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Dokumentation des 12. MainzerMediendisputs (2007) [PDF]

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BROT & SPIELEFINANZ-MACHT UND DEMOKRATIEVERFALL© Illustration: Gerhard Mester<strong>Dokumentation</strong><strong>12.</strong> MainzerMedienDisput


Gegen Halbwahrheiten und Gerüchtehilft nur eine gute RechercheIn der modernen Mediengesellschaftkann mit gezielt gestreuten Gerüchten,aufgebauschten Nebensächlichkeitenoder falschen Tatsachenbehauptungendas Ansehen eines Menschen schnellbeschädigt oder gar zerstört werden.Oft erfolgen massive Eingriffe in diePrivatsphäre.Zeitungs- oder Fernseh-Kampagnenbetreffen nicht nur Prominente, sondernauch zufällig Beteiligte bei Katastrophenoder Entführungen. Sie werden zuOpfern sensationslüsterner Darstellungen– teilweise mit schweren psychischenFolgen. Rufmord und MedienopferDie Verletzung der persönlichen Ehre272 Seiten, BroschurISBN 978-3-86153-424-219,90 EUR20 Autoren zeigen an exemplarischenBeispielen, welche Mechanismen imHintergrund wirken, wo die Gefahrenlauern und wie man sich gegebenenfallswehren kann. Die aus gewiesenenMedienjournalisten und Presserechtsexpertenplädieren für eine neueMedienkultur im Umgang mit derpersönlichen Integrität und unterbreitenkonkrete Vorschläge.Ch. Links VerlagSchönhauser Allee 3610435 BerlinTel.: (030) 44 02 32-0Fax: (030) 44 02 32-29www.linksverlag.de


BROT & SPIELEFINANZ-MACHT UND DEMOKRATIEVERFALL<strong>Dokumentation</strong> <strong>2007</strong> und Vorschau 2008Medienpartner <strong>des</strong> MainzerMedienDisputs:Unsere Sponsoren und Wirtschaftspartner:


INHALT4 Thomas Leif – Vorwort6 Prof. Markus Schächter – (Keine) Angst vor Europa?12 Joschka Fischer – Die Seele Europas26 Panel „Brüssel: Eldorado der Interessenvertreter“30 Jürgen Hogrefe40 Hans Martin Tillack42 Dr. Ulf Böge46 Rolf-Dieter Krause48 Panel „Skumpf und Reibach – Klischees und Kolportage“51 Niels Kadritzke53 Martin Romanczyk54 Bettina Warken57 Claudia Deeg58 Panel „Zwischen Greenwashing und Avantgarde –Wegmarken zur europäischen Öffentlichkeit“61 Reinhold Albert62 Martin Stadelmaier63 Monika Oelz66 Panel „Zeilenschinder und Langweiler –auf dem Strich der europäischen Medienarena“68 Brigitte Alfter72 Michael Grabner74 Bericht „Sumpf und Reibach ...“Anne Kauth78 Bericht „Zwischen Greenwashing und Avantgarde ...“Phoebe Gaa82 Dr. Heribert PrantlLaudatio zur Verleihung <strong>des</strong> Journalisten-Preises „Leuchtturm“durch das netzwerk recherche e. V.2


94 MainzerMedienDisput in Berlin„Was wissen wir noch vom Weltgeschehen?“123 Fritz PleitgenExistenzpflicht135 Lutz Mükke14 Thesen und Empfehlungen zur Auslandsberichterstattung139 Dr. Thomas LeifPressefreiheit unter Druck155 Prof. Dr. Ulrich SarcinelliDie Kanzler und die Medien163 Prof. Dr. Stephan Weichert / Leif KrampWer prägt die politische Agenda in der Berliner Republik?171 Dr. Claus RichterDer „Liberty Award“ und der Zustand <strong>des</strong> Berliner Journalismus175 Die Macht der Pressesprecher – und die Anforderungen von Journalisten179 Peter BoudgoustHochmut kommt vor dem Fall3


„Lobbyisten in die Produktion.“Peer Steinbrück, Finanzminister, (dpa, 10.1.2006)Die Medienpolitik, der Lobbyismus und die Demokratie.Ungezügelter Lobbyismus untergräbt die Vertrauensbasis der Abgeordnetenund das Ansehen <strong>des</strong> ParlamentsThomas LeifDer Bun<strong>des</strong>verband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) war zufrieden. Die Ministerpräsidentenhätten mit dem neuen Rundfunkstaatsvertrag „wichtige Schranken“gegen die wettbewerbsverzerrende Konkurrenz von ARD und ZDF eingezogen. Beiden presseähnlichen Internetangeboten seien „klare Grenzen“ markiert worden.Die Zufriedenheit der Verleger ist berechtigt, ihr Jubel nachvollziehbar. Ein Erfolgder konsequenten, beinharten Lobbyarbeit der Verleger. Doch einige Verleger –wie Alfred Neven DuMont (Frankfurter Rundschau, Kölner Stadtanzeiger, Express...) protestierten scharf gegen diese z u positive Stellungnahme ihres Verban<strong>des</strong>.Der Intendant <strong>des</strong> ZDF, Markus Schächter, hat dagegen das Vertragswerk alsErgebnis <strong>des</strong> erfolgreichen Verleger-Lobbyismus kritisiert. Der Rundfunkstaatsvertrag:ein typisches Beispiel für ungezügelten Lobbyismus in der Medienpolitik,dem gewählte Volksvertreter nicht einfach nachgeben dürften. Im vergangenenJahr hat der MainzerMedienDisput diese Frage erörtert; in dieser <strong>Dokumentation</strong>finden Sie wichtige Texte und Debatten zu diesem Thema. Medienpolitik stehtunter massiven Lobbydruck und gleichzeitig geringer öffentlicher Beobachtung,nicht nur weil die Verleger den Wert der Medienkritik „in eigener Sache“ in deneigenen Blättern durchaus zu schätzen wissen. Auch <strong>des</strong>halb müssen sich öffentlicheForen auch weiter mit dieser Zukunftsfrage der Demokratie beschäftigen.Im Berliner Alltag sind viele Politiker längst in enger Tuchfühlung mit den gut 1900Lobbyisten verbunden. Die fürsorgliche Belagerung der hochbezahlten „Einflüsterer“und „Partner im parlamentarischen Prozeß“ ist für viele unter der Kuppel <strong>des</strong>Reichstags so normal wie der Hammelsprung. Denn der hochqualifizierte Lobby -ismus agiert als professionelle Schattenmanagement der Politik- in einer sicherenTabuzone. Das dichte Lobby-Netz rund um das Berliner Regierungsviertel –ist immer noch eingehüllt in gemeinsames Schweigen aller Beteiligten. Man kenntsich, man versteht sich, man hilft sich. Doch hinter dieser Kulisse der Harmonie undSelbstverständlichkeit treten mittlerweile durchaus Zweifel und Skepsis hervor.Prominente lobbykritische Stimmen sind immer häufiger zu vernehmen. Zuletztwarnte Aussenminister Frank-Walter Steinmeier auf dem SPD-Parteitag MitteOktober vor „einem Europa der Lobbyisten.“ Solche Warnungen bleiben nichtfolgenlos. Auch in der Medienpolitik werden Abgeordnete auf allen Ebenen – wieder lobby-erfahrene SPD-Abgeordnete Lothar Binding analysiert – „mit Beharrlich-4


keit, Ausdauer und Engagement `beackert´“. Aus der politischen Praxis erklärt erdie Methoden der Lobbyisten: „Lobbyisten bieten nicht nur Zeit für Gespräche, sieofferieren auch Fakten; sie versuchen auch, uns Arbeit abzunehmen, indem sie füruns Gesetzesentwürfe der Bun<strong>des</strong>ministerien lesen, Gerichtsurteile auswerten,Stellungnahmen und Broschüren verfassen, wissenschaftliche Gutachten beauftragenund kommentieren, Pressespiegel und Statistiken erstellen, politische Initiativenauf europäischer und internationaler Ebene beobachten. Sie erarbeiten Synopsenund Kommentare sowie Kommentare über Kommentare, es werden Positionspapiereund Gegenpositionspapiere geschrieben, formell z. B. im Rahmen einerAnhörung verteilt oder inoffiziell `reingereicht, erklärt und begründet.“Dieses Erfahrungswissen aus dem parlamentarischen Maschinenraum wirft dieFrage auf, was Lobbyisten nicht tun?Parlamentarier nehmen die Lobby-Herausforderung anAll diese Fehlentwicklungen blieben nicht ohne Folgen, weil sie die Legitimationvon gewählten Abgeordneten und dem Allgemeinwohl verpflichteten Ministernanzweifeln sowie die Reputation <strong>des</strong> Parlaments beschädigen.Der Tenor der Kritik aus verschiedenen Fraktionen: „Lobbyisten brauchen klarerechtliche Grenzen und strikte Transparenzgebote. Zudem müssen sie intern zweifelhafteMethoden in einem eigenen Kodex ausschließen und korruptive Praktikensanktionieren.“ Auffällig ist, dass der Unmut über die Übermacht der Lobbyistenmittlerweile auch bei einigen politischen Profis der Branche angekommen ist. Sokann sich die frühere parlamentarische Staatssekretärin und heutige Chef-Lobbyistin<strong>des</strong> Verban<strong>des</strong> forschender Arzneimittelhersteller, Cornelia Yzer, „eine legislativeFußspur“ vorstellen, „die auflistet, wer bei der jeweiligen Gesetzgebung mitgewirkthat.“ Aber die CDU-Politikerin geht noch weiter: „Der Lobbyismus in Deutschlandund Europa muss transparenter werden, wenn er nicht nur legitim, sondernauch akzeptiert sein will. Wir brauchen ein verbindliches Lobbyregister und verbindlicheSpielregeln. Der `Hinterzimmer-Lobbyismus´ ist doch jetzt schon eher Schauermärchenals politische Realität.“ Dazu kommt -so Yzer- ein präziser Verhaltens-Kodex für Lobbyisten und ein verpflichten<strong>des</strong> Lobbyregister. „Auf jeden Fall solltejeder Interessenvertreter den Tätigkeitszweck und seine Finanziers offen darlegen.“Manche Lobbyisten haben registriert, dass nur eine intelligente Selbstbeschränkungund nachprüfbare Transparenzregeln die Garanten für ihre Handlungsfähigkeitsind. (vgl. die Texte der Lobbyisten in dieser <strong>Dokumentation</strong>)Die Kritik am Lobbyismus ist zumin<strong>des</strong>t bei Literatur-Nobelpreisträgern, dem Bun<strong>des</strong>rechnungshof, Verfassungsrichtern und nicht wenigen Spitzenpolitikern angekommen.Zu diesem Kreis der politischen Klasse müssten sich eigentlich auch dieVerleger gesellen. Ihre Profession und publizisitische Sonderstellung stützt sich jaauf Transparenz, Unabhängigkeit, Kritik, Analyse und Meinungspluralismus.Ein kostenlosen Reader zum Thema „Lobbyismus“ und eine „werkstatt-<strong>Dokumentation</strong>“ zur Fachtagung von netzwerk recherche kann unterwww.netzwerkrecherche.de heruntergeladen werden.5


