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Ingo Triebe, Dresden Mein Erlebnisse und ... - AGGI-INFO.DE

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<strong>Ingo</strong> <strong>Triebe</strong>, <strong>Dresden</strong><strong>Mein</strong> <strong>Erlebnisse</strong> <strong>und</strong> Eindrücke vom Spätherbst 1989 bis Ende 1990Lange schon bestand in der zweiten Hälfte der 80er Jahre mehr oder weniger Sprachlosigkeitauf Seiten der Partei- <strong>und</strong> Staatsführung. Auf viele Fragen gab es keine oderausweichende Antworten. Manches schriftliche Argumentationsmaterial wirkte geradezugrotesk <strong>und</strong> löste die unterschiedlichsten Reaktionen aus, vom spontanen Gelächter bishin zu wütenden Schimpfkanonaden.In dieses Bild paßten auch viele Entscheidungen im militärischen Bereich. Die Ausrüstungvon Einheiten mit Gummiknüppeln <strong>und</strong> Schutzschilden sowie die polizeitaktische Ausbildungdieser Einheiten im Herbst 1989 standen im krassen Widerspruch zum Klassenauftragder Partei, den äußeren Schutz der DDR zu Land, zu Wasser <strong>und</strong> in der Luft jederzeitzu gewährleisten. Der immer wieder gepredigte militärische Klassenauftrag war von heuteauf morgen ad absurdum geführt. Der Vertrauensbruch war vollzogen, zumal auch Informationenüber Amtsmißbrauch <strong>und</strong> Korruption der überalterten Führungsriege bekanntwurden. Von daher war keine Bereitschaft zu echten Reformen zu erwarten.Auch im Führungsorgan der 7. Panzerdivision gab es die abenteuerlichsten, unverhohlengeäußerten Gedanken, z.B.: „Man müßte mit der Panzertechnik ausrücken <strong>und</strong> alle wichtigenVerkehrsknotenpunkte blockieren!“ Die Haltung zu den Massenaufläufen, Demonstrationenwie auch zur Sprachlosigkeit der politischen Führung war sehr breit gefächert.Wie geht es weiter? Was kommt noch? Wer führt denn eigentlich? Haben wir noch einepolitische oder „nur noch militärische“ Führung? Fragen über Fragen.In dieser Phase wurde der Ruf nach Reformierung der politischen <strong>und</strong> militärischen Zielstellungsowie zum Soldaten-Mitspracherecht immer lauter.Am 02. März 1990 wurde im Führungsorgan der 7. PD eine Sektion des Verbandes derBerufssoldaten (VBS) gegründet, deren Mitglied ich wurde. Diese Sektion entwickelte einegroße Zahl von Aktivitäten, angefangen von Einzelgesprächen über Diskussionsr<strong>und</strong>enbis hin zu Foren mit Vertretern der territorialen politischen Gruppierungen. Wir bemühtenuns um Öffnung nach außen <strong>und</strong> wollten wissen, mit welchen Vorstellungen der unterschiedlichenpolitischen Gruppierungen wir es zu tun hatten <strong>und</strong> welchen Patz darin dieNVA einnahm. Enttäuscht waren wir darüber, daß einige Vertreter dieser Gruppierungen<strong>und</strong> Parteien unserer Einladung zum offenen Dialog nicht folgten. Das waren insbesondereostdeutsche Politiker, aber z.B. auch der spätere Ministerpräsident des FreistaatesSachsen ,Prof. Kurt Biedenkopf. Damit offenbarten sie nach unserer Auffassung ihreHaltung zu den Streitkräften <strong>und</strong> der Perspektive der NVA.Mitte Oktober 1990 fand die Auflösung des VBS <strong>und</strong> die Gründung der Truka 7. PD desDBwV statt. Für mich war die Mitgliedschaft im DBwV folgerichtig <strong>und</strong> selbstverständlich.Hat sich doch der DBwV auf die Fahne geschrieben „Ein Staat – eine Armee – ein Recht!