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1936 Der große Höhepunkt des Jahres werden die Olympischen ...

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<strong>1936</strong>uns gestellt. <strong>Der</strong> kleine Fritz schreibt: „Die Juden wollten Deutschlandaussaugen. Aber Adolf Hitler ist ihnen zuvorgekommen.“ 5 Wenn spätereinmal Historiker über unsere Zeit berichten, <strong>werden</strong> sie hoffentlich zuwürdigen wissen, dass große und kleine Leute im Deutschen Reich denZuständen im Lande kritisch gegenüberstehen und nicht <strong>die</strong> glänzendenAugen von Marktweibern zum Maßstab aller Dinge machen – zumal <strong>die</strong>Weiber mit den entrückten Blicken auf den Friedenskanzler gar keinenEinblick in <strong>die</strong> Gedanken der Führung <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> haben und genausowenig Möglichkeiten, den Gang der Dinge in Deutschland selbst heuteoder später zu beeinflussen.So ein Politiker andererseits steht stets unter einem Erfolgsdruck. Hat ersich erst einmal aus der Masse herausgehoben und zur Ausübung einesbesonderen Amtes bereitgefunden, schaut <strong>die</strong> Masse natürlich neugierigzu, was der Politiker nun tut, um <strong>die</strong> Versprechungen wahr zu machen,für <strong>die</strong> er gewählt wurde. Als der Winter vorüber ist, wartet der Führeram 7. März <strong>1936</strong> wieder mit einer Sensation auf. „Diesmal lautete <strong>die</strong>Wochenendüberraschung: Einmarsch in <strong>die</strong> entmilitarisierten Rheinlande.Natürlich war es nur eine »symbolische« Besetzung.“ 6 Eingeleitetwird sie mit der Verkündung eines deutschen Friedensplans, der sich an<strong>die</strong> Regierungen anderer europäischer Staaten richtet. Doch es ist nichtallein <strong>die</strong>ser Friedensplan von Kanzler Hitler, der unendlich geschickt in<strong>die</strong> europäische Gesamtsituation eingeführt wird. <strong>Der</strong> neuerliche Erfolg,den der Kanzler hier verbucht, verdankt er auch dem perfekten Timing,denn in Europa ist man auf der Suche nach Strategien zur Sicherung <strong>des</strong>Friedens und hat in <strong>die</strong>sem Kontext gerade den ostafrikanischen StaatÄthiopien gegen den Willen der Bevölkerung in Frankreich und Englandden Italienern überlassen, weil man meint, das faschistische Italien sovon einer Annäherung an das nationalsozialistisch regierte Deutschlandabhalten zu können. So haben sich in den vergangenen Monaten sowohl<strong>die</strong> englische wie auch <strong>die</strong> französische Regierung moralisch unmöglichgemacht. <strong>Der</strong> Einzige, der nur <strong>die</strong> eigenen Interessen im eigenen Landverteidigt, ist Adolf Hitler. Mehr ist allerdings ob der militärischen Möglichkeitender Wehrmacht auch nicht realistisch, und streng genommenist schon <strong>die</strong> Besetzung <strong>des</strong> Rheinlan<strong>des</strong> hoch riskant. Sie setzt darauf,dass <strong>die</strong> hochgerüsteten Franzosen nicht doch losschlagen und mit ihren5 Hirche, S. 896 Gisevius, S. 3014


<strong>1936</strong>Mitteln ganz einfach bei ihrem östlichen Nachbarn für Ruhe im Kartonsorgen. Deutschland hat im Moment nur fünfundzwanzig Divisionen zurVerfügung, mit einer vergleichsweise schlechten Ausrüstung, so dass esselbst <strong>die</strong>ses Militär eigentlich auch nur auf dem Papier gibt. Schon <strong>die</strong>Tschechoslowakei hat mit dreiunddreißig Divisionen mehr Chancen, ineiner militärischen Auseinandersetzung den Feind zu schlagen, und dasist ein wirklich kleines europäisches Land. Dazu kommt, dass gerade <strong>die</strong>tschechoslowakische Armee <strong>die</strong> bestausgerüstete Armee in Europa ist,dass das Land an seinen Grenzen zu Deutschland in den Sudeten überein ausgezeichnetes Befestigungssystem nach dem Vorbild der Maginot-Linie der Franzosen verfügt und dass das Land mit der Sowjetunion undFrankreich verbündet ist, <strong>die</strong> über noch viel größere Armeen verfügen. 7„<strong>Der</strong> Führer hatte am Radio verkünden lassen, <strong>die</strong> Franzosen und Engländerkönnten ganz beruhigt weiterschlafen. Trotzdem läuteten allenthalben<strong>die</strong> Glocken. Berlin tauchte unter in einem Flaggenmeer.“ 8 Dabeiist eigentlich nicht so viel passiert. Hitler ist sich seiner Sache gar nichtsicher und hat aus dem Grund nur <strong>die</strong> Entsendung von drei Bataillonennach Aachen, nach Trier und in das seit einem Dreivierteljahr wieder zuDeutschland gehörende Saarbrücken befohlen. Es ist also vorerst in derTat nur eine symbolische Aktion; der Kanzler hält sich mit <strong>die</strong>ser rechtüberschaubaren Aktion <strong>die</strong> Möglichkeit offen, <strong>die</strong> wenigen Soldaten ausder Gefahrenzone auf ein paar Lastkraftwagen zurückzubeordern, wennes geboten scheint. Für einen Krieg ist Deutschland gar nicht gerüstet.Die Panzer, <strong>die</strong> jetzt im Gebrauch sind, hält der Wehrbereichsgeneral inMünster zum Beispiel für fahrende Särge 9 .Hans-Bernd Gisevius arbeitet noch immer im Reichsinnenministeriumund erinnert sich dann so an <strong>die</strong> Aktion: „Ich aber atmete auf und – zog<strong>die</strong> falschen Konsequenzen. Denn ich Narr bildete mir allen Ernstes ein:nun ist es aus, jetzt <strong>werden</strong> <strong>die</strong> Engländer eine scharfe Note schicken,<strong>die</strong> Franzosen <strong>werden</strong> marschieren, unsere Generäle <strong>werden</strong> mit ihrenEinwänden gegen Hitlers Katastrophenpolitik Recht behalten, und damitist der lang erwartete Kladderadatsch da. Auf deutscher Seite wärenin der Tat alle Prämissen für einen solchen Zusammenbruch gegeben7 Quigley, S. 29 und 618 Gisevius, S. 301f.9 Im Gespräch mit Gisevius5


<strong>1936</strong>gewesen. Kurz nach seiner Proklamation bekam Hitler einen Nervenzusammenbruch;in einem Weinkrampf war er drauf und dran, <strong>die</strong> bereitsmarschierenden Kolonnen zurückzurufen. In der Reichskanzlei herrschtesolches Drunter und Drüber, dass schließlich Neurath <strong>die</strong> Situationdurch seinen Vorschlag rettete, zurück könne man immer noch, mansolle doch erst einmal <strong>die</strong> französische Reaktion abwarten.“ 10Ausgezeichnet hatten <strong>die</strong> führenden Denker <strong>des</strong> Reiches <strong>die</strong> Ankunft derdeutschen Soldaten vorbereitet. „In den frühen Morgenstunden <strong>die</strong>seshistorischen Sonnabend waren von Berlin aus Sonderberichterstatterder hauptstädtischen Presse und Vertreter der großen Presse im Reichin Sonderflugzeugen nach den Rheinland gestartet, um Zeugen <strong>die</strong>sergroßen Stunde zu sein. [Die Kausalität wird vom Schreiber <strong>die</strong>ser Zeilenfreilich nachträglich unterstellt.] Vor dem Start und während <strong>des</strong> Flugesahnte noch niemand von den Teilnehmern, wohin der Flug gehen sollteund was er bedeutete. Als dann aber <strong>die</strong> Maschinen sich dem deutschenRhein näherten und <strong>die</strong> Fluggäste auf den Anmarschstraßen <strong>die</strong> grauenKolonnen und Wagenreihen erblickten, begriffen alle, <strong>die</strong> es miterlebten,<strong>die</strong> Bedeutung <strong>die</strong>ses Fluges. Es galt, den Eindruck wiederzugeben,den <strong>die</strong> Befreiungstat Adolf Hitlers dort machte, wo sie am unmittelbarstensich auswirkte, in dem bisher für deutsche Soldaten verbotenenGebiet am deutschen Rhein. In Köln sah <strong>die</strong> Bevölkerung, <strong>die</strong> überallzum Gemeinschaftsempfang der Führerrede im Reichstag sich versammelthatte, wenige Minuten vor 12 Uhr <strong>die</strong> erste Flugzeugstaffel derLuftwaffe über <strong>die</strong> Stadt hinwegbrausen. Begeisterter Jubel grüßte <strong>die</strong>deutschen Flieger. Auf den Straßen um <strong>die</strong> Rheinbrücke, am Dom undam Ring staute sich <strong>die</strong> Menge. Mit Blitzesschnelle eilte <strong>die</strong> Kunde vondem bevorstehenden Einzug deutscher Soldaten durch <strong>die</strong> Stadt. Diekurz vor 13 Uhr zuerst eintreffende Flak-Batterie wurde bei ihrer Fahrtüber <strong>die</strong> Hohenzollernbrücke von einem unbeschreiblichen Jubel empfangen.Oberbürgermeister Dr. Riesen war der Abteilung entgegengefahrenund führte sie über <strong>die</strong> Brücke in <strong>die</strong> Stadt hinein. Als dann <strong>die</strong>Infanterie einmarschierte, kannte der Jubel keine Grenzen mehr. DieAbsperrungsmannschaften konnten nur mit größter Mühe <strong>die</strong> Mitte derStraßen für <strong>die</strong> einrückenden Truppen freihalten.“ 1110 Gisevius I, S. 30111 Tremonia, 9. März <strong>1936</strong>, S. 26


<strong>1936</strong>Je dicker eine Zeitung ist, <strong>des</strong>to mehr steht drin. Doch was heutzutage inder Zeitung steht, ist schon mit Vorsicht zu genießen. Adolf Galland isteiner der Flieger. Was sagt er? „Nach fliegerischer Grundausbildung undKriegsschule, <strong>die</strong> für den gesamten Offiziersnachwuchs der Fliegertruppegemeinsam erfolgte, kam der für <strong>die</strong> Jagdfliegerei Vorgesehene auf<strong>die</strong> Jagdfliegerschule. <strong>Der</strong>en Zahl war – wie überhaupt das gesamteAusbildungsfundament der Luftwaffe – für ihre späteren Aufgaben vonvornherein viel zu schmal. Als <strong>die</strong> junge deutsche Wehrmacht am 7.März <strong>1936</strong> das entmilitarisierte Rheinland besetzte, gab es eine einzigeJagdfliegerschule. Und auch <strong>die</strong> wurde damals aufgelöst, weil ihre Flugzeugedringend für <strong>die</strong>se erste militärische Operation benötigt wurden.Das gewagte Unternehmen, so wie ich es erlebte, wirft ein bezeichnen<strong>des</strong>Licht auf <strong>die</strong> Entstehungsgeschichte der Luftwaffe.Mit Mühe und Not waren für <strong>die</strong> Rheinlandbesetzung drei kümmerlicheJagdgruppen zusammengebracht. In <strong>die</strong>sen waren höchstens zehn Flugzeugekriegsmäßig einsatzbereit. Den anderen hatte man zwar in allerEile und gut sichtbar Maschinengewehre eingebaut, <strong>die</strong> jedoch nicht inder Lage waren, auch nur einen einzigen Schuss abzugeben. HätteFrankreich damals Ernst gemacht, wären wir von der »Armée de l'air«fürchterlich zusammengehauen worden. Vom Zustand der Luftwaffe ausbeurteilt, war <strong>die</strong> Rheinlandbesetzung ein sehr gewagter Bluff. UnsereGruppe flog zunächst nach Werl. – Paradeaufstellung, Besichtigungdurch internationale Presse und ausländische Luftattachés. SichtlicherEindruck. – Nachts pinselten wir <strong>die</strong> grünen Schnauzen unserer Flugzeugerot und präsentierten uns so am nächsten Tag dem gleichen staunendenPublikum auf einem Flugplatz bei Dortmund.Und derselbe »Türke« wurde noch einmal in Düsseldorf wiederholt.Wobei wir dort allerdings vorsichtig waren und <strong>die</strong> schon einmal fotografiertenPiloten gegen Mechaniker austauschten, <strong>die</strong> für <strong>die</strong>se Aufnahmenin unsere Flugzeugführer-Kombinationen gesteckt wurden. DasTheater erfüllte offenbar seinen Zweck. Aber vielleicht gerade solcheErfolge verleiteten dazu, den Aufbau der Lufwaffe allgemein nach ähnlichenGrundsätzen durchzuführen. Er ging zu sehr in <strong>die</strong> Breite statt in<strong>die</strong> Tiefe. Man berauschte sich an der Zahl der aufgestellten Verbände.Hinter <strong>die</strong>sen fehlte <strong>die</strong> Ausbildungs-Organisation mit dem notwendigenPotenzial schon für den Bedarf im Frieden.“ 12 Aber davon berichtet<strong>die</strong> Zeitung natürlich nichts. In feierlicher Sprache geht es dort weiter:12 Galland, S. 2447


<strong>1936</strong>„Grau in grau marschierten <strong>die</strong> Kolonnen über <strong>die</strong> Brücke. Als <strong>die</strong> Spitze<strong>die</strong> linke Rheinseite erreichte, setzte schmetternd <strong>die</strong> Blechmusik ein.<strong>Der</strong> Infanterie folgten schwere Maschinengewehre und motorisierte Abteilungen.Den Abschluss bildete eine Panzerwagen-Abwehrkompagnie.Am Dom nahm wenige Minuten nach 14 Uhr der Wehrkreis-Kommandeur,Generalleutnant von Kluge, gemeinsam mit dem RegierungspräsidentDiehls und Oberbürgermeister Dr. Riesen den Vorbeimarsch derTruppen ab. Nicht minder groß war <strong>die</strong> Begeisterung in Koblenz, . . .Auch in der Grenzstadt Trier herrschte allenthalben nicht zu beschreibendeBegeisterung über <strong>die</strong> Befreiungstat <strong>des</strong> Führers . . .In der alten Festungsstadt Mainz waren schon während der Rede <strong>des</strong>Führers <strong>die</strong> ersten Fahnen gesetzt worden. Nicht lange dauerte es, bis inallen Straßen <strong>die</strong>ser Stadt, <strong>die</strong> mit am längsten – zwölf Jahre hindurch –fremde Truppen, französische und farbige, hat dulden müssen, <strong>die</strong> Fahnen<strong>des</strong> Dritten Reiches an allen Häusern wehten. Das auf dem BahnhofKastel ausgeladene Bataillon rückte dann, begleitet von Jung und Alt,über <strong>die</strong> Straßenbrücke in <strong>die</strong> Stadt ein . . .“ 13Die Kölnische Zeitung mit Handelsblatt bietet dem Publikum <strong>die</strong> Worte<strong>des</strong> Kanzlers vor dem Reichstag zu dem Coup am Sonnabend in einemVorabdruck an: „Als in den grauen Novembertagen <strong>des</strong> <strong>Jahres</strong> 1918 derVorhang über das blutige Trauerspiel <strong>des</strong> großen Krieges herabgelassenwurde, atmeten Millionen von Menschen in der ganzen Welt auf. Gleicheinem Frühlingsahnen ging über <strong>die</strong> Völker <strong>die</strong> Hoffnung, dass damitnicht nur eine der traurigsten Verwirrungen der Menschheitsgeschichteihren Abschluss gefunden, sondern dass eine fehlerhafte und <strong>des</strong>halbunheilvolle Zeit ihre geschichtliche Wende erfahren hatte. Durch allesKriegsgeschrei, durch wilde Drohungen, Anklagen, Verwünschungenund Verurteilungen hatten <strong>die</strong> Auffassungen <strong>des</strong> amerikanischen Präsidenten<strong>die</strong> Ohren der Menschheit erreicht, in denen von einer neuenZeit und einer bessern Welt <strong>die</strong> Rede war. In zusammen 14 Punktenwurde den Völkern ein Ausblick gegeben für eine solche neue Völkerunddamit Menschheitsordnung . . .Und darin lag das Verzaubernde <strong>die</strong>ser Thesen, dass sie mit unbestreitbarerGroßartigkeit versuchten, dem Zusammenleben der Völker neueGesetze zu geben und es mit einem neuen Geist zu erfüllen, aus dem herausdann jene Institution wachsen und gedeihen könnte, <strong>die</strong> als Bund13 Tremonia, S. 28