(Keine) Angst vor Europa?Prof. Markus SchächterIch freue mich sehr, Sie zum <strong>12.</strong> Mainzer Mediendisput zum Thema „KonzernEuropa – verkümmerte Öffentlichkeit, steigende Kurse, blühende Bürokratie“ imZDF begrüßen zu dürfen. Der Mainzer Mediendisput ist als Garant für interessantemedienpolitische Diskussionen zu einer schönen Tradition geworden. Mein Dankgilt den Veranstaltern.Politische, komplexe Sachverhalte vermitteln sich nur über Bilder. Wir sind es, dieEuropa eine Gestalt geben.Anlässlich <strong>des</strong> 50. Geburtstag <strong>des</strong> vereinten Europas hat die Bun<strong>des</strong>kanzlerin unddamalige EU-Ratspräsidentin Angelika Merkel die Staats- und Regierungschefs derEU-Mitgliedsländer zu einem Konzert in die Berliner Philharmonie eingeladen. Eswurde die 5. Sinfonie von Ludwig van Beethoven gespielt. Dank der EBU wurde dasKonzert in acht europäische Mitgliedsstaaten übertragen. Das ZDF hat die Veranstaltungzur besten Sendezeit um 18 Uhr für das deutsche Publikum ausgestrahlt.Die Sendung war ein Teil <strong>des</strong> ressortübergreifenden ZDF-Programmakzents anlässlichder deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Die Begleitung und Einordnung derkomplexen europäischen Prozesse findet im ZDF sowohl ereignisbezogen als auchkontinuierlich statt. Die Europaberichterstattung ist ein selbstverständlicher unddamit verlässlicher Bestandteil <strong>des</strong> ZDF- Informationsprofils – im Unterschied zuden privaten Programmen, die bestenfalls ereignisbezogen berichten. Das ZDF warder erste und ist immer noch der einzige Sender, der ein werktägliches Europa -magazin „heute in Europa“ im Programm hat und dies mit großem Erfolg, trotzimmer wieder beobachtbarer Europaskepsis.Das ZDF hat es sich zur besonderen Aufgabe gemacht, die Einigung Europas zubegleiten. Ganz bewusst wird die europäische Berichterstattung dabei nicht aufdie abstrakte Ebene der Brüsseler Institutionen mit ihren bürokratischen Strukturenreduziert. Vielmehr sollen am Beispiel konkreter Erfahrungen der Menschen,den Zuschauern die Veränderungen in Europa nahe gebracht werden. Im Mittelpunktsteht die Frage: Europa, was geht mich das an und warum ist es wichtig fürmich? Diese Haltung wird in Begleitangeboten wie dem Online-Schwerpunkt zuEuropa oder dem Europabus, der vor Ort das Gespräch mit den Bürgern sucht,praxisnah umgesetzt. Die hohe Qualität europäischer Berichterstattung im ZDF6


wird vor allem durch Korrespondenten vor Ort, eine Europaredaktion sowie eineVernetzung <strong>des</strong> europäischen Gedankens im Gesamtprogramm gewährleistet.Ohne die Öffentlich-Rechtlichen fände Europa im Leitmedium Fernsehennicht statt.Wir berichten über Europa, auch wenn wir für dieses Thema nicht immer dieZuschauer finden. Eine Studie <strong>des</strong> Instituts für empirische Medienforschung zurThemenstruktur von Nachrichtensendungen kommt zu dem Ergebnis, dass 2006 inden Hauptnachrichtensendungen und Nachrichtenmagazinen bei ZDF, ARD, RTLund SAT1 629 Minuten über europapolitische Themen (im Bereich internationalePolitik) berichtet wurde. Knapp 90 Prozent der Berichterstattung entfällt auf dieÖffentlich-Rechtlichen. Die Untersuchung zeigt ferner, dass bei den Öffentlich-Rechtlichen durch die ausführliche journalistische Begleitung die Verknüpfung <strong>des</strong>EU-Ratsvorsitz mit anderen Themen wie der EU-Verfassung oder dem EU-Beitrittder Türkei gelang.Europa braucht eine publizistisch rege Öffentlichkeit, um die Menschen fürseine Ideen zu gewinnen.Ein erfolgreicher Integrationsprozess setzt einen kontinuierlichen öffentlichen Diskursüber politische Entscheidungen, aber auch die Kultur und den Alltag der Menschenin Europa voraus. Denn von der europäischen visionären Grundidee <strong>des</strong>friedlichen Zusammenlebens der Kulturen in der Hoffnung auf eine bessereZukunft ist in der Alltagspraxis oft nur noch wenig zu spüren. Viel zu oft bestimmenkomplexe bürokratische Regelungen und wirtschaftliche Erwägungen die Agenda.Nur wenn es gelingt, die Menschen nachhaltig für Europa zu begeistern, kann dieIntegration gelingen.Die Öffentlich-Rechtlichen brauchen ein stabiles Fundament.Europa ist für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk jedoch nicht nur in der Rolle <strong>des</strong>Berichterstatters relevant. Auch die Entwicklungsperspektiven der Medien allgemeinund insbesondere <strong>des</strong> öffentlich-rechtlichen Rundfunks werden zunehmenddurch die EU-Kommission bestimmt. Die Diskussion um medienpolitische Entscheidungenist vielfach durch Konflikte geprägt.Die Kommission betrachtet den Rundfunk in erster Linie als ein ökonomisches Gutwie je<strong>des</strong> andere. Wir halten in guter deutscher Tradition, die jüngst das Verfassungsgerichtbestätigt hat, dagegen: Rundfunk ist vor allem ein Kulturgut, ökonomischeAspekte dürfen nicht in den Vordergrund gestellt werden. Der Rundfunk8


edarf aufgrund seiner meinungsbildenden Funktion besonderer Regulierung.Vielfaltssicherung ist das höchste Gebot. Das Bun<strong>des</strong>verfassungsgericht hat in seinemjüngsten Urteil ausgeführt, dass sich trotz der Vielzahl der Übertragungswegeund Anbieter keinesfalls automatisch im freien Spiel der Kräfte Meinungsvielfalteinstelle.Beispiel Frequenzpolitik: Bereits im März diesen Jahres haben die Ministerpräsidentender Länder dem Frequenzhandel eine klare Absage erteilt. Ungeachtet <strong>des</strong>senhat die Kommission die Empfehlungen zur Reform der Telekommunikation letzteWoche ans europäische Parlament weitergegeben. Wir teilen nach wie vor nichtdie ökonomische Grundhaltung; eben sowenig die Annahmen, dass es bei derUmstellung von analogem auf digitalen Rundfunk eine digitale Dividende gäbe unddass es aktuell bereits paneuropäische Rundfunkangebote gäbe, die eine europäischeRegulierungsbehörde erforderlich machen würde. Ein Forschritt wurde insofernerzielt, als dass den Nationalstaaten freigestellt ist, beim Handel mit Frequenzenfür den Rundfunk Ausnahmeregelungen zu treffen.Beispiel Beihilfeverfahren: Auch im vom VPRT angestrebten Beihilfeverfahrenhaben die Länder und Brüssel lange miteinander gerungen. Im Kern ging es ausdeutscher Sicht dabei um die Frage, in welchen Punkten der Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen, insbesondere im Hinblick auf die digitalen Aktivitäten, präzisiert werdenmuss.Beide Konfliktlinien verdeutlichen, wie existenziell die Entscheidungen aus Brüsselfür die Zukunftsfähigkeit <strong>des</strong> öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind. Denn einesmuss klar sein: Nur ein starker, vor staatlichen Eingriffen geschützter öffentlichrechtlicherRundfunk kann seinem Auftrag für Demokratie und Integration erfüllen.Qualitätsangebote sind nicht voraussetzungslos möglich: Qualität erfordert dieAnerkennung der besonderen Stellung <strong>des</strong> öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Auchder Blick auf andere Branchen zeigt, dass das Damoklesschwert der Existenzvernichtungallzeit gegenwärtig ist.Trotz aller Herausforderungen und Konflikte, die sich bei der praktischen Umsetzungder europäischen Integration ergeben, überwiegt ein Chancenszenario.Nach zähem Ringen wurde Ende letzten Jahres ein Kompromiss im Beihilfeverfahrengefunden. Das Kernstück der Einigung ist das Drei-Stufen-Verfahren. Dabei istes gelungen, differierende Anforderungen in der Verfahrensregelung zum Drei-Stufen-Testzusammenzuführen. Die verfassungsmäßig geschützte Programmautonomiewird dadurch gewahrt, indem die Beauftragung durch die Gremien, als Reprä-9


