2008 - ensemble magazin
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Deutschland EUR 4,30<br />
Österreich EUR 5,00<br />
Luxemburg EUR 5,10<br />
Schweiz sfr 7,90<br />
JEAN-BERNARD<br />
JEAN-BERNARD<br />
POMMIER<br />
Nachdenklicher<br />
Perf erfektionist<br />
ektionist<br />
KLAVIER KLAVIER<br />
STUDIEREN<br />
IN DER TÜRKEI<br />
Bilkent Bilkent<br />
University<br />
University<br />
JOSEF HOFMANN<br />
Phänomenaler Pianist und Erfinder<br />
Lars Vogt<br />
über Schubert<br />
ISSN 1434-3592<br />
G 44525<br />
'!1J60FB-gaedah!:K;N<br />
Mai / Juni<br />
3/<strong>2008</strong>
pearlriver und Ritmüller sind eingetragene Warenzeichen der Pearl River Piano Group Europe GmbH<br />
Inspiriert durch<br />
höchste Perfektion.<br />
music, music, music.<br />
Pearl River Piano Group Europe GmbH, Hauptstraße 17, D-82140 Olching bei München,Tel.: 0049 8142 65 27 00, www.pearlriver-europe.de
3 . 08<br />
Repertoire-Ansichten<br />
Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />
Klavierwerke, die man kennt, hört man immer wieder gern.<br />
Warum? Nun, die helfen zu entspannen, das haben Studien<br />
bewiesen. Denn wenn man etwas bereits im „Ohr“ hat, ist es<br />
bedeutend leichter, sich zu entspannen, als wenn man etwas<br />
vollkommen Neues hört, was die Aufmerksamkeit doppelt<br />
erfordert. Doch kann das allein ein Grund sein, dass man hervorragendes<br />
Repertoire der Geschichte nicht beachtet, es nicht<br />
kennen lernt, da es kaum jemand spielt? Ist es nicht wirklich<br />
so, dass man sich gerne – und vor allem auch ein wenig phlegmatisch<br />
– der Musik zuwendet, die einen schon einmal begeistert<br />
hat, in Konzerte geht, dessen Repertoire man kennt, eine<br />
CD kauft, die ein gleiches Repertoire wieder und einen ähnlichen<br />
Klang vielleicht erneut bereithält? Ja, so ist es – und es<br />
bleibt spannungsgeladen, das alte, immer gleiche und hochwertige<br />
Repertoire der Klaviergeschichte mit immer neuen, immer anderen Künstlern zu hören – und<br />
erneut kennen zu lernen. Dies allein zeigt Lars Vogt mit seinen Schubert-Interpretationen auf, die er<br />
im Gespräch erläutert. Aber es gibt halt mehr, wie der Artikel von Anthony Spiri über die Werke der<br />
großen drei Bach-Söhne Friedemann, Carl Philipp Emanuel und Johann Christian zeigt. Es gibt Neues<br />
zu entdecken, aus Zeiten und von Komponisten, die einem anscheinend geläufig sind, die aber noch<br />
nie richtig betrachtet wurden und auch von vielen Interpreten nicht beachtet sind. Schade, denn da<br />
lassen sich – und hier sollten sich vor allem die jüngeren Pianisten inspiriert fühlen – brillante Werke<br />
entdecken, die man vielleicht zu wenig beachtet hat (und die sicherlich auch einmal gern von einem<br />
Lehrer, einer Wettbewerbs-Jury oder einer Prüfungskommission – einmal abgesehen von einem breiten<br />
Publikum – gehört werden). Ein weiteres Mal beschäftigen wir uns mit den unvollendeten<br />
Schubert-Sonaten, als Reaktion auf den Artikel von Gottlieb Wallisch in PIANONews 6-2007 – auch<br />
hier fast unbekanntes Repertoire, zu dem sich der Pianist Malcolm Bilson äußert.<br />
Doch das neue, das andere Repertoire, das es aus den Tiefen des Vergessens und aus dem sich breit<br />
machenden Mainstream an immer Gleichem zu heben gilt, ist nur eine Facette. Eine ganz andere sind<br />
die Instrumente selbst, die sich in den vergangenen zwei Jahren mehr und mehr verändert haben.<br />
Findige Klavierbauer haben Ideen entwickelt, um neue Materialien einzusetzen bei den traditionell<br />
seit 300 Jahren kaum veränderten Gegebenheiten eines Klaviers oder Flügels. Dies zieht auch eine<br />
neue Klangästhetik nach sich, wie der Bericht von Richard Dain über den Einsatz von Karbon im<br />
modernen Instrumentenbau ansatzweise aufzeigt. Nicht etwa ein neues Instrument soll dabei herauskommen,<br />
ein neuer Klang; vielmehr will man mit dem Einsatz von neuen Materialien den bestehenden<br />
Konstruktionen neues Volumen und eine bessere Tragweite geben. Das zeigten auch etliche neue<br />
Klavier- und Flügel-Modelle auf der Frankfurter Musikmesse, die wir näher betrachten.<br />
Was mehr muss noch erwähnt werden? Nun, der Pianist Jean-Bernard Pommier in einem spannenden<br />
Gespräch, Dafydd Llywelyn als Schöpfer Neuer Musik und vor allem auch der Blick in die Türkei, in<br />
der sich die private Universität in Bilkent aufschwingt, die Klavierausbildung auf ein internationales<br />
Niveau zu heben.<br />
Diese Ausgabe von PIANONews hält mannigfaltige Facetten des Klavierlebens in der Welt bereit, das<br />
so unerschöpflich ist, wie die Beschäftigung mit den Instrumenten, der Musik und den Pianisten, die<br />
sie uns näherbringen.<br />
Viel Spaß beim Lesen dieser Ausgabe wünscht Ihnen<br />
E E<br />
DITORIAL<br />
Carsten Dürer<br />
– Chefredakteur –<br />
Foto: get2gether<br />
3
I I NHALT<br />
Foto: Julia Baier/CAvi-music<br />
Lars Vogt<br />
Foto: Dürer<br />
Foto: Rafael Sala<br />
Dafydd Llywelyn<br />
Christoph<br />
Stiefel<br />
Bilkent University<br />
Jean-Bernard<br />
Pommier<br />
Foto: Jean-Claude Martinez<br />
3<br />
6<br />
7<br />
14<br />
16<br />
20<br />
24<br />
28<br />
32<br />
38<br />
42<br />
47<br />
48<br />
54<br />
E DITORIAL<br />
C RESCENDO<br />
INFOS AUS DER SZENE<br />
K LAVIER-NEWS<br />
NEUHEITEN VON DER FRANKFURTER<br />
MUSIKMESSE <strong>2008</strong><br />
A NSICHTEN<br />
SCHUBERTS UNVOLLENDETE<br />
KLAVIERSONATEN (2)<br />
VON MALCOLM BILSON<br />
K LAVIERBAU<br />
KOHLEFASER (KARBON) IN KLAVIEREN<br />
H ÄNDLER<br />
KLAVIERHÄNDLER IN ÖSTERREICH<br />
DAS KLAVIERHAUS<br />
I NTERVIEW<br />
ANDREAS VON IMHOFF<br />
ANMERKUNGEN EINES PRODUZENTEN<br />
LARS VOGT<br />
„ EIN STÜCK VOLLER RÄTSEL ...“<br />
J AZZ-INTERVIEW<br />
CHRISTOPH STIEFEL<br />
„SCHWIERIGES LEICHT KLINGEN LASSEN.“<br />
H OCHSCHULEN<br />
KLAVIER STUDIEREN IN DER TÜRKEI<br />
DIE KLAVIERABTEILUNG DER BILKENT<br />
GUSTAV IGNAZ STINGL IN WIEN<br />
P ORTRÄT<br />
JEAN-BERNARD POMMIER<br />
NACHDENKLICHER PERFEKTIONIST<br />
H ÄNDLER<br />
HIER KÖNNEN SIE PIANONEWS KAUFEN<br />
K OMPONISTEN<br />
DIE BACH-SÖHNE<br />
IM KLAVIERREPERTOIRE<br />
UNIVERSITY IN ANKARA<br />
K OMPONISTEN<br />
DAFYDD LLYWELYN<br />
DER MAGIER DER LEISEN TÖNE<br />
4 3 . 08
3 . 08<br />
F RAGEBOGEN<br />
14 FRAGEN AN HERBERT SCHUCH<br />
DVDS<br />
NEUES ZUM SCHAUEN UND HÖREN<br />
B ÜCHER<br />
NEUES LESEFUTTER FÜR KLAVIERLIEBHABER<br />
W ETTBEWERBE<br />
TERMINE FÜR PROFIS<br />
K ONZERTE<br />
TERMINE FÜR LIEBHABER<br />
I NHALT<br />
B ERICHTE<br />
UNTERSTÜTZUNG FÜR HOCHBEGABTE<br />
YAMAHA-STIPENDIEN-WETTBEWERB<br />
<strong>2008</strong> FÜR KLAVIER<br />
L EGENDEN<br />
JOSEF HOFMANN<br />
PHÄNOMENALER PIANIST UND ERFINDER<br />
N OTEN<br />
NEUE KLAVIERWERKE AUF DEM NOTENPULT<br />
J AZZ-WORKSHOP<br />
MIT RAINER BRÜNINGHAUS (7)<br />
I MPROVISATIONEN<br />
KLAVIER-IMPROVISATIONEN (TEIL 23)<br />
MIDDLE EASTERN<br />
P ROFI-TIPPS<br />
DER WETTBEWERBSPIANIST<br />
BESONDERE AUFNAHMEN<br />
- EIN FÜNFTES KLAVIERKONZERT VON<br />
RACHMANINOW?<br />
- LISZTS H-MOLL-SONATE SOLO UND FÜR<br />
ORCHESTER<br />
ALTE AUFNAHMEN<br />
GÉZA ANDA<br />
POP-HÖREINDRUCK<br />
POP-CDS IN DER KRITIK<br />
H ÖREINDRUCK<br />
NEUE CDS<br />
V ORSCHAU / IMPRESSUM<br />
57<br />
58<br />
60<br />
62<br />
64<br />
66<br />
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90<br />
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93<br />
106<br />
Herbert Schuch<br />
Yamaha-Wettbewerb<br />
Josef Hofmann<br />
Foto: Jürgen Olczyk<br />
Foto: Dürer<br />
Foto: Julia Baier/CAvi-music<br />
I<br />
5
C<br />
C RESCENDO<br />
Internationale Klavierakademie Freiburg <strong>2008</strong><br />
Die Internationale Klavierakademie Freiburg unter der<br />
Leitung von Jura Margulis, die in diesem Jahr vom<br />
14.–26. Juli stattfindet, basiert auf der über 30-jährigen Geschichte<br />
des legendären Klavier-Meisterkurses „Russische<br />
Schule“. Über 1000 Studenten aus aller Welt sind in der von<br />
Vitaly Margulis gegründeten „Russischen Schule“ im Historischen<br />
Kaufhaus der Stadt Freiburg unterrichtet worden.<br />
Diese Tradition fortführend, präsentiert die Internationale<br />
Klavierakademie Freiburg einen hochkarätigen Klaviermeisterkurs<br />
in derselben, unvergleichlich inspirierenden Atmosphäre<br />
und führt zusätzliche Seminare und Workshops durch,<br />
um das traditionelle Modell des Klaviermeisterkurses durch<br />
eine umfassendere Ausbildung zu ergänzen. Das zweiwöchige<br />
Erlebnis der IKA bietet eine Vielfalt von Informations- und Zugangsebenen,<br />
die es sonst nur selten in Klaviermeisterkursen<br />
angeboten werden.<br />
Die Hauptelemente der IKA 08:<br />
• Konzentrierter Klavierunterricht in einer anregenden<br />
Atmosphäre.<br />
• Ein Seminar zur systematischen Entwicklung virtuoser<br />
Klaviertechnik einschließlich eines<br />
• Vortrags über frühe Kompositions- und Klaviertechnik,<br />
einer Studie von pianistischen und pädagogischen Traditionen,<br />
der Veröffentlichung eines Kompendiums von Etüden<br />
und Übungen, basierend auf seltenen historischen Quellen,<br />
und der praktischen Anwendung des Materials im Meisterkurs-Unterricht.<br />
• Ein Seminar zum Verständnis historischer Tastenins-<br />
Diejenigen, die die Pianistin Ulrike<br />
Mai kennen, wissen, dass sie sich<br />
bei ihren Programmen und CD-Projekten<br />
immer wieder von atmosphärischen<br />
und übergeordneten Ideen inspirieren<br />
lässt, um Musik zusammenzufassen,<br />
die nur auf den ersten Blick vielleicht nicht zusammengehört.<br />
Nun hat sie sich im vergangenen Winter (auch<br />
wenn die Temperaturen schon wieder wärmer im Land<br />
geworden sind) mit kalten und schneebedeckten Landschaften<br />
beschäftigt und nennt ihr Programm „Weiße<br />
Landschaften“, namentlich nach dem Eröffnungswerk von<br />
Peteris Vasks „Weiße Landschaft“. Ulrike Mai vereint – spannend<br />
zusammengesetzt – Werke von Peteris Vasks, Ené<br />
Espere, Lutz Gerlach, John Cage, Philip Glass, Hans Otte,<br />
Claude Debussy und Schumann, um nur einige zu nennen.<br />
Einige mögen nun sagen, dass da zu viel Musik des „easy listening“<br />
und der „Minimal Music“ vertreten ist. Doch die Musik,<br />
die allgemein unter diesen Begriffen subsummiert wird, hat –<br />
ebenso wie die der Romantiker und Expressionisten – eines<br />
gemeinsam: Ihre Klavierstücke sind bereits so bezeichnet,<br />
dass sie in dieses Programm passen, oder aber die Musik<br />
Brad Mehldau wird Berater für die Wigmore Hall<br />
John Gilhooly, Direktor der berühmten Wigmore Hall in London, geht neue Wege. Die Wigmore<br />
Hall ist berühmt für ihre klassischen Musikserien, die mit einer riesigen Anzahl jedes<br />
Jahr stattfinden. Nun will Gilhooly auch den Jazz in der Wigmore Hall salonfähig machen. Dazu<br />
hat er sich namhafte Schützenhilfe geholt: Brad Mehldau. Der gefeierte amerikanische<br />
Komponist und Jazz-Pianist, wird in den kommenden Saisons 2009/10 und 2010/11 eine Jazz-<br />
Konzertserie mit vier Konzerten beratend aufbauen. Diese Jazz-Serie soll allerdings rein akustischen<br />
Jazz präsentieren. In den letzten zwei der vier Konzerte wird dann Mehldau selbst in die<br />
Tasten greifen.<br />
www.wigmore-hall.org.uk<br />
Wie klingen „weiße Landschaften“?<br />
trumente einschließlich einer Exkursion zur Sammlung historischer<br />
Tasteninstrumente Fritz Neumeyer im Schloss Bad Krozingen,<br />
ein Vortrag über Urtext-Ausgaben, Einschätzung der<br />
Relevanz historischer Tasteninstrumente für zeitgenössische<br />
Interpretation und Unterricht auf den Instrumenten der<br />
Sammlung.<br />
• Demonstration von einmaligen Rollenaufnahmen auf einem<br />
authentischen Welte-Mignon-Flügel von Künstlern wie<br />
Debussy, Saint-Saëns, Skrjabin, Reger, Grieg und Busoni.<br />
• Info-Workshop mit einem Mitarbeiter einer internationalen<br />
Konzertagentur.<br />
• Das unvergessliche Ambiente des Historischen Kaufhauses<br />
mitten in Freiburgs mittelalterlicher Innenstadt.<br />
• Eine hochkarätige Konzertreihe:<br />
Das PianoFest<br />
14. 7. Eröffnungskonzert Jura Margulis<br />
17. 7. Klavierabend Lilya Zilberstein<br />
23. 7. Sonderkonzert Vitaly Margulis – Benefizkonzert für das<br />
Freiburger Münster<br />
26. 7. Abschlusskonzert der Teilnehmer der IKA 08<br />
• Zahlreiche Teilnehmerkonzerte während des Meisterkurses<br />
in Freiburg und Städten im Schwarzwald.<br />
• Ein Publikumswahl-Wettbewerb beim Abschlusskonzert der<br />
Teilnehmer, bei dem Förderpreise in Höhe von Euro 1200,vergeben<br />
werden.<br />
www.InternationalPianoAcademy.org<br />
www.InternationaleKlavierAkademie.org<br />
spricht genau die von der Pianistin als „Zauber der Unschuld“<br />
bezeichnete Atmosphäre an. Es ist wie ein Eintauchen in einen<br />
ruhenden Zustand, der aber auch immer wieder unterbrochen<br />
wird von unruhigem Flirren und Herumtanzen von<br />
akustischen „Schneeflocken“. Und so ist diese CD fast so<br />
etwas wie ein akustisches In-Sich-Kehren, ein Eindringen in<br />
eine Zeit der Umgebungsstille, in die diese Musik perfekt passt<br />
und diese Stille umrahmt wie ein schützender Wall. Ulrike<br />
Mai hat nicht nur eine wunderbare Zusammenstellung von<br />
Musik auf dieser CD gefunden, die einen sofort gefangen<br />
nimmt, sondern sie versteht auch die unterschiedlichen Stile<br />
perfekt zu gestalten, ohne dabei ihren Flügelklang großartig<br />
zu verändern; so bleibt diese CD ein akustisches Erlebnis einer<br />
Atmosphäre, auf die man sich einlassen sollte. Und auch<br />
wenn es momentan schon wieder warm ist, sollte man sich<br />
diese CD für die nächste Winterzeit zurechtlegen, um sie<br />
dann vollauf zu genießen.<br />
Weiße Landschaften<br />
Werke von Peteris Vasks, Ené Espere, Lutz Gerlach, John Cage,<br />
Philip Glass, Hans Otte, Claude Debussy und Robert Schumann<br />
Ulrike Mai, Klavier<br />
LGM Records (www.lgm-records.de)<br />
6 3. 08
3 . 08<br />
K LAVIER-NEWS<br />
Das Klavier verliert an Bedeutung auf der Musikmesse Frankfurt<br />
Es ist nicht allein ein Abbild der Entwicklung der Klavierindustrie<br />
in der Welt, was sich seit vielen Jahren auf der<br />
Internationalen Musikmesse in Frankfurt abzeichnet.<br />
Die Messe für die Instrumentenhersteller war lange Zeit integriert<br />
in die Frühjahrsmesse Frankfurt. Nachdem immer<br />
mehr Hersteller für die Musikinstrumente die Messe frequentierten<br />
und sie sich, immer mehr in Verbänden organisierten,<br />
entschloss man sich eine eigene Messe zu veranstalten, die<br />
Internationale Musikmesse Frankfurt. Lange Zeit war diese<br />
Messe die weltweit sicherlich wichtigste internationale Fachmesse<br />
für Musikinstrumente, Zubehör und Noten – aber eine<br />
reine Fachmesse, eine, auf der Geschäfte gemacht werden<br />
sollten, auf der Verkäufe für die Händler, die die Produkte an<br />
den Endverbraucher bringen sollten, im Mittelpunkt standen.<br />
Doch die Struktur, wie sie sich heute darstellt, war noch nicht<br />
gegeben. In den Hallen waren Schlagzeuge neben Blechblä-<br />
sern und Notenverlagen, waren Streichinstrumentenhersteller<br />
neben Klavierherstellern. Und die Klaviere machten allein<br />
aufgrund der Fläche, die die Instrumente benötigen, eine<br />
immer bedeutendere Herstellerfraktion aus. Bald schon bemängelte<br />
man die fehlende Beachtung dieser Hersteller als<br />
besondere Gruppierung. Der damalige Verband der Klavierhersteller<br />
entschied, sich ein Jahr komplett von der Musikmesse<br />
zurückzuziehen. Alsbald gab es den Piano-Salon, eine<br />
eigene Ausstellungshalle für die Klavierhersteller, die sich<br />
sofort und unabdingbar alle mit ihren Modellen und an recht<br />
großen Ständen präsentierten. Doch nach und nach ließ das<br />
Interesse an der Messe nach, wurden so viele international<br />
wichtige Messen gegründet, dass die Hersteller mehr und<br />
mehr auf ihre Bedürfnisse und ihre wichtigsten Märkte zugeschnitten<br />
ihre Messen aussuchten. Zudem wurde Frankfurt als<br />
Messestandort immer teurer, fast jährlich. Und so begann zu<br />
Beginn des Jahrtausends ein Dahinschwinden der Beteiligungen.<br />
Nachdem Steinway & Sons sich schon lange aus dem<br />
Messegeschehen zurückgezogen hatte, waren es bald auch<br />
andere Firmen, die entdeckten, dass ein Fortbleiben von der<br />
Frankfurter Musikmesse nicht gleichbedeutend mit dem<br />
geschäftlichen Niedergang ist, so wie es in früheren Zeiten<br />
noch gesehen wurde. Mittlerweile ging man zu Messen in<br />
Shanghai, in St. Petersburg und natürlich zur immer noch<br />
wichtigen NAMM-Show im kalifornischen Anaheim. Und<br />
dann gibt es ja auch noch die vielen kleinen Messen in<br />
Europa, in Paris, in England, fast überall. Bösendorfer blieb<br />
im Jubiläumsjahr 2003 (175 Jahr-Feier) weg, dann Bechstein,<br />
dann Fazioli. Mittlerweile schrumpfte die Beteiligung der<br />
K<br />
europäischen Firmen, die früher den Mittelpunkt des Piano-<br />
Salons gebildet hatten, auf eine überschaubare Anzahl zusammen<br />
und sie überließen vor allem den zahlreichen asiatischen<br />
(vor allem koreanischen und chinesischen Firmen) die<br />
großflächigen Stände. Zwischenzeitlich kamen auch russische<br />
Firmen mit zur Messe, bevor die russische Klavierherstellung<br />
vollkommen zusammenbrach. Bis vor einiger Zeit<br />
waren noch Firmen wie Feurich, Ibach, Fazioli, Bösendorfer<br />
oder Thürmer auf der Musikmesse anzutreffen. In den vergangenen<br />
Jahren war aus dem wichtigsten Land der Klavierherstellung,<br />
Deutschland, eine kleine Anzahl von Herstellern<br />
fest auf der Messe vertreten: Grotrian-Steinweg, Blüthner,<br />
Seiler, Sauter, Schimmel und Steingraeber & Söhne. Doch<br />
auch Steingraeber und auch Seiler hatten schon einmal ausgesetzt.<br />
War und ist diese Situation hausgemacht? Mittlerweile<br />
gibt es keinen Hersteller mehr, der nicht eine Submarke<br />
auch in Asien oder in einem osteuropäischen Land produzieren<br />
lässt und damit das Know-how, das über Jahrhunderte<br />
gewachsen ist, frei Haus in diese Länder liefert. Immer neue<br />
Firmen und Markennamen tauchen daher auf der Messe auf.<br />
Doch auch diese Hersteller haben nicht die finanzielle Kraft,<br />
die Kosten für die Beteiligung auf der Frankfurter Messe zu<br />
tragen. Das Ergebnis: Die Musikmesse wird für die Klavierhersteller<br />
und auch die an den Instrumenten Interessierten immer<br />
unbedeutender. Wie stark das Ausmaß mittlerweile ist,<br />
ließ sich in diesem Jahr erkennen. Auch Schimmel blieb mittlerweile<br />
als immer noch größter deutscher Hersteller der Messe<br />
fern. Ein fast schon trauriges Bild bot sich also dem Besucher,<br />
wenn er in den früher als Piano-Salon bekannt gewordenen<br />
Ausstellungsbereich der Musikmesse <strong>2008</strong> kam. Wieder<br />
einmal hatte man die Klavierhersteller in eine andere<br />
Halle verlegt. Ungünstig sind diese Lageveränderungen immer,<br />
denn zahlreiche Messebesucher kommen seit Jahren<br />
und wissen leicht, wo sie die Halle ihres Interesses finden.<br />
Aber die Halle 6.0 war vor allem in Bezug auf die Eintrittssituation<br />
eher katastrophal. Denn wenn man nicht vom<br />
Freigelände die Halle betrat, sondern von den Laufbändern<br />
auf der ersten Ebene, die auch gleichzeitig die Hauptzugangsebene<br />
der wichtigsten Eingänge ist, dann geriet man erst einmal<br />
in Halle 6.1 – und stand in einer leeren Halle – verwirrend,<br />
denn erst auf den zweiten Blick erkannte man, dass<br />
man über die Rolltreppe eine Etage tiefer muss. Hier nun eine<br />
große Halle, mit weiten Gängen. Gut, wenn die Besucher<br />
zahlreich kommen, weniger schön, wenn nur wenige Besucher<br />
in der Halle sind. Zudem war es sehr kalt in der Halle.<br />
Dennoch war die Stimmung auf den wenigen deutschen Ständen<br />
nicht bedrückt. Aber auch die restlichen europäischen<br />
Hersteller – denn die meisten waren mittlerweile Hersteller<br />
aus Asien (die meisten aus China) – begannen spätestens auf<br />
dieser Musikmesse zu hinterfragen, wie sinnvoll weitere<br />
Teilnahmen an dieser Ausstellung wirklich noch sind. Man<br />
wird sehen, wie die Musikmesse auf das immer stärkere<br />
Ausbleiben der Klavierhersteller reagiert, und man kann nur<br />
hoffen, dass sich die Situation wieder verbessert, denn ansonsten<br />
ist die Musikmesse für die Klavier- und Flügelenthusiasten<br />
keinen Besuch mehr wert, sondern man kann sich getrost<br />
auf die zahlreichen Notenverlage bei seinem Besuch beschränken,<br />
die immer noch vollständig antreten und bei denen<br />
man selbstverständlich auch immer immens viel neues<br />
Klavier-Noten-Material findet.<br />
Dennoch haben wir uns für Sie umgeschaut, was es unter den<br />
Klavierherstellern Neues gibt, und sind fündig geworden<br />
(lesen Sie auf den kommenden Seiten).<br />
7
K<br />
Es gibt aus gesundheitlichen Gründen<br />
tatsächlich eine EU-Verordnung,<br />
die besagt, dass bei der Herstellung<br />
von Endverbraucherprodukten<br />
kein Blei mehr verwendet werden<br />
darf, wenn der Verbraucher in<br />
direkten Kontakt mit dem Material<br />
kommen kann. Ein findiger Klaviertechniker,<br />
Udo Ellinger aus Frankfurt,<br />
hat sich vor einiger Zeit mit dieser<br />
Thematik beschäftigt und nach<br />
einer Lösung gesucht. Wo denn Blei<br />
im Klavier verwendet wird? Nun, ein<br />
wenig Blei gibt es in der Mechanik<br />
fast aller Klaviere und Flügel – unproblematisch,<br />
da man mit diesen<br />
Kleinteilen fast niemals in Berührung<br />
kommt. Anders allerdings stellt<br />
sich die Lage bei einer Klaviatur dar.<br />
Um die genaue Spielweise, das Gegengewicht<br />
der wie auf einer Wippe<br />
gelagerten Tasten hinzubekommen,<br />
die auch noch die Last der ruhenden<br />
K LAVIER-NEWS<br />
Bleifrei für Klaviere und Flügel<br />
Mechanik zu tragen haben, werden<br />
die Tasten alle mit Blei „ausgewuchtet“.<br />
Wenn man die Tasten aus dem<br />
Instrument nimmt, dann sieht man<br />
schnell, dass diese im Holz eingepresste<br />
Bleigewichte aufweisen, bis<br />
zu sieben Stück pro Taste. Mehrere<br />
Kilos an Blei kommen da bei einem<br />
Flügel schon zusammen.<br />
Ellinger trat mit einer anderen Idee<br />
an: Er wollte die Bleigewichte durch<br />
ein natürliches Material austauschen,<br />
mit Holz. Erste Versuche mit<br />
mehrfach verleimtem Holz, das auch<br />
im Stimmstock seine Dienste tut, verliefen<br />
nicht wirklich erfolgreich, da<br />
das Holz bei weitem nicht das Gewicht<br />
aufweist, das Blei mit sich<br />
bringt. Bald<br />
schon trat er in<br />
Kontakt mit der<br />
Oberhessichen<br />
Klaviaturenbau<br />
GmbH mit Sitz<br />
Lich. Deren Geschäftsführer<br />
Stefan Otto<br />
Heuss war begeistert<br />
von der<br />
Idee und gemeinsambegann<br />
man an<br />
einer praxistauglichenLösung<br />
zu feilen.<br />
Schnell war<br />
klar: Man benötigt<br />
ein schwe-<br />
reres Material als das übliche im<br />
Klavierbau verwendete Schichtholz.<br />
Doch die Richtung, die Ellinger eingeschlagen<br />
hatten war genau richtig:<br />
Das Fichtenholz der Klaviatur –<br />
es geht tatsächlich ausschließlich<br />
um die weißen Tasten – wird im vorderen<br />
Bereich von unten ausgespart.<br />
Dort sollte nun schweres Holz eingebracht<br />
werden, um die Gewichtung<br />
zu erzielen, die nötig ist, um das<br />
Spielgefühl in Waage zu halten. Mit<br />
dem Panzerholz hatte man Erfolg,<br />
da es schwer genug war, dass man<br />
eine Höhe der Einlage bieten konnte,<br />
die auch beim Niederdrücken der<br />
Taste dieses Holz nicht sichtbar werden<br />
ließ. Natürlich benötigen die<br />
Tasten eines Flügels, die in den tieferen<br />
Lagen ihren Dienst versehen,<br />
aufgrund der größeren Länge auch<br />
mehr Gewicht als die anderen. Entsprechend<br />
hat man mittlerweile die<br />
Einlage-Holzplatte zum Diskant hin<br />
verjüngen lassen. Dieses Ergebnis<br />
war schon gut, aber man musste ja<br />
auch noch die Praxistauglichkeit<br />
durch den Einbau solch einer Klaviatur<br />
in einen Flügel prüfen. Und da<br />
kam für Ellinger und Heuss nur ein<br />
hochwertiger Hersteller in Frage.<br />
Man landete schnell bei Grotrian-<br />
Steinweg. Und Burkhard Kämmerling,<br />
Cheftechniker des Braunschweiger<br />
Traditionshauses, war<br />
schnell begeistert von der Idee. Am<br />
Stand auf der Musikmesse Frankfurt<br />
konnte man also das erste Flügelmodell<br />
mit dieser bleilosen Klaviatur<br />
anspielen. Die meisten Spieler bemerkten<br />
keinen Unterschied – ein Erfolg<br />
für die drei Partner. Und so wird<br />
die Oberhessische Klaviaturenbau<br />
GmbH bald auch an andere Klavierhersteller<br />
eine bleilose Klaviatur<br />
liefern können.<br />
Kawai mit neuer Elektronik bei Stummschaltungs-Instrumenten<br />
Ebenso lange wie viele andere<br />
Hersteller ein Stummschaltungssystem<br />
für akustische Pianos anbieten,<br />
konnte auch Kawai immer<br />
schon mit den Modellen unter dem<br />
Namen „Anytime“ aufwarten. Aber<br />
ebenso wie zahlreiche andere Hersteller<br />
wurde auch im Anytime-<br />
System von Kawai die Abtastung<br />
unter der Klaviatur mittels mechanischem<br />
Sensor vorgenommen. Ein<br />
heutzutage recht veraltetes und mittlerweile<br />
im direkten Vergleich auch<br />
nicht mehr besonders präzises Abtastverfahren.<br />
Nun hat Kawai dieses<br />
System durch ein direkt an der<br />
Auslösung der Mechanik sitzendes,<br />
Vor der neuen Klaviatur mit<br />
Holzgewichten (v.l.n.r.): Udo Ellinger,<br />
Burkard Kämmerling und Stefan<br />
Heuss.<br />
Foto: Dürer<br />
optisches Sensor-System ausgetauscht.<br />
Und dabei wird jede einzelne<br />
Tasten- bzw. Mechanik- und Hammerstil-Bewegung<br />
gemessen. Das<br />
Ergebnis? Nun, eine um ein Vielfaches<br />
genauere Kontrolle des Spiels,<br />
vor allem bis hinein ins Pianissimo.<br />
Man kann nun bei stummgeschaltetem<br />
Klavier auch den Digital-Piano-<br />
Klang, der dann freigeschaltet wird,<br />
genauestens kontrollieren, ebenso<br />
wie bei dem akustischen Instrument.<br />
Das neue System hört auf den Namen<br />
„Integrated Hammer Sensing<br />
System“ (kurz auch als IHSS bezeichnet).<br />
Selbstverständlich sind alle<br />
Klaviere mittlerweile eh mit der mo-<br />
www.grotrian.de<br />
dernen Carbon-Mechanik von Kawai<br />
ausgestattet, die extrem präzise und<br />
zudem vollkommen unbeeinflusst<br />
von Witterungs- und Feuchtigkeitsschwankungen<br />
arbeitet.<br />
Die Steuerungseinheit für den digitalen<br />
Sound hat man geschickt in einen<br />
rechts unterhalb der Klaviatur<br />
versteckten kleinen Kasten gebracht,<br />
der mittels eines kurzen Drucks auf<br />
die Frontseite herausfährt und von<br />
oben problemlos gut bedient und<br />
abgelesen werden kann. Die Instrumente,<br />
die mit dem AnyTime X bezeichneten<br />
System ausgestattet sind,<br />
sind die Modelle der K-Serie: K 15, K<br />
2, K 3 und K 5 und kosten im direkten<br />
8 3 . 08
3 . 08<br />
K LAVIER-NEWS<br />
Die neue Abtastleiste im Kawai AnyTime X.<br />
Foto: Dürer<br />
Vergleich zu den rein akustischen<br />
Instrumenten dieser Reihe ca. 1500<br />
Euro mehr. Damit liegen die Preise<br />
dieser Modelle bei 4750,- Euro (für<br />
das K 15 ATX, 110 cm), 5550,- Euro<br />
(für das K 2 ATX, 114 cm), 6750,-<br />
Euro (für das K 3 ATX, 122 cm) und<br />
7890,- Euro (für das K 5 ATX, 125<br />
cm).<br />
Eine wirkliche Neuheit zeigte sich<br />
aber auch im Digital-Piano-Bereich.<br />
Kawai ist sich als Hersteller traditioneller<br />
Klaviere und Flügel durchaus<br />
seit vielen Jahren bewusst, dass man<br />
das Thema Digital-Piano nicht allein<br />
mit Instrumenten, die auch andere<br />
Hersteller im elektronischen Bereich<br />
anbieten, belassen kann. Die meisten<br />
D-Piano-Käufer sind keine Elektronik-Freaks,<br />
die viele Features haben<br />
wollen, sondern sind Klavierspieler,<br />
die die Vorteile eines D-Pianos<br />
in den häuslichen vier Wänden<br />
nutzen möchten. Schon mit dem CA<br />
91 war man einen neuen Weg in die<br />
Richtung gegangen: Man hatte ein<br />
D-Piano vorgestellt, das fast wie ein<br />
Konsolenklavier aussah, von hinten<br />
sogar einen Resonanzboden zeigte.<br />
Allerdings war es ein volles D-Piano,<br />
bei dem dieser Resonanzboden<br />
allein ein optisches Element darstellte,<br />
allerdings auch den Bassbereich<br />
als Resonanzträger verstärkte. Nun<br />
hat man einen sinnvollen Nachfolger<br />
auf der Musikmesse in Frankfurt<br />
Langsam, aber sicher scheint das<br />
vor einigen Jahren in Schieflage<br />
geratene Unternehmen Ed. Seiler<br />
Pianofortefabrik aus Kitzingen wieder<br />
in gerade Bahnen zu geraten, in<br />
ruhigere Gewässer mit einem wiederum<br />
überzeugenden Konzept.<br />
Nachdem man bei dem Unternehmen<br />
jahrelang immer und immer<br />
wieder das Siegel „Made in Ger-<br />
vorgestellt: das CA 111. Dieses<br />
Instrument sieht nun wirklich<br />
wie ein Konsolenklavier aus, das<br />
Gehäuse ist einem akustischen<br />
Instrument vollkommen entsprechend.<br />
Wie sehr, zeigte sich<br />
am Stand, als ein Kunde den<br />
oberen Deckel des Instruments<br />
zu öffnen versuchte, um einen<br />
Blick auf die Mechanik zu werfen<br />
wie bei einem akustischen<br />
Klavier. Doch es handelt sich<br />
um ein vollwertiges D-Piano mit<br />
Klaviergehäuse. Ebenso wie bei<br />
den AnyTime-Instrumenten wird die<br />
Bedienungseinheit ebenfalls per<br />
Druck auf den kleinen schwarzen<br />
Kasten rechts unterhalb der<br />
Klaviatur ausgezogen. Auf dem<br />
Instrument selbst findet man keinerlei<br />
Knöpfe. Das Sound-System ist<br />
Sieht aus wie ein Klavier: Das CA 111 D-Piano<br />
von Kawai.<br />
Foto: Dürer<br />
dem des CA 91 ähnlich und bietet<br />
auch hier eine Resonanzverstärkung<br />
durch den Pseudo-Resonanzboden.<br />
Zudem sind nun auch die schwarzen<br />
Obertasten aus Elfenbein und vermitteln<br />
beim Spiel dieses schwarzpolierten<br />
Instruments ein noch<br />
authentischeres Spielgefühl. Ein<br />
Instrument, das für 4.490,- Euro nun<br />
einen nicht nur klanglich, sondern<br />
auch optisch vollwertigen Ersatz für<br />
ein akustisches Klavier darstellt.<br />
www.kawai.de<br />
Seiler wieder auf „Made in Germany“-Kurs<br />
many“ hochgehalten hatte, war<br />
man nach den geschäftlichen Problemen<br />
auch bei Seiler mit der Submarke<br />
Eduard Seiler (die ursprünglich<br />
zur geschickten Auslastung des<br />
Kitzinger Fertigungswerks gedient<br />
hatte) zu einem Gang nach Fernost,<br />
nach China übergegangen, den<br />
schon so viele andere Klavierbauunternehmen<br />
mit Untermarken gegan-
K<br />
gen sind. Doch mittlerweile hat sich<br />
das Unternehmen stabilisiert, ohne<br />
dass Arbeitskräfte freigestellt werden<br />
mussten, ganz im Gegenteil, man<br />
hat sogar neue Mitarbeiter eingestellt.<br />
Neben Ursula Seiler hat der<br />
neue Geschäftsführer, Dr. herbert<br />
Zimmermann, diese Wende herbeiführen<br />
können, mit deutlicher Entscheidung<br />
für den Produktionsstandort<br />
Deutschland, wie das Unternehmen<br />
verlauten lässt. Selbst die Untermarke<br />
Eduard Seiler wird wieder in<br />
Kitzingen gebaut, wobei etliche<br />
wichtige Produkte in Asien eingekauft<br />
werden. Überhaupt hat der<br />
Kunde auch bei einigen der hochwertigen<br />
Klaviere des Unternehmens<br />
die Wahl von unterschiedlichen<br />
Qualitäten einiger Halbfertigteile, so<br />
beispielsweise einer Mechanik von<br />
dem renommierten Stuttgarter Mechanikwerk<br />
Renner oder einer aus<br />
Fernost. Der Preisunterschied liegt<br />
dabei meist nur bei ca. 1000,- Euro,<br />
so dass man sich schon fragen kann,<br />
warum nicht alle Instrumente dann<br />
doch ausschließlich mit den besseren<br />
Teilen ausgestattet werden.<br />
Doch auch bei Seiler achtet man<br />
mehr und mehr auf die Modernität<br />
der Gehäuse, will sogar demnächst<br />
mit renommierten Möbeldesign-Firmen<br />
zusammenarbeiten, um den<br />
Anschluss an den Publikumsgeschmack<br />
nicht zu verpassen. Schon<br />
vor einem Jahr hatte man mit einer<br />
komplett neuen Gehäuselinie innerhalb<br />
einer neuen Linie, der „Trend-<br />
Line“, Zeichen gesetzt, hatte die<br />
Richtung vorgegeben, in die man in<br />
Unser Kooperationspartner, der Online-Verlag<br />
INTER-NOTE, bietet allen PIANONews-Abonnenten<br />
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Scans alter Ausgaben, sondern um Neuausgaben.<br />
Einige Raritäten, die ansonsten seit langem vergriffen<br />
sind, wurden auf diese Weise wieder einem größeren<br />
Publikum zugänglich gemacht.<br />
❐ Abonnenten haben pro Ausgabe Zugriff auf 10 Werke, die sie kostenlos<br />
downloaden können<br />
❐ Die Downloads können auf der Festplatte gespeichert und beliebig oft<br />
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Collection“)<br />
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INTER-NOTE<br />
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Den Inhalt jedes Notenbandes bestimmt also der Kunde selbst - und das zu<br />
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Kunde aus einem ständig wachsenden Bestand von derzeit über 2100<br />
Werken auswählen. Da der verfügbare Bestand von INTER-NOTE noch<br />
K LAVIER-NEWS<br />
Wird mit zwei<br />
unterschiedlichen<br />
Holzfurniervarianten<br />
geliefert: Das<br />
„Attraction“ von<br />
Seiler.<br />
Foto: Dürer<br />
Zukunft gehen wollte. Doch da war<br />
man noch auf der Suche nach Investoren,<br />
ja vielleicht sogar nach<br />
Aufkäufern, so dass keine konsequente<br />
Außendarstellung gelang.<br />
Diese Zeiten sind überstanden, man<br />
bekennt wieder Farbe!<br />
Zeitgemäß und spannend zeigte sich<br />
das Modell „Attraction“, das dem<br />
Seiler-Klavier 126 Zentimeter entspricht,<br />
einem großen Konzertklavier<br />
also. Entsprechend konnte man<br />
gestalterisch an dieses Instrument<br />
herangehen und brachte mit einem<br />
massiv wirkenden Rahmengehäuse<br />
in schwarzer Politur eine gute<br />
Grundlage für die in Edelholzfurnieren<br />
daherkommenden Ober- und<br />
Unterrahmen sowie den Seitenwänden,<br />
die zudem mit einer leichten<br />
und sanften Abflachung zu den Kanten<br />
hin dem Instrument noch mehr<br />
Exklusiver Notendownload für PIANONews-Abonnenten<br />
wesentlich größer ist, kann der Kunde auch Werke anfordern, die auf der<br />
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Plastizität verleihen. Doch das Besondere<br />
an diesem Modell: Der Kunde<br />
kann sich, wenn ihm das gerade<br />
im Fachgeschäft gesehene Furnier<br />
nicht gefällt, kostenfrei ein anderes<br />
bei Seiler bestellen, um sich ein individuelleres<br />
Instrument zusammenzustellen.<br />
Natürlich gibt es dieses<br />
Instrument auch noch in komplett<br />
schwarzer Optik, konsolenlos –<br />
wahrscheinlich einmalig auf dem<br />
Markt für ein Klavier dieser Höhe.<br />
Aber auch die anderen Modellen<br />
werden mit interessanten Furnieren<br />
angeboten, so mit weiß gebeizter<br />
Buche oder mit Nussbaumholz, das<br />
heute vor allem wieder im Möbelbaubereich<br />
eine wichtige Rolle<br />
spielt.<br />
Was also festgehalten werden muss:<br />
Zahlreiche Modelle der Trend-Line<br />
und einige der sogenannten Classic-<br />
Line, werden als Instrumente unter<br />
dem Markennamen Seiler und unter<br />
dem Markennamen „Eduard Seiler“<br />
angeboten. Die Gehäuse bleiben<br />
gleich, ebenso wie zahlreiche Halbfertigteile,<br />
die alle in Kitzingen zusammengebaut<br />
werden. Aber die<br />
Mechanik stammt halt aus Asien.<br />
Die rein asiatische Marke „Zeitter &<br />
Winkelmann“, die man noch vor<br />
einiger Zeit angeboten hat, läuft<br />
komplett aus, man will nur mehr die<br />
Restbestände veräußern, sagt man<br />
bei Seiler. Das bedeutet: Man konzentriert<br />
sich in Kitzingen wieder auf<br />
das „Made in Germany“, das so<br />
lange so wichtig für das Unternehmen<br />
und seine Kunden war.<br />
www.seiler-pianos.de<br />
10 3 . 08
3 . 08<br />
K LAVIER-NEWS<br />
Yamaha zeigt neue Hochund<br />
Niedrigpreis-Klaviere<br />
Die Modelle b1 und b2<br />
von Yamaha waren die<br />
ersten rein aus indonesischer<br />
Herstellung stammenden<br />
Klaviere, die Yamaha<br />
auf den Markt brachte. Der<br />
Vorteil: Die Yamaha-eigene<br />
Fabrikation in Indonesien<br />
ist deutlich preiswerter, als<br />
die Produktion der Klaviere<br />
für den europäischen Markt,<br />
die aus dem englischen<br />
Werk von Kemble stammen.<br />
Entsprechend hatten diese<br />
beiden ersten Modelle einen<br />
einschlagenden Erfolg,<br />
denn letztendlich sind es Instrumente,<br />
die nach Qualitätsvorgaben von Yamaha<br />
produziert werden. Entsprechend<br />
verkaufte man diese gut im<br />
Preis-Leistungs-Verhältnis austarierten<br />
Instrumente in großer Stückzahl.<br />
Nun kommt mit dem b3 eine Erweiterung<br />
dieser Reihe. Das b3 rundet diese<br />
preiswerte Serie nach oben hin ab,<br />
denn es ist ein 121 cm hohes Klavier,<br />
das ebenfalls wie das b2 als Konsoleninstrument<br />
daherkommt. Die Preisunterschiede<br />
allerdings sind nicht so<br />
immens, als dass man sich als Interessent<br />
für diese Instrumente nicht<br />
überlegen sollte, gleich ein b3 zu erstehen.<br />
Denn mit EUR 4550,- liegt es<br />
wirklich in der unteren Preisklasse auf<br />
dem Markt. Das b2 kostet EUR 4160,-<br />
(113 cm Höhe) und das b1 EUR 3520,-<br />
(109 cm Höhe und konsolenloses<br />
Gehäuse). Wahrscheinlich wird also<br />
das b3 dem b2 bald schon den Rang<br />
ablaufen ... Natürlich gibt es diese b-<br />
Serie auch mit Silent-Einrichtung und<br />
in einigen Furniervarianten und Farben<br />
sowie schwarz poliert. Der Klang<br />
ist gut, entspricht aber selbstverständlich<br />
nicht ganz den aus europäischer<br />
Fertigung stammenden Yamaha-Klavieren.<br />
Dennoch sind die b-Instru-<br />
Schließt die Reihe der b-Serie nach oben<br />
ab: das b3.<br />
Foto: Dürer<br />
Das neue RD 3 von Yamaha.<br />
Foto: Dürer<br />
mente beständig verbessert worden<br />
und in jedem Fall – mit der Erfahrung<br />
von Yamaha – zu anderen Instrumenten<br />
in dieser Preisklasse eine echte Alternative.<br />
Das b3 gibt es allerdings<br />
erst ab Juni <strong>2008</strong>.<br />
Eine vollkommen andere Art von Linie<br />
im Dschungel des riesigen Angebots<br />
der Yamaha-Klavier-Palette stellen die<br />
Klaviere der Radius-Reihe dar, die in<br />
England gebaut werden. Sie sind eigentlich<br />
schon eine Art Premium-Reihe,<br />
denn mit den in Details aufwendigen<br />
Gehäusen will man sich selbst von<br />
der eigenen Massenware abheben. Es<br />
sind ausschließlich für den europäischen<br />
Markt entwickelte Gehäuse, die<br />
in der Radius-Linie zu finden sind.<br />
Drei Modelle – in den Höhen 114, 116<br />
und nun auch 122 cm – werden als<br />
RD1, RD2 und RD3 bezeichnet. Und<br />
selbst das kleinste, das RD1, kommt<br />
schon mit einer Art Pseudo-Konsole<br />
daher, wobei die Beine fast am Gehäuse<br />
zurückversetzt sind; dennoch ist<br />
dadurch die Standfläche vergrößert<br />
und sicherer. Aufwendige abgerundete<br />
und abgefräste Gehäusekanten,<br />
vordere Rollen, alle drei Modelle mit<br />
drei Pedalen (mittig das Moderator-<br />
Pedal) sowie alle mit Messing- oder<br />
Edelstahlteilen (Pedale, Klaviaturdeckel-Scharniere,<br />
Rollen), stellen<br />
diese drei Klaviere eine hochwertige<br />
Linie dar, die klanglich<br />
schon lange bekannt ist, da in<br />
diesen Modellen die hochwertigen<br />
Yamaha-Klaviere aus der<br />
englischen Produktion unverändert<br />
ihren Dienst versehen. Die<br />
Preise liegen bei EUR 5510,- für<br />
das RD1, EUR 6030,- für das RD2<br />
und EUR 7300,- für das RD3.<br />
www.yamaha-europe.com
K<br />
Roland geht im Digital-Klaviermarkt<br />
seit vielen Jahren einen<br />
vollkommen eigenen Weg. Immer<br />
mehr und immer wieder tüftelt man<br />
an vollkommen eigenständigen<br />
Klängen, die aus unterschiedlichen<br />
Samples von akustischen Flügeln der<br />
besten Hersteller generiert werden,<br />
und schafft damit einen eigenen<br />
und unverkennbaren Flügelklang.<br />
Seit vielen Jahren hat<br />
man auch immer wieder das<br />
Thema Digital-Flügel in Angriff<br />
genommen und bemerkenswert<br />
umgesetzt. Allein: Die<br />
Preise waren zu hoch, da zu viel<br />
Entwicklungsarbeit und zu viel und<br />
vor allem teure Technik in diese Instrumente<br />
gegeben wurde, die letztendlich<br />
zu einem Produkt führten,<br />
das spannend, aber leider auch immens<br />
teuer war, so dass viele Kunden<br />
gleich zu einem akustischen<br />
oder aber Hybrid-Instrument griffen<br />
(akustisches Klavier mit Stummschaltungen).<br />
Nach vielen Jahren hat man nun auf<br />
der Frankfurter Musikmesse aber einen<br />
kurzen Digital-Flügel vorgestellt,<br />
der all die Erfahrungen beinhaltet<br />
und dennoch bezahlbar ist. Es musste<br />
wohl erst eine gewisse Zeit vergehen,<br />
bis sich die Entwicklungskosten<br />
amortisierten und bis die hochwertige<br />
Elektronik preiswerter wurde.<br />
Nun also gibt es den RG-1 Digital-<br />
Flügel von Roland. Schlicht kommt<br />
das Instrument daher, mit einem Gehäuse,<br />
das nur wenig länger ist als<br />
bei einem D-Klavier. Aber diese wenig<br />
längere Version wird ausgenutzt.<br />
Zum einen gibt es einen Flügeldeckel,<br />
der zu öffnen ist und damit den<br />
Flügelcharakter unterstreicht, aber<br />
vor allem ist es das sich darunter verbergende<br />
Soundsystem, das das<br />
Spielgefühl und die Klangentfaltung<br />
optimiert. Das Instrument ist mattschwarz<br />
lackiert und bietet daher<br />
eher ein für amerikanische Verhältnisse<br />
gewohntes Bild. Aber die technischen<br />
Details sind famos: So verfügt<br />
dieser Flügel über die hochwer-<br />
Die bekannte Klavier- und Flügelmanufaktur<br />
Steingraeber &<br />
Söhne mit Sitz in Bayreuth hat vor<br />
etlichen Jahren mit dem Konzertflügel<br />
E-272 einen Sprung in die höchste<br />
Liga der deutschen Flügelhersteller<br />
geschafft. Nun hat man diesem gro-<br />
K LAVIER-NEWS<br />
Roland stellt kleinen D-Flügel vor<br />
tige PHA II-Tastatur. Sie vermittelt<br />
ein unvergleichlich authentisches<br />
Flügelspielgefühl, da sie nicht nur<br />
über einen Druckpunkt verfügt, der<br />
dem eines<br />
Flügels<br />
gleicht, sondern<br />
auch so<br />
gestaltet ist,<br />
dass der Anschlag<br />
bei<br />
den tieferen<br />
Tasten<br />
ein etwas größeres<br />
Gegengewicht bietet als<br />
bei denen in der höheren Lage.<br />
Zudem variiert die Druckpunktstärke<br />
auch bei unterschiedlich<br />
schnellem Anschlag.<br />
Die Klaviatur ist zudem<br />
mit einer Oberfläche ausgestattet,<br />
die die Fingerfeuchtigkeit<br />
absorbiert und damit ein Spielgefühl<br />
ähnlich dem auf Elfenbeintasten vermittelt.<br />
Die Klangabstrahlung ist gut<br />
gelöst, da unter dem zu öffnenden<br />
kleinen Flügeldeckel zusätzlich Lautsprecher<br />
ihren Dienst versehen, die<br />
bei geschlossenem Deckel den Klang<br />
eines geschlossenen Flügels vermitteln.<br />
Bei nur 73 Zentimeter Tiefe ist<br />
dies ein bemerkenswertes Feature.<br />
Zudem aber sind die technischen Anbindungen<br />
dieses Instruments wichtig.<br />
Gleich rechts unter der Klaviatur<br />
findet man einen USB-Port, an dem<br />
man einen USB-Speicherstick anschließen<br />
kann, um die Sounds in<br />
WAV- oder Standard-MIDI-File-Art<br />
abzuspeichern oder einzuspeisen.<br />
Steingraeber & Söhne erweitert Flügelpalette<br />
ßen Konzertflügel einen kleineren<br />
Bruder zur Seite gestellt, den D-232,<br />
der auf der Musikmesse in Frankfurt<br />
deutsche Premiere feiern konnte.<br />
Und entsprechend dem Innovationsgeist<br />
bei Steingraeber weist auch dieses<br />
Instrument einige Eigenmerk-<br />
Über diesen Port kann man aber<br />
auch ein externes USB-CD-Laufwerk<br />
anschließen, um dann Audio-CDs<br />
abzuspielen.<br />
Für einen Preis von Euro 4999,- kann<br />
man sich nun endlich einen<br />
wunderbar hochwertigen D-<br />
Flügel von Roland leisten!<br />
Wer dann doch eher auf eine Hochglanz-Version<br />
in seinem Wohnzimmer<br />
Wert legt, muss sich dem HP<br />
207e von Roland zuwenden. Es bietet<br />
fast all die Features, die das<br />
RG-1 bietet, kommt aber in<br />
einem kleinen D-Piano-typischen<br />
schwarz hochglänzenden<br />
Konsolengehäuse daher.<br />
Der Sound ist mit einem 3-dimensionalen<br />
System wunderbar<br />
in Stereoqualität austariert.<br />
Neben all den Dingen, die auch das<br />
RG-1 bietet, findet man bei diesem<br />
Instrument sogar noch einen Anschluss<br />
für einen iPod oder einen anderen<br />
transportablen Player (Euro<br />
4199,- schwarz poliert).<br />
Wer es kleiner und moderner liebt<br />
und dennoch einen Blickfang haben<br />
möchte, wird nun bei Roland mit<br />
dem DP 990 fündig. Dieses Instrument<br />
ist ein kleines D-Piano in<br />
schlichter Optik in matt Schwarz<br />
oder matt Kirsche. Bei geschlossenem<br />
Klaviaturdeckel ist dieses Instrument<br />
ein rechteckiger optisch<br />
gefälliger Kasten. Dass man bei diesem<br />
preiswerten Instrument (Euro<br />
1659,-) dennoch nicht auf das gute<br />
Spielgefühl verzichten muss, ist<br />
ebenso Roland-typisch wie der auch<br />
hier integrierte USB-Anschluss. Allein<br />
was den Klang angeht, sollte<br />
man vielleicht besser über Kopfhörer<br />
spielen, da der Klang aus den integrierten<br />
Boxen zwar für solch ein<br />
kleines Instrument faszinierend groß<br />
erscheint, aber dann doch nicht an<br />
den eines Flügels heranreicht.<br />
www.roland-musik.de<br />
male auf, die den Klang und das<br />
Spielgefühl dieses Flügels zu etwas<br />
Besonderem machen. So hat Steingraeber<br />
diesen Semi-Konzertflügel in<br />
der Konstruktion stark an den großen<br />
Bruder in Bezug auf die Klangreflexzonen<br />
und die weit gezogenen<br />
12 3 . 08
3 . 08<br />
Blindböden angelehnt. Doch das ist<br />
noch nicht das, was den Klang so<br />
kraftvoll und gut kontrollierbar<br />
macht. Zum einen fällt einem beim<br />
Öffnen des Flügeldeckels schon auf,<br />
dass dieser extrem leicht ausgefallen<br />
ist. Damit will man erreichen, dass<br />
die Teiltöne beim Spielen angereichert<br />
werden und somit auch das<br />
Klangvolumen verbessert wird. Der<br />
Kapodaster reicht mit 46 Tönen über<br />
die Klaviaturmitte hinaus, so dass<br />
nur 42 Töne durch Agraffen gebunden<br />
sind. Dies führt zu einem wirklich<br />
anderen Klangvolumen. Doch<br />
das Spielgefühl ist ebenfalls andersartig:<br />
Mit einem Aufgewicht von nur<br />
20–25 Gramm ergibt sich eine hervorragende<br />
Kontrollierbarkeit beim<br />
Spiel. Die Klaviatur ist typischerweise<br />
Sauter mit Sonderholz-Modellen<br />
Dass die einmal von dem bekannten<br />
Möbeldesigner Peter Maly<br />
für Sauter gestalteten Klaviere mannigfache<br />
optische Variationsmöglichkeiten<br />
bereithalten, zeigt sich<br />
fast in jedem Jahr in dem Sortiment<br />
der Maly-Linie von Sauter aus Spaichingen.<br />
In diesem Jahr nun präsentierte<br />
man zwei Modelle in besonderem<br />
Edelholz-Design: Das Art Deco-<br />
Sauters Maly-Modell Artes in Makassar-<br />
Palisander. Foto: Dürer<br />
Klavier „Artes“ war anstatt in glänzend<br />
Schwarz oder Weiß in Makassar-Palisander<br />
zu sehen. Eine wahre<br />
Augenweide ist diese Furniervariation<br />
mit hochglänzendem Lack.<br />
Allerdings macht dieses edle Furnier<br />
das Instrument auch teuer: 18.040,-<br />
Euro kostet diese Edelversion, die nur<br />
auf Bestellung gefertigt wird. Eine<br />
weitere Neuvariante eines längst<br />
bestehenden Maly-Modells war die<br />
Version des „Pure“ mit matt-schwarzem<br />
Gehäuse und Nussbaum-Klaviaturtisch,<br />
der aus diesem schlichten<br />
Modell wie ein homogen wirkender<br />
Fremdkörper herausragt.<br />
Und selbst Maly-Flügel „Ambiente“<br />
gab es eine weitere Variation: Anstatt<br />
der normalerweise an diesem<br />
Flügel auf der Zarge verlaufenden<br />
schmalen Edelstahllinie hatte man<br />
K LAVIER-NEWS<br />
mit einer hochwertigen Mineraloberfläche<br />
versehen, die<br />
das „Elfenbeingefühl“ perfekt<br />
simuliert. Aber wahlweise<br />
kann man auch das von Steingraeber<br />
angebotene Mammut-Elfenbein<br />
auf den Untertasten<br />
erhalten. Der Klang ist<br />
großartig, fein kontrollierbar<br />
im Fortissimo wie im Pianissimo,<br />
farbenreich und bei der<br />
Spielbarkeit hervorragend.<br />
Dieser Flügel ist nicht ganz<br />
preiswert, wie dies bei komplett<br />
in Handarbeit gefertigten<br />
Instrumenten heutzutage<br />
nun einmal ist. Mit Euro 79.450,liegt<br />
dieses Instrument in jedem Fall<br />
im Markt an der oberen Spitze. Aber<br />
man sollte diesen Flügel einmal an-<br />
an dem auf der Messe gezeigten Modell<br />
eine Linie von Swarowski-Steinen<br />
angebracht, so dass sich eine<br />
funkelnde Linie auf dem schwarzen<br />
Gehäuse abzeichnete.<br />
www.sauter-pianos.de<br />
Udo Schmidt-Steingraeber am neuen D-232.<br />
Foto: Dürer<br />
testen, denn er bietet eine vollkommene<br />
Alternative und individuelle<br />
Klanglichkeit im Vergleich zu anderen<br />
Marken.<br />
www.steingraeber.de<br />
Das Modell Pure in neuer Variation.<br />
Foto: Dürer<br />
K<br />
13
I<br />
Von: Andreas von Imhoff<br />
I NTERVIEW<br />
Lars Vogt ist der international erfolgreichste deutsche Pianist, seit vielen Jahren. Dennoch<br />
sind seine 12 bislang als Solist bei EMI Classics erschienenen CDs nicht im Geringsten ein<br />
Abbild seines großen Repertoires, auch wenn die Epochen der Klassik und Romantik bei ihm<br />
im Zentrum seines Interesses stehen. Zahlreiche Einspielungen zeigen allerdings Lars Vogt<br />
auch als Kammermusiker, ein Feld, das er intensiv betreibt, nicht nur als Gründer und künstlerischer<br />
Leiter seines erfolgreichen Kammermusik-Festivals „Spannungen!“ in Heimbach.<br />
Nun erscheint die erste Solo-CD auf einem anderen Label, nachdem Vogt EMI verlassen hat.<br />
Endlich eine Aufnahme seiner Sichtweise auf Schuberts Klaviermusik.<br />
Wir baten den Produzenten der CD, Andreas von Imhoff (jahrelang auch Chef von EMI<br />
Classics in Deutschland), die Idee zu beschreiben, wie es zu dieser Einspielung gekommen ist.<br />
Und dann lassen wir den Pianisten selbst zu Wort kommen.<br />
Andreas von Imhoff<br />
Lange kenne ich Lars Vogt schon, seit den frühen<br />
Tagen aus der gemeinsamen Zeit, als er<br />
EMI-Exklusiv-Künstler war; viele gemeinsame<br />
Projekte haben wir verwirklicht, stets habe ich<br />
intensiv Anteil genommen und mitgeholfen, die<br />
Karriere von Lars weiterzubringen, die ihn heute<br />
auf einem Höhepunkt sieht, wo er weltweit unterwegs<br />
ist, sowohl als Kammermusiker als auch als<br />
Solist mit den besten Orchestern der Welt und als<br />
Meister des Solo-Repertoires.<br />
Und während dieser ganzen Zeit haben wir stets<br />
auch einen sehr treuen Partner im Boot gehabt,<br />
den Deutschlandfunk. Zuerst mit Wolf Werth und<br />
Norbert Ely als die großen Unterstützer; heute ist<br />
uns Maja Ellmenreich eine engagierte, sympathische,<br />
wohlwollende und kompetente Partnerin,<br />
sowohl für die Solo-Projekte als auch für die Kammermusikprojekte<br />
des SPANNUNGEN-Festivals,<br />
dessen sämtliche Konzerte mitgeschnitten werden<br />
und meinem Label CAvi-music zur Auswertung<br />
bereitstehen, nachdem die EMI 2005 ausgestiegen<br />
ist.<br />
Ich erinnere mich noch sehr genau – es war<br />
während der Schubertiade 2005 (nomen est<br />
Anmerkungen eines<br />
Produzenten<br />
omen) –, dass in einem der vielen Gespräche mit<br />
Lars auch das Thema neuer Solo-Alben angesprochen<br />
wurde und er zu meinem großen Glück ganz<br />
spontan sagte, dass das nächste Album auf meinem<br />
Label CAvi-music erscheinen könnte, denn<br />
die Bindungen an die EMI wollte er beenden. Wir<br />
ließen die Frage offen, welches Repertoire für die<br />
nächste CD auf dem Programm stehen sollte; mir<br />
war nur schon länger klar geworden, dass Lars ein<br />
ungewöhnlich tiefes Verständnis für Schubert entwickelt<br />
hatte. Intensivst hatte er sich mit dessen<br />
Kammermusik- und Solowerken auseinandergesetzt.<br />
Lars Vogt öffnete mir den Weg zu Schubert,<br />
vor allem zu seinem Spätwerk. Immer wieder<br />
begab er sich zusammen mit seinen Freunden auf<br />
den schweren Pfad, speziell in den Klaviertrios die<br />
Endzeitstimmung dieser Musik durch besonders<br />
geschliffenes Spiel, eine hohe Variation von Anschlagskultur,<br />
durch eine breite emotionale Palette<br />
und das tiefe Verständnis der musikalischen<br />
Linie die Psyche dieser Musik verständlich zu machen.<br />
Immer wenn ich ihn hörte und das jeweilige<br />
Stück zu Ende war, machte sich in mir ein tiefes<br />
Gefühl der Dankbarkeit breit, mit ihm und den<br />
Mitspielern die verschlungenen Wege der Schubert’schen<br />
Musik gegangen zu sein. Mir ist immer<br />
noch eine Bemerkung von Tanja Tetzlaff im Kopf,<br />
nach dem Ende des 2. Trios: „Wir sind ja wohl ein<br />
bißchen ‚spazieren’ gegangen!“ – so beschrieb sie<br />
einfach das musikalische Ereignis der vergangenen<br />
abgelaufenen 50 Minuten.<br />
Für die Saison 2005/2006 hatte Lars Vogt als<br />
zweiten Teil seines Klavierabends Schuberts B-Dur-<br />
Sonate auf das Programm gesetzt und sich in mindestens<br />
15 Abenden ausführlich mit dem Stück<br />
auseinandergesetzt; den Höhepunkt bildete ein<br />
Klavierabend beim Klavier-Festival Ruhr. Es war<br />
schnell klar, dass man dieses Programm als CD<br />
veröffentlichen müsste. Lars und ich sahen uns an,<br />
ich mehr fragend, denn ich wusste, dass er ja eigentlich<br />
keinerlei Zeit hatte. Die neue Saison wartete<br />
ja schon, ein anderes Programm war im Entstehen.<br />
„Andreas, besorge mir einen Tag in den näch-<br />
14 3 . 08
3 . 08<br />
sten sechs Wochen, und wir versuchen es“, meinte er,<br />
wie häufig verschmitzt lächelnd, fast herausfordernd,<br />
trotz aller Müdigkeit nach einem großen<br />
Klavierabend.<br />
Es dauerte nicht mal die Heimfahrt an diesem<br />
Abend, als ich versuchte mit Maja Ellmenreich<br />
vom Deutschlandfunk Kontakt aufzunehmen,<br />
denn nun hieß es, schnell handeln und die Chance<br />
beim Schopfe zu packen. Auch ihr blieb fast die<br />
Luft weg, als ich an sie die Frage richtete, ob sie<br />
sich denn mal den Plan des Kammermusiksaals<br />
am Raderberggürtel anschauen könnte, um „den“<br />
Tag zu finden …<br />
Alle wirbelten. Auch Stephan Schmidt, der Tonmeister<br />
und Aufnahmeleiter, war frei, und so warteten<br />
wir alle gespannt auf den Tag X (15. Oktober<br />
2006), an dem Lars schon früh angefahren kam.<br />
Er wärmte sich auf, kannte den Flügel, den der<br />
bewährte Klavierstimmer Christian Schoke wieder<br />
einmal prächtig präpariert hatte.<br />
Die Strategie war schon frühzeitig klar: so viele<br />
Gesamtdurchgänge wie möglich, den großen Bogen<br />
zu erhalten – sowohl die Struktur, der musikalische<br />
Zusammenhang, als auch die Zeit ließen<br />
fast gar keine anderen Überlegungen zu, sich in<br />
Einzelheiten zu vertiefen. Drei, vier Durchgänge,<br />
hier und da noch Passagen aus den einzelnen Sätzen<br />
oder besonders „haarige“ Stellen – das war’s.<br />
Lars wie auch Stephan Schmidt wollten es auch<br />
gar nicht anders. Ihnen lag am Herzen, mehr oder<br />
weniger ein Live-Ereignis (natürlich mit Wiederholungsmöglichkeiten)<br />
zu simulieren, das eben<br />
eine Nuance anders und gegebenenfalls perfekter<br />
war als der Livemitschnitt. Gegen 22 Uhr, nach ca.<br />
10 Stunden Schwerstarbeit, waren Lars und<br />
Stephan Schmidt sich einig und sicher. „Deckel zu“<br />
– ein „Ritt über den Bodensee“ war gelungen. Lars<br />
war zufrieden und andererseits aber auch überrascht,<br />
denn selbst er war sich nicht sicher gewesen,<br />
ob das Experiment klappen würde. Irgendwie<br />
fiel uns allen ein Stein vom Herzen, und mit großer<br />
Hochachtung planten wir den nächsten<br />
Schritt.<br />
Natürlich hatten wir alle schon im Kopf, welche<br />
zusätzlichen Stücke noch auf die CD sollten: Schuberts<br />
letzte „Drei Klavierstücke“ D 946. Das bot<br />
sich nicht nur musikalisch an, sondern entsprang<br />
auch fast dem Zufall, da Lars Vogt sich für die<br />
Saison 2006/2007 diese Werke für sein Recitalprogramm<br />
vorgenommen hatte. Auch hier gingen die<br />
Interpretationen erst einmal durch die Feuertaufe<br />
einiger Live-Auftritte, ehe Lars wiederum signalisierte,<br />
dass er sich eine Aufnahme durchaus vorstellen<br />
könnte. Wiederum war aufgrund des engen<br />
Zeitplans von Lars’ Verfügbarkeit kaum mit einer<br />
langwierigen Sitzung im Studio zu rechnen; es<br />
musste sich natürlich auch der Atmosphäre und<br />
Stimmung der B-Dur-Sonate anpassen, auch spontan<br />
leben und ein live-orientiertes Erlebnis werden:<br />
also wieder nur ein Tag, ein Sonntag, Ende<br />
September 2007. Die ganze Prozedur wiederholte<br />
sich also fast ein Jahr später – zwischen der vergangenen<br />
und der neuen Saison fand sich wieder<br />
„der“ Tag, an dem Lars Vogt wieder zum Flügel im<br />
Kammermusiksaal des Deutschlandfunks ging und<br />
in einem erneuten Marathon von 10 Stunden kon-<br />
I NTERVIEW<br />
zentrierter Arbeit die<br />
drei Stücke einspielte;<br />
wir kannten das Rezept,<br />
und wiederum<br />
erwies es sich als äußerst<br />
tragfähig, sich<br />
nicht in die Einzelheiten<br />
zu verlieren,<br />
den großen Bogen und<br />
die musikalischen Linien<br />
zu suchen. Mit eiserner<br />
Disziplin und erheblichemKraftaufwand<br />
bis zur Erschöpfung<br />
widmete sich Lars<br />
Vogt dieser so gnadenlos<br />
guten, so bewegenden<br />
Musik, manchmal<br />
am Rande der Verzweiflung,<br />
wenn die<br />
Nuance, der Anschlag,<br />
die Phrase, die Schattierung<br />
nach mehreren<br />
Wiederholungen nicht<br />
klappte. Lars hatte alles<br />
gegeben! Danke!<br />
Danke auch an Stephan<br />
Schmidt und alle guten Geister vor und hinter<br />
den Kulissen im Deutschlandfunk. Was für ein<br />
Ereignis und welche Erfahrung für alle!<br />
www.avi-music.de<br />
I<br />
Lars Vogt<br />
Julia Baier/CAvi-music<br />
15
I<br />
I NTERVIEW<br />
„Ein Stück voller Rätsel …<br />
Julia Baier/CAvi-music<br />
16 3 . 08
3 . 08<br />
PIANONews: Ist Schuberts Klaviermusik Ihrer Meinung<br />
nach besser für den kleinen, intimen Rahmen geeignet<br />
oder für den großen Konzertsaal?<br />
Lars Vogt: Schubert hat sicher nicht an einen Saal<br />
mit 2.000 Leuten gedacht. Es sind musikalische<br />
Aussagen, die ins Intime gehören, und bei denen<br />
er vielleicht an Aufführungen in unserem heutigen<br />
Sinne überhaupt nicht dachte.<br />
PIANONews: Hören Sie Todesahnung aus dieser Musik<br />
heraus? Eine Art kompositorischen Zeitdruck?<br />
Lars Vogt: Ohne Frage steckt in den Drei Klavierstücken<br />
und der B-Dur-Sonate viel Endzeitlichkeit.<br />
Gerade in der Sonate ist es ganz offensichtlich: das<br />
abrupte Stocken gleich zu Beginn, das sich durch<br />
den ganzen ersten Satz zieht.<br />
PIANONews: Sollte es Ihrer Meinung nach ein Mindestalter<br />
für Pianisten geben, die Schubert spielen?<br />
Lars Vogt: Schubert war in meinem jetzigen Alter<br />
schon acht Jahre tot! Aber ohne Frage hat er eine<br />
Reife besessen, die einem normalen 28-Jährigen<br />
abgeht – allein durch die Lebensumstände und die<br />
Art seiner Erfahrungen. Ich denke, dass auch junge<br />
Menschen in der Lage sind, sich in solch eine<br />
Gedankenwelt einzufühlen. Auch jeder junge<br />
Mensch hat schließlich seine ganz persönlichen<br />
Erfahrungen mit dem Tod. Und dennoch kann ich<br />
nicht umhin, zu sagen, dass sich meine Interpretation<br />
des anderen großen Heiligtums, der Beethoven-Sonate<br />
op. 111, die ich schon sehr früh –<br />
mit 17, 18 Jahren – gespielt habe, natürlich in den<br />
letzten 20 Jahren ungeheuer gewandelt hat. Mit<br />
wachsender Lebenserfahrung tut sich noch einiges.<br />
PIANONews: Wie wichtig ist es Ihnen, sich in die Lebenserfahrungen<br />
des Komponisten einzufühlen, sich<br />
mit dessen Lebensgeschichte auseinanderzusetzen?<br />
Lars Vogt: Je älter ich werde, umso mehr interessiere<br />
ich mich für den Lebensweg und die Lebensumstände.<br />
Doch letzten Endes spricht eine Partitur<br />
so intensiv und so unmittelbar für sich – gerade<br />
bei starken Persönlichkeiten wie Mozart, Schubert<br />
oder Beethoven –, dass man eigentlich den Menschen<br />
durch die Partitur viel besser kennen lernt<br />
als durch jegliche Lebensdetails. Schuberts B-Dur-<br />
Sonate schildert ein gnadenloses Abschiedsszenario<br />
und strahlt Hoffnungslosigkeit aus, obwohl<br />
sie in B-Dur komponiert wurde!<br />
I NTERVIEW<br />
PIANONews: Wenn Sie das aus dem Notentext herauslesen,<br />
dann kann es doch keine Musik sein, die Sie<br />
aus dem Stand heraus, zu jeder Tages- und Nachtzeit<br />
spielen können? Braucht es eine mentale Vorbereitungsphase?<br />
Lars Vogt: Dem Musiker geht es ähnlich wie dem<br />
Schauspieler: Man muss relativ schnell in unterschiedliche<br />
Stimmungen eintauchen können. Aber<br />
natürlich ist es hilfreich, sich bei der B-Dur-Sonate<br />
ein kleines bisschen von der Welt zu lösen, einen<br />
ruhigen Atem zu finden, um auf diesem Strom der<br />
Ewigkeit am Anfang loszuschwingen.<br />
PIANONews: Die liedhafte Melodie zu Beginn des<br />
Lars Vogt Vogt<br />
im Gespräch Von: Maja Ellmenreich<br />
ersten Satzes, die durch den Todestriller abgebrochen<br />
wird, scheint fast dazu aufzufordern, mitzusingen.<br />
Lars Vogt: Ich stelle mir in der Tat ein gesungenes<br />
Lied am Anfang vor, um zu vermeiden, dass ich es<br />
mit Bedeutung überlade. Es besteht nämlich immer<br />
eine Gefahr, wenn man sich solch einem Heiligtum<br />
nähert: Man empfindet die ungeheure<br />
Spannung zwischen den einfachen Tönen und ist<br />
versucht, alles zu interpretieren.<br />
PIANONews: Welche Argumente haben Sie überzeugt,<br />
die Wiederholungen zu spielen?<br />
Lars Vogt: In der ersten Klammer gibt es Takte,<br />
die sonst überhaupt nicht gespielt würden. Und in<br />
diesen Takten erscheint besagter Todestriller ein<br />
einziges Mal nicht im äußersten Pianissimo, sondern<br />
im Sforzatissimo.<br />
PIANONews: Der wiederkehrende Todestriller, das<br />
wiederkehrende Lied. In Schuberts B-Dur-Sonate trifft<br />
der Zuhörer immer wieder auf Vertrautes. Birgt das<br />
nicht die Gefahr, die Orientierung zu verlieren?<br />
Lars Vogt: Das kann im Konzert zum Problem<br />
werden. Bei Schubert muss man schon sehr genau<br />
vor Augen haben, welche Wendung als nächste<br />
kommt. Sonst beginnt man, sich im Kreis zu drehen,<br />
und das Stück wird noch länger, als es ohnehin<br />
schon ist ... Dem Interpreten wird Geduld abverlangt<br />
und das Wissen, dass diese Musik auch<br />
davon lebt, dass Zeit vergeht. Diese repetitiven<br />
Töne, die schon zu Beginn in der Begleitfigur von<br />
der linken Hand gespielt werden, erinnern mich<br />
immer an das Ticken einer Uhr und stellen den<br />
Fluss der Zeit dar.<br />
PIANONews: Ist das ein souveräner Umgang mit der<br />
Zeit? Die Erkenntnis, dass ich die Zeit weder anhalten<br />
I<br />
17
I<br />
W. A. Mozart<br />
Sonaten, Fantasien, Rondos,<br />
Adagio b-Moll, Duport<br />
Variationen<br />
EMI CD 3360802<br />
Ludwig van Beethoven<br />
- Klavierkonzerte Nr. 1 + 2<br />
City of Birmingham<br />
Symphony Orchestra<br />
Ltg.: Sir Simon Rattle<br />
EMI CD 5562662<br />
- Sonaten op. 10/1, 111 + 32<br />
Variations c-Moll<br />
EMI CD 5561362<br />
I NTERVIEW<br />
noch beschleunigen kann, sondern sie als gegeben hinnehmen<br />
muss?<br />
Lars Vogt: Es ist sicher etwas Fatalistisches darin.<br />
Obwohl die Zeit hier ja immer mal wieder stehen<br />
bleibt: Der Rhythmus hört auf, es folgt ein dunkler<br />
Triller, und alles kommt zum Stillstand, ehe es wieder<br />
anfängt.<br />
PIANONews: Schmerz, Erschütterung und Traurigkeit<br />
sprechen besonders aus dem zweiten Satz. Ist er nicht<br />
teuflisch schwierig zu spielen?<br />
Lars Vogt: Technisch ist das alles nicht so problematisch.<br />
In der ganzen Sonate nicht, im letzten<br />
Satz noch am ehesten. Aber die Interpretation ist<br />
ungeheuer schwierig. Man fühlt sich schließlich in<br />
keiner Weise befreit nach dem ersten Satz und<br />
erreicht mit zugeschnürter Kehle den zweiten Satz,<br />
und dann folgt diese Viertelstunde Trauermusik.<br />
Nach dem ersten Satz ist alles emotional aufgerieben,<br />
und nach dem zweiten Satz ist alles wie vereist,<br />
aber nach dem Mittelteil kehrt es wieder<br />
zurück in diese Eisstarre. Nur ganz am Ende gibt es<br />
einen kleinen Hoffnungsausblick der Erlösung,<br />
eine Vision im äußersten Pianissimo in Cis-Dur.<br />
Aber zum Schluss kehrt es zurück in diese Eisesstarre.<br />
PIANONews: Können Sie nach solcher Eiseskälte das<br />
aufgedrehte Menuett überhaupt ertragen?<br />
Lars Vogt: Ich habe mir ein paar Aufnahmen angehört<br />
und finde, dass es häufig zu aufgedreht gespielt<br />
wird. Es ist zwar mit ‚Allegro vivace’ ein<br />
lebendiges Allegro, aber ‚con delicatezza’ zu spielen.<br />
Es fängt im Pianissimo an und bleibt dort eine<br />
Ewigkeit. Das allein lässt sich mit einer aufgedrehten<br />
Derbheit nicht vereinen. Doch die B-Dur-<br />
Sonate ist offenbar ein Stück, bei dem man interpretatorisch<br />
sehr unterschiedlicher Meinung sein<br />
kann.<br />
PIANONews: Wozu dienen Ihnen Aufnahmen anderer<br />
Pianisten – als Hilfsmittel, um noch präziser den<br />
Weg zur eigenen Interpretation zu finden?<br />
Lars Vogt - Auswahldiskografie<br />
Robert Schumann /<br />
Edvard Grieg<br />
Klavierkonzerte<br />
City of Birmingham<br />
Symphony Orchestra<br />
Ltg.: Sir Simon Rattle<br />
EMI CD 7547462<br />
Johannes Brahms<br />
- Klavierstücke op. 117, 118 +<br />
119<br />
EMI CD 5575432<br />
- Sonaten op. 1, op. 2 und<br />
Scherzo op. 4<br />
EMI CD 5573922<br />
- Sonate f-Moll op. 5, Ballades<br />
op. 10<br />
EMI CD 5571252<br />
Lars Vogt: Schuberts B-Dur-Sonate zählt seit meiner<br />
Jugend zu meinen Lieblingssonaten. Somit<br />
habe ich schon früh viele verschiedene Aufnahmen<br />
gekannt. Als ich dann beschlossen habe, sie<br />
zu lernen, habe ich erst einmal keine weiteren<br />
Aufnahmen gehört. Das ist für mich immer ganz<br />
wichtig, um meine ganz persönliche Meinung zu<br />
finden. Und wenn ich dann mit dem Stück noch<br />
nicht ganz auf der Bühne bin, dann interessiert es<br />
