27.07.2015 Aufrufe

VECTURA

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

WWW.<strong>VECTURA</strong>MAG.CH<br />

[lat.: das Fahren] #15 | Sommer 2015<br />

Neu definiert<br />

RENAULT ESPACE<br />

NEUER SPIRIT // TRIUMPH BONNEVILLE<br />

PRODUKTION // DIE ROBOTER KOMMEN<br />

SPEZIAL // GELÄNDEWAGEN UND SUV<br />

MOTORMENSCHEN // BRACQ / GALES<br />

FRANKREICH-EDITION<br />

www.prestigemedia.ch | CHF 10.–<br />

9 772235 369009


Nehmen Sie eine Lektion Fahrspass.<br />

Jetzt anmelden für die Mercedes-Benz Driving Days.<br />

Eine Marke der Daimler AG<br />

Verbessern Sie Ihr Fahrkönnen am Steuer der faszinierenden Modelle von Mercedes-Benz. Auf verschiedenen Teststrecken<br />

zeigen Ihnen professionelle Instruktoren, wie Sie maximalen Fahrspass haben und trotzdem sicher unterwegs sind. Freuen<br />

Sie sich auf pure Dynamik und schnallen Sie sich jetzt an unter www.mercedes-benz.ch/drivingdays<br />

1. Ambrì 05. und 06. Juni 2015<br />

2. Lignières 12. und 13. Juni 2015<br />

3. Sennwald 19. und 20. Juni 2015<br />

4. Buochs 26. bis 28. Juni 2015<br />

2<br />

4<br />

1<br />

3


T H E A R T O F F U S I O N<br />

MP05-LaFerrari.<br />

Eine außergewöhnliche Uhr. Eine technische<br />

Bestleistung. Gangreserve von 50 Tagen und<br />

ein mit Ferrari gemeinsamentwickeltes High-Tech<br />

Design. Auf 20 Exemplare limitierte Serie.<br />

BOUTIQUES<br />

GENEVE • GSTAAD • LUZERN • ZURICH


EDITORIAL<br />

Matthias Pfannmüller, Chefredaktor<br />

<strong>VECTURA</strong> #15<br />

FRANKREICH<br />

EDITION<br />

Kann man sich einem Trend verschliessen, der gestandene<br />

Fahrzeugsegmente mit teils zweistelligen Zuwachsraten<br />

überrollt? Seit über zehn Jahren fahren SUV alles<br />

in Grund und Boden, haben grosse Minivans fast komplett verdrängt<br />

und auch dem Kombi, dem Kompaktwagen und selbst<br />

Luxuslimousinen messbare Anteile abspenstig gemacht. Dass<br />

moderne Allradler nur noch wenig mit klassischen Offroadern zu<br />

tun haben, macht dieses Segment so spannend – es ist differenzierter<br />

als jedes andere, wie unser Spezial unterhaltsam unterstreicht.<br />

Und die Metamorphose wird weitergehen.<br />

Obwohl sich die Franzosen dem SUV-Boom lange hartnäckig<br />

verweigerten (Ausnahme: der Talbot-Matra Rancho von 1977),<br />

sind sie inzwischen auf den Softroad-Zug aufgesprungen und<br />

machen anderen vor, wie es geht – mit selbst entwickelten, unkonventionellen<br />

Crossover-Modellen. Überhaupt haben unsere<br />

westlichen Nachbarn in den letzten drei Jahren aus dem automobilen<br />

Jammertal gefunden: Spass ist wieder in, und das hat<br />

positive Folgen an der Verkaufsfront. Denn wo Citroën, Peugeot<br />

und Renault lange lustlos hinterherfuhren, knüpfen sie endlich<br />

wieder an glorreiche Zeiten an, sind heute wieder frisch-freche,<br />

über legenswerte Alternativen zu Golf & Co.<br />

Auch antriebstechnisch lässt sich Frankreich viel einfallen und<br />

punktet hier mit mancher Innovation. Der Umstand, lange auf<br />

kleinvolumige Motoren und den Diesel gesetzt zu haben, zahlt<br />

sich nun doppelt aus – mit Know-how und passenden Antworten<br />

auf immer strenger werdende Emissionsgesetze. Selbst die<br />

französische Grossraum-Ikone, unser Titel-Auto Espace, hat<br />

sich dem eingangs erwähnten Umstand angepasst – mit einem<br />

neuen Format, das Unverwechselbarkeit sicherstellen soll. Und<br />

bei Citroën, wo man sich von der ebenso überirdischen wie<br />

genialen «La Déesse» nie richtig erholt hat, wird das legendäre<br />

Kürzel zum eigenständigen Markenzeichen: Wenn so etwas je<br />

funktionieren kann, dann hier.<br />

Wir erleben derzeit, wie man sich auch im Ausland für die neuen<br />

französischen Modelle erwärmt – vergleichbar mit einer sommerlichen<br />

Fahrt auf der Route du Soleil Richtung Süden, bei<br />

der das Thermometer stündlich steigt. In Asien starten die<br />

Franzosen bereits durch; selbst die Rückkehr in die Vereinigten<br />

Staaten erscheint plötzlich nicht mehr unmöglich. Vive la France?<br />

Auf jeden Fall bon voyage!<br />

SOMMER 2015 003


INHALT #15<br />

EDITORIAL<br />

DREI-STERNE-MENU<br />

Ganz ehrlich? Französische Kompaktwagen<br />

schmeckten lange wie Junk-Food.<br />

Der Peugeot 308 GT ist da ganz anders<br />

GEÖLTER BLITZ<br />

Unter Renault-Regie könnte der gute alte<br />

Zweitaktmotor eine Renaissance erleben<br />

DER GEIST DES SALZSEES<br />

Ausritt auf einer Triumph Bonneville Spirit<br />

MEHR CHANCEN DENN JE<br />

Baguette, Cigarette, Jeanette: F-Autos machen<br />

wieder Spass, findet Mark Stehrenberger<br />

GALLISCHE MOMENTE<br />

Französische Fahrzeuggeschichte ist alles andere<br />

als langweilig. Wir zeigen legendäre Marken und<br />

Modelle; Teil 1 behandelt nur die letzten 70 Jahre<br />

WAS FÜR EIN RÜCKEN…<br />

Die grosse Liebe des David Chevalier<br />

003<br />

008<br />

016<br />

020<br />

026<br />

028<br />

040<br />

SUSHI MIT KOFFEIN<br />

Der nächste Suzuki Vitara kann alles besser<br />

als der letzte – und sogar Cappucciono brühen<br />

KLEINE FLUCHTEN<br />

Sieht aus wie ein Spielzeug, beeindruckt im<br />

Gelände: Wir fahren Jeep Renegade Trailhawk<br />

SPURTEN UND SPASS HABEN<br />

Kommende 4x4-Modelle machen klar: Es geht<br />

vor allem um mehr Komfort und Leistung<br />

VIEL SUV GEHABT<br />

Kein anderer Hersteller bietet mehr Off- und<br />

Softroader an als Mercedes-Benz<br />

LIGHTWEIGHT ODER ALLRAD<br />

Lotus Cars steht wieder einmal vor einem<br />

Comeback. CEO Jean-Marc Gales<br />

erklärt uns, wie es funktionieren soll<br />

ALTER SCHWEDE!<br />

Der neue Volvo XC90 überzeugt mit<br />

Qualitäten, die man einem Oberklasse-SUV<br />

dieses Formats kaum zugetraut hätte<br />

082<br />

090<br />

098<br />

106<br />

116<br />

120<br />

ES WERDE LUXUS<br />

Die Neumarke DS Automobiles soll unabhängig<br />

und oberhalb von Citroën funktionieren<br />

EIN KESSEL BUNTES<br />

Wir zeigen exemplarisch, wie vielseitig das<br />

Modellangebot aus dem Westen heute wieder ist<br />

HÄRTER ALS STAHL<br />

Eine IWC-Kleinstserie verwendet eine Keramik,<br />

die bisher noch nie bei Uhren zum Einsatz kam<br />

PLEASE STOP YOUR ENGINES<br />

Wenn in Goodwood geparkt wird,<br />

dann bitte nicht mit einem 08-15-Auto<br />

ES IST SO WEIT<br />

Nach knapp sieben Jahrzehnten tritt der<br />

Land Rover Defender Ende 2015 ab<br />

042<br />

047<br />

052<br />

060<br />

070<br />

GRAND MALHEUR<br />

Altmeister Paul Bracq teilt mit, was er vom<br />

aktuellen französischen Automobildesign hält.<br />

Besonders happy ist er nicht dabei<br />

TITELSTORY<br />

Für die einen ist es der neue Renault Espace.<br />

Für die anderen die längste Praline der Welt<br />

DAS REVOLUTIÖNCHEN<br />

PSA hat seine Dieselmotoren mit Blue HDi<br />

auf die kommende Euro6-Norm vorbereitet<br />

PIEP-PIEP<br />

Robotik ist komplex und kontrovers, bringt<br />

grosse Veränderungen. Wir nähern uns<br />

der Zukunft – am Boden und im Weltraum<br />

IMPRESSUM<br />

132<br />

134<br />

144<br />

146<br />

162<br />

FRANKREICH<br />

EDITION<br />

006 <strong>VECTURA</strong> #15


028<br />

047<br />

052<br />

070<br />

132<br />

146<br />

SOMMER 2015 007


FAHRTERMIN<br />

TROIS COULEURS<br />

008 <strong>VECTURA</strong> #15


FAHRTERMIN<br />

MIT DEM 308 HAT PEUGEOT EIN EBENSO VIELSEITIGES WIE<br />

ATTRAKTIVES AUTO IM PROGRAMM. BESONDERS DIE<br />

GT-VERSION IST EIN REIZVOLLES ANGEBOT – SIE HAT ESPRIT,<br />

VERMEIDET ABER DIE SPORTIVE PLATTITÜDE<br />

Text Simon Baumann<br />

Fotos Ian G.C. White<br />

SOMMER 2015 009


010 <strong>VECTURA</strong> #15<br />

FAHRTERMIN


FAHRTERMIN<br />

Diese Nummer … 308, so hiess 2007 schon der Vorgänger<br />

des aktuellen französischen Kompaktwagens, und es<br />

gab den alten noch als Dreitürer. Der 2013 eingeführte,<br />

ausschliesslich fünftürige 308 – man spricht auch von Phase II –<br />

behielt die Ziffernfolge, weil Peugeot zuvor eine neue Nomenklatur<br />

eingeführt hatte: Grossserien-Baureihen enden seither<br />

entweder auf 1 (Basismodelle für Schwellenländer) oder eben<br />

8 (gehobene Ausstattung, z. B. für Westeuropa). Nach dem<br />

2012 vorgestellten Stufenheck 301 ist der 308 II damit der zwei -<br />

te Peugeot, bei dem eine Modellbezeichnung wiederholt wird –<br />

und der erste, der sich so nennt wie der letzte. C’est la vie.<br />

Man kennt den neuen Drei-Null-Acht; auch in der Schweiz gehört<br />

er inzwischen zum Strassenbild. Und bei den inflationär stattfindenden<br />

Preisverleihungen von Industrie oder Fachpresse steht<br />

der Kompaktwagen regelmässig auf dem Treppchen. Für uns ist<br />

das Grund genug, dem jungen Löwen etwas kritischer auf den<br />

Zahn zu fühlen – nicht zuletzt deshalb, weil es ihn jetzt auch in<br />

einer GT-Version mit 205 Benzin- oder 180 Diesel-PS gibt. Aber<br />

braucht es das?<br />

Wer je 307 oder 308 Phase I fuhr, hat zunächst keine übertriebenen<br />

Erwartungen. Anständig, ja. Alltagstauglich, klar. Aber aufregend?<br />

Qualitativ bemerkenswert? Vorfreude gar auf die nächste<br />

Fahrt? Comme ci, comme ça. Der GT dagegen stimmt neugierig:<br />

Ist es Peugeot gelungen, eine Modellvariante auf die Räder<br />

zu stellen, die Lust auf mehr macht?<br />

Das Zusatzkürzel impliziert schon mal Sportlichkeit, die äusserlich<br />

mit der Sonderfarbe «Bleu Magnetic» (es gibt aber auch<br />

andere Lackierungen), dem Sportfahrwerk (Höhe minus einen<br />

Zentimeter), den geänderten Front- und Heckschürzen oder<br />

speziellen 18-Zoll-Felgen zum Ausdruck kommt. Innen werden<br />

Alupedale oder ein dunkler Dachhimmel geboten, erfreuen rote<br />

Ziernähte das Auge und die Denon-Soundanlage das Ohr. Uns<br />

spricht vor allem die SW genannte Kombivariante an, weil sie<br />

gestreckter ist, in der zweiten Reihe spürbar mehr Platz bietet,<br />

dazu einen doppelten Kofferraumboden plus Verzurr-Ösen und<br />

optional ein wirklich riesiges Panorama-Glasdach. Die Tochter<br />

im Kindersitz ist begeistert, also sind wir es auch! Und haben<br />

natürlich auch die liebevoll gestalteten 3D-Armaturen wahrgenommen,<br />

das zentrale Display mit Verkehrszeichenerkennung<br />

oder den zusätzlichen Digitaltacho. Doch entfalten diese Details<br />

ihre Schönheit erst auf den zweiten Blick; dann erst die Lüftungsdüsen<br />

und vernähten Kanten – all das strahlt eine Wertigkeit aus,<br />

die wir von Peugeot bisher nicht gewohnt waren, schon gar nicht<br />

in dieser Klasse, mon Dieu! Der zentrale Touchscreen ist mattiert<br />

und spiegelt deshalb kaum. Diskret hat die Bluetooth-Funktion<br />

Verbindung mit unserem Smartphone aufgenommen; der Datentransfer<br />

ist ebenso unproblematisch wie die Sprachsteuerung –<br />

alles funktioniert intuitiv und ganz ohne Handbuch.<br />

Allerdings – wo Licht ist, fällt auch Schatten. Die Anordnung des<br />

Tempomaten ist sehr unglücklich gewählt, weil man das Teil einfach<br />

nicht sieht und es uns nicht einmal gelang, den Cruise-<br />

SOMMER 2015 011


012 <strong>VECTURA</strong> #15


FAHRTERMIN<br />

TECHNISCHE DATEN PEUGEOT 308 GT<br />

Konzept Betont sportliche Modellvariante des ab 2013 eingeführten französischen Kompaktwagens. Selbsttragende Karosserie mit Hilfsrahmen vorne,<br />

4 / 5 Türen, 5 Sitzplätze. Zahnstangenlenkung mit elektrohydr. Servo, vorne Einzelradaufhängung mit Dreieckquerlenkern, hinten Verbundlenkerachse,<br />

Scheibenbremsen rundum (v. belüftet). Frontantrieb<br />

Motor Vierzylinder-Benzindirekteinspritzer (Code EP6 DT) mit 4 Ventilen / Zyl., 5fach gelagerte Kurbelwelle (Kette), Turbolader und Intercooler.<br />

Vierzylinder-Turbodiesel (Code DW10FD) mit Common-Rail-Einspritzung, ebenfalls 4 Ventilen / Zyl., Turbolader (VNG) sowie Intercooler<br />

308 Berline GT e-THP 308 SW GT Blue HDi EAT6<br />

Hubraum in cm 3 1598 1997<br />

Bohrung x Hub in mm 77 x 85,5 85 x 88<br />

Verdichtung 10,5:1 16:1<br />

Leistung in PS (kW) @ U / min 205 (151) @ 6000 180 (133) @ 3750<br />

Max. Drehmoment in Nm @ U / min 285 @ 1750 400 @ 2000<br />

Kraftübertragung M6 A6<br />

Abmessungen (L/ B / H) in cm 425 / 180 / 145,5 458 / 180 / 147<br />

Radstand in cm 262 273<br />

Spur vorne / hinten in cm 155 / 154<br />

Reifen und Räder 225 / 40 R18 auf 7,5J<br />

Tankinhalt in L 60<br />

Kofferraumvolumen in L 420 – 1300 675 – 2145<br />

Leergewicht (ohne Fahrer) in kg 1265 1445<br />

Zulässiges Gesamtgewicht in kg 1790 1975<br />

Leistungsgewicht in kg / PS 6,2 8,0<br />

0 – 100 km / h in Sek. 7,5 8,6<br />

Höchstgeschwindigkeit in km / h 235 218<br />

Durchschnittsverbrauch* in L/100 km 5,6 4,1<br />

CO 2 -Emission in g / km 130 107<br />

Energieeffizienzkategorie C B<br />

Preis ab CHF 37 700.– 42 700.–<br />

* gemessen nach NEFZ: Neuer Europäischer Fahrzyklus<br />

SOMMER 2015 013


FAHRTERMIN<br />

Der 308 GT strahlt eine Wertigkeit aus,<br />

die wir von Peugeot nicht gewohnt waren –<br />

schon gar nicht in dieser Klasse<br />

Mode zu aktivieren. Schade auch, dass die Freisprecheinrichtung<br />

oder das Radio runterfahren, sobald man den Motor abschaltet.<br />

Öffnet man dagegen die Tür, ohne vorher die Feststellbremse<br />

betätigt zu haben, geht ein Alarm los, wie man ihn nur selten<br />

hört. Und muss die Heizungsbedienung wirklich ein Untermenu<br />

sein, das man aufrufen muss, wenn es zu kalt oder heiss wird?<br />

Offenbar, und es steht zu befürchten, dass dem bald überall so<br />

sein wird – einfach weil Hersteller für diese Funktion nur noch<br />

Software brauchen und auf eine haptische (teurere) Klimaregulierung<br />

zunehmend verzichten können.<br />

Doch diese letzte Kritik gilt einer ganzen Branche, nicht nur unserem<br />

Testkandidaten. Zumal er sich beim auffälligsten Anderssein<br />

besser benimmt als sein kleiner Bruder 208. Der war nämlich der<br />

erste Peugeot mit einem kleinen, asymmetrischen, extrem tief<br />

stehenden Lenkrad, um einen freien Blick auf die Instrumente<br />

zu ermöglichen. Und das klappte nur bedingt; wer als Fahrer die<br />

falsche Statur hat, sitzt eventuell nicht optimal. Anders der 308 –<br />

er passt sich jeder Physiognomie an, offeriert unterschiedlichen<br />

Körpergrössen und Sitzgewohnheiten stets eine wunderbare<br />

Ergonomie – wir haben es mit mehreren Probanden geprüft.<br />

Und an das niedrig stehende, kleine Volant gewöhnt man sich<br />

schnell, zumal es auch auf längeren Strecken ermüdungsfrei<br />

gehalten werden kann. Optional-elektrische Vordersitze wissen<br />

den Komfort dank Massagefunktion weiter zu steigern, doch<br />

bereits das mechanisch-manuelle Gestühl ist überdurchschnittlich<br />

gut.<br />

Die Kabinenisolierung unterdrückt Abrollgeräusche wirkungsvoll,<br />

selbst der akustische Unterschied zwischen Benziner und Diesel<br />

ist kaum vernehmbar. Letzterer bietet eine fein abgestimmte<br />

Sechsstufenautomatik, die eine weitere Überraschung bereithält<br />

– in der manuellen Schaltgasse am Wahlhebel will zum Runterschalten<br />

nach vorne gedrückt und zum Hochschalten nach<br />

hinten gezogen werden. Dass ausgerechnet Peugeot es richtig<br />

macht, erstaunt nicht nur Porsche-Fahrer. Per Sporttaste des<br />

Dynamic-Pakets lässt sich das Auto schärfer stellen, legen Servolenkung<br />

und Gaspedal die Ohren an, schaltet die Instrumentenbeleuchtung<br />

auf Rot, wird sogar der Motorsound innen digital<br />

verstärkt. Im Zentraldisplay erscheinen dazu Power-, Boost- oder<br />

Torque-Daten; angezeigt wird auch, wie hoch die Querbeschleunigung<br />

aktuell ist. Selbstredend kann der 308 GT auch sparen<br />

und kommt mit Stopp-Start-Funktion.<br />

Die Benzin-Ausführung läuft subjektiv etwas seidiger, zieht aber<br />

nicht ganz so kraftvoll davon, obwohl wir die bald 200 kg leichtere<br />

Berline-Version mit Schrägheck ausprobierten. Auch ist sie<br />

nur mit manuellem Getriebe und recht langen Schaltwegen zu<br />

haben – das beste Auto Frankreichs stellt man sich anders vor.<br />

Fazit: Beide GT-Modelle erweitern den Grundcharakter des braven<br />

308-Basismodells um zwei reizvolle, wenn auch nicht ganz<br />

billige Alternativen. Während die Limousine äusserlich immer<br />

noch unterschätzt werden dürfte, macht der SW optisch mehr<br />

her. Fahrspass bieten beide, ohne sich in steinharten Fahrwerken<br />

zu versteigen. Was zum Glück noch fehlt, ist ein Allradantrieb,<br />

aber der wird nicht kommen. Schliesslich möchte Peugeot<br />

potentiellen 4x4-Kunden den aufgeplusterten Crossover 3008<br />

Hybrid4 verkaufen. Doch auch ohne AWD zählen wir den 308 GT<br />

zu den besten Peugeot, die je aus Sochaux kamen.<br />

Und das derzeit beste Auto Frankreichs? Ist in unseren Augen<br />

auch ein 308 GT – die Kombiversion SW mit Automatik, dem sauberen<br />

Blue-HDi-Diesel (siehe auch S. 144), der raffinierten Linienführung<br />

und dem zusätzlichen Platzangebot. Für sie würden wir<br />

sogar den Klassenprimus VW Golf Variant stehen lassen. Und<br />

das ist jetzt wirklich das grösste Kompliment, das es in der Kompaktklasse<br />

aktuell zu vergeben gibt.<br />

014 <strong>VECTURA</strong> #15


MESURE ET DÉMESURE *<br />

TONDA METROGRAPHE<br />

Edelstahl<br />

Chronograph mit Datumsanzeige<br />

Hermès Kalblederband<br />

Made in Switzerland<br />

www.parmigiani.ch<br />

STUDIO PARMIGIANI GSTAAD<br />

ASCONA GIOIELLI-OROLOGI HERSCHMANN | BASEL GÜBELIN | BERN GÜBELIN | CRANS-MONTANA L’ATELIER DU TEMPS<br />

GENÈVE AIR WATCH CENTER, BENOIT DE GORSKI, GÜBELIN, ZBINDEN | INTERLAKEN KIRCHHOFER<br />

KLOSTERS MAISSEN | LAUSANNE GUILLARD | LUGANO GÜBELIN | LUZERN GÜBELIN | MONTREUX ZBINDEN<br />

NEUCHÂTEL BONNET | ST. GALLEN LABHART-CHRONOMETRIE | ST. MORITZ GÜBELIN<br />

VILLARS-SUR-OLLON BRÄNDLI CREATION & CO | ZERMATT HAUTE HORLOGERIE SCHINDLER | ZÜRICH GÜBELIN, ZEIT ZONE


RUBRIKEN<br />

GÖTTERDÄMMERUNG ODER FLOP?<br />

RENAULT BAUT EINEN ZWEITAKTMOTOR<br />

Text Christian Bartsch · Foto Archiv Bartsch, Werk<br />

Durch den Zusammenbruch der DDR verschwanden mit<br />

Trabant und Wartburg die letzten beiden Zweitaktmotoren<br />

aus dem Automobilbau. Als Produkt eines durch<br />

Planwirtschaft erzwungenen Mangels hatten sie keine Existenzberechtigung<br />

mehr: Über vier Jahrzehnte lang hatte es keinen<br />

Spielraum für Weiterentwicklungen gegeben, die auch für den<br />

Zweitaktmotor zur Verfügung gestanden hätten – sogar in überraschend<br />

grosser Zahl. Kürzlich gab nun Renault die Entwicklung<br />

eines neuen Zweizylinder-Zweitakters bekannt, der kleine Nutzfahrzeuge<br />

antreiben soll. Parallel erreicht uns eine Nachricht aus<br />

Indien, derzufolge dort ein Einzylinder-Zweitaktdiesel entsteht,<br />

zunächst für die dort beliebten Lastendreiräder.<br />

Potential ohne Anwendung Das sind aktuell nicht die einzigen<br />

Akti vitäten rund um den Zweitakter, doch hat bisher keine zur Serienfertigung<br />

geführt. Dabei arbeiten die kleinsten wie die grössten<br />

verfügbaren Verbrennungsmotoren nach dem Zweitaktverfahren,<br />

nämlich jene für handgehaltene Geräte, zum Beispiel Kettensägen,<br />

oder mächtige Schiffsdiesel mit bis zu 2000 Liter Hubraum –<br />

pro Zylinder, wohlgemerkt. Das weite Feld dazwischen wird vom<br />

Viertaktmotor beherrscht. Dass der Zweitaktmotor in Rennausführung<br />

extreme Leistungen erreichte, die jenseits dessen lagen, was<br />

dem Viertakter möglich ist, soll hier nur am Rand erwähnt werden.<br />

Vor rund 40 Jahren machte der Wahl-Australier Ralph Sarich mit<br />

seiner Gemischeinspritzung für Zweitaktmotoren (Orbital) von<br />

sich reden. Damals haben alle Automobilhersteller über einige<br />

Jahre wieder Zweitaktentwicklungen betrieben, von denen nicht<br />

eine überlebt hat. Aus dieser Zeit gibt es eine Vielzahl von Untersuchungen.<br />

Dabei fällt auf, dass alle untersuchten Systeme<br />

mit starren Steuerzeiten betrieben wurden und die Frischluftverluste<br />

vor allem bei niedriger Last und Drehzahl das Ergebnis<br />

nach wie vor stark beeinträchtigten. Auf dem Prüfstand der<br />

Ficht GmbH wurden im Mittel Verluste von 35 Prozent gemessen.<br />

Das Unternehmen in Kirchseeon entwickelte darum eine Benzin-<br />

Direkteinspritzung, die sich für kleinere Zweitaktmotoren eignete –<br />

und an den US-Bootsmotorenhersteller OMC (heute Bombardier)<br />

verkauft wurde. Die Aggregate glänzen seither mit einer Treibstoffeinsparung<br />

von 35 (!) Prozent; wegen ihrer guten Abgaswerte<br />

erhielten sie sogar die extrem harte Bodenseezulassung.<br />

Drei Zweitaktsysteme gibt es. Das erste und einfachste arbeitet<br />

mit Umkehrspülung und Schlitzen für den Gaswechsel im<br />

Zylinder. Es besitzt nur «drei bewegte Teile», nämlich Kurbelwelle,<br />

Pleuel und Kolben. Weil dieses System einfach und billig ist, wurde<br />

es bis heute in riesigen Stückzahlen hergestellt. Auch die Antriebe<br />

für Kettensägen, Laubbläser usw. folgen diesem Prinzip, ebenso<br />

die eingangs erwähnten Motoren für Trabant und Wartburg – oder<br />

vor dem Zweiten Weltkrieg die von DKW. Letztere waren mit ihren<br />

Zweizylinder-Zweitaktern übrigens keine Spritsäufer, sondern<br />

brauchten nicht mehr als die Viertakt-Konkurrenz. Dennoch waren<br />

die Spülverluste riesig und es hätte nahe gelegen, etwas dagegen<br />

zu tun. Aber nein, es passierte nichts, auch nicht vor rund<br />

25 Jahren, als Sarich sein Orbital feilbot wie sauer Bier (Anm. der<br />

Red.: Der Autor dieses Textes widmete sich bereits in den 1950er-<br />

Jahren intensiv dem Zweitakter und hielt eigene Patente, die von<br />

der Industrie jedoch nie aufgegriffen wurden. Erst viele Jahre<br />

später gestanden ihm die Entwicklungsleiter von zwei Automobilherstellern,<br />

sie hätten doch besser auf ihn hören sollen).<br />

Eine Verlustquelle wenigstens wurde inzwischen beseitigt. Die<br />

Steuerung durch die Kolbenkante der ins Kurbelgehäuse angesaugten<br />

Luft wurde durch Membran- (Zungen-)Ventile ersetzt, so<br />

dass die angesaugte Luft nicht zum Teil wieder ins Freie geblasen<br />

werden kann. Solche Membranventile sind durch den Maschinenbauer<br />

Hans Grade etwa seit 1904 bekannt und spätestens seit<br />

1915 auch als Zungenventile. Es hat dennoch viele Jahrzehnte<br />

gedauert, bis die japanischen Motorradhersteller sie aufgegriffen<br />

und auch verwendet haben. Jener Einlassdrehschieber dagegen,<br />

den auch die Trabant-Motoren aufwiesen, war keine dauerhafte<br />

Lösung. Damit konnte das Ansaugen ins Kurbelgehäuse<br />

lediglich unsymmetrisch gesteuert werden, aber nicht (automatisch)<br />

vollvariabel wie mit den Membranen.<br />

Auf die verschiedenen Klappen, Schieber und Walzen vor den<br />

Auspuffschlitzen, die ebenfalls von den japanischen Motorradherstellern<br />

eingeführt wurden, wollen wir hier nicht näher eingehen.<br />

Wer ein älteres Zweitaktmotorrad besitzt (und pflegt), wird sich<br />

damit auskennen. Auch der für Indien entwickelte kleine Dieselmotor<br />

arbeitet mit Umkehrspülung. Hinter dem Triebwerk steht<br />

der ehemalige AVL-Ingenieur und Zweitakt-Spezialist Reinhard<br />

Knoll, der in den vergangenen Jahren unablässig für den Zweitakter<br />

warb – ebenso wie Reinhold Ficht, der gegenwärtig einen<br />

längsgespülten Zweitakter mit Auslassdrehschieber entwickelt.<br />

Der längsgespülte Zweitakter ist denn auch das zweite System.<br />

Er besitzt Spülschlitze rund um den Zylinder im unteren Totpunkt<br />

und Auslasseinrichtungen am anderen Zylinderende. Alle<br />

016 <strong>VECTURA</strong> #15


TECHNIK<br />

grossen Zweitakt-Schiffsdiesel arbeiten nach diesem System.<br />

Sie sind die Verbrennungsmotoren mit dem absolut höchsten Wirkungsgrad<br />

bis annähernd 55 Prozent und arbeiten zumeist mit<br />

nur einem Auslassventil, das zwischen 70 und 80 Kilogramm (!)<br />

wiegt. Aber auch Ingenieur Hugo Junkers benutzte mit seinen<br />

Gegenkolben-Zweitaktmotoren die Längsspülung. Seine Flugzeug-Aggregate<br />

arbeiteten als Diesel und erreichten sagenhaft<br />

niedrige Verbrauchswerte. Na ja, damals musste man noch nicht<br />

auf Abgasschadstoffe achten. In jüngster Zeit hat Peter Hofbauer<br />

das System aufgegriffen und einen extrem kompakten Diesel entwickelt,<br />

der sich als Lw-Motor anbietet.<br />

Zweitakt, der Dritte Umkehr- und Längsspülung haben sich bewährt<br />

und besitzen noch erhebliches Entwicklungspotential. Das<br />

dritte System arbeitet dagegen mit Kopfumkehrspülung: Solche<br />

Motoren haben keine Schlitze im Zylinder, sondern vier Ventile im<br />

Zylinderkopf. Zwei davon dienen dem Frischlufteinlass, die beiden<br />

anderen dem Auslass. Nach diesem System hat auch Renault seinen<br />

Zweitakt-Diesel entwickelt; bei dieser Bauart können das Kurbelgehäuse<br />

eines Viertaktmotors sowie dessen Pleuel und Kolben<br />

verwendet werden. Das reizte vor Jahrzehnten schon japanische<br />

Automobilhersteller, später auch Mercedes. Die Stuttgarter verwendeten<br />

den Unterbau des damaligen Fünfzylinders mit 2,5 Liter<br />

Hubraum, der als Vorkammerdiesel bei nur 3000 Umdrehungen<br />

120 PS (88 kW) leistete und ein maximales Drehmoment von 310<br />

Newtonmeter entwickelte. Die Leerlaufdrehzahl betrug 400 Umdrehungen<br />

pro Minute und der Motor zeichnete sich durch extreme<br />

Laufruhe aus. Die Mercedes-Ingenieure beklagten, dass die Zweitaktentwicklung<br />

eingestellt wurde, bevor weitere Versuche durchgeführt<br />

werden konnten. Keiner der Motoren mit Kopfumkehrspülung<br />

überlebte, weil der Zeitquerschnitt für den Gaswechsel für<br />

höhere Leistungen nicht ausreichte und die untersuchten Zweitakter<br />

keine besseren Ergebnisse brachten als die Viertaktmotoren.<br />

Beim Renault-Zweitaktdiesel wird<br />

der Kompressor über einen Riemen<br />

von der Kurbelwelle angetrieben<br />

Renault versucht es darum mit Hochaufladung, und das sowohl<br />

mit einem mechanischen Kompressor wie mit einem zusätzlichen<br />

Abgasturbolader – nach dem Motto: Lässt sich der Zeitquerschnitt<br />

nicht vergrössern, muss die Verbrennungsluft mit hohem<br />

Druck in die Zylinder geblasen werden, um genügend Luft hineinzubringen.<br />

Das Problem besteht darin, dass innerhalb kürzester<br />

Zeit das Abgas ausströmen und die Frischluft einströmen muss,<br />

bevor mit der Einspritzung die Verbrennung eingeleitet wird. Einen<br />

Verdichtungshub wie beim Viertakter gibt es nicht. Der Zweizylinder<br />

hat einen Hubraum von 0,73 Liter und soll Leistungen von 48<br />

PS (35 kW) und 68 PS (50 kW) erreichen; die Drehmomente variieren<br />

von 112 bis 145 Nm bei 1500/min. Der Motor dreht maximal<br />

4000 Umdrehungen, das entspricht 8000/min eines Viertaktmotors.<br />

Mehr verträgt der Ventiltrieb nicht. Die Zylinderbohrung beträgt<br />

76 Millimeter, der Hub 80,5. Renault wird hier Stahlkolben<br />

von Mahle verwenden, die für kleine Vierzylinder-Diesel entwickelt<br />

wurden. Im Prinzip müsste solch ein Motor so lange leben wie ein<br />

Viertaktmotor, doch darüber können wir im Augenblick nur spekulieren,<br />

weil es noch keine Erfahrungen aus der Serienfertigung<br />

gibt. Bei anderen Zweitaktsystemen sorgen Schlitze im Zylinder<br />

für erhöhten Verschleiss und für eine reduzierte Lebensdauer.<br />

Oben: Prinzip der Kopfumkehrspülung, wie sie<br />

von Renault verwendet wird. Die zugehörigen<br />

Nockenwellen sind nicht eingezeichnet. Unten:<br />

Zweitakter im DDR-Volkswagen Trabant<br />

Durch die nur zwei Zylinder baut der Motor extrem kurz und soll<br />

40 Kilogramm leichter sein als ein konventioneller Diesel gleicher<br />

Leistung. Renault spricht von exzellentem Wirkungsgrad, doch<br />

melden wir hier Zweifel an. Denn allein der mit etwa vierfacher Kurbelwellendrehzahl<br />

angetriebene mechanische Kompressor frisst<br />

enorm viel Leistung, die am Wirkungsgrad zehrt. Durch die nur<br />

zwei Zylinder will Renault einen Preis ähnlich einem vergleichbaren<br />

Benzinmotor erreichen und den Motor (zunächst) in kleinen Nutzfahrzeugen<br />

verwenden. Die Behandlung der Abgase zur Schadstoffreduzierung<br />

scheint keine Probleme zu machen, wenn sich<br />

Renault der für den Viertakter entwickelten Komponenten bedient.<br />

Das Zweitaktverfahren bietet die einzige Möglichkeit, einen Hubraum<br />

unterhalb von einem Liter zu verwenden – bei einem Rundlauf<br />

des Zweizylinders, der dem eines Vierzylinder-Viertakters entspricht.<br />

Der Motor arbeitet mit Common-Rail-Dieseleinspritzung<br />

und wir vermuten, dass diese von Bosch stammt. Der Antrieb der<br />

einen Nockenwelle erfolgt durch Zahnriemen, während die zweite<br />

durch Zahnräder von der ersten Nockenwelle mobilisiert wird. Die<br />

Verstellung der Nockenwellen für variable Steuerzeiten ist bei diesem<br />

System sehr stark eingeschränkt, sonst schlagen die Ventile<br />

auf den Kolben. Doch trotz aller Einwände finden wir es sehr<br />

erfreulich, dass Renault diesen Motor entwickelt hat. Sollte er<br />

serienmässig gebaut werden, könnten sich vielleicht auch andere<br />

Automobilhersteller an das Zweitaktverfahren erinnern – und möglicherweise<br />

eigene Entwicklungen beginnen.<br />

Christian Bartsch (85) ist Diplom-Ingenieur, Fachjournalist und Buchautor,<br />

der sich seit den 1960er-Jahren eingehend mit der Motorenentwicklung mit<br />

den Schwerpunkten Diesel- und Einspritztechnik beschäftigt<br />

SOMMER 2015<br />

017


18 <strong>VECTURA</strong> #15<br />

GATEFOLDER<br />

SEITENUMMERIERUNG<br />

AUSLASSEN


GATEFOLDER<br />

SEITENUMMERIERUNG<br />

AUSLASSEN<br />

SOMMER 2015<br />

19


24 Monate<br />

kostenloser<br />

Reifenersatz*<br />

CHOOSE PIRELLI AND TAKE CONTROL.<br />

P ZERO SOFT<br />

P ZERO MC<br />

ZWEI REIFEN, EINE TECHNOLOGIE.<br />

DIE ERSTE WAHL DER FORMEL 1 ® UND DER<br />

FÜHRENDEN FAHRZEUGHERSTELLER.<br />

FOLGEN SIE DEREN BEISPIEL.<br />

The F1 FORMULA 1 logo, F1, FORMULA 1, FIA FORMULA ONE WORLD CHAMPIONSHIP, GRAND PRIX and related marks are trade marks of Formula One Licensing B.V., a Formula One<br />

group company. All rights reserved.<br />

*Beim Kauf von mind. 2 Pirelli PKW oder SUV Sommerreifen ab 17 Zoll oder Winterreifen ab 16 Zoll beim teilnehmenden P ZERO TM CLUB Händler und entsprechender Registrierung unter<br />

www.pzeroclub.ch. Details und Teilnahmebedingungen unter www.pzeroclub.ch.


FAHRTERMIN<br />

L’HOMME<br />

À LA MOTO<br />

ZEITLOSE SCHÖNHEIT:<br />

DIE TRIUMPH BONNEVILLE<br />

VEREINT VERGANGENHEIT<br />

UND GEGENWART AUF<br />

EINMALIGE WEISE<br />

Text Daniel Huber · Fotos Ian G.C. White, map<br />

Bezüglich Motorrad-Styling hat meine Frau eine ganz klare Haltung.<br />

Mit dem futuristischen Design-Wildwuchs aus bunten Kunststoffteilen<br />

und LED-Lichtschlangen neuzeitlicher Maschinen kann sie<br />

wenig anfangen und sagt das gelegentlich auch. Eigentlich liebt sie<br />

Motorräder, die heute allerdings vorwiegend für «Lonesome Bikers»<br />

gebaut werden, also selten für romantische Blust-Fahrten zu zweit.<br />

Bequeme Sozia-Sitze, die diesen Namen verdienen, sind bestenfalls auf<br />

modernen Reisesänften anzutreffen. Aber wo, fragt sie zu Recht, ist die<br />

geradlinige Umsetzung individueller Fortbewegung für zwei Personen<br />

auf zwei Rädern hingekommen?<br />

Und dann steht diese Triumph Bonneville Spirit in leuchtendem Blau-<br />

Weiss vor der Tür. «Das ist doch mal eine schöne Maschine!», kommt<br />

es meiner besseren Hälfte spontan über die Lippen. Wow! Ritterschlag<br />

für die Designer im englischen Hinckley! Andere denken offenbar<br />

genauso: Mit keinem anderen Testmotorrad – und es sind über die Jahre<br />

doch einige gewesen – ernte ich so viele wohlwollende und interessierte<br />

Blicke wie mit der Bonneville. Gleich zwei Passanten fragen mich nach<br />

dem Jahrgang der schönen Britin und können es dann kaum glauben,<br />

dass so etwas tatsächlich noch neu gebaut wird.<br />

020 <strong>VECTURA</strong> #15


FAHRTERMIN<br />

SOMMER 2015 021


FAHRTERMIN<br />

Rein äusserlich gibt es tatsächlich wenige Indizien, welche die<br />

Errungenschaften des Motorradbaus im 21. Jahrhundert verraten<br />

würden. Ein simpler Stahlrohrrahmen vereint den Motor mit<br />

seinen zwei aufrecht stehenden, gerippten Zylindern, den Tank<br />

und Ledersattel, zwei Räder, den Lenker und Scheinwerfer.<br />

So hat mein Sohn im Kindergarten Motorräder gezeichnet. Was<br />

früher ganz normal war, wird seit ein paar Jahren trendig als<br />

«Naked Bike» verkauft – ohne den unsinnigen Plastik-Firlefanz<br />

der letzten Dekaden.<br />

Solche Auswüchse blieben der Bonneville gezwungenermassen<br />

erspart – 1983 war der englische Traditionshersteller zahlungsunfähig<br />

und musste seine Werktore schliessen. Noch im gleichen<br />

Jahr kaufte der Bauunternehmer John Bloor für 150 000 Pfund<br />

die Markenrechte sowie das alte Werkgelände. Bloor nahm sich<br />

Zeit – und präsentierte sieben Jahre später voller Stolz die neuen<br />

Modelle Trident 900 und Trophy 900. Beide fanden sofort positive<br />

Resonanz und wurden dann in einem komplett neuen, auf<br />

der grünen Wiese errichteten Werk gefertigt.<br />

Mit den verbauten Dreizylindern knüpften die Triumph-Ingenieure<br />

marketingtechnisch gekonnt an die grossen Rennsporterfolge<br />

der frühen 1960er-Jahre an – und schlossen die Lücke zwischen<br />

den traditionsreichen V2-Motoren von Harley Davidson<br />

oder Ducati und hochtourigen japanischen Vierzylindern. Überhaupt<br />

hatten sie ein glückliches Händchen bei der Entwicklung<br />

neuer Modelle: So sorgte insbesondere die 2004 vorgestellte<br />

Triumph Rocket III mit dem grössten bislang in Serie gebauten<br />

2,3-L-Motorradmotor (und wieder drei Zylindern) für viel Aufsehen.<br />

Bereits 1994 war das der eigenwillig gestylten Speed Triple<br />

auf Daytona-900-Basis gelungen, die sogar gegen eine Ducati<br />

Monster bestehen konnte. Kurz: Triumph hat in den letzten 25<br />

Jahren bewiesen, wieder echte Alternativen anbieten zu können,<br />

ohne andere dabei zu kopieren. Mit einem Dutzend Baureihen<br />

sowie rund 53 000 produzierten Maschinen pro Jahr ist man gut<br />

im Geschäft – und längst der grösste britische Zweiradproduzent.<br />

Interessierte Passanten können<br />

kaum glauben, dass so etwas<br />

tatsächlich noch neu gebaut wird<br />

Der heutige Erfolg hängt auch mit jener Baureihe zusammen, an<br />

die sich Bloor Ende der 1990er erinnert hatte – mit klassischen<br />

Proportionen und benannt nach einem Salzsee in Utah: Dort<br />

hatte Triumph-Testfahrer Johnny Allen 1956 auf einer 650er-Twin-<br />

Zylinder den neuen Geschwindigkeitsrekord für Motorräder<br />

aufgestellt – 214,5 Meilen pro Stunde (ca. 345 km / h)! Bei besagter<br />

Maschine handelte es sich um einen der ersten Prototypen<br />

der späteren Serien-Bonneville, die 1959 Premiere feierte – und<br />

über die Jahre stetig weiterentwickelt werden sollte, bis dann<br />

1983 eben Schluss war.<br />

17 Jahre später wurde die Erfolgsgeschichte im alten Design als<br />

T100 Bonneville wieder aufgegriffen – zuerst mit 790 Kubikzentimeter<br />

und dann ab 2005 mit dem jetzigen 865 cm 3 -Parallel-Twin.<br />

Zwei Jahre später folgte ein weiterer technischer Meilenstein: Um<br />

den stetig verschärften Abgasnormen zu entsprechen, musste<br />

der Vergaser einer elektronisch gesteuerten Benzineinspritzung<br />

weichen. Weil das Design bei einer Bonneville aber wichtiger ist<br />

als bei anderen Zweirädern, klafft seither hinter den Zylindern,<br />

wo einst der Vergaser sass, nicht etwa ein schnödes Loch –<br />

sondern eine Einspritzpumpe, die man elegant in eine Vergaser-<br />

Attrappe integriert hat. Sogar ein ausziehbarer Choke-Hebel ist<br />

dort noch zu finden, mit dem bei kaltem Wetter tatsächlich ein<br />

wenig Standgas von Hand hochgezogen werden kann. Auch das<br />

freilich aus Nostalgiegründen, denn die Elektronik hätte es auch<br />

automatisch geschafft.<br />

Es ist das einzige Fake an einer ansonsten durch und durch authentischen<br />

Maschine – genau diese Liebe zum Detail macht die<br />

Faszination der Bonneville aus. Technisch gesehen ist sie im Lauf<br />

der letzten 15 Jahre in zwei, drei Etappen auf einen guten, soliden<br />

Stand gebracht worden. Da wackelt und ruckelt nichts mehr<br />

wie bei den Modellen der frühen Generationen. Auch Ölflecke<br />

im Garagenplatz fehlen. Die Kupplung kommt sauber, die Gänge<br />

fallen exakt mit einem kurzen «Klong» rein, Kurvenradien können<br />

sauber durchgezogen werden. Nur bei den Bremsen wurde nicht<br />

auf stur geschaltet: Vorne wie hinten gibt es Scheibenbremsen,<br />

die den 68-PS-Klassiker sicher entschleunigen. Wir hoffen sogar,<br />

dass es früher oder später auch einmal ein ABS geben wird.<br />

Wobei. Dieses Bike wird trotz passabler Fahrleistungen per Definition<br />

nicht am Limit bewegt. Vielleicht ist es wegen der aufrechten<br />

Haltung mit nostalgischem Blick über die zwei klassischen<br />

Rundinstrumente, vielleicht auch wegen des vor allem im unteren<br />

Drehzahlbereich so angenehmen Blubbern des Twin-Motors.<br />

Doch auf diesem Motorrad rücken Dinge wie Beschleunigung und<br />

Spitzengeschwindigkeit in weite Ferne. Was aber nicht heissen<br />

will, dass man auf einer Bonneville links und rechts überholt wird:<br />

Durchzugskraft aus dem Drehzahlkeller ist ausreichend vorhanden,<br />

und doch mag man sich auf der Landstrasse auch mal Zeit<br />

für einen Blick auf Berge oder Wiesen gönnen. Diese Triumph<br />

regt ein anderes Mindset an.<br />

Weil die Ingenieure dieses Retro-Bike bewusst nicht dem technischen<br />

Wettrüsten ausgesetzt haben, kommt dem Auftritt umso<br />

mehr Bedeutung zu. Ergo gibt es die Bonneville in mehreren Ausführungen<br />

und die Spirit, deren blau-weisser Tank sich keck vom<br />

durchwegs schwarzen Unterbau abhebt, gehört zu den gelungensten.<br />

Irgendwie erinnert der farbliche Kontrast an die bunten<br />

Petticoat-Röcke der Fünfziger oder die schwarzen Lederjacken<br />

der Bad Boys. So sind auch viele Anbauteile bewusst matt dunkel<br />

gehalten; passend dazu gibt’s Speichenräder statt Gussfelgen.<br />

Der kleine Rundscheinwerfer stammt vom Scrambler-Schwestermodell<br />

und das gekürzte Heck von der Thruxton, dem sportlichen<br />

Ableger der Bonneville-Familie. Doch für die meisten Käufer<br />

einer Spirit wird das erst der Anfang sein. Triumph fordert bei<br />

der Bonneville geradezu zum Custom-Nachrüsten auf – es ist ein<br />

Bike von Individualisten für Individualisten.<br />

Fazit: Eine Bonneville ist mehr als ein schönes Motorrad, das die<br />

guten alten Sixties aufleben lassen will. Sie verkörpert die Fortsetzung<br />

einer mittlerweile 55-jährigen Erfolgsgeschichte dieser<br />

grossen europäischen Traditionsmarke, ist mehr dem Genuss<br />

denn dem PS-Wettrüsten verpflichtet. Das hebt sie deutlich vom<br />

Gros des Zweirad-Allerleis ab und sichert ihr auch bleibende<br />

Wertschätzung. Für mich ist das Erlebnis eine Bürde. Denn es<br />

dürfte schwierig sein, eine Maschine zu finden, mit der meine<br />

Frau auch nur annähernd so einverstanden sein wird.<br />

022 <strong>VECTURA</strong> #15


TECHNISCHE DATEN<br />

TRIUMPH BONNEVILLE SPIRIT<br />

Konzept Naked-Bike im Retro-Look mit aktueller Technik, zwei Sitzplätze.<br />

Stahlrohr-Schleifenrahmen. Vorne Telegabel, hinten Zweiarm-Stahlschwinge<br />

mit zwei Federbeinen, Scheibenbremsen vorne/hinten. Gespann-tauglich<br />

Motor Aufrecht stehender, luftgekühlter Parallel-Zweizylinder-Viertakter. Vier<br />

Ventile / Zyl., 2 oben liegende Nockenwellen (Kette), zwei Ausgleichswellen im<br />

Kurbelgehäuse, elektronisch sequentielle Multipoint-Saugrohreinspritzung und<br />

Sekundärluftsystem, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung.<br />

