunion auswendig aufgeführt und geleitet.<br />

Für solch eine gigantische Aufgabe ist eine vertraute<br />

Zusammenarbeit mit dem Orchester notwendig. Und man<br />

merkt, dass Daniel Barenboim sich nicht nur auf die<br />

Staatskapelle Berlin verlassen kann, er macht sie zu seinem<br />

Partner. Durch Frontalaufnahmen – das Klavier steht direkt<br />

vor dem Orchester– ist zu sehen, wie Daniel Barenboim<br />

kontinuierlichen Blickkontakt hat. Auch wenn er<br />

spielt, nimmt er manchmal eine für kurze Momente freie<br />

Die Bühne ist abgedunkelt, Scheinwerfer<br />

und Kameras sind ziemlich<br />

starr auf den Maestro des Abends<br />

gerichtet: Jorge Luis Prats „In Recital At<br />

The Miami International Piano Festival“<br />

wird so zur absoluten Ein-Mann-Schau.<br />

Applaus ist zu hören, aber weder Publikum<br />

noch Saal sind zu sehen. Eine<br />

gespenstische Szene. Sicher, Jorge Luis<br />

Prats ist ein hervorragender Pianist, der<br />

ein weit gespanntes Repertoire perfekt präsentieren kann.<br />

Insbesondere „Gaspard de la nuit“ von Maurice Ravel<br />

passt vorzüglich zu seiner poetischen Fantasie. Auch die<br />

„Danzas Cubanas“ von Ignacio Cervantes – wie Jorge Luis<br />

Prats aus Kuba stammend – sind ein Hörgenuss. Doch dazu<br />

ist eine solche audiovisuelle Konzertaufzeichnung nicht<br />

notwendig, eine CD wäre sogar besser geeignet gewesen.<br />

Nun hätte man zumindest vom Bonus „A Conversation<br />

with Jorge Luis Prats“ optische Abwechslung erwarten kön-<br />

Im Forum, einem Salon für Literatur,<br />

Theater und Musik in Stockholm, den<br />

Roland Pöntinen mit Freunden 1989<br />

gegründet hat, öffnet er einen Briefumschlag.<br />

Darin ist ein „Prélude“, das ihm<br />

die finnische Komponistin Kaija Saariaho<br />

geschickt hat. Ohne zu zögern,<br />

spielt Roland Pöntinen die zuvor noch<br />

nie gesehenen Noten vom Blatt, erläutert<br />

dabei bereitwillig, wie er sich Musik<br />

aneignet. So wird man durch geschickte Montage von<br />

wechselnden Szenen direkt in die Werkstatt des schwedischen<br />

Pianisten eingeladen: während er probt, dazwischen<br />

eine kurze Vorschau aufs „Konzert beim Ruhr Klavier Festival<br />

2007“, dann ein Treffen mit Kaija Saariaho, um Details<br />

des „Prélude“ zu besprechen.<br />

Im Kapitel „Porträt“ dieses Films wird man auf das „Konzert“<br />

vorbereitet, indem Roland Pöntinen von seinen Prinzipien<br />

als Interpret erzählt: „Ich spiele für mich selbst, ich höre<br />

mir selbst zu“, nur so könne er dem Publikum glaubwürdig<br />

gegenübertreten. Im 21. Jahrhundert Klavier zu spielen<br />

DVDS<br />

Hand, um Einsätze zu geben. Das ist sehr faszinierend,<br />

denn trotz der Doppelaktivität hat Daniel Barenboim stets<br />

die beachtlichen Niveaus der Klavierparts unter Kontrolle.<br />

Sowohl das Fanfaren-Rondo im fünften Konzert als auch<br />

das zarte Cantabile etwa im Largo des ersten Konzerts. Als<br />

ob sich Daniel Barenboim in einem Zwischenzustand von<br />

verinnerlichter Konzentration und wacher Aufmerksamkeit<br />

zum Orchester befände. Indem die Kameras wie Spione<br />

durch die Orchestersektionen schauen, schnelle Schnitte<br />

die Perspektiven verändern, werden diese Klavierkonzerte<br />

zu wunderbaren optischen<br />

Klangerlebnissen mit einer<br />

einzigartigen Persönlichkeit:<br />

Daniel Barenboim.<br />

Hans-Dieter Grünefeld<br />

Ludwig van Beethoven<br />

Klavierkonzerte Nr. 1–5<br />

Live vom Klavier-Festival Ruhr<br />

Daniel Barenboim, Klavier<br />

Staatskapelle Berlin<br />

EuroArts 2056778 (2 DVDs)<br />

(Vertrieb: Naxos)<br />

nen. Enttäuschend ist, dass auch hier die Kamera nur auf<br />

den Pianisten gerichtet bleibt, der Interviewer Frank<br />

Cooper nicht ins Blickfeld kommt. Dennoch ist dieses<br />

Gespräch insofern interessant, als Jorge Luis Prats sehr<br />

anschaulich seine Überlegungen zur Interpretation einzelner<br />

Werke demonstriert, etwa wie er den Orgelklang der<br />

Bearbeitung von Franz Liszt zum Präludium a-Moll von<br />

Johann Sebastian Bach imitiert,<br />

oder welche lokalen<br />

Geschichten sich in den<br />

„Danzas“ von Ignacio Cervantes<br />

verbergen. Schade,<br />

dass die Regie keine (anderen)<br />

Ideen hatte, Jorge Luis<br />

Prats zu porträtieren.<br />

Hans-Dieter Grünefeld<br />

Jorge Luis Prats<br />

In Recital At The Miami<br />

International Piano Festival<br />

Werke von J. S. Bach / Franz<br />

Liszt: Orgel-Präludium und<br />

Fuge in a-Moll; Alexander<br />

Scriabin: 24 Préludes op. 11,<br />

Ignacio Cervantes: Danzas<br />

Cubanas, Maurice Ravel:<br />

Gaspard de la nuit. La Valse<br />

VAI 4414<br />

(Vertrieb: Codaex)<br />

bedeute für ihn, „ein Klangspektrum zu haben, mit dem ich<br />

alles darstellen kann“. Im Vergleich von Probenclips und<br />

Konzertmitschnitt ist exemplarisch zu hören, dass Roland<br />

Pöntinen sowohl für die von Kaija Saariaho geforderten<br />

speziellen Glissandi als auch für eine „Gavotte“ von Jean-<br />

Philippe Rameau – da klingt das Klavier wie ein Cembalo –<br />

explizite Vorstellungen hat. Sein Recital mit Werken aus<br />

dem Barock, der Romantik und der klassischen Moderne ist<br />

stets stilgenau und inspiriert. Im einstündigen Interview<br />

mit dem engagierten Regisseur der „Legato-Reihe“, Jan<br />

Schmidt-Garre, berichtet Roland Pöntinen schließlich noch<br />

aus seiner Künstlerbiographie,<br />

sodass „Listening To<br />

Yourself“ nicht nur eine<br />

Selbstverpflichtung für ihn<br />

bleibt, sondern Betrachter<br />

und Zuhörer auf die Spur<br />

dieses sympathischen Pianisten<br />

bringt.<br />

Hans-Dieter Grünefeld<br />

Roland Pöntinen<br />

Listening To Yourself / Portrait –<br />

Konzert – Interview<br />

Werke von François Couperin,<br />

Jean-Philippe Rameau, Ferruccio<br />

Busoni, Kaija Saariaho, Frédéric<br />

Chopin, Isaac Albéniz, Sergej<br />

Rachmaninow, Maurice Ravel<br />

EuroArts 2055768<br />

(Vertrieb: Naxos)<br />

58 3 . 08


3 . 08<br />

Die hochambitionierte Reihe „Discovering<br />

Masterpieces“ will interessierten<br />

Musikliebhabern durch ein ausgeklügeltes<br />

audio-visuelles Konzept<br />

dazu verhelfen, „die großen Werke vom<br />

Barock bis zur Moderne völlig neu zu erfahren<br />

und zu genießen“ (Covertext). Das<br />

klingt zwar etwas vollmundig, aber das<br />

jüngste Produkt aus der Reihe belegt auf<br />

eindrucksvolle Weise, dass da nicht zu<br />

viel versprochen wird. Der Betrachter wird in zweifacher<br />

Weise an das Werk herangeführt. Zunächst einmal hat er<br />

die Möglichkeit, sich die vollständige Aufführung des<br />

Werkes zu Gemüte zu führen. Die hierfür ausgewählte Live-Aufführung<br />

mit Martha Argerich und dem Gewandhausorchester<br />

Leipzig unter Riccardo Chailly im Gewandhaus<br />

ist, so frisch und lebendig wie da musiziert wird, in<br />

der Tat ein Genuss. Wer möchte, kann das sinnliche Erlebnis<br />

durch einen Mausklick auf Documentary mit viel<br />

Wissen anreichern. Dort bekommt man recht detaillierte<br />

Einführungen zu allen drei Sätzen geboten, für die der<br />

renommierte Musikwissenschaftler Wulf Konold verantwortlich<br />

zeichnet. Zu Konolds Kommentaren werden<br />

Ruth Slenczynska (* 1925) war eines<br />

der erstaunlichsten Wunderkinder<br />

des 20. Jahrhunderts. Sie gab bereits im<br />

Alter von 6 Jahren ihr erstes Konzert<br />

und wurde anschließend von Größen<br />

wie Petri, Hofmann und Rachmaninow<br />

unterrichtet, unter deren Obhut sie zu<br />

einer veritablen Pianistin heranwuchs.<br />

Da sie sich in den USA niederließ und<br />

kaum je den europäischen Kontinent<br />

aufsuchte, ist ihr Name in Europa weitestgehend unbekannt<br />

geblieben. 1964 wurde sie Artist-in-Residence an der<br />

Southern Illinois University in Edwardsville. Ihren 80.<br />

Geburtstag beging sie mit einem Festkonzert, in dessen<br />

Rahmen sie gleich drei Konzerte auf einmal spielte: Chopins<br />

2., Liszts 1. und Tschaikowskys 1. Die vorliegende VAI-<br />

DVD enthält zweierlei: ein 1963 im Studio des amerikanischen<br />

Fernsehens aufgenommenes Rachmaninow-Recital<br />

(in Schwarz-Weiß) mit 7 Préludes aus op. 23 und 32 sowie<br />

ein 28-minütiges Interview von 2002, in dem die Slen-<br />

DVDS<br />

immer wieder Dokumente aus Schumanns Leben – Briefe,<br />

Porträts, Fotografien – eingeblendet, die das genaue optische<br />

Korrelat zum Gesagten abgeben. Bei detaillierten<br />

Erläuterungen – etwa zum Haupt- oder Seitenthema – werden<br />

zur Musik auch Ausschnitte aus der Konzert-Partitur<br />

eingeblendet, was freilich nur für des Notenlesens kundige<br />

Betrachter sinnvoll ist, und von denen gibt es weniger, als<br />

man denkt. Aber selbst wenn Noten für den interessierten<br />

Betrachter dieser Einführung ein Buch mit sieben Siegeln<br />

sind, wird er meistens verstehen, was gemeint ist. Konold<br />

vermeidet Fach-Chinesisch und erläutert den jeweiligen<br />

Sachverhalt knapp, klar und verständlich. Wer schon<br />

immer mal etwas über<br />

Schumanns Klavierkonzert<br />

wissen wollte, aber nie zu<br />

fragen wagte, sollte es mal<br />

mit dieser in jeder Hinsicht<br />

gelungenen DVD probieren.<br />

Er wird nicht enttäuscht<br />

werden.<br />

Robert Nemecek<br />

czynska im Plauderton von ihren Erfahrungen mit ihren<br />

Lehrern Josef Hofmann und Sergej Rachmaninow erzählt.<br />

Am wertvollsten ist sicher die Dokumentation ihres Klavierspiels,<br />

da sie eine Auffassung dokumentiert, die in direkter<br />

Linie auf Rachmaninow selbst zurückgeht. Die Verbindung<br />

von großem Ton, präziser Detailarbeit und enormer<br />

Disziplin ist beeindruckend. Die Ausführungen der<br />

Slenczynska im anschließenden Bonus-Interview, das<br />

eigentlich ein 28-minütiger Monolog ist, sind größtenteils<br />

so persönlich, dass sie kaum etwas von grundsätzlicher<br />

Bedeutung enthalten. Da der Redefluss der Slenczynska<br />

zudem weder durch Einblendungen<br />

noch Musik<br />

aufgelockert wird, ist dies<br />

wirklich nur etwas für gestandeneHofmann-Rachmaninow-Slenczynska-Fans.<br />

Robert Nemecek<br />

Discovering Masterpieces<br />

Of Classical Music<br />

Documentary & Performances<br />

Robert Schumann<br />

Klavierkonzert (1845)<br />

Martha Argerich, Klavier<br />

Gewandhausorchester Leipzig<br />

Ltg.: Riccardo Chailly<br />

EuroArts 2056068<br />

(Vertrieb: Naxos)<br />

Ruth Slenczynska<br />

Tribute to Rachmaninow<br />

Preludes op. 23 & 32 (Auswahl)<br />

Bonus-Interview<br />

„Remembering Josef<br />

Hofmann” (2002)<br />

VAI DVD 4412<br />

(Vertrieb: Codaex)<br />

D<br />

59


B B ÜCHER<br />

Fotoschau durch die Geschichte der Tasteninstrumente einer Sammlung<br />

Waren Sie schon einmal in der Tasteninstrumentensammlung<br />

im Museum für Kunst und<br />

Gewerbe in Hamburg? Wenn ja, dann wissen Sie,<br />

dass diese Sammlung von einem Privatmann stammt,<br />

einem Enthusiasten und Fachmann für historische<br />

Tasteninstrumente. Sein Name: Andreas Beurmann. Beurmann<br />

sammelt seit langem historische Tasteninstrumente<br />

und suchte dann länger nach einem Ort abseits seines Guts<br />

Hasselburg in Ostholstein, auf dem<br />

er etliche Instrumente auch ausstellt.<br />

Doch die Anzahl war mittlerweile<br />

zu einer Menge angewachsen,<br />

die Hasselburg eher klein werden<br />

ließ. Und so kam es, dass ein<br />

Großteil der Sammlung, immerhin<br />

mehr als 100 Instrumente, im Museum<br />

für Kunst und Gewerbe in<br />

Hamburg landeten. Bereits im Jahr<br />

2000 gab es die erste Publikation zu<br />

dieser seit diesem Jahr im Museum<br />

befindlichen Sammlung, in der<br />

Beurmann schon 50 Instrumente<br />

aus der Sammlung in einem Band<br />

dokumentierte. Doch nun ist ein<br />

neuer Band bei Georg Olms erschienen,<br />

einer, der weitaus umfangreicher<br />

die gesamte Sammlung<br />

vorstellt – und dies in einer schier<br />

grandiosen Aufmachung.<br />

In diesem neuen Band „Das Buch<br />

vom Klavier“ sind nun nicht weniger<br />

als 129 Instrumente beschrieben<br />

und – und dies vor allem – fotografisch<br />

in zahlreichen Detailaufnahmen<br />

dargestellt. Beurmann will<br />

nicht allgemeingültigen Arbeiten von Hubert Henkel und<br />

vielen anderen nacheifern. Vielmehr ist der Sammler aufgrund<br />

seiner Sammelleidenschaft auch ein Kenner der<br />

Materie, denn anders geht es wohl kaum, solch eine<br />

Sammlung zusammenzutragen. Und so sagt Beurmann in<br />

seinem Vorwort auch ganz unprätentiös, dass dieser Band<br />

nun „nicht durchgelesen, sondern durchgeblättert werden“<br />

will: „Der Leser soll sich an den Bildern freuen und hier und da<br />

einmal nachlesen. Die Bilder allein erzählen die Geschichte vom<br />

Werden des ‚Klaviers’ in seiner üppigen Mannigfaltigkeit.“ Und<br />

genau darum geht es. Doch wer nun allein einen wunderbaren<br />

Bildband mit großartigen Fotos von den Instrumenten<br />

erwartet, liegt falsch. Denn Beurmanns Buch bietet<br />

weitaus mehr. Zum einen geht es chronologisch vor und<br />

startet bei dem frühesten Instrument in der Sammlung,<br />

einem Tangentenflügel aus dem Jahre 1750 aus Italien,<br />

dessen Erbauer nicht bekannt ist. Dann geht es fort über<br />

zahlreiche wunderbare Tafelklaviere, Hammerflügel,<br />

Pianinos und bemerkenswerte Einzelstücke wie den elektrifizierten<br />

Neo-Bechstein, ein Euphonicon, bis hin zu einem<br />

Steinway & Sons Konzertflügel aus dem Jahre 1972. Dann<br />

folgen noch Harmonien, Orgeln und andere historische<br />

Tasteninstrumente. Doch die Instrumente werden nicht<br />

nur als Ganzes abgebildet, sondern zahlreiche Detailaufnahmen<br />

dokumentieren die bauartlichen Besonderheiten<br />

der Instrumente so spannend und genau, dass man nach<br />

und nach einen Eindruck von den Entwicklungsstadien der<br />

Tasteninstrumente erhält. Und man kann lernen, denn<br />

Beurmann beschreibt die Instrumente, deren Signaturen,<br />

deren Mechanik, die Ausstattung und alle Details bis ins<br />

Kleinste, nimmt Bezug auf die Fotos in seinem Text, weiß<br />

auch die Dämpfung ebenso interessant zu dokumentieren<br />

wie die Mechanik, die beiden Merkmale, die sich bei allen<br />

anderen Entwicklungen am meisten in Bezug auf das Spiel<br />

und den Klang verändert haben. Zudem gibt er Informationen<br />

über die Erbauer. Und für den Fachmann hängt er<br />

jeweils noch genaueste Angaben<br />

über die Mensuren, die Abmessungen,<br />

die Besaitung und alle baulichen<br />

Feinheiten an. Was wir mit diesem<br />

Buch also vor uns haben, ist<br />

weit mehr als eine Dokumentation<br />

der Instrumente aus einer Sammlung.<br />

Vielmehr hat Beurmann mit<br />

seinen großartigen Instrumenten –<br />

die zum größten Teil durchaus bespielt<br />

werden können, wie die zahlreichen<br />

Einspielungen auf Instrumenten<br />

aus dieser Sammlung immer<br />

wieder dokumentierten – eine detaillierte<br />

Geschichte der Entwicklung<br />

der besaiteten Tasteninstrumente<br />

anhand von Fotos und Beschreibung<br />

geliefert. Kaum ein wichtiges Instrument<br />

fehlt hier, auch wenn Beurmann<br />

dies sicherlich als Sammler<br />

anders sehen mag ...<br />

Wer sich für die Entwicklung der<br />

Tasteninstrumente und ihre Geschichte<br />

interessiert, muss dieses<br />

Buch kaufen, denn es bietet einen<br />

einmaligen Einblick in all die Details,<br />

die man auch als Betrachter<br />

der Instrumente im Museum nicht sehen kann, da die<br />

Instrumente dort ja in geschlossener Form stehen und nicht<br />

die Mechanik offenlegen, die Hämmer, die Dämpfer und<br />

vieles mehr. Wer denn noch nicht in der Sammlung selbst<br />

war, sondern nur das Buch durchblättert, wird spätestens<br />

dann Lust darauf bekommen, die Instrumente auch einmal<br />

live zu betrachten. Dann sollte man aber eine der interessanten<br />

und klanglich spannenden Führungen im Museum<br />

für Kunst und Gewerbe in Hamburg mitmachen, denn<br />

dann offenbaren die Instrumente auch klanglich die<br />

Entwicklungsgeschichte.<br />

Ein faszinierendes wie grandioses Buch zur Instrumentengeschichte<br />

der Klaviere!<br />

Carsten Dürer<br />

Andreas Beurmann<br />

Das Buch vom Klavier<br />

374 Seiten (zahlr. Fotos)<br />

Georg Olms Verlag<br />

ISBN 978-3-487-08473-2<br />

EUR 48,-<br />

60 3 . 08


W W ETTBEWERBE<br />

Zeichnung: Wolfgang Hülk<br />

Die aufgeführten Wettbewerbe<br />

wurden so ausgewählt, dass bei<br />

Erscheinen dieser Ausgabe von<br />

PIANONews noch die Möglichkeit<br />

einer Bewerbung besteht.<br />

<strong>2008</strong><br />

26. — 29. Juni <strong>2008</strong><br />

München (Deutschland)<br />

8. Münchner Klavierpodium der<br />

Jugend<br />

Internationaler Klavierwettbewerb<br />

Neues Münchner<br />

Kunstforum e.V.<br />

Asam Straße 8, 81541 München<br />

Tel.: 089 / 656052<br />

Fax: 089 / 658650<br />

E-Mail: Klavierpodium@web.de<br />

www.Klavierpodium-muenchen.de<br />

Altersbegrenzung: 5–25 Jahre<br />

Anmeldeschluss: 26. Mai <strong>2008</strong><br />

2. — 10. August <strong>2008</strong><br />

Ettlingen (Deutschland)<br />

11. Internationaler<br />

Wettbewerb für junge<br />

Pianisten Ettlingen<br />

Musikschule Ettlingen<br />

Sekretariat<br />

Pforzheimer Str. 25<br />

76275 Ettlingen<br />

Tel.: +49 / 7243 / 101-448 (311)<br />

Fax: +49 / 7243 / 101-180<br />

E-Mail: info@pianocompetition.org<br />

www.pianocompetition.org<br />

Altersbegrenzung:<br />

Kategorie A: 16–20 Jahre<br />

Kategorie B: 21 Jahre<br />

Anmeldeschluss: 24. April <strong>2008</strong><br />

25. August— 3. September <strong>2008</strong><br />

Bozen (Italien)<br />

57. Ferruccio Busoni<br />

International Piano<br />

Competition (Vorrunde)<br />

Foundation „Ferruccio Busoni“<br />

International Piano Competition<br />

Piazza Domenicani, 25<br />

39100 Bolzano<br />

Italy<br />

Tel.: +39 / 0471 / 97 65 68<br />

Fax: +39 / 0471 / 32 61 27<br />

E-Mail: info@concorsobusoni.it<br />

www.concorsobusoni.it<br />

Altersbegrenzung: 16–30 Jahre<br />

Anmeldeschluss: 31. Mai <strong>2008</strong><br />

14. — 21. September <strong>2008</strong><br />

Bratislava (Slowakische Republik)<br />

6. J. N. Hummel International<br />

Piano Competition<br />

Mrs. Markéta Stefková<br />

Executive Manager<br />

J. N. Hummel International Piano<br />

Competition<br />

Svätopukova 18<br />

82108 Bratislava<br />

Slowakische Republik<br />

Tel. & Fax: 00421 / 2 / 555 71 305<br />

E-Mail: info@hummelcompetition.sk<br />

www.hummel-competition.sk<br />

Altersbegrenzung: 32 Jahre<br />

Anmeldeschluss: 13. Juni <strong>2008</strong><br />

15. — 30. September <strong>2008</strong><br />

Valencia (Spanien)<br />

Concours International de<br />

Piano „José Iturbi“<br />

Secretaria del Concurso<br />

International „José Iturbi“<br />

Diputación Provincial de Valencia<br />

(Servicio de Cultura)<br />

Plaza Manises 4<br />

46003 Valencia<br />

Spanien<br />

Tel.: 0034 / 96 / 388 27 74<br />

Fax: 0034 / 96 / 388 27 75<br />

E-Mail: pianoiturbi@dva.gva.es<br />

www.dival.es/pianoiturbi<br />

Altersbegrenzung: 31 Jahre<br />

Anmeldeschluss: 15. Juni <strong>2008</strong><br />

18. — 24. Oktober <strong>2008</strong><br />

Enschede (Niederlande)<br />

International Piano<br />

Competition for Young<br />

Musicians<br />

International Competition for<br />

Young Musicians<br />

Gronausestraat 142<br />

7533 BR Enschede<br />

The Netherlands<br />

Tel.: +31 (0)6 - 22401002<br />

Fax: +31 (0)53 - 43 44 54 0<br />

E-Mail: info@pianocompetition.com<br />

www.pianocompetition.com<br />

Alterbegrenzung:<br />

Kategorie 1: 10–16 Jahre<br />

Kategorie 2: 17–21 Jahre<br />

2. — 9. November <strong>2008</strong><br />

Tongyeon (Südkorea)<br />

Gyeongnam International<br />

Music Competition, Tongyeong<br />

The Secretariat of Gyeongnam<br />

International Music Competition<br />

Tongyeong<br />

International Music Festival<br />

Foundation / Seoul Office<br />

2nd fl. Seocho Shinwha Bldg.<br />

1451-19, Seocho 3 Dong<br />

Secho Gu, Seoul<br />

Korea (137-867)<br />

Tel.: +82 / 2 / 3474-8315/6/7<br />

Fax: +82 / 2 / 3474-8319<br />

E-Mail: competition@timf.org<br />

www.timf.org/competition<br />

Altersbegrenzung: 15–30 Jahre<br />

Anmeldeschluss: 16. August <strong>2008</strong><br />

23. — 29. November <strong>2008</strong><br />

Limoges (Frankreich)<br />

6. International Piano<br />

Competition Francis Poulenc<br />

Direction de la Culture<br />

Mairie de Brive<br />

B. P. 80433<br />

19312 Brive Cedex<br />

Frankreich<br />

Tel.: +33 / 5 / 55 18 18 63<br />

Fax: +33 / 5 / 55 18 18 31<br />

E-Mail: info@concours-poulenc.org<br />

www.concours-poulenc.org<br />

Altersbegrenzung: 35 Jahre<br />

Anmeldeschluss: 3. Novemer <strong>2008</strong><br />

24. — 29. November <strong>2008</strong><br />

Bialystok (Polen)<br />

The IV. International Piano<br />

Duo Competition<br />

The Fryderyk Chopin Academy of<br />

Music in Warsaw<br />

The Instrumental and Pedagogic<br />

Department in Bialstok<br />

ul. Kawaleryska 5<br />

15-324 Bialstok<br />

Poland<br />

Tel. & Fax: + 4885 / 74 28 508<br />

E-Mail: mbogusz@chopin.man.bialystok.pl<br />

www.pianoduo.pl<br />

Altersbegrenzung: gemeinsames<br />

Alter der beiden Pianisten unter 70<br />

Jahre<br />

Anmeldeschluss: 20. Juni <strong>2008</strong><br />

2009<br />

Januar 2009<br />

Zagreb (Kroatien)<br />

6. EPTA Piano Festival for<br />

Children<br />

Koncertna direkcija Zagreb<br />

Kneza Mislava 18<br />

HR - 10000 Zagreb<br />

Tel.: 00385 / 4501 / 203<br />

Fax: 00385 / 4501 / 807<br />

E-Mail: epta@kdz.hr<br />

www.kdz.hr<br />

23. Februar — 4. März 2009<br />

Weimar (Deutschland)<br />

2. Internationaler Franz Liszt<br />

Wettbewerb für Junge<br />

Pianisten<br />

Hochschule für Musik Franz Liszt<br />

Weimar<br />

Platz der Demokratie 2/3<br />

99423 Weimar<br />

Tel.: +49 / 3643 / 555 150<br />

Fax: +49 / 3643 / 555 170<br />

E-Mail:<br />

wettbewerb@hfm-weimar.de<br />

www.hfm-weimar.de/liszt<br />

Alterbegrenzung:<br />

Kategorie 1: 10–13 Jahre<br />

Kategorie 2: 14–16 Jahre<br />

Kategorie 3: 17–19 Jahre<br />

Anmeldeschluss: 20. Oktober <strong>2008</strong><br />

62 3 . 08


3 . 08<br />

4. — 8. März 2009<br />

Havana (Cuba)<br />

5. Ignazio Cervantes<br />

International Piano Contest<br />

and Festival<br />

Jorge Beritán<br />

Código Postal 10400<br />

Cuidad de la Habana<br />

Cuba<br />

Tel.: 0053 / 7 / 836 1358<br />

E-Mail: vrd@cubarte.cult.cu<br />

www.ignaziocervantes.icm.cu<br />

Anmeldeschluss: 1. November <strong>2008</strong><br />

8. — 16. März 2009<br />

Miami, Florida (USA)<br />

11th Dranoff International<br />

Two Piano Competition<br />

The Murray Dranoff International<br />

Two Piano Competition<br />

3550 Biscyne Blvd., Suite 702<br />

Miami, FL 33137<br />

USA<br />

Tel.: +1 / 305 / 572 99 00<br />

Fax: +1 / 305 / 572 99 22<br />

E-Mail: mail@dranoff2piano.org<br />

www.dranoff2piano.org<br />

Altersbegrenzung: 21–33 Jahre<br />

Anmeldeschluss: 15. Juli 2007<br />

W W<br />

ETTBEWERBE<br />

21. — 29. März 2009<br />

Epinal (Frankreich)<br />

22. Concours International de<br />

Piano d’Epinal<br />

Concours International de Piano<br />

d’Epinal<br />

B.P. 428<br />

88011 Epianl Cedex<br />

Frankreich<br />

Tel.: +33 / 3 / 29 82 53 32<br />

Fax: +33 / 3 / 29 82 88 22<br />

E-Mail: secretariat-cipe@tiscali.fr<br />

www.concours-international-pianoepinal.org<br />

Altersbegrenzung: 15–30 Jahre<br />

Anmeldeschluss: 15. Februar 2009<br />

11. — 25. April 2009<br />

Kiew (Ukraine)<br />

VIII. International Competition<br />

for Young Pianists in Memory<br />

of Vladimir Horowitz<br />

Direction of the International<br />

Competition for Young Pianists in<br />

Memory of Vladimir Horowitz<br />

Tolstogo 31<br />

Kiew 01032<br />

Ukraine<br />

Tel.: +38 / 044) 288 32 38<br />

Fax: +38 / 044) 288 32 68<br />

E-Mail: horowitz@horotwitzv.org<br />

www.horotwitzv.org<br />

Altersbegrenzung: 33 Jahre<br />

Anmeldeschluss: 10. Dezember <strong>2008</strong><br />

18. — 28. April 2009<br />

London (England)<br />

London International Piano<br />

Competition<br />

London International Piano<br />

Competition<br />

28 Wallace Road<br />

London, N1 2PG<br />

England<br />

Tel.: 0044 / 20 / 7354 1087<br />

E-Mail: lipc@lipc.org.uk<br />

www.lipc.org.uk<br />

Altersbegrenzung: 29 Jahre<br />

Anmeldeschluss: 10. Dezember <strong>2008</strong><br />

63


K<br />

Mai<br />

Pierre-Laurent Aimard<br />

4. Frankfurt a. M., Alte Oper<br />

Markus Becker<br />

10. Düsseldorf, Schloss Benrath<br />

Alfred Brendel<br />

1. Bad Kissingen, Regentenbau<br />

4. München, Herkulessaal<br />

6. Stuttgart, Liederhalle<br />

8. Freiburg, Konzerthaus<br />

13. Köln, Philharmonie<br />

Dezsö Ranki<br />

15. Düsseldorf - Schumannfest<br />

25. Dresden<br />

Dezsö Ranki & Edit Klukon<br />

17. Dresden, Glashütte<br />