mich wieder, was Kollegen dazu zu sagen haben,<br />
wie sie die Probleme lösen und interpretatorische<br />
Fragen beantworten.<br />
Ihre Meinungen finde ich interessant. Aber im<br />
Grunde ist es mir egal, ob ich gegen oder mit dem<br />
Strom schwimme. Schließlich ist es immer eine<br />
persönliche Sicht. Und dadurch klingt es bei jedem<br />
Interpreten immer ein bisschen anders, weil jeder<br />
Mensch die Dinge anders empfindet. Aber letztlich<br />
bleiben wir alle Suchende. Auch der größte Meister<br />
kann nicht von sich behaupten, dass er bei<br />
solch einem Stück der Wahrheit ganz klar ins Auge<br />
geblickt hat. Man findet schlüssige und weniger<br />
schlüssige Interpretationen, aber wir sind alle<br />
Blinde, die im Suchen begriffen sind. Und wenn<br />
die großen Highlights der Interpretationsgeschichte<br />
entstehen, ist jemand einäugig gewesen. Das<br />
soll keine Kritik sein! Aber ich denke, dass es nicht<br />
die eine gültige Interpretation gibt. Die gibt es einfach<br />
nicht! Jede Interpretation ist anders, neu.<br />
Wenn man das Stück von einer anderen Seite beleuchtet,<br />
kann das dem Stück nur dienen.<br />
PIANONews: Robert Schumann hat über den vierten<br />
Satz gesagt „… als könne er gar kein Ende haben<br />
…“ Wie gefällt Ihnen das?<br />
Lars Vogt: Das ist ein schöner Satz. Ich liebe ohnehin<br />
die Schumann’schen Kommentare! Was im<br />
ersten Satz der Triller war, ist nun eine einzelne<br />
Oktave. Sie klingt in meinen Ohren wie ein<br />
„Nein“, das immer wiederkehrt. Es beginnt eine<br />
Art Tanz, der sich immer nur im Kreis dreht und<br />
sich nicht lösen kann.<br />
PIANONews: Bleibt eine Art Ratlosigkeit zurück?<br />
Robert Schumann<br />
Kreisleriana op. 16, Bunte<br />
Blätter op. 99<br />
EMI CD 5554252<br />
Joseph Haydn: Sonaten<br />
Hob. XVI/50<br />
Johannes Brahms:<br />
Klavierstücke op. 119<br />
Helmut Lachenmann:<br />
Schubert-Variationen<br />
Franz Schubert: Sonaten<br />
op. 78<br />
EMI CD 7544462<br />
Joseph Haydn<br />
Sonaten Nr. 15, 33, 36, 37<br />
EMI CD 5550092<br />
Die aktuelle CD<br />
Franz Schubert<br />
Sonate B-Dur D 960<br />
Drei Klavierstücke D 946<br />
CAvi-music 4260085530984<br />
(Vertrieb: JaKlar!)<br />
18 3 . 08
3 . 08<br />
Lars Vogt: Genau. Mit den Sechzehntel-Figuren<br />
scheint es gar kein Ende zu nehmen. Doch dann<br />
folgt eine typisch Schubert’sche Generalpause und<br />
ein Ausbruch von markerschütternder Verzweiflung.<br />
Er hält für etwa 20 Takte an, bevor es in ein<br />
seliges Pianissimo geht, das auch nicht enden will.<br />
Aber das wirkliche Rätsel kommt am Schluss: ein<br />
heiterer, fröhlicher Rausschmeißer.<br />
PIANONews: Kann man Brecht zitieren: Der Vorhang<br />
zu, und alle Fragen offen!<br />
Lars Vogt: Ja, vielleicht. Der Schluss wirkt auf<br />
mich wie bloßer Trotz. Aus den letzten Akkorden<br />
höre ich so etwas heraus wie „Kopf ab!“ Damit<br />
lässt uns Schubert zurück! Auch wenn in der Interpretation<br />
eines solchen Stückes viel Meinung, viel<br />
Persönliches steckt, glaube ich, dass trotzdem bestimmte<br />
Fragen nur angerissen werden, die man<br />
nie klären kann. Ein Stück voller Rätsel!<br />
PIANONews: Die Drei Klavierstücke geben auf andere<br />
Weise ein Rätsel auf. Wie nehmen Sie sie wahr, als<br />
drei einzelne, jeweils in sich abgeschlossene Stücke, die<br />
halt hintereinander gespielt werden?<br />
Lars Vogt: Man kann sie sicher auch mal einzeln<br />
spielen. Ich habe vor kurzem, als ein Programm<br />
nicht das gesamte Werk mit gut 30 Minuten<br />
zuließ, den frevelhaften Gedanken gehegt, nur das<br />
erste und das dritte Stück zu spielen, habe es dann<br />
aber doch nicht gemacht. Schließlich ergeben sie<br />
einen eigentümlichen Bogen.<br />
Die zwei Mittelteile im ersten Stück spiele ich<br />
beide, auch wenn der zweite nicht in der Erstausgabe<br />
abgedruckt ist. Ich spiele ihn aber, weil ich<br />
ihn sehr gut finde. Ich habe den Verdacht, dass<br />
Schuberts Freunde mal wieder gesagt haben: „Das<br />
ist zu lang, das kannst du nicht machen!“.<br />
Mit dem zweiten Stück folgt eine ganz friedliche,<br />
aber auch schmerzliche Melodie, die ganz dunkle,<br />
innige Mittelteile hat. Und zum Schluss ein Stück,<br />
das wie ein Scherzo wirkt.<br />
PIANONews: Erlauben Sie sich, ein Lieblingsstück unter<br />
diesen dreien zu haben?<br />
Lars Vogt: Am ehesten das zweite, wegen der<br />
wunderschönen Melodien in den Außenteilen und<br />
der Gespensterstimmung in den Mittelteilen. Die<br />
spiele ich besonders gerne.<br />
PIANONews: Worin besteht für Sie bei diesem Repertoire<br />
der Unterschied zwischen der Aufnahmesituation<br />
allein im Studio und der Konzertsituation vor<br />
Publikum?<br />
Lars Vogt: Ich habe mich bei der B-Dur-Sonate darum<br />
bemüht, dass mir das Gefühl eines Bogens<br />
vom ersten bis zum letzten Ton nicht verloren<br />
geht. Darum habe ich sie auch bei der Aufnahme<br />
mehrmals komplett gespielt. Damit ich mich nicht<br />
in den Kleinigkeiten verliere, um zu vermeiden,<br />
aus jeder Stelle das Äußerste herauszuquetschen,<br />
sondern darauf zu schauen, dass alles seinen Platz<br />
in einem Gesamtbild hat. Das war mir hier beson-<br />
I NTERVIEW<br />
ders wichtig, deshalb kommt es einem Konzertdurchlauf<br />
besonders nah. In einem Konzert – so<br />
sehr man sich da auch bemüht, zu sich selber zu<br />
finden – befindet man sich immer in einer<br />
Dialogsituation mit dem Publikum. Das ist gut so,<br />
wenn es einen nicht zu zappelig macht oder<br />
ablenkt. Man darf vom Kern nicht abkommen –<br />
besonders bei der B-Dur-Sonate.<br />
PIANONews: Eignet sich die Aufnahmesituation –<br />
ganz allein im Saal, nur von Mikrofonen umgeben –<br />
für diese Schubert-Sonate dann besonders gut?<br />
Lars Vogt: Das ist eine andere Situation, in der ich<br />
für mich bin, in mich hineinhören kann. Es<br />
herrscht absolute Stille, ich höre mein eigenes<br />
Herz klopfen und kann mich auf die Suche begeben.<br />
So empfinde ich es häufig, wenn ich mich im<br />
Studio an den Flügel setze, das rote Licht sehe und<br />
mir sage: Na, dann suche ich mal …<br />
Die Konzertsituation zuvor benötige ich als Vorbereitung<br />
für die Aufnahme. Da ist es mir sehr wichtig,<br />
das Gesamtbild der Komposition vor Augen zu<br />
haben, zu wissen, wie es sich anfühlt, wenn diese<br />
Zeit vergeht. Wenn ich etwas zu Hause spiele,<br />
kann ich jederzeit unterbrechen. Aber im Konzert<br />
muss ich das Bild vom ersten bis zum letzten Ton<br />
entwerfen. Ich muss physisch diese Anstrengung<br />
spüren, diese Qual und unglaubliche Freude zugleich.<br />
www.larsvogt.de<br />
I<br />
19
A<br />
A NSICHTEN<br />
Schuberts unvollendete Klaviersonaten (2)<br />
Mit dieser Ansicht bin ich vollkommen<br />
einverstanden. Es<br />
wäre undenkbar, eine ,komplette’<br />
Schubertsonaten-Serie aufzuführen<br />
oder aufzunehmen, ohne die<br />
Unvollendeten einzuschließen; ich habe<br />
sie in meiner Aufnahme (Schubert<br />
– Complete Piano Sonatas, Hungaroton<br />
HCD 41006) mit einbezogen und<br />
spiele sie auch öfter in Konzerten.<br />
Wenn man bedenkt, dass Schuberts<br />
Sonaten vor den 1930er Jahren fast<br />
nie gespielt wurden (hauptsächlich<br />
dank Artur Schnabel und Eduard<br />
Erdmann kamen sie langsam ins Repertoire),<br />
wäre es jetzt höchste Zeit,<br />
diese wundervollen Werke auch wieder einzuführen.<br />
Aber leicht ist diese Aufgabe nicht. Es gibt viele<br />
Probleme und Rätsel, die wahrscheinlich nie mit<br />
absoluter Sicherheit gelöst werden können. In der<br />
Tat sind die meisten der ein-<br />
zelnen Sätze komplett; nur<br />
eine Handvoll sind unvollendet<br />
geblieben. Das Problem<br />
ist eher, welche zusammengehören,<br />
um ein fertiges<br />
drei- oder viersätziges Werk<br />
zu gestalten? Und welche der<br />
unvollendeten Sätze waren<br />
evtl. als echtes Fragment gedacht?<br />
Welche, die Schubert<br />
beiseitelegte, um erst später weiterzuschreiben<br />
(was er dann aus irgendeinem Grund vergaß)?<br />
Welche waren für eine bestimmte Sonate bestimmt,<br />
die dann nicht zustande kam usw. usw.<br />
Bevor wir aber an die einzelnen Werke herangehen,<br />
wollen wir diese Probleme kurz unter die Lupe<br />
nehmen.<br />
In den Jahren zwischen 1815 und 1817 haben<br />
wir aus Schuberts Hand 14 Sätze in E-Dur oder e-<br />
Moll. Diese Sätze sind meistens vollständig, doch<br />
in keinem einzelnen Fall können wir feststellen, ob<br />
Schubert aus diesen oder jenen eine zusammengehörige<br />
Sonate machen wollte. Darüber herrschen<br />
seit Jahren die größten Verwirrungen und<br />
Kontroversen (z. B. im Falle der sogenannten Fünf<br />
Klavierstücke D 459). Dann gibt es gewisse Werke,<br />
wo die meisten Experten einverstanden sind, dass<br />
sie als echte mehrsätzige Werke konzipiert wurden<br />
(so die f-Moll-Sonate D 625, die fis-Moll Sonate D<br />
571 und die C-Dur-Sonate D 279). Die As-Dur-<br />
Sonate D 557 ist ein komplettes dreisätziges Werk;<br />
sie wurde meiner Ansicht nach irrtümlicherweise<br />
Von: Malcolm Bilson<br />
In PIANONews 6-2007 schreibt Gottlieb Wallisch höchst sympathisch über die sogenannten<br />
,unvollendeten’ Sonaten Franz Schuberts. Laut Wallisch sind dies nicht nur Werke, die unbedingt<br />
in den ,Kanon’ aufgenommen zu werden verdienen, sondern manche zeigen leidenschaftliche<br />
Tendenzen, die in den vollendeten Sonaten fast nicht anzutreffen sind und sie in<br />
mancher Hinsicht sogar übertreffen.<br />
„Die romantische Dichtart ist<br />
noch im Werden; ja das ist ihr<br />
eigentliches Wesen, daß sie ewig<br />
nur werden, nie vollendet sein<br />
kann.“<br />
Friedrich Schlegel<br />
in die Reihe der Unvollendenten gestellt,<br />
wegen der ungewöhnlichen<br />
Tonartfolge: erster Satz in As-Dur,<br />
zweiter Satz in Es-Dur und dritter Satz<br />
gleichfalls in Es-Dur (so ein Tonartenverhältnis<br />
taucht jedoch bereits bei<br />
C. P. E. Bach auf). Die sogenannte ,Reliquie’-Sonate<br />
D 840, das vielleicht<br />
größte und wichtigste unter diesen<br />
Werken, bleibt ein Sonderfall. Fangen<br />
wir bei ihr an.<br />
Das Autograph dieses Werkes<br />
scheint eine Reinschrift zu sein (d.h.<br />
sauber ausgeschrieben, fertig zum<br />
Setzen beim Verleger), aber vielleicht<br />
doch nicht ganz. Bei Schubert ist es oft<br />
nicht klar, ob wir einen Entwurf oder eine<br />
Reinschrift vor uns haben. Zwei Sätze, der erste<br />
und der zweite, sind komplett ausgeschrieben,<br />
darüber hinaus gibt es noch zwei weitere, nicht zu<br />
Ende geführte Sätze. Die thematische Verwandtschaft<br />
zu der im<br />
selben Jahr komponierten<br />
a-Moll-Sonate D 845<br />
ist evident, und manche<br />
sehen den ersten Satz<br />
von D 840 als einen Entwurf<br />
oder eine Skizze<br />
zum ersten Satz von D<br />
845. Doch das kann<br />
kaum der Fall sein – der<br />
erste Satz von D 840 ist<br />
ein monumentales, fantastisches Werk von höchster<br />
Originalität, das Donald Francis Tovey „the<br />
most subtle thing Schubert ever wrote“ nannte. Zwei<br />
komplette Sätze also, dann weitere unvollendete<br />
Sätze – die Lage ist fast identisch zu der großen<br />
,Unvollendeten’ h-Moll-Sinfonie D 579.<br />
Als Schubert 1822 ein Ehrendiplom von der Steierischen<br />
Gesellschaft der Musikfreunde in Graz erhielt,<br />
übersandte er ihnen diese unvollendete<br />
Sinfonie trotz der Tatsache, dass er viele fertige<br />
Werke bereit hatte! Eine hochangesehene Aesthetik<br />
des Fragmentes (siehe F. Schlegel) scheint damals<br />
in den deutschsprachigen Ländern eine große<br />
Rolle gespielt zu haben (auch öfter bei Schumann,<br />
siehe z. B. das erste Lied ,Im Wunderschönen Monat<br />
Mai’ aus der „Dichterliebe“, das schwebend in der<br />
Dominante endet). Ich fasse also die Reliquie als<br />
ein zweisätziges, unfertiges Werk auf: ein Fragment<br />
im Schlegel’schen Sinne, eine Hypothese, die niemals<br />
weder widerlegt noch bestätigt werden kann.<br />
Der dritte Satz, ein Menuetto, ist eines von Schuberts<br />
abenteuerlichsten und weitschweifigsten<br />
20 3 . 08
3 . 08<br />
kompositorischen Gefügen; von allen unvollendeten<br />
Sätzen in Schuberts Klavierschaffen gibt die<br />
Vervollständigung dieses Satzes das größte Rätsel<br />
auf. Ein Satz, der in As-Dur anfängt, gleich nach<br />
ein paar Takten in A-Dur übergeht, dann eine<br />
Durchführung nach Ges-Dur durch alle möglichen<br />
Tonarten, endlich eine Reprise in A-Dur, die mit<br />
der Anmerkung abbricht etc. etc; ein echtes Puzzle!<br />
(In meiner Aufnahme gebe ich meine vervollständigte<br />
Version bloß als Anhang.)<br />
Aber gerade dieses etc. etc. bringt uns zu der<br />
Frage, ob man vervollständigen soll oder nicht;<br />
was hatte Schubert damit gemeint? Viele Aufführungen<br />
der unvollendeten Sätze brechen dort ab,<br />
wo auch Schubert abbricht (Wallisch, Richter,<br />
Schiff, auch Rudolf Serkin). Als Grund dafür<br />
äußert sich Gottlieb Wallisch bündig: „(Es) ... stand<br />
für mich fest, bei den Aufnahmen ausschließlich Schuberts<br />
reinen Text, ohne jegliche Ergänzungen, spielen<br />
zu wollen. Denn die Schroffheit und Kühnheit dieser<br />
Musik liegt eben in ihrer Unvollständigkeit.” Einige<br />
von uns (Paul Badura-Skoda, Noël Lee, ich selber)<br />
sehen die Lage etwas anders und finden, dass<br />
diese fragmentarischen Sätze ergänzt werden müssen;<br />
nur so kann die volle Kraft der ,Schroffheit<br />
und Kühnheit’ zur Geltung kommen!<br />
Diejenigen Sätze, die abbrechen (und es sind ja<br />
schließlich nicht so viele), tun dies meistens knapp<br />
vor der Reprise. Schubert schreibt in jedem Fall bis<br />
zum Ende der Durchführung, zu einem Punkt, an<br />
dem man leicht die Reprise eher mechanisch ausschreiben<br />
könnte. In seinen kompletten Sätzen<br />
verfährt Schubert aber selten in dieser Weise, immer<br />
kommt irgendein wunderbar unerwartetes<br />
harmonisches Rücken, eine überraschende neue<br />
Wendung zum Entzücken des aufmerksamen<br />
Ohres. Für den Ergänzer ist das gleichzeitig aufregend<br />
und einschüchternd; man will ja Schuberts<br />
Sprache, die oft so knifflig und erfinderisch ist, völlig<br />
kennen und ihr treu bleiben.<br />
Schubert ganz treu zu bleiben, ist aber nicht nur<br />
bei den Ergänzungen ein Problem. Was die Quellen<br />
angeht, ist die Lage sehr gut; wir haben für die<br />
meisten dieser Sätze ein Autograph in Schuberts<br />
Hand. Doch kann ich manches Detail nicht ganz<br />
akzeptieren: ein dynamisches Zeichen, ein # oder<br />
b, eine Note oder einen Bindebogen – manchmal<br />
habe ich das sichere Gefühl, Schubert hätte sie<br />
später emendiert. Er scheint sehr schnell geschrieben<br />
zu haben, oftmals pflegte er dann später hier<br />
oder da eine Kleinigkeit zu ändern oder zu verbessern,<br />
so dass bei den späteren Werken, für die es<br />
eine Reinschrift gibt, solche Fragen fast nicht mehr<br />
auftauchen.<br />
Man wird z. B. nie mit Sicherheit sagen können,<br />
dass irgendwelche Sätze unbedingt zusammengehören,<br />
um eine mehrsätzige Sonate zu bilden, oder<br />
dass Schubert meine oder andere Ergänzungen<br />
gebilligt hätte, dass ein gewisser Akkord Moll oder<br />
Dur sein soll, usw. So werden alle diese Aspekte zu<br />
einer Interpretation, gleich allen Aspekten jeder Interpretation,<br />
die zur persönlichen Aussprache<br />
eines aufführenden Künstlers gehören. Meine<br />
Ergänzungen sind persönlich wie alle anderen<br />
interpretatorischen Faktoren auch – ich nehme<br />
kein Urheberrecht darauf in Anspruch und habe<br />
A NSICHTEN<br />
keine neue Ausgabe gemacht. Schuberts Musik ist<br />
schließlich eine höchst persönliche; ich habe versucht,<br />
sie persönlich aufzufassen.<br />
******<br />
Ein paar Bemerkungen zu den anderen Werken:<br />
Für die f-Moll-Sonate D 625 (als Schuberts ,Appassionata’<br />
bekannt) ist das Autograph verschollen.<br />
Wir haben eine zeitgenössische Abschrift des<br />
ersten Satzes (dieser bricht vor der Reprise ab) eines<br />
Scherzos in E-Dur (vermutlich ein dritter Satz)<br />
und eines fast vollständigen Finales, wiederum in<br />
f-Moll. Das Des-Dur-Adagio D 505 aus einer anderen<br />
Handschrift gehörte laut Schuberts Bruder<br />
Ferdinand an die zweite Stelle. Ich spiele das Werk<br />
dreisätzig, wobei ich das E-Dur-Scherzo weglasse.<br />
Dieser Satz scheint mir nicht hierherzugehören,<br />
und weist an manchen Stellen satztechnische und<br />
harmonische Ungeschicklichkeiten auf. Zweitens<br />
schreibt Schubert im ersten Satz wie in anderen<br />
unvollendeten Sonatensätzen Exposition und<br />
Durchführung völlig aus, bricht aber hier knapp<br />
vor der Reprise mit zwei unbegleiteten Tönen (f’,<br />
g’) in der rechten Hand ab. Diese Töne können<br />
unmittelbar in den zweiten Satz leiten, also ohne<br />
Reprise im ersten Satz!<br />
Diese Idee stammt von Andreas Krause, der in<br />
einem hochinteressanten und kontroversen Buch<br />
Die Klaviersonaten von Franz Schubert (Bärenreiter,<br />
1992) das Konzept vorlegt, dass Schubert in einigen<br />
Fällen, wo die Musik abbricht, einfach in den<br />
nächsten Satz leiten wollte (so z. B. am Ende des<br />
ersten Satzes der Wandererfantasie). Für D 625<br />
schien mir diese Idee völlig überzeugend, besonders<br />
nach der nicht nur in der Harmonik, sondern<br />
auch im musikalischen Stoff sehr weitschweifenden<br />
fantastischen Durchführung des ersten Satzes.<br />
Da die Durchführung am Ende in F-Dur landet,<br />
wird eine Reprise in der Subdominante b-Moll<br />
stark suggeriert (die meisten Ergänzungen sind<br />
diesen Weg gegangen); man ist aber dann<br />
gezwungen, diese zwei einleitenden Töne f’ g’ wegzulassen.<br />
Ferner hat Schubert am Ende der Exposition<br />
im ersten und dritten Satz nur die ersten<br />
A<br />
21
A<br />
Malcolm Bilson<br />
Foto: Ellen Zaslaw<br />
Wiederholungen ausgeschrieben. Ich habe an beiden<br />
Stellen die zweite in die Durchführung leitende<br />
Wiederholung harmonisch geändert.<br />
Sonate in e-Moll, D 566 – ich spiele dieses Werk<br />
zweisätzig; es erinnert an Beethovens Opus 90 in<br />
der gleichen Tonart, das zwei Jahre früher entstand.<br />
Ich finde, Schubert verfährt hier ganz wie<br />
Beethoven: ein dramatischer erster Satz in Moll,<br />
gefolgt von einem lyrischen zweiten in Dur. Ein<br />
wunderbares, sinnliches Stück, voll von schubertischen<br />
Feinheiten!<br />
Die Sonate in E-Dur D 459 ist ebenfalls ein lyrisches<br />
Werk; es wurde 1816 komponiert und erst<br />
1843 unter dem Titel Fünf Klavierstücke veröffentlicht.<br />
Diese 1843er-Ausgabe gibt folgende Sätze<br />
an: Allegro moderato in E (I), Allegro (Scherzo) in E<br />
(II), Adagio in C (III), Scherzo in A (IV) und Allegro<br />
patetico in E (V). (II) weist in den meisten Ausgaben<br />
das Wort „Scherzo“ auf, was kaum verständlich<br />
ist, da der Satz keineswegs ein Scherzo ist<br />
– er scheint ein Finalsatz zu sein und ich spiele ihn<br />
als solchen an vierter Stelle. (I) scheint selbstverständlich<br />
ein Kopfsatz zu sein, (III) und (IV) Mittelsätze,<br />
also eine ,normale’ viersätzige Disposition.<br />
Das an 5ter Stelle stehende Allegro patetico<br />
scheint ein gewichtiger Kopfsatz zu sein – hatte<br />
Schubert vielleicht vor, seine eigene „Sonate<br />
Pathétique“ zu schreiben? Und welche sind dann<br />
die anderen dazugehörigen Sätze?<br />
Bei der höchst originellen fis-Moll-Sonate D 571<br />
ist die Quellenlage noch komplizierter. Das Autograph<br />
vom ersten Satz vom Juli 1817 lautet<br />
„Sonata V“ (doch welche sind die früheren vier?),<br />
A NSICHTEN<br />
CD-Hinweis<br />
Franz Schubert<br />
Sämtliche Klaviersonaten<br />
Malcolm Bilson, Fortepiano<br />
Hungaroton 41006 (7 CDs)<br />
(Vertrieb: Klassik Center)<br />
das Autograph vom<br />
Andante weist kein<br />
Datum auf, Scherzo<br />
und Finale (in umgekehrter<br />
Reihenfolge)<br />
sind auf einem dritten<br />
Blatt, gleichfalls ohne<br />
Datum, erhalten. Es<br />
liegt jedoch auf der<br />
Hand, dass diese<br />
Sätze alle zusammengehören,<br />
u. a. weil fis-<br />
Moll eine damals so<br />
seltene Tonart für<br />
eine Sonate war.<br />
Der erste Satz ist ein<br />
unvergessliches, fast<br />
hypnotisches Werk,<br />
ständige fortlaufende<br />
Achtel vom Anfang<br />
bis zum Ende, und<br />
scheint ein Vorbote<br />
des Hauptthemas der großen vierhändigen f-Moll-<br />
Fantasie D 940 aus Schuberts letztem Lebensjahr<br />
zu sein. Bei diesem wie auch beim letzten unvollendeten<br />
Satz sind gewichtige Erwägungen für den<br />
Interpreten im Spiel. Schon erwähnt wurde die<br />
Tatsache, dass Schubert öfters wunderbare neue<br />
Wendungen bei seinen Reprisen einbringt; bei dieser<br />
Sonate schien es darüber hinaus angebracht,<br />
für beide unvollständigen Sätze eine angemessene<br />
Koda zu komponieren. Während der erste Satz<br />
eine traumhafte, schwindende Koda zu verlangen<br />
scheint, muss das Finale eine eher brillante, virtuose<br />
haben, ähnlich den Kodas von der a-Moll-<br />
Sonate (D 845) oder der B-Dur-Sonate (D 960).<br />
*************<br />
Schubert bleibt für mich einer der ,persönlichsten’<br />
aller Komponisten. Bei meinen Aufführungen und<br />
Einspielungen seiner Werke ist es, als ob er, ein<br />
guter Freund, bis vor wenigen Monaten gelebt hat;<br />
jetzt ist er tot und es bleibt meine Aufgabe, anderen<br />
seine Musik zu vermitteln. Es ist ein wunderbares<br />
Unternehmen, vielleicht voll von gefährlichen<br />
Klippen, doch kann fast keine andere Musik uns in<br />
gleicher Weise erfüllen. Und dazu gehören diese<br />
abenteuerlichen, sinnlichen, bis jetzt fast vergessenen<br />
Kompositionen: seine unvollendeten Klaviersonaten.<br />
Ich will hoffen, diese zwei Artikel werden<br />
die Leser dazu anregen, sie auszugraben um zu<br />
neuen, individuellen und persönlichen Auffassungen<br />
zu gelangen.<br />
22 3 . 08
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Photo courtesy of Hurstwood Farm
J<br />
Von: Tom Fuchs<br />
J AZZ-INTERVIEW<br />
Christoph Stiefel<br />
„Schwieriges leicht klingen lassen.“<br />
Musik, die komplex und einfach, intellektuell und emotional, abstrakt und sinnlich ist – ein<br />
Widerspruch? Nicht für Christoph Stiefel. Der Schweizer Pianist erläutert, wie er nach<br />
anfänglichen Schwierigkeiten sein Konzept der „Isorhythmie“ in einen Jazzkontext bringen<br />
konnte.<br />
PIANONews: Herr Stiefel, Isorhythmie – was genau<br />
hat man sich darunter vorzustellen?<br />
Christoph Stiefel: Der Begriff stammt nicht von<br />
mir, er bezeichnet Kompositionstechnik für Kirchenmusik<br />
aus der Zeit der Renaissance. Es geht<br />
darum, dass man mit einer wiederholenden Melodik,<br />
die nicht kongruent ist mit der ihr zugrund<br />
liegenden Rhythmik, verschiedene rhythmische<br />
Ebenen oder Illusionen erzeugen kann. Also eine<br />
Art Polyrhythmik, aber basierend nur auf der Melodie,<br />
auf einem melodischen Pattern.<br />
PIANONews: Wie floss dieser theoretische Unterbau<br />
in die konkrete Praxis ein?<br />
Christoph Stiefel: Eigentlich durch Zufall. Ich hab’<br />
das nicht studiert und dann angefangen isorhythmisch<br />
zu spielen, sondern umgekehrt. Ich habe<br />
einmal ein Stück komponiert, „Sweet Paradox“,<br />
das war „Isorhythm No. 1“, zunächst nur für die<br />
rechte Hand und dann für die linke separat und<br />
habe gedacht, mein Gott, wenn ich das jemals<br />
spielen könnte ... Zu der Zeit war ich gleichzeitig in<br />
einem Kurs für Weiterbildung in Komposition. Als<br />
dann Kompositionsgeschichte behandelt wurde,<br />
erzählte der Dozent etwas von Isorhythmie. Da<br />
hat es bei mir geklickt, weil ich ja solch ein Stück in<br />
der Schublade liegen hatte. Der Professor hat mir<br />
dann bestätigt, dass ich ein veritables Stück Isorhythmie<br />
geschrieben hatte – ohne es zu wissen.<br />
PIANONews: Wie sind Sie darauf gekommen, dies<br />
zur Grundlage für Ihre eigene Musik zu machen?<br />
24 3 . 08
Christoph Stiefel: Meine großen Stärken sind<br />
Rhythmus und Melodie. Oft ist es doch so: Immer<br />
wenn es rhythmisch komplex wird, dann entsteht<br />
mitunter ganz unzugängliche Musik, finde ich<br />
jedenfalls. Niemand weiß dann so genau, wo die<br />
„Eins“ liegt. Das hat mich alles nicht interessiert,<br />
aber ich wollte schon die Grenzen des Rhythmus<br />
ausloten, das war mein Ziel. Und dann habe ich so<br />
ein Vehikel kreiert und festgestellt: Mensch, so<br />
spielt ja sonst niemand. Das macht sehr viel Spaß,<br />
aber ich musste mir das alles sehr hart erarbeiten.<br />
PIANONews: Sicher ein langwieriger Prozess für<br />
jemanden, der bislang herkömmlichen Jazz gespielt<br />
hatte.<br />
Christoph Stiefel: Ja, es mögen so um die 10 Jahre<br />
gewesen sein. Ich hatte mich aber nicht nur auf<br />
dieses Konzept fokussiert, sondern immer mal wieder<br />
ein Stück komponiert. Es war aber unspielbar,<br />
weil man letztlich eine Illusion kreiert, die man<br />
selber zwar spielen muss, aber man darf dem ja<br />
nicht zu sehr nachspüren, weil man ja sonst selbst<br />
in der Illusion drin ist. Ich musste immer im Zentrum<br />
bleiben und alles rundherum kreieren, aber<br />
immer noch den Grundbeat spüren können. Bei<br />
der Komposition ging das ja noch, aber bei der Improvisation<br />
tauchten ständig neue Polyrhythmen<br />
auf, was extrem schwierig zu spielen war. In den<br />
ersten Jahren hat es mich oft regelrecht rausgehauen.<br />
So will man ja nicht unbedingt auf die<br />
Bühne, weil es auch für den Zuhörer Stress bedeutet,<br />
zu hören, wie der Musiker kämpft [lacht]. Aber<br />
ich machte dann einfach weiter und spielte live<br />
auch immer mal wieder eine isorhythmische<br />
Komposition, und habe schnell gemerkt, o.k., für<br />
die Musiker ist das sehr schwer, eine am Abend<br />
geht und das reicht dann auch. Aber irgendwann<br />
hab’ ich den Mut haben müssen, zu sagen, jetzt<br />
hast du das 10 Jahre so ein bisschen nebenher gemacht,<br />
also entweder machst du das jetzt richtig,<br />
oder du kannst gleich damit aufhören. Wenn du<br />
es jedoch richtig machen willst, musst du alle deine<br />
Energie darauf verwenden, sonst kriegt man es<br />
nicht dorthin, wo es sein soll, vom Spiel her. Dann<br />
habe ich in Willisau ein Solokonzert von Michel<br />
Petrucciani gehört. Nun bin ich nicht gerade ein<br />
großer Fan von ihm, aber zu erleben, wie er seine<br />
J J<br />
AZZ-INTERVIEW<br />
Musik gespielt hat, das war schon fantastisch. Er<br />
hat das Maximum von dem herausgeholt, was<br />
seine Musik aussagt. Da ging mir ein Licht auf: Ich<br />
muss meine Musik so spielen können wie er seine,<br />
mit dieser Leidenschaft, da muss ich unbedingt<br />
hin. Das bedeutete aber auch einen radikalen<br />
Schnitt, ich musste also einige Projekte fallen lassen.<br />
PIANONews: Was ist Ihrer Meinung nach dann das<br />
Unvergleichliche an der Isorhythmie?<br />
Christoph Stiefel: Das Gegenteil von dem, was ich<br />
zunächst befürchtet hatte, fand statt: Es war überhaupt<br />
nicht monoton, sondern je weiter ich mich<br />
mit der Isorhythmie beschäftigt habe, umso interessanter<br />
wurde es. Und die Herausforderungen<br />
wurden immer größer. Vergleichbar mit dem<br />
Hörerlebnis Bach: Wenn man ihn einfach so ein<br />
bisschen hört und man hat keine rechte Ahnung<br />
davon, denkt man vielleicht: Ach, das klingt alles<br />
irgendwie ähnlich. Aber wenn man sich einmal<br />
mit einem bestimmten Stück näher beschäftigt, gehen<br />
auf einmal Welten auf. Und so ist es mir letztlich<br />
mit meinem eigenen Projekt ergangen. Die<br />
Reaktionen des Publikums bei unseren Konzerten<br />
zeigen mir zudem, dass ich auf einem richtigen<br />
Weg bin.<br />
PIANONews: Mittlerweile scheinen Sie ein solches<br />
Level erreicht zu haben, dass man gelegentlich meint,
J<br />
7meilenstiefel (2006)<br />
Isorhythms for Solo Piano (2007)<br />
J AZZ-INTERVIEW<br />
zwei Pianisten zu hören, wie bei dem Stück „Isorhythm<br />
No. 4“...<br />
Christoph Stiefel: Bei den neueren Stücken kann<br />
es wirklich zwei Jahre dauern, bis ich sie aufnehme,<br />
also auch jetzt noch, nachdem ich doch<br />
eigentlich diese Sache schon so lange betreibe. Es<br />
muss halt für meine Begriffe sehr gut spielbar sein,<br />
dass die Leute das Gefühl haben, wenn sie mich<br />
hören, es sei ganz einfach. Es darf einfach kein<br />
Gefühl beim Hörer aufkommen, dass dies sehr<br />
schwierig ist. Es kommt auch niemand nach einem<br />
Konzert und fragt nach den technischen Schwierigkeiten.<br />
In finde, das ist eigentlich ein gutes<br />
Zeichen. Es gibt verschiedene Phasen, bis ein Stück<br />
so weit ist. Das eine ist der ganze kompositorische<br />
Aspekt, nämlich von einer rhythmischen Idee ausgehend<br />
ein wirkliches Stück Komposition zu schaffen,<br />
das sich organisch entwickelt, und wobei ich<br />
auch auf nichts von dem, was Jazz wirklich ausmacht,<br />
verzichten muss.<br />
PIANONews: Was genau meinen Sie damit, das<br />
Gefühl für Swing?<br />
Die aktuelle CD<br />
Christoph Stiefel Trio<br />
Inner Language<br />
Neuklang 4025<br />
(alle bei Neuklang/SunnyMoon<br />
erschienen)<br />
Christoph Stiefel: Ja, das<br />
auch, aber nicht im Sinne<br />
von einem Walking Bass<br />
oder so, ich meine eher<br />
die Mittel der Improvisation.<br />
Ich will ja keine Minimal<br />
Music machen, ich<br />
will mir die Freiheit nehmen<br />
können, das Ausgangsmaterial<br />
zu formen,<br />
zu gestalten. Ich möchte<br />
nicht die ganze Jazzharmonik<br />
aufgeben, all diese<br />
Dinge. Nehmen wir zum<br />
Beispiel das Titelstück der<br />
neuen CD, „Inner Language“,<br />
das sind zunächst<br />
drei Takte in Siebenviertel<br />
mit einer Überlagerung.<br />
Das klingt am<br />
Schluss ganz einfach, außer<br />
man zählt und denkt,<br />
was ist denn hier los. Es<br />
ist extrem komplex und<br />
schwierig zu spielen. Die<br />
erste große Arbeit für<br />
mich besteht darin, das Stück als in sich rund zu<br />
entwickeln, und daneben den Spaß am Spiel nicht<br />
zu verlieren. Und dann besteht noch einmal ein<br />
großer Unterschied, ob ich nun solo spiele oder<br />
mit der Band.<br />
PIANONews: Wie stehen die Mitspieler zu Ihrem<br />
Konzept?<br />
Christoph Stiefel: Anfangs war es schwer, sie dafür<br />
zu gewinnen, aber dann haben sie gemerkt,<br />
dass das keine fixe Idee von mir ist, sondern aus<br />
innerer Überzeugung geschieht. Wir sind aber<br />
insoweit offen zu reagieren, wenn an einem Abend<br />
das Publikum eher reserviert auf die Isorhythmen<br />
reagiert. Dann können wir auch schon mal einen<br />
Jazztune spielen und lassen das Konzept ganz beiseite.<br />
Ich möchte nicht auf die Bühne gehen und<br />
nur Komposition spielen, wie etwa mein Kollege<br />
und Freund Nik Bärtsch. Das ist so weit auch in<br />
Ordnung, aber es ist nicht mein Ansatz.<br />
Diskographie (Auswahl) Aktuelle Konzertdaten<br />
Konzerte mit dem „Inner Language Trio“<br />
17.05. Winterthur (CH), Gaswerk<br />
20.05. Kassel, Theaterstübchen<br />
21.05. Köln, Loft<br />
22.05. Frankfurt, Jazzkeller<br />
23.05. Stuttgart, BIX Jazzclub<br />
25.05. Bern (CH), Turnhalle im „Progr“<br />
22.09. Wallisellen (CH), Musikfesttage<br />
30.09. Frauenfeld (CH), Generations Jazzfestival<br />
03.10. Luzern (CH), Casino<br />
24.10. Schaffhausen (CH), Sommerlust<br />
06.12. Rostock, Jazzbühne<br />
26 3 . 08
88<br />
MULTISAMPLE<br />
128<br />
ESCAPEMENT<br />
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PURER LUXUS!<br />
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HP207e-EPE
K K LAVIERBAU<br />
In diesem Artikel schreibt Richard Dain über die Entwicklung des Einsatzes von Kohlefaser im Klavierbau,<br />
der immer interessanter wird und momentan viele spannende Projekte aufzeigt, die zu funktionieren<br />
scheinen, nachdem jahrhundertelang alleinig Holz als das Nonplusultra als Einsatzmaterial galt.<br />
Mittlerweile ist allerdings der Klavierhandel durchaus – wie in allen anderen Branchen – global geworden.<br />
Damit kommen auf die Erzeugnisse auch neue und große Herausforderungen zu, die sich unter anderem<br />
auch auf die klimatischen Bedingungen beziehen. Doch der Einsatz von Kohlefaser kann auch eine<br />
neue Ära für den Klang bedeuten, da sich durch dieses Material durchaus neue Konstruktionsmerkmale<br />
ergeben können. Richard Dain ist Inhaber der Hurstwood Farm in England, betreibt auf dieser Farm nicht<br />
nur einen Handel, sondern entwirft auch die erfolgreichen Flügel unter dem Namen Phoenix, die beständig<br />
weiterentwickelt werden und mit konstruktiven Neuheiten aufwarten. Diese Flügel werden momentan<br />
in Zusammenarbeit mit der Firma Steingraeber & Söhne in Bayreuth gebaut.<br />
Von: Richard Dain<br />
Der erste Flügel mit Karbon-Resonanzboden<br />
von Steingraeber & Söhne / Phoenix.<br />
Foto: Dain<br />
Was ist Kohlefaser?<br />
Kohlefaser (im folgenden Karbon genannt) wurde<br />
erstmals in den 1960er Jahren als industrielles<br />
Material kommerziell verfügbar. In optimaler<br />
Form hat es die Steifheit, die Stahl gleichkommt.<br />
Es besitzt auch die Stärke und Härte, die fast der<br />
von Stahl gleichkommt, besitzt aber nur ein<br />
Fünftel der Dichte. Die Kohlefasern, die diese Eigenschaften<br />
aufweisen, sind in ein Kunstharz eingebettet,<br />
um dem Material Solidität zu geben. Die<br />
besten physischen Proportionen sind direktional<br />
zur Achse der Fasern ausgerichtet, so dass die Fasern<br />
in mehreren Schichten multi-direktional gelegt<br />
(verflcohten) sein müssen, um eine Einheit<br />
der Proportionen in alle Richtungen zu gewährleisten.<br />
Das Mittelmaß der Proportionen ist dann in<br />
der Konsequenz unterhalb des erreichbaren Maximums<br />
uni-direktional. Karbonmaterialien kann<br />
Kohlefaser<br />
(Karbon) in<br />
Klavieren<br />
man formen oder auch bohren, sie können gefeilt<br />
werden, auch mit Maschineneinsatz, eben genauso<br />
wie Metalle. Karbon besitzt einen hohen natürlichen<br />
Korrosionswiederstand und ist fast undurchdringlich<br />
in Bezug auf Wasseraufnahme.<br />
Karbon in Musikinstrumenten<br />
Viele Jahre lang gab es ein Interesse daran, Karbon<br />
im Musikinstrumentenbau einzusetzen. Experimentelle<br />
Klaviere, Lautsprecher, Streichinstrumente<br />
und Cembali wurden mit Karbon-Teilen in<br />
Mechaniken gebaut, oder um Holzteile durch dieses<br />
Material zu ersetzen, beispielsweise auch Resonanzböden.<br />
Im Allgemeinen waren diese Versuche<br />
nur begrenzt erfolgreich. Forschungen, um Holz,<br />
Plastikschaum und andere Materialien mit Karbon<br />
zu verbinden, versprechen da schon bessere Ergebnisse.<br />
28 3 . 08
3 . 08<br />
K LAVIERBAU<br />
Karbon ist nicht das einzige Material, das man für Resonanzböden in<br />
Klavieren einsetzen kann. Glas, Metalle und andere Komponenten sind ebenfalls<br />
getestet worden.<br />
Neues Konzept für Klavierdesign<br />
Kürzlich haben hochwertige Klaviere das Konzept des traditionellen Klavierbaus<br />
verändert, fast unbemerkt von der Firma Steinway & Sons, die dieses Feld<br />
einmal anführte, aber überraschender Weise seine intensiven und aktiven Klavierinnovationen<br />
vor über einem Jahrhundert beendete. Im neuen Millennium<br />
wird durch die aktiven Klavierbauunternehmen sehr deutlich, dass Musikliebhaber<br />
nach Verbesserungen suchen, die durch moderne Technologie in den Bereichen<br />
Akustik und neue Materialien ermöglicht werden. Diese Herausforderung<br />
wurde erstmals von Wayne Stuart in Australien aufgegriffen, wurde<br />
aber mittlerweile von anderen Klavierbauern adaptiert, solche die neu im Bereich<br />
des Klavierbaus sind, und längst etablierten Unternehmen. Hochwertige<br />
Klaviere mit herausfordernden Leistungen, die auf der Grundlage von verschiedenen<br />
Arten hochentwickelter Technologie arbeiten, werden heute von Stuart<br />
and Sons, Steingraeber-Phoenix, Fazioli und Stephen Paulello angeboten, aber<br />
nur Stuart und Steingraeber sind bisher die Einzigen, die Flügel mit Karbon-Resonanzböden<br />
gebaut haben (wenn man einmal den einmaligen Versuch eines<br />
Sauter-Flügels vor 25 Jahren außer Acht lässt, bei dem das Material noch<br />
durchaus anders geartet war). Kawai hat eine Karbon-Mechanik entwickelt<br />
(mit Ausnahme der Hammer-Schenkel, die mit ihrer Eigenfrequenz ungewollt<br />
mitklingen würden).<br />
Es gibt drei Wege, wie man sinnvollerweise Karbon im Klavierbau einsetzen<br />
kann:<br />
1. Spielbarkeit und Klangqualität<br />
Ein idealer Klavier-Resonanzboden sollte eine niedrige Dichte und Masse haben<br />
und sollte keine akustische Energie innerhalb der Eigenmasse absorbieren.<br />
Er sollte steif und stark und elastisch sein, und sollte von Luftfeuchtigkeit unbeeinflusst<br />
sein, wenn man eine gute Stimmhaltung anstrebt. Wenn diese<br />
Voraussetzungen gegeben sind, kann man die Klangstärke, den langen Nachklang<br />
und die Standfestigkeit eines Klaviers optimieren. Karbon bietet das<br />
Potenzial, um all diese Attribute zu verbessern.<br />
Im Klavierbau muss darauf geachtet werden, dass die hohen Frequenzen im<br />
Klang nicht angereichert werden, ansonsten wird ein Klavier zu brillant und<br />
die hohen Harmonien klingen uneinheitlich. Das war die Hersausforderung<br />
bei der Entwicklung eines Resonanzbodens aus Karbon. Steingraeber hat mit<br />
dem Autor an zwei bestimmten Typen von Karbon-Resonanzböden gearbeitet,<br />
in denen eine Karbonschicht variabler Stärke in unterschiedlichen Bereichen<br />
und von direktionalen Kohlefasern eingearbeitet ist. Diese liegt sandwich-ähnlich<br />
zwischen zwei Schichten von Ahornfurnier. Der eine Typ weist eine solide<br />
Schicht von Karbon in einer Stärke von 1,5 und 2,5 Millimeter Dicke auf. Die<br />
Bodenkrone (in Form eines Doms) ist bei dem einen Resonanzboden in konventioneller<br />
Weise durch auf die Unterseite geschraubte und geleimte Rippen<br />
geformt. Der andere Typ zeigt eine hexagonalen Karbon-Struktur und ist zwischen<br />
zwei sehr dünne Schichten von Karbon-Blättern gelegt, die die Krone des<br />
Resonanzbodens bilden, und dann zwischen zwei Furnierblätter geleimt. Die<br />
zuletzt genannte Form, auch wenn sie nur 4,5 Millimeter Dicke aufweist, ist<br />
stark und steif genug, um eine Krone im Resonanzboden beizubehalten, ohne<br />
dabei auf Rippen zurückgreifen zu müssen.<br />
Die Schichten Holzfurnier wurden gewählt, um die Reaktion des Resonanzbodens<br />
auf hohe Harmonien zu reduzieren, obwohl auch andere Dämpfungsmaterialien<br />
aus der Akustik gewählt werden könnten, um die hochfrequenten<br />
Harmonien an der Spitze des Resonanzbodens zu filtern, ohne Holz zu benutzen,<br />
so beispielsweise akustischer Schaum, wie er in Hörhilfen oder Hörschutz-<br />
Hilfen zum Einsatz kommt. Mehr durch Glück als durch Absicht zeigte sich allerdings,<br />
dass das Ahornfurnier sich besonders gut eignet. Und Ahorn wurde<br />
gewählt, um die Reflektion im akustischen Körper zu erhöhen.<br />
Erfahrungen mit diesem holzbeschichteten Karbon-Resonanzboden, in<br />
Kombination mit den speziell entwickelten Stegagraffen, haben gezeigt, dass es<br />
möglich ist, einen Stutzflügel zu bauen, dessen klangliches Ergebnis dem eines
K K LAVIERBAU<br />
Konzertflügels ähnlich ist oder nahekommt. Diese<br />
Flügel benötigen allerdings weichere und flexiblere<br />
Hammerköpfe als die, die in konventionellen<br />
Flügeln eingesetzt werden; und zudem harmonische<br />
Filter in den Stegagraffen, um das Problem<br />
der hohen Harmoniefrequenzen zu reduzieren.<br />
Ein Bonus, den man erfahren konnte, ist, dass<br />
Künstler, die einen Steingraeber-Flügel spielten,<br />
der mit diesen Veränderungen ausgestattet war,<br />
einhellig meinten, dass diese Flügel „eine bessere<br />
Mechanik“ hätten. Tatsächlich aber ist die Mechanik<br />
komplett konventionell. Da der Pianist aber<br />
weniger Anstrengung benötigt, um den gewünschten<br />
Klang zu erzielen, verfügt er über eine bessere<br />
Kontrolle des Klangs. In diesem Beruf spricht man<br />
dann von einem guten „artists / instrument interface“.<br />
2. Klaviergewicht<br />
Der größte traditionell gebaute Konzertflügel<br />
wiegt knapp unter einer Tonne. Selbst ein kleiner<br />
Flügel wiegt immer noch um die 250 Kilogramm.<br />
Blick in die Millenium-Mechanik von Kawai<br />
mit Karbonelementen.<br />
Foto: Kawai<br />
Solch einen Flügel zu bewegen, erfordert ein Team<br />
starker Männer. Die Konsequenz ist, dass nur ganz<br />
wenige Künstler es sich leisten können, in ihren<br />
Konzerten ihren eigenen Flügel zu spielen. Die<br />
Flügel, die sie spielen sollen, sind in den meisten<br />
Sälen doch eher ein Ärgernis oder zumindest ein<br />
Grund zur Kritik. Ein Künstler gewöhnt sich an sein<br />
eigenes Instrument, gleichgültig, ob es nun besser<br />
oder schlechter ist. Er ist mit diesem Instrument<br />
vertraut und wird deshalb auf diesem Instrument<br />
auch besser spielen. Zudem ist die Öffentlichkeit<br />
mittlerweile extrem gelangweilt von dem uniformierten<br />
Klang der Instrumente in den Sälen. Vor<br />
einem halben Jahrhundert gab es eine große Vielfalt<br />
des Klangs, aufgrund der vielen unterschiedlichen<br />
und guten Konzertflügel-Erbauer; aber heutzutage<br />
dominiert eine Marke die Szene.<br />
Karbon ist wiederum das Material, um dies zu<br />
ändern. Soweit bislang bekannt, hat noch kein<br />
Klavierbauer einen Flügel mit einem Rahmen aus<br />
Karbon anstelle des gusseisernen Rahmens ge-<br />
baut. Dies wäre allerdings, als isoliertes Merkmal,<br />
auch nicht sonderlich klug. Falls man als Material<br />
für den Rahmen Karbon verwenden würde, so wäre<br />
es offensichtlich besser, wenn man einen Karbon-Resonanzboden<br />
direkt in die Rahmenkonstruktion<br />
einbinden würde, als den Rahmen und<br />
den Resonanzboden getrennt voneinander in einen<br />
steifen, schweren und robusten Resonanzkörper<br />
einzufügen, wie man es heutzutage in konventionellen<br />
Konstruktionen zu tun pflegt. Das Gehäuse,<br />
falls es überhaupt vorhanden ist, kann<br />
dann etwas werden, das nicht mehr als Styling ist,<br />
ein Resonanzkörper und eine Form, um die Mechanik<br />
zu tragen. Wenn man dies macht, wird eine<br />
große Gewichtsreduktion möglich.<br />
Broadwood hat nach dem Ersten Weltkrieg ein<br />
Klavier vorgestellt, das einen rastenlosen Rahmen<br />
hatte (das sogenannte Barless Piano). Die Anforderung<br />
an Steifheit und Stärke von diesem Konzept<br />
hat das Klavier sehr schwer gemacht und der<br />
Rahmen bedingte eine klobigen Außenwand-Erscheinung.<br />
Dennoch eliminierte dieses Konzept<br />
zumindest virtuell alle Probleme des traditionellen<br />
Klavierbaus im Bereich von uneinheitlicher<br />
Klangqualität zwischen den geteilten Registern,<br />
die aufgrund des Platzes für die BARS aufkamen.<br />
Akustisch hat dieses Klavier eine großartige<br />
Leistung. Broadwood Barless Klaviere sind heutzutage<br />
beliebte Sammlerstücke. Karbon ist als<br />
Material stark und steif genug, um heutzutage ein<br />
brauchbares rastenloses Klavier zu bauen, ohne<br />
die Nachteile dieser frühen Klaviere.<br />
3. Stimmhaltung<br />
Nachdem sich die metallisch-kristalline Struktur in<br />
den Klaviersaiten durch das ursprüngliche Dehnen<br />
stabilisiert hat, ist der Hauptgrund, warum<br />
ein Klavier aus der Stimmung gerät, der Wechsel<br />
der Luftfeuchtigkeit in der Umgebung des<br />
Instruments. Luftfeuchtigkeit verursacht Nässe in<br />
der Holzstruktur, besonders in den Rippen und<br />
dem Resonanzboden einen Wechsel. Mit höherer<br />
Flüssigkeit im Holz schwillt auch die Krone des Resonanzbodens<br />
an und verstärkt dadurch die Spannung<br />
der Saiten. Kontrovers verhält es sich bei Trockenheit<br />
in der Atmosphäre: Das Holz schrumpft.<br />
Bei extremen Situationen kann es passieren, dass<br />
ein Resonanzboden derartig anschwillt, dass die<br />
Leimschicht zwischen den einzelnen Resonanzbodenbrettchen<br />
aufreißt. Nach der Erfahrung des<br />
Autors haben nur wenige Klaviere in Europa, die<br />
älter als 50 Jahre sind, intakte Resonanzböden; bei<br />
den meisten ist die Krone der Resonanzböden aufgrund<br />
der Schwellung und des damit einhergehenden<br />
beständigen Drucks der Saiten kollabiert. Die<br />
Krone eines Resonanzbodens hält in der Regel 25<br />
bis 40 Jahre lang, je nachdem wie stabil die Gesamtkonstruktion<br />
ist. Danach wird die Krone<br />
nachgeben unter dem beständigen Druck der Saiten,<br />
der mehr als eine halbe Tonne ausmacht.<br />
Karbon ist fast komplett resistent gegen Feuchtigkeitsaufnahme<br />
und ist daher stabil in allen Umständen<br />
von Leuchtfeuchtigkeit. In einem kürzlich<br />
durchgeführten Experiment hat ein Flügel mit wenig<br />
Stegdruck und der nicht besonderen Luftfeuchtigkeiten<br />
ausgesetzt war, seine Stimmung 17 Mo-<br />
30 3 . 08
3. 08<br />
nate lang gehalten, was allein schon die Anwendung<br />
von Karbon in einer Klavierkonstruktion akzeptabel<br />
macht. Daher ist ein Flügel mit Karbon-<br />
Resonanzboden ohne Rippen und mit Stegagraffen,<br />
die keinen Resonanzbodendruck ausüben,<br />
eine präferierte Option. Da es zwei Jahre dauert,<br />
bis neugezogener Stahl in Klaviersaiten die volle<br />
Stabilität erreicht, wird es drei bis vier Jahre dauern,<br />
bevor die Erwartungen durch letztendliche<br />
Ergebnisse bestätigt werden können.<br />
Die Zukunft<br />
Es war lange Zeit das Feld von Ingenieuren, moderne<br />
Technologien und hochtechnische Materialien<br />
zu benutzen, um kleinere und leichtere leistungsstarke<br />
Klaviere zu bauen, die für den Künstler<br />
leichter und praktischer zu transportieren wären.<br />
Nur die Kosten und der kommerzielle Druck<br />
seiten derer, die ein Interesse daran haben, dass<br />
der Status Quo beibehalten wird, haben dies verhindert.<br />
Solch ein Klavier zu bauen, ist keine „Raketen-Wissenschaft“.<br />
Mittlerweile verfügen Klavierbauer<br />
über die notwendigen Ingenieur-Kenntnisse.<br />
Wäre Karbon für Heinrich Steinway, Carl<br />
Bechstein oder Ignaz Bösendorfer und ihre Zeitgenossen<br />
verfügbar gewesen, wäre es heutzutage<br />
üblich in Klavieren.<br />
Ein Weg, ein Klavier klein und leicht genug zu<br />
bauen, dass ein Mann es auf seinem Rücken durch<br />
K LAVIERBAU<br />
Der erste Steingraeber & Söhne / Phoenix-<br />
Flügel mit Carbon-Boden.<br />
Foto: Dürer<br />
die Rocky Mountains tragen kann, wurde schon<br />
für die Goldgräber erfunden. Wir sollten uns nicht<br />
angesichts einer solchen Herausforderung geschlagen<br />
geben. Es ist möglich, dass ein akustisches Klavier<br />
eines Tages Standard in der First Class eines<br />
transatlantischen Fluges ist.<br />
K<br />
31
H<br />
H OCHSCHULEN<br />
Klavier studieren in der Türkei<br />
Die Klavierabteilung der Bilkent University in Ankara<br />
Das große Gebäude der Musik-Falkultät<br />
der Bilkent Universität in Ankara.<br />
Foto: Dürer<br />
Nein, berühmt ist die Türkei nicht gerade für ihre Interpreten von klassischer Musik. Doch wenn man nur<br />
kurzfristig nachdenkt, fallen einem Namen türkischer Pianisten ein: Idil Biret, Fazil Say, Gülsin Onay,<br />
Süher und Güher Pekinel, Ferhan und Ferzan Önder. Oder auch noch Huseyin Sermet. Doch wurden nicht<br />
alle von ihnen wirklich in ihrer Heimat ausgebildet. Doch heutzutage ist es anders, gibt sich dieses Land<br />
viel Mühe, um die klassische Musik als wichtigen Ausbildungsbestandteil in seiner Kultur zu verankern.<br />
An vielen Universitäten gibt es mittlerweile eine grundsolide Ausbildung, immer mehr Musikschulen<br />
werden gegründet. Die meisten Universitäten sind staatlich und unterliegen daher eher strengen<br />
Vorgaben, die nicht immer die besten Ergebnisse erzielen, wenn es um eine umfangreiche und vielschichtige<br />
moderne Ausbildung geht. Allein in der Hauptstadt Ankara gibt es mehrere Universitäten. Doch nur<br />
eine Privatuniversität, die erst vor 22 Jahren überhaupt gegründet wurde, mittlerweile aber den wahrscheinlich<br />
besten Ruf im Bereich der Musikausbildung besitzt: die Bilkent Universität. Wir besuchten die<br />
Klavierabteilung dieser Universität, um uns ein Bild von der Ausbildung dort zu machen, und unterhielten<br />
uns mit Isin Metin, dem Direktor der Musikhochschule, und mit Emre Sen, dem Koordinator der<br />
Klavierabteilung.<br />
Von: Carsten Dürer<br />
Sind wir doch ehrlich: Was wissen wir schon<br />
von den Musikern und der Musikausbildung<br />
in der Türkei? Eigentlich nichts, müssen<br />
sicherlich die meisten unumwunden zugeben. Und<br />
dies, obwohl vor allem in Deutschland und in<br />
Österreich große Teile der Bevölkerung mittlerweile<br />
in zweiter oder dritter Generation aus der Türkei<br />
stammen. Eine Schande? Nicht wirklich, denn die<br />
Türkei ist – als Republik – immer noch ein junges<br />
Land, das sich nur langsam dem Westen und seiner<br />
Musik aus unterschiedlichen Jahrhunderten<br />
zuwendet. Erst nachdem Mustafa Kemal Atatürk<br />
1923 die Republik ausrief, kam es zu einem Umdenken.<br />
Zwar hatten die Türken (wie schon zu<br />
Zeiten des Osmanischen Reiches) immer auch einen<br />
Kontakt zu der Musik der wichtigsten Musikmetropolen<br />
Europas, so beispielsweise nach Wien,<br />
doch war die Beeinflussung eher in die Richtung<br />
der klassischen Musiker damaliger Zeiten gelangt,<br />
so dass man das „Muselmanische“ oder die „türki-<br />
schen Volksmusikthemen“ wie in Mozarts Sonate<br />
KV 331 mit seinem berühmten „alla turca“-Satz<br />
immer wieder findet. Doch in die andere Richtung<br />
tendierte die Musikbeeinflussung nur wenig, waren<br />
die Islam-Gläubigen den „Ungläubigen“<br />
gegenüber eher zurückhaltend, wenn nicht sogar<br />
abweisend.<br />
Doch mit der Öffnung der politischen Gegebenheiten<br />
erfuhr auch die allgemeine Ausbildung eine<br />
Öffnung gegenüber der traditionsreichen europäischen<br />
Kultur, ganz besonders der Musik. Bemerkenswert<br />
innerhalb eines Staates, der dem islamischen<br />
Glauben angehört und selbst über eine<br />
lange Geschichte auch innerhalb von musikalischer<br />
Kultur verfügt, wenn man sich die Geschichte<br />
Anatoliens genau ansieht. Dennoch ist<br />
diese Form der klassischen Musikausbildung noch<br />
jung, und so erfahren wir bislang nur wenig über<br />
die konkrete Situation in der Türkei.<br />
32 3 . 08
3 . 08<br />
Privat: Die Bilkent Universität<br />
Die Universität in Bilkent ist als private Einrichtung<br />
eine Besonderheit in der Türkei. Gegründet<br />
wurde sie 1986 von dem heute mit 93 Jahren<br />
hochbetagten Ihsan Dogramaci, der sein mit<br />
unterschiedlichen Geschäften erwirtschaftetes<br />
Kapital unter anderem in den Ankauf und die<br />
Etablierung des wunderbar auf einem Hügel gelegenen<br />
Landes steckte, um dort eine Universität mit<br />
allen wichtigen Fakultäten unter der Vorgabe<br />
einer von staatlichen Einflüssen freien Ausbildung<br />
zu gründen. Das Gelände der Universität ist groß<br />
und luftig angelegt. Kaum eine wichtige Richtung<br />
fehlt. Und das Gebäude der Musik-Fakultät liegt<br />
auf dem höchsten Punkt der Universität. Betritt<br />
man die Musikfakultät, dann betritt man ein<br />
großzügiges Oval, dessen Treppenhaus allein<br />
schon erkennen lässt, dass dem Gründer an einer<br />
offenen Denkweise und einer großzügigen Ausstattung<br />
gelegen war. In den Seitengängen findet<br />
man – wie überall in solchen Musikhochschulen –<br />
zahlreiche Unterrichts- und Überäume. Der Unterschied<br />
in Bilkent: Es gibt ausreichend viele Überäume,<br />
immerhin weit über 140 für „nur“ 368 Studenten,<br />
die momentan in fast allen Fachbereichen<br />
an dieser Musikeinrichtung studieren. Doch man<br />
muss mehr erfahren, wie das System organisiert<br />
ist, um zu verstehen, wie man in Bilkent arbeitet,<br />
welche Ziele man verfolgt und wo die Zukunft<br />
gesehen wird.<br />
Der Direktor der Fakultät für Musik<br />
Als Erstes sprachen wir mit dem Direktor der Musik-Fakultät<br />
in Bilkent, mit Isin Metin. Er ist jung,<br />
gerade um die 40 Jahre. Selten in Deutschland<br />
anzutreffen, dass man solch einen jungen, aber<br />
gut ausgebildeten Mann zum Direktor einer solchen<br />
Hochschuleinrichtung erklärt. Aber es ist<br />
sinnvoll, das hat man schon an anderen Orten in<br />
der Welt erfahren können.<br />
PIANONews: Die Bilkent Universität ist ja noch recht<br />
jung, im Vergleich zu anderen Universitäten auch in<br />
der Türkei. Ist es die erste private Universität?<br />
Isin Metin: Ja, es ist die erste private Universität<br />
und ist heute eine gemeinnützige Gesellschaft. Getragen<br />
wird sie von einer Stiftung, die Ihsan Dogramaci<br />
gegründet hat. Sogar seine Kinder haben<br />
auf ihr Erbe verzichtet, damit auch nach seinem<br />
Wirken die Stiftung genug Vermögen hat, um die<br />
Universität weiter zu tragen. Alle Einnahmen kommen<br />
also der Universität zugute, wobei nicht das<br />
Unternehmen die Universität besitzt, sondern die<br />
Universität das Unternehmen.<br />
Als sie 1986 gegründet wurde, gab es drei Fakultäten,<br />
wovon eine die für Schöne Künste und<br />
Musik ist. Aber bald schon wurde diese Fakultät<br />
aufgesplittet und daraus entstanden die Fakultäten<br />
der „Schönen Künste und Grafikdesign“ und<br />
für „Musik und darstellende Kunst“. Das war Ende<br />
1987, und im Jahre 1988 kamen die ersten Musikstudenten<br />
zu uns. Ich selbst bin einer der ersten<br />
Absolventen der Kompositionsabteilung an dieser<br />
Schule.<br />
H OCHSCHULEN<br />
PIANONews: Wie sieht es denn heutzutage in dieser<br />
Universität aus, die ja nicht allein Studenten auf<br />
Hochschulniveau ausbildet?<br />
Isin Metin: Heutzutage haben wir eine Grundschule,<br />
um bei den Jüngsten zu beginnen. Diese<br />
Schule ist eine Ganztagsschule, was bedeutet, dass<br />
die Schüler nicht an einer anderen Schule unterrichtet<br />
werden. Wir wählen pro Jahr ungefähr 10<br />
bis 12 Schüler aus, die bei uns studieren dürfen.<br />
Sie müssen Examina machen, um dann in die Mittelschule<br />
(Highschool) zu gehen. Diese ist allerdings<br />
nur für Musik, mit allen obligatorischen Fächern,<br />
die vom nationalen Erziehungsministerium<br />
in der Türkei vorgeschrieben werden. Das klingt<br />
ein wenig hart, beide Dinge, die Musik und die<br />
normale Schule, gleichzeitig zu bewältigen. Aber<br />
da unsere Klassen nur höchstens 12 Kinder haben,<br />
ist dies letztendlich kein Problem, da man sich<br />
intensiv um jeden Schüler kümmern kann. Nach<br />
der Highschool kommt die Undergraduate-School,<br />
in der nun wirklich alle Musik-Fächer unterrichtet<br />
werden – mit zwei Ausnahmen: Wir haben keine<br />
Abteilung für Alte Musik und wir haben keine für<br />
Jazz. Danach kommen dann die Postgraduate-<br />
Studiengänge, in denen man natürlich unterschiedliche<br />
Degrees erreichen kann, einen „Master<br />
of Performing Art“, bis hin zu einem Doctoral-<br />
Degree, das hier allerdings anders geartet ist als in<br />
Europa und eher mit einem Doctoral Degree in<br />
den USA verglichen werden kann.<br />
Doch noch einmal zurück zur Grundschule: Dort<br />
starten die Schüler in der ersten Klasse mit Violine<br />
oder Klavier. Von diesen aus gehen sie dann auf<br />
die anderen Instrumente über. Die größte Anzahl<br />
an Studenten, die wir annehmen, sind allerdings<br />
Klavierschüler. Einige behalten das Instrument<br />
bei, doch viele wechseln tatsächlich das Instrument,<br />
wenn sie älter werden. Dagegen behalten<br />
die Anfänger im Fach Violine meist ihr Instrument<br />
bei, wechseln höchstens schon einmal zur Viola<br />
über. Nur ganz wenige beginnen schon mit anderen<br />
Instrumenten, die sie dann beibehalten. Zudem<br />
gibt es ein spezielles Programm für besonders<br />
begabte Schüler. Diese trennen wir von den anderen<br />
und sie erhalten dann einen gesonderten Unterricht.<br />
Wir wollen nicht, dass alle Schüler auf<br />
dieselbe Schiene gesetzt und damit vereinheitlicht<br />
unterrichtet werden. Wir wollen bei Hochbegabten<br />
die individuelle Förderung vorantreiben.<br />
Wir haben auch ein sogenanntes „Early Music Program“,<br />
ein Programm, das noch vor der Alten-<br />
Musik-Szene in unserem Land so benannt wurde.<br />
Bei uns bedeutet dies, dass man vor der Grundschule<br />
in musikalischen Dingen ausgebildet wird.<br />
Dies ist allerdings nur ein Teilzeitprogramm, das<br />
nur an einigen Tagen läuft. Und bemerkenswerterweise<br />
kommen bei uns meistens die Väter mit<br />
ihren Kindern zu diesem Programm. Das Ziel dieses<br />
Programms ist es allerdings nicht, Musiker heranzuziehen.<br />
Wir wollen vielmehr eine Basis für die<br />
Musik kreieren. Denn immerhin könnte ja eines<br />
dieser Kinder später der Minister für Kultur werden<br />
[er grinst].<br />
PIANONews: Wenn dies eine private Universität ist,<br />
dann müssen die Studenten also bezahlen?<br />
H<br />
33
H<br />
Der weitläufige<br />
Eingangsbereich mit<br />
der ovalförmigen Öffnung<br />
der Stockwerke.<br />
Foto: Dürer<br />
H OCHSCHULEN<br />
Isin Metin: Oh, das habe ich ganz vergessen zu erwähnen:<br />
25 Prozent aller Studenten an dieser<br />
Universität studieren mit einem Stipendium. Die<br />
Musikstudenten allerdings studieren fast alle mit<br />
einem Stipendium bei uns. Allerdings bezahlen sie<br />
ein Achtel der Studiengebühren selbst. Warum wir<br />
das so handhaben? Nun, jeder Student bekommt<br />
in jedem Fall die nötige Grundlage für das Studium,<br />
je nach der finanziellen Situation der Eltern.<br />
Doch darüber hinaus sollen die Studenten das Studium<br />
nicht als garantiert ansehen und sich ein wenig<br />
anstrengen.<br />
PIANONews: Auch wenn also die Gesamtanzahl der<br />
Musikstudenten, die die Bilkent Universität mit einem<br />
Abschluss verlassen, nicht sonderlich groß ist, erlauben<br />
Sie die Frage, was mit den Absolventen passiert?<br />
Isin Metin: Natürlich wissen wir nicht von allen,<br />
was mit ihnen passiert, das sind ca. 10 Prozent.<br />
Von denen, von denen wir es wissen, erfahren wir<br />
allerdings Folgendes: Circa 30 Prozent gehen ins<br />
Ausland, meist um ein fortführendes Studium zu<br />
beginnen. Die anderen 60 Prozent teilen sich auf:<br />
Einige spielen dann in einem der türkischen Orchester,<br />
unterrichten oder üben natürlich einen<br />
anderen Beruf aus, oder aber geben das Musizieren<br />
meist aufgrund von Heirat oder anderen familiären<br />
Gründen auf. Doch um Ihnen zu erklären,<br />
welches Niveau unsere Absolventen haben: Wenn<br />
ein Student der Bilkent Universität heutzutage an<br />
einem der Bewerbungsvorspiele bei einem Orchester<br />
teilnimmt, dann bekommt er die Stelle.<br />
PIANONews: Wie sieht der reguläre Unterricht für die<br />
Musikstudenten aus?<br />
Isin Metin: Das ist relativ luxuriös, denn wir haben<br />
zwei Wochenstunden Instrumentalunterricht,<br />
in der Grundschule sind es sogar vier Stunden à 40<br />
Minuten. Die Anzahl der Überäume ist extrem<br />
hoch, so dass wir keinerlei Probleme von dieser<br />
Seite haben. Alles in allem ist es recht luxuriös,<br />
was wir zu bieten haben.<br />
PIANONews: Wächst die Anzahl der Studenten denn<br />
auch bei Ihnen beständig, wie dies fast weltweit der<br />
Fall ist?<br />
Isin Metin: Ich habe immer versucht nicht die<br />
Quantität zu erhöhen, sondern die Qualität. Wenn<br />
es um Wachstum geht, dann würde ich gerne eine<br />
Ballettabteilung haben, und eine Abteilung für<br />
Operngesang, mehr in dem Sinne eines Opernstudios.<br />
PIANONews: Wie sieht es mit der Internationalität<br />
aus?<br />
Isin Metin: Wir sind erst einmal für die Studenten<br />
in unserem Land da. Aber wir versuchen natürlich<br />
beständig Einflüsse von außerhalb zu erhalten. So<br />
beispielsweise durch Meisterklassen. Natürlich laden<br />
wir auch Professoren für Meisterklassen zu uns<br />
ein, aber das ist nicht das, wonach ich suche.<br />
Denn wer entscheidet, wer hierherkommt? Meine<br />
Kollegen und ich. Das bedeutet, wir haben bereits<br />
einen Kontakt zu dieser Fachkraft. Aber ich will lieber,<br />
dass andere unsere Studenten aussuchen. Wie<br />
das passieren kann? Nun, indem sich unsere Studenten<br />
bei internationalen Meisterkursen bewerben<br />
und dann mit Unterstützung von Bilkent dorthin<br />
gehen, wenn sie gut genug sind.<br />
PIANONews: Und die Internationalität der Studenten<br />
selbst, wäre es interessant für einen ausländischen<br />
Studenten, sich in Bilkent zu bewerben?<br />
Isin Metin: Nun, wir nehmen am Erasmus-Programm<br />
teil, aber mussten dafür erst noch Grundlagen<br />
schaffen. Aber was dabei herauskommt,<br />
weiß ich nicht wirklich, auch wenn es Möglichkeiten<br />
bereithält. Wie auch immer, die Grundlage<br />
ist die Unterrichtssprache. Und selbst wenn wir<br />
hier nur in Türkisch unterrichten würden, und betrachten<br />
die gesamte Population weltweit, die Türkisch<br />
spricht, dann hätten wir sehr viele Möglichkeiten,<br />
in Aserbaidschan und sogar in China, wo<br />
eine große Bevölkerungsschicht Türkisch spricht.<br />
Die Universität hier hat aber das Prinzip, dass die<br />
Sprache, in der unterrichtet wird, Englisch ist. Hier<br />
müssen also alle Schüler schon am Ende der Highschool<br />
ein Examen in Englisch ablegen, was dann<br />
in der Universität weitergeht. Im vergangenen<br />
Jahr haben wir also auch die Kurse an der Musikfakultät<br />
verändert und haben die Kurse in Harmonielehre,<br />
Kontrapunkt, Formenanalyse und Theorie<br />
sowie Musikliteratur in englischer Sprache eingeführt.<br />
Diese Kurse benutzen unterschiedliche Bücher,<br />
die ebenso in englischer Sprache sind. Auch<br />
Gehörbildung haben wir geändert, so dass es viele<br />
Stunden sind, die in Englisch unterrichtet werden.<br />
Es mag sein, dass es für einige Studenten nicht so<br />
34 3 . 08
3 . 08<br />
H OCHSCHULEN<br />
wichtig ist, in Englisch unterrichtet zu werden. Aber für auftretende Künstler ist es<br />
besonders wichtig. Vor allem aber ist auch eine andere Facette wichtig: Ich erinnere<br />
mich an meine Studien, bei denen wir vier wichtige – gute – Bücher in türkischer<br />
Sprache hatten. Aber wie viele Bücher und Materialien stehen in englischer<br />
Sprache zur Verfügung? Massen! Das heißt: Mit der Einführung der englischen<br />
Sprache als Unterrichtsform können wir nun endlich über Erasmus-Programme<br />
sprechen. Was passiert aber, wenn ein deutscher Student über Erasmus nach<br />
Spanien geht? In welcher Sprache wird er unterrichtet? Es sind viele Studenten aus<br />
dem Ausland, die sich hier bewerben, aber es sind nur wenige, die hier wirklich<br />
angenommen werden. Wenn wir nun über ausländische Studenten sprechen,<br />
dann haben wir solche aus Bulgarien und Aserbaidschan, was vielleicht nicht so<br />
sehr zählt, weil dort die Musikschulen vielleicht schlechter sind als unsere. Aber<br />
ich kann Ihnen sagen, dass der Austausch mit den anderen Ländern immer intensiver<br />
wird, von beiden Seiten aus gesehen. Im vergangenen Jahr kamen Vertreter<br />
von drei Hochschulen aus dem Ausland zu uns. Und wir haben nun eine eigene<br />
Kraft eingestellt, deren Job es ist, ausschließlich Austauschprogramme mit anderen<br />
Hochschulen zu vereinbaren.<br />
Die Frage, die sich für mich – auch bezüglich des Erasmus-Programms – stellt, lautet:<br />
Was machen unsere Studenten, wenn sie in andere Länder in Europa gehen?<br />
Denn mit Ausnahme von Großbritannien gibt es nur wenige Unterrichtskurse in<br />
englischer Sprache.<br />
PIANONews: Können Sie uns sagen, auf welchem Niveau sich Bilkent befindet, wenn<br />
man diese Hochschule mit den anderen in der Türkei vergleicht?<br />
Isin Metin: Die erste Musikhochschule gab es in unserem Land 1923 in Istanbul.<br />
Dann folgten weitere und heute will jede Stadt ihr Konservatorium haben. Wir,<br />
nebenbei bemerkt, sind eine Fakultät, kein Konservatorium, was ein großer<br />
Unterschied ist. All diejenigen, die in den vergangenen Jahren gegründet wurden,<br />
nehmen unser Modell zur Grundlage. Sie wollen die Grundschule haben, wollen<br />
all diese Dinge haben, die wir entwickelt haben. Was das heißt, können Sie selbst<br />
beurteilen.<br />
Koordinator der Klavierabteilung<br />
Da gibt es noch einige Besonderheiten, die erwähnt werden sollten. So muss jeder<br />
Student in den letzten zwei Semestern Operngeschichte belegen. Isin Metin meint,<br />
dass dies wichtig sei, da die Oper immer weniger zeitgenössische Werke hervorbringe<br />
und fast im Sterben begriffen sei. Die heutigen Komponisten würden alle<br />
Genres bedienen, nur die Oper nicht. Dies gilt anscheinend für die Türkei speziell.<br />
Im deutschsprachigen Raum kann man fast das Gegenteil behaupten, wenn ein<br />
junger Komponist erst einmal Erfolg hat.<br />
Der nächste Vertreter, mit dem wir sprechen, wenn es um die Organisation, um<br />
die Inhalte geht, ist der Koordinatoren-Professor für Klavier an der Bilkent Hochschule,<br />
Emre Sen. Er ist jung, jünger noch als der Direktor. Es scheint sich ein Wille<br />
zu neuen Ideen und Energien zu bündeln. Letztendlich ist, das Können und der<br />
Eifer, etwas zu bewegen, was zählt.<br />
PIANONews: Herr Sen, Sie werden nicht als Leiter der Klavierabteilung bezeichnet, sondern<br />
als Koordinator. Was ist der Unterschied?<br />
Emre Sen: Koordinator bedeutet zu koordinieren. Was ich also grundsätzlich nicht<br />
tue, ist, Dinge zu entscheiden, zu bestimmen, was getan wird. Ich versammle vielmehr<br />
die Pianisten, die in der Fakultät beschäftigt sind, und organisiere ein Treffen,<br />
das mehrere Stunden dauern kann. In solch einem Treffen formen wir das<br />
Repertoire für jede Klasse. Wir besprechen alles so lange, bis jeder Professor in der<br />
Fakultät zustimmt und zufrieden ist. Das letzte Treffen war beispielsweise sehr<br />
interessant, denn einige, die älteren Kollegen, wollen mehr Bach und Beethoven<br />
im Repertoire, da sie aus dieser Tradition stammen. Sie wollen jedes Jahr das gleiche<br />
Repertoire aufgenommen wissen. Aber es ist auch wichtig, die moderne Musik,<br />
aber auch die Impressionisten aufzunehmen. Ich bin dann derjenige, der alles<br />
so zusammenbringt, dass jeder Professor gerne und mit Überzeugung unterrichtet<br />
– und dem Plan zustimmt. Wenn man der Abteilungsleiter wäre, dann wäre diese<br />
Art des Besprechens sicherlich anders, denn dann wird mehr oder weniger<br />
bestimmt und nicht besprochen.