<strong>1936</strong>aller Nationen berufen sein sollte, <strong>die</strong> Völker nicht nur äußerlich zusammenzuschließen,sondern vor allem innerlich einander näher zu bringenin gegenseitiger Rücksichtnahme und in gegenseitigem Verstehen.Kein Volk ist der Zauberkraft <strong>die</strong>ser Phantasie mehr verfallen als dasdeutsche. Es hatte <strong>die</strong> Ehre, gegen eine Welt kämpfen zu müssen, unddas Unglück, in <strong>die</strong>sem Kampf zu unterliegen. Es war aber als Unterlegenerbelastet mit der Fluch der Verantwortung für ein Ringen, das <strong>die</strong>sesVolk weder geahnt noch gewünscht hatte. Das deutsche Volk glaubtean <strong>die</strong>se Thesen mit der Kraft eines an sich und der Welt Verzweifelnden.Es begann damit seinen Weg in seine leidvollste Zeit. Wir alle sindviele Jahre hindurch Opfer <strong>die</strong>ses phantastischen Glaubens und damitObjekte er entsetzlichen Folgen gewesen. Es ist nicht der Zweck <strong>die</strong>serAusführungen, <strong>die</strong>ser furchtbaren Enttäuschung Ausdruck zu verleihen,<strong>die</strong> unser Volk in steigendem Maße ergriffen hatte. Ich will nicht von derVerzweiflung reden und von dem Schmerz und dem Jammer, den <strong>die</strong>seJahre für das deutsche Volk und für uns in sich bargen. Wir waren ineinen Krieg gerissen worden, an <strong>des</strong>sen Ausbruch wir genau so schuldlosoder schuldhaft waren wie <strong>die</strong> andern Völker auch. Wir aber sind geradeals <strong>die</strong> am meisten Opfernden auch am leichtesten dem Glauben aneine bessere Zeit verfallen . . .Diese erstaunte Menschheit aber sieht, dass der Kriegsgott seine Rüstungnicht abgelegt hat, sondern im Gegenteil schwerer gepanzert dennje über <strong>die</strong> Erde schreitet. Wenn früher Armeen von Hundertausendenfür <strong>die</strong> Ziele einer imperialistischen Dynastien-, Kabinetts- oder Nationalitätenpolitikeintraten, dann sind es heute Millionen-Armeen, <strong>die</strong> fürneue gestrige Vorstellungen, für Weltrevolutionen, Bolschewismus odersogar »Nie-wieder-Krieg« Idole zum Krieg rüsten, und <strong>die</strong> Völker dafürin Bewegung setzen . . . Es gab einen Augenblick, da hätten es <strong>die</strong> Staatsmännerin der Hand gehabt, durch einen einzigen Appell zu der Vernunftund auch an das Herz der Soldaten der kämpfenden Millionenarmeender Völker eine brüderliche Verständigung einzuleiten, <strong>die</strong> derWelt vielleicht auf Jahrhunderte für das Zusammenleben der Nationenund Staaten unendliche Erleichterungen geschenkt haben würde. Es geschahnur das Gegenteil. Das Schlimmste aber ist, dass der Geist <strong>des</strong>Hasses <strong>die</strong>ses Vertrages überging in <strong>die</strong> allgemeine Mentalität der Völker,dass er <strong>die</strong> öffentliche Meinung zu infizieren und damit zu beherrschenanfing und dass nun aus <strong>die</strong>sem Geist <strong>des</strong> Hasses heraus <strong>die</strong> Unvernunftzu triumphieren begann, <strong>die</strong> <strong>die</strong> natürlichsten Probleme <strong>des</strong>9


<strong>1936</strong>Völkerlebens, ja selbst <strong>die</strong> eigensten Interessen, verkannt und mit Giftverblendeter Leidenschaften zerstörte . . .“ 14In der Rede begründet der Kanzler sein Vorgehen mit dem Hinweis aufdas vor einem knappen Jahr geschlossene Bündnis zwischen Frankreichund der Sowjetunion. Mit <strong>die</strong>sem Pakt sei der Vertrag von Locarno verletztworden und er selbst fühle sich aus <strong>die</strong>sem Grund auch nicht mehran den Vertrag gebunden. Vor der ganzen Welt trägt er am Samstag eindeutsches Memorandum zur Außenpolitik vor. Im Radio kann man esverfolgen: „Sofort nach dem Bekannt<strong>werden</strong> <strong>des</strong> am 2. Mai 1935 unterzeichnetenPakts zwischen Frankreich und der Union der SozialistischenSowjetrepubliken hat <strong>die</strong> deutsche Regierung <strong>die</strong> Regierungen der übrigenSignatarmächte <strong>des</strong> Rheinpaktes von Locarno darauf aufmerksamgemacht, dass <strong>die</strong> Verpflichtungen, <strong>die</strong> Frankreich in dem neuen Pakteingegangen ist, mit seinen Verpflichtungen aus dem Rheinpakt nichtvereinbar sind. Die deutsche Regierung hat ihren Standpunkt damalssowohl rechtlich als politisch ausführlich begründet, und zwar in rechtlicherBeziehung in dem deutschen Memorandum vom 28. Mai 1935, inpolitischer Beziehung in den vielfachen diplomatischen Besprechungen,<strong>die</strong> sich an <strong>die</strong>ses Memorandum angeschlossen haben. Den beteiligtenRegierungen ist auch bekannt, dass weder ihre schriftliche Antwort aufdas deutsche Memorandum, noch <strong>die</strong> von ihnen auf diplomatischemWege oder in öffentlichen Erklärungen vorgebrachten Argumente denStandpunkt der deutschen Regierung erschüttern konnten . . . Es stehtsomit fest, dass Frankreich der Räteunion gegenüber Verpflichtungeneingegangen ist, <strong>die</strong> praktisch darauf hinauslaufen, gegebenenfalls so zuhandeln, als ob weder <strong>die</strong> Völkerbundsatzung, noch der Rheinpakt, derauf <strong>die</strong>se Satzung Bezug nimmt, in Geltung wären . . . Um aber jederMissdeutung ihrer Absichten vorzubeugen und den rein defensiven Charakter<strong>die</strong>ser Maßnahme außer Zweifel zu stellen sowohl als ihrer ewiggleich bleibenden Sehnsucht nach einer wirklichen Befriedung Europaszwischen gleichberechtigten und gleich geachteten Staaten Ausdruck zuverleihen, erklärt sich <strong>die</strong> deutsche Reichsregierung bereit, auf derGrundlage der nachstehenden Vorschläge sofort neue Vereinbarungenfür <strong>die</strong> Aufrechterhaltung eines Systems der europäischen Friedenssicherheitzu treffen: 1. Die deutsche Reichsregierung erklärt sich bereit,mit Frankreich und Belgien über <strong>die</strong> Bildung einer beiderseitigen entmi-14 Kölnische Zeitung, 7. März <strong>1936</strong>, S. 110


<strong>1936</strong>litarisierten Zone in Verhandlungen einzutreten und einem solchen Vorschlagjeder Tiefe und Auswirkung unter der Voraussetzung der vollkommenenParität von vornherein ihre Zustimmung zu geben.2. Die deutsche Reichsregierung schlägt vor, zum Zweck der Sicherungder Unversehrbarkeit und Unverletzbarkeit der Grenzen im Westeneinen Nichtangriffspakt zwischen Deutschland, Frankreich und Belgienabzuschließen, <strong>des</strong>sen Dauer sie bereit ist, auf 25 Jahre zu fixieren.3. Die deutsche Reichsregierung wünscht England und Italien einzuladen,als Garantiemächte <strong>die</strong>sen Vertrag zu unterzeichnen.4. <strong>die</strong> deutsche Reichsregierung ist einverstanden, falls <strong>die</strong> königlichniederländische Regierung es wünscht, und <strong>die</strong> andern Vertragspartneres für angebracht halten, <strong>die</strong> Niederlande in <strong>die</strong>ses Vertragssystem einzubeziehen.5. Die deutsche Reichsregierung ist bereit, zur weiteren Verstärkung <strong>die</strong>serSicherheitsabmachungen zwischen den Westmächten einen Luftpaktabzuschließen, der geeignet ist, der Gefahr plötzlicher Luftangriffe automatischund wirksam vorzugreifen.6. Die deutsche Reichsregierung wiederholt ihr Angebot, mit den imOsten an Deutschland grenzenden Staaten ähnlich wie mit Polen Nichtangriffspakteabzuschließen. Da <strong>die</strong> litauische Regierung in den letztenMonaten ihre Stellung dem Memelgebiet gegenüber einer gewissen Korrekturunterzogen hat, nimmt <strong>die</strong> deutsche Reichsregierung <strong>die</strong> Litauenbetreffende Ausnahme, <strong>die</strong> sie einst machen musste, zurück und erklärtsich unter der Voraussetzung eines wirksamen Ausbaues der garantiertenAutonomie <strong>des</strong> Memelgebiets bereit, auch mit Litauen einen solchenNichtangriffspakt zu unterzeichnen.7. Nach der nunmehr erreichten endlichen Gleichberechtigung Deutschlandsunter Wiederherstellung der vollen Souveränität über das gesamtedeutsche Reichsgebiet sieht <strong>die</strong> deutsche Reichsregierung einen Hauptgrundfür den seinerzeitigen Austritt aus dem Völkerbund als beseitigtan. Sie ist daher bereit, wieder in den Völkerbund einzutreten. Siespricht dabei <strong>die</strong> Erwartung aus, dass im Laufe einer angemessenen Zeitauf dem Wege freundschaftlicher Verhandlungen <strong>die</strong> Frage der kolonialenGleichberechtigung sowie <strong>die</strong> Frage der Trennung <strong>des</strong> Völkerbundstatutsvon seiner Versailler Grundlage geklärt wird.“ 1515 Tremonia – Westdeutsche Volkszeitung, 9. März <strong>1936</strong>, S. 211


<strong>1936</strong>Dem Memorandum an <strong>die</strong> Signatarmächte <strong>des</strong> Locarno-Vertrages lässtder Kanzler <strong>des</strong> Reiches <strong>die</strong>se Worte folgen: „Männer, Abgeordnete <strong>des</strong>Deutschen Reichstags! In <strong>die</strong>ser geschichtlichen Stunde, da in den westlichenProvinzen <strong>des</strong> Reiches deutsche Truppen soeben ihre künftigenFriedensgarnisonen beziehen, vereinigen wir uns alle zu zwei heiligeninneren Bekenntnissen. Erstens zu dem Schwur, vor keiner Macht undvor keiner Gewalt in der Wiederherstellung der Ehre unseres Volkes zurückzuweichenund lieber der schwersten Not ehrenvoll zu erliegen alsjemals vor ihr zu kapitulieren und zweitens zu dem Bekenntnis, nun erstrecht für eine Verständigung der Völker Europas und insbesondere füreine Verständigung mit unsern westlichen Völkern und Nachbarn einzutreten.Wir haben in Europa keine territorialen Forderungen zu stellen.Wir wissen vor allem, dass alle <strong>die</strong> Spannungen, <strong>die</strong> sich entweder ausfalschen territorialen Bestimmungen oder aus den Missverhältnissender Volkszahlen mit ihren Lebensräumen ergeben, in Europa durchKriege nicht gelöst <strong>werden</strong> können. Wir hoffen aber, dass <strong>die</strong> menschlicheEinsicht mithelfen wird, das Schmerzliche <strong>die</strong>ser Zustände zu mildernund Spannungen auf dem Weg einer langsamen evolutionären Entwicklungin friedlicher Zusammenarbeit zu beseitigen. Und insbesondereempfinde ich mit dem heutigen Tage erst recht <strong>die</strong> Notwendigkeit, <strong>die</strong>Verpflichtungen zu würdigen, <strong>die</strong> uns <strong>die</strong> wiedergewonnene nationaleEhre und Freiheit auferlegen. Verpflichtungen nicht nur unserm Volkgegenüber, sondern auch gegenüber den übrigen europäischen Staaten.So möchte ich denn an <strong>die</strong>ser Stelle noch einmal <strong>die</strong> Gedanken, <strong>die</strong> ichin den 13 Punkten meiner letzten Rede hier ausgesprochen habe, in <strong>die</strong>Erinnerung der europäischen Staatsmänner zurückrufen mit der Versicherung,dass wir Deutsche gern alles tun wollen, was zur Verwirklichung<strong>die</strong>ser sehr realen Ideale möglich und nötig ist. Nach drei Jahrenglaube ich so mit dem heutigen Tag den Kampf um <strong>die</strong> deutsche Gleichberechtigungals abgeschlossen ansehen zu können. Ich glaube, dass damitaber <strong>die</strong> erste Voraussetzung für unsere seinerzeitige Zurückziehungaus der europäischen kollektiven Zusammenarbeit weggefallen ist.Wenn wir daher nunmehr wieder bereit sind, zu <strong>die</strong>ser Zusammenarbeitzurückzukehren, dann geschieht <strong>die</strong>s mit dem aufrichtigen Wunsch,dass vielleicht <strong>die</strong>se Vorgänge und ein Rückblick auf <strong>die</strong>se Jahre mithelfen<strong>werden</strong>, das Verständnis für <strong>die</strong>se Zusammenarbeit auch bei den anderneuropäischen Völkern zu vertiefen. Meine Parteigenossen! Seit dreiJahren führe ich nun <strong>die</strong> Regierung <strong>des</strong> Deutschen Reiches und damit12


<strong>1936</strong>das deutsche Volk. Groß sind <strong>die</strong> Erfolge, <strong>die</strong> mich <strong>die</strong> Vorsehung in <strong>die</strong>sendrei Jahren für unser Vaterland erringen ließ. Auf allen Gebietenunseres nationalen, politischen und wirtschaftlichen Lebens ist unsereStellung gebessert worden. Ich darf an <strong>die</strong>sem Tag aber auch bekennen,dass mich in <strong>die</strong>ser Zeit zahlreiche Sorgen bedrückten und unzähligeschlaflose Nächte, arbeiterfüllte Tage begleiteten. Ich konnte <strong>die</strong>s allesnur tun, weil ich mich nie als Diktator meines Volkes, sondern stets nurals sein Führer und damit als sein Beauftragter gefühlt hatte. Ich habeum <strong>die</strong> innere Zustimmung <strong>des</strong> deutschen Volkes zu meinen Idealeneinst 14 Jahre gerungen und bin dann dank seines Vertrauens von demehrwürdigen Generalfeldmarschall berufen worden. Ich habe aber auchseitdem alle meine Kraft nur aus dem glücklichen Bewusstsein geschöpft,mit meinem Volk unlösbar verbunden zu sein als Mann undFührer. Ich kann <strong>die</strong>se geschichtliche Periode der Wiederherstellung derEhre und Freiheit meines Volkes nicht abschließen, ohne das deutscheVolk nunmehr zu bitten, mir und damit allen meinen Mitarbeitern undMitkämpfern <strong>die</strong> nachträgliche Zustimmung zu erteilen zu all dem, wasich in <strong>die</strong>sen Jahren an oft scheinbar eigenwilligen Entschlüssen, anharten Maßnahmen durchführen und an großen Opfern fordern musste.Ich habe mich <strong>des</strong>halb entschlossen, am heutigen Tag den DeutschenReichstag aufzulösen, damit das deutsche Volk sein Urteil abzugebenvermag über meine und meiner Mitarbeiter Führung.“ 16 Danach tritt derReichstagspräsident Hermann Göring an das Pult und verliest eine entsprechendeBotschaft <strong>des</strong> Führers, in der <strong>die</strong> Neuwahlen zum Reichstagfür den 29. März <strong>1936</strong> angesetzt <strong>werden</strong>. In Deutschland kursiert unter<strong>des</strong>sen<strong>die</strong>ser Witz: „Wo gibt es den höchstbezahlten Gesangsverein?“ –„In Deutschland. Denn <strong>die</strong> Mitglieder <strong>des</strong> Deutschen Reichstages tretenjährlich nur einmal auf, singen lediglich <strong>die</strong> doppelte Nationalhymneund bekommen dafür jeder 12.000 RM.“ 17Die ersten internationalen Reaktionen auf <strong>die</strong> drei Bataillone im Gebietwestlich <strong>des</strong> Rheins beruhigen <strong>die</strong> Nerven <strong>des</strong> Führers wieder, so dass eram Sonntag befindet, man könne jetzt Nägel mit Köpfen machen. Wennman am Montag <strong>die</strong> Zeitung aufschlägt, findet man dort den Sieg schonin seiner ganzen Schönheit: „Das Rheingebiet ist im Laufe <strong>des</strong> 7. und 8.März mit 19 Bataillonen und 13 Artillerieabteilungen aus dem inneren16 Tremonia, S. 217 Hirche, S. 10613