Guzal Enikeeva<br />

10. Schlitz, Schloss Hallenberg<br />

30. Bonn<br />

Kirill Gerstein<br />

25.–27. Köln, Philharmonie<br />

Boris Giltburg<br />

5. Zürich, Tonhalle (CH)<br />

11. Schwetzingen, Schloss<br />

Klavierduo Grau-Schumacher<br />

1. Museumsinsel Hombroich<br />

7. Schwetzinger Festspiele<br />

23. Stuttgart<br />

25. Mannheim<br />

Menachem Har-Zahav<br />

2. Moers, Kammermusiksaal<br />

Martinsstift<br />

9. Witten, Haus Witten<br />

18. Bitburg, Haus Beda<br />

Sung-Hee Kim Wüst /<br />

Hans Werner Wüst<br />

4. Rheinbreitbach, Obere Burg<br />

Evgeni Koroliov<br />

3. Dachau, Schloss<br />

18. Dresden<br />

Ewa Kupiec<br />

19. Hamburg, Laeiszhalle<br />

Gesa Lücker<br />

10. Stadtoldendorf, Altes Rathaus<br />

Radu Lupu<br />

23. Dresden, Semperoper<br />

Nana Mamayeva & Lea Kim<br />

16. Hildesheim,<br />

Konzertsaal der Musikschule<br />

Albert Mamriev<br />

3. Lahr/Schwarzwald,<br />

Konzerthalle Altes Scheffel<br />

Joanna Michna<br />

3. Heidelberg<br />

Joseph Moog<br />

21. Koblenz, Rhein-Mosel-Halle<br />

Mikhail Mordvinov<br />

11. Gehrden, Im Rathaus<br />

Olli Mustonen<br />

30. Berlin, Konzerthaus<br />

Gerhard Oppitz<br />

13. Wuppertal, Historische Stadthalle<br />

Alle Angaben ohne Gewähr.<br />

K ONZERTE<br />

14. Leverkusen, Erholungshaus<br />

Murray Perahia<br />

27. München, Philharmonie<br />

30. Stuttgart, Liederhalle<br />

Mody Pervez<br />

6. Bad Teinach, Kursaal<br />

17. Darmstadt, Chopinges.<br />

31. Bad Ditzenbach,<br />

Vinzenz Klinik<br />

Maurizio Pollini<br />

6. Berlin, Philharmonie<br />

Deszö Ranki<br />

15. Düsseldorf<br />

Deszö Ranki & Edit Klukon<br />

17. Dresden, Glashütte<br />

Peter Rösel<br />

11. Dresden, Semperoper<br />

Ragna Schirmer<br />

7. Hildesheim, Theater<br />

Christine Schornsheim<br />

10. Wörlitz, Schloss<br />

30. Augsburg, Goldener Saal<br />

Henri Sigfridsson<br />

30. Hamburg, Bechstein-Center<br />

Martin Stadtfeld<br />

14 Dortmund, Konzerthaus<br />

Klaus Sticken<br />

11. Leipzig, Mendelssohn-Haus<br />

17. Bad Nenndorf, Pavillon<br />

18. Burgdorf, Schloss<br />

25. Oyten, Rathaus<br />

Nikolai Tokarew<br />

14. Braunschweig<br />

15. Essen, Philharmonie<br />

18. Schwetzingen<br />

Marc Toth & Artur Pacewicz<br />

31. Rysum/Emden,<br />

Rysumer Fuhrmannshof<br />

Vanessa Wagner<br />

10. Essen, Philharmonie<br />

Juni<br />

Arnulf von Arnim<br />

28. Bochum, Thürmer-Saal<br />

Markus Becker<br />

13. Frankfurt/Oder, Konzerthalle<br />

14. Potsdam, Nikolaisaal<br />

18. Mühlheim, Stadthalle<br />

Boris Berezowsky & Brigitte Engerer<br />

19. Raiding, Franz-Liszt-Zentrum (A)<br />

Andrea Bonatta<br />

18. Essen, Zeche Zollverein<br />

Rudolf Buchbinder<br />

18. Raiding, Franz-Liszt-Zentrum (A)<br />

Klavierduo Grau-Schumacher<br />

19. Bad Kissingen<br />

25. Nürnberg<br />

27. & 28. Mainz<br />

Menachem Har-Zahav<br />

1. Mosbach, Alte Mälzerei<br />

15. Cochem, Kapuzinerkloster<br />

Motoi Kawashima<br />

29. Oldenburg, Kulturzentrum PFL<br />

Amir Katz<br />

13. Berlin, Bechstein-Centrum<br />

Evgeny Kissin<br />

4. Berlin, Philharmonie<br />

Christiane Klonz<br />

23. Kiel, Petruskirche<br />

Evgeni Koroliov<br />

4. Berlin, Konzerthaus<br />

20. Leipzig, Gewandhaus<br />

Ewa Kupiec<br />

25. Bayreuth, Steingraeber-Haus<br />

26. Ludwigsburg<br />

Lang Lang<br />

17. Stuttgart, Schloss Ehrenhof<br />

Gesa Lücker<br />

1. Oldenburg, Kulturzentrum PFL<br />

Marian Migdal<br />

29. Bochum, Thürmer-Saal<br />

Cristina Ortiz<br />

17. Bochum, Thürmer-Saal<br />

Murray Perahia<br />

1. Wien (A)<br />

Mody Pervez<br />

8. Bretten, Rathaus<br />

20. Salzburg (A)<br />

Slawomir Saranok<br />

28. Rysum/Emden,<br />

Rysumer Fuhrmannshof<br />

Konstantin Scherbakov<br />

21. Raiding, Franz-Liszt-Zentrum (A)<br />

Ragna Schirmer<br />

1. Ludwigsburg<br />

8. Halle/Saale, Aula der Universität<br />

10. Krefeld, Seidenweberhaus<br />

11. Mönchengladbach, Theater<br />

12. Mönchengladbach,<br />

Kaiser-Friedrich-Halle<br />

13. Krefeld, Seidenweberhaus<br />

Martin Stadtfeld<br />

7. Essen, Philharmonie<br />

9. Düsseldorf<br />

13. Passau<br />

14. Schwarzenberg (A)<br />

Klaus Sticken<br />

1. Buchhoilz, Holmer Mühle<br />

4. Berlin, Hanns-Eisler-Hochschule<br />

6. Bremen, Radio Bremen<br />

22. Raesfeld, Schloss<br />

30. Erfurt, Rathaus<br />

Nikolai Tokarew<br />

13. Bernkastel<br />

14. Weilburg<br />

15. Bad Kissingen<br />

Marc Toth & Artur Pacewicz<br />

7. Lahr/Schwarzwald,<br />

Konzerthalle Altes Scheffel<br />

13. Hildesheim,<br />

Konzertsaal der Musikschule<br />

Katharina Treutler<br />

15. Gehrden, Im Rathaus<br />

Gottlieb Wallisch<br />

20. Raiding, Franz-Liszt-Zentrum (A)<br />

64 3 . 08


15. Mai, Philharmonie Essen,<br />

Nikolai Tokarev<br />

16. Mai, Harenberg City-Center<br />

Dortmund, Schubert-Lecture<br />

Robert Levin<br />

17. Mai, Lehmbruck Museum<br />

Duisburg<br />

Jürgen Hocker, Pierre Charial<br />

18. Mai, Harenberg City-Center<br />

Dortmund,<br />

Klavierduo Robert Levin/Ya-Fei<br />

Chuang<br />

19. Mai, Landschaftspark Duisburg-<br />

Nord, Richard Goode<br />

21. Mai, Mercatorhalle im<br />

CityPalais Duisburg, Yundi Li<br />

22. Mai, Haus Witten und Saalbau<br />

Witten, Stockhausen-Hommage mit<br />

Benjanim Kobler, Frank Gutschmidt,<br />

Bernhard Wambach u.a.<br />

23. Mai, Schloss Herten, Graham<br />

Johnson und Christopher Maltman<br />

24. Mai, Schloss Herten, Bernhard<br />

Berchtold und Irina Puryshinskaja<br />

25. Mai, Schloss Herten,<br />

Salome Kammer und Rudi Spring<br />

26. Mai, Alte Lohnhalle Zeche<br />

Holland, Wattenscheid, Mauricio<br />

Vallina<br />

27. Mai, Philharmonie Essen, Gidon<br />

Kremer, Oleg Maisenberg,<br />

Kremerata Baltica<br />

28. Mai, Landschaftspark Duisburg-<br />

Nord, Klavierduo Labèque und<br />

Mayte Martin<br />

29. Mai, Kulturzentrum August<br />

Everding Bottrop, Andreas Staier<br />

30. Mai, Robert-Schumann-Saal<br />

Düsseldorf, Pierre-Laurent Aimard<br />

31. Mai, Robert-Schumann-Saal<br />

Düsseldorf, Pierre-Laurent Aimard<br />

und Studierende der<br />

Musikhochschule Köln<br />

1. Juni, Ev. Gesamtschule<br />

Gelsenkirchen-Bismarck, Stefan<br />

Kiefer, Bochumer Symphoniker,<br />

Steven Sloane<br />

2. Juni, Landschaftspark Duisburg-<br />

Nord, Andreas Staier, Christoph<br />

Prégardien<br />

3 . 08<br />

K ONZERTE<br />

Klavier-Festival Ruhr <strong>2008</strong><br />

3. Juni, Konzerthaus Dortmund,<br />

Pavel Gililov, Oleg Polianski, Mate<br />

Bekavac, Andrej Bielow, Nicolas<br />

Altstaedt<br />

4. Juni, Philharmonie Essen,<br />

Radu Lupu<br />

5. Juni, Kulturzentrum August<br />

Everding Bottrop, Yuja Wang<br />

6. Juni, Robert-Schumann-Saal<br />

Düsseldorf, Boris Bloch<br />

8. Juni, Gebläsehalle Henrichshütte<br />

Hattingen, Monty Alexander Trio<br />

9. Juni, Tonhalle Düsseldorf,<br />

Martin Stadtfeld<br />

11. Juni, Musiktheater<br />

Gelsenkirchen, Louis Lortie,<br />

Kremerata Baltica<br />

12. Juni, Stadthalle Mülheim,<br />

Yaara Tal & Andreas Groethuysen<br />

13. Juni, Konzerthaus Dortmund,<br />

Frank Chastenier, Bill Dobbins,<br />

WDR Big Band Köln<br />

14. Juni, Kunst aus<br />

Ausstellungshalle der BRD Bonn,<br />

Marc-André Hamelin<br />

15. Juni, Philharmonie Essen,<br />

„Ausgezeichnete Kinder“<br />

17. Juni, Philharmonie Essen,<br />

Gabriela Montero<br />

18. Juni, Stadthalle Mülheim,<br />

Markus Becker<br />

19. Juni, Landschaftspark Duisburg-<br />

Nord, Elena Bashkirova, Michael<br />

Barenboim, Timothy Park<br />

20. Juni, Mercatorhalle im<br />

CityPalais Duisburg,<br />

Krystian Zimerman<br />

21. Juni, Jahrhunderthalle Bochum,<br />

ExtraSchicht mit Studierenden der<br />

Klavierklassen der NRW-<br />

Musikhochschulen<br />

22. Juni, PACT-Zollverein Essen,<br />

Tamara Stefanovich<br />

23. Juni, Mercatorhalle im<br />

CityPalais Duisburg,<br />

Maurizio Pollini<br />

24. Juni, Philharmonie Essen, Alban<br />

Berg Quartett, Elisabeth Leonskaja,<br />

Heinrich Schiff, Alois Posch<br />

27. Juni, Martinstift Moers,<br />

Saleem Abboud Ashkar<br />

28. Juni, Jahrhunderthalle Bochum,<br />

Jazzfest Paul Kuhn<br />

29. Juni, Zeche Nordstern<br />

Gelsenkirchen, Siegfried Mauser,<br />

Thomas Bauer, Gottfried Schneider,<br />

Sebastian Hess<br />

30. Juni, Schloss Hohenlimburg,<br />

Mona Asuka Ott<br />

1. Juli, Stadthalle Mülheim,<br />

Nelson Freire<br />

2. Juli, Philharmonie Essen,<br />

András Schiff<br />

1.-3. Juli, Museum Folkwang Essen,<br />

Meisterkurs mit Alexei Lubimov<br />

3. Juli, Haus Fuhr Essen,<br />

Alexei Lubimov, Sergej Kasprov<br />

4. Juli, Haus Fuhr,<br />

Alexei Lubimov, Alexej Zouev<br />

4. Juli, Museum Folkwang Essen,<br />

Abschlusskonzert Meisterkurs Alexei<br />

Lubimov<br />

5. Juli, Philharmonie Essen,<br />

Leon Fleisher, Katherine Jacobson-<br />

Fleisher<br />

7. Juli, Philharmonie Essen, Maki<br />

Namekawa, Dennis Russel Davies<br />

8. Juli, Konzerthaus Dortmund,<br />

Martha Argerich und Mischa<br />

Maisky<br />

9. Juli, Kulturzentrum August<br />

Everding Bottrop, Ran Jia<br />

10. Juli, Philharmonie Essen, Lang<br />

Lang, Tan Dun, Yuan Li, WDR<br />

Sinfonieorchester Köln<br />

11. Juli, Philharmonie Essen, Lang<br />

Lang, Tan Dun, Yuan Li, WDR<br />

Sinfonieorchester Köln<br />

K<br />

Bereits zum 20. Mal wird das Klavier-Festival Ruhr vom 15. Mai bis zum 26. Juli veranstaltet, um mit 77 Konzerten und 99 Pianisten<br />

ein zeichen für das Klavier zu setzen. Zahlreiche große Namen sind längst bekannt, aber hier hat man wieder einmal innerhalb<br />

eines kurzen Zeitraumes die Ggelegenheit, alle großen Stars der Klavierszene zu erleben, sei es Lang Lang, Daniel Barenboim, Alfred<br />

Brendel, Martha Argerich, Radu Lupu, Nelson Freire, András Schiff oder Krystian Zimerman. Und natürlich ist auch wieder die<br />

junge Garde der Pianisten, schon bekannt und auf dem Weg zu Weltruhm, oder aber noch unbekannt, aber durchaus spannend, mit<br />

von der Partie. Dass daneben auch Kammermusik<strong>ensemble</strong>s wie das Alban Berg Quartett Konzerte (mit-)bestreiten, dass auch die<br />

Jazz-Fans mit Künstlern wie Chick Corea, Paul Kuhn, Anke Helfrich und Hubert Nuss auf ihre Kosten kommen, rundet das Bild eines<br />

großartigen Festivals für das Klavier ab. Untenstehend finden Sie die Termine aufgelistet, so dass Sie nichts verpassen müssen.<br />

Allerdings sei geraten, sich mit den Kartenbestellungen zu beeilen, da sich jetzt schon abzeichnet, dass einige der Konzerte schnell<br />

ausverkauft sein werden.<br />

12. Juli, Philharmonie Essen,<br />

Margaret Leng Tan, Ran Jia, Yuan<br />

Li, Instrumental<strong>ensemble</strong><br />

13. Juli, Konzerthaus Dortmund,<br />

Grigory Sokolov<br />

14. Juli, Ruhrfestspielhaus<br />

Recklinghausen, Leon Fleisher,<br />

Katherine Jacobson-Fleisher,<br />

Stuttgarter Kammerorchester<br />

15. Juli, Stadthalle Mülheim,<br />

Rudolf Buchbinder<br />

18. Juli, Robert-Schumann-Saal<br />

Düsseldorf, Preisträger des<br />

Beethoven Competition 2007<br />

19. Juli, Grugahalle Essen, „Return<br />

to Forever“ mit Chick Corea, Al Di<br />

Meola, Stanley Clarke, Lenny White<br />

19. Juli, Robert-Schumann-Saal<br />

Düsseldorf, Miroslav Kultyshev,<br />

Hibiki Tamura<br />

20. Juli, Harenberg City-Center<br />

Dortmund, Preisträger des Arthur<br />

Rubinstein Klavierwettbewerbs,<br />

Hisako Kawamura<br />

21. Juli, Ruhrfestspielhaus<br />

Recklinghausen, Christoph<br />

Eschenbach, Tzimon Barto<br />

22. Juli, Philharmonie Essen,<br />

Alfred Brendel<br />

23. Juli, Martinstift Moers,<br />

Steffen Schleiermacher<br />

24. Juli, Philharmonie Essen, Lang<br />

Lang, Daniel Barenboim, Torsten<br />

Schönfeld, Dominic Oelze<br />

25. Juli, Philharmonie Essen, Lang<br />

Lang, Daniel Barenboim, Torsten<br />

Schönfeld, Dominic Oelze<br />

26. Juli, Jahrhunderthalle Bochum,<br />

„Till Brönner and his Piano Friends“<br />

Karten und Informationen<br />

NRW-Ticket-Hotline<br />

Tel.: +49 / (0) 180 / 500 18 12<br />

Fax: +49 / (0) 228 / 910 41 11<br />

Platzgenaue Buchungen können auch unter<br />

www.klavierfesitval.de<br />

gebucht werden.<br />

65


B B ERICHTE<br />

Unterstützung für Hochbegabte<br />

Yamaha-Stipendien-Wettbewerb 2OO8 für Klavier<br />

Olaf Krüger (Institutional Marketing and Artist Relations Piano von Yamaha)<br />

führte mit Charme durch den Stipendienwettbewerb.<br />

Foto: Dürer<br />

Die seit einigen Jahren vollkommen<br />

renovierte Hochschule für<br />

Musik „Hanns Eisler“ liegt im Herzen<br />

von Berlin, in der sogenannten<br />

„Neuen Mitte“, gleich gegenüber<br />

dem Konzerthaus – heute in bester<br />

und teuerster Lage. Die Vorgaben,<br />

die dieses Gebäude einem Wettbewerb<br />

bietet, sind hervorragend, vor<br />

allem an einem ruhigen Wochenende<br />

wie an diesem 2. Februar<br />

<strong>2008</strong>, einem Samstag. Nicht zu viele<br />

Studenten scheinen sich dem Üben<br />

am Wochenende verschrieben zu<br />

haben, es ist still im Gebäude. Zudem<br />

bietet der Studio-Saal beste<br />

Akustik für den von Yamaha mitgebrachten<br />

CF III S Konzertflügel.<br />

Denn der Steinway und der alte Yamaha-Konzertflügel,<br />

die in diesem<br />

Saal zur Verfügung stehen, sind in<br />

die Ecke verbannt an diesem Tag.<br />

Zu Recht, wie man schnell feststellen<br />

kann, denn der CF III S klingt hervorragend,<br />

offen, ausgeglichen und<br />

brillant. Ein wunderbares und wunderbar<br />

präpariertes Instrument, das<br />

den Studenten beste Voraussetzungen<br />

liefert.<br />

Statuten<br />

In den Statuten für diesen Wettbe-<br />

werb sind einige Richtlinien vorgegeben,<br />

die erst einmal von den Bewerbern<br />

durchlaufen werden müssen,<br />

um zu diesem Wettbewerb zugelassen<br />

zu werden. Als Erstes sind<br />

nur Studenten zugelassen, die an<br />

den deutschen Hochschulen studieren.<br />

Nun, da es dieses Programm<br />

aber nahezu in allen Ländern Europas<br />

parallel gibt, besteht kaum eine<br />

Einschränkung für irgendeinen Studenten.<br />

Dann müssen sich die Studenten<br />

mit einer Audio-Aufnahme<br />

bewerben, die dann im Vorfeld von<br />

einer Jury vorausgewählt wird. In<br />

Deutschland waren es in diesem<br />

Jahr 45 Bewerbungen, die bei der<br />

Yamaha-Stiftung eingingen. Dann<br />

wurde gehört, wurden die Biografien<br />

angesehen. Nach dieser Vorauswahl<br />

waren 10 Bewerber verblieben.<br />

Diese mussten sich nun für das<br />

Finale vorbereiten, das in Berlin<br />

angesetzt war. Doch die Repertoirevorgaben<br />

sind harmlos. So muss<br />

man mindestens einen Satz aus einer<br />

klassischen Sonate spielen, sowie<br />

mindestens ein weiteres Stück<br />

nach freier Wahl. Die Vorspielzeit<br />

sollte 30 Minuten nicht überschreiten.<br />

Keine hohen Anforderungen an<br />

Klavierstudenten von heute, die sich<br />

beständig mit solchen Programmen<br />

Alle drei Jahre wird der seit 1990 durchgeführteYamaha-Stipendien-Wettbewerb<br />

im Fach Klavier ausgetragen. Und<br />

das nicht nur in Deutschland, sondern<br />

in zahlreichen europäischen Ländern.<br />

Was das Ziel dieses Wettbewerbs ist?<br />

Nun, bereits im Jahre 1966 wurde die<br />

Yamaha Music Foundation ins Leben<br />

gerufen, im Jahre 1989 kam dann der<br />

europäische Ableger hinzu, die Yamaha<br />

Music Foundation of Europe, die ihren<br />

Sitz in England hat. Seither werden<br />

Stipendien an hochbegabte Studenten<br />

vergeben, in unterschiedlichen Fächern,<br />

alle drei Jahre also für Klavierstudenten.<br />

Doch man muss mehr können, als<br />

sich nur bewerben, man muss einen<br />

Wettbewerb bestehen. In diesem Jahr<br />

fand die Endausscheidung an der Hanns<br />

Eisler Hochschule für Musik in Berlin<br />

statt. Wir lauschten den 10 ausgewählten<br />

Teilnehmern bei ihrem Vorspiel.<br />

beschäftigen. Allerdings gibt es auch<br />

eine Altersbegrenzung, die bei 24<br />

Jahren liegt. Kein Wunder, sollen<br />

doch die ausgelobten Stipendien<br />

den Studenten für das weitere Studium<br />

helfen und nicht am Ende des<br />

Studiums für eine Art von Lebensunterhalt<br />

sorgen.<br />

Niveau <strong>2008</strong><br />

Anscheinend hat sich die Stipendienausschreibung<br />

der Yamaha-<br />

Stiftung herumgesprochen. Denn im<br />

Vergleich zu dem Niveau vor drei<br />

Jahren an der Musikhochschule<br />

Dresden wurde man schnell gewahr,<br />

wie hoch das Niveau in diesem<br />

Jahr in Berlin sein würde. Die<br />

Studenten haben mittlerweile erkannt,<br />

wie interessant dieser kleine<br />

Stipendien-Wettbewerb ist, entweder<br />

wirklich zur finanziellen Unterstützung,<br />

aber in jedem Fall auch<br />

zur Vorbereitung auf einen Wettbewerb<br />

internationaler Prägung. Drei<br />

Stipendien waren ausgelobt.<br />

Schon zu Beginn legte die 22-jährige<br />

Beatrice Berrut aus der Klasse von<br />

Galina Iwanzowa an der Hochschule<br />

für Musik „Hanns Eisler“ die<br />

Latte hoch. Sie konnte gerade mit<br />

der „Englischen Suite“ Nr. 6 von<br />

66 3 . 08


3 . 08<br />

B ERICHTE<br />

Bach überzeugen, wenn ihr dies auch nicht mit Op.<br />

109 von Beethoven gelang, oder mit der Chopin’schen<br />

Sonate b-Moll. Der von ihr erzeugte Klang war etwas<br />

zu matt und klein, ihr Beethoven zu atemlos und<br />

gehetzt. Und dennoch, die Latte war hoch angelegt.<br />

Das ließ auch Tatiana Chernichka (23 Jahre) aus der<br />

Klasse von Elisso Wirssaladze aus München scheitern.<br />

Denn ihre Darstellung des 1. Satzes aus Schuberts<br />

Sonate A-Dur D 959 war uneinheitlich, mit nur wenig<br />

gesanglichen Elementen und harten wie unausgewogenen<br />

Akzenten. Eigenwillig und sehr persönlich zeigte<br />

sich dann auch Lydia Gorstein aus der Klasse von<br />

Michael Endres aus Berlin. Die 24-Jährige spielte die<br />

Sonate Op. 110 von Beethoven mit viel Emotionen,<br />

mit kaum gezügelter Energie. Dass ihr Melodieklang<br />

dabei manches Mal nur noch hart und gnadenlos<br />

klang, war dann das Ergebnis. Der Hörer fand kaum<br />

einen Moment der Entspannung in ihrem Spiel, keine<br />

Ruhephase, litt mit ihr durch die gesamte Sonate.<br />

Auch wenn der Drang, den sie darstellen konnte,<br />

durchaus angebracht war, war sie weit von einer ausgewogenen<br />

Interpretation entfernt. Ihr „Une barque<br />

sur l’Ocean“ aus Ravels „Miroirs“ war dagegen weitaus<br />

ausgewogener.<br />

Der 18-jährige Paraskevas Tsenikoglou (aus der Hochschule<br />

in München) hatte ein wenig Pech. Kurz vor<br />

dem Auftritt schnitt er sich in den Daumen, trat aber<br />

dennoch an. Und welch ein Talent zeigte er: Beethovens<br />

1. Satz aus der Sonate Op. 2 Nr. 2 zeigte in seiner<br />

Darstellung, dass hier bereits ein sehr persönlicher<br />

Geist heranwächst, einer, der zu gestalten versteht,<br />

der auch in Chopins Préludes Op. 28 (Nrn. 13–24) zu<br />

gestalten wusste, aber hier kaum aus der Spannung<br />

der melancholischen Sehnsuchtsfurcht herausfand.<br />

Die Japanerin Nao Yuki (24 Jahre), auch aus der<br />

Klasse von Michael Endres, spielte den 1. Satz aus Op.<br />

111 von Beethoven und Brahms’ Fantasien Op. 116.<br />

Famos konnte sie ihre Aufgaben bewältigen, hatte<br />

aber das Haltepedal zu oft im Visier, um einen durchsichtigen<br />

Klang zu erzeugen. Und Brahms? Nun, hier<br />

wie bei Beethoven mangelte es an dem Überblick für<br />

die Struktur und die Dramatik. Dennoch war ihr<br />

Brahms mitreißend – jede hier geäußerte Kritik muss<br />

aus der Sicht eines hohen Niveaus verstanden sein.<br />

Dann war die 22-jährige Friederike Wild (Klasse Marchand<br />

in Stuttgart) an der Reihe, konnte aber nur wenig<br />

überzeugen mit dem 1. Satz der Sonate Op. 57 von<br />

Beethoven. Doch ihre Darstellung von de Fallas „Fantasia<br />

baetica“ war berauschend und selbstsicher, mit<br />

großem Klang gespielt.<br />

Der seit neun Jahren in Deutschland lebende Taiwanese<br />

Wie Chen (22 Jahre, Klasse Berzon in Freiburg)<br />

war der Nächste und sorgte für einige unglaublich<br />

gekonnte Darstellungen. Als Erstes spielte er Wagner-<br />

Liszts „Isoldens Liebestod“ mit einem großen, orchestralen<br />

Klang. Doch besonders war seine immense<br />

natürliche Technik zu beobachten, die es ihm ermöglichte,<br />

diesen Klang ohne Ermüdung zu erzeugen. Der<br />

1. Satz aus Mozarts Sonate KV 311 gelang ihm weniger,<br />

anscheinend war dies nicht sein bevorzugtes Repertoire,<br />

das spürte man, vor allem in Hinblick auf<br />

das, was dann von ihm gezeigt wurde. In Ravels „Alborada<br />

del Gracioso“ fand er zu einem schier prickelnden<br />

Klang, der nur in den schnellen Pianissimo-<br />

Passagen ein wenig haperte, womit er sich allerdings<br />

in bester Gesellschaft auch großer Namen befand.<br />

Seine Deutung des 24. Präludium und Fuge d-Moll aus


B B ERICHTE<br />

Die Jury in Berlin: Beatrice Berthold (sitzend) und die Herren (v.l.n.r.): Stan Zielinski,<br />

Michael Leuschner, Anthony Spiri und Volker Banfield.<br />

Foto: Dürer<br />

dem Zyklus von Dmitri Schostakowitsch<br />

war gewaltig: brillant mit<br />

Ernsthaftigkeit und Ruhe vorgetragen,<br />

mit großen Klangbergen und<br />

einer dramatischen Vehemenz, wie<br />

man dies nur selten hört, wobei die<br />

trüb-melancholische Stimmung<br />

nicht vergessen wurde.<br />

Und dann die letzten drei Kandidaten,<br />

die alle drei ihre Vorzüge hatten.<br />

Als erster Mateusz Moleda (21<br />

Jahre, Klasse Arie Vardi in Hannover).<br />

Feinsinnig spielte er Mozarts<br />

Sonate KV 330 (1. und 2. Satz), mit<br />

so viel Witz und Leichtigkeit. Nur<br />

ein wenig mehr Zeit hätte er sich<br />

stellenweise lassen können, um der<br />

Musik zu ermöglichen, ihre interne<br />

Aussagekraft zu entfalten. Schumanns<br />

„Kinderszenen“ hatten ihre<br />

Tücken für Moleda: So fand er zwar<br />

die ernsten Aussagen, konnte die<br />

Charaktere fassen, doch fand er<br />

nicht zurück zu den erlösenden Momenten<br />

anderer Stücke. Dennoch ist<br />

er ein großartiges Talent.<br />

Lilit Grigoryan (22 Jahre aus der<br />

Klasse Matthias Kirschnereit in<br />

Rostock) hatte nur zu Beginn mit<br />

Mozarts Sonate KV 576 (1. Satz)<br />

Probleme: Ruhelos, hektisch und<br />

wenig austariert präsentierte sie<br />

ihren Mozart. Doch danach fackelte<br />

sie ein pianistisches Feuerwerk ab:<br />

Symanowskis „Variations b-Moll<br />

Op. 3“ fand unter ihren Händen zu<br />

einer passionierten, präzisen und<br />

funkelnden Darbietung. Und<br />

Ginasteras Sonate Nr. 1 gelang ihr<br />

derartig locker in der rhythmischen<br />

Präzision mit Feuer und emotionalen<br />

Phrasierungen, dass die Jury<br />

applaudieren musste. Eine grandiose<br />

Vorstellung.<br />

Als Letzter dann Oskar Jezior, der<br />

22-jährige aus der Klasse von Matti<br />

Raekallio in Hannover. Er ist ein unglaubliches<br />

Talent, das konnte man<br />

schon an vielen anderen Orten erleben.<br />

Allein: Sein Verständnis und<br />

sein Geschmack für Standardwerke<br />

sind eigenwillig, zu eigenwillig. So<br />

war der 1. Satz von Beethovens Sonate<br />

Op. 106 ab dem ersten Akkord<br />

eine brutale, gnadenlose Darstellung,<br />

eine, die technische Brillanz<br />

zeigte, aber die Musik selbst<br />

beugte. Dasselbe galt für Liszts Variationen<br />

auf Bachs „Weinen, Klagen,<br />

Sorgen, Zagen“. Auch hier war<br />

ein recht unstrukturiertes und ohne<br />

inneren Zusammenhalt gezeigtes<br />

Spiel der vorherrschende Eindruck.<br />

Als er aber dann seine eigene Bearbeitung<br />

auf Bachs Choralvorspiel zu<br />

„Das alte Jahr vergangen ist“ BWV<br />

614 spielte, fand er zu einem faszinierenden<br />

Spiel, verliebt in Stimmtransparenz,<br />

mit vollkommen sensibler<br />

gestaltetem Klang, als er dies<br />

bis dahin gezeigt hatte.<br />

Man durfte gespannt sein, wie die<br />

Jury entscheiden würde.<br />

Die Entscheidungen<br />

Ob man nun tatsächlich gut daran<br />

tut, Hochschulprofessoren für solch<br />

einen Wettbewerb in die Jury zu<br />

holen, mag bezweifelt werden. Zu<br />

viele Animositäten herrschen unter<br />

den Professoren, zu viele haben<br />

selbst Studenten angemeldet, die<br />

vielleicht nicht einmal durch die<br />

Vorauswahl gekommen sind ... Dennoch<br />

war die Jury hochkarätig: Beatrice<br />

Berthold von der Hochschule in<br />

Hannover, Volker Banfield aus<br />

Hamburg, Anthony Spiri aus Köln,<br />

Michael Leuschner aus Freiburg.<br />

Und eigentlich sollte auch Michael<br />

Endres von der gastgebenden<br />

Hochschule an der Jury teilnehmen,<br />

erkrankte aber kurzfristig. Doch<br />

wollte man die ungerade Anzahl an<br />

Juroren beibehalten und ersetzte<br />

Endres durch den Künstler-Direktor<br />

von Yamaha, Stan Zielinski, aus<br />

Paris.<br />

Die Stipendiaten (v.l.n.r.): Lilit Grigoryan, Lydia Gorstein, Nao Yuki und Wei Chen.<br />