H<br />
H OCHSCHULEN<br />
PIANONews: Sie haben gesagt, Sie seien auf dieser<br />
Hochschule vor 20 Jahren gewesen, aber diese<br />
Universität wurde doch erst vor 22 Jahren gegründet.<br />
Emre Sen: Ja richtig, ich war einer der Ersten. Ich<br />
habe 1987 begonnen.<br />
PIANONews: Seit wann sind Sie dann Koordinator?<br />
Emre Sen: Seit drei Jahren. Ich habe meine Studien<br />
1995 abgeschlossen.<br />
PIANONews: Haben Sie direkt im Anschluss an Ihre<br />
Studien hier zu unterrichten begonnen?<br />
Emre Sen und eine seiner<br />
Schüülerinnen in seinem<br />
Unterrichtsraum.<br />
Foto: Dürer<br />
Emre Sen: Nein, ich war auch im Ausland, in Italien,<br />
in Frankreich am Conservatoire, war in den<br />
USA und habe bei Oxana Yablonskaja an der Juilliard<br />
School in New York studiert. Mein Master Degree<br />
habe ich dann in London bei Kevin Kenner<br />
absolviert. Danach kam ich zurück und begann zu<br />
unterrichten.<br />
PIANONews: Erst einmal wüsste ich nun auch gerne<br />
statistische Zahlen. Wie wir schon erfahren haben, studieren<br />
momentan 368 Studenten an dieser Hochschule,<br />
das obere Limit läge bei 500 Studenten, die unterrichtet<br />
werden könnten. Aber momentan ist man<br />
weniger daran interessiert, dass die Anzahl der Studenten<br />
wächst als vielmehr die Qualität der Studenten.<br />
Wie viele Schüler und Studenten studieren hier Klavier?<br />
Emre Sen: Man muss natürlich unterscheiden, an<br />
welcher Schule in Bilkent sie studieren. Wir haben<br />
ja die Grundschule und so fort bis hin zur Universität.<br />
Insgesamt sind es um die 60, die Klavier studieren.<br />
Im Hochschulbereich sind es in der Klavierabteilung<br />
12 Studenten, nicht sehr viele, aber<br />
wir versuchen die Qualität zu erhöhen, wie Isin<br />
Metin Ihnen schon gesagt hat.<br />
PIANONews: Und von wie vielen Lehrern werden diese<br />
unterrichtet?<br />
Emre Sen: Es sind mit mir 10 Lehrer. Allerdings<br />
unterrichten diese natürlich alle unterschiedlichen<br />
Altersstufen.<br />
PIANONews: Dennoch ist die Balance zwischen Lehrern<br />
und Schülern, verglichen mit anderen Ländern,<br />
wirklich bemerkenswert. Wenn alle Lehrer alle Altersgruppen<br />
unterrichten, hilft dies vielleicht auch eine<br />
gewisse Arroganz gegenüber den bislang weniger ausgebildeten<br />
Jüngeren abzubauen, oder?<br />
Emre Sen: Ja natürlich. Aber dazu muss man sagen,<br />
dass wir momentan wirklich ganz außerordentliche<br />
junge Studenten in den jüngeren Klassen<br />
haben. Als ich noch jung war, konnte man natürlich<br />
nirgendwo mit sieben Jahren zu studieren<br />
beginnen. Jetzt, wo es hier die Grundschule gibt,<br />
beginnen viele Mädchen und Jungen mit sechs<br />
oder sieben Jahren und entwickeln sich bis zum<br />
Alter von 13 Jahren sehr schnell. Und bald schon<br />
weiß man, wer begabt, wer hochtalentiert und<br />
wer genial ist. Ich konnte erst mit 13 Jahren beginnen,<br />
hatte also nur sieben Jahre zur Entwicklung.<br />
Heute sprechen wir von vollkommen anderen<br />
Voraussetzungen. Wenn die Aufnahmeprüfungen<br />
oder die Prüfungen zu einer anderen Schulform<br />
anstehen, ist es sehr schwierig, gleichberechtigt zu<br />
urteilen, wenn ein Schüler erst mit 13 Jahren oder<br />
bereits mit sechs Jahren das Instrument begonnen<br />
hat. Es ist dann schwer, zu sagen, ob der eine<br />
talentierter ist als der andere.<br />
PIANONews: Nimmt gerade bei den Bewerbungen<br />
für die Grundschule die Anzahl sehr zu?<br />
Emre Sen: Immens stark, ja. Und es gibt immens<br />
viele Talente unter ihnen. Ich erinnere mich an<br />
keine Zeit, in der es so viele talentierte junge Schüler<br />
gab wie momentan. Natürlich gibt es weltweit<br />
wahnsinnig viele Talente, aber in der Türkei ist<br />
dies schon etwas ganz Besonderes. Ich denke, das<br />
beweist auch, dass der Beginn von Instrumentalunterricht<br />
mit sechs oder sieben Jahren durch diese<br />
Talente gerechtfertigt wird.<br />
PIANONews: Was denken woran es liegt, dass gerade<br />
heutzutage diese große Anzahl an neuen Talenten<br />
in Ihrem Land zutage tritt? Die westliche, klassische<br />
Musik wurde ja erst in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts<br />
wirklich entdeckt und ausgeübt. Und dies<br />
meist von einer Art intellektueller Schicht. Seither hat<br />
sich diese Musik zwar verbreitet, aber das heißt nicht,<br />
dass die Talente von selbst kommen.<br />
Emre Sen: Da gibt es mehrere Aspekte. Zum einen<br />
sind da die Medien, die die breite Öffentlichkeit<br />
informieren, dass es überhaupt so etwas wie klassische<br />
Musik gibt. Zudem gehen immer mehr<br />
Menschen auch ins Ausland und kehren zurück.<br />
Aber auch der Regierung ist klar, welchen Erfolg<br />
die klassische Ausbildung dem Land bringt. So<br />
wird die klassische Musik von beiden Seiten, von<br />
der Öffentlichkeit und von der Regierung mehr<br />
und mehr unterstützt. Ein gutes Beispiel ist Fazil<br />
Say, der natürlich viel berühmter als erfolgreiche<br />
Wissenschaftler in anderen Fächern ist. Er spielt<br />
überall und wahrscheinlich ist er momentan der<br />
vielleicht bekannteste Türke in der Welt. Und er<br />
spielt Klavier! Was dadurch passiert, ist einfach:<br />
Die Eltern wollen, dass ihre Kinder ein zweiter<br />
36 3 . 08
3 . 08<br />
Fazil Say werden. So kommen immer mehr und<br />
mehr hierher.<br />
In früheren Zeiten war die Musik des Westens eher<br />
etwas Geheimnisvolles, etwas, über das man nicht<br />
viel wusste und der man damit auch ablehnte.<br />
PIANONews: Aber unterstützt die Regierung eine<br />
Person wie Fazil Say?<br />
Emre Sen: Ich denke Folgendes: Ich bin nicht an<br />
elektronisch-moderner Musik interessiert, aber ich<br />
bin mir bewusst, dass es diese Musik gibt und dass<br />
sie bei Jugendlichen besonders gut funktioniert.<br />
Ich würde sie aber nicht ausüben oder unterstützen.<br />
Die Regierung ist sich bewusst, dass Fazil Say<br />
da ist und funktioniert.<br />
Die Menschen in der Welt können nicht alle gleich<br />
interessiert sein an klassischer Musik, aber sie wissen,<br />
dass es sie gibt. Und das bewirkt eine ganze<br />
Menge. Selbst in der Türkei sind die Konzerte mit<br />
klassischer Musik gut besucht. So gibt es weltweit<br />
immer eine Schicht von an dieser Musik Interessierten.<br />
Und dieses Bewusstsein hat sich in unserem<br />
Land erst herausgebildet.<br />
PIANONews: Nun will ich aber doch noch einmal auf<br />
die politische Situation in Ihrem Land zu sprechen<br />
kommen, die ja momentan von einer sehr starken religiösen<br />
Partei geleitet wird. Für diese Partei ist die<br />
Unterstützung von Musik kein Ziel, ganz im Gegenteil<br />
kann es so sein, dass sie eine Gefahr nicht nur für die<br />
klassische Musik bedeuten kann, sondern für die Musik<br />
überhaupt. Wie sehen Sie diese Gefahr?<br />
Emre Sen: Ich sage immer: Religion kann keine<br />
Gefahr für die Musik sein, denn die Musik ist keine<br />
Sünde. Aber religiöse Menschen haben dieses<br />
„Extra“, das die klassische Musik stoppen kann: Es<br />
ist westliche Musik, also muss man sie nicht unterstützen.<br />
Aber ein Regierungsmitglied, gleichgültig<br />
welcher Partei es angehört, muss verstehen und<br />
erkennen, dass diese Musik positiv wirkt. Dass es<br />
im Kontakt mit anderen Ländern hilft.<br />
PIANONews: Noch einmal zurück zu den Lehrern an<br />
dieser Schule hier. Sind alle Lehrer aus der Türkei, die<br />
hier Klavier unterrichten?<br />
Emre Sen: Ungefähr vor 12 Jahren wurde das Bilkent<br />
University Orchestra gegründet. Die meisten<br />
Mitglieder kamen aus Russland, aus Aserbaidschan<br />
und anderen Ländern. Sie haben dann<br />
begonnen zu unterrichten, kamen also mit der russischen<br />
Lehrmethodik hierher. Ich sehe also diese<br />
Schule anders als andere Schulen in der Türkei,<br />
denn es handelt sich bei unseren Lehrern um eine<br />
Verbindung von russischer und türkischer Schule.<br />
Sie haben eine ältere Musiktradition in unser Land<br />
mitgebracht.<br />
PIANONews: Ich verstehe, dass es viele Einflüsse gab.<br />
Aber wie sieht es heutzutage aus, sind alle 10 Klavierlehrer<br />
Türken?<br />
Emre Sen: Nein, es ist ungefähr halb und halb. Sie<br />
sind jetzt alle Türken, da sie ihre Staatsange-<br />
H OCHSCHULEN<br />
hörigkeit geändert haben, aber viele kommen aus<br />
Aserbaidschan. Bislang kommt niemand der Lehrer<br />
aus den USA oder aus Deutschland oder ähnlichen<br />
Ländern. Wir versuchen die Kontakte zu intensivieren.<br />
Das ist uns auch sehr wichtig und ich<br />
träume davon, dass es sich in der Zukunft internationaler<br />
entwickelt.<br />
H<br />
Wir machen mit Emre Sen<br />
einen Gang durch die Räume.<br />
Tatsächlich ist die Anzahl<br />
von Unterrichts- und<br />
Überäumen immens groß,<br />
vor allem für die Studentenanzahl.<br />
Die Räume sind<br />
groß und hell, immer mit<br />
einem Fenster ausgestattet,<br />
so dass genügend Tages-<br />
Blick in einen Überaum der<br />
licht auf den Tasten liegt.<br />
Universität.<br />
In den Unterrichtsräumen<br />
Foto: Dürer<br />
stehen Flügel zur Verfügung,<br />
meist sogar zwei. Während in den Konzertsälen<br />
der Universität ausschließlich Steinway-Flügel<br />
ihren Dienst versehen, findet man in den Unterrichts-<br />
und Überäumen allerdings ausnahmslos<br />
eine Marke: Young Chang. Emre Sen: „Das ist wirklich<br />
etwas schade, ich weiß auch nicht genau, warum<br />
dies so ist. Aber für Instrumente, die beständig und<br />
jeden Tag gespielt werden, sind diese Instrumente<br />
nicht geeignet, sie sind einfach nach zwei oder drei<br />
Jahren kaputt. Ich wäre froh, wenn in meinem<br />
Unterrichtsraum anstatt zwei Young Chang-Flügeln ein<br />
ordentlicher Flügel von Kawai oder Yamaha stehen<br />
würde.“ In den gesamten Räumen findet man nur<br />
einen Flügel von Kawai, ansonsten ist es eine Alleinstellung<br />
von Young Chang.<br />
Das Café „Mozart“ ist die hauseigene Mensa,<br />
wenn man so will. In einem halbrunden Speisesaal<br />
der verglast über das Tal schauen lässt, findet<br />
man hier recht preiswert Getränke und Speisen.<br />
Einfaches und qualitativ nicht zu gutes Essen, wie<br />
man uns sagt; aber im Vergleich mit vielen bundesdeutschen<br />
Mensen sicherlich unbedingt konkurrenzfähig.<br />
Was der Gründer Ihsan Dogramaci mit der Bilkent<br />
Universität in Ankara geschaffen hat, ist unvergleichlich<br />
in der Welt. Keine andere Universität<br />
von diesen Ausmaßen, mit diesem Weitblick und<br />
mit dieser Offenheit ist mir bekannt, die von privater<br />
Hand gegründet wurde – aus Überzeugung.<br />
Die Regierung unter der Leitung von Präsident Erdogan<br />
und der Einfluss der religiösen Partei ist allerdings<br />
für das freiheitliche Kulturdenken in der<br />
Türkei eine Gefahr. Dagegen versuchen alle mit<br />
der klassischen Musik befassten Personen ihren<br />
Ehrgeiz auf der einen und ihre Liebe zur klassischen<br />
Musik auf der anderen Seite einzusetzen.<br />
Kontakt<br />
Bilkent University<br />
Faculty of Music and Performing Arts<br />
TR - 06800 Bilkent, Ankara<br />
Tel.: 0090 / 312 / 290 4000<br />
Fax: 0090 / 312 / 266 4127<br />
E-Mail: bilinfo@bilkent.edu.tr<br />
www.bilkent.edu.tr<br />
37
H<br />
Von: Carsten Dürer<br />
H ÄNDLER<br />
KLAVIERHÄNDLER IN ÖSTERREICH<br />
WIE IN FRÜHEREN ZEITEN<br />
Das Klavierhaus Gustav Ignaz Stingl in Wien<br />
Mitten in der City liegt das Klaviergeschäft<br />
Gustav Ignaz Stingl. Von außen ist nicht zu<br />
erkennen, was einen innen erwartet.<br />
Foto: Dürer<br />
Wien ist nicht nur die politische, sondern ebenfalls die kulturelle<br />
Hauptstadt Österreichs. Und selbst wenn Salzburg und Graz versuchen<br />
sich musikalisch immer profilierter darzustellen, bleibt diese<br />
Aussage ein Faktum. Dass in solch einer europäischen Musikmetropole<br />
der Klavierhandel seit langer Zeit eine wichtige Institution<br />
darstellt, versteht sich dabei von selbst. Waren es in früheren Zeiten,<br />
als Mozart oder Beethoven noch in Wien wirkten, die Klavierhersteller,<br />
für die Wien berühmt war, so sind es heute mehr die<br />
Klavierhändler, die die professionellen Pianisten betreuen. Einer der<br />
Händler, der eine Art Traditionsunternehmen in Wien darstellt, ist<br />
das Klavierhaus Stingl. Heute wird dieses Klavierhaus, das im vierten<br />
Bezirk der Hauptstadt seinen Sitz hat – und damit mitten im<br />
Seit 1989 alleiniger Inhaber des<br />
Klaviergeschäftes: Gustav Ignaz Sych.<br />
Foto: Dürer<br />
Herzen der Stadt – von Gustav Ignaz Sych geleitet. Wie aber stellt sich heute die Situation eines Händlers<br />
für Klaviere und Flügel in Wien dar, wie sieht die Konkurrenz aus und wie hält man in dieser lebendigen<br />
Metropole den Kontakt zu seinen Kunden?<br />
38 3. 08
3 . 08<br />
Das Klavierhaus „Piano Stingl“ findet man<br />
in der Wiedner Hauptstraße in Wien,<br />
kaum mehr als 10 Fußminuten von der<br />
Staatsoper und vielleicht nur fünf weitere Minuten<br />
vom wichtigsten Konzertsaal Wiens entfernt: dem<br />
Wiener Musikverein. Der Schriftzug ist deutlich am<br />
Haus angebracht, und ein kleines Ladenlokal<br />
macht nochmals aufmerksam auf das Klavierhaus.<br />
Aber das kann doch nicht alles sein, oder?<br />
Der Eindruck täuscht, den man von dem kleinen<br />
Ladenlokal mit nur einem Konzertflügel im Inneren<br />
erhält, denn ein kleines Schild verweist auf<br />
den Hauseingang seitlich des Ladenlokals: Dort<br />
kann man eintreten, indem man einen Türdrücker<br />
betätigt, und gelangt in den ersten Stock des<br />
Hauses, in dem sich dann ein großes Klavierfachgeschäft<br />
mit zahlreichen kleinen Nebenräumen<br />
präsentiert. Die „Beletage“ war in Österreich traditionell<br />
für Geschäfte mit größeren Ausstellungsstücken<br />
gedacht. Zudem ist es hier heutzutage<br />
weitaus ruhiger als in einem Ladenlokal, das<br />
ebenerdig den starken Verkehr auf der Straße mit<br />
großem Isolierungsaufwand ausschließen müsste.<br />
Im Hauptraum präsentieren sich zahlreiche Flügel<br />
unterschiedlicher Marken, in den Nebenräumen<br />
sind es die Klaviere und auch gebrauchte und<br />
in der hauseigenen Werkstatt aufgearbeitete Instrumente.<br />
Erst beim Umherschweifen durch die<br />
traditionellen Räume wird dem Besucher klar,<br />
dass hier die Auswahl recht groß ist, die Markenvielfalt<br />
ebenfalls. Und durch die zahlreichen Plakate<br />
mit Widmungen an den Eigentümer wird<br />
auch deutlich, dass eine enge Zusammenarbeit<br />
zwischen den Künstlern und diesem Klavierhaus<br />
besteht.<br />
Kurze Geschichte<br />
1860 hatte Anton Stingl (1825–1885) den Tischlereibetrieb<br />
von seinem Onkel übernommen und<br />
widmete sich schon bald dem Bau von Klavierkorpussen<br />
– das war im fünften Bezirk in Wien. 1887<br />
nahm er seine drei Söhne Gustav, Ignaz und<br />
Wilhelm in seinen Betrieb auf und wurde zu Gebr.<br />
Stingl. Diese widmeten sich verstärkt dem Klavierbau<br />
und übernahmen bald schon die Räumlichkeiten<br />
der berühmten Firma Streicher in Wien, genauer<br />
in der Ungargasse. Da die Familie Streicher<br />
nach einer enormen Historie kinderlos ausstarb,<br />
war der Grundstein für das Aufblühen des Unternehmens<br />
Stingl gelegt. In dem ehemaligen Gebäude<br />
des Unternehmens Streicher, dem sogenannten<br />
„Streicherhof“, baute man eine Fertigung<br />
für Klaviere auf. Bald schon wurden die Brüder als<br />
wichtigster Instrumentenerzeuger der damaligen<br />
Monarchie bezeichnet; und dies immerhin gegen<br />
so berühmte österreichische Hersteller wie Ehrbar,<br />
Bösendorfer und einige andere. Von Anfang an<br />
hatte man einen Schwerpunkt der Produktion auf<br />
die Klaviere, nicht auf die Flügel gelegt, im Gegensatz<br />
zu den zahlreichen anderen Herstellern.<br />
Um 1910 war das Unternehmen zu einer AG geworden.<br />
Nach und nach starben die Erben der<br />
Stingls und das Unternehmen geriet in die Hände<br />
einer tschechischen Bank. Doch die Geschäfte liefen<br />
nicht mehr so wie noch unter den Familien-<br />
H ÄNDLER<br />
mitgliedern, eine wirkliche Neuerzeugung gab es<br />
kaum mehr, auch wenn damals die Marke „Stingl<br />
Original“ begründet worden war. Es wurden Restbestände<br />
und altes Wissen verarbeitet. Später gingen<br />
diese Restbestände an das tschechische Klavierbauunternehmen<br />
Lauberger & Gloss, die bis zu<br />
Beginn des 1. Weltkriegs kleine Stückzahlen unter<br />
diesem Namen fertigten.<br />
Der einzige noch lebende Nachfahre der Stingls,<br />
Gustav Ignaz Stingl, gründete dann 1921 das Unternehmen<br />
„Gustav Ignaz Stingl“ in Wien. Dieser<br />
hatte noch das Klavierbauhandwerk in der Ungargasse<br />
als junger Mann gelernt. Er war der Onkel<br />
des heutigen Besitzers Gustav Ignaz Sych. Es war<br />
ein Handelsbetrieb, der 1921 eingetragen wurde,<br />
aber ein Jahr später erhielt man auch die Berechtigung<br />
zur Fertigung von Neuinstrumenten. Doch<br />
Gustav Ignaz Stingl schwebte längst kein Produktionsbetrieb<br />
mehr vor, wie ihn seine Vorfahren<br />
betrieben hatten, sondern er begann neben dem<br />
Verkauf von Klavieren und Flügeln mit der handwerklichen<br />
Fertigung einiger weniger Klaviere.<br />
„Heute ist es so, dass wir auf Kundenwünsche immer<br />
noch hier und da einige wenige Stücke rein handwerklich<br />
fertigen“, erklärt Gustav Ignaz Sych und fügt<br />
hinzu: „Aber das ist nichts, wovon man lebt, sondern<br />
man erhält sich einige Fertigkeiten in der Werkstatt.“<br />
Das heutige Geschäft<br />
So richtig gewandelt hat sich das Kerngeschäft im<br />
Handel vor allem in den 70er Jahren, als noch<br />
mehrere Klaviere jeden Tag verkauft werden<br />
Ferienwohnung mit Steinway-Flügel<br />
H<br />
Die Flügelgalerie steht zum<br />
Anspielen bereit.<br />
Foto: Dürer<br />
Landhaus Woltersmühlen,Nähe Timmendorfer Strand, vermietet eine<br />
große komfortable Ferienwohnung mit Steinway-Flügel in romantischer<br />
Wassermühle -schönste Lage.<br />
Tel.: 0177-7777359 oder 04524 / 359 Fax: 04524 / 900456<br />
www.landhaus-woltersmuehlen.de<br />
39
H<br />
Nicht nur die Plakate an den Wänden atmen Geschichte, sondern<br />
auch die Lampen und die Innenausstattung.<br />
Foto: Dürer<br />
H ÄNDLER<br />
konnten. Bis zu dieser Zeit, so sagt der heutige Inhaber,<br />
wurden im handwerklichen Betrieb noch<br />
70 bis 80 Klaviere der eigenen Marke gefertigt und<br />
waren auch für den Broterwerb des Unternehmens<br />
eine wichtige Säule. Und so lernte auch Sych das<br />
Klavierbauhandwerk im hauseigenen Betrieb sowie<br />
in Deutschland – doch nebenher absolvierte er<br />
Aufgrund der hohen Decken in dem<br />
alten Gebäude ist der Klang beim<br />
Anspielen hervorragend.<br />
Foto: Dürer<br />
auch eine betriebswirtschaftliche Ausbildung. Zu<br />
Beginn war das Unternehmen noch eine OHG, in<br />
der auch sein Vater Gesellschafter war. Nach dessen<br />
Tod 1989 allerdings wurde das Unternehmen<br />
zu einer Einzelhandelsgesellschaft und Gustav<br />
Ignaz Sych war allein verantwortlich.<br />
Wie hat sich das Geschäft für Sych in einer Stadt<br />
wie Wien verändert, in der es ja auch in den vergangenen<br />
Jahrzehnten zahlreiche Änderungen gegeben<br />
hat? „Nun, so wie wir es empfinden, hat es vor<br />
allem eine Änderung hin zum Interesse an Flügeln gegeben“,<br />
sagt Sych. „Das sage ich nur ganz grob. Da<br />
gehören sicherlich Wohlstandsstrukturen hinzu. Das<br />
Klavier, auf dem man Jahrzehnte gespielt hat, kommt<br />
in den Zweitwohnsitz, Kinder ziehen aus, es entsteht ein<br />
größerer Musikraum – und so ist Platz für einen Flügel.<br />
Zudem gibt es wieder sehr viele Musiksalons. Nicht in<br />
der geschlossenen, biedermeierlichen Atmosphäre wie<br />
früher, aber in jedem Fall in einem privaten Bereich.<br />
Dieses Leben ist in Wien sehr intensiv geworden, auch<br />
durch die Internationalität. Zudem ist es natürlich die<br />
große Anzahl der Studenten, die nach Wien kommen,<br />
um hier Klavier zu studieren.“ Eine grobe Einschätzung.<br />
Natürlich kommt das reichhaltige Konzertleben<br />
hinzu. „Das Angebot ist so enorm, dass ja zeitweise<br />
die Studenten das Studieren zu vergessen scheinen“,<br />
grinst Sych. Immer wieder kommt es vor,<br />
dass gleich zwei Konzerte in einem kleinen Rahmen<br />
am gleichen Tag vom Klaviergeschäft Ignaz<br />
Stingl mit Gestellungsinstrumenten beliefert werden.<br />
Die Konkurrenz aber hat sich auch geändert,<br />
denn immerhin gibt es mittlerweile neben dem<br />
traditionsreichen Stadtsalon von Bösendorfer im<br />
Musikverein auch ein Steinway-Haus in Wien<br />
sowie ein eigenes Fachgeschäft von Blüthner. „Es<br />
wird interessanter“, sagt Sych ganz ruhig, „jeder versucht<br />
in einer Stadt wie Wien die Aufmerksamkeit auf<br />
sich zu ziehen.“ Insgesamt haben die Klavierfachhändler<br />
auch heute weniger Marken als früher<br />
noch. Das Klavierfachgeschäft Stingl arbeitet mit<br />
den Marken Kawai, Fazioli, Grotrian-Steinweg und<br />
Rönisch. „Wir hatten niemals das Interesse, unseren<br />
Betrieb mit einer großen Markenvielfalt aufzublähen“,<br />
meint Sych, „auch wenn es immer wieder leichte<br />
Verschiebungen im Angebot gab. Unsere Klientel ist<br />
stark klassisch orientiert und so haben wir unser<br />
Angebot darauf stark abgestimmt.“ Gebrauchte Instrumente<br />
werden ebenfalls angeboten, aber stellen<br />
nur einen geringen Anteil am Instrumentenverkauf<br />
dar. Die Instrumente, die bei Stingl angeboten<br />
werden, sind Instrumente, die man bereits<br />
kennt, die man betreut hat, und die in der eigenen<br />
Werkstatt aufgearbeitet wurden.<br />
Service wird bei Sych großgeschrieben. „Wir haben<br />
eine eigene Werkstatt, in der ja auch noch immer<br />
produziert wird. Wir sehen es als etwas sehr Wertvolles<br />
an, dass wir eine Betreuung in jeder Hinsicht, auch in<br />
der Werkstatt anbieten können. Vor allem im öffentlichen<br />
Bereich von Konzertveranstaltern, Musikschulen,<br />
Konservatorien und Hochschulen ist es schlicht von<br />
unserer Warte aus wichtig, dass innerhalb von drei<br />
Stunden jemand von uns vor Ort ist. Da wir solche<br />
Institutionen beständig betreuen, ist dies etwas sehr<br />
Wertvolles.“ Sych kennt als Wiener den Markt vor<br />
der Haustür bis ins Kleinste und ist stolz auf die<br />
40 3 . 08
3 . 08<br />
Flexibilität, die er bieten kann. Allerdings bietet er seinen Service nur für<br />
Instrumente an, die auch aus seinem Geschäft stammen: „Wien hat ein<br />
gewisses Eigenleben in vielerlei Hinsicht“, sagt er, „und da wollen wir<br />
Komplikationen vermeiden. Es soll nicht heißen, dass das Instrument auf einmal<br />
etwas anders ist, da die Firma X an diesem Instrument geschraubt hat. Es soll die<br />
Firma X nicht die Kastanien für die Firma Y aus dem Feuer holen. Wir sind gerne<br />
für die Instrumente im öffentlichen Bereich tätig, die von uns stammen.“ Dies<br />
sind dann vor allem Instrumente der Marken Kawai, Fazioli und Grotrian-<br />
Steinweg. Dies sind die Hauptflügelmarken aus dem Fachgeschäft. Die<br />
Universität für Musik in Wien hat sogar dreistellige Zahlen von<br />
Instrumenten aus dem Hause Sych im Einsatz, einige sind allerdings auch<br />
schon 30 Jahre lang dort.<br />
Die Werkstatt vom Klavierhaus Gustav Ignaz Stingl liegt im 12. Bezirk,<br />
allein schon aufgrund des Platzangebotes. Dort arbeiten zwei feste Klavierbauer.<br />
Einer dieser ist zudem für den Service außerhalb der Werkstatt<br />
zuständig. Daneben arbeitet man mit einem freien Stimmer, der aber<br />
hauptsächlich für Stingl tätig ist.<br />
Eine Besonderheit im österreichischen Markt, was man in Deutschland<br />
schon als absolute Normalität seit Jahrzehnten ansieht, erklärt Sych zudem:<br />
„Es gibt immer mehr Anbieter von Instrumenten im privaten Bereich. Das war<br />
früher einfach nicht der Fall. Dies hat sich – in einer merklichen Stückzahl – erst in<br />
den vergangenen fünf bis zehn Jahren herauskristallisiert.“ Dies mag auch daran<br />
liegen, dass nach dem Zweiten Weltkrieg noch zahlreiche Instrumente<br />
in Privathand blieben, da die Instrumente nicht zerstört worden waren.<br />
Dies sagt Sych vor allem aus Kenntnis für Ostösterreich. Während unseres<br />
Besuches kommen immer wieder begabte Studenten und Schüler in das Geschäft,<br />
um Flügel anzuspielen – ein eher seltenes Bild im Klavierfachhandel,<br />
dass so viel Betrieb an einem Vormittag herrscht. Sind die Kontakte zu<br />
Künstlern in einer Stadt wie Wien besonders wichtig? „Es entsteht einfach ein<br />
engerer, intensiverer Kontakt, wenn wir die Instrumente für die Konzerte betreuen.“<br />
Ein aggressives Angehen an die Künstler will Sych allerdings nicht<br />
betreiben, vielmehr ist seine Devise, für den Künstler da zu sein, wenn man<br />
gebraucht wird. „Wir wollen Partner der Künstler sein“, apostrophiert er.<br />
Künstler kommen aufgrund der Marken gerne in das Fachgeschäft, hier<br />
knüpft man die ersten Kontakte – oftmals recht früh: „Wir lernen viele<br />
Künstler hier kennen, wenn sie vielleicht noch einfache Studenten sind, wir aber<br />
schon merken, aus diesem oder jenem kann etwas werden. Und wir halten einfach<br />
den Kontakt.“ Markus Schirmer und Jasminka Stancul gehören zu<br />
Stammgästen des Hauses, ebenso wie der Dirigent Fabio Luisi. Es ist eine<br />
fachlich verankerte Zusammenarbeit auch zu der Privatuniversität, dem<br />
Konservatorium, aber auch zu Mitgliedern der Wiener Orchester, die von<br />
Sych gepflegt wird.<br />
In den Räumen von Piano Stingl herrscht eine geschäftige Atmosphäre,<br />
die sich beständig auf einem hohen Niveau zu bewegen scheint, hört man<br />
den Kunden zu. Kein Wunder, die Räume strahlen diese Atmosphäre aus,<br />
ebenso wie Gustav Ignaz Sych, der sich fachlich gerne mit den Kunden auseinandersetzt.<br />
Dieses Fachgeschäft mit seiner interessanten Historie gehört<br />
sicherlich zu den bemerkenswertesten in Österreich.<br />
Gustav Ignaz Stingl<br />
Wiedner Hauptstraße 18<br />
1040 Wien<br />
Tel.: 0043 / 1 / 587 862 4<br />
Fax: 0043 / 1 / 587 862 415<br />
E-Mail: info@stingl-klavier.at<br />
www.stingl-klavier.at<br />
H ÄNDLER<br />
Mitarbeiter: 4<br />
Ausstellungsfläche: 450 Quadratmeter<br />
Marken: Fazioli, Grotrian-Steinweg, Kawai, Rönisch<br />
Gestellservice: Fazioli, Kawai, Grotrian-Steinweg<br />
Mietinstrumente: ja<br />
Werkstatt: 180 Quadratmeter<br />
Digital-Pianos: ja
P<br />
P ORTRÄT<br />
OTTRÄT<br />
Nachdenklicher Perfektionist<br />
JEAN-BERNARD POMMIER<br />
Von: Carsten Dürer<br />
Der Name dieses französischen Pianisten ist den meisten Lesern wahrscheinlich mehr aus den<br />
80er und dem Beginn der 90er Jahre geläufig. Doch Jean-Bernard Pommier ist immer noch<br />
da, ist einer der beachtlichsten Pianisten, die weltweit aktiv sind. Und seine schon älteren<br />
Gesamteinspielungen aller Beethoven-Sonaten und aller Mozart-Sonaten und -Konzerte können<br />
auch heute noch als Referenzeinspielungen gelten, die besonders die Hörer begeistern,<br />
für die das Werk mehr im Vordergrund steht als der Pianist. Pommier ist ein ernsthafter, aber<br />
ein zurückhaltender Künstler, einer, für den das Werk des Komponisten, der Notentext wichtiger<br />
ist als ganz persönliche, vordergründige Ansichten. Die Aussagekraft kommt bei ihm aus<br />
der langjährigen Beschäftigung mit den einzelnen Werken. Und damit ist er einer der<br />
Pianisten, die die Ideen einer fast vergangenen Pianistengeneration aufrechterhalten und<br />
ihnen folgen. Wir trafen den heute 64-jährigen, aber immer noch jugendlich wirkenden Jean-<br />
Bernard Pommier in Amsterdam, einem seiner drei Wohnorte: Er ist mit einer russischen<br />
Geigerin verheiratet und hat daher mit ihr eine Wohnung in St. Petersburg und natürlich<br />
auch in Béziers, seinem Geburtsort. Es entspann sich ein spannendes Gespräch über die<br />
Ansichten über Musik im Allgemeinen, über die Art, wie man empfinden muss, um die Musik<br />
auf ein Publikum zu transportieren, was man beachten sollte, um ein Werk immer wieder so<br />
faszinierend erklingen zu lassen, als würde es soeben das erste Mal vom Interpreten gespielt.<br />
Jean-Bernard Pommier ist in Deutschland heutzutage<br />
nicht so präsent, wie man es vielleicht<br />
wünschen würde. Seine frühen Einspielungen<br />
bei Virgin Classics mit Werken von Debussy, aller<br />
Chopin-Walzer, seine Kompletteinspielung der<br />
Beethoven-Sonaten, die bis in die 90er Jahre andauerte,<br />
ließen ihn mehr präsent sein, nicht nur in<br />
den Medien, sondern auch im Konzertsaal. Seine<br />
intensivste Zusammenarbeit in Deutschland reicht<br />
allerdings in die Karajan-Ära zurück, zu dem er<br />
einen engen Kontakt hielt.<br />
Die ersten Schritte und große Lehrer<br />
Pommiers Vater war Organist in Béziers. War dies<br />
die Initialzündung für ihn, das Musizieren im Alter<br />
von vier Jahren zu beginnen? Und wenn ja, warum<br />
nicht das Orgelspiel, sondern das Klavierspiel?<br />
„Ich würde sagen, die Antwort ist: das Tastenspiel.<br />
Ich erinnere mich zwar nicht mehr genau, aber<br />
meine Familie hat es mir immer wieder erzählt, dass es<br />
einen Zwischenfall gab, der den Auslöser bedeutete.<br />
Aber zuerst muss ich noch etwas anderes erwähnen<br />
42 3 . 08<br />
Foto: Jean-Claude Martinez
3 . 08<br />
und erzählen: Ich bin das achte von acht Kindern, was<br />
sehr wichtig war. Ich wurde also 1944 geboren, in eine<br />
Zeit, als alles andere wichtiger war, als sich um meinen<br />
Musikunterricht zu kümmern, es war gerade das Ende<br />
des Krieges, alles war zerstört. Aber es gab ein Zeichen,<br />
das mit der Orgel in Zusammenhang steht. Mein Vater<br />
vergaß mich eines Tages nach der Messe in der Kirche,<br />
an der Orgel. Er dachte, ich wäre bereits mit meiner<br />
Mutter und meinen Geschwistern aus der Kirche gegangen.<br />
Er schloss also die Kirche ab und ich war<br />
allein. Und als mein Vater draußen war, hörte er auf<br />
einmal die Orgel spielen und war schockiert. Er schloss<br />
wieder auf, ging zurück in die Kirche, rannte zur Orgel<br />
hoch und sah mich dort sehr vorsichtig auf den Tasten<br />
spielen, improvisieren, da die Orgel immer noch<br />
Restluft hatte. An diesem Punkt startete meine musikalische<br />
Karriere“, erklärt der Franzose schmunzelnd.<br />
Pommiers Heimatstadt Béziers war in einer Gegend,<br />
in die die Deutschen laut Vereinbarung<br />
auch während des Krieges nicht einmarschierten.<br />
Entsprechend, so erklärt Pommier, ließen sich in<br />
der Region zahlreiche Juden und Russen nieder,<br />
vor allem auch verfolgte Künstler. „Zu dieser Zeit<br />
kam auch eine ukrainische Pianistin, Mina Koslowa,<br />
nach Béziers. Sie war bereits um die 50 Jahre, hatte<br />
ihre Karriere aufgegeben. Sie war sehr befreundet mit<br />
Vladimir Horowitz, mit dem sie gemeinsam aufwuchs.<br />
Wie auch immer, mein Vater kannte natürlich als<br />
Organist der Kirche fast jeden in der Gemeinde. Und<br />
nachdem er mich die Orgel hatte spielen hören, brachte<br />
er mich sofort zu ihr. Und sie sagte sofort: Natürlich,<br />
morgen beginnt der Junge bei mir zu lernen.“ So kam<br />
es, dass sein gesamtes Leben sich ab diesem<br />
Zeitpunkt um die drei Stunden Unterricht bei Mina<br />
Koslowa drehte und organisiert wurde. „Drei Stunden,<br />
jeden Tag, außer Sonntag. Von 9 bis 12 Uhr war<br />
ich bei ihr, studierte alles, was wichtig war. Und dies<br />
im Alter von vier bis 11 Jahren. Ich erwähne das, weil<br />
dies ein Geschenk Gottes war. Sie war nicht nur eine<br />
gute Pädagogin, sondern auch eine wunderbare Pianistin<br />
aus der russischen Klaviertradition, in der ich<br />
nun studierte.“ Das war der Beginn.<br />
Doch die Heimat von Pommier war auch der Geburtsort<br />
eines anderen berühmten französischen<br />
Pianisten: Yves Nat. „Mein Vater kannte Yves Nat<br />
und als ich acht Jahre alt war, schlug Mina Koslowa<br />
meinem Vater vor, mich zu Yves Nat zu bringen. So<br />
ging ich nach Paris und begann bei ihm alle zwei<br />
Wochen zu studieren. Natürlich war es etwas anderes<br />
als ein regulärer Unterricht, er war wie ein Großvater<br />
für mich. Wir fuhren die gesamte Nacht durch, um<br />
nach Paris zu gelangen und einen Tag mit ihm, seiner<br />
Frau und seinem Hund zu verbringen, der sogar mit<br />
uns am Mittagstisch saß.“ Diese privaten Unterrichtseinheiten<br />
von acht bis 11 Jahren waren eine<br />
Bereicherung der Ansichten des jungen Pommier.<br />
Seine erste Konzerterfahrung hatte Pommier<br />
bereits mit sieben Jahren in Béziers mit Mozarts<br />
Klavierkonzert KV 488 gesammelt, aber seinen<br />
ersten Auftritt in Paris verdankte er Yves Nat, der<br />
ihn in eines seiner Konzerte einlud. „Das war 1954.<br />
Ich spielte eine Englische Suite von Bach, die ‚Arabeske’<br />
von Schumann und eine Haydn-Sonate, die in D-Dur.“<br />
Ein beachtliches Programm für einen Zehnjährigen.<br />
„Noch bevor Yves Nat verstarb, erklärte er meinem<br />
Vater, dass er mich zu einem seiner Schüler, zu<br />
Pierre Sancan nach Paris bringen sollte, um bei ihm<br />
P ORTRÄT<br />
weiterzustudieren.“ Das war dann am Pariser Conservatoire<br />
im Jahre 1958. Dort verblieb er bis zu<br />
seinem Abschluss im Jahre 1961. Doch die Karriere<br />
hatte schon ihren Anfang genommen. 1960 nahm<br />
Pommier am Klavierwettbewerb der Jeunesses Musicales<br />
in Berlin teil und gewann den ersten Preis:<br />
„Das war noch zu der Zeit, als ich im Conservatoire<br />
war. Man hatte mich gefragt, ob ich dort nicht teilnehmen<br />
wolle, so fuhr ich hin und gewann erstaunlicherweise<br />
den ersten Preis. Den zweiten Preis erhielt Maria<br />
João Pires.“<br />
Tschaikowsky-Wettbewerb und seine Folgen<br />
Doch in jeder biografischen Beschreibung Pommiers<br />
wird erwähnt, dass er im Tschaikowsky-<br />
Wettbewerb in Moskau im Jahre 1962 der jüngste<br />
Finalist war. Ein Ereignis? Was passierte danach<br />
mit seiner Karriere? „Wissen Sie, nachdem im Tschaikowsky-Wettbewerb<br />
zuvor Van Cliburn gewonnen<br />
hatte, war dieser Wettbewerb mit einem Schlag berühmt.<br />
So achtete man in der Öffentlichkeit noch viel<br />
stärker auf das, was danach in diesem Wettbewerb<br />
passieren würde.“ Also brachte es ihm wirklich einen<br />
Karriereschub, auch wenn er diesen Wettbewerb<br />
nicht gewann? „Oh ja, er brachte alles für<br />
mich“, erklärt er mit großen Augen und fährt fort:<br />
„Ich erhielt sofort Konzert-Engagements, zudem wurde<br />
ich noch 11 Mal in die Sowjetunion eingeladen, um<br />
dort zu spielen.“ Doch Jean-Bernard Pommier hatte<br />
auch schon zuvor eine Art von Netzwerk aufgebaut,<br />
das ihm half. „Als ich noch in Béziers lebte, reiste<br />
ich nach Prades, um Pablo Casals vorzuspielen,<br />
den mein Vater wiederum kannte. Er wollte einfach von<br />
ihm wissen, ob ich mich in der richtigen Richtung entwickeln<br />
würde. Das war sehr wichtig für mich, denn<br />
ich spielte für Casals und er wollte, dass ich für Clara<br />
Haskil, für Myra Hess, für Rudolf Serkin, für all die<br />
großen Künstler spielte, die auch zu diesem Festival in<br />
Prades kamen. So fuhr ich mehrere Jahre hintereinander<br />
immer wieder zu diesem Festival, spielte auch für<br />
William Kappell, Horszowski und andere. Das war zwischen<br />
1950 und 1955. 15 Jahre später traf ich dann<br />
alle diese Leute in den USA wieder, als ich dort für eine<br />
Weile immer wieder auftrat. Es war in diesem Moment,<br />
als würde eine Art Familie sich wiederfinden.“ Dennoch<br />
bedeutete die Teilnahme am Tschaikowsky-<br />
Wettbewerb den eigentlichen Durchbruch, Eugene<br />
Istomin arrangierte einen längeren Aufenthalt in<br />
den USA für ihn. „Glücklicherweise verlief alles sehr<br />
leicht und stringent. Auch die Sache mit Herbert von<br />
Karajan war ein Zufall: Er sah mich im französischen<br />
Fernsehen in der Nacht, als man eine Aufnahme von<br />
mir mit der Liszt-Sonate übertrug. Er griff zum Telefon<br />
und erkundigte sich, wer dieser Junge sei, und engagierte<br />
mich nach Salzburg.“ Allerdings war dies<br />
noch kein Solokonzert, sondern er sollte das 1. Klavier<br />
im Konzert für vier Klaviere von Bach mit Karajan<br />
selbst am Klavier und mit Justus Frantz und<br />
Walter Klien spielen. Aber schon in der Pause der<br />
Probe bot ihm Karajan ein Konzert in Berlin an.<br />
Ähnliches passierte ihm mit Celibidache. Man erklärte<br />
dem berühmten Dirigenten, dass man ein<br />
Konzert mit diesem Jungen vorschlagen würde. So<br />
kam er zu einem Pariser Konzert von Pommier und<br />
fragte ihn danach, was er gerne mit ihm spielen<br />
würde: „Ich sagte: Alles, was Sie wollen. Er erklärte,<br />
P<br />
43
P<br />
P ORTRÄT<br />
dass man dies doch in Ruhe besprechen solle. So kam<br />
er am kommenden Tag zu mir und wir verbrachten<br />
fünf intensive Stunden miteinander, in denen wir alles<br />
Mögliche diskutierten.“ Immer wieder wurde er von<br />
diesen so unterschiedlichen Dirigenten eingeladen,<br />
mit ihnen zu konzertieren, auch wenn er den<br />
Namen Karajan Celibidache gegenüber nicht<br />
erwähnen durfte, Karajan ihn dagegen stichelnd<br />
Foto: Jean-Claude Martinez<br />
fragte, wie es dem anderen Dirigenten ginge. „Ich<br />
befand mich zu dieser Zeit zwischen Karajan und<br />
Celibidache auf der einen, und Daniel Barenboim und<br />
Zubin Mehta auf der anderen Seite“, sagt er lachend.<br />
Aber auch zu vielen anderen Dirigenten pflegte er<br />
gute berufliche Kontakte.<br />
Repertoire und Einspielungen<br />
Wie war es mit dem Repertoire? Verspürte er jemals<br />
den Druck, mehr französisches Repertoire<br />
spielen zu sollen, da er Franzose ist, als anderes<br />
Repertoire? „Nein, das war bei mir niemals der Fall.<br />
Bei mir stand immer die Qualität im Vordergrund,<br />
mein Spiel, niemals meine Nationalität. Vielleicht<br />
kommt dies auch aufgrund meiner Ausbildung zustande.<br />
Ich habe sehr viele Organisten getroffen, habe<br />
auch lange immer wieder in Paris Orgel gespielt. Zum<br />
anderen meine Lehrerin Mina Koslowa, die mehr auf<br />
die Musik achtete als auf andere Dinge. Mir sagte man<br />
nicht, dass ich jenes so oder so spielen sollte, sondern<br />
man fragte mich immer genau, warum ich dies so<br />
spielte, und nicht anders. Es war mehr eine transzendentale<br />
Ausbildung im Bereich der Musik als eine rein<br />
technische.“<br />
Aufgenommen hat er vielfach komplette Zyklen,<br />
die kompletten Beethoven-Sonaten für Erato, die<br />
kompletten Mozart-Sonaten. Was ist so besonders<br />
daran, alles komplett einspielen zu wollen? „Nun,<br />
das liegt an den Wünschen einer Schallplattenfirma.<br />
Als ich meinen ersten Vertrag bei EMI unterschrieb,<br />
war ich gerade einmal 19 Jahre. Und als man mich<br />
fragte, ob ich Schumann aufnehmen möchte, sagte ich<br />
natürlich ja. Und ich sollte dann die komplette Klaviermusik<br />
von Debussy einspielen, aber dazu kam es<br />
nicht mehr ganz, da wir die Zusammenarbeit in der<br />
Mitte unterbrachen. Wie auch immer, man entspricht<br />
den Wünschen einer Schallplattenfirma. Zudem waren<br />
dies auch noch ganz andere Zeiten, als ich diese Aufnahmen<br />
gemacht habe.“ Dennoch, das Repertoire<br />
lässt sich bei Pommier kaum festlegen, fast alles<br />
hat er gespielt, von Bach bis Schönberg, kaum<br />
Ausnahmen sind auszumachen, auch wenn es<br />
vielleicht immer wieder einmal Schwerpunkte gab.<br />
Erklärend sagt er: „Ich war mein ganzes Leben lang<br />
sehr hungrig nach Musik. Ich habe alles in mich hineingefressen,<br />
habe alles versucht zu spielen. Ich hatte<br />
die gewisse Fähigkeit, sehr schnell zu lernen. Heutzutage<br />
ist es etwas langsamer geworden“, schmunzelt<br />
er mit Hinweis auf sein Alter. „Aber ich sage niemals<br />
nein zu einem neuen Stück. Wenn ich einige meiner<br />
Kollegen sehe, die immer wieder sagen: ‚Oh nein, das<br />
und das spiele ich nicht, vielleicht in zwei Jahren.’<br />
Dann aber sage ich: ‚Stell doch einfach die Noten aufs<br />
Pult und spiel es durch.’“ Er lacht bei dieser Aussage<br />
über sich selbst.<br />
Momentan spielt Pommier erstmals in seinem<br />
Leben die 32 Klaviersonaten von Beethoven zyklisch<br />
in mehreren Städten Europas, in London, in<br />
Paris, in Lissabon und in St. Petersburg. „Ein weiterer<br />
Ort wird ein kleiner Ort in Frankreich sein, wo eine<br />
wunderbare kleine Konzertserie von einem Freund von<br />
mir veranstaltet wird“, sagt er und ergänzt, dass Pianisten<br />
wie Lupu und Ashkenazy dorthin gehen, da<br />
sie mit einem hervorragenden Wein honoriert<br />
werden. Warum aber spielt er diese Sonaten chronologisch<br />
nach dem Entstehen? „Das war ein<br />
Wunsch des Veranstalters in London. Ich war dagegen,<br />
da ich der Meinung bin, dass es kein sehr gutes<br />
Konzept ist. Verstehen Sie: Ein Komponist schreibt über<br />
sein gesamtes Leben 32 Klaviersonaten. 100 Jahre<br />
nachdem er verstorben ist, sieht man, dass es bei diesen<br />
32 Sonaten interessante Bezüge zwischen einigen<br />
zu vollkommen unterschiedlichen Zeiten entstandenen<br />
Sonaten gibt. Das ist spannend und ist auch ein wichtiges<br />
Indiz für das Überleben dieser Musik.“ Wie<br />
denkt er über seine Art des Zugangs aus früheren<br />
Zeiten? Denn immerhin wurde der Beethoven-<br />
Sonaten-Zyklus auf CD bereits zu Beginn der 90er<br />
Jahre abgeschlossen. Hat sich die Sichtweise verändert?<br />
„Das ist ein wichtiger Aspekt: Ich würde sagen,<br />
dass das Konzept grundsätzlich und organisch<br />
einfach vorhanden ist. Denn auch zu dieser Zeit war es<br />
nicht anders für mich, die Musik zu lesen, als es heutzutage<br />
der Fall ist. Man muss strukturell verstehen,<br />
was das Stück sagen will. Die jüngeren und die mittelalten<br />
Pianisten geben diesen Sonaten eine andere<br />
Substanz. Im Besonderen im Bereich der Tempi. Das<br />
heißt nicht, dass sie schneller oder langsamer spielen.<br />
Ein Satz ist wie ein Tunnel, der vorwärtsführt. Wenn<br />
man die Tempi innerhalb dieses Satzes verändert,<br />
erhält man andere Proportionen. Ich will versuchen,<br />
mich davor zu bewahren. Natürlich spielt man anders<br />
mit 20 als mit 60 Jahren, denn in der Zwischenzeit hat<br />
man mehr und mehr erkannt, warum man etwas auf<br />
eine bestimmte Art spielt. Aber wenn man ein Stück<br />
spielt, dann sollte es so wirken, als wäre es das erste<br />
Mal, dass man dieses Werk spielen würde. Aber daher<br />
muss man auch genau wissen, was man macht, um es<br />
so klingen zu lassen. Man muss die alten, in der<br />
Jugend überlegten Dinge wieder über das Stück stülpen.<br />
Es gibt einen Grund, warum es so ist: die Griechen.<br />
All unsere Musik kommt aus der antiken Geschichte,<br />
aus der griechischen und römischen Philosophie,<br />
von Sokrates und Platon, aus der Physik dieser<br />
44 3 . 08
3 . 08<br />
P ORTRÄT<br />
Foto: Jean-Claude Martinez<br />
Zeit – dort liegen die Wurzeln. Dort wie in der Musik gibt es ein<br />
wichtiges Wort: Agogik. Der Wortstamm findet sich in allen<br />
möglichen Worten des Lebens: Pädagogik, Synagoge ... alles<br />
ist mit dieser Idee verbunden. Ein Interpret muss ein Stück<br />
angehen, als würde er zu einem Ziel kommen wollen, aber er<br />
muss dieses Ziel dadurch erreichen, dass er einen bestimmten<br />
Weg durchschreitet. Heutzutage nimmt man das Flugzeug,<br />
den Helikopter, um eine Wegstrecke zu überwinden; aber wenn<br />
man nicht selbst auf dem Boden läuft, dann lernt man nicht<br />
das Stück kennen. Da gibt es dann noch das wichtige Phänomen<br />
der Zeit.“ Diese fixen Punkte machen es, so Pommier,<br />
möglich, dass man zu einem Stück immer und immer<br />
wieder wie zu einem neuen Werk zurückkehren kann.<br />
Wenn man nun aber zu einem Stück zurückkehrt, ändert<br />
sich die Interpretation nicht auch durch die Erfahrung,<br />
die emotionale Erfahrung des Lebens, die man in<br />
auch noch so kurzer Zeit zwischen zwei Aufführungen gemacht<br />
hat? Fügt man diese emotionale Ebene der Erfahrung<br />
nicht dem Stück hinzu? „Natürlich und Sie haben<br />
schon die Antwort gegeben“, lacht er. Einmal hat Pommier<br />
gesagt, dass es nicht so wichtig sei, die Schönheit des<br />
Klangs in den Vordergrund zu stellen, sondern die Wahrheit<br />
des Werks. Wenn man dann aber seine Aufnahmen<br />
anhört, dann fällt gerade seine wunderbare Tongebung<br />
auf. Ist er sich dessen bewusst, macht er es bewusst? Wenn<br />
ja, warum ist der Klang dann nicht so wichtig? „Klang ist<br />
ein ehrliches Vehikel. Wenn man einen Klang wählt, dann sollte<br />
der Klang gerade, klar und großzügig sein. Wenn man sich<br />
selbst zuhört und man einen Klang hässlich findet, dann sollte<br />
man sich selbst nicht erlauben, so fortzufahren. Wenn man<br />
dem Klang Aufmerksamkeit widerfahren lässt und man ihn<br />
dann augenblicklich verändert, dann klingt es auf einmal weitaus<br />
besser. Man muss sein eigener Alliierter in Bezug auf den<br />
Klang werden. Das bedeutet, dass ich das Klavier respektiere.<br />
Ich denke, dass ein Klavier der Hand antwortet. Die Hand ist<br />
ein Organ, das aufgewärmt werden muss, bei dem man jegliche<br />
kleine Berührung in den Fingern fühlen muss. Ein Pianist<br />
muss dieser Entwicklung seiner eigenen Fähigkeiten, der Hand<br />
zu lauschen, eine immense Aufmerksamkeit widmen. Es ist ein<br />
Phänomen, das meist in Widersprüchlichkeiten resultiert. Man<br />
hat eine immense Energie in sich. Diese Energie muss man<br />
nach außen tragen, um diese Energie in Klang umzuwandeln.<br />
Das kann aber auch etwas vollkommen Leises sein. Der Klang<br />
selbst bedeutet gar nichts, man hat immer irgendwelche Geräusche<br />
um sich. Die Energie muss aber in Klang umgesetzt<br />
werden, nicht in Geräusche.“ Neben diesen Ansichten,
P<br />
Die aktuellen<br />
Konzertdaten von Jean-<br />
Bernard Pommier in<br />
Deutschland<br />
Wuppertal<br />
Historische Stadthalle<br />
15. September <strong>2008</strong><br />
Leverkusen<br />
Bayer Erholungshaus<br />
17. September <strong>2008</strong><br />
Programm:<br />
Ludwig van Beethoven<br />
Variationen op. 34<br />
SonateOp. 57<br />
„Appassionata“<br />
Franz Liszt<br />
Sonate h-Moll<br />
P ORTRÄT<br />
nimmt er noch ein weiteres Gedankenspiel vor:<br />
„Wir müssen uns doch selbst fragen: Warum mögen<br />
wir ein bestimmtes Stück Musik? Und: Warum existiert<br />
dieses Stück Musik, was sind die Gründe dafür? Gibt es<br />
überhaupt einen Grund? Und dann müssen wir die<br />
Frage beantworten, ob wir ein kleiner Teil dieses Werks<br />
sein können, um dieses Stück Musik so werden zu lassen,<br />
dass es existiert, dass es gemocht wird, dass wir es<br />
mögen. In diesem Moment werden wir den Zugang zu<br />
einem Musikstück verändern. Ich versuche nicht die<br />
Musik zu erklären, ich versuche aber mit ihr zu leben.“<br />
Musikalische Gedanken<br />
Jean-Bernard Pommier fühlt sich als echter Interpret<br />
im besten Sinne, als ein Künstler, der sich<br />
viele Gedanken über Musik, die Wirkung und das<br />
Transportieren dieser auf ein Publikum gemacht<br />
hat. Vielleicht dadurch wirken seine Darstellungen<br />
von unterschiedlichen Werken immer so ehrlich,<br />
so nah am Werk, so als würde man erstmalig die<br />
Wahrheit in dieser Musik hören. Er fährt fort: „Um<br />
auf den Weg zum Ziel zurückzukommen: Innerhalb<br />
eines Satzes sollte man versuchen, den organischsten<br />
Weg zu finden, um ans Ziel zu gelangen, dann ist dieser<br />
Satz dem Leben am nächsten. Zahlreiche Interpreten<br />
haben beispielsweise bei Schumann oder<br />
Brahms immer wieder überzogene Expressivität in die<br />
Werke hineininterpretiert. Aber wenn man in die Noten<br />
schaut, und wenn man dies in Relation zu den Harmonien<br />
setzt und erkennt, warum eine bestimmte Harmonie<br />
auf die vorangegangene folgt, dann erkennt<br />
man, dass die Aussagekraft in dieser Musik selbst<br />
steckt. Und Brahms war vielleicht der Erste in dieser<br />
Zeit, der beispielsweise den Ausdruck ‚non troppo<br />
espressivo’ benutzt, da er nicht wollte, dass man seine<br />
Musik – auch nicht in seiner Zeit – über Gebühr expressiv<br />
spielt.“<br />
Mit seiner Art des Spiels, mit seiner Art des Denkens<br />
über Musik: Ist er eine Art Bewahrer einer<br />
Spieltradition, die auszusterben beginnt? „Ich bin<br />
ja auch schon alt“, sagt er grinsend und fügt aber<br />
Johann Sebastian Bach<br />
Toccaten und Inventionen (EMI)<br />
Ludwig van Beethoven<br />
Sämtliche Klaviersonaten<br />
(Erato)<br />
Frédéric Chopin<br />
Walzer op. 18, op. 34/1,2,3<br />
Walzer op. 42<br />
Walzer op. 64/1,2,3<br />
Walzer op. 69,1<br />
(Erato)<br />
Frédéric Chopin<br />
Sonate Nr. 3; Fantasie op. 49;<br />
Polonaise-Fantasie op. 61; Andante<br />
Spianato und Grande Polonaise<br />
Brillante op. 22<br />
(Erato)<br />
Claude Debussy<br />
Préludes; Images; Children's<br />
dann ernsthaft hinzu: „Es ist eine Art Paradox in<br />
meinem Leben. Manches Mal, wenn jemand hört, dass<br />
meine Frau mit dem Pianisten Pommier verheiratet ist,<br />
erhält sie als Antwort: ‚Lebt er noch?’ Ein anderer<br />
fragt: ‚Oh, spielt er immer noch Klavier?’ Das liegt<br />
daran, dass ich so früh begonnen habe. Es ist nun einmal<br />
ein Teil meiner Erziehung, dass ich von großartigen<br />
Künstlern umgeben war, die unglaublich gut zu<br />
mir waren – es ist für mich nun Zeit, mich dieser Tatsache<br />
zu erinnern ...“, sagt er nachdenklich. „Was<br />
aber meint man mit Tradition? Für mich ist Tradition<br />
auch immer der Weg nach vorne, allerdings mit dem<br />
Wissen aus der Vergangenheit.“<br />
Ist es denn bei all diesen zuvor angestellten<br />
Überlegungen wichtig, die Kontrolle zu behalten?<br />
„Was heißt das denn, die Kontrolle behalten? Ich<br />
denke, dass es kaum ein Limit gibt, exakt zu spielen.<br />
Das rhythmische Element ist dabei sehr wichtig. Und<br />
ich meine nun nicht die niedergeschriebene Rhythmik<br />
eines Werkes, sondern die intuitive Rhythmik, die man<br />
aus dem Körper heraus spürt. Und dann kommt noch<br />
die Akustik ins Spiel. Und ich meine nicht allein die<br />
Akustik des Raums, sondern die Akustik, die man noch<br />
gar nicht wahrnimmt. Das bedeutet: Man muss das<br />
Werk genau kennen, um im Voraus zu hören, was an<br />
Klang kommen soll. Dieses Element müssen wir entwickeln,<br />
und dieses Element müssen wir wieder – auch<br />
für die Musikausbildung – entwickeln, da junge Menschen<br />
sehr viel von Lärm und Geräuschen umgeben<br />
sind, so dass sie dieses Element nicht wirklich zu entwickeln<br />
verstehen.“ Über die Kontrolle sagt er auch:<br />
„Man muss so lange die Kontrolle behalten, bis man<br />
merkt, dass man ein Risiko eingehen kann.“<br />
Jean-Bernard Pommier ist ein emotionaler Intellektueller,<br />
ein Pianist, der die Werke und ihre Bedeutung<br />
durchdringt, bevor er mit dem Werk auf<br />
eine Bühne geht. Wünsche bleiben offen: „Ich<br />
würde gerne die Gesamteinspielung von Debussy vollenden“,<br />
sagt er und fügt hinzu, dass er wisse, dass<br />
er auch wieder Aufnahmen machen sollte – und<br />
lächelt wissend und ein Stück weise.<br />
Jean-Bernard Pommier - Auswahldiskografie<br />
Corner; Pour le piano; Estampes<br />
(Virgin)<br />
Wolfgang Amadeus Mozart<br />
Sämtliche Klaviersonaten<br />
(Virgin)<br />
Wolfgang Amadeus Mozart<br />
Klavierkonzerte KV 503 und KV<br />
537<br />
Philharmonia Orchestra<br />
Jean-Bernard Pommier, Solist<br />
und Dirigent<br />
(Erato)<br />
Wolfgang Amadeus Mozart<br />
Klavierkonzerte KV 467 und KV<br />
488<br />
Sinfonia Varsovia<br />
Jean-Bernard Pommier, Solist<br />
und Dirigent<br />
(Virgin)<br />
Sergej Rachmaninow<br />
Klavierkonzert Nr. 2<br />
Peter Tschaikowski<br />
Klavierkonzert Nr. 1<br />
Hallé Orchestra<br />
Ltg.: Lawrence Foster<br />
(Virgin)<br />
Felix Mendelssohn-<br />
Bartholdy: Variations sérieuses<br />
Robert Schumann: Noveletten<br />
Johannes Brahms: Intermezzi<br />
op. 118<br />
César Franck: Prélude, Choral<br />
und Fuge - Prélude, Aria und Finale<br />
Gabriel Fauré: Ballade op. 19<br />
(Northern Sinfonia)<br />
(EMI)<br />
Peter Tschaikowski<br />
Große Sonate<br />
(EMI)<br />
46 3 . 08
3 . 08<br />
PLZ-Gebiet 0<br />
Pianogalerie Dresden<br />
Bautner Landstr. 6<br />
01324 Dresden<br />
Piano Gäbler<br />
Comeniusstr. 99<br />
01309 Dresden<br />
Julius Blüthner<br />
Markt 1<br />
04109 Leipzig<br />
Klavierhaus Zöschen<br />
Leipziger Str. 92 a<br />
06254 Zöschen<br />
Piano Centrum Leipzig<br />
Löhrstr. 2<br />
04105 Leipzig<br />
PLZ-Gebiet 1<br />
Piano-Haus Möller<br />
Goethestr. 22<br />
18055 Rostock<br />
Piano-Haus Kunze<br />
Lübstorfer Straße 11<br />
19069 Alt Meteln<br />
Piano Centrum Rostock<br />
Lange Str. 13<br />
18055 Rostock<br />
PLZ-Gebiet 2<br />
Pianohaus Trübger<br />
Schanzenstr. 117<br />
20357 Hamburg<br />
Per Tutti Musikalien<br />
Fleischhauerstr. 16<br />
23552 Lübeck<br />
Pianohaus Zechlin<br />
Große Str. 6 A<br />
22926 Ahrensburg<br />
Clavis Musikhaus<br />
Vegesacker Heerstr. 115<br />
28757 Bremen<br />
Ahrensburger Klaviergalerie<br />
Königstr. 3<br />
22926 Ahrensburg<br />
PLZ-Gebiet 3<br />
Schimmel Auswahlcentrum<br />
Friedrich-Seele-Str. 20<br />
38122 Braunschweig<br />
H H<br />
ÄNDLER Bei diesen Fachhändlern und an über 600 Bahnhofsbuchhandlungen und ausgesuchten Kiosken finden Sie PIANONews.<br />
Klavierhaus Döll<br />
Schmiedestraße 8<br />
30159 Hannover<br />
Klavierhaus Krefft<br />
Gifhorner Str. 148<br />
38112 Braunschweig<br />
Musik Aktiv Schallenberg<br />
Nordstr. 15<br />
33102 Paderborn<br />
PLZ-Gebiet 4<br />
Gottschling - Haus der Klaviere<br />
Graskamp 17<br />
48249 Dülmen-Hiddingsel<br />
Pianohaus Micke<br />
Wolbeckerstr. 62<br />
48155 Münster<br />
Klavierhaus Schröder<br />
Immermannstr. 11<br />
40210 Düsseldorf<br />
Heinersdorff<br />
Steinway-Haus Düsseldorf<br />
Kronprinzenstraße 97<br />
40217 Düsseldorf<br />
Pianohaus van Bremen<br />
Hansastraße 7-11<br />
44137 Dortmund<br />
Piano Faust<br />
Reichsstr. 1<br />
42275 Wuppertal<br />
Bettich Piano<br />
Fuggerstr. 6<br />
49479 Ibbenbüren<br />
PLZ-Gebiet 5<br />
Musikhaus Tonger<br />
Breite Strasse 2-4<br />
50667 Köln<br />
Klaviermomente<br />
Wilhelmstr. 43<br />
58332 Schwelm<br />
Klavier & Flügel Galerie<br />
Maiwald<br />
Herbert-Wehner-Str. 1<br />
59174 Kamen<br />
Piano Rumler<br />
Königswinterer<br />
Str. 111-113<br />
53227 Bonn-Beuel<br />
Piano Flöck<br />
Kesselheimer Str. 20<br />
56220 St. Sebastian<br />
Pianohaus Micke<br />
Wiesenstr. 12<br />
59269 Beckum<br />
Musikhaus Littau<br />
Münsterstr. 29-31<br />
59348 Lüdinghausen<br />
PLZ-Gebiet 6<br />
Piano, Piano<br />
Überhofer Str. 56<br />
66292 Riegelsberg<br />
Musikhaus Hochstein<br />
Bergheimer Str. 9-11<br />
69115 Heidelberg<br />
Musikalien Petroll<br />
Marktplatz 5<br />
65183 Wiesbaden<br />
PLZ-Gebiet 7<br />
Hermann Klaviere & Flügel<br />
Hindenburgstr. 28<br />
71696 Möglingen<br />
Pianohaus Lepthien<br />
Hildastraße 5<br />
79102 Freiburg<br />
Klavierhaus Hermann<br />
Marktplatz 19<br />
78647 Trossingen<br />
Piano Fischer<br />
Theodor-Heuss-Str. 8<br />
70174 Stuttgart<br />
Klavierhaus Labianca<br />
Zähringerstr. 2<br />
77652 Offenburg<br />
Klavier Striegel<br />
Werkstatt für<br />
Tasteninstrumente<br />
Hirschstr. 8<br />
73432 Aalen-Elnat<br />
PLZ-Gebiet 8<br />