Kettenantrieb<br />

Hubraum in cm 3 865<br />

Bohrung x Hub in mm 90 x 68<br />

Verdichtung 9,2:1<br />

Leistung in PS (kW) @ U / min 68 (50,3) @ 7500<br />

Max. Drehmoment in Nm @ U / min 68 @ 5800<br />

Getriebe<br />

M5<br />

Abmessungen (L/ B / H) in cm 2230 / 840 / 1100<br />

Radstand in cm 149<br />

Sitzhöhe in cm 74<br />

Reifen und Räder vorne 100 / 90 R19<br />

hinten 130 / 80 R17<br />

Tankinhalt in L 16<br />

Sitzhöhe in mm 740<br />

Leergewicht* in kg 225<br />

0 – 100 km / h in Sek. 5,5<br />

Höchstgeschwindigkeit in km / h 185<br />

Durchschnittsverbrauch* in L / 100 km 5,0<br />

CO 2 -Emission in g / km 109<br />

Preis ab CHF 12 690.–<br />

* vollgetankt<br />

SOMMER 2015 023


FAHRTERMIN


NEW DAVIDOFF NICARAGUA<br />

OUR TOBACCO MASTERS TRAVELLED UNFAMILIAR PATHS IN THEIR<br />

SEARCH FOR A MORE COMPLEX CIGAR BLEND WHICH COULD<br />

STIMULATE BOTH THE SWEET AND BITTER TASTE BUDS · THEY<br />

FOUND IT IN THE FIERY EARTH OF NICARAGUA’S FORTY VOLCANOES ·<br />

FROM THERE ROSE THE LEAVES WHICH DAVIDOFF’S UNIQUE<br />

EXPERTISE WOULD TURN INTO NEW DAVIDOFF NICARAGUA ·<br />

TO DISCOVER THEM YOURSELF WILL NOT TAKE YOU ON SUCH AN<br />

EXOTIC JOURNEY · BUT THE TASTE UNDOUBTEDLY WILL ·<br />

DISCOVERED BY AND APPRECIATED BY<br />

THOSE IN THE MOOD TO EXPLORE<br />

davidoff.com


STILBLÜTEN<br />

FRENCH CONNECTION<br />

WIESO FRANZÖSISCHE AUTOS HEUTE WIEDER CHIC UND SEXY SIND<br />

Text und Illustration Mark Stehrenberger<br />

La France ist berühmt für seine Kunst und Kultur, Brigitte<br />

Bardot, Foie gras, Roquefort und Bordeaux – aber auch<br />

für seinen weltweiten Ruf, oft eigenartige, witzig gestylte<br />

Autos hervorzubringen. Innovative Design-Ideen, die Einführung<br />

neuer Elemente und Materialien sowie die Fähigkeit, Trends und<br />

Moden frühzeitig zu erkennen (oder sogar zu kreieren) waren<br />

nur einige der Attribute, die in der Vergangenheit zum Erfolg der<br />

legendären «voitures françaises» beitrugen. Vom ersten Dampfauto<br />

Jahrgang 1873 über den ersten Benziner von 1883 bis<br />

hin zum ersten Elektroauto 1891 engagierten sich Pioniere der<br />

Grande Nation intensiv, um die Grundlagen der später weltweiten<br />

Automobilindustrie zu erarbeiten.<br />

Bis Ende der 1930er-Jahre war die französische Eleganz auf vier<br />

Rädern gar unübertroffen – Avions Voisin, Bucciali, Bugatti, Delage,<br />

Delahaye oder Talbot Lago, um nur einige zu nennen, gelten<br />

längst als Ikonen. Aber bereits mit der Weltwirtschaftskrise von<br />

1929 hatten sich die Vorzeichen geändert: Französische Autos<br />

wurden schlichter und nüchterner. Der Schwerpunkt verlagerte<br />

sich weg vom extravaganten Styling in Richtung technischer Innovation;<br />

kleinere Motoren waren plötzlich en vogue. Mir fallen da<br />

die Citroën-Kreationen Traction Avant (1934) und 2CV (1948) ein,<br />

denen konzeptionell viele Modelle anderer Marken folgen sollten.<br />

Es gab aber auch Probleme. Denn so sehr mir die Interpretationen<br />

unserer Nachbarn vom Design her auch gefielen, so grob<br />

und minderwertig waren sie oft zusammengesetzt. Einst galt die<br />

französische Automobilindustrie als die modernste und mit Abstand<br />

grösste der Alten Welt. Doch vor 25 und mehr Jahren begann<br />

in den Pariser Styling-Studios eine gähnende Sendepause<br />

und folglich – in Kombination mit einer erstarkten Konkurrenz aus<br />

Westeuropa und Asien – stagnierte auch der Absatz.<br />

Rewind auf 1958: Als ich ein kleiner Junge war und zum ersten<br />

Mal in der neuen Citroën DS meines Schwagers sass, fielen<br />

mir die Augen fast aus dem Kopf. Dieser Schlitten war einfach<br />

der absolute Hammer! Kein anderes Auto vor der DS ist stilistisch<br />

und technisch so gewagt gewesen: Das Äussere erinnerte mich<br />

an die Architektur von Le Corbusiers moderner Kirche Notre<br />

Dame du Haut in Ronchamp, das Interior – und speziell das<br />

Armaturenbrett und Lenkrad – kultivierte die Kunst des Weglassens.<br />

Der weiche Ride auf diesem Bett von Hydraulikflüssigkeit,<br />

mit Niveauregulierung und einem halbautomatischen Getriebe,<br />

fühlte sich an wie Alibabas magische Teppichfahrt. Die<br />

DS liess die anderen Autos auf der Strasse auf einen Schlag<br />

überholt und knarrend alt wie eine arthritische Hüfte erscheinen.<br />

Und sie sorgt bis heute dafür, dass die Marke Citroën als<br />

Innovator wahrgenommen wird – welches andere Auto, bitte,<br />

hat das je geschafft, bald 40 Jahre nach Produktionseinstellung?<br />

Die Einzigartigkeit der DS war gleichzeitig auch Citroëns<br />

Dilemma, denn die Bosse fürchteten zu Recht, dass künftige<br />

Modelle nicht vom gleichen kühnen Kaliber sein könnten. In der<br />

Tat wurden bis in die 1980er-Jahre keine nennenswerten Baureihen<br />

mehr eingeführt. XM, Xsara, LN und wie sie alle hiessen<br />

waren so belanglos wie Gartenzwerge und hatten meist ein<br />

kurzes Verfalldatum. Mon Dieu.<br />

Als junger Mec las ich «Bonjour Tristesse» von Françoise Sagan,<br />

schwofte zu Musik von Johnny Hallyday, sah mir im Kino Schiessereien<br />

mit Jean-Paul Belmondo an, liebte eine Mademoiselle<br />

aus der Romandie und rauchte gelbe, ungefilterte Gauloises.<br />

Das war eine herrliche «Hauteur de la France»-Lebensweise damals,<br />

die sich auch in ihren Autos erleben liess. Doch zwischenzeitlich<br />

hatte die französische Kultur insgesamt ihre Autorität verloren,<br />

wurden ihre Autos zuerst furchtbar lustlos und dann banal.<br />

026 <strong>VECTURA</strong> #15 #14


Vielleicht war es wirklich der Schatten der DS, der sich auf alles<br />

Neue legte und es auf Anhieb als armselig abstempelte? Zur Jahrtausendwende<br />

sahen alle Peugeot-, Citroën- und Renault-Modelle<br />

am Genfersee jedenfalls aus wie Frankreichs Antwort auf den<br />

Toyota Camry. Chérie, wo waren nur die originellen Autos unseres<br />

westlichen Nachbarn geblieben?<br />

Stattdessen hatten wir es plötzlich mit automobiler Anonymität zu<br />

tun, denn Autos wie ein Renault 25 (1984–92) oder Peugeot 306<br />

(1993–2002) waren an Einfallslosigkeit kaum noch zu unterbieten.<br />

Unter den Aspiranten für den Titel «glorreichste Missgeburt» liegen<br />

auch die Renault-Auswüchse Avantime (2001–03) und Vel Satis<br />

(2002–09) ganz weit vorne: Kreativität ist ja okay, aber Nützlichkeit<br />

und Rentabilität sollten dabei nicht gänzlich auf der Strecke<br />

bleiben. Konsequenterweise waren beide Autos komplette Fehlanzeigen<br />

und das Erstaunlichste daran ist, dass sich der Twingo I<br />

aus der gleichen Feder (nämlich der des langjährigen Renault-<br />

Designchefs Patrick le Quément) in 14 Jahren nicht weniger als<br />

2,5 Millionen Mal verkaufte. Merke: Mit einem ungewöhnlich simplen<br />

Design, faltenfrei und frisch, immer lächelnd bis ans Ende,<br />

sowie dem passenden Innenraumkonzept kann man Trendsetter<br />

und Frauenheld werden. Oder eben nicht, denn der 2007 lancierte<br />

Twingo II war wieder von einer erschreckenden Bedeutungslosigkeit.<br />

Vielleicht hatte es auch damit zu tun, dass die kreativsten<br />

und besten französischen Nachwuchsdesigner – manche von<br />

ihnen waren meine Studenten am (wieder geschlossenen) Art<br />

Center College (Europe) in Vevey – über den Rhein oder in den<br />

Orient abwanderten und dort jetzt gross rauskommen.<br />

Der verkorkste Twingo II ist nicht mit jener Simplizität zu verwechseln,<br />

die einst die Ente auszeichnete – und seitdem auf einen<br />

würdigen Nachfolger wartet, der nur aus Frankreich kommen<br />

kann. Mit einer Prise unverkennbarer Nostalgie, aber gleichzeitig<br />

modern und den Ansprüchen der heutigen Jugend entsprechend<br />

sollte meiner Meinung nach eine neue Ente aussehen.<br />

Und natürlich einen Plug-in-Hybrid-Antrieb haben.<br />

Es sind die einfachen französischen Autos gewesen, die mich<br />

am meisten mit ihrem «Vive la différence» und Komfort zu beeindrucken<br />

verstanden – mochten andere auch viel grösser, stärker<br />

und schneller sein. Es waren Autos mit einer gewissen Lässigkeit,<br />

wie sie eben nur die Franzosen konzipieren konnten – keine<br />

Deutschen, keine Engländer und auch keine Amerikaner.<br />

Merke: Auch die neue Französische Revolution findet fast ausschliesslich<br />

in der unteren Mittelklasse statt – man betrachte nur<br />

die Erfolgsmodelle Peugeot 205 (1983–98) und 206 (1998–2012).<br />

In höheren Sphären haben dagegen andere Länder das Sagen.<br />

Ausnahmen bestätigen die Regel – siehe Citroën DS und SM, wobei<br />

Letzterer eine krude Sonderstellung geniesst. In den ihm folgenden<br />

dunklen Jahren der Baisse gab es nur ein paar (wenige)<br />

Lichtblicke. Kein Peugeot imponiert mir mehr als das 406 Coupé<br />

von 1997: Mit seinem katzenhaft grazilen Profil ist es ein Meisterstück<br />

von Pininfarina – ein letztes, schönstes Beispiel dieser<br />

langjährigen italo-französischen Kollaboration, das auch in diesem<br />

Millennium noch funktioniert – und von dem manch heutiger<br />

Autodesigner lernen könnte!<br />

Und es ist genau dieser Esprit von zurückhaltender Eleganz und<br />

Nonchalance, der nun ausgerechnet von einer Generation wieder<br />

belebt wird, die mit Autos angeblich wenig bis gar nichts am<br />

Hut hat. Mein diesjähriger Rundgang am Lac Léman war aus dieser<br />

Perspektive sogar ganz erstaunlich: Schöne, freche, spezielle<br />

Modelle hatten sie mitgebracht, die Franzen, und sich nach<br />

langer Abwesenheit endlich wieder zurückgemeldet. Très cool,<br />

mes amis, welcome back!<br />

Die neuen Helden heissen DS5 (beachtlicherweise ohne den<br />

Markennamen Citroën) oder C4 Cactus: Letzterer ist momentan<br />

Frankreichs Bestseller und auch – da bin ich gerne Mainstream –<br />

mein Favorit. Die heisseste Peugeot-Ware neben dem RCZ-R<br />

sind der 2008 und 308 II, während Renault mit Captur, Twingo III<br />

(er kann es wieder!) und Zoe punktet. Interessant auch die Neuausrichtung<br />

des Monospace Espace. Allesamt sind es selbstbewusste<br />

Fahrzeuge, die nicht kopieren, sondern eigene, frische<br />

Akzente zu setzen verstehen. Captur und 2008 bestätigen auch<br />

den Weg der Zukunft: In ihnen sehe ich eine neue Zuversicht<br />

und die Wiedergeburt des französischen Autos. In Märkten wie<br />

Deutschland, Spanien, Italien oder den Niederlanden verkaufen<br />

sich Captur und 2008 besser als ihre Nicht-Crossover-Pendants<br />

Clio IV und 208. Was vor einem Jahr noch als undenkbar galt, ist<br />

jetzt plötzlich wahr geworden.<br />

Die französische Autokrise darf als überwunden bezeichnet<br />

werden. Renault hatte sich noch am besten vom Abyss ferngehalten,<br />

was zu grossen Teilen seinem ebenso fähigen wie<br />

weitsichtigen CEO Carlos Ghosn zu verdanken ist. Inzwischen<br />

wissen auch seine Kollegen vom PSA-Konzern (Peugeot und<br />

Citroën), wie man der jungen Generation wieder pfiffige Autos<br />

schmackhaft macht. Das belegen auch die Verkaufszahlen der<br />

letzten zwei, drei Jahre. Sportlichkeit und Chic, Leidenschaft<br />

und Emotionen sind wieder in, nicht zuletzt weil die Marken<br />

neuen Design-Mut geschöpft haben und ihre vergleichsweise<br />

kleinen Motoren besser mit der knallharten CO 2 -Gesetzgebung<br />

klarkommen. Zudem ermöglichen Gleichteile- und Plattform-<br />

Strategien sowie Kooperationen (Renault-Nissan-Daimler oder<br />

Peugeot-Dongfeng) mehr Styling-Spielarten, weil Diversifizierung<br />

vom Kunden inzwischen erwartet wird. Heute kann sich<br />

schlichtweg kein Hersteller mehr erlauben, schlechte Autos zu<br />

bauen. Kurzum: Die wesentlichsten Diversifizierungen äussern<br />

sich heute in Design und Ausstattung.<br />

Noch was Interessantes beim diesjährigen Genfer Salon: Obwohl<br />

weder Apple noch Google eigene Stände unterhielten, waren<br />

sie ob der Dominanz ihrer Smartphone-Betriebssysteme in aller<br />

Munde. Längst haben sie begonnen, die proprietären Infotainmentsysteme<br />

der Automobilhersteller zu ersetzen, und ich kann<br />

mir gut vorstellen, dass sie schon bald eigene, komplett vernetzte,<br />

vielleicht auch autonome Fahrzeuge bauen und verkaufen – und<br />

sie unter dem Namen eines kooperierenden Herstellers, zum Beispiel<br />

Peugeot oder Renault, anbieten.<br />

Derartige Fahrzeuge, nennen wir sie mal Pods oder Reisekapseln,<br />

werden das neue «Chic» und «It-Toy» der Generation Z.<br />

Allein Apple leistet sich im Silicon Valley ein Team von etwa 200<br />

Leuten (die meisten sind unter 25 Jahre alt), um Technologien für<br />

ein Elektroauto zu entwickeln. Wollen die Franzosen also nicht<br />

nur coole Fahrzeuge bauen, sondern auch solche, die die Geschichte<br />

des Automobils grundlegend verändern können wie die<br />

eingangs erwähnten, führt kein Weg an diesem Trend vorbei. Ein<br />

Blick auf das aktuelle Portfolio stimmt mich sehr zuversichtlich,<br />

dass es so kommen wird. Bonne Chance!<br />

FRÜHLING SOMMER 2015<br />

027


RÜCKSPIEGEL<br />

TOUR DE FRANCE<br />

MANCHE AUTOS STEHEN SYNONYM FÜR<br />

DAS LAND, AUS DEM SIE STAMMEN.<br />

BEI FRANZÖSISCHEN MODELLEN GILT<br />

DAS VIELLEICHT GANZ BESONDERS;<br />

IHRE GESCHICHTEN FÜLLEN GANZE<br />

BIBLIOTHEKEN. WIR KONZENTRIEREN UNS<br />

AUF DIE LETZTEN 70 JAHRE – MIT EINIGEN<br />

HERAUSRAGENDEN BEISPIELEN<br />

Text Dieter Günther, map · Fotos zwischengas.com, Werk<br />

028 <strong>VECTURA</strong> #15


Als Infotainment noch ein Fremdwort war: Traction-Avant-Cockpit mit reduzierter Bedienung und – plus cool – kippbarer Frontscheibe<br />

Wo soll man anfangen, wenn von französischen Automobilen<br />

die Rede ist? Am besten ganz von vorne,<br />

aber dafür reicht selbst in <strong>VECTURA</strong> der Platz nicht<br />

aus! Zu bemerken ist, dass Häuser wie De Dion-Bouton oder<br />

Panhard-Levassor im 19. Jahrhundert zu den wichtigsten Impulsgebern<br />

des damals noch jungen Automobils gerechnet werden<br />

müssen. Und dann die Belle Époque mit Hispano-Suiza, Voisin,<br />

Bucciali, Delahaye und Delage, Salmson, Amilcar – und natürlich<br />

dem High-End-Label Bugatti, dessen Eigentümer zwar gebürtiger<br />

Italiener gewesen ist, aber in Molsheim beheimatet und<br />

damit französisch war. Für nicht wenige Experten brachte jene<br />

Phase (man denke nur an die Ateliers Henri Chapron) besonders<br />

elegante Fahrzeuge hervor. In den 1930ern folgte eine barocke<br />

Phase: Carrossiers wie Saoutchik, Figoni & Falaschi, Franay –<br />

allesamt grosse Namen mit ebenso reichhaltiger Kreativität –<br />

fügten zahlreiche Meisterwerke hinzu. Selbst vergleichsweise<br />

kleine Klitschen wie Pichon et Parat, Piollet, Fauvel, Autobleu<br />

oder Prab brachten später Erstaunliches hervor. Denn auch<br />

die Nachkriegszeit hielt Prachtvolles bereit – siehe Simca oder<br />

Talbot-Lago. Aber auch viel Grauenhaftes, siehe Chrysler-Simca,<br />

Matra-Simca / Talbot-Matra oder Talbot. Na ja. Kaum eine der<br />

genannten Firmen hat überlebt; selbst von Häusern wie Heuliez,<br />

Hommel oder Venturi blieb wenig übrig. Vielleicht ist der Salon<br />

Rétromobile – eine der wichtigsten Oldtimermessen der Welt, die<br />

jedes Frühjahr in Paris stattfindet – auch deshalb so populär …<br />

Naturellement, es gibt Ausnahmen wie das Reifenmaskottchen<br />

Bibendum. Oder Michel Vaillant, der als (halb belgischer) Comic-<br />

Rennfahrer seit 1957 durch unzählige Kinderzimmer rast. Überhaupt<br />

der Rennsport: Abgesehen vom Autodrome de Linas-<br />

Montlhéry, das 2005 endgültig geschlossen wurde, lieben unsere<br />

überwiegend Kleinwagen fahrenden Nachbarn die rasante<br />

Fortbewegung: Le Mans, Paul Ricard, Le Castellet oder die Rallye<br />

Monte Carlo sind da nur die prominentesten Beispiele. Frankreich<br />

ist trotz diverser Krisen Automobil-Land, inzwischen auch<br />

wieder eines der führenden Europas. Dass man daran nie zweifeln<br />

sollte, belegen unter anderem auch die folgenden Beispiele.<br />

Von Autos und Reifen –<br />

Michelin X und Traction Avant<br />

Tragisch: 1934 lancierte André Citroën seinen genialen Traction<br />

Avant, ein für damalige Verhältnisse technisch wie formal sensationelles<br />

Auto, dessen Entwicklung freilich viel Geld verschlungen<br />

hatte. Zu viel, wie sich herausstellte: Citroën war pleite und wurde<br />

vom Reifenhersteller Michelin geschluckt. Kurze Zeit später starb<br />

André Citroën, ohne den Siegeszug des Traction Avant – immerhin<br />

die Schöpfung, die die Firma letztendlich in den Konkurs<br />

getrieben hatte – zu erleben. Doch durch die Verbindung Michelin-<br />

Citroën avancierten die Fahrzeuge mit dem Doppelwinkel im<br />

Firmenzeichen auch zu rollenden Versuchslabors, wenn ein neu<br />

entwickelter Reifen getestet wurde. So auch in den 1940ern, als<br />

Michelin-Ingenieur Marius Mignol auf die Idee gekommen war,<br />

die Gewebefäden der Karkasse (sozusagen die Grundlage jeden<br />

Reifens) nicht mehr diagonal von einer Wulst zur anderen zu<br />

führen, sondern radial, also quer zur Fahrtrichtung. Um den<br />

Reifen haltbarer zu machen und vor allem, um für zusätzliche<br />

Stabilität zu sorgen, betteten die Michelin-Ingenieure zwischen<br />

Lauffläche und Karkasse einen Gürtel aus Stahlgewebe – und<br />

liessen sich dieses Verfahren sicherheitshalber patentieren. Eine<br />

kluge Entscheidung, denn dieser erste Stahlgürtelreifen, der als<br />

Michelin X ab 1949 in Produktion gehen sollte, verbesserte seiner<br />

grösseren Stabilität wegen die Fahreigenschaften eines Autos<br />

erheblich, war obendrein haltbarer und langlebiger. Und er<br />

zwang die Konkurrenz zu reagieren – wie Pirelli, die mit ihrem<br />

Cinturato einen Gürtelreifen mit Textileinlage lancierten.<br />

Und jetzt raten Sie mal, welches Auto zuerst serienmässig mit<br />

Michelin-X-Stahlgürtelreifen ausgestattet wurde – genau: der<br />

Citroën Traction Avant!<br />

SOMMER 2015 029


Traumwagen: FV S, Jahrgang 1957<br />

Heller Stern, längst verglüht – Facel Véga<br />

In den frühen Morgenstunden des 4. Januar 1960 befindet sich<br />

ein Bauer mit seinem Fahrrad auf der Route Nationale 6. Nahe<br />

Villeblevin (Yonne) wird er in rasender Fahrt von einem dunklen,<br />

starken Wagen überholt. Der ist kaum vorbeigeschossen, da<br />

ertönt ein scharfer Knall, das Auto schleudert, streift eine Platane,<br />

prallt gegen eine zweite, wird auseinandergerissen, kommt endlich<br />

zum Stehen. Stille. Polizeiliche Ermittlungen ergeben, dass<br />

es sich bei dem dunklen, starken Wagen um einen Facel Véga<br />

vom Typ FV3B handelte, der mit rund 180 km / h seinem Ziel Paris<br />

entgegenjagte – als der linke Hinterreifen platzt und zur Katastrophe<br />

führt. In den Trümmern des Wracks stirbt Albert Camus,<br />

Literatur-Nobelpreisträger von 1957; sein Verleger Michel Gallimard,<br />

der Fahrer und Besitzer des Facel, überlebt unverletzt.<br />

Bittere Ironie: Der Mann, der die Hoffnungslosigkeit menschlicher<br />

Existenz in den Mittelpunkt seines Werks rückte, hatte auf einer<br />

Veranstaltung seinen Verleger getroffen – der ihn zur gemeinsamen<br />

Rückfahrt nach Paris im Auto überredete. In der Brieftasche<br />

des Toten steckt noch die unbenützte Zugkarte…<br />

Wie reagiert Jean Daninos, Schöpfer, Patron und «Seele» von<br />

Facel Véga, auf das Unglück? Wir wissen es nicht; in seinem<br />

Rückblick (Jean Daninos, «Facel Véga», Paris o. J.) werden die<br />

geschilderten Ereignisse nicht erwähnt. Dafür erscheint der<br />

Name Gallimard ganz unschuldig in der langen Liste berühmter<br />

Kunden – neben Rennfahrer Stirling Moss, Schauspielerin<br />

Ava Gardner, Beatles-Drummer Ringo Starr, Modeschöpfer Guy<br />

Laroche oder den «Nouvelle Vague»-Regisseuren Louis Malle<br />

und François Truffaut. Auch der Schah von Persien schmückt<br />

diese Aufzählung – aber was heisst das schon? Der Herrscher<br />

auf dem Pfauenthron hortete fast alle Autos, die edel, stark und<br />

teuer waren.<br />

Edel, stark und teuer ist schon der erste Facel Véga, der im Juli<br />

1954 aus der Taufe gehoben wird. Pierre Daninos, Schriftsteller<br />

und Bruder von Jean, hat für die klangvolle Ergänzung im Markennamen<br />

gesorgt: Véga, einer der hellsten Sterne der nördlichen<br />

Himmelshälfte, soll der neuen Nobelschmiede Glanz verleihen.<br />

Das Luxuscoupé mit der Bezeichnung FV tut dies allein schon<br />

mit seiner knapp viersitzigen Karosserie, die mit stattlichem<br />

Unterbau und dem zierlichen Pavillon das Kunststück fertigbringt,<br />

massig-elegant und doch sportlich zu wirken; sie ruht auf einem<br />

Rohrrahmen. Unter der Motorhaube brodelt ein Chrysler-4,5-L-<br />

V8 mit 180 SAE-PS, das manuelle Vierganggetriebe stammt von<br />

Pont-à-Mousson und im noblen Innenraum verwöhnen Lederpolster<br />

und elektrische Fensterheber.<br />

Damit «steht» das Grundmuster aller künftigen V8-Modelle, mit<br />

Spielraum nach oben. So wird der FV nach und nach immer leistungsfähiger,<br />

er erhält eine Panoramascheibe, auf Wunsch ein<br />

Automatikgetriebe von Chrysler sowie ein pompöses Armaturenbrett<br />

aus Edelholz. Aus Edelholz? Nicht ganz. Bei näherem<br />

Hinsehen gibt sich die glänzende Pracht mit den vielen Uhren<br />

und Schaltern als lackiertes Blech zu erkennen: Aus Sicherheitsgründen<br />

duldet Daninos kein Holz in seinen Autos, basta. Zum<br />

Pariser Salon von 1955 ergänzt ein Cabriolet das Programm.<br />

Nach dem FV betritt im Mai 1958 der HK500 die Bühne der feinen<br />

Autowelt; schon bald gehen drei Viertel der Produktion ins Ausland,<br />

überwiegend in die USA. Teurer als ein Mercedes 300 SL,<br />

aber etwas günstiger als Ferrari oder Aston Martin (nach Jean<br />

Daninos sind dies die «natürlichen» Spielgefährten des Facel –<br />

an Selbstbewusstsein mangelt es Monsieur wahrlich nicht).<br />

330 (mit Automatik) bzw. 360 Pferdestärken (mit manuellem<br />

030 <strong>VECTURA</strong> #15


RÜCKSPIEGEL<br />

Vierganggetriebe) stellt der 5,9-L-V8 des HK500 bereit, dessen<br />

Bezeichnung auf das Leistungsgewicht von 5 PS / Kilo (Horses<br />

per Kilo) hinweist. Die «Automobil Revue» aus der Schweiz treibt<br />

einen HK500 mit Handschaltung und «langer», 2,93:1 übersetzter<br />

Hinterachse auf Tempo 237 km / h. Allerdings handelt es<br />

sich dabei um eine speziell präparierte Version und nicht um<br />

ein Serienmodell. Wie auch immer: Mit 489 gebauten Exemplaren<br />

avanciert der «schnellste Viersitzer der Welt» (Jean Daninos)<br />

zum Bestseller der V8-Modelle. Der ebenfalls 1958 lancierte Excellence<br />

– ein gewaltiger Viertürer mit hinten angeschlagenen<br />

Fondtüren ohne Mittelsteg – kann da nicht mithalten.<br />

Der Patron ist am Ziel seiner Wünsche – fast. Er hat Frankreich<br />

und der Welt einen formidablen «Grand Routier» beschert, einen<br />

schnellen Tourenwagen in Stil und Tradition eines Bugatti,<br />

Delage oder Delahaye. Jetzt folgt der nächste Coup des am 2.<br />

Dezember 1906 geborenen Mannes, der in den späten 1920ern<br />

Sonder karosserien für Citroën entwarf und 1939 mit einem Blechpresswerk<br />

erfolgreich in die Industrie einsteigt. Er ergänzt das<br />

Facel-Programm im September 1959 um die Facellia, einen erlesenen<br />

Vierzylinder-Sportwagen im Alfa-Giulietta- und Porsche-<br />

Super-90-Format. Besonders stolz ist der patriotische Monsieur<br />

Daninos auf den Motor des adretten, zunächst nur als Cabriolet<br />

lieferbaren Neulings (zwei Coupé-Ausführungen folgen): Der delikate<br />

Vierzylinder mit den beiden obenliegenden Nockenwellen,<br />

den halbkugelförmigen Brennräumen, dem Querstromkopf und<br />

den hartverchromten Zylinderlaufbüchsen ist hausgemacht, seine<br />

Einzelteile werden bei Pont-à-Mousson gefertigt und bei Facel<br />

zu kompletten Einheiten montiert. Auch seine Leistungsangaben<br />

– 115 SAE-PS aus 1646 cm³ Hubraum sowie die V max von gut<br />

182 km / h – wissen zu imponieren.<br />

Doch das gefeierte Aggregat wird schnell zum Problemfall:<br />

Motorschäden häufen sich, ruinieren erst das Budget und dann<br />

Flossentier: viertüriger Excellence von 1959<br />

den Ruf. Das Werk steuert gegen, überarbeitet den Vierzylinder,<br />

ersetzt ihn schliesslich. Auf die glücklose Facellia folgt im April<br />

1963 der Facel III mit robustem 1,8-L-Volvo-Aggregat und 108<br />

SAE-PS – um schon gut ein Jahr später dem Facel VI Platz zu<br />

machen, dessen Austin-Healey-Sechszylinder 150 SAE-PS mobilisiert<br />

(um in Frankreich als 15 CV eingestuft zu werden, wird<br />

sein Hubraum auf 2852 cm³ reduziert). Bei den V8-Modellen hat<br />

Ende 1961 der straffer geformte und abermals stärkere Facel II<br />

mit 390 SAE-PS und 6,3-L-Motor (Werkangaben) den HK500<br />

ersetzt. Aber es hilft alles nichts: Frankreichs einst so heller<br />

Autostern erlöscht vor über fünf Dekaden im Oktober 1964.<br />

37 Jahre später, am 13. Oktober 2001, stirbt Jean Daninos. Der<br />

94-jährige Porsche-911-Fahrer hinterlässt eine Witwe von 35,<br />

er war Ehrenvorsitzender des französischen Facel-Clubs und<br />

hat bis kurz vor seinem Tod die Wiedergeburt seiner Marke<br />

energisch betrieben. Vergebens: Das geplante Luxuscoupé mit<br />

BMW-Technik blieb ein Traum.<br />

Filigraner, schneller: Facel II, Baujahr 1964<br />

SOMMER 2015 031


Wirbelte ab Mitte der 1960er-Jahre mächtig Staub auf: Alpine A110 im Rallye-Trimm, hier eine späte Version nach 1971<br />

Bodenturnen: Alpine A110<br />

Es gab und gibt immer junge, ehrgeizige Männer, die der Automobilgeschichte<br />