sentanten der gesellschaftlichen Gruppen, erfolgt. Die Genehmigung neuer undveränderter Dienste liegt in der Verantwortung der Gremien.Ein vermeintlicher Widerspruch könnte sein, dass Brüssel den Funktionsauftragmöglichst genau konkretisiert haben möchte, während Karlsruhe nur eine abstrakteDefinition <strong>des</strong> Funktionsauftrages zulässt. Dieser scheinbare Widerspruch löst sichaber dann auf, wenn der Funktionsauftrag der Anstalten, wie im Kommissions -papier vorgesehen, gewissermaßen arbeitsteilig und gestuft vom Gesetzgeber undden Gremien konkretisiert wird. Der Gesetzgeber setzt den staatsvertraglichenRahmen für die Aufgabenfelder der Anstalten, die Gremien nehmen im 3-Stufen-Verfahren die konkrete Mandatierung vor.Ich bin gebeten worden, zum Thema (Keine) Angst vor Europa? zu sprechen. Wirhaben keine Angst vor Europa. Die europäische Integration ist ein offener Prozess.Dieser Prozess kann Irrtümer enthalten – birgt aber auch die historisch einmaligeChance, sie zu korrigieren. Mein Fazit: Unser Verhältnis zu Europa ist durch Kommunikation,Konflikte und Kompromisse geprägt.Gerade die medienpolitischen Aushandlungsprozesse zeigen exemplarisch dieHerausforderungen für den europäischen Integrationsprozess. Der Beihilfekompromissverdeutlicht, dass das Augenmaß aller Parteien gefordert ist. Für alle sollteder Grundsatz der Rücksichtnahme gelten, um konstruktive Lösungsansätze zuermöglichen. Auch Beethovens Fünfte ist zu Beginn durch Resignation über denStatus quo nach der gescheiterten Befreiung Europas geprägt. Erst gegen En<strong>des</strong>etzt Beethoven einen utopischen Kontrapunkt: einen Hoffnungsentwurf, eineAbsage an die resignativen Kräfte. Manchmal führt – wie in der Schicksalssymphonie– erst ein steiniger Weg zum Ziel: Auch wir werden nicht müde, an der Verwirk -lichung der europäischen Idee zu arbeiten. Lassen Sie uns gemeinsam die Chancennutzen.11


Die Seele EuropasJoschka FischerRecht herzlichen Dank für die freundliche Ankündigung. Meine Damen und Herren,Herr Ministerpräsident, ich freue mich, heute wieder hier in Mainz zu sein und überdie Seele Europas zu sprechen.Mit der Seele ist es so eine Sache. Über Jahrhunderte haben Theologen verzweifeltversucht, sie irgendwie theoretisch in den Griff zu bekommen oder sie auch praktischden Menschen entsprechend nahe zu bringen. Sie ist flüchtig. Man weiß nichtso recht, worüber man spricht, wenn man versucht sich dem Thema intellektuell zunähern. Es ist mehr eine Erfahrungs- oder auch eine Gefühlsfrage.Erstaunlicherweise ist mir die Seele Europas so recht erst in Amerika nahe gekommen.Denn plötzlich stellte ich fest: Da fehlt mir etwas. Das war nicht Deutschland,so nahe mir mein eigenes Land tatsächlich auch ist, es war eher die Sehnsuchtnach Europa, nach einem anderen Alltag, nach einem anderen Lebensstil, nach derBuntheit. Wenn Sie hier an der Westgrenze der Bun<strong>des</strong>republik Deutschland –Rheinland-Pfalz, Luxemburg, Belgien, Nordrhein-Westfalen, Holland – einen ein-,zweitägigen Ausflug mit dem Auto machen, so werden Sie doch immer wieder feststellen,auch wenn Sie an der Grenze nicht mehr kontrolliert werden, dass Sie ineinem anderen Land sind. Obwohl es hier sehr viele Gemeinsamkeiten gibt, selbstverständlichin der Südpfalz, wenn Sie überwechseln ins Nord-Elsass, stellen Siedoch fest, dass Sie in einem anderen Land sind, auch wenn der Wein gleicher -maßen exzellent bleibt. Das gilt auch für Luxemburg und all die anderen erwähntenLänder und Staaten.Wenn Sie an der Ostküste der USA von New Jersey nach New York oder nach Pennsylvaniawechseln, dann stellen Sie das nicht fest. Das heißt, die Buntheit, dieDifferenziertheit, die Vielfältigkeit Europas, was wir so oft beklagen, wenn es umdie Frage <strong>des</strong> europäischen Fortschritts geht, ist eine unserer großen Stärken. Dasmacht auch den Charakter Europas aus und – ich meine – ein stückweit seine Seele.Denn, wie gesagt, ich habe mich nach Europa gesehnt. Das heißt, auch nach dieserBuntheit. Gewiss, wie alles im Leben, die Dinge haben meist zwei Seiten. Es gibtdie Nachtseite dieser Buntheit. Das ist der europäische Nationalismus. UnsereGeneration hat den in den 90er Jahren auf dem Balkan noch mal erlebt. Das europäischeProjekt – auch das darf man nicht vergessen, wenn man über die SeeleEuropas spricht – ist entstanden aus den großen europäischen Kriegen. Und einesder großen Probleme, vor denen heute die Europäische Union steht, ist, dass dieseErfahrung aufgrund <strong>des</strong> Erfolges <strong>des</strong> europäischen Integrationsprozesses mehrund mehr in den Hintergrund tritt.12


14Als ich ein Kind war, war die Präsenz der deutsch-französischen Erbfeindschaft, wardie Erzählung im Geschichtsunterricht über die Kriege Ludwigs XIV. und die Verheerungen,die diese Kriege z. B. in der Pfalz ausgelöst haben, noch konkreterBestandteil. Als ich das erste mal in Frankreich war, ist man dort noch auf der Straßeauf Menschen getroffen, die Deutsch nicht hören wollten. Das galt auch für dieNiederlande.Das heißt, dieser Teil der europäischen Geschichte, der europäische Nationalismusder jahrhundertealten Kriege, der Erbfeindschaften, all das war in Zeiten, in denenich noch – wie es damals hieß – in die Volksschule ging, und dann teilweise auchnoch in der Gymnasialzeit Realität. Wir sind aufgewachsen im Schatten <strong>des</strong> großenKrieges mit seinen Verheerungen und Verwüstungen. Auch wenn ich den Kriegnicht mehr erlebt habe, ich habe in den Ruinen <strong>des</strong> Krieges gespielt. Damals gabes diese große Leidenschaft für Europa, eine Leidenschaft, die sich sehr konkretaus dieser europäischen Erfahrung, aus der Nachseite der europäischen Seelespeiste.Ich denke, das ist das Wichtigste, das wir festhalten müssen, das zum VerständnisEuropas gehört, und wenn wir über die Seele Europas sprechen, gehört das in denKernbereich der Definition dieser Seele, dass dieses Europa nicht aus positivenErfahrungen heraus entstanden ist, sondern aus den furchtbaren Schlägen, die dieEuropäer sich selbst zugefügt haben in den europäischen Kriegen, im Bürgerkrieg.Insofern hat ein kluger Historiker einmal gesagt, dass Hitler und Stalin zu denGründervätern <strong>des</strong> europäischen Projekts gehören, was die Nachtseite anbetrifft.Die positive Seite ist ebenfalls benennbar. Große französische Staatsmänner,Schumann und Monet, hatten die visionäre Kraft, nach dem 2. Weltkrieg darauf zusetzen, ein völlig neues europäisches Staatensystem zu entwickeln, das nicht mehrauf Rivalität, auf der Konfrontation der Interessen, auf der so genannten Balanceof Power gründet mit ihrer permanenten hegemonialen Bedrohung und den Hegemonialkriegen,sondern auf eine Integration der Interessen zu setzen.Was aber in Vergessenheit geraten ist, dass es zwei amerikanische Regierungenwaren, eine demokratische und eine republikanische Regierung, die RegierungTruman und Eisenhower, die diese französischen Staatsmänner mit allem Nachdruckunterstützt haben. Das heißt, von Anfang an war die Konsequenz, dass dieVereinigten Staaten – eine große Generation, die Hitler besiegt und die gleich -zeitig dann auch im Kalten Krieg die Freiheit Westdeutschlands, Westeuropas undauch Westberlins verteidigt und militärisch, wie politisch, wie wirtschaftlichPräsenz gezeigt hat – damals nach dem Ende <strong>des</strong> 2. Weltkriegs und mit Beginn <strong>des</strong>Kalten Krieges, dass diese große Generation ebenfalls die Vision hatte, das Europader Nationalstaaten, nicht der Nationen, zu überwinden und ein System der europäischenIntegration anzustreben. Das darf nicht in Vergessenheit geraten, auchwenn es für viele heute Geschichte geworden ist, sozusagen Lerninhalt, aber nichtmehr konkretes Erleben.


Europa hat die zweite große Konfrontation erlebt von der positiven Seite, das Endevon Mauer und Stacheldraht, von der Teilung, <strong>des</strong> Kalten Krieges, und auf deranderen Seite seine bedingte Fähigkeit, die Herausforderungen dieser völlig veränderteneuropäischen Realität nach 1989 tatsächlich gerecht zu werden.Gerade wir Deutschen sollten nicht vergessen, die EU-Erweiterung nach Osten hatnicht im Mai 2004 stattgefunden. Sie begann am 3. Oktober 1990. Mit dem Beitrittder DDR zur Bun<strong>des</strong>republik Deutschland veränderte sich die Außengrenze derEuropäischen Union, von der Elbe verschob sie sich an die Oder. Wir sollten dasnicht vergessen, weil es zugleich zeigt, was unser Land durch den europäischenEinigungsprozess gewonnen hat.Ich meine, ohne den europäischen Einigungsprozess wäre es fast unmöglichgeworden, die Zustimmung unserer Nachbarn und unserer wichtigsten Verbündetenund früheren Gegner zur deutschen Einheit zu bekommen. Das heißt, all die -jenigen in unserem Land, die europamüde werden, denen möchte ich den Ratschlaggeben nicht zu vergessen, was Deutschland dem europäischen Einigungsprozessverdankt. Wenn man über deutsche Interessen spricht, dann sind wir dasLand, das an erste Stelle seiner nationalen Interessenagenda die Vollendung dereuropäischen Einigung setzen muss, meine Damen und Herren, weil wir würden zuden großen Verlierern gehören, wenn dieser Prozess dauerhaft stagniert. Das hieße,wenn er rückläufig würde, Deutschland hätte damit die größten Probleme.Erinnern wir uns im Gefolge jenes Jahres <strong>des</strong> Jubels, jener Zeit der großen Emotionen,als Mauer und Stacheldraht fielen, wie die Sowjetunion, eine bis an die Zähnehochgerüstete thermo-nukleare Supermacht, ohne dass ein Schuss fiel, verschwundenist und die lange vergessenen osteuropäischen Mitglieder der europäischenFamilie plötzlich an die europäische Haustür klopften und wieder Mitgliedsein wollten. Da dürfen wir aber auch nicht vergessen, dass in einen Teil Europasfast parallel der Krieg zurückgekehrt ist.Die Tschechen und Slowaken haben noch eine Entscheidung getroffen sich zu trennen,die auf Frieden und Recht gründete, die also zum Europa der Integration passte.Auf dem Balkan war die Situation anders. In Jugoslawien haben wir die Wiederkehreines blutigen Nationalismus erlebt. In diesem Moment der Bewährung musstenwir feststellen, dass dieses Europa, das wir kannten, das wir geschätzt haben, fürdiese Herausforderung nicht gebaut war.Einen Teil der Schuld an dieser Tragödie trägt die europäische Uneinigkeit undauch die strategische Blindheit, die Blindheit gegenüber den eigenen Interessen,und die Schwäche, nicht über die Instrumente zu verfügen, mit denen man zueinem gemeinsamen Standpunkt gekommen ist, sie entsprechend dann um- unddurchzusetzen, um Frieden zu gewährleisten. Es bedurfte erneut der Interventionder Vereinigten Staaten von Amerika. Aber was wir auf dem Balkan gelernt haben:Es gibt keine geteilte europäische Sicherheit nach dem Ende <strong>des</strong> Kalten Krieges.15