pianofactum<br />
Musikhaus<br />
Schmidgasse 23<br />
87600 Kaufbeuren<br />
Piano Fischer<br />
Thierschstr. 11<br />
80538 München-Lehel<br />
Bauer & Hieber<br />
Landschaftstraße<br />
80331 München<br />
PLZ-Gebiet 9<br />
Piano Niedermeyer<br />
St. Georgen 42<br />
95448 Bayreuth<br />
Steingraeber & Söhne<br />
Friedrichstraße 2<br />
95444 Bayreuth<br />
Johannes Bellmann<br />
Ludwigstraße 4<br />
99092 Erfurt<br />
Musica<br />
Records & Books<br />
Neustädter<br />
Kirchenplatz 2<br />
91054 Erlangen<br />
Österreich<br />
Gustav Ignaz Stingl<br />
Wiedner Hauptstr. 18<br />
1040 Wien<br />
Klavierhaus<br />
Schimpelsberger<br />
Hans-Sachs-Str. 120<br />
4600 Wels<br />
Klavierfabrik<br />
J. Nemetschke KG<br />
Reinlgasse 10<br />
1140 Wien<br />
Wendl & Lung<br />
Kaiserstr. 10<br />
1070 Wien<br />
Schweiz<br />
music etc.<br />
Talstrasse 2<br />
3053 Münchenbuchsee<br />
47
K<br />
K OMPONISTEN<br />
Die Bach-Söhne<br />
im Klavierrepertoire<br />
Wenn es am völlig anderen Wesen der Klaviere<br />
vor der Mitte des 19. Jahrhunderts im<br />
Vergleich zu den heutigen läge, müssten<br />
Bach und Mozart ein ebensolches Nischendasein<br />
führen: Sie kannten das Klavier im heutigen Sinn genauso<br />
wenig wie ihre zuletzt genannten Tastengenossen.<br />
Der Siegeszug der gleichschwebenden Temperatur<br />
am Klavier hat die Tonsprache der bisherigen<br />
Musik ungefähr seit der Mitte des 19. Jahrhunderts<br />
stark nivelliert; doch trotz des riesigen Verlustes<br />
an intervallischer Vielfalt – wir haben ja „nur“ noch<br />
12 Töne pro Oktave und keine reelle Tonartencharakteristik<br />
mehr – hat ein gewisser Corpus von Musik<br />
aus der Zeit von Bach bis Beethoven die Übertragung<br />
Von: Anthony Spiri<br />
Wilhelm Friedemann Bach Carl Philipp Emanuel Bach Carl Johann Christian Bach<br />
Ja, es gibt tatsächlich so etwas (Suspektes) wie ein ‚Standard-Repertoire’ am Klavier, angeblich<br />
aus einem breiten Spektrum vieler Länder und Epochen, doch in der Tat recht eingeschränkt.<br />
Denn wie oft begegnen wir im Konzertsaal Klaviermusik beispielsweise von Dvorák<br />
oder Fauré? Bedeutende Klavierkomponisten des 20. Jahrhunderts wie Roger Sessions oder<br />
Paul Hindemith scheinen ausrangiert zu sein. Oder wenn wir überlegen, welche Musik aus<br />
der Zeit vor Beethoven zum ‚Repertoire’ gehört, also älter als ungefähr 200 Jahre ist, dann<br />
fallen uns eigentlich nur vier Namen ein: Mozart, Haydn, Domenico Scarlatti und Johann<br />
Sebastian Bach; kein Rameau, kein Händel, keiner der Couperins, um von den Meistern des<br />
17. Jahrhunderts wie Froberger, Frescobaldi oder Sweelinck ganz zu schweigen. Diese werden<br />
in die sogenannte Alte Musik-Ecke gestellt und sind den meisten Pianisten oft nur aus den<br />
Geschichtsbüchern bekannt.<br />
Natürlich ist das heutige Klavier ein relativ neues Mitglied unseres Gesamtinstrumentariums.<br />
Dennoch können die Tasteninstrumente als ‚Familie’ – mit ihrem einzigartigen Potenzial in<br />
Bezug auf Umfang, Intonation und Mehrstimmigkeit – bereits auf eine lange Geschichte<br />
zurückblicken. Je nachdem, wo man die Grenzen der Gattung zieht, dürften wir die Entwicklung<br />
mindestens bis zu der von Heron von Alexandrien vor 2000 Jahren kreierten Orgel<br />
zurückverfolgen können. Und obwohl keine andere Kunst über eine so kurze Geschichte verfügt<br />
wie die Musik, darf man die Frage stellen, warum wir uns generell, aber besonders am<br />
Klavier, so selektiv aus bestimmten Perioden ‚bedienen’.<br />
auf das moderne Instrument und ein anderes Skalensystem<br />
‚überlebt’.<br />
Daher verwundert die Vernachlässigung der drei<br />
prominentesten Söhne Johann Sebastian Bachs.<br />
Wilhelm Friedemann, Carl Philipp Emanuel und<br />
Johann Christian Bach waren alle drei berühmte<br />
Tastenvirtuosen und wurden auch in anderen Gattungen<br />
zu den wertvollsten Komponisten ihrer Zeit<br />
gezählt. Johann Christoph Friedrich Bach (1732–95)<br />
wollen wir hier nicht ganz unerwähnt lassen, doch<br />
scheint seine Musik nicht annähernd das Niveau der<br />
drei Brüder bzw. Halbbrüder zu erreichen und stellt<br />
keine wirkliche Bereicherung des Klavier-Repertoires<br />
dar. Andere mögen vielleicht zu einer positiveren<br />
48 3 . 08
3 . 08<br />
Ansicht gelangen.<br />
Verhärtete Strukturen bei Prüfungen und Wettbewerben<br />
mögen Klavierstudenten wenig Spielraum zwischen<br />
den Pflichtwerken J. S. Bachs und den Sonaten der Wiener<br />
Klassik lassen, doch bei Profis kann diese Erklärung nicht<br />
mehr überzeugen. Stärker ins Gewicht fällt die Tatsache,<br />
dass diese Musik bis vor wenigen Jahren nur spärlich in<br />
modernen Ausgaben vorhanden war. Bei Wilhelm Friedemann<br />
Bach ist das immer noch der Fall. Und auch bei<br />
den anderen beiden Bach-Söhnen ist bis heute keine moderne<br />
Gesamtausgabe ihrer Klavierwerke erschienen, wie<br />
wir sie jeweils mehrfach für Domenico Scarlatti, Mozart,<br />
Haydn und Beethoven besitzen, sondern ‚nur’ Faksimile-<br />
Reihen, die als unerlässliche Referenz, aber nicht zum<br />
praktischen Gebrauch geeignet sind (siehe Bibliographie<br />
am Ende dieses Artikels). Dies stellt sicherlich ein Hindernis<br />
dar für alle, die sich mit diesen Werken beschäftigen<br />
wollen. Obwohl Berufsmusiker eigentlich nicht von modern<br />
gedruckten Ausgaben und ihren Herausgebern abhängig<br />
sein sollten, sondern selber in der Lage sein müssten,<br />
die Quellen nutzbar zu machen, können wir hier einen<br />
Grund für eine fehlende Aufführungstradition dieser<br />
Musik ausmachen.<br />
Ein weiterer Grund ist unser musikhistorisches Gesamtbild,<br />
das mit der Periode zwischen den bereits unzutreffend<br />
bezeichneten ‚barocken’ und ‚klassischen’ Epochen<br />
nicht viel anzufangen weiß. Die meisten Werke der Zeit<br />
zwischen 1735 und 1780, die Epoche der Bach-Söhne,<br />
sind gängigen Stil-Kategorien wie ‚galant’, ‚empfindsam’<br />
oder ‚vorklassisch’ nicht zuzuordnen. Im Gegenteil: Diese<br />
Begriffe haben sich schon längst als Hindernisse erwiesen,<br />
die uns den Zugang zu dieser Musik eher erschweren.<br />
Dass die Komponisten selbst keineswegs in solchen Kategorien<br />
dachten, beweist die Selbstverständlichkeit, mit<br />
der sie Sonaten oder Einzelsätze aus älterer Zeit viele Jahrzehnte<br />
später wieder aufgriffen oder in neuere Werke einfügten.<br />
In Wirklichkeit existierten die verschiedenen Stilrichtungen,<br />
falls wir sie überhaupt als solche identifizieren<br />
können, nebeneinander, oft in ein und demselben<br />
Satz, nicht chronologisch nacheinander.<br />
Die Bach-Söhne unterscheiden häufig im Klavierwerk<br />
zwischen pädagogisch konzipierten Sammlungen und<br />
repräsentativer Konzertmusik für Profis, eine Unterscheidung,<br />
wie wir sie, eher stufenweise ausgeprägt, auch bei<br />
J. S. Bach kennen. Dazu kommt eine neue Art kommerzieller<br />
Unterhaltungsmusik, die über neue Massenmedien<br />
betrieben wurde und als deren Vorreiter Telemann gesehen<br />
wird. J. S. Bach lieferte nur wenig in dieser Richtung,<br />
hauptsächlich Lieder und quasi anonym. Wilhelm Friedemann<br />
weigerte sich ganz, so etwas ‚Niederes’ zu schreiben.<br />
Carl Philipp Emanuel machte keinen Hehl aus seinen<br />
kommerziellen Machwerken; völlig bewusst strich er die<br />
Gewinne ein, um künstlerisch wertvollere Projekte finanzieren<br />
zu können. Erst spät konnte er den schmerzhaften<br />
Gegensatz zwischen Kunst und Kommerz überwinden.<br />
Johann Christian Bach erntete den Spott seiner Brüder,<br />
weil er von Anfang an gar nichts anderes vorhatte, als die<br />
Wünsche der zahlenden Masse mit den eigenen hohen<br />
Ansprüchen auf einen Nenner zu bringen.<br />
Diese Zeilen wollen einen kleinen Überblick über das<br />
Soloklavierwerk der drei Meister bieten, eine praktische<br />
Hilfe zum Einstieg in diesen breit gestreuten, einen Zeitraum<br />
von mehr als 50 Jahren ausfüllenden Werkkomplex.<br />
Von allen drei Meistern gibt es auch reichlich Solokonzerte<br />
für Tasteninstrumente mit Orchester und Kammermusik<br />
mit einem modernen, von der reinen Continuo-<br />
Funktion losgelösten Klaviersatz, also beides Gattungen,<br />
K OMPONISTEN<br />
Anthony Spiri<br />
Foto: Theresia Linke<br />
die von J. S. Bach nicht erfunden, doch zum ersten Mal<br />
konsequent gepflegt wurden. Die Entwicklung des<br />
vierhändigen Spiels war ein besonderes Anliegen Johann<br />
Christian Bachs und hängt anscheinend mit der speziellen<br />
Art der geselligen Musikausübung in England zusammen,<br />
eine Mode, die sich von dort aus bald überall verbreiten<br />
sollte. Doch müssen diese Formen einem späteren<br />
Diskurs vorbehalten bleiben, während wir zu den Einzeldarstellungen<br />
schreiten.<br />
K<br />
49
K<br />
Wilhelm Friedemann Bach (1710–1784)<br />
Der älteste und brillanteste der Bach-Söhne ist zugleich<br />
der problematischste, sein Leben am schlechtesten<br />
dokumentiert. Er hinterließ sein kompositorisches<br />
Œuvre in einem äußerst lückenhaften Zustand.<br />
Genauso sorglos wie er die vom Vater geerbten Kirchenkantaten<br />
verwaltete, ging er mit der eigenen<br />
Produktion um. Unter dem dünnen Quellenbefund<br />
leidet die Rezeption seiner Musik noch heute.<br />
Friedemann Bach: Fantasia e<br />
K OMPONISTEN<br />
Bis neue Dokumente auftauchen, können wir über<br />
die Ursachen und Einzelheiten seiner offenbar<br />
schwer gestörten Persönlichkeit nur raten. Geistige<br />
Instabilität war in der Familie Bach keine Seltenheit.<br />
J. C. Bach<br />
Sechs Klaviersonaten op. 17<br />
Arte Nova / SonyBMG 74321 84431 2<br />
C. P. E. Bach<br />
Sonaten, Fantasien, Rondos, Vol. 1<br />
Orfeo C 639 061 A<br />
W. F. Bach<br />
3 Sonaten, 3 Fugen und 3 Fantasien<br />
OehmsClassics / HM OC 56<br />
Im Falle Wilhelm Friedemann Bachs mag eine langsam<br />
wachsende, selbstzerstörerische Hassliebe gegenüber<br />
dem Vater dahinterstecken, später durch<br />
Misanthropie und Alkoholismus denkbar ungünstig<br />
ergänzt. Immerhin wurde er über 70 Jahre alt und<br />
gerade sein letztes Jahrzehnt scheint sehr produktiv<br />
gewesen zu sein. Und die biographischen Umstände<br />
sollten unseren Blick auf die erhaltenen Werke nicht<br />
trüben, die von erhabener Schönheit und sehr<br />
hohem musikalisch-technischen Anspruch geprägt<br />
sind.<br />
Viele Sätze aus dem Klavierschaffen sind streng<br />
polyphon, wirklich eine Anomalie in dieser Periode<br />
der Kehrtwende vom Kontrapunkt und ihrer fast programmatischen<br />
Fixierung auf Oberstimmen-Gesanglichkeit.<br />
Bachs typische Dreistimmigkeit lässt die<br />
mittlere Stimme virtuos zwischen den beiden Händen<br />
hin und her springen. Andere Sätze zeigen einen<br />
brüchigen, sarkastischen Humor, den zeitgemäßen<br />
Modestil durch Übertreibung gleichsam verspottend.<br />
Manche scheinbar leichteren Werke treiben ein ‚verrücktes’<br />
motivisches Spiel. Seine Musik sträubt sich in<br />
jedem Takt gegen bloße Gefälligkeit und wartet immer<br />
wieder mit dramatischen Momenten und Gefühlstiefe<br />
auf.<br />
Unter den damals gedruckten Werken sind die<br />
Zwölf Polonaisen von 1765, fast alle langsam und<br />
kaum noch als Tänze zu interpretieren, möglicherweise<br />
sogar als ‚Tanzverweigerung’ gemeint! 1778<br />
erschienen Acht Fugen (ohne Präludien!), der Kontrapunkt<br />
liebenden Prinzessin Amalie von Preußen,<br />
Schwester Friedrichs des Großen und selbst Profimusikerin,<br />
gewidmet. Trotz ihrer Kürze sind diese Fugen<br />
äußerst dicht gearbeitet und zugleich anmutig. Sie<br />
erinnern uns mehr an die Fugen Mendelssohns als<br />
an Johann Sebastian Bach. Ein Juwel ist auch die<br />
1745 gedruckte Sonate in D-Dur Falck 3. Viele, aber<br />
längst nicht alle handschriftlich überlieferten Werke<br />
sind inzwischen veröffentlicht und wir können hoffen,<br />
dass die mit viel Geld zurückgekaufte und mit<br />
viel Werbung angekündigte Notensammlung der<br />
ehemaligen Berliner Singakademie weitere Schätze<br />
aus Friedemann Bachs Feder freigeben wird. Weitere<br />
handschriftliche Funde lassen Martin Falcks wichtiges,<br />
aber bereits vor einem halben Jahrhundert fertig<br />
gestelltes Werkverzeichnis inzwischen überholt<br />
erscheinen.<br />
CD-Hinweise zu Anthony Spiri<br />
C. P. E. Bach<br />
Klavierwerke, Vol. 2 (Sonaten, Fantasien,<br />
Fugen)<br />
Aufnahme Februar 2007 BR/ Orfeo<br />
International<br />
(noch nicht erschienen)<br />
C. P. E. Bach<br />
Fünf Klaviertrios (1776/77)<br />
Mit Ariadne Daskalakis, Violine und<br />
Sebastian Hess, Violoncello<br />
Aufnahme Dezember 2006 BR/ Orfeo<br />
(noch nicht erschienen)<br />
50 3 . 08
3 . 08<br />
Carl Philipp Emanuel Bach (1714–1788)<br />
Die Geschäftstüchtigkeit des zweitältesten Bach-Sohnes<br />
ist ein Glücksfall für uns, denn wegen seiner jahrzehntelangen<br />
Wirksamkeit nach außen ist sein kompositorisches<br />
Œuvre besonders gut überliefert. In Berlin<br />
und Hamburg pflegte er Umgang mit den großen<br />
Philosophen, Wissenschaftlern und Dichtern seiner<br />
Zeit. In seinen anspruchsvollsten Werken war er<br />
bestrebt, ethischen und ästhetischen Idealen musikalischen<br />
Ausdruck zu verleihen, was damals bei ‚Kennern’<br />
durchaus registriert wurde. Hierin nimmt er<br />
Beethovens Haltung auf erstaunlicher Weise vorweg.<br />
Manches fiel so radikal aus, dass Bach an eine Veröffentlichung<br />
gar nicht denken wollte und die Werke<br />
unter der Hand im Bekanntenkreis vorzeigte; zwei<br />
Beispiele dafür: die Sonaten in C-Dur, Helm 248 und<br />
in c-Moll, Helm 298. Andere Werke wurden, wie Bach<br />
selber zugab, den Marktchancen zugeschnitten und<br />
besaßen in seinen Augen nur minimalen Kunstwert;<br />
auch hier eine Parallele zu Beethoven. Weder mit<br />
dem alten, feudalen System noch mit dem Geist der<br />
Aufklärung konnte er voll sympathisieren, und so<br />
wird es vielen seiner Generation ergangen sein!<br />
Wenn wir in Hinblick auf das moderne Instrument<br />
eines der Klavierwerke Emanuel Bachs an erste Stelle<br />
setzen wollten, dann fiele die Wahl auf seine sechs<br />
gedruckten Folgen von Sonaten, Fantasien und Rondos<br />
‚für Kenner und Liebhaber’, die im letzten Lebensjahrzehnt<br />
des Komponisten erschienen und sofort riesigen<br />
Erfolg hatten. Besonders die Rondos wurden<br />
explizit für das Fortepiano konzipiert und lassen sich<br />
auch am modernen Flügel bestens darstellen. Die<br />
dankbare Sonate in A-Dur, Helm 186 bietet sich dem<br />
heutigen Pianisten ebenso an wie Bachs letztes Klavierwerk,<br />
die Fantasie in fis-Moll, Helm 300.<br />
Variationszyklen für Klavier waren zu dieser Zeit<br />
als Kompositionen nicht hoch geschätzt. Meistens<br />
wurden sie im Konzert auf gängigen Themen improvisiert,<br />
aber nicht aufgeschrieben. Daher überrascht<br />
es, dass Bach zwei Meisterwerke in dieser Form lieferte,<br />
die C-Dur-Variationen über ein eigenes Thema, Helm<br />
259, aus dem Jahre 1777 und die d-Moll-Variationen<br />
über das berühmte, aber sehr altmodische La Folia,<br />
Helm 263, aus dem Jahre 1778. Von den früheren<br />
Klavierwerken sind zum Beispiel die ‚Württembergischen’<br />
Sonaten, erschienen 1744, von höchster Qualität<br />
und für das moderne Klavier besser geeignet als<br />
die meisten Klavierwerke Johann Sebastian Bachs.<br />
In vielen seiner gedruckten und ungedruckten<br />
Sonaten vermittelt uns Bach durch das Ausschreiben<br />
der normalerweise improvisierten ‚variierten Reprisen’<br />
die Musizierpraxis. Dabei wurden wiederholte<br />
Abschnitte, wie die gesamte Exposition eines Sonatensatzes,<br />
nicht einfach mit frischen Verzierungen<br />
versehen, sondern völlig neu und konsequent umgestaltet,<br />
bis in die Motivik und Dynamik hinein. Dass<br />
Mozart und Haydn mit dieser Praxis vertraut waren<br />
und sie auch ausübten, können wir kaum bezweifeln.<br />
Trotzdem weigern wir uns heute, die Konsequenzen<br />
daraus zu ziehen.<br />
So ist auch das ‚Präludieren’ und ‚Fantasieren’ –<br />
von Bach in seinem berühmten, bis weit ins 19.<br />
Jahrhundert tonangebenden Buch Versuch über die<br />
wahre Art, das Clavier zu spielen (1753) dargelegt – wie<br />
es auch später von Czerny und Hummel ausgeübt<br />
K OMPONISTEN<br />
wurde, heutzutage<br />
eine ausgestorbene<br />
Praxis. Uns<br />
stört es heute<br />
nicht, eine Suite<br />
direkt mit der<br />
Allemande oder<br />
eine Sonate mit<br />
dem Beginn des<br />
notierten ersten<br />
Satzes zu beginnen;<br />
damals hätte<br />
das für einen professionellenMusiker<br />
als kreatives<br />
Armutszeugnis<br />
und Formfehler<br />
gegolten.<br />
Der Überblick<br />
auf Philipp Emanuel<br />
Bachs riesiges<br />
Klavierschaffen<br />
wird durch die<br />
hartnäckige Verwendung<br />
des 1905<br />
erstellten Werkverzeichnisses<br />
des<br />
Belgiers Alfred<br />
Wotquenne erschwert,<br />
obwohl<br />
dies damals eine<br />
bahnbrechende<br />
Leistung war, ist<br />
Carl Philipp Emanuel Bach:<br />
es längst durch<br />
Handschrift einer der „verbotenen Sonaten“<br />
das chronologisch<br />
aufgebaute und um viele Werke ergänzte Verzeichnis<br />
von E. Eugene Helm abgelöst worden.<br />
Johann Christian Bach (1735–1782)<br />
Schon durch seine späte Geburt war Johann Christian<br />
Bach kein Kind des Barocks (mehr). Die Oberstimmenseligkeit<br />
war ihm nicht Programm, sondern<br />
Selbstverständlichkeit. Seine Mutter Anna Magdalena<br />
Bach war, im Gegensatz zu Maria Barbara Bach<br />
(Mutter von Wilhelm Friedemann und Carl Philipp<br />
Emanuel), eine ausgebildete Opernsängerin und wir<br />
wundern uns nicht, dass er schon in jungen Jahren<br />
eine Laufbahn als Opernkomponist anstrebte, auch<br />
wenn ‚so etwas’ in der Familie noch nie vorgekommen<br />
war und der Clan es als Skandal empfand.<br />
Wahrscheinlich musste er dem Druck des berühmten,<br />
doch komplizierten und nicht immer harmonischen<br />
Familienverbands förmlich entkommen, um<br />
seine eigene Entwicklung nicht zu ersticken. Der<br />
Vergleich mit Domenico Scarlatti, der zunächst im<br />
Schatten seines Vaters, der legendären und langlebigen<br />
Ikone der italienischen Vokalmusik Alessandro<br />
Scarlatti, stand, drängt sich fast auf. Ihm blieb<br />
schließlich auch nichts anderes übrig, als auszuwandern<br />
und sich eben der Musikgattung zu widmen, die<br />
seinem Vater immer fremd geblieben war: der Soloklaviermusik.<br />
Johann Christian Bachs Eigenständigkeit<br />
stand jedenfalls früh fest, als er 18-jährig<br />
nach Italien durchbrannte. Böse Zungen mögen<br />
munkeln, er ging als Liebhaber einer italienischen<br />
K<br />
51
K<br />
K OMPONISTEN<br />
Opernsängerin, doch hatte er immerhin die besten<br />
Empfehlungen nach Mailand und den Segen des<br />
Vaters dazu.<br />
Sein stilbildender Einfluss auf Mozart und dessen<br />
Generation ist hinlänglich bekannt. Dennoch sollte<br />
man ihn nicht als eine Art ‚Prä-Mozart’ abstempeln,<br />
wie es heute oft geschieht. Man findet bei ihm noch<br />
reichlich Spuren des polyphonen Zeitalters und in<br />
Johann Christian Bach: Sonate Op. 17 Nr. 3 in der Frühfassung<br />
vielen Sätzen eine Nähe zu Domenico Scarlatti, der<br />
durch seine gedruckten Esercizii in Johann Christian<br />
Bachs Wahlheimat England viel bekannter war als<br />
auf dem Kontinent. Seine Formstringenz, was Leopold<br />
Mozart ‚il filo’ nannte, verließ ihn nie.<br />
Neben den beiden wichtigen Sonatenzyklen op. 15<br />
und op. 17, beide jeweils sechs Sonaten mit ansteigendem<br />
Schwierigkeitsgrad enthaltend, hinterließ<br />
Bach weitere Einzelwerke für Klavier und viel Kam-<br />
Anthony Spiri<br />
Der Pianist Anthony Spiri gilt als einer der vielfältigsten und angesehensten<br />
Liedbegleiter, Kammermusiker und Solisten der heutigen<br />
Musikszene. Geboren in den USA, erhielt er seine Ausbildung<br />
in Cleveland und Boston, bevor ihn sein künstlerischer Werdegang<br />
nach Europa führte, wo er am Salzburger Mozarteum sein<br />
Studium abschloss.<br />
Sein umfangreiches Repertoire, das von Alter Musik bis zu Werken<br />
des 21. Jahrhunderts reicht, hat Anthony Spiri mit Klavierabenden<br />
durch viele Länder Europas, nach Asien und Amerika<br />
geführt.<br />
Als Klaviersolist ist er mit dem Chamber Orchestra of Europe unter<br />
Nikolaus Harnoncourt und Michael Tilson-Thomas, der<br />
Camerata Academia Salzburg unter Sandor Végh, der Jungen<br />
Deutschen Philharmonie, dem Ensemble Wien Modern, dem<br />
Kammerorchester Basel unter Christopher Hogwood, dem<br />
Mozarteum Orchester Salzburg unter Leopold Hager und anderen<br />
Orchestern aufgetreten. Als Liedbegleiter hat Anthony Spiri mit<br />
vielen renommierten Sängern wie Peter Schreier, Marjana<br />
Lipovšek, Edith Mathis, Bernarda Fink und anderen konzertiert.<br />
Zu seinen Kammermusikpartnern zählen prominente Instrumen-<br />
mermusik mit ‚obligatem’ Klavier. Bei vielen dieser<br />
Werke mag das Klischee-Wort galant tatsächlich passen!<br />
Er galt als Pionier in der Verwendung des Fortepianos<br />
gegenüber dem Cembalo und ebenso fortschrittlich<br />
in der Entwicklung des vierhändigen<br />
Klavierspiels und des Klavierkonzerts. Die Übertragung<br />
seiner Musik auf das moderne Instrument ist<br />
generell weniger problematisch als bei seinen älteren<br />
Brüdern, und sein häufig Mozart naher Stil scheint<br />
uns weniger fremd. Doch seine etwas pauschale<br />
Notationsweise und die Sparsamkeit seiner Vortragsbezeichnungen<br />
lassen viele Fragen zu Tempo, Dynamik<br />
und Artikulation offen.<br />
Besonders glänzend und mit einem der schönsten<br />
langsamen Sätze der Epoche ausgestattet ist die B-<br />
Dur-Sonate op. 17/6. Die ebenso wirkungsvolle Sonate<br />
in c-Moll op. 5/6 beweist, dass Johann Christian Bach<br />
den Fugenstil nicht verlernt hatte, den er aber völlig<br />
anders handhabt als der Rest seiner Familie. Als<br />
Zeugnis von Bachs Lehrtätigkeit dient die Mitarbeit<br />
an einem Schulwerk pour le forte-piano ou clavecin,<br />
das für das Konservatorium in Neapel geplant war,<br />
aber erst posthum gedruckt werden konnte.<br />
________________________<br />
Jede Periode bewertet ihr musikalisches Erbe anders.<br />
Die Musik Johann Sebastian Bachs wurde zu seiner<br />
Zeit nur von einem kleinen Kreis als genießbar empfunden<br />
und wir wundern uns über Tschaikowskys<br />
Äußerungen zur Matthäus-Passion oder Schumanns<br />
Meinung zu Joseph Haydn. Es hat über hundert<br />
Jahre gedauert, bis die Bedeutung der späten Werke<br />
Beethovens allgemein erkannt wurde und die<br />
Meinung, ihre Schwierigkeiten seien dessen Taubheit<br />
zuzuschreiben, aussterben durfte. Die Renaissance<br />
des späten Schumann hat erst vor 20 Jahren eingesetzt.<br />
Dabei werden künftige Generationen wahrscheinlich<br />
über unsere Festspielprogramme lachen – und<br />
weinen. In meiner Jugend habe ich über die Klavierabend-Programme<br />
meiner Großtante, der kanadischen<br />
Pianistin Mariette Gauthier, den Kopf geschüttelt.<br />
Heute empfinde ich sie als erfrischend und<br />
intelligent zusammengestellt: Sie atmen den Geist<br />
der Epoche Robert Lortats und Nadia Boulangers<br />
talisten, Streichquartette und Ensembles unserer Zeit. Von<br />
1987–1993 war er Assistent von Nikolaus Harnoncourt am Salzburger<br />
Mozarteum.<br />
Anthony Spiri engagiert sich auch für die zeitgenössische Musik<br />
und spielte beispielsweise Uraufführungen von Werken der<br />
Komponisten Wolfgang Rihm, Rainer Bischof, Ernst Krenek und<br />
Sofia Gubaidulina. Als Entdecker betätigt sich Spiri bei Klavierwerken<br />
und Liedern von Eduard Marxsen, dem Kompositionslehrer<br />
von Johannes Brahms, sowie bei französischen Komponisten<br />
der Epoche Gabriel Faurés. Im Mozart-Jahr 2006 führte er<br />
zyklisch sämtliche Klavier- und Violinsonaten des Salzburger<br />
Komponisten auf.<br />
Seine umfangreiche Diskographie ist ein weiterer Beleg seiner<br />
Vielseitigkeit. Besondere Aufmerksamkeit widmet der Pianist den<br />
Werken der Söhne Johann Sebastian Bachs, deren Kompositionen<br />
er mit zahlreichen Aufnahmen auf CD festhielt. Er ist somit einer<br />
der wenigen Interpreten der Klaviermusik von Wilhelm Friedemann,<br />
Carl Philipp Emanuel und Johann Christian Bach auf dem<br />
modernen Flügel. Heute lebt Anthony Spiri in München und ist als<br />
Professor für Klavierkammermusik an der Musikhochschule Köln<br />
tätig.<br />
www.anthony.spiri.com<br />
52 3 . 08
3 . 08<br />
Wilhelm Friedemann Bach (1710–1784)<br />
– Klavierwerke (Sonaten und Fantasien) aus<br />
der Hs. P883 Berlin (Hänssler-Verlag)<br />
– Zwölf Polonaisen (1765), Hrsg. A. Bohnert<br />
(Henle)<br />
– Neun Klaviersonaten, Hrsg. F. Blume<br />
(Nagel/ Kalmus)<br />
– Ausgewählte Klavierwerke (Suite, 3<br />
Sonaten, 2 Fantasien), Hrsg. A. Böhnert<br />
(Henle)<br />
– Klavierfantasien, Hrsg. P. Schleuning<br />
(Schott)<br />
– Sonate in F-Dur für zwei Klaviere, Hrsg.<br />
C.A. Martienssen (C.F. Peters)<br />
– Martin Falck: W.F. Bach, sein Leben und<br />
seine Werke, mit thematischem<br />
Verzeichnis<br />
(Kahnt, 1956)<br />
Carl Philipp Emanuel Bach<br />
(1714–1788)<br />
– Solo Keyboard Works, Faksimile-<br />
Ausgabe in<br />
6 Bänden, Hrsg. D. Berg (Garland)<br />
– Ausgewählte Klaviersonaten in drei<br />
Bänden, Hrsg. D. Berg (Henle)<br />
– Great Keyboard Sonatas (2 Bände),<br />
Dover,<br />
Reprint der Ausgabe: Le trésor des<br />
pianistes,<br />
Hrsg. A. & L. Ferrenc, (1860–74)<br />
– Die sechs Preußischen Sonaten<br />
(1742),<br />
Hrsg. R. Steglich (Nagel)<br />
– Die sechs Württembergischen<br />
Sonaten<br />
(1744) Hrsg. R. Steglich<br />
(Bärenreiter)<br />
– Die sechs Sammlungen für Kenner<br />
und<br />
Liebhaber (Sonaten, Fantasien,<br />
Rondos),<br />
1779-87), Hrsg. C. Krebs, Revision<br />
L.<br />
Hoffmann-Erbrecht (Breitkopf &<br />
Härtel)<br />
– Sonaten und Stücke, Hrsg. K.<br />
Herrmann<br />
(C.F. Peters)<br />
und sind alles andere als dumm<br />
oder unkünstlerisch zu bezeichnen.<br />
Heute werden Händel, Puccini,<br />
Schostakowitsch, Messiaen und<br />
Arvo Pärt viel gespielt – wer weiß,<br />
wie es damit in zehn, fünfzig oder<br />
in 200 Jahren aussehen wird? Also<br />
wäre es höchst interessant, zu<br />
hören, was die jetzige Generation<br />
von Pianisten aus dem Klavierschaffen<br />
der Bach-Söhne ‚machen’<br />
kann, würde sie sich damit beschäftigen.<br />
Eine wertvolle Bereicherung<br />
unserer Klavierlandschaft<br />
könnte das Ergebnis sein!<br />
K OMPONISTEN<br />
Ausgewählte Notenausgaben<br />
Versuch über die wahre Art, das Clavier zu spielen<br />
in zwei Teilen (1753/1762)<br />
Faksimile-Nachdruck, Hrsg. L. Hoffmann-<br />
Erbrecht (Breitkopf & Härtel)<br />
Sechs Sonaten (Probestücke aus dem<br />
Versuch über die wahre Art, das Clavier zu<br />
spielen, 1. Teil, 1753), Hrsg. E. Doflein<br />
(Schott)<br />
– E. Eugene Helm: Thematic Catalogue of the<br />
Works of C.P.E. Bach, (Yale Univ. Press<br />
1987)<br />
Johann Christian Bach (1735–1782)<br />
– Collected Works, Faksimile-Ausgabe, Hrsg.<br />
S. Roe (Garland)<br />
K<br />
– Sechs Sonaten op. 5 (17), Hrsg. E.<br />
Heinemann (Henle)<br />
– Sechs Sonaten op. 17 (17), Hrsg. E.<br />
Heinemann (Henle)<br />
– Sonate in Es-Dur op. 17/3 (Erste Fassung),<br />
Hrsg. S. Staral (Heinrichshofen)<br />
– Solo und Sonate, Hrsg. S. Staral<br />
(Heinrichshofen)<br />
Méthode ou receuil des connoissances élémentaires<br />
pour le forte-piano ou clavecin (Mitautor<br />
F.P. Ricci), Faksimile der Pariser Ausgabe von<br />
1786 (Minkoff)<br />
53
K<br />
Dafydd Llywelyns Klavierzimmer erinnert<br />
ein wenig an das Kabinett von<br />
Goethes Faust.<br />
Foto: Rafael Sala<br />
K OMPONISTEN<br />
Dafydd Llywelyn<br />
Der Magier der leisen Töne<br />
Wer ein Interview mit dem walisischen Komponisten Dafydd Llywelyn führen will, muss viel<br />
Zeit mitbringen: Mehrere Stunden hat das Gespräch gedauert, das ich mit ihm in seiner<br />
Stadtwohnung im Münchner Viertel „Westend“ geführt habe. Seit 25 Jahren wohnt er dort –<br />
und hat sich inmitten von Büchern, Manuskripten, Noten, Zeitschriften und unzähligen CDs,<br />
die sich auf seinem Flügel türmen, ein eigenes Reich geschaffen. Eines, das in seiner kühnen<br />
Unordnung an das Kabinett von Goethes Faust erinnert.<br />
Von: Rafael Sala<br />
Essensgeruch liegt in der Luft. Eine steile Treppe<br />
führt in den zweiten Stock, knarzenden<br />
Schrittes geht es die Stufen hinauf. Die Türen<br />
der beiden Appartements, die Llywelyn mit seiner<br />
Lebensgefährtin Hedi Schmitt bewohnt, stehen<br />
fast immer offen. Im Erdgeschoss befindet sich der<br />
Lieferanteneingang für ein Restaurant, Kisten mit<br />
Zucker und Gemüse stapeln sich davor. Es ist ein<br />
Stadthaus mit viel Durchgangsverkehr, Klingeln<br />
surren, immer huscht irgendjemand vorbei. Ein<br />
wenig hektisch und abgelebt wirkt der Ort, aber<br />
für einen Komponisten ist er nicht ungewöhnlich,<br />
wie Llywelyn selbst bemerkt: „Brahms hat schließlich<br />
auch im Herzen von St. Pauli gewohnt, ich befinde<br />
mich da in bester Gesellschaft“, lacht der groß gewachsene<br />
Mann mit dem breiten Gesicht, in das<br />
sich immer ein paar widerspenstige Strähnen aus<br />
seiner blonden Mähne verirren. „Da kann ich we-<br />
54 3 . 08
3 . 08<br />
K OMPONISTEN<br />
nigstens spielen, so lange ich will, hier stört das niemanden.“ Wenn er, wie es<br />
seine Gewohnheit ist, tief in der Nacht an seinem schwarzen Seiler-Flügel<br />
sitzt, eine Zigarette nach der anderen raucht und wahnwitzige Akkorde<br />
über die Tasten jagt, oder eine CD mit düsteren Klängen einlegt, dann<br />
kann man sich gut vorstellen, wie das früher den Nachbarn die Wut ins<br />
Gesicht getrieben hat. Mehrere Male musste Llywelyn umziehen, bis er<br />
hier, im ehemaligen Münchner „Glasscherbenviertel“, sein endgültiges<br />
Zuhause gefunden hat. Dabei ist der Sohn eines walisischen Arztes eher<br />
ein Mann der leisen Töne: Als „religiöser Mystiker aus Wales“ gilt er in der<br />
Klassikszene – ein Titel, den Llywelyn, wie er selbst sagt, sehr treffend findet,<br />
auch wenn das so eine Sache sei mit Klassifizierungen: „Sie klingen<br />
zwar immer recht griffig, aber sie geben doch nur die halbe Wahrheit über den<br />
Menschen wieder.“ Doch wenn es schon Attribute sein müssen, dann seien<br />
ihm diese noch am liebsten, fügt er mit einem schelmischen Lächeln<br />
hinzu. In der Tat passt schon biografisch keines besser auf den 68-Jährigen<br />
als dieses: 1939 in Mittelengland geboren, hat Llywelyn bereits mit drei<br />
Jahren seine Mutter verloren. Ein Ereignis, das ihn wie kein anderes geprägt<br />
hat, wie er betont: „Sie war der wichtigste Mensch in meinem Leben,<br />
obwohl ich sie kaum gekannt habe.“ Die meditativ beseelten Klangfiguren,<br />
die der erst Sechsjährige komponiert, die an barocke Meister erinnernde<br />
Polyphonie, die ihre Leuchtspur in den feingliedrigen Akkorden des gereiften<br />
Komponisten ziehen wird, das gregorianisch dahinfließende Melos in<br />
Stücken wie dem Jugendwerk „Dies Irae“, überhaupt die tiefe Religiosität<br />
in seiner Musik – all das, so sieht es Llywelyn, ist die Folge dieses tragischen<br />
Ereignisses am Beginn seines Lebens.<br />
Den ersten Klavierunterricht erhält er von seinem Vater, später in einem<br />
klösterlichen Internat in Mittelengland. Der britische Pianist Tom Bromley<br />
unterrichtet ihn, zu seinen Lehrern zählen auch Johann Trygvasson, der<br />
Schwiegervater von Vladimir Ashkenazy, und Peter Feuchtwanger, Neffe<br />
des Schriftstellers Lion Feuchtwanger. Auf den Rat von Pierre Boulez ist er<br />
dann nach Deutschland gekommen. Dort freundete sich Llywelyn mit<br />
dem russischen Dirigenten Kirill Kondraschin an, der ihm Schostakowitsch<br />
nahebringt. Um sich über Wasser zu halten, schreibt er in den 60er Jahren<br />
Filmmusik, auch war er Gründer der Band „Supertramp“, die damals noch<br />
„The Joint“ hieß und in den 70er und frühen 80er Jahren die Charts<br />
erobern wird. Doch all das betrachtet er als „Jugendsünden“ und Eskapaden,<br />
geboren aus der Not, sich als Musiker seinen Lebensunterhalt zu<br />
verdienen: „Mein eigentliches Metier war und ist immer die Klassik geblieben.“<br />
Seit 1971 lebt der Klavierpädagoge in München und ist dort längst<br />
bekannt geworden. Geradezu legendär geworden ist der Abend des 27.<br />
April 1998, als der weltberühmte russische Pianist Boris Berezowsky im<br />
Münchner Herkulessaal den siebten Teil aus Llywelyns monumentalem<br />
Klavierzyklus „Time Quake“ spielte: Es gab Standing Ovations, die Presse<br />
überschlug sich vor Begeisterung. Nicht geringer fiel 2003 die Resonanz im<br />
Großen Saal des Amsterdamer Concertgebouw aus, wo Berezowsky aus<br />
seiner „Fantasia apoplectica“ spielte, ein „work in progress“, an dem<br />
Llywelyn seit einem guten Jahrzehnt arbeitet. An die 2000 Zuhörer saßen<br />
im Saal, immer wieder gab es Bravo-Rufe. Dabei ist der Weg zu Llywelyns<br />
Musik ein dornenreicher, der Einstieg alles andere als leicht: „Anfangs<br />
habe ich seine Musik gehasst, ich konnte damit nichts anfangen“, gesteht<br />
Berezowsky. Vielleicht liegt diese anfängliche Abneigung an der kompositorisch<br />
höchst ungewöhnlichen Ahnenreihe, aus der sich seine Musik zusammensetzt.<br />
Gregorianik, Bach, Beethoven, Chopin, Rachmaninow,<br />
Mahler, Schostakowitsch, Busoni, Sorabji, Havergale Brian – all diese<br />
Komponisten fließen in Llywelyns Musik ein und werden dort in eine ganz<br />
eigene, archaische Klangsprache umgeschmolzen, in der starke Kontraste,<br />
hämmernde Intervalle und hochvirtuose Passagen den Ton angeben.<br />
Gefürchtet sind vor allem seine Akkorde, die schon mal aus 12 Noten<br />
bestehen und schlagartig von einem Fortissimo in den Piano-Bereich<br />
springen können. Wer sich ihnen nähert, muss – wie Berezowsky – nicht<br />
nur breite Hände haben, sondern er benötigt eine spezielle „technique“,<br />
wie einer von Llywelyns Lieblingsausdrücken lautet: „Meine Auffassung von<br />
Komponieren ist von der altrussischen Schule geprägt, die leider heutzutage<br />
kaum noch Anhänger hat. Ultra-polyphone Klangelemente sind das Markenzeichen<br />
dieser Lehre.“ Schweißtreibend sind aber auch die Pianissimo-<br />
Passagen, die sich inmitten dieser clusterartigen Gebilde wie irrlichternde<br />
Inseln der Glückseligkeit auftun. Ein Atlantis der Töne, das zeitlos über
K<br />
Dafydd Llywelyn liebt<br />
Ikonen, die er zu<br />
einem „Hochaltar“<br />
gruppiert hat.<br />
Foto: Rafael Sala<br />
K OMPONISTEN<br />
dem Grund religiöser Empfindungen schwimmt.<br />
Hier entfaltet sich die Mystik, für die Llywelyn<br />
berühmt geworden ist. Um in diese Welt einzutauchen,<br />
müssen die Pianisten jede Kopflastigkeit von<br />
sich werfen. Berezowsky, der jüngst Llywelyns<br />
„Mutata Consilia“ eingespielt hat, schätzt gerade<br />
diese Elemente am meisten: „Sie haben eine Grundstimmung,<br />
die ich in keiner anderen Musik gefunden<br />
habe, eine vollkommene Ruhe geht von ihnen aus.<br />
Llywelyns Werke sind eigentlich impressionistisch, sie<br />
haben etwas sehr Meditatives und Atmosphärisches.“<br />
Nicht nur von Berezowsky wird Llywelyns Klaviermusik<br />
gespielt, auch Pianisten wie Daniel Röhm,<br />
Severin von Eckartstein, Roberta Pili, der Amerikaner<br />
Nathan Cartarett und Dudana Mazmanishvili<br />
gehören zu denjenigen, die sein Werk zum festen<br />
Bestandteil ihres Repertoires gemacht haben.<br />
Die aus Georgien stammende Mazmanishvili beispielsweise<br />
hat erst unlängst sein in den 80er<br />
Jahren entstandenes Klavierwerk „Erzengel Ga-<br />
Llywelyn beim Komponieren an seinem schwarzen Seiler-Flügel.<br />
Foto: Rafael Sala<br />
briel“ in der Carnegie-Hall in New York aufgeführt.<br />
Es folgten weitere Auftritte in Washington<br />
und Pennsylvania.<br />
Das Faszinierendste an Llywelyn ist aber vielleicht<br />
seine unorthodoxe Art zu denken: Die<br />
Vielfalt der musikalischen Einflüsse, die sich in seinen<br />
Werken widerspiegelt, scheint sich wie ein<br />
Riegel vor jedes Dogma zu schieben. Tatsächlich<br />
steht Llywelyn – anders als die meisten seiner Zeitgenossen<br />
– Klassifizierungen wie „realistisch“,<br />
„avantgardistisch“ oder „romantisch“ äußerst<br />
skeptisch gegenüber. Nichts verachtet er mehr als<br />
den „Zeitgeist“, der Musiker zu bestimmten Lehren<br />
verpflichten will. „In den sechziger Jahren wurden romantische<br />
Komponisten strikt abgelehnt, man gab<br />
sich der Lächerlichkeit preis, wenn man erklärte, etwa<br />
Chopin als Vorbild zu haben. Das mag aus historischen<br />
Gründen verständlich sein – schließlich haben<br />
die Romantik und der Irrationalismus die Ideenwelt<br />
Hitlers erst beflügelt und damit zu den Katastrophen<br />
des Jahrhunderts beigetragen. Man denke nur an den<br />
musikalischen Größenwahn eines Richard Wagner.<br />
Aber dieses Musikverständnis der so genannten „Realisten“<br />
war eben auch selbst eine Doktrin.“ Wichtiger<br />
sei es, „authentisch“ zu komponieren und alleine<br />
seine Gefühle zum Maßstab der künstlerischen<br />
Umsetzung zu machen – dies freilich nicht rückwärtsgewandt<br />
und anachronistisch, sondern mit<br />
den Mitteln der zeitgenössischen Musik. „Musiker<br />
sollten vor allem aufrichtig sein, aufrichtig zu sich<br />
selbst, und keinen von der Gesellschaft sklavisch vorgegebenen<br />
Idealen nacheifern.“ Mittlerweile ist es spät<br />
in der Nacht. Llywelyn schlägt einige leise Akkorde<br />
auf dem Flügel an. Sie scheinen mit der Ruhe im<br />
Raum und mit der Stille um diese Uhrzeit zu verschwimmen.<br />
Noten und CDs können direkt über<br />
dafyddllywelyn@web.de bezogen werden.<br />
56 3 . 08
3 . 08<br />
Wann begannen Sie Klavier zu spielen?<br />
Mit 6 Jahren.<br />
Welches war das erste Stück, das Sie<br />
öffentlich spielten, wann und wo war das?<br />
Eine zweistimmige Invention von Bach bei<br />
meiner Aufnahmeprüfung 1987 an der<br />
Spezialmusikschule in Timisoara, Rumänien.<br />
Welchen anderen Beruf würden Sie gerne<br />
ausüben, wenn Sie nicht Pianist wären,<br />
bzw. was wollten Sie werden, als Sie 13<br />
Jahre alt waren?<br />
Mit 13 hatte ich die Illusion, Pianist zu werden.<br />
Meine beiden Ausweichinstrumente<br />
sind Cello und Barockoboe. Leider kann ich<br />
keines der beiden Instrumente spielen, also<br />
müsste ich mir einen anderen Beruf aussuchen.<br />
Vielleicht Filmkritiker? Dann könnte<br />
ich mehr ins Kino gehen.<br />
Was stört Sie am meisten an Ihrem Beruf?<br />
Siehe oben.<br />
Was lesen Sie am liebsten?<br />
Die Sprachbeherrschung von Thomas Mann und<br />
Hermann Hesse ist unglaublich.<br />
Welchen Komponisten würden Sie am liebsten<br />
kennen lernen, oder gekannt haben?<br />
Beethoven, Bach oder Mozart. Ich möchte diesen<br />
Leuten zu gern beim Komponieren zusehen.<br />
Welchen Pianisten bewundern Sie am meisten<br />
und warum?<br />
Mittlerweile Alfred Brendel, da ich 10 Jahre<br />
gebraucht habe, um zu verstehen, was ihn so<br />
besonders macht. Da ist eine Meisterschaft im<br />
Spiel, die im besten Sinne des Wortes „nachhaltig“<br />
ist.<br />
Welche Musik hören Sie außer Klaviermusik am<br />
liebsten?<br />
Alles außer Rock und Mainstream-Pop.<br />
In welchem Land, in dem Sie noch nicht aufgetreten<br />
sind, möchten Sie gerne einmal spielen?<br />
Japan. Aber 2009 ist es dann so weit.<br />
Welchen Tipp können Sie an Studenten weitergeben,<br />
wenn es um den Beruf Pianist geht?<br />
Eigene Aufnahmen anhören. Der Lerneffekt ist mit<br />
nichts zu vergleichen.<br />
Für welches Essen schlägt Ihr Herz am meisten?<br />
Gute Qualität der Zutaten ist das Wichtigste.<br />
Was war die schlimmste Erfahrung mit einem<br />
Instrument, die Sie gemacht haben?<br />
Ich bin bis jetzt Gott sei Dank vor zusammenkra-<br />
F RAGEBOGEN<br />
In dieser Rubrik stellen wir einem Pianisten dieselben 14 Fragen.<br />
14 Fragen an Herbert Schuch<br />
chenden Stühlen und reißenden Saiten während<br />
eines Konzertes verschont geblieben. Ich kann<br />
mich allerdings an ein Konzert erinnern, bei dem<br />
der Veranstalter selbst mich ermunterte, das<br />
Konzert wegen des schlechten Flügels abzusagen.<br />
Leider habe ich es nicht gemacht.<br />
Was wünschen Sie sich für Ihre pianistische<br />
Zukunft?<br />
Dass die nächsten 50 Jahre mir genauso viel<br />
Freude bereiten wie die letzten fünf.<br />
Welche Ihrer eigenen Aufnahmen finden Sie am<br />
besten und warum?<br />
Ich habe daheim circa 200 CDs von meinen eigenen<br />
Konzerten der letzten 15 Jahre. Wenn ich einmal<br />
über sehr viel Zeit verfüge, komme ich auf<br />
diese Frage zurück.<br />
DIE AKTUELLE CD<br />
Franz Schubert<br />
Klaviersonaten G-Dur D 894; a-Moll<br />
D 537<br />
Helmut Lachenmann<br />
Fünf Variationen über ein Thema<br />
von Franz Schubert; Guero<br />
Herbert Schuch, Klavier<br />
Oehms Classics 593<br />
(Vertrieb: Harmonia Mundi)<br />
(Lesen Sie auch die Besprechung<br />
der CD auf Seite 93.)<br />
Foto: Jürgen Olczyk<br />
F<br />
57
D<br />
Wie Daniel Barenboim die Zillionen<br />
Noten der fünf Klavierkonzerte<br />
von Ludwig van Beethoven inklusive<br />
Orchesterpartitur im richtigen Moment<br />
auf Abruf parat hat, bleibt sein Geheimnis.<br />
Jedenfalls hat er mit der Staatskapelle<br />
Berlin, deren Chefdirigent er auf<br />
Lebenszeit ist, an drei Abenden beim<br />
Klavier-Festival Ruhr diese Konzerte in<br />
Personalunion auswendig aufgeführt und geleitet.<br />
Für solch eine gigantische Aufgabe ist eine vertraute<br />
Zusammenarbeit mit dem Orchester notwendig. Und man<br />
merkt, dass Daniel Barenboim sich nicht nur auf die<br />
Staatskapelle Berlin verlassen kann, er macht sie zu seinem<br />
Partner. Durch Frontalaufnahmen – das Klavier steht direkt<br />
vor dem Orchester– ist zu sehen, wie Daniel Barenboim<br />
kontinuierlichen Blickkontakt hat. Auch wenn er<br />
spielt, nimmt er manchmal eine für kurze Momente freie<br />
Die Bühne ist abgedunkelt, Scheinwerfer<br />
und Kameras sind ziemlich<br />
starr auf den Maestro des Abends<br />
gerichtet: Jorge Luis Prats „In Recital At<br />
The Miami International Piano Festival“<br />
wird so zur absoluten Ein-Mann-Schau.<br />
Applaus ist zu hören, aber weder Publikum<br />
noch Saal sind zu sehen. Eine<br />
gespenstische Szene. Sicher, Jorge Luis<br />
Prats ist ein hervorragender Pianist, der<br />
ein weit gespanntes Repertoire perfekt präsentieren kann.<br />
Insbesondere „Gaspard de la nuit“ von Maurice Ravel<br />
passt vorzüglich zu seiner poetischen Fantasie. Auch die<br />
„Danzas Cubanas“ von Ignacio Cervantes – wie Jorge Luis<br />
Prats aus Kuba stammend – sind ein Hörgenuss. Doch dazu<br />
ist eine solche audiovisuelle Konzertaufzeichnung nicht<br />
notwendig, eine CD wäre sogar besser geeignet gewesen.<br />
Nun hätte man zumindest vom Bonus „A Conversation<br />
with Jorge Luis Prats“ optische Abwechslung erwarten kön-<br />
Im Forum, einem Salon für Literatur,<br />
Theater und Musik in Stockholm, den<br />
Roland Pöntinen mit Freunden 1989<br />
gegründet hat, öffnet er einen Briefumschlag.<br />
Darin ist ein „Prélude“, das ihm<br />
die finnische Komponistin Kaija Saariaho<br />
geschickt hat. Ohne zu zögern,<br />
spielt Roland Pöntinen die zuvor noch<br />
nie gesehenen Noten vom Blatt, erläutert<br />
dabei bereitwillig, wie er sich Musik<br />
aneignet. So wird man durch geschickte Montage von<br />
wechselnden Szenen direkt in die Werkstatt des schwedischen<br />
Pianisten eingeladen: während er probt, dazwischen<br />
eine kurze Vorschau aufs „Konzert beim Ruhr Klavier Festival<br />
2007“, dann ein Treffen mit Kaija Saariaho, um Details<br />
des „Prélude“ zu besprechen.<br />
Im Kapitel „Porträt“ dieses Films wird man auf das „Konzert“<br />
vorbereitet, indem Roland Pöntinen von seinen Prinzipien<br />
als Interpret erzählt: „Ich spiele für mich selbst, ich höre<br />
mir selbst zu“, nur so könne er dem Publikum glaubwürdig<br />
gegenübertreten. Im 21. Jahrhundert Klavier zu spielen<br />
DVDS<br />
Hand, um Einsätze zu geben. Das ist sehr faszinierend,<br />
denn trotz der Doppelaktivität hat Daniel Barenboim stets<br />
die beachtlichen Niveaus der Klavierparts unter Kontrolle.<br />
Sowohl das Fanfaren-Rondo im fünften Konzert als auch<br />
das zarte Cantabile etwa im Largo des ersten Konzerts. Als<br />
ob sich Daniel Barenboim in einem Zwischenzustand von<br />
verinnerlichter Konzentration und wacher Aufmerksamkeit<br />
zum Orchester befände. Indem die Kameras wie Spione<br />
durch die Orchestersektionen schauen, schnelle Schnitte<br />
die Perspektiven verändern, werden diese Klavierkonzerte<br />
zu wunderbaren optischen<br />
Klangerlebnissen mit einer<br />
einzigartigen Persönlichkeit:<br />
Daniel Barenboim.<br />
Hans-Dieter Grünefeld<br />
Ludwig van Beethoven<br />
Klavierkonzerte Nr. 1–5<br />
Live vom Klavier-Festival Ruhr<br />
Daniel Barenboim, Klavier<br />
Staatskapelle Berlin<br />
EuroArts 2056778 (2 DVDs)<br />
(Vertrieb: Naxos)<br />
nen. Enttäuschend ist, dass auch hier die Kamera nur auf<br />
den Pianisten gerichtet bleibt, der Interviewer Frank<br />
Cooper nicht ins Blickfeld kommt. Dennoch ist dieses<br />
Gespräch insofern interessant, als Jorge Luis Prats sehr<br />
anschaulich seine Überlegungen zur Interpretation einzelner<br />
Werke demonstriert, etwa wie er den Orgelklang der<br />
Bearbeitung von Franz Liszt zum Präludium a-Moll von<br />
Johann Sebastian Bach imitiert,<br />
oder welche lokalen<br />
Geschichten sich in den<br />
„Danzas“ von Ignacio Cervantes<br />
verbergen. Schade,<br />
dass die Regie keine (anderen)<br />
Ideen hatte, Jorge Luis<br />
Prats zu porträtieren.<br />
Hans-Dieter Grünefeld<br />
Jorge Luis Prats<br />
In Recital At The Miami<br />
International Piano Festival<br />
Werke von J. S. Bach / Franz<br />
Liszt: Orgel-Präludium und<br />
Fuge in a-Moll; Alexander<br />
Scriabin: 24 Préludes op. 11,<br />
Ignacio Cervantes: Danzas<br />
Cubanas, Maurice Ravel:<br />
Gaspard de la nuit. La Valse<br />
VAI 4414<br />
(Vertrieb: Codaex)<br />
bedeute für ihn, „ein Klangspektrum zu haben, mit dem ich<br />
alles darstellen kann“. Im Vergleich von Probenclips und<br />
Konzertmitschnitt ist exemplarisch zu hören, dass Roland<br />
Pöntinen sowohl für die von Kaija Saariaho geforderten<br />
speziellen Glissandi als auch für eine „Gavotte“ von Jean-<br />
Philippe Rameau – da klingt das Klavier wie ein Cembalo –<br />
explizite Vorstellungen hat. Sein Recital mit Werken aus<br />
dem Barock, der Romantik und der klassischen Moderne ist<br />
stets stilgenau und inspiriert. Im einstündigen Interview<br />
mit dem engagierten Regisseur der „Legato-Reihe“, Jan<br />
Schmidt-Garre, berichtet Roland Pöntinen schließlich noch<br />
aus seiner Künstlerbiographie,<br />
sodass „Listening To<br />
Yourself“ nicht nur eine<br />
Selbstverpflichtung für ihn<br />
bleibt, sondern Betrachter<br />
und Zuhörer auf die Spur<br />
dieses sympathischen Pianisten<br />
bringt.<br />
Hans-Dieter Grünefeld<br />
Roland Pöntinen<br />
Listening To Yourself / Portrait –<br />
Konzert – Interview<br />
Werke von François Couperin,<br />
Jean-Philippe Rameau, Ferruccio<br />
Busoni, Kaija Saariaho, Frédéric<br />
Chopin, Isaac Albéniz, Sergej<br />
Rachmaninow, Maurice Ravel<br />
EuroArts 2055768<br />
(Vertrieb: Naxos)<br />
58 3 . 08
3 . 08<br />
Die hochambitionierte Reihe „Discovering<br />
Masterpieces“ will interessierten<br />
Musikliebhabern durch ein ausgeklügeltes<br />
audio-visuelles Konzept<br />
dazu verhelfen, „die großen Werke vom<br />
Barock bis zur Moderne völlig neu zu erfahren<br />
und zu genießen“ (Covertext). Das<br />
klingt zwar etwas vollmundig, aber das<br />
jüngste Produkt aus der Reihe belegt auf<br />
eindrucksvolle Weise, dass da nicht zu<br />
viel versprochen wird. Der Betrachter wird in zweifacher<br />
Weise an das Werk herangeführt. Zunächst einmal hat er<br />
die Möglichkeit, sich die vollständige Aufführung des<br />
Werkes zu Gemüte zu führen. Die hierfür ausgewählte Live-Aufführung<br />
mit Martha Argerich und dem Gewandhausorchester<br />
Leipzig unter Riccardo Chailly im Gewandhaus<br />
ist, so frisch und lebendig wie da musiziert wird, in<br />
der Tat ein Genuss. Wer möchte, kann das sinnliche Erlebnis<br />
durch einen Mausklick auf Documentary mit viel<br />
Wissen anreichern. Dort bekommt man recht detaillierte<br />
Einführungen zu allen drei Sätzen geboten, für die der<br />
renommierte Musikwissenschaftler Wulf Konold verantwortlich<br />
zeichnet. Zu Konolds Kommentaren werden<br />
Ruth Slenczynska (* 1925) war eines<br />
der erstaunlichsten Wunderkinder<br />
des 20. Jahrhunderts. Sie gab bereits im<br />
Alter von 6 Jahren ihr erstes Konzert<br />
und wurde anschließend von Größen<br />
wie Petri, Hofmann und Rachmaninow<br />
unterrichtet, unter deren Obhut sie zu<br />
einer veritablen Pianistin heranwuchs.<br />
Da sie sich in den USA niederließ und<br />
kaum je den europäischen Kontinent<br />
aufsuchte, ist ihr Name in Europa weitestgehend unbekannt<br />
geblieben. 1964 wurde sie Artist-in-Residence an der<br />
Southern Illinois University in Edwardsville. Ihren 80.<br />
Geburtstag beging sie mit einem Festkonzert, in dessen<br />
Rahmen sie gleich drei Konzerte auf einmal spielte: Chopins<br />
2., Liszts 1. und Tschaikowskys 1. Die vorliegende VAI-<br />
DVD enthält zweierlei: ein 1963 im Studio des amerikanischen<br />
Fernsehens aufgenommenes Rachmaninow-Recital<br />
(in Schwarz-Weiß) mit 7 Préludes aus op. 23 und 32 sowie<br />
ein 28-minütiges Interview von 2002, in dem die Slen-<br />
DVDS<br />
immer wieder Dokumente aus Schumanns Leben – Briefe,<br />
Porträts, Fotografien – eingeblendet, die das genaue optische<br />
Korrelat zum Gesagten abgeben. Bei detaillierten<br />
Erläuterungen – etwa zum Haupt- oder Seitenthema – werden<br />
zur Musik auch Ausschnitte aus der Konzert-Partitur<br />
eingeblendet, was freilich nur für des Notenlesens kundige<br />
Betrachter sinnvoll ist, und von denen gibt es weniger, als<br />
man denkt. Aber selbst wenn Noten für den interessierten<br />
Betrachter dieser Einführung ein Buch mit sieben Siegeln<br />
sind, wird er meistens verstehen, was gemeint ist. Konold<br />
vermeidet Fach-Chinesisch und erläutert den jeweiligen<br />
Sachverhalt knapp, klar und verständlich. Wer schon<br />
immer mal etwas über<br />
Schumanns Klavierkonzert<br />
wissen wollte, aber nie zu<br />
fragen wagte, sollte es mal<br />
mit dieser in jeder Hinsicht<br />
gelungenen DVD probieren.<br />
Er wird nicht enttäuscht<br />
werden.<br />
Robert Nemecek<br />
czynska im Plauderton von ihren Erfahrungen mit ihren<br />
Lehrern Josef Hofmann und Sergej Rachmaninow erzählt.<br />
Am wertvollsten ist sicher die Dokumentation ihres Klavierspiels,<br />
da sie eine Auffassung dokumentiert, die in direkter<br />
Linie auf Rachmaninow selbst zurückgeht. Die Verbindung<br />
von großem Ton, präziser Detailarbeit und enormer<br />
Disziplin ist beeindruckend. Die Ausführungen der<br />
Slenczynska im anschließenden Bonus-Interview, das<br />
eigentlich ein 28-minütiger Monolog ist, sind größtenteils<br />
so persönlich, dass sie kaum etwas von grundsätzlicher<br />
Bedeutung enthalten. Da der Redefluss der Slenczynska<br />
zudem weder durch Einblendungen<br />
noch Musik<br />
aufgelockert wird, ist dies<br />
wirklich nur etwas für gestandeneHofmann-Rachmaninow-Slenczynska-Fans.<br />
Robert Nemecek<br />
Discovering Masterpieces<br />
Of Classical Music<br />
Documentary & Performances<br />
Robert Schumann<br />
Klavierkonzert (1845)<br />
Martha Argerich, Klavier<br />
Gewandhausorchester Leipzig<br />
Ltg.: Riccardo Chailly<br />
EuroArts 2056068<br />
(Vertrieb: Naxos)<br />
Ruth Slenczynska<br />
Tribute to Rachmaninow<br />
Preludes op. 23 & 32 (Auswahl)<br />
Bonus-Interview<br />
„Remembering Josef<br />
Hofmann” (2002)<br />
VAI DVD 4412<br />
(Vertrieb: Codaex)<br />
D<br />
59
B B ÜCHER<br />
Fotoschau durch die Geschichte der Tasteninstrumente einer Sammlung<br />
Waren Sie schon einmal in der Tasteninstrumentensammlung<br />
im Museum für Kunst und<br />
Gewerbe in Hamburg? Wenn ja, dann wissen Sie,<br />
dass diese Sammlung von einem Privatmann stammt,<br />
einem Enthusiasten und Fachmann für historische<br />
Tasteninstrumente. Sein Name: Andreas Beurmann. Beurmann<br />
sammelt seit langem historische Tasteninstrumente<br />
und suchte dann länger nach einem Ort abseits seines Guts<br />
Hasselburg in Ostholstein, auf dem<br />
er etliche Instrumente auch ausstellt.<br />
Doch die Anzahl war mittlerweile<br />
zu einer Menge angewachsen,<br />
die Hasselburg eher klein werden<br />
ließ. Und so kam es, dass ein<br />
Großteil der Sammlung, immerhin<br />
mehr als 100 Instrumente, im Museum<br />
für Kunst und Gewerbe in<br />
Hamburg landeten. Bereits im Jahr<br />
2000 gab es die erste Publikation zu<br />
dieser seit diesem Jahr im Museum<br />
befindlichen Sammlung, in der<br />
Beurmann schon 50 Instrumente<br />
aus der Sammlung in einem Band<br />
dokumentierte. Doch nun ist ein<br />
neuer Band bei Georg Olms erschienen,<br />
einer, der weitaus umfangreicher<br />
die gesamte Sammlung<br />
vorstellt – und dies in einer schier<br />
grandiosen Aufmachung.<br />
In diesem neuen Band „Das Buch<br />
vom Klavier“ sind nun nicht weniger<br />
als 129 Instrumente beschrieben<br />
und – und dies vor allem – fotografisch<br />
in zahlreichen Detailaufnahmen<br />
dargestellt. Beurmann will<br />
nicht allgemeingültigen Arbeiten von Hubert Henkel und<br />
vielen anderen nacheifern. Vielmehr ist der Sammler aufgrund<br />
seiner Sammelleidenschaft auch ein Kenner der<br />
Materie, denn anders geht es wohl kaum, solch eine<br />
Sammlung zusammenzutragen. Und so sagt Beurmann in<br />
seinem Vorwort auch ganz unprätentiös, dass dieser Band<br />
nun „nicht durchgelesen, sondern durchgeblättert werden“<br />
will: „Der Leser soll sich an den Bildern freuen und hier und da<br />
einmal nachlesen. Die Bilder allein erzählen die Geschichte vom<br />
Werden des ‚Klaviers’ in seiner üppigen Mannigfaltigkeit.“ Und<br />
genau darum geht es. Doch wer nun allein einen wunderbaren<br />
Bildband mit großartigen Fotos von den Instrumenten<br />
erwartet, liegt falsch. Denn Beurmanns Buch bietet<br />
weitaus mehr. Zum einen geht es chronologisch vor und<br />
startet bei dem frühesten Instrument in der Sammlung,<br />
einem Tangentenflügel aus dem Jahre 1750 aus Italien,<br />
dessen Erbauer nicht bekannt ist. Dann geht es fort über<br />
zahlreiche wunderbare Tafelklaviere, Hammerflügel,<br />
Pianinos und bemerkenswerte Einzelstücke wie den elektrifizierten<br />
Neo-Bechstein, ein Euphonicon, bis hin zu einem<br />
Steinway & Sons Konzertflügel aus dem Jahre 1972. Dann<br />
folgen noch Harmonien, Orgeln und andere historische<br />
Tasteninstrumente. Doch die Instrumente werden nicht<br />
nur als Ganzes abgebildet, sondern zahlreiche Detailaufnahmen<br />
dokumentieren die bauartlichen Besonderheiten<br />
der Instrumente so spannend und genau, dass man nach<br />
und nach einen Eindruck von den Entwicklungsstadien der<br />
Tasteninstrumente erhält. Und man kann lernen, denn<br />
Beurmann beschreibt die Instrumente, deren Signaturen,<br />