“<strong>und</strong> setzte sich für die Integration der NVA in die B<strong>und</strong>eswehr ein. Damit konnte ich michidentifizieren. Die Kontinuität <strong>und</strong> Hartnäckigkeit, mit der der DBwV diese Ziele bis heuteverfolgt, bestätigen nur die Richtigkeit meines Entschlusses.Mit der neuen politischen Führung der NVA unter Herrn Eppelmann taten wir uns schwer.Ein Pfarrer, der den Dienst unter Waffen ablehnte, als neuen Dienstherrn – das empfandenwir völlig überspannt. Wir sprachen ihm jedes Verständnis für unsere Belange,Sorgen <strong>und</strong> Nöte sowie die Fähigkeit zur politisch klugen Führung der Armee zunächst ab.Im weiteren Verlauf der Entwicklung in Richtung Wiedervereinigung änderte sich jedochallmählich unsere Haltung zu seiner Person. Das beruhte jedoch vorrangig auf seinenöffentlichen Erklärungen, in denen er die Sorgen der Armeeangehörigen in dieser Zeitreflektierte, <strong>und</strong> aus denen wir Hoffnungen für unsere persönliche Perspektive ableiteten.Übrig blieb jedoch letztendlich die Enttäuschung darüber, daß bei der Ausgestaltung des


Einigungsvertrages die Fragen der sozialen Absicherung (u. a. die Rentenproblematik)nach unserer Auffassung nicht bzw. äußerst unzureichend fixiert wurden. Die Auswirkungentragen wir ja heute noch.Uns war im Verlauf der Entwicklung klar geworden, daß nur eine Integration der NVA indie B<strong>und</strong>eswehr vernünftig sein konnte. Unklar waren uns jedoch die Modalitäten dazu.Viele Informationen erhielten wir in der Folge, sowohl mündlich als auch in schriftlicherForm: z.B. IAP-Dienst Sicherheitspolitik; Fernschreiben des Ministers für Abrüstung <strong>und</strong>Verteidigung Rainer Eppelmann zum Ergebnis des Treffens von B<strong>und</strong>eskanzler Kohl <strong>und</strong>Präsident Gorbatschow am 15. Juli 1990; von der Hauptabteilung Recht <strong>und</strong> Soziales die„Kommentierung der im Einigungsvertrag enthaltenen Regelungen hinsichtlich der Rechtsverhältnisse<strong>und</strong> sozialen Leistungen für die Soldaten der NVA sowie Erläuterungeneiniger Rechtsfragen der Arbeitsverhältnisse der Zivilbeschäftigten <strong>und</strong> der Regelungendes Arbeitsförderungsgesetzes“ <strong>und</strong> das „Merkblatt über die personalrechtlichen Bestimmungendes Einigungsvertrages für Angehörige der NVA“ des B<strong>und</strong>esministers derVerteidigung vom 17. September 1990.Die Ereignisse überschlugen sich fast. Gedanken an Auflösung der NVA ließen wir nichtzu. Einer Integration in die B<strong>und</strong>eswehr standen wir nicht ablehnend gegenüber, zumaldie Wiederherstellung der Einheit Deutschlands dem Willen der überwiegenden Mehrheitdes Volkes entsprach. Etwas anderes, als Loyalität zum Volkswillen, konnte es folglichnicht geben. Denn nur in diesem Sinne konnten wir unseren Auftrag, den Frieden zusichern <strong>und</strong> zu erhalten, verstehen. Deshalb bildete sich bei uns eine klare Haltungbezüglich der zu erwartenden Begegnung mit den Vertretern der B<strong>und</strong>eswehr heraus. Siebedeutete: keine Berührungsängste, offenes Aufeinanderzugehen vom ersten Tag an,Loyalität <strong>und</strong> Kooperation in allen Fragen.Es zeigte sich, daß das sowohl wir als auch unsere neuen Kameraden zu vielen DingenWissensdefizite hatten. Trotzdem schien es, daß wir besser über die B<strong>und</strong>eswehr alsunsere Gesprächspartner aus der B<strong>und</strong>eswehr über die NVA informiert waren. Da wurdenz. B. Fragen nach der Bedeutung der Begriffe „Lehrgefechts- <strong>und</strong> Gefechtstechnik“gestellt. Ebenso war das Erstaunen über den hohen Stand der Gefechtsbereitschaft, inwenigen