Foto: Dürer<br />

68 3 . 08


Urtext · Bindung · Druckverfahren · Kommentare · Layout · Papier<br />

Drei Stipendien sollten ausgelobt<br />

werden, man durfte aber auch Stipendien<br />

teilen, so die Vorgaben für<br />

die Jury. Da es keine Platzierungsvorgabe<br />

gab, sollte die Entscheidung<br />

nicht allzu schwerfallen –<br />

dachte man. Dennoch ließ sich die<br />

Jury ein wenig mehr Zeit als gedacht.<br />

Und das Ergebnis war ebenso<br />

erstaunlich, wie dies immer in Wettbewerben<br />

solcher Art ist: Lydia Gorstein,<br />

Nao Yuki und Lilit Grigoryan<br />

erhielten ein Stipendium in Höhe<br />

von je 2000,- englischen Pfund. Alle<br />

Teilnehmer erhielten allerdings<br />

auch einige Sachgeschenke. Und<br />

dann hatte die Klavierabteilung von<br />

Yamaha Europe auch noch ein<br />

Sonderstipendium von 500,- Euro<br />

ausgelobt: Dieses erhielt Wei Chen<br />

für seine Darstellung von „Isoldens<br />

Liebestod“.<br />

Fazit<br />

Yamaha geht seit vielen Jahren einen<br />

guten, einen richtigen Weg.<br />

Man will die Jugend, den hochtalentierten<br />

nachwuchs in den Ländern,<br />

an denen man als Unternehmen<br />

partizipiert, unterstützen. Das<br />

ist genau der richtige Ansatz. Nun<br />

} Edition nach streng wissenschaftlicher Methode<br />

} Berücksichtigung aller verfügbaren Quellen<br />

} optimale Einrichtung für die Praxis<br />

(Fingersätze, Strichbezeichnung etc.)<br />

B ERICHTE<br />

kann man jedem Unternehmen, das<br />

diese Art der Förderung vornimmt,<br />

unternehmerische Hintergedanken<br />

vorwerfen. Aber das war zu allen<br />

Zeiten in allen Branchen so. Und es<br />

ist absolut legitim, wenn das Engagement<br />

solche Vorspiele und Ausscheidungen<br />

wie die in Berlin zur<br />

Folge hat. Zum einen hilft man den<br />

Studenten, sich weiterzubilden. Zum<br />

anderen gibt man den Studenten<br />

die Chance, vor einem Publikum zu<br />

spielen. Denn die Vorspiele der Aus-<br />

scheidungen sind öffentlich. Dass<br />

über Tag in Berlin kaum Publikum<br />

anwesend war, ist schade. Aber am<br />

Abend, bei dem Abschlusskonzert<br />

der Stipendiaten war der Studio-<br />

Saal fast bis auf den letzten Platz<br />

gefüllt. Diese Art der Unterstützung<br />

sollte für viele andere Unternehmen,<br />

die letztendlich von den hochtalentierten<br />

Musikern leben, Vorbild<br />

sein.<br />

Carsten Dürer<br />

Music – Our Passion.<br />

B


L<br />

L EGENDEN<br />

Phänomenaler Pianist<br />

und Erfinder Erfinder<br />

JOSEF<br />

HOFMANN<br />

Das Wunder Hofmann<br />

Josef Hofmanns Weg zum Ruhm beginnt nicht erst<br />

im Erwachsenenalter, sondern schon in der Kindheit.<br />

Er war ein Wunderkind, wie es nur wenige<br />

gab. Das Talent des Jungen machte sich schon<br />

beim Dreijährigen bemerkbar, worauf er zunächst<br />

von seiner Schwester, dann von seiner Tante und<br />

anschließend von seinem Vater, einem Dirigenten<br />

und Musiker, im Klavierspiel unterrichtet wurde.<br />

Mit sechs legte er seinen ersten öffentlichen Auftritt<br />

im Rahmen eines Benefizkonzerts hin, und mit<br />

neun stürmte er durch Beethovens 1. Klavierkonzert,<br />

dass das Publikum ganz außer sich geriet. Anton<br />

Rubinstein, der den Knaben in Warschau gehört<br />

hatte, nannte ihn ein „musikalisches Phänomen“<br />

und stellte den Kontakt zum deutschen<br />

Impresario Hermann Wolff her, der Vater Casimir<br />

davon überzeugte, dass es an der Zeit sei, die Laufbahn<br />

des Jungen in professionelle Bahnen zu len-<br />

Die Epoche zwischen 1870 und<br />

1920 hat so viele Klaviergenies<br />

hervorgebracht, dass sie zu Recht<br />

das „goldene Zeitalter des Klaviers“<br />

genannt wird. Auch der am<br />

26. Januar 1876 im polnischen<br />

Podgorze (bei Krakau) geborene<br />

Josef Hofmann war ein solches<br />

Klaviergenie und vielleicht sogar<br />

das größte von allen. Hofmann<br />

hatte schon als klavierspielendes<br />

Wunderkind für Furore gesorgt,<br />

und er verstand es, sein pianistisches<br />

Handwerk im Laufe der Zeit<br />

derart zu perfektionieren, dass<br />

ihn sogar seine nicht weniger berühmten<br />

Kollegen, darunter Klaviertitan<br />

Rachmaninow, als Ausnahmeerscheinung<br />

ansahen. Das<br />

war Hofmann auch hinsichtlich<br />

seines für die Zeit relativ nüchternen<br />

Interpretationsstils, der ihn<br />

als frühen Repräsentanten des<br />

modernen Klavierspiels ausweist.<br />

Dass Hofmann indessen nicht nur<br />

Pianist, sondern auch Komponist<br />

und überdies ein veritabler Erfindergeist<br />

war, macht ihn zu<br />

einer der faszinierendsten Persönlichkeiten<br />

am Übergang vom 19.<br />

ins 20. Jahrhundert.<br />

Von: Robert Nemecek<br />

ken. Anfang 1887 unternahmen Vater und Sohn<br />

die erste Europa-Tournee, und am 29. November<br />

1887 erfolgte Hofmanns triumphales Debüt an der<br />

Metropolitan Opera, das ein amerikanischer Kritiker<br />

wie folgt kommentierte: „Männer riefen Bravo!<br />

und Frauen winkten mit ihren Taschentüchern. Pianisten<br />

von Rang waren zu Tränen gerührt. Einige<br />

wischten die Feuchtigkeit von ihren Augen weg. Das<br />

Kind setzte die Versammlung in Erstaunen. Es war ein<br />

Wunder.“<br />

Es folgten 52 weitere Konzerte in Brooklyn, Boston,<br />

Philadelphia, Baltimore und wieder New<br />

York, bis die Gesellschaft zur Verhütung von Grausamkeiten<br />

an Kindern einschritt, um mit Hinweis<br />

auf die Überlastung des Kindes den Abbruch der<br />

Tournee zu fordern. Kurz darauf machte der millionenschwere<br />

Philantrop Alfred C. Clark Vater<br />

Casimir das Angebot, ihm 50.000 Dollar – damals<br />

noch wesentlich mehr als heute – zu geben, wenn<br />

70 3 . 08


3 . 08<br />

er seinen Sohn bis zum 18. Lebensjahr nicht mehr<br />

öffentlich auftreten lasse. Hofmann senior nahm<br />

das Angebot an und schickte seinen hochbegabten<br />

Sohn nach Berlin zu Moritz Moszkowski in die<br />

Lehre, der zur Jahrhundertwende ein angesehener<br />

Komponist und Klavierpädagoge war. Bei Heinrich<br />

Urban erhielt Hofmann Unterricht in Theorie<br />

und Komposition. Als er sechzehn war, übernahm<br />

ihn Anton Rubinstein als seinen einzigen Schüler.<br />

Rubinstein war in den 80er und 90er Jahren des<br />

19. Jahrhunderts für viele der größte Pianist nach<br />

Liszt. Seine Kraft, seine Vitalität und die Klangfülle<br />

seines Spiels waren ohne Vergleich und brachten<br />

ihm Titulierungen wie „Herkules des Klaviers“<br />

oder „Jupiter Tonans“ ein. Beim Unterricht, der in<br />

Rubinsteins Dresdener Wohnung stattfand, ging<br />

es in erster Linie um Fragen der Interpretation.<br />

Rubinstein hat Hofmann nie vorgespielt, sondern<br />

nur die zur Rede stehende Musik analysiert, erläutert<br />

und ihren Geist und Charakter beleuchtet. Auf<br />

Fragen zur Technik pflegte er Antworten wie die<br />

folgende zu geben: „Spiel es mit der Nase. Aber lass<br />

es gut klingen.“ Die endgültige Interpretation war<br />

Sache des Schülers. Hofmann empfand diese Unterrichtsmethode<br />

als goldrichtig.<br />

Am 14. März 1894 gab Hofmann, der mittlerweile<br />

das 18. Lebensjahr erreicht hatte, in Hamburg<br />

sein Debüt als erwachsener Pianist. Er hatte<br />

dafür Rubinsteins d-Moll-Konzert aufs Programm<br />

gesetzt, und der Komponist dirigierte. Direkt<br />

danach erklärte Rubinstein den Unterricht für<br />

beendet. Er hatte seinem Schüler alles beigebracht,<br />

was er ihm nur beibringen konnte. Ein halbes<br />

Jahr später, am 19. November desselben Jahres,<br />

starb Rubinstein plötzlich und unerwartet an<br />

Herzversagen. „Die Welt schien mir plötzlich völlig<br />

leer und ohne Interesse“, schrieb Hofmann später. Er<br />

hatte seinen Lehrer und Mentor verloren und musste<br />

sich nun ohne dessen Hilfe durchschlagen.<br />

Triumphe in Europa und<br />

schwerer Anfang in Amerika<br />

Noch im Herbst 1894 machte sich Hofmann zu seiner<br />

ersten Europatournee auf, die in England begann<br />

und in Russland endete. Dort feierte er auch<br />

die größten Erfolge. In Petersburg waren alle 19<br />

Konzerte, die er in einer Saison gab, bis auf den<br />

letzten Platz ausverkauft, und das Publikum lag<br />

dem Erben Anton Rubinsteins zu Füßen. Es war<br />

nicht zuletzt dieses Erfolgserlebnis, das Hofmann<br />

in der Überzeugung bestärkte, den richtigen Weg<br />

eingeschlagen zu haben. In Amerika, das er seit<br />

1898 jährlich aufsuchte, hatte er es erheblich<br />

schwerer, wieder Fuß zu fassen. Das Wunder Hofmann<br />

lag weit zurück, und für das verwöhnte<br />

Publikum war er nichts weiter als ein junger Pianist<br />

unter vielen. Aber Hofmann ließ sich nicht<br />

entmutigen und arbeitete unermüdlich weiter.<br />

1903 wurde er von der „Gramophone and Typewriter<br />

Company“ eingeladen, einige Aufnahmen<br />

zu machen. Danach wuchs sein Ruhm kontinuierlich.<br />

Nach einem Konzert in der Carnegie Hall am<br />

26. Oktober 1907 gelangte ein Kritiker zu der<br />

Überzeugung, dass er „einen der größten lebenden<br />

Pianisten“ gehört hatte.<br />

In den darauffolgenden Jahren wurden die Besprechungen<br />

sogar noch enthusiastischer, und<br />

L EGENDEN<br />

endlich begann auch das amerikanische<br />

Publikum ihn zu lieben.<br />

Bei diesem Popularitätsschub<br />

spielten freilich auch<br />

andere Faktoren eine wichtige<br />

Rolle. So betreute Hofmann seit<br />

1901 den Musikteil des populären<br />

„Ladies’ Home Journal“ des<br />

Curtis-Konzerns und schrieb<br />

regelmäßig Artikel zur Kunst<br />

des Klavierspiels. Zudem konnten<br />

Leser Hofmann Fragen stellen,<br />

die er in der darauffolgenden<br />

Zeitschrift beantwortete.<br />

Kein Wunder, dass sich Hofmanns<br />

Rubrik großer Beliebtheit<br />

erfreute. In den 20er Jahren<br />

kam ein weiterer Faktor<br />

hinzu. 1924 wurde Hofmann<br />

Leiter der Klavierabteilung des<br />

neugegründeten Curtis Institute<br />

of Music in Philadelphia, und drei Jahre später<br />

erhielt er den Posten des Institutsdirektors. Mit<br />

Dozenten wie Fritz Reiner, Efrem Zimbalist und<br />

Leopold Auer machte er das Institut binnen kürzester<br />

Zeit zu einer der besten musikalischen Lehranstalten<br />

Nordamerikas. Allein aus Hofmanns<br />

Werkstatt gingen so prominente Pianisten wie<br />

Shura Cherkassky, Ruth Slenczinska und Abram<br />

Chasins hervor. „In den beiden ersten Unterrichtsstunden<br />

lernte ich mehr als während meiner gesamten<br />

früheren Lehrjahre“, erinnerte sich Chasins später<br />

an Hofmanns Unterricht (in: „Speaking about<br />

Pianists“).<br />

Zwischen Romantik und Moderne<br />

Hofmanns einzigartige Stellung, die von den<br />

Zeitgenossen immer wieder betont wird, resultiert<br />

aus der faszinierenden Verbindung von phänomenaler<br />

Technik, expressiver Intensität und moderner<br />

Rationalität. Schon durch seine Lebensdaten<br />

figuriert Hofmann als Bindeglied zwischen Romantik<br />

und Moderne. Als er 1876 das Licht der<br />

Welt erblickt, vollendet Brahms gerade seine 1.<br />

Sinfonie. Als er 1957 stirbt, ist die Welt, die zwei<br />

Weltkriege und Hiroshima erlebt hat, eine ganz<br />

andere. Hofmann ist jedoch zuallererst ein Kind<br />

des 19. Jahrhunderts. Beethoven, Chopin, Schumann<br />

und Liszt (wenig Brahms) bilden den Kern<br />

seines Repertoires. Bach spielt er nur in Transkriptionen<br />

von Liszt und Busoni, während Rachmaninow,<br />

ein paar Miniaturen von Prokofiew und eigene<br />

Kompositionen die Grenze im 20. Jahrhundert<br />

markieren.<br />

Romantisch an seinem Spiel ist vor allem der<br />

singende Ton, die am Belcanto orientierte Phrasierung,<br />

die virtuos-heroische Geste und der in<br />

unzähligen Farben schillernde Klang. Andererseits<br />

weisen ihn sein klarer, unpathetischer Klavierstil,<br />

sein Bemühen um Texttreue und der Verzicht auf<br />

„verschönernde“ Zutaten als Vorläufer modernen<br />

Klavierspiels aus. In seinem Buch „Piano Playing“<br />

wendet er sich sogar ausdrücklich gegen jede Form<br />

effekthascherischen Spiels und rät anstatt dessen<br />

zu „Klarheit der Diktion“ (u.a. durch sparsamen<br />

Pedalgebrauch) und zu einem „ökonomischen Umgang<br />

mit Kraft und Gefühl“. Nicht der Interpret,<br />

L<br />

71


L<br />

L EGENDEN<br />

sondern das Werk steht dabei im Mittelpunkt. „Die<br />

richtige Interpretation eines Stückes Musik“, so Hofmann,<br />

„resultiert aus dem richtigen Verständnis und<br />

dieses wiederum beruht allein auf einer skrupulös<br />

genauen Lektüre desselben.“ (Piano Playing)<br />

Für „die richtige Interpretation“ bedarf es freilich<br />

auch einer makellosen Technik, und die von<br />

Hofmann war schlicht phänomenal. Sein Skalenspiel<br />

war von konkurrenzloser Ebenmäßigkeit,<br />

seine Akkordtechnik unfehlbar, sein Anschlag<br />

unendlich differenziert und sein Gefühl für Klangbalance<br />

perfekt. Hofmann schätzte gute Technik.<br />

Aber weder ging es ihm um ihre Verabsolutierung<br />

noch um ihre wohlfeile Demonstration. Sie war für<br />

ihn einfach ein Werkzeug, mit dem er seine künstlerische<br />

Vision verwirklichen konnte. Dabei war<br />

sein Werkzeugkasten sicher um einiges<br />

größer als der anderer Pianisten und<br />

er ging wohl auch viel bewusster<br />

damit um als die meisten seiner<br />

Kollegen. Der große Rest war<br />

aber auch für Hofmann letztlich<br />

Sache der Imagination<br />

und Intuition. Darin unterschied<br />

er sich kaum von den<br />

Romantikern seiner Zunft.<br />

Seinen modernen Interpretationsansatzverwirklichte<br />

Hofmann am konsequentesten<br />

in seinen Aufnahmen<br />

der frühen 10er und 20er<br />

Jahre. Es sind die einzigen kommerziellen<br />

Aufnahmen, die er<br />

jemals gemacht hat. Stimmliche<br />

Transparenz und rhythmisch-intonatorische<br />

Genauigkeit verbunden mit einer<br />

unglaublichen pianistischen Geschmeidigkeit<br />

generieren einen neusachlichen Stil, der im strikten<br />

Gegensatz zum gefühlsbetonten Spiel der meisten<br />

Liszt- und Leschetitzky-Schüler steht. Die gelungensten<br />

Aufnahmen – Rachmaninows g-Moll-<br />

Prélude, Liszts Tarantella aus „Venezia e Napoli“<br />

und Chopins cis-Moll-Walzer op. 64,2 – sind in<br />

ihrer Mischung aus gebändigter Virtuosität und<br />

unsentimentaler Expressivität Paradebeispiele für<br />

modernes Klavierspiel. Allerdings vermisst man<br />

den für Hofmann charakteristischen „schönen<br />

Ton“ (Ausnahme: Rubinsteins Melodie in F).<br />

Zudem treibt er die Anti-Romantik zuweilen so auf<br />

die Spitze, dass häufig nicht viel mehr als das musikalische<br />

Skelett übrig bleibt. Chopins Fantaisie-<br />

Impromptu klingt jedenfalls so nähmaschinenhaft,<br />

als wäre es vom neoklassizistischen Strawinsky<br />

komponiert und Liszts „Waldesrauschen“ verkümmert<br />

zum reinen Fingerexerzitium. Das dürfte<br />

aber auch mit den Aufnahmebedingungen zusammenhängen.<br />

Hofmann fühlte sich im Studio nicht<br />

wohl. Seine Stärken kamen erst im Konzert zur<br />

vollen Geltung. Nur dort entfaltete sein Spiel jene<br />

Magie, die ihn so einzigartig machte. Die wenigen<br />

Konzertmitschnitte, die erhalten geblieben sind,<br />

lassen immerhin etwas davon ahnen. Wie sich da<br />

Hofmann etwa in Chopins Fis-Dur-Nocturne op.<br />

15,2 (Philadelphia-Konzert, 1938) in den Zustand<br />

schierer Belcanto-Ekstase hineinsingt, oder mit<br />

welcher dramatischen Wucht er die g-Moll-Ballade<br />

(Golden Jubilee Concert, 1937) gestaltet – das<br />

zeugt von einer singulären Meisterschaft, die einem<br />

auch 80 Jahre nach Entstehung dieser Aufnahmen<br />

Respekt und Bewunderung abnötigt.<br />

Golden Jubilee Concert und<br />

Flucht ins Private<br />

Als weltweit gefeierter Pianist, als Direktor eines<br />

angesehenen Musik-Instituts und als angesehener<br />

Lehrer zählte Hofmann Ende der 20er Jahre zu<br />

den einflussreichsten Persönlichkeiten des amerikanischen<br />

Musiklebens. Überdies hatte er sich als<br />

Erfinder einen Namen gemacht, und seine bedeutendste<br />

Erfindung, der Stoßdämpfer (!), brachte<br />

ihm viel Geld ein. Finanziell musste er sich keine<br />

Sorgen mehr machen. Die vielen Verpflichtungen<br />

zwangen ihn aber dazu, sein Konzertpensum<br />

erheblich einzuschränken. Nach 1933 verzichtete<br />

er auf seine jährlichen Auslandstouren und beschränkte<br />

sich fortan auf die USA. Im Jahre 1937,<br />

genau 50 Jahre nach seinem Amerika-Debüt an<br />

der Met, trat er nochmals eine Tournee durch<br />

Amerika an, die er mit einem triumphalen Konzert<br />

an der Met abschließen sollte, das als „Golden<br />

Jubilee Concert“ in die Geschichte einging. Das<br />

Programm enthielt Werke, die ihn sein ganzes<br />

Leben lang begleitet hatten: Rubinsteins d-Moll-<br />

Konzert, einige kleinere Werke von Chopin, Mendelssohn,<br />

Rachmaninow und Moszkowsky sowie<br />

sein eigenes „Chromaticon“ für Klavier und Orchester.<br />

Enthusiastisch feierte das aus Studenten,<br />

Musikern, Musikliebhabern und viel Prominenz<br />

bestehende Publikum den Jubilar, der die Huldigungen<br />

mit der ihm eigenen Ernsthaftigkeit und<br />

Bescheidenheit entgegennahm. Abram Chasins<br />

beschrieb das Konzert als ein „elektrisierendes Ereignis<br />

mit dem überschäumenden Geist der Jugend<br />

und dem goldenen Glanz der Tradition“.<br />

Nach dem „Golden Jubilee Concert“ setzte Hofmann<br />

seine Konzerttätigkeit noch 11 Jahre lang<br />

fort. Aber diese Zeit stand unter keinem guten<br />

Stern. 1938 hatte Hofmann das Curtis Institute<br />

verlassen, weil er sich wegen rigoroser Gehaltskürzungen<br />

nicht mehr in der Lage sah, die gesteckten<br />

Ziele zu erreichen. Die Herabstufung hat er nie so<br />

recht verwinden können. In der Folgezeit machten<br />

sich zunehmend Alkoholprobleme bemerkbar.<br />

Dennoch gelangen ihm auch in den 40er Jahren<br />

immer wieder Interpretationen von subtiler<br />

Schönheit und Raffinesse. Als er am 19. Januar<br />

1946 in der Carnegie Hall sein letztes Konzert gab,<br />

stellte der Rezensent fest, dass Hofmann als „Meister<br />

des singenden Tons und der leuchtenden Klangfarben“<br />

nach wie vor ohne Konkurrenz sei. Kurz darauf<br />

zog sich Hofmann nicht nur von der Bühne,<br />

sondern ganz aus der Öffentlichkeit zurück, um<br />

sich der Verbesserung der Aufnahmetechnik, seiner<br />

Autobiografie und seiner Familie, Frau und<br />

drei Kindern, zu widmen. Als er am 16. Februar<br />

1957 in Los Angeles starb, verlor die Welt einen<br />

der letzten Repräsentanten jener goldenen Ära des<br />

Klavierspiels, die wohl für alle Zeiten eine nie versiegende<br />

Quelle der Inspiration bleiben wird.<br />

72 3 . 08


3 . 08<br />

Als Abram Chasins im Jahre 1981 eine Bestandsaufnahme<br />

des diskografischen Vermächtnisses von<br />

Hofmann vornahm, musste er feststellen, dass es im<br />

Wesentlichen aus der Golden-Jubilee-Concert-Platte<br />

(Columbia Masterworks) bestand. Fast 30 Jahre<br />

später sieht die Situation wesentlich besser aus, und<br />

das ist vor allem das Verdienst von Independent<br />

Labels wie Naxos, Nimbus, VAI und Marstonrecords,<br />

dessen Gründer Ward Marston mit der ihm eigenen<br />

Zähigkeit noch die unauffindbarsten Aufnahmen<br />

wieder ans Tageslicht befördert hat. Das sind insbesondere<br />

die erstaunlich zahlreichen Rundfunkaufnahmen,<br />

auf denen Hofmann in erster Linie mit<br />

Klavierkonzerten zu hören ist, die – mit Ausnahme<br />

des 4. Klavierkonzerts von Rubinstein – nie auf<br />

Schallplatte erschienen sind: Beethovens Klavierkonzerte<br />

3, 4 (gleich mehrfach) und 5, die beiden<br />

Chopin-Konzerte, die Klavierkonzerte 3 und 4 von<br />

Anton Rubinstein sowie das Schumann-Konzert (nur<br />

die Ecksätze). Dazu kommen Highlights wie der<br />

Mitschnitt des Casimir-Hall-Konzerts von 1938 (mit<br />

VAI Audio Records<br />

The Complete Hofmann<br />

Vol. 1 Chopin Concerts 1 & 2<br />

BBC Orchestra, Hamilton Harty, Dirigent<br />

VAI 1002 (1 CD)<br />

Vol. 2 Golden Jubilee Concert (2 CDs)<br />

VAI 1020-2<br />

Vol. 3 Recordings 1903, 1912–1918<br />

Beethoven, Chopin, Dillon, Grieg,<br />

Paderewsky, Rachmaninow u.a.<br />

VAI 1036-2<br />

Vol. 4 Recordings for Brunswick Records<br />

1922–23<br />

Brahms, Hofmann, Chopin, Tausig,<br />

Rachmaninow u.a.<br />

VAI 1047 (1 CD)<br />

(VAI ist im Vertrieb von Codaex.)<br />

Marstonrecords<br />

The complete Josef Hofmann<br />

Vol. 5 Concerto and Solo Performances<br />

1935–1948<br />

Vol. 6 The Casimir Hall Recital, 1938<br />

Vol. 7 Great Concerto Performances<br />

1938–1947<br />

Vol. 8 Concerto and Solo Performances<br />

1938–1947<br />

(Bestellung nur telefonisch oder per Fax.<br />

Nähere Infos über<br />

www.marstonrecords.com)<br />

Welte Mignon Rolls<br />

Hofmann mit Rubinstein: German Waltz<br />

Außerdem Aufnahmen mit Busoni,<br />

Scharwenka, Schnabel, Ganz, Samaroff<br />

Naxos Historical 8.110679<br />

L EGENDEN<br />

Hinweise zur Hofmann-Diskografie<br />

Auswahl-Diskografie<br />

Waldstein-Sonate, Kreisleriana und Chopins 4. Ballade)<br />

sowie einige unveröffentlichte Probeaufnahmen<br />

für RCA von 1935, die Hofmann auf der Höhe<br />

seiner Kunst zeigen. Die Volumes I bis IV dieser<br />

Edition werden Codaex vertrieben. Die Volumes<br />

V–VIII können derzeit nur direkt bei Marstonrecords<br />

bestellt werden.<br />

(Infos über www.marstonrecords.com).<br />

Der Vollständigkeit halber seien hier auch die Aufnahmen<br />

für Rollen-Klaviere (Hupfeld, Ampico,<br />

Welte und Duo-Art) erwähnt, die zwischen 1913<br />

und 1927 entstanden sind. Einige dieser Aufnahmen<br />

finden sich auf CDs der Label Nimbus (Grand Piano)<br />

und Naxos (Naxos Historical – Welte Mignon<br />

Rolls). Da die mechanische Reproduktion den Klang<br />

stark einebnet, können diese Einspielungen jedoch<br />

nur bedingt als authentisch angesehen werden. Zu<br />

den akustischen und elektrischen Aufnahmen bilden<br />

sie dennoch eine willkommene, das Bild des<br />

Pianisten Hofmann abrundende Ergänzung.<br />

Chopin – Hofmann<br />

Sonate für Klavier Nr. 2 b-Moll, Scherzi Nr. 1 h-Moll &<br />

Nr. 3 cis-Moll, Polonaise As-Dur op. 53 u.a.<br />

Nimbus Records NI 18803<br />

L<br />

73


N N OTEN<br />

Gesichtet und angespielt von: Manuel Rösler<br />

Erich Zeisl<br />

Klavierkonzert C-Dur<br />

Doblinger 01 673<br />

EUR 26,- (Solostimme)<br />

EUR 38,- (Studienpartitur)<br />

Erich Zeisl ist der große Unbekannte<br />

unter den österreichischen<br />

Komponisten der ersten Hälfte<br />

des 20. Jahrhunderts. Am 18. Mai<br />

1905 kommt Erich Zeisl in Wien zur<br />

Welt. Die Familie ermöglichte ihm<br />

ein Studium bei Richard Stöhr, Hugo<br />

Kauder und Joseph Marx. Lehrer, die<br />

gewiss nicht zur Speerspitze der<br />

Avantgarde gehörten – der Musik<br />

von Anton Webern, Arnold Schönberg<br />

und Alban Berg begegnete man<br />

in den Seminarräumen der Musikakademie<br />

mit Zurückhaltung. Zufall<br />

oder Neigung? In der Wahl seiner<br />

Lehrer spiegelt sich seine Vorliebe für<br />

die bedächtige Weiterentwicklung<br />

seiner musikalischen Sprache, die<br />

Beethoven und Schubert nahe steht.<br />

Es ist die Balance zwischen sinnlichem<br />

Affekt und klarem strukturellem<br />

Kalkül, die ihn interessiert. Manche<br />

Kritiker vergleichen ihn mit Hugo<br />

Wolf oder Richard Strauß. Doch<br />

mit dem Meister aus München verbindet<br />

ihn fast nichts. Er wollte seine<br />

Hörer einladen und überzeugen und<br />

sie nicht mit dem Einsatz aller musikalischen<br />

Mittel überwältigen. Eher<br />

trifft der Vergleich mit Hugo Wolf.<br />

Wie dieser widmet sich auch Zeisl<br />

der kleinen Form – mehr als hundert<br />

Lieder sind aus seiner Wiener Zeit<br />

überliefert. Das Kunstlied bot seinem<br />

Talent zum unmittelbaren dramatischen<br />

Ausdruck ein breites Feld. Fähigkeiten,<br />

die ihm in den kommenden<br />

Jahren das Überleben sichern<br />

werden. Doch der große Erfolg blieb<br />

lange Zeit aus: Zeisl arbeitete als Klavierlehrer<br />

und komponierte für die<br />

Schublade. Als er sich allmählich eine<br />

gewisse Reputation erarbeitet<br />

hatte, standen die Nürnberger „Rassegesetze“<br />

einer internationalen<br />

Komponistenkarriere im Weg.<br />

1 Sehr leicht – Diese Stücke sollten auch<br />

Klavieranfängern kaum Probleme bereiten.<br />

2 Leicht – Blattspielfutter für geübte<br />

Amateure und fortgeschrittene Schüler.<br />

3 Standard – Kein Problem für<br />

Amateure, Anfänger müssen hier schon<br />

ein wenig üben.<br />

4 Mittelschwer – Geübte Amateure müssen<br />

hier schon ein wenig Übezeit investieren,<br />

für professionelle Pianisten sollten<br />

1938 flieht Zeisl mit seiner Frau vor<br />

den einrückenden deutschen Truppen<br />

nach Paris. Auch in Paris arbeitet<br />

er – eine Bühnenmusik für Joseph<br />

Roths „Hiob“ – und entwickelt eine<br />

neue Tonsprache, die ihre Wurzeln<br />

in der Musik der osteuropäischen Juden<br />

hat. Ein weiterer Exilant, der aus<br />

Berlin geflohene Hanns Eisler, verhilft<br />

ihm, 1939 nach New York zu<br />

kommen und schließlich nach Hollywood<br />

– Ziel und Endstation unzähliger<br />

jüdischer Komponisten, die<br />

dem europäischen Kontinent entfliehen.<br />

Zeisl komponiert die Musik zu<br />

über 20 Filmen, doch die Traumfabrik<br />

wird für Zeisl zur künstlerischen<br />

Sackgasse.<br />

Zwar sind die Filme, für die er seine<br />

verstörend psychologisierende Musik<br />

schreibt, in finanzieller und künstlerischer<br />

Hinsicht durchaus erfolgreich<br />

(„The Invisible Man‘s Revenge“,<br />

„The Postman Always Rings<br />

Twice“ oder „Lassie Come Home“<br />

mit dem Leinwand-Debüt der elfjährigen<br />

Elizabeth Taylor) – doch im Gegensatz<br />

zu seinen Kollegen Erich<br />

Wolfgang Korngold und Hanns Eisler<br />

gelang es ihm nie, seinen Namen<br />

in den Vor- oder Abspann eines Films<br />

zu bringen. Wer in der „Internatio-<br />

diese Stücke aber keine Herausforderung<br />

darstellen.<br />

5 Anspruchsvoll – Von erfahrenen<br />

Amateuren durchaus noch zu schaffen,<br />

aber auch für Profis nicht ganz leicht.<br />

6 Schwer – Hier müssen auch Profis<br />

gründlich üben; für reine Amateure kaum<br />

zu schaffen.<br />

7 Sehr schwer – „Nicht einmal der<br />

Komponist kann dieses Stück spielen.“ Auch<br />

für erfahrene Profis eine harte Nuss.<br />

nal Movie Data Base“ nach Erich<br />

Zeisl sucht, der stößt auf 23 Einträge<br />

– und hinter jedem einzelnen ist in<br />

Klammern vermerkt: „uncredited“.<br />

An „künstlerisches“ Komponieren<br />

war unter diesen Umständen nicht<br />

zu denken. 1949 gab Zeisl das Komponieren<br />

für den Film weitgehend<br />

auf und richtete sich, so gut es ging,<br />

in Los Angeles als Lehrer und „Composer<br />

in residence“ ein. Und komponierte<br />

wieder – wenn auch seine<br />

groß besetzte Musik wieder in der<br />

Schublade landete. Ironie der Geschichte:<br />

Zu Zeisls Schülern in Los<br />

Angeles zählte auch ein junger jüdischer<br />

Komponist namens Jerry<br />

Goldsmith – und der gehörte spätestens<br />

seit seinem „Oscar“ für die verstörend-moderne<br />

Musik zu „The<br />

Omen“ zu den einflussreichsten und<br />

kreativsten Komponisten, die Hollywood<br />

jemals besessen hat.<br />

Wer hätte Zeisls Musik auch aufführen<br />

sollen – an der Westküste der<br />

Vereinigten Staaten, die auch in der<br />

Mitte des 20. Jahrhunderts in weiten<br />

Teilen einem kulturellen Niemandsland<br />

glich? Die Musik Zeisls verhallte<br />

in der Ferne ungehört – und als sie in<br />

seiner Heimat wieder hätte aufgeführt<br />

werden können, da passte sie<br />

nicht mehr in die Zeit.<br />

Wie tragisch das ist, zeigt ein Blick in<br />

das während seiner Exiljahre geschriebene<br />

Klavierkonzert, das nun<br />

bei Doblinger in einer Reihe von<br />

Zeisl-Neuveröffentlichungen erschienen<br />

ist. Es ist in seinen letzten Lebensjahren<br />

in Los Angeles entstanden<br />

und zeigt Erich Zeisl als eleganten<br />

Klangfarbenzauberer, der einem<br />

farbigen Orchestersatz ein nicht<br />

minder farbiges Klavier entgegenzusetzen<br />

vermag. Diese Musik enthält<br />

alles, was gute Musik auszeichnet:<br />

fein gesponnene und beinahe schwebende<br />

Harmonien, die oft einen modalen<br />

Einschlag tragen. Rhythmen,<br />

die ihre Herkunft aus Osteuropa<br />

nicht verleugnen. Warme und fein<br />

ausgehörte Orchesterfarben (Hollywood<br />

lässt grüßen) und ein gerüttelt<br />

Maß an Virtuosentum. Orientalisch<br />

anmutende Kantilenen, aschkenasische<br />

Musik und ein großer Zug von<br />

Melancholie und tiefster Verzweiflung.<br />

Schwierigkeitsgrad: 5–6<br />

74 3 . 08


3 . 08<br />

Elke Tober-Vogt<br />

Reiseskizzen<br />

Vogt & Fritz VF 750<br />

EUR 7,50<br />

Kiew. Rom des Ostens. Die Stadt<br />

der goldenen Dächer gilt nicht<br />

nur als die Hauptstadt der russischen<br />

Orthodoxie, sondern hat auch<br />

immer wieder Künstler zur kreativen<br />

Auseinandersetzung angeregt – man<br />

denke an Viktor Hartmanns Bild<br />

„Das große Tor von Kiew“, das seinen<br />

Freund Mussorgski zu einem<br />

klangverliebten Klavierstück inspirierte,<br />

in dem das berühmte russische<br />

Glockenläuten eine zentrale<br />

Rolle spielt. Diese „Glocken der Kathedralen“<br />

haben auch Elke Tober-<br />

Vogt zu einem von vier kurzen Klavierstücken<br />

angeregt, die sie im<br />

familieneigenen Musikverlag veröffentlicht<br />

hat. Ihre „Reiseskizzen“ für<br />

Klavier enthalten einige hübsche Ansätze,<br />

wirken jedoch insgesamt etwas<br />

ziellos.<br />

Die „Straßenmusik“ wartet mit wilden<br />

Glissandi und zerknautschten<br />

Akkordeonbässen auf, die „Glocken<br />

der Kathedralen“ erklingen im Tritonus-Abstand<br />

und lassen (durch<br />

stumm niedergedrückte Tasten)<br />

auch ihre Obertöne mitschwingen.<br />

Ein Effekt, der aber auch bereits im<br />

ersten Stück „Die goldenen Dächer<br />

von Kiew“ ein wenig zu sehr ausgereizt<br />

wird. Und das „Ballett“ reizt in<br />

seiner nichtssagenden Harmlosigkeit<br />

gar zum raschen Überblättern.<br />

Wenn wenigstens ein paar gute Einfälle,<br />

ein prägnanter Rhythmus, eine<br />

ungewöhnliche Harmonik oder eine<br />

ausdrucksvolle Linie dem Ganzen etwas<br />

Würze verleihen würden: Diese<br />

Reiseskizzen aber machen nicht neugierig.<br />

Schwierigkeitsgrad: 3–4<br />

N OTEN<br />

Leopold Schefer<br />

Klaviermusik – „Hanka ty sy moja“<br />

und andere kleine Stücke<br />

ENA Musikverlag ENA Nr. 91<br />

EUR 15,-<br />

Der in Bautzen ansässige ENA-<br />

Verlag hat sich des ebenso überschaubaren<br />

wie außerhalb der Lausitz<br />

nahezu unbekannten Repertoires<br />

sorbischer Musik angenommen.<br />

In der Liste der Komponisten finden<br />

sich keine großen Namen, dafür viele<br />

Kleinmeister und Liebhaberkomponisten<br />

wie der ehemals fürstl.<br />

Pückler-Muskauer Generalinspekteur<br />

Leopold Schefer (1784–1862).<br />

Das schmale Heft umfasst reizvolle<br />

Petitessen wie Variationen über ein<br />

wendisches Volkslied („Hanka ty sy<br />

moja“) oder ein musikalisches Epitaph<br />

für jene Königin Luise, die 1807<br />

den Frieden von Tilsit aushandelte.<br />

Dabei handelt es sich um geistvolle<br />

Salonmusik, die sich eher an den<br />

Berliner Lokalgrößen Zelter und Reichardt<br />

als etwa an Beethoven und<br />

Haydn orientiert. In dieser weisen<br />

Bescheidung zeigt sich Schefer jedoch<br />

als geschickter und effektsicherer<br />

Tonsetzer, der Kadenzharmonik<br />

und freundliche Melodik in einen<br />

auch von Schülern und geschmacksicheren<br />

Amateuren gut zu bewältigenden<br />

Klaviersatz zu formen weiß.<br />

N<br />

75


N N OTEN<br />

In die Konzertsäle wird es die Musik<br />

Leopold Schefers wohl nicht mehr<br />

schaffen. Sie ist zwar ordentlich komponiert,<br />

letzen Endes fehlt ihr aber<br />

eine persönliche Note. Der vorliegende<br />

Band dürfte jedoch vor allem<br />

für entdeckungsfreudige Pädagogen<br />

von Interesse sein, die für ihre Schüler<br />

nach effektvollen und technisch<br />

zu bewältigenden Klavierstücken im<br />

Stil der Frühromantik suchen.<br />

Schwierigkeitsgrad: 3–4<br />

Maria Sehrig<br />

Around the World – Poppige<br />

Kompositionen für Klavier<br />

Heft 1 + 2<br />

Waldkauz-Verlag WK 2108a/2108b<br />

EUR 10,50<br />

Es soll Bücher geben, die aus anderen<br />

Büchern gemacht werden.<br />

Und natürlich gibt es auch Noten,<br />

nach Etüde und irritieren Ländler,<br />

Slowfox oder Polka durch Harmoniefolgen,<br />

die „da nicht hingehören“,<br />

oder wenig idiomatisch erfundene<br />

und ungeschickt montierte Melodieverläufe.<br />

Fazit: Geht so.<br />

Schwierigkeitsgrad: 3–4<br />

Jean-Louis Petit<br />

Traces II<br />

Klavier zu sechs Händen<br />

Edition Dohr<br />

EUR 32,80<br />

Das ist einmal eine hübsche kleine<br />

Musik, die gar nicht viel<br />

mehr will, als Zuhörer und Spieler<br />

auf angenehme Weise zu unterhalten<br />

– sofern diese auch Weberns<br />

„Bagatellen“ zur Unterhaltung zählen<br />

und von ihrer Mutter Boulez‘ Le<br />

marteau sans maître als Gute-Nacht-<br />

Lied vorgesungen bekommen haben<br />

(wahlweise für Leser, die vor 1945<br />

geboren wurden: Chants de terre et de<br />

ciel von Messiaen oder die Chansons<br />

madécasses von Ravel).<br />

Das 2006 geschriebene„Traces II“ ist<br />

in hohem Grade unterhaltsame und<br />

quicklebendige Musik – von einer<br />

geradezu lateinischen Klarheit und<br />

mit viel Spielwitz versehen, ohne<br />

dabei auf knirschende Dissonanzen<br />

zu verzichten. Dabei ist die ganze<br />

Angelegenheit exakt strukturiert –<br />

und basiert gleich auf zwei Erfolgs-<br />

sechs Händen einen durchsichtigen<br />

und ausdrucksvollen Klaviersatz zu<br />

schreiben. Dass sich an die „Traces<br />

II“ nur wagen sollte, wer über eine<br />

profunde Spieltechnik und Erfahrung<br />

mit der Klanglichkeit Neuer<br />

Musik verfügt, versteht sich von<br />

selbst. Hatte ich schon erwähnt, dass<br />

ich den Preis von über 30 Euro für<br />

ein schmales Heft minderer Druckqualität<br />

überzogen finde?<br />

Schwierigkeitsgrad: 5–6<br />

Franz Liszt<br />

Ungarische Rhapsodie Nr. 12<br />

Herausgegeben von<br />

Ernst Herttrich<br />

Fingersatz von<br />

Andreas Groethuysen<br />

G. Henle Verlag HN 806<br />

EUR 8,-<br />

In den „Ungarischen Rhapsodien“<br />

breitet Franz Liszt den gesamten<br />

Kosmos seiner pianistischen Erfindungsgabe<br />

aus. Vordergründig entstanden,<br />

um dem verzückten Publikum<br />

in ganz Europa immer wieder<br />

etwas Neues zu bieten, dienten sie<br />

dem „Klavierhexenmeister“ auch als<br />

Experimentierfeld für neue Effekte,<br />

harmonische Wagnisse oder formale<br />

Tricks. Und trugen nicht zuletzt die<br />

Sache Ungarns und die ungarische<br />

Volksmusik (oder was Liszt dafür<br />

hielt) in die musikalische Welt hinaus.<br />

Der auf diese Weise entstandene<br />

Kosmos von 15 Ungarischen<br />

Rhapsodien bildet auch 150 Jahre<br />

nach ihrer Entstehung noch immer<br />

faszinierendes Studien- und Spielmaterial.<br />

Die von Ernst Herttrich vorgelegte<br />

12. Rhapsodie zählt zu den besonders<br />

gut gelungenen Exemplaren.<br />

Liszt zeigt sich nichts weniger als auf<br />

dem Höhepunkt seines Könnens und<br />

verarbeitet hier fünf verschiedene<br />

volkstümliche Themen zu einem faszinierenden<br />

Gemisch aus Melancholie,<br />

glitzernder Tastenakrobatik und<br />

stürmisch-mitreißendem Tanz. Kein<br />

Wunder, dass sich dieses Werk bald<br />

nach seinem Erscheinen im Jahr<br />

1853 großer Beliebtheit erfreute und<br />

alsbald in zahlreichen Bearbeitungen<br />

– unter anderem für Klavier zu<br />

vier Händen – aufgelegt wurde.<br />

Die Henle-Ausgabe bietet den revidierten<br />

Urtext auf dem neuesten<br />

Stand der Forschung und Andreas<br />

Groethuysen ergänzt die originalen<br />

Fingersätze der bei Schlesinger erschienenen<br />

Erstausgabe in gewohnt<br />

hilfreicher Manier, die den erfahre-<br />

die aus anderen Noten gemacht werden.<br />

Ein solches Exemplar haben wir<br />

hier: Maria Sehrigs musikalische Reisenotizen<br />

lassen kein touristisches<br />

Detail aus und variieren einen Klassiker<br />

der Salonmusik neu: den der<br />

musikalischen Scharade, bei der jeweils<br />

ein Land durch ein typisches<br />

Musikstück vertreten wird, so dass<br />

ein jeder nach den ersten Takten aufspringt<br />

und ruft: „Na klar – das ist<br />

die Steiermark!“ oder „Typisch Italien<br />

… eine Tarantella!“.<br />

modellen der Neuen Musik: den<br />

Leider weiß Maria Sehrig den spezi- „modes de valeur“ von Petits Lehrer<br />

fischen Tonfall etwa lateinamerika- Olivier Messiaen und der Schönnischer,<br />

mediterraner, englischer berg’schen Zwölftontechnik. Dass<br />

oder gar alpenländischer Folklore aus der Synthese dieser mathema-<br />

nur selten zu treffen – statt leichttisch anmutenden Zutaten eine gerafüßig<br />