deren Mechanik, die Ausstattung und alle Details bis ins<br />
Kleinste, nimmt Bezug auf die Fotos in seinem Text, weiß<br />
auch die Dämpfung ebenso interessant zu dokumentieren<br />
wie die Mechanik, die beiden Merkmale, die sich bei allen<br />
anderen Entwicklungen am meisten in Bezug auf das Spiel<br />
und den Klang verändert haben. Zudem gibt er Informationen<br />
über die Erbauer. Und für den Fachmann hängt er<br />
jeweils noch genaueste Angaben<br />
über die Mensuren, die Abmessungen,<br />
die Besaitung und alle baulichen<br />
Feinheiten an. Was wir mit diesem<br />
Buch also vor uns haben, ist<br />
weit mehr als eine Dokumentation<br />
der Instrumente aus einer Sammlung.<br />
Vielmehr hat Beurmann mit<br />
seinen großartigen Instrumenten –<br />
die zum größten Teil durchaus bespielt<br />
werden können, wie die zahlreichen<br />
Einspielungen auf Instrumenten<br />
aus dieser Sammlung immer<br />
wieder dokumentierten – eine detaillierte<br />
Geschichte der Entwicklung<br />
der besaiteten Tasteninstrumente<br />
anhand von Fotos und Beschreibung<br />
geliefert. Kaum ein wichtiges Instrument<br />
fehlt hier, auch wenn Beurmann<br />
dies sicherlich als Sammler<br />
anders sehen mag ...<br />
Wer sich für die Entwicklung der<br />
Tasteninstrumente und ihre Geschichte<br />
interessiert, muss dieses<br />
Buch kaufen, denn es bietet einen<br />
einmaligen Einblick in all die Details,<br />
die man auch als Betrachter<br />
der Instrumente im Museum nicht sehen kann, da die<br />
Instrumente dort ja in geschlossener Form stehen und nicht<br />
die Mechanik offenlegen, die Hämmer, die Dämpfer und<br />
vieles mehr. Wer denn noch nicht in der Sammlung selbst<br />
war, sondern nur das Buch durchblättert, wird spätestens<br />
dann Lust darauf bekommen, die Instrumente auch einmal<br />
live zu betrachten. Dann sollte man aber eine der interessanten<br />
und klanglich spannenden Führungen im Museum<br />
für Kunst und Gewerbe in Hamburg mitmachen, denn<br />
dann offenbaren die Instrumente auch klanglich die<br />
Entwicklungsgeschichte.<br />
Ein faszinierendes wie grandioses Buch zur Instrumentengeschichte<br />
der Klaviere!<br />
Carsten Dürer<br />
Andreas Beurmann<br />
Das Buch vom Klavier<br />
374 Seiten (zahlr. Fotos)<br />
Georg Olms Verlag<br />
ISBN 978-3-487-08473-2<br />
EUR 48,-<br />
60 3 . 08
W W ETTBEWERBE<br />
Zeichnung: Wolfgang Hülk<br />
Die aufgeführten Wettbewerbe<br />
wurden so ausgewählt, dass bei<br />
Erscheinen dieser Ausgabe von<br />
PIANONews noch die Möglichkeit<br />
einer Bewerbung besteht.<br />
<strong>2008</strong><br />
26. — 29. Juni <strong>2008</strong><br />
München (Deutschland)<br />
8. Münchner Klavierpodium der<br />
Jugend<br />
Internationaler Klavierwettbewerb<br />
Neues Münchner<br />
Kunstforum e.V.<br />
Asam Straße 8, 81541 München<br />
Tel.: 089 / 656052<br />
Fax: 089 / 658650<br />
E-Mail: Klavierpodium@web.de<br />
www.Klavierpodium-muenchen.de<br />
Altersbegrenzung: 5–25 Jahre<br />
Anmeldeschluss: 26. Mai <strong>2008</strong><br />
2. — 10. August <strong>2008</strong><br />
Ettlingen (Deutschland)<br />
11. Internationaler<br />
Wettbewerb für junge<br />
Pianisten Ettlingen<br />
Musikschule Ettlingen<br />
Sekretariat<br />
Pforzheimer Str. 25<br />
76275 Ettlingen<br />
Tel.: +49 / 7243 / 101-448 (311)<br />
Fax: +49 / 7243 / 101-180<br />
E-Mail: info@pianocompetition.org<br />
www.pianocompetition.org<br />
Altersbegrenzung:<br />
Kategorie A: 16–20 Jahre<br />
Kategorie B: 21 Jahre<br />
Anmeldeschluss: 24. April <strong>2008</strong><br />
25. August— 3. September <strong>2008</strong><br />
Bozen (Italien)<br />
57. Ferruccio Busoni<br />
International Piano<br />
Competition (Vorrunde)<br />
Foundation „Ferruccio Busoni“<br />
International Piano Competition<br />
Piazza Domenicani, 25<br />
39100 Bolzano<br />
Italy<br />
Tel.: +39 / 0471 / 97 65 68<br />
Fax: +39 / 0471 / 32 61 27<br />
E-Mail: info@concorsobusoni.it<br />
www.concorsobusoni.it<br />
Altersbegrenzung: 16–30 Jahre<br />
Anmeldeschluss: 31. Mai <strong>2008</strong><br />
14. — 21. September <strong>2008</strong><br />
Bratislava (Slowakische Republik)<br />
6. J. N. Hummel International<br />
Piano Competition<br />
Mrs. Markéta Stefková<br />
Executive Manager<br />
J. N. Hummel International Piano<br />
Competition<br />
Svätopukova 18<br />
82108 Bratislava<br />
Slowakische Republik<br />
Tel. & Fax: 00421 / 2 / 555 71 305<br />
E-Mail: info@hummelcompetition.sk<br />
www.hummel-competition.sk<br />
Altersbegrenzung: 32 Jahre<br />
Anmeldeschluss: 13. Juni <strong>2008</strong><br />
15. — 30. September <strong>2008</strong><br />
Valencia (Spanien)<br />
Concours International de<br />
Piano „José Iturbi“<br />
Secretaria del Concurso<br />
International „José Iturbi“<br />
Diputación Provincial de Valencia<br />
(Servicio de Cultura)<br />
Plaza Manises 4<br />
46003 Valencia<br />
Spanien<br />
Tel.: 0034 / 96 / 388 27 74<br />
Fax: 0034 / 96 / 388 27 75<br />
E-Mail: pianoiturbi@dva.gva.es<br />
www.dival.es/pianoiturbi<br />
Altersbegrenzung: 31 Jahre<br />
Anmeldeschluss: 15. Juni <strong>2008</strong><br />
18. — 24. Oktober <strong>2008</strong><br />
Enschede (Niederlande)<br />
International Piano<br />
Competition for Young<br />
Musicians<br />
International Competition for<br />
Young Musicians<br />
Gronausestraat 142<br />
7533 BR Enschede<br />
The Netherlands<br />
Tel.: +31 (0)6 - 22401002<br />
Fax: +31 (0)53 - 43 44 54 0<br />
E-Mail: info@pianocompetition.com<br />
www.pianocompetition.com<br />
Alterbegrenzung:<br />
Kategorie 1: 10–16 Jahre<br />
Kategorie 2: 17–21 Jahre<br />
2. — 9. November <strong>2008</strong><br />
Tongyeon (Südkorea)<br />
Gyeongnam International<br />
Music Competition, Tongyeong<br />
The Secretariat of Gyeongnam<br />
International Music Competition<br />
Tongyeong<br />
International Music Festival<br />
Foundation / Seoul Office<br />
2nd fl. Seocho Shinwha Bldg.<br />
1451-19, Seocho 3 Dong<br />
Secho Gu, Seoul<br />
Korea (137-867)<br />
Tel.: +82 / 2 / 3474-8315/6/7<br />
Fax: +82 / 2 / 3474-8319<br />
E-Mail: competition@timf.org<br />
www.timf.org/competition<br />
Altersbegrenzung: 15–30 Jahre<br />
Anmeldeschluss: 16. August <strong>2008</strong><br />
23. — 29. November <strong>2008</strong><br />
Limoges (Frankreich)<br />
6. International Piano<br />
Competition Francis Poulenc<br />
Direction de la Culture<br />
Mairie de Brive<br />
B. P. 80433<br />
19312 Brive Cedex<br />
Frankreich<br />
Tel.: +33 / 5 / 55 18 18 63<br />
Fax: +33 / 5 / 55 18 18 31<br />
E-Mail: info@concours-poulenc.org<br />
www.concours-poulenc.org<br />
Altersbegrenzung: 35 Jahre<br />
Anmeldeschluss: 3. Novemer <strong>2008</strong><br />
24. — 29. November <strong>2008</strong><br />
Bialystok (Polen)<br />
The IV. International Piano<br />
Duo Competition<br />
The Fryderyk Chopin Academy of<br />
Music in Warsaw<br />
The Instrumental and Pedagogic<br />
Department in Bialstok<br />
ul. Kawaleryska 5<br />
15-324 Bialstok<br />
Poland<br />
Tel. & Fax: + 4885 / 74 28 508<br />
E-Mail: mbogusz@chopin.man.bialystok.pl<br />
www.pianoduo.pl<br />
Altersbegrenzung: gemeinsames<br />
Alter der beiden Pianisten unter 70<br />
Jahre<br />
Anmeldeschluss: 20. Juni <strong>2008</strong><br />
2009<br />
Januar 2009<br />
Zagreb (Kroatien)<br />
6. EPTA Piano Festival for<br />
Children<br />
Koncertna direkcija Zagreb<br />
Kneza Mislava 18<br />
HR - 10000 Zagreb<br />
Tel.: 00385 / 4501 / 203<br />
Fax: 00385 / 4501 / 807<br />
E-Mail: epta@kdz.hr<br />
www.kdz.hr<br />
23. Februar — 4. März 2009<br />
Weimar (Deutschland)<br />
2. Internationaler Franz Liszt<br />
Wettbewerb für Junge<br />
Pianisten<br />
Hochschule für Musik Franz Liszt<br />
Weimar<br />
Platz der Demokratie 2/3<br />
99423 Weimar<br />
Tel.: +49 / 3643 / 555 150<br />
Fax: +49 / 3643 / 555 170<br />
E-Mail:<br />
wettbewerb@hfm-weimar.de<br />
www.hfm-weimar.de/liszt<br />
Alterbegrenzung:<br />
Kategorie 1: 10–13 Jahre<br />
Kategorie 2: 14–16 Jahre<br />
Kategorie 3: 17–19 Jahre<br />
Anmeldeschluss: 20. Oktober <strong>2008</strong><br />
62 3 . 08
3 . 08<br />
4. — 8. März 2009<br />
Havana (Cuba)<br />
5. Ignazio Cervantes<br />
International Piano Contest<br />
and Festival<br />
Jorge Beritán<br />
Código Postal 10400<br />
Cuidad de la Habana<br />
Cuba<br />
Tel.: 0053 / 7 / 836 1358<br />
E-Mail: vrd@cubarte.cult.cu<br />
www.ignaziocervantes.icm.cu<br />
Anmeldeschluss: 1. November <strong>2008</strong><br />
8. — 16. März 2009<br />
Miami, Florida (USA)<br />
11th Dranoff International<br />
Two Piano Competition<br />
The Murray Dranoff International<br />
Two Piano Competition<br />
3550 Biscyne Blvd., Suite 702<br />
Miami, FL 33137<br />
USA<br />
Tel.: +1 / 305 / 572 99 00<br />
Fax: +1 / 305 / 572 99 22<br />
E-Mail: mail@dranoff2piano.org<br />
www.dranoff2piano.org<br />
Altersbegrenzung: 21–33 Jahre<br />
Anmeldeschluss: 15. Juli 2007<br />
W W<br />
ETTBEWERBE<br />
21. — 29. März 2009<br />
Epinal (Frankreich)<br />
22. Concours International de<br />
Piano d’Epinal<br />
Concours International de Piano<br />
d’Epinal<br />
B.P. 428<br />
88011 Epianl Cedex<br />
Frankreich<br />
Tel.: +33 / 3 / 29 82 53 32<br />
Fax: +33 / 3 / 29 82 88 22<br />
E-Mail: secretariat-cipe@tiscali.fr<br />
www.concours-international-pianoepinal.org<br />
Altersbegrenzung: 15–30 Jahre<br />
Anmeldeschluss: 15. Februar 2009<br />
11. — 25. April 2009<br />
Kiew (Ukraine)<br />
VIII. International Competition<br />
for Young Pianists in Memory<br />
of Vladimir Horowitz<br />
Direction of the International<br />
Competition for Young Pianists in<br />
Memory of Vladimir Horowitz<br />
Tolstogo 31<br />
Kiew 01032<br />
Ukraine<br />
Tel.: +38 / 044) 288 32 38<br />
Fax: +38 / 044) 288 32 68<br />
E-Mail: horowitz@horotwitzv.org<br />
www.horotwitzv.org<br />
Altersbegrenzung: 33 Jahre<br />
Anmeldeschluss: 10. Dezember <strong>2008</strong><br />
18. — 28. April 2009<br />
London (England)<br />
London International Piano<br />
Competition<br />
London International Piano<br />
Competition<br />
28 Wallace Road<br />
London, N1 2PG<br />
England<br />
Tel.: 0044 / 20 / 7354 1087<br />
E-Mail: lipc@lipc.org.uk<br />
www.lipc.org.uk<br />
Altersbegrenzung: 29 Jahre<br />
Anmeldeschluss: 10. Dezember <strong>2008</strong><br />
63
K<br />
Mai<br />
Pierre-Laurent Aimard<br />
4. Frankfurt a. M., Alte Oper<br />
Markus Becker<br />
10. Düsseldorf, Schloss Benrath<br />
Alfred Brendel<br />
1. Bad Kissingen, Regentenbau<br />
4. München, Herkulessaal<br />
6. Stuttgart, Liederhalle<br />
8. Freiburg, Konzerthaus<br />
13. Köln, Philharmonie<br />
Dezsö Ranki<br />
15. Düsseldorf - Schumannfest<br />
25. Dresden<br />
Dezsö Ranki & Edit Klukon<br />
17. Dresden, Glashütte<br />
Guzal Enikeeva<br />
10. Schlitz, Schloss Hallenberg<br />
30. Bonn<br />
Kirill Gerstein<br />
25.–27. Köln, Philharmonie<br />
Boris Giltburg<br />
5. Zürich, Tonhalle (CH)<br />
11. Schwetzingen, Schloss<br />
Klavierduo Grau-Schumacher<br />
1. Museumsinsel Hombroich<br />
7. Schwetzinger Festspiele<br />
23. Stuttgart<br />
25. Mannheim<br />
Menachem Har-Zahav<br />
2. Moers, Kammermusiksaal<br />
Martinsstift<br />
9. Witten, Haus Witten<br />
18. Bitburg, Haus Beda<br />
Sung-Hee Kim Wüst /<br />
Hans Werner Wüst<br />
4. Rheinbreitbach, Obere Burg<br />
Evgeni Koroliov<br />
3. Dachau, Schloss<br />
18. Dresden<br />
Ewa Kupiec<br />
19. Hamburg, Laeiszhalle<br />
Gesa Lücker<br />
10. Stadtoldendorf, Altes Rathaus<br />
Radu Lupu<br />
23. Dresden, Semperoper<br />
Nana Mamayeva & Lea Kim<br />
16. Hildesheim,<br />
Konzertsaal der Musikschule<br />
Albert Mamriev<br />
3. Lahr/Schwarzwald,<br />
Konzerthalle Altes Scheffel<br />
Joanna Michna<br />
3. Heidelberg<br />
Joseph Moog<br />
21. Koblenz, Rhein-Mosel-Halle<br />
Mikhail Mordvinov<br />
11. Gehrden, Im Rathaus<br />
Olli Mustonen<br />
30. Berlin, Konzerthaus<br />
Gerhard Oppitz<br />
13. Wuppertal, Historische Stadthalle<br />
Alle Angaben ohne Gewähr.<br />
K ONZERTE<br />
14. Leverkusen, Erholungshaus<br />
Murray Perahia<br />
27. München, Philharmonie<br />
30. Stuttgart, Liederhalle<br />
Mody Pervez<br />
6. Bad Teinach, Kursaal<br />
17. Darmstadt, Chopinges.<br />
31. Bad Ditzenbach,<br />
Vinzenz Klinik<br />
Maurizio Pollini<br />
6. Berlin, Philharmonie<br />
Deszö Ranki<br />
15. Düsseldorf<br />
Deszö Ranki & Edit Klukon<br />
17. Dresden, Glashütte<br />
Peter Rösel<br />
11. Dresden, Semperoper<br />
Ragna Schirmer<br />
7. Hildesheim, Theater<br />
Christine Schornsheim<br />
10. Wörlitz, Schloss<br />
30. Augsburg, Goldener Saal<br />
Henri Sigfridsson<br />
30. Hamburg, Bechstein-Center<br />
Martin Stadtfeld<br />
14 Dortmund, Konzerthaus<br />
Klaus Sticken<br />
11. Leipzig, Mendelssohn-Haus<br />
17. Bad Nenndorf, Pavillon<br />
18. Burgdorf, Schloss<br />
25. Oyten, Rathaus<br />
Nikolai Tokarew<br />
14. Braunschweig<br />
15. Essen, Philharmonie<br />
18. Schwetzingen<br />
Marc Toth & Artur Pacewicz<br />
31. Rysum/Emden,<br />
Rysumer Fuhrmannshof<br />
Vanessa Wagner<br />
10. Essen, Philharmonie<br />
Juni<br />
Arnulf von Arnim<br />
28. Bochum, Thürmer-Saal<br />
Markus Becker<br />
13. Frankfurt/Oder, Konzerthalle<br />
14. Potsdam, Nikolaisaal<br />
18. Mühlheim, Stadthalle<br />
Boris Berezowsky & Brigitte Engerer<br />
19. Raiding, Franz-Liszt-Zentrum (A)<br />
Andrea Bonatta<br />
18. Essen, Zeche Zollverein<br />
Rudolf Buchbinder<br />
18. Raiding, Franz-Liszt-Zentrum (A)<br />
Klavierduo Grau-Schumacher<br />
19. Bad Kissingen<br />
25. Nürnberg<br />
27. & 28. Mainz<br />
Menachem Har-Zahav<br />
1. Mosbach, Alte Mälzerei<br />
15. Cochem, Kapuzinerkloster<br />
Motoi Kawashima<br />
29. Oldenburg, Kulturzentrum PFL<br />
Amir Katz<br />
13. Berlin, Bechstein-Centrum<br />
Evgeny Kissin<br />
4. Berlin, Philharmonie<br />
Christiane Klonz<br />
23. Kiel, Petruskirche<br />
Evgeni Koroliov<br />
4. Berlin, Konzerthaus<br />
20. Leipzig, Gewandhaus<br />
Ewa Kupiec<br />
25. Bayreuth, Steingraeber-Haus<br />
26. Ludwigsburg<br />
Lang Lang<br />
17. Stuttgart, Schloss Ehrenhof<br />
Gesa Lücker<br />
1. Oldenburg, Kulturzentrum PFL<br />
Marian Migdal<br />
29. Bochum, Thürmer-Saal<br />
Cristina Ortiz<br />
17. Bochum, Thürmer-Saal<br />
Murray Perahia<br />
1. Wien (A)<br />
Mody Pervez<br />
8. Bretten, Rathaus<br />
20. Salzburg (A)<br />
Slawomir Saranok<br />
28. Rysum/Emden,<br />
Rysumer Fuhrmannshof<br />
Konstantin Scherbakov<br />
21. Raiding, Franz-Liszt-Zentrum (A)<br />
Ragna Schirmer<br />
1. Ludwigsburg<br />
8. Halle/Saale, Aula der Universität<br />
10. Krefeld, Seidenweberhaus<br />
11. Mönchengladbach, Theater<br />
12. Mönchengladbach,<br />
Kaiser-Friedrich-Halle<br />
13. Krefeld, Seidenweberhaus<br />
Martin Stadtfeld<br />
7. Essen, Philharmonie<br />
9. Düsseldorf<br />
13. Passau<br />
14. Schwarzenberg (A)<br />
Klaus Sticken<br />
1. Buchhoilz, Holmer Mühle<br />
4. Berlin, Hanns-Eisler-Hochschule<br />
6. Bremen, Radio Bremen<br />
22. Raesfeld, Schloss<br />
30. Erfurt, Rathaus<br />
Nikolai Tokarew<br />
13. Bernkastel<br />
14. Weilburg<br />
15. Bad Kissingen<br />
Marc Toth & Artur Pacewicz<br />
7. Lahr/Schwarzwald,<br />
Konzerthalle Altes Scheffel<br />
13. Hildesheim,<br />
Konzertsaal der Musikschule<br />
Katharina Treutler<br />
15. Gehrden, Im Rathaus<br />
Gottlieb Wallisch<br />
20. Raiding, Franz-Liszt-Zentrum (A)<br />
64 3 . 08
15. Mai, Philharmonie Essen,<br />
Nikolai Tokarev<br />
16. Mai, Harenberg City-Center<br />
Dortmund, Schubert-Lecture<br />
Robert Levin<br />
17. Mai, Lehmbruck Museum<br />
Duisburg<br />
Jürgen Hocker, Pierre Charial<br />
18. Mai, Harenberg City-Center<br />
Dortmund,<br />
Klavierduo Robert Levin/Ya-Fei<br />
Chuang<br />
19. Mai, Landschaftspark Duisburg-<br />
Nord, Richard Goode<br />
21. Mai, Mercatorhalle im<br />
CityPalais Duisburg, Yundi Li<br />
22. Mai, Haus Witten und Saalbau<br />
Witten, Stockhausen-Hommage mit<br />
Benjanim Kobler, Frank Gutschmidt,<br />
Bernhard Wambach u.a.<br />
23. Mai, Schloss Herten, Graham<br />
Johnson und Christopher Maltman<br />
24. Mai, Schloss Herten, Bernhard<br />
Berchtold und Irina Puryshinskaja<br />
25. Mai, Schloss Herten,<br />
Salome Kammer und Rudi Spring<br />
26. Mai, Alte Lohnhalle Zeche<br />
Holland, Wattenscheid, Mauricio<br />
Vallina<br />
27. Mai, Philharmonie Essen, Gidon<br />
Kremer, Oleg Maisenberg,<br />
Kremerata Baltica<br />
28. Mai, Landschaftspark Duisburg-<br />
Nord, Klavierduo Labèque und<br />
Mayte Martin<br />
29. Mai, Kulturzentrum August<br />
Everding Bottrop, Andreas Staier<br />
30. Mai, Robert-Schumann-Saal<br />
Düsseldorf, Pierre-Laurent Aimard<br />
31. Mai, Robert-Schumann-Saal<br />
Düsseldorf, Pierre-Laurent Aimard<br />
und Studierende der<br />
Musikhochschule Köln<br />
1. Juni, Ev. Gesamtschule<br />
Gelsenkirchen-Bismarck, Stefan<br />
Kiefer, Bochumer Symphoniker,<br />
Steven Sloane<br />
2. Juni, Landschaftspark Duisburg-<br />
Nord, Andreas Staier, Christoph<br />
Prégardien<br />
3 . 08<br />
K ONZERTE<br />
Klavier-Festival Ruhr <strong>2008</strong><br />
3. Juni, Konzerthaus Dortmund,<br />
Pavel Gililov, Oleg Polianski, Mate<br />
Bekavac, Andrej Bielow, Nicolas<br />
Altstaedt<br />
4. Juni, Philharmonie Essen,<br />
Radu Lupu<br />
5. Juni, Kulturzentrum August<br />
Everding Bottrop, Yuja Wang<br />
6. Juni, Robert-Schumann-Saal<br />
Düsseldorf, Boris Bloch<br />
8. Juni, Gebläsehalle Henrichshütte<br />
Hattingen, Monty Alexander Trio<br />
9. Juni, Tonhalle Düsseldorf,<br />
Martin Stadtfeld<br />
11. Juni, Musiktheater<br />
Gelsenkirchen, Louis Lortie,<br />
Kremerata Baltica<br />
12. Juni, Stadthalle Mülheim,<br />
Yaara Tal & Andreas Groethuysen<br />
13. Juni, Konzerthaus Dortmund,<br />
Frank Chastenier, Bill Dobbins,<br />
WDR Big Band Köln<br />
14. Juni, Kunst aus<br />
Ausstellungshalle der BRD Bonn,<br />
Marc-André Hamelin<br />
15. Juni, Philharmonie Essen,<br />
„Ausgezeichnete Kinder“<br />
17. Juni, Philharmonie Essen,<br />
Gabriela Montero<br />
18. Juni, Stadthalle Mülheim,<br />
Markus Becker<br />
19. Juni, Landschaftspark Duisburg-<br />
Nord, Elena Bashkirova, Michael<br />
Barenboim, Timothy Park<br />
20. Juni, Mercatorhalle im<br />
CityPalais Duisburg,<br />
Krystian Zimerman<br />
21. Juni, Jahrhunderthalle Bochum,<br />
ExtraSchicht mit Studierenden der<br />
Klavierklassen der NRW-<br />
Musikhochschulen<br />
22. Juni, PACT-Zollverein Essen,<br />
Tamara Stefanovich<br />
23. Juni, Mercatorhalle im<br />
CityPalais Duisburg,<br />
Maurizio Pollini<br />
24. Juni, Philharmonie Essen, Alban<br />
Berg Quartett, Elisabeth Leonskaja,<br />
Heinrich Schiff, Alois Posch<br />
27. Juni, Martinstift Moers,<br />
Saleem Abboud Ashkar<br />
28. Juni, Jahrhunderthalle Bochum,<br />
Jazzfest Paul Kuhn<br />
29. Juni, Zeche Nordstern<br />
Gelsenkirchen, Siegfried Mauser,<br />
Thomas Bauer, Gottfried Schneider,<br />
Sebastian Hess<br />
30. Juni, Schloss Hohenlimburg,<br />
Mona Asuka Ott<br />
1. Juli, Stadthalle Mülheim,<br />
Nelson Freire<br />
2. Juli, Philharmonie Essen,<br />
András Schiff<br />
1.-3. Juli, Museum Folkwang Essen,<br />
Meisterkurs mit Alexei Lubimov<br />
3. Juli, Haus Fuhr Essen,<br />
Alexei Lubimov, Sergej Kasprov<br />
4. Juli, Haus Fuhr,<br />
Alexei Lubimov, Alexej Zouev<br />
4. Juli, Museum Folkwang Essen,<br />
Abschlusskonzert Meisterkurs Alexei<br />
Lubimov<br />
5. Juli, Philharmonie Essen,<br />
Leon Fleisher, Katherine Jacobson-<br />
Fleisher<br />
7. Juli, Philharmonie Essen, Maki<br />
Namekawa, Dennis Russel Davies<br />
8. Juli, Konzerthaus Dortmund,<br />
Martha Argerich und Mischa<br />
Maisky<br />
9. Juli, Kulturzentrum August<br />
Everding Bottrop, Ran Jia<br />
10. Juli, Philharmonie Essen, Lang<br />
Lang, Tan Dun, Yuan Li, WDR<br />
Sinfonieorchester Köln<br />
11. Juli, Philharmonie Essen, Lang<br />
Lang, Tan Dun, Yuan Li, WDR<br />
Sinfonieorchester Köln<br />
K<br />
Bereits zum 20. Mal wird das Klavier-Festival Ruhr vom 15. Mai bis zum 26. Juli veranstaltet, um mit 77 Konzerten und 99 Pianisten<br />
ein zeichen für das Klavier zu setzen. Zahlreiche große Namen sind längst bekannt, aber hier hat man wieder einmal innerhalb<br />
eines kurzen Zeitraumes die Ggelegenheit, alle großen Stars der Klavierszene zu erleben, sei es Lang Lang, Daniel Barenboim, Alfred<br />
Brendel, Martha Argerich, Radu Lupu, Nelson Freire, András Schiff oder Krystian Zimerman. Und natürlich ist auch wieder die<br />
junge Garde der Pianisten, schon bekannt und auf dem Weg zu Weltruhm, oder aber noch unbekannt, aber durchaus spannend, mit<br />
von der Partie. Dass daneben auch Kammermusik<strong>ensemble</strong>s wie das Alban Berg Quartett Konzerte (mit-)bestreiten, dass auch die<br />
Jazz-Fans mit Künstlern wie Chick Corea, Paul Kuhn, Anke Helfrich und Hubert Nuss auf ihre Kosten kommen, rundet das Bild eines<br />
großartigen Festivals für das Klavier ab. Untenstehend finden Sie die Termine aufgelistet, so dass Sie nichts verpassen müssen.<br />
Allerdings sei geraten, sich mit den Kartenbestellungen zu beeilen, da sich jetzt schon abzeichnet, dass einige der Konzerte schnell<br />
ausverkauft sein werden.<br />
12. Juli, Philharmonie Essen,<br />
Margaret Leng Tan, Ran Jia, Yuan<br />
Li, Instrumental<strong>ensemble</strong><br />
13. Juli, Konzerthaus Dortmund,<br />
Grigory Sokolov<br />
14. Juli, Ruhrfestspielhaus<br />
Recklinghausen, Leon Fleisher,<br />
Katherine Jacobson-Fleisher,<br />
Stuttgarter Kammerorchester<br />
15. Juli, Stadthalle Mülheim,<br />
Rudolf Buchbinder<br />
18. Juli, Robert-Schumann-Saal<br />
Düsseldorf, Preisträger des<br />
Beethoven Competition 2007<br />
19. Juli, Grugahalle Essen, „Return<br />
to Forever“ mit Chick Corea, Al Di<br />
Meola, Stanley Clarke, Lenny White<br />
19. Juli, Robert-Schumann-Saal<br />
Düsseldorf, Miroslav Kultyshev,<br />
Hibiki Tamura<br />
20. Juli, Harenberg City-Center<br />
Dortmund, Preisträger des Arthur<br />
Rubinstein Klavierwettbewerbs,<br />
Hisako Kawamura<br />
21. Juli, Ruhrfestspielhaus<br />
Recklinghausen, Christoph<br />
Eschenbach, Tzimon Barto<br />
22. Juli, Philharmonie Essen,<br />
Alfred Brendel<br />
23. Juli, Martinstift Moers,<br />
Steffen Schleiermacher<br />
24. Juli, Philharmonie Essen, Lang<br />
Lang, Daniel Barenboim, Torsten<br />
Schönfeld, Dominic Oelze<br />
25. Juli, Philharmonie Essen, Lang<br />
Lang, Daniel Barenboim, Torsten<br />
Schönfeld, Dominic Oelze<br />
26. Juli, Jahrhunderthalle Bochum,<br />
„Till Brönner and his Piano Friends“<br />
Karten und Informationen<br />
NRW-Ticket-Hotline<br />
Tel.: +49 / (0) 180 / 500 18 12<br />
Fax: +49 / (0) 228 / 910 41 11<br />
Platzgenaue Buchungen können auch unter<br />
www.klavierfesitval.de<br />
gebucht werden.<br />
65
B B ERICHTE<br />
Unterstützung für Hochbegabte<br />
Yamaha-Stipendien-Wettbewerb 2OO8 für Klavier<br />
Olaf Krüger (Institutional Marketing and Artist Relations Piano von Yamaha)<br />
führte mit Charme durch den Stipendienwettbewerb.<br />
Foto: Dürer<br />
Die seit einigen Jahren vollkommen<br />
renovierte Hochschule für<br />
Musik „Hanns Eisler“ liegt im Herzen<br />
von Berlin, in der sogenannten<br />
„Neuen Mitte“, gleich gegenüber<br />
dem Konzerthaus – heute in bester<br />
und teuerster Lage. Die Vorgaben,<br />
die dieses Gebäude einem Wettbewerb<br />
bietet, sind hervorragend, vor<br />
allem an einem ruhigen Wochenende<br />
wie an diesem 2. Februar<br />
<strong>2008</strong>, einem Samstag. Nicht zu viele<br />
Studenten scheinen sich dem Üben<br />
am Wochenende verschrieben zu<br />
haben, es ist still im Gebäude. Zudem<br />
bietet der Studio-Saal beste<br />
Akustik für den von Yamaha mitgebrachten<br />
CF III S Konzertflügel.<br />
Denn der Steinway und der alte Yamaha-Konzertflügel,<br />
die in diesem<br />
Saal zur Verfügung stehen, sind in<br />
die Ecke verbannt an diesem Tag.<br />
Zu Recht, wie man schnell feststellen<br />
kann, denn der CF III S klingt hervorragend,<br />
offen, ausgeglichen und<br />
brillant. Ein wunderbares und wunderbar<br />
präpariertes Instrument, das<br />
den Studenten beste Voraussetzungen<br />
liefert.<br />
Statuten<br />
In den Statuten für diesen Wettbe-<br />
werb sind einige Richtlinien vorgegeben,<br />
die erst einmal von den Bewerbern<br />
durchlaufen werden müssen,<br />
um zu diesem Wettbewerb zugelassen<br />
zu werden. Als Erstes sind<br />
nur Studenten zugelassen, die an<br />
den deutschen Hochschulen studieren.<br />
Nun, da es dieses Programm<br />
aber nahezu in allen Ländern Europas<br />
parallel gibt, besteht kaum eine<br />
Einschränkung für irgendeinen Studenten.<br />
Dann müssen sich die Studenten<br />
mit einer Audio-Aufnahme<br />
bewerben, die dann im Vorfeld von<br />
einer Jury vorausgewählt wird. In<br />
Deutschland waren es in diesem<br />
Jahr 45 Bewerbungen, die bei der<br />
Yamaha-Stiftung eingingen. Dann<br />
wurde gehört, wurden die Biografien<br />
angesehen. Nach dieser Vorauswahl<br />
waren 10 Bewerber verblieben.<br />
Diese mussten sich nun für das<br />
Finale vorbereiten, das in Berlin<br />
angesetzt war. Doch die Repertoirevorgaben<br />
sind harmlos. So muss<br />
man mindestens einen Satz aus einer<br />
klassischen Sonate spielen, sowie<br />
mindestens ein weiteres Stück<br />
nach freier Wahl. Die Vorspielzeit<br />
sollte 30 Minuten nicht überschreiten.<br />
Keine hohen Anforderungen an<br />
Klavierstudenten von heute, die sich<br />
beständig mit solchen Programmen<br />
Alle drei Jahre wird der seit 1990 durchgeführteYamaha-Stipendien-Wettbewerb<br />
im Fach Klavier ausgetragen. Und<br />
das nicht nur in Deutschland, sondern<br />
in zahlreichen europäischen Ländern.<br />
Was das Ziel dieses Wettbewerbs ist?<br />
Nun, bereits im Jahre 1966 wurde die<br />
Yamaha Music Foundation ins Leben<br />
gerufen, im Jahre 1989 kam dann der<br />
europäische Ableger hinzu, die Yamaha<br />
Music Foundation of Europe, die ihren<br />
Sitz in England hat. Seither werden<br />
Stipendien an hochbegabte Studenten<br />
vergeben, in unterschiedlichen Fächern,<br />
alle drei Jahre also für Klavierstudenten.<br />
Doch man muss mehr können, als<br />
sich nur bewerben, man muss einen<br />
Wettbewerb bestehen. In diesem Jahr<br />
fand die Endausscheidung an der Hanns<br />
Eisler Hochschule für Musik in Berlin<br />
statt. Wir lauschten den 10 ausgewählten<br />
Teilnehmern bei ihrem Vorspiel.<br />
beschäftigen. Allerdings gibt es auch<br />
eine Altersbegrenzung, die bei 24<br />
Jahren liegt. Kein Wunder, sollen<br />
doch die ausgelobten Stipendien<br />
den Studenten für das weitere Studium<br />
helfen und nicht am Ende des<br />
Studiums für eine Art von Lebensunterhalt<br />
sorgen.<br />
Niveau <strong>2008</strong><br />
Anscheinend hat sich die Stipendienausschreibung<br />
der Yamaha-<br />
Stiftung herumgesprochen. Denn im<br />
Vergleich zu dem Niveau vor drei<br />
Jahren an der Musikhochschule<br />
Dresden wurde man schnell gewahr,<br />
wie hoch das Niveau in diesem<br />
Jahr in Berlin sein würde. Die<br />
Studenten haben mittlerweile erkannt,<br />
wie interessant dieser kleine<br />
Stipendien-Wettbewerb ist, entweder<br />
wirklich zur finanziellen Unterstützung,<br />
aber in jedem Fall auch<br />
zur Vorbereitung auf einen Wettbewerb<br />
internationaler Prägung. Drei<br />
Stipendien waren ausgelobt.<br />
Schon zu Beginn legte die 22-jährige<br />
Beatrice Berrut aus der Klasse von<br />
Galina Iwanzowa an der Hochschule<br />
für Musik „Hanns Eisler“ die<br />
Latte hoch. Sie konnte gerade mit<br />
der „Englischen Suite“ Nr. 6 von<br />
66 3 . 08
3 . 08<br />
B ERICHTE<br />
Bach überzeugen, wenn ihr dies auch nicht mit Op.<br />
109 von Beethoven gelang, oder mit der Chopin’schen<br />
Sonate b-Moll. Der von ihr erzeugte Klang war etwas<br />
zu matt und klein, ihr Beethoven zu atemlos und<br />
gehetzt. Und dennoch, die Latte war hoch angelegt.<br />
Das ließ auch Tatiana Chernichka (23 Jahre) aus der<br />
Klasse von Elisso Wirssaladze aus München scheitern.<br />
Denn ihre Darstellung des 1. Satzes aus Schuberts<br />
Sonate A-Dur D 959 war uneinheitlich, mit nur wenig<br />
gesanglichen Elementen und harten wie unausgewogenen<br />
Akzenten. Eigenwillig und sehr persönlich zeigte<br />
sich dann auch Lydia Gorstein aus der Klasse von<br />
Michael Endres aus Berlin. Die 24-Jährige spielte die<br />
Sonate Op. 110 von Beethoven mit viel Emotionen,<br />
mit kaum gezügelter Energie. Dass ihr Melodieklang<br />
dabei manches Mal nur noch hart und gnadenlos<br />
klang, war dann das Ergebnis. Der Hörer fand kaum<br />
einen Moment der Entspannung in ihrem Spiel, keine<br />
Ruhephase, litt mit ihr durch die gesamte Sonate.<br />
Auch wenn der Drang, den sie darstellen konnte,<br />
durchaus angebracht war, war sie weit von einer ausgewogenen<br />
Interpretation entfernt. Ihr „Une barque<br />
sur l’Ocean“ aus Ravels „Miroirs“ war dagegen weitaus<br />
ausgewogener.<br />
Der 18-jährige Paraskevas Tsenikoglou (aus der Hochschule<br />
in München) hatte ein wenig Pech. Kurz vor<br />
dem Auftritt schnitt er sich in den Daumen, trat aber<br />
dennoch an. Und welch ein Talent zeigte er: Beethovens<br />
1. Satz aus der Sonate Op. 2 Nr. 2 zeigte in seiner<br />
Darstellung, dass hier bereits ein sehr persönlicher<br />
Geist heranwächst, einer, der zu gestalten versteht,<br />
der auch in Chopins Préludes Op. 28 (Nrn. 13–24) zu<br />
gestalten wusste, aber hier kaum aus der Spannung<br />
der melancholischen Sehnsuchtsfurcht herausfand.<br />
Die Japanerin Nao Yuki (24 Jahre), auch aus der<br />
Klasse von Michael Endres, spielte den 1. Satz aus Op.<br />
111 von Beethoven und Brahms’ Fantasien Op. 116.<br />
Famos konnte sie ihre Aufgaben bewältigen, hatte<br />
aber das Haltepedal zu oft im Visier, um einen durchsichtigen<br />
Klang zu erzeugen. Und Brahms? Nun, hier<br />
wie bei Beethoven mangelte es an dem Überblick für<br />
die Struktur und die Dramatik. Dennoch war ihr<br />
Brahms mitreißend – jede hier geäußerte Kritik muss<br />
aus der Sicht eines hohen Niveaus verstanden sein.<br />
Dann war die 22-jährige Friederike Wild (Klasse Marchand<br />
in Stuttgart) an der Reihe, konnte aber nur wenig<br />
überzeugen mit dem 1. Satz der Sonate Op. 57 von<br />
Beethoven. Doch ihre Darstellung von de Fallas „Fantasia<br />
baetica“ war berauschend und selbstsicher, mit<br />
großem Klang gespielt.<br />
Der seit neun Jahren in Deutschland lebende Taiwanese<br />
Wie Chen (22 Jahre, Klasse Berzon in Freiburg)<br />
war der Nächste und sorgte für einige unglaublich<br />
gekonnte Darstellungen. Als Erstes spielte er Wagner-<br />
Liszts „Isoldens Liebestod“ mit einem großen, orchestralen<br />
Klang. Doch besonders war seine immense<br />
natürliche Technik zu beobachten, die es ihm ermöglichte,<br />
diesen Klang ohne Ermüdung zu erzeugen. Der<br />
1. Satz aus Mozarts Sonate KV 311 gelang ihm weniger,<br />
anscheinend war dies nicht sein bevorzugtes Repertoire,<br />
das spürte man, vor allem in Hinblick auf<br />
das, was dann von ihm gezeigt wurde. In Ravels „Alborada<br />
del Gracioso“ fand er zu einem schier prickelnden<br />
Klang, der nur in den schnellen Pianissimo-<br />
Passagen ein wenig haperte, womit er sich allerdings<br />
in bester Gesellschaft auch großer Namen befand.<br />
Seine Deutung des 24. Präludium und Fuge d-Moll aus
B B ERICHTE<br />
Die Jury in Berlin: Beatrice Berthold (sitzend) und die Herren (v.l.n.r.): Stan Zielinski,<br />
Michael Leuschner, Anthony Spiri und Volker Banfield.<br />
Foto: Dürer<br />
dem Zyklus von Dmitri Schostakowitsch<br />
war gewaltig: brillant mit<br />
Ernsthaftigkeit und Ruhe vorgetragen,<br />
mit großen Klangbergen und<br />
einer dramatischen Vehemenz, wie<br />
man dies nur selten hört, wobei die<br />
trüb-melancholische Stimmung<br />
nicht vergessen wurde.<br />
Und dann die letzten drei Kandidaten,<br />
die alle drei ihre Vorzüge hatten.<br />
Als erster Mateusz Moleda (21<br />
Jahre, Klasse Arie Vardi in Hannover).<br />
Feinsinnig spielte er Mozarts<br />
Sonate KV 330 (1. und 2. Satz), mit<br />
so viel Witz und Leichtigkeit. Nur<br />
ein wenig mehr Zeit hätte er sich<br />
stellenweise lassen können, um der<br />
Musik zu ermöglichen, ihre interne<br />
Aussagekraft zu entfalten. Schumanns<br />
„Kinderszenen“ hatten ihre<br />
Tücken für Moleda: So fand er zwar<br />
die ernsten Aussagen, konnte die<br />
Charaktere fassen, doch fand er<br />
nicht zurück zu den erlösenden Momenten<br />
anderer Stücke. Dennoch ist<br />
er ein großartiges Talent.<br />
Lilit Grigoryan (22 Jahre aus der<br />
Klasse Matthias Kirschnereit in<br />
Rostock) hatte nur zu Beginn mit<br />
Mozarts Sonate KV 576 (1. Satz)<br />
Probleme: Ruhelos, hektisch und<br />
wenig austariert präsentierte sie<br />
ihren Mozart. Doch danach fackelte<br />
sie ein pianistisches Feuerwerk ab:<br />
Symanowskis „Variations b-Moll<br />
Op. 3“ fand unter ihren Händen zu<br />
einer passionierten, präzisen und<br />
funkelnden Darbietung. Und<br />
Ginasteras Sonate Nr. 1 gelang ihr<br />
derartig locker in der rhythmischen<br />
Präzision mit Feuer und emotionalen<br />
Phrasierungen, dass die Jury<br />
applaudieren musste. Eine grandiose<br />
Vorstellung.<br />
Als Letzter dann Oskar Jezior, der<br />
22-jährige aus der Klasse von Matti<br />
Raekallio in Hannover. Er ist ein unglaubliches<br />
Talent, das konnte man<br />
schon an vielen anderen Orten erleben.<br />
Allein: Sein Verständnis und<br />
sein Geschmack für Standardwerke<br />
sind eigenwillig, zu eigenwillig. So<br />
war der 1. Satz von Beethovens Sonate<br />
Op. 106 ab dem ersten Akkord<br />
eine brutale, gnadenlose Darstellung,<br />
eine, die technische Brillanz<br />
zeigte, aber die Musik selbst<br />
beugte. Dasselbe galt für Liszts Variationen<br />
auf Bachs „Weinen, Klagen,<br />
Sorgen, Zagen“. Auch hier war<br />
ein recht unstrukturiertes und ohne<br />
inneren Zusammenhalt gezeigtes<br />
Spiel der vorherrschende Eindruck.<br />
Als er aber dann seine eigene Bearbeitung<br />
auf Bachs Choralvorspiel zu<br />
„Das alte Jahr vergangen ist“ BWV<br />
614 spielte, fand er zu einem faszinierenden<br />
Spiel, verliebt in Stimmtransparenz,<br />
mit vollkommen sensibler<br />
gestaltetem Klang, als er dies<br />
bis dahin gezeigt hatte.<br />
Man durfte gespannt sein, wie die<br />
Jury entscheiden würde.<br />
Die Entscheidungen<br />
Ob man nun tatsächlich gut daran<br />
tut, Hochschulprofessoren für solch<br />
einen Wettbewerb in die Jury zu<br />
holen, mag bezweifelt werden. Zu<br />
viele Animositäten herrschen unter<br />
den Professoren, zu viele haben<br />
selbst Studenten angemeldet, die<br />
vielleicht nicht einmal durch die<br />
Vorauswahl gekommen sind ... Dennoch<br />
war die Jury hochkarätig: Beatrice<br />
Berthold von der Hochschule in<br />
Hannover, Volker Banfield aus<br />
Hamburg, Anthony Spiri aus Köln,<br />
Michael Leuschner aus Freiburg.<br />
Und eigentlich sollte auch Michael<br />
Endres von der gastgebenden<br />
Hochschule an der Jury teilnehmen,<br />
erkrankte aber kurzfristig. Doch<br />
wollte man die ungerade Anzahl an<br />
Juroren beibehalten und ersetzte<br />
Endres durch den Künstler-Direktor<br />
von Yamaha, Stan Zielinski, aus<br />
Paris.<br />
Die Stipendiaten (v.l.n.r.): Lilit Grigoryan, Lydia Gorstein, Nao Yuki und Wei Chen.<br />
Foto: Dürer<br />
68 3 . 08
Urtext · Bindung · Druckverfahren · Kommentare · Layout · Papier<br />
Drei Stipendien sollten ausgelobt<br />
werden, man durfte aber auch Stipendien<br />
teilen, so die Vorgaben für<br />
die Jury. Da es keine Platzierungsvorgabe<br />
gab, sollte die Entscheidung<br />
nicht allzu schwerfallen –<br />
dachte man. Dennoch ließ sich die<br />
Jury ein wenig mehr Zeit als gedacht.<br />
Und das Ergebnis war ebenso<br />
erstaunlich, wie dies immer in Wettbewerben<br />
solcher Art ist: Lydia Gorstein,<br />
Nao Yuki und Lilit Grigoryan<br />
erhielten ein Stipendium in Höhe<br />
von je 2000,- englischen Pfund. Alle<br />
Teilnehmer erhielten allerdings<br />
auch einige Sachgeschenke. Und<br />
dann hatte die Klavierabteilung von<br />
Yamaha Europe auch noch ein<br />
Sonderstipendium von 500,- Euro<br />
ausgelobt: Dieses erhielt Wei Chen<br />
für seine Darstellung von „Isoldens<br />
Liebestod“.<br />
Fazit<br />
Yamaha geht seit vielen Jahren einen<br />
guten, einen richtigen Weg.<br />
Man will die Jugend, den hochtalentierten<br />
nachwuchs in den Ländern,<br />
an denen man als Unternehmen<br />
partizipiert, unterstützen. Das<br />
ist genau der richtige Ansatz. Nun<br />
} Edition nach streng wissenschaftlicher Methode<br />
} Berücksichtigung aller verfügbaren Quellen<br />
} optimale Einrichtung für die Praxis<br />
(Fingersätze, Strichbezeichnung etc.)<br />
B ERICHTE<br />
kann man jedem Unternehmen, das<br />
diese Art der Förderung vornimmt,<br />
unternehmerische Hintergedanken<br />
vorwerfen. Aber das war zu allen<br />
Zeiten in allen Branchen so. Und es<br />
ist absolut legitim, wenn das Engagement<br />
solche Vorspiele und Ausscheidungen<br />
wie die in Berlin zur<br />
Folge hat. Zum einen hilft man den<br />
Studenten, sich weiterzubilden. Zum<br />
anderen gibt man den Studenten<br />
die Chance, vor einem Publikum zu<br />
spielen. Denn die Vorspiele der Aus-<br />
scheidungen sind öffentlich. Dass<br />
über Tag in Berlin kaum Publikum<br />
anwesend war, ist schade. Aber am<br />
Abend, bei dem Abschlusskonzert<br />
der Stipendiaten war der Studio-<br />
Saal fast bis auf den letzten Platz<br />
gefüllt. Diese Art der Unterstützung<br />
sollte für viele andere Unternehmen,<br />
die letztendlich von den hochtalentierten<br />
Musikern leben, Vorbild<br />
sein.<br />
Carsten Dürer<br />
Music – Our Passion.<br />
B
L<br />
L EGENDEN<br />
Phänomenaler Pianist<br />
und Erfinder Erfinder<br />
JOSEF<br />
HOFMANN<br />
Das Wunder Hofmann<br />
Josef Hofmanns Weg zum Ruhm beginnt nicht erst<br />
im Erwachsenenalter, sondern schon in der Kindheit.<br />
Er war ein Wunderkind, wie es nur wenige<br />
gab. Das Talent des Jungen machte sich schon<br />
beim Dreijährigen bemerkbar, worauf er zunächst<br />
von seiner Schwester, dann von seiner Tante und<br />
anschließend von seinem Vater, einem Dirigenten<br />
und Musiker, im Klavierspiel unterrichtet wurde.<br />
Mit sechs legte er seinen ersten öffentlichen Auftritt<br />
im Rahmen eines Benefizkonzerts hin, und mit<br />
neun stürmte er durch Beethovens 1. Klavierkonzert,<br />
dass das Publikum ganz außer sich geriet. Anton<br />
Rubinstein, der den Knaben in Warschau gehört<br />
hatte, nannte ihn ein „musikalisches Phänomen“<br />
und stellte den Kontakt zum deutschen<br />
Impresario Hermann Wolff her, der Vater Casimir<br />
davon überzeugte, dass es an der Zeit sei, die Laufbahn<br />
des Jungen in professionelle Bahnen zu len-<br />
Die Epoche zwischen 1870 und<br />
1920 hat so viele Klaviergenies<br />
hervorgebracht, dass sie zu Recht<br />
das „goldene Zeitalter des Klaviers“<br />
genannt wird. Auch der am<br />
26. Januar 1876 im polnischen<br />
Podgorze (bei Krakau) geborene<br />
Josef Hofmann war ein solches<br />
Klaviergenie und vielleicht sogar<br />
das größte von allen. Hofmann<br />
hatte schon als klavierspielendes<br />
Wunderkind für Furore gesorgt,<br />
und er verstand es, sein pianistisches<br />
Handwerk im Laufe der Zeit<br />
derart zu perfektionieren, dass<br />
ihn sogar seine nicht weniger berühmten<br />
Kollegen, darunter Klaviertitan<br />
Rachmaninow, als Ausnahmeerscheinung<br />
ansahen. Das<br />
war Hofmann auch hinsichtlich<br />
seines für die Zeit relativ nüchternen<br />
Interpretationsstils, der ihn<br />
als frühen Repräsentanten des<br />
modernen Klavierspiels ausweist.<br />
Dass Hofmann indessen nicht nur<br />
Pianist, sondern auch Komponist<br />
und überdies ein veritabler Erfindergeist<br />
war, macht ihn zu<br />
einer der faszinierendsten Persönlichkeiten<br />
am Übergang vom 19.<br />
ins 20. Jahrhundert.<br />
Von: Robert Nemecek<br />
ken. Anfang 1887 unternahmen Vater und Sohn<br />
die erste Europa-Tournee, und am 29. November<br />
1887 erfolgte Hofmanns triumphales Debüt an der<br />
Metropolitan Opera, das ein amerikanischer Kritiker<br />
wie folgt kommentierte: „Männer riefen Bravo!<br />
und Frauen winkten mit ihren Taschentüchern. Pianisten<br />
von Rang waren zu Tränen gerührt. Einige<br />
wischten die Feuchtigkeit von ihren Augen weg. Das<br />
Kind setzte die Versammlung in Erstaunen. Es war ein<br />
Wunder.“<br />
Es folgten 52 weitere Konzerte in Brooklyn, Boston,<br />
Philadelphia, Baltimore und wieder New<br />
York, bis die Gesellschaft zur Verhütung von Grausamkeiten<br />
an Kindern einschritt, um mit Hinweis<br />
auf die Überlastung des Kindes den Abbruch der<br />
Tournee zu fordern. Kurz darauf machte der millionenschwere<br />
Philantrop Alfred C. Clark Vater<br />
Casimir das Angebot, ihm 50.000 Dollar – damals<br />
noch wesentlich mehr als heute – zu geben, wenn<br />
70 3 . 08
3 . 08<br />
er seinen Sohn bis zum 18. Lebensjahr nicht mehr<br />
öffentlich auftreten lasse. Hofmann senior nahm<br />
das Angebot an und schickte seinen hochbegabten<br />
Sohn nach Berlin zu Moritz Moszkowski in die<br />
Lehre, der zur Jahrhundertwende ein angesehener<br />
Komponist und Klavierpädagoge war. Bei Heinrich<br />
Urban erhielt Hofmann Unterricht in Theorie<br />
und Komposition. Als er sechzehn war, übernahm<br />
ihn Anton Rubinstein als seinen einzigen Schüler.<br />
Rubinstein war in den 80er und 90er Jahren des<br />
19. Jahrhunderts für viele der größte Pianist nach<br />
Liszt. Seine Kraft, seine Vitalität und die Klangfülle<br />
seines Spiels waren ohne Vergleich und brachten<br />
ihm Titulierungen wie „Herkules des Klaviers“<br />
oder „Jupiter Tonans“ ein. Beim Unterricht, der in<br />
Rubinsteins Dresdener Wohnung stattfand, ging<br />
es in erster Linie um Fragen der Interpretation.<br />
Rubinstein hat Hofmann nie vorgespielt, sondern<br />
nur die zur Rede stehende Musik analysiert, erläutert<br />
und ihren Geist und Charakter beleuchtet. Auf<br />
Fragen zur Technik pflegte er Antworten wie die<br />
folgende zu geben: „Spiel es mit der Nase. Aber lass<br />
es gut klingen.“ Die endgültige Interpretation war<br />
Sache des Schülers. Hofmann empfand diese Unterrichtsmethode<br />
als goldrichtig.<br />
Am 14. März 1894 gab Hofmann, der mittlerweile<br />
das 18. Lebensjahr erreicht hatte, in Hamburg<br />
sein Debüt als erwachsener Pianist. Er hatte<br />
dafür Rubinsteins d-Moll-Konzert aufs Programm<br />
gesetzt, und der Komponist dirigierte. Direkt<br />
danach erklärte Rubinstein den Unterricht für<br />
beendet. Er hatte seinem Schüler alles beigebracht,<br />
was er ihm nur beibringen konnte. Ein halbes<br />
Jahr später, am 19. November desselben Jahres,<br />
starb Rubinstein plötzlich und unerwartet an<br />
Herzversagen. „Die Welt schien mir plötzlich völlig<br />
leer und ohne Interesse“, schrieb Hofmann später. Er<br />
hatte seinen Lehrer und Mentor verloren und musste<br />
sich nun ohne dessen Hilfe durchschlagen.<br />
Triumphe in Europa und<br />
schwerer Anfang in Amerika<br />
Noch im Herbst 1894 machte sich Hofmann zu seiner<br />
ersten Europatournee auf, die in England begann<br />
und in Russland endete. Dort feierte er auch<br />
die größten Erfolge. In Petersburg waren alle 19<br />
Konzerte, die er in einer Saison gab, bis auf den<br />
letzten Platz ausverkauft, und das Publikum lag<br />
dem Erben Anton Rubinsteins zu Füßen. Es war<br />
nicht zuletzt dieses Erfolgserlebnis, das Hofmann<br />
in der Überzeugung bestärkte, den richtigen Weg<br />
eingeschlagen zu haben. In Amerika, das er seit<br />
1898 jährlich aufsuchte, hatte er es erheblich<br />
schwerer, wieder Fuß zu fassen. Das Wunder Hofmann<br />
lag weit zurück, und für das verwöhnte<br />
Publikum war er nichts weiter als ein junger Pianist<br />
unter vielen. Aber Hofmann ließ sich nicht<br />
entmutigen und arbeitete unermüdlich weiter.<br />
1903 wurde er von der „Gramophone and Typewriter<br />
Company“ eingeladen, einige Aufnahmen<br />
zu machen. Danach wuchs sein Ruhm kontinuierlich.<br />
Nach einem Konzert in der Carnegie Hall am<br />
26. Oktober 1907 gelangte ein Kritiker zu der<br />
Überzeugung, dass er „einen der größten lebenden<br />
Pianisten“ gehört hatte.<br />
In den darauffolgenden Jahren wurden die Besprechungen<br />
sogar noch enthusiastischer, und<br />
L EGENDEN<br />
endlich begann auch das amerikanische<br />
Publikum ihn zu lieben.<br />
Bei diesem Popularitätsschub<br />
spielten freilich auch<br />
andere Faktoren eine wichtige<br />
Rolle. So betreute Hofmann seit<br />
1901 den Musikteil des populären<br />
„Ladies’ Home Journal“ des<br />
Curtis-Konzerns und schrieb<br />
regelmäßig Artikel zur Kunst<br />
des Klavierspiels. Zudem konnten<br />
Leser Hofmann Fragen stellen,<br />
die er in der darauffolgenden<br />
Zeitschrift beantwortete.<br />
Kein Wunder, dass sich Hofmanns<br />
Rubrik großer Beliebtheit<br />
erfreute. In den 20er Jahren<br />
kam ein weiterer Faktor<br />
hinzu. 1924 wurde Hofmann<br />
Leiter der Klavierabteilung des<br />
neugegründeten Curtis Institute<br />
of Music in Philadelphia, und drei Jahre später<br />
erhielt er den Posten des Institutsdirektors. Mit<br />
Dozenten wie Fritz Reiner, Efrem Zimbalist und<br />
Leopold Auer machte er das Institut binnen kürzester<br />
Zeit zu einer der besten musikalischen Lehranstalten<br />
Nordamerikas. Allein aus Hofmanns<br />
Werkstatt gingen so prominente Pianisten wie<br />
Shura Cherkassky, Ruth Slenczinska und Abram<br />
Chasins hervor. „In den beiden ersten Unterrichtsstunden<br />
lernte ich mehr als während meiner gesamten<br />
früheren Lehrjahre“, erinnerte sich Chasins später<br />
an Hofmanns Unterricht (in: „Speaking about<br />
Pianists“).<br />
Zwischen Romantik und Moderne<br />
Hofmanns einzigartige Stellung, die von den<br />
Zeitgenossen immer wieder betont wird, resultiert<br />
aus der faszinierenden Verbindung von phänomenaler<br />
Technik, expressiver Intensität und moderner<br />
Rationalität. Schon durch seine Lebensdaten<br />
figuriert Hofmann als Bindeglied zwischen Romantik<br />
und Moderne. Als er 1876 das Licht der<br />
Welt erblickt, vollendet Brahms gerade seine 1.<br />
Sinfonie. Als er 1957 stirbt, ist die Welt, die zwei<br />
Weltkriege und Hiroshima erlebt hat, eine ganz<br />
andere. Hofmann ist jedoch zuallererst ein Kind<br />
des 19. Jahrhunderts. Beethoven, Chopin, Schumann<br />
und Liszt (wenig Brahms) bilden den Kern<br />
seines Repertoires. Bach spielt er nur in Transkriptionen<br />
von Liszt und Busoni, während Rachmaninow,<br />
ein paar Miniaturen von Prokofiew und eigene<br />
Kompositionen die Grenze im 20. Jahrhundert<br />
markieren.<br />
Romantisch an seinem Spiel ist vor allem der<br />
singende Ton, die am Belcanto orientierte Phrasierung,<br />
die virtuos-heroische Geste und der in<br />
unzähligen Farben schillernde Klang. Andererseits<br />
weisen ihn sein klarer, unpathetischer Klavierstil,<br />
sein Bemühen um Texttreue und der Verzicht auf<br />
„verschönernde“ Zutaten als Vorläufer modernen<br />
Klavierspiels aus. In seinem Buch „Piano Playing“<br />
wendet er sich sogar ausdrücklich gegen jede Form<br />
effekthascherischen Spiels und rät anstatt dessen<br />
zu „Klarheit der Diktion“ (u.a. durch sparsamen<br />
Pedalgebrauch) und zu einem „ökonomischen Umgang<br />
mit Kraft und Gefühl“. Nicht der Interpret,<br />
L<br />
71
L<br />
L EGENDEN<br />
sondern das Werk steht dabei im Mittelpunkt. „Die<br />
richtige Interpretation eines Stückes Musik“, so Hofmann,<br />
„resultiert aus dem richtigen Verständnis und<br />
dieses wiederum beruht allein auf einer skrupulös<br />
genauen Lektüre desselben.“ (Piano Playing)<br />
Für „die richtige Interpretation“ bedarf es freilich<br />
auch einer makellosen Technik, und die von<br />
Hofmann war schlicht phänomenal. Sein Skalenspiel<br />
war von konkurrenzloser Ebenmäßigkeit,<br />
seine Akkordtechnik unfehlbar, sein Anschlag<br />
unendlich differenziert und sein Gefühl für Klangbalance<br />
perfekt. Hofmann schätzte gute Technik.<br />
Aber weder ging es ihm um ihre Verabsolutierung<br />
noch um ihre wohlfeile Demonstration. Sie war für<br />
ihn einfach ein Werkzeug, mit dem er seine künstlerische<br />
Vision verwirklichen konnte. Dabei war<br />
sein Werkzeugkasten sicher um einiges<br />
größer als der anderer Pianisten und<br />
er ging wohl auch viel bewusster<br />
damit um als die meisten seiner<br />
Kollegen. Der große Rest war<br />
aber auch für Hofmann letztlich<br />
Sache der Imagination<br />
und Intuition. Darin unterschied<br />
er sich kaum von den<br />
Romantikern seiner Zunft.<br />
Seinen modernen Interpretationsansatzverwirklichte<br />
Hofmann am konsequentesten<br />
in seinen Aufnahmen<br />
der frühen 10er und 20er<br />
Jahre. Es sind die einzigen kommerziellen<br />
Aufnahmen, die er<br />
jemals gemacht hat. Stimmliche<br />
Transparenz und rhythmisch-intonatorische<br />
Genauigkeit verbunden mit einer<br />
unglaublichen pianistischen Geschmeidigkeit<br />
generieren einen neusachlichen Stil, der im strikten<br />
Gegensatz zum gefühlsbetonten Spiel der meisten<br />
Liszt- und Leschetitzky-Schüler steht. Die gelungensten<br />
Aufnahmen – Rachmaninows g-Moll-<br />
Prélude, Liszts Tarantella aus „Venezia e Napoli“<br />
und Chopins cis-Moll-Walzer op. 64,2 – sind in<br />
ihrer Mischung aus gebändigter Virtuosität und<br />
unsentimentaler Expressivität Paradebeispiele für<br />
modernes Klavierspiel. Allerdings vermisst man<br />
den für Hofmann charakteristischen „schönen<br />
Ton“ (Ausnahme: Rubinsteins Melodie in F).<br />
Zudem treibt er die Anti-Romantik zuweilen so auf<br />
die Spitze, dass häufig nicht viel mehr als das musikalische<br />
Skelett übrig bleibt. Chopins Fantaisie-<br />
Impromptu klingt jedenfalls so nähmaschinenhaft,<br />
als wäre es vom neoklassizistischen Strawinsky<br />
komponiert und Liszts „Waldesrauschen“ verkümmert<br />
zum reinen Fingerexerzitium. Das dürfte<br />
aber auch mit den Aufnahmebedingungen zusammenhängen.<br />
Hofmann fühlte sich im Studio nicht<br />
wohl. Seine Stärken kamen erst im Konzert zur<br />
vollen Geltung. Nur dort entfaltete sein Spiel jene<br />
Magie, die ihn so einzigartig machte. Die wenigen<br />
Konzertmitschnitte, die erhalten geblieben sind,<br />
lassen immerhin etwas davon ahnen. Wie sich da<br />
Hofmann etwa in Chopins Fis-Dur-Nocturne op.<br />
15,2 (Philadelphia-Konzert, 1938) in den Zustand<br />
schierer Belcanto-Ekstase hineinsingt, oder mit<br />
welcher dramatischen Wucht er die g-Moll-Ballade<br />
(Golden Jubilee Concert, 1937) gestaltet – das<br />
zeugt von einer singulären Meisterschaft, die einem<br />
auch 80 Jahre nach Entstehung dieser Aufnahmen<br />
Respekt und Bewunderung abnötigt.<br />
Golden Jubilee Concert und<br />
Flucht ins Private<br />
Als weltweit gefeierter Pianist, als Direktor eines<br />
angesehenen Musik-Instituts und als angesehener<br />
Lehrer zählte Hofmann Ende der 20er Jahre zu<br />
den einflussreichsten Persönlichkeiten des amerikanischen<br />
Musiklebens. Überdies hatte er sich als<br />
Erfinder einen Namen gemacht, und seine bedeutendste<br />
Erfindung, der Stoßdämpfer (!), brachte<br />
ihm viel Geld ein. Finanziell musste er sich keine<br />
Sorgen mehr machen. Die vielen Verpflichtungen<br />
zwangen ihn aber dazu, sein Konzertpensum<br />
erheblich einzuschränken. Nach 1933 verzichtete<br />
er auf seine jährlichen Auslandstouren und beschränkte<br />
sich fortan auf die USA. Im Jahre 1937,<br />
genau 50 Jahre nach seinem Amerika-Debüt an<br />
der Met, trat er nochmals eine Tournee durch<br />
Amerika an, die er mit einem triumphalen Konzert<br />
an der Met abschließen sollte, das als „Golden<br />
Jubilee Concert“ in die Geschichte einging. Das<br />
Programm enthielt Werke, die ihn sein ganzes<br />
Leben lang begleitet hatten: Rubinsteins d-Moll-<br />
Konzert, einige kleinere Werke von Chopin, Mendelssohn,<br />
Rachmaninow und Moszkowsky sowie<br />
sein eigenes „Chromaticon“ für Klavier und Orchester.<br />
Enthusiastisch feierte das aus Studenten,<br />
Musikern, Musikliebhabern und viel Prominenz<br />
bestehende Publikum den Jubilar, der die Huldigungen<br />
mit der ihm eigenen Ernsthaftigkeit und<br />
Bescheidenheit entgegennahm. Abram Chasins<br />
beschrieb das Konzert als ein „elektrisierendes Ereignis<br />
mit dem überschäumenden Geist der Jugend<br />
und dem goldenen Glanz der Tradition“.<br />
Nach dem „Golden Jubilee Concert“ setzte Hofmann<br />
seine Konzerttätigkeit noch 11 Jahre lang<br />
fort. Aber diese Zeit stand unter keinem guten<br />
Stern. 1938 hatte Hofmann das Curtis Institute<br />
verlassen, weil er sich wegen rigoroser Gehaltskürzungen<br />
nicht mehr in der Lage sah, die gesteckten<br />
Ziele zu erreichen. Die Herabstufung hat er nie so<br />
recht verwinden können. In der Folgezeit machten<br />
sich zunehmend Alkoholprobleme bemerkbar.<br />
Dennoch gelangen ihm auch in den 40er Jahren<br />
immer wieder Interpretationen von subtiler<br />
Schönheit und Raffinesse. Als er am 19. Januar<br />
1946 in der Carnegie Hall sein letztes Konzert gab,<br />
stellte der Rezensent fest, dass Hofmann als „Meister<br />
des singenden Tons und der leuchtenden Klangfarben“<br />
nach wie vor ohne Konkurrenz sei. Kurz darauf<br />
zog sich Hofmann nicht nur von der Bühne,<br />
sondern ganz aus der Öffentlichkeit zurück, um<br />
sich der Verbesserung der Aufnahmetechnik, seiner<br />
Autobiografie und seiner Familie, Frau und<br />
drei Kindern, zu widmen. Als er am 16. Februar<br />
1957 in Los Angeles starb, verlor die Welt einen<br />
der letzten Repräsentanten jener goldenen Ära des<br />
Klavierspiels, die wohl für alle Zeiten eine nie versiegende<br />
Quelle der Inspiration bleiben wird.<br />
72 3 . 08
3 . 08<br />
Als Abram Chasins im Jahre 1981 eine Bestandsaufnahme<br />
des diskografischen Vermächtnisses von<br />
Hofmann vornahm, musste er feststellen, dass es im<br />
Wesentlichen aus der Golden-Jubilee-Concert-Platte<br />
(Columbia Masterworks) bestand. Fast 30 Jahre<br />
später sieht die Situation wesentlich besser aus, und<br />
das ist vor allem das Verdienst von Independent<br />
Labels wie Naxos, Nimbus, VAI und Marstonrecords,<br />
dessen Gründer Ward Marston mit der ihm eigenen<br />
Zähigkeit noch die unauffindbarsten Aufnahmen<br />
wieder ans Tageslicht befördert hat. Das sind insbesondere<br />
die erstaunlich zahlreichen Rundfunkaufnahmen,<br />
auf denen Hofmann in erster Linie mit<br />
Klavierkonzerten zu hören ist, die – mit Ausnahme<br />
des 4. Klavierkonzerts von Rubinstein – nie auf<br />
Schallplatte erschienen sind: Beethovens Klavierkonzerte<br />
3, 4 (gleich mehrfach) und 5, die beiden<br />
Chopin-Konzerte, die Klavierkonzerte 3 und 4 von<br />
Anton Rubinstein sowie das Schumann-Konzert (nur<br />
die Ecksätze). Dazu kommen Highlights wie der<br />
Mitschnitt des Casimir-Hall-Konzerts von 1938 (mit<br />
VAI Audio Records<br />
The Complete Hofmann<br />
Vol. 1 Chopin Concerts 1 & 2<br />
BBC Orchestra, Hamilton Harty, Dirigent<br />
VAI 1002 (1 CD)<br />
Vol. 2 Golden Jubilee Concert (2 CDs)<br />
VAI 1020-2<br />
Vol. 3 Recordings 1903, 1912–1918<br />
Beethoven, Chopin, Dillon, Grieg,<br />
Paderewsky, Rachmaninow u.a.<br />
VAI 1036-2<br />