ihren Stempel aufdrücken wollten. Wirklich<br />

geschafft haben das aber nur einige wenige wie Carlo Abarth<br />

(Abarth) und Colin Chapman (Lotus). Oder wie Jean Rédélé:<br />

Dieser Gallier mit dem goldenen Händchen kam 1922 im französischen<br />

Dieppe mit Benzin im Blut auf die Welt: Die väterliche<br />

Renault-Vertretung übernahm er im zarten Alter von 24 Jahren,<br />

daneben engagierte er sich im Motorsport und präparierte in<br />

seiner Freizeit bevorzugt kleine 4-CV-Modelle (was sonst?), die<br />

er bei Rallyes und Strassenrennen fliegen liess. Mit beachtlichem<br />

Erfolg: 1952 etwa passierte er als Klassensieger die Ziellinie bei<br />

der Mille Miglia, ein Ergebnis, das er in den folgenden beiden<br />

Jahren wiederholen konnte.<br />

Zu diesem Zeitpunkt hatte Rédélé bereits ein erstes Rennsport-<br />

Coupé entwickelt, das 1952 seinen Einstand feierte. Ob er ahnte,<br />

was er damit anrichtete? Sicher nicht. Obwohl sich schon dieser<br />

erste Prototyp der späteren Alpine A106 sehen lassen konnte,<br />

technisch wie optisch. Seine wunderhübsche Aussenhaut war<br />

von Giovanni Michelotti modelliert und von Allemano gefertigt<br />

worden und umhüllte – was sonst? – die hochfrisierte Mechanik<br />

des Crèmeschnittchens: Rédélé kannte die kleine Renault-Heckschleuder<br />

in- und auswendig und war von ihrer Zuverlässigkeit<br />

ebenso überzeugt wie von ihrem Leistungspotential. Zu Recht:<br />

Die Rallye de Dieppe beendete dieser 4 CV Spéciale genannte<br />

Prototyp als Gesamtsieger.<br />

Dann ging alles sehr schnell. Wann sich der Wunsch konkretisierte,<br />

diese kleine Krawallschachtel zum Ausgangspunkt einer<br />

Kleinserie zu machen, lässt sich aus heutiger Sicht kaum exakt<br />

datieren. Fest steht, dass ein zweiter Prototyp entstand, der auf<br />

dem Autosalon von New York Anfang 1954 als «The Marquis»<br />

debütierte. Sogar ein amerikanischer Lizenznehmer fand sich,<br />

doch der Plan führte ins Leere. Die inzwischen beschlossene<br />

Serienfertigung liess sich durch derartige Rückschläge nicht<br />

stoppen, das «Abenteuer Alpine» nicht aufhalten. Im Januar 1955<br />

fiel schliesslich der Startschuss, lief die Fertigung der Alpine<br />

A106 an. Was die Herren Deutsch und Bonnet – sie fertigten den<br />

schnittigen DB auf Panhard-Basis (siehe S. 035) – dazu sagten,<br />

ist nicht überliefert. Nachahmer tauchten aber auf: Angetan vom<br />

Alpine-Konzept, beglückten Brissoneau & Lotz die Welt mit einer<br />

Konstruktion, die technisch wie optisch stark der kleinen Alpine<br />

ähnelte. Und schon bald wieder vom Markt verschwand …<br />

Anders Alpine. Die kleinen Canaillen von der Kanalküste erwiesen<br />

sich auf allen Gebieten als aussichtsreiche Kandidaten und<br />

reüssierten nicht nur im Kampf um Marktanteile oder im Motorsport,<br />

sondern selbst bei Schönheits-Konkurrenzen, diesem in<br />

den 1950er-Jahren beliebten Gesellschaftsspiel. Zumal Rédélé<br />

geschickt die Modellpalette erweiterte – nicht nur um Motor-,<br />

sondern auch um Karosserievarianten. Aus heutiger Sicht bedeutsam<br />

ist freilich etwas anderes: Mit dem Chassis seiner<br />

Schöpfungen nicht mehr zufrieden, konzipierte Jean Rédélé<br />

einen nagelneuen Zentralrohrrahmen mit angeschweissten<br />

Achsträgern samt hinterem «Käfig» für das Triebwerk. In der<br />

Praxis sollte diese gerade mal 30 Kilo schwere Konstruktion<br />

durch ihre hohe Stabilität überzeugen; erstmals zum Einsatz<br />

kam sie Ende 1959 – zunächst in den A108-Modellen. Damit<br />

war ein weiterer wichtiger Schritt getan, dem bald ein dritter<br />

folgte. Wieder auf dem Salon von Paris zeigte Alpine im Oktober<br />

1960 als neue A108-Version die Berlinette «Tour de France», ein<br />

kleines Coupé, das sich bei näherem Hinsehen als geschickte<br />

Adaption des von Michelotti gezeichneten A108 Cabriolet zu<br />

erkennen gab: Die Scheinwerfer hatten Rédélé und Co. verkleidet<br />

und für eine sanft im Heck auslaufende Dachpartie gesorgt,<br />

bei der höchstens ein paar Details – wie die mit ihren aufgesetzten<br />

Luftschächten provisorisch wirkende Motorhaube – störten.<br />

Aber das waren Äusserlichkeiten, die bereits im Herbst 1962<br />

032 <strong>VECTURA</strong> #15


RÜCKSPIEGEL<br />

buchstäblich glattgebügelt wurden: Die Alpine A110 Berlinette<br />

debütierte – und damit eines der erfolgreichsten Wettbewerbsfahrzeuge<br />

aller Zeiten, ein ultraflaches Sportgerät, das für viele<br />

zu einem Mythos, zu einer Art französischem Nationalheiligtum<br />

werden sollte. Dessen typische Merkmale – der im Heck installierte<br />

Renault-Vierzylinder (naturbelassen oder in des Meisters<br />

Hexenküche zum Brodeln gebracht), der klassische Rohrrahmen<br />

sowie die damit verklebte Kunststoffhaut – ihm für die nächsten<br />

15 Jahre erhalten bleiben sollten.<br />

Den fünffach gelagerten 956-cm³-Motor gab es in zwei Leistungsstufen:<br />

Als Serientriebwerk mit 42,2 DIN- oder 48 SAE-PS<br />

(lacht da jemand?) sowie in einer Ausführung, die Marc Mignotet,<br />

Rédélés Motoren-Mann, auf 66 SAE-PS bei 6500 Touren getrimmt<br />

hatte. Damit ging die Plastik-Flunder rund 170 km / h – ein<br />

fabelhafter Wert für ein Einliter-Auto!<br />

Sehr sportlich war auch das Cockpit, sowohl was die Instrumentierung<br />

wie die drangvolle Enge betraf. Doch die Alpine passt wie<br />

ein Massschuh, und dass die Karosserie kaum Platz für Gepäck<br />

bot, war vorauszusehen. Schliesslich wohnten unter der vorderen<br />

Haube das Ersatzrad und der Tank (unter Umständen sogar<br />

noch der Wasserkühler), während hinten der (schwer zugängliche)<br />

Motor kauerte. Vor lauter Berlinette-Begeisterung sollte nicht vergessen<br />

werden, dass es noch andere A110-Modelle gab – einen<br />

GT4 mit mehr Platz beispielsweise oder ein Cabriolet.<br />

Die A110 war freilich der Star des Ensembles und es sollte sie<br />

nie mit weniger als 1000 Kubikzentimeter Hubraum und 42,2 PS<br />

geben. Aber mit mehr – mit viel mehr sogar. Was nach den bescheidenen<br />

Anfängen im Lauf der Jahre über die Bühne ging,<br />

war schwer vorstellbar. Und gleichermassen verwirrend, denn<br />

die Welt der «Alpinisten» ist voll von geheimnisvollen Zahlen und<br />

Kürzeln, die einzelne Modelle («70», «80», «85», «100») bezeichnen,<br />

bestimmte Renault-Motoren (807, 810, 812 …) und -Getriebe<br />

(353, 364, 365 …) – oder einfach nur Tuning-Sätze. «GTH» etwa<br />

steht für eine von Marc Mignotet entwickelte Anlage, die den Hubraum<br />

des 1108-cm³-Triebwerks auf 1149 cm³ brachte. Übrigens<br />

kümmerte sich bei Alpine nicht nur Marc Mignotet um das leibliche<br />

Wohl der kleinen Renault-Vierzylinder, sondern, seit dem<br />

Zusammenbruch seiner eigenen Firma, auch Amédée Gordini,<br />

ein anderer grosser Name der französischen Rennszene. Seinem<br />

Wirken verdanken wir etwa den 1966 eingeführten 1300 S<br />

mit satten 115 DIN-PS – nicht übel für einen biederen Stossstangen-Motor!<br />

Den Gipfel markierte derweil der 1600 S Gruppe 4<br />

mit seinen 172 SAE-PS aus 1,6 L Hubraum.<br />

Dass sich bei einer derart immensen Bandbreite an Leistung,<br />

Ausstattung und Achsübersetzungen generelle Aussagen zu<br />

Fahreigenschaften und -leistungen kaum machen lassen, liegt<br />

auf der Hand. Ganz allgemein bleibt festzustellen, dass die<br />

Alpine wegen ihrer unglücklichen Kombination von weit hinten<br />

sitzendem Heckmotor und Pendelachse ein Auto für Könner war<br />

und ist. Die, soll sie schnell bewegt werden, viel Fingerspitzengefühl<br />

erfordert. Wer allerdings mit ihr umzugehen wusste, den<br />

belohnte sie mit enormen Kurvengeschwindigkeiten und perfektem<br />

Go-Kart-Feeling – eben Fahrspass pur. Bei einem Minimum<br />

an Komfort. Alles in allem ein sehr spezielles Angebot also, gemacht<br />

für sehr spezielle Zeitgenossen. Gab es überhaupt echte<br />

Konkurrenten für die Alpine? In Frankreich schon, auf anderen<br />

Märkten – wegen ihrer Aussenseiterrolle – eigentlich nicht. In<br />

heimatlichen Gefilden dürfte sie der technisch interessante Matra<br />

Djet mehr und der kleine CG (trotz bewusst gewählter optischer<br />

Ähnlichkeiten) weniger geschmerzt haben.<br />

Doch auf Dauer war niemand der Alpine gewachsen – weil keiner<br />

so gnadenlos im Motorsport abräumte! Tief, breit, flach und meist<br />

metallic-blau lackiert, brüllten die rasenden Kisten aus Dieppe<br />

besonders über die Rallyepisten dieser Welt und gewannen so<br />

ziemlich alles, was es zu gewinnen gab – wobei sich die grössten<br />

Triumphe eher spät einstellten: Bei der Rallye Monte Carlo<br />

1971 gingen Andersson / Stone auf A110 als Sieger durchs Ziel;<br />

zwei Jahre später belegte das Geschoss die ersten drei Plätze<br />

und schloss die Saison sogar mit dem Gewinn der Rallye-Weltmeisterschaft<br />

ab. Nebenbei bemerkt wurden nicht nur Strassensportwagen<br />

eingesetzt, sondern auch Prototypen und Formel-<br />

Renner. Deren Erfolge brachten nicht nur Prestige, sondern auch<br />

das Wohlwollen von Renault (was sich hin und wieder in klingender<br />

Münze auszahlte). Profit dürften auch verschiedene Lizenzen<br />

gebracht haben, denn die A110 entstand in Brasilien bei Willys-<br />

Interlagos, in Mexiko, Bulgarien oder bei Renault-FASA in Spanien.<br />

So stürmisch die Entwicklung auf dem Motor- oder Getriebesektor<br />

verlief, so wenig tat sich in Sachen Optik und übriger Technik.<br />

1977 endete nach knapp 7500 Exemplaren schliesslich eine<br />

Ära, verliessen die letzten A110 vom Typ 1600 SX die Werkhallen<br />

– der verschworene Kreis der «Alpinisten» trug Trauer. Zumal<br />

die jüngere A310 (obwohl sie den wesentlichen Marken-Prinzipien<br />

treu blieb) mit Misstrauen beäugt wurde: Nicht mehr das<br />

Durchfahren einer Haarnadelkurve mit möglichst hohem Tempo<br />

stand im Vordergrund, sondern die zwar sportliche, aber durchaus<br />

komfortable Beförderung der Passagiere. Einfach dégoutant!<br />

Aber mal ehrlich: Hätte es nicht jeder Nachfolger der Alpine<br />

A110 schwer gehabt?<br />

1985 erschien die Alpine GTA, 1991 die A610 Turbo – schnelle<br />

Autos, aber nicht halb so faszinierend wie eine A110. 1995 war<br />

es dann vorbei, denn der neue Sport Spider wurde zwar bei<br />

Alpine gebaut, war aber ein ganz anderes Fahrzeug – und trug<br />

das Renault-Logo. Die Marke Alpine war vorerst Geschichte;<br />

Renault nutzte das Werk in Dieppe anschliessend als Rennsport-<br />

Werkstatt. 2012 gab es Überlegungen, den berühmten Namen<br />

durch neue, gemeinsam mit Caterham entwickelte Modelle zu<br />

reaktivieren, doch daraus wurde nichts. Jetzt entwickelt Renault<br />

die Neuauflage selbst; ihren ersten Auftritt hatte sie Anfang Jahr<br />

im Videospiel Gran Turismo 6. Jean Rédélé hat das nicht mehr<br />

erlebt: Er starb am 10. August 2007 in Paris.<br />

Moderne Zeiten: Alpine-Nachfolger A310 (1971–76)<br />

SOMMER 2015 033


Das Herz schlägt in der Mitte –<br />

René Bonnet Djet und Matra Jet<br />

Wenn langjährige Partnerschaften auseinanderbrechen – egal, ob<br />

in der Liebe oder im Geschäft –, ist das immer traurig. Auch die<br />

französischen Konstrukteure Charles Deutsch und René Bonnet,<br />

die seit den 1930er-Jahren zusammengearbeitet und in den<br />

1950ern durchaus erfolgreich die kleinen DB-Sportwagen gefertigt<br />

hatten, gingen ab 1961 getrennte Wege: Charles Deutsch<br />

heuerte bei Panhard an (rechte Seite), sein einstiger Partner gründete<br />

die Automobiles René Bonnet et Cie. Was die kleine Firma<br />

draufhatte, zeigte der im Oktober 1962 auf dem Pariser Salon<br />

vorgestellte Djet: ein kleines Kunststoff-Coupé mit aufregender<br />

Linien führung und hochkarätiger Technik, das mit Einzelrad-Aufhängung<br />

rundum (hinten mit jeweils doppelten Schraubenfedern<br />

und doppelten Stossdämpfern), vier Scheibenbremsen sowie<br />

einem Zentralrohrrahmen mit zusätzlichem Gitterrohrchassis operierte.<br />

Sein Motor stammte vom Renault Gordini und werkelte –<br />

damals absolut sensationell! – hinter dem Rücken des Fahrers,<br />

aber vor der Hinterachse! Obwohl dieses erste Serienauto mit<br />

Mittelmotor auf der Rennstrecke eine gute Figur machte und sogar<br />

von den französischen Flics – der Gendarmerie – eingesetzt<br />

wurde, verkaufte es sich nur mässig. Übrigens liess Monsieur<br />

Bonnet die Kunststoffhäute seines Djet bei Mécanique Aviation<br />

Traction (kurz Matra) fertigen, einem auf dem Gebiet der militärischen<br />

Luftfahrt tätigen Unternehmen. Als nun Bonnet wegen<br />

schleppenden Absatzes mehr und mehr in die Bredouille geriet,<br />

übernahm Matra das kleine Werk, formierte die Société Matra-<br />

Sport und stieg so in die Autoindustrie ein. Zu diesem Zeitpunkt<br />

waren gerade mal 190 Djet entstanden. Matra, später sogar in der<br />

Formel 1 erfolgreich, straffte das Programm (indem man die anderen<br />

Bonnet-Modelle ausrangierte) und führte den kleinen Mittelstürmer<br />

– später als Jet verkauft – tatsächlich zu neuer Blüte.<br />

Unter Bonnet nur mässig erfolgreich,<br />

entwickelte sich der Djet ab 1964 bei Matra<br />

zum beliebten Westentaschensportler<br />

034 <strong>VECTURA</strong> #15


RÜCKSPIEGEL<br />

Adoptierter Einzelgänger – Panhard CD<br />

Sie ist eine der ältesten Automarken der Welt und schuf stets<br />

extra vagante Fahrzeuge für einen feinen kleinen Käuferkreis. Der<br />

hier vorgestellte CD freilich gilt selbst unter Panhard-Insidern als<br />

seltener Vogel! «Ist das ein Jaguar?», werden Besitzer des Coupés<br />

erstaunlich oft gefragt, während der Interessent irritiert den<br />

grossen Schriftzug auf der Motorhaube beäugt. In der Tat präsentiert<br />

sich das Auto auch bei näherem Hinsehen nicht unbedingt<br />

als typischer Vertreter seines Herstellers: Der CD geriet eher<br />

zufällig unter die Fittiche der Société Anonyme des Anciens Établissements<br />

Panhard et Levassor, worauf schon seine Modellbezeichnung<br />

erste Hinweise gibt: Die Abkürzung steht für Charles<br />

Deutsch, einen am 6. September 1911 in Champigny-sur-Marne<br />

geborenen Rennfahrer und Konstrukteur mit besonderem Faible<br />

für die Aerodynamik.<br />

Offenbar als Teil einer Abfindung erhielt Charles Deutsch die<br />

Rechte an jenem Coupé, das im Herbst 1961 und vor der Trennung<br />

von René Bonnet noch ein Prototyp der Marke DB gewesen<br />

war. Und da Deutsch nahtlos zu Panhard wechselte, nahm<br />

er das Coupé einfach mit, entwickelte es weiter und brachte es<br />

im Sommer 1962 in Le Mans an den Start – um dort, pilotiert von<br />

Guilhaudin / Bertaut, den Verbrauchs-Index zu gewinnen!<br />

Im folgenden Herbst wurde dann die Strassenversion präsentiert,<br />

die allerdings vergleichsweise hochpreisig ausfiel. Allein daran<br />

kann es freilich nicht gelegen haben, dass sich das Coupé –<br />

oder die Berlinette, wie Panhard-Freunde sagen – so zögerlich<br />

verkaufte. Schon eher an seinem Zweizylinder-Viertakt-<br />

Boxermotor, der irgendwie kleinwagenmässig wirkte und nicht<br />

in ein so teures Auto passen wollte. Dabei hatte es gerade dieses<br />

kurzhubige, von Louis Delagarde entwickelte ohv-Triebwerk<br />

in sich! Es ruhte, verblockt mit Getriebe und Differential,<br />

in bester Panhard-Manier vor der Vorderachse, verfügte über<br />

hemisphärische Brennräume, eine rollengelagerte Kurbelwelle<br />

und war natürlich gebläsegekühlt. Die Zylinderköpfe liessen sich<br />

nicht abnehmen und statt herkömmlicher Ventilfedern gab es<br />

Torsionsstäbe – bei Panhard war eben alles etwas anders als<br />

bei den anderen!<br />

Im frontgetriebenen CD kam eine leistungsgesteigerte Version<br />

zum Einsatz, die auf die Bezeichnung «Tigre» hörte und bei einem<br />

Hubraum von 848 cm³ ganze 50 PS bei 5750 U / min mobilisierte.<br />

In Kombination mit nur 680 Kilogramm lagen ehrliche<br />

160 km / h drin, bei längerer Übersetzung gar 180. Aber auch für<br />

lange Landstrassenetappen eignete sich der Wagen, und das –<br />

typisch Panhard – bei moderaten Verbräuchen. Was natürlich<br />

auch für die strömungsgünstige Karosserie spricht. Das letzte<br />

Wort in Sachen Design hatte Louis Bonnier, ein altgedienter<br />

Panhard-Mann, der zu Studienzwecken Fische und Vögel in freier<br />

Wildbahn filmte. Offenbar mit Erfolg, denn das CD-Kleid erwies<br />

sich nicht nur als effizient, sondern sah auch noch toll aus. Gefertigt<br />

zunächst beim Spezialbetrieb Chappe und dann im ehemaligen<br />

Velam-Werk (wo die französische Isetta entstanden<br />

war), bot diese markante Kunststoffhülle zwei Personen bequem<br />

Unterkunft. Bis 1965 entstanden 159 Exemplare.<br />

Zu diesem Zeitpunkt standen die Zeichen bei Panhard in der Avenue<br />

d’Ivry zu Paris bereits auf Sturm. Die Firma, die durch unorthodoxe,<br />

oft geniale Konstruktionen (auch auf dem Nutzfahrzeug-<br />

Sektor!) ebenso berühmt geworden war wie durch zahlreiche<br />

Renn- und Rallye-Erfolge, geriet mehr und mehr unter Citroën-<br />

Kontrolle und verlor im Frühjahr 1965 auch noch die letzten Reste<br />

ihrer Eigenständigkeit. Nur zwei Jahre später, am 19. September<br />

1967, verliess der letzte Panhard die Montagebänder.<br />

SOMMER 2015 035


RÜCKSPIEGEL<br />

Dr. Jekyll und Mr. Hyde –<br />

die Simca Bertone Coupés 1000 und 1200 S<br />

No Sports! Dieses Lebensmotto galt auch für die Société Industrielle<br />

de Mécanique et Carrosserie Automobile, besser bekannt<br />

als Simca. Dieses 1934 von Henri «Enrico» Pigozzi gegründete<br />

Unternehmen hatte zunächst Fiat-Modelle für den französischen<br />

Markt in Lizenz hergestellt, sich aber nach und nach vom italienischen<br />

«Mutterhaus» abgenabelt und 1951 mit der Aronde die<br />

erste Eigenkonstruktion lanciert. Seitdem gehörten sportliche<br />

Schöpfungen zum festen Bestandteil des Firmenprogramms –<br />

wie das 1962 vorgestellte, wunderhübsche Simca 1000 Coupé:<br />

«Simca beauftragte uns, innerhalb von 48 Stunden die Karosserielinien<br />

des Coupé zu präsentieren», kokettierte Nuccio Bertone<br />

Jahre später augenzwinkernd. Ganz so dramatisch wird es<br />

nicht gewesen sein, zumal die Turiner Blechschmiede auch für<br />

die Fertigung der Roh-Karossen verantwortlich war. Auf jeden<br />

Fall hatte sie sich gegen starke Konkurrenz durchgesetzt: Auch<br />

der französische Luxuswagen-Hersteller Facel steuerte einen<br />

(eher sachlich-kühlen) Prototyp bei, der übrigens von einem jungen<br />

Mann stammte, der Ende 1959 als 21-Jähriger die Nachfolge<br />

des schwierigen Franco Scaglione als Bertone-Chefdesigner<br />

angetreten hatte. Er hiess Giorgetto Giugiaro und sollte Karriere<br />

machen, nicht nur bei Bertone …<br />

Technisch kam der Zweitürer mit einem Vierzylinder-Heckmotor<br />

von 944 cm³ Hubraum und 40 PS aus dem 1000 GL / GLS daher.<br />

Gedacht als Konkurrenz zu VW Karmann Ghia oder Renault<br />

Caravelle, erfreute sich der fesche Neuling mit dem sanften Wesen<br />

vor allem auf dem französischen Markt grosser Beliebtheit und<br />

blieb bis 1967 im Programm; Hoffnungen und Spekulationen auf<br />

eine leistungsgesteigerte Version hatten sich leider nicht erfüllt.<br />

Aber dann! Im Herbst des gleichen Jahres überraschten die Franzosen<br />

um Monsieur Pigozzi mit dem Simca 1200 S Coupé! Schon<br />

auf den ersten Blick war zu erkennen, dass man es hier mit einem<br />

aufgewerteten Simca 1000 Coupé zu tun hatte – und gleichzeitig<br />

doch mit etwas völlig anderem. Der aus technischen Gründen<br />

auch optisch modifizierte 1200 S wirkte sportlich-aggressiv und<br />

zeigte plötzlich auch von vorn Profil. Vor allem aber hatte der Neuling<br />

eine wahre Leistungsexplosion erlebt und leistete bei einem<br />

Hubraum von 1,2 Liter nun 80 PS bei 6000 Touren (ab Modelljahr<br />

1970 waren es 85 PS bei 6200 U / min). Besondere Merkmale<br />

des unverändert mit einer untenliegenden Nockenwelle operierenden<br />

Kurzhubers waren zwei Solex-Doppelvergaser oder eine<br />

fünffach gelagerte Kurbelwelle. Im Grenzbereich verlangte der<br />

1200 S freilich eine kundige Hand.<br />

Simca hatte ein Händchen für schöne<br />

Coupês; hier die 1956er Aronde Plein Ciel<br />

Der Simca 1200 S stiess als Newcomer in ein enges, aber anspruchsvoll<br />

besetztes Marktsegment. Seine Mitbewerber hiessen<br />

jetzt Alfa Romeo, Lancia oder Fiat, klangvolle Namen! Trotzdem<br />

zog sich der Simca 1200 S gut aus der Affäre, kostete er doch<br />

deutlich weniger als ein Alfa 1300 GTJ mit 88 PS oder als ein<br />

Lancia Fulvia Coupé mit 87 PS und lag preislich auf dem Niveau<br />

des eher bieder wirkenden Fiat 124 Coupé (90 PS). So dürfte<br />

man bei Simca alles in allem mit dem Abschneiden der stilvollen<br />

Bertone-Schöpfungen zufrieden gewesen sein: Insgesamt<br />

24 752 Exemplare stellte das mittlerweile mehrheitlich zu Chrysler<br />

gehörende Unternehmen auf die Räder, wobei es das Simca<br />

1000 Coupé auf 10 011 und der bis 1971 gefertigte 1200 S auf<br />

14 741 Einheiten brachte. Nicht schlecht für einen 2+2-Sitzer in<br />

Designer-Klamotten!<br />

Hormonbehandlung: Aus dem Eisdielen-Shuttle<br />

wurde ab Ende 1967 ein ernsthafter Sportwagen<br />

036 <strong>VECTURA</strong> #15


Neuer<br />

Renault ESPACE<br />

Macht Ihre Zeit besonders.<br />

Jetzt bei Ihrem Renault Partner.<br />

Erleben Sie Kevin Spaceys Fahrt auf espace.renault.ch<br />

Renault empfiehlt


Der feine Unterschied – Matra Bagheera<br />

Drei Plätze, Mittelmotor und Kunststoffhaut: Das klingt noch<br />

heute ungewöhnlich, in den frühen 1970er-Jahren war es das<br />

allemal. Vor allem die nebeneinander angeordneten Sitze sorgten<br />

für Aufmerksamkeit, denn sie boten drei Erwachsenen bequem<br />

Platz und waren dazu noch gut für die Optik: Dank seiner<br />

Breite von 1,75 Meter stellte das französische Mittelmotor-<br />

Coupé durchaus etwas dar. Zumal ihm die Klappscheinwerfer<br />

und die serienmässigen Alufelgen einen Hauch von feiner Welt<br />

verliehen. Zwischen 1973 und 80 gebaut, war der mit aufwendiger<br />

Einzelrad-Aufhängung rundum versehene Bagheera mit<br />

einem Simca-Vierzylinder zu haben, der zunächst aus 1,3 L<br />

Hubraum 84 PS holte – bis im Sommer 1975 der Bagheera S<br />

mit 1,5-L-90-PS-Motor erschien. Insgesamt 47 802 Exemplare<br />

sollten entstehen. Besonders gesucht sind heute die mattweissen,<br />

von Modeschöpfer Courrèges aufgewerteten Sondermodelle.<br />

Begabte Kinder aus schwierigen Ehen: Auf den Bagheera<br />

folgte der Murena (1980–84, rechte Seite)<br />

038 <strong>VECTURA</strong> #15


RÜCKSPIEGEL<br />

SOMMER 2015 039


AUTO-BIOGRAFIE<br />

Ist die Liebe zu einer bestimmten Automarke konditioniert?<br />

David Chevalier jedenfalls fuhr schon als Kind auf Citroën<br />

ab. Sein Vater besass mehrere Modelle der Marke – «unter<br />

anderen eine DS 21 Halbautomat, die ich 1993 übernahm, nachdem<br />

er auf CX umgestiegen war». Da war Chevalier Junior bereits<br />

als Mech in der Citroën-Garage Bevaix beschäftigt, die auch<br />

von einem XM-Besitzer angesteuert wurde, der in Domdidier bei<br />

Fribourg ein ganzes DS-Arsenal zusammengehortet hatte. «Weil<br />

ich frische Türen brauchte, suchte ich ihn auf. Wir verstanden uns<br />

und 2002 bot er mir dann seinen Pallas aus zweiter Hand an,<br />

nachdem der lange teilzerlegt in einer Ecke gestanden hatte.»<br />

Chevalier griff zu – da es sich um das ehemalige DS-Topmodell<br />

mit unter 100 000 Kilometer Laufleistung handelte und der Preis<br />

mehr als fair gewesen ist. Einen kompletten Ersatzmotor samt<br />

Getriebe gab es als freundliche Dreingaben dazu.<br />

Fahrer David Chevalier, Jahrgang 1976,<br />

Mechatroniker, Automobildiagnostiker<br />

und Technischer Trainer aus Brügg<br />

Ex-Autos Citroën GSA, CX GTi, BX GTi, XM V6, ZX VTS,<br />

Renault Laguna, Clio Sport, Nissan Terrano II,<br />

Citroën Xsara, Berlingo, C4 Picasso,<br />

Opel Agila, Jaguar XJ6<br />

Aktuell Citroën DS 23 Pallas I.E. Automatique, Baujahr 1973,<br />

2347 cm 3 , Leistung 130 PS bei 5250 / min,<br />

195 Nm bei 2500 / min, Leergewicht 1350 kg,<br />

V max 180 km / h, Neupreis 1973: CHF 24 215.–<br />

ausserdem: Chevrolet Corvette C3,<br />

Camaro V8 Convertible, Opel Ampera, Citroën C8<br />

Die Substanz des Traumautos war insgesamt gut; der Zusammenbau<br />

mit Sortieren und Aufbereiten nahm überschaubare<br />

sechs Monate in Anspruch. Allein die Bremsen und der Auspuff<br />

wollten komplett revidiert werden, während sich die Hydropneumatik<br />

bester Gesundheit erfreute: Die Bremsschläuche und hinteren<br />

Federkugeln sind immer noch die ersten, so auch die Lederpolster<br />

im Farbton Havane. Viel Zeit investierte der dritte Eigner<br />

in die Karosserie, bis er mit den Chrom-, Tür- und Haubenpassungen<br />

zufrieden war: Ein Geduldspiel, das sich gelohnt hat,<br />

denn die im seltenen «Vert Charmille» lackierte DS 23 weist nur<br />

geringe Gebrauchspuren auf und ist total original; einziges Zugeständnis<br />

an die Neuzeit ist ein modernes Radio.<br />

Die Französin läuft auch zuverlässig; ausser der Zylinderkopfdichtung<br />

und Lichtmaschine musste bisher nichts ersetzt werden.<br />

Zudem glänzt die Limousine mit feinen Zutaten wie einer<br />

Klimaanlage plus dazugehöriger, geschlitzter Frontstossstange.<br />

Der seltene Dreistufen-Vollautomat (die meisten DS wurden mit<br />

Handschaltung oder Halbautomat geordert) genehmigt sich das<br />

eine oder andere Schlückchen extra; je nach Fahrweise sind es<br />

10 bis 15 Liter. Der Lohn ist sehr entspanntes Fahren, mit besonders<br />

sanften Gangwechseln und geringer Geräuschentwicklung.<br />

«Erst ab Tempo 140 wird es etwas lauter», schmunzelt der<br />

stolze Besitzer; knapp 20 000 Kilometer hat er bisher zurückgelegt,<br />

im Sommer fährt er mit seinem Klassiker oft zur Arbeit,<br />

die bisher weiteste Reise führte nach Belgien.<br />

Längst ist die DS-Baureihe dem Status eines Gebrauchtwagens<br />

entwachsen und die Zeiten, in denen sie günstig zu<br />

haben war, sind vorbei: «Brauchbare Exemplare gibt es ab<br />

15 000 Franken», weiss Chevalier, «perfekte Autos kosten<br />

50 000 und mehr – verrückt!» Dabei verschweigt er, dass die<br />

seltenen Chapron-Cabriolets längst sechsstellig gehandelt<br />

werden; auch Werk-Cabrios sind inzwischen sehr gesucht und<br />

teuer. Chevalier lockt das nicht: Die dunkelgrüne Schönheit<br />

ist die Favoritin seiner Autosammlung und unverkäuflich. Von<br />

der väterlichen DS 21 hat er sich dafür getrennt – eine Garagen-<br />

Göttin muss genügen. map<br />

040 <strong>VECTURA</strong> #15 #14


THE HEAD SAYS<br />

YES.<br />

THE HEART SAYS<br />

DEFINITELY, YES.<br />

MASERATI GHIBLI. AB CHF 74’000.–<br />

ABZÜGLICH WÄHRUNGSAUSGLEICHSPRÄMIE<br />

WWW.MASERATI-TESTDRIVE.CH<br />

WÄHRUNGSAUSGLEICH<br />

€URO-BONUS<br />

Weitere Informationen<br />

bei Ihrem Händler<br />

* CO2 ist das für die Erderwärmung hauptverantwortliche Treibhausgas; die mittlere CO2-Emission aller (markenübergreifend) angebotenen Fahrzeug typen in der Schweiz beträgt 148 g/km.<br />

Unverbindliche Preisempfehlung der Maserati (Schweiz) AG.<br />

DER NEUE MASERATI GHIBLI IST AUCH MIT DEM INTELLIGENTEN<br />

ALLRADSYSTEM Q4 ERHÄLTLICH.<br />

MASERATI GHIBLI DIESEL: 6-ZYLINDER-V-60°, 2.987 CM³ – LEISTUNG: 202 KW (275 PS) – 570 NM<br />

BEI 2.000 – 2.600 U/MIN (600 NM BEI OVERBOOST) V-MAX. 250 KM/H – 0 – 100 KM/H IN 6,3 SEK.<br />

KRAFTSTOFFVERBRAUCH (L/100): STADT 7,8 / AUSSERSTÄDTISCH 4,9 / KOMBINIERT 5,9<br />

CO2-EMISSION*: 158 G/KM – EFFIZIENZKLASSE C<br />

www.maserati.ch


KAMPAGNE<br />

Text hh · Fotos Werk<br />

MODELL WIRD MARKE: RICHTIG<br />

GELESEN – CITROËN ERHEBT<br />

DEN NAMEN SEINES WOHL<br />

BERÜHMTESTEN AUTOS IN DEN<br />

HERSTELLERSTATUS. LESEN SIE<br />

WEITER, WAS DAHINTERSTECKT<br />

Wer erinnert sich noch an 1955? Es ist das Jahr, in dem Winston<br />

Churchill aus gesundheitlichen Gründen als Premierminister von<br />

Grossbritannien zurücktritt. In dem die Ost-Staaten den Warschauer<br />

Pakt gründen, in dem die Afro-Amerikanerin Rosa Parks<br />

im Bus nicht für einen weissen Mann aufstehen will, in dem Bill<br />

Gates und Steve Jobs geboren werden, aber auch Nicolas<br />

Sarkozy, Alain Prost und die französische Schauspielerin Isabelle<br />

Yasmine Adjani. Mitte Juni kommt ihr Landsmann, der Mercedes-<br />

Pilot Pierre Levegh, in Le Mans bei einem schweren Unfall ums<br />

Leben, der 83 weitere Menschen in den Tod reisst. Die Franzosen<br />

sind auf einem High-Tech-Trip: Die Dassault Super Mystère<br />

ist das erste einsatzfähige europäische Überschallflugzeug, während<br />

der Alouette-II-Hubschrauber mit einer erreichten Höhe von<br />

über 8200 Meter einen neuen Weltrekord aufstellt. Und dann<br />

steht Anfang Oktober dieser Wagen auf dem Pariser Automobilsalon,<br />

mit Science-Fiction-artiger Karosserie und hydropneumatischer<br />

Federung. Chapeau!<br />

042 <strong>VECTURA</strong> #15


Mit der Modellpflege des DS5 entsteht eine neue Automobilmarke<br />

60 Jahre Citroën DS – wenn man das Auto betrachtet, mag man<br />

es kaum glauben. Die Typenbezeichnung ist natürlich ein phonetisches<br />

Wortspiel – «La Déesse» steht im Französischen für «die<br />

Göttin» und passt ganz ausgezeichnet: Nur wenige andere Autos<br />

haben eine so erhabene Ausstrahlung, sind derart epochal wie<br />

das von Flaminio Bertoni (Achtung, hat mit Bertone nichts zu tun)<br />

gezeichnete Fliessheckmodell. Noch heute sieht die stromlinienförmige<br />

Limousine moderner aus als viele aktuelle Autos, obwohl:<br />

Ihre unnachahmlich cool verglasten Scheinwerfer erhielt sie erst<br />

1968; zuvor ragten die Lichter aufrecht aus den Kotflügeln hervor<br />

wie auch beim Porsche 911 – dort allerdings erst ab 1963,<br />

also acht Jahre später.<br />

Bis 1975 entstanden 1,4 Millionen DS-Limousinen sowie über<br />

54 000 fünftürige Break, mehr als 1300 Cabriolets plus einige<br />

andere Sonderserien, zum Beispiel Coupés, Repräsentationsfahrzeuge<br />

oder Grossraumschnelltransporter mit doppelter<br />

Hinterachse (!). Doch so wegweisend, eigenständig und populär<br />

der grosse Citroën auch war – er hinterliess ein riesiges Problem:<br />

Was kann nach einer Göttin schon noch kommen? Abgesehen<br />

vielleicht vom CX (1974–91; knapp 1,2 Mio. Exemplare) konnten<br />

die Nachfahren XM (1989–2000; 300 000 Ex.) und C6 (2005–12;<br />

rund 23 000 Ex.) jene DS-Absatzzahlen nicht ansatzweise wiederholen<br />

und Citroën, Ex-Maserati-Besitzer mit Innovationsanspruch,<br />

rutschte zunehmend in die Durchschnittlichkeit ab.<br />

Gegen Mittelklasse ist eigentlich nichts zu sagen. Hier wird richtig<br />

Volumen gemacht und auch viel Geld umgesetzt. Die besten<br />

Profite erwirtschaften Autohersteller allerdings in den höher angesiedelten<br />

Segmenten, und genau da wollen auch die Franzosen<br />

unter ihrem neuen Markenchef Yves Bonnefont gerne wieder<br />

hin. Still und leise wurde mit den DS-Modellen DS3, DS4 oder<br />

DS5 seit 2010 eine schicke Nische aufgebaut für Kunden, denen<br />

ein gemeiner Citroën nicht extraordinaire genug ist. Kleine<br />

SOMMER 2015 043


Der Citroën DS3 ist seit 2010 ein Liebling der Frauen<br />

Sonderserien steigern das Interesse; die Absatzzahlen sind<br />

hocherfreulich: Bisher wurden weltweit eine halbe Million Einheiten<br />

mit DS-Zusatzlogo verkauft. Zum runden Geburtstag der<br />

Déesse wird jetzt ein «Spirit of Avant-Garde» beschworen – und<br />

«DS Auto mobiles» ab sofort zur eigenen Marke erhoben, die innerhalb<br />

des PSA-Konzerns die elitäre Spitze markieren soll. Der<br />

überarbeitete DS5 (siehe <strong>VECTURA</strong> #2) wurde zum ersten Fahrzeug<br />

des neuen Luxuslabels auserkoren, was uns etwas verwirrt:<br />

Besitzer des bisherigen DS5 haben einen Citroën, alle anderen<br />

jetzt nicht mehr. Aber gut, irgendwo muss man anfangen; das<br />

Auto kostet ab 37 050 Franken.<br />

Als Erkennungsmerkmal der neuen Marke fungiert unter anderem<br />

ein «DS Wings» genannter Kühlergrill mit zwei verchromten<br />

Flügeln, die eine Brücke zu den Scheinwerfern bilden. Natürlich<br />

gehört auch ein neuer Auftritt mit speziell gestalteten Verkaufsflächen<br />

beim Garagisten dazu (Citroën spricht von «Salon»),<br />

ausserdem wird es DS-eigene Dependancen im Modeboutique-<br />

Stil geben, die in edlem Schwarz gehalten sind. «Wir beschreiten<br />

einen neuen Weg», sagt Sébastien Vandelle, Direktor von<br />

Citroën Suisse und DS Automobiles, und freut sich über das<br />

Kundenprofil: «Die Eroberungsrate liegt bei 60 Prozent, was uns<br />

positiv überrascht hat. Viele fuhren vorher deutsche Premiummarken.»<br />

Der erste DS-Store der Schweiz öffnete im Juni in<br />

Genf, ein zweiter in Zürich folgt demnächst. In ganz Europa entstehen<br />

derzeit DS-Läden, in China sind es bereits 80: Dort verkauft<br />

DS Automobiles seit Ende 2013 das viertürige, 4,7 Meter<br />

lange Stufenheckmodell DS 5LS; 2014 kam ein aus der Studie<br />

Wild Rubis hervorgegangener, 4,55 Meter langer SUV namens<br />

DS 6WR dazu.<br />

Expansion nach oben ist also angesagt und Rennsport zur Imagesteigerung<br />

gar nicht so abwegig: Schon die Déesse war erfolgreich<br />

bei Rallyes unterwegs; die Urenkel sind ihr bereits dicht auf<br />

den Fersen. In der WRC sind DS-Modelle aktuell ganz vorne mit<br />

dabei. Man darf gespannt sein.<br />

Gibt's derzeit nur in China: das Stufenheckmodell DS 5LS…<br />

… und die Crossover-Baureihe DS 6WR<br />

044 <strong>VECTURA</strong> #15


KAMPAGNE<br />

Die neue Studie «Divine DS» soll die<br />

Essenz der Marke DS verkörpern –<br />

und zeigen, wo es künftig langgeht<br />

SOMMER 2015 045


FOR INDIVIDUALISTS.<br />

Timemaster Chronograph Skeleton (CH-9043SB-BK): Der erste skelettierte Chronograph unserer sportlichen Kollektion repräsentiert die perfekte Art,<br />

die Zeit zu meistern. Wasserdicht bis 100 m und ausgerüstet mit Stoppfunktion und Super-LumiNova-Nachtleuchtpigmenten ist dieser Zeitmesser<br />

bereit für jede Sekunde eines aktiven Lebensstils. www.chronoswiss.com


SHOWROOM<br />

VIVE LA DIFFÉRENCE!<br />

FRANZÖSISCHE AUTOS HEUTE – DAS IST MEHR<br />

ALS 208, CLIO ODER SCÉNIC. NEUN BEISPIELE FÜR DIE<br />

ETWAS ANDERE ART DER FORTBEWEGUNG<br />

Text Stefan Lüscher, map, hh · Fotos Werk<br />

BASIS-MOBILITÄT: AIXAM COUPÉ GTI<br />

Ultraleichte, kleine Stadtautos mit alternativen Antrieben haben in Frankreich eine lange Tradition. Aixam ist bereits 32 Jahre alt und zählt<br />

(neben Ligier oder Matra) zu den führenden Anbietern: 1988 entstanden die ersten (freiwillig crashgetesteten) Elektromodelle, die beispielsweise<br />

von Senioren mit Fahrausweis F oder B1 bewegt werden durften; 1991 folgten selbst entwickelte Zweizylinder-Varianten.<br />

2003 kamen dann modulare Nutzfahrzeuge unter dem Markennamen Mega hinzu, bevor man beide Sparten zusammenzog. Die Einführung<br />

der Londoner City-Maut bescherte dem 65 km / h schnellen Modell Mega e-City eine wachsende Nachfrage; ab 2010 war er<br />

mit einem leistungsstärkeren wie effizienteren Lithium-Ionen-Akku unterwegs. Die Nachfolgerbaureihe<br />

e-Aixam gibt es seit 2013; sie kommt mit Alu-Chassis, Kunststoffkarosserie sowie<br />

6,1 kWh rund 75 Kilometer weit. Parallel werden zweisitzige Versionen wie ein SUVartiger<br />

Crossover GT oder der hier gezeigte, 3,04 Meter kurze Coupé GTI mit<br />

5,5 PS starkem 0,4-L-Zweizylinder-Diesel angeboten, der 45 km / h schnell<br />

ist. In der Schweiz sind Aixam-Modelle über die Steck Automobile AG<br />

in Bigenthal zu beziehen (www.steck-automobile.ch); der 2,83 Meter<br />

kurze GTO ist für 18 750.– Franken zu haben.<br />

STADTWÜRFEL: CITROËN C3 PICASSO<br />

Nicht mehr neu, aber immer noch sehr frisch präsentiert sich der 2008 eingeführte und 2013 umfassend modernisierte, 4,10 Meter kurze<br />

sowie 1,67 m hohe Microvan. Sein Layout ist ursprünglich eine japanische Erfindung: Sogenannte Kei-Cars gehören in Tokio oder Osaka<br />

zum Strassenbild, sind mit höchstens 3,39 Meter Länge allerdings richtig Bonsai. In Europa zählt der grosszügig verglaste C3 Picasso<br />

zu den kürzesten Monospace-Autos, die man kaufen kann. Das Interieur ist eine kleine Sensation: Vier Erwachsene sitzen gut, und wird<br />

die verschiebbare Rückbank umgeklappt, bietet der Kofferraum über 1500 L Volumen. Fazit:<br />

Wer sich in urbanem Gebiet bewegt, ist mit dem auch sicherheitstechnisch überzeugenden<br />

Zwerg bestens bedient. Antriebstechnisch stehen ein genügsamer<br />

1,2-L-Dreizylinder-Benziner mit 110 PS sowie der durchzugsstärkere,<br />

noch sparsamere 1,6-L-Vierzylinder-Turbodiesel mit 98 PS<br />

zur Wahl; beide sind über 180 km / h schnell. Die<br />

Preise starten bei CHF 14 250.–.<br />

<br />

SOMMER 2015 047


SHOWROOM<br />

ASPHALT-SUKKULENTE<br />

EIN CACTUS EROBERT DIE STRASSEN: DER NACH EINEM KAKTEEN -<br />

GEWÄCHS BENANNTE KOMPAKT WAGEN VON CITROËN IST<br />

DAS VIELLEICHT AUFREGENDSTE AUTO DER LETZTEN JAHRE<br />

Text Jo Clahsen · Foto Werk<br />

Obwohl die saftreichen Gebilde in<br />

lebensbedrohlichen Szenarien zu<br />

Hause sind, bringen einige von ihnen<br />

wunderschöne Blüten hervor. Eine weitere<br />

Eigenart sind spitze Stacheln, mit der sie<br />

ihre ledrige Haut und das darunter verborgene<br />

Wasser vor durstigen Feinden<br />

schützen. Der Cactus von Citroën, offiziell<br />

C4 Cactus genannt, schützt sich mit<br />

sogenannten «Airbumps» vor Remplern<br />

im Parkhaus. Das ist allerdings<br />

die einzige Gemeinsamkeit mit den<br />

Namensgebern.<br />

Bis heute spaltet das 4,16 Meter kompakte<br />

Auto, welches 2013 zunächst<br />

als Studie vorgestellt und Mitte 2014<br />

eingeführt wurde, seine Betrachter in<br />

zwei Gruppen. Entsetzlich, sagen die<br />

einen. Und alle anderen freuen sich,<br />

dass es die Franzosen endlich wieder<br />

mal gewagt haben, alles anders<br />

zu machen als erwartet. Die<br />

Frage, welches der beiden Lager<br />

dem Leben gegenüber positiver<br />

eingestellt ist, erübrigt<br />

sich da automatisch. Und<br />

auch wir sind geneigt, diesem<br />

de monstrativ zur Schau<br />

gestellten Optimismus zu<br />

frönen – ganz besonders,<br />

wenn er durchdacht und dabei<br />

noch erschwinglich ist.<br />

Aber wie unkonventionell ist der<br />

Cactus wirklich? Die in vier verschiedenen<br />

Farben erhältlichen<br />

Airbumps aus luftgefülltem Polyurethan<br />

sind eine witzige Idee, bewahren<br />

allerdings nur einen Teil der<br />

Türen vor Remplern. Die Felgenform<br />

stellt Lifestyle 3.0 dar und innen geht<br />

es geradeso weiter. Das Lenkrad ist eine<br />

Mischung aus Quadrat und Kreis, die Fahrzeugbedienung<br />

erfolgt weitgehend über einen<br />

Touchscreen, Türgriffe sind wie Lederkofferriemen<br />

ausgelegt und das Handschuhfach wie ein Brotkasten.<br />

Mithin ist alles seltsam aufgeräumt und glattflächig bis<br />

auf die beiden Monitore für Bedienung und Fahranzeigen. Knöpfe<br />

gibt es auch keine, kurz: Die Andersartigkeit dieses Autos wird<br />

demonstrativ zur Schau gestellt – und gefällt uns immer noch!<br />

Basics wie die Vordersitze sind gut, weil straff-bequem und vorne<br />

in Verbindung mit automatisiertem Schaltgetriebe durchgehend<br />

(!). Auch die Übersichtlichkeit ist gut gelungen, die Materialanmutung<br />

trendy, nur die Isolierung geriet so lala. Die Basis-Motorisierung,<br />

ein Dreizylinder-Benziner, gibt sich beim Gasgeben recht<br />

vorlaut, aber für 18 400 Franken kann man schliesslich nicht alles<br />

haben. Immerhin ist der Cactus im Vergleich zum normalen C4 ein<br />

Leichtgewicht von 1040 Kilo, wiegt also 200 Kilo weniger als sein<br />

konservativer Bruder. Entsprechend munter gehen der 82-PS-<br />

Treibsatz und das Fünfganggetriebe mit dem Cactus um, aber<br />

es will auch fröhlich geschaltet werden. Und das kostet; über sieben<br />

Liter auf 100 Kilometer dürfen es gerne mal sein. Allerdings<br />

ist diese Motorisierung bei uns recht unpopulär; viel besser fühlt<br />

sich zum Beispiel der neue 1,6-L-Vierzylinder-Diesel Blue HDi mit<br />

Stopp-Start sowie 100 PS und 254 Nm an, weil er nachdrücklich<br />

beschleunigt, bis zu 184 km / h schnell ist und sich durchschnittlich<br />

keine vier Liter Sprit gönnt. Ab 23 150 Franken geht es los.<br />

Überhaupt steht der Verzicht des gemeinen Kaktus auch beim<br />

Cactus recht weit oben auf der Agenda. Die Lehne der Rücksitzbank<br />

lässt sich nicht teilen, sondern will, um auf mehr als 1100 Liter<br />

Stauvolumen zu kommen, am Stück gefaltet werden. Auch<br />

dann ergibt sich keine ebene Ladefläche, sondern eine Stufe, genau<br />

in der Mitte. Auch ist die Kofferraumkante vergleichsweise<br />

hoch, was wir als grössten Malus des «Très Plus Cool» ansehen –<br />

manche Frauen auf Einkaufstour werden fluchen. Was man<br />

ebenso wissen sollte: Die Scheiben für die Hinterbänkler lassen<br />

sich nicht nach unten kurbeln, sondern können nur ausgestellt<br />

werden. Oder, um es mit heiterem Pragmatismus auszudrücken:<br />

Was nicht an Bord ist, kann auch nicht kaputtgehen. Dafür ist<br />

Platz in der Hütte, rechts wie links, vorne wie hinten. Und was<br />

nicht reinpasst, soll offenbar einfach an den Kleiderbügel-artigen<br />

Dachträgern vertäut werden.<br />

Der Cactus erinnert wieder an jene alten Zeiten, in denen Citroën<br />

den glattflächig-geriffelten 2CV auf dünne Rädchen stellte. Der<br />

Wagen ist bis heute die Blaupause binär-automobiler Fortbewegung.<br />

Und wurde als Ente trotzdem geliebt, verehrt und nicht<br />

selten bemalt, weil er eben eine Karre ohne Konvention und<br />

Status-Geprotze war, dazu preisgünstig, anspruchslos und<br />

absolut unkompliziert – Charaktereigenschaften, die auch der<br />

Cactus für sich in Anspruch nehmen will. Und die Chancen stehen<br />

gut, dass man es ihm nicht nur glaubt: Mehr Charme für<br />

weniger Geld ist heute schwer zu finden. Wer also ein Fortbewegungsmittel<br />

sucht, das ebenso lässig ist, wie die Ente einst<br />

war, mit sympathischem, wenn auch männlicherem Augenaufschlag,<br />

kommt unweigerlich in Versuchung. Das erste Rendezvous<br />

könnte zwar etwas spröde ausfallen, doch der charismatische<br />

Cactus dürfte schnell überzeugen. Ob er damit als<br />

Sukkulente in die Kakteenfamilie aufgenommen wird, kann dagegen<br />

nur ein Botaniker beantworten.<br />

048 <strong>VECTURA</strong> #15


Der Cactus gehört zu den<br />

originellsten Autos der Neuzeit.<br />

Weitere Modelle sollen bald folgen


SHOWROOM<br />

PRÊT-À-PORTER: PEUGEOT 108<br />

Ein seriöses Exterieur mit LED-Tagfahrlicht, agile wie sparsame Dreizylinder-Benziner mit 68 oder<br />

82 PS, dazu reduzierte Bedienelemente und Touchscreen innen – der kleinste Löwe ist auch einer<br />

der modernsten. Zu den Besonderheiten des 3,48 Meter kurzen, sauber verarbeiteten und bis zu<br />

171 km / h schnellen Drei- oder Fünftürers gehört ein grosses Stoffdach, das sich elektrisch über<br />

die gesamte Dachbreite von der Windschutzscheibe bis zur Heckklappe öffnen lässt und so luftige<br />

Aussichten ermöglicht. Der 108 wird gemeinsam mit Citroën C1 und Toyota Aygo im tschechischen<br />

Kolin produziert, und obwohl sich die Drillinge genetisch sehr ähnlich sind, sieht doch<br />

keiner aus wie der andere. Wir halten den Peugeot für den elegantesten von allen; selbst Anzugträger wirken in diesem Kleinwagen<br />

nie deplatziert. Styling ist ein wesentliches 108-Element; sieben markante Design-Kits ermöglichen Individualität. Sehr volkstümlich<br />

dagegen sind die Preise: ab 12 900 Franken.<br />

RASEN WIE GOTT IN FRANKREICH: PEUGEOT RCZ<br />

Mit der scheinbar weit vorne positionierten Kabine und seiner charakteristischen Doppelwölbung<br />

des Daches ist das 2+2-Coupé ein echter Exot. Entstanden ist das aktuell sportlichste französische<br />

Serienauto auf Basis einer Studie, die dann 2010 nahezu unverändert in Serie ging. Hergestellt<br />

wird der RCZ teilweise in Handarbeit und seit 2010 bei Magna Steyr in Österreich. Als<br />

technische Basis dient dem 1,36 m hohen Zweitürer der kompakte 308; zu den Konkurrenten<br />

zählen der Audi TT, der Renault Mégane Coupé oder der VW Scirocco. Die Stärken des RCZ<br />

sind sein agiles Handling und – trotz Vorderradantrieb – eine gute Traktion. Als Motoren stehen<br />

drei Vierzylinder mit Direkteinspritzung, Turboaufladung und 1,6 Liter Hubraum zur Wahl; die Leistung beträgt 155, 200 und 270 PS.<br />

Die rund 1,3 Tonnen schwere Basisversion sprintet in acht Sekunden von null auf 100 km / h und kostet ab CHF 39 900.–. Das Topmodell<br />

RCZR schafft 0 auf 100 km / h in 5,9 Sekunden und startet bei CHF 51 900.–.<br />

MÖCHTEGERN-SUV: RENAULT CAPTUR<br />

Nach dem Erfolg der jüngsten Softroader-Modelle von Nissan war es nur eine Frage der Zeit, bis<br />

Allianz-Partner Renault etwas Vergleichbares anbieten würde. Mit dem Clio-basierten, komfortorientierten<br />

Captur war es 2013 so weit und die 4,12 Meter lange, vergleichsweise geräumige<br />

Baureihe traf den Nerv potentieller Kompaktwagenkunden. Auch in der Schweiz kommt der kompakte<br />

Fünftürer gut an, obwohl seine SUV-artige Erscheinung mehr verspricht, als sie halten kann:<br />

Den Captur gibt es nur mit Frontantrieb, dafür sieht er mit ab Ausstattung «Privilège» enthaltener<br />

Zweifarben-Lackierung erfrischend anders aus als das Gros aktueller Kleinwagen – auch innen, wo<br />

es zum Beispiel Sitzbezüge mit Reissverschluss zum Wechseln oder Waschen gibt – grossartig! Solche Features oder ein Doppelkupplungsgetriebe<br />

kosten natürlich und wirklich günstig ist das Vergnügen nicht; die weit weniger spektakuläre Basis ist ab 22 600 Franken zu haben.<br />

<br />

KLEINWAGEN-IKONE: RENAULT TWINGO<br />

Erinnert sich noch jemand an die 2007 vorgestellte zweite Twingo-Generation? Schwamm drüber.<br />

Die 2014 lancierte dritte Auflage will mit einem technisch komplett neuen Konzept an den durchschlagenden<br />

Erfolg des 1993 eingeführten Erstlings anknüpfen. Weil Renault und Daimler inzwischen<br />

gemeinsam entwickeln, teilt sich der Twingo III die Plattform mit dem ebenfalls dritten<br />

Smart. Das bedeutet Heckmotor und -antrieb sowie daraus resultierend andere Proportionen mit<br />

längerem Radstand, kurzen Überhängen, mehr Höhe und eine im Vergleich zum letzten Twingo<br />

um zehn Zentimeter geschrumpfte Gesamtlänge von 3,59 Meter. Positive Nebeneffekte: ein<br />

gestreckter, variabler Innenraum und der beste Wendekreis des Segments. Als Antrieb stehen zwei Dreizylinder zur Verfügung<br />

(1,0 L / 70 PS oder 0,9 L-Turbo / 90 PS); die stärkere Version wird es im Herbst auch mit Doppelkupplungsgetriebe geben. Verbrauch<br />

ab 4,3 L / 100 km, Preise ab CHF 13 400.–.<br />

<br />

050 <strong>VECTURA</strong> #15


LAUTLOS LUSTIG: RENAULT TWIZY<br />

Streng genommen ist der Schmalspur-Zweisitzer gar kein richtiges Auto. Da ist man näher beim<br />

Roller und noch näher beim Quad. Und eigentlich ist der 2,34 Meter kurze und nur 1,45 Meter<br />

breite Elektroflitzer auch nur ein Einplätzer, weil sich die zweite Person mühsam hinter dem<br />

Fahrer einfädeln und dort auch sehr beengt sitzen muss. Trotzdem ist der Twizy seit seinem<br />

Erscheinen 2012 das mit Abstand meistverkaufte Elektrofahrzeug der Schweiz. Zwar fehlen ihm<br />

eine Lüftung, Bodenteppiche und vieles mehr; selbst die nach oben schwenkenden Halbtüren<br />

kosten Aufpreis. Spass macht das 562 kg schwere Stadtmobil mit seinen 17 PS und der auf<br />

80 km / h limitierten Höchstgeschwindigkeit dennoch; auch die werkseitig angegebene Reichweite von 100 km kann sich sehen lassen.<br />

In rund drei Stunden ist die Batterie an der Steckdose wieder geladen. Auch der Preis für ein solches Spielzeug ist akzeptabel:<br />

CHF 9700.– plus Akkumiete ab CHF 59.– / Monat.<br />

<br />

RAUMSCHIFF AHOI: RENAULT TRAFIC<br />

Wenn Platz und Stauvolumen oberste Priorität haben, gibt es bei Renault nur eine Wahl – den Trafic. Seit<br />

1980 angeboten, wurde 2014 die dritte Generation eingeführt. Die ist schicker, deutlich gewachsen<br />

(L / B / H: 5,00 / 2,28 / 1,97 Meter) und einmal mehr baugleich mit dem ab Basis gleich teuren Opel Vivaro.<br />

Es gibt zwei Radstände (mit dem langen misst der Trafic 5,4 Meter); die Pw-Variante «Passenger»<br />

lässt sich mit bis zu drei Sitzreihen und insgesamt neun Plätzen ausrüsten und auch recht dynamisch<br />

bewegen. Grossfamilien und alle, die sperrige Dinge zu transportieren haben, werden sich<br />

über den bis zu sechs Kubikmeter (!) fassenden Kofferraum freuen; wahlweise gibt es links eine weitere<br />

Schiebetür. Die Verarbeitung ist nochmal besser als beim Vorgänger; antriebstechnisch stehen Dieselmotoren mit 90 bis 140 PS zur<br />

Wahl, läuft der grossflächig verglaste Kastenwagen zwischen 153 und 181 km / h schnell. Der frontgetriebene französische Riese kostet<br />

ab 32 100 Franken, gibt’s sonst noch was zu sagen? Ja: Einparken will geübt sein – und wie klein die anderen doch plötzlich alle sind!<br />

<br />

SOMMER 2015 051


AUS<br />

BESTEM<br />

HAUSE<br />

Text Matthias Pfannmüller<br />

Fotos Werk, map<br />

IWC SCHAFFHAUSEN ARBEITET GER-<br />

NE MAL MIT KERAMIK ODER TITAN UND<br />

KANN AUCH HIER AUF EINE LANGE<br />

TRADITION VERWEISEN. DIE JÜNGSTE<br />

INGENIEUR-SONDERSERIE BESTEHT<br />

NUN AUS EINEM NEUEN MATERIAL,<br />

DAS BISHER NOCH NIE IM UHREN-<br />

HANDWERK ZUM EINSATZ KAM<br />

052 <strong>VECTURA</strong> #15


SWISS MADE<br />

Wenn Auto- und Uhrenhersteller gemeinsame Sache<br />

machen, müssen viele Faktoren zusammenpassen.<br />

Im Falle von IWC und Mercedes AMG scheint das<br />

zuzutreffen: Seit Beginn der Kooperation im Jahr 2005 pflegen<br />

die Partner ein ebenso enges wie vertrauensvolles Verhältnis,<br />

sind bemerkenswerte Produkte entstanden. Angefangen hat<br />

es zur Zeit der ersten CLS-Generation (C219, 2004–10), von der<br />

es eine Sonderserie gab, die bezüglich Farb- und Materialcodes<br />

in Abstimmung mit IWC gestaltet wurde. Und natürlich gab es<br />

auch eine modifizierte Cockpituhr mit IWC-Zifferblatt. Neu ist das<br />

zwar nicht – Bulgari arbeitet mit Cadillac, Breitling mit Bentley<br />

oder Parmigiani mit Bugatti. Doch wurde die Typo der Schaffhauser<br />

Manufaktur im Sonder-CLS auch für das Drehzahl- und<br />

Tacho-Layout übernommen und hat später auch Instrumente<br />

anderer AMG-Baureihen inspiriert; 2008 trug der Mercedes SL<br />

6.3 AMG (R230) einen von IWC gestylten Cockpit-Chronometer.<br />

Im Gegenzug brachte IWC ein paar hochinteressante Chronometer<br />

heraus, die sich thematisch auf die schwäbischen Sportwagen<br />

bezogen (siehe <strong>VECTURA</strong> #9). Das zweite Modell dieser<br />

Art nennt sich Ingenieur Automatic Edition AMG GT und wurde<br />

dieses Frühjahr im Rahmen des 73. Members’ Meeting in Goodwood<br />

vorgestellt. Neben der formalen Klarheit und speziellen<br />

Farbgestaltung, die sich direkt auf den neuen Mercedes AMG<br />

GT bezieht, besticht diese in einer Kleinstserie von nur 25 nummerierten<br />

Exemplaren aufgelegte Herrenarmbanduhr (Ref.<br />

IW324602) mit ihrer Leichtigkeit von gerade mal 100 Gramm. Für<br />

diese Eigenschaft ist ein ganz besonderes, extrem kratzfestes<br />

Material verantwortlich, das dank spezieller Fertigungsverfahren<br />

erstmals im Uhrenhandwerk zum Einsatz kommt – Borcarbid. Der<br />

Stoff (Summenformel B4C) ist mit 3200 Vickers zwölfmal härter<br />

als Stahl, allerdings nicht-metallisch und wird ob seiner Widerstandsfähigkeit<br />

bevorzugt für Panzerungen, Schneidewerkzeuge<br />

oder Düsen für Sandstrahlmaschinen eingesetzt.<br />

«Bei der Materialwahl standen für uns drei Aspekte im Vordergrund»,<br />

erläutert IWC-Chefdesigner Christian Knoop: «Zum<br />

einen technische Eigenschaften, die für die Kunden vorteilhaft<br />

sind, dann die überzeugenden ästhetischen Charakteristika –<br />

das Gehäuse durfte ja nicht nach Kunststoff aussehen. Und nicht<br />

zuletzt die Glaubwürdigkeit und Logik innerhalb der IWC-Modellchronologie.»<br />

Innovative Gehäuse sind derweil kein Neuland<br />

für IWC Schaffhausen; seit den 1980er-Jahren ist man Pionier<br />

im Bereich Keramik und Titan. Nach Zirconiumoxid (Da Vinci<br />

Perpetual Calender Ceramic, 1986), Zirconium (Pilot’s Watch,<br />

seit 1994) und Siliziumnitrid (2014) passt Borcarbid als Keramik<br />

der dritten Generation also ganz hervorragend, um die Vorreiter-Position<br />

zu verteidigen: «Eine Uhr aus Kometen-Material,<br />

den Überresten der ‹Titanic› oder eines Raumschiffs ist unsere<br />

Sache nicht», lächelt Knoop.<br />

Eine Verbindung zum Motorsport war dagegen legitim, weil es<br />

auch dort um Leistungsgewicht geht. Das zehnjährige Jubiläum<br />

der Kooperation mit Mercedes AMG bot denn auch inhaltlich<br />

den passenden Rahmen für die Gestaltung des neuartigen Zeitmessers,<br />

der stilvoll zum Oldtimer-Saisonauftakt im Rahmen<br />

Exklusiver geht es kaum: Die Ingenieur Edition AMG GT ist die leichteste<br />

IWC seit Jahrzehnten. Ein Saphirglasboden erlaubt den Blick auf das Kaliber 80110<br />

SOMMER 2015 053


SWISS MADE<br />

1986: Mit der Da Vinci Perpetual<br />

Calender Ceramic lanciert IWC<br />

eine erste Uhr mit Keramikgehäuse<br />

1994 folgt dann die erste Pilot´s Watch<br />

Chronograph Ceramic, die fast komplett<br />

in edlem Schwarz gehalten ist<br />

2006 erscheint mit der Ingenieur Automatic<br />

Ceramic eine betont technische<br />

Armbanduhr<br />

des diesjährigen 73. Members’ Meeting präsentiert wurde – zumal<br />

IWC Schaffhausen dort erstmals als offizieller Zeitnehmer<br />

auftrat.<br />

Die Ziffer 73 zum Meeting 2015 folgt britischer Logik und soll<br />

hier kurz erklärt werden. Der Vater des Earl of March and Kinara<br />

war Sportwagen-Fanatiker Charles Henry Gordon-Lennox, der<br />

zehnte Duke of Richmond, zehnte Duke of Lennox, zehnte Duke<br />

of Aubigny sowie fünfte Duke of Gordon, und er baute 1948 auf seinem<br />

Privatbesitz, der fast ganz Südengland umfasst, einen Rundkurs<br />

um den ehemaligen Militär-Flugplatz, um dort Clubrennen für<br />

sich und seine Freunde zu veranstalten, die im GRRC (Goodwood<br />

Road Racing Club) organisiert waren. Das erste Treffen hiess entsprechend<br />

1 st Members’ Meeting; bis 1966 wurden es derer 71,<br />

dann war aus Sicherheitsgründen Schluss – modernere Autos<br />

waren schlicht zu schnell für die Strecke geworden (1970 kam<br />

McLaren-Gründer Bruce McLaren hier bei Testfahrten ums Leben).<br />

Im Frühjahr 2014 griff Lord March die vergessene Tradition wieder<br />

auf und veranstaltete das 72. Meeting – wohl auch, weil Festival<br />

und Revival inzwischen aus allen Nähten platzten. Dagegen ist<br />

das Meeting noch fast ein intimes, sehr Fahrer-orientiertes Event,<br />

bei dem sich die Piloten ungerne etwas schenken. Besonderheit:<br />

Heute dürfen auch Autos nach Baujahr 1966 an den Start gehen,<br />

was einer natürlichen Fortsetzung gleichkommt, während die Teilnahme<br />

am Revival genau dort endet. Entsprechend flott ist das<br />

Members’ Meeting heute unterwegs; die Hahnenkämpfe auf der<br />

Strecke werden von einem ebenso fachkundigen wie adrett gekleideten<br />

Publikum (Jeans und Turnschuhe sind verpönt) verfolgt.<br />

Die Vorliebe für rassige Armbanduhren ist bei Goodwood-Anlässen<br />

allgegenwärtig. Auch IWC-Träger Lord March zeigte sich<br />

persönlich an der neuen Kleinstserie interessiert und liess sich<br />

deren Besonderheiten von IWC-CEO Georges Kern erklären.<br />

Die Entscheidung zum Bau der Ingenieur Automatic Edition AMG<br />

GT fiel vor rund zwei Jahren, wie uns Knoop im Gespräch verrät.<br />

Und das erst, nachdem die Machbarkeit erwiesen und auch<br />

eine Materialeignung vorgenommen worden war. Bio-Kompatibilität<br />

– die Hauteignung wird von Allergologen und Dermatologen<br />

untersucht –, aber auch Verfärbungsverhalten, Abrieb<br />

und UV-Tauglichkeit wollen vorab sichergestellt sein, und das in<br />

einem Temperaturbereich zwischen minus 20 und plus 80 Grad.<br />

Erst dann galt es, die nächste Hürde zu nehmen. Borcarbid ist<br />

nämlich äusserst schwer zu verarbeiten – ganz besonders, wenn<br />

es ein so filigranes Teil wie ein Uhrengehäuse werden soll. «Die<br />

Toleranzen bei uns liegen im Mü-Bereich», erklärt Knoop: «Bei<br />

dieser Herstellung handelt sich um einen Laborprozess, der nicht<br />

industrialisiert ist. Wir mussten mit Fehlern kämpfen und lernen,<br />

um das perfekte Produkt zu erhalten.» Bei diesem aufwendigen<br />

Verfahren hat IWC mit einem externen Spezialisten gearbeitet:<br />

Aus grauem Borcabid-Pulver entsteht zuerst ein «Grünling»;<br />

054 <strong>VECTURA</strong> #15


2007 gibt es ein Revival für die beliebte<br />

Pilot´s Watch – diesmal als Double<br />

Chronograph Ceramic<br />

Zeitgeist: die kantige Da Vinci<br />

Chronograph Circonium Oxide<br />

Titanium Grade 5 Jahrgang 2010<br />

Titan-Pulver verleiht ihrem Gehäuse<br />

die braune Farbe: 2014er Pilot´s Watch<br />

Chronograph Silicon Nitride<br />

dieser Roh-Korpus wird in einem Sinter-Prozess gefräst und anschliessend<br />

bei 2500 Grad Celsius gebacken. Dabei färbt sich<br />

das Material schwarz, gleichzeitig schrumpft es und erreicht<br />

seine endgültige Härte.<br />

Die grösste Herausforderung liegt derweil in der präzisen Weiterverarbeitung:<br />

Für die finale Geometrie wird das Werkstück in<br />

einer programmiert-automatisierten CNC-Maschine mit Diamanten<br />

so lange geschliffen, bis es perfekt ist. Erst dann folgt die<br />

Oberflächenbehandlung, um den gewünscht mattierten Effekt<br />

zu erhalten. Das geschieht nicht etwa durch Sandstrahlen, was<br />

dem Gehäuse gar nichts ausmachen würde. Stattdessen kommen<br />

synthetische Diamanten zum Einsatz – der betriebene Aufwand<br />

ist also enorm. «Und der Ausleseprozess ist sehr streng;<br />

jedes Gehäuse erfordert zigfach viele Rohlinge.» Was auch den<br />

Preis von 24 990 Franken pro Uhr erklärt. Die Kleinstserie mit den<br />

«Solarbeam»-gelben Ziernähten am Kautschukarmband passt<br />

nicht nur perfekt zum AMG GT – auch der Haben-wollen-Effekt<br />

stellt sich augenblicklich ein.<br />

Letzteres liegt nicht nur am Borcarbid, sondern an der Ingenieur-<br />

Serie selbst. Längst gilt die anti-magnetische Uhrenserie als Klassiker<br />

für Kenner und Sammler (<strong>VECTURA</strong> #13), deren optischgrafisches<br />