Wir werden uns in Europa nicht zwei oder drei unterschiedliche Zonen von Sicherheiterlauben dürfen. Das ist eine weitere Erfahrung für die Herausforderungen, diegroßen europäischen Erweiterungen. Ich gehöre zu denen, die meinen, dass –wenn wir verschiedene Zonen der Sicherheit in Europa erlauben – das Europa derIntegration dafür einen hohen Preis bezahlen wird. Wir würden den Preis dafürbezahlen, dass andere eingeladen würden, Europa als Arena für die Durchsetzungihrer Interessen und für entsprechende Machtspiele zu benutzen. Wir Europäerhätten dafür den Preis zu bezahlen.Insofern ist die große Herausforderung seit 1989, die Balkankrise im auseinanderbrechendenJugoslawien hat dieses klar gemacht, dass es auch eine europäischeSicherheitsidentität geben muss und die Fähigkeit, Sicherheit auf diesem Kontinentzu gewährleisten und durchzusetzen. Ich meine, die Erkenntnis, dass sichEuropa dazu nicht befähigt hat, ist eines der Elemente, die zu dem gesamten Erweiterungsprozessgehören. Das heißt, die Verbindung <strong>des</strong> Faktums, dass wir unsnicht unterschiedliche Zonen der Sicherheit erlauben dürfen, mit der Erkenntnis,dass wir uns in die Lage versetzen müssen, für unsere eigene Sicherheit sorgen zukönnen, ist eine der wichtigsten Konsequenzen, die sich aus dieser Entwicklungergeben.Diese Erfahrung hat nach Saint-Malo geführt, dem französisch-britischen Gipfel,wo es gelang, einen scheinbar ewigen Widerspruch zwischen Großbritannien mitseiner transatlantischen Orientierung, und Frankreich mit seiner GaullistischenOrientierung zu überwinden und eine gemeinsame europäische Sicherheits- undAußenpolitik voranzubringen. Zum ersten Mal geschah dies auf dem Kölner Gipfel1999 unter der deutschen Präsidentschaft.Die Erfahrung vom Ende <strong>des</strong> Kalten Krieges und den neuen Herausforderungen, vordenen Europa steht, hat noch gereicht, die große Erweiterungsrunde 2004 auf dieSchiene zu bringen. Sie hat aber nicht mehr gereicht, um tatsächlich die Konsequenzenim inneren der Europäischen Union zu ziehen. Der erste Versuch warMaastricht Anfang der 90er Jahre. Nirgendwo sind Licht und Schatten in einemeuropäischen Vertrag so eng beieinander wie im Vertrag von Maastricht – historischerDurchbruch und historisches Versagen Seite an Seite.Auf der einen Seite der historische Durchbruch zu einer gemeinsamen europä -ischen Wirtschafts- und Währungsunion. Die Währung ist eines der drei Teile, dieman in der modernen Staatswissenschaft als Souveränität definiert. Das ist dieKontrolle <strong>des</strong> Territoriums eines Staates, seine Verteidigungsfähigkeit nach außen,seine Sicherheitsfähigkeit nach innen und die Macht, seine eigene Währung zugarantieren und durchzusetzen.Zum ersten Mal gelang es also mit der Währungsunion einen Teil der KernsouveränitätEuropas zu integrieren, nicht überall in Europa, aber im Europa der 15 im überwiegendenTeil der Europäischen Union. Parallel dazu wurde die Europäische Union16


geschaffen als der Körper der politischen Integration. Dabei ist man bei Überschriftenstehen geblieben.Wenn wir heute über die Krise der Europäischen Union sprechen, meine Damenund Herren, dann gründet sie genau auf dem Datum der Verhandlungen von Maastricht,nämlich der Unfähigkeit, die Konsequenzen aus dem historischen Zwangzum Schaffen einer großen, einer kontinentalen Europäischen Union nach demEnde <strong>des</strong> Kalten Krieges dann auch die inneren Reformkonsequenzen zu ziehenund starke, handlungsfähige Institutionen zu schaffen, die Ergebnisse produzierenkönnen im Interesse der Menschen und der Mitgliedsstaaten. Menschen interessierensich nicht für Institutionen. Sie interessieren sich für Ergebnisse. Aber jederweiß, dass – wenn die Institution nicht stimmt – dann die Ergebnis mäßig odersogar sehr schlecht sind. Das führt dann zum Ansehensverfall einer Institution.In Amsterdam wurde wenige Jahre später erneut ein Versuch unternommen, dieReformen, die Anpassung der westeuropäischen Union – nicht im formalen, sondernim geopolitischen Sinne – an die gesamteuropäische Union nach 1989 zuermöglichen. Auch Amsterdam sprang zu kurz. Der dritte Versuch war Nizza währendder französischen Präsidentschaft im Jahre 2000. Da sprang man nicht zukurz, sondern man musste verhindern, dass man abstürzte. Das heißt, dreimalkrähte nicht der Hahn, aber man war knapp davor. Dreimal hat man versucht dieKonsequenzen aus dieser neuen historischen Realität, die durch 1989 geschaffenwurde, zu ziehen im Europa der 12 und im Europa der 15 und man war gescheitert.Die Konsequenz aus Nizza, wo formal die Bedingungen für die Erweiterunggeschaffen wurden, war, man war der Meinung, so konnte es nicht weitergehen,die Geburtsstunde <strong>des</strong> Verfassungsprozesses. Nicht der Begriff der Verfassung wardas Entscheidende im Sinne seiner inhaltlichen Substanz, denn es wäre nach wievor auf einen Vertrag hinausgelaufen. Der Begriff der Verfassung war notwendig,um aus der nicht mehr handlungsfähigen Institution <strong>des</strong> Europäischen Rates rauszukommen,aus der Form der nicht mehr handlungsfähigen Regierungskonferenzrauszukommen und ein anderes Format zu schaffen. Die Überlegung war, die Parlamentemit einzubeziehen, und zwar in einem doppelten Sinne, nicht nur eine Öffnungvorzunehmen und Möglichkeiten zu schaffen, einen europäischen Erfolg,einen europäischen Vertrag, der die Konsequenzen aus 1989 ziehen kann und fürdie Erweiterung mehr schafft als nur die formalen Voraussetzungen unter Einbeziehungder Parlamente. Sondern die Idee war auch, dass die Parlamente – die nationalenwie das Europäische Parlament – ein Mehr an Legitimation bringen würden.Da muss man heute leider feststellen, dieses war nicht der Fall.Ganz offensichtlich hat es mit diesem Mehr an Legitimation durch die Hereinnahmeder Parlamente nicht funktioniert. Wir müssen feststellen, und das sage ich zu alljenen, die aus guten Gründen – und ich teile diese Gründe, verstehen Sie mich17


nicht miss – meinen, es würde reichen, dass wir ein besseres Europa beschwören,wir müssen den Realitäten in die Augen sehen.Ich meine, wir werden keinen besseren Vertrag bekommen. Ich hoffe, dass derReformvertrag durchgeht, dass er ratifiziert wird. Wenn nicht, wird Europa dieschwerste Krise seiner Existenz haben. Aber gegenüber der Verfassung – ein Mehran Europa für die Bürger zu schaffen, ein Mehr an emotionaler Identifikation zuschaffen, Europa ein stückweit eine politische Seele zu geben – bedeutet er einengewaltigen Rückschritt. Nichts<strong>des</strong>totrotz, es ist das einzige, was möglich ist. Undich meine, es sollten alle Anstrengungen unternommen werden – das sage ich auchin Richtung der Medienvertreter hier –, dass dieser Reformvertrag tatsächlich ratifiziertwird, weil ein erneutes Scheitern aus meiner Sicht nur schwer zu kontrollierendeKonsequenzen für die Zukunft der Europäischen Union hat.Die Europäische Verfassung, das war intendiert, sollte auch ein Mehr an Identifikationbieten. Ich bin mir sicher, sie hätte auch dieses Mehr an Identifikation geboten.Ich selbst habe es im Deutschen Bun<strong>des</strong>tag erlebt, wie sich das Parlament auf eineneue Rolle einstellte. Ich hoffe, dass es einen erneuten Ansatz, wenn der Reformvertragratifiziert wird, tatsächlich in diese Richtung gibt. Denn was wir feststellen,ist, dass sich hinter diesem Europa, dem seelenlosen Europa, dem Europa derBürokratie letztendlich ein Mangel an Macht, ein Mangel an Politik verbirgt.Es ist schön über Integration zu reden, meine Damen und Herren. Zumin<strong>des</strong>t inDeutschland gibt es dafür immer viel Beifall und Kopfnicken. Nur was bedeutetIntegration? Auf gut Deutsch übersetzt heißt das: die Übergabe von Macht von dernationalen Ebene auf die Brüsseler Ebene. Da wird der Beifall schon wesentlichzurückhaltender, auch in Deutschland. Wenn Sie das in Großbritannien sagen,dann müssen Sie bereits den Fluchtweg vorher festgelegt haben, um der dann ausbrechendenEmpörung entkommen zu können. Auch das ist Teil der europäischenRealität, vergessen wir das nicht.Früher war die Begründung für Machttransfer auf die Brüsseler Ebene die Erfahrungder großen europäischen Kriege im 20. Jahrhundert, von Diktatur und Unterdrückung.Aber ganz offensichtlich reicht diese Erfahrung heute nicht mehr aus.Die Europäische Union hängt in einem Zwischenraum fest, wo sie einerseits zuerfolgreich ist, als dass sie Unterstützung aus den erkennbaren, erfüllbaren, spürbaren,alltäglich erlebbaren Defiziten generieren könnte, auf der anderen Seiteaber kann sie eben das, was Seele, was Identität heißt, nicht generieren. Ihre Funktionalität,die da ist, reicht nicht aus.Und all diese Kritik an der Bürokratie kann ich nicht nachvollziehen. Sie haben völligRecht, die Frage, was sind das eigentlich für Leute in Brüssel, die da eine Attackewider den Bocksbeutel reiten? Ich weiß nicht, was der Grund ist. Sind es geometrischeGründe? Sind die Bocksbeutel schwer zu stapeln im Weinkeller beim HerrnGeneraldirektor? Ich weiß es nicht. Aber solche, wenn Sie so wollen, Abstrusitäten18