auf den Tasten zu tänzeln, tredezu klassizistisch heitere Musik<br />

ten Samba und Rumba schwerfällig wird, liegt dabei ganz im Sinne ihres<br />

auf der Stelle, klingt die Tarantella Erfinders, der es versteht, auch mit<br />

76 3 . 08


3 . 08<br />

nen Pianisten verrät. Schade nur,<br />

dass sich seine Fingersätze kaum von<br />

den kursiv gedruckten Originalen<br />

unterscheiden lassen. Hier stößt die<br />

in München übliche Typographie leider<br />

doch an ihre Grenzen. Wie bei<br />

allen bisher erschienenen Rhapsodien<br />

begleitet auch hier ein informatives<br />

und anregendes Vorwort der<br />

Budapester Liszt-Forscherin Mária<br />

Eckhardt den Notentext.<br />

Schwierigkeitsgrad: 6<br />

Thomas Blomenkamp<br />

Capriccio<br />

Edition Dohr 27 466<br />

EUR 8,80<br />

Es-C-A-H – mit diesem kabbalistischen<br />

Motto („Asch“? / „SCHumAnn“?)<br />

eröffnet Thomas Blomenkamp<br />

sein 2006 uraufgeführtes „Capriccio“<br />

für Klavier, das zum 150. Ge-<br />

burtstag Robert Schumanns vom<br />

Recklinghäuser „integral::festival“<br />

bestellt wurde. Die Aufgabe: ein Klavierstück<br />

im Geist des großen Kla-<br />

N N<br />

OTEN<br />

vierentdeckers zu komponieren, das<br />

zugleich eine musikalische Brücke zu<br />

dessen „Grillen“ op. 12 schlägt. Diese<br />

wird in der Mitte des Werkes überschritten<br />

– mit einem kurzen Zitat<br />

aus op. 12 –, nachdem sich bereits<br />

zwei Seiten früher der aus den<br />

„Waldszenen“ berühmte „Vogel als<br />

Prophet“ zu Wort melden durfte.<br />

Neben diesen Äußerlichkeiten verbindet<br />

das Werk auch eine ungestüme<br />

Lust am pointierten Rhythmus<br />

(Hauptmotiv im 7/8-Takt) und<br />

schroffen Perspektivwechseln mit<br />

Robert Schumann, dessen Name immer<br />

wieder in eingestreuten Besinnungspunkten<br />

mit dem Es-C-A-H-<br />

Motiv durchschimmert.<br />

Schwierigkeitsgrad: 5<br />

Nur für Anfänger<br />

Klavier – Eine erste Anleitung<br />

zum Klavierspielen<br />

Bosworth Edition BoE 7453<br />

EUR 14,80<br />

Eigentlich ist Klavierspielen ja<br />

ganz einfach. Man muss nur die<br />

richtigen Tasten zur richtigen Zeit<br />

herunterdrücken und schon erklingt<br />

die fabelhafteste Musik! Und dass es<br />

wirklich so einfach geht, verspricht<br />

ja schon der Klappentext der Klavierschule<br />

aus der Reihe „Nur für Anfänger“,<br />

die auch das Erlernen zahlreicher<br />

anderer Instrumente verspricht.<br />

„Nur für Anfänger“ zeigt dir vom allerersten<br />

Moment an alles, was du übers<br />

Klavierspielen wissen musst!“ Und „am<br />

Ende dieser phantastischen Lehrmethode<br />

kannst du tatsächlich Stücke von<br />

Beethoven, Dvorák und Brahms spielen“.<br />

Mit weniger Superlativen gibt<br />

sich der (anonyme) Verfasser dieser<br />

Klavierschule nicht zufrieden. Dass<br />

es sich dann eigentlich doch nur um<br />

eine ganz gewöhnliche Anfängerfibel<br />

handelt, mag nur den unkundigsten<br />

Laien erstaunen.<br />

Die „Klavierschule“ aus dem Hause<br />

Bosworth wendet sich dem Eindruck<br />

nach an Anfänger, die auch ohne<br />

Lehrer die ersten Schritte ins Klavierwunderland<br />

unternehmen wollen.<br />

Und eigentlich wird hier gar nichts<br />

falsch gemacht: Auf 40 großbedruckten<br />

Seiten erfährt der geneigte<br />

Leser, wie man bequem am Klavier<br />

sitzt, wo sich das mittlere C und alle<br />

15 Töne links und rechts daneben<br />

finden lassen. Er (oder sie) kann am<br />

77


N N OTEN<br />

Ende „grundlegende Tonhöhen und<br />

Notenwerte lesen“ und mit beiden<br />

Händen gleichzeitig spielen – und<br />

zwar jeweils Kindergartenversionen<br />

von Beethovens und Dvoráks „Neunter“<br />

(Sie werden nicht erraten, welchen<br />

Teil davon – oder vielleicht<br />

doch?) und dem hübschen Wiegenlied<br />

von Johannes Brahms. Alles in<br />

C-Dur und auch im Zweifinger-Such-<br />

System zu bewältigen, natürlich. Das<br />

ist doch was, oder?<br />

Gegen einfach gestrickte Keyboardschulen<br />

hat ja niemand etwas einzuwenden.<br />

Wenn aber eine mit heißer<br />

Nadel gestrickte „Klavierschule für<br />

Dummies“, deren didaktisches Konzept<br />

noch aus der Adenauerzeit/Truman-Ära<br />

zu stammen scheint, von<br />

einer über allen Wolken schwebenden<br />

PR-Abteilung zur Offenbarung<br />

hochgejazzt wird, dann ist das einfach<br />

ärgerlich! „Nur für Anfänger“<br />

ist vor allem eines nicht – eine Klavierschule<br />

für Anfänger. Denn ohne<br />

Lehrer geht es auch in diesem Heft<br />

nicht. Zu missverständlich sind die<br />

angeblich „deutlichen Abbildungen“<br />

und mancher Ratschlag dürfte sich<br />

sogar verheerend auswirken – etwa<br />

der, dass man nicht vergessen soll,<br />

im Dreiertakt immer die „1“ kräftig<br />

zu betonen.<br />

Dass es gerade für Anfänger eine<br />

ganze Reihe von hervorragenden<br />

Unterrichtswerken gibt, haben einige<br />

Veröffentlichungen der letzten<br />

Jahre bewiesen. Es muss ja nicht<br />

diese sein …<br />

Pam Wedgewood<br />

After Hours Jazz<br />

Faber Music<br />

Heft 1: ISBN 0-571-52908-7<br />

Heft 2: ISBN 0-571-52909-7<br />

EUR 7,50<br />

Funkwecker, kläffende Hunde, lästige<br />

Telefonate, Meetings und Feierabendstau<br />

… das geschäftige Treiben<br />

einer modernen Arbeitswelt<br />

kann den Nerven des modernen<br />

Großstädters ganz schön zusetzen …<br />

Was gibt es da Besseres, als sich ans<br />

Klavier zu setzen und ein wenig zu<br />

chillen?<br />

Der Titel scheint es schon zu verraten.<br />

Für die schöne Redewendung<br />

„after hours“ schlägt mir mein Oxford<br />

Dictionary ausdrücklich die<br />

Übersetzung „nachbörslich“ vor. Es<br />

handelt sich also um Jazzmusik für<br />

jenen besonders geschäftigen Teil<br />

unserer Leser, der sich mit der Erledigung<br />

von Warentermingeschäften,<br />

Bewilligung von Milliardenkrediten<br />

oder Freisetzungen ganzer Belegschaften<br />

aus betriebswirtschaftlichen<br />

Gründen seine Brötchen verdienen<br />

muss.<br />

Tja … was soll man sagen: Nicht nur<br />

der Titel der beiden Hefte verweist<br />

auf den Feierabend – und auch die<br />

darin enthaltene Musik müht sich,<br />

keine allzu schweren Gedanken aufkommen<br />

zu lassen. Pam Wedgewood<br />

hat eine hübsche Sammlung gemäßigter<br />

Up-Tempo-Nummern („New<br />

York, New York“, „How High The<br />

Moon“), Balladen („Nature Boy”,<br />

„My Funny Valentine”) zusammen-<br />

gestellt und um Eigenkompositionen<br />

wie das an Mancini erinnernde „Mr.<br />

Lucky Guy“ oder das cool vor sich<br />

hinswingende „Give Me A Call“<br />

erweitert. Der Klaviersatz klingt gut<br />

und weiß die Mitte zwischen „zu<br />

viel“ und „zu wenig“ zu wahren;<br />

wem die eine oder andere Harmonie<br />

zu wenig gewürzt ist, dem steht es<br />

frei, nach Belieben weitere Töne einzufügen.<br />

Jazz ist das natürlich nicht;<br />

aber auch Cocktailparty oder Aufzü-<br />

ge in großen Hotels brauchen bekanntlich<br />

Musik …<br />

Schwierigkeitsgrad: 4<br />

Aaron Copland<br />

Appalachian Spring<br />

Transkription für Klavier<br />

von Bryan Stanley<br />

Boosey & Hawkes BHI 24637<br />

EUR 15,95<br />

Es gibt musikhistorische Detailfragen,<br />

die man nicht unbedingt<br />

klären muss. Oft verbirgt sich hinter<br />

einem populären Mythos oder der<br />

romantischen Entstehungsgeschichte<br />

eines Werkes nichts weiter als die<br />

pure Erfindung allzu fantasiebegabter<br />

„Biographen“. Bach hat sein<br />

„Wohltemperiertes Klavier“ wohl<br />

nicht im Knast geschrieben, Beethoven<br />

hat seine Bagatelle a-Moll WoO<br />

59K doch nicht „Für Elise“ geschrieben,<br />

sondern eher einer gewissen<br />

Therese von Malfetti gewidmet, und<br />

auch die berühmte „Morgenstimmung“<br />

von Edvard Grieg beschreibt<br />

keinen Sonnenaufgang über schroffen<br />

norwegischen Fjorden, sondern<br />

über der Wüste Nordafrikas (Peer<br />

Gynt, Beginn des 4. Aktes).<br />

Kein Wunder, dass auch Aaron Coplands<br />

berühmte Ballett-Suite in<br />

Wirklichkeit kaum etwas mit dem<br />

bewaldeten Hochgebirge im Osten<br />

Nordamerikas, welches sich über<br />

eine Länge von 2.400 km von der<br />

kanadischen Provinz Québec bis in<br />

den Norden des US-amerikanischen<br />

Bundesstaates Alabama erstreckt, zu<br />

tun hat. Die Handlung des Werkes,<br />

das Copland für die Tänzerin<br />

Martha Graham schrieb und praktischerweise<br />

nur „Ballet for Martha“<br />

nannte, erzählt die Geschichte einer<br />

amerikanischen Pionierfamilie, die<br />

zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein<br />

Farmhaus in Pennsylvania errichtet<br />

– spätere Heirat und die flammende<br />

Predigt eines charismatischen Erweckungspredigers<br />

inbegriffen. Seinen<br />

Titel erhielt das Werk erst kurz vor<br />

der Premiere: eine Textzeile aus dem<br />

zugrunde liegenden Gedicht von<br />

Hart Crane, die Martha Graham<br />

dem Komponisten vorschlug.<br />

Die charakteristische und originelle<br />

Tonsprache von Coplands Musik,<br />

wie wir sie auch in Appalachian<br />

Spring finden, hat das musikalische<br />

Amerikabild von Generationen geprägt.<br />

Auch weil sie unzähligen Filmkomponisten<br />

– von John Barry über<br />

78 3 . 08


3 . 08<br />

Jerry Goldsmith bis John Williams – das<br />

Modell für eine „amerikanische Tonsprache“<br />

lieferte.<br />

Es ist eigentlich erstaunlich, dass ein für<br />

die Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts<br />

so wichtiges Werk noch nie in einer<br />

Fassung für Klavier solo veröffentlicht<br />

worden ist. Vor allem, weil sich bereits<br />

beim ersten Durchspielen der Eindruck<br />

einstellt, es handele sich um ein Originalwerk<br />

– und nicht um eine Bearbeitung.<br />

Das ist natürlich in erster Linie das<br />

Verdienst von Bryan Stanley, der sich der<br />

anspruchsvollen Aufgabe mit viel Geschick<br />

angenommen hat und ein feines<br />

Gespür für die besondere Farbigkeit des<br />

Copland-Satzes mitbringt, in dem eine<br />

einzelne Note zu viel oder zu wenig<br />

bereits das gesamte Gefüge aus dem<br />

Gleichgewicht bringen kann. Hier ist tatsächlich<br />

jede Note an ihrem richtigen Platz – und das erlebt man nun wirklich<br />

nicht oft.<br />

Schwierigkeitsgrad: 5<br />

N OTEN<br />

Peteris Vasks<br />

Eine kleine Nachtmusik<br />

Edition Schott ED 8046<br />

EUR 9,95<br />

Nein, man hätte nicht wirklich erwartet, dass sich zwischen den Deckeln<br />

dieses schmalen Heftes eine fröhliche Sommermusik befindet. Schließlich<br />

ist der lettische Komponist Peteris Vasks auch sonst nicht für seine lebensbejahende<br />

Ader bekannt. Dass seine „Kleine<br />

Nachtmusik“ aber so düster ausgefallen<br />

ist, mag vielleicht auch in ihrem Entstehungsjahr<br />

begründet sein: 1978 war<br />

wohl für keinen Komponisten jenseits<br />

des Eisernen Vorhangs ein einfaches<br />

Jahr – schon gar nicht für einen jungen<br />

lettischen Musiker, dessen Heimat seit<br />

über 40 Jahren von sowjetischen Truppen<br />

besetzt war. Lettische Sprache und<br />

Kultur wurden unterdrückt und wer seinen<br />

Gefühlen Luft machen wollte, musste<br />

einen geschützten Raum aufsuchen<br />

… oder seine Zuflucht in der Kunst<br />

suchen, in der das Eigentliche zwischen<br />

den Zeilen gedacht werden muss.<br />

Insofern ist „Eine kleine Nachtmusik“<br />

ein „hermetisches Werk“, das von Spieler<br />

und Hörer die Fähigkeit verlangt,<br />

Ungesagtes zu hören und Verschlüsseltes<br />

zu dechiffrieren. Je umfassender die<br />

musikalische Erfahrung des Hörers, desto eher wird er in der Lage sein, das<br />

Ungesagte zwischen den Notenzeilen zu verstehen: Der pochende Rhythmus<br />

der linken Hand: weckt er nicht die Erinnerung an den wahnwitzigen Ritt des<br />

Vaters, der seinen fiebernden Sohn vor dem Erlkönig retten will?<br />

Bereits in den ersten Takten wird deutlich: „Eine kleine Nachtmusik“ ist keine<br />

introvertierte Klage über das Leben unter einem repressiven Regime. Mit seinem<br />

großen und dramatischen Ton und einer von schroffen Perspektivwechseln<br />

geprägten epischen Erzählhaltung erinnert das Werk an die großen<br />

romantischen Klavierballaden des 19. Jahrhunderts – mit tragischem Ausklang.<br />

Die imitierten Herzschläge am Ende des Stücks – sie könnten einer<br />

düsteren Erzählung von Edgar Allan Poe entstammen.


N N OTEN<br />

Getragen wird die Musik von einer<br />

kontrastreichen Bildlichkeit und<br />

vom schroffen Wechsel zwischen<br />

grellen Clusterklängen und zartester<br />

Linearität. Ein stetiger Wechsel von<br />

Stillstand und Bewegung, Freiheit<br />

und Strenge, Klang und Stille.<br />

Schwierigkeitsgrad: 4–5<br />

Münchner Klavierbuch<br />

Herausgegeben vom<br />

Landesverband Bayerischer<br />

Tonkünstler<br />

Vogt & Fritz VF 755<br />

EUR 14,50<br />

Noch nie war Neue Musik im Unterricht<br />

so sehr gefragt wie in<br />

den vergangenen Jahren. Es scheint<br />

tatsächlich, als hätten die vielen<br />

Schulprogramme und die pädagogischen<br />

Offensiven von Orchestern,<br />

Opernhäusern oder Kammermusikformationen<br />

die ihnen zugedachte<br />

Wirkung erzielt. Und noch nie wurde<br />

so viel gute zeitgenössische Musik für<br />

den Unterricht geschrieben. Zeit also,<br />

dass auch der Landesverband<br />

Bayerischer Tonkünstler seinen Bei-<br />

trag zur Diskussion leistet und mit<br />

dem „Münchner Klavierbuch“ auch<br />

Maßstäbe setzen will.<br />

Um dem Mangel an neuer Unterrichtsliteratur<br />

abzuhelfen und eine<br />

Brücke zwischen Komponisten und<br />

Nachwuchsinterpreten zu schlagen,<br />

wurde eigens ein Kompositionswettbewerb<br />

ausgeschrieben und um Einsendung<br />

von Werken gebeten, „die<br />

geeignet sind, Anfänger und Fortgeschrittene<br />

mit der Vielfalt der Ideen heutiger<br />

Komponisten bekannt zu ma-<br />

chen“. Ziel des Wettbewerbs war unter<br />

anderem, das Spektrum von Neuer<br />

Musik zu erweitern und auch solche<br />

Musik anzubieten, die der heutigen<br />

Jugendkultur nahesteht und<br />

geeignet ist, festgefahrene Vorurteile<br />

gegen die moderne E-Musik abzubauen.<br />

Ein Herausgeberteam um<br />

den in Würzburg lehrenden Komponisten<br />

Klaus Hinrich Stahmer hat,<br />

wie man das so macht, aus der großen<br />

Zahl von Einsendungen eine<br />

Auswahl getroffen und daneben einzelne<br />

Werke von Komponisten hinzugenommen,<br />

die sich nicht am<br />

Wettbewerb beteiligt hatten, oder<br />

deren Werke zwar ins Programm gepasst<br />

hätten, aber bereits verlegt<br />

sind.<br />

Ein weiteres Auswahlkriterium war<br />

aber auch der biografische Bezug aller<br />

Autoren zu Bayern, so dass als<br />

Nebeneffekt ein Katalog von zeitgenössischen<br />

Komponisten bayerischer<br />

Herkunft beziehungsweise mit bayerischem<br />

Wirkungskreis entstand.<br />

Entsprechend bunt ist der aus 32<br />

meist ein- bis zweiseitigen Stücken<br />

von einfachem bis mittlerem Schwierigkeitsgrad<br />

bestehende Band geraten.<br />

Da finden sich bekannte wie<br />

Wilhelm Killmayer (dessen Schüler<br />

Moritz Eggert ebenfalls vertreten<br />

ist), Wilfried Hiller oder Jörg Widmann<br />

neben unbekannteren Zeitgenossen.<br />

Große Unterschiede finden<br />

sich auch in der Qualität der einzelnen<br />

Beiträge: routiniert-gekonnt wie<br />

bei Harald Genzmers „Romanze“,<br />

manches nur routiniert („Ragtime“<br />

von Rolf Wilhelm), einiges genialisch-überschwänglich<br />

wie in Eggerts<br />

„Hämmerklavier-Fragment“ und<br />

mancher Komponist wandert singund<br />

jugendbewegt auf längst „überwachsenen<br />

Pfaden“. Und natürlich<br />

findet sich auch der eine oder andere<br />

Beitrag, der den Schnitt deutlich<br />

nach unten senkt …<br />

Doch gehört dies alles zu einer lebendigen<br />

Musikkultur. Auch in<br />

Bayern leben nicht nur Genies – und<br />

es ist wohl auch die Absicht der Herausgeber<br />

gewesen, keine „Bestenliste“<br />

anzubieten, sondern gerade<br />

die Vielfalt zu betonen. Wenn sich<br />

bei dem einen oder anderen Klavierschüler<br />

der Gedanke verfestigt: „das<br />

kann ich auch“ oder „das kann ich<br />

besser“, dann ist viel gewonnen.<br />

Schwierigkeitsgrad: 1–5<br />

Georg Philipp Telemann<br />

12 kleine Fantasien<br />

Herausgegeben von Erich Doflein<br />

Schott Piano Classics ED 2330<br />

EUR 9,95<br />

Für den neuesten Band der „Klavierklassiker“<br />

ist die Edition<br />

Schott ganz tief in ihr Verlagsarchiv<br />

hinabgetaucht und hat eine Ausgabe<br />

wiederaufgelegt, die beinahe<br />

selbst schon historischen Wert besitzt:<br />

die „12 kleinen Fantasien“ von<br />

Georg Philipp Telemann, die der<br />

Adorno-Freund Erich Doflein im<br />

Zuge der gerade erblühenden „Alte<br />

Musik-Bewegung“ zu einer Zeit herausgab,<br />

als man noch erklären musste,<br />

wer dieser Telemann eigentlich<br />

gewesen ist und wie man ihn musikhistorisch<br />

einzuordnen habe. Es handelt<br />

sich dabei um eine (im Übrigen<br />

hervorragend gedruckte) Auswahl<br />

aus einer Sammlung mit insgesamt<br />

drei Dutzend Klavierfantasien im<br />

deutsch-italienischen, polnischen,<br />

englischen und französischen Stil,<br />

aus denen Doflein nur das erste Dutzend<br />

auswählte. Der gemischte italienisch-deutsche<br />

Stil schien dem Herausgeber<br />

seinerzeit am ehesten geeignet,<br />

die Musik Telemanns einem<br />

unvorbereiteten Publikum vorzustellen.<br />

Auch deshalb, wie Doflein ganz<br />

aufrichtig schreibt, weil „wir diesen<br />

Stil von Bachs und Händels kontrapunktischen<br />

Klavierwerken kennen und<br />

lieben“. Nachzulesen im originalen<br />

Vorwort, das in der Neuausgabe<br />

dankenswerterweise nicht eliminiert<br />

wurde und auf diese Weise zum<br />

Nachdenken über die Vergänglichkeit<br />

der Zeit anregt.<br />

Dass die Musik einen glänzenden<br />

und jeglicher Originalität aufgelegten<br />

Komponisten auf der Höhe sei-<br />

80 3 . 08


3 . 08<br />

N OTEN<br />

nes Könnens zeigt, sei nur am Rande vermerkt. Wir<br />

Nachgeborenen wissen wieder, wer Telemann war<br />

…<br />

Schwierigkeitsgrad: 3–4<br />

Ulrike Wohlwender<br />

Jetzt fängt das schöne Frühjahr an –<br />

Lieder für alle Jahreszeiten<br />

Illustrationen von<br />

Marlies Walkowiak<br />

Mit CD<br />

Breitkopf Pädagogik EB 8766<br />

EUR 15,-<br />

Mit Ulrike Wohlwenders neuem Heft fängt<br />

nicht nur das schöne Frühjahr an. Die<br />

Sammlung umfasst auch Lieder zu Sommer, Herbst<br />

und Winter, und sie folgt einem ganz ähnlichen<br />

Konzept wie<br />

das in derselben<br />

Reihe erschieneneWeihnachtsheft<br />

„Was soll<br />

das bedeuten“:<br />

eine abwechslungsreicheAuswahl<br />

von Liedern,<br />

ergänzt<br />

um die schönen<br />

und fantasievollenBilder<br />

von MarliesWalkowiak<br />

und eine<br />

Fülle von Vorschlägen,<br />

wie<br />

diese sinnvoll am Klavier zu begleiten seien. Das<br />

Heft wächst dabei mit der Entwicklung des Spielers,<br />

der Schwierigkeitsgrad der Begleitstimmen<br />

reicht dabei von wahrhaft kinderleicht bis zu<br />

einem ausgefeilten mittelschweren Klaviersatz.<br />

Besondere Sorgfalt wird dabei auf Begleit-Bausteine<br />

gelegt, aus denen sich Klavierspiel frei entfalten<br />

kann.<br />

Man kann dieses Heft auf vielfältige Weise nutzen:<br />

im Unterricht mit einem Klavierschüler, zum Musizieren<br />

im Klassenverband oder einfach für das<br />

Musizieren am häuslichen Klavier. Wer will, kann<br />

sich auch nur die schön produzierte CD anhören,<br />

auf der alle Lieder von Ulrike Wohlwender (Klavier)<br />

und Regine Neumüller (Gesang) eingespielt<br />

worden sind.<br />

Schwierigkeitsgrad: 1–3


J<br />

In den ersten acht Takten habe ich das triolische<br />

Thema in einer einfachen Version notiert. (Im<br />

Original folgt darauf noch ein choralartiges weiteres<br />

Thema, das eng mit dem triolischen Thema verknüpft<br />

ist.) Machen Sie zunächst eine Vom-Blatt-Lese-Übung<br />

und spielen Sie dieses Thema. Sollte es nicht sofort gelingen,<br />

so ist das nicht schlimm. Widmen Sie sich dann<br />

nach und nach dem Erlernen zunächst der rechten<br />

Hand. Wenn das gelingt, spielen Sie auch die linke Hand<br />

dazu.<br />

Wir möchten nun das harmonische Material genauer<br />

kennen lernen und es der Kunst der Improvisation<br />

zugänglich machen. Also widmen wir uns zunächst der<br />

Analyse bzw. der Frage, wie wir Akkord-Symbole aus der<br />

Melodieführung und der dazugehörenden Basston-<br />

Bewegung ableiten können. Das führt uns zur Akkord-<br />

Skalen-Theorie, der ich mich an dieser Stelle früher<br />

schon ausführlich gewidmet hatte. Der Normalfall für<br />

den Jazz-Pianisten ist der, dass er ein fertiges Harmonie-<br />

Schema vorliegen hat und daraus nun die Skalentöne<br />

für seine Improvisation ableiten muss. Hier ist nun<br />

genau die umgekehrte Vorgehensweise vonnöten: Wir<br />

haben eine Melodie (also Skalentöne) plus Basstöne vorliegen<br />

und wollen daraus nun ein Harmonie-Schema<br />

ableiten.<br />

Die gesamten Noten der rechten Hand entstammen<br />

einer einzigen Skala, nämlich der G-Dur-Skala, die aus<br />

den Tönen g a h c d e fis besteht. (Diese Skala nennt<br />

man diatonisch. Ich habe hier die deutsche Schreibweise<br />

gewählt, um Sie nicht gleich zu verwirren. Deshalb heißt<br />

der dritte Ton h. Im Englischen wird derselbe Ton b<br />

genannt. In den Harmonie-Symbolen werde ich die englische<br />

Schreibweise benutzen.)<br />

Das Vorhandensein der G-Dur-Skala über dem Basston g<br />

im ersten Takt führt folgerichtig dazu, dass es sich hier<br />

um das daraus abzuleitende Harmonie-Symbol Gj7 han-<br />

J AZZ-WORKSHOP<br />

Jazz-Piano-Workshop (7)<br />

Wie schon der vorige Workshop, so versucht auch diese Folge des Jazz-Workshops<br />

die wohlgeordneten Kategoriegrenzen zu überspringen und befasst sich nicht<br />

nur mit dem Jazz, sondern berührt auch das klassische Klavierspiel. Genau<br />

genommen geht es um ein Werk der Barockmusik, nämlich um Johann Sebastian<br />

Bachs Kantate „Jesus bleibet meine Freude“, die uns als Ausgangspunkt für<br />

Improvisationsstudien dienen soll und zu Betrachtungen führt, wie man sich<br />

einem solchen Werk in freierer Interpretationsweise gestalterisch nähern kann.<br />

Dabei geht es selbstverständlich auch um Stilmittel des Jazz.<br />

von: Rainer Brüninghaus<br />

deln muss. Dieses bezeichnet den in der Grundform aus den<br />

Tönen g h d fis bestehenden Dur-Akkord mit großer<br />

Septime (also j7).<br />

Da wir es permanent nur mit der G-Dur-Skala über wechselnden<br />

Basstönen zu tun haben, ergibt sich daraus, dass<br />

alle Akkorde in diatonischer Verwandtschaft stehen werden.<br />

Es kann sich also nur jeweils um einen der folgenden<br />

Akkorde handeln: Gj7, Am7, Hm7, Cj7, D7, Em7, F#m7/b5,<br />

denn das sind die automatisch entstehenden Akkorde auf<br />

den 7 Tönen der G-Dur-Tonleiter, wenn man jeweils 4 dieser<br />

Töne auf jedem Grundton im Terzabstand übereinander<br />

schichtet. Diesen theoretischen Zusammenhang habe ich<br />

im Notenbeispiel 2 dargestellt.<br />

Doch gibt es in der Komposition eine Ausnahme! Denn der<br />

zweite Basston in Takt 7 verlässt das diatonische System<br />

von G-Dur: Dort findet man den Ton Cis. Hier müssen wir<br />

also einen anderen Akkord finden und es ergibt sich A7/C#,<br />

also der Sept-Akkord von A mit der Terz im Bass.<br />

Und dem aufmerksamen Leser wird vielleicht noch eine<br />

weitere Ausnahme auffallen. Diese geht jedoch nicht aus<br />

dem theoretischen System hervor, sondern entspringt<br />

Freiheiten, die ich mir genommen habe. In der Akkordik im<br />

Notenbeispiel 3 habe ich nämlich für den Akkord Bm7 (was<br />

wie gesagt Hm7 entspricht) nicht die phrygische Skala als<br />

Ausgangspunkt genommen, wie es dem diatonischen<br />

System entspräche, sondern die dorische Skala. Dadurch<br />

kommt der Skalenton cis zur Anwendung statt des c. Und so<br />

findet sich auch jeweils im Akkord Bm7 ein cis – dies, wie<br />

gesagt Produkt künstlerischer Freiheit.<br />

Spielen Sie nun die von mir notierten Akkorde, die uns<br />

einen ersten Zugang zum harmonischen Geschehen des<br />

Stückes ebnen sollen, aber auch schon einen ersten Teil der<br />

kreativen Arbeit am Material darstellen sollen. Versuchen<br />

Sie danach, anhand der Akkordsymbole eigene Voicings<br />

der Harmonien zu spielen.<br />

82 3 . 08


J AZZ-WORKSHOP<br />

J


von: Volker Dunisch<br />

I<br />

Um sich mit der Intervallstruktur<br />

von Middle Eastern vertraut zu<br />

machen, empfiehlt es sich, sie einige<br />

Male mit beiden Händen parallel im<br />

Abstand von zwei Oktaven herauf<br />

und wieder herunter zu spielen<br />

(Notenbeispiel 2). Fortgeschrittene<br />

Pianisten können darüber hinaus<br />

bei dieser Übung auch in beiden<br />

Händen jeweils Oktaven greifen<br />

(Notenbeispiel 3).<br />

Kommen wir zur ersten Improvisationsübung.<br />

Sie besteht darin, dass<br />

man mit rechts kleine, einfachrhythmisierte<br />

Motive bzw. Melodiebausteine<br />

erfindet, während die linke<br />

Hand mit zwei sich abwechselnden<br />

Quinten begleitet (Notenbeispiel 4).<br />

I MPROVISATIONEN<br />

Improvisationen am Klavier (Teil 23)<br />

Middle Eastern<br />

Herzlich willkommen zum letzten Teil der Klavierimprovisationen. Ab der nächsten Ausgabe werde ich an<br />

dieser Stelle eine neue Workshopreihe beginnen – dazu am Ende mehr.<br />

Heute beschäftigen wir uns mit einer Tonleiter, die ich während meiner Musiktherapie-Ausbildung unter<br />

der Bezeichnung „Middle Eastern“ kennen lernte (Notenbeispiel 1). Meistens wird diese Leiter hierzulande<br />

– politisch wohl nicht mehr ganz korrekt – als „Zigeuner-Dur“ bezeichnet. „Orientalische Tonleiter“ ist ein<br />

weiterer gebräuchlicher Name. Wie letztere Bezeichnung schon sagt, kann man mit dieser Leiter auf sehr<br />

einfache Weise etwas vom Klangbild orientalischer Musik auf das mitteleuropäisch gestimmte Klavier<br />

zaubern.<br />

Im dritten Takt des Beispiels sehen<br />

Sie eine Besonderheit: Als Wechselnote<br />

oder zur Umspielung des<br />

Grundtons D kann links davon ein C<br />

anstelle des eigentlichen Tonleitertons<br />

Cis verwendet werden (s. Notenbeispiel<br />

5 und 6).<br />

Sobald Sie sich in dieser Spielform<br />

zu Hause fühlen, können Sie dazu<br />

übergehen, die Quinten links zu<br />

rhythmisieren. Eine Möglichkeit<br />

hierfür zeigt Notenbeispiel 7.<br />

Typisch für orientalische Musik sind<br />

ungerade Taktarten bzw. Metren.<br />

Notenbeispiel 8 demonstriert, wie<br />

eine Improvisation über ein Ostinato<br />

im 7/8-Takt angegangen werden<br />

kann. Üben Sie das Spiel im 7/8-<br />

Takt langsam und geduldig. Spielen<br />

Sie rechts zunächst rhythmisch sehr<br />

schlicht, um nicht aus dem Takt zu<br />

geraten.<br />

Eine ganz andere Art der Improvisation<br />

besteht darin, rhythmisch<br />

und metrisch sehr frei melodisch zu<br />

fantasieren (Notenbeispiel 9). Stellen<br />

Sie sich vor, Sie würden mit der<br />

rechten Hand eine Flöte oder einen<br />

Sänger imitieren. Experimentieren<br />

Sie mit Verzierungen, Trillern und<br />

Melismen, als wollten Sie wie in<br />

einem Rezitativ eine lebendige Geschichte<br />

erzählen oder eine Rede<br />

halten.<br />

Abschließend eine orchestrale Spielform<br />

im Stil von „Laurence von Ara-<br />

84 3 . 08


3 . 08<br />

I MPROVISATIONEN<br />

bien“ (Notenbeispiel 10). Im Ostinato links wechselt sich<br />

D-Dur mit einem spannungsreichen Es-Dur-Akkord über<br />

dem Basston A ab. Rechts spielt man die Melodie in<br />

majestätischen Oktaven.<br />

Bevor ich nach mittlerweile vier Jahren zum Ende der<br />

„Improvisationen am Klavier“ komme, möchte ich noch<br />

auf die Fortsetzung dieses Praxisteils hinweisen. Ab der<br />

kommenden Ausgabe geht es an dieser Stelle um die Kunst<br />

und das Handwerk des Barpiano-Spiels. Auch dabei wird<br />

das Thema Improvisation nicht gänzlich außen vor gelassen<br />

und so hoffe ich, dass Sie am Ball bleiben werden.<br />

Viel Spaß bei Ihren eigenen Improvisationen wünscht<br />

Ihnen<br />

Volker Dunisch<br />

I<br />

85


P P ROFI-TIPPS<br />

Kleinanzeige<br />

Der Wettbewerbspianist<br />

Der erste Klavierwettbewerb war 1890 der „Anton Rubinstein“-Wettbewerb in St.<br />

Petersburg. Frauen waren nicht zugelassen. Das hat sich inzwischen geändert.<br />

Wettbewerbe haben mittlerweile das ganze Jahr Saison. Aber der Frühling kommt<br />

und Wettbewerbsduft liegt wieder in der Luft. Zeit für einige Überlegungen zum<br />