Grundlayout bis heute beibehalten, aber nie langweilig<br />

geworden ist. Dafür sorgten (und sorgen) die immer wieder<br />

variierte, differenzierte Erscheinung der 1976 von Gérald Genta<br />

Innovative Gehäuse sind für IWC kein<br />

Neuland: Seit 30 Jahren ist man<br />

Pionier im Bereich Keramik und Titan<br />

komplett neu konzipierten Baureihe. Der Designer gilt in der Szene<br />

als Uhren-Gott; die Royal Oak von Audemars-Piguet geht ebenso<br />

auf sein Konto wie die Nautilus von Patek Philippe. Gentas Ingenieur<br />

ist die SL mit Automatikwerk und Stahlarmband; später<br />

folgt ein etwas kleineres Damenmodell mit Satinband. Die erste<br />

Karbon-Ingenieur kommt 2013 und wiegt 120 Gramm; mit der<br />

Ingenieur Automatic Edition AMG GT haben die Experten aus<br />

Schaffhausen jetzt das nächste Highlight gesetzt. Wie könnte<br />

man die jetzt noch leichter machen, Herr Knoop? «Das ginge<br />

nur über andere Komponenten – das Werk, das Glas – oder einen<br />

kleineren Durchmesser. Denn die Schliesse besteht bereits<br />

aus Titan.»<br />

Dann kommt Karl Wendlinger vorbei und bittet zum Tanz – eine<br />

Runde Goodwood im Mercedes AMG GT. Ich verabschiede<br />

mich, ziehe den Helm auf und bitte um zügiges Tempo. Wenn<br />

Auto- und Uhrenhersteller gemeinsame Sache machen, müssen<br />

eben viele Faktoren zusammenpassen.<br />

SOMMER 2015 055


SWISS MADE<br />

Uhren- und Autoliebhaber unter sich (v.l.n.r.): Pink-Floyd-Drummer Nick Mason, Charles Henry Gordon-Lennox, der Earl of March and Kinara,<br />

daneben IWC-Chef Georges A. Kern und «Mr. Bean» Rowan Atkinson<br />

«POSITIV AUFGEFALLEN»<br />

RENNPROFI KARL WENDLINGER<br />

SPRICHT ÜBER DEN JOB –<br />

UND SEINE LIEBE ZU IWC<br />

Fragen map<br />

Herr Wendlinger, Sie haben seit Frühjahr 2012 einen AMG-<br />

Vertrag …<br />

Ich bin Markenbotschafter, Instruktor beim Fahrsicherheits-<br />

Training und automatisch durch meine Tätigkeit im Unternehmen<br />

für Mercedes auch bei der einen oder anderen Klassik-<br />

Veranstaltung dabei.<br />

Ein Traumjob …<br />

Ja, Traumjob. Denn nebenbei kann ich auch ein paar Autorennen<br />

fahren mit dem SLS GT3. AMG hat selbst kein Werkteam, aber<br />

es gibt genug Kundenautos, die eingesetzt werden, also gibt es<br />

hin und wieder was zum Fahren. So kann ich meine langjährige<br />

Motorsport-Erfahrung bei AMG weiter einsetzen.<br />

Klingt nach einem bewegten Leben, mit vielen Reisen fern der<br />

Heimat.<br />

Das schon. Aber wenn ich wieder zuhause bin, habe ich auch Zeit<br />

für die Familie.<br />

Wie oft stehen Sie noch am Start?<br />

Unterschiedlich. Letztes Jahr habe ich an drei Läufen teil genommen.<br />

Das sind dann Demonstrations-Einsätze, oder? Um an einer<br />

Meisterschaft teilzunehmen, müssten Sie ja mindestens sechs,<br />

acht Rennen bestreiten …<br />

Genau, eine ganze Meisterschaft ist es eben nicht, das liegt<br />

zeitlich nicht drin. 2014 war es ein Team aus Tirol mit einem gebrauchten<br />

Auto und man hat mich gefragt, ob ich ein paar Mal<br />

dabei bin. Eigentlich wollten wir öfter fahren, aber wie es halt<br />

immer so ist, war es auch eine Budget-Frage.<br />

Mit welchem Wagen?<br />

Aus Exklusivitätsgründen ist der AMG GT3 das einzige Auto, das<br />

ich als Botschafter fahren kann. Aber das passt (grinst).<br />

Und wann fahren Sie mit dem Mercedes AMG GT3?<br />

Der wird derzeit noch entwickelt und 2016 zum Einsatz kommen.<br />

Sind Sie bei den Abstimmungsfahrten dabei?<br />

Mal schauen, wie ich da dabei bin, ob ich überhaupt dabei bin.<br />

Wie viele AMG-Botschafter gibt es?<br />

Einmal den Bernd Schneider und dann Mika Häkkinen, der allerdings<br />

nicht mehr viele Rennen bestreitet. Als Botschafter kommt<br />

man eh nur noch selten dazu; Mika fährt das eine oder andere<br />

Rennen in Asien. Dann gibt’s den David Coulthard, den Ex-DTM-<br />

Piloten Maro Engel und mich, also fünf insgesamt.<br />

Jetzt also die Kooperation mit IWC – was sagt Ihnen das?<br />

Ich habe mich immer schon für Uhren interessiert und sie mir<br />

gerne angeschaut – auch wenn ich sie mir zum Teil nicht leisten<br />

konnte. Und IWC ist eine Marke, die mir immer wieder positiv<br />

aufgefallen ist.<br />

Dann stimmt das also für Sie.<br />

Ich glaube schon, dass die Kombination sehr gut funktioniert.<br />

IWC ist ja allein schon beim Uhrendesign sehr kreativ, AMG<br />

beim Auto-Styling. AMG ist auch technisch sehr hochwertig und<br />

ich denke, bei IWC ist es ebenso. Das sind zwei Partner, die gut<br />

zueinander passen.<br />

IWC-Uhren sind langlebige Produkte, die gleichzeitig auf neue<br />

Technologien setzen – so wie jetzt mit einer besonders harten<br />

056 <strong>VECTURA</strong> #15


Neben dem Festival of Speed und dem Revival hat sich das Members Meeting in kürzester Zeit<br />

als dritte hochoktanige Goodwood-Veranstaltung etablieren können<br />

Keramik. Was tut AMG, um vorne zu bleiben? Porsche und<br />

Ferrari rüsten ja derzeit ihre Saugmotoren mit Turbos aus und<br />

reduzieren den Hubraum …<br />

Das tut AMG auch; der GT hat einen Vierliter-Turbo gegenüber<br />

dem alten 6,2-L-Sauger des SLS. Klar, das Thema Hybrid ist in<br />

der Formel 1 bereits allgegenwärtig; bei AMG gab es bereits den<br />

in Kleinserie gebauten SLS Electric Drive. Allgemein geht es ja<br />

darum, bei sinkendem Verbrauch mindestens die gleiche Leistung<br />

zu generieren – und Turbomotoren sind sicher effizienter<br />

als Sauger.<br />

Erleben Sie bei Ihren Einsätzen, ob sich das AMG-Kundenprofil<br />

geändert hat – sind es heute mehr Käufer aus arabischen oder<br />

asiatischen Ländern?<br />

Ich glaube, es gibt noch genauso viele europäische Fans wie<br />

früher, aber klar: Das Interesse in Asien und anderen Ländern<br />

wächst. AMG verkauft ja auch weltweit.<br />

Karl Wendlinger (46) wuchs im österreichischen Kufstein auf und begann seine<br />

Rennsportkarriere 1983 im Kart. Schon 1984 wurde er deutscher und dann 1986<br />

österreichischer Meister; 1987 dominierte er in seinem Heimatland auch die Formel<br />

Ford und 1988 schon die Formel 3. Spätestens als deutscher F3-Champion<br />

1989 war klar, dass Wendlinger zu den Allerschnellsten gehörte: Er startete erstmals<br />

in der DTM, gehörte fortan (gemeinsam mit Jochen Mass, Fritz Kreutzpointner,<br />

Michael Schumacher und Heinz-Harald Frentzen) zum Sportwagen-Kader<br />

von Mercedes-Benz und lenkte seinen Sauber-Mercedes C11 im Rahmen der<br />

FIA WSPC in Spa auf Platz 1. Der erste Le-Mans-Einsatz (Platz 5) folgte 1991; im<br />

selben Jahr stieg Wendlinger mit Leyton House / Ilmor in die Formel 1 ein. Nach<br />

vielversprechenden Platzierungen wechselte er 1992 zu March-Ilmor und 1993<br />

zu Sauber-Mercedes, doch ein schwerer Unfall in Monaco machte alle Ambitionen<br />

zunichte. Aber auch ohne die F1 war Wendlinger weiterhin schnell unterwegs<br />

– 1996 mit Audi im STW-Cup und 1997 in der italienischen Tourenwagenmeisterschaft.<br />

Anschliessend fuhr er in der FIA-GT die Chrysler Viper GTS-R für<br />

das französische Oreca-Team, holte dort 1999 den Titel und stieg im Folgejahr<br />

auf die amerikanische Rennserie ALMS um. Gemeinsam mit Olivier Baretta<br />

siegte Wendlinger in der GTS-Kategorie und gewann die 24 Stunden von Daytona.<br />

Die V8 Star (Zakspeed) sowie Langstreckeneinsätze auf Ferrari, Maserati<br />

oder Aston Martin waren weitere Stationen einer bemerkenswerten Laufbahn.<br />

Nach einem zweiten Platz in der FIA-GT-Fahrer-Meisterschaft 2007 unterschrieb<br />

der Tiroler für die FIA-GT1-Weltmeisterschaft 2010 beim Swiss Racing Team,<br />

doch diese Allianz war wegen Unfällen und technischen Problemen des Nissan<br />

GT-R GT1 nicht von Erfolg gekrönt. Auch der Umstieg auf einen Lamborghini<br />

Murciélago LP670 R-SV unter Teamchef Othmar Welti brachte 2011 keine Besserung.<br />

Dafür startete Wendlinger mit dem Mercedes-Benz SLS AMG GT3 ab 2012<br />

noch einmal durch; das beste Ergebnis war ein dritter Platz in der GTS-Kategorie<br />

beim Saisonfinale der International GT Open in Barcelona. 2013 standen vorwiegend<br />

Teilnahmen bei historischen Veranstaltungen auf dem Terminkalender;<br />

allein die 24 Stunden von Spa bestritt Wendlinger in der Profi-Klasse für das britische<br />

Fortec-Team. Nachdem technische Defekte den Mercedes SLS GT3 weit<br />

zurückgeworfen hatten, brachten er und seine Kollegen Alex Brundle und Oli<br />

Webb den Wagen noch auf einen 13. Klassenrang (Gesamtplatz 31). Wendlinger<br />

ist verheiratet und hat zwei Kinder.<br />

SOMMER 2015 057


SWISS MADE


DER NEUE JAGUAR XE<br />

AB CHF 40’800.—<br />

ENTDECKEN SIE DIE KRAFT DER INNOVATION.<br />

Noch nie war ein JAGUAR so kompakt und gleichzeitig so aufregend. Der XE setzt neue Standards in<br />

der Premium-Mittelklasse und definiert diese gleich neu: Dank zukunftsweisender Aluminium-Architektur<br />

und innovativen Ingenium-Motoren glänzt der neue JAGUAR XE mit Verbrauchswerten ab 3.8 l/100 km<br />

und 99 g CO 2 /km und begeistert gleichzeitig mit der Dynamik einer echten Sportlimousine.<br />

Entdecken Sie den revolutionären JAGUAR XE auf einer Testfahrt bei Ihrem JAGUAR-Fachmann.<br />

JAGUAR.CH<br />

JAGUAR XE E-Performance, 4-Türer, man., 2WD, 163 PS/120 kW. Swiss Deal Preis CHF 40’800.–, Gesamtverbrauch 3.8 l/100 km (Benzinäquivalent<br />

4.3 l/100 km), Ø CO 2-Emissionen 99 g/km. Energieeffizienz-Kategorie A. Abgebildetes Modell: JAGUAR XE S, 4-Türer, auto., 2WD, 340 PS/250 kW.<br />

Swiss Deal Preis CHF 62’200.–, Gesamtverbrauch 8.1 l/100 km, Ø CO 2-Emissionen 194 g/km. Energieeffizienz-Kategorie G, Ø CO 2-Emissionen aller in<br />

der Schweiz angebotenen Fahrzeuge 144 g/km.


V.I.P. PARKING<br />

Fotos map<br />

Wenn es dieses Jahr wieder Zehntausende auf die südenglischen<br />

Ländereien des Earl of March and Kinrara zieht,<br />

um das Festival of Speed oder das Goodwood Revival zu<br />

besuchen, reisen die meisten mit modernem Gerät an. Der<br />

harte Kern jedoch pflegt in historischen Fahrzeugen zu<br />

erscheinen, die natürlich auf einem separaten Feld nahe<br />

dem Eingang abgestellt werden dürfen. Diesen Acker zu<br />

besichtigen, ist genauso amüsant wie der jeweilige Event<br />

selbst, denn das voll funktionstüchtige Freilichtmuseum<br />

eint Automobile aller Epochen. Neben den «usual suspects»<br />

vom Schlage eines Jaguar E-Type, MG B oder Mini<br />

faszinieren die weniger bekannten, skurrilen, besonders<br />

seltenen oder modifizierten Modelle. Begleiten Sie uns<br />

auf einen Rundgang, der zur Nachahmung empfohlen wird<br />

060 <strong>VECTURA</strong> #15


ABGEFAHREN<br />

SOMMER 2015 061


062 <strong>VECTURA</strong> #15<br />

ABGEFAHREN


RUBRIKEN


064 <strong>VECTURA</strong> #15<br />

ABGEFAHREN


SOMMER 2015 065


066 <strong>VECTURA</strong> #15


ABGEFAHREN<br />

SOMMER 2015 067


068 <strong>VECTURA</strong> #15<br />

ABGEFAHREN


ICONIC HOTELS IN ICONIC PLACES<br />

Captured on iPhone<br />

FAR FROM THE<br />

MADDING CROWD<br />

A SWISH OF DOORS. AN AIR OF TRADITION.<br />

A GRAND PROMENADE. THE TINKLE OF TEACUPS.<br />

THE TALK OF THE TOWN.<br />

THE DORCHESTER.<br />

LONDON I +44 20 7629 8888 I DORCHESTERCOLLECTION.COM


RUBRIKEN<br />

MIT ALLEN WASSERN GEWASCHEN<br />

ENDE 2015 GEHT EIN ÜBER 67-JÄHRIGES STÜCK AUTOMOBILGESCHICHTE IN<br />

DEN VERDIENTEN RUHESTAND. ES IST ALSO AN DER ZEIT, DEM BRITISCHEN<br />

GELÄNDEWAGEN – SEIT 1990 HÖRT ER AUF DIE BEZEICHNUNG DEFENDER –<br />

ENDGÜLTIG ADIEU ZU SAGEN, GETREU DEM MOTTO: «IT’S NEVER OVER IN<br />

A LAND ROVER»<br />

Text Matthias Pfannmüller · Fotos Ian G.C. White, map, Werk<br />

Die hier erzählte automobile Ausnahme-Erfolgsstory beginnt<br />

mit Reifenspuren im Sand – links von Colwyn, oberhalb<br />

der Lleyn Peninsula und im äussersten Nordwesten von<br />

Wales. Dort liegt Anglesey, die grösste Insel vor Englands Küsten.<br />

Die Bewohner des kargen und schroffen Eilandes in der Irischen<br />

See hören es nicht gern, wenn man sie Briten nennt. Sie sind Waliser.<br />

Davon zeugt nicht zuletzt ihre eigentümliche Sprache, in der<br />

sich schon die Kelten unterhielten und die so fremd und unaussprechlich<br />

erscheint, dass kaum jemand freiwillig den Versuch<br />

unternehmen wird, sie sich anzueignen, wenn er sie nicht schon<br />

mit der Muttermilch in sich aufgenommen hat. Wer sonst könnte<br />

den Namen des grössten Bahnhofes Llanfáirpwllgwyngyllgogerychwyrndrobwllllantysiliogogogoch<br />

verstehen, der in röchelndfauchender<br />

Betonung und atemberaubender Geschwindigkeit<br />

wie Llan-vire-pooll-guin-gill-go-ger-u-queerndrob-ooll-llandus-ilio-<br />

gogo-goch ausgesprochen wird? Der Zungenbrecher erzählt<br />

übrigens die mystische Geschichte einer Kirche, die sich im Tal<br />

nahe einer roten Höhle befindet.<br />

Diesem eher abschreckenden Beispiel folgend, geben nur wenige<br />

Orts- und Strassenschilder auch in englischer Sprache Auskunft.<br />

Fast scheint es, als wollten die Leute von Anglesey unter<br />

sich bleiben, von Fremden nichts wissen. Tatsächlich hat sich<br />

schon mancher Besucher auf dem Weg zum Fährhafen Holyhead<br />

hoffnungslos verfahren. Doch der erste Eindruck täuscht:<br />

Gastfreundlich, aufgeschlossen und hilfsbereit sind sie, die Insulaner.<br />

Und sie sprechen Englisch, zumindest eine Art Englisch.<br />

Richtig flüssig wird die Konversation in einem der gemütlichen<br />

Pubs, wenn zu kühlem Lager und frischem Fisch traditionelle<br />

Musik gespielt wird.<br />

070 <strong>VECTURA</strong> #15


MODELLWECHSEL<br />

Doch Anglesey hat mehr zu bieten. Hünengräber aus der Steinzeit<br />

zeugen von der langen Zivilisationsgeschichte der «Mutter<br />

Wales», wie die Insel auch genannt wird. Im Mittelalter war sie die<br />

Korn kammer des Landes. Jahrhunderte später entdeckte man<br />

hier Edelmetall, und während der Industriellen Revolution entwickelten<br />

sich die im Norden gelegenen Parys-Berge zur grössten<br />

Kupfermine der Welt. Neben den historischen Sehenswürdigkeiten<br />

existiert auf Anglesey auch eine reichhaltige Pflanzen- und<br />

Tierwelt, manche Arten gedeihen nirgendwo sonst. Hier ist die<br />

Welt noch in Ordnung, die Luft rein und sie riecht nach Salz. Entsprechend<br />

stolz sind die Insulaner auf ihre intakte Natur. Saubere<br />

Buchten mit kilometerlangen Stränden laden zum Baden ein und<br />

machen Anglesey zu einem Urlaubs paradies für englische Familien.<br />

Es geschieht an einem sonnigen Herbsttag 1947, in der Red Wharf<br />

Bay bei Benllech im Nordosten der Insel. Am Ende des schmalen<br />

Feldwegs, der von der Hauptstrasse zu dem breiten Sandstrand<br />

hinunterführt, parken mehrere Austin, Vauxhall und Riley. Auch einige<br />

Rover stehen dabei. Es sind Autos aus den 1930er-Jahren,<br />

mit langen Motorhauben, geschwungenen Kotflügeln und freistehenden<br />

Scheinwerfern. Über zwei Jahre ist es her, dass die Alliierten<br />

den Zweiten Weltkrieg gewonnen haben. Doch die britische<br />

Wirtschaft ist schwer getroffen und erholt sich nur mühsam. Auch<br />

Englands Automobilindustrie ist kaum in der Lage, neue Modelle<br />

zu präsentieren. Fehlende Kapazitäten und Rohstoffmangel zwingen<br />

die Hersteller, auf Vorkriegskonstruktionen zurückzugreifen.<br />

Vom allgegenwärtigen Mangel und den Sorgen des Alltags ist<br />

an diesem Nachmittag jedoch nicht viel zu spüren. Die friedliche<br />

Ruhe wird nur vom Johlen der Kinder unterbrochen: Sie<br />

toben vergnügt durch das Wasser, auf dem Sonnenstrahlen tanzen.<br />

Ein wenig abseits entspannen sich die Erwachsenen, essen<br />

Sandwiches mit Hühnchen oder Mayonnaise, lesen die «Times»<br />

und schauen ab und zu aufs Meer hinaus.<br />

Keiner ahnt, was nur wenige hundert Meter entfernt passiert,<br />

als sich unter das Tuckern des Fischerbootes, das langsam den<br />

Horizont entlang gleitet, ein weiteres Motorengeräusch mischt.<br />

Es stammt von einem Auto, das den Feldweg herunter an den<br />

Strand gefahren kommt und auf dem Parkplatz ausrollt. Nach<br />

kurzem Stopp setzt es sich wieder in Bewegung und fährt ohne<br />

Umwege durch den weichen Sand direkt aufs Meer zu. Der<br />

offene Wagen ohne Türen ist ein Geländewagen, kein Zweifel.<br />

Und beinahe sieht er aus wie einer dieser amerikanischen Jeeps.<br />

Mit hoher Drehzahl wühlt sich das ulkige Fahrzeug durch den<br />

losen Boden, macht kehrt und beginnt das Spiel von vorn.<br />

Wieder und wieder zieht das Auto seine Bahnen, hinterlässt<br />

Kreise und Furchen im nassen Sand. Nach einer Weile dreht es<br />

ab und verschwindet über die Felsen, über den Feldweg, fährt<br />

zurück auf die Strasse.<br />

Jahrzehnte später wird man auf Anglesey behaupten, die Spuren<br />

des ersten Land Rover am Strand der Red Wharf Bay seien noch<br />

immer zu sehen. Man müsse sie nur gut suchen …<br />

Jetzt wird’s schmutzig:<br />

In knietiefem Morast erweisen wir<br />

dem Methusalem die letzte Ehre<br />

Familienbande: links der erste Land Rover Serie I (80 Inch, 1948), rechts daneben der letzte klassische Defender (93 Inch, Jahrgang 2015)<br />

SOMMER 2015 071


072 <strong>VECTURA</strong> #15


MODELLWECHSEL<br />

Es war die 1896 gegründete britische Automarke Rover, die den<br />

Land-Rover erfand und Ende April 1948 auf der Amsterdam Motor<br />

Show präsentierte: Der Geländewagen – als Vorbild diente der<br />

US-amerikanische Jeep – war in aller Eile entwickelt worden und<br />

für Genf hatte die Zeit nicht mehr gereicht. Die Ursache des forcierten<br />

Handelns war in leeren Montagehallen und der Rohstoffknappheit<br />

nach dem Zweiten Weltkrieg zu suchen: Rover<br />

brauchte dringend ein Übergangsmodell, das einfach konstruiert<br />

und ebenso leicht herzustellen war. Dank Aluminium-Karosserie<br />

konnte sogar auf teuren Stahl verzichtet werden.<br />

Mit einigem Bangen erwarteten die Rover-Verantwortlichen, unter<br />

ihnen auch der technische Direktor und Initiator Maurice<br />

Wilks, die Reaktionen des Publikums. Doch die Sorgen waren<br />

völlig unbegründet: Der Land-Rover – diese Projektbezeichnung<br />

hatte man beibehalten – war genau jene Art Fahrzeug, die nach<br />

dem Weltkrieg in der Landwirtschaft benötigt wurde. Und bei<br />

einem fairen Basispreis von 450 Pfund griffen Kunden gerne<br />

zu. 1948 noch in homöopathischen Dosen von knapp 1800 Einheiten<br />

herstellt, waren es 1950 bereits 16 795 und sollten 1955<br />

Knapp 70 Jahre nach seinem ersten<br />

Ausflug kehrte der Land Rover 2015 zur<br />

Red Wharf Bay auf Anglesey zurück<br />

fast doppelt so viele sein – Tendenz steigend. Da hatten japanische<br />

Anbieter bereits ihre Konkurrenten in Stellung gebracht –<br />

den Nissan Patrol gibt es seit 1951 und Toyota zog kurz darauf<br />

mit einem Offroader nach, der ab 1954 Land Cruiser genannt<br />

wurde. Den Land Rover (seit 1980 schreibt man ihn ohne Bindestrich)<br />

störte das wenig: 1976 wurde er zum Millionär; inzwischen<br />

sind über zwei Millionen Exemplare verkauft worden –<br />

25 000 von ihnen in der Schweiz.<br />

Es gibt heute kein Automobil, das auf eine so lange Bauzeit und<br />

Modellpflege zurückblicken kann wie der klassische Land Rover.<br />

Wurde die erste Serie anfänglich noch von einem 1,6-L-Vierzylinder<br />

mit 50 PS angetrieben, brachte ein Zweiliter ab 1952 mehr<br />

Drehmoment. Bereits zwei Jahre zuvor bot man ein Hardtop<br />

an, war der permanente Allradantrieb (mit Freilaufnaben vorne)<br />

einem System mit zuschaltbaren Vorderrädern gewichen. 1954<br />

wuchs der Radstand von 80 auf 86 Inch und es gab eine zweite<br />

Version, den 107, als Pick-up oder fünftürigen Station Wagon.<br />

1957 brachte den ersten Diesel und die nächste Verlängerung auf<br />

88 bzw. 109 Inch. Die vier Zentimeter breitere Serie II mit neuem<br />

Cockpit erschien 1958; seither trägt die Baureihe ihre charakteristische<br />

Sicke unterhalb der Seitenfenster. Rover exportierte zu<br />

diesem Zeitpunkt bereits 70 Prozent der Produktion in 150 Länder<br />

– aus dem Lückenbüsser war inzwischen das profitabelste<br />

Modell des Unternehmens geworden – und ein willkommener<br />

Devisenbringer für das angeschlagene Königreich.<br />

Ursprünglich für zivile Einsatzzwecke konzipiert, kam der Landy<br />

ab 1949 dann auch beim Militär zum Einsatz. 1956 wurde er<br />

gar zum Standardfahrzeug der britischen Armee befördert,<br />

1960 geschah das Gleiche in der Schweiz. Viele Organisationen<br />

wie die UN oder das IRC setzten ebenfalls auf den robusten<br />

Allradler, dessen Ruf, überall hinzukommen, schon früh von den<br />

Oxford-Cambridge-Expeditionen (siehe <strong>VECTURA</strong> #1) gefestigt<br />

wurde. Unzählige Sonderversionen wie Panzer-, Schwimmund<br />

Krankenwagen entstanden, 1962 ergänzte der Frontlenker FC<br />

(Forward Control) das Angebot, 1965 folgte ein auf 1200 Kilo<br />

Leergewicht abgespeckter Lightweight.<br />

Die Serie IIA brachte 1961 weiteren Schub und die jährlichen<br />

Absatzzahlen stiegen auf über 50 000 Fahrzeuge; ab 1967 gab es<br />

zudem einen Sechszylinder-Benziner und ein Jahr später in den<br />

Kotflügeln montierte Frontscheinwerfer. Mit der Serie III (1971–85)<br />

hielten weitere Verbesserungen Einzug – neue Armaturen etwa,<br />

stärkere Türbänder oder ein vollsynchronisiertes Getriebe. 1979<br />

war sogar der 3,5-L-V8 des Range Rover verfügbar, wenn auch<br />

nur im längeren 109er und mit vergleichsweise bescheidenen<br />

91 PS. Allein der neue Kunststoffgrill – zuvor hatte es noch ein<br />

BBQ-fähiges Metallgitter gegeben – gefiel damals nicht jedem;<br />

vor allem australische Käufer beklagten sich.<br />

Ab 1983 erfolgte die Umstellung auf die einmal mehr gestreckten<br />

Modelle 90 (tatsächlich sind es 93 Inch) und 110, die zum permanenten<br />

Allradantrieb zurückkehrten – jetzt allerdings mit einem<br />

sperrbaren Mittendifferential. 1986 gesellte sich erstmals der überlange<br />

127 mit Doppelkabine und Pritsche dazu; seit 1990 heisst<br />

er 130. Im gleichen Jahr kamen wieder einmal andere Armaturen<br />

sowie Schrauben- statt Blattfedern – und bald auch aussen<br />

liegende Türgriffe oder als Einheitsmotorisierung ein neuer 2,5-L-<br />

Turbodiesel (einzig in den USA wurde später noch ein V8-Benziner<br />

angeboten). Servolenkung, Fünfganggetriebe oder Klimaanlage<br />

waren erstmals erhältlich. Gleichzeitig avancierte «Land Rover»<br />

zum Markennamen, weil 1989 der Discovery erschienen war; der<br />

kantige Landy heisst seither Defender und die Bezeichnung passt<br />

bestens. Schliesslich überlebte er (gemeinsam mit nur wenigen<br />

anderen Produkten) auch die Wirren der britischen Automobilindustrie,<br />

die in den 1970ern von unfähigen Managern systematisch<br />

vor die Wand gefahren worden war: Ab 1966 gehörte Land<br />

Rover zu British Leyland, 1978 zum Rover-Group-Konglomerat<br />

innerhalb einer Jaguar Rover Triumph Ltd., ab 1994 schliesslich<br />

zu BMW und ab 2000 zu Ford (Premier Automotive Group). Die<br />

Pw-Marke Rover selbst ging 2005 unter; seit 2008 gehört Land<br />

Rover gemeinsam mit Jaguar zur indischen Tata-Gruppe.<br />

Natürlich stellt sich Land Rover inklusive dem Luxuslabel Range<br />

Rover nach inzwischen sechs Millionen hergestellten Einheiten<br />

aus insgesamt sechs Baureihen ganz anders dar als 1948, doch<br />

den Defender gibt es immer noch. Um den Bedarf zu decken,<br />

ist er zeitweilig auch in Deutschland, Belgien, Spanien, Brasilien<br />

oder Südafrika oder dem Iran (in order of appearance) hunderttausendfach<br />

in Lizenz produziert worden. Doch worin liegt das<br />

Erfolgsgeheimnis eines frugalen Fahrzeugs, das zwar im Gelände<br />

grossartig, aber auf der Strasse höchstens mittelmässig ist? Was<br />

macht die Faszination eines Offroaders aus, dessen Design, nun<br />

ja, sehr funktional ausgefallen ist? (Andere sagen ja, es wäre<br />

gar kein Design vorhanden …) Und wie ist die Liebe von Landy-<br />

Besitzern zu erklären, die ihrem Geländewagen trotz bescheidener<br />

Fahrleistungen und allseits bekannter Schwächen bedingungslos<br />

die Treue halten?<br />

Die Antwort findet sich in den Fragen. Denn anders als alles andere,<br />

was heute vier Räder hat, war der Ur-Land-Rover niemals<br />

versucht, sich neu zu erfinden oder gar modischen Strömungen<br />

SOMMER 2015 073


Modell-Episode: Der von 1949–51 gebaute Station Wagon mit Tickford-Aufbau entstand nur wenige hundert Mal<br />

Es gibt heute kaum ein Land,<br />

in dem dieser Geländewagen noch<br />

keine Reifenspuren hinterlassen hat<br />

Ob als Busch-Patrouille oder mit Bernhard Grzimek: Auch in Afrika machte der Land Rover schnell Karriere<br />

074 <strong>VECTURA</strong> #15


MODELLWECHSEL<br />

Mehr als 1,95 Millionen sollten folgen: 1951 rollte das 50 000ste Exemplar aus der Fertigung im Werk Solihull<br />

Defender-Lifestyle: Die Studie DC100 fiel als Nachfolger durch, das bunte 90er-Sondermodell von Mode-Zar Paul Smith bleibt ein Einzelstück<br />

SOMMER 2015 075


076 <strong>VECTURA</strong> #15<br />

Dieser Geländewagen ist kein Pw,<br />

sondern ein Truck. Und genau so will er<br />

auch angefasst und gefahren werden


MODELLWECHSEL<br />

zu unterwerfen. Er ist ein klassenloses Fahrzeug, das von der<br />

Queen ebenso benutzt wird wie von Bauarbeitern, Entwicklungshelfern,<br />

New Yorker Börsianern oder Schauspielern. Unschlagbar<br />

sind auch sieben Karosserievarianten ab Werk, von<br />

denen der 110 Station Wagon die beliebteste ist. Sicher, man hat<br />

die Baureihe wie erwähnt immer weiterentwickelt – 1998 mit dem<br />

Td5-Motor und dann noch einmal umfassend 2007, um sie zulassungsfähig<br />

zu halten. Im TDCi gibt es seither sauberere Dieselmotoren<br />

aus dem Ford Transit plus neuer Motorhaube, Sechsganggetriebe,<br />

Stahltüren, Fondsitzen mit Kopfstützen (alle in<br />

Fahrtrichtung, also sind maximal sieben Personen an Bord und<br />

nicht mehr neun) sowie eine nennenswerte Heizung und hoch<br />

aufragende Cockpitlandschaft. Die Frischluftklappen unterhalb<br />

der Windschutzscheibe sind seitdem Geschichte; Airbags und<br />

ESP glänzen ohnehin durch Abwesenheit.<br />

Längst ist das konstruktive Grundkonzept auf Kollisionskurs<br />

gegangen mit kommenden Abgas- und Crashnormen. Kosmetische<br />

Massnahmen helfen nicht mehr weiter, und deswegen<br />

muss der Defender, der Verteidiger der digitalfreien Mobilität,<br />

Ende Jahr sterben. Er tut das mit aufrechtem Kühlergrill, und<br />

wer jetzt interessiert ist an einem der drei offiziellen Abschieds-<br />

Sondermodelle Heritage, Adventure und Autobiography, dem<br />

sei gesagt: so gut wie vergriffen, trotz traditionell fehlender<br />

Rostvorsorge.<br />

Echte Fans gönnen ihrem Landy ohnehin eine Hohlraum- und Unterbodenversiegelung;<br />

nicht wenige investieren hohe Summen<br />

in Zubehör und in der Szene empfohlene Verbesserungen, die von<br />

einer bestens organisierten Aftersales-Industrie seit Jahrzehnten<br />

angeboten werden. Allein in England gibt es jeden Monat<br />

SOMMER 2015 077


MODELLWECHSEL<br />

Taschen aus robustem Leder oder eine<br />

griffgünstig platzierte Lampe: Der «Legend»<br />

ist bereits heute ein Sammlerstück<br />

078 <strong>VECTURA</strong> #15


TECHNISCHE DATEN<br />

LAND ROVER DEFENDER 110<br />

Konzept Waschechter Geländewagen mit Stahlkastenrahmen und<br />

Starrachsen / Längslenkern, Aluminiumkarosserie, 5 Türen, 5 / 7 Sitzplätze.<br />

Kugelumlauflenkung mit Servo, Scheibenbremsen rundum (v. belüftet),<br />

permanenter Allradantrieb, Untersetzung, sperrbares Mittendifferential<br />

Motor Turbodiesel-CR-Direkteinspritzer (2.2 Td4) v. längs verbaut, 4 Ventile<br />

/ Zyl., 2 oben lieg. Nockenwellen (Kette), Turbolader (VNG); Intercooler<br />

Hubraum in cm 3 2198<br />

Bohrung x Hub in mm 86 x 94,6<br />

Verdichtung 15,5:1<br />

Leistung in PS (kW) @ U / min 122 (90) @ 3500<br />

Max. Drehmoment in Nm @ U / min 360 @ 2000<br />

Kraftübertragung<br />

M6<br />

Abmessungen (L/ B / H) in cm 478,5 / 179 / 218<br />

Radstand in cm 279,5<br />

Spur vorne / hinten in cm 148,5<br />

Reifen und Räder 235 / 85 R16 auf 5,5J<br />

Tankinhalt in L 75<br />

Kofferraum (L/ B / H) in cm 190 / 92,5 / 105<br />

Leergewicht (ohne Fahrer) in kg 1970<br />

Zulässiges Gesamtgewicht in kg 3050<br />

Leistungsgewicht in kg / PS 16,1<br />

0 – 100 km / h in Sek. 17,0<br />

Höchstgeschwindigkeit in km / h 145<br />

Durchschnittsverbrauch* in L / 100 km 9,7<br />

CO 2 -Emission in g / km 295<br />

Energieeffizienzkategorie<br />

– (Nutzfahrzeug)<br />

Preis ab CHF 45 900.–<br />

* gemessen nach NEFZ: Neuer Europäischer Fahrzyklus<br />

SOMMER 2015 079


MODELLWECHSEL<br />

Der 110 SW (Station Wagon) ist die<br />

bis heute beliebteste von neun<br />

verschiedenen Karosserievarianten<br />

mehrere Magazine zum Thema, treffen sich Landyianer regelmässig<br />

zu volksfestartigen Geländefahrten oder Teilebörsen. Auch<br />

als Trailsportwagen macht der Defender eine gute Figur; er unterhält<br />

sogar eine eigene Rennserie (www.bowlermotorsport.com).<br />

Was die Landy-Welt etwas tröstet, ist die Tatsache, dass das im<br />

Herbst 2011 als Nachfolger präsentierte Defender Concept 100<br />

nicht in Serie gehen wird: Es war vielen doch zu weichgespült<br />

geraten, und deshalb arbeitet man aktuell an einer kernigeren<br />

Variante, die 2019 kommen soll. Es gibt also eine zeitliche Lücke<br />

zwischen dem noch aktuellen und nächsten Defender, und vielleicht<br />

ist das ganz gut so.<br />

Um den lange hinausgezögerten, unvermeidbar gewordenen<br />

Abschied gebührend zu würdigen, ist man kürzlich an den Ort<br />

der Entstehung zurückgekehrt: Am Strand der Red Wharf Bay<br />

furchten fünf Landy-Generationen eindrucksvoll ihre eigene<br />

Silhouette ins Watt, welche vom Helikopter aus fotografiert wurde,<br />

bevor die Flut sie wieder wegspülte. Die logistisch anspruchsvolle,<br />

spektakuläre Aktion war gleichzeitig ein Sinnbild für die<br />

Vergänglichkeit alles Materiellen und barg die passende Portion<br />

Wehmut, um schnell nochmal ein Tränchen zu vergiessen.<br />

Wir haben uns kürzlich einen gebrauchten 110er Jahrgang 2006<br />

gekauft, bevor die Occasionspreise unverschämt werden. Und<br />

für die ganz persönliche Memorial-Fahrt zur Schneegrenze<br />

eine Schweiz-exklusive, auf 100 Exemplare limitierte Sonderserie<br />

«Legend» ausgeliehen, die mit speziellen Ausstattungsdetails<br />

aufwartet und – Sie ahnen es schon – bereits ausverkauft<br />

ist. Normale, immer noch weitgehend in Handarbeit produzierte<br />

Neu-Defender fahren sich aber ebenso legendär, und<br />

allen Landy-Novizen sei gesagt: Dieser Geländewagen ist kein<br />

Pw! Sondern ein Truck, und genau so will er auch angefasst<br />

werden. Wer das verinnerlicht, hat alle Hände voll zu tun, erfährt<br />

aber auch unverfälschte, unmittelbare Fortbewegung, die sich<br />

nicht über Geschwindigkeit definiert. Und er verspürt das gute<br />

Gefühl, überall ankommen zu können. Leb wohl alter Freund, wir<br />

sehen uns wieder! Irgendwo.<br />

080 <strong>VECTURA</strong> #15


Porsche<br />

Porsche<br />

empfiehlt<br />

empfiehlt<br />

und<br />

und<br />

Wenn die Welt eine Bühne ist,<br />

ist das hier Stage Diving.<br />

Der neue Boxster Spyder.<br />

Leichter. Stärker. Radikaler. Der neue Boxster Spyder treibt die Idee des Roadsters<br />

auf den Gipfel. Mit der geballten Mittelmotorperformance aus 3,8 Litern Hubraum:<br />

276 kW (375 PS). Und mit einem puristischen Verdeck, das trotz seiner Alltagstauglichkeit<br />

vor allem auf ein niedriges Leistungsgewicht einzahlt. Die Kurvenjagd kann<br />

beginnen. Mehr unter www.porsche.de/BoxsterSpyder<br />

Kraftstoffverbrauch (in l/100 km) innerorts 14,2 · außerorts 7,5 · kombiniert 9,9; CO 2<br />

-Emissionen 230 g/km<br />

CO 2<br />

-Mittelwert aller in der Schweiz angebotenen Fahrzeugmodelle: 144 g/km · Energieeffizienz-Kategorie: G


RASCHELN IM UNTERHOLZ<br />

NACH DEM SX4 S-CROSS HAT SUZUKI KÜRZLICH DEN<br />

KOMPLETT NEUEN VITARA LANCIERT. UND DER MACHT<br />

FAST ALLES RICHTIG<br />

Text Axel F. Busse, hh · Fotos Ian G.C. White, map<br />

082 <strong>VECTURA</strong> #15


FAHRTERMIN<br />

SOMMER 2015 083


FAHRTERMIN<br />

Seit den Tagen des legendären «Eljot» hat sich Suzuki<br />

zwar nicht durch weitere Allrad-Innovationen hervorgetan<br />

(siehe <strong>VECTURA</strong> #4). Aber die Japaner haben es stets<br />

verstanden, Publikumswünsche geschmackssicher zu erkennen<br />

und für sich zu nutzen. Und weil der SUV-Boom inzwischen<br />

quer durch alle Fahrzeugklassen und -grössen reicht, bringen<br />

die Japaner jetzt nach dem bereits sehr beliebten SX4 S-Cross<br />

ein zweites Auto, das dem kompakten Allrad-Sektor zuzurechnen<br />

ist und die gleiche Plattform nutzt. Der Name ist vertraut, die<br />

Form komplett neu: Der erste Fahreindruck im Vitara stimmt zuversichtlich<br />

– wächst hier vielleicht ein neuer Bestseller heran, der<br />

sogar das beliebteste Suzuki-Modell Swift überflügeln könnte?<br />

Der Modellname Vitara wurde erstmals 1988 verwendet. Das als<br />

Drei- und Fünftürer mit festem oder klappbarem Dach verfügbare<br />

Auto wollten seitdem mehr als 2,8 Millionen Kunden weltweit<br />

haben. Mit solch gewaltigen Zahlen wird beim neuen Modell noch<br />

nicht operiert, aber 70 000 könnten es im ersten Jahr auf dem<br />

europäischen Markt schon sein. In der Schweiz rechnet der<br />

Importeur bis Ende 2015 noch mit 2000 Einheiten; 2016 sollen<br />

es dann 2600 werden. Zum Vergleich: Vom Preis-Leistungs-Verhältnis<br />

her überzeugenden, 12,5 Zentimeter längeren, aber auch<br />

drei Zentimeter flacheren S-Cross hat man im letzten Jahr rund<br />

2200 Exemplare verkaufen können.<br />

Optisch spricht nichts gegen hohe Erwartungen: Der neueste<br />

Vitara – die bisherige Zusatzbezeichnung «Grand» entfällt – ist<br />

sehr kompakt geraten. Sein Styling bringt harmonisch wirkende<br />

und sportlich-muskuläre Elemente geschickt in Einklang, und es<br />

ist bei Suzuki sicher nicht unwillkommen, dass man sich bei der<br />

Front an den Range Rover Evoque erinnert fühlt, der ja seit Jahren<br />

überraschend erfolgreich unterwegs ist. Der Vitara hat grosse<br />

Glasflächen und bietet eine entsprechend gute Rundumsicht;<br />

parallel vermittelt die ansteigende Seitenlinie eine dynamische<br />

Note. Vielfältige Individualisierungs-Möglichkeiten, zum Beispiel<br />

mit Kontrastfarben an den Dächern und Wunschdesign am Frontgrill,<br />

gehören nun auch bei Suzuki zur Vermarktungs-Praxis.<br />

Akzente im Farbton des Aussenlacks finden sich auch im Innenraum,<br />

dessen stilsichere Einrichtung hier und da von kargen<br />

Hartplastikflächen unterbrochen wird. Originell ist dagegen die<br />

Idee, die Analog-Uhr zwischen den Lüftungsdüsen in Armaturenbrettmitte<br />

individuell zu gestalten: So, wie man beim Kauf<br />

einer Armbanduhr verschiedene Zifferblatt- und Zahlendesigns<br />

wählen kann, so ist auch die Optik dieser Cockpit-Uhr variabel.<br />

Der Preis für den Luxus ist mit 90 Franken überschaubar – und<br />

lockt zum Beispiel mit der Option alt-japanischer Tiersymbole,<br />

die vor Hunderten von Jahren für die Darstellung von Tageszeiten<br />

verwandt wurden.<br />

Die Cockpitgestaltung selbst ist ergonomisch korrekt, funktional<br />

und klar strukturiert, auch die Touchscreen-Bedienung für<br />

Entertainment und Navigation ging uns intuitiv von der Hand. Auf<br />

Anhieb gefallen konnte auch die ebenso leichtgängige wie zielgenaue<br />

Lenkung, während die Federung eher von der robusten<br />

Sorte ist. Entsprechend stärker ausgeformt wünscht man sich<br />

die Sitze, die auch mehr Seitenhalt bieten dürften. Damit hier<br />

kein falscher Eindruck entsteht: Es sitzt sich gut im Vitara und<br />

für kürzere Strecken reicht das Seriengestühl allemal. Nur wer<br />

öfter und länger unterwegs ist, sollte Nachrüst-Alternativen in<br />

Betracht ziehen.<br />

084 <strong>VECTURA</strong> #15


SOMMER 2015 085


FAHRTERMIN<br />

TECHNISCHE DATEN SUZUKI VITARA<br />

Konzept Neuauflage des japanischen SUV-Bestsellers. Selbsttragende Karosserie, 5 Türen / Sitzplätze. Zahnstangenlenkung mit Servo, Dreieckquerlenker<br />

vorne, Verbundlenkerachse hinten, Scheibenbremsen rundum (v. belüftet). Fünfganggetriebe oder Sechsstufenautomat, Front- oder Allradantrieb<br />

Motor Wassergekühlter Vierzylinder-Benziner oder -Diesel (mit Common-Rail-Einspritzung und Turbolader / Intercooler), vorne längs eingebaut. 4 Ventile / Zyl.,<br />

2 oben liegende Nockenwellen (Zahnriemen), 5fach gelagerte Kurbelwelle. Jeweils mit Stopp-Start-Automatik<br />

Top 4x4<br />

Top Diesel 4x4<br />

Hubraum in cm 3 1586 1598<br />

Bohrung x Hub in mm 78 x 83 79,5 x 80,5<br />

Verdichtung 11:1 16,5:1<br />

Leistung in PS (kW) @ U / min 120 (88) @ 6000 120 (88) @ 3750<br />

Max. Drehmoment in Nm @ U / min 156 @ 4400 320 @ 1750<br />

Kraftübertragung M5 / A6 M6<br />

Abmessungen (L/ B / H) in cm 417,5 / 177,5 / 161<br />

Radstand in cm 250<br />

Spur vorne / hinten in cm 153,5 / 150,5<br />

Reifen und Räder<br />

215 / 60 R16 auf 6,5J / 215 / 55 R17 auf 7J<br />

Tankinhalt in L 47<br />

Kofferraumvolumen in L 375 – 1120<br />

Leergewicht (ohne Fahrer) in kg 1230 / 1245 1360<br />

Zulässiges Gesamtgewicht in kg 1730 1870<br />

Leistungsgewicht in kg / PS 10,3 / 10,4 11,3<br />

0 – 100 km / h in Sek. 12,0 / 13,0 12,4<br />

Höchstgeschwindigkeit in km / h 180<br />

Durchschnittsverbrauch* in L / 100 km 5,6 / 5,7 4,2<br />

CO 2 -Emission in g / km 130 / 131 111<br />

Energieeffizienzkategorie D A<br />

Preis ab CHF 22 990.– / 29 990.– 30 990.–<br />

* gemessen nach NEFZ: Neuer Europäischer Fahrzyklus<br />

Platztechnisch bietet der neueste Suzuki ein gutes Mittelmass:<br />

Vier Erwachsene kommen bequem unter, 375 Liter Kofferraumvolumen<br />

sind Standard und sie können durch Umlegen der 60:40<br />

teilbaren Rücksitzlehne bis auf 1120 Liter erweitert werden. Die<br />

Kofferraumkante ist mit 72 cm zwar recht hoch ausgefallen, aber<br />

dafür ist der Ladeboden variabel arretierbar. Für ältere Menschen<br />

ist das etwas mühsam, doch während der SX4 und sein<br />

Pendant S-Cross ein Publikum ansprechen, das auf die 60 zugeht<br />

oder sie schon hinter sich gelassen hat, sieht das Marketing<br />

den alleinstehenden 40-Jährigen als Musterkunden für den<br />

Vitara. Laut Marktforschung legt der ein aktives Freizeitverhalten<br />

an den Tag und hat sportliche Hobbys – ein Lebensstil, der<br />

sich im Auto widerspiegeln soll. Dass man ein Smartphone unkompliziert<br />

mit dem Bordsystem des Fahrzeugs verbinden kann,<br />

ist deshalb wichtig, während dies für die Nutzer des S-Cross angeblich<br />

kaum eine Rolle spielt.<br />

Schweiz-exklusiv ist das limitierte Sondermodell «Sergio Cellano»,<br />

das unter anderem mit LED-Tagfahrlicht, adaptivem Tempomat, dem<br />

erwähnten Touchscreen-Multimediasystem inklusive Navigation<br />

und Rückfahrkamera, Panorama-Glasschiebedach, schlüssellosem<br />

Zugang, zusätzlich zierenden Chrom- und Schriftapplikationen,<br />

mobiler Espresso-Maschine (!), 5-Jahres-Garantie sowie einem<br />

Ausstattungspreisvorteil von über 1700 Franken lockt. Die Bling-<br />

Bling-artige Sonderserie gibt es bereits bei anderen Suzuki-Baureihen<br />

und erfreut sich ganz offenbar grosser Wertschätzung.<br />

086 <strong>VECTURA</strong> #15


SOMMER 2015 087


FAHRTERMIN<br />

Zur Vitara-Serienausstattung zählen grundsätzlich Annehmlichkeiten<br />

wie Sitzheizung (ausser Basismodell), Bluetooth-Radio<br />

mit USB-Anschluss, Klimaautomatik oder Stopp-Start-System.<br />

Ein hohes Mass an Sicherheit garantieren sieben Airbags, ESP<br />

oder ein Radar-gestützter Kollisionsassistent, der kritische Abstände<br />

erkennt, den Fahrer bei zu schneller Annäherung mit einem<br />

schrillen Piepston warnt und sogar selbstständig notbremst,<br />

um einen unvermeidlichen Aufprall abzuschwächen. Und natürlich<br />

kann man den Japaner auch mit Einparkhilfen, Regensensor<br />

oder Anhängerkupplung ordern.<br />

So vielfältig die optischen und optionalen Möglichkeiten sind, so<br />

schlicht gestrickt ist das Antriebsangebot. Bei Suzuki will man<br />

sich nicht verzetteln und stattet den Vitara generell mit 1,6 Liter<br />

grossen Benzin- und Diesel-Vierzylindern aus. Beide Aggregate<br />

leisten 120 PS, wobei der von Fiat zugelieferte Selbstzünder mit<br />

320 Newtonmeter das stattlichere Drehmoment mobilisiert. Weil<br />

es ihm an Turboaufladung mangelt, ist vom Benziner nur knapp<br />

die Hälfte dieser Durchzugskraft zu erwarten. Dieses Manko will<br />

folglich mit Drehzahl kompensiert werden, was dann zu einem<br />

recht hohen Geräuschpegel im Innenraum sorgt.<br />

Für uns fährt der Selbstzünder folglich vorne: Er ist zwar auch<br />

kein Leisetreter, passt mit seinem niedrigeren Drehmomentniveau<br />

aber besser zum Fahrzeug, agiert in allen Lastzuständen<br />

ausreichend souverän und leistungswillig. Wenn wir ausreichend<br />

sagen, meinen wir das gefühlt zurückhaltende Temperament<br />

des Triebwerks, welches seinem auf geringen Verbrauch getrimmten<br />

Magermix geschuldet ist. Vorteil Benziner: Es gibt ihn<br />

ab diesem Sommer wahlweise mit Sechsstufen-Automat inklusive<br />

Lenkradpaddel, während der Diesel nur mit Handschaltung<br />

zu haben ist. Fahrleistungstechnisch sind beide Kandidaten<br />

nahezu identisch und bei uns (anders als im europäischen<br />

Ausland) ausschliesslich mit elektronisch geregeltem Allradantrieb<br />

verfügbar. In der Schweiz ist zudem davon auszugehen,<br />

dass sich die meisten Käufer für die automatisierte Benzinvariante<br />

entscheiden werden.<br />

Der mühelose Umgang mit Türen und Heckklappe gibt einen<br />

Hinweis darauf, wie ernst Suzuki es mit dem Leichtbau seiner<br />

Neuentwicklung genommen hat: In seiner schlichtesten 4x4-<br />

Ausführung wiegt der Wagen keine 1200 Kilogramm, und das<br />

ist weniger, als mancher Kleinwagen auf die Waage bringt. Bemerkenswert<br />

auch, dass die Diesel-Version mit Allradantrieb mit<br />

1370 Kilogramm immer noch weniger wiegt als die vergleichbare<br />

Vitara-Erstausgabe von 1988. Entsprechend positiv fällt denn auch<br />

der Verbrauch aus: Unser Diesel-Testwagen genehmigte sich<br />

inklusive einiger Berg- und Talfahrten durchschnittlich 5,0 L –<br />

ein zeitgemäss guter Wert. Bemerkenswert auch: Trotz Leichtbauprogramm<br />

erzielte der Vitara beim Euro-NCAP-Crashtest die<br />

Bestnote von fünf Sternen.<br />

Und wie steht es um die Offroad-Fähigkeiten des japanischen<br />

4x4-Modells? Grenzen setzen in erster Linie die Wahl der Reifen<br />

sowie die Bodenfreiheit. Der Vitara kraxelt recht behände über<br />

gröbere Feldwege; selbst holprige Geröllpisten oder steilere<br />

Hänge stellen kein Problem dar; dank Bergabfahrhilfe geht es<br />

ebenso mühelos wie sicher talwärts. Schnee oder Eis? Ein Dreh<br />

am Regler des «Allgrip»-Allradsystems, und das Auto passt sich<br />

mit zurückhaltender Gasannahme der Situation an; unter den<br />

vier Fahrprogrammen gibt es aber auch den Auto-Mode – plus<br />

einem per Knopfdruck sperrbaren Differential. Kurz: Unkomplizierter<br />

geht es nicht, und so lernt man den Vitara selbst im weitgehend<br />

asphaltierten Alltag schnell als angenehmen Begleiter<br />

zu schätzen.<br />

Auch preislich macht der Vitara eine Suzuki-typisch gute Figur:<br />

Das günstigste Angebot liegt bei knapp 30 000 Franken; mit allen<br />

verfügbaren Extras bringt es der Cellano Top Diesel auf rund<br />

44 500 Franken. Sicherheits-fokussierte Interessenten sollten<br />

wissen, dass es den Kollisionswarner in der Einstiegsversion nicht<br />

gibt, während er bei allen anderen Ausführungen standardmässig<br />

an Bord ist. So kann man denn mit der Kaufentscheidung auch<br />

nicht viel falsch machen: Der Vitara ist ein Auto für alle Fälle und<br />

entsprechend oft wird man ihm künftig begegnen.<br />

088 <strong>VECTURA</strong> #15


Tür zu, Tür auf. Tür zu, Tür auf.<br />

Ihre neue Lieblingsbeschäftigung<br />

in langweiligen Meetings.<br />

MIT VOLVO ON CALL ÖFFNEN UND<br />

SCHLIESSEN SIE DIE TÜREN IHRES<br />

VOLVO EINFACH PER SMARTPHONE.<br />

Und geben Ihrem Smartphone noch eine ganze<br />

Reihe weiterer nützlicher Funktionen. Rufen<br />

Sie alle relevanten Fahrzeugdaten ab oder<br />

programmieren Sie Ihr Navigationssystem –<br />

egal, wo Sie gerade sind.<br />

Besuchen Sie jetzt Ihren Volvo Vertreter und testen<br />

Sie Volvo on Call persönlich. VOLVOONCALL.CH<br />

SWISS PREMIUM<br />

10 JAHRE/150 000 KM GRATIS-SERVICE<br />

5 JAHRE VOLL-GARANTIE<br />

Volvo Swiss Premium ® Gratis-Service bis 10 Jahre/150 000 Kilometer, Werksgarantie bis 5 Jahre/150 000 Kilometer und Verschleissreparaturen bis 3 Jahre/150 000 Kilometer (es gilt das zuerst Erreichte).<br />

Nur bei offiziellen Volvo Vertretern.