<strong>1936</strong>Deutschlands belegt worden. Die Mehrzahl der Truppen ist am Rheinund in der Rheinebene zwischen Schwarzwald und Rhein untergebracht.Aachen, Trier und Saarbrücken wurden schwach belegt. Zwei GruppenJagdflieger sind am 7. März in ihren neuen Friedensgarnisonen Köln,Düsseldorf, Frankfurt am Main und Mannheim eingetroffen. Zwei Flakabteilungenbezogen endgültig Standorte in Köln und Mannheim.“ 18„Wie jenen unvergesslichen 30. Januar 1933, so beschloss auch der Tag,da Adolf Hitler dem deutschen Volke <strong>die</strong> völlige Wiederherstellung seinerWehrhoheit gab, als Dank und Huldigung an den Führer ein Fackelzug.Die Leibstandarte marschierte an der Spitze durch das BrandenburgerTor. Ihr folgten in Zwölferreihen das NSKK, <strong>die</strong> SA und Marine-SA.Unbeschreiblich wurde der Jubel der auf dem Wilhelmplatz Kopf anKopf sich drängenden Menge, als der Führer kurz nach 22.15 Uhr mitseinen Mitarbeitern den Balkon betrat. Mit dem Führer erschienenStabschef Lutze, Reichsleiter Dr. Goebbels, Gauleiter StaatsministerWagner, Gauleiter Streicher u. a. m. Gegen Schluss <strong>des</strong> Fackelzuges kamauch Reichsminister General Göring zum Führer auf den Balkon. Das ander Spitze marschierende Musikkorps der Leibstandarte schwenkte demBalkon gegenüber ein und spielte den Badenweiler Marsch. Kolonne umKolonne zog am Führer vorbei, dann und wann zwischen den Abteilungenein Wald von Fahnen. Ein SS-Trupp bildete den Abschluss.Entblößten Hauptes sangen <strong>die</strong> Tausende nach den Klängen der Kapelledas Lied der Deutschen und das Horst-Wessel-Lied. Dann schoben sichwie eine nicht aufzuhaltende Woge <strong>die</strong> Menschen auf den angrenzendenStraßen nach dem Platz zu, um so nah als möglich an den Führer heranzukommen.Volle fünf Minuten nahm <strong>die</strong>ser, sichtlich bewegt, <strong>die</strong> Zeichender Liebe und Verehrung entgegen, nach allen Seiten hin im Lichteder Scheinwerfer grüßend und dankend. <strong>Der</strong> historische Tag hatte einenwürdigen Abschluss gefunden.“ 19Was wahr ist, muss auf jeden Fall auch wahr bleiben: Tausende singendas Lied der Deutschen und schieben sich wie eine nicht aufzuhaltendeWoge an ihren Führer heran. Sie alle finden sich am nächsten Tag in derdeutschen Presse wieder. Berlin ist jedoch eine Weltstadt mit weit übervier Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern. Hier tritt zum Beispiel18 Tremonia, S. 219 Ebd., S. 214


<strong>1936</strong>mit einer Ausnahmegenehmigung der Reichsregierung Herb Flemmingin der Sherbini-Bar auf. <strong>Der</strong> afroamerikanische Posaunist tischt heißereRhythmen auf als ge<strong>die</strong>gene deutsche Weisen oder Blechmusik und erhat ebenfalls viele Verehrerinnen und Verehrer. Sicher haben einige derBerliner gar nicht <strong>die</strong> Möglichkeit, so spät am Abend noch den Zauber<strong>des</strong> Führers live zu erleben, da sie in aller Herrgottsfrühe aufstehen undarbeiten müssen. Doch wie viele haben überhaupt kein Interesse daran,das zu erleben? Es bleibt im Moment ein Geheimnis, wie viele der übervier Millionen Berliner dankend auf das Event am Wilhelmplatz verzichten.Freie Meinungsäußerung ist heutzutage auf <strong>die</strong> Tausende auf demBerliner Wilhelmplatz beschränkt. Es ist vollkommen müßig, über <strong>die</strong>Popularitätswerte <strong>des</strong> Führers im Jahr <strong>1936</strong> zu streiten. Entscheidendist <strong>die</strong> Feststellung, dass <strong>1936</strong> im Reich Deutsche kritisch beobachten,was sich zwischen Hitlers Amtssitz in der Berliner Reichskanzlei undHitlers Bergresidenz in den Alpen auf dem Obersalzberg tut.Einer von Adolf Hitlers Kritikastern ist der Komiker Karl Valentin ausMünchen. Er geht eines Tages auf <strong>die</strong> Bühne und sagt: „Es ist ein wahresGlück, dass wir nicht im Schlaraffenland leben!“ Daraufhin fragt seinePartnerin Liesl Karlstadt: „Aber wieso denn?“ Da fragt er <strong>die</strong> Liesl: „Na,was hätten wir denn von den gebratenen Tauben, wenn wir das Maulnicht aufmachen dürfen?“ Liesl warnt ängstlich: „Pst! Sag nicht zu viel!“Und Karl entgegnet: „Ich sage gar nichts, aber das wird man wohl nochsagen dürfen!“ 20 Sehr beliebt macht sich auch Ferdinand Weisheitingerbei den Nazis. Unter dem Künstlernamen Weiß-Ferdl tritt er im Platzl inMünchen auf und auch er spricht nicht vor einem leeren Haus. Weil ergern auch mal mehr sagt, als einem Deutschen heutzutage zuträglich ist,wird das Platzl hin und wieder geschlossen. Und dann wird es eben auchwieder mal aufgemacht. Am ersten Abend einer Wiedereröffnung sagtWeiß-Ferdl zum Publikum: „Gestern war das Lokal noch geschlossen.Heute ist es wieder offen, aber wenn es hier noch offener zugeht, dannist es vielleicht schon morgen wieder zu.“ 21 Es gibt natürlich auch sonstgenug Staatsbürger, <strong>die</strong> über <strong>die</strong> Zustände in unserem Lande ablästern.In <strong>die</strong>sen Tagen macht im Reich zum Beispiel <strong>die</strong>ser Spruch <strong>die</strong> Runde:Göring besucht eine Irrenanstalt. Die Kranken sind tagelang darauf gedrilltworden, dass sie stramm stehen und mit „Heil Hitler“ grüßen. Es20 Hirche, S. 11521 Hirche, S. 16615


<strong>1936</strong>klappt prächtig, <strong>die</strong> Kranken rufen „Heil Hitler“ und stehen in strammerHaltung mit gerecktem Arm da. Nur ein einziger Mann sitzt in der Eckeund kümmert sich offensichtlich nicht um den ganzen Zauber. Göringgeht auf ihn zu und fragt: „Warum grüßen Sie nicht?“ Darauf meint derAngesprochene: „Ich bin der Wärter, ich bin doch nicht verrückt!“ 22Als Franz am Montag seine Tremonia, <strong>die</strong> Westdeutsche Volkszeitung,liest, findet sich auf der Titelseite ein Kommentar unter der ÜberschriftJubel in Deutschland – und Frankreich? Dort heißt es: „Jeder Deutscheempfindet es aufs Tiefste und Beglückendste, dass endlich <strong>die</strong> deutscheSouveränität wieder hergestellt ist, und der Jubel, mit dem überall imRheinland <strong>die</strong> Truppen beim Einmarsch begrüßt worden sind, ist derAusdruck der Freude und Begeisterung <strong>des</strong> ganzen deutschen Volkes. Inder Belegung der Rheinlandzone mit Wehrmachtteilen liegt selbstverständlichkeine militärische Bedrohung. Dieser Einmarsch ist ein Protestaktgegen <strong>die</strong> Verletzung <strong>des</strong> Locarnovertrages, <strong>die</strong> Frankreich durchden Abschluss <strong>des</strong> Paktes mit Sowjetrussland begangen hat. Es hat damiteine vollendete Tatsache geschaffen, der <strong>die</strong> Reichsregierung begegnenmusste, wenn sie nicht ins Hintertreffen geraten wollte. Im Übrigendarf nicht übersehen <strong>werden</strong>, dass sich seit dem Weltkriege in militärischerHinsicht erhebliche Veränderungen vollzogen haben. Was bedeuten<strong>die</strong> neuen Garnisonen mit ihren neunzehn Infanteriebataillonen unddreizehn Artillerieabteilungen gegenüber dem riesigen mit Truppendicht belegten Festungswall, der sich entlang der französischen Grenzehinzieht? Dazu kommt <strong>die</strong> Entwicklung der Luftwaffe und <strong>die</strong> Motorisierungder Truppen. Eine 50 km-Zone spielt da wahrhaftig keine Rollemehr. Das vom Führer angebotene Luftabkommen zwischen England,Frankreich und Deutschland würde vom militärischen Gesichtspunktaus den Nationen mehr Sicherheit bieten, als es <strong>die</strong> Aufrechterhaltung<strong>die</strong>ser Zone je getan hat.Nur <strong>die</strong>s sei heute mit Rücksicht auf <strong>die</strong> Fülle der vorliegenden Nachrichten,<strong>die</strong> ihren Platz beanspruchen, zu den Ereignissen <strong>des</strong> Samstagsgesagt. Eine eingehende Stellungnahme zur Regierungserklärung unddem Memorandum müssen wir uns für morgen vorbehalten. Wohl abersei noch kurz darauf eingegangen, dass <strong>die</strong> französische Regierung <strong>die</strong>deutschen Angebote als unannehmbar bezeichnet hat, also: <strong>die</strong> BereitschaftDeutschlands zum Wiedereintritt in den Völkerbund, <strong>die</strong> Bereit-22 Ebd., S. 8316


<strong>1936</strong>schaft zum Abschluss überaus wichtiger Nichtangriffspakte, <strong>die</strong> Bereitschaftzu einem Luftpakt, der überraschende Überfälle ausschließen soll,<strong>die</strong> Bereitschaft zur Förderung einer schrittweise steigenden Abrüstung,<strong>die</strong> eine Ergänzung <strong>des</strong> englisch-deutschen Luftabkommens einschließensoll. All das soll für Frankreich unannehmbar sein! Die RegierungSarraut will also hiernach wie ihre Vorgängerinnen dabei beharren, alles,was Deutschland zur Sicherung <strong>des</strong> Friedens vorschlägt, glatt abzulehnen.Und was haben <strong>die</strong> Franzosen nicht schon alles als unannehmbarbezeichnet! Zunächst war für sie jede Abrüstung überhaupt unannehmbar.Dann erklärte Deutschland, dass es sich mit einem Heere von200.000 Mann zufrieden geben wolle. Die Franzosen sagten wiederum:Unannehmbar. Die Entwicklung auf rüstungspolitischem Gebiete gingum Deutschland herum weiter. So kam <strong>die</strong> deutsche Forderung einesHeeres von 300.000 Mann. Auch dazu erklärte man in Paris: Unannehmbar.Und im gleichen Sinne wandte sich <strong>die</strong> französische Regierungschroff gegen das deutsch-englische Flottenabkommen, den einzigeneuropäischen Rüstungsbegrenzungspakt, den es gibt, gegen <strong>die</strong> früherendeutschen Vorschläge für einen Luftpakt, gegen eine Verhandlungmit Deutschland über das qualitative Flottenabkommen, das <strong>die</strong> LondonerFlottenkonferenz vorbereitet.Und im selben stets verneinenden Geiste nimmt <strong>die</strong> französische Regierunggegen <strong>die</strong> neuen weitgehenden deutschen Angebote Stellung.Chance auf Chance hat man in Paris verpasst. Will man wirklich auch<strong>die</strong>smal <strong>die</strong> Chance durch ein Unannehmbar verpassen? Im Gegensatzzu einem sehr breiten Teile der Weltmeinung, <strong>die</strong> durchaus den Wertder Angebote <strong>des</strong> Führers erkannt hat?“ 23Was denkt Franz? Im Leitartikel heißt es: „Die Ereignisse <strong>des</strong> 7. Märzhaben verständlicherweise in der französischen Presse einen gewaltigenWiderhall gefunden. Die Berliner Berichterstatter heben allgemein <strong>die</strong>in Deutschland herrschende Begeisterung hervor. Aber <strong>die</strong> französischeÖffentlichkeit fand es seit über 17 Jahren ganz in der Ordnung, dassFrankreich seine Wehrhoheit bis an seine Grenzen hin ausüben konnte,während Deutschland innerhalb seiner Hoheitsgrenze bis 50 Kilometerrechts <strong>des</strong> Rheins wehrpolitisch gebunden war. Demzufolge lautet <strong>die</strong>Losung der französischen Presse: Durch den Völkerbund zu erreichenversuchen, dass Deutschland seine eigenen Truppen aus seinem eigenen23 Tremonia – Westdeutsche Volkszeitung, S. 117


<strong>1936</strong>Gebiet wieder herausnehmen muss (!). In politischen Pariser Kreisen erklärtman, dass <strong>die</strong> ehemals entmilitarisierte Zone ein wesentlicher Bestandteilder französischen Sicherheit sei, über deren Aufrechterhaltung<strong>die</strong> französische Regierung nicht mit sich handeln lassen könne. Seidoch <strong>die</strong> entmilitarisierte Zone Frankreich als Ausgleich dafür zugestandenworden, dass es nicht das geforderte linke Rheinufer erhielt (!).Durch <strong>die</strong> Beseitigung der Zone sei nicht nur <strong>die</strong> Sicherheit Frankreichssondern der Friede Europas bedroht. <strong>Der</strong> Matin schreibt u. a.: <strong>Der</strong>Grundsatz der kollektiven Sicherheit stehe vielmehr auf dem Spiel als<strong>die</strong> Einzelsicherheit Frankreichs, das sich hinter seinem Befestigungsgürtelals vor einem bewaffneten Angriff geschützt ansehen könne. –<strong>Der</strong> Petit Parisien bezeichnet <strong>die</strong> Anregung einer beiderseitigen gleichenEntmilitarisierung als einen »Witz«. - Das Oeuvre erklärt, noch nie habesich <strong>die</strong> deutsche Diplomatie so geschickt gezeigt, wie <strong>die</strong>smal. Die laueHaltung, <strong>die</strong> <strong>die</strong> britische Regierung am Sonnabend hinsichtlich der AnstrengungenFrankreichs unternommen habe, sei offenkundig. –Le Jour bedauert, dass Frankreich und England angesichts Deutschlands,das das Spiel wage, mittelmäßige Mitspieler seien. Die jetzigefranzösische Regierung lebe unter dem Schutz der russischen Revolutionäreund <strong>die</strong>se träumten von einem Krieg gegen Deutschland, <strong>des</strong>senKosten <strong>die</strong> Franzosen tragen sollen. - Im Populaire schreibt der Generalsekretärder sozialistischen Partei, Paul Faure, es sei sinnlos gewesen,anzunehmen, dass Deutschland sich lange damit abfinden würde, abgerüstetzu sein, während im Gegensatz zum Wortlaut <strong>des</strong> Versailler Vertrages<strong>die</strong> Abrüstung der anderen nicht gefolgt sei. Statt den Frieden zuwollen und den Standpunkt der anderen zu verstehen zu suchen, habeman sich, ebenso stolz wie dumm, auf <strong>die</strong> engen Buchstaben der Verträgeversteift. - Die kommunistische Humanité erklärt großsprecherisch:»Wir Kommunisten wissen, dass <strong>die</strong> Arbeiter- und Bauernregierungmorgen <strong>die</strong> Größe und <strong>die</strong> Macht unseres Lan<strong>des</strong> sichern wird.«“ 24Informiert wird <strong>die</strong> jubelnde deutsche Bevölkerung an <strong>die</strong>sem Tag ebenfallsüber sie nicht direkt tangierende Entscheidungen. Juden dürfen anden Wahlen zum neuen Reichstag nicht mehr teilnehmen. In dem dazugehörigenGesetz steht: „Wer, ohne wahlberechtigt zu sein, eine Stimmeabgibt, wird mit Gefängnis und Geldstrafe oder mit einer <strong>die</strong>ser Strafen24 Tremonia – Westdeutsche Volkszeitung, S. 118


