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RIJEČ 47

Riječ - Glasnik Hrvatske kulturne zajednice Das Wort -Mitteilungsblatt der Kroatischen Kulturgemeinschaft e.V. Wiesbaden

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<strong>RIJEČ</strong> - glasnik Hrvatske kulturne zajednice, broj <strong>47</strong>, 2015.<br />

Držić hielt in seinen Komödien, die<br />

einerseits zum Lachen bringen sollten,<br />

aber andererseits Geldgier und<br />

Ausbeutung verurteilten, seinem<br />

Publikum den Spiegel vor; und er<br />

gibt uns heute noch einen literarisch<br />

verarbeiteten Einblick in seine Sicht<br />

der Gesellschaft Dubrovniks im 16.<br />

Jahrhundert.<br />

Ist die wirtschaftliche Freiheit, die<br />

das geschickt taktierende und<br />

sowohl mit den Osmanen im Hinterland<br />

als auch mit den Küstenstädten<br />

des Mittelmeerraums Handel<br />

treibende Dubrovnik damals ausmachte,<br />

auch die Inspiration eines<br />

Ortes von Freiheit, die Schriftsteller<br />

dazu bewegte, ihre literarischen<br />

Handlungen dort zu verorten? Ist<br />

Ragusa das mit dicken Mauern dem<br />

Meer trotzende und vor feindlicher<br />

Realität schützende Refugium für<br />

Frei-Sein? Wählt Shakespeare in<br />

seiner 1602 in London uraufgeführte<br />

Komödie „Twelfth Night“<br />

(„Was ihr wollt“) dieses Ragusa als<br />

Schaubühne für die Liebewirrungen<br />

des Herzogs Orsino von Illyrien zur<br />

schönen Gräfin Olivia, bei dem die<br />

an der Küste Illyriens gestrandeten<br />

Zwillinge Viola und Sebastian für<br />

leidenschaftliche Gefühle und Verwechslung<br />

sorgen?<br />

In der literaturwissenschaftlichen<br />

Diskussion um Shakespeares<br />

knappe Schauplatzanweisung:<br />

„Eine Stadt in Illyrien und die<br />

nahegelegene Küste“ (Shakespeare<br />

1976:7), ob mit der namentlich<br />

nicht erwähnten Stadt das geografische<br />

Ragusa gemeint sei, lässt sich<br />

festhalten: Shakespeares Darstellung<br />

des Handlungsortes in der<br />

karnevalsähnlichen zwölften Nacht<br />

nach Weihnachten betont mehr den<br />

fiktiven Ort von Grenzenlosigkeit,<br />

in dem soziale Strukturen scheinbar<br />

Kopf stehen, Gefühle und<br />

Geschlechterrollen durcheinander<br />

geraten, sich niemand um Arbeit<br />

oder Realität kümmert. Der<br />

unglücklich liebende Herzog<br />

Orsino spannt seinen Diener (die<br />

heimlich als Mann verkleidete<br />

gestrandete Viola) als Helfer ein,<br />

um Gräfin Olivias Liebe zu gewinnen.<br />

Olivia verliebt sich jedoch<br />

beim Werben des vermeintlichen<br />

Dieners in ihn - die verkleidete<br />

Viola. Viola liebt wiederum<br />

Herzog Orsino, der nicht ahnt, dass<br />

sein bester Diener kein Mann ist.<br />

Nicht genug der Verwirrung taucht<br />

zuletzt der verschollen geglaubte<br />

Zwilling Sebastian auf, der von der<br />

liebestollen Gräfin Olivia mit<br />

seiner verkleideten Schwester verwechselt<br />

wird.<br />

Shakespeares „Stadt in Illyrien“ als<br />

utopisch verklärter Ort von Sehnsucht,<br />

Liebe und Freiheit, vielleicht<br />

eine Andeutung an die damals<br />

souveräne Republik Ragusa, spielt<br />

viel mehr eine literarische als eine<br />

geografische Rolle für „Twelfth<br />

Night“. Dennoch lässt sich nicht<br />

bestreiten, dass auch heute noch<br />

das barocke Bild der Altstadt mit<br />

seinen stilvollen Häusern und den<br />

blankpolierten Steinen des Stradun,<br />

der Hauch dieser Stadt zwischen<br />

Zeit und Zeitlosigkeit eine hervorragende<br />

Kulisse für die Verortung<br />

von Shakespeare-Aufführungen<br />

bietet.<br />

56<br />

Mit deutlich direkteren geografischen<br />

Bezügen zu Ragusa versieht<br />

Heinrich von Kleist seine<br />

Novelle „Der Findling“, die 1811<br />

im Band „Erzählungen“ zum ersten<br />

Mal veröffentlicht wurde. Zum<br />

Ausgangspunkt einer morbiden<br />

Folge von sich unaufhaltsam entwickelnden<br />

Katastrophen wird hier<br />

das spätmittelalterliche Ragusa, in<br />

das der italienische Handelsreisende<br />

Piachi mit seinem Sohn<br />

Paolo von Rom aus reist und vor<br />

den Toren erfährt, dass die Stadt<br />

von der Pest heimgesucht sei.<br />

Ragusa mit seinen Stadtmauern und<br />

Toren wird hier als Opfer der Pest<br />

beschrieben, in der aber durch<br />

straffe Organisation und Machtstrukturen<br />

versucht wird, dem Übel<br />

beizukommen. Häscher sind auf der<br />

Suche nach Erkrankten um sie in<br />

ein Krankenhaus zu bringen, durch<br />

das Schließen der Stadttore soll die<br />

Pest eingedämmt werden. Piacchi<br />

greift bei seiner Umkehr Richtung<br />

Rom aus Mitleid einen pestkranken<br />

Jungen auf, der sich als aus Ragusa<br />

flüchtendes Waisenkind herausstellt.<br />

Dieses mit den Attributen<br />

„unschuldig“, „Gottes Sohn“ versehene<br />

kranke Kind Nicolo wird zum<br />

Anlass dafür, dass Piachi samt<br />

Sohn und Findling von den<br />

Häschern zurück in die Stadt abgeführt<br />

werden.<br />

„Alle Vorstellungen von seiten<br />

Piachis über die Grausamkeit<br />

dieser Maßregel halfen zu nichts;<br />

in Ragusa angekommen, wurden<br />

nunmehr alle drei unter Aufsicht<br />

eines Häschers nach dem Krankenhause<br />

abgeführt, wo er zwar,<br />

Piachi, gesund blieb und Nicolo,<br />

der Knabe, sich von dem Übel<br />

erholte: sein Sohn aber, der elfjährige<br />

Paolo, von demselben angesteckt<br />

ward und in drei Tagen<br />

starb“ (Kleist 1971: 53).<br />

Ragusa ist gleichzeitig Trutzburg<br />

gegen den Tod und Gefängnis zum<br />

Tode für dort Eingeschlossene.<br />

Piachi nimmt den wieder gene-

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