WENN DER<br />

WEG KEIN<br />

WEG IST<br />

AUF DER SUCHE NACH EINER LEGENDE:<br />

SIEBZIG JAHRE NACH DEM EINTREFFEN<br />

DER ERSTEN JEEP IN EUROPA FAHREN<br />

WIR DEN RENEGADE TRAILHAWK<br />

Text Wolfgang Peters · Fotos Werk


FAHRTERMIN<br />

Der Weg zeigt zwei freundliche Spuren. Wir zögern noch,<br />

denn in der Mitte zwischen den parallel verlaufenden<br />

Vertiefungen erhebt sich ein kleiner Wall. Er ist oben<br />

etwas abgeplattet von den Bäuchen der Traktoren und Unimogs,<br />

die den Weg schon bewältigt haben. Daneben gibt es einen<br />

schmalen Pfad. Dieser ist mit lustigen Schildern gekennzeichnet,<br />

auf denen Menschen mit Hüten, Rucksäcken und Wanderstöcken<br />

ausschreiten. Beide Wege führen vom Parkplatz zu einer<br />

ein samen Wirtschaft, wo es Kochkäse mit Kümmel und einmal<br />

in der Woche, immer am Donnerstag, Kalbskopfvinaigrette mit<br />

fein gehackten Zwiebeln, mit Essig und grob geschnittenem, sehr<br />

krustigem Bauernbrot gibt, das, wenn man Glück hat, noch warm<br />

auf den Tisch kommt. Heute ist Montag.<br />

Wir sind mit dem neuen Jeep Renegade in der recht aufwendigen,<br />

nicht billigen Trailhawk-Ausführung unterwegs und verspüren<br />

Hunger. Ausserdem riecht der Jeep noch so neu, dass<br />

wir beschlossen haben, den saftigen Duft nach dem wirklichen<br />

Leben in ihn hineinzutragen. Und etwas Dreck an den Rädern,<br />

in den Radkästen und den Radläufen und vielleicht auf den fein<br />

lackierten Flanken zu platzieren. Eventuell poltern dabei auch ein<br />

paar freche Steine an den Unterboden. Schlamm zu finden wäre<br />

also schön. Das sollte uns gelingen, denn der Weg zu dem alten<br />

Gasthaus kennt eine wenig bekannte Abschweifung durch eine<br />

aufgegebene Kiesgrube und dann über eine sumpfige Wiese, mit<br />

der wir direkt zu der Hähnchenbraterei eines Trucker-Parkplatzes<br />

finden. Man fährt dann einfach der Nase nach. Und ein gebratenes<br />

Hähnchen mit fetten Pommes, nebst serbischem Krautsalat,<br />

könnte wohl die Gerüche nach Kunststoff, Leder und Elektronik<br />

aus dem geschniegelten und fettfreien Innenraum des<br />

Jeep vertreiben. Wetten, dass?<br />

Allein schon dieser Name. Jeep. Erinnerungen an Begegnungen<br />

mit dieser Marke sind von alten Filmen des Vaters in der Kindheit,<br />

von Klettern und Risiko begleitet. Der allererste Jeep war<br />

kein Auto, es war eine offene Plattform mit Rädern und Gartenstühlen,<br />

auf denen gut genährte Männer mit sehr weissen, gesunden<br />

Zähnen sassen und Schokolade verschenkten. Der Mann<br />

mit der Kamera hatte kleine, aber gesunde Äpfel zu bieten. Als<br />

«Long Distance Runner» ist viel später ein Grand Cherokee mit<br />

den wunderbar weichsten Lederbezügen und grossem Durst<br />

unvergessen. Und ein älterer Wrangler hätte uns mal bei einer<br />

Panikbremsung wegen zwar prompter, aber sehr einseitiger<br />

Verzögerung fast ins grüne Abseits geworfen.<br />

Für Fiat ist die vom Pullover-tragenden Chef Sergio Marchionne<br />

eingefädelte und durchgezogene Liaison mit Chrysler keine Liebesheirat.<br />

Eher eine Notwendigkeit. Die Chrysler-Familie selbst<br />

ist ein bisschen müde. Sogar der veraltete Thema von der maroden<br />

Stilikone Lancia wirkt als Italo-Amerikaner vergleichsweise<br />

nobel, aber ohne Feuer am Tresen im Verkaufsraum. Für<br />

SOMMER 2015 091


FAHRTERMIN<br />

Man muss den Namen ausatmend<br />

sprechen und gleichzeitig<br />

ein bisschen Wrigleys kauen dabei<br />

FCA-Konzernchef Marchionne (Fiat Chrysler Automobiles) ist<br />

Chrysler eine amerikanische Herausforderung mit ungewissem<br />

Ausgang; immerhin konnte das wieder profitable US-Geschäft<br />

2013 die Fiat-Verluste ausgleichen. Vor allem die unschätzbar<br />

wertvolle Mitgift Jeep aus dem Chrysler-Konzern hat es in sich.<br />

Denn diese Ikone der ruralen und doch komfortablen Fortbewegung<br />

erlebt schon wieder einen Frühling. Immer mehr potentielle<br />

Interessenten an Geländewagen sind auf der Suche nach<br />

dem Original und wollen nicht mehr irgendeine Kopie. Die orientierungslosen<br />

und in ihrem Modellprogramm verarmten Italiener<br />

fassen Tritt in Amerika und die unter Modernisierungszwang<br />

stöhnende Kultmarke mit ihren zu gross und zu durstig geratenen<br />

Geländewagen erhält modernen Familienzuwachs: Jeep<br />

Renegade heisst der technisch eng mit dem Fiat 500X verwandte,<br />

mit Fiat-Diesel gekräftigte, in Richtung Offroad-Tradition gebürstete<br />

und mit moderner Geländetechnik aufwartende Mini-SUV.<br />

Und dieser kommt für die wiedererwachte Marke Jeep gerade<br />

zur rechten Zeit. Denn im boomenden Markt der modernen<br />

Kompakt-SUV musste das legendäre Label bisher passen –<br />

und zusehen, wie potentielle Kunden auf Opel Mokka, Renault<br />

Captur oder Nissan Juke abfuhren. Jetzt hält Jeep mit dem Jeep<br />

Renegade dagegen; als Topmodell dieser Baureihe ist die technisch<br />

und phonetisch herausragende Version Trailhawk – man<br />

muss den Namen beim Ausatmen sprechen und ein bisschen<br />

Wrigleys kauen dabei – eine besondere. Sie wird der moderne<br />

Jeep, und ob ihr Weg in den Kult führt oder an der Legende vorbeischrammt,<br />

das weiss noch keiner. Aber sie kann mehr abseits<br />

von Asphalt, als man ihr zutraut. <br />

092 <strong>VECTURA</strong> #15


SOMMER 2015 093


FAHRTERMIN<br />

TECHNISCHE DATEN JEEP RENEGADE<br />

Konzept Kompakt-Softroader (Basis: Fiat 500L / X). Selbsttragende Stahlkarosserie, 5 Türen / Sitzplätze. Zahnstangenlenkung mit el. Servo,<br />

Einzelradaufhängung rundum (vorne McPherson, hinten Längslenker), Scheibenbremsen rundum (v. belüftet), wahlweise Front- oder Heckantrieb<br />

Motor Vierzylinder-Benziner mit Mehrpunkteinspritzung, 4 Ventile / Zyl. (an der Einlassseite elektrohydr.), oben liegende Nockenwelle (Zahnriemen),<br />

5fach gel. Kurbelwelle, Turbolader und Intercooler. Vierzyl.-Turbodiesel mit Common-Rail-Einspr., 2 oben liegenden Nockenwellen, Turbo (VNG)<br />

und Intercooler. Jeweils mit Stopp-Start-System. Weltweit sind sieben Motoren verfügbar; fünf davon werden in Europa angeboten<br />

1.4 Multiair Limited 2.0 CRD Trailhawk<br />

Hubraum in cm 3 1368 1956<br />

Bohrung x Hub in mm 72 x 84 83 x 90,4<br />

Verdichtung 9,8:1 16,5:1<br />

Leistung in PS (kW) @ U / min 140 (103) @ 5000 170 (125) @ 3750<br />

Max. Drehmoment in Nm @ U / min 230 @ 1750 350 @ 1500 – 2500<br />

Kraftübertragung M6 A9<br />

Abmessungen (L/ B / H) in cm 423 / 180,5 / 169<br />

Radstand in cm 257<br />

Spur vorne / hinten in cm 154 / 154<br />

Reifen und Räder 225 / 55 R18 auf 7,0J 215 / 65 R17 auf 7,0J<br />

Tankinhalt in L 48<br />

Kofferraumvolumen in L 525 – 1440<br />

Leergewicht (ohne Fahrer) in kg 1356 1548<br />

Zulässiges Gesamtgewicht in kg 1865 2080<br />

Leistungsgewicht in kg / PS 9,7 9,1<br />

0 – 100 km / h in Sek. 9,3 8,9<br />

Höchstgeschwindigkeit in km / h 194 196<br />

Durchschnittsverbrauch* in L / 100 km 6,0 5,9<br />

CO 2 -Emission in g / km 140 155<br />

Energieeffizienzkategorie D D<br />

Preis ab CHF 31 350.– 39 650.–<br />

* gemessen nach NEFZ: Neuer Europäischer Fahrzyklus<br />

094 <strong>VECTURA</strong> #15


Trotz allzu deutlichen Bemühungen um<br />

die gute alte Jeep-Tradition bleibt<br />

noch genügend harter Charakter übrig<br />

Das zeigt sich nach wenigen Metern auf dem Weg in den Wald.<br />

Denn der fussläufige Pfad verschwindet nach links zwischen<br />

dicken Eichenstämmen und der Weg mit den Rinnen verliert sich<br />

in einem Hain voller Buchen und ungeordneten Haufen aus Laub.<br />

Eine Herausforderung alter Art: tiefe Kuhlen voll feinem Sand und<br />

dazwischen Wurzeln im Rübezahl-Design. Schroffe Anstiege mit<br />

bösen Kuppen und tückischen Gefällen. Ein bierkastengrosses<br />

Loch links und eine hundertjährige Wurzel rechts. Der Trailhawk<br />

knurrt erwartungsfroh und taucht in Kuhlen und Untiefen, er nähert<br />

sich dem Ansatz der Steigung, mit langsamer Fahrt, und der<br />

Zweiliter-Diesel stemmt muskulöse 170 PS plus massige 350 Nm<br />

in die Antriebstechnik. Die Neunstufenautomatik kooperiert perfekt<br />

und aus dem im Normalgeläuf über die Vorderräder angetriebenen<br />

Renegade wird der 4x4-Jeep. Dafür sorgen Heerscharen<br />

von Sensoren und Halbleitern, raffinierte Traktionsprogramme<br />

und jene moderne Elektronik, die alles unauffälliger erledigt, als<br />

das früher krachend eingelegte Untersetzungen und knirschende<br />

Differentialsperren mit heulenden Achslagern umzusetzen in<br />

der Lage waren. Beim Trailhawk sitzen die alles überwindenden<br />

Helfer im Track Mode und es gibt Active Drive und Active Drive<br />

Low zur Erhöhung der Motorzugkraft bei niedrigen Motortouren,<br />

während Hill-Descent Control nur ganz wenig Schwung beim<br />

Bergabfahren gestattet. Die Bodenfreiheit des kleinsten Jeep ist<br />

nicht riesig, aber ausreichend. Der Fahrer kann sich das Offroad-<br />

Menu über Tasten und ein Wählrädchen selbst zusammenstellen –<br />

oder sich mit dem Modus Auto begnügen. Dann übernimmt die<br />

Elektronik das Kommando im Dienst der Traktion.<br />

Alle Räder schieben in den Hügel hinein, der Renegade knurrt<br />

und ruckt etwas, dann ist die Wurzel überwunden, er gewinnt an<br />

Höhe, der Fahrer blickt in Wolken und Äste, der Jeep durch-<br />

SOMMER 2015 095


FAHRTERMIN<br />

schneidet die Steigung, erreicht den Scheitel, Fuhre und Fahrer<br />

verharren für einen Moment, suchen das nicht vorhandene<br />

Gipfelkreuz, und gestärkt und erfrischt röchelt sich der Diesel in<br />

das Gefälle hinein, der Unterfahrschutz berührt die Sandhügel,<br />

zart, wie ein ermatteter Liebhaber mit dem Flaum im Nacken<br />

seiner Gefährtin wohl umginge.<br />

Auch der Trailhawk taugt zum Gefährten. Trotz modischer Details<br />

und den allzu deutlichen Bemühungen um die Beschwörung<br />

der Jeep-Tradition bleibt noch genügend harter Charakter.<br />

Dieser wird nicht mit Zitaten aus der Jeep-Vergangenheit erhalten<br />

und gestärkt, sondern wächst aus der Freude des Umgangs<br />

mit dem Trailhawk heraus. Steile Scheiben für den ernsthaften<br />

Auftritt, gute Proportionen in Diensten unverzichtbarer Eleganz,<br />

kein Knirschen und Knacken in bedrohlicher Schräglage und<br />

jede Menge praktischer Details sowie hohe Tauglichkeit für die<br />

flotte Fahrt auf der Strasse. Mit dem Renegade fährt die Jeep-<br />

Tradition in eine Zukunft, welche überall zu spüren ist. Für Stadt,<br />

Land, Fluss ist der Trailhawk der beste Joker.<br />

Zärtliches Röcheln oder knurriges<br />

Schieben – der Trailhawk kann beides.<br />

Und angenehm kraftvoll ist er auch<br />

Sein Geruch im Innenraum bleibt derweil unverändert. Die<br />

Hähn chenbraterei wird zwar erreicht, es gibt sie aber nicht<br />

mehr. Auch der Trucker-Parkplatz ist inzwischen geschlossen,<br />

weil seine enge Zufahrt wohl zu gefährlich wurde. Der Renegade<br />

Trailhawk findet sie dagegen ganz toll: Der Dreck fliegt bis<br />

zur Heckscheibe.<br />

096 <strong>VECTURA</strong> #15


NICHT JEDER KANN EIN NISMO SEIN.<br />

Man braucht mehr als eine neue Lackierung und einen roten Streifen, um ein NISMO zu<br />

sein. Wenn Technologie und Leistung verschmelzen: Unsere Ingenieure verwandeln urbane<br />

Fahrzeuge in kompromisslose Kraftpakete, die sich auf der Rennstrecke genauso souverän<br />

fahren wie auf der Strasse. Ihre neueste Errungenschaft: der NISSAN JUKE NISMO RS.<br />

Verdammt aufregend. Und in jeder Hinsicht auch verdammt schnell weg.<br />

TESTEN SIE DEN ULTIMATIVEN NEUEN NISSAN JUKE NISMO RS. NISSAN.CH<br />

Gesamtverbrauch l/100 km: kombiniert 7.4–7.2; CO2-Emissionen: kombiniert 169–165 g/km; Ø aller Neuwagen: 144 g/km; Energieeffizienz-Kat.: F.


DIE<br />

NÄCHSTE<br />

SUV-<br />

WELLE<br />

Text Stefan Lüscher, map, hh<br />

Fotos Nick Dimbleby, Werk<br />

MIT STEIGENDER VIELFALT DER VOLKSTÜMLICHEN ALLRAD-FRAKTION<br />

SCHWENKEN NUN AUCH LUXUSHERSTELLER AUF CROSSOVER-<br />

KURS EIN, BRECHEN ALLE DÄMME. MARKTFORSCHUNGEN<br />

PROGNOSTIZIEREN: IN GEHOBENEN SEGMENTEN WIRD DIE NACHFRAGE<br />

WEITER STEIGEN. FOLGLICH BIETEN KÜNFTIG AUCH ALFA ROMEO,<br />

TESLA UND SOGAR ROLLS-ROYCE EIGENE SOFTROADER AN;<br />

LAMBORGHINI WILL NACHZIEHEN. WIE KONKRET UND VIELFÄLTIG DAS<br />

ANGEBOT BIS 2017 BEREITS SEIN WIRD, ZEIGT DIESE SUBJEKTIVE<br />

AUSWAHL AKTUELLER UND KOMMENDER MODELLE<br />

098 <strong>VECTURA</strong> #15


SHOWROOM<br />

MENU SURPRISE: CITROËN AIRCROSS<br />

Die bullige Studie kommt mit allen Attributen, die heute von einem SUV erwartet werden: hohe Motorhaube,<br />

massige Bug- und Heckschürzen, Kotflügelverbreiterungen, dazu riesige Räder oder eine fette Dachreling. Dass<br />

das auch sehr avantgardistisch statt abgedroschen aussehen kann, ist die vielleicht grösste Überraschung beim<br />

Aircross, der ab Ende 2016 gebaut wird – hoffentlich in unveränderter Form. Nicht wegen den gegenläufig öffnenden<br />

Türen oder den gestrickten Sitzbezügen. Sondern wegen der originellen Gesamtdarbietung – und der<br />

Ehrlichkeit, auf pseudo-funktionales Allrad-Getue zu verzichten bei einem Familienauto, das in erster Linie für<br />

die Strasse konzipiert worden ist. Der Offroad-Faktor dürfte entsprechend niedrig ausfallen.<br />

<br />

SOMMER 2015 099


SHOWROOM<br />

BRIT-BUGGY: ARIEL NOMAD<br />

Der britische Kleinserienhersteller ist bekannt für seinen radikalen, leichten und<br />

sehr schnellen Mittelmotorsportler Atom. Jetzt schiebt die Marke aus Somerset<br />

den Nomad hinterher – einen nackten Zweisitzer, diesmal allerdings fürs Fahren<br />

ohne Asphalt gedacht. Die Neukonstruktion – lediglich Bodenplatte, Lenksäule,<br />

Instrumente und Pedale stammen aus dem Atom – wird von einem 235 PS starken<br />

2,4-L-iVTEC-Vierzylinder von Honda angetrieben. In Verbindung mit 640 Kilogramm<br />

Leergewicht sind 100 km / h in 3,4 Sekunden erreicht. Natürlich kann man<br />

den ca. 47 000 Franken teuren Buggy auch auf Strassen bewegen; die Schweizer<br />

Zulassung dürfte allerdings ein Fall für die Einzelabnahme sein. Offroad-Faktor:<br />

extrem hoch, extrem fun.<br />

<br />

NEUE LEICHTIGKEIT: AUDI Q7<br />

Schon optisch hat sich die ab Sommer erhältliche zweite Generation verändert:<br />

Kantiger, straffer, ja sehniger kommt sie daher. Und ist mit 5,05 Meter Länge, 1,97 m<br />

Breite und 1,74 m Höhe kürzer und schmaler als der Vorgänger. Auch unter<br />

dem Blech hat sich viel getan: Dank konsequentem Leichtbau hat der neue Q7<br />

ganze 325 Kilo abgespeckt, was Respekt verdient und das Fahrzeug in allen Bereichen<br />

agiler und zeitgemässer macht. Angeboten werden zunächst der 3.0 TFSI<br />

mit 333 PS (ab CHF 86 900.–) und der 3.0 TDI mit 272 PS (ab CHF 82 900.–);<br />

beide verfügen über einen Achtstufenautomaten. Bereits angekündigt ist der Q7 E-<br />

Tron Quattro Plug-in-Hybrid mit 373 PS Systemleistung, 56 km rein elektrischer<br />

Reichweite und 1,7 L Normverbrauch. Offroad-Faktor: befriedigend.<br />

<br />

ALL-TERRAIN-OPULENZ: BENTLEY BENTAYGA<br />

Offroad-Autos aus Crewe hat es bereits gegeben – es waren Sonderanfertigungen<br />

für arabische und asiatische Kunden. 2016 kommt das Serienmodell, dessen<br />

Name sich vom gleichnamigen Berg auf Gran Canaria ableitet, aber auch auf<br />

Marke und Taiga verweisen soll (gemeint sind die Wälder als synonym für Wildnis;<br />

mit dem Lada Taiga hat das nichts zu tun). Damit ist klar, dass der Luxus-SUV als<br />

ernsthafter Geländewagen verstanden werden will. Über Antriebsdetails schweigt<br />

sich die VW-Tochter noch aus. Fest steht, dass es neben der W12-Twinturbo-<br />

Variante (rund 600 PS / 800 Nm) einen Vierliter-V8-Turbo sowie ein Hybridmodell<br />

geben wird. Der Einstiegspreis soll bei rund 230 000 Franken liegen. Offroad-<br />

Faktor: ganz gut, aber eigentlich viel zu schade dafür.<br />

<br />

GELÄNDE XXL: CADILLAC ESCALADE<br />

Wer beim Thema Offroad nostalgische Gefühle hegt, dem sei der grösste Caddy<br />

empfohlen – die vierte Generation ist 5,18 Meter lang und wird wie in den guten<br />

alten Zeiten von einem 6,2-L-V8-Benziner mit 426 PS und 621 Nm angetrieben.<br />

Der erste Escalade erschien 1999, trotzdem spricht der Hersteller von «einer langen<br />

Tradition im Premiumsegment». Verbrauchsdebatten? Sind für andere. Zu<br />

den äusseren Highlights zählen LED-Scheinwerfer und 22-Zoll-Felgen; innen finden<br />

sich bis zu acht Sitzplätze (Option) oder ein Head-up-Display. Die Kabine ist<br />

erwartungsgemäss riesig und auffällig gut isoliert; Preise ab 116 800 Franken entsprechen<br />

der Dimension. Wem das nicht genügt: Die 5,7-Meter-Langversion ESV<br />

kostet CHF 119 500.–. Offroad-Faktor: mit den richtigen Reifen – überlegen.<br />

<br />

100 <strong>VECTURA</strong> #15


DISCOUNT-VERGLEICH: DACIA DUSTER UND CO.<br />

Ein Erfolgsgeheimnis der rumänischen Renault-Tochter bestand bisher unter anderem<br />

darin, Autos mit möglichst simpel geformten, weil billig produzierbaren Blechen<br />

auf den Markt zu bringen. Der 4,32 Meter lange, schon fünf Jahre alte, aber zeitlose<br />

Duster ist dennoch attraktiv – und sieht robuster aus, als er tatsächlich ist. Angetrieben<br />

von Benzinern (115 / 125 PS) oder einem 110-PS-Diesel, geht es munter vorwärts;<br />

Allradantrieb ist bereits in der 14 900 Franken günstigen Basisversion an Bord.<br />

Offroad-Faktor: schmerzfrei durch die Furche. Als Alternative sei hier ein anderes Ost-<br />

Produkt erwähnt – der Lada 4x4 (früher hiess er Niva, auf manchen Märkten nennt<br />

man ihn Taiga). Sein Ruf, unkaputtbar zu sein, ist ebenso legendär wie der Offroad-<br />

Faktor. Inklusive Russland-Charme ab 17 900 Franken.<br />

<br />

MAINSTREAM: FORD EDGE<br />

Nach Kuga und EcoSport rundet Ford seine SUV-Palette Ende Jahr nach oben ab.<br />

Dabei will der weltweit angebotene Edge nicht als Softroader, sondern als trendiger<br />

Fullsize-Pw mit kerniger Optik begriffen werden: Stattliche 4,8 Meter lang, sieht der<br />

Fünftürer zwar stämmig-robust aus, weist mit mässiger Bodenfreiheit oder abrolloptimierten<br />

Reifen aber klar auf seine Strassen-Bestimmung hin. 4x4 gibt es gegen<br />

Aufpreis; zu den technischen Highlights zählt die adaptive Lenkung, optional hat es<br />

Innenraum-Geräuschunterdrückung oder eine «Front-Split-View»-Kamera. Angeboten<br />

werden ausschliesslich Turbodiesel mit 180 (Sechsganggetriebe) oder 210 PS<br />

(Sechsstufenautomat); die Preisliste beginnt bei über 60 000 Franken. Offroad-Faktor:<br />

Bitte an die Leasing-Rückgabe denken!<br />

<br />

ASIA FOOD: HONDA HR-V<br />

Mit der zweiten, 4,3 m langen HR-V-Generation (die erste lief von 1999 bis 2005)<br />

offerieren die Japaner ab Spätsommer wieder einen SUV unterhalb des CR-V. Die<br />

von «High Rider Vehicle» abgeleitete Bezeichnung umschreibt gut, worum es geht:<br />

einen hochgelegten Kompaktwagen (Basis: Jazz), optional mit Allradantrieb, der<br />

gegen Opel Mokka und Co. antritt. Der 1,6-L-Diesel leistet 120, ein 1,5-L-Benziner<br />

130 PS; sie verbrauchen 4,0 bzw. 5,2 L, sind mit Sechsgangschaltgetrieben kombiniert<br />

(Benziner: optional Doppelkupplung) und spurten in je 10,5 Sekunden auf 100.<br />

Es gibt moderne Infotainment- sowie kamera- und radargestützte Assistenzsysteme;<br />

der Kofferraum fasst 455 bis 1025 L, der Preis beträgt ca. 21 000 Franken aufwärts.<br />

Offroad-Faktor: etwas wenig Bodenfreiheit.<br />

<br />

SCHARFE KRALLEN: JAGUAR F-PACE<br />

Ab Anfang 2016 faucht die britische Wildkatze artgerecht auch abseits der Strasse.<br />

Der erste SUV des Hauses soll ein leistungsstarker Crossover werden, der auf einer<br />

innovativen Aluminium-Plattform aufbaut, fünf Sitzplätze bietet – und sich den<br />

Platzhirschen Audi Q5, BMW X3 oder Porsche Macan als leichteste Alternative des<br />

Segments entgegensetzt. Der «Sportwagen für die Familie» ergänzt dann als fünfte<br />

Baureihe die Modellpalette und wird von neuen, effizienten Vier- und Sechszylindern<br />

angetrieben (Diesel 163–300 PS, Benziner bis 380 Kompressor-PS); ein 500-PS-<br />

V8 soll folgen. Das Allradsystem kommt von Land Rover, der Offroad-Faktor ist also<br />

vielversprechend. Preislich dürfte es bei rund 60 000 Franken losgehen; darunter soll<br />

es auch eine Version mit reinem Heckantrieb geben.<br />

<br />

SOMMER 2015 101


SHOWROOM<br />

SVRRRRRRR: RANGE ROVER SPORT MEETS RACE TRACK<br />

Der Sound ist infernalisch, metallisch hämmernd und fast<br />

furchteinflössend. Mit Volldampf schieben sich über<br />

2,5 Tonnen leicht seitlich driftend durch eine abfallende<br />

Kurve, beschleunigen auf der kurzen Geraden, um sich dann mit<br />

4500 Umdrehungen den Hang zur Links-rechts-links-Kombination<br />

hochzusaugen. Wir sind zu Gast im Monticello Motor Club,<br />

auf einer über sechs Kilometer langen Privatrennstrecke 90 Minuten<br />

nordwestlich von Manhattan. «Sehr schön, jetzt lass ihn da<br />

vorne nicht zu weit hinaustreiben, lenk mit dem Gasfuss sachte<br />

gegen und brems etwas früher», sagt mein Beifahrer Don Floyd.<br />

Der Mann hat 1987, 88 und 89 an der legendären Camel Trophy<br />

teilgenommen, ist hauptberuflich Testfahrer, kennt den Kurs bestens<br />

und muss es schliesslich wissen.<br />

Wir sitzen im Range Rover Sport SVR, was etwas holprig mit «Special<br />

Vehicles Racing» übersetzt werden könnte. Wenn man aber<br />

das eigens entworfene Logo betrachtet, findet sich da auch ein<br />

kreisrundes «O». Genau genommen steht das Kürzel also für «Special<br />

Vehicle Operations», die 2014 gegründete Sonderabteilung von<br />

Jaguar Land Rover, und dann schlicht «Racing» für das besagte<br />

Modell. Ein Anfang April auf der New York Auto Show vorgestellter,<br />

wahlweise stark individualisierter Range Rover wird dagegen<br />

SV Autobiography genannt. Die anderen bisherigen Projekte<br />

von SVO waren sechs weitgehend nach Originalplänen gebaute<br />

E-Type Lightweight (siehe <strong>VECTURA</strong> #12) und das F-Typebasierte<br />

«Project 7», von dem 250 Exemplare entstanden, die<br />

Jaguar angeblich aus den Händen gerissen wurden.<br />

Nun also der erste Land Rover, pardon: Range Rover. Sportwagenkenner<br />

reagieren ob dem Kürzel etwas stutzig: SV-R, das war<br />

von 1996 bis 99 auch ein Lamborghini-Sondermodell … «Wir<br />

schreiben das aber ohne Bindestrich», versucht SVO-Managerin<br />

Michelle Mortiboys jede Verwechslung im Keim zu ersticken.<br />

Denn von der Leistung her gibt es durchaus Parallelen: Der Diablo<br />

SV-R (für Sport Veloce Racing) verfügte seinerzeit über einen 5,7-L-<br />

V12 mit 535 PS und 598 Nm, der Range Rover Sport SVR hat 550<br />

Pferde plus 680 Nm. Sein Triebwerk, ein Fünfliter-V8-Kompressor,<br />

wird ähnlich auch im F-Type R verwendet. Zu den SVR-speziellen<br />

motorischen Massnahmen gehören beispielsweise andere<br />

Bypass-Ventile; dazu kommen um 50 Prozent reduzierte Hochschaltzeiten<br />

des ZF-Achtstufen-Automaten, verstärkte Bremsen,<br />

ein überarbeitetes Fahrwerk oder Kurvenerkennung – störende<br />

Gangwechsel werden dann unterbunden. «Der SVR ist der stärkste<br />

und schnellste Land Rover, den wir je gebaut haben», betont der<br />

SVO-Technik-Verantwortliche Andy Smith. Zu den optischen, SVRexklusiven<br />

Merkmalen zählen ein eigener Bugspoiler für mehr Luftdurchsatz,<br />

blaue Bremssättel oder die hier gezeigte Launch-Farbe<br />

Estoril; innen hat es sportive Schalensitze mit integrierten Kopfstützen<br />

oder eben – eine Soundtaste.<br />

Dass man dem im Frühjahr 2013 eingeführten, bisher 150 000<br />

Mal verkauften, 4,85 Meter langen und auch im Gelände sehr fähigen<br />

Allradler jetzt Beine macht, kommt nicht von ungefähr. Es<br />

waren leistungshungrige Kunden, welche Land Rover die Hölle<br />

heiss gemacht und nach einem Äquivalent für Cayenne Turbo S,<br />

X5 M oder ML 63 AMG verlangt haben. Nach einem, das dabei<br />

auch richtig tönt. Und weil BMW, Porsche und Co. beste Geschäfte<br />

mit dieser Art Fahrzeugen machen, wollte man nicht<br />

länger abseitsstehen, hat dreieinhalb Jahre entwickelt. «Die Zeit<br />

beinhaltete eine lange Testphase», sagt Mortiboys, «und es ist<br />

102 <strong>VECTURA</strong> #15


SHOWROOM<br />

mehr geworden als eine Range-Rover-Sport-Variante. Der SVR<br />

ist eigentlich ein komplett neu gedachtes Auto. Wir haben dabei<br />

auch definiert, was SVR ist: Es steht für unsere ultimativsten Sportwagen<br />

– leistungsbetonte Sonderserien, die leichter sowie technologisch<br />

und aerodynamisch kompromissloser veranlagt sind.»<br />

Der SVR beschleunigt in 4,7 Sekunden auf Tempo 100 und ist bis<br />

zu 260 abgeregelte Stundenkilometer schnell; die Nürburgring-<br />

Nordschleife umrundet der Fünftürer in 8 Minuten 41 Sekunden;<br />

die Allradspezialisten aus dem britischen Solihull sprechen deshalb<br />

gerne von «Sportwagen-Feeling». Das ist ansatzweise tatsächlich<br />

vorhanden; wir sind noch nie so schnell mit einem Landy<br />

unterwegs gewesen. Gewicht und Lastwechsel geben hier jedoch<br />

die fahrdynamischen Grenzen vor, wobei die Elektronik sehr<br />

bemüht ist, der Physik ein Schnippchen zu schlagen. Dass der<br />

Verbrauch von durchschnittlich 12,8 L nicht höher ausgefallen<br />

ist als beim «normalen» Range Sport 5.0 Supercharged mit 510<br />

PS, freut die Tankkarte und darf darüber hinaus als Argument für<br />

weniger motorbegeisterte Mitmenschen herhalten. Tatsächlich<br />

ist ein SVR-Range knapp 50 kg leichter als das Standardmodell.<br />

Bemerkenswert ist, dass die Geländetauglichkeit trotz aller Rasanz<br />

nahezu uneingeschränkt erhalten geblieben ist – wenn man<br />

vom vorderen Rampenwinkel absieht, der aufgrund des tieferen<br />

Frontspoilers ein, zwei Grad flacher ausfällt. Auch die optionalen<br />

22-Zoll-Räder sollten offroad nicht montiert sein, zumal es sie nur<br />

mit Strassen-Sommerbereifung gibt. «Es ging uns nicht darum,<br />

ein Rennstreckenauto zu machen, aber wir nutzen den Rundkurs,<br />

um das Potential zu zeigen», erläutert Mortiboys. Und sie lässt<br />

durchblicken, dass weitere SVR-Fahrzeuge vorgesehen sind, verrät<br />

aber nicht, ob es mehr Jaguar oder Land / Range Rover sein<br />

werden: «Es muss einfach zum jeweiligen Modell passen.» Und<br />

da scheinen einige infrage zu kommen: Die SVO-Abteilung, in der<br />

momentan rund 400 Mitarbeiter tätig sind, soll in den nächsten<br />

Jahren auf 1000 Personen aufgestockt werden.<br />

Die SVR-Nachfrage gibt dieser Strategie offenbar recht: Allein in<br />

der Schweiz, wo der sportivste Range seit März in homöopathischen<br />

Dosen und zu Preisen ab 159 400 Franken ausgeliefert wird<br />

(abzüglich Swiss Deal von 16 000.–, also für CHF 143 400.–), reicht<br />

das Kontingent nicht: Wer jetzt bestellt, wird erst 2016 bedient.<br />

Mortiboys arbeitet übrigens seit 26 Jahren bei Land Rover.<br />

1989 bereitete sich die Marke darauf vor, die Modelle 90 und 110<br />

in Defender umzubenennen (siehe S. 070ff.); der Discovery wurde<br />

gerade eingeführt und das mit 182 PS stärkste Angebot des Hauses<br />

war ein Range Rover mit 3,9-L-V8. Der Range Rover Sport<br />

wäre damals undenkbar gewesen. You’ve come a long way, baby,<br />

you’ve come a long way. map<br />

SOMMER 2015 103


SHOWROOM<br />

SORGLOSPAKET: KIA SORENTO<br />

Mit ausgewogenem Design und grosszügigen Platzverhältnissen bei nur moderat<br />

gewachsenen Abmessungen (L / B / H: 4,78 / 1,89 / 1,69) tritt die dritte Generation<br />

des koreanischen Allradlers gegen etablierte Konkurrenten an. Sie tut das<br />

selbstbewusst und mit sauberer Verarbeitung (sieben Jahre Garantie). Innen gibt<br />

es eine geteilt klappbare Rückbank, die sich auch längs verschieben und bequem<br />

vom Laderaum fernentriegeln lässt, der Kofferraum schluckt bis zu 1730 L,<br />

optional gibt es eine dritte Sitzreihe. Die Ausstattungsmöglichkeiten sind vielfältig;<br />

der 2,2-L-Vierzylinder-Turbodiesel leistet 200 PS / 441 Nm, schafft über 200 km / h,<br />

verbraucht 6,6 L und kommt mit Sechsstufenautomat. Preis: ab 39 950 Franken.<br />

Offroad-Faktor: nicht schlecht.<br />

<br />

UNTER STROM: LEXUS RX 200T<br />

Rund ein Jahr nach dem NX (siehe <strong>VECTURA</strong> #13) erneuert die Toyota-Tochter<br />

ihren Erfolgs-SUV RX. Auch der tritt nun mit extrovertiertem Design auf – ganz<br />

besonders im dynamischen F-Sport-Look. Als Basistriebwerk dient dem 4,89 m<br />

langen Fünfplätzer der auch im NX 200t erhältliche Zweiliter-Turbobenziner mit<br />

230 PS / 350 Nm: Als weltweit erstes Triebwerk verfügt er über einen wassergekühlten<br />

Zylinderkopf für ein besseres Abgasverhalten. Ein Sechsstufenautomat<br />

ist im Preis von 65 000 Franken enthalten; darüber rangiert ein RX350 mit 3,5-L-<br />

V6. Als Topmodell kommt der RX 450h mit aufgewertetem Hybridantrieb (Systemleistung<br />

etwa 300 PS) für ca. 80 000 Franken; Markteinführung ist Ende 2015.<br />

Offroad-Faktor: am liebsten in der Nähe einer Steckdose.<br />

<br />

AL DENTE: MASERATI LEVANTE<br />

Mit der Idee eines sportiven Luxus-SUV liebäugeln die Italiener seit Jahren; 2016<br />

lassen sie Taten folgen: Formal wie technisch orientiert sich der Levante am viertürigen<br />

Ghibli S Q4, sprich: bedarfsweise gelangen bis zu 50 Prozent der Kraft via<br />

Lamellenkupplung zu den Vorderrädern. Die motorische Spitze markiert zunächst<br />

der bekannte 3,8-L-V8-Biturbo mit bis zu 530 PS. Darunter finden sich aufgeladene<br />

Sechszylinder (Benzin und Diesel) mit einem Leistungsspektrum von 250<br />

bis 410 PS. Seine offizielle Premiere wird der Levante nächsten Januar auf der<br />

North American International Auto Show in Detroit feiern; bei den Preisen tippen<br />

wir auf 80 000 Franken plus. Offroad-Faktor: auf zur Trüffelsuche in das Piemont!<br />

<br />

ALLROUNDER: RENAULT KADJAR<br />

Endlich kommt auch Renault auf den Geschmack und springt auf den Crossover-<br />

Schnellzug auf. Beflügelt vom erfolgreichen Captur (siehe S. 050) löst der rund<br />

30 Zentimeter längere Kadjar diesen Sommer das Mauerblümchen Koleos ab,<br />

welches noch auf einer Samsung / Nissan-Plattform stand. Der Kadjar basiert auf<br />

dem Nissan Qashqai und wird entweder von Turbodieseln mit 110 und 130 PS<br />

angetrieben, die zwischen 3,8 und 4,9 L / 100 km verbrauchen. Oder von einem<br />

1,2-L-Turbobenziner, der 120 PS leistet und sich 5,6 L genehmigt. Das Topmodell<br />

verfügt über Allradantrieb und dank diverser Fahrprogramme macht der Fünfsitzer<br />

auch in leichtem Gelände eine gute Figur; die Preise starten bei 24 900 Franken.<br />

Offroad-Faktor: soft, s’il vous plaît!<br />

<br />

104 <strong>VECTURA</strong> #15


AKTUELL NUR FWD: SSANGYONG TIVOLI<br />

Nach dem in der Schweiz sehr beliebten Korando erweitern die Südkoreaner<br />

ihr Angebot ab diesem Sommer nach unten. Der 4,2 Meter lange Fünfsitzer soll<br />

dabei nicht nur preislich, mit fünf Jahren Garantie oder seinen sieben Airbags<br />

überzeugen. Bezüglich Designsprache findet der Hersteller blumige Worte:<br />

«Nature-born 3 Motion – rhythmisch, dynamisch, würdevoll». Angetrieben wird<br />

das Auto von einem neuen wie sparsamen 1,6-L-Vierzylinder-Benziner mit<br />

126 PS, verfügt derzeit aber nur über Frontantrieb. Der Offroad-Faktor ist also<br />

sehr überschaubar. Angeboten werden drei Ausstattungsniveaus, die Preisliste<br />

startet aktuell bei CHF 17 900.–, eine Sechsstufenautomatik kostet 2000 Franken<br />

extra. Diesel- und Allrad-Varianten sollen später folgen.<br />

<br />

FÜR SIE ÜBERWINDEN<br />

WIR HINDERNISSE<br />

PLUG AND PLAY: VENTURI AMERICA<br />

Vor 15 Jahren kaufte der Monegasse Gildo Pastor die französische Sportwagenmarke<br />

Venturi und machte aus ihr einen E-Mobil-Hersteller. Das jüngste Modell<br />

heisst America: 2014 zum 30. Markengeburtstag vorgestellt, trägt der «Hochvolt-<br />

Buggy» die Elektrifizierung in sandiges Gelände. Angetrieben von einer 53-kWh-<br />

Lithium-Ionen-Polymer-Batterie und zwei E-Motoren (Systemleistung: 300<br />

kW / 480 Nm), saust der offene Zweisitzer in nur 4,5 Sekunden auf Tempo 100;<br />

für den Spurt auf 200 km / h genügen 14 Sekunden (!). Die Vmax beträgt 220, die<br />

maximale Reichweite 250 km. Der heckgetriebene, aus Alu, Karbon und Kunststoff<br />

bestehende Flitzer kostet stolze 330 000 Franken, denn die Produktion ist<br />

auf nur 25 Exemplare limitiert. Offroad-Faktor: extraordinaire!<br />

<br />

Genossenschaftliche<br />

Solidität –<br />

fünf Gründe, weshalb Sie<br />

bei uns goldrichtig sind auf<br />

www.cic.ch/5<br />

Die Bank der Privat- und Geschäftskunden<br />

Basel, Fribourg, Genf,<br />

Lausanne, Locarno, Lugano,<br />

Neuchâtel, Sion, Zürich<br />

www.cic.ch<br />

SOMMER 2015 105


EVOLUTION<br />

RUBRIKEN<br />

SHOWROOM<br />

OFFROAD<br />

Es ist vollbracht: Das Concept GLC Coupé demonstriert, dass ab 2016 weichere Formen kommen werden<br />

LUXUS-LASTER IN ALLEN KLASSEN<br />

WERDEN DIE STRASSEN DER WELT EIGENTLICH IMMER SCHLECHTER? ODER WIRD<br />

DER FREIHEITSDRANG DER MENSCHEN IMMER GRÖSSER? WIE SONST IST DER<br />

LODERNDE SUV-MARKT ZU ER KLÄREN? ZU DEN MARKEN, DIE DAS MEISTE ÖL INS<br />

FEUER GIESSEN, GEHÖRT MERCEDES: DIE STUTTGARTER VERFÜGEN ÜBER DAS<br />

UMFASSENDSTE, VIELSEITIGSTE ANGEBOT AM MARKT – UND LEGEN STÄNDIG<br />

NACH. IST JA AUCH LOGISCH: EINST HAT MAN DAS FEUER MIT ANGEZÜNDET –<br />

LANGE VOR DEM LEGENDÄREN G<br />

Text Jochen Kruse, hh · Fotos Werk<br />

106 <strong>VECTURA</strong> #15


Manchmal sind die kleinsten Mitglieder der Familie die<br />

schnellsten: Im Frühjahr 2014 nahm der Mercedes-<br />

Benz GLA die neue Nomenklatur vorweg, die jetzt für<br />

alle Modelle mit Stern eingeführt wird. Künftig tragen sämtliche<br />

SUV die Kennzeichnung GL und danach als dritten Buchstaben<br />

denjenigen jener Baureihe, deren robustere Variante sie<br />

markieren.<br />

Als Wanderer zwischen den automobilen Welten hat der Mercedes<br />

GLA (Baureihen-Kürzel: X156) das Segment der kompakten<br />

SUV neu interpretiert (siehe <strong>VECTURA</strong> #10). Leicht füssig nimmt<br />

der wie A- und B-Klasse auf einer modularen Frontantriebsarchitektur<br />

aufbauende Grenzgänger alle Hürden des Alltags – und<br />

ist gleichzeitig robust genug für die kleinen Fluchten zwischendurch.<br />

Der erste Stern im schnell wachsenden Segment kleiner<br />

Crossover ist handlich in der Stadt, spritzig auf Land- und Passstrassen<br />

sowie dynamisch und effizient auf der Autobahn (cw-<br />

Wert 0,29). Gleichzeitig komplettieren die Allrad-Versionen das<br />

umfangreiche Mercedes-SUV-Angebot: Mit den sechs Baureihen<br />

GLA, GLK (künftig GLC; wir gehen noch darauf ein), GLE / GLE<br />

Coupé, GL (das Facelift kommt im Herbst und nennt sich logischerweise<br />

GLS) sowie dem klassisch-kantigen G verfügt man<br />

über die breiteste Palette aller europäischen Premiumhersteller.<br />

Und hofft natürlich, auf den individuellen Shoppinglisten einer<br />

weltweiten Kundschaft ganz vorne dabei zu sein.<br />

Zu den Auslösern des knapp zwei Jahrzehnte anhaltenden<br />

SUV-Booms zählt sicherlich die M-Klasse (die als Modellbezeichnung<br />

immer ML trug, weil das M schon für BMW reserviert war):<br />

1997 war die M-Klasse (W163) jedenfalls das erste deutsche<br />

Premium-SUV. Gerade hat Mercedes die dritte Generation seines<br />

Millionsellers gründlich überarbeitet und in GLE umbenannt;<br />

zu den Highlights der intern W166 genannten, ab September verfügbaren<br />

Baureihe gehören neben einer dynamischeren Frontund<br />

Heckpartie umfangreiche motorische Massnahmen, die<br />

hinsichtlich Emissionen und Antrieb neue Bestwerte ermöglichen.<br />

Ausserdem ist der GLE 500 e 4matic der erste Plug-in-Hybrid in<br />

der SUV-Historie des Hauses. Er wird die geringen Verbrauchswerte<br />

des Effizienzchampions GLE 250 d mit Vierzylinder-<br />

Dieselmotor nochmals unterbieten – und dabei die Leistungsfähigkeit<br />

eines V8-Modells erreichen. Überlegene Fahreigenschaften<br />

on- wie offroad, ein üppiges Platzangebot und die hohe<br />

aktive und passive Sicherheit sind weitere Vorteile des neuen<br />

GLE. Das obere Ende markieren die Versionen Mercedes-AMG<br />

GLE 63 4matic und GLE 63 S 4matic mit 550 respektive 577 PS.<br />

Klassenlose M-Klasse: Auf sie fährt seit 1997 ein Millionenpublikum<br />

ab. Die nunmehr dritte Auflage (oben) heisst GLE und ist auch als<br />

Coupé verfügbar (unten)<br />

Anfang Jahr feierte ausserdem das GLE-Schwestermodell GLE<br />

Coupé (C292) seine Weltpremiere. Mit ihm will Mercedes mehr<br />

Sport wagen: Statt robuster SUV-Linien dominieren eher sportliche<br />

Zweitürer-Gene, die in fliessenden Seitenlinien, dem gestreckt-flachen<br />

Greenhouse, einem markanten Kühlergrill und<br />

der eigenwillig-flachen Heckgestaltung zum Ausdruck kommen.<br />

Zur Markteinführung Ende Juli steht das GLE Coupé mit einer<br />

Leistungsbreite von 258 bis 367 PS als Diesel- oder Benzinmodell<br />

zur Verfügung. Das Topmodell GLE 450 AMG repräsentiert<br />

dabei erstmals eine neue Produktlinie – die AMG-Sportmodelle.<br />

Immer an Bord sind hier ein Fahrdynamik- und diverse Assistenzsysteme,<br />

die Sport-Direktlenkung, das neunstufige Automatikgetriebe<br />

9G-Tronic und der permanente Allradantrieb 4matic.<br />

Als «Top of the Line» steht das Mercedes-AMG GLE 63 Coupé<br />

als besonders kraftvolle Interpretation eines viertürigen<br />

SOMMER 2015 107


EVOLUTION<br />

Hoch das Bein: So gross der GL auch ist, so offroadtauglich ist er auch. Bis zu sieben Personen kommen hier ganz locker vom rechten Weg ab<br />