<strong>1936</strong>bestraft.“ 25 Und Eugen Winzen aus Gelsenkirchen sei „wegen Betrugesin einer großen Zahl von Fällen, ferner wegen Erpressung und Nötigungzu vier Jahren Zuchthaus und fünf Jahren Ehrverlust“ 26 verurteilt worden.„Die geschiedene Ehefrau <strong>des</strong> Angeklagten, <strong>die</strong> ihn bei seinem üblenTreiben unterstützt hatte, erhielt wegen Betruges und Nötigung siebenMonate Gefängnis. <strong>Der</strong> Angeklagte hat in den letzten drei Jahren inverschiedenen Orten <strong>des</strong> westfälischen Industriegebietes <strong>die</strong> übelstenHeiratsschwindeleien verübt. Unter falschen Angaben näherte er sichals Musikpädagoge, Akademiker oder auch als Novellendichter Frauenund Mädchen, <strong>die</strong> in festem Gehalt standen und verstand es aufgrundseiner fesselnden Unterhaltungsgabe und seiner Beteuerungen, mit ihnenbald <strong>die</strong> Ehe einzugehen, sich in das Vertrauen der Mädchen zu setzen.Dabei kam es ihm aber nur darauf an, wirtschaftliche Vorteile ausden Frauen und Mädchen zu ziehen und sich auf ihre Kosten gute Tagezu verschaffen.“ Es lohnt sich auch heute noch, und wir sind bekanntlichim Jahr <strong>1936</strong>, auf <strong>die</strong> Zusammenstellung verschiedener Nachrichten zuachten. Dieser Beitrag endet mit <strong>die</strong>sem Hinweis: „Die Strafkammer bezeichneteden üblen Heiratsschwindler als Volksschädling schlimmsterSorte.“ 27Wer wollte da zweifeln, dass der deutsche Staat mit voller Berechtigung<strong>die</strong> Schurken überall im Lande ihrer gerechten Strafe zuführt? So wirdauch darüber informiert, dass der Landrat <strong>des</strong> Kreises Adenau (Eifel),Dr. Creutz, „auf Grund richterlichen Haftbefehls wegen dringenden Verdachtsfortgesetzter erschwerter Untreue und Amtsverbrechen in zweiFällen, Straftaten, <strong>die</strong> er in seinem früheren Amt begangen haben soll,in Untersuchungshaft genommen worden“ ist. Wenn so viele Schurkenunterwegs sind, muss sich niemand wundern, wenn <strong>die</strong> Zuchtanstaltengefüllt sind. „Das Reichsgericht in Leipzig verwarf <strong>die</strong> von dem 26 Jahrealten Angeklagten Arthur Seibert aus Bad Kreuznach gegen das Urteil<strong>des</strong> Schwurgerichts Koblenz vom 19. Dezember 1935 eingelegte Revisionals unbegründet. Damit ist der Angeklagte wegen Mor<strong>des</strong> in Tateinheitmit Raub zum Tode und dauerndem Ehrenverlust und wegen Notzuchtzu fünf Jahren Zuchthaus rechtskräftig verurteilt.“ 28 Andere sehen das25 Ebd., S. 126 Ebd., S. 427 Ebd., S. 428 Tremonia, S. 419


<strong>1936</strong>mit den Juden anders und bringen es klar auf den Punkt: <strong>Der</strong> Lehrerfragt in der Schule: „Wie hieß der erste Mensch?“ Manfred antwortetihm: „Hermann, der Cherusker.“ Daraufhin erklärt ihm sein Lehrer:„Aber Manfred, der erste Mensch war doch Adam!“ Woraufhin Manfredmeint: „Ach, Herr Lehrer, ich habe geglaubt, Nichtarier zählen nicht zuden Menschen!“ 29Einer, der <strong>die</strong> Zeitungen bei uns geradezu stu<strong>die</strong>rt, ist Victor Klemperer,Professor für Romanistik in Dresden. Blatt für Blatt füllt er mit seinenBeobachtungen zur Sprache <strong>des</strong> Dritten Reiches, um daraus später malein Buch zu machen. Es soll dann, wenn er nicht inzwischen verhungert,Lingua Tertii Imperii heißen. Angefangen bei den vielen hier benutztenKürzeln wie BDM, HJ oder KdF bis hin zum Missbrauch <strong>des</strong> Sports für<strong>die</strong> Zwecke der nationalen Propaganda analysiert er mit den Mitteln <strong>des</strong>Linguisten <strong>die</strong> neumodische Sprache der Nazis. Seit den Rassegesetzenvom vergangenen Jahr hat er dafür als Jude noch viel mehr Zeit. Er weißheute nicht mehr, warum er im Weltkrieg seinen Job als Lektor an derUniversität in Neapel aufgegeben hat und sich als deutscher Freiwilligeran <strong>die</strong> Westfront schicken ließ.Paris ist also erwartungsgemäß schockiert und fordert nun Sanktionengegen das Reich. Dr. Gisevius sieht jetzt nur, dass sich Frankreich gegendas Näherrücken von deutschen Soldaten an <strong>die</strong> Ostgrenze schließlichdoch nicht wehrt; aber er kennt nicht <strong>die</strong> Hintergründe. Paris ist ganzeinfach allein nicht in der Lage, etwas Wirksames zu unternehmen. AberLondon, also das offizielle London, will jetzt Ernst machen. Im Prinzip.Das hätte und könnte vielleicht und sollte auf jeden Fall; macht es abernicht. Sicher wollen Regierung und Parlament in London jetzt Soldatenin den Krieg schicken gegen das braune Reich, aber unter der Wirkungder mäßigenden Haltung der einzelnen Wahlkreise müssen sie sich fürZurückhaltung gegenüber Deutschland aussprechen 30 , wie Herbert vonDirksen, der deutsche Botschafter in London, meldet. Noch nicht einmalAußenminister Anthony Eden, der das vielleicht noch am ehesten will,protestiert offiziell gegen <strong>die</strong> Wiederbesetzung <strong>des</strong> Rheinlan<strong>des</strong>. 31 <strong>Der</strong>Premierminister Stanley Baldwin räumt unumwunden ein, im Fall eines29 Hirche, S. 13430 Dokumente und Materialien aus der Vorgeschichte <strong>des</strong> Zweiten Weltkrieges II, S. 17631 Internetquelle 1420


<strong>1936</strong>bewaffneten Konfliktes könnte Großbritannien „Deutschland mit RusslandsHilfe schlagen, das aber wird offenbar nur zu BolschewisierungDeutschlands führen.“ 32 Und das wollte er selbstverständlich auch nichthaben. Damit steht Paris, das jedoch mit der Besetzung <strong>des</strong> Rheinlan<strong>des</strong>schon gerechnet hatte, allein auf weiter Flur und hält seine Füße still.Außerdem hat man in London noch nicht vergessen, dass Paris Ende <strong>des</strong>letzten <strong>Jahres</strong> ein Embargo gegen Italien verhindert hatte, das gerade inÄthiopien einmarschiert war. Jetzt überschneiden und blockieren sich<strong>die</strong> einen und <strong>die</strong> anderen Embargoforderungen gegenseitig. 33 Rom istjetzt schon ein halbes Jahr auf <strong>die</strong> deutsche Steinkohle angewiesen undist <strong>des</strong>halb jetzt auch zu Konzessionen bereit. Schon Anfang Januar hatder Duce den Berliner Botschafter wissen lassen, dass er eigentlich überhauptnichts dagegen hat, wenn Österreich ein Satellitenstaat <strong>des</strong> Reichswird, wenn es wenigstens formal unabhängig bleibe. 34 So schnell ändernsich <strong>die</strong> Anschauungen unter gewissen Zwängen. Gewiss braucht Parisunter <strong>die</strong>sen Umständen mit der Forderung nach einem Embargo gegenDeutschland auch in Rom nicht anzuklopfen.Unter der Überschrift „Besonnene Haltung der Londoner Presse“ liestKarl in der Tremonia: „<strong>Der</strong> diplomatische Berichterstatter <strong>des</strong> Observerschreibt, <strong>die</strong> wichtigste unmittelbare Folge der deutschen Vorschläge,<strong>die</strong> zweifellos in vieler Beziehung interessant und wertvoll seien, wer<strong>des</strong>ein, dass sie den Sanktionsmaßnahmen gegen Italien Einhalt geböte. -In einem Leitartikel schreibt dasselbe Blatt u. a.: Lasst uns kühle Köpfeund gerechte Herzen bewahren. Es kann keinen Frieden ohne Gerechtigkeitund gesunden Menschenverstand geben. Es gibt keinen Grundmehr, warum deutsches Gebiet entmilitarisiert sein sollte, ebenso wenigwie es einen dafür gibt, dass französisches, belgisches oder britischesGebiet es sein sollte.<strong>Der</strong> Sunday Dispatch schreibt u. a.: Hitler hat durch seine Handlungenund Worte das gesamte Gesicht Europas geändert. <strong>Der</strong> Locarnopakt isttot und sinkt ohne Ehre und Musik in das Grab der Irrtümer der Vergangenheit.- In einem Sonderartikel im gleichen Blatt schreibt WardPrice: Jetzt müssen wir den Tatsachen ins Gesicht sehen, wenn wir siemeistern, kann der Friede sichergestellt <strong>werden</strong>. Vor allem lasst uns,32 Falin, S. 4633 Rhonhof, S. 13834 Rhonhof, S. 13821


<strong>1936</strong>wenn wir den Ereignissen gegenübertreten, freimachen von jedem Vorurteilgegenüber dem Nationalsozialismus. Was uns allein angeht, ist <strong>die</strong>auswärtige Politik Deutschlands. <strong>Der</strong> parlamentarische Berichterstatter<strong>des</strong> Sunday Dispatch meldet, dass <strong>die</strong> britische Regierung bereit sei, mitDeutschland und den anderen Mächten in eine Aussprache über <strong>die</strong> Ersetzung<strong>des</strong> Locarno-Vertrages durch einen neuen Vertrag einzutreten.Im Sunday Express heißt es zum Einzug der deutsche Truppen insRheinland u. a.: Nach der schriftlich niedergelegten Politik der Regierungist Großbritannien verpflichtet, zu handeln, falls der Völkerbund esbefiehlt. Wenn der Völkerbund es befiehlt, wird <strong>die</strong> britische Öffentlichkeitdann gehorchen? Die britische Öffentlichkeit mag für den Völkerbundsein, aber sie wird auf keinen Fall wegen eines solchen unbedeutendenVorwan<strong>des</strong> in einem Krieg hinein marschieren . . .<strong>Der</strong> arbeiterparteiliche People schreibt: Die große Nachricht <strong>des</strong> gestrigenTages aus Deutschland ist keine schlechte Nachricht. Sie magFrankreich erschreckt haben, aber sie braucht uns nicht zu erschrecken.George Lansbury, der greise ehemalige arbeiterparteiliche Führer [alsovon der Labour Party] schreibt in einem Brief an den Bürgermeister vonPoplar [einem Stadtteil von London], in dem er sich mit der Erklärung<strong>des</strong> Führers beschäftigt: »Ich sehe nicht, was Europa denn anders hätteerwarten können. Weder bei uns noch in Frankreich ist eine Mobilisierungerforderlich, es sei denn, dass man den gesunden Menschenverstandmobilisiert.Diejenigen, <strong>die</strong> den Frieden wünschen, müssen sich zusammentun, umunsere Regierung entschieden aufzufordern, dass sie <strong>die</strong> Forderungnach einer neuen Friedenskonferenz, und <strong>die</strong>smal nach einer wirklichenFriedenskonferenz, unterstützt. <strong>Der</strong> neue Friedensvertrag muss derartsein, dass er Deutschland, Italien und Frankreich wie auch der übrigenWelt Gleichberechtigung gibt, und zwar sowohl im Hinblick auf <strong>die</strong> Rüstungenals auch <strong>die</strong> wirtschaftliche Entwicklung.«“ 35Die New York Harold Tribune wird mit der These wiedergegeben, dass„das Vorgehen Deutschlands auf jeden Fall eine gefährliche Atmosphärekläre. Falls <strong>die</strong> Krise überwunden werde, werde es fast zwangsläufig zueinem System kommen, das zum Min<strong>des</strong>ten irgendwie sicherer seinwerde als das gegenwärtige.“ Die katholische spanische El Debate ist derMeinung, dass <strong>die</strong>se Art der Aufkündigung <strong>des</strong> Locarno-Pakts nicht35 Tremonia – Westdeutsche Volkszeitung, S. 222


<strong>1936</strong>„vorschriftsmäßig“ sei, räumt allerdings ein, „dass <strong>die</strong> Völker im Grundeihres Herzens dem deutschen Kanzler Recht geben.“ Mit <strong>die</strong>sen Wortengleicht Karl seine eigene Meinung zu den aktuellen Ereignissen ab. DieKopenhagener Berlingske Tidende erklärt, dass den Deutschen nach Abschluss<strong>des</strong> Weltkrieges „ein Weltbürgerrecht aberkannt worden sei, dasein europäisches Volk nicht entbehren könne. Dies sei ein unmöglichesUrteil gewesen. Erkundigungen im Bun<strong>des</strong>haus zu Bern über den Eindruckder Führerrede besagen, dass man es dort sehr begrüßen würde,wenn <strong>die</strong> jahrelange Fehde zwischen Deutschland und Frankreich endlichbegraben würde. Es scheine schon aus den bekannt gewordenenAuszügen der Führerrede hervorzugehen, dass <strong>die</strong> Erklärungen <strong>des</strong>Kanzlers günstige Aussichten für <strong>die</strong> Zukunft eröffnen würden.“ 36 Karlist enttäuscht, dass der Rat <strong>des</strong> Völkerbun<strong>des</strong> trotzdem am 19. März <strong>die</strong>Besetzung <strong>des</strong> Rheinlan<strong>des</strong> auf Wunsch der Franzosen verurteilt. Mehrkann <strong>die</strong> Großmacht Frankreich aber unter <strong>die</strong>sen Umständen ihrerseitsnicht erreichen, was am anderen Ende dem Hans-Bernd wiederum nichtso recht gefallen will.Ausgesprochen klug geht Warschau mit der Sache um. Die Führung <strong>des</strong>Lan<strong>des</strong> zwischen den Reichen im Westen und im Osten will <strong>die</strong> Gelegenheitbeim Schopfe packen und zugleich <strong>die</strong> Beziehungen mit Berlin undjene mit Paris verbessern. Außenminister Beck weiß, dass Paris mit derBesetzung <strong>des</strong> Rheinlands längst gerechnet hatte und darauf verzichtenwill, wegen <strong>des</strong> Vertragsbruches militärische Maßnahmen zu ergreifen.Mit <strong>die</strong>sem Wissen ausgestattet, lässt Jozéf Beck am 8. März Frankreichwissen, dass Polen zu seinen Bündnisverpflichtungen steht, <strong>die</strong> ja jetztniemand einfordern wird. Zugleich unterstützt er den deutschen Schrittunter der Losung, dass der Pakt von Locarno in Polen keinen guten Rufhabe, denn er garantiere nicht <strong>die</strong> polnisch-deutsche, sondern nur <strong>die</strong>deutsch-französische Grenze. Dieses Doppelspiel wird offenbar. Daraufhinverschlechtern sich <strong>die</strong> Beziehungen zwischen Paris und Warschausowie zwischen Berlin und Warschau. 37 Auch Pokern will gelernt sein.Im Auswärtigen Amt wird Hitlers friedliche Militäraktion jenseits <strong>des</strong>Rheins unterschiedlich beurteilt. Wer dem braunen Regime nicht schonaus prinzipiellen Gründen kritisch gegenübersteht, muss dem Kanzler36 Tremonia – Westdeutsche Volkszeitung, S. 237 Wojciechowski, S. 26923