St<strong>und</strong>en bereits in Kampfhandlungen eintreten zu können, entsprechend groß.Auch vor dem Hintergr<strong>und</strong>, daß nach ihrer Information die B<strong>und</strong>eswehr erst nach sechsTagen kampfbereit wäre. Der Gedankenaustausch berührte in diesem Zusammenhangnatürlich auch das Familienleben unter diesen Bedingungen. Dabei zollten uns dieGesprächspartner Hochachtung darüber, daß wir sozusagen freiwillig solche persönlichenHärten auf Kosten unserer Familien getragen haben – <strong>und</strong> das (fast) ohne jeden finanziellenAusgleich.Zugleich wurden wir aber auch des öfteren mit der Vorhaltung konfrontiert, wir seienprivilegiert, da man in der DDR ja nur als Mitglied der SED Offizier sein konnte. Ich habe„bestätigt“, daß ich „privilegiert“ war, indem ich meine eigenen Berufswünsche niemalsverwirklichen konnte (ich komme nicht aus der Arbeiterklasse <strong>und</strong> der Besuch einerOberschule zum Erwerb des Abiturs war mir verwehrt). Aus dieser Situation heraus wardie Erfüllung meiner Berufswünsche nur über den „Umweg NVA“ möglich. Und schließlichwar es die SED, die mir „ die weitere berufliche Entwicklung“ vorschrieb, denn Offizier zuwerden, entsprach bei der Berufswahl überhaupt nicht meinen Vorstellungen. Ich wollteeinmal Bauingenieur <strong>und</strong> später Architekt werden. Weiter antwortete ich, daß ich 17 Jahreauf einen Neuwagen warten mußte, wie „Otto Normalverbraucher“ in der DDR. Aucherwähnte ich, daß es für mich „ein großes Privileg“ war, keine für eine spätere zivile Tätigkeitgeeignete Qualifizierung erfahren zu haben, da jede Weiterbildung nur auf die Erfüllungder militärischen Aufgaben ausgerichtet war. Das hatten sich unsere Gesprächspartnervon der B<strong>und</strong>eswehr anders vorgestellt. Sie pauschalisierten das Offiziersbild derNVA. Und wir stellten fest, daß uns viele Realitäten über die B<strong>und</strong>eswehr vorenthaltenwurden, um dem hohen Stand der Gefechtsbereitschaft keinen moralischen Schaden


zuzufügen. Das Bild von der permanenten Aggressionsbereitschaft der B<strong>und</strong>eswehr,welches uns ständig suggeriert wurde, hing völlig schief.Unsere Dienstauffassung war wesentlich genauer <strong>und</strong> strenger nach den geltendenVorschriften ausgerichtet. So stand die Sicherheit beim Umgang mit Bewaffnung <strong>und</strong>Munition sowie mit dienstlichen, vertraulichen <strong>und</strong> geheimen Unterlagen <strong>und</strong> Dokumentenabsolut im Vordergr<strong>und</strong>. Jede Abweichung davon wurde auf der Gr<strong>und</strong>lage der Meldeordnungder NVA <strong>und</strong> anderer Vorschriften behandelt. Es folgten dann Untersuchungen,Ermittlungen, Disziplinarmaßnahmen <strong>und</strong> Parteistrafen.Unter den neuen Dienstherren der B<strong>und</strong>eswehr (ab 3. Oktober 1990) war plötzlich allesganz anders. Als die Versiegelung an der Waffenkammer des FO über Nacht entferntworden war, wurde dieser Sachverhalt wie gewohnt als „Besonderes Vorkommnis“ gemeldet<strong>und</strong> im Dienstbuch des Offiziers vom Dienst vermerkt. Die Meldung an den Vorgesetztenwurde lächelnd mit dem Kommentar zur Kenntnis genommen, daß das nichtweiter erforderlich wäre. Ähnliches vollzog sich mit der Sicherung der VS – Stelle.Erstaunen löste auch die Handhabung des Erfassens <strong>und</strong> Verpackens der Handfeuerwaffenaus: zunächst wurde Waffe für Waffe nach Typ <strong>und</strong> Herstellernummer in einerListe erfaßt <strong>und</strong> in Kisten verpackt. Nachdem