S-Klasse fürs Grobe: Ab Ende Jahr<br />

wird aus dem stattlichen GL ein GLS<br />

Coupés bereit, dessen starkes Herz, der AMG-5,5-Liter-V8-<br />

Biturbomotor mit 577 PS, im S-Modell mit 585 PS noch schneller<br />

schlägt. Ein Fahrwerk mit einer aktiven Wankstabilisierung<br />

namens Active Curve System und die sehr direkte Servosportlenkung<br />

bieten perfekte Voraussetzungen für ein hochdynamisches<br />

Onroad-Fahrerlebnis – die heckbetonte Kraftübertragung<br />

des Allradantriebs tut ein Übriges.<br />

Der grosse GL, der ab Ende Jahr GLS heissen wird, verkörpert<br />

mit 5,12 Meter Länge dagegen das Beste aus zwei Welten –<br />

echte Offroad-Tauglichkeit mit Luxusyacht-artigem Strassenkomfort.<br />

Die Rücksitze beispielsweise klappen auf Knopfdruck<br />

um und – das ist noch besser – auch wieder in ihre ursprüngliche<br />

Position zurück. Die Lenkradheizung wärmt bei klammen<br />

Tagen und eine Sitzbelüftung kühlt bei heissen, dazu kommt<br />

eine Rückenmassage in mehreren Funktionen und vorwählbaren<br />

Stufen. Kurz: Dieser Strassenkreuzer macht seinen bis zu sieben<br />

108 <strong>VECTURA</strong> #15


RUBRIKEN<br />

Solide bis ins Mark: Wer ein Auto zum Vererben sucht – hier ist es. Das G-Modell ist im<br />

Gelände eine Klasse für sich – und war 2014 sogar als 6x6 Pick-up zu haben<br />

bequem sitzenden Insassen viel Freude – aber nicht unbedingt<br />

Freunde. Denn wenn man in Städten um geparkte Autos herumkurvt,<br />

geht der Gegenverkehr schon 100 Meter weiter respektvoll<br />

in die Eisen. Auch der Flirt-Faktor in einem X166 tendiert stark<br />

gen null, denn in diesem Auto wird man nicht gegrüsst – ausser<br />

vielleicht von GL-Fahrerinnen, die einen wissend anlächeln nach<br />

dem Motto: Naaa, auch schon im Parkhaus gewesen heute und<br />

ohne Beulen wieder rausgekommen? Respekt – das ist es, was<br />

GL-Lenkern entgegengebracht wird. Weil sie offensichtlich sehr<br />

gut Auto fahren können. Weil sie eine riesige Familie haben<br />

müssen. Viel Geld. Und – am allerwichtigsten – Selbstbewusstsein.<br />

Wer das alles mitbringt, wird kaum ein besseres Auto<br />

finden. Die «Kraft der Gelassenheit» gibt es in vier Versionen, angefangen<br />

bei einem erstaunlich sparsamen, 255 PS leistenden<br />

Dreiliter-V6-Turbodiesel über ausgesprochen leistungsstarke,<br />

aber auch durstige Benziner mit sechs (ab 329 PS) oder acht<br />

Zylindern bis 5,5 Liter Hubraum und 550 PS.<br />

Aus der neuen SUV-Nomenklatur im Zeichen des Sterns schert<br />

nur einer aus, der das schon seit 36 Jahren tut – der G (siehe<br />

<strong>VECTURA</strong> #4). Er trug den stolzen Buchstaben-Namen schon,<br />

als dies im Hause Mercedes allenfalls S und SL durften, und wie<br />

diese hat er sich mit einer Beharrlichkeit zur automobilen Ikone<br />

entwickelt, die seine Väter wohl am meisten überraschte. Um<br />

den angekündigten Tod aber nicht nur einmal, sondern immer<br />

wieder zu überleben, musste der G-Wagen seinen Charakter im<br />

Laufe der Jahre drastisch verändern, ohne sich das äusserlich<br />

anmerken zu lassen. Begonnen hatte es einst mit einem recht<br />

müde motorisierten und spartanisch ausgestatteten Militär- und<br />

Jagdmobil, das es bis zum Jahr 2000 nicht nur als Puch G gab,<br />

sondern zwischen 1981 und 88 auch als anders motorisierte<br />

Peugeot-Variante namens P4 VLTT (Voiture Légère Tous Terrains).<br />

Diese rustikalen, im Gelände aber auch sehr fähigen Fahrzeuge<br />

begeisterten auf dem Zivilmarkt allenfalls Sahara-Durchquerer<br />

und Anden-Eroberer, doch häuften sich Anfragen nach besser<br />

ausgestatteten Varianten.<br />

So entstand neben dem Nutzmodell W460 ab 1990 eine W463<br />

genannte Variante, die dort feine Teppiche oder Leder trug und<br />

trägt, wo es beim Urmodell nur blankes weiter auf Seite 114<br />

SOMMER 2015 109


110 <strong>VECTURA</strong> #15<br />

EVOLUTION


Wo Bergsteiger ihre Eisen rausholen, da<br />

fährt der 4x4 2 einfach weiter. V8-Power<br />

und Portalachsen machen es möglich<br />

SOMMER 2015 111


AHNENFORSCHUNG<br />

EIN STERN AUF EXTRATOUR<br />

77 JAHRE MERCEDES-ALLRAD-GESCHICHTE:<br />

SCHON 1938 GING ES AB INS GELÄNDE<br />

Die aktuellen Mercedes-SUV haben einen langen Stammbaum.<br />

Der erste kräftige Zweig war der G5, der im Oktober<br />

1938 auf der Motor-Show in London als «Kolonialund<br />

Jagdwagen» präsentiert wurde, weil das heimische Militär<br />

kein Interesse zeigte. Diese Baureihe W152 (1937–41) hatte Allradantrieb<br />

und eine zuschaltbare Vierradlenkung. Ab Werk gab<br />

es drei Karosserievarianten – einen Militär-Kübelaufbau, einen<br />

Tourenwagen mit Seitenfenstern und tropenfestem Faltverdeck<br />

sowie einen einfacheren Kübelwagen, beispielsweise für den<br />

Polizeieinsatz. Für den Antrieb sorgte ein Zweiliter-Vierzylinder<br />

mit 45 PS bei 3700/min. Der Allradantrieb war mit drei Sperrdifferentialen<br />

ausgestattet und das Getriebe hatte fünf Vorwärtsgänge,<br />

wobei der erste mit einem Untersetzungsverhältnis von<br />

7,22:1 ausschliesslich dem Geländebetrieb vorbehalten war.<br />

Die Handbremse wirkte auf die Kardanwelle, die Räder hatte<br />

man alle einzeln aufgehängt. Die Höchstgeschwindigkeit des G5<br />

betrug Tempo 85 und bei aktivierter Vierradlenkung sollen laut<br />

Betriebsanleitung 30 km / h nicht überschritten werden. Trotz des<br />

Variantenreichtums und seiner technischen Perfektion blieb der G5<br />

eine Randerscheinung; insgesamt wurden nur 378 Stück gebaut.<br />

Laut Mercedes der erste Allrad-Pw der Welt: Dernburg-Wagen von 1907<br />

1903 schuf Paul Daimler<br />

einen ersten Personenwagen<br />

mit Vierradantrieb<br />

Innovative Daimler-AWD-Zugmaschine (oben) mit Vierrad -<br />

lenkung, Baujahr 1919. Unten: achträdriger,<br />

schwimmfähiger Mannschaftstransporter MTw1 von 1928<br />

112 <strong>VECTURA</strong> #15


Ob das Luxus-Cabriolet G4 mit Reihenachtzylinder und zwei Hinterachsen<br />

oder der G5 Bergwachtwagen: An technischen Ideen hat es<br />

Mercedes nie gemangelt<br />

Noch weiter zurück reicht die Geschichte der Allrad-Pw: Schon<br />

1903 schuf Paul Daimler, der Sohn des Firmengründers, eine<br />

erste Konstruktion mit Allradantrieb. 1907 entstand dann der<br />

Dernburg-Wagen für Fahrten in Afrika – auf Basis eines Lw,<br />

aber als Personenwagen konzipiert. Ab 1934 wurde der mächtige<br />

sechsrädrige Personenwagen G4 (Baureihe W31) im Werk<br />

Untertürkheim gebaut. Die Kraftübertragung auf die beiden<br />

hinteren Starrachsen erfolgte per Kardanwelle; für gute Geländegängigkeit<br />

sorgten zwei Sperrdifferentiale; die Steigfähigkeit bei<br />

voller Belastung betrug 43 Prozent. Insgesamt entstanden mit<br />

allen Motorvarianten bis 1939 immerhin 57 Exemplare.<br />

Darüber hinaus hatte und hat das Unternehmen immer geländetaugliche<br />

Nutzfahrzeuge im Angebot – vom legendären Unimog<br />

über Lastwagen bis hin zu Lieferfahrzeugen wie Vito und Sprinter.<br />

Aber das ist ein ganz anderes Kapitel. jk<br />

Zwischen dem ersten Unimog (oben) und der M-Klasse (re.) liegen<br />

fast 50 Jahre. Seither sind 4x4 nicht mehr nur Nutzfahrzeuge, sondern<br />

auch Lifestyle-Mobile<br />

SOMMER 2015 113


EVOLUTION<br />

Blech und Plastik hatte. Dazu gesellte sich mehr Leistung. Was<br />

dagegen blieb, waren das kantige Äussere, der Hardcore-Leiterrahmen<br />

sowie die konkurrenzlose Offroad-Performance mit<br />

permanentem Allradantrieb, Geländeuntersetzung und drei nun<br />

elektronisch während der Fahrt schaltbaren Differentialsperren.<br />

Das heutige Einstiegsmodell, falls der Begriff hier passt, reisst<br />

als G 350d nach der jüngsten Leistungskur mit 245 PS und<br />

600 Nm so an, wie sich das zu Zeiten des Ur-Diesel 240 GD<br />

mit 72 PS niemand hätte ausdenken können. Darüber rangiert<br />

Technik von AMG: Der neueste G500 trägt den V8 Biturbo des<br />

AMG GT, hier allerdings «nur» mit 422 PS und einem Drehmoment<br />

von 610 Newtonmeter. Es geht freilich noch mehr: Als AMG G 63<br />

stehen aktuell 571 PS und 760 Nm zur Verfügung, während es der<br />

AMG G 65 V12 gar auf 630 PS und 1000 Nm bringt.<br />

Abschied von der Kante: Mit dem Rückzug des GLK<br />

beginnt formal eine neue Ära. Und das GLC Coupé<br />

hat gute Chancen auf den Preis «schönster Rücken»<br />

Den 6,3-L-V8 gab es 2014 mit 544 PS auch als Hardcore-G<br />

namens 6x6, was schon alles sagt. Mit 5,88 Meter Länge und<br />

einem Preis von 550 000 Franken ist er der G-Spot unter den<br />

Geländewagen und wird wohl auch der ultimative Gipfel des<br />

G-Wesens bleiben; man hat ihn genau 150 Mal gebaut und auch<br />

verkauft. Das jüngste Extrem-Modell heisst G500 4x4 2 und stand<br />

in Genf – der passende G für Beverly Hills ist satte 2,25 Meter<br />

hoch und 2,1 m breit. Angetrieben vom neuen Vierliter-V8, garantieren<br />

Portalachsen und 45 Zentimeter Bodenfreiheit selbst in<br />

den ungastlichsten Gegenden sicheres Fortkommen. Das Auto<br />

kommt im September und hat seinen Preis; rund 350 000 Franken<br />

werden nicht dementiert.<br />

Das war’s dann aber mit der klaren Kante innerhalb der aktuellen<br />

Mercedes-SUV-Parade. Der kurz bevorstehende Abschied vom<br />

2008 eingeführten GLK (X204) beraubt der Baureihe zudem das<br />

K, weil der ab Sommer verfügbare Nachfolger GLC (X253) fortan<br />

auch nominell jener Baureihe zugeordnet wird, der er auch technisch<br />

angehört. Wohin die Reise stilistisch geht, demonstrierte<br />

im April das Concept GLC Coupé auf der Automesse in Shanghai:<br />

Diese besonders dynamische Modell-Spielart wird – Achtung,<br />

Range Rover Evoque! – ebenfalls in Serie gehen und Mitte<br />

2016 erwartet. Das mit 4,73 Meter Länge unterhalb des GLE angesiedelte<br />

Auto macht richtig Lust, sofort einzusteigen und loszufahren<br />

– und auch deutlich, dass Mercedes beim Ausbau seines<br />

SUV-Portfolios künftig nicht lockerlässt. Bereits heute gibt<br />

es keinen anderen Hersteller mit einem grösseren Geländewagen-<br />

und Softroader-Angebot. Rechnet man den 2016 erwarteten<br />

Lifestyle-Pick-up auf Nissan-NP300-Basis (er kommt als Doppelkabine<br />

und soll GLT genannt werden) sowie die SUV-Version des<br />

Smart Forfour hinzu, von der immer wieder gemunkelt wird, dann<br />

hat die Daimler AG bald neun unterschiedliche Geländewagen<br />

und -sportler im Programm.<br />

114 <strong>VECTURA</strong> #15


Alfa Romeo mit<br />

Carbon-Monocoque, Aluminium-Chassis und eine perfekte Balance. Pur Alfa Romeo.<br />

ALFA ROMEO 4C.<br />

SETZT EMOTIONEN FREI.<br />

ALFAROMEO.CH<br />

Treibstoffverbrauch kombiniert 6,8 l/100 km, CO2-Ausstoss 157 g/km, Energieeffizienzkategorie G. Der Mittelwert (CO2) aller immatrikulierten Neuwagen in der Schweiz beträgt 144 g/km.


KLARTEXT<br />

«DER SUV-MARKT WÄCHST WELTWEIT»<br />

LOTUS-CHEF JEAN-MARC GALES SPRICHT ÜBER DEN NEUEN EVORA, DIE ZUKUNFTSSTRATEGIE DER<br />

MARKE UND DEN ALLRADLER FÜR ASIEN, DER 2019 KOMMT<br />

Fragen map · Fotos Wale Pfäffli<br />

Herr Gales, das Lotus-Portfolio besteht aus einer über 20-<br />

jährigen Konstruktion und einem Topmodell, das in den letzten<br />

Jahren viel Abstand zum Wettbewerb gewonnen hat. Mit<br />

dem Evora 400 haben Sie kürzlich eine leistungsgesteigerte<br />

Version präsentiert. Ist das auch die Vision für die Marke? Welchen<br />

mittelfristigen Plan haben Sie?<br />

Ich könnte jetzt antworten, dass einer unserer Stuttgarter Wettbewerber<br />

seit 50 Jahren ein Auto kontinuierlich weiterentwickelt.<br />

Genau das machen wir auch. Den Evora allerdings als Weiterentwicklung<br />

zu bezeichnen, wäre zu kurz gesprungen. Das Auto ist zu<br />

zwei Dritteln neu, es hat 406 PS und wir haben nicht nur die Leistung<br />

massiv gesteigert, sondern auch das Gewicht deutlich reduziert.<br />

Mehr Power bedeutet immer auch mehr Masse – grössere<br />

Bremsen, Räder oder einen Kompressor. Trotzdem haben<br />

wir es geschafft, den Evora um 22 Kilo leichter zu machen. Fahrdynamisch<br />

ist er eine Klasse für sich und beschleunigt jetzt in 4,2 Sekunden<br />

auf Tempo 100, was in dieser Leistungsklasse sehr sehr gut<br />

ist. Das Auto geht auch 300 und vor allem – auf unserer Teststrecke<br />

in Hethel ist es sechs Sekunden schneller als sein Vorgänger. Auch<br />

das Konstruktionsprinzip ist moderner denn je – ein verklebtes Alu-<br />

Chassis wie im Flugzeugbau, gewichtsmässig absolut vergleichbar<br />

mit Karbon, aber nur ein Viertel so teuer! Und dazu kompatibel mit<br />

allen unseren drei Baureihen Evora, Exige, Elise; wir setzen nur verschiedene<br />

Composite-Karosserien oben drauf. Ganz im Sinne von<br />

Firmengründer Colin Chapman haben wir unsere Fahrzeuge komplett<br />

auseinandergenommen: Wenn Sie mal nach Hethel kommen,<br />

werden Sie dort einen riesigen Raum vorfinden …<br />

… das Lightweight Lab.<br />

Jaa! Und in diesem Lab liegen alle Komponenten unserer Autos<br />

auf Tischen – mit einem kleinen Preisschild und der Gewichtsangabe.<br />

Wir haben uns jedes Teil genau angesehen und es entweder<br />

neu konstruiert, um es zu vereinfachen. Oder neu verhandelt,<br />

um es kostengünstiger zu machen. Oder einfach fallen<br />

gelassen. Diese Methode hat es uns erlaubt, die Autos leichter<br />

zu machen, denn sie haben konstruktiv noch viel Leben in sich.<br />

Der nächste Exige wird bis Ende 2016 ähnlich überarbeitet werden<br />

wie der Evora – viel stärker, mit dem gleichen Motor, aber<br />

auch viel leichter. 15 Kilo werden wir schaffen.<br />

Wo gewinnen Sie denn die meisten Pfunde – im Chassis?<br />

Da werden wir sicher sieben, acht Kilo holen. Und die 17-Kilo-Batterie<br />

durch ein 12-Kilo-Modell ersetzen. Im Exige wollen wir sogar<br />

eine Lithium-Ionen-Batterie anbieten, die nur fünf Kilo wiegt.<br />

Sitze, Sitzschienen – auch hier kann man noch zwei, drei Kilo<br />

herausnehmen. Der Exige hat heute Gussräder; mit Schmiederädern<br />

sind zwei Kilo pro Rad machbar. Sie sehen: Wenn man<br />

Kilo sucht, findet man die auch – muss man die finden, weil das<br />

Auto ja den etwas schwereren Motor erhält.<br />

Wo Sie Kilo finden, entstehen auch Mehrkosten. Lotus war<br />

nie eine Billigmarke; welche Preise muss man sich künftig<br />

vorstellen?<br />

Es ist uns gelungen, die Herstellungskosten des Evora um zehn<br />

Prozent zu senken.<br />

116 <strong>VECTURA</strong> #15


Jetzt also auch Lotus – und so stellt sich Mark Stehrenberger die dritte Baureihe für uns vor<br />

Aber er wird dadurch nicht zehn Prozent günstiger.<br />

Nein, weil das Auto ja jetzt viel stärker ist und Kunden genau<br />

dafür bezahlen. Aber der Evora ist im Wettbewerb sehr gut positioniert;<br />

er kommt Ende August und wird ab 92 000 Franken<br />

kosten. In den USA starten wir dann Ende Jahr.<br />

Bisherige Evora-Versionen wird es nicht mehr geben?<br />

Der 400 ersetzt sie komplett. Wir hatten ja den 280er, aber der<br />

hat sich nicht bewährt und am Ende seiner Laufbahn deutlich<br />

schlechter verkauft als der 350er. Das Fahrwerk verkraftet<br />

400 und mehr PS problemlos. Wir haben noch etwas anderes<br />

gemacht: die Alltagstauglichkeit verbessert, denn das ist wichtig<br />

für künftige Kunden. Der Schweller ist jetzt tiefer, man steigt einfacher<br />

ein und aus. Auch die Klimatisierung wurde massiv überarbeitet;<br />

jetzt heizt man im Winter und kühlt im Sommer, was<br />

vorher nicht immer der Fall war. Die Instrumente sind ablesbarer<br />

und viel ergonomischer gestaltet, was vor allem im täglichen<br />

Umgang viel Freude macht.<br />

Denken Sie darüber nach, bestimmte Produktionsprozesse<br />

künftig auszulagern?<br />

Wir werden weiterhin in Hethel produzieren und ein klares Bekenntnis<br />

zum Standort Norwich abgeben. Als ich kam, wurden<br />

1300 Autos gebaut – viel zu wenig! Jetzt sind wir bei 50 die Woche<br />

und werden uns bis Ende Jahr auf 70 steigern. Wir haben<br />

zuerst die Belegschaft reduziert, weil es zu viele Ingenieure und<br />

Personal in indirekten Bereichen wie Einkauf, Finanz, Personal<br />

gehabt hat. Wir werden allerdings in den kommenden Monaten<br />

wieder 150 neue Leute einstellen, vor allem in der Fertigung,<br />

um mehr Autos bauen zu können. Wir sind bei sechs Evora die<br />

Woche und wollen auf 30 kommen.<br />

Das wären dann wieder über 1000 Beschäftigte.<br />

Wir werden wieder über 1000 gehen, jawohl. Wir waren bei 1200<br />

und gehen auf rund 1100, und das mit einer anderen Zu sam -<br />

mensetzung.<br />

10 000 Fahrzeuge pro Jahr haben Sie als Hausnummer genannt;<br />

reichen 1100 Mitarbeiter?<br />

Diese Zahlen haben wir nie bestätigt; sie sind langfristig sicherlich<br />

ein Ziel für jeden Hersteller, der in einer Nische lebt. Mittelfristig<br />

wollen wir zunächst einmal auf 3000 Autos kommen; das<br />

Geschäftsjahr läuft bei uns von April 2015 bis März 2016. Im<br />

letzten Jahr haben wir über 2000 geschafft, was ein Fortschritt war.<br />

Bis März 2017 wollen wir dann wieder schwarze Zahlen schreiben,<br />

die Produktion auf 4000 Einheiten steigern und diesen Level<br />

für eine gewisse Zeit halten. Weiteres Wachstum geht nur mit<br />

neuen Modellen und wir überlegen derzeit, welche das sein könnten.<br />

Ich schliesse dabei weder eine Karosserieform noch ein Fahrzeugsegment<br />

aus.<br />

Ein SUV für Asien ist der gangbarste, auch finanziell interessanteste<br />

Weg. Auch einer, der zur Lotus-Geschichte passt,<br />

wenn man an Talbot Sunbeam zurückdenkt – vielleicht unter<br />

etwas glücklicheren Vorzeichen?<br />

Das ist sicherlich ein gangbarer Weg. Zudem liegt der SUV-Markt<br />

weltweit bei zehn Prozent und steigt, vor allem in Asien. Und wir<br />

werden einen SUV anbieten, der sich deutlich von dem unterscheidet,<br />

was man heute in diesem Segment sieht.<br />

Wie wird das Fahrzeug denn aussehen?<br />

Die meisten SUV sind heute sehr gross und schwer. Der Lotus-<br />

SUV wird niedriger, mit Sicherheit deutlich leichter, sieht sehr gut<br />

aus und wird im Bereich Handling Benchmark sein. Das ist unsere<br />

DNA und die wollen wir behalten.<br />

Leichtbau und Simplicity – das sind Ihre Steckenpferde, habe<br />

ich gelesen. Und dass Sie immer schon Lotus-Fan gewesen<br />

sein sollen.<br />

Ja.<br />

Ist Einfachheit in einer immer komplexeren Autowelt mit immer<br />

höheren Sicherheitsanforderungen überhaupt noch möglich?<br />

Mit niedrigem Gewicht?<br />

Unsere Autos erfüllen alle gängigen Vorschriften, auf jeden Fall.<br />

Wir haben jetzt Reifendrucksensoren in allen Modellen, der Evora<br />

400 ist der erste Lotus mit Seitenairbags und allen intelligenten<br />

Sensoren, die wir für den US-Markt brauchen werden. Der Jahrgang<br />

2016 ist ein Weltauto, das wir überall verkaufen können –<br />

was beweist, dass sich Sicherheitsnormen und Leichtbau nicht<br />

ausschliessen.<br />

Für Weltautos brauchen Sie natürlich auch einen Motorlieferanten.<br />

Wird es bei der Kooperation mit Toyota bleiben?<br />

SOMMER 2015 117


KLARTEXT<br />

Wird es Änderungen im Design geben?<br />

Der neue alte Designer heisst Russell Carr.<br />

Zur Vertriebsstruktur: Sie sind derzeit bei rund 180 Händlern<br />

und wollen bis Ende 2015 auf 200 kommen. Reicht das?<br />

Nein, das wird nicht ausreichen. Wir waren Mitte 2014 bei 138<br />

Händlern, hatten jedoch keine in Paris, London, Madrid, Berlin,<br />

Mexiko, den Philippinen. Und waren in vielen Hauptstädten überhaupt<br />

nicht vertreten, was wir gerade ändern.<br />

Hoffnungsträger: der neue Evora 400<br />

Ja, die Zusammenarbeit ist sehr gut und erfolgreich. Was auch<br />

Ihre vorhin gestellte Frage neu beantwortet: Es wäre für Lotus kein<br />

gangbarer Weg, selbst Motoren zu entwickeln. Den 3,5-Liter-V6<br />

im neuen Evora haben wir allerdings mit unserem eigenen Kompressor<br />

und Motormanagement beflügelt.<br />

Ist das die Spitze des Eisberges?<br />

Nein, aus dem Hubraum kann man noch mehr rausholen (lächelt).<br />

Es kommt ja ein Cup-Modell …<br />

Zuerst werden wir nächstes Jahr eine offene Version anbieten,<br />

die sehr viel Sinn macht, vor allem in den USA, wo die Hälfte aller<br />

Supersportwagen dachfrei ist. Erst dann folgt eine noch leichtere<br />

Cup-Version, bei der wir ein paar Extra-PS eingeplant haben.<br />

Motorsport, Markencup – sind das Themen für Sie? Vielleicht<br />

mit externen Partnern?<br />

Das haben wir auf jeden Fall auf dem Schirm. Es passt zu Lotus,<br />

und unsere Motorsportabteilung wird sich auf verschiedene<br />

lokale, nationale Markencups konzentrieren – das sind unsere<br />

Fans, die Autos kaufen und die auch fahren, auf der Strecke oder<br />

im Alltag. Endurance ist auch ein Thema für uns, da wollen wir<br />

stärker werden. Ich schliesse nicht aus, dass Sie uns ab 2016<br />

wieder bei einigen 24-Stunden-Rennen sehen werden. Das ist<br />

eine gute und relativ preiswerte Form, Motorsport zu betreiben<br />

und eine hohe Aufmerksamkeit zu erzielen.<br />

Und eine schöne Verbindung in die Vergangenheit, genauso<br />

wie Kunststoffkarosserien. Blech, der favorisierte Werkstoff<br />

Ihres Vorgängers Bahar, ist gar kein Thema mehr?<br />

Nein, kein Thema mehr. Bei dem geklebten Chassis sind wir eindeutig<br />

führend und beim Kunststoff werden wir noch einen Schritt<br />

weiter gehen mit einer niedrigeren Dichte bei sehr hoher Festigkeit<br />

– etwas, das erst seit drei, vier Jahren möglich ist. Das, vor<br />

allem bei den Leichtbaumodellen, ist wieder typisch Lotus. Man<br />

sieht es auch beim Wettbewerb, der zunehmend in diese Richtung<br />

geht; wir hatten viele Nachfragen zu dieser Technologie.<br />

Das bestätigt uns in unserem Tun.<br />

Ist der Alfa Romeo 4C momentan der bessere Elise?<br />

Die Presse sagt Nein: In den mir bekannten vier Vergleichstests<br />

hat jeweils der Elise gewonnen. Dem ist von meiner Seite wenig<br />

hinzuzufügen. Natürlich nehmen wir jeden Wettbewerber ernst<br />

und werden das auch weiterhin tun. Aber wenn eine alte Konstruktion<br />

in der Lage ist, ein modernes Auto zu schlagen, hat man<br />

wohl alles richtig gemacht. Wir werden allerdings nicht aufhören<br />

und den Elise natürlich weiterentwickeln.<br />

Das sind dann Mehrmarkenhändler?<br />

Das sind Mehrmarkenhändler, die aber eine sehr hohe Lotus-<br />

Begeisterung mitbringen.<br />

Gibt es eine Unterscheidung zu Exklusivhändlern?<br />

Nein, ich bin froh um jeden Händler, der grün-gelbes Blut hat<br />

und uns vertreten wird. Wir sind sehr glücklich darüber, dass wir<br />

in Paris und London Partner gefunden haben, die uns jetzt dort<br />

repräsentieren. Vor allem London, wo wir nach fünf Jahren zurückkommen,<br />

ist wichtig für uns, der Markt ist wichtig für Lotus.<br />

UK ist Kernmarkt …<br />

Derzeit auf Platz 3 nach Japan und den Vereinigten Staaten. Wir<br />

hatten in England elf Händler, sind jetzt bei 17 und wollen auf<br />

20 hoch. Das ist wichtig; Interessenten wollen das Auto sehen<br />

und probefahren. Und 30 Prozent kaufen dann – das sind viel mehr<br />

als bei anderen Marken. 2017 wollen wir weltweit über 300 Händler<br />

verfügen. Das Vertrauen, das uns von Kunden und Partnern<br />

entgegengebracht wird, ist faszinierend.<br />

Sie bieten jetzt ein Drei-Jahre-Sorglospaket inklusive Service<br />

an. Wird es ein «Certified»-Programm für Occasionen geben?<br />

Das Programm ist fertig entwickelt, wir suchen nur noch nach einem<br />

geeigneten Zeitpunkt, um es in diesem Jahr zu lancieren, aber<br />

es kommt in Kürze. Ich bin davon überzeugt, dass man das braucht.<br />

Das Gute an Lotus ist ja auch, dass die Restwerte extrem hoch<br />

sind; in England sind wir da sogar auf Platz 1. Lotus fahren macht<br />

also nicht nur Spass – es ist auch eine gute Wertanlage.<br />

Was für eine Vita: Jean-Marc Gales, Jahrgang 1962, ist seit Mai 2014 Lotus-<br />

Chef. Er folgte auf Dany Bahar, der die britische Marke komplett neu aufstellen<br />

wollte und viel Geld ausgab, wofür er schliesslich vom malaysischen Markeninhaber<br />

Proton, der wiederum zur DRB-HICOM Group gehört, gefeuert wurde.<br />

Gales ist geholt worden, um die Stagnation möglichst rasch zu beenden und<br />

Lotus fit zu machen für eine hoffentlich vielversprechende Zukunft. Zuvor arbeitete<br />

der gebürtige Luxemburger, der in London Management und in Karlsruhe<br />

Maschinenbau studiert hat, knapp zwei Jahre als CEO des europäischen Zuliefererverbandes<br />

CLEPA (European Association of Automotive Suppliers). Zwischen<br />

März 2009 und 12 war Gales bei PSA Peugeot Citroën (zuerst als Citroën-<br />

Direktor, später als Präsident), verantwortete davor drei Jahre lang den weltweiten<br />

Mercedes-Vertrieb, hatte zwischen 2003 und 06 verschiedene Positionen<br />

bei General Motors inne, gehörte von 2001 bis 03 als Marketing- sowie Flottenverkaufs-Direktor<br />

dem Volkswagen-Konzern an und ist davor ein Jahr lang in<br />

ähnlicher Position bei Fiat gewesen. Begonnen hat seine Karriere aber 1998 bei<br />

VW, wo er bis Anfang 2000 das strategische Marketing betreut hat. Gales ist<br />

verheiratet und Vater einer Tochter. map<br />

118 <strong>VECTURA</strong> #15


Abonnieren Sie das Magazin «<strong>VECTURA</strong>» für nur CHF 39.– im Jahr.<br />

Als Dankeschön erhalten Sie eine Ausgabe des<br />

High-Class-Magazins «PRESTIGE»,<br />

des Bauen-und-Architektur-Magazins «sweet home»,<br />

oder eine Ausgabe des Travel-Magazins «IMAGINE» kostenlos<br />

<strong>VECTURA</strong>MAG.CH


120 <strong>VECTURA</strong> #15


FAHRTERMIN<br />

KRAFT<br />

MAL<br />

VIER<br />

DER NEUE XC90 FÄHRT<br />

ENDLICH VOR – UND IST<br />

VOLVO XXL, ABER OHNE<br />

ALLZU VIEL POMP ODER<br />

BLING-BLING. DENN DER<br />

GROSSE SCHWEDE<br />

TRÄGT SEINEN FEINEN<br />

PELZ NACH INNEN, WIE<br />

WIR BEREITS ERLE-<br />

BEN DURFTEN. ALS<br />

OFFROADER FÜR<br />

SCHWERES GELÄNDE<br />

IST ER ALLERDINGS<br />

NICHT GEDACHT<br />

Text map, Jo Clahsen<br />

Fotos Christian Bittmann<br />

SOMMER 2015 121


122 <strong>VECTURA</strong> #15<br />

FAHRTERMIN


SOMMER 2015 123


124 <strong>VECTURA</strong> #15


FAHRTERMIN<br />

Lange haben Markenfans auf diesen Gegenentwurf unter<br />

den SUV gewartet, nun steht er tatsächlich und leibhaftig<br />

vor uns. Was für ein Wagen: stattliche 4,95 Meter lang,<br />

über 1,9 Meter breit und knapp 1,8 Meter hoch. Gewaltig ist er,<br />

der neue XC90 von Volvo. Und mit mindestens 1,9 Tonnen Leergewicht<br />

auch ein recht massiver Bursche. Da, so die konditionierte<br />

Denkweise, sollte es unter der Haube tüchtig rumoren. Tut<br />

es aber nicht, denn durch die ganze, übrigens selbst entwickelte<br />

und auch produzierte Motorenpalette hindurch sind maximal vier<br />

Zylinder an Bord. Plus ein Bi-Triebwerk mit zusätzlichen 80 E-PS<br />

im Plug-in-Hybrid. «Pffff», mag da mancher Kaufinteressent sagen.<br />

Aber nur, wenn er noch nie eingestiegen ist …<br />

Alain Visser, als Senior Vice President Marketing bei Volvo für die<br />

passenden Botschaften zuständig, gesteht, dass «wir grossen<br />

Respekt vor den deutsche Premium-Herstellern Mercedes, BMW<br />

und Audi haben. Aber genau in dieses Segment wird Volvo in<br />

den nächsten Jahren eindringen». Der XC90 signalisiere Volvo<br />

Premium und sei komplett «Made in Sweden». Wir unterschreiben<br />

das ausnahmsweise: Die Verarbeitungsqualität ist wirklich<br />

erstklassig. Fahrwerk, Drivetrain und Karosserie, aber auch eine<br />

neue Produktarchitektur (siehe <strong>VECTURA</strong> #8) weisen auf direktem<br />

Weg in Richtung Zukunft. Auch beim Design will Volvo punkten;<br />

auffälligstes Merkmal ist ein LED-Tagfahrlicht, das wie Thors<br />

Hammer die gesamten Frontscheinwerfer durchzieht. Oder der<br />

neue Grill mit senkrechten Chromleisten und einem signifikanteren<br />

Markenlogo.<br />

Wir boarden inzwischen: Man reicht uns zuerst das 400 PS starke<br />

Topmodell T8, eben jenen benannten Hybrid. Komplexe Technik,<br />

von der man nichts sieht. Bedient und gelenkt aus einem nordisch<br />

klaren Innenraum, in dem gerade mal acht Schalter und<br />

Knöpfe zu sehen sind (ausserhalb der Digital-Instrumente werden<br />

Zusatzinformationen in die Windschutzscheibe eingespiegelt).<br />

Eine solche Bedien-Askese gab es zuletzt vor Jahrzehnten<br />

in einer alten, analogen, fast vergessenen Zeitrechnung. In<br />

unserer reizüberfluteten Multimedia-Gegenwart wirkt das bestens<br />

isolierte Cockpit wie eine Wellness-Oase der Ruhe und<br />

Erholung, fällt die «Schnell-noch-meine-Mails-checken»-Nervosität<br />

von den Insassen ab.<br />

Obwohl auch das vortrefflich geht im Volvo-Topmodell. Hinter<br />

dem zentralen, hochkant angeordneten Touch-Display von<br />

der Grösse eines Maxi-iPad versteckt sich das World Wide<br />

Web mit all seinen Verlockungen, eröffnen sich neue Perspektiven.<br />

Alternative Routen- und Restaurant-Empfehlungen sind<br />

da fast schon Banalitäten, die Funktionen sind vielfältig, die<br />

Menu-Strukturen dank Home-Button selbsterklärend. Ein wenig<br />

«over-done» muten da höchstens der wahlweise aus Kristallglas<br />

gefertigte Schalthebel oder ein Startknopf (jetzt zum<br />

Drehen statt zum Drücken) an, aber hey: Jeder Hersteller versucht<br />

schliesslich, seinen Fahrzeugen eine individuelle Note<br />

zu verleihen. Und die Volvo-Atmosphäre ist eine sehr dezente,<br />

behutsame, ja rücksichtsvolle.<br />

Dazu passen die verfügbaren aktiven und passiven Insassensowie<br />

Fussgängerschutzsysteme, auf die wir noch eingehen<br />

werden. Und die Lautlosigkeit, mit der sich der Plug-in-Hybrid in<br />

Bewegung setzt. Beeindruckend, wie leichtfüssig sich der XC90<br />

bewegen lässt! Aus zart wird allerdings ganz schnell hart, wenn<br />

per Kick-down die gesamte Kraft auf die Strasse zitiert wird – und<br />

auch das fasziniert! Denn das Beben der «Gas Guzzler» bleibt<br />

aus, der Schub ist linear, aber auch sehr nachdrücklich. Angenehm<br />

anders, möchten wir sagen. Bei normalem Tempo können<br />

bis zu 40 Kilometer rein elektrisch zurückgelegt werden, rechnen<br />

uns die Schweden voller Stolz vor.<br />

Das aktuell andere Ende der skandinavischen SUV-Fahnenstange<br />

heisst derzeit noch D5, denn Volvo wird Ende Jahr zwei<br />

weitere Motorisierungen nachreichen – eine davon ist ebenfalls<br />

ein Diesel, der D4 heisst und ab Ende 2015 weniger mit seinen<br />

190 PS als vielmehr dem Frontantrieb und günstigem Einstiegspreis<br />

von unter 70 000 Franken punkten dürfte. Der D5 Biturbo<br />

dagegen hat Allrad permanent und 225 PS; seine wahre Währung<br />

ist aber das satte Drehmoment, welches Berge zu versetzen<br />

scheint. Auch hier ist Sanftheit erfahrbar, denn der Selbstzünder<br />

ist kein Triebwerk für Heizer. Dennoch steht man nie irgendjemandem<br />

im Weg; die Landschaft um das Auto bewegt sich nicht<br />

hektisch, sondern entschlossen und zielorientiert. Mal ehrlich: Ist<br />

das heutzutage nicht die übliche Art der Fortbewegung? Volvo<br />

liegt da genau richtig, dazu kommen angenehm lange Tankstellen-Abstände,<br />

kurzum: Wer noch kein Diesel-Freund ist, könnte<br />

hier zu einem werden.<br />

Ein Geländegänger will und soll<br />

der Super-Volvo nicht sein. Dafür ist er<br />

ganz einfach zu fein, zu wertvoll<br />

Ohnehin wird Performance sekundär, wenn es innen gemütlich<br />

ist und uns das Internet das Autofahren verschönert. Oder<br />

wenn wir – bei Richtgeschwindigkeit und unter Einsatz des adaptiven<br />

Tempomaten – verzückt der Carmina Burana lauschen,<br />

die dank einer Bowers&Wilkins-Anlage so präzise wiedergegeben<br />

wird, dass man in manchen Passagen glaubt, das Anzug-<br />

Rascheln des Dirigenten heraushören zu können. Dies kann<br />

man auch zu siebt tun – zwei weitere Einzelsitze verstecken sich<br />

im Kofferraumboden. Der XC90 eignet sich aber auch als clever<br />

arrangierte Business-Lounge, wenn statt Beifahrersitz eine<br />

multifunktionale Konsole zum Einsatz kommt, die als Beinauflage,<br />

Schreibtisch, Heimkino, Schminkkonsole oder Schuhregal<br />

fungiert (siehe S. 130). Dieses neuartige Komfort-Feature<br />

wurde letzten April anlässlich der Shanghai Motor Show gezeigt<br />

und wird wohl demnächst auch in einer Chauffeurs-Version des<br />

XC90 erhältlich sein.<br />

Orthopädische Sitze mit adaptiven Kopfstützen und Gurtstraffern<br />

gehören selbstredend dazu. Denn wie von den Schweden<br />

gewohnt steht Fahrzeug- und Insassensicherheit an erster Stelle.<br />

Neben den üblichen Verdächtigen wie Tot-Winkel-Assistent, Verkehrszeichenerkennung,<br />

Stau-Assistent, Notbrems-Assistent<br />

City Safety, Überschlagsschutz und dem Querverkehrswarner<br />

beim Rangieren aus Parklücken steht jetzt noch ein System für<br />

Kreuzungen bereit, das automatisch bremst, wenn der Fahrer<br />

zum Beispiel beim Abbiegen in den Gegenverkehr zu fahren<br />

droht. Mit Off Road Protection gibt es auch einen Assistenten,<br />

der den Wagen davon abhält, von der Strasse abzukommen.<br />

Einparken kann der XC90 auch fast alleine: Der Fahrer muss nur<br />

noch Gas und Bremse betätigen, eine 360°-Kamera liefert ein<br />

SOMMER 2015 125


126 <strong>VECTURA</strong> #15


FAHRTERMIN<br />

Hochwertige Materialien, Eleganz, beste<br />

Ergonomie, ein grosser Touchscreen, wenige<br />

Knöpfe und viel Ruhe prägen den Innenraum<br />

SOMMER 2015<br />

127


FAHRTERMIN<br />

TECHNISCHE DATEN VOLVO XC90<br />

Konzept Nach 13 Jahren die zweite Generation des schwedischen Luxus-SUV; Downsizing-Konzept (nur Vierzylinder-Motoren). Selbsttragende Karosserie<br />

mit Hilfsrahmen vorne, 5 Türen, 5 / 7 teils versenkbare Sitzplätze. Zahnstangenlenkung mit Servo, doppelte Dreieckquerlenker vorne, Mehrlenkerachse hinten,<br />

Scheibenbremsen rundum (belüftet). Achtstufen-Automat, permanenter Allradantrieb<br />

Motor Vierzylinder in drei Leistungsstufen (Benziner, Diesel und Benzin-Plug-in-Hybrid) mit Turbo und / oder Kompressor, Intercooler.<br />

Neue Einstiegsmotorisierungen (D4 mit Frontantrieb und 190 PS und T5 AWD mit 254 PS) sind ab Herbst verfügbar<br />

D5 AWD T6 AWD T8 AWD Twin Engine<br />

Hubraum in cm 3 1969<br />

Bohrung x Hub in mm 82 x 93,2<br />

Verdichtung 15,8:1 10,3:1 10,3:1<br />

Leistung in PS (kW) @ U / min 225 (165) @ 4250 320 (235) @ 5700 318 (234) @ 6000 + 82 (60)<br />

Max. Drehmoment in Nm @ U / min 470 @ 1750 – 2500 400 @ 2200 – 4500 400 @ 2200 – 5400<br />

Kraftübertragung<br />

A8<br />

Abmessungen (L/ B / H) in cm 495 / 192,5 / 177,5<br />

Radstand in cm 298,5<br />

Spur vorne / hinten in cm 166,5 / 167,5<br />

Reifen und Räder 235 / 60 R18 auf 8J 265/60 R18 auf 8J 235 / 55 R19 auf 8J<br />

Tankinhalt in L 70 70 50<br />

Kofferraumvolumen in L 315–1895 315 – 1895 315–1870<br />

Leergewicht (ohne Fahrer) in kg 1930 1850 2275<br />

Zulässiges Gesamtgewicht in kg 2630 2630 3010<br />

Leistungsgewicht in kg / PS 8,6 5,8 5,7<br />

0 – 100 km / h in Sek. 7,8 6,5 5,6<br />

Höchstgeschwindigkeit in km / h 220 230 230<br />

Durchschnittsverbrauch* in L / 100 km 5,8 7,7 2,1<br />

CO 2 -Emission in g / km 152 179 49<br />

Energieeffizienzkategorie C F A<br />

Preis ab CHF 74 000.– 78 500.– 99 990.–<br />

* gemessen nach NEFZ: Neuer Europäischer Fahrzyklus<br />

128 <strong>VECTURA</strong> #15


Bild aus der Vogelperspektive und die Elektronik kümmert sich<br />

um die Lenkung. Damit ist Volvo ganz vorne bei Premium dabei,<br />

denn mehr haben auch die deutschen Hersteller in dieser<br />

Preisklasse nicht zu bieten. Die Achtstufenautomatik ist Stand<br />

der Dinge und eine Luftfederung gibt es optional, auch mit fünf<br />

verschiedenen Fahrmodi.<br />

Die Kolonne vor uns bremst unvermittelt, der XC90 verzögert<br />

selbstständig mit ausreichend Abstand und dem Selbstbewusstsein<br />

eines Volvo. Auch das fühlt sich gut an; wenig später steigen<br />

wir wieder um. Diesmal in die goldene Mitte, den ebenfalls doppelt<br />

aufgeladenen T6-Benziner. Und der hat alles – die Seidigkeit<br />

von 95 Oktan, den leichtesten Antriebsstrang und in unserem<br />

Fall auch das Executive-Paket mit vielen der eben erwähnten<br />

Ausstattungen, welche die 48-seitige Optionsliste bereithält.<br />

Derart fein ausstaffiert wagen wir uns von der Strasse auf schwedische<br />

Schotterpisten und durchqueren dabei dichte Birkenhaine,<br />

in denen man Elche vermuten mag. Der Kies spritzt nach<br />

allen Seiten, der T6 schiebt durch die Kurven und lässt sich dabei<br />

sogar ein wenig anstellen. Mit Regenwasser gefüllte Furchen und<br />

selbst unbefestigte Hänge lässt er mühelos hinter sich, während<br />

es uns reut. Gut, es geht, auch die berühmte Skihütte kann sich<br />

im nächsten Winter auf Besuch freuen, der garantiert ankommt.<br />

Indes – ein Geländegänger will und soll der Super-Volvo nicht<br />

sein. Dafür ist er ganz einfach zu fein, zu wertvoll. Er mag Golfbags<br />

transportieren, keine toten Füchse. Als modernster Vertreter<br />

einer Zunft hat man ihn weniger für den Wald als viel mehr<br />

für die Randbezirke unserer Zivilisation konzipiert. Und dort kann<br />

es ja gelegentlich auch recht wild zugehen.<br />

SOMMER 2015 129


NACHGEHAKT<br />

FÜNF FRAGEN AN TOM ANLIKER,<br />

CHEF VON VOLVO SCHWEIZ<br />

Tom, warum ist der XC90 so wichtig für Volvo?<br />

Mit dem neuen XC90 läuten wir eine neue Ära der Firmengeschichte<br />

ein. Er bietet mehr Luxus als jeder Volvo zuvor – und er<br />

stellt den Menschen und seine Bedürfnisse ins Zentrum des Geschehens.<br />

Der XC90 ist der Startschuss zu «A New Beginning» –<br />

mit ihm macht die Marke nicht nur einen entscheidenden Schritt<br />

in die Zukunft, sondern kehrt auch zu ihren Wurzeln zurück. Das<br />

Fahrzeug wurde komplett in Schweden entwickelt und wird auch<br />

dort gebaut. Es ist nicht einfach nur ein neuer Volvo – es symbolisiert<br />

die Neulancierung der Marke.<br />

Wie wichtig ist das Auto für den Schweizer Markt?<br />

Der XC90 wird für uns auch das Aushängeschild für zukünftige<br />

Modelle sein – und er wird die Schweizer überraschen. Insofern<br />

setzen wir nicht einzig auf Absatzzahlen, sondern sehen den<br />

Wagen auch als Markenbotschafter. Dass wir den Nerv der Zeit<br />

getroffen haben, beweisen die Vorbestellungen: Noch vor der<br />

ersten Auslieferung haben wir bereits knapp 80 Prozent unseres<br />

Absatzziels für 2015 erreicht – ohne dass je ein Kunde das<br />

Fahrzeug gefahren ist, ich bin beeindruckt.<br />

Gibt es den typischen XC90-Käufer?<br />

Ich möchte nicht von einem typischen XC90-Käufer sprechen<br />

– viel lieber vom typischen Volvo-Kunden. Der ist kein Angeber,<br />

aber erfolgreich. Er weiss, was er wert ist, und pflegt Understatement.<br />

Volvo steht für noble Zurückhaltung und progressive<br />

Werte. Steve Jobs von Apple und Ingvar Kamprad von Ikea waren<br />

oder sind ambitionierte Volvo-Fahrer. Somit sprechen wir mit<br />

der Marke Volvo selbstbewusste Individualisten an, die sich von<br />

der Masse abheben möchten. Damit ist Volvo die skandinavische<br />

Antwort im Premiumsegment.<br />

Nach der Testfahrt wissen wir: Vier Zylinder sind nicht zu wenig.<br />

Wird das Antriebskonzept weiterentwickelt werden?<br />

Die Strategie, welche wir 2013 kommunizierten, ist und bleibt<br />

ganz klar eine Vierzylinder-Strategie. Und mit unserer Drive-E-<br />

Motorenfamilie müssen Kunden auf nichts verzichten. Sie bietet<br />

Effizienz in einer neuen Dimension und sorgt auch damit für viel<br />

Fahrspass. Zudem sind die Drive-E-Aggregate von vornherein auf<br />

eine künftige Elektrifizierung ausgelegt. Mit unseren Twin-Engine-<br />

Modellen, dem V60 und XC90, verfügen wir über nachhaltige Produkte<br />

mit den jeweils besten Emissionswerten ihrer Kategorie.<br />

Wie geht es 2016 modelltechnisch weiter?<br />

Volvo startet mit dem neuen XC90 eine noch nie dagewesene<br />

Modelloffensive. In den nächsten vier Jahren wird die gesamte<br />

Produktpalette erneuert. Somit wird der heute neue Volvo XC90<br />

in 2019 die älteste Baureihe sein. 2016 werden wir mit der Limousine<br />

S90 und dem Fünftürer V90 beginnen und so die 90er-<br />

Reihe komplettieren. map<br />

Fahren lassen: Mit dem Lounge-Console-Konzept zeigt Volvo, wie ein XC90 zur Stretchlimousine werden kann<br />