<strong>1936</strong>Respekt zollen. Ihm gelingt auf friedlichem Weg mit einem verwegenenHandstreich, was <strong>die</strong> Kanzler seit dem Krieg vergeblich anstrebten; ihmgelingt es, den militärischen Schutz <strong>des</strong> Deutschen Reiches über sein gesamtesHohheitsgebiet wieder herzustellen. Gewiss waren französischeTruppen schon vor ein paar Jahren abgezogen, aber <strong>die</strong> Leute erinnernsich natürlich daran, wie es unter französischem Regiment zugegangenwar. <strong>Der</strong> Außenminister Konstantin von Neurath möchte „den Kreis derdurch unsere Rheinlandaktion aufgeworfenen Probleme“ 38 nicht unnötigerweitern. Deshalb wird mit einer Verbalnote am 31. März <strong>1936</strong> einemWunsch <strong>des</strong> Prager Gesandten in Berlin stattgegeben, das Mandatder neutralen Mitglieder der im deutsch-tschechoslowakischen Schiedsvertrageingesetzten Vergleichskommission um drei Jahre zu verlängern.In <strong>die</strong>sem Sinne äußert sich auch der Kanzler bei der Festrede zum1. Mai über seine friedlichen Absichten. Bei <strong>die</strong>ser Gelegenheit erwähntHitler sowohl <strong>die</strong> Tschechoslowakei als auch Österreich namentlich. 39Unter<strong>des</strong>sen ist Hitler im Reich auf Wahlkampftour unterwegs. Er trittin elf Großstädten auf. Im bayerischen München sagt der Kanzler, dergerade für seinen Friedensplan wirbt: „Mein Ziel ist der Friede, der aufder Gleichberechtigung der Völker begründet ist. Wir sind eine GroßmachtEuropas und wollen als Großmacht gewürdigt <strong>werden</strong>.“ In Essenhört man unter anderem <strong>die</strong> folgenden Worte von ihm: „Sprecht nichtvon Gesten und symbolischen Handlungen, sondern schließt Frieden.Das ist der Wunsch der Völker.“ In Berlin erläutert der Reichskanzler:„Die Völker sehnen sich nach Frieden, jawohl, aber nach einem Frieden,der sie gleichberechtigt nebeneinander leben lässt.“ 40Er spricht von Sport und Urlaub, von Löhnen und Preisen, von Bildungund Kultur, vom Straßenbau und von bezahlbaren Autos für jedermann,also über <strong>die</strong> sozialpolitischen Anliegen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Menschen bewegen. Alser in Karlsruhe ist, ruft er in <strong>die</strong> Menge: „Ich habe den Ehrgeiz, mir einmalim deutschen Volk ein Denkmal zu setzen. Aber ich weiß auch, dass<strong>die</strong>ses Denkmal besser im Frieden aufzustellen ist, als in einem Krieg.Mein Ehrgeiz geht dahin, dass wir in Deutschland <strong>die</strong> besten Anstaltenfür <strong>die</strong> Erziehung unseres Volkes schaffen. Ich will, dass wir in Deutsch-38 Dokumente I, S. 4839 <strong>Der</strong> Nürnberger Prozess II, S. 49140 Rhonhof, S. 31824


<strong>1936</strong>land <strong>die</strong> schönsten Sta<strong>die</strong>n erhalten und dass unsere Straßen ausgebaut<strong>werden</strong>, dass unsere Kultur sich hebt und veredelt; ich will, dass unsereStädte verschönert <strong>werden</strong>.“ 41Nun gibt es nominell etwa sechzig Millionen interessierte Deutsche, <strong>die</strong>Hitlers Reden hören, lesen oder von anderen davon erzählt bekommen.Abzuziehen sind davon jedoch politisch Uninteressierte, Kinder bis zueinem gewissen Alter, Alte ab einem gewissen Alter, der inzwischen ausgewanderteund der inzwischen in <strong>die</strong> Konzentrationslager eingefahreneTeil der Bevölkerung, so dass etwa vierzig Millionen Leute an der WahlAnteil nehmen können. Ein Teil von ihnen ist wohl heilfroh, dass Hitlerso inbrünstig vom Frieden spricht, einem Teil ist es völlig gleichgültig,wovon er überhaupt spricht, und ein Teil macht sich über ihn lustig. Sogeht jetzt der Witz um: Adolf fällt ins Wasser. Ein junger Bursche rettetihn. „Ich bin Hitler“, sagt Adolf zu dem Burschen, „du kannst dir vonmir wünschen, was du willst!“ Da fängt der Bursche an, laut zu weinenund sagt: „Ich wünsche mir nur, dass Sie meinem Vater nichts sagen.Wenn mein Vater erfährt, dass ich Sie aus dem Wasser gezogen habe,schlägt er mich tot.“ 42<strong>Der</strong> Wahlkampf ist auf vollen Touren und an vielen Baustellen hängenSchilder, <strong>die</strong> der Welt sagen: „Dass wir hier bauen, verdanken wir demFührer.“ Ein Berliner Scherzkeks nimmt so ein Schild ab und bringt esan der ausgebrannten Ruine <strong>des</strong> Reichstages an. Wie viele Leute sehendas Schild, bevor es abgenommen wird? Mit <strong>die</strong>sem lebensgefährlichenAkt macht <strong>die</strong>ser Scherzkeks auch im Nachhinein noch einmal deutlich,dass er einen feinen Tipp hat, wer den Reichstag wirklich angesteckt hat.Schön ist ja auch <strong>die</strong>ser Witz, der das zu erwartenden Wahlergebnis auf<strong>die</strong> Schippe nimmt: Die Wahl <strong>1936</strong> kann nicht stattfinden. – Warumnicht? – Bei Goebbels wurde 1935 eingebrochen und das Wahlergebnisvon <strong>1936</strong> gestohlen. In der Preislage bewegt sich auch <strong>die</strong>ser Witz: Vorder Wahl am 29. März hat Goebbels nächtelang Alpdrücken. – Warum?– Er hat Angst, dass 110 Prozent herauskommen. 4341 Rhonhof, S. 318f.42 Hirche, S. mmm43 Hirche, S. 100f.25


<strong>1936</strong>Am Montag, dem 16. März, wird im Radio verkündet, dass im Land <strong>die</strong>zweijährige Wehrpflicht eingeführt wurde. Dazu wird eine Proklamationder Reichsregierung an das deutsche Volk verlesen, in der darauf hingewiesenwird, dass sich andere Staaten im Unterschied zu Deutschlandnicht an <strong>die</strong> wehrtechnischen Bestimmungen <strong>des</strong> Versailler Vertrags gehaltenhaben. So müsse man heute feststellen, „dass durch <strong>die</strong> nunmehrbeschlossene Einführung der zweijährigen Dienstzeit in Frankreich <strong>die</strong>gedanklichen Grundlagen der Schaffung kurz<strong>die</strong>nender Verteidigungsarmeenzugunsten einer lang<strong>die</strong>nenden Organisation aufgegeben worden“waren. In einer eindrucksvollen Proklamation der Reichsregierungan das deutsche Volk heißt es unter anderem: „Die deutsche Regierungempfindet es unter <strong>die</strong>sen Umständen als eine Unmöglichkeit, <strong>die</strong> für<strong>die</strong> Sicherheit <strong>des</strong> Reiches notwendigen Maßnahmen noch länger auszusetzenoder gar vor der Kenntnis der Mitwelt zu verbergen.“ 44Hitlers Friedensplan vom 7. März wird von seinem Berater Joachim vonRibbentrop am 1. April in London übergeben. Dort schaut man sich denPlan an und entwickelt daraus Vorstellungen über einen Westpakt. <strong>Der</strong>soll, ausgehend vom Viererpakt <strong>des</strong> <strong>Jahres</strong> 1933, gegenseitige Garantienzwischen England, Deutschland, Frankreich und Italien enthalten. InRichtung Sowjetunion und Südosteuropa <strong>werden</strong> Nichtangriffsverträgenach dem Muster der deutsch-polnischen Erklärung vom Januar 1934angeregt. Letztere kreative Ausweitungen <strong>werden</strong> von Berlin abgelehnt,aber über den Westpakt wird verhandelt. London geht es um den Erhalt<strong>des</strong> territorialen Status quo in Europa. Changes sollen auf jeden Fall nurdurch Talks auf Regierungsebene herbeigeführt <strong>werden</strong>. 45Ende April ernennt der Führer seinen Gefolgsmann Heinrich Himmlerzum obersten Polizeichef <strong>des</strong> Reiches. Das bleibt nicht ohne Folgen fürDr. Hans-Bernd Gisevius, der im Innenministerium arbeitet. An <strong>die</strong> Zeitdanach erinnert er sich so: „Aus dem Staats<strong>die</strong>nst auszuscheiden, woranich einen Augenblick dachte, wäre höchst unratsam gewesen. Im Gegenteil,Beamter musste ich unbedingt bleiben, wollte ich meine Bemühungenfortsetzen. Damals hoffte ich immer noch, eines Tages würden <strong>die</strong>Generäle zum entscheidenden Schlage gegen <strong>die</strong> Gestapo ausholen. Bisdahin bot <strong>die</strong> Beamteneigenschaft wenigstens eine gewisse Rückversi-44 Internetquelle 1545 Wojciechowski, S. 26226


<strong>1936</strong>cherung gegen eine allzu geräuschlose Liqui<strong>die</strong>rung. Pflichttreu, wieVorgesetzte sind, machen sie nämlich einen Aktenvermerk, wenn manmorgens nicht zum Dienst erscheint. Bleibt man volle zwei Tage unentschuldigtweg, so erkundigen sie sich nach dem Befinden. Meine Verhaftunghätte sich also herumgesprochen. Sie wäre an das Ministeriumweiter gemeldet worden und <strong>die</strong>ses hätte sich unter Umständen in derPrinz-Albrecht-Straße nach mir erkundigt. So, wie ich aber Heydricheinschätzte, war <strong>die</strong>ser weiterhin bestrebt, Aufsehen tunlichst zu vermeiden.Wohl oder übel wagte ich <strong>die</strong> Verbannung in <strong>die</strong> Provinz. Nachlängerem Hin und Her schickte man mich an <strong>die</strong> Regierung in Münsterin Westfalen. Das war eine erträgliche Lösung, weil ich dort eine verständnisvolleSeele vorfand, den Oberpräsidenten Ferdinand Freiherrvon Lüninck, mit dem mich schon so manches ketzerische Gespräch verband.Ich kannte <strong>die</strong>sen klugen und vornehmen Mann seit Jahren. Erwürde, darauf durfte ich mich verlassen, mir nach Kräften helfen. FrommerKatholik, war Lüninck durch und durch »Anti«. In<strong>des</strong>sen rechneteer mit einem langen Zeitablauf, weil er <strong>die</strong> Passivität der Westmächtevon Anfang an richtig einschätzte. Deshalb glaubte er, es seinen westfälischenBauern als früherer Präsident ihrer Landwirtschaftskammerschuldig zu sein, so lange wie möglich auf seinem Posten auszuharren.Gerade in kleinen Alltagssorgen konnte ein guter Verwaltungsbeamterseiner Bevölkerung mancherlei Hilfe leisten, vor allem konnte er sie anden mehr unsichtbaren Nahtstellen <strong>des</strong> öffentlichen und <strong>des</strong> zivilen Lebensvor allerhand Schikanen bewahren: ich kenne viele Fälle, wo solcheLandräte und Bürgermeister direkt angefleht wurden, um <strong>die</strong>ser – wirklichguten – Sache willen das Opfer der Parteimitgliedschaft zu bringen.Es wäre bitteres Unrecht, wenn man <strong>die</strong>se Menschen, <strong>die</strong> vielleicht nachein oder zwei Jahren trotzdem als unzuverlässig wegversetzt wurden,nachträglich dafür büßen ließe.“ 46Im Mai ersucht <strong>die</strong> Französische Botschaft in Berlin trotz der Besetzung<strong>des</strong> Rheinlan<strong>des</strong> um eine Erneuerung der Mandate der Mitglieder derdeutsch-französischen Vergleichskommission. Den Diplomaten wird erklärt,dass nach Berliner Auffassung der deutsch-französische und derdeutsch-belgische Schiedsvertrag durch <strong>die</strong> Aufkündigung <strong>des</strong> Rheinpakts„in Mitleidenschaft gezogen seien, und dass wir daher bis auf Weiteresder vorgeschlagenen Erneuerung der Mandate nicht zustimmen46 Gisevius I, S. 30727


<strong>1936</strong>könnten“ 47 . Dagegen protestiert <strong>die</strong> Französische Botschaft förmlich ineiner schriftlichen Note. „Im Verhältnis zu Belgien ist <strong>die</strong> Frage bishernicht ausdrücklich zur Erörterung gekommen.“ 48Seit Jahren wenn nicht seit Jahrzehnten bemüht sich Italien nun schonum <strong>die</strong> Erweiterung seiner Besitzungen im Nordosten Afrikas. Im Mai<strong>1936</strong> gelingt ihm schließlich <strong>die</strong> Einnahme der äthiopischen HauptstadtAddis Abeba. Am 9. Mai kapitulieren <strong>die</strong> letzten äthiopischen Truppenund Benito Mussolini ruft in Rom das „Imperium Romanum“ aus. „<strong>Der</strong>König von Italien Viktor Emanuel III. nimmt den Titel <strong>des</strong> Kaisers vonAbessinien an. Mussolini glaubt jetzt, der deutschen Hilfe nicht mehr zubedürfen. Er versucht nun, wieder Abstand zu gewinnen und sich statt<strong>des</strong>sen Frankreich anzunähern. Unmittelbar nach seinem Eroberungskriegin Abessinien fühlt er sich berufen, <strong>die</strong> Tschechoslowakei und Österreichgegen Deutschland zu verteidigen. Mussolini entdeckt sein altesInteresse wieder, <strong>die</strong> Deutschen vom Brenner fernzuhalten, und er lässtder französischen Regierung den Vorschlag übermitteln, einen Militärpaktgegen Deutschland abzuschließen. Er offeriert Frankreich Durchmarschrechtedurch Italien, wenn es Truppen gegen Deutschland in <strong>die</strong>Tschechoslowakei entsenden möchte.“ 49Da sitzt ein Stratege und brütet. Im Gegenzug für <strong>die</strong> Annäherung an <strong>die</strong>Franzosen möchte der Duce <strong>die</strong> Anerkennung seiner Herrschaft in demältesten Staat der Welt von ihnen ergaunern. Doch schon sein nächsterZungenschlag klärt, dass Italien nicht für einen Krieg gerüstet ist. <strong>Der</strong>römische Herrscher benötigt französische Waffenhilfe, um etwas gegenDeutschland ausrichten zu können – zu einer Zeit, in der das Reich imNorden sich selbst nicht effektiv gegen Frankreich verteidigen kann, wastief blicken lässt. Aber <strong>die</strong> raffinierte Planung für seinen groß angelegtenKurswechsel wird durch einen Kurswechsel in Frankreich zu Makulatur.Am 4. Juni <strong>1936</strong> bilden dort <strong>die</strong> Linksparteien eine Volksfrontregierung,<strong>die</strong> sich den Kampf gegen den Faschismus auf <strong>die</strong> Fahnen schreibt. <strong>Der</strong>Duce findet sich plötzlich selbst auf der Abschlussliste wieder. „Auch <strong>die</strong>USA und England weigern sich, <strong>die</strong> Eroberung Abessiniens durch Italienvölkerrechtlich anzuerkennen. So bleibt <strong>die</strong>se Anerkennung das erste47 Dokumente und Materialien I, S. 4948 Ebd., S.4949 Schultze-Rhonhof, S. 13828


<strong>1936</strong>Ziel der römischen Außenpolitik in den nächsten Jahren. Und Mussoliniist nun isoliert. Er muss sich neue Freunde suchen. Österreich ist Italiennach wie vor verbunden, doch das Verhältnis Österreichs zu Deutschlandist seit dem Tod <strong>des</strong> Kanzlers Dollfuß ruiniert. Eine Entspannungzwischen Rom und Berlin würde durch <strong>die</strong> deutsch-österreichische Verstimmungsicherlich belastet. So drängt Mussolini den österreichischenBun<strong>des</strong>kanzler Schuschnigg, sich mit den Deutschen auszusöhnen.“ 50Über <strong>die</strong> Unterlegenheit der deutschen Streitkräfte weiß natürlich zuerstund am besten Adolf Hitler Bescheid und er lässt auch in <strong>die</strong>ser Hinsichtnichts anbrennen. Schon im April hatte er Hermann Göring beauftragt,den Bedarf an Rohstoffen und Devisen in Einklang zu bringen und ihnermächtigt, jede Betätigung von Staat und Partei auf <strong>die</strong>sen Gebieten zuüberwachen. Er führt seinen Kriegsminister, den Wirtschaftsminister,den Reichsfinanzminister, den Präsidenten der Reichsbank sowie denpreußischen Finanzminister an einen Tisch zur Erörterung der Fragen,<strong>die</strong> mit der Mobilisierung im Zusammenhang stehen. Am 27. Mai <strong>1936</strong>widersetzt sich Hermann Göring in einer Rede vor <strong>die</strong>sen Männern allenfinanziellen Beschränkungen für <strong>die</strong> Rüstung und fügt hinzu, dass alleMaßnahmen vom Standpunkt einer gesicherten Kriegführung aus betrachtet<strong>werden</strong> müssen. 51 Zielscheibe <strong>des</strong> Spotts bleibt der Widerspruchzwischen dem ständigen Bekunden friedlicher Ziele und dem Militariafimmel<strong>des</strong> dicken Hermann Göring. So geht momentan der Witz um:Ein neuer Panzerkreuzer wird besichtigt. Göring ist schon früher da undsieht gerade aus einem Bullauge, als Hitler und auch Goebbels kommen.Goebbels sagt spöttisch: „Sieh mal, Adolf, jetzt hat sich Göring schoneinen Panzerkreuzer als Orden um den Hals gehängt.“ 52Nachdem Hitler in seiner Festrede am 1. Mai schon erklärt hatte, dass erdem Ausland gegenüber auch weiterhin auf Frieden setzt, und speziellauch Österreich erwähnt hatte, wird am 11. Juli <strong>1936</strong> schließlich ein Vertragüber <strong>die</strong> Normalisierung und <strong>die</strong> freundschaftlichen Beziehungenzwischen Berlin und Wien geschlossen. In seinem ersten Artikel heißt esfolglich: „Im Sinne der Feststellungen <strong>des</strong> Führers und Reichskanzlersvom 21. Mail 1935 anerkennt <strong>die</strong> Deutsche Reichsregierung <strong>die</strong> volle50 Schultze-Rhonhof, S. 138f.51 <strong>Der</strong> Nürnberger Prozess II, S. 48052 Hirche, S. 8229