finden Sie bisweilen auch in der nationalen Demokratie.Was Sie nicht finden in der nationalen Bürokratie, ist natürlich, dass die Bürokratiesich selbst verwaltet. Was Sie nicht finden, ist, Sie finden es bisweilen bei einemschwachen Minister, dass die Bürokratie den Minister dominiert und nicht umgekehrt,aber was Sie nicht finden, ist die Situation, dass die eigentlichen Entscheiderdie Generaldirektoren sind. Auch das sollte im Übrigen die Verfassung ändern. Das,meine ich, ist der eigentliche Punkt. Die Brüsseler Bürokratie ist kleiner als dieBürokratie der Münchner Stadtverwaltung. Und Gott sei Dank haben wir die Bürokratie,weil seit dem Scheitern der Verfassung fliegen wir auf bürokratischem Autopilotin Brüssel, wenn Sie so wollen, was den Alltag anbetrifft.Ich habe jetzt gerade letzte Woche an einer Tagung von Mittelständlern teilgenommen,die ja alles andere als bürokratiefreundlich sind, die nach ihren Erfahrungenin Osteuropa, in China und in anderen fernen Ländern sozusagen jetzt reuevoll indeutsche Lande zurückgekehrt sind und das Lob einer funktionalen, funktionierendenBürokratie singen. Auch das gibt es, meine Damen und Herren. Also, ich warnedavor, bürokratisch als den Antibegriff zu setzen, sondern eine funktionierendeBürokratie schafft den Rahmen. Aber sie bedarf der demokratischen Kontrolle –ohne jeden Zweifel. Das ist nicht nur das Parlament, das dieser Funktion auf europäischerEbene nachkommt, sondern es ist auch natürlich die politische Verantwortungan der Spitze. Das gehört zusammen. Darin liegt meines Erachtens dasgroße Problem, vor dem wir heute in Europa stehen.Wenn ich diese europäische Krise gegenwärtig erwähne, dann tue ich das nicht,um den Zustand zu beklagen, denn wir müssen den Realitäten ins Auge schauen.Ganz offensichtlich – und das ist keine pessimistische Prognose – reicht schlichtund einfach die Kraft nicht aus, aufgrund <strong>des</strong> Erfolges, den die europäische Integrationschafft, den jeweiligen nationalen Öffentlichkeiten die Bedeutung Europasso zu vermitteln, dass sie zu einem weiteren Machttransfer Richtung Brüssel zueinem Poolen, zu einem Zusammenführen von Souveränität bereit sind. Wenn wires nicht aus freiem Willen tun, dann wird uns in Zukunft die Geschichte erneut ihreLektion erteilen. Und das wird mächtige blaue Flecken geben.Denn wir Europäer, meine Damen und Herren, wir leben nicht auf einer Insel. Auchda lassen Sie mich ein zweites Mal auf meine Erfahrung – ein Jahr jetzt in den USAlebend, den Blick auf unser Land und auf Europa von außen gehabt zu haben –zurückkommen. Von außen scheint Europa heute ein stückweit so, als wenn wirmeinen, wir könnten uns eine Auszeit von der Realität nehmen. Wir Europäerwissen, wir müssen uns verändern, aber das Tempo unserer Veränderungen, dieBereitschaft zu Veränderung ist bei Weitem geringer als in der Welt um uns herum.Wenn wir uns langsamer an die Realitäten anpassen als andere, dann werden –relativ gesehen – verlieren. Das findet gegenwärtig statt.Die europäische Diskussion – müssen wir zusammenfinden, können wir noch mehrMacht auf Brüssel übertragen, wie müssen die Institutionen, die das Vertrauen19


20genießen können, mehr Macht tatsächlich dann auszuüben – wirkt gespenstischauf dem Hintergrund der ökonomischen und geopolitischen Realitäten <strong>des</strong> begonnenen21. Jahrhunderts.Wir reden heute – nur eine Zahl, für jeden fassbar – über einen Handymarkt, Mobiltelefonmarktin Geräten und Anschlüssen in China in der Größenordnung von 500Millionen. Das bedeutet, das ist immer noch eine kleine Minderheit, das dürfen wirnicht vergessen, etwas mehr als ein Drittel. Wenn Sie sich die Anschlusszahlen inIndien anschauen, dann werden Sie mit einiger Zeitverzögerung sehen, dass sichvöllig neue Größenordnungen aufbauen. Das ZDF, ich hoffe, ich mache jetzt keinenFehler, ist zu recht stolz auf die Sendung „Wetten das?“. Was haben Sie da für Zahlen,Herr Intendant? Ab 12 Millionen sind Sie zufrieden. Das ist in China ein Lokalsender.Wo die anfangen auf nationaler Ebene anfangen, da reden wir von dreistelligenMillionenzahlen. Ich sage diese Zahlen nicht, um Angst einzuflößen. Größe istnicht alles, sonst wäre ein Land wie Finnland oder Irland nicht so erfolgreich. Wirsollten uns da auch nicht Angst einjagen lassen. Tatsache aber ist, dass – wenn wirdieses Europa in den kommenden Jahren nicht wirklich hinbekommen – ich beimbesten Willen nicht sehe, wie wir dann noch über unsere eigene Zukunft, überunser eigenes Schicksal werden entscheiden können.Die mächtigsten europäischen Staaten Frankreich und Großbritannien, der größteMitgliedsstaat, die Bun<strong>des</strong>republik Deutschland, wir schrumpfen im Verhältnis zuden sich verändernden Größenordnungen draußen in der Welt in einer dramatischenGeschwindigkeit. Nur Europa wird darauf die Antwort sein können. Dahinter,meine Damen und Herren, steckt auch die strategische Idee der großen Erweiterung.Denn wenn wir in einer solcher Situation mehrere Europas haben, ein Europader Integration, ein Europa <strong>des</strong> Nationalismus, ein Europa, das sich mehr nachRussland orientiert, ein anderes, das sich sonst wohin orientiert, dann werden wirgar nicht die Energien geschweige die Macht haben, unsere eigene Identität zu verteidigenund vor allen Dingen – selbstverständlich immer eingebunden in ein internationalesSystem – unsere Interessen entsprechend vertreten zu können. Daswird nicht mehr die Bun<strong>des</strong>republik Deutschland, das wird nicht mehr Frankreich,das wird nicht mehr Großbritannien sein, von den Kleineren ganz zu schweigen,nicht aus Gründen der Zurücksetzung, sondern weil bei ihnen das Problem aufgrundder mangelnden Größe noch sehr viel dramatischer wird.Schauen Sie doch heute unser Verhältnis zu Russland an, von entscheidenderBedeutung für unsere Zukunft. Ich bin mir sicher, auf lange Sicht, d. h., die nächstenzwei Jahrzehnte, wird auch Russland erkennen, dass es Teil <strong>des</strong> Westens ist. Nurman kann nicht Teil <strong>des</strong> Westens sein, wenn man die Regeln <strong>des</strong> Westens nichtakzeptiert. Darin liegt das heutige, das aktuelle Problem. Wir haben je<strong>des</strong> Interesse,dass Russland sich erfolgreich modernisiert, demokratisiert, Schritt für Schrittdie Herrschaft <strong>des</strong> Rechts durchsetzt. Wenn wir heute Russland und Europa vergleichen,die EU-Wirtschaft, der gemeinsame Markt ist das 15-Fache der russischen