130 <strong>VECTURA</strong> #15


AUSERLESENE IMMOBILIENUNTERNEHMEN IHRER REGION<br />

WWW.PRESTIGEHOME.CH


BRIEF AUS BORDEAUX<br />

Lieber Freund, Du hast mich nach meiner Meinung zum aktuellen<br />

französischen Automobildesign gebeten. Darauf antworte<br />

ich Dir gerne, doch gestatte mir zunächst, auf die historische<br />

Entwicklung einzugehen, ohne die ich kein objektives Urteil zur<br />

Moderne abgeben kann.<br />

Von 1920 bis Mitte der 1930er-Jahre war die handwerkliche und<br />

technische Ausführung des französischen Automobilbaus von<br />

grosser Sachkenntnis geprägt und entsprechend beeindruckend<br />

anzuschauen. Diese Arbeiten übten nachweislich auch einen positiven<br />

Einfluss auf die junge Generation amerikanischer Stilisten<br />

aus – auf Harley Earl zum Beispiel, der dann später die General<br />

Motors Styling Division aufgebaut hat. Kurz: Der französische Stil<br />

auf diesem Gebiet war weltweit führend.<br />

Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand leider eine gegenteilige<br />

Ideologie; per politischem Diktat wurden alle französischen Konstrukteure<br />

dazu gezwungen, nur noch kleine, kostengünstige<br />

Autos zu entwerfen. Luxuriöse Limousinen waren fortan tabu.<br />

Das Ergebnis dieser unseligen Entscheidung wirkt sich noch<br />

heute negativ aus. Der Fortschritt ging verloren, dazu kamen<br />

Untermotorisierung und Unzuverlässigkeit; die Qualität liess also<br />

in mehrerlei Hinsicht stark zu wünschen übrig. Überhaupt war<br />

die Praxis, billige Stilelemente auch auf das gehobene Preisniveau<br />

zu übertragen, ein riesiger Irrtum. Die Oberklasse bleibt<br />

doch immer eine wichtige Signatur, sie ist das Aushängeschild<br />

einer Marke.<br />

Eine Karosserie sollte eine rollende Skulptur sein, kein kurz lebiges<br />

Gimmick mit allerhand wahllos darauf verteilten Chromelementen.<br />

Zu viele Linien verderben das Gesamtbild, dazu kommen<br />

immer öfter riesige Rückleuchten mit teils skurrilen, ja affektierten<br />

Formen. Furchtbar. Solche Details nähren meine Ansicht,<br />

dass sich die aktuelle französische Designsprache in die falsche<br />

Richtung begibt.<br />

Bitte: Ich möchte meine jungen Kollegen hier nicht schlechtmachen<br />

und als verbitterter älterer Stilist gelten. Das würde auch<br />

nicht der Wahrheit entsprechen. Doch während meiner mittlerweile<br />

60 Jahre in diesem Beruf war ich stets bemüht, eine dauerhafte<br />

Form zu finden, die ebenso fliessend wie dynamisch<br />

und zeitlos sein sollte. Das will natürlich gelernt sein; es braucht<br />

viel Übung und Augenmass. Ich erinnere mich genau an meine<br />

erste bewusste Begegnung mit einem Auto. Das war 1939 und<br />

ein richtiger Schock – vor mir stand ein blauer Buick mit weissem<br />

Verdeck; seine flüssige Linie hat mich fasziniert. Meine<br />

erste Lektion bekam ich bei Saoutschik in Paris; als Kind habe<br />

ich in seiner Werkstatt gespielt. Und einmal ein Modell gebaut,<br />

aus der Fantasie, und es dem Meister gezeigt. Der schimpfte:<br />

Wie kannst du so etwas machen? Das ist eine Delage-Front mit<br />

einem Cadillac-Heck!<br />

Der aktuell praktizierte «Pseudobarock» hat leider eine kurze<br />

Halbwertszeit, wird schlecht altern und schnell zu einer visuellen<br />

Umweltbelastung führen. Ausserdem hat diese Art der Gestaltung<br />

132 <strong>VECTURA</strong> #15


keine Chance, in 20 Jahren einen Concours d’Élégance zu gewinnen.<br />

Schlichtheit und die Suche nach ihr sind mir ausgesprochen<br />

wichtig. Frank Lloyd Wright hat es einmal besonders passend<br />

ausgedrückt: «Sie ist die perfekte Harmonie zwischen Schönheit,<br />

Nützlichkeit und Genauigkeit.»<br />

Als ich in der Autoindustrie anfing, gab es einen Ingenieur, und<br />

der bestimmte im Wesentlichen, wie ein Auto auszusehen hatte.<br />

Was man heute Designer nennt, war zuerst ein Modelleur, dann<br />

der Stylist. Inzwischen ist die Technik in den Hintergrund getreten,<br />

Design bestimmt ein Fahrzeugkonzept – und das Marketing.<br />

Gestalterisch gibt es jetzt viel mehr Möglichkeiten, die Segmente<br />

verschwimmen, Crossover überall. Zu meiner Berufszeit<br />

mussten wir noch um 21 Zentimeter breite Scheinwerfer herummodellieren,<br />

weil es damals einfach nichts anderes gab. Heute<br />

verfügt man über LED, die den formalen Spielraum enorm vergrössern.<br />

Leider wurde bisher noch nicht viel daraus gemacht –<br />

meist fehlt es den Unternehmen an Mut, aber auch an Kreativität.<br />

Glücklicherweise geniesst französische Eleganz in der Modewelt<br />

noch hohes Ansehen. Und ich empfinde grossen Respekt<br />

für dieses seit Jahrhunderten ausgeübte Können auf gleichbleibend<br />

hohem Niveau – schau Dir nur Hermès an, die Schöpfungen<br />

von Yves Saint Laurent oder Nr.5 von Chanel. Wir durchleben gerade<br />

eine strenge ökonomische Krise, in der um das Überleben<br />

solcher Passion gekämpft werden muss. Und sollten uns deshalb<br />

an die unglaubliche Dynamik und Kreativität einer kleinen<br />

Gruppe amerikanischer Stilisten erinnern, die trotz der furchtbaren<br />

Folgen der Weltwirtschaftskrise nach 1929 diese einmalige,<br />

ja phantastische Stromlinie erfanden, die dann das Design bis<br />

1941 prägen sollte. Und im 20. Jahrhundert das einzige Beispiel<br />

einer perfekten Harmonie in allen Industriebereichen gewesen<br />

ist – im Verkehrswesen bei Autos, Zügen und Flugzeugen, aber<br />

auch bei Haushaltprodukten wie Kühlschränken oder Mixern –<br />

und natürlich in der Architektur.<br />

Umso wichtiger erscheint es mir heute, wieder einen homogenen,<br />

fortschrittlichen, ja herausragenden, unverwechselbaren französischen<br />

Stil zu finden. Sicher, die Modellzyklen sind kürzer geworden,<br />

doch gutes Design folgt den gleichen Regeln, damals<br />

wie heute, und ein guter Strich kostet nicht mehr als ein schlechter<br />

Strich. Mit der Zwangsvorstellung, bloss nicht deutsche Autos<br />

zu kopieren, ist französisches Design krampfhaft auf der Suche<br />

nach besonders originellen Ideen, die dann weder eigenständig<br />

noch überzeugend sind. Sich an anderen zu orientieren, ist eine<br />

schlechte Vorgehensweise. Man sollte doch stets versuchen, etwas<br />

besser zu machen. Das Potential ist zweifellos vorhanden:<br />

Die Citroën Déesse war ein solches Auto – individuell, innovativ,<br />

vorbildlich. Aber auch eine Ausnahmeerscheinung.<br />

Was auch immer geschehen wird: Über Geschmack lässt sich<br />

trefflich streiten, über Stil nicht, glaube mir. Und da ich über ausreichend<br />

Erfahrung verfüge, weiss ich auch, wer das am besten<br />

beurteilen kann: die Zeit. Herzlich, Dein Paul<br />

Paul Bracq wurde am 13. Dezember 1933 als Sohn eines Vertreters für Friedhofs-Dekorationen<br />

in Bordeaux geboren. Der Wunsch, Autos zu entwerfen, entstand<br />

schon sehr früh und deshalb folgte eine klassische Ausbildung: Mit 17 Jahren<br />

begann Bracq eine Holzbildhauerlehre an einem renommierten Pariser Institut,<br />

schloss mit dem ersten Platz ab und lernte anschliessend Karosseriebau.<br />

1953 war er als Assistent von Philippe Charbonneaux am Design der spanischen<br />

Pegaso-Sportwagen oder einer Citroën-Präsidentenlimousine beteiligt. Alle von<br />

Bracq entworfenen Studien, Concept Cars und Sonderanfertigungen zu nennen,<br />

würde hier den Rahmen sprengen. 1957 begann er bei Mercedes in Stuttgart,<br />

um zunächst Prospektzeichnungen anzufertigen … Sein Einfluss auf kommende<br />

Baureihen ist heute Legende. 1967 zog es den Franzosen zurück in die<br />

Heimat: Bei Brissonneau & Lotz in La Rochelle entwarf er den prestigeträchtigen<br />

Hochgeschwindigkeitszug TGV und machte damit Platz für Bruno Sacco, der<br />

später Mercedes-Designdirektor wurde. 1970 zieht es Bracq zurück in die Autoindustrie,<br />

wechselte er als neuer Chefstilist zu BMW und zeigte gleich mit seiner<br />

ersten Arbeit, der Flügeltür-Studie Turbo, was er draufhatte. Die nur 115 Zentimeter<br />

hohe Flunder ist sein vielleicht berühmtestes Auto, doch Bracq hat das<br />

Strassenbild nachhaltig geprägt. Ab 1974 kümmert er sich dann um die Interieur-<br />

Gestaltung sämtlicher Peugeot-Baureihen: «Unsere Kinder wurden grösser, das<br />

Gehalt bei BMW war denkbar knapp und eine Erhöhung nicht in Sicht.» Rückblickend<br />

mag man sich wundern, warum er nicht auch das Exterieur verantwortet<br />

hat, obwohl er gelegentlich Einfluss nimmt, beispielsweise beim 205: «Die ses<br />

Modell hat das Unternehmen gerettet – mit einer klaren, einfachen Gestaltung,<br />

die noch in 50 Jahren ansprechend wirken wird», meint er heute. Die Liste der<br />

von ihm verantworteten Serienfahrzeuge ist beeindruckend und liest sich chronologisch<br />

wie folgt: Mercedes SE Coupé (W111; 1961–69), SL (W113; 1963–71),<br />

600 (W100; 1964–81), S (W108, 1965–72) und / 8 (W114 / 115; 1967–76). BMW<br />

2002 Turbo (E20; 1973 / 74), 5er (E12; 1972–81), 3er (E21; 1975–81), 6er (E24;<br />

1976–89) und 7er (E23; 1977–86). Peugeot (jeweils nur Interieur) 305 (1977–89),<br />

505 (1979–92), 205 (1983–98), 405 (1987–96), 605 (1989–99), 106 (1991–2003),<br />

406 (1995–2004), 206 (1998–2012). Nach vielen Jahren im Ausland und seiner<br />

Peugeot-Zeit in Paris kehrten Bracq und seine Frau Alice, mit der er seit mittlerweile<br />

54 Jahren verheiratet ist, mit ihren Katzen 1996 nach Bordeaux zurück.<br />

Dort geniesst das Paar den Unruhestand; die diplomierte Künstlerin entwirft<br />

Schmuck, Mode oder Gebrauchsgegenstände, er Metallskulpturen oder Sonderkarosserien<br />

für Mercedes-Enthusiasten. Nach wie vor malt der Grandseigneur<br />

des guten Geschmacks leidenschaftlich gerne grosse Ölbilder – bevorzugt<br />

mit Automobilen, versteht sich. Dass die Bracqs ebenso kreative Kinder haben,<br />

verwundert kaum: Isabelle Apolline war Modedesignerin bei Armani, Boris betrieb<br />

ein eigenes Studio für Industriedesign. 2013 haben sich die Geschwister<br />

zusammengetan und restaurieren seither sehr erfolgreich Mercedes-Modelle<br />

der 1950er- und 60er-Jahre (www.lesatelierspaulbracq.com). map<br />

SOMMER 2015 133


DER STOLZ<br />

DER GRANDE<br />

NATION<br />

VOR ÜBER 30 JAHREN HAT RENAULT MIT DEM<br />

KANTIGEN ERSTEN ESPACE DAS EUROPÄISCHE<br />

VAN-SEGMENT ETABLIERT. JETZT WOLLEN<br />

DIE FRANZOSEN DIE BAUREIHE NEU ERFINDEN –<br />

ALS LIFESTYLE-SHUTTLE UND DESIGN-IKONE<br />

Text Stefan Lüscher · Fotos Werk<br />

134 <strong>VECTURA</strong> #15


FAHRTERMIN<br />

Mit grossen Baureihen hat sich Renault in den letzten<br />

Jahrzehnten nicht leicht getan. Selbst die Staatschefs<br />

fahren öfters mit der Konkurrenz oder deutschen<br />

Alternativen. Man erinnere sich zum Beispiel an die graue<br />

Maus Safrane und den formal polarisierenden Vel Satis.<br />

Mit dem Espace hat Renault vor drei Dekaden zwar einen grossartigen<br />

Coup gelandet (siehe <strong>VECTURA</strong> #9). Allein in der Schweiz<br />

wurden 59 000 Einheiten des geräumigen Franzosen abgesetzt.<br />

Die opulente, vom Espace geförderte Fahrzeugklasse<br />

ist aber inzwischen zugunsten kleinerer Van-Modelle (Scénic,<br />

Touran, Zafira), SUV und Crossover dramatisch geschrumpft, ja<br />

regelrecht aus der Mode gekommen. Mehr noch: Mit 4,57 Meter<br />

ist ein Grand Scénic inzwischen sechs Zentimeter länger als<br />

der Espace III.<br />

Die fünfte Espace-Generation trägt diesem Trend Rechnung<br />

und soll dem Espace ein grossartiges Comeback bescheren.<br />

Schliesslich hat man sich bis zum Neubeginn lange zwölf Jahre<br />

Zeit gelassen, das Konzept komplett neu überdacht, schliesslich<br />

sämtliche Komponenten neu konstruiert und den Wagen anders<br />

positioniert.<br />

Das in den drei Ausstattungsniveaus Life, Intens und Initiale als erstes<br />

Fahrzeug seiner Klasse komplett mit LED-Lichtern anrollende<br />

Ergebnis ist unübersehbar ein Espace – aber einer wie aus einer<br />

coolen, zukünftigen Welt eingeflogen. Man hat sich von den behäbigen<br />

Van-Proportionen verabschiedet; Nummer 5 ist ein Crossover<br />

geworden mit je einem Schuss SUV und langgestrecktem Sportkombi.<br />

Wir kennen das bereits vom Ford S-Max, aber der Renault<br />

streckt sich knapp zehn Zentimeter weiter. Bei unveränderter<br />

SOMMER 2015 135


136 <strong>VECTURA</strong> #15


FAHRTERMIN<br />

SOMMER 2015 137


TECHNISCHE DATEN RENAULT ESPACE<br />

Konzept Neu gedachte Grossraumlimousine. Selbsttragende Karosserie, fünf Türen, 5 / 7 teils versenkbare Sitzplätze. Elektrische Zahnstangenlenkung mit<br />

adapt. Servo, elektronisch gesteuerte Vierradlenkung (Option). Vorne Dreieckquerlenker, hinten Verbundlenkerachse mit Längslenkern. Rundum Schraubenfedern,<br />

adaptive Stossdämpfer, Kurvenstabilisator. Scheibenbremsen rundum (innen belüftet), Schalt- oder Doppelkupplungsgetriebe mit 6 und 7 Gängen,<br />

elektronisches Sperrdifferential, Vorderradantrieb<br />

Motor Vorne quer verbaute, wassergekühlte Downsizing-Triebwerke mit 1,6 Liter Hubraum und Turbotechnologie. Jeweils 2 oben liegende Nockenwellen<br />

(Kette), 4 Ventile pro Zylinder, 5fach gelagerte Kurbelwelle. Partiell bei Renault Sport entwickelter Benziner mit Direkteinspritzung, Turbodiesel in zwei Leistungsstufen<br />

(Turbo und Twin-Turbo)<br />

dCi 130 Manuel dCi 160 EDC 6 TCE 200 EDC 7<br />

Hubraum in cm 3 1598 1598 1618<br />

Bohrung x Hub in mm 76 x 80,5 76 x 80,5 79,5 x 80,5<br />

Verdichtung 15,7:1 15,4:1 9,5:1<br />

Leistung in PS (kW) @ U / min 130 (96) @ 4000 160 (118) @ 4000 200 (147) @ 5750<br />

Max. Drehmoment in Nm @ U / min 320 @ 1750 380 @ 1750 260 @ 2500<br />

Kraftübertragung M6 6DKG 7DKG<br />

Abmessungen (L/ B / H) in cm 486 / 189 / 168 486 / 189 / 168 486 / 189 / 168<br />

Radstand in cm 288<br />

Spur vorne / hinten in cm 163 / 162<br />

Bodenfreiheit in mm 160<br />

Reifen und Räder 235 / 65 R17 auf 7J 235 / 60 R18 auf 7,5J 235 / 55 R19 auf 8J<br />

Tankinhalt in L 58<br />

Kofferraumvolumen in L 245 – 2100<br />

Leergewicht (ohne Fahrer) in kg ab 1715 ab 1810 ab 1780<br />

Zulässiges Gesamtgewicht in kg 2355 2470 2410<br />

Anhängelast gebremst 2000<br />

Leistungsgewicht in kg / PS 13,2 11,3 8,9<br />

0 – 100 km / h in Sek. 10,7 9,9 8,6<br />

Höchstgeschwindigkeit in km / h 191 202 211<br />

Durchschnittsverbrauch* in L/100 km 4,4 4,6 6,2<br />

CO 2 -Emission in g / km 116 120 140<br />

Energieeffizienzkategorie A A D<br />

Preis ab CHF 37 500.– 45 200.– 43 400.–<br />

* gemessen nach NEFZ: Neuer Europäischer Fahrzyklus<br />

138 <strong>VECTURA</strong> #15


FAHRTERMIN<br />

Nach 31 Jahren wagt Renault den<br />

Neuanfang. Es ist aber auch eine<br />

Flucht nach vorn: Vive la Révolution!<br />

Gesamtlänge zum einstigen Grand Espace (jetzt gibt es nur noch<br />

eine Länge mit optional sieben Sitzplätzen) wurde der Auftritt<br />

etwas breiter und zugleich niedriger, während die Bodenfreiheit<br />

beinahe auf ein Softroader-Mass von 16 Zentimeter erhöht wurde,<br />

damit man auch vor Feldwegen nicht kapitulieren muss.<br />

Die trendigeren Proportionen gehen zwangsläufig zulasten des<br />

einst rekordverdächtigen Innenraumvolumens. Es bedeutet allerdings<br />

auch, dass die vormals bleischweren Einzelsitze nicht mehr<br />

ausgebaut werden müssen, sondern an drei Orten elegant per<br />

Knopfdruck – sogar via Touchscreen – entriegelt und im Wagenboden<br />

versenkt werden können. So fasst der Espace je nach der<br />

ansonsten unveränderten Bestuhlung mit fünf bis sieben Sitzen<br />

und je nach Lehnenkonfiguration immer noch üppige 245 bis<br />

2100 Liter Gepäck.<br />

Ein echter Hingucker ist das funktionell noch aufgeräumtere,<br />

optisch hochwertigere Cockpit mit Designanleihen an die Flugzeugwelt.<br />

Da drängen sich sogar Vergleiche mit dem Tesla Model<br />

S auf, denn zentral in der Mittelkonsole thront ein elegant<br />

eingebettetes, vertikal montiertes 9-Zoll-Touchscreen-Display,<br />

das wie ein iPad als intuitiv und einfach bedienbare Kommandozentrale<br />

vorgesehen ist – für Navigation, Telefon, Klimasteuerung,<br />

diverse neue Assistenzsysteme wie Spurhalteassistent<br />

oder den neuartigen, weil auch selbstständig ausparkierenden<br />

Park Assist, ausserdem Sprachsteuerung, Licht-Ambiente, das<br />

neue Head-up-Display, das Abklappen der hinteren Sitzlehnen<br />

und das herausragende Bose-Surround-Audio-System mit zwölf<br />

Lautsprechern.<br />

Sehr stolz ist Renault auch auf das frische Multisense-System:<br />

Es ist die Schnittstelle für sämtliche Technikkomponenten und<br />

bietet dem Espace-Fahrer ein personalisierbares Fahrerlebnis mit<br />

fünf Fahrprogrammen – vier sind vorprogrammiert, eines ist frei<br />

definierbar. Ungewöhnlich viele Parameter lassen sich dabei beeinflussen;<br />

auf der technischen Seite sind dies Vierradlenkung,<br />

Stossdämpfer, Lenkungsservo, Motorcharakteristik und Doppelkupplungsgetriebe.<br />

Für ein entsprechendes Innenraum-Ambiente<br />

sorgen virtueller Motorklang, Klimaautomatik, Massagefunktion<br />

der Vordersitze und das Licht-Angebot für unterschiedliche<br />

Cockpitbeleuchtungen.<br />

An dieser Fülle neuer Features kann man erkennen, dass sich<br />

Renault einiges hat einfallen lassen, um dem Espace eine neue<br />

Daseinsberechtigung zu geben. Er soll jetzt weit mehr sein als<br />

ein Raumfahrzeug. Ob der Kunde andererseits auf Allradantrieb<br />

verzichten will (obwohl die Plattform allradfähig wäre) und dafür<br />

lieber eine Allradlenkung möchte, bleibt dahingestellt. Renault hat<br />

sich vorerst aber für diesen Weg entschieden, wie uns Renault-<br />

Suisse-CEO Uwe Hochgeschurtz bestätigt hat.<br />

Unabhängig davon kann sich das Ergebnis auf der ersten Testfahrt<br />

durchaus sehen und fühlen lassen. Der Espace wird allein<br />

SOMMER 2015 139


FAHRTERMIN<br />

Keiner ist feiner: Das Topmodell Initiale<br />

weiss mit Details zu überzeugen.<br />

High-Tech ist fast selbstverständlich<br />

140 <strong>VECTURA</strong> #15


Understated British Clothing<br />

19 Piccadilly, London W1J 0LA<br />

0207 734 0830<br />

www.cordings.co.uk


FAHRTERMIN<br />

schon von seinen Dimensionen her niemals ein Sportwagen sein,<br />

er lässt sich aber agil über kurvige Strassen fahren und fühlt sich<br />

auch im Stadtverkehr handlich an. Bei den Modellen mit Vierradlenkung<br />

schlagen die hinteren Räder bei niedrigen Geschwindigkeiten<br />

entgegen den vorderen ein und verkleinern so den Wendekreis<br />

von 11,9 auf 11,1 Meter. Bei höheren Geschwindigkeiten<br />

lenken sie parallel zu den vorderen und verleihen dem Fahrzeug<br />

ein agileres Handling. Insgesamt lassen sich die elektronisch<br />

gesteuerten Hinterräder um 3,5° drehen; ausser dem positiven<br />

Eindruck bekommen die Insassen nichts davon mit.<br />

Gut getroffen wurde auch die Fahrwerksabstimmung: Die Federung<br />

vermittelt angenehmen französischen Langstrecken-Reisekomfort,<br />

wie man ihn erwartet, ohne dabei an ein schwerfälliges<br />

Raumschiff erinnert zu werden. Dank adaptiven Dämpfern fühlt<br />

sich das Ganze im Sportprogramm noch etwas straffer an, mit<br />

mehr Rückmeldung von der Strasse.<br />

Als Kraftquelle dienen dem Espace drei neue, für ihre nominelle<br />

Grösse sehr souveräne, ausserordentlich leise und unangestrengt<br />

laufende 1,6-Liter-Vierzylinder-Aggregate. Topmodell<br />

ist ein Turbobenziner mit Direkteinspritzung, der es auf<br />

200 PS bringt. In Verbindung mit dem ebenfalls neuen Sechsstufen-Doppelkupplungsgetriebe<br />

beschleunigt er den im Vergleich<br />

zum Vorgängermodell um bis zu 250 kg abgespeckten<br />

Espace in behänden 8,6 s auf Tempo 100. Der mit einem<br />

Siebenstufen-DKG gekoppelte Spitzendiesel benötigt für die<br />

gleiche Übung 9,9 Sekunden und sein Normverbrauch beträgt<br />

lediglich 4,5 L / 100 km – für ein Fahrzeug dieses Ausmasses<br />

eine echte Ansage.<br />

Überhaupt bekommen Käufer viel Auto fürs Geld; die Preise<br />

starten bei 37 500 Franken für das 130 PS starke Basismodell.<br />

Das mit Nappaleder und allen beschriebenen Nettigkeiten<br />

ausgestattete Topmodell Initiale Paris kostet ab 50 000 Franken,<br />

was immer noch ein Wort ist. Fazit: Renault hat alles getan,<br />

um die Erfolgsgeschichte fortzusetzen, wenn auch unter<br />

anderen Vorzeichen. Auf jeden Fall bleibt auch der fünfte Espace<br />

ein Charakterdarsteller, der aus der automobilen Masse<br />

herausragt.<br />

142 <strong>VECTURA</strong> #15


SOMMER 2015 143


DER NÄCHSTE SPRUNG?<br />

ÜBER DIE NEUEN EURO6-DIESELAGGREGATE VON PSA<br />

Text Christian Bartsch · Reklame Werk<br />

Vor 15 Jahren führte Peugeot in der Baureihe 607 als<br />

erster Automobilhersteller die Verwendung eines Partikelfilters<br />

ein, damals noch mit Zugabe des hochgiftigen<br />

Additivs Eolys. Mit zunehmendem Erkenntnisgewinn wurde die<br />

ursprünglich zum Abbrennen der Russpartikel benötigte Substanz<br />

auch bei den Franzosen überflüssig: Im Sinne der Euro5-<br />

Abgasgrenzwerte schwenkte auch PSA (Peugeot / Citroën) auf die<br />

Kombination eines Oxidationskatalysators mit einem «trockenen»<br />

Partikelfilter ein. Nun zünden die Franzosen mit überarbeiteten<br />

Dieselaggregaten plus geändertem Abgassystem die nächste<br />

Stufe, von der hier die Rede sein wird.<br />

Krinolinen und Korsettstäbe Peugeot gehört zu den ältesten<br />

Familienbetrieben, deren Name sich bis ins 15. Jahrhundert<br />

zurückverfolgen lässt. Die Mitglieder dieses Clans hatten für<br />

den Markt stets offene Ohren. So stellte das Unternehmen im<br />

19. Jahrhundert unter anderen Produkten wie Pfeffermühlen<br />

(übrigens bis heute) und Fahrräder auch hunderttausende von<br />

Reifröcken (Krinolinen) und Korsettstäben für die Damenwelt her,<br />

bevor man sich dem Automobil zuwandte. Hier gibt es Parallelen<br />

zur Marke Opel, die ja auch bis zur Übernahme durch GM<br />

1929 ein Familienbetrieb gewesen ist. Das Jahr 1890 gilt als<br />

das Geburtsjahr der Peugeot-Automobile – natürlich mit Benzinmotoren,<br />

denn erst 1897 erschien Rudolf Diesels erster Selbstzünder.<br />

Auch wenn ihm vorschwebte, damit Automobile anzutreiben,<br />

dauerte es doch fast 40 Jahre, bis Mercedes 1936 den<br />

ersten Personenwagen mit Dieselmotor vorstellte.<br />

So weit war Peugeot damals noch nicht, doch immerhin hatte das<br />

Unternehmen (und das ebenfalls im Jahr 1936) einen Vierzylinder-<br />

Diesel für leichte Nutzfahrzeuge entwickelt. Ein Diesel-Auto<br />

bot Peugeot allerdings erst 1959 in Form des 403 D an, der aus<br />

Man nennt den Zusammenhang von<br />

Stickoxid und Partikeln auch<br />

«das Dilemma des Dieselmotors»<br />

1818 cm³ bereits 48 PS leistete. Das reichte für eine Höchstgeschwindigkeit<br />

von 120 km / h, und 1968 kam dann ein kleiner Diesel<br />

mit 1255 cm³ hinzu, der zunächst in den 204 Break eingebaut<br />

wurde. Mit seinen 36 PS und einer Höchstgeschwindigkeit von<br />

122 km / h war kein Staat zu machen, zumal seine Konstrukteure<br />

vergessen hatten, dass ein Auto auch beschleunigt werden muss.<br />

Stattdessen war der Motor auf geringsten Verbrauch ausgelegt;<br />

das war damals der Trend, und Peugeot konnte Mercedes die<br />

Hand reichen, denn die Diesel-Pw aus Stuttgart verhielten sich<br />

auch nicht temperamentvoller. Ganz anders der 1976 erschienene<br />

VW Golf Diesel mit 50 PS aus 1,5 Liter Hubraum. Erst er hat<br />

schliesslich dem Diesel im Personenwagen den Weg bereitet.<br />

Andere Reihenfolge Von der Öffentlichkeit kaum bemerkt<br />

hat sich Peugeot seither zu einem der grössten Hersteller von<br />

Dieselmotoren weltweit entwickelt, pflegte Kooperationen und<br />

liefert seine Triebwerke seit vielen Jahren an Ford und andere<br />

Hersteller, nun auch an BMW. Es ist also nur natürlich, dass<br />

Peugeot für die Abgasgrenzwerte der EU6 neue Systeme entwickelte.<br />

Während VW seine kleinen Diesel mit einem NO x -<br />

Speicher ausrüstet und nur die stärkeren Motoren mit SCR<br />

(Selective Catalytic Reduction), verwendet Peugeot sein eigenes<br />

SCR-System von Motoren ab 1,6 Liter Hubraum aufwärts<br />

für alle Baureihen. Dabei ist interessant, dass man nach dem<br />

Oxidationskatalysator nicht wie sonst üblich einen Partikelfilter<br />

einbaut, sondern eben den SCR-Kat. Erst dann folgt im gleichen<br />

Gehäuse der Partikelfilter. Oxikat und SCR-Katalysator sind<br />

durch eine kurze Rohrleitung getrennt, während VW die SCR-<br />

Funktion in den Partikelfilter verlegt und eine extrem kompakte<br />

Abgasanlage für geringsten Wärmeverlust an die Rückseite des<br />

Motors schraubt. Denn der Diesel mit seinen «kalten» Abgasen<br />

hat es schwer, die notwendige Wärme für die Funktion der Abgasnachbehandlung<br />

aufzubringen.<br />

Die Verwendung des SCR-Systems schon bei den relativ kleinen<br />

Peugeot-Motoren verschafft ihnen gegenüber dem Wettbewerb<br />

und der Vorgängergeneration der Peugeot-Diesel einen<br />

Verbrauchsvorteil von bis zu fünf Prozent. Da man die NO x -<br />

Reduktion dem SCR-System überlässt, können die Motoren im<br />

Bereich des Verbrauchsoptimums laufen. Dort wird zwar «viel»<br />

Stickoxid produziert, jedoch wenig Treibstoff verbraucht und es<br />

entstehen weniger Partikel. Man nennt den Zusammenhang von<br />

Stickoxid und Partikeln auch «das Dilemma des Dieselmotors».<br />

Wieder mit Additiv Die Verwendung des SCR-Systems hat<br />

sich seit Jahren bewährt, zunächst bei den Lastwagenmotoren,<br />

danach bei den grossen Pw-Dieseln. Von dort aus zieht es<br />

nun auch bei den kleineren Motoren ein. Dabei wird eine wässerige<br />

Harnstofflösung fein zerstäubt in das Auspuffrohr vor dem<br />

SCR-Reaktor eingespritzt und verdampft. Der Vorratstank für das<br />

«AdBlue» genannte Additiv ist bei Peugeot wie üblich im Wagenheck<br />

untergebracht und nimmt 17 Liter auf. Der Hersteller gibt an,<br />

dass diese Menge für rund 20 000 km genügt, das ist ein knapper<br />

Liter auf tausend Kilometer. Dieser Verbrauch deckt sich mit den<br />

Angaben anderer Hersteller. Auf die Überwachung des Füllstandes<br />

brauchen wir hier nicht einzugehen. Er wird ohnehin bei den<br />

Inspektionen in der Werkstatt kontrolliert und notfalls ergänzt.<br />

Der Peugeot 208 ist mit drei Dieselmotoren zu haben, alle mit<br />

1,6 Liter Hubraum, jedoch unterschiedlicher Leistung. Zwei davon<br />

sollen im NEFZ (Neuer Europäischer Fahrzyklus) nur drei Liter<br />

Treibstoff auf 100 Kilometer verbrauchen, das sind 79 Gramm<br />

CO 2 pro Kilometer. Wir halten die von den Politikern geliebte<br />

Angabe des CO 2 -Wertes für Unfug, denn der Autofahrer verlangt<br />

an der Tankstelle keine Tüte voll Kohlendioxid, sondern Treibstoff.<br />

Und den natürlich so preiswert wie möglich. Abgesehen<br />

davon ist CO 2 kein Schadstoff, sondern ein überlebensnotwendiger<br />

Bestandteil der Luft. Aber darüber haben wir ja bereits in<br />

<strong>VECTURA</strong> #14 referiert.<br />

144 <strong>VECTURA</strong> #15


TECHNIK<br />

Dieselmodelle, hier die Mittelklasselimousinen 403 und 404, gehören seit Jahrzehnten zum Peugeot-Portfolio<br />

SOMMER 2015 145


SCHÖNE NEUE WELT<br />

NACH DAMPFMASCHINE, MASSENFERTIGUNG UND AUTOMATION STEHT<br />

DER AUTOMOBIL INDUSTRIE UND ANDEREN PRODUZIERENDEN BRANCHEN<br />

EINE VIERTE REVOLUTION INS HAUS. SIE BRINGT EINE DIGITALE VERNET-<br />

ZUNG VON FABRIKEN UND MASCHINEN UND DAZU ROBOTER, DIE DEM MEN-<br />

SCHEN BEI SCHWEREN ARBEITEN HELFEN – BIS HIN ZU INTELLIGENTEN<br />

SYSTEMEN, IN DENEN WERKZEUGE SELBST ÜBER DEN ABLAUF DER PRODUK-<br />

TION BESTIMMEN. DOCH DAS ERZEUGT NICHT NUR HOFFNUNGEN, SONDERN<br />

AUCH ÄNGSTE. EINE ANALYSE<br />

Text Thomas Imhof · Fotos Werk<br />

Bereit zum Teamwork mit menschlichen Kollegen: YuMi von ABB<br />

146 <strong>VECTURA</strong> #15


MASCHINENBAU<br />

YuMi hat zwei tatkräftig ineinander verschränkte Arme<br />

und einen Kopf, der entfernt menschliche Züge trägt.<br />

Der Zweiarmroboter von ABB war einer der Stars der<br />

diesjährigen, weltweit wichtigsten Industriemesse in Hannover.<br />

Denn er steht für eine neue Dimension der Automatisierung, bei<br />

der er Hand in Hand mit menschlichen Kollegen arbeitet. Sein<br />

Name ist Programm – YuMi steht für «You and Me».<br />

Der Energie- und Automatisierungstechnikkonzern mit Hauptsitz<br />

in Zürich hat YuMi entwickelt, um mit ihm zunächst in der Elektronikindustrie<br />

und dort in der Kleinteilmontage schnell und flexibel<br />

auf unterschiedliche Fertigungsanforderungen reagieren zu können.<br />

Es dürfte aber nur eine Frage der Zeit sein, bis intelligente<br />

Androide wie YuMi nach und nach auch in anderen Branchen<br />

ihren Dienst antreten. Darunter auch in der Automobilwirtschaft,<br />

in der aktuell «Industrie 4.0» neben dem autonomen Fahren das<br />

ganz grosse Thema ist.<br />

«Viele Annahmen über Fertigungsverfahren und Industrieprozesse<br />

wird man dank YuMi neu überdenken müssen», sagt Per-<br />

Vegard Nerseth, Leiter des globalen Geschäftsbereichs Robotik<br />

bei ABB. Um dies zu untermauern, berichtet er von einem Fallbeispiel,<br />

bei dem zwei YuMis und zwei Arbeiter im Teamwork bis<br />

zu zehn Schalter oder Doppelsteckdosen in nur 3 Minuten und<br />

40 Sekunden hergestellt hätten – eine neue Bestzeit.<br />

Ähnlich clever wie YuMi ist Baxter, das neueste Geschöpf der<br />

Robotik-Koryphäe Rodney Brooks vom Massachusetts Institute<br />

of Technology (MIT). Baxter muss nicht mehr von Ingenieuren<br />

programmiert werden, um zum Beispiel einen Gegenstand<br />

aus einer Kiste zu nehmen und anderswo abzusetzen. Es reicht,<br />

dass der Nutzer einen der Arme des Roboters greift und ihm die<br />

Bewegung vormacht. Die Software merkt sich dann für die Zukunft<br />

den Vorgang und kann ihn – falls nötig – sogar variieren.<br />

Und damit auch Baxter sympathisch daherkommt, sitzt auf seinem<br />

Unterbau ein Display, auf dem zwei weit aufgerissene Kinderaugen<br />

in der Manier einer Comicfigur den Bewegungen des<br />

Roboters folgen. Das löst beim Menschen so genannte anthropomorphe<br />

Reflexe aus – ein subtiler Trick der Erfinder, um die Distanz<br />

zwischen humaner und künstlicher Intelligenz zu reduzieren.<br />

Doch auch ohne solche Personifizierungen erleben Fertigungsroboter<br />

gerade einen regelrechten Entwicklungsschub – allein<br />

schon deshalb, weil sich die Rechenleistung im Schnitt alle zwei<br />

Jahre verdoppelt. Zugleich sinken die Kosten für Speicherchips<br />

rasant. Galt es bislang als schwer bis unmöglich, den maschinellen<br />

Hilfskräften die Wahrnehmung und Beweglichkeit eines einjährigen<br />

Kindes beizubringen, zeigen zahlreiche Beispiele, dass<br />

diese Schwelle längst überschritten ist.<br />

Automatisierungs-Pionier und Marktführer Kuka arbeitet schon<br />

an Robotern, die in Krankenhäusern dem überlasteten Personal<br />

Routinetätigkeiten wie das Anliefern des Essens abnehmen<br />

können. Solche Serviceleistungen kann auch der Care-O-bot 4<br />

liefern, eine Co-Produktion von Phoenix Design, Schunk (Greiftechnik)<br />

und dem für die Software verantwortlichen Fraunhofer-<br />

Institut für Produktionstechnik und Automatisierung. Seine Väter<br />

preisen den modular aufgebauten Alleskönner aufgrund seiner<br />

Mimik und Gestik als «vielseitigen Gentleman» an. Der in der<br />

Küche und im Krankenhaus genauso dienstbeflissen ist wie<br />

Display als «Gesicht» mit Mienenspiel: humanoider Roboter Baxter<br />

SOMMER 2015 147


YuMi, Baxter und Care-O-bot 4 erinnern ebenso wie der seit<br />

rund 20 Jahren in mehreren Generationen existente Asimo von<br />

Honda an Androiden aus Hollywood-Filmen à la «Star Wars». Sie<br />

stehen vor einer grossen Zukunft, doch die in der Automobilindustrie<br />

wichtigeren Produktionsroboter brauchen keine Mimik und<br />

kommen oft mit nur einem Arm aus. Wie zum Beispiel der automatische<br />

Produktionsassistent Apas von Bosch. Er spürt dank<br />

einer Sensorhaut, die an Lederbezüge von Autositzen erinnert,<br />

wenn sich ein Mensch nähert, und zieht spätestens bei einer<br />

Annäherung sanft zurück. Apas halte alles, was auch Baxter verspricht,<br />

behauptet Bosch. Er sei aber auch so stark, schnell und<br />

exakt wie ein herkömmlicher Industrieroboter und kann sich seine<br />

Joblisten über die Daten-Cloud mit anderen Robotern teilen.<br />

Hilft im Haushalt: Care-O-bot 4 ist ein vielseitiger Gentleman<br />

im Wohnzimmer, wo er nicht mehr ganz so gelenkigen Zeitgenossen<br />

hilft, Bücher aus den oberen Etagen eines Regales anzureichen.<br />

Roboter von Kuka wiederum leisten demonstrativ wertvolle<br />

Hilfe bei der Restaurierung historischer Skulpturen am kanadischen<br />

Parlamentsgebäude in Ottawa. Oder beim Bau des sechsten<br />

und letzten Messner Mountain Museums auf dem Kronplatz<br />

in Südtirol. Und der 20 Kilogramm schwere Greifarm LBR iiwa<br />

der Augsburger unterstützt Daimler-Arbeiter in der Endmontage<br />

beim Verschrauben oder Schweissen.<br />

Zur Sicherheit gepolstert: Produktionsassistent Apas von Bosch<br />

Man ahnt anhand solcher Beispiele, warum eine ganze Branche<br />

aktuell geradezu elektrisiert ist. Industrie 4.0 lockt mit riesigen<br />

Einsparpotentialen, dem Ende einiger für Menschen gefährlichen<br />

und gesundheitsschädigenden Montagearbeiten sowie höherer<br />

Verarbeitungsqualität bei gleichzeitig grösserer Produktvielfalt.<br />

Selbst vor Schwellenländern mit einer noch hohen Rate manueller<br />

Tätigkeiten wird die digitale Revolution nicht haltmachen. Wo<br />

das hinführt, zeigt sich in China, wo 2014 ganze 56 000 Industrieroboter<br />

neu installiert wurden – ein Plus von 54 Prozent gegenüber<br />

dem Vorjahr. Schon 2017 werde China das Land mit dem<br />

höchsten Anteil an Robotern sein, prognostiziert der Branchenweltverband<br />

International Federation of Robotics (IFR).<br />

Für Reinhold Achatz, den Technikchef bei Thyssen-Krupp, steht<br />

schon jetzt fest: «Industrie 4.0 wird einen ähnlichen Siegeszug<br />

antreten wie das Internet.» Die digitale Vernetzung von Fabriken<br />

und Maschinen, von Kunden, Lieferanten und Produzenten sei<br />

eine fundamentale Veränderung. Auch die Politik heizt das Thema<br />

an, aber «die USA machen bei Industrie 4.0 deutlich mehr Dampf<br />

als Europa», mahnt Franz Gruber, Chef der IT-Technologie- und<br />

-Beratungsfirma Forcam aus Ravensburg am Bodensee.<br />

Mit ihrer weltweit einzigartigen Produktionskomplexität und dem<br />

hohen Qualitätsanspruch sind die Automobilhersteller und ihre<br />

Zulieferer geradezu prädestiniert für eine Vorreiterrolle in Sachen<br />

4.0. Laut einer Studie der Strategieberatung Strategy& gaben<br />

80 Prozent der befragten Firmen an, entsprechende Schritte bereits<br />

in den nächsten fünf Jahren umsetzen zu wollen. Ein Selbstläufer<br />

sei das Thema aber nicht. Nur einheitliche Standards, mit<br />

deren Hilfe maschinenübergreifend kommuniziert werden kann,<br />

sowie eine sichere Kommunikation würden Erfolg verheissen.<br />

Um weitverbreitete Sorgen vor Daten- und Know-how-Klau zu<br />

zerstreuen, müssten die Maschinen in der Lage sein, Informationen<br />

verschlüsselt miteinander und mit allen angebundenen<br />

Systemen auszutauschen. Daneben sei eine massiv geschützte<br />

Cloud-Plattform gefordert, die Vertraulichkeit, Integrität und Verfügbarkeit<br />

von Produktions- und Unternehmensdaten ermöglicht.<br />

An diesem Punkt sei an die Automobilproduktion der 1960er- und<br />

70er-Jahre erinnert: Autowerke sind damals noch ein Ort voller<br />

Lärm, Dreck und Ausdünstungen jeder Art. Die Pressen im Rohbau<br />

hämmern einen Takt wie sonst nur Hochhöfen. Noch legen<br />

Werker die einzelnen Bleche per Hand ein, von Automatisierung<br />

keine Spur. Die in der Lackiererei tätigen Kollegen tragen per Hand<br />

den Lack auf, vor giftigen Dämpfen abgeschirmt nur durch einen<br />

Mundschutz. Beim Zusammenschweissen der Karosserien stieben<br />

Funken; nur Schweissmasken schützen die Gesichter der Arbeiter.<br />

148 <strong>VECTURA</strong> #15


MASCHINENBAU<br />

Die Erleichterungen kommen in Etappen. General Motors zum<br />

Beispiel beginnt schon 1961 mit dem Zwei-Tonnen-Ungetüm Unimate,<br />

erste Schweissarbeiten von Robotern ausführen zu lassen;<br />

in europäischen und japanischen Werken geschieht der gleiche<br />

Vorgang erst rund ein Jahrzehnt später. In den 1980ern werden<br />

Roboter dann grossflächig eingesetzt – zunächst im Karosseriebau,<br />

wo sie dem Menschen nach und nach alle Punktschweisszangen<br />

aus den Händen nehmen. Die 1990er-Jahre sind dann<br />

vom Einzug der Industrieroboter in die Lackierereien geprägt.<br />

Zusammen mit wasserlöslichen Lacken sind sie ein Segen für<br />

die Werktätigen. Ab den 2000ern nehmen dann Werkplaner zunehmend<br />

Über-Kopf-Arbeiten und andere physisch komplexe<br />

Fertigungsschritte unter die Lupe. Ein Beispiel ist der bei Opel<br />

eingeführte, schieb- und drehbare Ergo-Chair, auf dem Monteure<br />

während der Endmontage in den Innenraum eines Modells<br />

gefahren werden – mit Akkuschraubern und anderen Werkzeugen<br />

in Griffnähe.<br />

Auch fahrerlose Transportsysteme (FTS) erleichtern bis heute die<br />

Arbeiten in Autowerken. Erfunden wurden auch sie in Amerika,<br />

als die Firma Barrett Vehicle Systems aus Northbrook (Illinois)<br />

ab 1953 einen Schlepper einführte, der dank optischem Sensor<br />

selbstständig einem im Boden eingelassenen Farbstreifen<br />

folgte. Nach demselben Prinzip arbeiteten 1956 Fahrzeuge von<br />

EMI in England; auch deutsche Firmen wie Jungheinrich oder<br />

Mit sieben Achsen beweglicher als der menschliche Arm:<br />

kollaborativer Roboter LBR iiWA von Kuka, unten als<br />

multifunktionales Steuerhorn in der Rinspeed-Studie Budii<br />

SOMMER 2015 149


MASCHINENBAU<br />

Kann sich auf zwei Beinen fortbewegen: Honda Asimo<br />

Wagner rüsteten ihre Gabelhub- und Plattformfahrzeuge mit photoelektrischen<br />

und später induktiven Steuerungen aus. Heute<br />

werden die führerlosen Helfer meist per Lasernavigation durch<br />

die Werkhallen gelotst, aber auch Rasternavigation, Funkpeilung<br />

oder der Einsatz von optischen, magnetischen oder induktiven<br />

Leitlinien sind noch zu finden.<br />

Die neue Roboter-Generation darf<br />

ihr Gefängnis verlassen – doch nicht<br />

jedem Menschen gefällt das<br />

Bei der VW-Tochter Audi transportieren seit Februar 2015 zwei<br />

Roboter frisch produzierte Autos selbstständig auf eine Zwischenfläche,<br />

bevor sie – nach Versandzielen geordnet – von Logistikmitarbeitern<br />

auf Bahnwaggons verladen werden. Die Idee<br />

für die Roboter namens Ray hatte das bayerische Unternehmen<br />

Serva Transport Systems. Live für jedermann zu erleben ist die<br />

Anlage am Flughafen Düsseldorf, wo Ray-Roboter gestressten<br />

Geschäftsreisenden helfen, wertvolle Minuten bei der Parkplatzsuche<br />

einzusparen. Fluggäste fahren einfach in eine von sechs<br />

futuristisch anmutenden Boxen – der Startposition für den automatischen<br />

Gabelstapler. Im Trio schafft es Ray, statt vorher 160<br />

nun 240 Autos in dem Gebäude unterzubringen – dicht an dicht<br />

aufgereiht mit den Aussenspiegeln auf Tuchfühlung. Aussteigen<br />

wäre da nicht mehr möglich, ist aber auch nicht nötig. «Der<br />

Kunde fährt seinen Wagen in die Station, nimmt die Koffer heraus,<br />

bestätigt am Bedienfeld seine Einfahrt und kann zum Abflug<br />

gehen», erklärt Thomas Schnalke, Geschäftsführer des Flughafens.<br />

Das Ganze dauere nur drei Minuten. Dann gehe Ray lautlos,<br />

weil akkubetrieben, ans Werk, wobei er vom Smart bis zur<br />

Stretch-Limo alle denkbaren Modelle anpacken kann.<br />

Der grosse Quantensprung für die Automobilindustrie kommt<br />

aber nun in Form der eingangs erwähnten kollaborativen oder<br />

koexistenten Roboter. Anders als ihre Vorgänger, die noch in Kabinen<br />

oder hinter Gittern operierten, um Kollisionen mit dem fest<br />

programmierten Roboterarm auszuschliessen, darf die neue Generation<br />

ihr Gefängnis verlassen – um ihren Kollegen aus Fleisch<br />

und Blut ergonomisch komplexe oder schlicht anstrengende<br />

Arbeitsschritte abzunehmen. «Die Roboter der Zukunft werden<br />

kleiner, leichter und sicherer sein», sagt VW-Produktionsvorstand<br />

Horst Neumann: «Arbeitsräume von Mensch und Maschine<br />

werden sich überschneiden, sie werden gemeinsam an<br />

einem Bauteil arbeiten.»<br />

Um bei VW zu bleiben: In der Montage des Golf fallen fünf Prozent<br />

aller Arbeitsschritte unter das Prädikat «sehr anstrengend»;<br />

immerhin 25 Prozent gelten als «anstrengend». Beim Bau eines<br />

150 <strong>VECTURA</strong> #15


Automobilproduktion bei Opel in den 1930er-, 50er- und 60er-Jahren bis<br />

heute: Vom Presswerk über Rohbau und Lackiererei ersetzen Roboter<br />

inzwischen fast alle physisch anstrengenden und toxischen Arbeiten<br />

SOMMER 2015 151


Jahrgang 1962: erster induktiv geführter fahrerloser Stapler Teletrak von Jungheinrich<br />