<strong>1936</strong>Souveränität <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>staates Österreich.“ <strong>Der</strong> zweite Artikel hebt <strong>die</strong>Eigenständigkeit der zwei Länder hervor: „Jede der beiden Regierungenbetrachtet <strong>die</strong> in dem anderen Lande bestehende innerpolitische Gestaltung,einschließlich der Frage <strong>des</strong> österreichischen Nationalsozialismus,als eine innere Angelegenheit <strong>des</strong> anderen Lan<strong>des</strong>, auf <strong>die</strong> sie weder unmittelbarnoch mittelbar Einwirkung nehmen wird.“ 53<strong>Der</strong> Frieden und <strong>die</strong> Sicherheit, besonders aber der Frieden als solchersind dem Kanzler der Herzen wichtig. Das wurde jetzt mit dem Vertragwieder deutlich. Doch da kommt ein unerwartetes Ereignis dazwischenund macht das Engagement <strong>des</strong> Kanzlers erforderlich. Am 17. und 18.Juli <strong>1936</strong> putschen spanische Generäle in Marokko gegen ihre gewählteRegierung. Im Sturm springt der faschistische Funke auf das spanischeMutterland über. Keine Frage: jetzt muss Hitler helfen. Doch da er derKanzler <strong>des</strong> Friedens ist, kann er nicht einfach sagen, dass er Soldaten inden Krieg schicken will. Erst allmählich fällt <strong>die</strong>sem und jenem auf, dassda was am Kochen ist. Einer von ihnen ist der Jagdflieger Adolf Galland.Erst gegen Ende <strong>des</strong> <strong>Jahres</strong> hören er und seine Luftwaffenkameradenerste Gerüchte von einer Legion Cóndor: „Keiner von uns wusste, dassder deutsche Freiwilligen-Verband in Spanien <strong>die</strong>sen Namen trug. Keinerwusste überhaupt Näheres über Stärke und Art <strong>des</strong> Einsatzes. Es fielnur auf, dass der eine oder andere Kamerad plötzlich spurlos verschwand,ohne dass man etwas von seiner Versetzung oder Komman<strong>die</strong>rungerfahren hätte. So nach einem guten halben Jahr war er dannbraun gebrannt und gut gelaunt wieder da, kaufte sich ein neues Autound erzählte seinen intimsten Freunden unter tiefster Verschwiegenheithöchst bemerkenswerte Dinge aus Spanien.“ 54 Unter strengster Geheimhaltungschickt Hitler zwanzig Transportmaschinen vom Typ JU 52 undein Begleitgeschwader von Jagdflugzeugen, damit Franco Bahamonde,der Caudillo der Faschisten, seine Truppen aus Marokko nach Spanienholen kann – <strong>die</strong> erste Luftbrücke in einem militärischen Konflikt.Die Italiener schicken ein Expeditionskorps von 50.000 Soldaten undDeutschland schickt 10.000 Angehörige der Wehrmacht. Das Personalder „Legion Cóndor“ wechselt alle drei oder sechs Monate, je nach ihrerFunktion. In den nächsten drei Jahren <strong>des</strong> Bürgerkrieges <strong>werden</strong> weit53 Nürnberger II, S. 49154 Galland, S. 4030


<strong>1936</strong>über 30.000 Angehörige unserer Luftwaffe unter Kampfbedingungenausgebildet. 55 Es ist ja nicht so, dass sich nicht <strong>die</strong>ser und jener unterden Deutsche n seinen Teil dabei denkt; aber was kann er denn dagegenunternehmen. Nichts. Hier gibt es schon lange keine Demokratie mehr.Notfalls wird Deutschland auch im Mittelmeer verteidigt. Ja, sie könnensich Witze erzählen oder auf dem Tisch Kopfstand machen. Dieser Witzwird schon bald im Reich <strong>die</strong> Runde machen: Ein Journalist kommt zuFranco zu fragt ihn: „Wie ist der Ausgang <strong>des</strong> Krieges?“ Darauf meintder Caudillo der Spanier: „Ich weiß nicht, ich habe <strong>die</strong> deutsche Pressenoch nicht gelesen.“ 56 Von Waffenhilfe steht dort allerdings auch nichts.Und was machen London und Paris? Sie drängen 27 Ländern Europaseine Vereinbarung über „Nichteinmischung“ in Spanien auf. Paul weißnicht, warum. Er weiß auch nicht, dass London sich doch einmischt –und den Führer der Faschisten unterstützt. Wenn er es wüsste, würde erjedoch nicht verstehen, warum sie in London dabei helfen, eine weitereDemokratie in Europa zu versenken. Die Briten leben mental auf einerScholle, <strong>die</strong> nichts mit Europa zu tun hat. Die britische Hauptstadt istder Kopf eines Weltreiches, das mit Europa so viel und so wenig zu tunhat wie mit seiner Kronkolonie In<strong>die</strong>n oder mit den Falklandinseln. Siehat streng genommen mit <strong>die</strong>ser Inselgruppe im Südatlantik sogar mehrals mit Europa zu tun – <strong>die</strong> Inseln gehören den Briten wenigstens. Erstlangsam wird einigen Briten zu Bewusstsein kommen, dass es schon einpaar Jahre lang Flugzeuge gibt, <strong>die</strong> durchaus in der Lage sind, <strong>die</strong> Inselzu erreichen. Zugleich macht das aber auch nicht gleich Angst, denn was<strong>die</strong> Deutschen da an Flugzeugen haben, kann gerade mal dem Süden derInsel etwas anhaben. Nur ein Zehntel <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> ist davon betroffen.Aber <strong>die</strong>ser Sommer hat auch einen ganz anderen Schwerpunkt, der <strong>die</strong>Leute wesentlich mehr interessiert als Politik. Schon 1931 hatte sich dasInternationale Olympische Komitee für Berlin als den Austragungsortder XI. <strong>Olympischen</strong> Spiele entschieden. Das ist was für alle. Sicher gabes im Ausland auch Aufrufe zum Boykott der Spiele – vor allem aus dendortigen deutschen Emigrantenkreisen, aber <strong>die</strong> Reichsregierung kann<strong>die</strong> Bedenken zerstreuen, indem sie versichert, dass solche Geschichtenwie Rasse oder Religion natürlich kein Problem für <strong>die</strong> Sportler <strong>werden</strong>wird. Sie können so jüdisch sein wie sie wollen. Schwarz ist auch chic.55 Falin, S. 50156 Hirche, S. 12031


<strong>1936</strong>Wir sind da ganz offen. Gut, im Reich wird das zwar nicht umgesetzt, imPrinzip ist aber alles gut – und als dann im Ausland auffällt, dass ebennicht jeder gute Sportler auch zu den Spielen nach Berlin darf, ist es zuspät, um das Großereignis noch ausfallen zu lassen. Es wird einfach analles gedacht – selbst der Verkauf <strong>die</strong>ses Schmutzblattes <strong>Der</strong> Stürmerwird während der Spiele verboten, damit <strong>die</strong> Gäste aus aller Welt einenmöglichst guten Eindruck von Deutschland erhalten. Eine Galashowwird schon <strong>die</strong> Eröffnungsveranstaltung, und prompt hat <strong>die</strong> BerlinerSchnauze auch wieder den rechten Spruch parat: Göring ist zusammengebrochen.Er hat sich <strong>die</strong> Olympiaglocke umhängen wollen. 57Adolf Galland wird das Spektakel sein Leben lang ganz bestimmt nichtmehr vergessen. Später erinnert er sich: „Damals im Sommer <strong>1936</strong>, alsHunderttausende von Besuchern aus aller Welt nach Berlin strömten,erreichte Deutschland vielleicht den Kulminationspunkt seines jähenAufstieges. Die Spiele und ihr ganzes Drumherum waren eine Meisterleistungder Organisation. Deutschland zeigte sich seinen Gästen vonder besten Seite. Es hatte mit der Gleichberechtigung auch <strong>die</strong> Sicherheitwiedergewonnen, als großzügiger Gastgeber aufzutreten. Einheitenaller drei Wehrmachtteile wirkten bei den zwischen <strong>die</strong> sportlichenWettkämpfe eingeschalteten Schauvorführungen mit. Die Zufriedenheitund das Glück der Bewohner <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> schienen sich mit der aufrichtigenAnerkennung der fremden Gäste zu einer Atmosphäre ehrlichenVerständigungswillens zu verbinden.“ 58Welchen Eindruck hat der Dolmetscher Schmidt? „Jetzt aber im August,nachdem <strong>die</strong> Befürchtungen, <strong>die</strong> der deutsche Einmarsch ins Rheinlandin allen Gemütern geweckt hatte, wieder verflogen waren, nachdem <strong>die</strong>drohende Kriegsgefahr <strong>des</strong> Monats März wieder einer ruhigeren Beurteilunggewichen zu sein schien, nachdem von deutscher Seite so vieleberedte Worte für den Frieden gesprochen worden waren, hielt keinerder ausländischen Besucher, deren Worte ich Hitler und den deutschenProminenten übersetzte, mit seiner Freude über <strong>die</strong>se, wie es schien,glückliche Wendung zurück, und viele gaben ihrer Bewunderung fürHitler, für seine Friedensbemühungen und für <strong>die</strong> Leistungen <strong>des</strong> nationalsozialistischenDeutschland in sehr lebhafter Weise Ausdruck.57 Hirche, S. 8358 Galland, S. 36f.32


<strong>1936</strong>Diese Tage erschienen mir damals wie eine Art Apotheose für Hitler unddas Dritte Reich. Deutlich konnte ich während der meist nur kurze Zeitdauernden Gespräche feststellen, dass Hitler von den Ausländern fastausnahmslos mit höchstem Interesse, um nicht zu sagen mit großer Bewunderungbetrachtet wurde. Nur selten trat eine gewisse Skepsis zutage,wie in dem Gespräch Hitlers mit dem später berühmt gewordenenLord Vansittart. Dieser tat mir gegenüber bei <strong>die</strong>ser Gelegenheit eineÄußerung, an <strong>die</strong> ich später während <strong>des</strong> Krieges noch oft gedacht habe,und <strong>die</strong> mir besonders auch heute recht aktuell erscheint. »<strong>Der</strong> nächsteKrieg«, so sagte Vansittart, »wird sich nicht an <strong>die</strong> nationalen Grenzenhalten. Die Fronten <strong>werden</strong> mitten durch <strong>die</strong> einzelnen Völker hindurchlaufen,denn es wird kein Krieg der Nationen, sondern ein Kriegder Weltanschauungen sein!«“ 59 Im Reich selbst ist der Bürgerkrieg derWeltanschauungen schon längst entbrannt, so wird im August ein neuesKonzentrationslager eröffnet – es entsteht nördlich von Berlin, nahe derStadt Oranienburg und heißt Sachsenhausen. Dahin möchte aber keiner.Auch Hans-Bernd nicht; Dr. Gisevius ließ sich nach dem Ärger im Amtlieber in <strong>die</strong> Provinz nach Münster in Westfalen versetzen.Lord Vansittart bleibt nicht der einzige Londoner Politiker, der in Bezugauf das Deutsche Reich am Ball bleibt, damit da nur nichts anbrennt. ImSüden empfängt der Führer schon Anfang September <strong>1936</strong> Lloyd Georgeauf dem Obersalzberg. Dort muss man gewesen sein, wenn man Hitlerbesser verstehen will. Man muss den Berg hinauf gefahren sein, dann imFahrstuhl senkrecht auf den Gipfel und dann hinaustreten: Sonne, Windund Wetter und der Blick hinunter ins Land. Das ist noch viel verrückterals der Blick auf eine Modelleisenbahn. Dafür sieht man da <strong>die</strong> Häusernoch zu groß. Die Häuser sind vom Obersalzberg aus noch viel kleiner.Viel kleiner. Und da sind keine Menschen mehr zu erkennen. Dafür istder Berg zu hoch. Dort war der Führer gern. Hoch oben und keiner da.Ein paar Zimmer für <strong>die</strong> heimliche Freundin, <strong>die</strong> Eva Braun. Irre.Dort oben über allem empfängt der größte Führer der Welt den früherenbritischen Premierminister, der sich ebenfalls ein Bild von <strong>die</strong>sem Reichmachen will, um das es so oft in den Zeitungen zu Hause geht. Nach denGesprächen sagt er: „Ich habe jetzt den berühmten deutschen Führergesehen und auch einiges von dem großartigen Wandel, den er herbei-59 Schmidt, S. 33033


<strong>1936</strong>geführt hat. Was man auch von seinen Methoden halten mag – und essind gewiss nicht <strong>die</strong> eines demokratischen Lan<strong>des</strong>, kann es doch keinenZweifel geben, dass er eine großartige Transformation in der Stimmungim Volke, in ihrem Verhältnis zueinander und ihren sozialen und wirtschaftlichenAussichten erreicht hat. Zu Recht hat er in Nürnberg behauptet,in vier Jahren würde er ein neues Deutschland schaffen.“ 60 Ersagt das jedoch zugegebenermaßen nicht gleich auf Deutsch. So weitgeht <strong>die</strong> Begeisterung dann doch nicht. Außerdem ist <strong>die</strong>se Botschaft jaauch an seine Landsleute zu Hause gerichtet. Er schließt seine Laudatioauf seinen neuen Favoriten unter den Politikern mit den Worten: „Ichhabe noch nie ein glücklicheres Volk gesehen und Hitler ist einer dergrößten Männer.“Nun war er bei seinem Abstecher auf den Kontinent auch nicht in einemder Konzentrationslager, und <strong>die</strong> Leute, <strong>die</strong> ihn kurz sehen, <strong>werden</strong> ihmnicht ihr Herz ausschütten, so dass er von der Stimmung im Land ebennur einen Teil wahrnimmt, der jedoch mächtig Eindruck auf ihn macht.Hätte er sich für ein paar Monate zu Leuten in <strong>die</strong> Küche gesetzt, wärevielleicht das zu hören gewesen: Ein SA-Mann trifft einen Juden, der einsehr trauriges Gesicht macht: „Nun, Jude, warum machst du denn so eintrauriges Gesicht?“ Darauf sagt der Angesprochene: „Ach, wir wissennicht mehr, wovon wir leben sollen!“ Da antwortet ihm der SA-Mann:„Euch hat man doch nichts versprochen.“ 61 Sicher hat <strong>die</strong>ser alte Mannnicht monatelang Zeit, sich in eine deutsche Küche zu setzen, aber werwird jemandem, den er gar nicht kennt, einfach sein Herz ausschütten?Und schon gar nicht, wenn der den Adolf Hitler wie ein Nazi anhimmelt.<strong>Der</strong> alte Brite hatte gehört, dass sie in Deutschland <strong>die</strong> Kommunisten inLager stecken, damit sie nicht Verhältnisse wie in Russland aufziehen,und das kann er ja nur von ganzem Herzen begrüßen. Was weiß er dennüberhaupt von Deutschland? Und bei dem Besuch in Hitlers Reich lässter sich vom äußeren Schein blöffen. Wobei es ja auch genug Nutznießerder neuen Ordnung hier gibt, denen es jetzt durchaus besser geht. Diefreuen sich ja wirklich und müssen das nicht spielen. mmmEin anderer Engländer, der witzige Winston Churchill, der sich sehr fürGeschichte interessiert und alle vierzehn Tage wieder seine Essays in <strong>die</strong>60 Internetquelle 1661 Hirche, S. 8934