Volkswirtschaft. Russland braucht uns als Abnehmer seines Erdgases. Öl kann manin verschiedene Richtungen verkaufen, beim Erdgas müssen die Pipelines liegen.Russland braucht den Handel mit der EU und nicht umgekehrt. Russland hängt inseiner Modernisierung von uns ab. Nur wenn wir uns anschauen, wie klein, wiegespalten, wie zerrissen wir Europäer sind, dann wird man feststellen, die machtpolitischenRealitäten sind gerade andere.Was ich befürchte, ist, dass wir damit der russischen Führung falsche Signalegeben, die nicht im Interesse der Modernisierung Russlands sind und die nicht imInteresse einer strategischen, einer dauerhaften Partnerschaft zwischen Europaund Russland sind. Wenn ich mir unsere Nachbarschaft anschaue, das wird unseregroße Herausforderung. Wir sind nicht auf einer Insel. Unser Nachbar im Osten inRussland, im Süden ist es Afrika. Die Bilder, die auch ihre Nachrichtenredaktionjeden Sommer übermittelt, das ist der Beginn einer Entwicklung. Wenn das großeAfrika anfängt seine Krisen zu exportieren, dann wird das Hauptexportland Europasein aufgrund der geographischen Nachbarschaft. Um so wichtiger wird es sein,dass wir es gar zulassen, dass es soweit kommt, dass wir uns vorher engagieren,dass wir also eine gemeinsame Politik entwickeln, die in der Lage ist, Partnerschaftmit diesem großen Kontinent Afrika auf der Grundlage der Entwicklung gemeinsamerInteressen und eines starken Engagements, auch humanitären Engagements aufdiesem Kontinent zu ermöglichen.Und im Südosten droht die größte Herausforderung. Zwischen dem Mittelmeer unddem Industal liegt unsere Nachbarschaft. Fangen wir ganz im Osten an. In diesenTagen wird entschieden werden, ob Pakistan – eine Nuklearmacht, meine Damenund Herren, vergessen wir das nicht, ein großes muslimisches Land, nach Indonesienund vor Indien das zweitgrößte – den Weg in eine Richtung geht, die Chaosund zusammengebrochene Staatsstrukturen mit sich bringt. Wenn das der Fall ist,dann werden vor allen Dingen wir Europäer im Westen und die Inder im Osten einganz erhebliches Problem bekommen, um einen diplomatischen Begriff jetzt zuverwenden. Dagegen wird das, was wir bisher an Krise erlebt haben, nur ein Kräuseln<strong>des</strong> Wassers an der Oberfläche sein, weil das Land ist zu groß und es ist eineNuklearmacht, als dass man die Konsequenzen einer solchen Entwicklung unterschätzendürfte.Es wird massiv dort natürlich die Entscheidung über Afghanistan getroffen. Michwundert, wie wenig Pakistan in der deutschen Politik eine Rolle spielt. Das Problemder Wiederkehr der Taliban, 30 % sind innenpolitische Gründe im Süden Afghanistans,aber 70 % liegen im Nachbarland. Das dürfen wir nicht vergessen. Und wir sinddort massiv engagiert. Zu meinen, wir könnten uns da zurückziehen, wir hätten dieOption zu sagen, na ja, wenn’s nix wird, dann gehen wir, die Konflikte werden folgen,weil es ist unsere Nachbarregion. Wir können uns aus dieser Region schlichtund einfach nicht verabschieden.21


22Insofern sehe ich dort auch die Frage der Bereitschaft zum Engagement und <strong>des</strong>Erfolgs oder Misserfolgs der Nato als ein europäisches Problem. Vergessen wir dasnicht. In Afghanistan wird die Zukunft auch <strong>des</strong> transatlantischen Bündnisses ganzentscheidend mit geprägt werden. Ob dies erfolgreich oder nicht erfolgreichgeschieht, wird nicht nur kurzfristige, sondern langfristige Konsequenzen für dastransatlantische Verhältnis haben. Auch das ist ein Gesichtspunkt, der nicht vergessenwerden darf.Dann gehen wir weiter mit dem Iran. Wenn der Iran Nuklearmacht wird, dann wirddie ganze Region in einen nuklearen Rüstungswettlauf gestürzt mit Konsequenzen,denen wir uns nicht entziehen können. Wenn umgekehrt aber die USA jetzt erneuteinen Krieg beginnen, den sie nicht gewinnen können, indem sie Iran angreifen,dann wird die Region explodieren. Das heißt, wir sind hier offensichtlich zwischenzwei Negativoptionen eingeschlossen – scheinbar. Ich meine, es gibt genügendZeit für eine energische Initiative <strong>des</strong> Westens, aber hier müssten die Europäer alsdirekte regionale Nachbarn noch sehr viel stärker, als das bisher in der Vergangenheitder Fall war, eine klare Politik formulieren und die auch versuchen in Washingtonund mit Washington dann tatsächlich durchzusetzen.So kann ich Ihnen das Krisenszenario weiter durchdeklinieren. Dort wird unsereSicherheit entschieden. Wenn das aber richtig ist, meine Damen und Herren, dannist eine Politik, die die Türkei entfremdet, blind und sträflich fahrlässig. Ich verstehedie Argumente und es sind ernst zu nehmende Argumente, die gegen die Mitgliedschaftder Türkei sprechen. Warum ist die Türkei im Nato- und Europarat? Ichkann es Ihnen sagen: aus strategischen Gründen. In Zeiten <strong>des</strong> kalten Krieges wares eine strategische Entscheidung, wir brauchen die Türkei, also rein in die Nato,rein in den Europarat. Damals war die Türkei auf einem Nebenschauplatz vongroßer Bedeutung. Aus europäischer Sicht im 21. Jahrhundert wird die Türkei allerdingsein entscheidender Faktor auf dem Hauptschauplatz unserer Sicherheit werden.Wir haben schlicht und einfach nicht mehr die Situation, dass wir sagen können,der Tisch wird völlig neu gedeckt. Seit 1963, damals von einem CDU-Mitglied, demersten Kommissionspräsidenten, Walter Hallstein, früher in der Regierung AdenauerStaatssekretär im Auswärtigen Amt, gilt das Versprechen durch alle Regierungenhindurch, ich sage ganz bewusst, auch während der Kanzlerschaft HelmutSchmidts, der dieses ja heute völlig anders sieht. Das galt während der KanzlerschaftHelmut Kohls. Durch alle Kanzlerschaften hindurch gilt das Versprechen:Eines Tages seid ihr mit dabei. Sich von diesem Versprechen unter den aktuellenBedingungen zu verabschieden, die wir im 21. Jahrhundert vorfinden, was unsereSicherheit betrifft, das halte ich für einen ganz schweren Fehler oder das Schlimmste,was man in der Politik machen kann, für eine große Dummheit.Das sind unsere strategischen Interessen. Nun ist die Frage: Warum kommt das beider Bevölkerung nicht an? Wenn wir eine nationale Bedrohung oder eine Bedro-


hungsanalyse von dieser Größenordnung hätten, meine Damen und Herren, dannwürde das nicht nur einen rationalen politischen Diskurs auslösen, sondernzugleich hätte das eine gefühlsmäßige Bedeutung, hätte eine Bedeutung für dieIdentität, für die Gefühlslage, also für das, was man abgekürzt Seele nennt.Nun wissen alle Staats- und Regierungschefs um die Bedrohungen Europas, die –mit Verlaub – sehr ernst zu nehmen sind, aber, verglichen mit dem, was unsereEltern und Großeltern an Bedrohungen zu schultern lassen, in dem Vergleich keineswegseine Überforderung bedeuten dürften. Woran liegt es also, dass es soschwer ist, sowohl die ökonomischen Herausforderungen, die auf uns zukommen,als auch die politischen Herausforderungen, die humanitären Herausforderungenim europäischen Kontext der Bevölkerung klar zu machen?Da meine ich schlicht und einfach, das liegt an dem mangelnden Machttransfer. DieEuropäische Kommission gibt mehr für die Putzdienste in ihren Gebäuden aus, alsdie Europäische Union, der Europäische Rat für seine Außen- und Sicherheitspolitik.Das ist – Herr Krause, da schütteln Sie jetzt Ihr weises Haupt – so. Wir haben dieZahlen überprüft. Tatsächlich, es ist so. Nun können Sie sagen, o. k., Fischer, duvergisst, die Kommission, Ferrero-Waldner, die Außenkommissarin hat viel Geld.(O-Ton: Aber verglichen zu dem, was die Nationalstaaten ausgeben, und vor allenDingen die Fähigkeiten, die der für die Außenpolitik Verantwortliche hat, der überdiese Ressourcen nicht verfügt, der über den Dienst, den die Union aufgebaut hat,nicht verfügt, dann macht das Ganze natürlich einen großen, großen Sinn.)Wir sind an dem Punkt schlicht und einfach nicht handlungsfähig. Die Menschenmerken das und bleiben dem Vertrauten verhaftet. Ich sehe zwischen den Nationalstaatenund der Europäischen Union nicht die große Alternative, meine Damenund Herren, sondern für mich ist das kein Entweder-Oder, sondern für mich ist dasein Und. Aber dieses Und funktioniert eben nicht.Da komme ich auf die Medien zu sprechen. Haben Sie die Konsequenzen – geradeim Öffentlich-Rechtlichen, ich hörte mit Verzücken die Bedeutung der Öffentlich-Rechtlichen für die europäische Integrität, Sie haben völlig Recht, Herr Schächter,gibt es so etwas wie eine europäische Intendantenkonferenz der Öffentlich-Rechtlichen?Könnte man daraus in einer solchen Konferenz nicht entwickeln, dass manvielleicht gemeinsame Initiativen in den Öffentlich-Rechtlichen macht, die Handund Fuß haben? Also dass man meinetwegen auch mal anfängt, warum macht mannicht eine transnationale öffentliche Redaktion in Brüssel und Straßburg? Das wäredoch mal eine interessante Überlegung – oder, oder, oder, Ideen.Da rate ich das Instrument der verstärkten Zusammenarbeit zu benutzen. Es müssenja nicht alle mitmachen, aber vielleicht gibt es doch Einige, die das machen wollen,um dann neue Ideen zu entwickeln, dass man gerade diese Macht <strong>des</strong> Bil<strong>des</strong> –womit von Ihnen vorhin Willy Brandt zu recht zitiert wurde – viel besser als in derVergangenheit nutzen kann, dass man vielleicht auch verstärkt auf eine Integra tionder unterschiedlichen Perspektiven – in Spanien wird Europa anders wahr -23