Vol. 4 Recordings for Brunswick Records<br />
1922–23<br />
Brahms, Hofmann, Chopin, Tausig,<br />
Rachmaninow u.a.<br />
VAI 1047 (1 CD)<br />
(VAI ist im Vertrieb von Codaex.)<br />
Marstonrecords<br />
The complete Josef Hofmann<br />
Vol. 5 Concerto and Solo Performances<br />
1935–1948<br />
Vol. 6 The Casimir Hall Recital, 1938<br />
Vol. 7 Great Concerto Performances<br />
1938–1947<br />
Vol. 8 Concerto and Solo Performances<br />
1938–1947<br />
(Bestellung nur telefonisch oder per Fax.<br />
Nähere Infos über<br />
www.marstonrecords.com)<br />
Welte Mignon Rolls<br />
Hofmann mit Rubinstein: German Waltz<br />
Außerdem Aufnahmen mit Busoni,<br />
Scharwenka, Schnabel, Ganz, Samaroff<br />
Naxos Historical 8.110679<br />
L EGENDEN<br />
Hinweise zur Hofmann-Diskografie<br />
Auswahl-Diskografie<br />
Waldstein-Sonate, Kreisleriana und Chopins 4. Ballade)<br />
sowie einige unveröffentlichte Probeaufnahmen<br />
für RCA von 1935, die Hofmann auf der Höhe<br />
seiner Kunst zeigen. Die Volumes I bis IV dieser<br />
Edition werden Codaex vertrieben. Die Volumes<br />
V–VIII können derzeit nur direkt bei Marstonrecords<br />
bestellt werden.<br />
(Infos über www.marstonrecords.com).<br />
Der Vollständigkeit halber seien hier auch die Aufnahmen<br />
für Rollen-Klaviere (Hupfeld, Ampico,<br />
Welte und Duo-Art) erwähnt, die zwischen 1913<br />
und 1927 entstanden sind. Einige dieser Aufnahmen<br />
finden sich auf CDs der Label Nimbus (Grand Piano)<br />
und Naxos (Naxos Historical – Welte Mignon<br />
Rolls). Da die mechanische Reproduktion den Klang<br />
stark einebnet, können diese Einspielungen jedoch<br />
nur bedingt als authentisch angesehen werden. Zu<br />
den akustischen und elektrischen Aufnahmen bilden<br />
sie dennoch eine willkommene, das Bild des<br />
Pianisten Hofmann abrundende Ergänzung.<br />
Chopin – Hofmann<br />
Sonate für Klavier Nr. 2 b-Moll, Scherzi Nr. 1 h-Moll &<br />
Nr. 3 cis-Moll, Polonaise As-Dur op. 53 u.a.<br />
Nimbus Records NI 18803<br />
L<br />
73
N N OTEN<br />
Gesichtet und angespielt von: Manuel Rösler<br />
Erich Zeisl<br />
Klavierkonzert C-Dur<br />
Doblinger 01 673<br />
EUR 26,- (Solostimme)<br />
EUR 38,- (Studienpartitur)<br />
Erich Zeisl ist der große Unbekannte<br />
unter den österreichischen<br />
Komponisten der ersten Hälfte<br />
des 20. Jahrhunderts. Am 18. Mai<br />
1905 kommt Erich Zeisl in Wien zur<br />
Welt. Die Familie ermöglichte ihm<br />
ein Studium bei Richard Stöhr, Hugo<br />
Kauder und Joseph Marx. Lehrer, die<br />
gewiss nicht zur Speerspitze der<br />
Avantgarde gehörten – der Musik<br />
von Anton Webern, Arnold Schönberg<br />
und Alban Berg begegnete man<br />
in den Seminarräumen der Musikakademie<br />
mit Zurückhaltung. Zufall<br />
oder Neigung? In der Wahl seiner<br />
Lehrer spiegelt sich seine Vorliebe für<br />
die bedächtige Weiterentwicklung<br />
seiner musikalischen Sprache, die<br />
Beethoven und Schubert nahe steht.<br />
Es ist die Balance zwischen sinnlichem<br />
Affekt und klarem strukturellem<br />
Kalkül, die ihn interessiert. Manche<br />
Kritiker vergleichen ihn mit Hugo<br />
Wolf oder Richard Strauß. Doch<br />
mit dem Meister aus München verbindet<br />
ihn fast nichts. Er wollte seine<br />
Hörer einladen und überzeugen und<br />
sie nicht mit dem Einsatz aller musikalischen<br />
Mittel überwältigen. Eher<br />
trifft der Vergleich mit Hugo Wolf.<br />
Wie dieser widmet sich auch Zeisl<br />
der kleinen Form – mehr als hundert<br />
Lieder sind aus seiner Wiener Zeit<br />
überliefert. Das Kunstlied bot seinem<br />
Talent zum unmittelbaren dramatischen<br />
Ausdruck ein breites Feld. Fähigkeiten,<br />
die ihm in den kommenden<br />
Jahren das Überleben sichern<br />
werden. Doch der große Erfolg blieb<br />
lange Zeit aus: Zeisl arbeitete als Klavierlehrer<br />
und komponierte für die<br />
Schublade. Als er sich allmählich eine<br />
gewisse Reputation erarbeitet<br />
hatte, standen die Nürnberger „Rassegesetze“<br />
einer internationalen<br />
Komponistenkarriere im Weg.<br />
1 Sehr leicht – Diese Stücke sollten auch<br />
Klavieranfängern kaum Probleme bereiten.<br />
2 Leicht – Blattspielfutter für geübte<br />
Amateure und fortgeschrittene Schüler.<br />
3 Standard – Kein Problem für<br />
Amateure, Anfänger müssen hier schon<br />
ein wenig üben.<br />
4 Mittelschwer – Geübte Amateure müssen<br />
hier schon ein wenig Übezeit investieren,<br />
für professionelle Pianisten sollten<br />
1938 flieht Zeisl mit seiner Frau vor<br />
den einrückenden deutschen Truppen<br />
nach Paris. Auch in Paris arbeitet<br />
er – eine Bühnenmusik für Joseph<br />
Roths „Hiob“ – und entwickelt eine<br />
neue Tonsprache, die ihre Wurzeln<br />
in der Musik der osteuropäischen Juden<br />
hat. Ein weiterer Exilant, der aus<br />
Berlin geflohene Hanns Eisler, verhilft<br />
ihm, 1939 nach New York zu<br />
kommen und schließlich nach Hollywood<br />
– Ziel und Endstation unzähliger<br />
jüdischer Komponisten, die<br />
dem europäischen Kontinent entfliehen.<br />
Zeisl komponiert die Musik zu<br />
über 20 Filmen, doch die Traumfabrik<br />
wird für Zeisl zur künstlerischen<br />
Sackgasse.<br />
Zwar sind die Filme, für die er seine<br />
verstörend psychologisierende Musik<br />
schreibt, in finanzieller und künstlerischer<br />
Hinsicht durchaus erfolgreich<br />
(„The Invisible Man‘s Revenge“,<br />
„The Postman Always Rings<br />
Twice“ oder „Lassie Come Home“<br />
mit dem Leinwand-Debüt der elfjährigen<br />
Elizabeth Taylor) – doch im Gegensatz<br />
zu seinen Kollegen Erich<br />
Wolfgang Korngold und Hanns Eisler<br />
gelang es ihm nie, seinen Namen<br />
in den Vor- oder Abspann eines Films<br />
zu bringen. Wer in der „Internatio-<br />
diese Stücke aber keine Herausforderung<br />
darstellen.<br />
5 Anspruchsvoll – Von erfahrenen<br />
Amateuren durchaus noch zu schaffen,<br />
aber auch für Profis nicht ganz leicht.<br />
6 Schwer – Hier müssen auch Profis<br />
gründlich üben; für reine Amateure kaum<br />
zu schaffen.<br />
7 Sehr schwer – „Nicht einmal der<br />
Komponist kann dieses Stück spielen.“ Auch<br />
für erfahrene Profis eine harte Nuss.<br />
nal Movie Data Base“ nach Erich<br />
Zeisl sucht, der stößt auf 23 Einträge<br />
– und hinter jedem einzelnen ist in<br />
Klammern vermerkt: „uncredited“.<br />
An „künstlerisches“ Komponieren<br />
war unter diesen Umständen nicht<br />
zu denken. 1949 gab Zeisl das Komponieren<br />
für den Film weitgehend<br />
auf und richtete sich, so gut es ging,<br />
in Los Angeles als Lehrer und „Composer<br />
in residence“ ein. Und komponierte<br />
wieder – wenn auch seine<br />
groß besetzte Musik wieder in der<br />
Schublade landete. Ironie der Geschichte:<br />
Zu Zeisls Schülern in Los<br />
Angeles zählte auch ein junger jüdischer<br />
Komponist namens Jerry<br />
Goldsmith – und der gehörte spätestens<br />
seit seinem „Oscar“ für die verstörend-moderne<br />
Musik zu „The<br />
Omen“ zu den einflussreichsten und<br />
kreativsten Komponisten, die Hollywood<br />
jemals besessen hat.<br />
Wer hätte Zeisls Musik auch aufführen<br />
sollen – an der Westküste der<br />
Vereinigten Staaten, die auch in der<br />
Mitte des 20. Jahrhunderts in weiten<br />
Teilen einem kulturellen Niemandsland<br />
glich? Die Musik Zeisls verhallte<br />
in der Ferne ungehört – und als sie in<br />
seiner Heimat wieder hätte aufgeführt<br />
werden können, da passte sie<br />
nicht mehr in die Zeit.<br />
Wie tragisch das ist, zeigt ein Blick in<br />
das während seiner Exiljahre geschriebene<br />
Klavierkonzert, das nun<br />
bei Doblinger in einer Reihe von<br />
Zeisl-Neuveröffentlichungen erschienen<br />
ist. Es ist in seinen letzten Lebensjahren<br />
in Los Angeles entstanden<br />
und zeigt Erich Zeisl als eleganten<br />
Klangfarbenzauberer, der einem<br />
farbigen Orchestersatz ein nicht<br />
minder farbiges Klavier entgegenzusetzen<br />
vermag. Diese Musik enthält<br />
alles, was gute Musik auszeichnet:<br />
fein gesponnene und beinahe schwebende<br />
Harmonien, die oft einen modalen<br />
Einschlag tragen. Rhythmen,<br />
die ihre Herkunft aus Osteuropa<br />
nicht verleugnen. Warme und fein<br />
ausgehörte Orchesterfarben (Hollywood<br />
lässt grüßen) und ein gerüttelt<br />
Maß an Virtuosentum. Orientalisch<br />
anmutende Kantilenen, aschkenasische<br />
Musik und ein großer Zug von<br />
Melancholie und tiefster Verzweiflung.<br />
Schwierigkeitsgrad: 5–6<br />
74 3 . 08
3 . 08<br />
Elke Tober-Vogt<br />
Reiseskizzen<br />
Vogt & Fritz VF 750<br />
EUR 7,50<br />
Kiew. Rom des Ostens. Die Stadt<br />
der goldenen Dächer gilt nicht<br />
nur als die Hauptstadt der russischen<br />
Orthodoxie, sondern hat auch<br />
immer wieder Künstler zur kreativen<br />
Auseinandersetzung angeregt – man<br />
denke an Viktor Hartmanns Bild<br />
„Das große Tor von Kiew“, das seinen<br />
Freund Mussorgski zu einem<br />
klangverliebten Klavierstück inspirierte,<br />
in dem das berühmte russische<br />
Glockenläuten eine zentrale<br />
Rolle spielt. Diese „Glocken der Kathedralen“<br />
haben auch Elke Tober-<br />
Vogt zu einem von vier kurzen Klavierstücken<br />
angeregt, die sie im<br />
familieneigenen Musikverlag veröffentlicht<br />
hat. Ihre „Reiseskizzen“ für<br />
Klavier enthalten einige hübsche Ansätze,<br />
wirken jedoch insgesamt etwas<br />
ziellos.<br />
Die „Straßenmusik“ wartet mit wilden<br />
Glissandi und zerknautschten<br />
Akkordeonbässen auf, die „Glocken<br />
der Kathedralen“ erklingen im Tritonus-Abstand<br />
und lassen (durch<br />
stumm niedergedrückte Tasten)<br />
auch ihre Obertöne mitschwingen.<br />
Ein Effekt, der aber auch bereits im<br />
ersten Stück „Die goldenen Dächer<br />
von Kiew“ ein wenig zu sehr ausgereizt<br />
wird. Und das „Ballett“ reizt in<br />
seiner nichtssagenden Harmlosigkeit<br />
gar zum raschen Überblättern.<br />
Wenn wenigstens ein paar gute Einfälle,<br />
ein prägnanter Rhythmus, eine<br />
ungewöhnliche Harmonik oder eine<br />
ausdrucksvolle Linie dem Ganzen etwas<br />
Würze verleihen würden: Diese<br />
Reiseskizzen aber machen nicht neugierig.<br />
Schwierigkeitsgrad: 3–4<br />
N OTEN<br />
Leopold Schefer<br />
Klaviermusik – „Hanka ty sy moja“<br />
und andere kleine Stücke<br />
ENA Musikverlag ENA Nr. 91<br />
EUR 15,-<br />
Der in Bautzen ansässige ENA-<br />
Verlag hat sich des ebenso überschaubaren<br />
wie außerhalb der Lausitz<br />
nahezu unbekannten Repertoires<br />
sorbischer Musik angenommen.<br />
In der Liste der Komponisten finden<br />
sich keine großen Namen, dafür viele<br />
Kleinmeister und Liebhaberkomponisten<br />
wie der ehemals fürstl.<br />
Pückler-Muskauer Generalinspekteur<br />
Leopold Schefer (1784–1862).<br />
Das schmale Heft umfasst reizvolle<br />
Petitessen wie Variationen über ein<br />
wendisches Volkslied („Hanka ty sy<br />
moja“) oder ein musikalisches Epitaph<br />
für jene Königin Luise, die 1807<br />
den Frieden von Tilsit aushandelte.<br />
Dabei handelt es sich um geistvolle<br />
Salonmusik, die sich eher an den<br />
Berliner Lokalgrößen Zelter und Reichardt<br />
als etwa an Beethoven und<br />
Haydn orientiert. In dieser weisen<br />
Bescheidung zeigt sich Schefer jedoch<br />
als geschickter und effektsicherer<br />
Tonsetzer, der Kadenzharmonik<br />
und freundliche Melodik in einen<br />
auch von Schülern und geschmacksicheren<br />
Amateuren gut zu bewältigenden<br />
Klaviersatz zu formen weiß.<br />
N<br />
75
N N OTEN<br />
In die Konzertsäle wird es die Musik<br />
Leopold Schefers wohl nicht mehr<br />
schaffen. Sie ist zwar ordentlich komponiert,<br />
letzen Endes fehlt ihr aber<br />
eine persönliche Note. Der vorliegende<br />
Band dürfte jedoch vor allem<br />
für entdeckungsfreudige Pädagogen<br />
von Interesse sein, die für ihre Schüler<br />
nach effektvollen und technisch<br />
zu bewältigenden Klavierstücken im<br />
Stil der Frühromantik suchen.<br />
Schwierigkeitsgrad: 3–4<br />
Maria Sehrig<br />
Around the World – Poppige<br />
Kompositionen für Klavier<br />
Heft 1 + 2<br />
Waldkauz-Verlag WK 2108a/2108b<br />
EUR 10,50<br />
Es soll Bücher geben, die aus anderen<br />
Büchern gemacht werden.<br />
Und natürlich gibt es auch Noten,<br />
nach Etüde und irritieren Ländler,<br />
Slowfox oder Polka durch Harmoniefolgen,<br />
die „da nicht hingehören“,<br />
oder wenig idiomatisch erfundene<br />
und ungeschickt montierte Melodieverläufe.<br />
Fazit: Geht so.<br />
Schwierigkeitsgrad: 3–4<br />
Jean-Louis Petit<br />
Traces II<br />
Klavier zu sechs Händen<br />
Edition Dohr<br />
EUR 32,80<br />
Das ist einmal eine hübsche kleine<br />
Musik, die gar nicht viel<br />
mehr will, als Zuhörer und Spieler<br />
auf angenehme Weise zu unterhalten<br />
– sofern diese auch Weberns<br />
„Bagatellen“ zur Unterhaltung zählen<br />
und von ihrer Mutter Boulez‘ Le<br />
marteau sans maître als Gute-Nacht-<br />
Lied vorgesungen bekommen haben<br />
(wahlweise für Leser, die vor 1945<br />
geboren wurden: Chants de terre et de<br />
ciel von Messiaen oder die Chansons<br />
madécasses von Ravel).<br />
Das 2006 geschriebene„Traces II“ ist<br />
in hohem Grade unterhaltsame und<br />
quicklebendige Musik – von einer<br />
geradezu lateinischen Klarheit und<br />
mit viel Spielwitz versehen, ohne<br />
dabei auf knirschende Dissonanzen<br />
zu verzichten. Dabei ist die ganze<br />
Angelegenheit exakt strukturiert –<br />
und basiert gleich auf zwei Erfolgs-<br />
sechs Händen einen durchsichtigen<br />
und ausdrucksvollen Klaviersatz zu<br />
schreiben. Dass sich an die „Traces<br />
II“ nur wagen sollte, wer über eine<br />
profunde Spieltechnik und Erfahrung<br />
mit der Klanglichkeit Neuer<br />
Musik verfügt, versteht sich von<br />
selbst. Hatte ich schon erwähnt, dass<br />
ich den Preis von über 30 Euro für<br />
ein schmales Heft minderer Druckqualität<br />
überzogen finde?<br />
Schwierigkeitsgrad: 5–6<br />
Franz Liszt<br />
Ungarische Rhapsodie Nr. 12<br />
Herausgegeben von<br />
Ernst Herttrich<br />
Fingersatz von<br />
Andreas Groethuysen<br />
G. Henle Verlag HN 806<br />
EUR 8,-<br />
In den „Ungarischen Rhapsodien“<br />
breitet Franz Liszt den gesamten<br />
Kosmos seiner pianistischen Erfindungsgabe<br />
aus. Vordergründig entstanden,<br />
um dem verzückten Publikum<br />
in ganz Europa immer wieder<br />
etwas Neues zu bieten, dienten sie<br />
dem „Klavierhexenmeister“ auch als<br />
Experimentierfeld für neue Effekte,<br />
harmonische Wagnisse oder formale<br />
Tricks. Und trugen nicht zuletzt die<br />
Sache Ungarns und die ungarische<br />
Volksmusik (oder was Liszt dafür<br />
hielt) in die musikalische Welt hinaus.<br />
Der auf diese Weise entstandene<br />
Kosmos von 15 Ungarischen<br />
Rhapsodien bildet auch 150 Jahre<br />
nach ihrer Entstehung noch immer<br />
faszinierendes Studien- und Spielmaterial.<br />
Die von Ernst Herttrich vorgelegte<br />
12. Rhapsodie zählt zu den besonders<br />
gut gelungenen Exemplaren.<br />
Liszt zeigt sich nichts weniger als auf<br />
dem Höhepunkt seines Könnens und<br />
verarbeitet hier fünf verschiedene<br />
volkstümliche Themen zu einem faszinierenden<br />
Gemisch aus Melancholie,<br />
glitzernder Tastenakrobatik und<br />
stürmisch-mitreißendem Tanz. Kein<br />
Wunder, dass sich dieses Werk bald<br />
nach seinem Erscheinen im Jahr<br />
1853 großer Beliebtheit erfreute und<br />
alsbald in zahlreichen Bearbeitungen<br />
– unter anderem für Klavier zu<br />
vier Händen – aufgelegt wurde.<br />
Die Henle-Ausgabe bietet den revidierten<br />
Urtext auf dem neuesten<br />
Stand der Forschung und Andreas<br />
Groethuysen ergänzt die originalen<br />
Fingersätze der bei Schlesinger erschienenen<br />
Erstausgabe in gewohnt<br />
hilfreicher Manier, die den erfahre-<br />
die aus anderen Noten gemacht werden.<br />
Ein solches Exemplar haben wir<br />
hier: Maria Sehrigs musikalische Reisenotizen<br />
lassen kein touristisches<br />
Detail aus und variieren einen Klassiker<br />
der Salonmusik neu: den der<br />
musikalischen Scharade, bei der jeweils<br />
ein Land durch ein typisches<br />
Musikstück vertreten wird, so dass<br />
ein jeder nach den ersten Takten aufspringt<br />
und ruft: „Na klar – das ist<br />
die Steiermark!“ oder „Typisch Italien<br />
… eine Tarantella!“.<br />
modellen der Neuen Musik: den<br />
Leider weiß Maria Sehrig den spezi- „modes de valeur“ von Petits Lehrer<br />
fischen Tonfall etwa lateinamerika- Olivier Messiaen und der Schönnischer,<br />
mediterraner, englischer berg’schen Zwölftontechnik. Dass<br />
oder gar alpenländischer Folklore aus der Synthese dieser mathema-<br />
nur selten zu treffen – statt leichttisch anmutenden Zutaten eine gerafüßig<br />
auf den Tasten zu tänzeln, tredezu klassizistisch heitere Musik<br />
ten Samba und Rumba schwerfällig wird, liegt dabei ganz im Sinne ihres<br />
auf der Stelle, klingt die Tarantella Erfinders, der es versteht, auch mit<br />
76 3 . 08
3 . 08<br />
nen Pianisten verrät. Schade nur,<br />
dass sich seine Fingersätze kaum von<br />
den kursiv gedruckten Originalen<br />
unterscheiden lassen. Hier stößt die<br />
in München übliche Typographie leider<br />
doch an ihre Grenzen. Wie bei<br />
allen bisher erschienenen Rhapsodien<br />
begleitet auch hier ein informatives<br />
und anregendes Vorwort der<br />
Budapester Liszt-Forscherin Mária<br />
Eckhardt den Notentext.<br />
Schwierigkeitsgrad: 6<br />
Thomas Blomenkamp<br />
Capriccio<br />
Edition Dohr 27 466<br />
EUR 8,80<br />
Es-C-A-H – mit diesem kabbalistischen<br />
Motto („Asch“? / „SCHumAnn“?)<br />
eröffnet Thomas Blomenkamp<br />
sein 2006 uraufgeführtes „Capriccio“<br />
für Klavier, das zum 150. Ge-<br />
burtstag Robert Schumanns vom<br />
Recklinghäuser „integral::festival“<br />
bestellt wurde. Die Aufgabe: ein Klavierstück<br />
im Geist des großen Kla-<br />
N N<br />
OTEN<br />
vierentdeckers zu komponieren, das<br />
zugleich eine musikalische Brücke zu<br />
dessen „Grillen“ op. 12 schlägt. Diese<br />
wird in der Mitte des Werkes überschritten<br />
– mit einem kurzen Zitat<br />
aus op. 12 –, nachdem sich bereits<br />
zwei Seiten früher der aus den<br />
„Waldszenen“ berühmte „Vogel als<br />
Prophet“ zu Wort melden durfte.<br />
Neben diesen Äußerlichkeiten verbindet<br />
das Werk auch eine ungestüme<br />
Lust am pointierten Rhythmus<br />
(Hauptmotiv im 7/8-Takt) und<br />
schroffen Perspektivwechseln mit<br />
Robert Schumann, dessen Name immer<br />
wieder in eingestreuten Besinnungspunkten<br />
mit dem Es-C-A-H-<br />
Motiv durchschimmert.<br />
Schwierigkeitsgrad: 5<br />
Nur für Anfänger<br />
Klavier – Eine erste Anleitung<br />
zum Klavierspielen<br />
Bosworth Edition BoE 7453<br />
EUR 14,80<br />
Eigentlich ist Klavierspielen ja<br />
ganz einfach. Man muss nur die<br />
richtigen Tasten zur richtigen Zeit<br />
herunterdrücken und schon erklingt<br />
die fabelhafteste Musik! Und dass es<br />
wirklich so einfach geht, verspricht<br />
ja schon der Klappentext der Klavierschule<br />
aus der Reihe „Nur für Anfänger“,<br />
die auch das Erlernen zahlreicher<br />
anderer Instrumente verspricht.<br />
„Nur für Anfänger“ zeigt dir vom allerersten<br />
Moment an alles, was du übers<br />
Klavierspielen wissen musst!“ Und „am<br />
Ende dieser phantastischen Lehrmethode<br />
kannst du tatsächlich Stücke von<br />
Beethoven, Dvorák und Brahms spielen“.<br />
Mit weniger Superlativen gibt<br />
sich der (anonyme) Verfasser dieser<br />
Klavierschule nicht zufrieden. Dass<br />
es sich dann eigentlich doch nur um<br />
eine ganz gewöhnliche Anfängerfibel<br />
handelt, mag nur den unkundigsten<br />
Laien erstaunen.<br />
Die „Klavierschule“ aus dem Hause<br />
Bosworth wendet sich dem Eindruck<br />
nach an Anfänger, die auch ohne<br />
Lehrer die ersten Schritte ins Klavierwunderland<br />
unternehmen wollen.<br />
Und eigentlich wird hier gar nichts<br />
falsch gemacht: Auf 40 großbedruckten<br />
Seiten erfährt der geneigte<br />
Leser, wie man bequem am Klavier<br />
sitzt, wo sich das mittlere C und alle<br />
15 Töne links und rechts daneben<br />
finden lassen. Er (oder sie) kann am<br />
77
N N OTEN<br />
Ende „grundlegende Tonhöhen und<br />
Notenwerte lesen“ und mit beiden<br />
Händen gleichzeitig spielen – und<br />
zwar jeweils Kindergartenversionen<br />
von Beethovens und Dvoráks „Neunter“<br />
(Sie werden nicht erraten, welchen<br />
Teil davon – oder vielleicht<br />
doch?) und dem hübschen Wiegenlied<br />
von Johannes Brahms. Alles in<br />
C-Dur und auch im Zweifinger-Such-<br />
System zu bewältigen, natürlich. Das<br />
ist doch was, oder?<br />
Gegen einfach gestrickte Keyboardschulen<br />
hat ja niemand etwas einzuwenden.<br />
Wenn aber eine mit heißer<br />
Nadel gestrickte „Klavierschule für<br />
Dummies“, deren didaktisches Konzept<br />
noch aus der Adenauerzeit/Truman-Ära<br />
zu stammen scheint, von<br />
einer über allen Wolken schwebenden<br />
PR-Abteilung zur Offenbarung<br />
hochgejazzt wird, dann ist das einfach<br />
ärgerlich! „Nur für Anfänger“<br />
ist vor allem eines nicht – eine Klavierschule<br />
für Anfänger. Denn ohne<br />
Lehrer geht es auch in diesem Heft<br />
nicht. Zu missverständlich sind die<br />
angeblich „deutlichen Abbildungen“<br />
und mancher Ratschlag dürfte sich<br />
sogar verheerend auswirken – etwa<br />
der, dass man nicht vergessen soll,<br />
im Dreiertakt immer die „1“ kräftig<br />
zu betonen.<br />
Dass es gerade für Anfänger eine<br />
ganze Reihe von hervorragenden<br />
Unterrichtswerken gibt, haben einige<br />
Veröffentlichungen der letzten<br />
Jahre bewiesen. Es muss ja nicht<br />
diese sein …<br />
Pam Wedgewood<br />
After Hours Jazz<br />
Faber Music<br />
Heft 1: ISBN 0-571-52908-7<br />
Heft 2: ISBN 0-571-52909-7<br />
EUR 7,50<br />
Funkwecker, kläffende Hunde, lästige<br />
Telefonate, Meetings und Feierabendstau<br />
… das geschäftige Treiben<br />
einer modernen Arbeitswelt<br />
kann den Nerven des modernen<br />
Großstädters ganz schön zusetzen …<br />
Was gibt es da Besseres, als sich ans<br />
Klavier zu setzen und ein wenig zu<br />
chillen?<br />
Der Titel scheint es schon zu verraten.<br />
Für die schöne Redewendung<br />
„after hours“ schlägt mir mein Oxford<br />
Dictionary ausdrücklich die<br />
Übersetzung „nachbörslich“ vor. Es<br />
handelt sich also um Jazzmusik für<br />
jenen besonders geschäftigen Teil<br />
unserer Leser, der sich mit der Erledigung<br />
von Warentermingeschäften,<br />
Bewilligung von Milliardenkrediten<br />
oder Freisetzungen ganzer Belegschaften<br />
aus betriebswirtschaftlichen<br />
Gründen seine Brötchen verdienen<br />
muss.<br />
Tja … was soll man sagen: Nicht nur<br />
der Titel der beiden Hefte verweist<br />
auf den Feierabend – und auch die<br />
darin enthaltene Musik müht sich,<br />
keine allzu schweren Gedanken aufkommen<br />
zu lassen. Pam Wedgewood<br />
hat eine hübsche Sammlung gemäßigter<br />
Up-Tempo-Nummern („New<br />
York, New York“, „How High The<br />
Moon“), Balladen („Nature Boy”,<br />
„My Funny Valentine”) zusammen-<br />
gestellt und um Eigenkompositionen<br />
wie das an Mancini erinnernde „Mr.<br />
Lucky Guy“ oder das cool vor sich<br />
hinswingende „Give Me A Call“<br />
erweitert. Der Klaviersatz klingt gut<br />
und weiß die Mitte zwischen „zu<br />
viel“ und „zu wenig“ zu wahren;<br />
wem die eine oder andere Harmonie<br />
zu wenig gewürzt ist, dem steht es<br />
frei, nach Belieben weitere Töne einzufügen.<br />
Jazz ist das natürlich nicht;<br />
aber auch Cocktailparty oder Aufzü-<br />
ge in großen Hotels brauchen bekanntlich<br />
Musik …<br />
Schwierigkeitsgrad: 4<br />
Aaron Copland<br />
Appalachian Spring<br />
Transkription für Klavier<br />
von Bryan Stanley<br />
Boosey & Hawkes BHI 24637<br />
EUR 15,95<br />
Es gibt musikhistorische Detailfragen,<br />
die man nicht unbedingt<br />
klären muss. Oft verbirgt sich hinter<br />
einem populären Mythos oder der<br />
romantischen Entstehungsgeschichte<br />
eines Werkes nichts weiter als die<br />
pure Erfindung allzu fantasiebegabter<br />
„Biographen“. Bach hat sein<br />
„Wohltemperiertes Klavier“ wohl<br />
nicht im Knast geschrieben, Beethoven<br />
hat seine Bagatelle a-Moll WoO<br />
59K doch nicht „Für Elise“ geschrieben,<br />
sondern eher einer gewissen<br />
Therese von Malfetti gewidmet, und<br />
auch die berühmte „Morgenstimmung“<br />
von Edvard Grieg beschreibt<br />
keinen Sonnenaufgang über schroffen<br />
norwegischen Fjorden, sondern<br />
über der Wüste Nordafrikas (Peer<br />
Gynt, Beginn des 4. Aktes).<br />
Kein Wunder, dass auch Aaron Coplands<br />
berühmte Ballett-Suite in<br />
Wirklichkeit kaum etwas mit dem<br />
bewaldeten Hochgebirge im Osten<br />
Nordamerikas, welches sich über<br />
eine Länge von 2.400 km von der<br />
kanadischen Provinz Québec bis in<br />
den Norden des US-amerikanischen<br />
Bundesstaates Alabama erstreckt, zu<br />
tun hat. Die Handlung des Werkes,<br />
das Copland für die Tänzerin<br />
Martha Graham schrieb und praktischerweise<br />
nur „Ballet for Martha“<br />
nannte, erzählt die Geschichte einer<br />
amerikanischen Pionierfamilie, die<br />
zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein<br />
Farmhaus in Pennsylvania errichtet<br />
– spätere Heirat und die flammende<br />
Predigt eines charismatischen Erweckungspredigers<br />
inbegriffen. Seinen<br />
Titel erhielt das Werk erst kurz vor<br />
der Premiere: eine Textzeile aus dem<br />
zugrunde liegenden Gedicht von<br />
Hart Crane, die Martha Graham<br />
dem Komponisten vorschlug.<br />
Die charakteristische und originelle<br />
Tonsprache von Coplands Musik,<br />
wie wir sie auch in Appalachian<br />
Spring finden, hat das musikalische<br />
Amerikabild von Generationen geprägt.<br />
Auch weil sie unzähligen Filmkomponisten<br />
– von John Barry über<br />
78 3 . 08
3 . 08<br />
Jerry Goldsmith bis John Williams – das<br />
Modell für eine „amerikanische Tonsprache“<br />
lieferte.<br />
Es ist eigentlich erstaunlich, dass ein für<br />
die Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts<br />
so wichtiges Werk noch nie in einer<br />
Fassung für Klavier solo veröffentlicht<br />
worden ist. Vor allem, weil sich bereits<br />
beim ersten Durchspielen der Eindruck<br />
einstellt, es handele sich um ein Originalwerk<br />
– und nicht um eine Bearbeitung.<br />
Das ist natürlich in erster Linie das<br />
Verdienst von Bryan Stanley, der sich der<br />
anspruchsvollen Aufgabe mit viel Geschick<br />
angenommen hat und ein feines<br />
Gespür für die besondere Farbigkeit des<br />
Copland-Satzes mitbringt, in dem eine<br />
einzelne Note zu viel oder zu wenig<br />
bereits das gesamte Gefüge aus dem<br />
Gleichgewicht bringen kann. Hier ist tatsächlich<br />
jede Note an ihrem richtigen Platz – und das erlebt man nun wirklich<br />
nicht oft.<br />
Schwierigkeitsgrad: 5<br />
N OTEN<br />
Peteris Vasks<br />
Eine kleine Nachtmusik<br />
Edition Schott ED 8046<br />
EUR 9,95<br />
Nein, man hätte nicht wirklich erwartet, dass sich zwischen den Deckeln<br />
dieses schmalen Heftes eine fröhliche Sommermusik befindet. Schließlich<br />
ist der lettische Komponist Peteris Vasks auch sonst nicht für seine lebensbejahende<br />
Ader bekannt. Dass seine „Kleine<br />
Nachtmusik“ aber so düster ausgefallen<br />
ist, mag vielleicht auch in ihrem Entstehungsjahr<br />
begründet sein: 1978 war<br />
wohl für keinen Komponisten jenseits<br />
des Eisernen Vorhangs ein einfaches<br />
Jahr – schon gar nicht für einen jungen<br />
lettischen Musiker, dessen Heimat seit<br />
über 40 Jahren von sowjetischen Truppen<br />
besetzt war. Lettische Sprache und<br />
Kultur wurden unterdrückt und wer seinen<br />
Gefühlen Luft machen wollte, musste<br />
einen geschützten Raum aufsuchen<br />
… oder seine Zuflucht in der Kunst<br />
suchen, in der das Eigentliche zwischen<br />
den Zeilen gedacht werden muss.<br />
Insofern ist „Eine kleine Nachtmusik“<br />
ein „hermetisches Werk“, das von Spieler<br />
und Hörer die Fähigkeit verlangt,<br />
Ungesagtes zu hören und Verschlüsseltes<br />
zu dechiffrieren. Je umfassender die<br />
musikalische Erfahrung des Hörers, desto eher wird er in der Lage sein, das<br />
Ungesagte zwischen den Notenzeilen zu verstehen: Der pochende Rhythmus<br />
der linken Hand: weckt er nicht die Erinnerung an den wahnwitzigen Ritt des<br />
Vaters, der seinen fiebernden Sohn vor dem Erlkönig retten will?<br />
Bereits in den ersten Takten wird deutlich: „Eine kleine Nachtmusik“ ist keine<br />
introvertierte Klage über das Leben unter einem repressiven Regime. Mit seinem<br />
großen und dramatischen Ton und einer von schroffen Perspektivwechseln<br />
geprägten epischen Erzählhaltung erinnert das Werk an die großen<br />
romantischen Klavierballaden des 19. Jahrhunderts – mit tragischem Ausklang.<br />
Die imitierten Herzschläge am Ende des Stücks – sie könnten einer<br />
düsteren Erzählung von Edgar Allan Poe entstammen.
N N OTEN<br />
Getragen wird die Musik von einer<br />
kontrastreichen Bildlichkeit und<br />
vom schroffen Wechsel zwischen<br />
grellen Clusterklängen und zartester<br />
Linearität. Ein stetiger Wechsel von<br />
Stillstand und Bewegung, Freiheit<br />
und Strenge, Klang und Stille.<br />
Schwierigkeitsgrad: 4–5<br />
Münchner Klavierbuch<br />
Herausgegeben vom<br />
Landesverband Bayerischer<br />
Tonkünstler<br />
Vogt & Fritz VF 755<br />
EUR 14,50<br />
Noch nie war Neue Musik im Unterricht<br />
so sehr gefragt wie in<br />
den vergangenen Jahren. Es scheint<br />
tatsächlich, als hätten die vielen<br />
Schulprogramme und die pädagogischen<br />
Offensiven von Orchestern,<br />
Opernhäusern oder Kammermusikformationen<br />
die ihnen zugedachte<br />
Wirkung erzielt. Und noch nie wurde<br />
so viel gute zeitgenössische Musik für<br />
den Unterricht geschrieben. Zeit also,<br />
dass auch der Landesverband<br />
Bayerischer Tonkünstler seinen Bei-<br />
trag zur Diskussion leistet und mit<br />
dem „Münchner Klavierbuch“ auch<br />
Maßstäbe setzen will.<br />
Um dem Mangel an neuer Unterrichtsliteratur<br />
abzuhelfen und eine<br />
Brücke zwischen Komponisten und<br />
Nachwuchsinterpreten zu schlagen,<br />
wurde eigens ein Kompositionswettbewerb<br />
ausgeschrieben und um Einsendung<br />
von Werken gebeten, „die<br />
geeignet sind, Anfänger und Fortgeschrittene<br />
mit der Vielfalt der Ideen heutiger<br />
Komponisten bekannt zu ma-<br />
chen“. Ziel des Wettbewerbs war unter<br />
anderem, das Spektrum von Neuer<br />
Musik zu erweitern und auch solche<br />
Musik anzubieten, die der heutigen<br />
Jugendkultur nahesteht und<br />
geeignet ist, festgefahrene Vorurteile<br />
gegen die moderne E-Musik abzubauen.<br />
Ein Herausgeberteam um<br />
den in Würzburg lehrenden Komponisten<br />
Klaus Hinrich Stahmer hat,<br />
wie man das so macht, aus der großen<br />
Zahl von Einsendungen eine<br />
Auswahl getroffen und daneben einzelne<br />
Werke von Komponisten hinzugenommen,<br />
die sich nicht am<br />
Wettbewerb beteiligt hatten, oder<br />
deren Werke zwar ins Programm gepasst<br />
hätten, aber bereits verlegt<br />
sind.<br />
Ein weiteres Auswahlkriterium war<br />
aber auch der biografische Bezug aller<br />
Autoren zu Bayern, so dass als<br />
Nebeneffekt ein Katalog von zeitgenössischen<br />
Komponisten bayerischer<br />
Herkunft beziehungsweise mit bayerischem<br />
Wirkungskreis entstand.<br />
Entsprechend bunt ist der aus 32<br />
meist ein- bis zweiseitigen Stücken<br />
von einfachem bis mittlerem Schwierigkeitsgrad<br />
bestehende Band geraten.<br />
Da finden sich bekannte wie<br />
Wilhelm Killmayer (dessen Schüler<br />
Moritz Eggert ebenfalls vertreten<br />
ist), Wilfried Hiller oder Jörg Widmann<br />
neben unbekannteren Zeitgenossen.<br />
Große Unterschiede finden<br />
sich auch in der Qualität der einzelnen<br />
Beiträge: routiniert-gekonnt wie<br />
bei Harald Genzmers „Romanze“,<br />
manches nur routiniert („Ragtime“<br />
von Rolf Wilhelm), einiges genialisch-überschwänglich<br />
wie in Eggerts<br />
„Hämmerklavier-Fragment“ und<br />
mancher Komponist wandert singund<br />
jugendbewegt auf längst „überwachsenen<br />
Pfaden“. Und natürlich<br />
findet sich auch der eine oder andere<br />
Beitrag, der den Schnitt deutlich<br />
nach unten senkt …<br />
Doch gehört dies alles zu einer lebendigen<br />
Musikkultur. Auch in<br />
Bayern leben nicht nur Genies – und<br />
es ist wohl auch die Absicht der Herausgeber<br />
gewesen, keine „Bestenliste“<br />
anzubieten, sondern gerade<br />
die Vielfalt zu betonen. Wenn sich<br />
bei dem einen oder anderen Klavierschüler<br />
der Gedanke verfestigt: „das<br />
kann ich auch“ oder „das kann ich<br />
besser“, dann ist viel gewonnen.<br />
Schwierigkeitsgrad: 1–5<br />
Georg Philipp Telemann<br />
12 kleine Fantasien<br />
Herausgegeben von Erich Doflein<br />
Schott Piano Classics ED 2330<br />
EUR 9,95<br />
Für den neuesten Band der „Klavierklassiker“<br />
ist die Edition<br />
Schott ganz tief in ihr Verlagsarchiv<br />
hinabgetaucht und hat eine Ausgabe<br />
wiederaufgelegt, die beinahe<br />
selbst schon historischen Wert besitzt:<br />
die „12 kleinen Fantasien“ von<br />
Georg Philipp Telemann, die der<br />
Adorno-Freund Erich Doflein im<br />
Zuge der gerade erblühenden „Alte<br />
Musik-Bewegung“ zu einer Zeit herausgab,<br />
als man noch erklären musste,<br />
wer dieser Telemann eigentlich<br />
gewesen ist und wie man ihn musikhistorisch<br />
einzuordnen habe. Es handelt<br />
sich dabei um eine (im Übrigen<br />
hervorragend gedruckte) Auswahl<br />
aus einer Sammlung mit insgesamt<br />
drei Dutzend Klavierfantasien im<br />
deutsch-italienischen, polnischen,<br />
englischen und französischen Stil,<br />
aus denen Doflein nur das erste Dutzend<br />
auswählte. Der gemischte italienisch-deutsche<br />
Stil schien dem Herausgeber<br />
seinerzeit am ehesten geeignet,<br />
die Musik Telemanns einem<br />
unvorbereiteten Publikum vorzustellen.<br />
Auch deshalb, wie Doflein ganz<br />
aufrichtig schreibt, weil „wir diesen<br />
Stil von Bachs und Händels kontrapunktischen<br />
Klavierwerken kennen und<br />
lieben“. Nachzulesen im originalen<br />
Vorwort, das in der Neuausgabe<br />
dankenswerterweise nicht eliminiert<br />
wurde und auf diese Weise zum<br />
Nachdenken über die Vergänglichkeit<br />
der Zeit anregt.<br />
Dass die Musik einen glänzenden<br />
und jeglicher Originalität aufgelegten<br />
Komponisten auf der Höhe sei-<br />
80 3 . 08
3 . 08<br />
N OTEN<br />
nes Könnens zeigt, sei nur am Rande vermerkt. Wir<br />
Nachgeborenen wissen wieder, wer Telemann war<br />
…<br />
Schwierigkeitsgrad: 3–4<br />
Ulrike Wohlwender<br />
Jetzt fängt das schöne Frühjahr an –<br />
Lieder für alle Jahreszeiten<br />
Illustrationen von<br />
Marlies Walkowiak<br />
Mit CD<br />
Breitkopf Pädagogik EB 8766<br />
EUR 15,-<br />
Mit Ulrike Wohlwenders neuem Heft fängt<br />
nicht nur das schöne Frühjahr an. Die<br />
Sammlung umfasst auch Lieder zu Sommer, Herbst<br />
und Winter, und sie folgt einem ganz ähnlichen<br />
Konzept wie<br />
das in derselben<br />
Reihe erschieneneWeihnachtsheft<br />
„Was soll<br />
das bedeuten“:<br />
eine abwechslungsreicheAuswahl<br />
von Liedern,<br />
ergänzt<br />
um die schönen<br />
und fantasievollenBilder<br />
von MarliesWalkowiak<br />
und eine<br />
Fülle von Vorschlägen,<br />
wie<br />
diese sinnvoll am Klavier zu begleiten seien. Das<br />
Heft wächst dabei mit der Entwicklung des Spielers,<br />
der Schwierigkeitsgrad der Begleitstimmen<br />
reicht dabei von wahrhaft kinderleicht bis zu<br />
einem ausgefeilten mittelschweren Klaviersatz.<br />
Besondere Sorgfalt wird dabei auf Begleit-Bausteine<br />
gelegt, aus denen sich Klavierspiel frei entfalten<br />
kann.<br />
Man kann dieses Heft auf vielfältige Weise nutzen:<br />
im Unterricht mit einem Klavierschüler, zum Musizieren<br />
im Klassenverband oder einfach für das<br />
Musizieren am häuslichen Klavier. Wer will, kann<br />
sich auch nur die schön produzierte CD anhören,<br />
auf der alle Lieder von Ulrike Wohlwender (Klavier)<br />
und Regine Neumüller (Gesang) eingespielt<br />
worden sind.<br />
Schwierigkeitsgrad: 1–3
J<br />
In den ersten acht Takten habe ich das triolische<br />
Thema in einer einfachen Version notiert. (Im<br />
Original folgt darauf noch ein choralartiges weiteres<br />
Thema, das eng mit dem triolischen Thema verknüpft<br />
ist.) Machen Sie zunächst eine Vom-Blatt-Lese-Übung<br />
und spielen Sie dieses Thema. Sollte es nicht sofort gelingen,<br />
so ist das nicht schlimm. Widmen Sie sich dann<br />
nach und nach dem Erlernen zunächst der rechten<br />
Hand. Wenn das gelingt, spielen Sie auch die linke Hand<br />
dazu.<br />
Wir möchten nun das harmonische Material genauer<br />
kennen lernen und es der Kunst der Improvisation<br />
zugänglich machen. Also widmen wir uns zunächst der<br />
Analyse bzw. der Frage, wie wir Akkord-Symbole aus der<br />
Melodieführung und der dazugehörenden Basston-<br />
Bewegung ableiten können. Das führt uns zur Akkord-<br />
Skalen-Theorie, der ich mich an dieser Stelle früher<br />
schon ausführlich gewidmet hatte. Der Normalfall für<br />
den Jazz-Pianisten ist der, dass er ein fertiges Harmonie-<br />
Schema vorliegen hat und daraus nun die Skalentöne<br />
für seine Improvisation ableiten muss. Hier ist nun<br />
genau die umgekehrte Vorgehensweise vonnöten: Wir<br />
haben eine Melodie (also Skalentöne) plus Basstöne vorliegen<br />
und wollen daraus nun ein Harmonie-Schema<br />
ableiten.<br />
Die gesamten Noten der rechten Hand entstammen<br />
einer einzigen Skala, nämlich der G-Dur-Skala, die aus<br />
den Tönen g a h c d e fis besteht. (Diese Skala nennt<br />
man diatonisch. Ich habe hier die deutsche Schreibweise<br />
gewählt, um Sie nicht gleich zu verwirren. Deshalb heißt<br />
der dritte Ton h. Im Englischen wird derselbe Ton b<br />
genannt. In den Harmonie-Symbolen werde ich die englische<br />
Schreibweise benutzen.)<br />
Das Vorhandensein der G-Dur-Skala über dem Basston g<br />
im ersten Takt führt folgerichtig dazu, dass es sich hier<br />
um das daraus abzuleitende Harmonie-Symbol Gj7 han-<br />
J AZZ-WORKSHOP<br />
Jazz-Piano-Workshop (7)<br />
Wie schon der vorige Workshop, so versucht auch diese Folge des Jazz-Workshops<br />
die wohlgeordneten Kategoriegrenzen zu überspringen und befasst sich nicht<br />
nur mit dem Jazz, sondern berührt auch das klassische Klavierspiel. Genau<br />
genommen geht es um ein Werk der Barockmusik, nämlich um Johann Sebastian<br />
Bachs Kantate „Jesus bleibet meine Freude“, die uns als Ausgangspunkt für<br />
Improvisationsstudien dienen soll und zu Betrachtungen führt, wie man sich<br />
einem solchen Werk in freierer Interpretationsweise gestalterisch nähern kann.<br />
Dabei geht es selbstverständlich auch um Stilmittel des Jazz.<br />
von: Rainer Brüninghaus<br />
deln muss. Dieses bezeichnet den in der Grundform aus den<br />
Tönen g h d fis bestehenden Dur-Akkord mit großer<br />
Septime (also j7).<br />
Da wir es permanent nur mit der G-Dur-Skala über wechselnden<br />
Basstönen zu tun haben, ergibt sich daraus, dass<br />
alle Akkorde in diatonischer Verwandtschaft stehen werden.<br />
Es kann sich also nur jeweils um einen der folgenden<br />
Akkorde handeln: Gj7, Am7, Hm7, Cj7, D7, Em7, F#m7/b5,<br />
denn das sind die automatisch entstehenden Akkorde auf<br />
den 7 Tönen der G-Dur-Tonleiter, wenn man jeweils 4 dieser<br />
Töne auf jedem Grundton im Terzabstand übereinander<br />
schichtet. Diesen theoretischen Zusammenhang habe ich<br />
im Notenbeispiel 2 dargestellt.<br />
Doch gibt es in der Komposition eine Ausnahme! Denn der<br />
zweite Basston in Takt 7 verlässt das diatonische System<br />
von G-Dur: Dort findet man den Ton Cis. Hier müssen wir<br />
also einen anderen Akkord finden und es ergibt sich A7/C#,<br />
also der Sept-Akkord von A mit der Terz im Bass.<br />
Und dem aufmerksamen Leser wird vielleicht noch eine<br />
weitere Ausnahme auffallen. Diese geht jedoch nicht aus<br />
dem theoretischen System hervor, sondern entspringt<br />
Freiheiten, die ich mir genommen habe. In der Akkordik im<br />
Notenbeispiel 3 habe ich nämlich für den Akkord Bm7 (was<br />
wie gesagt Hm7 entspricht) nicht die phrygische Skala als<br />
Ausgangspunkt genommen, wie es dem diatonischen<br />
System entspräche, sondern die dorische Skala. Dadurch<br />
kommt der Skalenton cis zur Anwendung statt des c. Und so<br />
findet sich auch jeweils im Akkord Bm7 ein cis – dies, wie<br />
gesagt Produkt künstlerischer Freiheit.<br />
Spielen Sie nun die von mir notierten Akkorde, die uns<br />
einen ersten Zugang zum harmonischen Geschehen des<br />
Stückes ebnen sollen, aber auch schon einen ersten Teil der<br />
kreativen Arbeit am Material darstellen sollen. Versuchen<br />
Sie danach, anhand der Akkordsymbole eigene Voicings<br />
der Harmonien zu spielen.<br />
82 3 . 08
J AZZ-WORKSHOP<br />
J
von: Volker Dunisch<br />
I<br />
Um sich mit der Intervallstruktur<br />
von Middle Eastern vertraut zu<br />
machen, empfiehlt es sich, sie einige<br />
Male mit beiden Händen parallel im<br />
Abstand von zwei Oktaven herauf<br />
und wieder herunter zu spielen<br />
(Notenbeispiel 2). Fortgeschrittene<br />
Pianisten können darüber hinaus<br />
bei dieser Übung auch in beiden<br />
Händen jeweils Oktaven greifen<br />
(Notenbeispiel 3).<br />
Kommen wir zur ersten Improvisationsübung.<br />
Sie besteht darin, dass<br />
man mit rechts kleine, einfachrhythmisierte<br />
Motive bzw. Melodiebausteine<br />
erfindet, während die linke<br />
Hand mit zwei sich abwechselnden<br />
Quinten begleitet (Notenbeispiel 4).<br />
I MPROVISATIONEN<br />
Improvisationen am Klavier (Teil 23)<br />
Middle Eastern<br />
Herzlich willkommen zum letzten Teil der Klavierimprovisationen. Ab der nächsten Ausgabe werde ich an<br />
dieser Stelle eine neue Workshopreihe beginnen – dazu am Ende mehr.<br />
Heute beschäftigen wir uns mit einer Tonleiter, die ich während meiner Musiktherapie-Ausbildung unter<br />
der Bezeichnung „Middle Eastern“ kennen lernte (Notenbeispiel 1). Meistens wird diese Leiter hierzulande<br />
– politisch wohl nicht mehr ganz korrekt – als „Zigeuner-Dur“ bezeichnet. „Orientalische Tonleiter“ ist ein<br />
weiterer gebräuchlicher Name. Wie letztere Bezeichnung schon sagt, kann man mit dieser Leiter auf sehr<br />
einfache Weise etwas vom Klangbild orientalischer Musik auf das mitteleuropäisch gestimmte Klavier<br />
zaubern.<br />
Im dritten Takt des Beispiels sehen<br />
Sie eine Besonderheit: Als Wechselnote<br />
oder zur Umspielung des<br />
Grundtons D kann links davon ein C<br />
anstelle des eigentlichen Tonleitertons<br />
Cis verwendet werden (s. Notenbeispiel<br />
5 und 6).<br />
Sobald Sie sich in dieser Spielform<br />
zu Hause fühlen, können Sie dazu<br />
übergehen, die Quinten links zu<br />
rhythmisieren. Eine Möglichkeit<br />
hierfür zeigt Notenbeispiel 7.<br />
Typisch für orientalische Musik sind<br />
ungerade Taktarten bzw. Metren.<br />
Notenbeispiel 8 demonstriert, wie<br />
eine Improvisation über ein Ostinato<br />
im 7/8-Takt angegangen werden<br />
kann. Üben Sie das Spiel im 7/8-<br />
Takt langsam und geduldig. Spielen<br />
Sie rechts zunächst rhythmisch sehr<br />
schlicht, um nicht aus dem Takt zu<br />
geraten.<br />
Eine ganz andere Art der Improvisation<br />
besteht darin, rhythmisch<br />
und metrisch sehr frei melodisch zu<br />
fantasieren (Notenbeispiel 9). Stellen<br />
Sie sich vor, Sie würden mit der<br />
rechten Hand eine Flöte oder einen<br />
Sänger imitieren. Experimentieren<br />
Sie mit Verzierungen, Trillern und<br />
Melismen, als wollten Sie wie in<br />
einem Rezitativ eine lebendige Geschichte<br />
erzählen oder eine Rede<br />
halten.<br />
Abschließend eine orchestrale Spielform<br />
im Stil von „Laurence von Ara-<br />
84 3 . 08
3 . 08<br />
I MPROVISATIONEN<br />
bien“ (Notenbeispiel 10). Im Ostinato links wechselt sich<br />
D-Dur mit einem spannungsreichen Es-Dur-Akkord über<br />
dem Basston A ab. Rechts spielt man die Melodie in<br />
majestätischen Oktaven.<br />
Bevor ich nach mittlerweile vier Jahren zum Ende der<br />
„Improvisationen am Klavier“ komme, möchte ich noch<br />
auf die Fortsetzung dieses Praxisteils hinweisen. Ab der<br />
kommenden Ausgabe geht es an dieser Stelle um die Kunst<br />
und das Handwerk des Barpiano-Spiels. Auch dabei wird<br />
das Thema Improvisation nicht gänzlich außen vor gelassen<br />
und so hoffe ich, dass Sie am Ball bleiben werden.<br />
Viel Spaß bei Ihren eigenen Improvisationen wünscht<br />
Ihnen<br />
Volker Dunisch<br />
I<br />
85
P P ROFI-TIPPS<br />
Kleinanzeige<br />
Der Wettbewerbspianist<br />
Der erste Klavierwettbewerb war 1890 der „Anton Rubinstein“-Wettbewerb in St.<br />
Petersburg. Frauen waren nicht zugelassen. Das hat sich inzwischen geändert.<br />
Wettbewerbe haben mittlerweile das ganze Jahr Saison. Aber der Frühling kommt<br />
und Wettbewerbsduft liegt wieder in der Luft. Zeit für einige Überlegungen zum<br />
Thema Wettbewerbe.<br />
von: Ratko Delorko<br />
Die Qual der Wahl: Es gibt momentan weltweit<br />
etwa 600 Klavierwettbewerbe. Davon gelten<br />
knapp 100 als wichtig. Davon die wichtigeren sind<br />
in einer praktischen Broschüre der Alink-Argerich-<br />
Foundation zusammengefasst. Gustav Alink gilt<br />
als Mr. Piano-Competition und hat akribisch alle<br />
Details der wichtigen Wettbewerbe zusammengetragen<br />
und katalogisiert. Sehr gute Tabellen zeigen<br />
Repertoire, eventuelle Pflichtstücke, Altersgruppen<br />
und Termine auf. Aktuelle Änderungen<br />
werden wöchentlich unter www.alink-argerich.org<br />
im Internet ergänzt. Wer Wettbewerbe spielen<br />
will, braucht diese Pflichtlektüre.<br />
Sinn: Jeder Wettbewerb ist für eine eigene<br />
Standortbestimmung geeignet. Außerdem ist es<br />
„Üben vor Publikum“ und man lernt, mit teilweise<br />
unangenehmen Stresssituationen umzugehen.<br />
Wer möchte, lernt auch fair und freundlich mit<br />
seinen Mitbewerbern umzugehen. Ein eventueller<br />
Preis erzeugt Aufmerksamkeit und kann im besten<br />
Falle eine Initialzündung für eine pianistische Karriere<br />
darstellen. Die damit verbundenen Konzerte<br />
und daraus resultierenden Kontakte können für<br />
die spätere Akquise und für ein eigenes Netzwerk<br />
von Nutzen sein.<br />
Ein Preisgewinn, den man vorweisen kann, ist<br />
auch eine Legitimation für potenzielle Veranstalter,<br />
die keine Ahnung oder Angst vor der eigenen<br />
Courage haben. Damit sichert sich der Dezernent<br />
im Amt ab, der neben dem Rathaussaalkonzert<br />
auch den Sport machen muss. Er geht auf Nummer<br />
sicher und bucht lieber einen Preisträger.<br />
Wenn das Konzert dann „nich so riechtig doll“<br />
war, war es immerhin ein Preisträger und damit<br />
ist der Beamte fein raus.<br />
Gelegentlich gehen Agenturen und Labels in<br />
Endrunden größerer Wettbewerbe auf Talentsuche,<br />
denn sie brauchen trendiges Frischfleisch –<br />
und die Lotterie ist wieder eröffnet. Jedenfalls ist<br />
die Chance vorhanden, dass man zur Kenntnis<br />
genommen wird. Außerdem sind Preisgelder eine<br />
Bechstein - Klavier<br />
Altstil, Baujahr ca. 1905, Serien-Nr. 9337,<br />
besondere klangliche Schönheit, komplett überarbeitet und<br />
schwarze Lackierung erneuert, hervorragender Zustand,<br />
mit altem, schönem Klavierhocker<br />
von privat zu verkaufen in München<br />
Tel.: 0163 / 570 66 16<br />
hübsche Alternative zum Kellnern oder Taxifahren<br />
und die Erfahrung schult und stählt ungemein.<br />
Man darf nur nicht im Hamsterrad der Wettbewerbe<br />
kleben bleiben … Wer denn mal was gewinnen<br />
konnte, wird sich sofort um die Akquise von<br />
Konzerten, Agenturkontakten und CDs kümmern,<br />
denn das Zeitfenster, auch Aktualität genannt, ist<br />
knapp bemessen.<br />
Unsinn: Kein Wettbewerbsgewinn beinhaltet<br />
eine Karrieregarantie. Wer sich nach einem eventuellen<br />
Wettbewerbsgewinn entspannt zurücklehnt,<br />
wird nach hintenüber fallen. Ein Wettbewerb,<br />
der mit Konzerten lockt, ist nett, aber im<br />
nächsten Jahr wollen die nächsten Preisträger<br />
drankommen und man selbst bleibt dann vor der<br />
Tür stehen. Man kann ketzerisch rechnen: Von,<br />
sagen wir, 90 wichtigen Wettbewerben sind die<br />
ersten drei Preisträger mit dem Prädikat „Preisträger“<br />
versehen. Das sind 270 Spieler. Wenn jeder<br />
von denen das Ziel hat, 100 Konzerte im Jahr zu<br />
geben, müssen 27.000 Gigs her. Im nächsten Jahr<br />
stehen aber die nächsten Gewinner in der Tür und<br />
scharren mit den Hufen. Wie soll das gehen?<br />
Auswirkungen: Auch durch die globalen Meisterkurse<br />
werden nationale pianistische Eigenheiten<br />
verwässert. Es gibt heute eigentlich keine spezifische<br />
französische, deutsche, englische, italienische,<br />
russische oder amerikanische Schule mehr.<br />
Das Ganze ist in den letzten Jahren recht einheitlich<br />
geworden. Dazu kommt, dass es international<br />
wirkende, hervorragende und spezialisierte Lehrer<br />
gibt, die wirklich in der Lage sind, einen Studenten<br />
präzise durch das Nadelöhr Wettbewerb zu navigieren.<br />
Hut ab – ich könnte das nicht. Ich würde<br />
heutzutage keinen Wettbewerb gewinnen, sondern<br />
nur anecken.<br />
Der Typ des Wettbewerbspianisten ist kontinuierlich<br />
generiert worden. Es kann natürlich auch<br />
eine Dame sein. Er oder sie reist von Wettbewerb<br />
zu Wettbewerb, heimst diesen und jenen Preis ein,<br />
manchmal auch nicht, aber auf die Quote kommt<br />
es an. Jede Reise ohne Preisgewinn verbrennt<br />
Geld. (Ich bleibe jetzt beim „er“.) Idealerweise<br />
spielt er nicht zu schnell, nicht zu langsam, nicht<br />
zu grob, aber auch nicht zu zart. Er nimmt sich gerade<br />
so viele agogische Freiheiten heraus, um<br />
nicht steif zu wirken, spielt aber artig metronomkonform.<br />
Historische Spielweisen und Erfahrungen<br />
am Hammerflügel interessieren ihn nicht; das auf<br />
einen modernen Konzertflügel projizierte romantisierte<br />
Klassikbild wird favorisiert. Vermutlich hat<br />
er auch fünf wichtige Interpretationen seiner<br />
86 3 . 08
3 . 08<br />
P ROFI-TIPPS<br />
Stücke auf CD gehört und „aus fünf mach eins“ gemacht.<br />
Eben der ideale, unauffällige Schwiegersohn<br />
am Klavier. So richtig mag man ihn nicht,<br />
weil er so glatt ist wie der Polyesterlack des Konzertflügels.<br />
Aber dahinter steckt Strategie: Wenn ein Spieler<br />
musikantisch auftrumpfend und mit einer eigenen<br />
Aussage polarisierend daherkommt, wird es in der<br />
Jury Kontroversen geben. Immer. Am Ende wird<br />
sehr demokratisch gepunktet und der Störenfried<br />
erhält von seinen Gegnern kaum Punkte, der mediokre<br />
Spieler dagegen wird aber von allen etwa<br />
gleich (gut) bewertet, weil er nicht weiter unangenehm<br />
aufgefallen ist. Er spielt fehlerfrei, weil er<br />
das musikantische und pianistische Risiko scheut.<br />
Wieder zählt die Quote und Mamas Liebling steht<br />
auf einmal mit der höchsten Punktzahl da – und<br />
gewinnt. Oder zwei funkelnde Gegner trumpfen<br />
auf. Die ideale Situation, um Jury und Publikum in<br />
zwei Lager zu spalten und gegeneinander punkten<br />
zu lassen. Wieder bleibt der lachende Dritte übrig<br />
… Eine beliebte Strategie, die oft funktioniert.<br />
So geht einiges an pianistischer Vielfalt verloren<br />
und das, was künstlerisch hätte wertvoll werden<br />
können, wird wirkungsvoll eingeebnet. Nur zurückgewinnen<br />
lassen sich verloren gegangene<br />
Qualitäten nicht so leicht. Aber das ist auf dem<br />
Instrumentenmarkt auch nicht anders. Eigentlich<br />
ist der Teilnehmer immer ein bisschen angeschmiert:<br />
Wenn er gewinnt, war es die Leistung<br />
des Lehrers und der Hochschule. Dass der Spieler<br />
die Leistung selbst erbracht hat, wird ignoriert.<br />
Fliegt er in der ersten Runde raus, hat er nicht auf<br />
den Lehrer gehört oder nicht genug geübt, hat<br />
also den Schaden und den Spott.<br />
Fazit: Wer die Möglichkeit hat, an Wettbewerben<br />
teilzunehmen und sich das finanziell erlauben<br />
kann, sollte dies tun. Es schult und stärkt für den<br />
Beruf, sich für Reisekosten und Teilnahmegebühren<br />
abseifen zu lassen und zu entdecken, wo<br />
man im Pianistenmeer angesiedelt ist. Es ist nichts<br />
für zart besaitete, sensible Naturen. Dafür übt<br />
man vor Publikum und wird als Auftrittskünstler<br />
zunehmend stressresistent. Mit Kunst hat das wenig<br />
zu tun, aber darum geht es auch nicht. Wer<br />
mal was gewonnen hat, hat die Chance, daran<br />
anzuknüpfen und ein eigenes Netzwerk zu entwickeln.<br />
Na denn viel Glück …<br />
Ratko Delorko ist Pianist, Komponist und<br />
Pädagoge. Er leitet ein „Privatinstitut für<br />
pianistische Studien“ in Essen und kann auf<br />
zahlreiche Schallplatteneinspielungen,<br />
Rundfunkaufnahmen und Kompositionsveröffentlichungen<br />
blicken. Er ist Dozent für<br />
Klavier an der Musikhochschule Frankfurt<br />
am Main.<br />
www.delorko.de<br />
Biografien im<br />
STACCATO-Verlag<br />
Dominique Xardel<br />
Idil Biret<br />
Eine türkische Pianistin auf den Bühnen der Welt<br />
(mit einem Vorwort von Peter Cossé)<br />
Gefördert mit freundlicher<br />
Unterstützung von<br />
250 Seiten / brosch.<br />
inkl. CD im Buch mit einem<br />
Querschnitt des<br />
pianistischen Schaffens von Idil Biret<br />
Euro 20,00 (D) / Euro 21,- (A)<br />
ISBN13 978-3-932976-31-5<br />
Idil Biret ist eine der wenigen Frauen,<br />
die in der Welt des Klaviers über<br />
Jahrzehnte ihre Position auf den<br />
Weltbühnen behaupten konnten.<br />
Doch nur wenig ist über ihr bewegtes<br />
Leben, über ihr musikalisches Denken<br />
und ihre ersten Schritte aus ihrer<br />
Heimat, der Türkei, ins westliche<br />
Ausland bekannt. Hier nun schreibt die Pianistin auf Fragen des<br />
Autors Dominique Xardel über alle Aspekte ihres Lebens.<br />
1941 in Ankara geboren, erhielt Idil Biret ihre pianistische Ausbildung<br />
am Conservatoire in Paris bei Nadia Boulanger, studierte in der Folge<br />
bei Alfred Cortot und bei Wilhelm Kempff. Schon mit 16 Jahren trat<br />
sie in den bedeutendsten Konzertsälen auf. Seither ist sie Stammgast<br />
in allen Sälen der Welt und hat – neben etlichen anderen Aufnahmen<br />
– sämtliche Klavierwerke von Chopin, Brahms, Rachmaninow sowie<br />
Wilhelm Kempff auf CD eingespielt.<br />
Bruno Monsaingeon<br />
Swjatoslaw Richter<br />
Mein Leben, meine Musik<br />
450 Seiten / brosch.<br />
Euro 32,- (D) / Euro 34,40 (A)<br />
ISBN 3-932976-27-4<br />
ISBN13 978-3-932976-27-8<br />
Gefördert mit freundlicher<br />
Unterstützung von<br />
Swjatoslaw Richter bricht in diesem<br />
Buch sein hartnäckiges lebenslanges<br />
Schweigen und offenbart sich in einem<br />
außergewöhnlichen Gespräch und seinen<br />
persönlichen Notizbüchern.<br />
Der berühmte Geiger, Regisseur und<br />
Schriftsteller Bruno Monsaingeon<br />
schaffte es kurz vor Richters Tod, in<br />
dessen engste persönliche Sphäre vorzudringen<br />
und seine Gedanken und Erinnerungen aufzuzeichnen.<br />
Die etwa 30 Jahre lang geführten Notizbücher Richters geben zudem<br />
auf einmalige Weise Zeugnis über die Musik unseres Jahrhunderts.<br />
Sie sind Mitteilungen einer nonkonformistischen Persönlichkeit, eines<br />
der größten Interpreten des Jahrhunderts, dessen Geschichte verbunden<br />
mit jener der Sowjetunion ist.