Thema Wettbewerbe.<br />

von: Ratko Delorko<br />

Die Qual der Wahl: Es gibt momentan weltweit<br />

etwa 600 Klavierwettbewerbe. Davon gelten<br />

knapp 100 als wichtig. Davon die wichtigeren sind<br />

in einer praktischen Broschüre der Alink-Argerich-<br />

Foundation zusammengefasst. Gustav Alink gilt<br />

als Mr. Piano-Competition und hat akribisch alle<br />

Details der wichtigen Wettbewerbe zusammengetragen<br />

und katalogisiert. Sehr gute Tabellen zeigen<br />

Repertoire, eventuelle Pflichtstücke, Altersgruppen<br />

und Termine auf. Aktuelle Änderungen<br />

werden wöchentlich unter www.alink-argerich.org<br />

im Internet ergänzt. Wer Wettbewerbe spielen<br />

will, braucht diese Pflichtlektüre.<br />

Sinn: Jeder Wettbewerb ist für eine eigene<br />

Standortbestimmung geeignet. Außerdem ist es<br />

„Üben vor Publikum“ und man lernt, mit teilweise<br />

unangenehmen Stresssituationen umzugehen.<br />

Wer möchte, lernt auch fair und freundlich mit<br />

seinen Mitbewerbern umzugehen. Ein eventueller<br />

Preis erzeugt Aufmerksamkeit und kann im besten<br />

Falle eine Initialzündung für eine pianistische Karriere<br />

darstellen. Die damit verbundenen Konzerte<br />

und daraus resultierenden Kontakte können für<br />

die spätere Akquise und für ein eigenes Netzwerk<br />

von Nutzen sein.<br />

Ein Preisgewinn, den man vorweisen kann, ist<br />

auch eine Legitimation für potenzielle Veranstalter,<br />

die keine Ahnung oder Angst vor der eigenen<br />

Courage haben. Damit sichert sich der Dezernent<br />

im Amt ab, der neben dem Rathaussaalkonzert<br />

auch den Sport machen muss. Er geht auf Nummer<br />

sicher und bucht lieber einen Preisträger.<br />

Wenn das Konzert dann „nich so riechtig doll“<br />

war, war es immerhin ein Preisträger und damit<br />

ist der Beamte fein raus.<br />

Gelegentlich gehen Agenturen und Labels in<br />

Endrunden größerer Wettbewerbe auf Talentsuche,<br />

denn sie brauchen trendiges Frischfleisch –<br />

und die Lotterie ist wieder eröffnet. Jedenfalls ist<br />

die Chance vorhanden, dass man zur Kenntnis<br />

genommen wird. Außerdem sind Preisgelder eine<br />

Bechstein - Klavier<br />

Altstil, Baujahr ca. 1905, Serien-Nr. 9337,<br />

besondere klangliche Schönheit, komplett überarbeitet und<br />

schwarze Lackierung erneuert, hervorragender Zustand,<br />

mit altem, schönem Klavierhocker<br />

von privat zu verkaufen in München<br />

Tel.: 0163 / 570 66 16<br />

hübsche Alternative zum Kellnern oder Taxifahren<br />

und die Erfahrung schult und stählt ungemein.<br />

Man darf nur nicht im Hamsterrad der Wettbewerbe<br />

kleben bleiben … Wer denn mal was gewinnen<br />

konnte, wird sich sofort um die Akquise von<br />

Konzerten, Agenturkontakten und CDs kümmern,<br />

denn das Zeitfenster, auch Aktualität genannt, ist<br />

knapp bemessen.<br />

Unsinn: Kein Wettbewerbsgewinn beinhaltet<br />

eine Karrieregarantie. Wer sich nach einem eventuellen<br />

Wettbewerbsgewinn entspannt zurücklehnt,<br />

wird nach hintenüber fallen. Ein Wettbewerb,<br />

der mit Konzerten lockt, ist nett, aber im<br />

nächsten Jahr wollen die nächsten Preisträger<br />

drankommen und man selbst bleibt dann vor der<br />

Tür stehen. Man kann ketzerisch rechnen: Von,<br />

sagen wir, 90 wichtigen Wettbewerben sind die<br />

ersten drei Preisträger mit dem Prädikat „Preisträger“<br />

versehen. Das sind 270 Spieler. Wenn jeder<br />

von denen das Ziel hat, 100 Konzerte im Jahr zu<br />

geben, müssen 27.000 Gigs her. Im nächsten Jahr<br />

stehen aber die nächsten Gewinner in der Tür und<br />

scharren mit den Hufen. Wie soll das gehen?<br />

Auswirkungen: Auch durch die globalen Meisterkurse<br />

werden nationale pianistische Eigenheiten<br />

verwässert. Es gibt heute eigentlich keine spezifische<br />

französische, deutsche, englische, italienische,<br />

russische oder amerikanische Schule mehr.<br />

Das Ganze ist in den letzten Jahren recht einheitlich<br />

geworden. Dazu kommt, dass es international<br />

wirkende, hervorragende und spezialisierte Lehrer<br />

gibt, die wirklich in der Lage sind, einen Studenten<br />

präzise durch das Nadelöhr Wettbewerb zu navigieren.<br />

Hut ab – ich könnte das nicht. Ich würde<br />

heutzutage keinen Wettbewerb gewinnen, sondern<br />

nur anecken.<br />

Der Typ des Wettbewerbspianisten ist kontinuierlich<br />

generiert worden. Es kann natürlich auch<br />

eine Dame sein. Er oder sie reist von Wettbewerb<br />

zu Wettbewerb, heimst diesen und jenen Preis ein,<br />

manchmal auch nicht, aber auf die Quote kommt<br />

es an. Jede Reise ohne Preisgewinn verbrennt<br />

Geld. (Ich bleibe jetzt beim „er“.) Idealerweise<br />

spielt er nicht zu schnell, nicht zu langsam, nicht<br />

zu grob, aber auch nicht zu zart. Er nimmt sich gerade<br />

so viele agogische Freiheiten heraus, um<br />

nicht steif zu wirken, spielt aber artig metronomkonform.<br />

Historische Spielweisen und Erfahrungen<br />

am Hammerflügel interessieren ihn nicht; das auf<br />

einen modernen Konzertflügel projizierte romantisierte<br />

Klassikbild wird favorisiert. Vermutlich hat<br />

er auch fünf wichtige Interpretationen seiner<br />

86 3 . 08


3 . 08<br />

P ROFI-TIPPS<br />

Stücke auf CD gehört und „aus fünf mach eins“ gemacht.<br />

Eben der ideale, unauffällige Schwiegersohn<br />

am Klavier. So richtig mag man ihn nicht,<br />

weil er so glatt ist wie der Polyesterlack des Konzertflügels.<br />

Aber dahinter steckt Strategie: Wenn ein Spieler<br />

musikantisch auftrumpfend und mit einer eigenen<br />

Aussage polarisierend daherkommt, wird es in der<br />

Jury Kontroversen geben. Immer. Am Ende wird<br />

sehr demokratisch gepunktet und der Störenfried<br />

erhält von seinen Gegnern kaum Punkte, der mediokre<br />

Spieler dagegen wird aber von allen etwa<br />

gleich (gut) bewertet, weil er nicht weiter unangenehm<br />

aufgefallen ist. Er spielt fehlerfrei, weil er<br />

das musikantische und pianistische Risiko scheut.<br />

Wieder zählt die Quote und Mamas Liebling steht<br />

auf einmal mit der höchsten Punktzahl da – und<br />

gewinnt. Oder zwei funkelnde Gegner trumpfen<br />

auf. Die ideale Situation, um Jury und Publikum in<br />

zwei Lager zu spalten und gegeneinander punkten<br />

zu lassen. Wieder bleibt der lachende Dritte übrig<br />

… Eine beliebte Strategie, die oft funktioniert.<br />

So geht einiges an pianistischer Vielfalt verloren<br />

und das, was künstlerisch hätte wertvoll werden<br />

können, wird wirkungsvoll eingeebnet. Nur zurückgewinnen<br />

lassen sich verloren gegangene<br />

Qualitäten nicht so leicht. Aber das ist auf dem<br />

Instrumentenmarkt auch nicht anders. Eigentlich<br />

ist der Teilnehmer immer ein bisschen angeschmiert:<br />

Wenn er gewinnt, war es die Leistung<br />

des Lehrers und der Hochschule. Dass der Spieler<br />

die Leistung selbst erbracht hat, wird ignoriert.<br />

Fliegt er in der ersten Runde raus, hat er nicht auf<br />

den Lehrer gehört oder nicht genug geübt, hat<br />

also den Schaden und den Spott.<br />

Fazit: Wer die Möglichkeit hat, an Wettbewerben<br />

teilzunehmen und sich das finanziell erlauben<br />

kann, sollte dies tun. Es schult und stärkt für den<br />

Beruf, sich für Reisekosten und Teilnahmegebühren<br />

abseifen zu lassen und zu entdecken, wo<br />

man im Pianistenmeer angesiedelt ist. Es ist nichts<br />

für zart besaitete, sensible Naturen. Dafür übt<br />

man vor Publikum und wird als Auftrittskünstler<br />

zunehmend stressresistent. Mit Kunst hat das wenig<br />

zu tun, aber darum geht es auch nicht. Wer<br />

mal was gewonnen hat, hat die Chance, daran<br />

anzuknüpfen und ein eigenes Netzwerk zu entwickeln.<br />

Na denn viel Glück …<br />

Ratko Delorko ist Pianist, Komponist und<br />

Pädagoge. Er leitet ein „Privatinstitut für<br />

pianistische Studien“ in Essen und kann auf<br />

zahlreiche Schallplatteneinspielungen,<br />

Rundfunkaufnahmen und Kompositionsveröffentlichungen<br />

blicken. Er ist Dozent für<br />

Klavier an der Musikhochschule Frankfurt<br />

am Main.<br />

www.delorko.de<br />

Biografien im<br />

STACCATO-Verlag<br />

Dominique Xardel<br />

Idil Biret<br />

Eine türkische Pianistin auf den Bühnen der Welt<br />

(mit einem Vorwort von Peter Cossé)<br />

Gefördert mit freundlicher<br />

Unterstützung von<br />

250 Seiten / brosch.<br />

inkl. CD im Buch mit einem<br />

Querschnitt des<br />

pianistischen Schaffens von Idil Biret<br />

Euro 20,00 (D) / Euro 21,- (A)<br />

ISBN13 978-3-932976-31-5<br />

Idil Biret ist eine der wenigen Frauen,<br />

die in der Welt des Klaviers über<br />

Jahrzehnte ihre Position auf den<br />

Weltbühnen behaupten konnten.<br />

Doch nur wenig ist über ihr bewegtes<br />

Leben, über ihr musikalisches Denken<br />

und ihre ersten Schritte aus ihrer<br />

Heimat, der Türkei, ins westliche<br />

Ausland bekannt. Hier nun schreibt die Pianistin auf Fragen des<br />

Autors Dominique Xardel über alle Aspekte ihres Lebens.<br />

1941 in Ankara geboren, erhielt Idil Biret ihre pianistische Ausbildung<br />

am Conservatoire in Paris bei Nadia Boulanger, studierte in der Folge<br />

bei Alfred Cortot und bei Wilhelm Kempff. Schon mit 16 Jahren trat<br />

sie in den bedeutendsten Konzertsälen auf. Seither ist sie Stammgast<br />

in allen Sälen der Welt und hat – neben etlichen anderen Aufnahmen<br />

– sämtliche Klavierwerke von Chopin, Brahms, Rachmaninow sowie<br />

Wilhelm Kempff auf CD eingespielt.<br />

Bruno Monsaingeon<br />

Swjatoslaw Richter<br />

Mein Leben, meine Musik<br />

450 Seiten / brosch.<br />

Euro 32,- (D) / Euro 34,40 (A)<br />

ISBN 3-932976-27-4<br />

ISBN13 978-3-932976-27-8<br />

Gefördert mit freundlicher<br />

Unterstützung von<br />

Swjatoslaw Richter bricht in diesem<br />

Buch sein hartnäckiges lebenslanges<br />

Schweigen und offenbart sich in einem<br />

außergewöhnlichen Gespräch und seinen<br />

persönlichen Notizbüchern.<br />

Der berühmte Geiger, Regisseur und<br />

Schriftsteller Bruno Monsaingeon<br />

schaffte es kurz vor Richters Tod, in<br />

dessen engste persönliche Sphäre vorzudringen<br />

und seine Gedanken und Erinnerungen aufzuzeichnen.<br />

Die etwa 30 Jahre lang geführten Notizbücher Richters geben zudem<br />

auf einmalige Weise Zeugnis über die Musik unseres Jahrhunderts.<br />

Sie sind Mitteilungen einer nonkonformistischen Persönlichkeit, eines<br />

der größten Interpreten des Jahrhunderts, dessen Geschichte verbunden<br />

mit jener der Sowjetunion ist.


B B ESONDERE A UFNAHMEN<br />

Ein fünftes Klavierkonzert von Rachmaninow?<br />

Alexander Warenbergs Adaption der 2. Sinfonie von Rachmaninow als Klavierkonzert<br />

Eine große römische V steht auf dem Cover und<br />

der Name Rachmaninows prangt unübersehbar<br />

darüber. Doch erst beim zweiten Hinsehen<br />

wird man gewahr, worum es sich bei dieser CD-<br />

Einspielung handelt: eine Adaption des Pianisten-<br />

Komponisten Alexander Warenberg<br />

der 2. Sinfonie Sergej Rachmaninows<br />

als Klavierkonzert. Die Nummer V<br />

wird nur darum benutzt, da es von<br />

Rachmaninows Hand immerhin ja<br />

vier Klavierkonzerte gibt, auch wenn<br />

eigentlich immer nur das 2. und 3. in<br />

Konzerten (und meist auch auf CD)<br />

gespielt werden. Was soll also das<br />

Ganze? Der Pianist dieser Einspielung,<br />

Wolfram Schmitt-Leonardy, im<br />

Booklet-Interview danach gefragt, ob<br />

man denn ein fünftes Klavierkonzert<br />

von Rachmaninow bräuchte, wo doch<br />

Nr. 1 und Nr. 4 schon so selten aufgeführt<br />

werden, antwortet ehrlich: „Nein. Aber wir<br />

brauchen ein Warenberg-Konzert. Und wir brauchen<br />

Komponisten mit der Courage zu schreiben, was sie<br />

innerlich fühlen, so wie Rachmaninow es tat. [...]<br />

Alexander gebraucht sein Herz, nicht allein seinen<br />

Kopf.“ Was ist es also, das uns auf dieser CD nun<br />

wirklich erwartet?<br />

Die Geschichte der groß angelegten 2. Sinfonie<br />

von Sergej Rachmaninow hat viele Facetten. Noch<br />

nach der Stichvorlage als Korrekturvorlage hat der<br />

Komponist zahlreiche Korrekturen mit eigener<br />

Hand eingefügt, zum Teil erhebliche, fast wie komplett<br />

neu komponierte Teile. Zudem hat er einigen<br />

Dirigenten, wie beispielsweise Eugene Ormandy,<br />

einige Kürzungen erlaubt, die aber sehr gering waren.<br />

Wie kommt man also dazu, sich diesem großen<br />

sinfonischen Werk zu nähern, um aus ihm ein<br />

Klavierkonzert zu entwickeln? Nun, die Idee kam<br />

Pieter van Winkel, dem Chef des CD-Budget-Labels<br />

Brillant Classics im Jahr 2000. Er schreibt,<br />

dass er bei allen sinfonischen Werken Rachmaninows<br />

auch immer an Klaviermusik denkt. Entsprechend<br />

empfand er die Themen der 2. Sinfonie<br />

als bestens geeignet, um sie in der Tradition von<br />

Rachmaninows Klavierkonzerten bearbeiten zu<br />

lassen. Doch musste er erst einmal einen Künstler<br />

finden, der sich dieser doch recht anspruchsvollen<br />

Aufgabe stellen würde und ihr auch noch gerecht<br />

werden könnte. Als niederländischer Unternehmer<br />

schaute er selbstverständlich in seinem Land nach<br />

einem entsprechenden Fachmann – und fand ihn<br />

in dem russischen Pianisten und Komponisten Alexander<br />

Warenberg, der mittlerweile hauptsächlich<br />

als Komponist für Film und Fernsehen arbeitet.<br />

Was einen erwartet, ist ein vollkommen neu entstandenes<br />

Werk, ein Klavierkonzert in der Tradition<br />

des russischen Komponisten, stark gekürzt,<br />

dreisätzig anstatt – wie die Sinfonie – viersätzig.<br />

Warenberg wollte unbedingt der Tradition der<br />

Klavierkonzerte folgen, also kürzte er die Sinfonie<br />

– entsprechend den Klavierkonzerten – von vier<br />

auf drei Sätze. Mehr als 40 Prozent der Sinfonie<br />

entfielen. Allein schon daran lässt sich leicht<br />

erkennen, dass Warenberg vor allem eines tat: Er<br />

folgte zwar den Themen der Sinfonie, doch änderte<br />

er auch hier schon entsprechend der für Klavierstimme<br />

geeigneten Motive die Folge ab.<br />

Selbstredend konnte er aber der sinfonischen<br />

Orchestrierung nicht einfach<br />

nur eine obligate Klavierstimme<br />

hinzufügen – vielmehr musste er<br />

auch die Instrumentation abändern<br />

und auf die zusätzliche Klavierstimme<br />

hin abstimmen. Ist es also wirklich<br />

noch Rachmaninow, was wir da<br />

von der CD hören, und was mittlerweile<br />

auch als Noten im Verlag<br />

Boosey & Hawkes erschienen ist?<br />

Nein, nicht wirklich. Auch wenn man<br />

beim Hören durchaus den Eindruck<br />

eines Rachmaninow’schen Werkes<br />

haben kann. Letztendlich ist es eine<br />

Neukomposition, ein Werk eines modernen Komponisten,<br />

der den Orchestrierungs- und Klavierkonzertideen<br />

von Rachmaninow durchaus folgte,<br />

aber letztendlich ein Werk „im Sinne von“ erarbeitete.<br />

Ansonsten hätte Warenberg wohl auch kaum<br />

mehr als zwei Jahre benötigt, wenn er ausschließlich<br />

eine Bearbeitung hätte anfertigen müssen.<br />

Das Ergebnis kann sich hören lassen, und der Pianist<br />

Wolfram Schmitt-Leonardy hat recht, wenn er<br />

sagt, dass da ein Komponist mit dem Herzen<br />

schrieb. Und er folgt diesen Herzenseinfällen<br />

durchaus gerne, das hört man. Zudem ist die Janácek<br />

Philharmonie ein unter der Leitung von Theodore<br />

Kuchar gut in der Rachmaninow-Tradition<br />

klingendes Orchester, denn eines änderte Warenberg<br />

nicht, die Größe der Besetzung. Und so<br />

hat man dann ein neues Klavierkonzert vor<br />

Ohren, eines, das absolut im spätromantisch-elegischen<br />

Sinne von Rachmaninow erklingt, bei dem<br />

man deutlich immer wieder die Motive und Melodien<br />

aus der 2. Sinfonie erkennt, auch wenn der<br />

dritte Satz im Prinzip vollkommen fehlt. Eine wunderbare<br />

Idee, der auch die Nachkommen von<br />

Rachmaninow zustimmten. Und vielleicht ist diese<br />

Art der Arbeit heutzutage umso mehr publikumswirksam,<br />

als dass es leider nur selten von heutigen<br />

Komponisten moderne Klavierkonzerte in der besten<br />

Tradition dieses Genres gibt.<br />

Carsten Dürer<br />

Sergej Rachmaninow<br />

Arragement Alexander Warenberg<br />

Klavierkonzert Nr. 5 (Arrangement der 2. Sinfonie)<br />

Wolfram Schmidt-Leonardy, Klavier<br />

Janácek Philharmonie<br />

Ltg.: Theodore Kuchar<br />

Brillant Classics 8900<br />

88 3 . 08


3 . 08<br />

B ESONDERE A UFNAHMEN<br />

Liszts h-Moll-Sonate solo und für Orchester<br />

Leo Weiners Bearbeitung für Orchester von Liszts Sonate von der Musikhochschule Weimar<br />

Es ist das längste zusammenhängende Stück<br />

Musik, das für Klavier solo geschrieben wurde:<br />

Franz Liszts h-Moll-Sonate, die nur innerlich einige<br />

Abschnitte in sich birgt, aber vom Interpreten eine<br />

gehörige Portion Überblick, Ideenreichtum, technisches<br />

Können, Weitsicht und zahlreiche<br />

Ausdrucksfacetten verlangt (was<br />

mehr kann man von einem Pianisten<br />

überhaupt verlangen?). Zahllose Interpreten<br />

haben dieses Werk eingespielt,<br />

um die dramatische Wirkung<br />

nachzuvollziehen, die Liszt da eingewoben<br />

hat, das Wechselbad der<br />

Gefühle zu erforschen, dem scheinbaren<br />

Kampf zwischen Gut und Böse<br />

nachzuspüren. Ebenso wie sich noch<br />

heute die Pianisten und Zuhörer für<br />

dieses Werk begeistern, war auch der<br />

ungarische Komponist Leo Weiner<br />

(1885–1960) von diesem Werk eingenommen.<br />

Weiner, der selbst an der Budapester Musikakademie<br />

(der heutigen Franz Liszt-Akademie in<br />

Budapest) Komposition unterrichtete, nahm sich<br />

1955 dieses Werks an und erkannte, dass es durchaus<br />

orchestrale Züge in dem Klaviersatz gibt. So<br />

machte er sich daran und arbeitete dieses Werk<br />

des Sohnes Ungarns für das Jubiläumsfest 1956<br />

zum 70-jährigen Todestag Liszts für Orchester um.<br />

Doch Weiner hat nicht etwa nur eine Orchestrierung<br />

vorgenommen, sondern vielmehr hat er den<br />

Notentext identisch mit anderen Instrumenten<br />

neu kreiert (ähnlich wie dies schon Ravel mit den<br />

„Bilder einer Ausstellung“ von Mussorgsky getan<br />

hatte). Eigenwilligerweise wurde das Werk 1956<br />

nicht aufgeführt und auch danach nie wieder.<br />

Zudem liegt kein verlegtes Notenmaterial vor.<br />

Nun hat man im Jahre 2006 – dank der Arbeit der<br />

in Weimar beheimateten Franz-Liszt-Gesellschaft –<br />

dieses Werk zum Liszt-Festival wieder ans Tageslicht<br />

befördert und auch gleich von dem Orchester<br />

der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar aufführen<br />

lassen. Und diese Aufführung wurde als<br />

Welturaufführung auch gleich für eine Weltersteinspielung<br />

mitgeschnitten, die nun auf der vorliegenden<br />

CD zu hören ist. Und um den direkten<br />

Vergleich mit dem Original für Klavier nachvollziehen<br />

zu können, hat die Siegerin des von der<br />

Hochschule Franz Liszt Weimar veranstalteten<br />

Internationalen Franz Liszt-Wettbewerbs Weimar<br />

2006, Olga Kozlowa, die Klavierversion auf dieser<br />

CD verewigt. Und Olga Koslowa,<br />

deren Interpretation am Beginn dieser<br />

CD steht, kann dem Werk durchaus<br />

gerecht werden und ihrem<br />

Namen als 1. Preisträgerin alle Ehre<br />

machen. Und auch wenn die Sonate<br />

in Orchesterfassung – selbstverständlich<br />

– nicht immer die Tempi der<br />

Klavierversion aufgrund des großen<br />

Orchesterapparates halten kann, ist<br />

man erstaunt, wie bestechend Weiner<br />

die emotionalen Ideen seines Landsmannes<br />

in eine neue Tonwelt umgesetzt<br />

hat. Dabei folgt Weiner vor allem<br />

den musikalischen Aussagen, den Charaktereigenschaften<br />

des Liszt’schen Werks, lässt nicht<br />

nur den großen Orchesterapparat sprechen, sondern<br />

setzt auch Solo-Violin-Parts ein, vermag mit<br />

den Streichern die gebetsartig-geistigen und religiösen<br />

Aussagen wunderbar zu gestalten. Es ist<br />

eine faszinierende Version, die ab nun sicherlich<br />

häufiger im Konzertsaal erklingen wird, noch häufiger<br />

als bislang. Und das ist gut so, denn es gibt<br />

kaum noch einmal solch ein Musikwerk, das die<br />

gesamte Welt des Menschen in einem einzigen<br />

Werk, dessen Emotionen in Töne gefasst wiedergibt.<br />

Carsten Dürer<br />

Franz Liszt<br />

Sonate h-Moll<br />

Olga Kozlowa, Klavier<br />

Leo Weiner<br />

Sonate h-Moll (arr. für Orchester)<br />

Orchester der Hochschule für Musik Franz Liszt<br />

Weimar<br />

Ltg.: Nikolás Pasquet<br />

Cavi-music 42 600 855 3012 0<br />

(Vertrieb: JaKlar!)<br />

B<br />

89


A A LTE A UFNAHMEN<br />

Von: Carsten Dürer<br />

Géza Anda<br />

Gleich zwei Reihen von CDs mit Aufnahmen des legendären ungarischen Pianisten Géza Anda kommen<br />

nun heraus. Gut so, denn dieser Pianist, der noch immer vielen Menschen so gegenwärtig ist, wurde<br />

durch andere berühmte und sich selbst besser vermarktende Pianisten vor allem in den vergangenen 20<br />

Jahren mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt. Dennoch wissen viele noch mit Andas Namen die<br />

vielleicht eindringlichsten Interpretationen von Werken Mozarts oder Bartóks zu verbinden, die so<br />

etwas wie Andas Hausgötter im Kanon seines weiten Repertoires darstellten.<br />

90 3 . Géza Anda wurde 1921 in Budapest<br />

geboren und äußerte schon<br />

ist. Und hier zeigen sich gleich mehrere<br />

wichtige Details: Zum einen<br />

me hervorhebt. Und dabei weiß er<br />

durchweg zu singen, weiß dem Ins-<br />

als Siebenjähriger selbstbewusst, hatte Anda mittlerweile sein Repertrument immens viele Farbfacetten<br />

dass er einer der größten Pianisten toire immens erweitert und klam- zu entlocken. Es ist ein Mozart-Spiel,<br />

werden würde. Ab 1934 besuchte merte kaum eine Epoche oder einen das die Musik Mozarts auf den<br />

Anda bereits die Musikakademie Komponisten aus. Natürlich sind die Punkt bringt, ohne jemals kühl zu<br />

seiner Heimatstadt und erhielt ei- großen Klavierkonzerte von Mozart wirken, mochten ihm dies auch Krinen<br />

grundsoliden Unterricht, auf in einer Doppel-CD in Volume 1 dietiker damals – wie anderen Pianis-<br />

den man dann aufbauen könne, wie ser Edition zu finden, mit dem Költen seiner Zeit ebenso – vorwerfen,<br />

er sich selbst einmal äußerte. Auf ner Rundfunk-Sinfonie Orchester die noch das romantisch fette Mo-<br />

anraten von Wilhelm Backhaus, (dem heutigen WDR-Sinfonieorcheszart-Spiel gewohnt waren und im<br />

dem er als 17-Jähriger vorspielte, ter) unter Constantin Silvestri und Ohr hatten. Dies wird umso deutli-<br />

bewarb sich Anda in die Klavierklas- Joseph Keilberth. Aber man kann cher, wenn Anda selbst die klein<br />

se von Ernst von Dohnányi, dessen Anda auch mit der Camerata Aca- besetzte Camerata Academica Salz-<br />

Ruf damals schon so groß als Didemica Salzburg (heute die Cameburg leitet. Hier hat er alles unter<br />

rigent,Komporata Salzburg) erleben, die er selbst Kontrolle, verschmilzt er den Klang<br />

nist und Lehrer vom Flügel aus leitete, wie er es mit dem der anderen Instrumente<br />

war, dass es eini- immer häufiger tat. Zudem sind in grandios. Und so handhabt er begen<br />

Mut verlang- den Konzerten KV 466 und KV 482 merkenswerterweise auch das Beette,<br />

an ihn heran- die Kadenzen von Anda selbst. Doch hoven-Klavierkonzert Nr. 1, das er<br />

zukommen.<br />

vor allem fasziniert die Klangqua- ebenfalls live vom Klavier aus in<br />

Doch es gelang lität, die das Remastering aus diesen Köln leitete. Auch hier denkt er<br />

und Anda erhielt Aufnahmen zaubert. Und so hört kammermusikalisch, lässt den Klang<br />

nun Unterricht man die vielleicht reinsten klangli- des Flügels kongenial als Solist in<br />

von dieser lebenchen Einspielungen von Anda aus die Akzente des Orchesters fließen.<br />

den Legende. dieser Zeit, hört auf einmal jedes Eine feinsinnige Interpretation. An-<br />

Dann ging es sehr schnell: Anda ge- Detail des Orchesterparts, aber ders geht er dann allerdings mit den<br />

wann 1939 den Franz-Liszt-Preis in auch des Solisten, kann weitaus bes- Klaviersonaten Nr. 7 Op. 10 Nr. 3<br />

Budapest und begann sofort seine ser dessen Spiel beurteilen. Und wie und Nr. 28 Op. 101 von Beethoven<br />

Konzerttätigkeit. Zuerst vor allem klingt Mozart bei Anda? Nun, wie um. Hier nun möchte man dem<br />

mit dem großen romantischen und längst bekannt, hatte Anda eine Interpreten doch hier und da in sei-<br />

spätromantischen Konzertreper- vollkommen unromantische Vorstelner Darstellung widersprechen,<br />

toire, wie es wohl jeder junge Pianist lung vom Klavierspiel, wollte zwar denn Géza Anda stellt die Sätze fast<br />

tut. 1942 geht er dann nach Berlin Virtuoses virtuos klingen lassen, esoterisch ruhig fließend und detail-<br />

und feiert in der deutschen Haupt- wollte aber der Musik auch immer verliebt dar, so dass einem ein ums<br />

stadt immense Erfolge. Doch die Na- auf den Grund gehen, ihren Kern andere Mal der Fluss der Beethozis<br />

schielten auch bald auf den mitt- treffen. Und so klingt sein Mozart ven’schen Schreibweise etwas fehlt.<br />

lerweile von Wilhelm Furtwängler entschlackt, mehr detailliert und auf Und dies selbst, wenn er durchaus in<br />

geförderten jungen Pianisten und so das Wesentliche beschränkt als bei den schnellen Sätzen die Tempi<br />

ging Anda 1943 in die Schweiz, wo Kollegen dieser Zeit, auch wenn die- wunderbar denen der langsamen<br />

er bis zu seinem Tod eine neue Heise unprätentiöse und von einer ge- Sätze anpasst. Er verliebt sich zu<br />

mat fand, unterrichtete, von dort wissen emotionslosen Detailver- sehr in die Feinheiten, scheint wenig<br />

aus in aller Welt konzertierte; bis zu liebtheit zeugende Aufnahme in zu wagen, wenig der inneren Un-<br />

seinem Tod 1976.<br />

jedem Fall beliebt war und eine ruhe und Emotionalität des Kom-<br />

Das Label Audite hat sich nun im Neuorientierung in Bezug auf das ponisten ihren Lauf zu lassen. Da<br />

Archiv des Westdeutschen Rund- Spiel von Mozart bedeutete. Doch fühlt er sich bei Brahms wohl doch<br />

funks umgeschaut und etliche span- was macht dann die Besonderheit weitaus mehr zu Hause. Seine Darnende<br />

Aufnahmen gefunden, die von Andas Spiel aus? Vor allem die stellung der 3. Klaviersonate und<br />

Anda dort mit unterschiedlichen Klanggebung. Anda ist ein Pianist, der Intermezzi Op. 117 sind faszinie-<br />

Orchestern, aber auch solistisch seit der genau hinhört, bestens weiß, rend rauschende Zeugnisse seiner<br />

Beginn der 50er bis zum Ende der wann er eine Phrase wie nimmt, wie Leidenschaft, die er dann doch in<br />

60er Jahre einspielte. Und so ent- er sie in den Zusammenhang stellt, dieser Art von Musik nicht mehr verstand<br />

aus dem Material sogleich wie er die wichtigen Elemente des leugnen konnte und der er – bei<br />

eine „Géza Anda Edition“, die mitt- Stimmmaterials bestens ausleuchtet, aller Kontrolle – ihren Lauf ließ.<br />

lerweile auf vier CDs angewachsen nicht nur die Oberton-Melodiestim- Und so spielt hier ein Anda, der die<br />

08


in diesen Werken integrierte<br />

Aussagekraft deutlich nachzuempfinden<br />

scheint, es rauschen<br />

und singen lässt, aus<br />

vollem Herzen. Ähnliches<br />

betrifft auch seine Darstellung<br />

von Liszts großer h-Moll-<br />

Sonate. Und dennoch, auch<br />

hier scheint er zu sehr an die<br />

Details zu denken, weniger<br />

an das Fortschreiten. Doch<br />

dies nur als Kritik im Kleinen<br />

an einer bravourösen Einspielung,<br />

die die Architektur und<br />

die Größe dieser Sonate als<br />

Gesamtkunstwerk durchaus begreift<br />

und zu schildern vermag.<br />

Ähnliches gilt für Schumanns „Kreisleriana“,<br />

die „Symphonischen Etüden“<br />

und den „Carnaval“: Großes<br />

Klavierspiel, bei dem man sich stellenweise<br />

mehr Mut zum Lauf der<br />

Musik, zur emotionalen Ausuferung<br />

wünscht. Chopins Préludes Op. 24<br />

und die 12 Études Op. 25 zeigen<br />

dann vollauf den feinsinnigen<br />

Virtuosen Anda. Und das Vol. IV<br />

nun endlich bringt Bartók, die<br />

Klavierkonzerte Nr. 1 und Nr. 2, die<br />

Kontraste für Klarinette, Violine und<br />

Klavier, die Suite Op. 14 und die<br />

Sonate für zwei Klaviere und Schlagzeug<br />

mit Georg Solti am zweiten<br />

Klavier. Und hier ist Géza Anda zu<br />

Hause, hier verbindet sich sein Virtuosentum<br />

mit der kontrollierten<br />

Emotionalität kongenial zu Einspielungen,<br />

die auch heute noch einen<br />

kaum anzufechtenden Referenzstatus<br />

darstellen.<br />

Auch das Label Membran hat soeben<br />

eine Vier-CD-Box mit Aufnahmen<br />

von Géza Anda veröffentlicht,<br />

ebenfalls mit Aufnahmen aus den<br />

50er Jahren, allerdings ausschließlich<br />

aus der Zeit 1953 bis 1956. Die<br />

meisten Aufnahmen stammen aus<br />

der Zeit der Einspielungen mit dem<br />

Philharmonia Orchestra. Und hier<br />

kann man nun einige Werke in anderen<br />

Einspielungen erleben, die<br />

man schon aus der Audite-Box<br />

kennt (Schumanns „Carnaval“ und<br />

die „Symphonischen Etüden“), aber<br />

Edition Géza Anda Vol. 1<br />

Mozart Klavierkonzerte KV 466,<br />

KV 482, KV 488, KV 467<br />

Audite 23.407 (2 CDs)<br />

Edition Géza Anda Vol. 2<br />

Beethoven: Klavierkonzert Nr. 1,<br />

Sonaten Op. 10,3 und 101<br />

Brahms: Sonate Nr. 3, 3<br />

Intermezzi Op. 117<br />

Liszt: Sonate h-Moll<br />

Audite 23.408 (2 CDs)<br />

3 . 08<br />

A LTE A UFNAHMEN<br />

Edition Géza Anda Vol. 3<br />

Schumann: Kreisleriana,<br />

Symphonische Etüden, Carnaval,<br />

Romanze Op. 28,2<br />

Chopin: 24 Préludes Op. 28, 12<br />

Études Op. 25<br />

Audite 23.409 (2 CDs)<br />

Edition Géza Anda Vol. 4<br />

Bartók: Klavierkonzerte Nr. 1 und<br />

Nr. 2, Kontraste, Suite Op. 14,<br />

Sonate für zwei Klaviere und<br />

Schlagzeug<br />

Audite 23.410 (2 CDs)<br />

man kann Anda nun auch<br />

mit vollkommen anderen<br />

Werken erleben. Beispielswiese<br />

Anda mit seiner Klavierpartnerin<br />

Clara Haskil<br />

(mit der er lange und oft<br />

zusammen auftrat) in<br />

Bachs Konzert für 2 Klaviere<br />

BWV 1061 und in Mozarts<br />

Konzert für 2 Klaviere<br />

KV 365. Faszinierend in diesem<br />

Zusammenspiel ist die<br />

so gleiche Behandlung des<br />

Klangs, der Agogik, dass<br />

man kaum Unterschiede zu<br />

vernehmen vermag. Kaum dass<br />

man erkennen kann, dass es zwei<br />

Klaviere sind. Diese beiden Pianisten<br />

sind so aufeinander eingespielt,<br />

hegen so sehr dieselben Klangideale,<br />

dass man mit offenem Mund<br />

lauscht. Auch hier findet man Beethovens<br />

Klavierkonzert, nun aber mit<br />

Alceo Galliera am Pult und dem<br />

Philharmonia Orchestra. Doch wenig<br />

ändert sich an der Sicht Andas<br />

zu seinem Spiel aus Köln. Und<br />

Tschaikowskys Klavierkonzert Nr. 1<br />

(ebenfalls unter Alceo Galliera)?<br />

Dieses Konzert wie das 1. von Liszt<br />

(unter Otto Ackermann) sind zwei<br />

seiner Favoriten aus jungen Jahren,<br />

sie spielte er seit Beginn seiner<br />

Karriere. Und entsprechend frei und<br />

relaxt spielt er hier auf, aber ohne<br />

den Druck des Werks außer Acht zu<br />

lassen. Immer ist er auch hier auf<br />

den Klang und seine Qualität im<br />

Zusammenspiel mit dem Orchester<br />

konzentriert, singt, lässt Akkorde<br />

harsch aufleuchten und die Läufe<br />

perlen – wunderbar und eindringlich<br />

seine Darstellungen.<br />

Wer sich intensiv mit Andas Interpretationskunst<br />

beschäftigen will,<br />

der hat nun die wunderbare Gelegenheit,<br />

beide Editionen zu hören,<br />

sich einzuhören in die Darstellungen<br />

unterschiedlichster Werke<br />

durch Andas wunderbares Klavierspiel,<br />

das bis heute nichts von seiner<br />

Faszination und Allgemeingültigkeit<br />

verloren hat.<br />

Géza Anda<br />

Werke von Bach, Mozart,<br />

Beethoven, Franck, Brahms, Liszt,<br />

Schumann, Tschaikowsky und<br />

Bartók<br />

Membran 231661 (4 CDs)<br />

(Audite ist im Vertrieb von<br />

edelKultur.)