24genommen als in Irland, in Irland anders als in Polen, in Polen anders als bei uns –setzt. Ich glaube, da haben die Medien ein weites Feld, in Europa – ohne dass SieRücksicht auf die Politik nehmen müssen – im Rahmen ihrer heutigen Möglichkeitendurch eigene Initiative voranzugehen. Da gibt es meines Erachtens ein weites,ein offenes Feld, wo man ein stückweit raus muss, und ich meine das gar nichtkritisch, sondern eher anregend, wo man ein stückweit aus dem raus muss, wasman schlicht und einfach gewöhnt ist.Denn wenn die Medien – und das sage ich nicht, weil ich hier heute bei Ihnen imZDF bin – mit ihrer täglichen Macht der Bilder und der Worte hier nicht neue Wegeder Integration gehen und entschlossenere Wege gehen, und dazu brauchen Sienicht die Politik und politische Vorgaben, es kann Sie niemand daran hindernsolche Vereinbarungen zu treffen und Geld in diesen Sektor zu investieren und eszu tun im Rahmen Ihrer gesetzlichen Möglichkeiten, die Sie ohne jeden Zweifelhaben, ich denke, dann werden wir große Schwierigkeiten behalten.Das Zweite ist: Warum Arte nicht öffnen? So sehr ich BBC geschätzt habe und auchdie verbesserte Deutsche Welle, was man anerkennen muss, in der Vergangenheitwar ich da ja immer großer Skeptiker über Opas Dampffernsehen, das mir da imAusland entgegenkam, aber ich muss sagen, große Anerkennung, das hat sichgeändert, aber ich habe mir natürlich immer gewünscht, Mensch, warum kann manArte hier nicht als – damals habe ich es noch provokativ gesagt – Channel oldeurope oder so ähnlich in einer leicht provokanten Art dort einsetzen? Oder youngeurope, wie immer, old and young.Das sind alles Dinge, wo ich glaube, wo auch Identifikation geschaffen wird. SchauenSie, manchmal – ich singe jetzt nicht Lob <strong>des</strong> Kleinen, aber dass es von unten wachsenmuss, bei allem, was ich jetzt strategisch formuliert habe, und wachsen kann,sehen Sie am Erasmus-Programm. Es ist mir durch Zufall, sozusagen empirisch klargeworden, nicht nur bei den eigenen Kindern, sondern weil plötzlich Kinder vonguten Bekannten aus dem europäischen Ausland auftauchen oder die Eltern angerufenhaben, du, unsere Tochter ist jetzt in Berlin, kann die mal bei dir vorbeikommen.Ich sage, ja gerne, was macht die denn hier? – Sie hat ein Jahr Erasmusgewonnen. Das ist nicht zu unterschätzen, was das für die neue Generation bedeutet.Ich würde mir, Herr Ministerpräsident, auch wünschen mal die Überlegung zuhaben: Die gewerblichen Berufe werden ihre Bedeutung behalten, aber auch Facharbeiterwerden in Zukunft sehr viel mehr die europäische Orientierung in ihremBerufsleben brauchen und die Unternehmen werden darauf angewiesen sein. Erasmusist für die universitäre Ausbildung, aber ich könnte mir gut vorstellen, anstattGeld noch in neuere Subventionen o. ä. zu stecken, dass man anfängt, auch dawieder eine Initiative von unten, dass auch in den gewerblichen Berufen ein Teil derAusbildung bei Partnerbetrieben in Verbindung dann mit einer Neuorientierung derberufsschulischen Ausbildung im europäischen Ausland gemacht werden könnteoder bei transnationalen Unternehmen gemacht werden sollte. Ich glaube, das


wäre ohne Weiteres möglich und würde auch hier in der jungen Generation eineneue europäische Orientierung schaffen auf einer sehr breiten Grundlage.Ich glaube, das käme auch bei den europäischen Partnern und bei der europä -ischen Wirtschaft und all denjenigen, die Verantwortung in diesem Bereich tragen,sehr gut an.Meine Damen und Herren, wir haben also Hausaufgaben auf verschiedenen Ebenenzu machen. Wir müssen unsere strategischen Interessen verteidigen. Wir müssenden institutionellen Einigungsprozess voranbringen. Ich habe nie was von Ent -gegensetzung von Pragmatik und Vision gehalten. Europa hat nur funktioniert,wenn bei<strong>des</strong> zusammengehörte – die visionäre Kraft, den Blick oben zu halten unddas Ziel anzuvisieren und gleichzeitig ganz ruhig Schritt für Schritt voranzugehen.Das war die Stärke <strong>des</strong> europäischen Integrationsprozesses. Wenn wir uns nur aufPragmatik reduzieren, dann werden wir uns nicht mehr bewegen. Und Vision ohnedie Fähigkeit zur Umsetzung wird nur in die Enttäuschung führen. Das ist die Alternative,die wir nicht zulassen dürfen.Wir werden dieses Europa von unten schaffen müssen. Bei<strong>des</strong> gehört zusammen.Deswegen würde ich mir wünschen, wenn die Medien, als einer der ganz entscheidendenFaktoren in der heutigen demokratischen Realität, diese europäischeHerausforderung mit neuen Ideen anpacken würden. Das heißt tatsächlich, im Rahmenihrer Möglichkeiten auch durchaus mal vorangehen würden. Ich sage, es wirdvon entscheidender Bedeutung sein, ob wir das enge Gehäuse unserer nationalstaatlichenOrientierung nicht verlassen im Sinne von zurücklassen, sondern überschreitenund begreifen, dass wir nicht nur eine nationale, sondern auch eine europäischeIdentität haben. Bei<strong>des</strong> gehört für mich zusammen.Wir haben Zeit bis Mitte <strong>des</strong> nächsten Jahrzehnts, vorausgesetzt der Verfassungsvertrag,Entschuldigung, der Reformvertrag – ich möchte jetzt nicht zitiert werden– wird ratifiziert. Ich gehe mal von der optimistischen Perspektive aus. Wir habenZeit bis Mitte <strong>des</strong> Jahrzehnts uns entsprechend aufzustellen und Fähigkeiten zuentwickeln. Parallel dazu sollten wir alle dazu beitragen, dass dieses Europa vonunten verstärkt wächst. Die Medien haben hier eine ganz prominente Rolle zu spielenund ich hoffe, dass diese Tagung dazu beiträgt, sozusagen kreative Gründerzeitin den Köpfen aller Beteiligten anbricht.25


PANEL„BRÜSSEL:ELDORADO DER INTERESSENVERTRETER“Cosi fan tutte. Alle tun es: Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat professionelleInteressenvertreter vor Ort in Brüssel. Sie müssen, denn die alte Regel derFränkischen Weinbauern „Wenn einer zum Apotheker geht, dann müssen alle zumApotheker gehen“ ist nicht nur richtig, sondern sie gilt auch heute und wohl bis inalle Ewigkeit.Min<strong>des</strong>tens 15.000 Lobbyisten sind in Brüssel zielstrebig unterwegs. Es gehtdarum, eigene Interessen durchzusetzen, oder zu verhindern, dass andere Interessenzum Zuge kommen, möglichst elegant und diskret Einfluss zu nehmen, Informationenzu sammeln, zu wissen, was läuft, wo der Hase hingeht und eigene Strategienparat zu haben. Mehr als zwei Drittel der Interessenvertreter sind im Auftragvon Unternehmen, Wirtschaftsverbänden oder ihnen nahe stehenden Denkfabrikenunterwegs. Die Resourcenunterschiede zur möglichen Beeinflussung politischerEntscheidungsträger sind enorm. Eine „Waffengleichheit“ der unterschiedlichengesellschaftlichen Gruppen bei der Wahrnehmung ihrer Interessen durch Lobbyingist nicht in Sicht.Wohlmeinende vertreten die Meinung, Lobbying sei unabdingbar für die politischenMeinungsbildungsprozesse in einer pluralistischen Demokratie. Ministerialbeamteund Abgeordnete seien auf das Expertenwissen von Lobbyisten angewiesenfür ihre Entscheidungsfindung und erst aus der Vielfalt und dem Wettstreit derdivergierenden Interessen ergäbe sich letztlich ein Gesamtbild nahe an der Wahrheit.26


Die deutsche „moralinsaure“ Kritik am politischen Lobbyismus wird nicht überallgeteilt. Andere Länder andere Sitten. In einigen europäischen Demokratien ist esdurchaus normal, dass gewählte Volksvertreter neben den Interessen ihrer Wählerauch noch andere, besondere Interessen vertreten. Und wenn die gängigen Mittel<strong>des</strong> Lobbying versagen, dann gehört „Bares“ inzwischen zur Strategie der ganzgroßen Konzerne, um den fliegenden Wechsel wichtiger Entscheidungsträgers aufIhre Seite zu realisieren.Dass in dieser Landschaft das Interesse an breiter Öffentlichkeit und kritischerBerichterstattung eher gering ist, liegt auf der Hand. Beklagenswert ist ebenfalls,dass Berichterstatter die notwendige Distanz verloren haben und „embedded“wohlfeil berichten und dass andererseits die Arbeit kritischer Berichterstatter nichtdie notwendige Unterstützung findet.Entscheidend ist, dass die Intransparenz der politischen Entscheidungsprozesse<strong>des</strong> EU-Apparates die Bürger bereits auf Distanz gehen lässt zu „Europa“. Dieses„Desinteresse“ der Bürger, das in Brüssel larmoyant beklagt wird, kann wederdurch immer aufwändigere Plakataktionen, noch durch Werbetrailer der „EU-Kommunikationsbehörden“verringert werden.Mehr lebendige Demokratie, mehr Kontrolle und Transparenz der Entscheidungswege,mehr öffentliche Aufklärung und Kritik, die Verringerung der Machtungleichgewichtezwischen dem Lobbying gesellschaftlicher und rein ökonomischerInteressen bzw. klare Regeln für die Einflussnahme von außen sind der bessere,wenn auch unbequemere Weg.27


LEITFRAGEN: Lobbyismus1. Halten Sie Lobbying grundsätzlich für schädlich in demokratischenMeinungbildungsprozessen?2. Also: Lobbyisten aus Ministerien und Parlamenten entfernen?3. Wird der Einfluss von Lobbyisten überschätzt/unterschätzt? Warum?4. (Wie) kann Lobbying kontrolliert werden, z. B. wenn Beratung undInteressenvertretung nur in der Öffentlichkeit zulässig ist?5. Ist Kontrolle besser als ein generelles Verbot?6. Sind klare Regeln für Lobbyisten mit gelben und roten Karten undPlatzverweisen eine Lösung? Wer soll Schiedsrichter sein?7. Muss Beamten und Entscheidungsträgern ein Wechsel zur Industrie gänzlichuntersagt werden?8. Sind EU-Abgeordnete mit Lobbying-Nebentätigkeiten tragbar. Ja? Nein? Warum?9. Ist die „Waffen-Ungleichheit“ zwischen Wirtschaftslobby und Lobbying vonGesellschaftsinteressen ausgleichbar?10. Ist in der europäischen Öffentlichkeit das Thema Lobbyismus seiner Bedeutungentsprechend präsent und diskutiert?11. Können Lobbyisten Themen setzen? Haben sie die Mittel dazu?<strong>12.</strong> Welche „Schmiermittel und -wege“ stehen Lobbyisten zur Verfügung?13. Sind beamtete Entscheidungsträger und Parlamentarier tatsächlich abhängigvom Fachwissen der Experten/Lobbyisten? Ist Politik selbst nicht in der Lage,entscheidungsrelevantes Wissen aus unabhängigen Quellen zu generieren?14. Sind die bekannten Kontrollinstanzen (z. B. Kartellämter) in der EU und ihrenMitgliedsstaaten finanziell und rechtlich so ausgestattet, dass sie ihreKontrollfunktionen uneingeschränkt wahrnehmen können?15. Ist das Verhältnis zwischen kritischer Berichterstattung und PR-gesteuertenInformationen über die EU in Lot?28