B B ESONDERE A UFNAHMEN<br />
Ein fünftes Klavierkonzert von Rachmaninow?<br />
Alexander Warenbergs Adaption der 2. Sinfonie von Rachmaninow als Klavierkonzert<br />
Eine große römische V steht auf dem Cover und<br />
der Name Rachmaninows prangt unübersehbar<br />
darüber. Doch erst beim zweiten Hinsehen<br />
wird man gewahr, worum es sich bei dieser CD-<br />
Einspielung handelt: eine Adaption des Pianisten-<br />
Komponisten Alexander Warenberg<br />
der 2. Sinfonie Sergej Rachmaninows<br />
als Klavierkonzert. Die Nummer V<br />
wird nur darum benutzt, da es von<br />
Rachmaninows Hand immerhin ja<br />
vier Klavierkonzerte gibt, auch wenn<br />
eigentlich immer nur das 2. und 3. in<br />
Konzerten (und meist auch auf CD)<br />
gespielt werden. Was soll also das<br />
Ganze? Der Pianist dieser Einspielung,<br />
Wolfram Schmitt-Leonardy, im<br />
Booklet-Interview danach gefragt, ob<br />
man denn ein fünftes Klavierkonzert<br />
von Rachmaninow bräuchte, wo doch<br />
Nr. 1 und Nr. 4 schon so selten aufgeführt<br />
werden, antwortet ehrlich: „Nein. Aber wir<br />
brauchen ein Warenberg-Konzert. Und wir brauchen<br />
Komponisten mit der Courage zu schreiben, was sie<br />
innerlich fühlen, so wie Rachmaninow es tat. [...]<br />
Alexander gebraucht sein Herz, nicht allein seinen<br />
Kopf.“ Was ist es also, das uns auf dieser CD nun<br />
wirklich erwartet?<br />
Die Geschichte der groß angelegten 2. Sinfonie<br />
von Sergej Rachmaninow hat viele Facetten. Noch<br />
nach der Stichvorlage als Korrekturvorlage hat der<br />
Komponist zahlreiche Korrekturen mit eigener<br />
Hand eingefügt, zum Teil erhebliche, fast wie komplett<br />
neu komponierte Teile. Zudem hat er einigen<br />
Dirigenten, wie beispielsweise Eugene Ormandy,<br />
einige Kürzungen erlaubt, die aber sehr gering waren.<br />
Wie kommt man also dazu, sich diesem großen<br />
sinfonischen Werk zu nähern, um aus ihm ein<br />
Klavierkonzert zu entwickeln? Nun, die Idee kam<br />
Pieter van Winkel, dem Chef des CD-Budget-Labels<br />
Brillant Classics im Jahr 2000. Er schreibt,<br />
dass er bei allen sinfonischen Werken Rachmaninows<br />
auch immer an Klaviermusik denkt. Entsprechend<br />
empfand er die Themen der 2. Sinfonie<br />
als bestens geeignet, um sie in der Tradition von<br />
Rachmaninows Klavierkonzerten bearbeiten zu<br />
lassen. Doch musste er erst einmal einen Künstler<br />
finden, der sich dieser doch recht anspruchsvollen<br />
Aufgabe stellen würde und ihr auch noch gerecht<br />
werden könnte. Als niederländischer Unternehmer<br />
schaute er selbstverständlich in seinem Land nach<br />
einem entsprechenden Fachmann – und fand ihn<br />
in dem russischen Pianisten und Komponisten Alexander<br />
Warenberg, der mittlerweile hauptsächlich<br />
als Komponist für Film und Fernsehen arbeitet.<br />
Was einen erwartet, ist ein vollkommen neu entstandenes<br />
Werk, ein Klavierkonzert in der Tradition<br />
des russischen Komponisten, stark gekürzt,<br />
dreisätzig anstatt – wie die Sinfonie – viersätzig.<br />
Warenberg wollte unbedingt der Tradition der<br />
Klavierkonzerte folgen, also kürzte er die Sinfonie<br />
– entsprechend den Klavierkonzerten – von vier<br />
auf drei Sätze. Mehr als 40 Prozent der Sinfonie<br />
entfielen. Allein schon daran lässt sich leicht<br />
erkennen, dass Warenberg vor allem eines tat: Er<br />
folgte zwar den Themen der Sinfonie, doch änderte<br />
er auch hier schon entsprechend der für Klavierstimme<br />
geeigneten Motive die Folge ab.<br />
Selbstredend konnte er aber der sinfonischen<br />
Orchestrierung nicht einfach<br />
nur eine obligate Klavierstimme<br />
hinzufügen – vielmehr musste er<br />
auch die Instrumentation abändern<br />
und auf die zusätzliche Klavierstimme<br />
hin abstimmen. Ist es also wirklich<br />
noch Rachmaninow, was wir da<br />
von der CD hören, und was mittlerweile<br />
auch als Noten im Verlag<br />
Boosey & Hawkes erschienen ist?<br />
Nein, nicht wirklich. Auch wenn man<br />
beim Hören durchaus den Eindruck<br />
eines Rachmaninow’schen Werkes<br />
haben kann. Letztendlich ist es eine<br />
Neukomposition, ein Werk eines modernen Komponisten,<br />
der den Orchestrierungs- und Klavierkonzertideen<br />
von Rachmaninow durchaus folgte,<br />
aber letztendlich ein Werk „im Sinne von“ erarbeitete.<br />
Ansonsten hätte Warenberg wohl auch kaum<br />
mehr als zwei Jahre benötigt, wenn er ausschließlich<br />
eine Bearbeitung hätte anfertigen müssen.<br />
Das Ergebnis kann sich hören lassen, und der Pianist<br />
Wolfram Schmitt-Leonardy hat recht, wenn er<br />
sagt, dass da ein Komponist mit dem Herzen<br />
schrieb. Und er folgt diesen Herzenseinfällen<br />
durchaus gerne, das hört man. Zudem ist die Janácek<br />
Philharmonie ein unter der Leitung von Theodore<br />
Kuchar gut in der Rachmaninow-Tradition<br />
klingendes Orchester, denn eines änderte Warenberg<br />
nicht, die Größe der Besetzung. Und so<br />
hat man dann ein neues Klavierkonzert vor<br />
Ohren, eines, das absolut im spätromantisch-elegischen<br />
Sinne von Rachmaninow erklingt, bei dem<br />
man deutlich immer wieder die Motive und Melodien<br />
aus der 2. Sinfonie erkennt, auch wenn der<br />
dritte Satz im Prinzip vollkommen fehlt. Eine wunderbare<br />
Idee, der auch die Nachkommen von<br />
Rachmaninow zustimmten. Und vielleicht ist diese<br />
Art der Arbeit heutzutage umso mehr publikumswirksam,<br />
als dass es leider nur selten von heutigen<br />
Komponisten moderne Klavierkonzerte in der besten<br />
Tradition dieses Genres gibt.<br />
Carsten Dürer<br />
Sergej Rachmaninow<br />
Arragement Alexander Warenberg<br />
Klavierkonzert Nr. 5 (Arrangement der 2. Sinfonie)<br />
Wolfram Schmidt-Leonardy, Klavier<br />
Janácek Philharmonie<br />
Ltg.: Theodore Kuchar<br />
Brillant Classics 8900<br />
88 3 . 08
3 . 08<br />
B ESONDERE A UFNAHMEN<br />
Liszts h-Moll-Sonate solo und für Orchester<br />
Leo Weiners Bearbeitung für Orchester von Liszts Sonate von der Musikhochschule Weimar<br />
Es ist das längste zusammenhängende Stück<br />
Musik, das für Klavier solo geschrieben wurde:<br />
Franz Liszts h-Moll-Sonate, die nur innerlich einige<br />
Abschnitte in sich birgt, aber vom Interpreten eine<br />
gehörige Portion Überblick, Ideenreichtum, technisches<br />
Können, Weitsicht und zahlreiche<br />
Ausdrucksfacetten verlangt (was<br />
mehr kann man von einem Pianisten<br />
überhaupt verlangen?). Zahllose Interpreten<br />
haben dieses Werk eingespielt,<br />
um die dramatische Wirkung<br />
nachzuvollziehen, die Liszt da eingewoben<br />
hat, das Wechselbad der<br />
Gefühle zu erforschen, dem scheinbaren<br />
Kampf zwischen Gut und Böse<br />
nachzuspüren. Ebenso wie sich noch<br />
heute die Pianisten und Zuhörer für<br />
dieses Werk begeistern, war auch der<br />
ungarische Komponist Leo Weiner<br />
(1885–1960) von diesem Werk eingenommen.<br />
Weiner, der selbst an der Budapester Musikakademie<br />
(der heutigen Franz Liszt-Akademie in<br />
Budapest) Komposition unterrichtete, nahm sich<br />
1955 dieses Werks an und erkannte, dass es durchaus<br />
orchestrale Züge in dem Klaviersatz gibt. So<br />
machte er sich daran und arbeitete dieses Werk<br />
des Sohnes Ungarns für das Jubiläumsfest 1956<br />
zum 70-jährigen Todestag Liszts für Orchester um.<br />
Doch Weiner hat nicht etwa nur eine Orchestrierung<br />
vorgenommen, sondern vielmehr hat er den<br />
Notentext identisch mit anderen Instrumenten<br />
neu kreiert (ähnlich wie dies schon Ravel mit den<br />
„Bilder einer Ausstellung“ von Mussorgsky getan<br />
hatte). Eigenwilligerweise wurde das Werk 1956<br />
nicht aufgeführt und auch danach nie wieder.<br />
Zudem liegt kein verlegtes Notenmaterial vor.<br />
Nun hat man im Jahre 2006 – dank der Arbeit der<br />
in Weimar beheimateten Franz-Liszt-Gesellschaft –<br />
dieses Werk zum Liszt-Festival wieder ans Tageslicht<br />
befördert und auch gleich von dem Orchester<br />
der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar aufführen<br />
lassen. Und diese Aufführung wurde als<br />
Welturaufführung auch gleich für eine Weltersteinspielung<br />
mitgeschnitten, die nun auf der vorliegenden<br />
CD zu hören ist. Und um den direkten<br />
Vergleich mit dem Original für Klavier nachvollziehen<br />
zu können, hat die Siegerin des von der<br />
Hochschule Franz Liszt Weimar veranstalteten<br />
Internationalen Franz Liszt-Wettbewerbs Weimar<br />
2006, Olga Kozlowa, die Klavierversion auf dieser<br />
CD verewigt. Und Olga Koslowa,<br />
deren Interpretation am Beginn dieser<br />
CD steht, kann dem Werk durchaus<br />
gerecht werden und ihrem<br />
Namen als 1. Preisträgerin alle Ehre<br />
machen. Und auch wenn die Sonate<br />
in Orchesterfassung – selbstverständlich<br />
– nicht immer die Tempi der<br />
Klavierversion aufgrund des großen<br />
Orchesterapparates halten kann, ist<br />
man erstaunt, wie bestechend Weiner<br />
die emotionalen Ideen seines Landsmannes<br />
in eine neue Tonwelt umgesetzt<br />
hat. Dabei folgt Weiner vor allem<br />
den musikalischen Aussagen, den Charaktereigenschaften<br />
des Liszt’schen Werks, lässt nicht<br />
nur den großen Orchesterapparat sprechen, sondern<br />
setzt auch Solo-Violin-Parts ein, vermag mit<br />
den Streichern die gebetsartig-geistigen und religiösen<br />
Aussagen wunderbar zu gestalten. Es ist<br />
eine faszinierende Version, die ab nun sicherlich<br />
häufiger im Konzertsaal erklingen wird, noch häufiger<br />
als bislang. Und das ist gut so, denn es gibt<br />
kaum noch einmal solch ein Musikwerk, das die<br />
gesamte Welt des Menschen in einem einzigen<br />
Werk, dessen Emotionen in Töne gefasst wiedergibt.<br />
Carsten Dürer<br />
Franz Liszt<br />
Sonate h-Moll<br />
Olga Kozlowa, Klavier<br />
Leo Weiner<br />
Sonate h-Moll (arr. für Orchester)<br />
Orchester der Hochschule für Musik Franz Liszt<br />
Weimar<br />
Ltg.: Nikolás Pasquet<br />
Cavi-music 42 600 855 3012 0<br />
(Vertrieb: JaKlar!)<br />
B<br />
89
A A LTE A UFNAHMEN<br />
Von: Carsten Dürer<br />
Géza Anda<br />
Gleich zwei Reihen von CDs mit Aufnahmen des legendären ungarischen Pianisten Géza Anda kommen<br />
nun heraus. Gut so, denn dieser Pianist, der noch immer vielen Menschen so gegenwärtig ist, wurde<br />
durch andere berühmte und sich selbst besser vermarktende Pianisten vor allem in den vergangenen 20<br />
Jahren mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt. Dennoch wissen viele noch mit Andas Namen die<br />
vielleicht eindringlichsten Interpretationen von Werken Mozarts oder Bartóks zu verbinden, die so<br />
etwas wie Andas Hausgötter im Kanon seines weiten Repertoires darstellten.<br />
90 3 . Géza Anda wurde 1921 in Budapest<br />
geboren und äußerte schon<br />
ist. Und hier zeigen sich gleich mehrere<br />
wichtige Details: Zum einen<br />
me hervorhebt. Und dabei weiß er<br />
durchweg zu singen, weiß dem Ins-<br />
als Siebenjähriger selbstbewusst, hatte Anda mittlerweile sein Repertrument immens viele Farbfacetten<br />
dass er einer der größten Pianisten toire immens erweitert und klam- zu entlocken. Es ist ein Mozart-Spiel,<br />
werden würde. Ab 1934 besuchte merte kaum eine Epoche oder einen das die Musik Mozarts auf den<br />
Anda bereits die Musikakademie Komponisten aus. Natürlich sind die Punkt bringt, ohne jemals kühl zu<br />
seiner Heimatstadt und erhielt ei- großen Klavierkonzerte von Mozart wirken, mochten ihm dies auch Krinen<br />
grundsoliden Unterricht, auf in einer Doppel-CD in Volume 1 dietiker damals – wie anderen Pianis-<br />
den man dann aufbauen könne, wie ser Edition zu finden, mit dem Költen seiner Zeit ebenso – vorwerfen,<br />
er sich selbst einmal äußerte. Auf ner Rundfunk-Sinfonie Orchester die noch das romantisch fette Mo-<br />
anraten von Wilhelm Backhaus, (dem heutigen WDR-Sinfonieorcheszart-Spiel gewohnt waren und im<br />
dem er als 17-Jähriger vorspielte, ter) unter Constantin Silvestri und Ohr hatten. Dies wird umso deutli-<br />
bewarb sich Anda in die Klavierklas- Joseph Keilberth. Aber man kann cher, wenn Anda selbst die klein<br />
se von Ernst von Dohnányi, dessen Anda auch mit der Camerata Aca- besetzte Camerata Academica Salz-<br />
Ruf damals schon so groß als Didemica Salzburg (heute die Cameburg leitet. Hier hat er alles unter<br />
rigent,Komporata Salzburg) erleben, die er selbst Kontrolle, verschmilzt er den Klang<br />
nist und Lehrer vom Flügel aus leitete, wie er es mit dem der anderen Instrumente<br />
war, dass es eini- immer häufiger tat. Zudem sind in grandios. Und so handhabt er begen<br />
Mut verlang- den Konzerten KV 466 und KV 482 merkenswerterweise auch das Beette,<br />
an ihn heran- die Kadenzen von Anda selbst. Doch hoven-Klavierkonzert Nr. 1, das er<br />
zukommen.<br />
vor allem fasziniert die Klangqua- ebenfalls live vom Klavier aus in<br />
Doch es gelang lität, die das Remastering aus diesen Köln leitete. Auch hier denkt er<br />
und Anda erhielt Aufnahmen zaubert. Und so hört kammermusikalisch, lässt den Klang<br />
nun Unterricht man die vielleicht reinsten klangli- des Flügels kongenial als Solist in<br />
von dieser lebenchen Einspielungen von Anda aus die Akzente des Orchesters fließen.<br />
den Legende. dieser Zeit, hört auf einmal jedes Eine feinsinnige Interpretation. An-<br />
Dann ging es sehr schnell: Anda ge- Detail des Orchesterparts, aber ders geht er dann allerdings mit den<br />
wann 1939 den Franz-Liszt-Preis in auch des Solisten, kann weitaus bes- Klaviersonaten Nr. 7 Op. 10 Nr. 3<br />
Budapest und begann sofort seine ser dessen Spiel beurteilen. Und wie und Nr. 28 Op. 101 von Beethoven<br />
Konzerttätigkeit. Zuerst vor allem klingt Mozart bei Anda? Nun, wie um. Hier nun möchte man dem<br />
mit dem großen romantischen und längst bekannt, hatte Anda eine Interpreten doch hier und da in sei-<br />
spätromantischen Konzertreper- vollkommen unromantische Vorstelner Darstellung widersprechen,<br />
toire, wie es wohl jeder junge Pianist lung vom Klavierspiel, wollte zwar denn Géza Anda stellt die Sätze fast<br />
tut. 1942 geht er dann nach Berlin Virtuoses virtuos klingen lassen, esoterisch ruhig fließend und detail-<br />
und feiert in der deutschen Haupt- wollte aber der Musik auch immer verliebt dar, so dass einem ein ums<br />
stadt immense Erfolge. Doch die Na- auf den Grund gehen, ihren Kern andere Mal der Fluss der Beethozis<br />
schielten auch bald auf den mitt- treffen. Und so klingt sein Mozart ven’schen Schreibweise etwas fehlt.<br />
lerweile von Wilhelm Furtwängler entschlackt, mehr detailliert und auf Und dies selbst, wenn er durchaus in<br />
geförderten jungen Pianisten und so das Wesentliche beschränkt als bei den schnellen Sätzen die Tempi<br />
ging Anda 1943 in die Schweiz, wo Kollegen dieser Zeit, auch wenn die- wunderbar denen der langsamen<br />
er bis zu seinem Tod eine neue Heise unprätentiöse und von einer ge- Sätze anpasst. Er verliebt sich zu<br />
mat fand, unterrichtete, von dort wissen emotionslosen Detailver- sehr in die Feinheiten, scheint wenig<br />
aus in aller Welt konzertierte; bis zu liebtheit zeugende Aufnahme in zu wagen, wenig der inneren Un-<br />
seinem Tod 1976.<br />
jedem Fall beliebt war und eine ruhe und Emotionalität des Kom-<br />
Das Label Audite hat sich nun im Neuorientierung in Bezug auf das ponisten ihren Lauf zu lassen. Da<br />
Archiv des Westdeutschen Rund- Spiel von Mozart bedeutete. Doch fühlt er sich bei Brahms wohl doch<br />
funks umgeschaut und etliche span- was macht dann die Besonderheit weitaus mehr zu Hause. Seine Darnende<br />
Aufnahmen gefunden, die von Andas Spiel aus? Vor allem die stellung der 3. Klaviersonate und<br />
Anda dort mit unterschiedlichen Klanggebung. Anda ist ein Pianist, der Intermezzi Op. 117 sind faszinie-<br />
Orchestern, aber auch solistisch seit der genau hinhört, bestens weiß, rend rauschende Zeugnisse seiner<br />
Beginn der 50er bis zum Ende der wann er eine Phrase wie nimmt, wie Leidenschaft, die er dann doch in<br />
60er Jahre einspielte. Und so ent- er sie in den Zusammenhang stellt, dieser Art von Musik nicht mehr verstand<br />
aus dem Material sogleich wie er die wichtigen Elemente des leugnen konnte und der er – bei<br />
eine „Géza Anda Edition“, die mitt- Stimmmaterials bestens ausleuchtet, aller Kontrolle – ihren Lauf ließ.<br />
lerweile auf vier CDs angewachsen nicht nur die Oberton-Melodiestim- Und so spielt hier ein Anda, der die<br />
08
in diesen Werken integrierte<br />
Aussagekraft deutlich nachzuempfinden<br />
scheint, es rauschen<br />
und singen lässt, aus<br />
vollem Herzen. Ähnliches<br />
betrifft auch seine Darstellung<br />
von Liszts großer h-Moll-<br />
Sonate. Und dennoch, auch<br />
hier scheint er zu sehr an die<br />
Details zu denken, weniger<br />
an das Fortschreiten. Doch<br />
dies nur als Kritik im Kleinen<br />
an einer bravourösen Einspielung,<br />
die die Architektur und<br />
die Größe dieser Sonate als<br />
Gesamtkunstwerk durchaus begreift<br />
und zu schildern vermag.<br />
Ähnliches gilt für Schumanns „Kreisleriana“,<br />
die „Symphonischen Etüden“<br />
und den „Carnaval“: Großes<br />
Klavierspiel, bei dem man sich stellenweise<br />
mehr Mut zum Lauf der<br />
Musik, zur emotionalen Ausuferung<br />
wünscht. Chopins Préludes Op. 24<br />
und die 12 Études Op. 25 zeigen<br />
dann vollauf den feinsinnigen<br />
Virtuosen Anda. Und das Vol. IV<br />
nun endlich bringt Bartók, die<br />
Klavierkonzerte Nr. 1 und Nr. 2, die<br />
Kontraste für Klarinette, Violine und<br />
Klavier, die Suite Op. 14 und die<br />
Sonate für zwei Klaviere und Schlagzeug<br />
mit Georg Solti am zweiten<br />
Klavier. Und hier ist Géza Anda zu<br />
Hause, hier verbindet sich sein Virtuosentum<br />
mit der kontrollierten<br />
Emotionalität kongenial zu Einspielungen,<br />
die auch heute noch einen<br />
kaum anzufechtenden Referenzstatus<br />
darstellen.<br />
Auch das Label Membran hat soeben<br />
eine Vier-CD-Box mit Aufnahmen<br />
von Géza Anda veröffentlicht,<br />
ebenfalls mit Aufnahmen aus den<br />
50er Jahren, allerdings ausschließlich<br />
aus der Zeit 1953 bis 1956. Die<br />
meisten Aufnahmen stammen aus<br />
der Zeit der Einspielungen mit dem<br />
Philharmonia Orchestra. Und hier<br />
kann man nun einige Werke in anderen<br />
Einspielungen erleben, die<br />
man schon aus der Audite-Box<br />
kennt (Schumanns „Carnaval“ und<br />
die „Symphonischen Etüden“), aber<br />
Edition Géza Anda Vol. 1<br />
Mozart Klavierkonzerte KV 466,<br />
KV 482, KV 488, KV 467<br />
Audite 23.407 (2 CDs)<br />
Edition Géza Anda Vol. 2<br />
Beethoven: Klavierkonzert Nr. 1,<br />
Sonaten Op. 10,3 und 101<br />
Brahms: Sonate Nr. 3, 3<br />
Intermezzi Op. 117<br />
Liszt: Sonate h-Moll<br />
Audite 23.408 (2 CDs)<br />
3 . 08<br />
A LTE A UFNAHMEN<br />
Edition Géza Anda Vol. 3<br />
Schumann: Kreisleriana,<br />
Symphonische Etüden, Carnaval,<br />
Romanze Op. 28,2<br />
Chopin: 24 Préludes Op. 28, 12<br />
Études Op. 25<br />
Audite 23.409 (2 CDs)<br />
Edition Géza Anda Vol. 4<br />
Bartók: Klavierkonzerte Nr. 1 und<br />
Nr. 2, Kontraste, Suite Op. 14,<br />
Sonate für zwei Klaviere und<br />
Schlagzeug<br />
Audite 23.410 (2 CDs)<br />
man kann Anda nun auch<br />
mit vollkommen anderen<br />
Werken erleben. Beispielswiese<br />
Anda mit seiner Klavierpartnerin<br />
Clara Haskil<br />
(mit der er lange und oft<br />
zusammen auftrat) in<br />
Bachs Konzert für 2 Klaviere<br />
BWV 1061 und in Mozarts<br />
Konzert für 2 Klaviere<br />
KV 365. Faszinierend in diesem<br />
Zusammenspiel ist die<br />
so gleiche Behandlung des<br />
Klangs, der Agogik, dass<br />
man kaum Unterschiede zu<br />
vernehmen vermag. Kaum dass<br />
man erkennen kann, dass es zwei<br />
Klaviere sind. Diese beiden Pianisten<br />
sind so aufeinander eingespielt,<br />
hegen so sehr dieselben Klangideale,<br />
dass man mit offenem Mund<br />
lauscht. Auch hier findet man Beethovens<br />
Klavierkonzert, nun aber mit<br />
Alceo Galliera am Pult und dem<br />
Philharmonia Orchestra. Doch wenig<br />
ändert sich an der Sicht Andas<br />
zu seinem Spiel aus Köln. Und<br />
Tschaikowskys Klavierkonzert Nr. 1<br />
(ebenfalls unter Alceo Galliera)?<br />
Dieses Konzert wie das 1. von Liszt<br />
(unter Otto Ackermann) sind zwei<br />
seiner Favoriten aus jungen Jahren,<br />
sie spielte er seit Beginn seiner<br />
Karriere. Und entsprechend frei und<br />
relaxt spielt er hier auf, aber ohne<br />
den Druck des Werks außer Acht zu<br />
lassen. Immer ist er auch hier auf<br />
den Klang und seine Qualität im<br />
Zusammenspiel mit dem Orchester<br />
konzentriert, singt, lässt Akkorde<br />
harsch aufleuchten und die Läufe<br />
perlen – wunderbar und eindringlich<br />
seine Darstellungen.<br />
Wer sich intensiv mit Andas Interpretationskunst<br />
beschäftigen will,<br />
der hat nun die wunderbare Gelegenheit,<br />
beide Editionen zu hören,<br />
sich einzuhören in die Darstellungen<br />
unterschiedlichster Werke<br />
durch Andas wunderbares Klavierspiel,<br />
das bis heute nichts von seiner<br />
Faszination und Allgemeingültigkeit<br />
verloren hat.<br />
Géza Anda<br />
Werke von Bach, Mozart,<br />
Beethoven, Franck, Brahms, Liszt,<br />
Schumann, Tschaikowsky und<br />
Bartók<br />
Membran 231661 (4 CDs)<br />
(Audite ist im Vertrieb von<br />
edelKultur.)
P P OP-HÖREINDRUCK<br />
Interpretation: ❶❷❸➃➄➅<br />
Klang: ❶❷❸➃➄➅<br />
Repertoirewert: -------------<br />
Das ist schon ungewöhnlich für eine<br />
– auf den ersten Blick – herkömmliche<br />
Rockband: Mêlée setzen für die<br />
Umsetzung ihrer melodie-orientierten<br />
Musik auf die Klangfarbe Piano,<br />
und das sollte eigentlich dem Gesamtsound<br />
der Newcomer-Band aus<br />
Kalifornien nur zu seinem Vorteil<br />
gereichen. Doch warum ausgerechnet<br />
Piano, wo man doch angesichts<br />
einer Viererbesetzung zunächst an<br />
eine weitere Gitarre denken würde?<br />
Die spielt Sänger Chris Cron zwar<br />
auch, aber in erster Linie ist er Pianist.<br />
Und wie er dies auf dem Major-<br />
Debütalbum einsetzt, lässt einen<br />
schon mal an den frühen Elton John<br />
denken. Freche Staccati in „Biggest<br />
Mistake“, unbekümmerte Glissandi<br />
in „Frequently Baby“ erinnern an<br />
den Mann mit den vielen Brillen in<br />
seiner künstlerisch fruchtbarsten<br />
Phase. Freilich scheint Cron noch<br />
nicht über das Standing zu verfügen,<br />
das es ihm ermöglichen würde,<br />
sich durchweg gegen die bombastischen<br />
Soundvorstellungen des bestellten<br />
Warner-Produzenten Howard<br />
Benson durchzusetzen. Der<br />
nämlich verwässert die an sich passablen<br />
Songs des Teams Chris Cron/<br />
Ricky Sans (Gitarre) allzu oft mit<br />
überflüssig aufgeblasenem Füllmaterial<br />
der Sorte Background-Vocals<br />
und ähnlichem Klangtinnef. So<br />
ziemlich in der Mitte des Albums findet<br />
sich mit der Ballade „Can’t Hold<br />
On“ dann doch ein Werk, das Cron<br />
als behutsam vorfühlenden Pianisten<br />
fast im Alleingang featuret. Ansonsten<br />
bietet „Devils & Angels“<br />
manches Dèjà-vu-Erlebnis: So erinnert<br />
„Imitation“ an Manfred Manns<br />
Springsteen-Version „For You“ u. a.<br />
Über allem aber scheint Coldplays<br />
Sänger und Pianist Chris Martin zu<br />
schweben. Er wäre gut beraten, sich<br />
möglichst bald auf eigene Beine zu<br />
stellen. Tom Fuchs<br />
Mêlée<br />
Devils & Angels<br />
Chris Cron, Piano, Gitarre, Vocal u.a.<br />
Warner 93624 99174 (Vertrieb:<br />
Warner)<br />
Interpretation: ❶❷❸❹⑤➅<br />
Klang: ❶❷❸❹⑤➅<br />
Repertoirewert: -------------<br />
Joan Wasser spielte bei Nick Cave<br />
und Lou Reed, aktuell ist sie in der<br />
Band des Songschreibers Rufus<br />
Wainwright engagiert. Unter dem<br />
Namen „Joan As Police Woman“<br />
stellte die New Yorker Pianistin und<br />
Sängerin im Jahr 2006 erstmals ihr<br />
eigenes Bandprojekt vor, das sich<br />
stilistisch zwischen Indie-Pop und<br />
Alternative Rock verorten lässt. Eher<br />
musikalische Schlichtheit wäre also<br />
zu vermuten bei landläufiger Einschätzung<br />
dieser Kategorien, mehr<br />
Ausdruck denn Virtuosität. Ist dem<br />
so? Ja und nein.<br />
Auf ihrem zweiten Soloalbum klingen<br />
Wassers Songs verhalten und<br />
zögerlich, dem etwas delikaten Sujet<br />
sehr angemessen: „to survive“ thematisiert<br />
den erfolglosen Kampf der<br />
Mutter gegen ihre Krebserkrankung.<br />
Ein sehr persönliches Thema also,<br />
vielleicht eine Spur zu intim. Ein Gefühl<br />
des Unbehagens mag den Hörer<br />
angesichts dieser textlich schonungslosen<br />
Innenschau mitunter<br />
beschleichen. Doch in Wahrheit<br />
liegt gerade in dieser Reduktion auf<br />
das Wesentliche ein Detailreichtum,<br />
der sich erst beim mehrmaligen Hören<br />
offenbart, sind die zehn Songs<br />
doch durchweg geprägt von einer<br />
harmonischen Komplexität, die auf<br />
Wassers klassische Ausbildung hinweist.<br />
Hier hat jeder Ton, jeder Akkord<br />
seinen wohl zuvor sorgsam bedachten<br />
Platz, nichts scheint hier<br />
willkürlich zu geschehen oder dem<br />
Zufall überlassen. Klar artikuliert<br />
Wasser etwa im eröffnenden „Honor<br />
Whishes“ ihr pianistisches Konzept,<br />
das gelegentlich auch als auf Vorbilder<br />
angewandter Verschlankungsund<br />
Entschlackungsprozess daherkommt.<br />
Dass sie um das Geheimnis<br />
weiß, dass weniger unter dem Strich<br />
immer mehr ist, gereicht Joan Wasser<br />
mehr als einmal auf „to survive“<br />
zur Ehre. Tom Fuchs<br />
Joan as Police Woman<br />
to survive<br />
Joan Wasser, Piano, Vocals; u.a.<br />
PIAS 5413356512120<br />
(Vertrieb: Rough Trade)<br />
Interpretation: ❶❷❸➃➄➅<br />
Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Repertoirewert: -------------<br />
Geografisch entfernter geht’s wohl<br />
nimmer: Die Pianistin und Sängerin<br />
Aino Löwenmark stammt vom Hof<br />
Hälla in der Nähe des Siljan-Sees im<br />
schwedischen Dalarna; die Geigerin<br />
Hanmarie Spiegel kommt aus dem<br />
12000 Kilometer entfernten Südafrika.<br />
Liegt es an den gemeinsamen<br />
ländlichen Wurzeln, dass beide nun<br />
in Hamburg als Duo Fjärill so vollkommen<br />
miteinander musizieren?<br />
Auch ihr zweites Album (nach dem<br />
2006er-Debüt „Stark“) ist durchdrungen<br />
von Balladen mit getragenen<br />
Melodien und skandinavischer<br />
Textschwere. Im Vordergrund<br />
der sparsamen Arrangements steht<br />
Löwenmarks Piano, das sich meist<br />
in den Refrainpassagen mit Spiegels<br />
Violine trifft. Dem gefälligen Fluss<br />
der Melodien folgt eine durchweg<br />
oszillierende Spielweise von Aino<br />
Löwenmark, was auf Albumlänge<br />
gesehen mitunter etwas ermüdend<br />
wirkt. Nur selten bricht dieses Schema<br />
auf, etwa in „Mapeto“, das nicht<br />
zuletzt durch ökonomisch gesetzte<br />
Flügelhorntöne von Nils Wülker an<br />
Atmosphäre gewinnt, oder in „St.<br />
Georg“, das mit dem Einsatz eines<br />
Akkordeons verblüfft. Insgesamt<br />
hätte man sich gerade vom Klavierspiel<br />
mehr von der spartanischen<br />
Art gewünscht, da die Texte doch offenbar<br />
von einiger Bedeutung sind<br />
und so viel mehr hätten herausgestellt<br />
werden können. Stattdessen jedoch<br />
verliert man sich ein ums andere<br />
Mal im belanglos-säuselnden<br />
Violin-Cello (Hagen Kuhr)-Einerlei.<br />
Dann doch noch die Überraschung,<br />
die für manches entschädigt: Man<br />
glaubt schon das Ende des Albums<br />
erreicht zu haben, da schwingen<br />
sich Fjärill mit „Mormor“ (=Oma)<br />
zu einem unverhofften Höhepunkt<br />
auf. Tom Fuchs<br />
Fjärill<br />
Pilgrim<br />
Aino Löwenmark, Klavier, Vocals;<br />
Hanmari Spiegel, Violine; u.a.<br />
Rintintin Musik 906952<br />
(Vertrieb: Indigo)<br />
92 3 . 08
KLASSIK<br />
3. 08<br />
Johann Sebastian Bach<br />
Partiten 2, 3 & 4<br />
Murray Perahia, Klavier<br />
Sony BMG Classical 88697282662<br />
Nach 4 Jahren „Aufnahme-Abstinenz“<br />
durch eine Daumenverletzung<br />
bestätigt diese neue Perahia-<br />
CD den Pianisten wieder einmal als<br />
einen der ganz großen unserer Zeit.<br />
„Bach ist das Fundament aller großen<br />
Musik“, sagt Murray Perahia und<br />
seit mehr als einem Jahr spielt er die<br />
Partiten vermehrt in seinen Konzerten.<br />
Ihre Einspielung ist die Konsequenz<br />
seiner langen Beschäftigung<br />
mit den Werken. Faszinierend,<br />
wie man dieser Aufnahme anhört,<br />
was Perahia meint, wenn er sagt:<br />
„Technik ist nur Mittel zum Zweck, um<br />
die Wahrheit der Musik auszudrücken“<br />
– Bach bereitet er eben nicht vom<br />
technischen Standpunkt aus vor,<br />
sondern versucht die emotionale<br />
Aussage zu verstehen und vermitteln.<br />
Mit Hilfe seiner bis ins Feinste<br />
differenzierenden Anschlagskultur<br />
arbeitet er die im Werk angelegten<br />
vielfältigen Klangebenen nuanciert<br />
heraus – im Leisen wie im Schwungund<br />
Kraftvollen. Das Ergebnis ist<br />
weniger ein „zupackender“ Bach,<br />
sondern ein äußerst klug und sorgsam<br />
gestalteter Bach. So abgeklärt<br />
Perahias Blick manchmal auf die<br />
Bach’sche Kunst zu sein scheint, im<br />
nächsten Augenblick wechselt er mit<br />
frech-kecken Läufen und markigen<br />
Verzierungen zu einer jugendlich<br />
augenzwinkernden Interpretation.<br />
Und gleichermaßen bestechend ist<br />
Perahias Technik, selbst beim raschesten<br />
Tempo ragen Triller organisch<br />
heraus, die Tempi scheinen so<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➎➏<br />
Klang: ❶❷❸❹➎➏<br />
Repertoirewert: ❶❷❸❹➎➏<br />
H H<br />
ÖREINDRUCK<br />
CDS DES DOPPELMONATS<br />
und nicht anders vom Komponisten<br />
gewollt.<br />
Selbstbewusst spart das Booklet jegliche<br />
Information zum Pianisten aus<br />
– der lässt voll und ganz die Musik<br />
für sich sprechen. Grandios.<br />
Isabel Fedrizzi<br />
Es ist immer gut in der wankelmütigen<br />
Musikbranche, wenn man sich<br />
auf prominente Paten berufen kann,<br />
die das eigene Tun und Handeln mit<br />
Wohlwollen begleiten. So dürfte es<br />
für Gwilym Simcock ein wahrer<br />
Glücksfall gewesen sein, als im Jahr<br />
2006 der Gewinner des „Klavier-<br />
Festival Ruhr“-Preises Chick Corea<br />
das damit verbundene Stipendium<br />
an den jungen Waliser vergab. Auch<br />
andere Stimmen neben der des etablierten<br />
Pianisten, der über Simcock<br />
meinte: „He’s an original, a creative<br />
genius“, regten sich, um dieses Talent<br />
zu loben. So feierte der Londoner<br />
„Evening Standard“ Simcock<br />
bereits als „neuen Botschafter des<br />
Jazz“. Der Gewinn hoch angesehener<br />
Preise wie des „BBC Jazz Award“<br />
und des „British Jazz Rising Star<br />
Award“ trug mit dazu bei, dass er<br />
heute als größte Hoffnung auf der<br />
britischen Jazzszene gilt. Von Jarrett,<br />
Corea und John Taylor gleichermaßen<br />
beeinflusst, sieht Simcock<br />
sich in erster Linie als Jazzpianist,<br />
obschon in seinem Spiel und in seinen<br />
Kompositionen immer wieder<br />
Verbindungen zur Klassik anklingen.<br />
Auf „Perception“, seinem Debüt als<br />
Gwilym Simcock<br />
Perception<br />
Gwilym Simcock, Klavier; Phil Donkin,<br />
Bass; Martin France, Drums; u.a.<br />
Basho Records SRCD 24-2<br />
(Vertrieb: Rough Trade)<br />
Leader, schimmern diese Bezüge immer<br />
wieder durch. „A Typical Affair”<br />
beginnt derart drängend mit latinesquer<br />
Note und komplexen Wechseln<br />
im Metrum, dass man kaum<br />
noch weiß, wo die berühmte „eins“<br />
zu finden ist. Dabei baut Simcock<br />
sein eröffnendes Solo sehr behutsam<br />
auf und erfüllt damit sowohl rhythmische<br />
als melodische Aufgaben,<br />
gepaart mit einem starken Gefühl<br />
für Harmonien, das selbst noch in<br />
den kühnsten Changes zu spüren ist.<br />
Im klassisch-romantisch anmutenden<br />
„Time and Tide“, in dem rubato-betonten<br />
„Almost Moment“, aber<br />
ganz besonders in den beiden abschließenden<br />
Standards, dem im<br />
ungewohnten Zehnvierteltakt oszillierenden,<br />
kontrapunktischen Take<br />
von „The Way You Look Tonight“<br />
und einer Soloversion von „My One<br />
and Only Love“ zeigt Simcock seine<br />
Klasse als Interpret. Besser lässt sich<br />
kein Schlusspunkt setzen unter ein<br />
Debüt, das in seiner Verheißung auf<br />
weitere Großtaten fast schon unheimlich<br />
anmutet.<br />
Tom Fuchs<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➎➏<br />
Klang: ❶❷❸❹➎➏<br />
Repertoirewert: -------------<br />
JAZZ<br />
93
H H ÖREINDRUCK<br />
KLASSIK<br />
Interpretation: ❶❷❸❹⑤⑥<br />
Klang: ❶❷❸❹⑤⑥<br />
Repertoirewert: ❶❷❸❹➎➏<br />
Es gibt Einspielungen, bei denen<br />
schon die Auswahl der Stücke so interessant<br />
ist, dass sie die Frage nach<br />
der Interpretation fast in den Schatten<br />
stellt. Die vorliegende CD ist ein<br />
solches Beispiel: Sie vereint Schumanns<br />
Klavierquintett e-Moll op. 44<br />
in der Fassung für zwei Klaviere und<br />
Brahms’ ebenfalls für zwei Klaviere<br />
umgeschriebenes f-Moll-Klavierquintett,<br />
die vom Pianistenduo Begona<br />
Uriarte und Karl-Hermann<br />
Mrongovius gespielt werden. Nach<br />
wie vor ist nicht geklärt, ob es nicht<br />
Brahms selbst war, der bei der<br />
Transkription des Schumann’schen<br />
Werkes seine Hände im Spiel hatte.<br />
Hinweise von Clara Schumann, die<br />
sich 1864 in einem Brief dazu äußerte,<br />
deuten darauf hin, doch in<br />
der Notenausgabe des Verlags Breitkopf<br />
& Härtel ist der Name des Verfassers<br />
nicht genannt. Dass Brahms<br />
eine Vorliebe hatte, kammermusikalische<br />
Werke für zwei Klaviere umzuschreiben,<br />
ist bekannt, wie die f-<br />
Moll-Sonate op. 34b zeigt, deren<br />
Vorlage das Klavierquintett op. 34<br />
war. Die Entstehungsgeschichte beider<br />
Werke spiegelt wider, wie sehr<br />
der Hamburger Komponist mit jeder<br />
seiner Noten gerungen haben muss:<br />
Ursprünglich hatte er nämlich das<br />
Stück als Streichquintett geplant,<br />
später wurde es dann als Klavierquintett<br />
konzipiert und erschien<br />
1865 im Druck. Ein Jahr zuvor hatte<br />
Brahms jedoch eine Version für zwei<br />
Klaviere angefertigt. Von diesen inneren<br />
Spannungen hören wir viel<br />
im Spiel des Pianistenduos: Wenn<br />
auch die Sprache etwas arg schroff<br />
ist und die Ecken und Kanten überwiegen,<br />
so beeindruckt sie vor allem<br />
durch ihre rhythmische Spannkraft<br />
und Unerbittlichkeit.<br />
Rafael Sala<br />
Johannes Brahms<br />
Sonate für zwei Klaviere f-Moll, op. 34<br />
Robert Schumann<br />
Klavierquintett e-Moll, op. 44<br />
Begona Uriarte, Karl-Hermann<br />
Mrongovius, Klavier<br />
Arts Music 475972<br />
Interpretation: ❶❷❸❹⑤⑥<br />
Klang: ❶❷❸❹➎➏<br />
Repertoirewert: ❶❷❸➃➄➅<br />
Nachdem der grandiose Pianist Mikhail<br />
Pletnev bereits die ersten vier<br />
Klavierkonzerte von Beethoven eingespielt<br />
hat, kommt er mit dieser<br />
Einspielung des 5. Klavierkonzerts<br />
nun zum Abschluss dieser Einspielungsserie.<br />
Und wie zuvor nimmt<br />
sich Pletnev Freiheiten heraus, sieht<br />
die Partitur der Klavierstimme als<br />
Grundlage für seine vollkommen<br />
eigenen Ansichten. So verrät schon<br />
die Exposition des 1. Satzes, der hier<br />
allein schon mehr als 20 Minuten in<br />
Anspruch nimmt, dass Pletnev einen<br />
Weg des transparent-getragenen<br />
Spiels wählt, dass er Akzente setzt,<br />
die man so noch nicht gehört hat.<br />
Das ist nicht so neu und liegt in der<br />
Tradition der Interpretationen dieser<br />
Konzerte. Und natürlich wäre es<br />
nicht Pletnev, wenn er diese Idee<br />
nicht grandios umsetzen würde, mit<br />
so viel Energie und eigenem Effekt,<br />
dass es spannend bleibt, ihm zuzuhören.<br />
Das Russische Nationalorchester<br />
ist grandios unter der Leitung<br />
von Christian Gansch abgestimmt<br />
auf den Solisten und unterstützt<br />
in jeder Nuance. Der 2. Satz<br />
allerdings erstirbt fast in Langsamkeit<br />
und klingt wie egozentrische<br />
Selbstverliebtheit – hier ist die Geduld<br />
des Zuhörers gefragt. Nuance<br />
um Nuance hinterfragt Pletnev mit<br />
dem schillernden Klang des Blüthner-Flügels<br />
bisherige Interpretationsideen,<br />
verwirft die großer Vorgänger<br />
und stellt eine vollkommen<br />
neue Idee zur Diskussion. Und damit<br />
ist diese – wie die vorangegangenen<br />
Aufnahmen der anderen vier<br />
Klavierkonzerte – eine durchaus zu<br />
würdigende Einspielung, die sicherlich<br />
für jeden Pletnev-Fan ein Muss<br />
ist, für jeden Beethoven-Fan allerdings<br />
Diskussionspotenzial birgt.<br />
Carsten Dürer<br />
Ludwig van Beethoven<br />
Klavierkonzert Nr. 5 Es-Dur Op. 73<br />
Mikhail Pletnev, Klavier<br />
Russisches Nationalorchester<br />
Ltg.: Christian Gansch<br />
Deutsche Grammophon 477 6417<br />
(Vertrieb: Universal)<br />
Interpretation: ❶❷❸➃➄➅<br />
Klang: ❶❷❸❹⑤⑥<br />
Repertoirewert: ❶❷❸➃➄➅<br />
Als eine „Momentaufnahme“ und<br />
„akustische Fotografie“ will Oliver<br />
Schnyder die vorliegende Einspielung<br />
verstanden wissen. „Chopin“ –<br />
mit diesem nüchternen Titel auf<br />
dem Cover präsentiert der junge<br />
Schweizer Pianist eine Auswahl Chopin’scher<br />
Werke, die bunter nicht<br />
sein könnte: Etüden, Nocturnes,<br />
Walzer, dazwischen die Impromptu-<br />
Fantasie cis-Moll, dann das Scherzo<br />
h-Moll und wieder Etüden – verärgert<br />
vermisst man bei diesem Sammelsurium<br />
so etwas wie eine übergreifende<br />
Idee. Schnyder scheint<br />
sich dieses Mankos bewusst zu sein:<br />
Erst spät habe er begriffen, welch<br />
„poetischer Reichtum“ in der Musik<br />
des Genies aus Polen liege, räumt er<br />
ein. Als er sich dann getraut habe,<br />
mit Chopin „an die Öffentlichkeit“ zu<br />
gehen, seien es gerade diese Stücke<br />
gewesen, in denen er „erste Antworten“<br />
auf diesen Komponisten gefunden<br />
habe. Das Ergebnis der Annäherung<br />
an das Klaviergenie fällt jedoch<br />
unterschiedlich aus: Bei kräftigen<br />
und schnellen Stücken wie der<br />
C-Dur-Etüde op. 10 punktet Schnyder<br />
mit einer Kraft und Leidenschaft,<br />
die die souveräne Handschrift<br />
des makellosen Chopin-Virtuosen<br />
erkennen lässt. Auch das Sperrige,<br />
Düstere gelingt ihm, wenn er<br />
es auch in puncto Geschwindigkeit<br />
oft etwas arg gut meint: Die Strahlkraft<br />
der a-Moll-Etüde etwa erschließt<br />
sich nicht, wenn man blindlings<br />
darüberrast. Andererseits fehlt<br />
es vielen Stücken schlichtweg an<br />
dem, womit man Chopin am meisten<br />
verbindet: Lyrik und Nuancen.<br />
Wie viele andere Pianisten veredelt<br />
Schnyder das musikalische Material<br />
nur an der Oberfläche des schönen<br />
Scheins – und dringt kaum in die<br />
Tücken und Fallen vor, die Chopin,<br />
dieser Hexenkünstler der Polyphonie,<br />
in jeder Note stellt. Rafael Sala<br />
Frédéric Chopin<br />
Ausgewählte Klavierwerke<br />
Oliver Schnyder, Klavier<br />
Telos Music records TLS 070<br />
(Vertrieb: Musikwelt)<br />
94 3 . 08
3. 08<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➎➏<br />
Klang: ❶❷❸❹➎➏<br />
Repertoirewert: ❶❷❸❹⑤⑥<br />
Schon lange gilt der unscheinbar<br />
wirkende Pianist Evgeni Koroliov<br />
nicht mehr als Geheimtipp. Seine<br />
Bach-Interpretationen haben Maßstäbe<br />
gesetzt und der Kommentar<br />
des Komponisten György Ligeti, er<br />
würde Koroliovs Einspielung der<br />
„Kunst der Fuge“ „einsam und verdurstend“<br />
mit auf eine einsame Insel<br />
nehmen, ist mittlerweile geradezu<br />
legendär. Um sein Bach-Kompendium<br />
zu vervollständigen, hat<br />
Koroliov nach der „Kunst der Fuge“<br />
und dem „Wohltemperierten Klavier“<br />
nun beim Label Tacet die<br />
„Französischen Suiten“ eingespielt.<br />
Für alle Koroliov-Fans eine Bereicherung,<br />
denn wieder besitzt das<br />
Spiel des russischen Pianisten eine<br />
suggestive Sogkraft, wie sie selten zu<br />
hören ist. Unter seinen Händen entfaltet<br />
sich eine tief beseelte Musik<br />
voller Magie. Besonders deutlich<br />
wird dies in der zweiten Suite c-Moll.<br />
Dabei klingt alles schlicht und einfach.<br />
Aber genau darin liegt die<br />
Schwierigkeit. Den Notentext mit<br />
seinem engen Beziehungsgeflecht<br />
transparent und doch nicht unterkühlt<br />
zu deuten. Koroliov scheint<br />
jeden Ton zu erfühlen, zu beleuchten<br />
und offenbart damit die reine<br />
Schönheit der Musik. Galant und<br />
auch mit tänzerischer Verve gestaltet<br />
er die Sätze und behält immer<br />
das richtige Maß, vermeidet dynamisches<br />
Gleichmaß ebenso wie interpretatorische<br />
Ausschweifungen.<br />
Die Suiten, die sich an der Satzfolge<br />
fünf französischer Tänze – Allemande,<br />
Courante, Sarabande, Menuett<br />
und Gigue – orientieren, komponierte<br />
Bach als Unterrichtsmaterial, drei<br />
in Dur- und drei in Moll-Tonarten.<br />
Mit welcher Gelassenheit Koroliov<br />
den didaktischen Anspruch mit reiner<br />
Poesie verbindet, ist einzigartig.<br />
Kurzum: eine wunderbare Aufnahme!<br />
Anja Renczikowski<br />
Johann Sebastian Bach<br />
Französische Suiten BWV 812–817<br />
Evgeni Koroliov, Klavier<br />
Tacet 161<br />
H H<br />
ÖREINDRUCK<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➎➏<br />
Klang: ❶❷❸❹➎➏<br />
Repertoirewert: ❶❷❸❹⑤⑥<br />
In ein gänzlich neues Klang-Gewand<br />
kleidet Gerrit Zitterbart die<br />
späte Schubert-Sonate B-Dur D 960<br />
und eine Auswahl von Miniaturen<br />
aus Schuberts üppigem Tanzrepertoire<br />
aus den Jahren 1817 und<br />
1824/25: Er spielt sie auf einem historischen<br />
Hammerflügel mit oberschlägiger<br />
Mechanik von Streicher<br />
ein. Mehr als nur klangschön ist das<br />
Ergebnis: Raffinierte Färbungen entstehen<br />
durch den glockenartigen,<br />
hellen Klang der hohen Lagen und<br />
den insgesamt so obertonreichen<br />
Klang des Flügels. Der Pianist und<br />
Abegg-Trio-Mitbegründer Gerrit<br />
Zitterbart beweist wieder einmal seine<br />
exzellenten pianistischen Fähigkeiten<br />
im sensiblen und detailfreudigen<br />
Umgang mit den klanglichen<br />
und speziellen mechanischen Eigenheiten<br />
des selten gespielten Instruments,<br />
das ein Jahr nach Schuberts<br />
Tod gebaut wurde. Den bekannten<br />
frühen Zwei Scherzi D 593 verleiht<br />
der silbrig-brillante und doch nie<br />
scharfe Klang ein ganz neues und<br />
sehr passendes Gesicht. Freche Betonungen<br />
auf ungeraden Taktzeiten<br />
und eine Vielzahl dynamischer<br />
Abstufungen sind nur ein Ausschnitt<br />
aus Gerrit Zitterbarts unerschöpflicher<br />
Gestaltungspalette. In seinem<br />
klugen Booklettext vermittelt der<br />
Experte für historische Instrumente<br />
seine Sicht auf die Deutung der<br />
Werke und die Intention, die Stücke<br />
auf eben diesem Instrument einzuspielen,<br />
und vermutet sicher richtig,<br />
dass Schubert von den dynamischen<br />
Mitteln des Flügels begeistert gewesen<br />
wäre, hätte er ihn nur kennen<br />
lernen können. Ein außergewöhnlicher<br />
Schubert und ein Muss im CD-<br />
Regal.<br />
Isabel Fedrizzi<br />
Franz Schubert<br />
Sonate B-Dur D 960, Tänze<br />
Gerrit Zitterbart, Fortepiano<br />
Clavier 15352<br />
(Vertrieb: Charisma Musikproduktion)<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➎➏<br />
Klang: ❶❷❸❹➎➅<br />
Repertoirewert: ❶❷❸❹⑤⑥<br />
Es ist schon eine Kuriosität, dass ein<br />
Pianist und Komponist ungarischer<br />
Herkunft, im österreichischen Burgenland<br />
geboren, während eines<br />
Studienaufenthaltes auf den Philippinen<br />
erstmals die einheimische<br />
Musik wissenschaftlich dokumentierte.<br />
Jenö Takács, der 2005 im Alter<br />
von 103 Jahren starb, übertrug<br />
einige seiner Recherchen in elf „Philippine<br />
Island Miniatures“, die Aima<br />
Maria Labra-Makk, selbst von dort,<br />
nun als CD-Premieren aufgenommen<br />
hat. Ihr persönlicher Kontakt<br />
zu Jenö Takács gibt dieser Kollektion,<br />
oft an schlichte Kinderlieder<br />
und einfache Tänze erinnernd, authentisches<br />
Flair. Doch darüber hinaus<br />
war Jenö Takács ein respektabler<br />
Solist, der mit Bearbeitungen<br />
wie der traditionellen, aber virtuosen<br />
„Suite alt-ungarischer Tänze“<br />
beachtet wurde. Zu Recht, denn Aima<br />
Maria Labra-Makk hat gerade<br />
deren pianistische Qualitäten, nämlich<br />
Verve und unprätentiösen Charme,<br />
bemerkt. Noch deutlicher in<br />
Jenö Takács’ raffinierter Konzertparaphrase<br />
des „Pesther Walzer“<br />
von Joseph Launer zu hören, da<br />
wird das Klimpern zur artifiziellen<br />
Gelenkigkeit. Neun Komponistenkollegen<br />
aus dem Burgenland folgten<br />
einer Einladung von Aima Maria<br />
Labra-Makk zur „Hommage à Jenö<br />
Takács“, indem sie seine „Kleine<br />
Sonate“ in je individuellen Variationen<br />
würdigten. Das Spektrum erstreckt<br />
sich vom chromatisch launigen<br />
„Märchen für Klavier“ (Franz<br />
Zebinger) über eine lockere Phantasie<br />
(Georg Arányi-Aschner), eine<br />
Arpeggio-„Reflexion“ (Stefan Kocsis)<br />
bis zur swingenden „Bearbeitung<br />
im Jazzstil“ (Fritz Pauer). Das<br />
ist feine Klaviermusik für Connaisseurs.<br />
Hans-Dieter Grünefeld<br />
Jenö Takács<br />
Suite of Old Hungarian Dances; Philippine<br />
Island Miniatures; Hommage à Jenö<br />
Takács<br />
Aima Maria Labra-Makk, Klavier<br />
Gramola 98793<br />
(Vertrieb: Codaex)<br />
95
H H ÖREINDRUCK<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Klang: ❶❷❸❹➎➏<br />
Repertoirewert: ❶❷❸❹➎➏<br />
Bemerkenswert, dass der junge chinesische<br />
Pianist Yundi Li sich bislang<br />
von hochvirtuosem Repertoire<br />
weitestgehend fernhielt, wenn es<br />
um seine Einspielungen geht.<br />
Getragen, sehr getragen beginnt<br />
Yundi Li Prokofiews 2. Klavierkonzert,<br />
aber mit unfassbar transparentem<br />
Zugang, einer hoch diffizilen<br />
Technik, die uns einmal mehr zeigt,<br />
was dieser immer noch junge Pianist<br />
zu leisten imstande ist. Und er besitzt<br />
auch die notwendige Kraft, um<br />
das Konzert mit seinen dramatischen<br />
Höhepunkten brausen zu lassen,<br />
die vor allem so wichtigen<br />
rhythmisch-fortrasenden Anforderungen<br />
zu bewältigen – immerhin<br />
ist diese Aufnahme eine Live-Einspielung.<br />
Und mit den Berliner Philharmonikern,<br />
die hier vehement<br />
und forsch unter Ozawa aufspielen,<br />
gelingt das 2. Klavierkonzert Prokofiews<br />
faszinierend und persönlich.<br />
Allein im dritten Satz findet er nicht<br />
den humoristisch-burschikosen und<br />
tänzerischen Ausdruck, denkt zu abschnittsverliebt,<br />
wofür der wild rauschende<br />
Finalsatz entschädigt, der<br />
nicht überzogen schnell genommen<br />
wird. In Ravels G-Dur-Konzert findet<br />
Li einen vollkommen anderen, einen<br />
passenden Klang, leicht und<br />
perlend, warm; doch auch hier liegt<br />
ihm am virtuosen Spiel, an der technischen<br />
Sicht zu viel, als dass er den<br />
Witz, die vom Jazz beeinflusste Lockerheit<br />
durchweg zu halten vermag.<br />
Doch dies ist – vor allem mit<br />
Hinblick auf den wunderbar „gesungenen“<br />
2. Satz – Gemecker auf höchstem<br />
Niveau. Li ist ein junger Pianist,<br />
der erwachsen geworden ist.<br />
Carsten Dürer<br />
Sergej Prokofiew<br />
Klavierkonzert Nr. 2 g-Moll Op. 16<br />
Maurice Ravel<br />
Klavierkonzert G-Dur<br />
Yundi Li, Klavier<br />
Berliner Philharmoniker<br />
Ltg.: Seiji Ozawa<br />
Deutsche Grammophon 477 6593<br />
(Vertrieb: Universal Classics)<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Klang: ❶❷❸➃➄➅<br />
Repertoirewert: ❶❷❸❹➎➏<br />
Mit Ausflügen in alle möglichen Stilbereiche<br />
hat das attraktive Klavierduo<br />
Katia und Marielle Labèque ja<br />
so seine Erfahrungen. Beim Bremer<br />
Musikfest tat es sich letzten Sommer<br />
sogar mit der russischen Geigerin<br />
Viktoria Mullova für ein experimentelles<br />
Konzert unter dem Motto „The<br />
Beatles – Across the universe of languages“<br />
zusammen. Beatles-Songs<br />
in raffinierten Adaptionen internationaler<br />
Bearbeiter wie Tescari, Sollima<br />
und Chalim wurden dabei von<br />
Multimedia-Installationen des Italieners<br />
Fabio Massimo Laquone konterkariert.<br />
Nun also der Rückgriff<br />
auf die Klassik mit einer Gegenüberstellung<br />
von Mozart und Schubert,<br />
die ein Pendant zu dem vormals erschienenen<br />
Album Strawinsky/Debussy<br />
vom eigenen Label KML recordings<br />
darstellt. Gewohntermaßen<br />
gegen den Strich gebürstet wird<br />
schon die bedrückende vierhändige<br />
Fantasie f-Moll D 940, die in der Aggression<br />
auf größte Verletzlichkeit<br />
prallt. Das Cantabile und die Balance<br />
in der Verteilung der Stimmgewichtungen<br />
ist einzigartig und<br />
lässt schon nach wenigen Takten,<br />
auch ohne Ansicht des Covers, auf<br />
eine Labèque-Interpretation schließen.<br />
Auffallend stark und zuweilen<br />
sogar störend sind die Geräusche<br />
der Schwestern, die in höchster Anspannung<br />
mitsummen. Niederschmetternd<br />
gerät der vierte Abschnitt<br />
mit seiner Rückkehr zum<br />
Ausgangsthema.<br />
Fast kokett dagegen wirkt die Fröhlichkeit<br />
in Mozarts Sonate D-Dur für<br />
zwei Klaviere op. 84 Nr. 1. Kraft und<br />
Kraftentladung, Kontemplation und<br />
spontane Reaktion machen das Zuhören<br />
wahrlich zu einem Abenteuer.<br />
Ernst Hoffmann<br />
Franz Schubert<br />
Fantasie f-Moll D 940 für 2 Klaviere<br />
Wolfgang Amadeus Mozart<br />
Sonate D-Dur für 2 Klaviere<br />
Katia und Marielle Labèque, Klaviere<br />
KML 1117<br />
(Vertrieb: Harmonia Mundi)<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Klang: ❶❷❸❹➎➏<br />
Repertoirewert: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Am Anfang stehen schwere Blechfanfaren,<br />
in die das Soloklavier mit<br />
einem bedeutungsschwangeren Unisono<br />
in der Kontraoktave hineinfährt.<br />
Aus langsam aufsteigenden<br />
Oktavverdopplungen werden hochvirtuose,<br />
akzelerierend dahinrasende<br />
Kaskaden, die einen erneuten<br />
Orchestereinsatz provozieren und in<br />
einer gigantischen Tuttistrecke gipfeln.<br />
Brutaler Abbruch. Stille …<br />
Wenn man das erste Klavierkonzert<br />
von Henryk Melcer hört, weiß man<br />
zunächst nicht, ob man sich über<br />
die dramaturgischen Klischees, die<br />
der polnische Romantiker bedient,<br />
ärgern oder freuen soll. Gut gemacht<br />
und effektvoll sind diese Klischees<br />
zweifellos – so gut, dass es einem<br />
nach und nach sogar leidtut,<br />
dass der Pianist, Dirigent und Hochschullehrer,<br />
der 1869 bis 1928 lebte,<br />
so wenig Musik hinterlassen hat.<br />
Seine beiden Klavierkonzerte sind<br />
nun in der verdienstvollen Hyperion-Reihe<br />
„Das romantische Klavierkonzert“<br />
wiederauferstanden,<br />
und wenn man den oben beschriebenen<br />
Anfang des ersten Konzerts<br />
aus dem Jahre 1894 einmal hinter<br />
sich gelassen hat, nimmt Melcers<br />
Klangfantasie und Farbenreichtum<br />
schnell gefangen. Er war ein Vollender<br />
des romantischen Virtuosentums<br />
– und das noch stärker in seinem<br />
zweiten Konzert (1898), das<br />
man in formaler Hinsicht fast schon<br />
eigensinnig nennen könnte: Der<br />
erste Satz beginnt wie eine leise<br />
Stelle mitten in einer Durchführung;<br />
erst nach und nach erlangt das<br />
Werk eigene Kontur, um dann in einem<br />
dahinkreisenden Finale mit<br />
Unterbrechung durch ein hymnischpathetisches<br />
Thema doch wieder<br />
effektheischende Klischees zu bedienen.<br />
Oliver Buslau<br />
Henryk Melcer<br />
Klavierkonzerte Nr. 1 e-Moll & Nr. 2 c-Moll<br />
Jonathan Plowright, Klavier<br />
BBC Scottish Symphony Orchestra<br />
Ltg.: Christoph König<br />
Hyperion CDA67630<br />
(Vertrieb: Codaex)<br />
96 3 . 08
3 . 08<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➎➏<br />
Klang: ❶❷❸❹⑤⑥<br />
Repertoirewert: ❶❷❸❹⑤⑥<br />
Welch spannende Verbindung<br />
Gershwin und Ravel eingehen können,<br />
hat der französische Pianist<br />
Pascal Rogé schon 2006 mit Gershwins<br />
F-Dur- und Ravels G-Dur-Konzert<br />
gezeigt. Die französische Musik<br />
des 20. Jahrhunderts ist sein Steckenpferd:<br />
Fauré, Poulenc, Satie,<br />
Saint-Saëns, Debussy, Franck, Gilles<br />
Cachemaille, Catherine Dubosc u.a.<br />
hat er eingespielt. In Ravels Konzert<br />
für die linke Hand und Gershwins<br />
„Rhapsody“ und „American“ wird<br />
deutlich, wie nah impressionistische<br />
und „sinfonisch-jazzige“ Züge beieinanderliegen.<br />
Die Genialität beider<br />
Werke liegt in ihrer rhythmisch<br />
wie melodisch faszinierenden Machart.<br />
In der einerseits wuchtig-monumentalen,<br />
andererseits feingliedrigen<br />
und exotischen Orchestration<br />
Ravels tut sich ein ebenso großer<br />
Kosmos auf wie im verblüffend komplett<br />
anmutenden Klaviersatz. Die<br />
Instrumentierung des Konzerts ist<br />
der des „Amerikaners“ sehr ähnlich,<br />
harmonisch spielen beide Werke mit<br />
spätromantischer und Jazz-Harmonik.<br />
Doch mindestens so fesselnd<br />
ist die ausgeklügelte und fordernde<br />
Technik dieser Musik: Die gewaltigen<br />
Ansprüche an die linke Hand<br />
des Ravel-Konzerts bewältigt Pascal<br />
Rogé mühelos, Gershwins Rhapsody<br />
wird zu einem locker-leicht-beschwingten<br />
und von Effekten nicht<br />
überladenden Ganzen – auch dank<br />
des überzeugenden Orchesters. Der<br />
Part des RSO gerät nicht zu üppig,<br />
nicht zu schmalzig, sondern dem<br />
natürlichen Spiel des Solisten ganz<br />
angemessen. Herausgekommen ist<br />
eine mitreißende Aufnahme mit<br />
Musik, an der man sich – so gut gespielt<br />
– nicht satthören kann.<br />
Isabel Fedrizzi<br />
George Gershwin<br />
Rhapsody in blue, An American in Paris<br />
Maurice Ravel<br />
Konzert für die linke Hand<br />
Pascal Rogé, Klavier<br />
RSO Wien<br />
Ltg.: Bertrand de Billy<br />
Oehms Classics SACD 623<br />
(Vertrieb: Harmonia Mundi)<br />
H ÖREINDRUCK<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Klang: ❶❷❸❹⑤⑥<br />
Repertoirewert: ❶❷❸❹➎➏<br />
Es ist eine ungewöhnliche Kombination,<br />
die die Pianistin Elfrun Gabriel<br />
da vornimmt: Die „Fantasía baetica“<br />
von Manuel de la Falla zusammen<br />
mit Schostakowitschs „Puppentänzen“<br />
und Edward Elgars „Enigma-Variationen“<br />
– auf den ersten<br />
Blick mutet diese Auswahl so exotisch<br />
wie eigenbrötlerisch an. Zumal<br />
es sich bei den Klavierstücken Elgars<br />
um die Transkription seines gleichnamigen<br />
(ebenfalls wenig bekannten)<br />
Orchesterwerks handelt und sie<br />
so selten aufgeführt werden, dass es<br />
gerade einmal eine Handvoll Interpreten<br />
gibt, die sie in ihr Repertoire<br />
aufgenommen haben. Doch bei näherem<br />
Hinsehen erschließt sich eine<br />
faszinierende Logik, die sich Gabriel<br />
zu eigen gemacht hat. Eine, die<br />
durch den Reiz des Fremden besticht:<br />
All diese Werke sind nicht nur<br />
programmatisch gebunden, sie haben<br />
etwas so Schemenhaftes, Unwirkliches<br />
und zugleich Vertrautes,<br />
dass sich der Gedanke an eine innere<br />
Verwandtschaft fast zwangsläufig<br />
aufdrängt. Elgars Variationen dürften<br />
in der Klavierliteratur der Nachromantik<br />
sogar einzigartig dastehen:<br />
Es sind mimikryartige Gebilde,<br />
die das Hauptthema nie durchscheinen<br />
lassen, sondern sich in einem<br />
einzigen Gespinst aus motivischen<br />
Annäherungen zu verpuppen scheinen.<br />
Womit sich die Assoziation an<br />
Schostakowitschs harlekinartige<br />
Tänze wie von selbst ergibt. Gabriel<br />
fasziniert mit einer Spielweise, die<br />
diesem Irrealis der Klänge und Ideen<br />
voll und ganz gerecht wird: katzenhaft,<br />
hochsensibel, dabei geschmiedet<br />
wie Eisen in Feuer –<br />
wenn Musik derart in Widersprüchen<br />
schwelt, bleiben keine Wünsche<br />
offen. Rafael Sala<br />
Manuel de la Falla<br />
Fantasía Baetica<br />
Dmitri Schostakowitsch<br />
Puppentänze<br />
Edward Elgar<br />
Enigma-Variationen<br />
Elfrun Gabriel, Klavier<br />
MDR VKJK 0625 (Vertrieb: Codaex)<br />
H<br />
97
H H ÖREINDRUCK<br />
Interpretation: ❶❷❸➃➄➅<br />
Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Repertoirewert: ❶❷❸❹⑤⑥<br />
Immer häufiger gibt es klassisch<br />
ausgebildete PianistInnen, die sich<br />
neben der Beschäftigung als Interpreten<br />
auch mit eigenen Kompositionen<br />
hervortun. So auch die japanische<br />
Pianistin Takako Ono, die<br />
hier drei kurze Klavierwerke aus eigener<br />
Feder Werken von Debussy<br />
(Auszüge aus „Suite bergamasque“<br />
und „Images II“) sowie Ravel („Miroirs“)<br />
voranstellt. Und sicher sind<br />
ihre Charakterstücke „Wald und<br />
Mond“, „Zwei Türen“ und „Epilog“<br />
erfrischende kleine Stücke, doch sie<br />
in einen direkten Vergleich mit den<br />
beiden Impressionisten zu stellen,<br />
wäre vielleicht zu hoch gegriffen;<br />
vielmehr erinnern sie mehr an Satie.<br />
Und dennoch sind sie in harmonischer<br />
Hinsicht spannend und einfühlsam<br />
geschrieben. Und die Interpretin<br />