P P OP-HÖREINDRUCK<br />

Interpretation: ❶❷❸➃➄➅<br />

Klang: ❶❷❸➃➄➅<br />

Repertoirewert: -------------<br />

Das ist schon ungewöhnlich für eine<br />

– auf den ersten Blick – herkömmliche<br />

Rockband: Mêlée setzen für die<br />

Umsetzung ihrer melodie-orientierten<br />

Musik auf die Klangfarbe Piano,<br />

und das sollte eigentlich dem Gesamtsound<br />

der Newcomer-Band aus<br />

Kalifornien nur zu seinem Vorteil<br />

gereichen. Doch warum ausgerechnet<br />

Piano, wo man doch angesichts<br />

einer Viererbesetzung zunächst an<br />

eine weitere Gitarre denken würde?<br />

Die spielt Sänger Chris Cron zwar<br />

auch, aber in erster Linie ist er Pianist.<br />

Und wie er dies auf dem Major-<br />

Debütalbum einsetzt, lässt einen<br />

schon mal an den frühen Elton John<br />

denken. Freche Staccati in „Biggest<br />

Mistake“, unbekümmerte Glissandi<br />

in „Frequently Baby“ erinnern an<br />

den Mann mit den vielen Brillen in<br />

seiner künstlerisch fruchtbarsten<br />

Phase. Freilich scheint Cron noch<br />

nicht über das Standing zu verfügen,<br />

das es ihm ermöglichen würde,<br />

sich durchweg gegen die bombastischen<br />

Soundvorstellungen des bestellten<br />

Warner-Produzenten Howard<br />

Benson durchzusetzen. Der<br />

nämlich verwässert die an sich passablen<br />

Songs des Teams Chris Cron/<br />

Ricky Sans (Gitarre) allzu oft mit<br />

überflüssig aufgeblasenem Füllmaterial<br />

der Sorte Background-Vocals<br />

und ähnlichem Klangtinnef. So<br />

ziemlich in der Mitte des Albums findet<br />

sich mit der Ballade „Can’t Hold<br />

On“ dann doch ein Werk, das Cron<br />

als behutsam vorfühlenden Pianisten<br />

fast im Alleingang featuret. Ansonsten<br />

bietet „Devils & Angels“<br />

manches Dèjà-vu-Erlebnis: So erinnert<br />

„Imitation“ an Manfred Manns<br />

Springsteen-Version „For You“ u. a.<br />

Über allem aber scheint Coldplays<br />

Sänger und Pianist Chris Martin zu<br />

schweben. Er wäre gut beraten, sich<br />

möglichst bald auf eigene Beine zu<br />

stellen. Tom Fuchs<br />

Mêlée<br />

Devils & Angels<br />

Chris Cron, Piano, Gitarre, Vocal u.a.<br />

Warner 93624 99174 (Vertrieb:<br />

Warner)<br />

Interpretation: ❶❷❸❹⑤➅<br />

Klang: ❶❷❸❹⑤➅<br />

Repertoirewert: -------------<br />

Joan Wasser spielte bei Nick Cave<br />

und Lou Reed, aktuell ist sie in der<br />

Band des Songschreibers Rufus<br />

Wainwright engagiert. Unter dem<br />

Namen „Joan As Police Woman“<br />

stellte die New Yorker Pianistin und<br />

Sängerin im Jahr 2006 erstmals ihr<br />

eigenes Bandprojekt vor, das sich<br />

stilistisch zwischen Indie-Pop und<br />

Alternative Rock verorten lässt. Eher<br />

musikalische Schlichtheit wäre also<br />

zu vermuten bei landläufiger Einschätzung<br />

dieser Kategorien, mehr<br />

Ausdruck denn Virtuosität. Ist dem<br />

so? Ja und nein.<br />

Auf ihrem zweiten Soloalbum klingen<br />

Wassers Songs verhalten und<br />

zögerlich, dem etwas delikaten Sujet<br />

sehr angemessen: „to survive“ thematisiert<br />

den erfolglosen Kampf der<br />

Mutter gegen ihre Krebserkrankung.<br />

Ein sehr persönliches Thema also,<br />

vielleicht eine Spur zu intim. Ein Gefühl<br />

des Unbehagens mag den Hörer<br />

angesichts dieser textlich schonungslosen<br />

Innenschau mitunter<br />

beschleichen. Doch in Wahrheit<br />

liegt gerade in dieser Reduktion auf<br />

das Wesentliche ein Detailreichtum,<br />

der sich erst beim mehrmaligen Hören<br />

offenbart, sind die zehn Songs<br />

doch durchweg geprägt von einer<br />

harmonischen Komplexität, die auf<br />

Wassers klassische Ausbildung hinweist.<br />

Hier hat jeder Ton, jeder Akkord<br />

seinen wohl zuvor sorgsam bedachten<br />

Platz, nichts scheint hier<br />

willkürlich zu geschehen oder dem<br />

Zufall überlassen. Klar artikuliert<br />

Wasser etwa im eröffnenden „Honor<br />

Whishes“ ihr pianistisches Konzept,<br />

das gelegentlich auch als auf Vorbilder<br />

angewandter Verschlankungsund<br />

Entschlackungsprozess daherkommt.<br />

Dass sie um das Geheimnis<br />

weiß, dass weniger unter dem Strich<br />

immer mehr ist, gereicht Joan Wasser<br />

mehr als einmal auf „to survive“<br />

zur Ehre. Tom Fuchs<br />

Joan as Police Woman<br />

to survive<br />

Joan Wasser, Piano, Vocals; u.a.<br />

PIAS 5413356512120<br />

(Vertrieb: Rough Trade)<br />

Interpretation: ❶❷❸➃➄➅<br />

Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Repertoirewert: -------------<br />

Geografisch entfernter geht’s wohl<br />

nimmer: Die Pianistin und Sängerin<br />

Aino Löwenmark stammt vom Hof<br />

Hälla in der Nähe des Siljan-Sees im<br />

schwedischen Dalarna; die Geigerin<br />

Hanmarie Spiegel kommt aus dem<br />

12000 Kilometer entfernten Südafrika.<br />

Liegt es an den gemeinsamen<br />

ländlichen Wurzeln, dass beide nun<br />

in Hamburg als Duo Fjärill so vollkommen<br />

miteinander musizieren?<br />

Auch ihr zweites Album (nach dem<br />

2006er-Debüt „Stark“) ist durchdrungen<br />

von Balladen mit getragenen<br />

Melodien und skandinavischer<br />

Textschwere. Im Vordergrund<br />

der sparsamen Arrangements steht<br />

Löwenmarks Piano, das sich meist<br />

in den Refrainpassagen mit Spiegels<br />

Violine trifft. Dem gefälligen Fluss<br />

der Melodien folgt eine durchweg<br />

oszillierende Spielweise von Aino<br />

Löwenmark, was auf Albumlänge<br />

gesehen mitunter etwas ermüdend<br />

wirkt. Nur selten bricht dieses Schema<br />

auf, etwa in „Mapeto“, das nicht<br />

zuletzt durch ökonomisch gesetzte<br />

Flügelhorntöne von Nils Wülker an<br />

Atmosphäre gewinnt, oder in „St.<br />

Georg“, das mit dem Einsatz eines<br />

Akkordeons verblüfft. Insgesamt<br />

hätte man sich gerade vom Klavierspiel<br />

mehr von der spartanischen<br />

Art gewünscht, da die Texte doch offenbar<br />

von einiger Bedeutung sind<br />

und so viel mehr hätten herausgestellt<br />

werden können. Stattdessen jedoch<br />

verliert man sich ein ums andere<br />

Mal im belanglos-säuselnden<br />

Violin-Cello (Hagen Kuhr)-Einerlei.<br />

Dann doch noch die Überraschung,<br />

die für manches entschädigt: Man<br />

glaubt schon das Ende des Albums<br />

erreicht zu haben, da schwingen<br />

sich Fjärill mit „Mormor“ (=Oma)<br />

zu einem unverhofften Höhepunkt<br />

auf. Tom Fuchs<br />

Fjärill<br />

Pilgrim<br />

Aino Löwenmark, Klavier, Vocals;<br />

Hanmari Spiegel, Violine; u.a.<br />

Rintintin Musik 906952<br />

(Vertrieb: Indigo)<br />

92 3 . 08


KLASSIK<br />

3. 08<br />

Johann Sebastian Bach<br />

Partiten 2, 3 & 4<br />

Murray Perahia, Klavier<br />

Sony BMG Classical 88697282662<br />

Nach 4 Jahren „Aufnahme-Abstinenz“<br />

durch eine Daumenverletzung<br />

bestätigt diese neue Perahia-<br />

CD den Pianisten wieder einmal als<br />

einen der ganz großen unserer Zeit.<br />

„Bach ist das Fundament aller großen<br />

Musik“, sagt Murray Perahia und<br />

seit mehr als einem Jahr spielt er die<br />

Partiten vermehrt in seinen Konzerten.<br />

Ihre Einspielung ist die Konsequenz<br />

seiner langen Beschäftigung<br />

mit den Werken. Faszinierend,<br />

wie man dieser Aufnahme anhört,<br />

was Perahia meint, wenn er sagt:<br />

„Technik ist nur Mittel zum Zweck, um<br />

die Wahrheit der Musik auszudrücken“<br />

– Bach bereitet er eben nicht vom<br />

technischen Standpunkt aus vor,<br />

sondern versucht die emotionale<br />

Aussage zu verstehen und vermitteln.<br />

Mit Hilfe seiner bis ins Feinste<br />

differenzierenden Anschlagskultur<br />

arbeitet er die im Werk angelegten<br />

vielfältigen Klangebenen nuanciert<br />

heraus – im Leisen wie im Schwungund<br />

Kraftvollen. Das Ergebnis ist<br />

weniger ein „zupackender“ Bach,<br />

sondern ein äußerst klug und sorgsam<br />

gestalteter Bach. So abgeklärt<br />

Perahias Blick manchmal auf die<br />

Bach’sche Kunst zu sein scheint, im<br />

nächsten Augenblick wechselt er mit<br />

frech-kecken Läufen und markigen<br />

Verzierungen zu einer jugendlich<br />

augenzwinkernden Interpretation.<br />

Und gleichermaßen bestechend ist<br />

Perahias Technik, selbst beim raschesten<br />

Tempo ragen Triller organisch<br />

heraus, die Tempi scheinen so<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➎➏<br />

Klang: ❶❷❸❹➎➏<br />

Repertoirewert: ❶❷❸❹➎➏<br />

H H<br />

ÖREINDRUCK<br />

CDS DES DOPPELMONATS<br />

und nicht anders vom Komponisten<br />

gewollt.<br />

Selbstbewusst spart das Booklet jegliche<br />

Information zum Pianisten aus<br />

– der lässt voll und ganz die Musik<br />

für sich sprechen. Grandios.<br />

Isabel Fedrizzi<br />

Es ist immer gut in der wankelmütigen<br />

Musikbranche, wenn man sich<br />

auf prominente Paten berufen kann,<br />

die das eigene Tun und Handeln mit<br />

Wohlwollen begleiten. So dürfte es<br />

für Gwilym Simcock ein wahrer<br />

Glücksfall gewesen sein, als im Jahr<br />

2006 der Gewinner des „Klavier-<br />

Festival Ruhr“-Preises Chick Corea<br />

das damit verbundene Stipendium<br />

an den jungen Waliser vergab. Auch<br />

andere Stimmen neben der des etablierten<br />

Pianisten, der über Simcock<br />

meinte: „He’s an original, a creative<br />

genius“, regten sich, um dieses Talent<br />

zu loben. So feierte der Londoner<br />

„Evening Standard“ Simcock<br />

bereits als „neuen Botschafter des<br />

Jazz“. Der Gewinn hoch angesehener<br />

Preise wie des „BBC Jazz Award“<br />

und des „British Jazz Rising Star<br />

Award“ trug mit dazu bei, dass er<br />

heute als größte Hoffnung auf der<br />

britischen Jazzszene gilt. Von Jarrett,<br />

Corea und John Taylor gleichermaßen<br />

beeinflusst, sieht Simcock<br />

sich in erster Linie als Jazzpianist,<br />

obschon in seinem Spiel und in seinen<br />

Kompositionen immer wieder<br />

Verbindungen zur Klassik anklingen.<br />

Auf „Perception“, seinem Debüt als<br />

Gwilym Simcock<br />

Perception<br />

Gwilym Simcock, Klavier; Phil Donkin,<br />

Bass; Martin France, Drums; u.a.<br />

Basho Records SRCD 24-2<br />

(Vertrieb: Rough Trade)<br />

Leader, schimmern diese Bezüge immer<br />

wieder durch. „A Typical Affair”<br />

beginnt derart drängend mit latinesquer<br />

Note und komplexen Wechseln<br />

im Metrum, dass man kaum<br />

noch weiß, wo die berühmte „eins“<br />

zu finden ist. Dabei baut Simcock<br />

sein eröffnendes Solo sehr behutsam<br />

auf und erfüllt damit sowohl rhythmische<br />

als melodische Aufgaben,<br />

gepaart mit einem starken Gefühl<br />

für Harmonien, das selbst noch in<br />

den kühnsten Changes zu spüren ist.<br />

Im klassisch-romantisch anmutenden<br />

„Time and Tide“, in dem rubato-betonten<br />

„Almost Moment“, aber<br />

ganz besonders in den beiden abschließenden<br />

Standards, dem im<br />

ungewohnten Zehnvierteltakt oszillierenden,<br />

kontrapunktischen Take<br />

von „The Way You Look Tonight“<br />

und einer Soloversion von „My One<br />

and Only Love“ zeigt Simcock seine<br />

Klasse als Interpret. Besser lässt sich<br />

kein Schlusspunkt setzen unter ein<br />

Debüt, das in seiner Verheißung auf<br />

weitere Großtaten fast schon unheimlich<br />

anmutet.<br />

Tom Fuchs<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➎➏<br />

Klang: ❶❷❸❹➎➏<br />

Repertoirewert: -------------<br />

JAZZ<br />

93


H H ÖREINDRUCK<br />

KLASSIK<br />

Interpretation: ❶❷❸❹⑤⑥<br />

Klang: ❶❷❸❹⑤⑥<br />

Repertoirewert: ❶❷❸❹➎➏<br />

Es gibt Einspielungen, bei denen<br />

schon die Auswahl der Stücke so interessant<br />

ist, dass sie die Frage nach<br />

der Interpretation fast in den Schatten<br />

stellt. Die vorliegende CD ist ein<br />

solches Beispiel: Sie vereint Schumanns<br />

Klavierquintett e-Moll op. 44<br />

in der Fassung für zwei Klaviere und<br />

Brahms’ ebenfalls für zwei Klaviere<br />

umgeschriebenes f-Moll-Klavierquintett,<br />

die vom Pianistenduo Begona<br />

Uriarte und Karl-Hermann<br />

Mrongovius gespielt werden. Nach<br />

wie vor ist nicht geklärt, ob es nicht<br />

Brahms selbst war, der bei der<br />

Transkription des Schumann’schen<br />

Werkes seine Hände im Spiel hatte.<br />

Hinweise von Clara Schumann, die<br />

sich 1864 in einem Brief dazu äußerte,<br />

deuten darauf hin, doch in<br />

der Notenausgabe des Verlags Breitkopf<br />

& Härtel ist der Name des Verfassers<br />

nicht genannt. Dass Brahms<br />

eine Vorliebe hatte, kammermusikalische<br />

Werke für zwei Klaviere umzuschreiben,<br />

ist bekannt, wie die f-<br />

Moll-Sonate op. 34b zeigt, deren<br />

Vorlage das Klavierquintett op. 34<br />

war. Die Entstehungsgeschichte beider<br />

Werke spiegelt wider, wie sehr<br />

der Hamburger Komponist mit jeder<br />

seiner Noten gerungen haben muss:<br />

Ursprünglich hatte er nämlich das<br />

Stück als Streichquintett geplant,<br />

später wurde es dann als Klavierquintett<br />

konzipiert und erschien<br />

1865 im Druck. Ein Jahr zuvor hatte<br />

Brahms jedoch eine Version für zwei<br />

Klaviere angefertigt. Von diesen inneren<br />

Spannungen hören wir viel<br />

im Spiel des Pianistenduos: Wenn<br />

auch die Sprache etwas arg schroff<br />

ist und die Ecken und Kanten überwiegen,<br />

so beeindruckt sie vor allem<br />

durch ihre rhythmische Spannkraft<br />

und Unerbittlichkeit.<br />

Rafael Sala<br />

Johannes Brahms<br />

Sonate für zwei Klaviere f-Moll, op. 34<br />

Robert Schumann<br />

Klavierquintett e-Moll, op. 44<br />

Begona Uriarte, Karl-Hermann<br />

Mrongovius, Klavier<br />

Arts Music 475972<br />

Interpretation: ❶❷❸❹⑤⑥<br />

Klang: ❶❷❸❹➎➏<br />

Repertoirewert: ❶❷❸➃➄➅<br />

Nachdem der grandiose Pianist Mikhail<br />

Pletnev bereits die ersten vier<br />

Klavierkonzerte von Beethoven eingespielt<br />

hat, kommt er mit dieser<br />

Einspielung des 5. Klavierkonzerts<br />

nun zum Abschluss dieser Einspielungsserie.<br />

Und wie zuvor nimmt<br />

sich Pletnev Freiheiten heraus, sieht<br />

die Partitur der Klavierstimme als<br />

Grundlage für seine vollkommen<br />

eigenen Ansichten. So verrät schon<br />

die Exposition des 1. Satzes, der hier<br />

allein schon mehr als 20 Minuten in<br />

Anspruch nimmt, dass Pletnev einen<br />

Weg des transparent-getragenen<br />

Spiels wählt, dass er Akzente setzt,<br />

die man so noch nicht gehört hat.<br />

Das ist nicht so neu und liegt in der<br />

Tradition der Interpretationen dieser<br />

Konzerte. Und natürlich wäre es<br />

nicht Pletnev, wenn er diese Idee<br />

nicht grandios umsetzen würde, mit<br />

so viel Energie und eigenem Effekt,<br />

dass es spannend bleibt, ihm zuzuhören.<br />

Das Russische Nationalorchester<br />

ist grandios unter der Leitung<br />

von Christian Gansch abgestimmt<br />

auf den Solisten und unterstützt<br />

in jeder Nuance. Der 2. Satz<br />

allerdings erstirbt fast in Langsamkeit<br />

und klingt wie egozentrische<br />

Selbstverliebtheit – hier ist die Geduld<br />

des Zuhörers gefragt. Nuance<br />

um Nuance hinterfragt Pletnev mit<br />

dem schillernden Klang des Blüthner-Flügels<br />

bisherige Interpretationsideen,<br />

verwirft die großer Vorgänger<br />

und stellt eine vollkommen<br />

neue Idee zur Diskussion. Und damit<br />

ist diese – wie die vorangegangenen<br />

Aufnahmen der anderen vier<br />

Klavierkonzerte – eine durchaus zu<br />

würdigende Einspielung, die sicherlich<br />

für jeden Pletnev-Fan ein Muss<br />

ist, für jeden Beethoven-Fan allerdings<br />

Diskussionspotenzial birgt.<br />

Carsten Dürer<br />

Ludwig van Beethoven<br />

Klavierkonzert Nr. 5 Es-Dur Op. 73<br />

Mikhail Pletnev, Klavier<br />

Russisches Nationalorchester<br />

Ltg.: Christian Gansch<br />

Deutsche Grammophon 477 6417<br />

(Vertrieb: Universal)<br />

Interpretation: ❶❷❸➃➄➅<br />

Klang: ❶❷❸❹⑤⑥<br />

Repertoirewert: ❶❷❸➃➄➅<br />

Als eine „Momentaufnahme“ und<br />

„akustische Fotografie“ will Oliver<br />

Schnyder die vorliegende Einspielung<br />

verstanden wissen. „Chopin“ –<br />

mit diesem nüchternen Titel auf<br />

dem Cover präsentiert der junge<br />

Schweizer Pianist eine Auswahl Chopin’scher<br />

Werke, die bunter nicht<br />

sein könnte: Etüden, Nocturnes,<br />

Walzer, dazwischen die Impromptu-<br />

Fantasie cis-Moll, dann das Scherzo<br />

h-Moll und wieder Etüden – verärgert<br />

vermisst man bei diesem Sammelsurium<br />

so etwas wie eine übergreifende<br />

Idee. Schnyder scheint<br />

sich dieses Mankos bewusst zu sein:<br />

Erst spät habe er begriffen, welch<br />

„poetischer Reichtum“ in der Musik<br />

des Genies aus Polen liege, räumt er<br />

ein. Als er sich dann getraut habe,<br />

mit Chopin „an die Öffentlichkeit“ zu<br />

gehen, seien es gerade diese Stücke<br />

gewesen, in denen er „erste Antworten“<br />

auf diesen Komponisten gefunden<br />

habe. Das Ergebnis der Annäherung<br />

an das Klaviergenie fällt jedoch<br />

unterschiedlich aus: Bei kräftigen<br />

und schnellen Stücken wie der<br />

C-Dur-Etüde op. 10 punktet Schnyder<br />

mit einer Kraft und Leidenschaft,<br />

die die souveräne Handschrift<br />

des makellosen Chopin-Virtuosen<br />

erkennen lässt. Auch das Sperrige,<br />

Düstere gelingt ihm, wenn er<br />

es auch in puncto Geschwindigkeit<br />

oft etwas arg gut meint: Die Strahlkraft<br />

der a-Moll-Etüde etwa erschließt<br />

sich nicht, wenn man blindlings<br />

darüberrast. Andererseits fehlt<br />

es vielen Stücken schlichtweg an<br />

dem, womit man Chopin am meisten<br />

verbindet: Lyrik und Nuancen.<br />

Wie viele andere Pianisten veredelt<br />

Schnyder das musikalische Material<br />

nur an der Oberfläche des schönen<br />

Scheins – und dringt kaum in die<br />

Tücken und Fallen vor, die Chopin,<br />

dieser Hexenkünstler der Polyphonie,<br />

in jeder Note stellt. Rafael Sala<br />

Frédéric Chopin<br />

Ausgewählte Klavierwerke<br />

Oliver Schnyder, Klavier<br />

Telos Music records TLS 070<br />

(Vertrieb: Musikwelt)<br />

94 3 . 08


3. 08<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➎➏<br />

Klang: ❶❷❸❹➎➏<br />

Repertoirewert: ❶❷❸❹⑤⑥<br />

Schon lange gilt der unscheinbar<br />

wirkende Pianist Evgeni Koroliov<br />

nicht mehr als Geheimtipp. Seine<br />

Bach-Interpretationen haben Maßstäbe<br />

gesetzt und der Kommentar<br />

des Komponisten György Ligeti, er<br />

würde Koroliovs Einspielung der<br />

„Kunst der Fuge“ „einsam und verdurstend“<br />

mit auf eine einsame Insel<br />

nehmen, ist mittlerweile geradezu<br />

legendär. Um sein Bach-Kompendium<br />

zu vervollständigen, hat<br />

Koroliov nach der „Kunst der Fuge“<br />

und dem „Wohltemperierten Klavier“<br />

nun beim Label Tacet die<br />

„Französischen Suiten“ eingespielt.<br />

Für alle Koroliov-Fans eine Bereicherung,<br />

denn wieder besitzt das<br />

Spiel des russischen Pianisten eine<br />

suggestive Sogkraft, wie sie selten zu<br />

hören ist. Unter seinen Händen entfaltet<br />

sich eine tief beseelte Musik<br />

voller Magie. Besonders deutlich<br />

wird dies in der zweiten Suite c-Moll.<br />

Dabei klingt alles schlicht und einfach.<br />

Aber genau darin liegt die<br />

Schwierigkeit. Den Notentext mit<br />

seinem engen Beziehungsgeflecht<br />

transparent und doch nicht unterkühlt<br />

zu deuten. Koroliov scheint<br />

jeden Ton zu erfühlen, zu beleuchten<br />

und offenbart damit die reine<br />

Schönheit der Musik. Galant und<br />

auch mit tänzerischer Verve gestaltet<br />

er die Sätze und behält immer<br />

das richtige Maß, vermeidet dynamisches<br />

Gleichmaß ebenso wie interpretatorische<br />

Ausschweifungen.<br />

Die Suiten, die sich an der Satzfolge<br />

fünf französischer Tänze – Allemande,<br />

Courante, Sarabande, Menuett<br />

und Gigue – orientieren, komponierte<br />

Bach als Unterrichtsmaterial, drei<br />

in Dur- und drei in Moll-Tonarten.<br />

Mit welcher Gelassenheit Koroliov<br />

den didaktischen Anspruch mit reiner<br />

Poesie verbindet, ist einzigartig.<br />

Kurzum: eine wunderbare Aufnahme!<br />

Anja Renczikowski<br />

Johann Sebastian Bach<br />

Französische Suiten BWV 812–817<br />

Evgeni Koroliov, Klavier<br />

Tacet 161<br />

H H<br />

ÖREINDRUCK<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➎➏<br />

Klang: ❶❷❸❹➎➏<br />

Repertoirewert: ❶❷❸❹⑤⑥<br />

In ein gänzlich neues Klang-Gewand<br />

kleidet Gerrit Zitterbart die<br />

späte Schubert-Sonate B-Dur D 960<br />

und eine Auswahl von Miniaturen<br />

aus Schuberts üppigem Tanzrepertoire<br />

aus den Jahren 1817 und<br />

1824/25: Er spielt sie auf einem historischen<br />

Hammerflügel mit oberschlägiger<br />

Mechanik von Streicher<br />

ein. Mehr als nur klangschön ist das<br />

Ergebnis: Raffinierte Färbungen entstehen<br />

durch den glockenartigen,<br />

hellen Klang der hohen Lagen und<br />

den insgesamt so obertonreichen<br />

Klang des Flügels. Der Pianist und<br />

Abegg-Trio-Mitbegründer Gerrit<br />

Zitterbart beweist wieder einmal seine<br />

exzellenten pianistischen Fähigkeiten<br />

im sensiblen und detailfreudigen<br />

Umgang mit den klanglichen<br />

und speziellen mechanischen Eigenheiten<br />

des selten gespielten Instruments,<br />

das ein Jahr nach Schuberts<br />

Tod gebaut wurde. Den bekannten<br />

frühen Zwei Scherzi D 593 verleiht<br />

der silbrig-brillante und doch nie<br />

scharfe Klang ein ganz neues und<br />

sehr passendes Gesicht. Freche Betonungen<br />

auf ungeraden Taktzeiten<br />

und eine Vielzahl dynamischer<br />

Abstufungen sind nur ein Ausschnitt<br />

aus Gerrit Zitterbarts unerschöpflicher<br />

Gestaltungspalette. In seinem<br />

klugen Booklettext vermittelt der<br />

Experte für historische Instrumente<br />

seine Sicht auf die Deutung der<br />

Werke und die Intention, die Stücke<br />

auf eben diesem Instrument einzuspielen,<br />

und vermutet sicher richtig,<br />

dass Schubert von den dynamischen<br />

Mitteln des Flügels begeistert gewesen<br />

wäre, hätte er ihn nur kennen<br />

lernen können. Ein außergewöhnlicher<br />

Schubert und ein Muss im CD-<br />

Regal.<br />

Isabel Fedrizzi<br />

Franz Schubert<br />

Sonate B-Dur D 960, Tänze<br />

Gerrit Zitterbart, Fortepiano<br />

Clavier 15352<br />

(Vertrieb: Charisma Musikproduktion)<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➎➏<br />

Klang: ❶❷❸❹➎➅<br />

Repertoirewert: ❶❷❸❹⑤⑥<br />

Es ist schon eine Kuriosität, dass ein<br />

Pianist und Komponist ungarischer<br />

Herkunft, im österreichischen Burgenland<br />

geboren, während eines<br />

Studienaufenthaltes auf den Philippinen<br />

erstmals die einheimische<br />

Musik wissenschaftlich dokumentierte.<br />

Jenö Takács, der 2005 im Alter<br />

von 103 Jahren starb, übertrug<br />

einige seiner Recherchen in elf „Philippine<br />

Island Miniatures“, die Aima<br />

Maria Labra-Makk, selbst von dort,<br />

nun als CD-Premieren aufgenommen<br />

hat. Ihr persönlicher Kontakt<br />

zu Jenö Takács gibt dieser Kollektion,<br />

oft an schlichte Kinderlieder<br />

und einfache Tänze erinnernd, authentisches<br />

Flair. Doch darüber hinaus<br />

war Jenö Takács ein respektabler<br />

Solist, der mit Bearbeitungen<br />

wie der traditionellen, aber virtuosen<br />

„Suite alt-ungarischer Tänze“<br />

beachtet wurde. Zu Recht, denn Aima<br />

Maria Labra-Makk hat gerade<br />

deren pianistische Qualitäten, nämlich<br />

Verve und unprätentiösen Charme,<br />

bemerkt. Noch deutlicher in<br />

Jenö Takács’ raffinierter Konzertparaphrase<br />

des „Pesther Walzer“<br />

von Joseph Launer zu hören, da<br />

wird das Klimpern zur artifiziellen<br />

Gelenkigkeit. Neun Komponistenkollegen<br />

aus dem Burgenland folgten<br />

einer Einladung von Aima Maria<br />

Labra-Makk zur „Hommage à Jenö<br />

Takács“, indem sie seine „Kleine<br />

Sonate“ in je individuellen Variationen<br />

würdigten. Das Spektrum erstreckt<br />

sich vom chromatisch launigen<br />

„Märchen für Klavier“ (Franz<br />

Zebinger) über eine lockere Phantasie<br />

(Georg Arányi-Aschner), eine<br />

Arpeggio-„Reflexion“ (Stefan Kocsis)<br />

bis zur swingenden „Bearbeitung<br />

im Jazzstil“ (Fritz Pauer). Das<br />

ist feine Klaviermusik für Connaisseurs.<br />

Hans-Dieter Grünefeld<br />

Jenö Takács<br />

Suite of Old Hungarian Dances; Philippine<br />

Island Miniatures; Hommage à Jenö<br />

Takács<br />

Aima Maria Labra-Makk, Klavier<br />

Gramola 98793<br />

(Vertrieb: Codaex)<br />

95


H H ÖREINDRUCK<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Klang: ❶❷❸❹➎➏<br />

Repertoirewert: ❶❷❸❹➎➏<br />

Bemerkenswert, dass der junge chinesische<br />

Pianist Yundi Li sich bislang<br />

von hochvirtuosem Repertoire<br />

weitestgehend fernhielt, wenn es<br />

um seine Einspielungen geht.<br />

Getragen, sehr getragen beginnt<br />

Yundi Li Prokofiews 2. Klavierkonzert,<br />

aber mit unfassbar transparentem<br />

Zugang, einer hoch diffizilen<br />

Technik, die uns einmal mehr zeigt,<br />

was dieser immer noch junge Pianist<br />

zu leisten imstande ist. Und er besitzt<br />

auch die notwendige Kraft, um<br />

das Konzert mit seinen dramatischen<br />

Höhepunkten brausen zu lassen,<br />

die vor allem so wichtigen<br />

rhythmisch-fortrasenden Anforderungen<br />

zu bewältigen – immerhin<br />

ist diese Aufnahme eine Live-Einspielung.<br />

Und mit den Berliner Philharmonikern,<br />

die hier vehement<br />

und forsch unter Ozawa aufspielen,<br />

gelingt das 2. Klavierkonzert Prokofiews<br />

faszinierend und persönlich.<br />

Allein im dritten Satz findet er nicht<br />

den humoristisch-burschikosen und<br />

tänzerischen Ausdruck, denkt zu abschnittsverliebt,<br />

wofür der wild rauschende<br />

Finalsatz entschädigt, der<br />

nicht überzogen schnell genommen<br />

wird. In Ravels G-Dur-Konzert findet<br />

Li einen vollkommen anderen, einen<br />

passenden Klang, leicht und<br />

perlend, warm; doch auch hier liegt<br />

ihm am virtuosen Spiel, an der technischen<br />

Sicht zu viel, als dass er den<br />

Witz, die vom Jazz beeinflusste Lockerheit<br />

durchweg zu halten vermag.<br />

Doch dies ist – vor allem mit<br />

Hinblick auf den wunderbar „gesungenen“<br />

2. Satz – Gemecker auf höchstem<br />

Niveau. Li ist ein junger Pianist,<br />

der erwachsen geworden ist.<br />

Carsten Dürer<br />

Sergej Prokofiew<br />

Klavierkonzert Nr. 2 g-Moll Op. 16<br />

Maurice Ravel<br />

Klavierkonzert G-Dur<br />

Yundi Li, Klavier<br />

Berliner Philharmoniker<br />

Ltg.: Seiji Ozawa<br />

Deutsche Grammophon 477 6593<br />

(Vertrieb: Universal Classics)<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Klang: ❶❷❸➃➄➅<br />

Repertoirewert: ❶❷❸❹➎➏<br />

Mit Ausflügen in alle möglichen Stilbereiche<br />

hat das attraktive Klavierduo<br />

Katia und Marielle Labèque ja<br />

so seine Erfahrungen. Beim Bremer<br />

Musikfest tat es sich letzten Sommer<br />

sogar mit der russischen Geigerin<br />

Viktoria Mullova für ein experimentelles<br />

Konzert unter dem Motto „The<br />

Beatles – Across the universe of languages“<br />

zusammen. Beatles-Songs<br />

in raffinierten Adaptionen internationaler<br />

Bearbeiter wie Tescari, Sollima<br />

und Chalim wurden dabei von<br />

Multimedia-Installationen des Italieners<br />

Fabio Massimo Laquone konterkariert.<br />

Nun also der Rückgriff<br />

auf die Klassik mit einer Gegenüberstellung<br />

von Mozart und Schubert,<br />

die ein Pendant zu dem vormals erschienenen<br />

Album Strawinsky/Debussy<br />

vom eigenen Label KML recordings<br />

darstellt. Gewohntermaßen<br />

gegen den Strich gebürstet wird<br />

schon die bedrückende vierhändige<br />

Fantasie f-Moll D 940, die in der Aggression<br />

auf größte Verletzlichkeit<br />

prallt. Das Cantabile und die Balance<br />

in der Verteilung der Stimmgewichtungen<br />

ist einzigartig und<br />

lässt schon nach wenigen Takten,<br />

auch ohne Ansicht des Covers, auf<br />

eine Labèque-Interpretation schließen.<br />

Auffallend stark und zuweilen<br />

sogar störend sind die Geräusche<br />

der Schwestern, die in höchster Anspannung<br />

mitsummen. Niederschmetternd<br />

gerät der vierte Abschnitt<br />

mit seiner Rückkehr zum<br />

Ausgangsthema.<br />

Fast kokett dagegen wirkt die Fröhlichkeit<br />

in Mozarts Sonate D-Dur für<br />

zwei Klaviere op. 84 Nr. 1. Kraft und<br />

Kraftentladung, Kontemplation und<br />

spontane Reaktion machen das Zuhören<br />

wahrlich zu einem Abenteuer.<br />

Ernst Hoffmann<br />

Franz Schubert<br />

Fantasie f-Moll D 940 für 2 Klaviere<br />

Wolfgang Amadeus Mozart<br />

Sonate D-Dur für 2 Klaviere<br />

Katia und Marielle Labèque, Klaviere<br />

KML 1117<br />

(Vertrieb: Harmonia Mundi)<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Klang: ❶❷❸❹➎➏<br />

Repertoirewert: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Am Anfang stehen schwere Blechfanfaren,<br />

in die das Soloklavier mit<br />

einem bedeutungsschwangeren Unisono<br />

in der Kontraoktave hineinfährt.<br />

Aus langsam aufsteigenden<br />

Oktavverdopplungen werden hochvirtuose,<br />

akzelerierend dahinrasende<br />

Kaskaden, die einen erneuten<br />

Orchestereinsatz provozieren und in<br />

einer gigantischen Tuttistrecke gipfeln.<br />

Brutaler Abbruch. Stille …<br />

Wenn man das erste Klavierkonzert<br />

von Henryk Melcer hört, weiß man<br />

zunächst nicht, ob man sich über<br />

die dramaturgischen Klischees, die<br />

der polnische Romantiker bedient,<br />

ärgern oder freuen soll. Gut gemacht<br />

und effektvoll sind diese Klischees<br />

zweifellos – so gut, dass es einem<br />

nach und nach sogar leidtut,<br />

dass der Pianist, Dirigent und Hochschullehrer,<br />

der 1869 bis 1928 lebte,<br />

so wenig Musik hinterlassen hat.<br />

Seine beiden Klavierkonzerte sind<br />

nun in der verdienstvollen Hyperion-Reihe<br />

„Das romantische Klavierkonzert“<br />

wiederauferstanden,<br />

und wenn man den oben beschriebenen<br />

Anfang des ersten Konzerts<br />

aus dem Jahre 1894 einmal hinter<br />

sich gelassen hat, nimmt Melcers<br />

Klangfantasie und Farbenreichtum<br />

schnell gefangen. Er war ein Vollender<br />

des romantischen Virtuosentums<br />

– und das noch stärker in seinem<br />

zweiten Konzert (1898), das<br />

man in formaler Hinsicht fast schon<br />

eigensinnig nennen könnte: Der<br />

erste Satz beginnt wie eine leise<br />

Stelle mitten in einer Durchführung;<br />

erst nach und nach erlangt das<br />

Werk eigene Kontur, um dann in einem<br />

dahinkreisenden Finale mit<br />

Unterbrechung durch ein hymnischpathetisches<br />

Thema doch wieder<br />

effektheischende Klischees zu bedienen.<br />

Oliver Buslau<br />

Henryk Melcer<br />

Klavierkonzerte Nr. 1 e-Moll & Nr. 2 c-Moll<br />

Jonathan Plowright, Klavier<br />

BBC Scottish Symphony Orchestra<br />

Ltg.: Christoph König<br />

Hyperion CDA67630<br />

(Vertrieb: Codaex)<br />

96 3 . 08


3 . 08<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➎➏<br />

Klang: ❶❷❸❹⑤⑥<br />

Repertoirewert: ❶❷❸❹⑤⑥<br />

Welch spannende Verbindung<br />

Gershwin und Ravel eingehen können,<br />

hat der französische Pianist<br />

Pascal Rogé schon 2006 mit Gershwins<br />

F-Dur- und Ravels G-Dur-Konzert<br />

gezeigt. Die französische Musik<br />

des 20. Jahrhunderts ist sein Steckenpferd:<br />

Fauré, Poulenc, Satie,<br />

Saint-Saëns, Debussy, Franck, Gilles<br />

Cachemaille, Catherine Dubosc u.a.<br />

hat er eingespielt. In Ravels Konzert<br />

für die linke Hand und Gershwins<br />

„Rhapsody“ und „American“ wird<br />

deutlich, wie nah impressionistische<br />

und „sinfonisch-jazzige“ Züge beieinanderliegen.<br />

Die Genialität beider<br />

Werke liegt in ihrer rhythmisch<br />

wie melodisch faszinierenden Machart.<br />

In der einerseits wuchtig-monumentalen,<br />

andererseits feingliedrigen<br />

und exotischen Orchestration<br />

Ravels tut sich ein ebenso großer<br />

Kosmos auf wie im verblüffend komplett<br />

anmutenden Klaviersatz. Die<br />

Instrumentierung des Konzerts ist<br />

der des „Amerikaners“ sehr ähnlich,<br />

harmonisch spielen beide Werke mit<br />

spätromantischer und Jazz-Harmonik.<br />

Doch mindestens so fesselnd<br />

ist die ausgeklügelte und fordernde<br />

Technik dieser Musik: Die gewaltigen<br />

Ansprüche an die linke Hand<br />

des Ravel-Konzerts bewältigt Pascal<br />

Rogé mühelos, Gershwins Rhapsody<br />

wird zu einem locker-leicht-beschwingten<br />

und von Effekten nicht<br />

überladenden Ganzen – auch dank<br />

des überzeugenden Orchesters. Der<br />

Part des RSO gerät nicht zu üppig,<br />

nicht zu schmalzig, sondern dem<br />

natürlichen Spiel des Solisten ganz<br />

angemessen. Herausgekommen ist<br />

eine mitreißende Aufnahme mit<br />

Musik, an der man sich – so gut gespielt<br />

– nicht satthören kann.<br />

Isabel Fedrizzi<br />

George Gershwin<br />

Rhapsody in blue, An American in Paris<br />

Maurice Ravel<br />

Konzert für die linke Hand<br />

Pascal Rogé, Klavier<br />

RSO Wien<br />

Ltg.: Bertrand de Billy<br />

Oehms Classics SACD 623<br />

(Vertrieb: Harmonia Mundi)<br />

H ÖREINDRUCK<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Klang: ❶❷❸❹⑤⑥<br />