<strong>1936</strong>Zeitung setzt, äußert sich am 4. September über <strong>die</strong> Schauprozesse, <strong>die</strong>zur Zeit in Moskau stattfinden. Unter der Überschrift „Wie wirken sich<strong>die</strong>se Abschlachtungen auf Russland als Militärfaktor im GleichgewichtEuropas aus?“ heißt es beim ihm: „Offensichtlich hat sich Russland entscheidendvom Kommunismus fortbewegt. Das ist ein Ruck nach rechts.<strong>Der</strong> Plan einer Weltrevolution, der <strong>die</strong> Trotzkisten befeuerte, ist brüchiggeworden, wenn nicht vollends zertrümmert. <strong>Der</strong> Nationalismus undungekrönte Imperialismus Russlands präsentiert sich unfertiger, aberauch zuverlässiger. Es mag wohl sein, dass Russland in seiner alten Verkleidung<strong>des</strong> persönlichen Despotismus mehr Berührungspunkte mitdem Westen hat als <strong>die</strong> Evangelisten der Dritten Internationale. Auf jedenFall wird es weniger schwer zu verstehen sein. Es handelt sich in derTat weniger um eine Manifestiation der Weltpropaganda als um denSelbsterhaltungsakt einer Gemeinschaft, welche das scharfe deutscheSchwert fürchtet und auch allen Grund dazu hat.“ 62 Winston Churchillsetzt sich überhaupt seit <strong>die</strong>sem Sommer öfter und hörbarer als anderebürgerliche Politiker in England für eine militärische Zusammenarbeitmit der Sowjetunion ein. Lloyd Georges Urteil über das Deutsche Reichteilt er ganz und gar nicht.Und seine Schlagfertigkeit ist legendär. So trifft der 61 Jahre alte Manneines Tages auf brave Lady Nancy Astor. Sagt sie zu ihm: „Sir, wenn Siemein Mann wären, würde ich ihnen Gift in den Kaffee streuen.“ Daraufmeinte der alte Mann: „Madam, wenn sie meine Frau wären, würde ichihn trinken.“ Ganz zauberhaft ist auch <strong>die</strong>ser Schlagabtausch: „Winston,Sie sind betrunken!“, woraufhin er erwidert: „Ja, und Sie sind hässlich.Aber morgen bin ich wieder nüchtern.“ 63In Nürnberg findet im September wie in jedem Jahr der Reichsparteitagder einzigen Partei im Reich statt. Naturgemäß ist der Hauptredner derFührer der NSDAP. Hitler sagt: „Wir haben nie in <strong>die</strong>sen langen Jahrenein anderes Gebet gehabt als das: Herr, gib unserem Volk den innerenund gib und erhalte ihm den äußeren Frieden! Wir haben in unserer Generation<strong>des</strong> Kampfes so viel miterlebt, dass es verständlich ist, wennwir uns nach dem Frieden sehnen . . . Wir wollen für <strong>die</strong> Zukunft derKinder unseres Volkes sorgen, für <strong>die</strong> Zukunft arbeiten, um ihnen das62 Falin, S 4763 Nancy McPhee, The Bumber Book of Insults, Chancellor Press, London 200035


<strong>1936</strong>Leben dereinst nicht nur sicherzustellen, sondern es ihnen auch zu erleichtern.Wir haben so Schweres hinter uns, dass wir nur eine Bitte an<strong>die</strong> gnädige und gütige Vorsehung richten können: »Erspare unserenKindern das, was wir erdulden mussten!« Wir wollen nichts als Ruheund Frieden für unsere Arbeit.“ 64 Was Hitler, Geheim<strong>die</strong>nstchef Canarisund noch ein paar Leute wissen, können andere nicht ahnen: wir habenSoldaten in Spanien, <strong>die</strong> dort aktiv in den Kampf gegen <strong>die</strong> Regierung inMadrid eingreifen. Welche <strong>die</strong>ser Wirklichkeiten sollte unwirklich sein?Doch auch ohne Auslandseinsatz unserer Soldaten ist das tägliche Lebenin Deutschland spannend genug, um das positiv auszudrücken. Es ist jaschon genug, wenn man zum Falschen das Falsche sagt, und schon lerntman ganz neue Orte im Wald kennen. Die Hoffnungen, dass Hitler baldabgewirtschaftet haben wird, entlocken selbst ganz abgebrühten Leutenkaum noch ein mü<strong>des</strong> Lächeln. Nein, man hat sich eingerichtet und einjeder sieht zu, dass er mit der neuen Ordnung hier zurechtkommt. Aberjunge Leute sind trotzdem jung und denken eben nicht bei jedem Wortnach, ob sie es nicht besser stecken lassen. Es macht ja auf eine Art auchSpaß, sich an den bestehenden Zuständen zu reiben. Nehmen Sie Franz.Er ist zwanzig – Mann, das Leben liegt vor ihm! Das Herz ist am rechtenFleck und <strong>die</strong> Klappe halten liegt ihm eben nicht. Inzwischen geht er zurUni, er will ja Lehrer für Geschichte und Alte Sprachen <strong>werden</strong>. Soll erselbst erzählen, wie er verbale Ohrfeigen verteilte: „Die Gleichgesinntenan der Universität erkannten sich bereits daran, dass sie »Grüß Gott«sagten statt »Heil Hitler«. »Grüß Gott« konnte nicht bestraft <strong>werden</strong>,ebensowenig wie »Guten Tag«, wenn auch <strong>die</strong> Nazis beide Grußformelnmissliebig aufnahmen. Ich war nie sehr vorsichtig. Als ich einmal einemKommilitonen, der von der »braunen Fakultät« war, mit »Grüß Gott«begegnete, meinte der: »Du gehörst auch zu den ewig Gestrigen. Du bistzehn Jahre zurück.« Da habe ich gesagt: »Vielleicht bin ich schon zehnJahre voraus!«“ 65 Gewiss ermahnen ihn wohlmeinende Professoren, denMund zu halten. Aber was hilft es? „Ohne dass es mir vielleicht bewusstwar, ging es in <strong>die</strong>sen Jahren wohl darum, <strong>die</strong> eigene Identität zu wahrengegenüber jedem Angriff und Druck. Es war <strong>die</strong> Auflehnung derKreatur gegen eine Ordnung, <strong>die</strong> mir zutiefst zuwider war. Die Frage, obich mir mit ein wenig mehr Selbstbeherrschung <strong>die</strong> riskanten Konfron-64 <strong>Der</strong> Nürnberger Prozess I, S. 50665 Strauß, S. 3836


<strong>1936</strong>tationen ersparen könnte, hat sich mir nicht gestellt. Mein Verhaltenwar impulsiv und eruptiv, da war keinerlei Filter vorgeschaltet.“ 66Sicher kann er sich auch noch etwas anderes vorstellen als <strong>die</strong> Zustände,wie sie heutzutage in München sind. Aber wer sich <strong>die</strong> offizielle brauneSülze nicht anhören will, der muss sich etwas einfallen lassen. Dummkann man sein, man muss sich nur zu helfen wissen. Wozu hatte FranzJosef Strauß denn sonst das beste Abitur seines Jahrganges in Bayern inder Tasche? Soll er doch selbst erzählen, wie seine Freunde und er dasKind geschaukelt haben: „Um nicht in <strong>die</strong> peinliche Lage zu kommen,uns ideologische Vorträge anhören zu müssen, haben meine Freundeund ich beschlossen, den Posten <strong>des</strong> »weltanschaulichen Referenten«mit einem aus unserer Mitte zu besetzen. Ich bin es dann geworden.“ Dakann er sein Steckenpferd, <strong>die</strong> Geschichte, reiten und erspart sich „<strong>die</strong>ganze nationalsozialistische und antisemitische Pseudophilosophie“, wieer den Sülz nennt. Voller Stolz erinnert er sich daran, wie er <strong>die</strong> Spracheder Nazis nutzte, um ungestraft auszuteilen: „Ich habe <strong>die</strong>sen Sprachschatzbeherrscht wie ein tibetischer Mönch sein »Om mani padmehum«. Mein Gegenüber hat genau gewusst, was ich denke, aber gegen<strong>die</strong> Phrase war er machtlos. Das System war auf Lüge und Verlogenheit,auf Täuschung und Hinterlist aufgebaut.“ 67Auch was das Studium an sich angeht, baut Franz Josef Strauß* vor fürden Fall, dass das noch lange so weitergeht: „Ich stu<strong>die</strong>rte in MünchenAlte Sprachen, Geschichte und Germanistik für das höhere Lehramt.Dazu nahm ich noch vier Semester Volkswirtschaft. Dies hatte einen besonderenGrund. Wenn Hitler bleiben sollte, würde ich mit dem Staats<strong>die</strong>nstSchwierigkeiten bekommen, und für <strong>die</strong>sen Fall wollte ich denDiplom-Volkswirt machen, um <strong>die</strong> Laufbahn als Gymnasiallehrer aufgebenund irgendwo in der Wirtschaft arbeiten zu können. Eine Reihe vonMitschülern hat aus dem gleichen Grund Volkswirtschaft stu<strong>die</strong>rt.“ 68Am 24. Oktober <strong>1936</strong> lässt der Duce seinen Außenminister beim Führerund <strong>des</strong>sen Außenminister von Neurath eruieren, wieweit <strong>die</strong> Interessenbeider Staaten zueinander passen. Am 1. November <strong>die</strong>ses <strong>Jahres</strong> er-66 Ebd., S. 3967 Strauß, S. 3768 Ebd.37


<strong>1936</strong>fährt man das Ergebnis. Mussolini schwenkt offiziell aus dem Lager derErste-Weltkriegs-Sieger in das Lager <strong>des</strong> ehemaligen WeltkriegsgegnersDeutschland. <strong>Der</strong> Duce hält an <strong>die</strong>sem Tag in Mailand eine öffentlicheRede und verkündet dabei <strong>die</strong> Achse Rom-Berlin. Er lädt alle anderenStaaten ein, in <strong>die</strong>ser Achse mitzuwirken. 69 Die Zahl der Staaten, <strong>die</strong> <strong>die</strong>Einladung annehmen bleibt jedoch überschaubar – nur Tokio, das auf<strong>die</strong> Unterstützung <strong>des</strong> Deutschen Reiches bei einem japanischen Krieggegen <strong>die</strong> Sowjetunion hofft, schließt am 25. November mit Berlin densogenannten Antikomintern-Pakt. Dem folgt eine Woche später so eineVereinbarung mit Rom. Ab <strong>die</strong>sem Zeitpunkt hat <strong>die</strong> Führung in Tokioauch keine Hemmungen mehr, einen totalen Krieg gegen China mithilfevon Massenvernichtungswaffen zu führen. 70Jetzt kommt es darauf an, dass <strong>die</strong>se drei Staaten auf sehr geschickte ArtAußenpolitik betreiben, damit es durch <strong>die</strong> Verteilung der drei Reicheüber den Erdball hinweg nicht zu einem neuen Weltkrieg kommt. Japanliegt als Insel der Länge nach ausgebreitet vor dem asiatischen Festland,und wenn <strong>die</strong> Amerikaner angreifen wollen, wirkt das wie ein Angebot.Es ist auch nicht reich an Bodenschätzen. Das Deutsche Reich, das dabeiaushelfen könnte, liegt zu weit weg und im Kriegsfall könnte der Hahndurch dritte Mächte schnell zugedreht <strong>werden</strong>. Das Deutsche Reich hatzwar Bodenschätze aber nicht genügend Männer unter Waffen. Was <strong>die</strong>Technik und <strong>die</strong> Anzahlen bei Flugzeugen und Panzern angeht, sind andereLänder uns weit überlegen. Italien, das sich mit seinem Stück vonAfrika auch wie ein Reich fühlt, ist bei seinen Bodenschätzen auf Länderangewiesen, <strong>die</strong> schnell zu Gegnern <strong>werden</strong> könnten, weil sich Italien inein Bündnis mit Deutschland begeben hat. Die eigenen Ressourcen anTreibstoff für Flugzeuge, Schiffe und Panzer reichen jedoch nur für einpaar Monate. Deshalb hofft es im Gegensatz zu Japan auf <strong>die</strong> Ehrlichkeitvon Hitlers Bekundungen der Friedlichkeit Deutschlands. Allerdings istes auch unwahrscheinlich, dass das Reich hinter den Alpen einen Kriegführen will, denn es ist Mächten wie der Sowjetunion oder Frankreichabsolut unterlegen, wovon sich der Militärattaché überzeugen kann. Beider Unterschiedlichkeit der Hoffnungen, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se drei Länder mit demAntikomintern-Pakt verbinden, ist es fraglich, wie lange er halten kann.69 Rhonhof, s. 13970 Falin, S. 4038


<strong>1936</strong>Im Dezember <strong>1936</strong> erarbeitet Warschau einen dritten Teil für einenWestpakt, der Frankreich, Deutschland und Polen umfassen soll. Dashätte Polens Vertrag mit Deutschland genau so umfasst wie den Vertragmit Frankreich. Damit will Beck Moskau ausschließen und eine Neuauflage<strong>des</strong> Viererpakts verhindern. Allerdings bleibt <strong>die</strong> polnische Ideenoch für Monate in Becks Schreibtisch liegen. In London wollen sie dasReich in Mitteleuropa auch weiterhin als das Bollwerk gegen <strong>die</strong> Sowjetsstärken und Paris macht nach dem Wechsel von Albert Sarraut zu LéonBlum als Premierminister dem Führer <strong>des</strong> Reiches einen Vorschlag, wieman nach der Besetzung <strong>des</strong> Rheinlan<strong>des</strong> wieder zu gutnachbarlichenBeziehungen zurückfinden kann. Wie sieht es jetzt im Reich selbst aus?Heiligabend ist vorbei und ein jeder zieht für sich Bilanz, was das Jahrgebracht hat. Das ist für jeden natürlich etwas anderes. Manche habenfrüher in Baracken für Obdachlose gehaust und wohnen jetzt in so einerVilla, <strong>die</strong> früher einem Juden gehört hat, und andere haben früher in soeiner Villa gewohnt und haben jetzt ein Bett in einer Baracke im Wald.Für viele ist der Lebensstandard in <strong>die</strong>sem Jahr gestiegen, es ist ja auchviel von den sozialpolitischen Maßnahmen <strong>die</strong> Rede, <strong>die</strong> das ermöglichthaben. Viele Familien, <strong>die</strong> früher drei Kinder hatten, können jetzt auchsechs ernähren, so dass der Volkskörper beständig wächst. So kommt es,dass heutzutage mehr Juden im Ausland leben und mehr Deutsche imReich. Vor allem <strong>die</strong> Oma freut sich über <strong>die</strong> lieben Kleinen.In Paris setzt sich am zweiten Weihnachtstag der deutsche BotschafterGraf Welczeck an seinen Schreibtisch und verfasst einen Brief an seinenChef, den Reichsaußenminister von Neurath: „Bei unserer Missionschef-Besprechung in Nürnberg habe ich <strong>die</strong> Ansicht vertreten, dass wir beieinem ernsthaften Angebot auch nur eines Teiles der vom Führer am 7.März gemachten Vorschläge und Anpassung unserer Aktionsweise an<strong>die</strong> europäischen Spielregeln in kürzester Zeit am Verhandlungstischsitzen und mit großer Wahrscheinlichkeit viele unserer Wünsche, auchauf kolonialem Gebiet, durchsetzen könnten. Ich vertrete <strong>die</strong>sen Standpunktauch noch heute und bin hinsichtlich <strong>des</strong> Erfolges optimistisch,vorausgesetzt, dass wir unsere Forderungen nicht überspannen.“ 71 Dasletzte halbe Jahrzehnt war in außenpolitischer Hinsicht für das Reich inder Tat sehr erfolgreich verlaufen und <strong>die</strong> Rückgabe der alten Kolonien71 Dokumente II, S. 226f.39