Ono? Die Auswahl zeigt, dass<br />
die Japanerin einen besonderen<br />
Hang zu einer gleitend-farbenreichen<br />
Musik hat. So ist das „Claire de<br />
lune“ von Debussy zwar mit Esprit<br />
gespielt, vermag aber nicht die Tiefe<br />
zu ergründen, ebenso fehlt es dem<br />
„Valse – La plus que lente“ an dem<br />
tänzerischen Schwung. Ono hat einen<br />
vollkommen eigenen, einen anderen<br />
Ansatz, einen auf Transparenz<br />
und weniger auf das Vermischen<br />
der Klänge abzielenden. Dadurch<br />
geraten auch die Stücke von<br />
Ravels „Miroirs“ weniger zu einem<br />
Funkeln als vielmehr zu einem Farben<br />
wechselnden Eindruck. Kein<br />
Gleiten ist hier mehr erkennbar,<br />
schade, denn der Ansatz ist spannend,<br />
mit den verhaltenen Tempi<br />
und der zum Zuhören geeigneten<br />
Stimmverfolgung. Nur etwas mehr<br />
Mut und mehr Vermischung der<br />
Klänge zur stärkeren Charakterisierung,<br />
und diese CD wäre eine außergewöhnliche.<br />
Carsten Dürer<br />
Impression<br />
Werke von Debussy, Ravel und Ono<br />
Takako Ono, Klavier<br />
Pagma Verlag<br />
(www.pagma-verlag.de)<br />
Interpretation: ❶❷❸❹⑤⑥<br />
Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Repertoirewert: ❶❷❸❹⑤⑥<br />
Aus dem Formenstatus der Sonate<br />
während der Spätromantik haben<br />
Komponisten des 20. Jahrhunderts<br />
je eigene Konsequenzen für die Moderne<br />
gezogen. Für ihr Recital hat<br />
Allison Brewster Franzetti vier Werke<br />
ausgesucht, die nach ihrer Meinung<br />
in Referenzen zur Tradition<br />
charakteristische Modelle für „Klaviersonaten<br />
des 20. Jahrhunderts“<br />
darstellen. Eigentlich passen die<br />
„Drei Klavierstücke“ von Arnold<br />
Schönberg aus dem Jahre 1894 zeitlich<br />
nicht in dieses Programm. Doch<br />
Allison Brewster Franzetti akzentuiert<br />
deren suchenden Gestus, als<br />
Überleitung zu den damals neuen<br />
Perspektiven der „Sonate“ von Alban<br />
Berg, die er 1908 komponierte.<br />
Indem Frau Franzetti Vorder- und<br />
Hintergründe der lyrischen Motive<br />
gegeneinander verschiebt, sie expressiv<br />
hebt und kontemplativ<br />
senkt, erscheint eine revolutionäre<br />
Form in diesem singulären Werk.<br />
Satirische Sachlichkeit präsentiert<br />
sich in der Sonate Nr. 2 von Paul<br />
Hindemith, die 1936 schon eine<br />
Auflehnung gegen kulturelle Ausgrenzung<br />
signalisierte. Deren Zorn<br />
und Ironie hat Brewster Franzetti<br />
allerdings etwas unterschätzt, mehr<br />
Schärfe in ihrer etwas distanzierten<br />
Interpretation wäre wünschenswert<br />
gewesen. Dagegen erkennt sie in<br />
der epischen „Sonate 27. April<br />
1945“ von Karl Amadeus Hartmann<br />
das ganze Grauen aus dem KZ Dachau.<br />
Ausgemergelte Menschen ziehen<br />
imaginativ im beharrlichen<br />
Duktus und harten Anschlag vorüber,<br />
Schmerz und Frustration des<br />
Komponisten sind von ihr stark<br />
nachempfunden. Ein disparates Programm<br />
einer engagierten Interpretin,<br />
über das noch intensiver nachzudenken<br />
wäre.<br />
Hans-Dieter Grünefeld<br />
Klaviersonaten des 20.<br />
Jahrhunderts<br />
von Alban Berg, Arnold Schönberg,<br />
Paul Hindemith, Karl Amadeus<br />
Hartmann<br />
Allison Brewster Franzetti, Klavier<br />
Naxos 8.570401<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Repertoirewert: ❶❷❸➃➄➅<br />
Johannes Brahms war wohl der erste<br />
bedeutende Komponist, der sich<br />
in dem für Romantiker typischen<br />
Spannungsfeld von historischen Musiktraditionen,<br />
klassischen Vorbildern<br />
und künstlerischer Selbstfindung<br />
bewegte. Seine Klaviermusik<br />
erzählt die Geschichte dieser Spannungen<br />
gleich in mehreren komplexen<br />
Kapiteln, und Interpreten, die<br />
sich diesem Œuvre nähern, tun gut<br />
daran, nicht nur das zu lesen, was<br />
in den Noten steht, sondern auch<br />
das, was zwischen den Zeilen zu finden<br />
ist. So wie die finnische Pianistin<br />
Laura Mikkola: Ihr Programm<br />
zeigt Brahms in seiner Beschäftigung<br />
mit Alter Musik (Händelvariationen,<br />
Arrangement der Gavotte<br />
aus Glucks Oper „Iphigenie in Aulis”),<br />
als Nachfolger Beethovens (1.<br />
Klaviersonate) und als Klaviervirtuose,<br />
dem daran gelegen ist, die Zurschaustellung<br />
technischen Anspruchs<br />
mit Gehalt zu füllen (Scherzo<br />
op. 4). Vor diesem Hintergrund<br />
ist es sehr interessant, zu beobachten,<br />
wie die Pianistin die Händel-<br />
Variationen zur Entfaltung bringt:<br />
Nicht als organische Reihung und<br />
permanente Verwandlung, sondern<br />
als spannungsreichen Dialog zwischen<br />
Barock und Brahms’ nachklassischer<br />
„Moderne”, wobei die<br />
Künstlerin einen atemberaubenden<br />
Reichtum an Klangfarbenschichtung<br />
erreicht und regelrecht kleine<br />
Universen an mittellagigen Strukturen<br />
hervorzaubert. Brahms’ 1. Klaviersonate<br />
wird auf ganz besondere<br />
Weise beredt: Den pompösen Eingang<br />
spielt Laura Mikkola außergewöhnlich<br />
maestoso und erst im Nebenthema<br />
beginnt sie die reflexive<br />
Innenschau, die aus dem ganzen<br />
Werk eine Art künstlerischer Bestandsaufnahme<br />
macht.<br />
Oliver Buslau<br />
Johannes Brahms<br />
Händelvariationen op. 24, Scherzo op. 4,<br />
Gavotte nach Gluck, Klaviersonate Nr. 1<br />
op. 1<br />
Laura Mikkola, Klavier<br />
Aeon AECD 0859<br />
(Vertrieb: Harmonia Mundi)<br />
98 3 . 08
3. 08<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Repertoirewert: ❶❷❸➃➄➅<br />
Der Name des finnischen Pianisten<br />
Janne Mertanen ist in Deutschland<br />
noch nicht sehr bekannt. In seiner<br />
Heimat gilt er als Chopin-Spezialist.<br />
Die Einspielung der beiden Klavierkonzerte<br />
Chopins mit dem City of<br />
Joensuu Orchestra überzeugt durch<br />
ihre Leichtigkeit und Unvoreingenommenheit.<br />
Den anspruchsvollen<br />
Klavierpart meistert Mertanen<br />
scheinbar ohne Anstrengungen, dabei<br />
setzt er die Musik wirkungsvoll<br />
in Szene. Originell tastet er verschiedene<br />
Ausdrucksbereiche ab: Im ersten<br />
Satz des e-Moll-Konzerts brilliert<br />
er in den virtuosen Passagen, den<br />
zweiten Satz gestaltet er mit ruhigem,<br />
melancholischem Gestus. Die<br />
mitreißende Vitalität und Rhythmik<br />
der Reminiszenzen polnischer Volkstänze<br />
entfaltet er im Schlusssatz.<br />
Ähnliches gelingt ihm auch im dritten<br />
Satz des zweiten Klavierkonzerts.<br />
Hier arbeitet er die unregelmäßigen<br />
Akzente des Kujawiak-Tanzes ansprechend<br />
heraus. Auch wenn die<br />
Klavierkonzerte Chopins keinen ausgefeilten<br />
Dialog zwischen Solist und<br />
Orchester erfordern, sind die Ansprüche<br />
an den Klangkörper nicht<br />
zu unterschätzen. Oftmals drängt<br />
sich das Orchester, wenn es denn<br />
einmal Wesentliches zu sagen hat,<br />
unnötig in den Vordergrund. Der<br />
Dirigent Hannu Koivula versteht es<br />
hingegen, die nötige Balance zu<br />
wahren. Im Klavierkonzert Nr. 2 f-<br />
Moll op. 21 beweist Mertanen, dass<br />
er ein gutes Gefühl für die unzähligen<br />
Brüche in der Musik besitzt, die<br />
zwischen Poesie und Herbheit<br />
schwankt und die er mit fein eingesetzten,<br />
aber nie übertrieben wirkenden<br />
Rubati und Accelerandi auslotet.<br />
Anja Renczikowski<br />
Frédéric Chopin<br />
Klavierkonzert Nr. 2 f-Moll op. 21,<br />
Klavierkonzert Nr. 1 e-Moll op. 11<br />
Janne Mertanen, Klavier<br />
Joensuu City Orchestra<br />
Ltg.: Hannu Koivula<br />
Alba ABCD 247<br />
(Vertrieb: Klassik Center)<br />
H ÖREINDRUCK<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➎➏<br />
Klang: ❶❷❸❹➎➏<br />
Repertoirewert: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Dass er das Klavier ein wenig uncharmant<br />
als „Klanggrube“ bezeichnet,<br />
das in der Lage sei, in einen orchestralen<br />
„Klangturm“ umzuschlagen,<br />
darf nicht über die hohe Achtung<br />
hinwegtäuschen, die Wolfgang<br />
Rihm diesem Instrument entgegenbringt.<br />
Den Begriff der Taste und<br />
des Tastens nimmt er dabei wörtlich<br />
und lässt seine Stücke zuweilen ganz<br />
intuitiv aus einem subjektiven Empfinden<br />
herauswachsen. Freilich sind<br />
sie dennoch gebaut und strukturiert,<br />
auch wenn es sich um Mischformen<br />
aus freier Entwicklung und formalstrenger<br />
Konstruktion handelt. Das<br />
Klavierstück Nr. 4 etwa aus Rihms<br />
früher Schaffensphase 1974 entstand<br />
im Zuge des Orchesterwerks<br />
„Dis-Kontur“ und ist nach der<br />
Grundproportion 5:7:2:9 aufgebaut.<br />
Man kann diese Werke sehr wohl<br />
auch kühl analytisch betrachten<br />
und spielen. Nicht so der großartige,<br />
aus Düsseldorf stammende<br />
Pianist Udo Falkner, der sich in der<br />
Szene Neuer Musik einen Namen<br />
gemacht und unter anderem bei<br />
Alexis Weissenberg und Karlheinz<br />
Stockhausen Kurse besucht hat. Bei<br />
ihm erweitert sich das Rihm’sche<br />
Klavierwerk zu einem Kosmos fantasievoller<br />
Klangexperimente, ohne<br />
im Uferlosen zu zerfließen. Die dichte<br />
kompositorische Struktur Rihm’<br />
scher Partituren spiegelt sich in seiner<br />
konzentrierten Interpretation.<br />
Diese überwiegend recht knappen<br />
Stücke sind für ihn poetische Miniaturen,<br />
die ohne jeden außermusikalischen<br />
Bezug Geschichten erzählen.<br />
Ernst Hoffmann<br />
Wolfgang Rihm<br />
Klavierwerke 1966–2000<br />
Udo Falkner, Klavier<br />
Telos music records 108 (3 CD Box)<br />
(Vertrieb: Klassik Center)<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Klang: ❶❷❸➃➄➅<br />
Repertoirewert: ❶❷❸❹➎➏<br />
Zum wiederholten Male präsentiert<br />
Cyprien Katsaris bislang unveröffentlichte<br />
Aufnahmen aus seinem<br />
Privatarchiv, und wieder ist es erstaunlich,<br />
was da so ans Tageslicht<br />
kommt, nämlich mehrere Epochen<br />
der französischen Klaviermusik von<br />
Rameau über Debussy bis Boulez.<br />
Die Epochen sind freilich verschieden<br />
gewichtet, das wird allerdings<br />
durch die Güte der Interpretation<br />
mehr als nur wettgemacht. So stürzt<br />
sich Katsaris mit einem solchen Furor<br />
in Messiaens „Regard de Église<br />
de l’Amour“, dass einem der Atem<br />
stockt. Zweifellos ein Höhepunkt der<br />
Sammlung. Aber es gibt noch andere.<br />
Debussys „Six Épigraphes antiques“,<br />
die Katsaris mit feinster Sensibilität<br />
und ausgesprochen delikatem<br />
Anschlag spielt, gehören unbedingt<br />
dazu. Aber auch die Transkription<br />
von Faurés Lied „Après un<br />
rêve“ und Poulencs köstliche Miniaturen<br />
aus dem Zyklus „Villageoises“<br />
müssen dazugerechnet werden. Die<br />
Barock-Abteilung besitzt dagegen<br />
den Charakter des Marginalen,<br />
auch wenn Rameaus „Le Tambourin“<br />
gewiss ganz reizvoll und Katsaris’<br />
eigenes Arrangement eines Liedes<br />
aus der Feder Louis XIII. ganz<br />
originell ist. Ein wenig gewöhnungsbedürftig<br />
ist die von Aufnahme zu<br />
Aufnahme wechselnde Klangqualität.<br />
Und die Klaviere sind auch nicht<br />
immer vom Feinsten. Das ist besonders<br />
im Falle von Katsaris wahrlich<br />
fulminanter Deutung von Ravels<br />
„Alborada del Gracioso“ sehr zu bedauern.<br />
Wer sich mit diesem Makel<br />
abfinden kann, der wird an dieser<br />
abenteuerlichen Reise durch die<br />
französische Klaviermusik gewiss<br />
seine Freude haben. R. Nemecek<br />
Musique française de Louis XII à<br />
Boulez<br />
Werke von Jean-Philippe Rameau,<br />
Montéclair, Lully, Massenet, Fauré,<br />
Debussy, Ravel, Poulenc, Messiaen, Boulez<br />
u.a.<br />
Cyprien Katsaris, Klavier<br />
P21 024-A (2 CDs)<br />
(Vertrieb: Codaex)<br />
H<br />
89
H H ÖREINDRUCK<br />
Interpretation: ❶❷❸➃➄➅<br />
Klang: ❶❷❸➃➄➅<br />
Repertoirewert: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Drei verschiedene Themenkreise,<br />
Claudius Tanski nennt sie „Stränge“,<br />
trüge seine hier eingespielte<br />
Programmzusammenstellung. „Der<br />
erste ist der Gesang. Vom perfekten<br />
Lied (Theodor W. Adorno) ‚Auf den<br />
Flügeln des Gesanges’ über den Choral<br />
(in Mendelssohns Variations sérieuses)<br />
über den Gesang der Poesie bei Schumann,<br />
das dramatische Lied bei Liszt<br />
und den Gesang der Schmerzen des<br />
Lebens bei Mahler.“ Man kann das so<br />
machen, auch wenn dieser Bogen<br />
ein wenig gezwungen erscheint. Der<br />
Gesang, das Lied, die melodische<br />
Phrase in abertausend Variationen<br />
ist ein Grundmotiv romantischer Betrachtungsweise<br />
schlechthin. Wenden<br />
wir uns deshalb lieber dem in<br />
Essen geborenen Pianisten und<br />
Hochschulprofessor am Mozarteum<br />
Salzburg Claudius Tanski zu. Dieser<br />
liebt plastische Konturen, eine frontale<br />
Dynamik und eine energiegeladene<br />
Virtuosität. Bei Mendelssohn<br />
Bartholdys „Variations sérieuses“<br />
op. 54 scheint er vom Sturm geradezu<br />
hinweggerissen. Leidenschaftlichkeit,<br />
Pathos und Klanggröße<br />
werden aber auf die Dauer so eindimensional<br />
zur Anwendung gebracht,<br />
dass man sich auch mal einen<br />
Kontrast dazu wünschen würde.<br />
Das ist vor allem bei Schumanns<br />
Fantasie op. 17 so. Selbst der langsam<br />
getragene Schlusssatz blüht dynamisch<br />
sofort wieder auf. Tanskis<br />
zuweilen schroffe Haltung passt dagegen<br />
sehr wohl zu den Liedern eines<br />
fahrenden Gesellen von Gustav<br />
Mahler, in denen der innere Widerspruch<br />
quasi Programm ist.<br />
Ernst Hoffmann<br />
„Auf Flügeln des Gesangs“<br />
Klaviermusik von Mendelssohn Bartholdy,<br />
Schumann, Liszt und Mahler<br />
Claudius Tanski, Klavier<br />
MDG 912 1489-6<br />
(Vertrieb: Codaex)<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Repertoirewert: ❶❷❸❹⑤⑥<br />
Man kann sich der Wirkung von<br />
Herbert Schuchs Spiel kaum entziehen.<br />
Aber man kann sich durchaus<br />
über seine Sichtweise von Kompositionen<br />
streiten. War das nicht immer<br />
so, bei großen Pianisten? Ohne<br />
Schuch schon jetzt in eine Reihe zu<br />
stellen, in die er vielleicht noch nicht<br />
gehört, muss man aber dennoch<br />
seine Persönlichkeit im Spiel anerkennen,<br />
muss erkennen, dass er bei<br />
aller Eigenständigkeit in jedem Fall<br />
die Kontrolle über die Werke behält,<br />
dass er ihnen ein neues, ein frisches<br />
Gesicht zu verpassen versteht. So<br />
auch in den beiden Sonaten von<br />
Schubert D 894 und D 537, die er<br />
auf seiner neuesten CD geschickt<br />
mit Werken von Lachenmann verbindet,<br />
die sich wiederum auf den<br />
Wiener Meister beziehen. Schuberts<br />
große Sonate G-Dur D 894 erhält<br />
bei Schuch eine Tiefe, verbunden<br />
mit einem kraftvollen Klang, wie<br />
man es nicht oft bei jüngeren Pianisten<br />
erlebt. Ja, er beugt die Phrasierung<br />
oft nach seinen Ideen, weiß<br />
aber wunderbar zu singen, die Komplexität<br />
der Schreibweise von Schuberts<br />
vordergründiger Einfachheit<br />
bestens auszubalancieren. Und auch<br />
seine Programmatik mit den beiden<br />
zu Beginn und am Ende der CD präsentierten<br />
Lachenmann-Werken ist<br />
profund. Denn nicht nur, dass Lachenmann<br />
sich in seinen fünf Variationen<br />
eines Themas von Schubert<br />
bedient, sondern auch die Tonsprache<br />
erscheint plötzlich in einem vollkommen<br />
neuen Licht, einem spannenden<br />
Wechselverhältnis zu Schubert.<br />
Schuch ist ein intelligenter, ein<br />
sehr persönlicher Pianist, der zeigt,<br />
dass er auch als junger Pianist etwas<br />
zu sagen hat.<br />
Carsten Dürer<br />
Franz Schubert<br />
Klaviersonaten G-Dur D 894; a-Moll D<br />
537<br />
Helmut Lachenmann<br />
Fünf Variationen über ein Thema von<br />
Franz Schubert; Guero<br />
Herbert Schuch, Klavier<br />
Oehms Classics 593<br />
(Vertrieb: Harmonia Mundi)<br />
Interpretation: ❶❷❸➃➄➅<br />
Klang: ❶❷❸❹⑤⑥<br />
Repertoirewert: ❶❷❸➃➄➅<br />
Eigentlich sind es derzeit vor allem<br />
Kammerorchester, die neue Interpretationsakzente<br />
setzen und Repertoire<br />
wie Partituren klanglich-gestisch<br />
gewaltig verjüngen. Doch<br />
nicht so das Orchestre de Chambre<br />
de Lausanne, von dem nun mit<br />
Christian Zacharias als Solist und<br />
Dirigent die dritte Folge der Einspielung<br />
von Mozarts Klavierkonzerten<br />
vorliegt: „Das Konzert KV 453 hat alle<br />
Interpreten, die den Geheimnissen dieser<br />
Komposition erklärend beizukommen<br />
versuchen, in Verlegenheit gebracht“,<br />
ist im Beiheft zu lesen. „Umso<br />
beredter reagieren auf dieses Werk<br />
die Interpreten, die es zum Klingen<br />
bringen.“ Der Autor macht es sich<br />
ziemlich einfach, und mit ihm die<br />
Musiker. Denn genau dies tun sie,<br />
herausgekommen ist ein allzu braves,<br />
mitunter gar verstaubtes Spiel.<br />
Diesen „Wolferl“ hat man schon<br />
Dutzende Male gehört, auch im KV<br />
456 mangelt es in den schnelleren<br />
Sätzen an Verve, Esprit und Raffinesse.<br />
Lediglich in den langsamen<br />
Sätzen gelingt eine stimmungsvolle<br />
Klangpoesie, in der sich reiche Seelenlandschaften<br />
auftun. Samtweich<br />
lässt Zacharias die Töne perlen, jede<br />
einzelne Note wird modelliert. Ansonsten<br />
aber sind die Musiker bemüht,<br />
Kontrastierungen in Ausdruck<br />
und Klang zu glätten, Ausgewogenheit<br />
und unbedingte Harmonie<br />
schwebte ihnen wohl vor. Gerade<br />
deswegen kommen sie jedoch dem<br />
durchaus tragikomischen Potenzial<br />
von Mozarts Humor, jenem shakespearehaften<br />
Augenzwinkern, nicht<br />
auf die Schliche. Hier brennen nicht<br />
im Lächeln die Tränen, es wird erst<br />
gar nicht gelächelt.<br />
Marco Frei<br />
Wolfgang Amadeus Mozart<br />
Klavierkonzerte KV 453, 456<br />
Christian Zacharias, Klavier und<br />
Dirigent<br />
Orchestre de Chambre de Lausanne<br />
MDG 940 1488-6<br />
(Vertrieb: Codaex)<br />
100 3 . 08
3 . 08<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Klang: ❶❷❸❹➎➏<br />
Repertoirewert: ❶❷❸❹➎⑥<br />
„Haydn revisited“ heißt es im Titel<br />
dieser Haydn-CD von Ragna Schirmer<br />
und erinnert daran, dass die<br />
Pianistin vor Jahren schon einmal<br />
eine reine Haydn-CD eingespielt<br />
hat. Mit großem Erfolg übrigens.<br />
Das Programm mischt Sonaten, Variationenwerke<br />
und Tänze bunt<br />
durcheinander und sorgt damit für<br />
Abwechslung. Die beiden Variationszyklen,<br />
von denen einer auf<br />
dem berühmten „Gott-erhalte-<br />
Franz-den-Kaiser“-Thema beruht,<br />
sind ja auch sonst kaum zu hören.<br />
Reizvoll sind auch die Menuette<br />
Hob.IX:11, die sogenannten „Katharinen-Tänze“,<br />
und mit dem zierlichen<br />
Andante g-Moll sowie dem<br />
Allegretto G-Dur nach einem Stück<br />
für eine Flötenuhr wagt sich Schirmer<br />
auch in entlegenere Bereiche<br />
des Haydn’schen Klavierkosmos. In<br />
dem leuchten die Sonaten freilich<br />
am hellsten. Die vier von Schirmer<br />
eingespielten Werke sind kraft ihrer<br />
Ideen- und Formenvielfalt wahrhaft<br />
bedeutende Zeugnisse der Sonatenproduktion<br />
der 80er Jahre des 18.<br />
Jahrhunderts. Schirmer zeigt sich<br />
dem in jeder Hinsicht gewachsen. In<br />
den schnellen Sätzen findet sie zu<br />
einer wunderbaren Balance zwischen<br />
formkonstituierenden und<br />
subjektiven Faktoren (nur das Finale<br />
der e-Moll-Sonate wirkt etwas unkonzentriert),<br />
während die feine<br />
Empfindsamkeit der langsamen<br />
Sätze einen gerade deshalb so berührt,<br />
weil sich Schirmer eher zurücknimmt<br />
und die Musik gleichsam<br />
aus sich selbst heraus sprechen lässt.<br />
Haydn interpretieren heißt: immer<br />
wieder aufs Neue den Ausgleich zwischen<br />
Konstruktion und Emotion<br />
herzustellen. Diese Kunst beherrscht<br />
Ragna Schirmer derzeit wie kaum<br />
ein anderer Interpret. R. Nemecek<br />
Joseph Haydn Revisited<br />
Sonaten Nrn. 19, 50, 58, 59, 12 Menuette<br />
Hob.IX: 11, Variationen G-Dur nach<br />
Hob.III:77, 8 Variationen Hob.XVII.5,<br />
Andante g-Moll, Allegretto G-Dur<br />
Ragna Schirmer, Klavier<br />
BerlinClassics 0016302BC (2 CDs)<br />
(Vertrieb: Edel)<br />
H ÖREINDRUCK<br />
JAZZ<br />
Interpretation: ❶❷❸❹⑤➅<br />
Klang: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Repertoirewert: -------------<br />
Na bitte, jetzt hat man also auch auf<br />
den Etagen der etablierten Musikkonzerne<br />
erkannt, dass mit Jazz aus<br />
deutschen Landen, zumal mit den<br />
im Moment groß angesagten Klaviertrios,<br />
Geld zu verdienen ist. Wir<br />
wollen gar nicht wissen, wie viele<br />
künstlerische Kompromisse der Pianist<br />
Bernhard Schüler eingehen<br />
musste, ehe er mit dem Plazet des<br />
betreuenden Labels Sony Classical<br />
die heiligen Hallen des Rainbow<br />
Studios in Oslo betreten durfte, in<br />
dem sonst nur die arrivierten Jazzstars<br />
unter der Ägide des Tonmeisters<br />
Jan-Erik Kongshaug aufnehmen.<br />
Viele dürften es eigentlich<br />
nicht gewesen sein, denn bereits auf<br />
dem 2002er-Debüt „First Enchantment“<br />
wusste Schüler mit gefälligem<br />
Spiel einzunehmen. Und einen Musiker,<br />
der sich auf der Suche nach<br />
der eigenen Stimme in Experimenten<br />
verliert, hätte eine Plattenfirma<br />
wie Sony eh nie unter Vertrag genommen.<br />
Kurz, in Schüler wird<br />
offensichtlich ein Pianist wahrgenommen,<br />
der mit seinem melodieorientierten<br />
Stil auch breitere Hörerschichten<br />
ansprechen dürfte. Bei<br />
den meisten Stücken wird Kongshaug<br />
ein ums andere Mal eine Art<br />
Déjà-vu-Erlebnis gehabt haben –<br />
war da nicht gerade ein Lauf, den<br />
Keith Jarrett im selben Studio vor zig<br />
Jahren gespielt hat? Andererseits<br />
wird man als Pianist kaum vermeiden<br />
können, auf die stilbildenden<br />
Mittel der Ikone Jarrett zurückzugreifen.<br />
Eine, wenn auch respektvolle<br />
Auseinandersetzung mit der jüngeren<br />
Jazzgeschichte also – hier geht<br />
es nicht postmodern beliebig zu.<br />
Weder öffnet Schüler Dissonanzen<br />
Tür und Tor, noch lässt er, und das<br />
versöhnt dann doch – allzu harmoniesüchtige<br />
Konsonanzen zu.<br />
Tom Fuchs<br />
Triosence<br />
When You Come Home<br />
Bernhard Schüler, Klavier; Matthias<br />
Nowak, Bass; Stephan Emig, Drums<br />
Sony Classical 8869 721417-2<br />
(Vertrieb: SonyBMG)<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Klang: ❶❷❸❹⑤➅<br />
Repertoirewert: -------------<br />
„Life in Leipzig“ ist nicht die erste<br />
Zusammenarbeit des Pianisten Ketil<br />
Bjørnstad mit dem Gitarristen Terje<br />
Rypdal. Doch während „Water Stories“,<br />
„The Sea“ und „The Sea II“ in<br />
Quartettbesetzung eingespielt wurden,<br />
stellen die Aufnahmen, die<br />
während der 29. Leipziger Jazztage<br />
2005 im dortigen Opernhaus entstanden<br />
sind, das erste Tondokument<br />
der beiden als Duo dar. Nun<br />
könnte einem durchaus berechtigter<br />
Zweifel aufkommen bei dem Gedanken,<br />
eine elektrisch verstärkte Gitarre,<br />
noch dazu gespielt von einem<br />
Interpreten, der nicht gerade zimperlich<br />
in Bezug auf Lautstärke ist,<br />
mit einem akustischen Flügel zu<br />
paaren. Für den Rezensenten bleibt<br />
es denn auch ein Rätsel, wie sich die<br />
Klangdynamik vor Ort entfaltet<br />
haben mag: Hier der wie ein veritabler<br />
Rockgitarrist agierende Rypdal,<br />
dort der für seine schwebenden Impressionen<br />
bekannte Pianist Bjørnstad.<br />
Auf der heimischen Stereoanlage<br />
indes wirkt das Klangbild erfreulich<br />
ausgewogen und ungetrübt.<br />
Angesichts der Minimalbesetzung<br />
weicht Bjørnstad von seinem Motto<br />
ab, dessen Gültigkeit er bei der Einspielung<br />
von „Water Stories“ (1993)<br />
für sich erkannt hatte: „Spiele nicht<br />
zuviel!“ Vor die flächigen Sounds<br />
von Rypdals Gitarre setzt er ausgiebige<br />
Moll-Kadenzen, kommentiert<br />
das oft wolkig anmutende Geschehen<br />
mit weitausholenden Läufen.<br />
Oft sind dabei die Grenzen zwischen<br />
Komposition und Improvisation bis<br />
zur Unkenntlichkeit verwischt. Was<br />
hier im Zusammenspiel entsteht,<br />
hat eine organische Qualität bar<br />
jeglichen Kalküls.<br />
Tom Fuchs<br />
Ketil Bjørnstad / Terje Rypdal<br />
Life in Leipzig<br />
Ketil Bjørnstad, Klavier; Terje Rypdal,<br />
Gitarre<br />
ECM 2052<br />
(Vertrieb: Universal)<br />
H<br />
101
H H ÖREINDRUCK<br />
Interpretation: ❶❷❸❹➎⑥<br />
Klang: ❶❷❸❹⑤➅<br />
Repertoirewert: -------------<br />
An Selbstbewusstsein hat es ihm<br />
noch nie gemangelt, dem heute 37jährigen<br />
Pianisten Brad Mehldau.<br />
Ganz schön prätentiös klang es, als<br />
er 1997 zusammen mit dem Bassisten<br />
Larry Grenadier und dem<br />
Schlagzeuger Jorge Rossy eine erste<br />
CD unter dem Titel „The Art of the<br />
Trio“ vorlegte. Trotzdem: Das Konzept<br />
ging auf, so gut, dass es die<br />
„Triokunst“ auf insgesamt vier Fortsetzungen<br />
brachte. Ein Ende scheint<br />
nicht in Sicht. Mehldau, der sich<br />
gelegentlich mit merkwürdig eklektischen<br />
Aufnahmen, wie dem 2002<br />
erschienenen „Largo“, aus dem Trioformat<br />
löst, braucht seine beiden<br />
Brüder im Geiste (2005 ersetzte Jeff<br />
Ballard Rossy). Nun fügt er der<br />
Geschichte des Trios ein weiteres Kapitel<br />
hinzu. Das schlicht mit „Live“<br />
betitelte Doppelalbum wurde an<br />
vier Abenden im Oktober 2006 im<br />
New Yorker „Village Vanguard“ aufgezeichnet<br />
und es sind einmal tönende<br />
Beweise für Mehldaus These,<br />
dass Kompositionsprinzipien von<br />
Bach und Brahms für den Jazz nutzbar<br />
gemacht werden können, wenn<br />
man nur die kompositionstechnisch<br />
simplen Schemata der harmoniegebundenen<br />
Improvisation durchbricht<br />
und so zu einer höheren Qualität<br />
der Stimmführung gelangt, als<br />
gemeinhin üblich.<br />
Es ist schon fast beängstigend, wie<br />
mühelos es Mehldau gelingt, beim<br />
schon obligatorischen Ausflug in die<br />
Popwelt (diesmal macht die Oasis-<br />
Hymne „Wonderwall“ den Anfang)<br />
minutenlang eine Spannung aufrechtzuerhalten,<br />
die man dem ursprünglichen<br />
Song so nicht zugetraut<br />
hätte. Wie er Soundgardens<br />
brachial daherkommendes „Black<br />
Hole Sun“ zähmt und mit einer eigenen<br />
Trademark versieht, das ist hohe<br />
Kunst.<br />
Tom Fuchs<br />
Brad Mehldau Trio<br />
Live<br />
Brad Mehldau, Klavier; Larry<br />
Grenadier, Bass; Jeff Ballard, Drums<br />
Nonesuch 7559799565<br />
(Vertrieb: Warner)<br />
Interpretation: ❶❷❸➃➄➅<br />
Klang: ❶❷❸❹⑤➅<br />
Repertoirewert: -------------<br />
Es ist derzeit so eine Sache mit den<br />
jungen Piano-Jazztrios. Einerseits<br />
darf man sich eigentlich nur freuen<br />
über die Bereitschaft von Plattenfir-<br />
men, den hiesigen Talenten ein<br />
Forum zu bieten. „Spiegel Online“-<br />
Autor Hans Hielscher ortete jüngst<br />
„annähernd ein Dutzend Trio-Neuerscheinungen<br />
in diesem Frühjahr“.<br />
Zum anderen jedoch kann man sich<br />
nicht des Eindrucks erwehren, als<br />
würde jedes halbwegs seriös geführte<br />
Jazzlabel angesichts der Erfolge<br />
des E.S.T. Trios unter allen Umständen<br />
auch „sein“ Klaviertrio an das<br />
Licht der Öffentlichkeit bringen wollen,<br />
frei nach dem olympischen<br />
Motto „Dabeisein ist alles“. Doch<br />
Vorsicht, mit dieser fast schon inflationären<br />
Entwicklung geht die Gefahr<br />
einer gewissen Übersättigung<br />
einher, das Gespür des Hörers für<br />
das Substanzielle, für das über die<br />
bloße Aktualität hinaus Bleibende<br />
droht zu schwinden. So muss man<br />
denn auch bei der zweiten CD des<br />
Benjamin Schaefer Trios lange suchen,<br />
ehe der Blick haften bleibt: Es<br />
ist die vorletzte Komposition auf<br />
dem Albums „Nordlicht“, die nachhaltig<br />
beeindruckt: ein romantisch<br />
mäanderndes Kleinod inmitten von<br />
mehr oder weniger zu vernachlässigenden<br />
pianistischen Petitessen.<br />
Wobei nicht gesagt werden soll,<br />
dass der gebürtige Braunschweiger,<br />
der seine Ausbildung an der Kölner<br />
Musikhochschule absolviert hat,<br />
nichts mitzuteilen hätte. Aber dem<br />
Nachfolgealbum von „Shapes And<br />
Colours“ fehlt über weite Teile betrachtet<br />
die Klarheit und Tiefenschärfe<br />
des Debüts. Von der Art des<br />
erwähnten „Nordlichts“ und der<br />
prägnanten Rhythmik der funkig<br />
angehauchten „Honourfield Parade“<br />
hätte man sich mehr gewünscht.<br />
Tom Fuchs<br />
Benjamin Schaefer Trio<br />
Roots And Wings<br />
Benjamin Schaefer, Klavier; Robert<br />
Landfermann, Bass; Marcus Rieck,<br />
Drums<br />
Enja ENJ-9515 2<br />
(Vertrieb: Soulfood)<br />
KURZKRITIKEN<br />
In letzter Zeit erschienen<br />
eine<br />
ganze Reihe von<br />
CDs, die das Thema<br />
„Das Klavier<br />
und die Romantik“<br />
nicht nur rein<br />
musikalisch, sondern<br />
auch inhaltlich<br />
zu beleuchten versuchen. Auch diese<br />
Veröffentlichung reiht sich hier ein – mit<br />
einer fast gewagten Zusammenstellung<br />
aus romantisch durch Busonis virtuose<br />
Brille aufgelade-<br />
nenBachchorälen,Chopin-Balladen und Liszt-<br />
Transkriptionen.<br />
Die Pianistin Caroline<br />
Doerge<br />
Alassion strebt<br />
ganz offensichtlich<br />
wie ihre Vorgänger<br />
des 19.<br />
Jahrhunderts<br />
nach Grenzüberschreitungen,de-<br />
Ferrucio Busoni<br />
Vier Transkriptionen von<br />
Choralpräludien von<br />
Johann Sebastian Bach<br />
Frédéric Chopin<br />
Balladen Nr. 1, 2 und 4<br />
Franz Liszt<br />
Transkription über Franz<br />
Schuberts „Die Forelle“;<br />
Konzertparaphrase über<br />
den Walzer aus „Faust“<br />
von Gounod<br />
gutingi 239<br />
(Vertrieb: charisma<br />
Musikproduktion)<br />
nen man auch als Hörer sehr gerne folgt,<br />
und die nicht nur auf musikalischer<br />
Ebene zu finden sind: Als Dichter-Musikerin<br />
überrascht die Interpretin im<br />
Booklet mit einem rätselhaften, aber offensichtlich<br />
von romantischen Nachtgedanken<br />
inspirierten Gedicht.<br />
Oliver Buslau<br />
Der Titel dieser<br />
CD lautet „Moments<br />
musicaux“<br />
und enthält nicht<br />
ein einziges Schubert-Werk<br />
aus<br />
dessen so bezeichneterberühmterWerkserie.<br />
Die Litauerin und Preisträgerin des<br />
Abstract Securities Landor Competition<br />
Evelina Puzaite spielt stattdessen die<br />
kantigen „Dances of Marosszek“ von<br />
Zoltán Kodály<br />
und eine Folge<br />
von Präludien<br />
ihres Landsmanns<br />
Mikalojus<br />
Ciurlionis. Beide<br />
Werke sind voll<br />
ungewohnter<br />
Klangfarben, die<br />
Moments Musicaux<br />
Werke von Zoltán Kodály,<br />
Mikalojus Ciurlionis,<br />
Franz Liszt und Sergej<br />
Rachmaninow<br />
Evelina Puzaite, Klavier<br />
Landor Records 281<br />
(Vertrieb: SunnyMoon)<br />
mit aparten Mitteln arbeiten und von<br />
Puzaite mit Spannung geladen fast in<br />
einem erzählerischen Duktus dargeboten<br />
werden. Ihr Spiel zeichnet sich durch<br />
eine große Ruhe und Durchformung aus.<br />
Sie lässt den Dingen Zeit, selbst wenn<br />
Franz Liszt in seinen „Trois Études de<br />
Concert“ unabwendbar vorwärtsdrängt.<br />
Ernst Hoffmann<br />
102 3 . 08
3 . 08<br />
Als Komponist<br />
konnte Johann<br />
Nepomuk Hummel<br />
seinem ZeitgenossenBeethoven<br />
nicht das<br />
Wasser reichen,<br />
dafür war er bis<br />
ins hohe Alter ein<br />
gefeierter Klaviervirtuose. Ganz vorzüglich<br />
verstand sich Hummel jedoch auf<br />
das Improvisieren und die Transkription<br />
– berühmtes Zeugnis hierfür ist vielleicht<br />
sein 1829 kom-<br />
poniertesKlavierkonzert „Oberons Zauberhorn“<br />
nach<br />
der Oper „Oberon“<br />
von Weber:<br />
Das nur 19 Minuten<br />
dauernde,<br />
einsätzige Werk<br />
verarbeitet Moti-<br />
Musikerkollegen<br />
nennen ihn liebevoll<br />
„Mr. Beautiful“,<br />
und die Art,<br />
wie der Pianist<br />
George Cables<br />
spielt, hat in der<br />
Tat etwas Schönes;<br />
schön im Sinne<br />
von Leidenschaft, die sich speist aus<br />
einer schier unerschöpflichen Kenntnis<br />
des klassischen Kanons wie auch der<br />
Jazzgeschichte. Cables nutzt die ihm<br />
großzügig einge-<br />
räumteSpielwiese von immerhin<br />
zwei CD-Längen,<br />
um sich in mitunterausschweifendenGedan-<br />
Johann Nepomuk<br />
Hummel<br />
Oberons Zauberhorn,<br />
Variationen in F,<br />
Variationen in B u.a.<br />
Christopher<br />
Hinterhuber, Klavier<br />
Gävle Symphony<br />
Orchestra<br />
Ltg.: Uwe Grodd<br />
Naxos 8.557845<br />
ve aus seiner Vorlage zu einem quirligverspielten,<br />
dabei stellenweise äußerst<br />
elegisch und feinsinnig anmutenden<br />
Potpourri. Eine Bandbreite, die der österreichische<br />
Pianist Christopher Hinterhuber<br />
mit dem Gävle Symphonie Orchestra<br />
voll auslotet: Wir begegnen einem<br />
ebenso akkuraten wie leidenschaftlichen<br />
Pianisten, der auch in den anderen<br />
Stücken Witz und geistige Noblesse<br />
brillant zusammenbringt. Rafael Sala<br />
George Cables<br />
You Don’t Know Me<br />
Kind Of Blue KOB<br />
10024 (2 CDs)<br />
(Vertrieb: Rough<br />
Trade)<br />
ken über die Solo-Performance zu verlieren.<br />
Seine mit extrem schnellen Läufen<br />
und überraschenden Wendungen vorgebrachten<br />
Reflexionen über Standards<br />
wie „My Foolish Heart“, „Waltz For<br />
Debby“ oder „Stella By Starlight“ leiden<br />
etwas unter dem übermäßigen Gebrauch<br />
von Arpeggios und Glissandi à la<br />
Art Tatum, bei den Eigenkompositionen<br />
dagegen beschränkt sich Cables auf das<br />
Wesentliche. Für die Liebhaber von Solo-<br />
Pianoaufnahmen ein nur gelegentlich<br />
getrübter Hörgenuss.<br />
Tom Fuchs<br />
H ÖREINDRUCK<br />
Oft hört man dies<br />
nicht, wenn sich<br />
eine eh schon<br />
spärlich besetzte<br />
Formation auf<br />
wenige Töne beschränkt.<br />
Das garantiert<br />
dem<br />
französischen Pianisten<br />
Jobic Le Masson zwar die konzentrierte<br />
Aufmerksamkeit des Hörers, doch<br />
bald entpuppt sich der Vortrag dieses<br />
Klaviertrios auf volle Albumlänge betrachtet<br />
als eher<br />
quälende Angelegenheit.<br />
Zwar<br />
ist der „Spirit“<br />
von Monk und<br />
gelegentlich<br />
Jobic Le Masson Trio<br />
Hill<br />
Enja 063757951629<br />
(Vertrieb: Soulfood)<br />
auch Ellington in dieser Musik zu spüren<br />
(die Titel „Evidence To The Contrary“<br />
und „Monk Medium“ sprechen eine<br />
deutliche Sprache), doch wäre Jobic Le<br />
Masson besser beraten gewesen, auf die<br />
enervierenden Staccati seiner Linken zu<br />
verzichten, zumal sie durch die Überpräsenz<br />
des Flügels im Klangbild nur noch<br />
mehr verstärkt erscheinen. Unter einem<br />
Hörvergnügen ist gewiss etwas anderes<br />
zu verstehen.<br />
Tom Fuchs<br />
Es ist nicht immer<br />
angeraten, unbekannteFrühwerke<br />
von bekannten<br />
Komponisten einzuspielen,<br />
nur<br />
weil sie unbekannt<br />
sind. Beethovens<br />
„nulltes<br />
Klavierkonzert“ in Es-Dur zum Beispiel,<br />
das der Komponist wahrscheinlich mit<br />
12 Jahren öffentlich spielte, zeigt sich als<br />
gut abgearbeitetes Formmodell – kompositorisch<br />
und in<br />
seinen technischenAnsprüchen<br />
für einen so<br />
jungen Menschen<br />
sicher erstaunlich,<br />
aus<br />
heutiger Sicht jedochüberraschendkurzatmig,<br />
ja platt, vor<br />
allem in der einzig<br />
erhaltenen<br />
Version für Soloklavier:<br />
Ein schö-<br />
Ludwig van<br />
Beethoven<br />
Klavierkonzert Nr. 2 B-<br />
Dur op. 19,<br />
Klavierkonzert Es-Dur<br />
WoO 4 (Solofassung),<br />
Konzertrondo B-Dur<br />
WoO 6<br />
Annette Töpel, Klavier<br />
Harleshäuser<br />
Kammerorchester<br />
Ltg.: Matthias<br />
Enkemeier<br />
musicaphon M 56882<br />
(Vertrieb: Klassik<br />
Center)<br />
nes Beispiel dafür, dass „unbekannt“<br />
nicht gleich „zu Unrecht unbekannt“ heißen<br />
muss. Annette Töpel kombiniert das<br />
Stück mit zwei weiteren frühen, aber<br />
durchaus bekannten Klavierkonzertwerken<br />
Beethovens. Die Aufnahme<br />
krankt am spannungslosen, nicht ganz<br />
fehlerfreien Orchesterspiel des Harleshäuser<br />
Kammerorchesters, das freilich<br />
nicht nur aus Profis besteht.<br />
Oliver Buslau<br />
Das Klavierkonzert<br />
Nr. 12 A-Dur<br />
gehört zu den<br />
Kompositionen,<br />
mit denen sich<br />
Mozart dem Wiener<br />
Publikum<br />
1783 als Virtuose<br />
vorstellte. Es ist<br />
ein strahlendes, freudiges A-Dur-Werk<br />
im Gegensatz zum düster-dramatischen<br />
Konzert Nr. 24 – Pollini stellt sie bei dieser<br />
ersten vom Klavier aus geleiteten<br />
Aufnahme neben-<br />
einander. Zwar<br />
weniger berühmt<br />
als Nr. 24, ist das<br />
Konzert Nr. 12<br />
ebensolch ein<br />
Meisterwerk und<br />
ein Ausbund klassischerFarbenundMelodienvielfalt.<br />
Pollini sucht<br />
sich mit den Wie-<br />
ner Philharmonikern wieder den erstklassigen<br />
Dialogpartner, mit dem auch<br />
die Mozart-Einspielung der Konzerte 17<br />
und 21 von 2006 schon zum großen<br />
Erfolg wurde. Pollini knüpft bei aller solistischen<br />
Brillanz am Klavier an das ausgewogene<br />
Zwiegespräch an und legt<br />
seine technisch und musikalisch vollendete<br />
Interpretation vor.<br />
Isabel Fedrizzi<br />
Peter Tschaikowskys<br />
drei große<br />
Handlungsballette<br />
„Schwanensee“,<br />
„Dornröschen“<br />
und „Der Nussknacker“<br />
gehören<br />
zu den glorreichsten<br />
Schöpfungen<br />
des Tanztheaters aller Zeiten. Zu allen<br />
drei abendfüllenden Bühnenwerken existieren<br />
Orchestersuiten und nur zum<br />
Nussknacker gibt es keine vierhändige<br />
Transkription. Der Komponist selbst gab<br />
sie in Auftrag,<br />
welche Stücke<br />
ausgewählt wurden<br />
und Eingang<br />
in Suiten fanden,<br />
war Sache des<br />
jeweiligen Kompilators,<br />
der<br />
nicht immer der<br />
Komponist sein<br />
musste. Vom melodischenÜber-<br />
Wolfgang Amadeus<br />
Mozart<br />
Klavierkonzerte Nr.12<br />
KV 414 & Nr. 24 KV 491<br />
Maurizio Pollini,<br />
Klavier<br />
Wiener<br />
Philharmoniker<br />
Deutsche<br />
Grammophon 477<br />
7167<br />
(Vertrieb: Universal)<br />
Peter I.<br />
Tschaikowsky<br />
Ballettsuiten<br />
Dornröschen,<br />
Schwanensee,<br />
Nussknacker:<br />
Transkriptionen f.<br />
Klavier zu 4 Händen<br />
Aurora Duo (Julia<br />
Severus & Alina<br />
Luschtschizkaja),<br />
Klavier<br />
Naxos 8.570418<br />
schwang der effektvollen Stücke lässt<br />
sich das Aurora Duo zu zu viel Kraft an<br />
den Tasten verleiten, zu wenig Geheimnisvolles<br />
und Zartes erlaubt dem Ohr,<br />
sich zwischendurch zu entspannen. Berauschend<br />
sind die energisch-dramatischen<br />
Passagen, im Leisen fehlt es an<br />
dynamischen Abstufungen.<br />
Isabel Fedrizzi<br />
H<br />
103
H H ÖREINDRUCK<br />
Mit ihrem Blick<br />
auf die Impromptus<br />
D 899 verfällt<br />
die große französische<br />
Dame des<br />
Klaviers, Brigitte<br />
Engerer, einem<br />
eher romantischen<br />
Ideal, das<br />
etwas zu parfümiert wirkt. Nicht umsonst<br />
hat sie diese CD mit dem Motto<br />
„Hymne an die Nacht“ überschrieben,<br />
auch wenn dies mit Hinblick auf die von<br />
ihr grandios,<br />
kraftvoll und<br />
perlend-volkstümlich<br />
gespielte<br />
„Wanderer-Fantasie“<br />
ein wenig<br />
weit hergeholt<br />
scheint. Faszinierend<br />
und „gesanglich“<br />
wie<br />
technisch brillant<br />
gelingen ihr<br />
Verkehrte Welt:<br />
Im Booklet hebt<br />
ein Schüler zum<br />
Lob über seinen<br />
Lehrherrn an.<br />
Michael Wollny<br />
hat insgesamt<br />
zehn Jahre Klavier<br />
bei dem<br />
Würzburger Dozenten Chris Beier studiert,<br />
der nun, offensichtlich im Fahrtwind<br />
des weitaus bekannteren Eleven,<br />
seine erste Solo-CD veröffentlichen kann.<br />
Sei’s drum, was<br />
Beier hier vorlegt,<br />
hat durch<br />
das Handicap einer<br />
tückischen<br />
Krankheit, die<br />
Franz Schubert<br />
Impromptus Op. 90 D<br />
899; Kuppelwieser<br />
Walzer; Wanderer-<br />
Fantasie<br />
Schubert / Liszt<br />
Liedtranskriptionen<br />
Brigitte Engerer,<br />
Klavier<br />
Mirare 043 (Vertrieb:<br />
Harmonia Mundi)<br />
die Schubert-Lied-Transkriptionen von<br />
Liszt. Engerer bleibt eine schillernde<br />
Pianistin, die ihren eigenen Stil findet<br />
und – in den richtigen Werken – zu überzeugen<br />
versteht.<br />
Carsten Dürer<br />
Chris Beier<br />
Aeolian Green<br />
ACT 9757-2<br />
(Vertrieb: edel)<br />
den Bewegungsablauf unvorhersehbar<br />
hemmt, nur gewonnen. Pianistische<br />
Glanzstücke sind nicht zu erwarten auf<br />
„Aeolian Green“, dafür jedoch sehr persönliche<br />
Statements, die meist auf die<br />
Kraft weniger wohlbedachter Töne setzen.<br />
Ein spektrales Selbstporträt, das viel<br />
Souveränität und Ruhe ausstrahlt, aus<br />
der sich immer neue Klangfarben entwickeln.<br />
Tom Fuchs<br />
Mozarts d-Moll-<br />
Klavierkonzert<br />
mit Leif Ove<br />
Andsnes als Pianist<br />
und Dirigent<br />
zugleich – da ist<br />
die Erwartungshaltung<br />
groß.<br />
Der Star aus Norwegen<br />
überrascht mit einer durch und<br />
durch klassizistischen Spielweise: Zügige<br />
Tempi, eine oft staccatoartige Zuspitzung,<br />
eine fast schwebende Dynamik,<br />
die kaum Ent-<br />
wicklungenzulässt – all das<br />
veredelt, ja sublimiert<br />
die Dramatik,<br />
die von diesem<br />
Werk ausgeht.Jedermanns<br />
Sache<br />
wird diese Ein-<br />
spielung mit dem Norwegian Chamber<br />
Orchestra also nicht sein, da das Düstere<br />
und Melancholische dadurch wesentlich<br />
abflachen. Dafür haben wir hier – wie<br />
auch im Klavierkonzert KV 453 – einen<br />
Mozart in der besten Tradition einer<br />
„nüchternen“, das heißt unaufgeregten<br />
Spielweise, die von Manierismen meilenweit<br />
entfernt ist, vielmehr durch Eleganz<br />
bezaubert.<br />
Rafael Sala<br />
Für das Label<br />
EMI hat der italienische<br />
Pianist<br />
Paolo Bordoni<br />
bereits sämtliche<br />
Walzer von Franz<br />
Schubert auf zwei<br />
CDs eingespielt.<br />
Eine Auswahl des<br />
reichen Schaffens des Komponisten auf<br />
diesem Gebiet ist auch beim Schweizer<br />
Label Divox erschienen. Dabei handelt<br />
es sich um die Wiederveröffentlichung<br />
einer Koproduk-<br />
tion mit Radio Lugano<br />
Rete aus<br />
dem Jahr 1994,<br />
die einer weitreichenden<br />
digitalen<br />
Bearbeitung unterzogen<br />
wurde.<br />
Musikalisch ansprechend<br />
und<br />
mit Sinn für die<br />
Leichtigkeit dieser<br />
Miniaturen gestaltet<br />
Bordoni die<br />
Tänze. Damit gibt<br />
er dieser Neuauflage<br />
– neben der<br />
Wolfgang Amadeus<br />
Mozart<br />
Klavierkonzerte 20 d-Moll<br />
und 17 G-Dur<br />
Leif Ove Andsnes,<br />
Pianist und Dirigent<br />
Norwegian Chamber<br />
Orchestra<br />
EMI Classics 5 00281 2<br />
Franz Schubert<br />
16 Deutsche Tänze op.<br />
33 D 783, Galopp op.<br />
49 D 735, 17 Deutsche,<br />
genannt „Ländler“ D<br />
366, Menuett D 600, 11<br />
Ecossaises D 781, 12<br />
„Wiener Deutsche” D<br />
128, Variation über<br />
einen Walzer von<br />
Diabelli D 718, 12<br />
Ländler op. posth. 171<br />
D 790, 2 Scherzi D 593:<br />
Allegretto & Allegro<br />
moderato<br />
Paolo Bordoni, Klavier<br />
Divox CDX 25251-2<br />
(Vertrieb: Musikwelt)<br />
ausgesuchten Zusammenstellung der<br />
Stücke – eine Berechtigung.<br />
Anja Renczikowski<br />
Ein Gedicht, das<br />
keine Rätsel aufgibt,<br />
birgt auch<br />
keine Geheimnisse,<br />
heißt es in<br />
der Literatur. Diese<br />
Weisheit trifft<br />
auch auf die Musik<br />
zu, speziell auf<br />
die Klavierwerke Schuberts, der an der<br />
Schwelle zwischen Klassik und Romantik<br />
steht und die Zuhörer, wie kaum ein<br />
anderer Komponist, verzaubern kann.<br />
Allerdings ge-<br />
lingt dies bei der<br />
„Wanderer-Fantasie“,<br />
die zu den<br />
weltweit meistgespielten<br />
Werken<br />
gehört, nur noch,<br />
wenn man bereit<br />
ist zu experimentieren<br />
und die<br />
ausgetretenen<br />
Franz Schubert<br />
Wanderer-Fantasie<br />
Franz Liszt<br />
Dante-Sonate<br />
Liszt / Schubert<br />
Der Doppelgänger, Die<br />
Nebensonnen<br />
u.a. Werke<br />
Ferenc Vizi, Klavier<br />
Satirino Records SR 071<br />
Pfade zu verlassen. Leider gelingt dies<br />
dem Rumänen Ferenc Vizi gerade nicht:<br />
Sein Spiel hat nichts Neues, es ist kühl,<br />
fantasielos, ohne jedwede Überraschung<br />
und sehr männlich. So erschließt sich der<br />
poetische Reiz nicht. Ein Manko, an dem<br />
auch Liszts Dante-Sonate leidet.<br />
Rafael Sala<br />
Große gespreizte<br />
Hände, mit geschlossenenAugen<br />
blickt die Frau<br />
zur Seite. Weil das<br />
Cover Kitsch suggeriert,präsentiert<br />
sich Mûza<br />
Rubackyé auf ihrer neuesten Live-CD<br />
wenig vorteilhaft. Denn eigentlich hat<br />
die litauische Pianistin, die in Frankreich<br />
lebt, etwas zu sagen – dies zeigen zumindest<br />
ihre ausdrucksvielfältigen Interpretationen<br />
von Jo-<br />
hann Sebastian<br />
Bachs Präludium<br />
(Fantasie) BWV<br />
922 und der<br />
Sonate Op. 110<br />
von Ludwig van<br />
Beethoven. Mit<br />
authentischem<br />
Pathos, das eben<br />
nie ins Gekünstelte<br />
abgleitet,<br />
Bach, Bach/Busoni,<br />
Beethoven,<br />
Schubert/Liszt<br />
1. Französische Suite,<br />
Präludium (Fantasie),<br />
Chaconne, Sonate op.<br />
110, 32 Variationen<br />
WoO 80, Erlkönig<br />
Mûza Rubackyé,<br />
Klavier<br />
Lyrinx LYR 2238<br />
(Vertrieb: Musikwelt)<br />
begegnet sie den gewichtigen Partituren.<br />
Mutig wagt sie Kontrastierungen, wo<br />
andere verhalten dümpeln. Schade nur,<br />
dass sie Bachs 1. Französische Suite zu<br />
seicht herunterspielt. Dafür aber durchdringt<br />
sie intensiv Beethovens 32 Variationen<br />
WoO 80.<br />
Marco Frei<br />
104 3 . 08
3 . 08<br />
Mit Glocken haben<br />
sich Komponisten<br />
immer<br />
wieder auseinandergesetzt.<br />
Mit<br />
welcher Gewalt<br />
etwa lässt Mussorgsky<br />
die Glocken<br />
bei der Zarenkrönung<br />
in „Boris Godunow“ mit orchestralen<br />
Mitteln schwingen. Hier nun<br />
also Carillons, Bells und Glocken aus der<br />
Klaviermusik inklusive einem Melodram<br />
mit dem Titel „The Bells“ von dem mexi-<br />
kanischenPianisten Stefan Litwin<br />
selbst. David Moss<br />
rezitiert zu den<br />
disparaten Klanginseln<br />
dieser Komposition<br />
Verse von<br />
Edgar Allan Poe<br />
voller Ironie und<br />
Groteske. Das<br />
The Bells<br />
Klavierwerke von Claude<br />
Debussy, Michael<br />
Gielen, Maurice Ravel,<br />
Stefan Litwin und Franz<br />
Liszt<br />
Stefan Litwin, Klavier<br />
Telos music TLS 075<br />
(Vertrieb: Musikwelt)<br />
zweite größere Klavierstück dieser Aufnahme<br />
ist siebensätzig, trägt den Titel<br />
„Recycling der Glocken“ und stammt von<br />
dem Dirigenten und Komponisten<br />
Michael Gielen. Dass sich das Bild der<br />
Glocken auf ein Gedicht von Klaus Arp<br />
bezieht und eher als surrealistischer<br />
Gestus betrachtet wird, obwohl eine reale<br />
Glocke erklingt, kommt in Litwins vielgestaltiger<br />
Interpretation zum Ausdruck.<br />
Helmut Peters<br />
Etwas diffus ist<br />
im Beiheft zu Sira<br />
Hernández’ CD<br />
mit wenig bekanntenKlavierwerken<br />
von Isaac<br />
Albéniz zu lesen,<br />
dass dessen frühere<br />
Stücke in einem<br />
„neoromantischen Stil“ gehalten<br />
seien. Tatsächlich aber ist Walzern wie<br />
„Champagne (Carte-blanche)“ von 1888<br />
ein ordentlicher Schuss Salon beigemengt.<br />
Hingegen<br />
ist im dreisätzigen<br />
„Rêves“ von 1891,<br />
in dem sich ein<br />
„impressionistischer<br />
Stil“ ankündigen<br />
soll, die<br />
Nähe zu Frédéric<br />
Chopin unüberhörbar.<br />
Ein spa-<br />
Isaac Albéniz<br />
Champagne,<br />
L’Automne, Rêves, Les<br />
Saisons, Espagne (souvenirs)<br />
Sira Hernández,<br />
Klavier<br />
La mà de guido LMG<br />
2079<br />
nisch gebrochener Impressionismus wird<br />
erst sechs Jahre später in „Espagne (souvenirs)“<br />
erreicht: Hier ist der originale<br />
Albéniz zu hören. So zaubert Hernández<br />
ein vielfältiges Porträt aus den Tasten,<br />
das die kompositorische Entwicklung des<br />
Katalanen nachzeichnet – perlend und<br />
wohlgestaltet.<br />
Marco Frei<br />
H H<br />
ÖREINDRUCK<br />
So wie in der Gegenwart<br />
manche<br />
Männer mit Luxusautos<br />
als Potenzprothesen<br />
zu<br />
imponieren versuchen,<br />
wollte<br />
Henri Herz im 19.<br />
Jahrhundert mit<br />
der Bravuramanie seiner Klaviermusik<br />
Eindruck schinden. Zum pianistischen<br />
Amüsement für Hörer und des Interpreten<br />
Philip Martin selbst sind hier nun<br />
„Deuxième thè-<br />
me original avec<br />
introduction et<br />
variations“ in<br />
CD-Premieren<br />
aufgenommen,<br />
eine verrückte<br />
Henri Herz<br />
Klaviermusik<br />
Philip Martin, Klavier<br />
Hyperion CDA67606<br />
(Vertrieb: Codaex)<br />
Ragtime-Schnulze. Die Opernparaphrase<br />
„Non piú mesta” nach Rossini schlägt<br />
ein spieltechnisches Pfauenrad nach<br />
dem anderen, erst recht „Le mouvement<br />
perpétuel“, eine „Notenschleuder“ par<br />
excellence. Über die sentimentalen<br />
„Trois Nocturnes caracteristique“ bereitet<br />
Philip Martin dann den Weg zu atemberaubenden<br />
„Variationen“ amerikanischer<br />
Hymnen wie dem Yankee Doodle,<br />
die in unfreiwilliger Komik kaum zu<br />
überbieten sind. Dennoch bleibt die<br />
Brillanz und Konsequenz dieses Glamourrepertoires<br />
zu bewundern.<br />
Hans-Dieter Grünefeld<br />
Den Versuch eines<br />
neuen Interpretationsansatzes<br />
verspricht die<br />
CD des französischen<br />
Pianisten<br />
Patrick Scheyder.<br />
Fernab von eingetretenenInterpretationen<br />
möchte er die Musik von Franz<br />
Liszt neu erfahrbar machen. Sein Anliegen<br />
ist es, die Musik so zu spielen, wie<br />
sie seiner Meinung nach zu Liszts Zeiten<br />
geklungen ha-<br />
ben könnte. Zwei<br />
Elemente sind<br />
ihm dabei wichtig:<br />
Zum einen<br />
das Spiel auf einem<br />
historischen<br />
Instrument, einemPleyel-Flü-<br />
Franz Liszt<br />
Funérailles, Paysage,<br />
Mazeppa, Improvisation<br />
u. a.<br />
Patrick Scheyder,<br />
Klavier<br />
Alpha 119<br />
(Vertrieb: Note 1)<br />
gel aus dem Jahr 1846, dessen Klang und<br />
Mechanik Scheyder weitgehend beeinflusst<br />
haben. Zum anderen hinterlässt<br />
jedoch Scheyders Affinität zur Improvisation<br />
einen verwirrenden Eindruck.<br />
Sehr frei gestaltet der Pianist die bekannten<br />
Klavier-Klassiker von Liszt. Zudem<br />
stellt er an den Schluss noch völlig unmotiviert<br />
eine eigene Improvisation.<br />
Scheyder versteht seine Interpretation<br />
als ästhetisches und klangliches Experiment.<br />
Mit aphorismenartigen Ausflügen<br />
in die Welt von Liszt und Chopin<br />
versucht er in seinem Booklettext diese<br />
Idee zusätzlich verständlich zu machen.<br />
Ganz schlüssig ist das Konzept aber letztlich<br />
nicht. Anja Renczikowski<br />
Es muss nicht immer<br />
das E.S.T.<br />
Trio sein, von der<br />
illustren Klaviertrio-Gilde<br />
der Nobelmarke<br />
ECM<br />
ganz zu schweigen.<br />
Ohne viel<br />
Aufhebens hat<br />
eine weitere Kleinformation mit skandinavischen<br />
Wurzeln, das schwedischdeutsche<br />
Tingvall Trio, einen vorderen<br />
Platz im Interpretenspektrum eingenommen,<br />
der ihm<br />
langfristig die<br />
Aufmerksamkeit<br />
des Publikums<br />
sichern dürfte.<br />
„Norr“ – Norden<br />
Tingvall Trio<br />
Norr<br />
Skip 4037688907723<br />
(Vertrieb: Soulfood)<br />
– heißt das zweite Album, es widerlegt<br />
aber bereits mit den ersten luziden<br />
Takten die Vermutung, es handele sich<br />
hier um eine mit skandinavischer<br />
Schwerblütigkeit vorgetragene Klangmelange<br />
– der karibischen Herkunft des<br />
Bassisten Omar Rodriguez Calvo sei’s<br />
geschuldet. Die Rhythm Section erhält<br />
möglichst viel Raum, um Eigenes beizutragen,<br />
und doch folgt alles einem Pfad:<br />
Den gibt Pianist und – nur nomineller –<br />
Leader Martin Tingvall vor, der zudem<br />
seine fulminante Technik an das gebotene<br />
Swing-Gefühl koppelt.<br />
Tom Fuchs<br />
Er sei auf einer<br />
kleinen Insel an<br />
der Westküste<br />
Norwegens aufgewachsen,<br />
wo<br />
es immer sehr<br />
windig war, erklärt<br />
Leif Ove<br />
Andsnes. Seine<br />
Heimat sei zudem ein ziemlich großes<br />
Land mit nur wenigen Menschen. Bei<br />
den späten Schubert-Sonaten dieser<br />
Aufnahme sucht der Pianist weder nach<br />
den vielfach ver-<br />
borgenenAnzeichen für Sturm<br />
noch nach der Depression<br />
des Einsamen,<br />
sondern<br />
nach Licht, Frische<br />
und Zuversicht.<br />
Gerade die<br />
Franz Schubert<br />
Späte Klavier-Sonaten D<br />
950, D 958, D 959, D<br />
960<br />
Leif Ove Andsnes,<br />
Klavier<br />
EMI Classics 50999 5<br />
16448 2 6 (2 CDs)<br />
c-Moll-Sonate D 958 mit ihren schwarz<br />
sich auftuenden Abgründen auch im zarten<br />
Adagio sucht diese Helligkeit. Überhaupt<br />
lässt Andsnes diese Musik fließen,<br />
schafft weite Bögen und übertreibt nicht<br />
in den Akzenten. Wohl hat er die Nähe<br />
vieler dieser Sonaten zum späten Beethoven<br />
erkannt und trägt dem in der dramatischen<br />
Gestaltung etwa der A-Dur-<br />
Sonate D 959 Rechnung.<br />
Ernst Hoffmann<br />
105
V V ORSCHAU<br />
Einige der für die kommende Ausgabe für Sie aufbereiteten Themen:<br />
Itamar Golan<br />
Itamar Golan lebt seit mehreren Jahren in Paris, aber dennoch<br />
will er kein Französisch sprechen. Er bevorzugt es, sich auf<br />
Englisch auszudrücken. So spricht er langsam und leise, aber<br />
klar und fließend. Genauso wie am Klavier äußert er sich überzeugend,<br />
ohne unbedeutende Worte bei unterschiedlichen<br />
Antworten zu verlieren. Seine Ehrlichkeit und unprätentiöse<br />
Art wirken unerwartet und schon von Anfang an strahlt<br />
Itamar Golan eine freundliche Bescheidenheit aus. In Buenos<br />
Aires hat er (mit dem Star-Geiger Vadim Repin ) mehrere Konzertabende<br />
für die Saison des Mozarteum Argentino gegeben,<br />
und zwar mit großem Publikums- und Presseerfolg. Während<br />
einer Probepause am Teatro Coliseo hat der israelitische Pianist<br />
in der Hauptstadt Argentiniens mit PIANONews gesprochen.<br />
Klavier studieren in Alaska<br />
Es ist Anfang Februar: Winter, auch im nördlichsten<br />
Bundesstaat der USA, in dem unterhalb des<br />
Polarkreises gelegenen Alaska. Die University of<br />
Alaska Fairbanks streckt sich, um auch im<br />
Bereich der musikalischen Ausbildung den Anschluss<br />
an die Hochschulen anderer Bundesstaaten<br />
in den USA nicht zu verpassen. Ein hehres<br />
Ziel. Bekannt wurde diese Region, wie so viele<br />
andere in Alaska, vor allem durch ihre reichen<br />
Goldvorkommen, die Ende des 19. und Anfang<br />
des 20. Jahrhunderts dort immer wieder entdeckt und geschürft wurden. Also nicht gerade<br />
die Gegend, in der man eine qualitativ hohe Ausbildung auf Universitätsniveau erwartet?<br />
Nun, zumindest ist die Universität in Fairbanks die nördlichste, die mir bekannt ist. Und<br />
neben den Geowissenschaften, für die diese Ausbildungseinrichtung berühmt ist, wird dort<br />
auch Musik als Fachrichtung gelehrt. Und natürlich auch Klavier unterrichtet. Wir fuhren<br />
also nach Fairbanks, um uns zu informieren, wie es ist, in der nördlichsten Universität<br />
Klavier zu studieren.<br />
Flügelübersicht<br />
Vor mehr als vier Jahren haben wir bereits die<br />
Königsklasse der Flügel vorgestellt, die großen<br />
Konzertflügel aller Hersteller. In der kommenden<br />
Ausgabe nun werden wir Ihnen die Flügel in der<br />
Größenordnung zwischen 190 und 270 Zentimetern<br />
Länge vorstellen. In dieser Größenordnung haben<br />
sich in den vergangenen Jahren viele Neuheiten<br />
ergeben. Zudem erhalten Sie einen Überblick darüber,<br />
was sich unterhalb der Konzertflügelgröße tut.<br />
Dabei geht es nicht um die direkte Vergleichsmöglichkeit,<br />
aber um einen Überblick, welche Instrumente<br />
sich in diesen Längen überhaupt auf dem<br />
Markt befinden.<br />
Die nächste erscheint<br />
am 4. Juli <strong>2008</strong>.<br />
I MPRESSUM<br />
erscheint 6 x jährlich im<br />
STACCATO-Verlag<br />
Carsten Dürer<br />
Heinrichstr. 108 · 40239 Düsseldorf<br />
Herausgeber:<br />
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Redaktion:<br />
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Carsten Dürer<br />
(v.i.S.d.P.)<br />
Graphische Gestaltung:<br />
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(Ingo Nikolaus)<br />
Mitarbeiter dieser Ausgabe:<br />
Valery Afanassiev, Richard Dain, Ratko Delorko,<br />
Volker Dunisch, Maja Ellmenreich, Isabel Fedrizzi,<br />
Marco Frei, Tom Fuchs, Dimitri Gagliano,<br />
Hans-Dieter Grünefeld, Ernst Hoffmann,<br />
Wolfgang Hülk, Andreas von Imhoff,<br />
Robert Nemecek, Anja Renczikowski,<br />
Manuel Rösler, Rafael Sala, Antony Spiri<br />
Anzeigenleitung:<br />
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Beiträge bei STACCATO-Verlag, Carsten Dürer.<br />
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Volume 2<br />
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