Repertoirewert: ❶❷❸❹➎➏<br />

Es ist eine ungewöhnliche Kombination,<br />

die die Pianistin Elfrun Gabriel<br />

da vornimmt: Die „Fantasía baetica“<br />

von Manuel de la Falla zusammen<br />

mit Schostakowitschs „Puppentänzen“<br />

und Edward Elgars „Enigma-Variationen“<br />

– auf den ersten<br />

Blick mutet diese Auswahl so exotisch<br />

wie eigenbrötlerisch an. Zumal<br />

es sich bei den Klavierstücken Elgars<br />

um die Transkription seines gleichnamigen<br />

(ebenfalls wenig bekannten)<br />

Orchesterwerks handelt und sie<br />

so selten aufgeführt werden, dass es<br />

gerade einmal eine Handvoll Interpreten<br />

gibt, die sie in ihr Repertoire<br />

aufgenommen haben. Doch bei näherem<br />

Hinsehen erschließt sich eine<br />

faszinierende Logik, die sich Gabriel<br />

zu eigen gemacht hat. Eine, die<br />

durch den Reiz des Fremden besticht:<br />

All diese Werke sind nicht nur<br />

programmatisch gebunden, sie haben<br />

etwas so Schemenhaftes, Unwirkliches<br />

und zugleich Vertrautes,<br />

dass sich der Gedanke an eine innere<br />

Verwandtschaft fast zwangsläufig<br />

aufdrängt. Elgars Variationen dürften<br />

in der Klavierliteratur der Nachromantik<br />

sogar einzigartig dastehen:<br />

Es sind mimikryartige Gebilde,<br />

die das Hauptthema nie durchscheinen<br />

lassen, sondern sich in einem<br />

einzigen Gespinst aus motivischen<br />

Annäherungen zu verpuppen scheinen.<br />

Womit sich die Assoziation an<br />

Schostakowitschs harlekinartige<br />

Tänze wie von selbst ergibt. Gabriel<br />

fasziniert mit einer Spielweise, die<br />

diesem Irrealis der Klänge und Ideen<br />

voll und ganz gerecht wird: katzenhaft,<br />

hochsensibel, dabei geschmiedet<br />

wie Eisen in Feuer –<br />

wenn Musik derart in Widersprüchen<br />

schwelt, bleiben keine Wünsche<br />

offen. Rafael Sala<br />

Manuel de la Falla<br />

Fantasía Baetica<br />

Dmitri Schostakowitsch<br />

Puppentänze<br />

Edward Elgar<br />

Enigma-Variationen<br />

Elfrun Gabriel, Klavier<br />

MDR VKJK 0625 (Vertrieb: Codaex)<br />

H<br />

97


H H ÖREINDRUCK<br />

Interpretation: ❶❷❸➃➄➅<br />

Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Repertoirewert: ❶❷❸❹⑤⑥<br />

Immer häufiger gibt es klassisch<br />

ausgebildete PianistInnen, die sich<br />

neben der Beschäftigung als Interpreten<br />

auch mit eigenen Kompositionen<br />

hervortun. So auch die japanische<br />

Pianistin Takako Ono, die<br />

hier drei kurze Klavierwerke aus eigener<br />

Feder Werken von Debussy<br />

(Auszüge aus „Suite bergamasque“<br />

und „Images II“) sowie Ravel („Miroirs“)<br />

voranstellt. Und sicher sind<br />

ihre Charakterstücke „Wald und<br />

Mond“, „Zwei Türen“ und „Epilog“<br />

erfrischende kleine Stücke, doch sie<br />

in einen direkten Vergleich mit den<br />

beiden Impressionisten zu stellen,<br />

wäre vielleicht zu hoch gegriffen;<br />

vielmehr erinnern sie mehr an Satie.<br />

Und dennoch sind sie in harmonischer<br />

Hinsicht spannend und einfühlsam<br />

geschrieben. Und die Interpretin<br />

Ono? Die Auswahl zeigt, dass<br />

die Japanerin einen besonderen<br />

Hang zu einer gleitend-farbenreichen<br />

Musik hat. So ist das „Claire de<br />

lune“ von Debussy zwar mit Esprit<br />

gespielt, vermag aber nicht die Tiefe<br />

zu ergründen, ebenso fehlt es dem<br />

„Valse – La plus que lente“ an dem<br />

tänzerischen Schwung. Ono hat einen<br />

vollkommen eigenen, einen anderen<br />

Ansatz, einen auf Transparenz<br />

und weniger auf das Vermischen<br />

der Klänge abzielenden. Dadurch<br />

geraten auch die Stücke von<br />

Ravels „Miroirs“ weniger zu einem<br />

Funkeln als vielmehr zu einem Farben<br />

wechselnden Eindruck. Kein<br />

Gleiten ist hier mehr erkennbar,<br />

schade, denn der Ansatz ist spannend,<br />

mit den verhaltenen Tempi<br />

und der zum Zuhören geeigneten<br />

Stimmverfolgung. Nur etwas mehr<br />

Mut und mehr Vermischung der<br />

Klänge zur stärkeren Charakterisierung,<br />

und diese CD wäre eine außergewöhnliche.<br />

Carsten Dürer<br />

Impression<br />

Werke von Debussy, Ravel und Ono<br />

Takako Ono, Klavier<br />

Pagma Verlag<br />

(www.pagma-verlag.de)<br />

Interpretation: ❶❷❸❹⑤⑥<br />

Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Repertoirewert: ❶❷❸❹⑤⑥<br />

Aus dem Formenstatus der Sonate<br />

während der Spätromantik haben<br />

Komponisten des 20. Jahrhunderts<br />

je eigene Konsequenzen für die Moderne<br />

gezogen. Für ihr Recital hat<br />

Allison Brewster Franzetti vier Werke<br />

ausgesucht, die nach ihrer Meinung<br />

in Referenzen zur Tradition<br />

charakteristische Modelle für „Klaviersonaten<br />

des 20. Jahrhunderts“<br />

darstellen. Eigentlich passen die<br />

„Drei Klavierstücke“ von Arnold<br />

Schönberg aus dem Jahre 1894 zeitlich<br />

nicht in dieses Programm. Doch<br />

Allison Brewster Franzetti akzentuiert<br />

deren suchenden Gestus, als<br />

Überleitung zu den damals neuen<br />

Perspektiven der „Sonate“ von Alban<br />

Berg, die er 1908 komponierte.<br />

Indem Frau Franzetti Vorder- und<br />

Hintergründe der lyrischen Motive<br />

gegeneinander verschiebt, sie expressiv<br />

hebt und kontemplativ<br />

senkt, erscheint eine revolutionäre<br />

Form in diesem singulären Werk.<br />

Satirische Sachlichkeit präsentiert<br />

sich in der Sonate Nr. 2 von Paul<br />

Hindemith, die 1936 schon eine<br />

Auflehnung gegen kulturelle Ausgrenzung<br />

signalisierte. Deren Zorn<br />

und Ironie hat Brewster Franzetti<br />

allerdings etwas unterschätzt, mehr<br />

Schärfe in ihrer etwas distanzierten<br />

Interpretation wäre wünschenswert<br />

gewesen. Dagegen erkennt sie in<br />

der epischen „Sonate 27. April<br />

1945“ von Karl Amadeus Hartmann<br />

das ganze Grauen aus dem KZ Dachau.<br />

Ausgemergelte Menschen ziehen<br />

imaginativ im beharrlichen<br />

Duktus und harten Anschlag vorüber,<br />

Schmerz und Frustration des<br />

Komponisten sind von ihr stark<br />

nachempfunden. Ein disparates Programm<br />

einer engagierten Interpretin,<br />

über das noch intensiver nachzudenken<br />

wäre.<br />

Hans-Dieter Grünefeld<br />

Klaviersonaten des 20.<br />

Jahrhunderts<br />

von Alban Berg, Arnold Schönberg,<br />

Paul Hindemith, Karl Amadeus<br />

Hartmann<br />

Allison Brewster Franzetti, Klavier<br />

Naxos 8.570401<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Repertoirewert: ❶❷❸➃➄➅<br />

Johannes Brahms war wohl der erste<br />

bedeutende Komponist, der sich<br />

in dem für Romantiker typischen<br />

Spannungsfeld von historischen Musiktraditionen,<br />

klassischen Vorbildern<br />

und künstlerischer Selbstfindung<br />

bewegte. Seine Klaviermusik<br />

erzählt die Geschichte dieser Spannungen<br />

gleich in mehreren komplexen<br />

Kapiteln, und Interpreten, die<br />

sich diesem Œuvre nähern, tun gut<br />

daran, nicht nur das zu lesen, was<br />

in den Noten steht, sondern auch<br />

das, was zwischen den Zeilen zu finden<br />

ist. So wie die finnische Pianistin<br />

Laura Mikkola: Ihr Programm<br />

zeigt Brahms in seiner Beschäftigung<br />

mit Alter Musik (Händelvariationen,<br />

Arrangement der Gavotte<br />

aus Glucks Oper „Iphigenie in Aulis”),<br />

als Nachfolger Beethovens (1.<br />

Klaviersonate) und als Klaviervirtuose,<br />

dem daran gelegen ist, die Zurschaustellung<br />

technischen Anspruchs<br />

mit Gehalt zu füllen (Scherzo<br />

op. 4). Vor diesem Hintergrund<br />

ist es sehr interessant, zu beobachten,<br />

wie die Pianistin die Händel-<br />

Variationen zur Entfaltung bringt:<br />

Nicht als organische Reihung und<br />

permanente Verwandlung, sondern<br />

als spannungsreichen Dialog zwischen<br />

Barock und Brahms’ nachklassischer<br />

„Moderne”, wobei die<br />

Künstlerin einen atemberaubenden<br />

Reichtum an Klangfarbenschichtung<br />

erreicht und regelrecht kleine<br />

Universen an mittellagigen Strukturen<br />

hervorzaubert. Brahms’ 1. Klaviersonate<br />

wird auf ganz besondere<br />

Weise beredt: Den pompösen Eingang<br />

spielt Laura Mikkola außergewöhnlich<br />

maestoso und erst im Nebenthema<br />

beginnt sie die reflexive<br />

Innenschau, die aus dem ganzen<br />

Werk eine Art künstlerischer Bestandsaufnahme<br />

macht.<br />

Oliver Buslau<br />

Johannes Brahms<br />

Händelvariationen op. 24, Scherzo op. 4,<br />

Gavotte nach Gluck, Klaviersonate Nr. 1<br />

op. 1<br />

Laura Mikkola, Klavier<br />

Aeon AECD 0859<br />

(Vertrieb: Harmonia Mundi)<br />

98 3 . 08


3. 08<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Repertoirewert: ❶❷❸➃➄➅<br />

Der Name des finnischen Pianisten<br />

Janne Mertanen ist in Deutschland<br />

noch nicht sehr bekannt. In seiner<br />

Heimat gilt er als Chopin-Spezialist.<br />

Die Einspielung der beiden Klavierkonzerte<br />

Chopins mit dem City of<br />

Joensuu Orchestra überzeugt durch<br />

ihre Leichtigkeit und Unvoreingenommenheit.<br />

Den anspruchsvollen<br />

Klavierpart meistert Mertanen<br />

scheinbar ohne Anstrengungen, dabei<br />

setzt er die Musik wirkungsvoll<br />

in Szene. Originell tastet er verschiedene<br />

Ausdrucksbereiche ab: Im ersten<br />

Satz des e-Moll-Konzerts brilliert<br />

er in den virtuosen Passagen, den<br />

zweiten Satz gestaltet er mit ruhigem,<br />

melancholischem Gestus. Die<br />

mitreißende Vitalität und Rhythmik<br />

der Reminiszenzen polnischer Volkstänze<br />

entfaltet er im Schlusssatz.<br />

Ähnliches gelingt ihm auch im dritten<br />

Satz des zweiten Klavierkonzerts.<br />

Hier arbeitet er die unregelmäßigen<br />

Akzente des Kujawiak-Tanzes ansprechend<br />

heraus. Auch wenn die<br />

Klavierkonzerte Chopins keinen ausgefeilten<br />

Dialog zwischen Solist und<br />

Orchester erfordern, sind die Ansprüche<br />

an den Klangkörper nicht<br />

zu unterschätzen. Oftmals drängt<br />

sich das Orchester, wenn es denn<br />

einmal Wesentliches zu sagen hat,<br />

unnötig in den Vordergrund. Der<br />

Dirigent Hannu Koivula versteht es<br />

hingegen, die nötige Balance zu<br />

wahren. Im Klavierkonzert Nr. 2 f-<br />

Moll op. 21 beweist Mertanen, dass<br />

er ein gutes Gefühl für die unzähligen<br />

Brüche in der Musik besitzt, die<br />

zwischen Poesie und Herbheit<br />

schwankt und die er mit fein eingesetzten,<br />

aber nie übertrieben wirkenden<br />

Rubati und Accelerandi auslotet.<br />

Anja Renczikowski<br />

Frédéric Chopin<br />

Klavierkonzert Nr. 2 f-Moll op. 21,<br />

Klavierkonzert Nr. 1 e-Moll op. 11<br />

Janne Mertanen, Klavier<br />

Joensuu City Orchestra<br />

Ltg.: Hannu Koivula<br />

Alba ABCD 247<br />

(Vertrieb: Klassik Center)<br />

H ÖREINDRUCK<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➎➏<br />

Klang: ❶❷❸❹➎➏<br />

Repertoirewert: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Dass er das Klavier ein wenig uncharmant<br />

als „Klanggrube“ bezeichnet,<br />

das in der Lage sei, in einen orchestralen<br />

„Klangturm“ umzuschlagen,<br />

darf nicht über die hohe Achtung<br />

hinwegtäuschen, die Wolfgang<br />

Rihm diesem Instrument entgegenbringt.<br />

Den Begriff der Taste und<br />

des Tastens nimmt er dabei wörtlich<br />

und lässt seine Stücke zuweilen ganz<br />

intuitiv aus einem subjektiven Empfinden<br />

herauswachsen. Freilich sind<br />

sie dennoch gebaut und strukturiert,<br />

auch wenn es sich um Mischformen<br />

aus freier Entwicklung und formalstrenger<br />

Konstruktion handelt. Das<br />

Klavierstück Nr. 4 etwa aus Rihms<br />

früher Schaffensphase 1974 entstand<br />

im Zuge des Orchesterwerks<br />

„Dis-Kontur“ und ist nach der<br />

Grundproportion 5:7:2:9 aufgebaut.<br />

Man kann diese Werke sehr wohl<br />

auch kühl analytisch betrachten<br />

und spielen. Nicht so der großartige,<br />

aus Düsseldorf stammende<br />

Pianist Udo Falkner, der sich in der<br />

Szene Neuer Musik einen Namen<br />

gemacht und unter anderem bei<br />

Alexis Weissenberg und Karlheinz<br />

Stockhausen Kurse besucht hat. Bei<br />

ihm erweitert sich das Rihm’sche<br />

Klavierwerk zu einem Kosmos fantasievoller<br />

Klangexperimente, ohne<br />

im Uferlosen zu zerfließen. Die dichte<br />

kompositorische Struktur Rihm’<br />

scher Partituren spiegelt sich in seiner<br />

konzentrierten Interpretation.<br />

Diese überwiegend recht knappen<br />

Stücke sind für ihn poetische Miniaturen,<br />

die ohne jeden außermusikalischen<br />

Bezug Geschichten erzählen.<br />

Ernst Hoffmann<br />

Wolfgang Rihm<br />

Klavierwerke 1966–2000<br />

Udo Falkner, Klavier<br />

Telos music records 108 (3 CD Box)<br />

(Vertrieb: Klassik Center)<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Klang: ❶❷❸➃➄➅<br />

Repertoirewert: ❶❷❸❹➎➏<br />

Zum wiederholten Male präsentiert<br />

Cyprien Katsaris bislang unveröffentlichte<br />

Aufnahmen aus seinem<br />

Privatarchiv, und wieder ist es erstaunlich,<br />

was da so ans Tageslicht<br />

kommt, nämlich mehrere Epochen<br />

der französischen Klaviermusik von<br />

Rameau über Debussy bis Boulez.<br />

Die Epochen sind freilich verschieden<br />

gewichtet, das wird allerdings<br />

durch die Güte der Interpretation<br />

mehr als nur wettgemacht. So stürzt<br />

sich Katsaris mit einem solchen Furor<br />

in Messiaens „Regard de Église<br />

de l’Amour“, dass einem der Atem<br />

stockt. Zweifellos ein Höhepunkt der<br />

Sammlung. Aber es gibt noch andere.<br />

Debussys „Six Épigraphes antiques“,<br />

die Katsaris mit feinster Sensibilität<br />

und ausgesprochen delikatem<br />

Anschlag spielt, gehören unbedingt<br />

dazu. Aber auch die Transkription<br />

von Faurés Lied „Après un<br />

rêve“ und Poulencs köstliche Miniaturen<br />

aus dem Zyklus „Villageoises“<br />

müssen dazugerechnet werden. Die<br />

Barock-Abteilung besitzt dagegen<br />

den Charakter des Marginalen,<br />

auch wenn Rameaus „Le Tambourin“<br />

gewiss ganz reizvoll und Katsaris’<br />

eigenes Arrangement eines Liedes<br />

aus der Feder Louis XIII. ganz<br />

originell ist. Ein wenig gewöhnungsbedürftig<br />

ist die von Aufnahme zu<br />

Aufnahme wechselnde Klangqualität.<br />

Und die Klaviere sind auch nicht<br />

immer vom Feinsten. Das ist besonders<br />

im Falle von Katsaris wahrlich<br />

fulminanter Deutung von Ravels<br />

„Alborada del Gracioso“ sehr zu bedauern.<br />

Wer sich mit diesem Makel<br />

abfinden kann, der wird an dieser<br />

abenteuerlichen Reise durch die<br />

französische Klaviermusik gewiss<br />

seine Freude haben. R. Nemecek<br />

Musique française de Louis XII à<br />

Boulez<br />

Werke von Jean-Philippe Rameau,<br />

Montéclair, Lully, Massenet, Fauré,<br />

Debussy, Ravel, Poulenc, Messiaen, Boulez<br />

u.a.<br />

Cyprien Katsaris, Klavier<br />

P21 024-A (2 CDs)<br />

(Vertrieb: Codaex)<br />

H<br />

89


H H ÖREINDRUCK<br />

Interpretation: ❶❷❸➃➄➅<br />

Klang: ❶❷❸➃➄➅<br />

Repertoirewert: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Drei verschiedene Themenkreise,<br />

Claudius Tanski nennt sie „Stränge“,<br />

trüge seine hier eingespielte<br />

Programmzusammenstellung. „Der<br />

erste ist der Gesang. Vom perfekten<br />

Lied (Theodor W. Adorno) ‚Auf den<br />

Flügeln des Gesanges’ über den Choral<br />

(in Mendelssohns Variations sérieuses)<br />

über den Gesang der Poesie bei Schumann,<br />

das dramatische Lied bei Liszt<br />

und den Gesang der Schmerzen des<br />

Lebens bei Mahler.“ Man kann das so<br />

machen, auch wenn dieser Bogen<br />

ein wenig gezwungen erscheint. Der<br />

Gesang, das Lied, die melodische<br />

Phrase in abertausend Variationen<br />

ist ein Grundmotiv romantischer Betrachtungsweise<br />

schlechthin. Wenden<br />

wir uns deshalb lieber dem in<br />

Essen geborenen Pianisten und<br />

Hochschulprofessor am Mozarteum<br />

Salzburg Claudius Tanski zu. Dieser<br />

liebt plastische Konturen, eine frontale<br />

Dynamik und eine energiegeladene<br />

Virtuosität. Bei Mendelssohn<br />

Bartholdys „Variations sérieuses“<br />

op. 54 scheint er vom Sturm geradezu<br />

hinweggerissen. Leidenschaftlichkeit,<br />

Pathos und Klanggröße<br />

werden aber auf die Dauer so eindimensional<br />

zur Anwendung gebracht,<br />

dass man sich auch mal einen<br />

Kontrast dazu wünschen würde.<br />

Das ist vor allem bei Schumanns<br />

Fantasie op. 17 so. Selbst der langsam<br />

getragene Schlusssatz blüht dynamisch<br />

sofort wieder auf. Tanskis<br />

zuweilen schroffe Haltung passt dagegen<br />

sehr wohl zu den Liedern eines<br />

fahrenden Gesellen von Gustav<br />

Mahler, in denen der innere Widerspruch<br />

quasi Programm ist.<br />

Ernst Hoffmann<br />

„Auf Flügeln des Gesangs“<br />

Klaviermusik von Mendelssohn Bartholdy,<br />

Schumann, Liszt und Mahler<br />

Claudius Tanski, Klavier<br />

MDG 912 1489-6<br />

(Vertrieb: Codaex)<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Repertoirewert: ❶❷❸❹⑤⑥<br />

Man kann sich der Wirkung von<br />

Herbert Schuchs Spiel kaum entziehen.<br />

Aber man kann sich durchaus<br />

über seine Sichtweise von Kompositionen<br />

streiten. War das nicht immer<br />

so, bei großen Pianisten? Ohne<br />

Schuch schon jetzt in eine Reihe zu<br />

stellen, in die er vielleicht noch nicht<br />

gehört, muss man aber dennoch<br />

seine Persönlichkeit im Spiel anerkennen,<br />

muss erkennen, dass er bei<br />

aller Eigenständigkeit in jedem Fall<br />

die Kontrolle über die Werke behält,<br />

dass er ihnen ein neues, ein frisches<br />

Gesicht zu verpassen versteht. So<br />

auch in den beiden Sonaten von<br />

Schubert D 894 und D 537, die er<br />

auf seiner neuesten CD geschickt<br />

mit Werken von Lachenmann verbindet,<br />

die sich wiederum auf den<br />

Wiener Meister beziehen. Schuberts<br />

große Sonate G-Dur D 894 erhält<br />

bei Schuch eine Tiefe, verbunden<br />

mit einem kraftvollen Klang, wie<br />

man es nicht oft bei jüngeren Pianisten<br />

erlebt. Ja, er beugt die Phrasierung<br />

oft nach seinen Ideen, weiß<br />

aber wunderbar zu singen, die Komplexität<br />

der Schreibweise von Schuberts<br />

vordergründiger Einfachheit<br />

bestens auszubalancieren. Und auch<br />

seine Programmatik mit den beiden<br />

zu Beginn und am Ende der CD präsentierten<br />

Lachenmann-Werken ist<br />

profund. Denn nicht nur, dass Lachenmann<br />

sich in seinen fünf Variationen<br />

eines Themas von Schubert<br />

bedient, sondern auch die Tonsprache<br />

erscheint plötzlich in einem vollkommen<br />

neuen Licht, einem spannenden<br />

Wechselverhältnis zu Schubert.<br />

Schuch ist ein intelligenter, ein<br />

sehr persönlicher Pianist, der zeigt,<br />

dass er auch als junger Pianist etwas<br />

zu sagen hat.<br />

Carsten Dürer<br />

Franz Schubert<br />

Klaviersonaten G-Dur D 894; a-Moll D<br />

537<br />

Helmut Lachenmann<br />

Fünf Variationen über ein Thema von<br />

Franz Schubert; Guero<br />

Herbert Schuch, Klavier<br />

Oehms Classics 593<br />

(Vertrieb: Harmonia Mundi)<br />

Interpretation: ❶❷❸➃➄➅<br />

Klang: ❶❷❸❹⑤⑥<br />

Repertoirewert: ❶❷❸➃➄➅<br />

Eigentlich sind es derzeit vor allem<br />

Kammerorchester, die neue Interpretationsakzente<br />

setzen und Repertoire<br />

wie Partituren klanglich-gestisch<br />

gewaltig verjüngen. Doch<br />

nicht so das Orchestre de Chambre<br />

de Lausanne, von dem nun mit<br />

Christian Zacharias als Solist und<br />

Dirigent die dritte Folge der Einspielung<br />

von Mozarts Klavierkonzerten<br />

vorliegt: „Das Konzert KV 453 hat alle<br />

Interpreten, die den Geheimnissen dieser<br />

Komposition erklärend beizukommen<br />

versuchen, in Verlegenheit gebracht“,<br />

ist im Beiheft zu lesen. „Umso<br />

beredter reagieren auf dieses Werk<br />

die Interpreten, die es zum Klingen<br />

bringen.“ Der Autor macht es sich<br />

ziemlich einfach, und mit ihm die<br />

Musiker. Denn genau dies tun sie,<br />

herausgekommen ist ein allzu braves,<br />

mitunter gar verstaubtes Spiel.<br />

Diesen „Wolferl“ hat man schon<br />

Dutzende Male gehört, auch im KV<br />

456 mangelt es in den schnelleren<br />

Sätzen an Verve, Esprit und Raffinesse.<br />

Lediglich in den langsamen<br />

Sätzen gelingt eine stimmungsvolle<br />

Klangpoesie, in der sich reiche Seelenlandschaften<br />

auftun. Samtweich<br />

lässt Zacharias die Töne perlen, jede<br />

einzelne Note wird modelliert. Ansonsten<br />

aber sind die Musiker bemüht,<br />

Kontrastierungen in Ausdruck<br />

und Klang zu glätten, Ausgewogenheit<br />

und unbedingte Harmonie<br />

schwebte ihnen wohl vor. Gerade<br />

deswegen kommen sie jedoch dem<br />

durchaus tragikomischen Potenzial<br />

von Mozarts Humor, jenem shakespearehaften<br />

Augenzwinkern, nicht<br />

auf die Schliche. Hier brennen nicht<br />

im Lächeln die Tränen, es wird erst<br />

gar nicht gelächelt.<br />

Marco Frei<br />

Wolfgang Amadeus Mozart<br />

Klavierkonzerte KV 453, 456<br />

Christian Zacharias, Klavier und<br />

Dirigent<br />

Orchestre de Chambre de Lausanne<br />

MDG 940 1488-6<br />

(Vertrieb: Codaex)<br />

100 3 . 08


3 . 08<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Klang: ❶❷❸❹➎➏<br />

Repertoirewert: ❶❷❸❹➎⑥<br />

„Haydn revisited“ heißt es im Titel<br />

dieser Haydn-CD von Ragna Schirmer<br />

und erinnert daran, dass die<br />

Pianistin vor Jahren schon einmal<br />

eine reine Haydn-CD eingespielt<br />

hat. Mit großem Erfolg übrigens.<br />

Das Programm mischt Sonaten, Variationenwerke<br />

und Tänze bunt<br />

durcheinander und sorgt damit für<br />

Abwechslung. Die beiden Variationszyklen,<br />

von denen einer auf<br />

dem berühmten „Gott-erhalte-<br />

Franz-den-Kaiser“-Thema beruht,<br />

sind ja auch sonst kaum zu hören.<br />

Reizvoll sind auch die Menuette<br />

Hob.IX:11, die sogenannten „Katharinen-Tänze“,<br />

und mit dem zierlichen<br />

Andante g-Moll sowie dem<br />

Allegretto G-Dur nach einem Stück<br />

für eine Flötenuhr wagt sich Schirmer<br />

auch in entlegenere Bereiche<br />

des Haydn’schen Klavierkosmos. In<br />

dem leuchten die Sonaten freilich<br />

am hellsten. Die vier von Schirmer<br />

eingespielten Werke sind kraft ihrer<br />

Ideen- und Formenvielfalt wahrhaft<br />

bedeutende Zeugnisse der Sonatenproduktion<br />

der 80er Jahre des 18.<br />

Jahrhunderts. Schirmer zeigt sich<br />

dem in jeder Hinsicht gewachsen. In<br />

den schnellen Sätzen findet sie zu<br />

einer wunderbaren Balance zwischen<br />

formkonstituierenden und<br />

subjektiven Faktoren (nur das Finale<br />

der e-Moll-Sonate wirkt etwas unkonzentriert),<br />

während die feine<br />

Empfindsamkeit der langsamen<br />

Sätze einen gerade deshalb so berührt,<br />

weil sich Schirmer eher zurücknimmt<br />

und die Musik gleichsam<br />

aus sich selbst heraus sprechen lässt.<br />

Haydn interpretieren heißt: immer<br />

wieder aufs Neue den Ausgleich zwischen<br />

Konstruktion und Emotion<br />

herzustellen. Diese Kunst beherrscht<br />

Ragna Schirmer derzeit wie kaum<br />

ein anderer Interpret. R. Nemecek<br />

Joseph Haydn Revisited<br />

Sonaten Nrn. 19, 50, 58, 59, 12 Menuette<br />

Hob.IX: 11, Variationen G-Dur nach<br />

Hob.III:77, 8 Variationen Hob.XVII.5,<br />

Andante g-Moll, Allegretto G-Dur<br />

Ragna Schirmer, Klavier<br />

BerlinClassics 0016302BC (2 CDs)<br />

(Vertrieb: Edel)<br />

H ÖREINDRUCK<br />

JAZZ<br />

Interpretation: ❶❷❸❹⑤➅<br />

Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Repertoirewert: -------------<br />

Na bitte, jetzt hat man also auch auf<br />

den Etagen der etablierten Musikkonzerne<br />

erkannt, dass mit Jazz aus<br />

deutschen Landen, zumal mit den<br />

im Moment groß angesagten Klaviertrios,<br />

Geld zu verdienen ist. Wir<br />

wollen gar nicht wissen, wie viele<br />

künstlerische Kompromisse der Pianist<br />

Bernhard Schüler eingehen<br />

musste, ehe er mit dem Plazet des<br />

betreuenden Labels Sony Classical<br />

die heiligen Hallen des Rainbow<br />

Studios in Oslo betreten durfte, in<br />

dem sonst nur die arrivierten Jazzstars<br />

unter der Ägide des Tonmeisters<br />

Jan-Erik Kongshaug aufnehmen.<br />

Viele dürften es eigentlich<br />

nicht gewesen sein, denn bereits auf<br />

dem 2002er-Debüt „First Enchantment“<br />

wusste Schüler mit gefälligem<br />

Spiel einzunehmen. Und einen Musiker,<br />

der sich auf der Suche nach<br />

der eigenen Stimme in Experimenten<br />

verliert, hätte eine Plattenfirma<br />

wie Sony eh nie unter Vertrag genommen.<br />

Kurz, in Schüler wird<br />

offensichtlich ein Pianist wahrgenommen,<br />

der mit seinem melodieorientierten<br />

Stil auch breitere Hörerschichten<br />

ansprechen dürfte. Bei<br />

den meisten Stücken wird Kongshaug<br />

ein ums andere Mal eine Art<br />

Déjà-vu-Erlebnis gehabt haben –<br />

war da nicht gerade ein Lauf, den<br />

Keith Jarrett im selben Studio vor zig<br />

Jahren gespielt hat? Andererseits<br />

wird man als Pianist kaum vermeiden<br />

können, auf die stilbildenden<br />

Mittel der Ikone Jarrett zurückzugreifen.<br />

Eine, wenn auch respektvolle<br />

Auseinandersetzung mit der jüngeren<br />

Jazzgeschichte also – hier geht<br />

es nicht postmodern beliebig zu.<br />

Weder öffnet Schüler Dissonanzen<br />

Tür und Tor, noch lässt er, und das<br />

versöhnt dann doch – allzu harmoniesüchtige<br />

Konsonanzen zu.<br />

Tom Fuchs<br />

Triosence<br />

When You Come Home<br />

Bernhard Schüler, Klavier; Matthias<br />

Nowak, Bass; Stephan Emig, Drums<br />

Sony Classical 8869 721417-2<br />

(Vertrieb: SonyBMG)<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Klang: ❶❷❸❹⑤➅<br />