bemängelt wurde, daß diese Vorgehensweisezu aufwendig sei, wurden die Waffen nur noch nach Stückzahl <strong>und</strong> Typ erfaßt.Am 02. Oktober 1990 hatte ich für 18:30 Uhr Befehl zum Uniformwechsel. Es war schonein eigenartiges Gefühl, die gewohnte Uniform aus- <strong>und</strong> die andere Uniform anzuziehen.Das war vergleichsweise wie die Häutung bei den Schlangen – die Haut (Uniform) wirdgewechselt, aber der Kern (die Persönlichkeit) bleibt dieselbe. Aber bleibt sie das wirklich?An das Tragen der neuen Uniform habe ich mich einigermaßen gewöhnt, war es ja auchnur für eine relativ kurze Zeit (bis zum 31. 12. 1990). Sonst hatte sich in der Dienstdurchführungals Operativer Diensthabender eigentlich wenig verändert. Der Dienst wurdewie bisher nach Dienstplan durchgeführt. Die Meldeordnung war außer Kraft gesetzt. Meldungenüber besondere Vorkommnisse wurden an den Dienstvorgesetzten entsprechendseiner Aufgabenstellung gemacht. Der allmorgendliche Rapport fand wie bisher statt.Allmählich tat sich ein Gefühl auf, als hätte sich ein Krampf gelöst – der Dienstablauf wardeutlich lockerer <strong>und</strong> unbeschwerter. Sicherlich lag das auch daran, daß die DienststellungOpD eigentlich in kein Strukturschema mehr paßte <strong>und</strong> von daher ein vorübergehendnoch geduldetes Fragment war.Für mich war eigentlich von Anfang an klar, daß ich naiv wäre, an eine Übernahme zuglauben. Ich war damals 49 Jahre alt. Über Qualifikationen, die eine Eignung für eineWeiterverwendung in der B<strong>und</strong>eswehr ermöglichen würden, verfügte ich nicht. Also standmein Entschluß fest. Am 26.11. 1990 stellte ich den Antrag auf Entlassung aus dem aktivenWehrdienst zum 31.12.1990. Mit Datum vom 07.12.1990 erhielt ich am 20.12.1990von der Außenstelle Strausberg des B<strong>und</strong>esministerium der Verteidigung die Bestätigungmeiner Entlassung gemäß § 7 Absatz 1, Satz 4 Nr. 3, Kapitel XIX, Sachgebiet B AbschnittII Nr. 2 der Anlage I zu Artikel 8 des Einigungsvertrages zum 31. Dezember 1990 ausstrukturellen Gründen. Und mit dem fre<strong>und</strong>lich abschließenden Satz: „Für Ihren weiterenLebensweg wünsche ich Ihnen alles Gute“, endete am 31. Dezember 1990 ein überdreißigjähriger Lebensabschnitt für mich.Die Zukunft brachte für mich fast erwartungsgemäß nicht „alles Gute“, denn sie heißtMarktwirtschaft <strong>und</strong> offenbarte sich mir bis heute mit all ihren Facetten – von Umschulung,beruflicher Selbständigkeit für ein halbes Jahr bei einer Versicherungsgesellschaft, Aufgabeder Selbständigkeit aus existenziellen Gründen, Tätigkeit als Verkaufsberater fürBüromöbel, Tätigkeit als K<strong>und</strong>endienstmitarbeiter für die Montage von Büromöbeln,Schrank- <strong>und</strong> Trennwandsystemen, Küchenmonteur <strong>und</strong> Speditionsfahrer, Arbeitslosigkeit(schwer vermittelbar aus Altersgründen) bis zur gegenwärtig noch ausgeübten Tätigkeitals Separatwachmann in einer großen Dienstleistungsgruppe. Insgesamt war das bis


heute ein kontinuierlicher sozialer Abstieg bis an die Grenze des „gerade nochErträglichen“. So habe ich mir seit 1992 keinen Urlaub mehr leisten können <strong>und</strong> muß michtäglich auf das Notwendigste beschränken.Ungeduldig erwarte ich deshalb den „Einstieg in die Rente“ <strong>und</strong> kämpfe in der Gemeinschaftdes DBwV um die Herstellung der Rentengerechtigkeit, die Besoldungsgleichheit inder B<strong>und</strong>eswehr <strong>und</strong> vieles Andere.

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