WAS IST EIN ROBOTER?<br />

Die Bezeichnung wurde erstmals vom Tschechen Josef apek<br />

geprägt, dessen Bruder Karel sie dann 1921 in seinem Theaterstück<br />

«R.U.R.» (Rossum’s Universal Robots) verwendet hat. Dazu<br />

liess er künstlich gezüchtete, menschenähnliche Arbeiter in Tanks<br />

auftreten. Im Verlauf des Theaterstücks rebellieren die Kreaturen<br />

jedoch und vernichten die Menschheit. Mit seinem Werk griff<br />

apek das klassische, ebenfalls in der Prager Literatur der jüdischen<br />

Mystik verbreitete Motiv des Golems auf.<br />

1954 meldete George Devol in den USA ein Patent für einen<br />

programmierbaren Manipulator an; das Datum gilt als Geburtsstunde<br />

für die Entwicklung von Industrierobotern. Devol war<br />

auch Mitbegründer der Firma Unimation, die 1960 den ersten<br />

hydraulisch betriebenen Industrieroboter vorstellte. 1961 begann<br />

erstmals ein Zwei-Tonnen-Koloss namens «Unimate» bei<br />

General Motors mit selbständigen Schweissarbeiten. In Japan<br />

erwies sich Kawasaki Ende der 1960er-Jahre als Vorreiter beim<br />

Bau elektrisch statt hydraulisch betriebener Industrieroboter.<br />

Und um 1970 wurde am Zentrum für künstliche Intelligenz des<br />

Stanford Research Institute der erste mobile Roboter «Shakey»<br />

entwickelt.<br />

In deutschen Autowerken nahmen erste Roboter Anfang der<br />

1970er-Jahre ihre Arbeit im Karosserierohbau auf. 1973 führte<br />

der deutsche Robotik-Pionier Kuka mit «Famulus» den weltweit<br />

ersten Industrieroboter mit sechs elektromechanisch angetriebenen<br />

Achsen ein; ein Jahr später stellte das schwedische Unternehmen<br />

ASEA (heute ABB) seinen vollständig elektrisch angetriebenen<br />

Roboter IRb6 vor.<br />

Nach der VDI-Richtlinie 2860 «sind Industrieroboter universell<br />

einsetzbare Bewegungsautomaten mit mehreren Achsen, deren<br />

Bewegungen hinsichtlich Bewegungsfolge und Wegen bzw. Winkeln<br />

frei (d. h. ohne mechanischen bzw. menschlichen Eingriff)<br />

programmierbar und gegebenenfalls sensorgeführt sind. Sie sind<br />

mit Greifern, Werkzeugen oder anderen Fertigungsmitteln ausrüstbar<br />

und können Handhabungs- und / oder Fertigungsaufgaben<br />

ausführen.»<br />

Die Definition der Robotic Industries Association lautet: «Ein Roboter<br />

ist ein programmierbares Mehrzweck-Handhabungsgerät<br />

für das Bewegen von Material, Werkstücken, Werkzeugen oder<br />

Spezialgeräten. Der frei programmierbare Bewegungsablauf<br />

macht ihn für verschiedenste Aufgaben einsetzbar.» Dazu kommt<br />

der Zusatz, dass ein Roboter über mindestens drei frei bewegliche<br />

Achsen verfügen muss.<br />

Noch fehlen einheitliche Sicherheitsstandards für ausserhalb eines<br />

Käfigs arbeitende Roboter. «Bis heute ist nicht abschliessend<br />

geklärt, wie stark ein Roboter einen Menschen berühren darf»,<br />

sagt Norbert Elkmann vom Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb<br />

und -automatisierung (IFF) in Magdeburg. Seine Erkenntnis<br />

nach Tests mit Probanden: «Ein blauer Fleck geht in Ordnung,<br />

bei kleinen Wunden hört der Spass auf.» Weil verbindliche Sicherheitsstandards<br />

fehlen, begann BMW mit seinen Versuchen<br />

auch im Werk Spartanburg, weil in den USA weniger hohe bürokratische<br />

Hürden zu überwinden waren.<br />

Zur Gruppe der Roboter gehören auch autonome Waffen- oder<br />

Aufklärungssysteme wie Smart Bombs, unbemannte Drohnen,<br />

Wach- und Kampfroboter – oder auch fahrerlos funktionierende<br />

Autos, kurz Robo Cars. ti<br />

152 <strong>VECTURA</strong> #15


MASCHINENBAU<br />

Beispiel BMW: Roboter montieren<br />

Türdichtungen oder helfen bei der<br />

Gestenkontrolle im Stossfängerbau<br />

SOMMER 2015 153


MASCHINENBAU<br />

T6 oder Amarok sind sogar zehn Prozent als «sehr anstrengend»<br />

und 27 Prozent als «anstrengend» eingestuft. Darunter fallen alle<br />

Arbeiten, bei denen sich die Werker drehen, winden oder etwas<br />

heben und schleppen müssen. «Sieben Stunden lang im Minutentakt<br />

eine Nockenwelle mit exakt sechsmal acht Tropfen Öl zu<br />

versorgen, ist anstrengend und monoton», weiss Neumann, der<br />

als Ex-Gewerkschaftsfunktionär keineswegs im Verdacht steht,<br />

ein Turbokapitalist zu sein.<br />

Die letzten noch vermeidbaren körperlichen Anstrengungen finden<br />

vor allem in der Endmontage statt. Im VW-Rohbau, wo eine<br />

Armee aus 1800 Robotern pro Tag mehr als 2000 Golf-Karosserien<br />

herstellt, sind bereits über 90 Prozent aller Arbeitsschritte<br />

automatisiert. Auch im Presswerk müssen Maschinisten nicht<br />

mehr wie früher ihr Ohr an die Anlagen halten – Sensoren liefern<br />

stündlich Daten über Ölstand und Schwingungen ab. In der Endmontage<br />

beträgt der Roboteranteil hingegen nur 20 Prozent; vor<br />

allem weiche Teile wie Teppiche, Schläuche und Verkabelungen<br />

gelten als automatisch nur schwer verbaubar.<br />

Wo manuelle Prozesse ergonomisch kritisch sind und neben<br />

Feinmotorik auch Fingerspitzengefühl erforderlich ist, kommt zunehmend<br />

das Job-Sharing zwischen Mensch und Maschine zur<br />

Anwendung. Als aktuelles Paradebeispiel gilt bei Volkswagen der<br />

sechsachsige Leichtbauroboter UR5 des dänischen Herstellers<br />

Universal Robots: Der kollaborierende Kollege ist in der Zylinderkopfmontage<br />

des Werkes Salzgitter beschäftigt und dort für das<br />

Einstecken der hochempfindlichen Glühstiftkerzen in die Zylinderköpfe<br />

von Dieselmotoren zuständig. Zuvor galt es, die Glühstiftkerzen<br />

in einer vorn übergebeugten Haltung in kaum einsehbare<br />

und daher schwer zugängliche Bohrungen einzusetzen. Im<br />

Nutzfahrzeugwerk Hannover stellte VW Anfang Mai eine weitere<br />

Anwendung für eine den Menschen entlastende Hand-in-Hand-<br />

Arbeitsweise vor: Dort «clipst» Kukas siebenachsiges Pendant<br />

zum UR5 Innenverkleidungen des Transporters. Der Bandarbeiter<br />

muss seinen Helfer zuvor nur noch von Hand mit einem Rollwagen<br />

in den Laderaum schieben – den Rest erledigt dieser dann<br />

selbst. Noch ist diese Arbeitsteilung im Versuchsstadium, doch<br />

Ray stellt Autos präzise und platzsparend in Parkhäusern ab<br />

sind sie bei VW optimistisch, den Robotern schon 2016 einen<br />

festen Job anbieten zu können.<br />

Ein weiteres Exempel für die intelligente Interaktion ist das Pilotprojekt<br />

einer berührungslosen Gestenerkennung im BMW-Werk<br />

Landshut. Bei dem zusammen mit dem Fraunhofer-Institut in Karlsruhe<br />

entwickelten System werden Stossfänger nach dem Durchlaufen<br />

der Lackierstrassen per Fingerzeig einer Qualitätskontrolle<br />

unterzogen. Die aus der Welt der Spielekonsolen bekannte Gestenerkennung<br />

über zwei 3D-Kameras spart erheblich Zeit, ausserdem<br />

entfallen jetzt zusätzliche Laufwege. Im US-amerikanischen<br />

BMW-Werk Spartanburg arbeiten Mensch und Maschine in der<br />

Türmontage sogar noch inniger zusammen. Vier kollaborative<br />

Robots fixieren dort die Schall- und Feuchtigkeitsisolierung auf<br />

der Türinnenseite des X3 – eine sehr präzise auszuführende sowie<br />

kraftraubende Tätigkeit. In dem ebenfalls mit Technik von Universal<br />

Robots realisierten Projekt stecken laut BMW zwei Jahre<br />

Entwicklung. Auch im Audi-Werk Ingolstadt hat die Zukunft längst<br />

begonnen: In der A4-, A5- und Q5-Montage assistiert seit Januar<br />

2015 ein Roboter, intern PART4you genannt. Seine Aufgabe ist es,<br />

mittels Kamera und Sauggreifer schwergewichtige Kühlmittelausgleichsbehälter<br />

aus einer tiefen Materialbox zu holen.<br />

Schöne Beispiele für Industrie 4.0 – doch wie steht es um die<br />

sozialen Begleiterscheinungen? Das Verhältnis der Menschen<br />

zu Robotern war schon immer ambivalent. Im Drama «Rossum’s<br />

Universal Robots» des Tschechen Karel apek von 1921 (siehe<br />

Box Seite 152) sind Androide anfangs nur billige Arbeitskräfte.<br />

Doch dann rebellieren sie und vernichten die Menschheit. Ist der<br />

Hollywood-Streifen «Terminator 3 – Rebellion der Maschinen»<br />

vielleicht mehr als Kinokassen-Trash? Selbst der deutschen Bundeskanzlerin<br />

Angela Merkel entfuhr bei der Besichtigung eines<br />

Elektronikwerkes von Siemens beim Anblick einer volldigitalisierten<br />

Fertigungslinie scherzhaft der Satz: «Ich hoffe, dass die<br />

Maschinen brav sind und keinen Unsinn machen!»<br />

Gewerkschaften und Sozialverbände begrüssen zwar die Erleichterungen<br />

bei schweren manuellen Tätigkeiten, befürchten<br />

als Folge der zunehmenden Automatisierung jedoch den Wegfall<br />

vieler Arbeitsplätze. Milagros Caiña-Andree, als Arbeitsdirektorin<br />

für das Personal- und Sozialwesen bei BMW Mitglied<br />

des Vorstands, empfiehlt, erst mal abzuwarten: «Es ist noch zu<br />

früh, um beurteilen zu können, ob wir aufgrund von Digitalisierung<br />

und Vernetzung mehr oder weniger Mitarbeiter beschäftigen<br />

werden. Im Automobilbau sehe ich die menschenleere<br />

Fabrik aber nicht. Den Einsatz von koexistenten Robotern neben<br />

den Werkern sehe ich als Chance in unserer alternden Gesellschaft,<br />

um demographiefest zu werden.» Der ehemalige BMW-<br />

Produktionschef und jetzige Vorstandsvorsitzende Harald Krüger<br />

will ebenfalls nicht über eine «reine Automatisierung» reden und<br />

stapelt bei der Frage nach dem Potential von Industrie 4.0 eher<br />

tief: «Ich rechne nicht mit einem digitalen Sprung von 20 bis 30<br />

Prozent mehr Produktivität. Aber ich freue mich über tägliche,<br />

kleine Fortschritte. Nur fünf Prozent wären schon viel, wenn Sie<br />

das auf zwei Millionen Fahrzeuge im Jahr umlegen.»<br />

Fakt ist: Viele der in der Babyboomer-Zeit zwischen 1955 und 65<br />

geborenen Menschen erreichen zwischen 2015 und 30 das Rentenalter<br />

– überproportional viele im VW-Konzern, der deutschlandweit<br />

etwa 32 000 Mitarbeiter mehr als im langjährigen Durchschnitt<br />

verlieren wird. «Wir könnten diesen Abgang gar nicht<br />

154 <strong>VECTURA</strong> #15


kom plett durch junge Mitarbeiter ersetzen», sagt Produktionschef<br />

Neumann. Die alternde Gesellschaft ist für die Wirtschaftskapitäne<br />

ein Glücksfall, können sie doch durch zunehmende<br />

Roboterisierung den Verlust an Humankapital weitgehend kompensieren.<br />

Und, so sieht es zum Beispiel Kuka-CEO Till Reuter,<br />

sogar den Automobilstandort Deutschland wieder attraktiver machen<br />

und sichern. Denn als weiteres Argument für die Losung<br />

«Roboter aus den Käfigen» kommen die Lohnkosten hinzu. Für<br />

einen heute bei VW arbeitenden Roboter errechnet der Wolfsburger<br />

Produktionschef bei einer Laufzeit von im Schnitt 35 000<br />

Stunden Gesamtkosten von 100 000 bis 200 000 Euro. Ergibt<br />

nur fünf Euro pro Stunde. Im Vergleich verdient ein Arbeiter bei<br />

VW 40, in manchen Werken sogar bis zu 50 Euro. Selbst Osteuropa<br />

(mit elf) und China (noch unter zehn Euro) haben Mühe, die -<br />

ses Lohndumping mitzugehen. Zumal neue Robotergenerationen<br />

ihrem Job wohl noch billiger nachgehen werden.<br />

Peter Mosch, Gesamtbetriebsratsvorsitzender bei Audi, will da<br />

nicht widersprechen, stellt aber klar: «Die voranschreitende Vernetzung<br />

von Mensch und Maschine ist zu begrüssen, wenn sie<br />

weder Arbeitsplätze gefährdet noch dazu führt, dass der Mensch<br />

von Maschinen entmündigt wird.» Für jene Jobanwärter, die auch<br />

in Zukunft noch neu eingestellt werden, ändert sich das Berufsbild<br />

gewaltig in Richtung Höherqualifizierung. «Digitalisierung und<br />

Vernetzung werden unsere Ausbildungsberufe verändern. Die<br />

Auszubildenden, die jetzt im Sommer anfangen, werden neue<br />

berufsspezifische Kompetenzen erlernen», kündigt VW-Manager<br />

Neumann an. Auch Opel-Sprecher Alexander Bazio betont:<br />

«Der Trend geht weg von einfachen Einlege- und Montageoperationen<br />

zu einer, wie wir es nennen, ‹Fertigungsfacharbeit›. Der<br />

Mitarbeiter ist weiter in die Fertigungsprozesse integriert, überwacht<br />

aber auch die Qualität und betreibt vorbeugende Instandhaltung,<br />

Wartung und bis zu einem gewissen Grad auch die<br />

Beseitigung von Störungen.»<br />

Die Frage nach den Arbeitsplätzen, die am Ende tatsächlich übrigbleiben,<br />

steht dabei weiter im Raum. Aktuell sind im Autoland<br />

Deutschland noch etwa sieben Millionen Menschen in mehr als<br />

22 000 Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes tätig. Allein<br />

in der Volkswagen-Produktion sind es 120 000. Wie viele davon<br />

auch noch in fünf oder zehn Jahren in Lohn und Brot sind – das<br />

weiss keiner ganz genau. Bernd Dworschak vom Fraunhofer-<br />

Institut für Arbeitswissenschaft und Organisation geht davon aus,<br />

dass alle heute noch an Akademiker gestellten Anforderungen<br />

künftig auch für Facharbeiter gelten. «Gering Qualifizierte wie zum<br />

Beispiel Gabelstaplerfahrer werden die Verlierer von Industrie 4.0<br />

sein. Die Zeiten, in denen eine Firma Arbeiter mit jedweder Ausbildung<br />

für Bandarbeiten anheuerte, sind schon jetzt vorbei.»<br />

Detlef Zühlke vom Forschungszentrum für künstliche Intelligenz<br />

sieht ebenfalls traditionelle Berufe und Tätigkeiten wegfallen, dafür<br />

allerdings neue in den Bereichen Datensicherheit- und -schutz<br />

entstehen. Michael Rüssmann vom Beratungsunternehmen Boston<br />

Consulting rechnet in den nächsten zehn Jahren sogar mit<br />

390 000 Jobs durch 4.0. «Es wird weiter auch Arbeiter geben, die<br />

gemeinsam mit Robotern arbeiten, zugleich werden Fertigungsjobs<br />

IT-lastiger, das heisst, es entwickeln sich neue Tätigkeiten.»<br />

Carl Benedikt Frey und Michael Osborne von der Universität<br />

Oxford sehen das ganz anders: Zähle man die Digitalisierung als<br />

Ganzes zusammen, seien 47 Prozent der Arbeitsplätze in den<br />

USA in Gefahr – und nicht nur da, sondern auch in Europa. Auch<br />

sie haben in erster Linie Jobs in Transport- und Logistikberufen<br />

im Visier, dazu einen Grossteil der Büroangestellten und Arbeiten<br />

in Produktionsberufen. Jeremy Bowles von der London School of<br />

Economics veröffentlichte 2014 eine Studie, wonach durch Automatisierungsschübe<br />

in den nächsten 20 Jahren 51 Prozent aller<br />

heutigen Jobs gefährdet sind. Weltweit könnten 140 Millionen<br />

Vollzeitstellen in anspruchsvollen Berufen wegfallen.<br />

Schnelle Entwicklung: Roboter werden<br />

schlauer, feinfühliger und dank<br />

Miniaturisierung immer vielseitiger<br />

Noch ist es so, dass mit der Entwicklung und dem Einsatz neuer<br />

Technik Wachstum generiert wird, noch steigt zum Beispiel in der<br />

Autoindustrie trotz des massiven Einsatzes von Robotern die Zahl<br />

der Arbeitsplätze. Der Deal – Roboter greifen dem Menschen unter<br />

die Arme, die müssen nicht länger am Band schuften und die<br />

Fehlerquote sinkt obendrein – scheint in schnell alternden Gesellschaften<br />

plausibel. Doch viele trauen dem Frieden nicht: Wie lange<br />

sind diese Zugewinne stark genug, um massiven Jobabbau ausgleichen<br />

zu können? Wird es wirklich so kommen, dass Roboter<br />

und Computer in den nächsten 20 Jahren in fast der Hälfte von<br />

etwa 700 Berufen den Menschen ersetzen? «Ganze Berufsbilder<br />

sind von der Digitalisierung bedroht», fürchtet nicht nur der Chef<br />

der deutschen Gewerkschaft Verdi, Frank Birske. Joe Schoendorf,<br />

einer der Leiter des Weltwirtschaftsforums in Davos, bekennt. «DIE<br />

Lösung gibt es im Moment nicht. Ich bin seit 49 Jahren im Silicon<br />

Valley, aber für mich ist es das grösste Problem, was ich jemals gesehen<br />

habe. In China, wo Elektronikgerätehersteller gerade angeblich<br />

mehr als eine Million Roboter bestellt haben, gab es kürzlich<br />

schon Proteste von Arbeitern. Das sind die ersten Auswirkungen.»<br />

Das sind düstere Prognosen, die mit Blick auf bereits heute existente<br />

Computerfähigkeiten nicht völlig aus der Luft gegriffen sind.<br />

Denn die Einsatzfelder wachsen. In intelligenten Schokoladenfabriken<br />

entscheiden Maschinen schon zum Teil selbst über<br />

den Ablauf der Produktion: Beim Hersteller Chocri zum Beispiel<br />

werden per Online-Bestellung angegebene Kundenwünsche direkt<br />

an die jeweiligen Maschinen weitergegeben. Süssigkeiten-<br />

Fans können aus 80 Zutaten wählen und sogar die Lieblingsverpackung<br />

bestimmen. Zuvor mussten Mitarbeiter die Order wie<br />

«Zartbitter» oder «Vollmilch-Nuss» noch in mehreren Arbeitsschritten<br />

selbst bearbeiten. Auch Konkurrent Ritter Sport wirbt<br />

mit «Eurer eigenen Schokoladenkreation, die Ihr auch noch selbst<br />

benennen könnt». Der Name werde zu guter Letzt dann sogar<br />

noch auf das Etikett gedruckt.<br />

Keine Frage: Roboter haben unschätzbare Vorteile – sie kennen<br />

keine festen Arbeitszeiten, keinen Stress, kein Burn-out. Und<br />

sie werden immer schlauer, feinfühliger und dank Miniaturisierung<br />

immer vielfältiger einsetzbar. Ihre Fähigkeiten nehmen stetig<br />

zu, bis hin zu fast schon skurrilen Anwendungen. Wie der Schlagzeuger<br />

der Band Compressorhead, der zusammen mit Kollegen<br />

den Heavy-Metal-Klassiker «Ace of Spades» von Motörhead<br />

intonieren kann – mit gleich vier Armen, denn wie seine beiden<br />

Mitstreiter ist auch der Drummer eine Maschine.<br />

SOMMER 2015 155


MASCHINENBAU<br />

Showdown: Der Kuka-Kleinroboter tritt gegen<br />

Tischtennis-Star Timo Boll an<br />

Kawasaki baut – übrigens im gleichen Werk wie die Motorrä<br />

der – einen komplett in Edelstahl gehüllten Roboter. Der mit<br />

seinen sieben Gelenken beweglicher als ein Mensch agierende<br />

Automat ist bei Pharmaindustrieausrüstern beliebt, weil das<br />

Gerät ohne aussenliegende Kabel auskommt und so auch in reinen<br />

Arbeitsräumen ans Werk gehen darf. Mit 130 000 Euro ist<br />

der Spass nicht gerade billig, doch selbst Toyota setzt in seinen<br />

Autowerken bevorzugt auf Roboter von Kawa.<br />

Andere Talente zeigt der Fastpicker von Stäubli aus Horgen am<br />

Zürichsee. 200 Teile pro Minute aufzunehmen und exakt abzulegen<br />

– das sei Spitze, frohlockt Verkaufsleiter Heiko Göllnitz. Entwickelt<br />

wurde der fixe und zugleich sensible Greifer ursprünglich für<br />

Solarzellenhersteller. Längst wird er aber auch dankend von der<br />

Verpackungsindustrie angeschafft – darunter auch Lebensmittelhersteller,<br />

weil auch Fastpicker eine hohe Reinraumklasse erfüllt.<br />

Unilever im deutschen Ansbach verpackt seine Bifi-Würstchen<br />

ebenfalls mit ABB-Gerät, einem Produktionszuwachs von 25 Prozent<br />

und einer Flexibilität, die das Einschweissen von sechs verschiedenen<br />

Sorten erlaubt. Roland Murten in der Schweiz konfektioniert<br />

ebenfalls mit ABB-Hilfe stündlich 134 Kilogramm an<br />

Brezeln, die dabei in nur noch vier statt zuvor zwölf Prozent aller<br />

Fälle zu Bruch gehen.<br />

Braucht Platz zum Hüpfen: bionisches Känguru von Festo<br />

Ein Kleinroboter von Kuka trat sogar schon an der Tischtennisplatte<br />

gegen den deutschen Ping-Pong-Star Timo Boll an – und<br />

musste sich erst nach hartem Kampf geschlagen geben. Das<br />

dazu gedrehte Video «The Duel» (www.kuka-timoboll.com) und<br />

ein zweiter Clip haben im Internet längst ihr Millionenpublikum gefunden.<br />

Überhaupt Kuka: Der Spezialist versteht es, das Thema<br />

Robotics auf unkonventionelle Art salonfähig zu machen. Während<br />

der Computermesse Cebit konnten Internet-User und Messebesucher<br />

mithilfe einer Handy-App eigene Sitzmöbel entwerfen<br />

und gleich live produzieren lassen. Vier Kuka-Roboter aus<br />

der KR-Quantec-Serie fertigten an fünf Messetagen 2000 Würfel,<br />

die dann auch an die Nutzer verschickt wurden. So könnten<br />

– wie auch beim Beispiel Schokolode – Konsumenten in<br />

Zukunft Produzenten werden. Im Konzeptauto Rinspeed Budii<br />

des Schweizers Frank Rinderknecht übernimmt ein dank Steerby-wire-Technologie<br />

raumsparend zwischen Fahrer und Beifahrer<br />

angeordneter Kuka-Arm wichtige Funktionen. Er dient als Steuerknüppel<br />

und kann je nach Gusto hin- und hergeschoben, als<br />

Ablagetisch oder zuvorkommender Butler genutzt werden: Anders<br />

als der menschliche Arm, dessen Bewegungsmöglichkeiten<br />

konstruktiv eingeschränkt sind, kann der Roboter mit 180 statt<br />

nur 90 Grad um ein Hindernis herumgreifen.<br />

Der für gelegentliche Ausflüge in die Bionik bekannte Hersteller<br />

Festo setzt auf einen Roboter in Känguru-Form. Den Entwicklern<br />

schwebt vor, einen Grossteil der bei einem Sprung eingesetzten<br />

Energie bei der Landung zu speichern und sie für<br />

den nächsten Sprung zu nutzen. Ebenso wie es das echte<br />

Beuteltier mit seinen Achillessehnen tut. Den Vogel schiesst<br />

show mässig jedoch die Bionic Bar an Bord des Kreuzfahrtschiffes<br />

«Anthem of the Seas» der Reederei Royal Caribbean ab:<br />

Dort mixen zwei Kuka-Roboter hochprozentige Cocktails,<br />

deren Zutaten ihnen die Gäste zuvor per App und Smartphone<br />

geschickt haben.<br />

So harmlos solche Beispiele anmuten, so ernst ist auch der<br />

Hintergrund der ganzen Thematik. «Politik und Technologie befinden<br />

sich in einem Wettlauf auf Leben und Tod», beschreibt<br />

Peter Thiel, Gründer von Skype und Wagniskapitalgeber, das<br />

(für ihn) ungleiche Rennen. Gewerkschaften sehen als Schreckgespenst<br />

die Entstehung eines neuen, diesmal digitalen Proletariats<br />

aufziehen. Im dem würden Aufträge in immer kleinere<br />

Portionen zerlegt und von einem ganzen Heer schlecht abgesicherter<br />

Heimarbeiter erledigt. Als abschreckendes Beispiel nennen<br />

sie ausgerechnet Local Motors, jene Firma, die als Technik-<br />

Pionier in den USA Autos am 3D-Drucker bauen will (siehe VEC-<br />

TURA #13) – mit nur rund 80 Festangestellten und 50 000 freien<br />

Crowd-Mitgliedern.<br />

Diese Schreckensszenarien werden gottlob nicht über Nacht<br />

Wirklichkeit. Die International Federation of Robots rechnet bis<br />

2016 mit 95 000 neuen menschenfreundlichen Robotern in der<br />

Industrie – im Vergleich zu 1,5 Millionen Industrierobotern weltweit<br />

(noch) ein Nischenmarkt. Doch die zunehmende Digitalisierung<br />

aller Produktions- und Servicebereiche scheint unaufhaltsam.<br />

Colin Crouch, ebenso streitbarer britischer Soziologe<br />

und Politikwissenschaftler wie auch scharfer Kritiker des Neo-<br />

Liberalismus, schrieb kürzlich, die wirtschaftliche Stabilität der<br />

Menschen unterhalb des mittleren Einkommensniveaus werde<br />

zu einer Art öffentlichen Guts. Und fordert daher schon jetzt<br />

einen neuen Sozialvertrag.<br />

156 <strong>VECTURA</strong> #15


Die rahmenlosen Schiebefenster von Sky-Frame gehen schwellenlos in ihre Umgebung über. Innenräume<br />

verwandeln sich so zu Aussenräumen und ermöglichen eine einzigartige Wohnatmosphäre: SKY-FRAME.CH


ROBOTER IM ALL<br />

SEIT BEGINN DES WELTRAUMZEITALTERS WUR-<br />

DEN MASCHINEN VERWENDET, UM RAUE UM-<br />

GEBUNGEN ZU ERFORSCHEN, WISSENSCHAFT-<br />

LICHE ERKENNTNISSE ZU GEWINNEN UND<br />

MENSCH LICHE REISEN VORZUBEREITEN –<br />

ODER UM ASTRONAUTEN ZU UNTERSTÜTZEN<br />

Text Eric Halbach (übersetzt von Thomas Imhof) · Fotos NASA, Werk<br />

Extraterrestrische Verhältnisse: Erprobung von Prototypen des JPL ATHLETE in Kalifornien<br />

Die beiden Hauptgründe für die Verwendung von Robotern<br />

in der Raumfahrt sind schnell genannt: Es geht<br />

darum, sowohl das Risiko für den Menschen als auch<br />

die Kosten zu senken. Weil Maschinen keine lebenserhaltenden<br />

Systeme brauchen, fallen sie insgesamt leichter und kompakter<br />

aus, was zusätzlich Startgewicht spart. Und da Roboter kein<br />

Unwohlsein verspüren, können sie auf Missionen geschickt werden,<br />

die für einen Menschen heikel oder gar unmöglich wären –<br />

aus zeitlichen Gründen oder wegen der Strahlung im Weltraum.<br />

Als «Roboter» gilt eigentlich jede bewegliche elektromechanische<br />

Apparatur, die von einem Computer oder mindestens<br />

elektronisch gesteuert wird. So gesehen kann jeder die Erde<br />

umkreisende Satellit als Weltraum-Roboter bezeichnet werden –<br />

einschliesslich Sputnik 1. Der wurde bereits im Oktober 1957 von<br />

den Sowjets als erstes künstliches Objekt in eine Umlaufbahn<br />

geschossen. 21 Tage lang sendete Sputnik Funksignale, bis die<br />

Batterien leer waren.<br />

In den Jahren danach heizte der Kalte Krieg den Wettlauf zwischen<br />

den USA und der Sowjetunion im Weltraum an. Als<br />

Folge wurden Dutzende Satelliten zur Erkundung des inneren<br />

Sonnensystems in den Orbit katapultiert. Das vom Weltraum-<br />

unternehmen Lawotschkin verantwortete Programm der Russen<br />

verzeichnete besonders auf dem Mond und der Venus Erfolge.<br />

Im Rahmen der Luna-Mission gelang 1966 mit Luna 9<br />

die erste weiche Landung auf dem Mond und erstmals auch<br />

die Übermittlung von Messwerten und Bildern zurück zur Erde;<br />

1970 brachte Luna 17 zusätzlich den ersten Mond-Rover auf<br />

den Erdtrabanten. Auf der Venus blieben die Venera-Raumsonden<br />

die bisher einzigen, die zwischen 1970 und 81 nach mehreren<br />

vorangegangenen Missionen dort landeten und Daten von<br />

der Oberfläche lieferten.<br />

Die vom Jet Propulsion Laboratory (JPL) im kalifornischen Pasadena<br />

gesteuerten Aktivitäten der NASA konzentrierten sich über<br />

das Apollo-Programm auch auf den Mond, wobei die zwischen<br />

1966 und 68 eingesetzten Surveyor-Raumsonden als Wegbereiter<br />

für bemannte Missionen fungierten. Die US-Weltraumbehörde<br />

blickt ausserdem auf sehr erfolgreiche Expeditionen zum Mars zurück.<br />

Schon drei Rover-Generationen haben den «Roten Planeten»<br />

erkundet, daneben wurden auch die vier grossen Gas-Giganten<br />

Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun besucht sowie Sonden in<br />

den interstellaren Raum geschickt. Pluto, der nicht mehr den Status<br />

eines Planeten geniesst, soll im Juli 2015 im Zuge der New-<br />

Horizons-Mission einen Vorbeiflug erleben.<br />

158 <strong>VECTURA</strong> #15


MASCHINENBAU<br />

Inzwischen haben auch Europa und Japan eine aktive Rolle bei<br />

der Erforschung des Sonnensystems übernommen; in jüngerer<br />

Zeit gefolgt von China und Indien.<br />

Während alle auf einer Umlaufbahn kreisenden Satelliten und<br />

Sonden als Roboter gelten können, werden mit dem Begriff<br />

«Weltraumroboter» in der Regel Systeme bezeichnet, die physisch<br />

mit ihrer Umwelt interagieren. Darunter fallen Roboter-Arme –<br />

sowohl im All für Montage und Service oder auf dem Boden<br />

eines Planeten für Grabungen und das Sammeln von Bodenproben<br />

– und ganz spezielle sogenannte Rover, die unbekanntes<br />

Terrain erforschen müssen.<br />

Die Steuerung dieser Systeme kann bei zu weiten Entfernungen<br />

zwischen Erde und Empfänger zum Problem werden, weil die<br />

Datenübertragung dann nur zeitversetzt funktioniert. Befinden<br />

sich Roboter und Betreiber in der gleichen Umgebung, zum Beispiel<br />

ein Astronaut auf der Internationalen Raumstation und ein<br />

Onboard-Roboter-Arm, ist eine direkte und reibungslose Fernsteuerung<br />

möglich. Auf Erde–Mond-Distanzen sind die Funksignale<br />

zwar mit Lichtgeschwindigkeit unterwegs und haben nur<br />

eine Umlaufzeit von wenigen Sekunden. Doch schon daraus ergibt<br />

sich eine merkliche Verzögerung, die aber immer noch eine<br />

direkte Fernbedienung oder Teleoperation in Echtzeit ermöglicht.<br />

Oben: der hochmobile RoboSimian von JPL. Darunter eine Computersimulation<br />

jenes ESA ExoMars-Rover, der 2018 auf dem Mars landen soll. Unten:<br />

Der JPL-Rover Axel wurde entwickelt, um steile Hänge zu erforschen<br />

Diese Methode wurde in den 1970er-Jahren zur Steuerung<br />

des sowjetischen Lunochod-Rovers verwendet. Die Techniker<br />

im Kontrollzentrum sahen ein Live-Fernsehbild des Rovers<br />

vor sich und sandten ihm auf dieser Basis neue Fahrbefehle.<br />

Im Juni 1973, am Ende einer 19 Wochen langen Mission, stellte<br />

das zweite russische Mondmobil Lunochod 2 mit einer Gesamtfahrleistung<br />

von 39 Kilometer einen neuen ausserirdischen Streckenrekord<br />

auf. Und überbot die im Jahr zuvor von der Apollo-<br />

17-Crew aufgestellte Bestmarke. Im Dezember 1972 hatten die<br />

US-Astronauten Eugene Cernan und Harrison Schmitt mit ihrem<br />

Lunar Roving Vehicle (siehe <strong>VECTURA</strong> #3) an drei Tagen<br />

zusammen 36 Kilometer geschafft; die längste Einzeltour betrug<br />

20 Kilometer.<br />

Hier zeigt sich ein wesentlicher Unterschied zwischen Missionen<br />

mit Robotern und Astronauten bzw. Kosmonauten. Die «menschlichen»<br />

Apollo-Missionen konnten zwar schneller (bis zu 13 km / h)<br />

fahren und in kürzerer Zeit längere Distanzen zurücklegen, doch<br />

die begrenzte Masse ihrer Lebenserhaltungssysteme reduzierte<br />

den Aufenthalt jeweils auf wenige Tage. Zum Vergleich konnten<br />

die gerade einmal zwei Stundenkilometer schnellen Lunochods<br />

weitaus länger auf dem Mond herumkurven und in der Addition<br />

auch längere Strecken abspulen. Doch für Erfolg oder Misserfolg<br />

einer Weltraummission ist weniger die Fahrstrecke, sondern<br />

die wissenschaftliche Ausbeute entscheidend – in dieser Hinsicht<br />

war das Apollo-Programm aufgrund der grossen Menge an Proben<br />

ohne Zweifel sehr erfolgreich.<br />

Der Streckenrekord von Lunochod 2 galt bemerkenswert<br />

lange – erst 41 Jahre später schaffte der NASA-Mars-Rover Opportunity<br />

eine Distanz von 40 Kilometer. Nach der Landung im<br />

Januar 2004 erledigten Opportunity und sein baugleicher Kollege<br />

Spirit ihren Job deutlich länger als die zunächst avisierten<br />

90 Tage. Ein Grund für ihre Langlebigkeit war das günstige<br />

Wetter: Marswinde reinigten ihre Solarpaneele regelmässig von<br />

Staub und hielten so die Stromversorgung aufrecht. Während<br />

das Kontrollzentrum das letzte Spirit-Lebenszeichen im März<br />

2010 auffing, setzte Opportunity seine Arbeit bis Mai 2015 fort.<br />

Lunochod stellte seinen Rekord in 19 Wochen auf – Opportunity<br />

hingegen brauchte über zehn Jahre, um ihn zu brechen. Schuld<br />

daran war die weitaus grössere Zeitverzögerung zwischen Erde<br />

und Mars. Funksignale sind (in einer Richtung) zwischen vier<br />

und 20 Minuten unterwegs; eine Teleoperation in Echtzeit ist damit<br />

unmöglich. Als Folge ist der Kontakt auf eine Kommando-<br />

Sequenz pro Tag begrenzt. Der Rover führt sie selbstständig aus,<br />

ehe er die Resultate zurück zur Erde funkt, die dann dort genau<br />

analysiert werden. Dieser vorsichtigere Marschplan auf Tagesbasis<br />

begrenzt die Distanzen auf 50 bis 100 Meter; die von Opportunity<br />

2005 an einem Tag erreichten 220 Meter bedeuteten<br />

da schon einen absoluten Rekord.<br />

Der seit August 2012 auf dem Mars tätige NASA-Rover Curiosity<br />

ist grösser und leistungsfähiger als seine beiden Vorgänger und<br />

hatte im April 2015 schon mehr als zehn Kilometer zurückgelegt.<br />

Statt mit den üblichen Solarzellen wird dieser Rover mit einer<br />

SOMMER 2015 159


MASCHINENBAU<br />

Radionuklidbatterie betrieben (siehe <strong>VECTURA</strong> #11). Sie macht<br />

ihn unabhängiger von Sonnenlicht, auch staubbedeckte Solarpaneele<br />

sind kein Problem mehr. Doch obwohl Curiosity – wie<br />

zuvor schon Opportunity – längere Tagesmärsche angehen kann,<br />

wird er aktuell von unerwartet schwierigem Terrain eingebremst.<br />

Der ultimative limitierende Faktor für die auf dem Mars und künftig<br />

noch ferneren Planeten operierenden Weltraumfahrzeuge ist<br />

jedoch die Zeitspanne, in der neue Entscheidungen von der Erde<br />

zu ihnen vordringen. Sie könnte künftig von einem Tag auf wenige<br />

Stunden oder noch weniger verkürzt werden – begrenzt nur<br />

durch die Übertragungszeit mit Lichtgeschwindigkeit. Vorstellbar<br />

sind Rover, die mithilfe stärkerer Antennen ihre Daten direkt<br />

zur Erde funken, anstatt eine Weltraumsonde als Relaisstation<br />

nutzen zu müssen. Die Wissenschaftler auf der Erde erhielten<br />

so ein höheres Mass an «Telepräsenz» oder konkretere Vorstellungen<br />

über die aktuelle Position des Rovers – und könnten ihm<br />

Hollywood-tauglich: bemanntes NASA Space Exploration Vehicle<br />

mit kutschenartigem, zwölfrädrigem Fahrgestell.<br />

Unten: das gleiche Chassis, diesmal mit Schaufel für Erdarbeiten<br />

schneller neue Anweisungen übermitteln. Weiterentwickelte Formen<br />

der künstlichen Intelligenz könnten sogar dazu führen, dass<br />

der Rover wie ein Geologe denkt und selbst entscheidet, welcher<br />

Felsen beispielsweise in Augenschein genommen werden sollte.<br />

Eine weitere Möglichkeit zur Verkürzung der Befehlszyklen wäre<br />

die Stationierung menschlicher Kontrolleure in näherer Distanz<br />

zu den Maschinen. Ein denkbares Szenario ist, auf dem Mars<br />

eingesetzte Fahrzeuge von einer um den Planeten kreisenden<br />

Raumstation aus zu steuern. Oder von einer festen Basis auf der<br />

Oberfläche, nachdem die ersten Menschen dort gelandet sind.<br />

Dies erscheint sicherer zu sein, als sich in bemannten Rovern<br />

weit von der Bodenstation zu entfernen.<br />

Für die Zukunft erwarten Weltraumforscher eine Zunahme von<br />

Roboter-Missionen in unser Sonnensystem. Um Kosten zu sparen,<br />

wird teilweise auf vorhandene Designmuster zurückgegriffen<br />

und eine Art Plattformstrategie verfolgt. Sowohl die NASA-<br />

Mars-Sonde Phoenix (2008) als auch die für einen Start im Jahr<br />

2016 vorgesehene Insight beinhalten Komponenten einer fast<br />

fertiggestellten, 2001 jedoch am Boden gebliebenen Sonde<br />

namens Mars Surveyor 2001 Lander. Und ein für 2020 projektierter<br />

Mars-Rover wird technische Komponenten von Curiosity<br />

übernehmen.<br />

Von weiterentwickelten Rovern erwarten sich die Wissenschaftler<br />

in Zukunft auch eine bessere Geländetauglichkeit.<br />

Wie an steilen Abhängen auf dem Mars, an denen man saisonale<br />

Wasserströme beobachtet hat. Denkbar wäre es, einen<br />

Rover sozusagen als Anker auf der Hügelkuppe zu platzieren,<br />

von wo aus er ein zweites Fahrzeug an einer Seilwinde ablassen<br />

würde. Auf Stelzen stehende Roboter könnten an Stellen<br />

zum Einsatz kommen, die für Fahrzeuge auf Rädern nicht<br />

mehr erreichbar sind.<br />

Jenseits von Mars streben die führenden Raumfahrtbehörden<br />

in die weiteren Tiefen des Sonnensystems. Vor allem die Monde<br />

von Jupiter und Saturn stehen ganz oben auf der Wunschliste.<br />

Der Nachweis von unterirdischen Ozeanen auf den drei grössten<br />

Jupitermonden Ganymed, Kallisto und Europa könnten auf<br />

die Existenz von Leben hindeuten.<br />

Zu den für die 2020er-Jahre geplanten Missionen zählen JUICE<br />

(Jupiter Icy Moons Explorer) der europäischen Raumfahrtbehörde<br />

ESA und ein auf den Planeten Europa zielendes NASA-<br />

Projekt. Dies sind primär Weltraummissionen, doch könnte eine<br />

von Russland gelieferte Sonde für eine Landung auf Ganymed<br />

das JUICE-Programm ergänzen. Ganz ambitionierte Pläne sehen<br />

sogar den Einsatz beheizter Sonden vor. Sie würden auf den mit<br />

Eis bedeckten Ozeanen landen und nach Auftauen der Oberfläche<br />

Unterseeboote im Wasser absetzen.<br />

Auch der Saturnmond Titan mit seiner dichten Atmosphäre<br />

sowie Seen und Flüssen aus flüssigem Methan bleibt ein faszinierendes<br />

Reiseziel. Im Anschluss an die ESA-Sonde Huygens,<br />

die 2004 einige vielversprechende Bilder von der Oberfläche des<br />

Titan zur Erde schickte, könnten künftige Missionen mit schwimmenden<br />

Sonden arbeiten, die auf den Seen wassern. Oder an<br />

Ballons durch die Luft schweben. Darüber hinaus bleiben auch<br />

Uranus und Neptun sowie deren Monde weitere Ziele für künftige<br />

Roboter-Missionen.<br />

160 <strong>VECTURA</strong> #15


Jüngste Entwicklungen in wiederverwendbarer Raketentechnik<br />

bedeuten, dass die Kosten für Abstecher in den Orbit schon in<br />

naher Zukunft um den Faktor 10 bis 100 sinken könnten. Das<br />

würde zu einer entsprechenden Erhöhung des Verkehrsaufkommens<br />

im Weltall führen, sowohl aus Sicht von nationalen Behörden<br />

wie Privatunternehmen. Sündhaft teure Projekte wie die in<br />

Planung befindliche Mission MSR (Mars Sample Return) von ESA<br />

und NASA, bei der erstmals Gesteinsproben vom Mars zur Erde<br />

gebracht werden sollen, könnten sich so plötzlich rechnen. Und<br />

für Nachwuchs-Wissenschaftler, Studenten und Universitäten<br />

aus aller Welt wären regelmässige Roboter-Ausflüge zum Mond<br />

keine Utopie mehr. Aktuell entwickeln sie so genannte «Cube-<br />

Sats» – das sind in der Grösse normierte Kleinstsatelliten, die auf<br />

Missionen zahlender Kunden mitgeführt und so in eine Umlaufbahn<br />

geschossen werden.<br />

Auch wenn der Vorreiter im Weltraumtourismus, Richard Branson<br />

und sein Unternehmen Virgin Galactic, nach dem Absturz des<br />

Raumflugzeugs SpaceShipTwo in der Mojave-Wüste 2014 einen katastrophalen<br />

Rückschlag verzeichnen musste, könnten regelmässige<br />

kommerzielle Reisen ins All (die ersten gab es ja bereits; sieben<br />

zahlende Passagiere flogen zwischen 2001 und 09 zur ISS) zumindest<br />

für sehr solvente Kunden trotzdem irgendwann Realität werden.<br />

Bis zum Jahr 2050 könnten wir Hotels in der Erdumlaufbahn<br />

und auf dem Mond erleben, ebenso wie eine erste Mars-Kolonie.<br />

Oben: geplantes russisches Ganymede-Landemodul für die ESA-<br />

JUICE-Mission zum Jupiter. Mitte: Konzept einer beheizten Sonde,<br />

die sich durch das Eis des Jupitermondes Europa schmilzt. Unten:<br />

Schwimmroboter erkunden einen Methan-See auf Saturnmond Titan<br />

In einer Zukunft mit erhöhten menschlichen Weltraumaktivitäten<br />

werden Roboter eine wichtige Rolle spielen. Mehr noch: Der<br />

Bedarf an Infrastrukturen und Ressourcen zur Unterstützung<br />

menschlicher Basen und Siedlungen wird zu einer industriellen<br />

Verwendung von maschinellen Helfern führen. Roboter werden<br />

die Bestandteile von auf einem Planeten eingeschlagenen Asteroiden<br />

ebenso wie Oberflächenmaterial von Mond und Mars<br />

dazu verwenden, um Wasser, Sauerstoff und andere nützliche<br />

Chemikalien und Mineralien zu gewinnen.<br />

Zur Erhöhung der Sicherheit werden Roboter so oft wie möglich<br />

für monotone, gefährliche Arbeiten eingesetzt werden – genauso<br />

wie hier auf der Erde. Parallel werden auch Weltraum-Roboter<br />

in der Lage sein, den Menschen zu assistieren und, wo sinnvoll,<br />

in Mensch-Maschine-Teams zu arbeiten. Darauf zielt unter anderem<br />

der Eurobot der ESA – ein vierrädriger Rover mit zwei Armen,<br />

der sich entweder autonom oder mit einem Astronauten<br />

am Steuer fortbewegt. Auch multifunktionale Roboter sind im<br />

Kommen – wie ein von der NASA entwickelter Prototyp namens<br />

ATHLETE: Diese sechsfüssige Weltraumspinne kann auf Rädern<br />

fahren oder laufen und so beim Aufbau von Weltraumbasen äusserst<br />

nützlich sein. Der zwölfrädrige Space-Bulli Chariot dient als<br />

Chassis für bemannte Weltraumautos oder kann für alle Arten<br />

von Erdbewegungsarbeiten eingesetzt werden.<br />

Eine weitere wichtige Aufgabe für Roboter wird die Beseitigung<br />

von Weltraumschrott sein. Seit 1957, als Sputnik 1 als Erster<br />

durch die noch unberührte Umlaufbahn der Erde segelte, ist die<br />

Region mit Hunderttausenden von Abfallobjekten übersät worden.<br />

Diese Trümmer stellen eine permanente Gefahr für funktionsfähige<br />

Satelliten und bemannte Raumschiffe dar. Dank reduzierter<br />

Kosten wird es bald wirtschaftlich vertretbar sein, Roboter<br />

zum Reinemachen ins All zu schicken, damit auch künftige Generationen<br />

– frei nach Kultregisseur Stanley Kubrick – keine «Space<br />

Odyssey» erleben müssen.<br />

SOMMER 2015 161


RUBRIKEN IMPRESSUM<br />

Herausgeberin Prestige Media International AG<br />

Verleger Francesco J. Ciringione<br />

cf@prestigemedia.ch<br />

Verlagsleitung Boris Jaeggi<br />

b.jaeggi@prestigemedia.ch<br />

Chefredaktor Matthias Pfannmüller (map)<br />

m.pfannmueller@prestigemedia.ch<br />

Marketing- und Anzeigenleitung<br />

sales@prestigemedia.ch<br />

Gestaltung Corinna Kost<br />

Autoren dieser Ausgabe<br />

Simon Baumann, Christian Bartsch, Paul Bracq,<br />

Axel F. Busse, Jo Clahsen, Dieter Günther,<br />

Eric Halbach, Hubertus Hoslin, Daniel Huber,<br />

Thomas Imhof, Jochen Kruse, Stefan Lüscher,<br />

Wolfgang Peters, Mark Stehrenberger<br />

Fotografen (Illustratoren) dieser Ausgabe<br />

Christian Bittmann, Nick Dimbleby, map,<br />

Wale Pfäffli, (Mark Stehrenberger), Ian G.C. White<br />

Lektorat Andreas Probst<br />

Produktionsleitung Corinna Kost<br />

c.kost@prestigemedia.ch<br />

Verlag / Produktion Prestige Media International AG,<br />

St. Jakob-Strasse 110, CH-4132 Muttenz / Basel<br />

Telefon +41 (0) 61 335 60 80<br />

Telefax +41 (0) 61 335 60 88<br />

info@prestigemedia.ch<br />

www.prestigemedia.ch<br />

www.prestigenews.ch<br />

Web & IT Dejan Djokic<br />

Koordination Laura Giarratana<br />

Abo-Service Serpil Dursun<br />

Telefon +41 (0) 61 335 60 80<br />

info@prestigemedia.ch<br />

Einzelnummer CHF 10.–<br />

Jahresabo CHF 39.–<br />

Erscheinungsweise vierteljährlich<br />

Auflage 20 500 Exemplare<br />

WEMF / REMP-beglaubigt (2014) 16 375 Ex.<br />

<strong>VECTURA</strong> #16<br />

erscheint im<br />

September 2015<br />

Wiedergabe von Artikeln und Bildern,<br />

auszugsweise oder in Ausschnitten, nur mit<br />

ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion.<br />

Für unverlangte Zusendungen wird von<br />

Redaktion und Verlag jede Haftung abgelehnt<br />

WWW.<strong>VECTURA</strong>MAG.CH<br />

Titelfoto und -film Werk<br />

162 <strong>VECTURA</strong> #15


Photography by Warren & Nick<br />

DAS 1811 GEGRÜNDETE HAUS<br />

Seit seiner Gründung entwickelt Perrier-Jouët blumigen Champagner mit einer seltenen Feinheit,<br />

die durch Chardonnay gekennzeichnet ist.<br />

www.perrier-jouet.com<br />

Please Drink Responsibly


L-evolution Collection<br />

BLANCPAIN BOUTIQUES<br />

RUE DU RHÔNE 40 · 1204 GENEVA · TEL. +41 (0)22 312 59 39<br />

BAHNHOFSTRASSE 28 · PARADEPLATZ · 8001 ZURICH · TEL. +41 (0)44 220 11 80<br />

www.blancpain.com

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!