Repertoirewert: -------------<br />

„Life in Leipzig“ ist nicht die erste<br />

Zusammenarbeit des Pianisten Ketil<br />

Bjørnstad mit dem Gitarristen Terje<br />

Rypdal. Doch während „Water Stories“,<br />

„The Sea“ und „The Sea II“ in<br />

Quartettbesetzung eingespielt wurden,<br />

stellen die Aufnahmen, die<br />

während der 29. Leipziger Jazztage<br />

2005 im dortigen Opernhaus entstanden<br />

sind, das erste Tondokument<br />

der beiden als Duo dar. Nun<br />

könnte einem durchaus berechtigter<br />

Zweifel aufkommen bei dem Gedanken,<br />

eine elektrisch verstärkte Gitarre,<br />

noch dazu gespielt von einem<br />

Interpreten, der nicht gerade zimperlich<br />

in Bezug auf Lautstärke ist,<br />

mit einem akustischen Flügel zu<br />

paaren. Für den Rezensenten bleibt<br />

es denn auch ein Rätsel, wie sich die<br />

Klangdynamik vor Ort entfaltet<br />

haben mag: Hier der wie ein veritabler<br />

Rockgitarrist agierende Rypdal,<br />

dort der für seine schwebenden Impressionen<br />

bekannte Pianist Bjørnstad.<br />

Auf der heimischen Stereoanlage<br />

indes wirkt das Klangbild erfreulich<br />

ausgewogen und ungetrübt.<br />

Angesichts der Minimalbesetzung<br />

weicht Bjørnstad von seinem Motto<br />

ab, dessen Gültigkeit er bei der Einspielung<br />

von „Water Stories“ (1993)<br />

für sich erkannt hatte: „Spiele nicht<br />

zuviel!“ Vor die flächigen Sounds<br />

von Rypdals Gitarre setzt er ausgiebige<br />

Moll-Kadenzen, kommentiert<br />

das oft wolkig anmutende Geschehen<br />

mit weitausholenden Läufen.<br />

Oft sind dabei die Grenzen zwischen<br />

Komposition und Improvisation bis<br />

zur Unkenntlichkeit verwischt. Was<br />

hier im Zusammenspiel entsteht,<br />

hat eine organische Qualität bar<br />

jeglichen Kalküls.<br />

Tom Fuchs<br />

Ketil Bjørnstad / Terje Rypdal<br />

Life in Leipzig<br />

Ketil Bjørnstad, Klavier; Terje Rypdal,<br />

Gitarre<br />

ECM 2052<br />

(Vertrieb: Universal)<br />

H<br />

101


H H ÖREINDRUCK<br />

Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />

Klang: ❶❷❸❹⑤➅<br />

Repertoirewert: -------------<br />

An Selbstbewusstsein hat es ihm<br />

noch nie gemangelt, dem heute 37jährigen<br />

Pianisten Brad Mehldau.<br />

Ganz schön prätentiös klang es, als<br />

er 1997 zusammen mit dem Bassisten<br />

Larry Grenadier und dem<br />

Schlagzeuger Jorge Rossy eine erste<br />

CD unter dem Titel „The Art of the<br />

Trio“ vorlegte. Trotzdem: Das Konzept<br />

ging auf, so gut, dass es die<br />

„Triokunst“ auf insgesamt vier Fortsetzungen<br />

brachte. Ein Ende scheint<br />

nicht in Sicht. Mehldau, der sich<br />

gelegentlich mit merkwürdig eklektischen<br />

Aufnahmen, wie dem 2002<br />

erschienenen „Largo“, aus dem Trioformat<br />

löst, braucht seine beiden<br />

Brüder im Geiste (2005 ersetzte Jeff<br />

Ballard Rossy). Nun fügt er der<br />

Geschichte des Trios ein weiteres Kapitel<br />

hinzu. Das schlicht mit „Live“<br />

betitelte Doppelalbum wurde an<br />

vier Abenden im Oktober 2006 im<br />

New Yorker „Village Vanguard“ aufgezeichnet<br />

und es sind einmal tönende<br />

Beweise für Mehldaus These,<br />

dass Kompositionsprinzipien von<br />

Bach und Brahms für den Jazz nutzbar<br />

gemacht werden können, wenn<br />

man nur die kompositionstechnisch<br />

simplen Schemata der harmoniegebundenen<br />

Improvisation durchbricht<br />

und so zu einer höheren Qualität<br />

der Stimmführung gelangt, als<br />

gemeinhin üblich.<br />

Es ist schon fast beängstigend, wie<br />

mühelos es Mehldau gelingt, beim<br />

schon obligatorischen Ausflug in die<br />

Popwelt (diesmal macht die Oasis-<br />

Hymne „Wonderwall“ den Anfang)<br />

minutenlang eine Spannung aufrechtzuerhalten,<br />

die man dem ursprünglichen<br />

Song so nicht zugetraut<br />

hätte. Wie er Soundgardens<br />

brachial daherkommendes „Black<br />

Hole Sun“ zähmt und mit einer eigenen<br />

Trademark versieht, das ist hohe<br />

Kunst.<br />

Tom Fuchs<br />

Brad Mehldau Trio<br />

Live<br />

Brad Mehldau, Klavier; Larry<br />

Grenadier, Bass; Jeff Ballard, Drums<br />

Nonesuch 7559799565<br />

(Vertrieb: Warner)<br />

Interpretation: ❶❷❸➃➄➅<br />

Klang: ❶❷❸❹⑤➅<br />

Repertoirewert: -------------<br />

Es ist derzeit so eine Sache mit den<br />

jungen Piano-Jazztrios. Einerseits<br />

darf man sich eigentlich nur freuen<br />

über die Bereitschaft von Plattenfir-<br />

men, den hiesigen Talenten ein<br />

Forum zu bieten. „Spiegel Online“-<br />

Autor Hans Hielscher ortete jüngst<br />

„annähernd ein Dutzend Trio-Neuerscheinungen<br />

in diesem Frühjahr“.<br />

Zum anderen jedoch kann man sich<br />

nicht des Eindrucks erwehren, als<br />

würde jedes halbwegs seriös geführte<br />

Jazzlabel angesichts der Erfolge<br />

des E.S.T. Trios unter allen Umständen<br />

auch „sein“ Klaviertrio an das<br />

Licht der Öffentlichkeit bringen wollen,<br />

frei nach dem olympischen<br />

Motto „Dabeisein ist alles“. Doch<br />

Vorsicht, mit dieser fast schon inflationären<br />

Entwicklung geht die Gefahr<br />

einer gewissen Übersättigung<br />

einher, das Gespür des Hörers für<br />

das Substanzielle, für das über die<br />

bloße Aktualität hinaus Bleibende<br />

droht zu schwinden. So muss man<br />

denn auch bei der zweiten CD des<br />

Benjamin Schaefer Trios lange suchen,<br />

ehe der Blick haften bleibt: Es<br />

ist die vorletzte Komposition auf<br />

dem Albums „Nordlicht“, die nachhaltig<br />

beeindruckt: ein romantisch<br />

mäanderndes Kleinod inmitten von<br />

mehr oder weniger zu vernachlässigenden<br />

pianistischen Petitessen.<br />

Wobei nicht gesagt werden soll,<br />

dass der gebürtige Braunschweiger,<br />

der seine Ausbildung an der Kölner<br />

Musikhochschule absolviert hat,<br />

nichts mitzuteilen hätte. Aber dem<br />

Nachfolgealbum von „Shapes And<br />

Colours“ fehlt über weite Teile betrachtet<br />

die Klarheit und Tiefenschärfe<br />

des Debüts. Von der Art des<br />

erwähnten „Nordlichts“ und der<br />

prägnanten Rhythmik der funkig<br />

angehauchten „Honourfield Parade“<br />

hätte man sich mehr gewünscht.<br />

Tom Fuchs<br />

Benjamin Schaefer Trio<br />

Roots And Wings<br />

Benjamin Schaefer, Klavier; Robert<br />

Landfermann, Bass; Marcus Rieck,<br />

Drums<br />

Enja ENJ-9515 2<br />

(Vertrieb: Soulfood)<br />

KURZKRITIKEN<br />

In letzter Zeit erschienen<br />

eine<br />

ganze Reihe von<br />

CDs, die das Thema<br />

„Das Klavier<br />

und die Romantik“<br />

nicht nur rein<br />

musikalisch, sondern<br />

auch inhaltlich<br />

zu beleuchten versuchen. Auch diese<br />

Veröffentlichung reiht sich hier ein – mit<br />

einer fast gewagten Zusammenstellung<br />

aus romantisch durch Busonis virtuose<br />

Brille aufgelade-<br />

nenBachchorälen,Chopin-Balladen und Liszt-<br />

Transkriptionen.<br />

Die Pianistin Caroline<br />

Doerge<br />

Alassion strebt<br />

ganz offensichtlich<br />

wie ihre Vorgänger<br />

des 19.<br />

Jahrhunderts<br />

nach Grenzüberschreitungen,de-<br />

Ferrucio Busoni<br />

Vier Transkriptionen von<br />

Choralpräludien von<br />

Johann Sebastian Bach<br />

Frédéric Chopin<br />

Balladen Nr. 1, 2 und 4<br />

Franz Liszt<br />

Transkription über Franz<br />

Schuberts „Die Forelle“;<br />

Konzertparaphrase über<br />

den Walzer aus „Faust“<br />

von Gounod<br />

gutingi 239<br />

(Vertrieb: charisma<br />

Musikproduktion)<br />

nen man auch als Hörer sehr gerne folgt,<br />

und die nicht nur auf musikalischer<br />

Ebene zu finden sind: Als Dichter-Musikerin<br />

überrascht die Interpretin im<br />

Booklet mit einem rätselhaften, aber offensichtlich<br />

von romantischen Nachtgedanken<br />

inspirierten Gedicht.<br />

Oliver Buslau<br />

Der Titel dieser<br />

CD lautet „Moments<br />

musicaux“<br />

und enthält nicht<br />

ein einziges Schubert-Werk<br />

aus<br />

dessen so bezeichneterberühmterWerkserie.<br />

Die Litauerin und Preisträgerin des<br />

Abstract Securities Landor Competition<br />

Evelina Puzaite spielt stattdessen die<br />

kantigen „Dances of Marosszek“ von<br />

Zoltán Kodály<br />

und eine Folge<br />

von Präludien<br />

ihres Landsmanns<br />

Mikalojus<br />

Ciurlionis. Beide<br />

Werke sind voll<br />

ungewohnter<br />

Klangfarben, die<br />

Moments Musicaux<br />

Werke von Zoltán Kodály,<br />

Mikalojus Ciurlionis,<br />

Franz Liszt und Sergej<br />

Rachmaninow<br />

Evelina Puzaite, Klavier<br />

Landor Records 281<br />

(Vertrieb: SunnyMoon)<br />

mit aparten Mitteln arbeiten und von<br />

Puzaite mit Spannung geladen fast in<br />

einem erzählerischen Duktus dargeboten<br />

werden. Ihr Spiel zeichnet sich durch<br />

eine große Ruhe und Durchformung aus.<br />

Sie lässt den Dingen Zeit, selbst wenn<br />

Franz Liszt in seinen „Trois Études de<br />

Concert“ unabwendbar vorwärtsdrängt.<br />

Ernst Hoffmann<br />

102 3 . 08


3 . 08<br />

Als Komponist<br />

konnte Johann<br />

Nepomuk Hummel<br />

seinem ZeitgenossenBeethoven<br />

nicht das<br />

Wasser reichen,<br />

dafür war er bis<br />

ins hohe Alter ein<br />

gefeierter Klaviervirtuose. Ganz vorzüglich<br />

verstand sich Hummel jedoch auf<br />

das Improvisieren und die Transkription<br />

– berühmtes Zeugnis hierfür ist vielleicht<br />

sein 1829 kom-<br />

poniertesKlavierkonzert „Oberons Zauberhorn“<br />

nach<br />

der Oper „Oberon“<br />

von Weber:<br />

Das nur 19 Minuten<br />

dauernde,<br />

einsätzige Werk<br />

verarbeitet Moti-<br />

Musikerkollegen<br />

nennen ihn liebevoll<br />

„Mr. Beautiful“,<br />

und die Art,<br />

wie der Pianist<br />

George Cables<br />

spielt, hat in der<br />

Tat etwas Schönes;<br />

schön im Sinne<br />

von Leidenschaft, die sich speist aus<br />

einer schier unerschöpflichen Kenntnis<br />

des klassischen Kanons wie auch der<br />

Jazzgeschichte. Cables nutzt die ihm<br />

großzügig einge-<br />

räumteSpielwiese von immerhin<br />

zwei CD-Längen,<br />

um sich in mitunterausschweifendenGedan-<br />

Johann Nepomuk<br />

Hummel<br />

Oberons Zauberhorn,<br />

Variationen in F,<br />

Variationen in B u.a.<br />

Christopher<br />

Hinterhuber, Klavier<br />

Gävle Symphony<br />

Orchestra<br />

Ltg.: Uwe Grodd<br />

Naxos 8.557845<br />

ve aus seiner Vorlage zu einem quirligverspielten,<br />

dabei stellenweise äußerst<br />

elegisch und feinsinnig anmutenden<br />

Potpourri. Eine Bandbreite, die der österreichische<br />

Pianist Christopher Hinterhuber<br />

mit dem Gävle Symphonie Orchestra<br />

voll auslotet: Wir begegnen einem<br />

ebenso akkuraten wie leidenschaftlichen<br />

Pianisten, der auch in den anderen<br />

Stücken Witz und geistige Noblesse<br />

brillant zusammenbringt. Rafael Sala<br />

George Cables<br />

You Don’t Know Me<br />

Kind Of Blue KOB<br />

10024 (2 CDs)<br />

(Vertrieb: Rough<br />

Trade)<br />

ken über die Solo-Performance zu verlieren.<br />

Seine mit extrem schnellen Läufen<br />

und überraschenden Wendungen vorgebrachten<br />

Reflexionen über Standards<br />

wie „My Foolish Heart“, „Waltz For<br />

Debby“ oder „Stella By Starlight“ leiden<br />

etwas unter dem übermäßigen Gebrauch<br />

von Arpeggios und Glissandi à la<br />

Art Tatum, bei den Eigenkompositionen<br />

dagegen beschränkt sich Cables auf das<br />

Wesentliche. Für die Liebhaber von Solo-<br />

Pianoaufnahmen ein nur gelegentlich<br />

getrübter Hörgenuss.<br />

Tom Fuchs<br />

H ÖREINDRUCK<br />

Oft hört man dies<br />

nicht, wenn sich<br />

eine eh schon<br />

spärlich besetzte<br />

Formation auf<br />

wenige Töne beschränkt.<br />

Das garantiert<br />

dem<br />

französischen Pianisten<br />

Jobic Le Masson zwar die konzentrierte<br />

Aufmerksamkeit des Hörers, doch<br />

bald entpuppt sich der Vortrag dieses<br />

Klaviertrios auf volle Albumlänge betrachtet<br />

als eher<br />

quälende Angelegenheit.<br />

Zwar<br />

ist der „Spirit“<br />

von Monk und<br />

gelegentlich<br />

Jobic Le Masson Trio<br />

Hill<br />

Enja 063757951629<br />

(Vertrieb: Soulfood)<br />

auch Ellington in dieser Musik zu spüren<br />

(die Titel „Evidence To The Contrary“<br />

und „Monk Medium“ sprechen eine<br />

deutliche Sprache), doch wäre Jobic Le<br />

Masson besser beraten gewesen, auf die<br />

enervierenden Staccati seiner Linken zu<br />

verzichten, zumal sie durch die Überpräsenz<br />

des Flügels im Klangbild nur noch<br />

mehr verstärkt erscheinen. Unter einem<br />

Hörvergnügen ist gewiss etwas anderes<br />

zu verstehen.<br />

Tom Fuchs<br />

Es ist nicht immer<br />

angeraten, unbekannteFrühwerke<br />

von bekannten<br />

Komponisten einzuspielen,<br />

nur<br />

weil sie unbekannt<br />

sind. Beethovens<br />

„nulltes<br />

Klavierkonzert“ in Es-Dur zum Beispiel,<br />

das der Komponist wahrscheinlich mit<br />

12 Jahren öffentlich spielte, zeigt sich als<br />

gut abgearbeitetes Formmodell – kompositorisch<br />

und in<br />

seinen technischenAnsprüchen<br />

für einen so<br />

jungen Menschen<br />

sicher erstaunlich,<br />

aus<br />

heutiger Sicht jedochüberraschendkurzatmig,<br />

ja platt, vor<br />

allem in der einzig<br />

erhaltenen<br />

Version für Soloklavier:<br />

Ein schö-<br />

Ludwig van<br />

Beethoven<br />

Klavierkonzert Nr. 2 B-<br />

Dur op. 19,<br />

Klavierkonzert Es-Dur<br />

WoO 4 (Solofassung),<br />

Konzertrondo B-Dur<br />

WoO 6<br />

Annette Töpel, Klavier<br />

Harleshäuser<br />

Kammerorchester<br />

Ltg.: Matthias<br />

Enkemeier<br />

musicaphon M 56882<br />

(Vertrieb: Klassik<br />

Center)<br />

nes Beispiel dafür, dass „unbekannt“<br />

nicht gleich „zu Unrecht unbekannt“ heißen<br />

muss. Annette Töpel kombiniert das<br />

Stück mit zwei weiteren frühen, aber<br />

durchaus bekannten Klavierkonzertwerken<br />

Beethovens. Die Aufnahme<br />

krankt am spannungslosen, nicht ganz<br />

fehlerfreien Orchesterspiel des Harleshäuser<br />

Kammerorchesters, das freilich<br />

nicht nur aus Profis besteht.<br />

Oliver Buslau<br />

Das Klavierkonzert<br />

Nr. 12 A-Dur<br />

gehört zu den<br />

Kompositionen,<br />

mit denen sich<br />

Mozart dem Wiener<br />

Publikum<br />

1783 als Virtuose<br />

vorstellte. Es ist<br />

ein strahlendes, freudiges A-Dur-Werk<br />

im Gegensatz zum düster-dramatischen<br />

Konzert Nr. 24 – Pollini stellt sie bei dieser<br />

ersten vom Klavier aus geleiteten<br />

Aufnahme neben-<br />

einander. Zwar<br />

weniger berühmt<br />

als Nr. 24, ist das<br />

Konzert Nr. 12<br />

ebensolch ein<br />

Meisterwerk und<br />

ein Ausbund klassischerFarbenundMelodienvielfalt.<br />

Pollini sucht<br />

sich mit den Wie-<br />

ner Philharmonikern wieder den erstklassigen<br />

Dialogpartner, mit dem auch<br />

die Mozart-Einspielung der Konzerte 17<br />

und 21 von 2006 schon zum großen<br />

Erfolg wurde. Pollini knüpft bei aller solistischen<br />

Brillanz am Klavier an das ausgewogene<br />

Zwiegespräch an und legt<br />

seine technisch und musikalisch vollendete<br />

Interpretation vor.<br />

Isabel Fedrizzi<br />

Peter Tschaikowskys<br />

drei große<br />

Handlungsballette<br />

„Schwanensee“,<br />

„Dornröschen“<br />

und „Der Nussknacker“<br />

gehören<br />

zu den glorreichsten<br />

Schöpfungen<br />

des Tanztheaters aller Zeiten. Zu allen<br />

drei abendfüllenden Bühnenwerken existieren<br />

Orchestersuiten und nur zum<br />

Nussknacker gibt es keine vierhändige<br />

Transkription. Der Komponist selbst gab<br />

sie in Auftrag,<br />

welche Stücke<br />

ausgewählt wurden<br />

und Eingang<br />

in Suiten fanden,<br />

war Sache des<br />

jeweiligen Kompilators,<br />

der<br />

nicht immer der<br />

Komponist sein<br />

musste. Vom melodischenÜber-<br />

Wolfgang Amadeus<br />

Mozart<br />

Klavierkonzerte Nr.12<br />

KV 414 & Nr. 24 KV 491<br />

Maurizio Pollini,<br />

Klavier<br />

Wiener<br />

Philharmoniker<br />

Deutsche<br />

Grammophon 477<br />

7167<br />

(Vertrieb: Universal)<br />

Peter I.<br />

Tschaikowsky<br />

Ballettsuiten<br />

Dornröschen,<br />

Schwanensee,<br />

Nussknacker:<br />

Transkriptionen f.<br />

Klavier zu 4 Händen<br />

Aurora Duo (Julia<br />

Severus & Alina<br />

Luschtschizkaja),<br />

Klavier<br />

Naxos 8.570418<br />

schwang der effektvollen Stücke lässt<br />

sich das Aurora Duo zu zu viel Kraft an<br />

den Tasten verleiten, zu wenig Geheimnisvolles<br />

und Zartes erlaubt dem Ohr,<br />

sich zwischendurch zu entspannen. Berauschend<br />

sind die energisch-dramatischen<br />

Passagen, im Leisen fehlt es an<br />

dynamischen Abstufungen.<br />

Isabel Fedrizzi<br />

H<br />

103


H H ÖREINDRUCK<br />

Mit ihrem Blick<br />

auf die Impromptus<br />

D 899 verfällt<br />

die große französische<br />

Dame des<br />

Klaviers, Brigitte<br />

Engerer, einem<br />

eher romantischen<br />

Ideal, das<br />

etwas zu parfümiert wirkt. Nicht umsonst<br />

hat sie diese CD mit dem Motto<br />

„Hymne an die Nacht“ überschrieben,<br />

auch wenn dies mit Hinblick auf die von<br />

ihr grandios,<br />

kraftvoll und<br />

perlend-volkstümlich<br />

gespielte<br />

„Wanderer-Fantasie“<br />

ein wenig<br />

weit hergeholt<br />

scheint. Faszinierend<br />

und „gesanglich“<br />

wie<br />

technisch brillant<br />

gelingen ihr<br />

Verkehrte Welt:<br />

Im Booklet hebt<br />

ein Schüler zum<br />

Lob über seinen<br />

Lehrherrn an.<br />

Michael Wollny<br />

hat insgesamt<br />

zehn Jahre Klavier<br />

bei dem<br />

Würzburger Dozenten Chris Beier studiert,<br />

der nun, offensichtlich im Fahrtwind<br />

des weitaus bekannteren Eleven,<br />

seine erste Solo-CD veröffentlichen kann.<br />

Sei’s drum, was<br />

Beier hier vorlegt,<br />

hat durch<br />

das Handicap einer<br />

tückischen<br />

Krankheit, die<br />

Franz Schubert<br />

Impromptus Op. 90 D<br />

899; Kuppelwieser<br />

Walzer; Wanderer-<br />

Fantasie<br />

Schubert / Liszt<br />

Liedtranskriptionen<br />

Brigitte Engerer,<br />

Klavier<br />

Mirare 043 (Vertrieb:<br />

Harmonia Mundi)<br />

die Schubert-Lied-Transkriptionen von<br />

Liszt. Engerer bleibt eine schillernde<br />

Pianistin, die ihren eigenen Stil findet<br />

und – in den richtigen Werken – zu überzeugen<br />

versteht.<br />

Carsten Dürer<br />

Chris Beier<br />

Aeolian Green<br />

ACT 9757-2<br />

(Vertrieb: edel)<br />

den Bewegungsablauf unvorhersehbar<br />

hemmt, nur gewonnen. Pianistische<br />

Glanzstücke sind nicht zu erwarten auf<br />

„Aeolian Green“, dafür jedoch sehr persönliche<br />

Statements, die meist auf die<br />

Kraft weniger wohlbedachter Töne setzen.<br />

Ein spektrales Selbstporträt, das viel<br />

Souveränität und Ruhe ausstrahlt, aus<br />

der sich immer neue Klangfarben entwickeln.<br />

Tom Fuchs<br />

Mozarts d-Moll-<br />

Klavierkonzert<br />

mit Leif Ove<br />

Andsnes als Pianist<br />

und Dirigent<br />

zugleich – da ist<br />

die Erwartungshaltung<br />

groß.<br />

Der Star aus Norwegen<br />

überrascht mit einer durch und<br />

durch klassizistischen Spielweise: Zügige<br />

Tempi, eine oft staccatoartige Zuspitzung,<br />

eine fast schwebende Dynamik,<br />

die kaum Ent-<br />

wicklungenzulässt – all das<br />

veredelt, ja sublimiert<br />

die Dramatik,<br />

die von diesem<br />

Werk ausgeht.Jedermanns<br />

Sache<br />

wird diese Ein-<br />

spielung mit dem Norwegian Chamber<br />

Orchestra also nicht sein, da das Düstere<br />

und Melancholische dadurch wesentlich<br />

abflachen. Dafür haben wir hier – wie<br />

auch im Klavierkonzert KV 453 – einen<br />

Mozart in der besten Tradition einer<br />

„nüchternen“, das heißt unaufgeregten<br />

Spielweise, die von Manierismen meilenweit<br />

entfernt ist, vielmehr durch Eleganz<br />

bezaubert.<br />

Rafael Sala<br />

Für das Label<br />

EMI hat der italienische<br />

Pianist<br />

Paolo Bordoni<br />

bereits sämtliche<br />

Walzer von Franz<br />

Schubert auf zwei<br />

CDs eingespielt.<br />

Eine Auswahl des<br />

reichen Schaffens des Komponisten auf<br />

diesem Gebiet ist auch beim Schweizer<br />

Label Divox erschienen. Dabei handelt<br />

es sich um die Wiederveröffentlichung<br />

einer Koproduk-<br />

tion mit Radio Lugano<br />

Rete aus<br />

dem Jahr 1994,<br />

die einer weitreichenden<br />

digitalen<br />

Bearbeitung unterzogen<br />

wurde.<br />

Musikalisch ansprechend<br />

und<br />

mit Sinn für die<br />

Leichtigkeit dieser<br />

Miniaturen gestaltet<br />

Bordoni die<br />

Tänze. Damit gibt<br />

er dieser Neuauflage<br />

– neben der<br />

Wolfgang Amadeus<br />

Mozart<br />

Klavierkonzerte 20 d-Moll<br />

und 17 G-Dur<br />

Leif Ove Andsnes,<br />

Pianist und Dirigent<br />

Norwegian Chamber<br />

Orchestra<br />

EMI Classics 5 00281 2<br />

Franz Schubert<br />

16 Deutsche Tänze op.<br />

33 D 783, Galopp op.<br />

49 D 735, 17 Deutsche,<br />

genannt „Ländler“ D<br />

366, Menuett D 600, 11<br />

Ecossaises D 781, 12<br />

„Wiener Deutsche” D<br />

128, Variation über<br />

einen Walzer von<br />

Diabelli D 718, 12<br />

Ländler op. posth. 171<br />

D 790, 2 Scherzi D 593:<br />

Allegretto & Allegro<br />

moderato<br />

Paolo Bordoni, Klavier<br />

Divox CDX 25251-2<br />

(Vertrieb: Musikwelt)<br />

ausgesuchten Zusammenstellung der<br />

Stücke – eine Berechtigung.<br />

Anja Renczikowski<br />

Ein Gedicht, das<br />

keine Rätsel aufgibt,<br />

birgt auch<br />

keine Geheimnisse,<br />

heißt es in<br />

der Literatur. Diese<br />

Weisheit trifft<br />

auch auf die Musik<br />

zu, speziell auf<br />

die Klavierwerke Schuberts, der an der<br />

Schwelle zwischen Klassik und Romantik<br />

steht und die Zuhörer, wie kaum ein<br />

anderer Komponist, verzaubern kann.<br />

Allerdings ge-<br />

lingt dies bei der<br />

„Wanderer-Fantasie“,<br />

die zu den<br />

weltweit meistgespielten<br />

Werken<br />

gehört, nur noch,<br />

wenn man bereit<br />

ist zu experimentieren<br />

und die<br />

ausgetretenen<br />

Franz Schubert<br />

Wanderer-Fantasie<br />

Franz Liszt<br />

Dante-Sonate<br />

Liszt / Schubert<br />

Der Doppelgänger, Die<br />

Nebensonnen<br />

u.a. Werke<br />

Ferenc Vizi, Klavier<br />

Satirino Records SR 071<br />

Pfade zu verlassen. Leider gelingt dies<br />

dem Rumänen Ferenc Vizi gerade nicht:<br />

Sein Spiel hat nichts Neues, es ist kühl,<br />

fantasielos, ohne jedwede Überraschung<br />

und sehr männlich. So erschließt sich der<br />

poetische Reiz nicht. Ein Manko, an dem<br />

auch Liszts Dante-Sonate leidet.<br />

Rafael Sala<br />

Große gespreizte<br />

Hände, mit geschlossenenAugen<br />

blickt die Frau<br />

zur Seite. Weil das<br />

Cover Kitsch suggeriert,präsentiert<br />

sich Mûza<br />

Rubackyé auf ihrer neuesten Live-CD<br />

wenig vorteilhaft. Denn eigentlich hat<br />

die litauische Pianistin, die in Frankreich<br />

lebt, etwas zu sagen – dies zeigen zumindest<br />

ihre ausdrucksvielfältigen Interpretationen<br />

von Jo-<br />

hann Sebastian<br />

Bachs Präludium<br />

(Fantasie) BWV<br />

922 und der<br />

Sonate Op. 110<br />

von Ludwig van<br />

Beethoven. Mit<br />

authentischem<br />

Pathos, das eben<br />

nie ins Gekünstelte<br />

abgleitet,<br />

Bach, Bach/Busoni,<br />

Beethoven,<br />

Schubert/Liszt<br />

1. Französische Suite,<br />

Präludium (Fantasie),<br />

Chaconne, Sonate op.<br />

110, 32 Variationen<br />

WoO 80, Erlkönig<br />

Mûza Rubackyé,<br />

Klavier<br />

Lyrinx LYR 2238<br />

(Vertrieb: Musikwelt)<br />

begegnet sie den gewichtigen Partituren.<br />

Mutig wagt sie Kontrastierungen, wo<br />

andere verhalten dümpeln. Schade nur,<br />

dass sie Bachs 1. Französische Suite zu<br />

seicht herunterspielt. Dafür aber durchdringt<br />

sie intensiv Beethovens 32 Variationen<br />

WoO 80.<br />

Marco Frei<br />

104 3 . 08


3 . 08<br />

Mit Glocken haben<br />

sich Komponisten<br />

immer<br />

wieder auseinandergesetzt.<br />

Mit<br />

welcher Gewalt<br />

etwa lässt Mussorgsky<br />

die Glocken<br />

bei der Zarenkrönung<br />

in „Boris Godunow“ mit orchestralen<br />

Mitteln schwingen. Hier nun<br />

also Carillons, Bells und Glocken aus der<br />

Klaviermusik inklusive einem Melodram<br />

mit dem Titel „The Bells“ von dem mexi-<br />

kanischenPianisten Stefan Litwin<br />

selbst. David Moss<br />

rezitiert zu den<br />

disparaten Klanginseln<br />

dieser Komposition<br />

Verse von<br />

Edgar Allan Poe<br />

voller Ironie und<br />

Groteske. Das<br />

The Bells<br />

Klavierwerke von Claude<br />

Debussy, Michael<br />

Gielen, Maurice Ravel,<br />

Stefan Litwin und Franz<br />

Liszt<br />

Stefan Litwin, Klavier<br />

Telos music TLS 075<br />

(Vertrieb: Musikwelt)<br />

zweite größere Klavierstück dieser Aufnahme<br />

ist siebensätzig, trägt den Titel<br />

„Recycling der Glocken“ und stammt von<br />

dem Dirigenten und Komponisten<br />

Michael Gielen. Dass sich das Bild der<br />

Glocken auf ein Gedicht von Klaus Arp<br />

bezieht und eher als surrealistischer<br />

Gestus betrachtet wird, obwohl eine reale<br />

Glocke erklingt, kommt in Litwins vielgestaltiger<br />

Interpretation zum Ausdruck.<br />

Helmut Peters<br />

Etwas diffus ist<br />

im Beiheft zu Sira<br />

Hernández’ CD<br />

mit wenig bekanntenKlavierwerken<br />

von Isaac<br />

Albéniz zu lesen,<br />

dass dessen frühere<br />

Stücke in einem<br />

„neoromantischen Stil“ gehalten<br />

seien. Tatsächlich aber ist Walzern wie<br />

„Champagne (Carte-blanche)“ von 1888<br />

ein ordentlicher Schuss Salon beigemengt.<br />

Hingegen<br />

ist im dreisätzigen<br />

„Rêves“ von 1891,<br />

in dem sich ein<br />

„impressionistischer<br />

Stil“ ankündigen<br />

soll, die<br />

Nähe zu Frédéric<br />

Chopin unüberhörbar.<br />

Ein spa-<br />

Isaac Albéniz<br />

Champagne,<br />

L’Automne, Rêves, Les<br />

Saisons, Espagne (souvenirs)<br />

Sira Hernández,<br />

Klavier<br />

La mà de guido LMG<br />

2079<br />

nisch gebrochener Impressionismus wird<br />

erst sechs Jahre später in „Espagne (souvenirs)“<br />

erreicht: Hier ist der originale<br />

Albéniz zu hören. So zaubert Hernández<br />

ein vielfältiges Porträt aus den Tasten,<br />

das die kompositorische Entwicklung des<br />

Katalanen nachzeichnet – perlend und<br />

wohlgestaltet.<br />

Marco Frei<br />

H H<br />

ÖREINDRUCK<br />

So wie in der Gegenwart<br />

manche<br />

Männer mit Luxusautos<br />

als Potenzprothesen<br />

zu<br />

imponieren versuchen,<br />

wollte<br />

Henri Herz im 19.<br />

Jahrhundert mit<br />

der Bravuramanie seiner Klaviermusik<br />

Eindruck schinden. Zum pianistischen<br />

Amüsement für Hörer und des Interpreten<br />

Philip Martin selbst sind hier nun<br />

„Deuxième thè-<br />

me original avec<br />

introduction et<br />

variations“ in<br />

CD-Premieren<br />

aufgenommen,<br />

eine verrückte<br />

Henri Herz<br />

Klaviermusik<br />

Philip Martin, Klavier<br />

Hyperion CDA67606<br />

(Vertrieb: Codaex)<br />

Ragtime-Schnulze. Die Opernparaphrase<br />

„Non piú mesta” nach Rossini schlägt<br />

ein spieltechnisches Pfauenrad nach<br />

dem anderen, erst recht „Le mouvement<br />

perpétuel“, eine „Notenschleuder“ par<br />

excellence. Über die sentimentalen<br />

„Trois Nocturnes caracteristique“ bereitet<br />

Philip Martin dann den Weg zu atemberaubenden<br />

„Variationen“ amerikanischer<br />

Hymnen wie dem Yankee Doodle,<br />

die in unfreiwilliger Komik kaum zu<br />

überbieten sind. Dennoch bleibt die<br />

Brillanz und Konsequenz dieses Glamourrepertoires<br />

zu bewundern.<br />

Hans-Dieter Grünefeld<br />

Den Versuch eines<br />

neuen Interpretationsansatzes<br />

verspricht die<br />

CD des französischen<br />

Pianisten<br />

Patrick Scheyder.<br />

Fernab von eingetretenenInterpretationen<br />

möchte er die Musik von Franz<br />

Liszt neu erfahrbar machen. Sein Anliegen<br />

ist es, die Musik so zu spielen, wie<br />

sie seiner Meinung nach zu Liszts Zeiten<br />

geklungen ha-<br />

ben könnte. Zwei<br />

Elemente sind<br />

ihm dabei wichtig:<br />

Zum einen<br />

das Spiel auf einem<br />

historischen<br />

Instrument, einemPleyel-Flü-<br />

Franz Liszt<br />

Funérailles, Paysage,<br />

Mazeppa, Improvisation<br />

u. a.<br />

Patrick Scheyder,<br />

Klavier<br />

Alpha 119<br />

(Vertrieb: Note 1)<br />

gel aus dem Jahr 1846, dessen Klang und<br />

Mechanik Scheyder weitgehend beeinflusst<br />

haben. Zum anderen hinterlässt<br />

jedoch Scheyders Affinität zur Improvisation<br />

einen verwirrenden Eindruck.<br />

Sehr frei gestaltet der Pianist die bekannten<br />

Klavier-Klassiker von Liszt. Zudem<br />

stellt er an den Schluss noch völlig unmotiviert<br />

eine eigene Improvisation.<br />

Scheyder versteht seine Interpretation<br />

als ästhetisches und klangliches Experiment.<br />

Mit aphorismenartigen Ausflügen<br />

in die Welt von Liszt und Chopin<br />

versucht er in seinem Booklettext diese<br />

Idee zusätzlich verständlich zu machen.<br />

Ganz schlüssig ist das Konzept aber letztlich<br />

nicht. Anja Renczikowski<br />

Es muss nicht immer<br />

das E.S.T.<br />

Trio sein, von der<br />

illustren Klaviertrio-Gilde<br />

der Nobelmarke<br />

ECM<br />

ganz zu schweigen.<br />

Ohne viel<br />

Aufhebens hat<br />

eine weitere Kleinformation mit skandinavischen<br />

Wurzeln, das schwedischdeutsche<br />

Tingvall Trio, einen vorderen<br />

Platz im Interpretenspektrum eingenommen,<br />

der ihm<br />

langfristig die<br />

Aufmerksamkeit<br />

des Publikums<br />

sichern dürfte.<br />

„Norr“ – Norden<br />

Tingvall Trio<br />

Norr<br />

Skip 4037688907723<br />

(Vertrieb: Soulfood)<br />

– heißt das zweite Album, es widerlegt<br />

aber bereits mit den ersten luziden<br />

Takten die Vermutung, es handele sich<br />

hier um eine mit skandinavischer<br />

Schwerblütigkeit vorgetragene Klangmelange<br />

– der karibischen Herkunft des<br />

Bassisten Omar Rodriguez Calvo sei’s<br />

geschuldet. Die Rhythm Section erhält<br />

möglichst viel Raum, um Eigenes beizutragen,<br />

und doch folgt alles einem Pfad:<br />

Den gibt Pianist und – nur nomineller –<br />

Leader Martin Tingvall vor, der zudem<br />

seine fulminante Technik an das gebotene<br />

Swing-Gefühl koppelt.<br />

Tom Fuchs<br />

Er sei auf einer<br />

kleinen Insel an<br />

der Westküste<br />

Norwegens aufgewachsen,<br />

wo<br />

es immer sehr<br />

windig war, erklärt<br />

Leif Ove<br />

Andsnes. Seine<br />

Heimat sei zudem ein ziemlich großes<br />

Land mit nur wenigen Menschen. Bei<br />

den späten Schubert-Sonaten dieser<br />

Aufnahme sucht der Pianist weder nach<br />

den vielfach ver-<br />

borgenenAnzeichen für Sturm<br />

noch nach der Depression<br />

des Einsamen,<br />

sondern<br />

nach Licht, Frische<br />

und Zuversicht.<br />

Gerade die<br />

Franz Schubert<br />

Späte Klavier-Sonaten D<br />

950, D 958, D 959, D<br />

960<br />

Leif Ove Andsnes,<br />

Klavier<br />

EMI Classics 50999 5<br />

16448 2 6 (2 CDs)<br />

c-Moll-Sonate D 958 mit ihren schwarz<br />

sich auftuenden Abgründen auch im zarten<br />

Adagio sucht diese Helligkeit. Überhaupt<br />

lässt Andsnes diese Musik fließen,<br />

schafft weite Bögen und übertreibt nicht<br />

in den Akzenten. Wohl hat er die Nähe<br />

vieler dieser Sonaten zum späten Beethoven<br />

erkannt und trägt dem in der dramatischen<br />

Gestaltung etwa der A-Dur-<br />

Sonate D 959 Rechnung.<br />

Ernst Hoffmann<br />

105


V V ORSCHAU<br />

Einige der für die kommende Ausgabe für Sie aufbereiteten Themen:<br />

Itamar Golan<br />

Itamar Golan lebt seit mehreren Jahren in Paris, aber dennoch<br />

will er kein Französisch sprechen. Er bevorzugt es, sich auf<br />

Englisch auszudrücken. So spricht er langsam und leise, aber<br />

klar und fließend. Genauso wie am Klavier äußert er sich überzeugend,<br />

ohne unbedeutende Worte bei unterschiedlichen<br />

Antworten zu verlieren. Seine Ehrlichkeit und unprätentiöse<br />

Art wirken unerwartet und schon von Anfang an strahlt<br />

Itamar Golan eine freundliche Bescheidenheit aus. In Buenos<br />

Aires hat er (mit dem Star-Geiger Vadim Repin ) mehrere Konzertabende<br />

für die Saison des Mozarteum Argentino gegeben,<br />

und zwar mit großem Publikums- und Presseerfolg. Während<br />

einer Probepause am Teatro Coliseo hat der israelitische Pianist<br />

in der Hauptstadt Argentiniens mit PIANONews gesprochen.<br />

Klavier studieren in Alaska<br />

Es ist Anfang Februar: Winter, auch im nördlichsten<br />

Bundesstaat der USA, in dem unterhalb des<br />

Polarkreises gelegenen Alaska. Die University of<br />

Alaska Fairbanks streckt sich, um auch im<br />

Bereich der musikalischen Ausbildung den Anschluss<br />

an die Hochschulen anderer Bundesstaaten<br />

in den USA nicht zu verpassen. Ein hehres<br />

Ziel. Bekannt wurde diese Region, wie so viele<br />

andere in Alaska, vor allem durch ihre reichen<br />

Goldvorkommen, die Ende des 19. und Anfang<br />

des 20. Jahrhunderts dort immer wieder entdeckt und geschürft wurden. Also nicht gerade<br />

die Gegend, in der man eine qualitativ hohe Ausbildung auf Universitätsniveau erwartet?<br />

Nun, zumindest ist die Universität in Fairbanks die nördlichste, die mir bekannt ist. Und<br />

neben den Geowissenschaften, für die diese Ausbildungseinrichtung berühmt ist, wird dort<br />

auch Musik als Fachrichtung gelehrt. Und natürlich auch Klavier unterrichtet. Wir fuhren<br />

also nach Fairbanks, um uns zu informieren, wie es ist, in der nördlichsten Universität<br />

Klavier zu studieren.<br />

Flügelübersicht<br />

Vor mehr als vier Jahren haben wir bereits die<br />

Königsklasse der Flügel vorgestellt, die großen<br />

Konzertflügel aller Hersteller. In der kommenden<br />

Ausgabe nun werden wir Ihnen die Flügel in der<br />

Größenordnung zwischen 190 und 270 Zentimetern<br />

Länge vorstellen. In dieser Größenordnung haben<br />

sich in den vergangenen Jahren viele Neuheiten<br />

ergeben. Zudem erhalten Sie einen Überblick darüber,<br />

was sich unterhalb der Konzertflügelgröße tut.<br />

Dabei geht es nicht um die direkte Vergleichsmöglichkeit,<br />

aber um einen Überblick, welche Instrumente<br />

sich in diesen Längen überhaupt auf dem<br />

Markt befinden.<br />

Die nächste erscheint<br />

am 4. Juli <strong>2008</strong>.<br />

I MPRESSUM<br />

erscheint 6 x jährlich im<br />

STACCATO-Verlag<br />

Carsten Dürer<br />

Heinrichstr. 108 · 40239 Düsseldorf<br />

Herausgeber:<br />

Carsten Dürer<br />

Redaktion:<br />

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Internet: http://www.pianonews.de<br />

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Chefredakteur:<br />

Carsten Dürer<br />

(v.i.S.d.P.)<br />

Graphische Gestaltung:<br />

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(Ingo Nikolaus)<br />

Mitarbeiter dieser Ausgabe:<br />

Valery Afanassiev, Richard Dain, Ratko Delorko,<br />

Volker Dunisch, Maja Ellmenreich, Isabel Fedrizzi,<br />

Marco Frei, Tom Fuchs, Dimitri Gagliano,<br />

Hans-Dieter Grünefeld, Ernst Hoffmann,<br />

Wolfgang Hülk, Andreas von Imhoff,<br />

Robert Nemecek, Anja Renczikowski,<br />

Manuel Rösler, Rafael Sala, Antony Spiri<br />

Anzeigenleitung:<br />

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Beiträge bei STACCATO-Verlag, Carsten Dürer.<br />

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schriftlicher Genehmigung des Verlags. Für<br />

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106 3 . 08


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Beethoven: Klavierkonzert Nr. 1,<br />

Sonaten Op. 10,3 und 101<br />

Brahms: Sonate Nr. 3 ,<br />

3 Intermezzi Op. 117<br />

Liszt: Sonate h-Moll<br />

Géza Anda, Klavier<br />

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Lesen Sie auch die<br />

Besprechung dieser<br />

CD auf Seite 88<br />

in diesem Heft.<br />

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