<strong>1936</strong>an <strong>die</strong> wiedererstandene Großmacht Deutschland wird auch Konstantinvon Neurath als persönlichen Erfolg verbuchen können. Vielleicht wirdman in zehn oder zwanzig Jahren anders darüber denken, aber zur Zeitsind Kolonien das Normalste auf der Welt.Mit <strong>die</strong>sem Juwel in der Krone wird er voller Stolz vor den Führer tretenkönnen. Dann hat Italien nur seine paar Quadratmeilen Wüste, doch wirhaben Länder voller Bodenschätze wiedergewonnen. Dann ist das Reichauch in <strong>die</strong>ser Hinsicht wieder gleichauf mit England und Frankreich.<strong>Der</strong> Führer lässt sich zwar nicht gern in <strong>die</strong> Karten schauen, so dass esweiterhin den Anschein hat, dass auch er <strong>die</strong> Interessen Deutschlandsvertritt, aber ein Blick in sein programmatisches Werk Mein Kampf isteigentlich genug, um zu sehen, dass er sich gar nicht für <strong>die</strong>se Kolonieninteressiert. Schauen Sie zum Beispiel auf Seite 153 und Sie finden <strong>die</strong>seAbleitung: „Für Deutschland lag demnach <strong>die</strong> einzige Möglichkeit zurDurchführung einer gesunden Bodenpolitik nur in der Erwerbung vonneuem Lande in Europa selber. Kolonien können <strong>die</strong>sem Zweck so langenicht <strong>die</strong>nen, als sie nicht zur Besiedelung mit Europäern in größtemMaße geeignet erscheinen. Auf friedlichem Wege aber waren solche Kolonialgebieteim neunzehnten Jahrhundert nicht mehr zu erlangen. Eswürde mithin auch eine solche Kolonialpolitik nur auf dem Wege einesschweren Kampfes durchzuführen gewesen sein, der aber dann zweckmäßigernicht für außereuropäische Gebiete, sondern vielmehr für Landim Heimatkontinent selbst ausgefochten worden wäre.“Unter der Überschrift „Keine Sentimentalität in der Außenpolitik“ stehtauf der Seite 741: „So sehr wir heute auch alle <strong>die</strong> Notwendigkeit einerAuseinandersetzung mit Frankreich erkennen, so wirkungslos bliebesie in der großen Linie, wenn sich in ihr unser außenpolitisches Ziel erschöpfenwürde. Sie kann und wird nur Sinn erhalten, wenn sie <strong>die</strong>Rückendeckung bietet für eine Vergrößerung <strong>des</strong> Lebensraumes unseresVolkes in Europa. Denn nicht in einer kolonialen Erwerbung haben wir<strong>die</strong> Lösung <strong>die</strong>ser Frage zu erblicken, sondern ausschließlich im Gewinneines Siedlungsgebietes, das <strong>die</strong> Grundfläche <strong>des</strong> Mutterlan<strong>des</strong> selbst erhöhtund dadurch nicht nur <strong>die</strong> neuen Siedler in innigster Gemeinschaftmit dem Stammland erhält, sondern der gesamten Raummenge jeneVorteile sichert, <strong>die</strong> in ihrer vereinten Größe liegen.“ Ja, sicher hatte erdas unter den Bedingungen der frühen zwanziger Jahre geschrieben und40


<strong>1936</strong>wie oft wird er betont haben, dass <strong>die</strong>se Gedanken heute keine Rolle zuspielen haben? Doch wer heiratet, bekommt Mein Kampf als Geschenk.Und dort heißt es ab Seite 168 folgendermaßen: „<strong>Der</strong> Glaube der Vorkriegszeit,durch Handels- und Kolonialpolitik auf friedlichem Wege <strong>die</strong>Welt dem deutschen Volke erschließen oder gar erobern zu können, warein klassisches Zeichen für den Verlust der wirklichen staatsbildendenund staatserhaltenden Tugenden und aller daraus folgenden Einsicht,Willenskraft und Tatentschlossenheit; <strong>die</strong> naturgesetzliche Quittunghierfür aber war der Weltkrieg mit seinen Folgen.“<strong>Der</strong> Ehrgeiz <strong>des</strong> Führers in der Außenpolitik in allen Ehren, man darf esjedoch nicht übertreiben. Heutzutage ist Frankreich <strong>die</strong> Großmacht, <strong>die</strong>das Reich wieder <strong>werden</strong> soll, und Deutschlands westlicher Nachbar istin jeder Hinsicht gut gerüstet, so dass <strong>die</strong> Beziehungen zu Paris sorgsamgepflegt <strong>werden</strong> müssen, um gute Rahmenbedingungen für den Aufbau<strong>des</strong> Reiches zu schaffen. Graf Welczeck gießt sich noch eine Tasse Teeein und setzt dann sein Schreiben fort. Er kennt <strong>die</strong> Chancen, <strong>die</strong> sich inden letzten Jahren aufgetan haben, und er weiß um <strong>die</strong> Gefahren für dasReich: „Ich habe in letzter Zeit eine Reihe uns durchaus wohlgesinnterAusländer, meist Diplomaten, gesprochen, <strong>die</strong> übereinstimmend derAnsicht waren, dass bei einer Fortsetzung unserer fait-accompli-Politik,durch <strong>die</strong> wir <strong>die</strong> Welt dauernd in Aufregung halten, unseren Gegnernnichts anderes übrig bliebe, als gegen den vermeintlichen StörenfriedDeutschland mit allen Kräften aufzurüsten, wobei sie angesichts ihrerunvergleichlich günstigeren Wirtschafts- und Finanzlage wohl am längerenHebel sitzen dürften.“ 72 Mit fait-accompli-Politik meint er, dass derKanzler nicht gerne mit den anderen Großmächten verhandelt, sondernlieber vollendete Tatsachen schafft – vom Austritt aus dem Völkerbundbis zur Besetzung <strong>des</strong> Rheinlan<strong>des</strong> entgegen den Knebelbestimmungen<strong>des</strong> Versailler Vertrages. Botschafter Graf Welczeck warnt: „Dann kämees bestimmt zum Kriege, in dem wir auf <strong>die</strong> Italiener wohl ebenso wenigzählen könnten wie im Jahre 1914. Es entzieht sich meiner Kenntnis, obund wie lange wir in der Lage sind, einen Rüstungswettkampf mit denuns gegenüberstehenden Großmächten durchzuhalten. Wenn wir <strong>die</strong>sauf <strong>die</strong> Dauer aber nicht können und anzunehmen ist, dass unsere Gegnerden bei uns immer mehr in Erscheinung tretenden Mangel an Devisenund Rohstoffen erkennen, so wäre es ein schwerer taktischer Fehler,72 Dokumente II, S. 22941


<strong>1936</strong>uns nicht rechtzeitig und vordem <strong>die</strong> Engländer mit ihrer Luftrüstungfertig sind, an den Verhandlungstisch zu setzen. Über deutsche Belangegut unterrichtete Ausländer sind sogar der Ansicht, dass unsere gegenwärtigeLage derjenigen <strong>des</strong> Sommers 1918 verzweifelt ähnlich sieht,und zwar nicht nur hinsichtlich <strong>des</strong> Rohstoffmangels, sondern auch bezüglich<strong>des</strong> Durchhaltewillens. Die Zeit spräche keineswegs für uns,denn das Missverhältnis der unseren Gegnern für eine Aufrüstung zurVerfügung stehenden Mittel im Vergleich zu den unsrigen würde auf <strong>die</strong>Dauer immer mehr in Erscheinung treten und dann würde unsere Situationfür eine Verständigung immer ungünstiger.“ 73 Wohl hoffend, seinenKanzler gnädiger zu stimmen, schlägt er einen Bogen von <strong>des</strong>sen Redenzum jetzt Notwendigen: „Meiner telegraphischen Berichterstattung übermeine Unterredung mit Delbos habe ich meine, dem Außenminister aufseine Vorschläge gegebene Antwort nachzutragen. Ich sagte ihm, derFührer und Reichskanzler hätte zum wiederholten Male dem französischenVolke <strong>die</strong> Hand zur Verständigung hingestreckt und Friedensangebotegemacht, ohne dass etwas darauf erfolgt wäre. Damals wäre beiuns der Ausdruck geprägt worden, eine ausgestreckte Hand könnte auf<strong>die</strong> Dauer auch müde <strong>werden</strong>. Delbos antwortete mir hierauf, seitdem erAußenminister sei, hätte er ein Angebot nicht erhalten. Was <strong>die</strong> im verflossenenJahr gemachten Angebote anlangte, so seien <strong>die</strong>se in einer füreinen Friedensschritt nicht günstigen Atmosphäre gemacht worden;jene Atmosphäre sei aber eine der Vorbedingungen <strong>des</strong> Erfolges.“ 74Allmählich wird der Ton <strong>des</strong> Grafen noch drängender: „Ich habe wiederholtberichtet, dass <strong>die</strong> Franzosen trotz aller im Laufe <strong>des</strong> vergangenen<strong>Jahres</strong> empfangenen Backenstreiche sich auch jetzt noch zu Verhandlungenmit dem Ziele einer Verständigung bereit zeigen. Dass sie gleichnach Empfang eines Backenstreiches auch auf <strong>die</strong> lockendsten Angebotenicht eingingen, ist psychologisch verständlich. Heute ist <strong>die</strong> Situationumgekehrt, nicht der Führer bietet <strong>die</strong> Hand zur Verständigung, sondern<strong>die</strong> Franzosen bieten sie uns, der Geschlagene bietet sie dem, derihn geschlagen hat. <strong>Der</strong> Geschlagene ist aber auch empfindlicher hinsichtlichder Aufnahme seiner Anfrage und der Zeit ihrer Beantwortung;je länger letztere hinausgezögert wird, <strong>des</strong>to schwieriger wird <strong>die</strong> Situationfür den Fragesteller und <strong>des</strong>to ungünstiger <strong>die</strong> Atmosphäre. Dieser73 Dokumente II, S. 229f.74 Dokumente II, S. 23542


<strong>1936</strong>Umstand ist hier von besonderer Wichtigkeit. Konjunkturen kommenund gehen. Ich möchte es bezweifeln, dass <strong>die</strong> für eine Verständigunggegenwärtig noch günstige Konjunktur längere Zeit anhält und bin derAnsicht, dass der Zeitpunkt gekommen ist, wo uns nur <strong>die</strong> Wahl zwischeneiner Verständigung und einer Politik bleibt, <strong>die</strong> zur Isolierungführen muss. Behandeln wir das Angebot Frankreichs dilatorisch“ unddas würde bedeuten, dass wir seine Annahme verschleppen, „so <strong>werden</strong>unsere Gegenspieler mit Sicherheit annehmen, dass wir es sabotierenwollen. Dass wir bei den Verhandlungen das optimum et maximum herauszuholenversuchen müssen, ist selbstverständlich.“ 75Graf Welczeck analysiert <strong>die</strong> Lage so: „Als weiterer Aktivposten Frankreichsist <strong>die</strong> deutliche Erklärung Englands zu buchen, Frankreich mitallen Machtmitteln zu unterstützen. Auch Amerika würde im Ernstfallkaum anders handeln als im letzten Kriege. Jedenfalls wird hier in Kreisen,<strong>die</strong> dem Quai d’Orsay nahe stehen, behauptet, <strong>die</strong> Rede Rooseveltsin Buenos Aires sei so zu verstehen, dass Amerika für den Fall eines unprovoziertenAngriffs auf Frankreich ebenso Beistand leisten würde wieim Jahre 1917. Nach <strong>die</strong>ser Analyse kann man das französische Angebotwohl kaum als Zeichen der Schwäche deuten, wenngleich <strong>die</strong> Verhandlungsbereitschaftder Franzosen sicherlich durch unsere Aufrüstung, inder sie eine ständige Bedrohung sehen, in erster Linie verursacht wordenist. Sie wollen einem Zustand der Unruhe und Ungewissheit – imGuten oder Bösen – ein Ende bereiten, der jeden wirtschaftlichen Aufschwunghemmt und damit jede Konsoli<strong>die</strong>rung der innerpolitischenVerhältnisse vereitelt.“ 76 Weiter schreibt er: „Bemerkenswert ist <strong>die</strong> Tatsache,dass das Verständigungsangebot von einem Volksfrontkabinettund einem jüdischen Ministerpräsidenten kommt, der von der Linken<strong>des</strong>wegen auf das Schärfste angegriffen wird. Lehnen wir <strong>die</strong>ses Angebot,von dem gut unterrichtete Leute sagen, es wäre das letzte, ab, sodürfte hieraus unsere Absicht gefolgert <strong>werden</strong>, dass wir über Frankreichherfallen wollen. Unsere Gegner <strong>werden</strong> dann <strong>die</strong> Schuld auf unsschieben und <strong>die</strong> Konsequenzen für den als unvermeidlich angesehenenKrieg daraus ziehen, <strong>die</strong> in unserer völligen Isolierung und dem Versuch,uns <strong>die</strong> Rohstoffzufuhr nach Möglichkeit zu unterbinden, bestehen75 Dokumente II, S. 23076 Dokumente, S. 231f.43


<strong>1936</strong>dürften.“ 77 Darüber hinaus ist aus der französischen Hauptstadt Paris zuberichten: „Nach der hier allgemein verbreiteten und zeitweise auch vonFrançois-Poncet noch vor einigen Monaten kolportierten Mär soll unserwirtschaftlicher Niederbruch in der zweiten Hälfte <strong>des</strong> <strong>Jahres</strong> 1937 erfolgenund zur Ablenkung der Volksmeinung vorher der Krieg vom Zaungebrochen <strong>werden</strong>. Nach einer anderen Version soll nach einer Landunggrößerer Truppenmengen in Spanien und Verstärkung unserer dort befindlichenLuftgeschwader schon jetzt ein Zweifronten-Krieg gegenFrankreich geführt <strong>werden</strong>, wobei wir <strong>die</strong>smal nicht durch Belgien, sonderndurch <strong>die</strong> Schweiz marschieren würden. Es besteht kein Zweifeldarüber, dass <strong>die</strong>se abenteuerlichen Gerüchte größtenteils von der hiesigenSowjet-Botschaft verbreitet <strong>werden</strong>. Das Bedauerliche an der Sacheist aber, dass sie selbst von ernsten Leuten geglaubt <strong>werden</strong>.“ 78 Premier„Blum hat mich in der vorigen Woche zu sich kommen lassen, um einenach Mitteilungen <strong>des</strong> französischen Botschafters in Berlin bei uns bestehendeVerstimmung über das Versanden der Schacht’schen Aktionauszuräumen. Gleichzeitig gab er einem Reporter ein Interview, das inder Anlage beizufügen ich mir erlaube. Delbos hielt Anfang Dezemberseine viel beachtete Rede über <strong>die</strong> französische Außenpolitik, mit der er<strong>die</strong> Verständigungsaktion einleiten wollte. Am 11. d.M. ließ er unserenGeschäftsträger kommen und machte ihm <strong>die</strong> bekannten Eröffnungen,auf <strong>die</strong> wir eine Antwort bisher nicht gegeben haben; am 24. d.M hatteich eine lange Unterredung mit dem Außenminister, in der er <strong>die</strong> demBotschaftsrat Forster gemachten Erklärungen bestätigte und erweiterte.Als Vorbedingung für den Beginn von Verhandlungen wird ein Zusammengehenin der spanischen Nichtinterventionsfrage angesehen, dereine Ära <strong>des</strong> Friedens, bedingt durch eine geistige Abrüstung, folgensoll. Die Franzosen legen entscheidenden Wert auf <strong>die</strong> Schaffung <strong>die</strong>serAtmosphäre <strong>des</strong> Friedens und Vertrauens, ohne <strong>die</strong> ein Verhandelnzwecklos wäre. Die nächste Phase wäre der Beginn von Verhandlungen,denen vertrauliche Besprechungen vorausgehen könnten. <strong>Der</strong> normalediplomatische Weg wird hier bevorzugt und hat nach Ansicht französischerRegierungsstellen auch den Vorzug, dass er nicht auffällt undleichter geheim zu halten ist.“ 7977 Dokumente II, S. 232f.78 Dokumente II, S. 23379 Dokumente II, S. 23444


<strong>1936</strong>So will Graf Welczeck zur weiteren Konsoli<strong>die</strong>rung <strong>des</strong> Reiches als einerGroßmacht beitragen. Während Hitler also von der Notwendigkeit einerAuseinandersetzung <strong>des</strong> Reiches mit Frankreich ausgeht, will der Botschafterin Paris auf diplomatischen Weg eine Atmosphäre <strong>des</strong> Friedensmit Frankreich fördern. Wann wird dem Grafen der Verdacht kommen,dass seine Vorstellungen von einer vernünftigen Außenpolitik mit denen<strong>des</strong> Führers und Reichskanzlers in Berlin nicht kompatibel sind? Dochist nicht schon <strong>die</strong> Sprache <strong>die</strong>ses Briefes <strong>die</strong> Buckelsprache eines Untertanen,der versucht, so geschickt wie möglich an den Mann zu bringen,was er für notwendig hält? Es ist nicht einfach, in <strong>die</strong>ser Diktatur zuüberleben, wenn man nicht wie ein Nazi tickt. Das wissen auch <strong>die</strong> einfachenLeute auf der Straße, wo man <strong>die</strong>ser Tage das zu hören bekommt:Hitler kommt in Zivil in ein Kino. In der Wochenschau wird derFührer gezeigt und das Horst-Wessel-Lied gespielt. Alles steht auf, nurHitler bleibt sitzen. Da beugt sich ein Nachbar zu ihm und flüstert ihmzu: „Mensch, steh auf! Wir denken ja alle so wie du, aber <strong>die</strong> Nazis brauchendas nicht zu wissen!“ 8080 Hirche, S. 9745

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