„BRÜSSEL: Eldorado der Interessenvertreter“Jürgen Hogrefe,Generalbevollmächtigter EnBW – Energie Baden-WürttembergZu 1.:Es gibt ein in Deutschland nicht wenig verbreitetes Zerrbild <strong>des</strong> Lobbyismus alsdunkles Geschäft in schmierigen Hinterzimmern mit wechselseitiger Vorteilsnahmeder Beteiligten zu Lasten Dritter. Das ist in etwa so als wolle man den Banküberfallzum Normalfall <strong>des</strong> Kreditwesens erklären. Kriminelle Auswüchse sind wenig aufschlussreichfür den Normalfall.Richtig ist Folgen<strong>des</strong>:• Die Unternehmen haben den klaren Auftrag, an der politischen Meinungsbildungmitzuwirken. Darin unterscheiden sie sich nicht von anderen gesellschaftlichenGruppen.• Die Unternehmen dürfen und sollen ihre Eigeninteressen vertreten. Indem dieseklar kommuniziert werden, wird die Politik in die Lage versetzt, eine Abwägungzwischen widerstreitenden Interessenlagen zu treffen. Das Parlament ist derSouverän. Die Abgeordneten haben darüber zu entscheiden, was in der entsprechendenAngelegenheit sinnvoll und nützlich ist.• Es entspricht altem, längst überholtem Denken, dass die Interessen der Unternehmenund die der Gesellschaft sich nicht prinzipiell unterscheiden. Es tragendie Unternehmen über ihren Beitrag zur Volkswirtschaft wie in vielen Fällen auchdurch gesellschaftliches Engagement zum Wohlergehen bei. Die Größenordnungfür das gesellschaftlich Gewollte und Erforderliche zu finden, ist Aufgabe derPolitik wie auch der gesamten Gesellschaft. Eine Debatte darüber kann abernicht unter Ausschluss der Betroffenen geführt werden.• Die EnBW begreift den Versuch ihrer Einflussnahme in öffentliche Angelegenheitenals Dialog mit der Politik, mit Medien, mit Wissenschaftlern und mit Vertreterngesellschaftlicher Gruppen – von den Kirchen über die Umweltverbände biszu den Gewerkschaften – mit Kunst und Kultur. Das deklamieren wir nicht, sonderndas praktizieren wir.• Dieser Dialog ist für alle Beteiligten von höchster Bedeutung. Die Energieversorgunghängt wie kaum eine andere Branche von politischen Rahmenbedingungenab. Die Energieversorger arbeiten im Spannungsfeld vielfältiger politischer Interessen.Eine sichere, zuverlässige, störungsfreie und bezahlbare Energieversorgung,die zukunftsfähig und umweltverträglich erfolgt, ist essentiell für ein hochtechnisiertesIndustrieland wie Deutschland.• Die richtigen Lösungen dieser gewaltigen Aufgabe können nur in einer permanentenund intensiven Diskussion zwischen Politik, Öffentlichkeit, Wissenschaftund Unternehmen gefunden werden.30


• Die Unternehmen tragen gesellschaftliche Verantwortung. Das drückt sich nichtnur in schönen Worten aus, sondern in der Entwicklung von vielfältigen Regeln:Ganz wesentlich etwa in den Regelwerken der Corporate Governance – der gutenUnternehmensführung und -überwachung, die für ein börsennotiertes Unternehmenverbindlich sind. Darin sind Kompetenzen und Kontrollrechte definiert aber etwaauch Informationspflichten gegenüber den Aktionären und der Öffentlichkeit.• Sehr viele Unternehmen – wir gehören dazu – bekennen sich aktiv zu ihrer CorporateSocial Responsibility. Hinter diesem Begriff stehen umfangreiche Konzepte,auf freiwilliger Basis soziale Belange und solche der Nachhaltigkeit und <strong>des</strong>Umweltschutzes in die Arbeit <strong>des</strong> Unternehmens zu integrieren. Um das zu gewährleisten,werden verantwortliche Mitarbeiter eingestellt, Strukturen geschaffenund Abläufe definiert, die sehr häufig durch externe Gutachter zertifiziertwerden. Eine umfangreiche Berichterstattung etwa über Nachhaltigkeitsberichtegehört dazu. Das so genannte „Lobbying“ fügt sich in diese Konzepte undStrukturen ein.• Das geschieht übrigens nicht aus Altruismus. CSR-Konzepte und ihre Validitätsind Prüfungsgegenstand externer Ratingagenturen wie etwa Moody’s. Ein Versagenin diesem Bereich kann für das Unternehmen empfindliche Abwertungenzufolge haben, die direkt zu einer schwächeren Kreditwürdigkeit und damit zuhöheren Kreditkosten führen. Dies muss eine verantwortungsvolle Unternehmensführungverhindern. Sie wird sich <strong>des</strong>halb um CSR als Bestandteil einerguten Unternehmensführung kümmern.• Für das Verständnis der Debatte sind folgende Fakten wichtig. Nicht nur Unternehmenentsenden Lobbyisten nach Brüssel, Berlin und in die Lan<strong>des</strong>hauptstädte.Auch Gewerkschaften, Kirchen, und Medien müssen den Dialog mit den politischenEntscheidungsträgern führen. Umweltverbände, Verbraucherorganisationenund andere gesellschaftliche Gruppierungen sind außerordentlich erfolgreich mitihrem Lobbying. Die Verbände der erneuerbaren Energien gehören seit einigenJahren zu den erfolgreichsten Lobby-Organisationen – egal ob sie nun Unternehmenaus der Solar-, der Windenergie- oder der Biogasbranche vertreten. Interessenvertreterdieser Industrien finden sich in Ministerien, Parteien und Parlamenten.Zu 2.:• Die Politik ist auf den Dialog mit Unternehmen, Verbänden und gesellschaft -lichen Gruppen zwingend angewiesen. Sie braucht Kompetenz und Know-how,über das sie nicht immer verfügt.• Wie sollen gute Gesetze zustande kommen, wenn diejenigen, die in der Praxisstehen und die Gesetze später umsetzen müssen, nicht gehört werden und somitnicht erläutern können, was die Gesetzesvorhaben später bewirken werden?• Demokratie heißt Partizipation, heißt Teilnahme an politischen Prozessen. Durcheine möglichst umfassende Partizipation kommt das Für und Wider eines Vorhabensaus vielen Blickwinkeln auf den Tisch, denn beteiligt werden ja nicht nur31


32Unternehmen und Unternehmensverbände, sondern auch sozial-karitative Organisationen,Bürgergruppen, Umweltverbände, Verbraucherorganisationen undso weiter. Nur so kann eine gründliche Abwägung der möglichen Folgen vorgenommenwerden.• Nehmen wir das erneuerbare Energien Gesetz als Beispiel. Wenn die Politik einebessere Integration der Erneuerbaren Energien in die Stromnetze möchte, dannmuss sie mit den Netzbetreibern und den Anlagenbetreibern diskutieren, wiesinnvolle Regeln hierfür aussehen könnten und was die Ideen, die in den Ministerienoder von Gutachtern geboren wurden, in der Praxis bewirken. Ein Diktatohne Anhörung der Betroffenen führt am Ende nur zu Murks. Will die Politik, dassWindkraft zukünftig stärker auf See also Offshore produziert wird, muss sie mitden Herstellern und Betreibern von Windkraftanlagen darüber reden, welcheRahmenbedingungen die Politik hierfür setzen muss.Zu 3.:• Der Einfluss von Organisationen wie Greenpeace, BUND oder der DeutschenUmwelthilfe etc in Politik, Medien und Öffentlichkeit wird deutlich unterschätzt.• Der Einfluss der Energieversorger wird grotesk überschätzt. Das spiegelt sich inden für die Branche ungünstigen Beschlüssen der Politik wider. Ein paar Beispiele:- Die Branche hat sich lange gegen die Einspeisevergütung für Erneuerbare Energienausgesprochen, sie wollte lieber ein Quoten- und Zertifikatesystem. Sie hat sichnicht durchsetzen können.- Sie musste eine scharfe Regulierung der Stromnetze hinnehmen, die zu klarenEinnahmeausfällen in diesem Geschäftsbereich führt. Die Gewerkschaftenhaben berechnet, dass diese Maßnahme zu Entlassungen bei Netzgesellschaftenin deutlich fünfstelliger Höhe führen wird . Die vorgesehene Anreizregulierungerfüllt kaum die Anforderungen energiewirtschaftlicher Logik und der entsprechendenErfordernisse.- Gerade eben wurde eine Kartellrechtsnovelle verabschiedet, die nach Meinungaller Experten kontraproduktiv ist und gegen die sich die Unternehmen derEnergiebranche nach Kräften gesträubt haben. Vergeblich- Beim Handel mit Emissionsrechten für Kohlendioxid wird sie härter belastet alsjede andere Branche oder jeder andere Bereich der Gesellschaft. Sie musste imGegensatz etwa zur Industrie besonders hohe Reduktionsziele hinnehmen.- Die Vereinbarung über den vorzeitigen Ausstieg aus der Kernenergie kam nur<strong>des</strong>halb zustande, weil sich die Branche dem politischen Druck nicht entziehenkonnte. Inzwischen sollte uns die Anzeichen für einen gefährlichen Klimawandelund die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen klüger gemacht haben. Aberalle Versuche, die Laufzeitverkürzung für Kernkraftwerke zurückzunehmen,haben bis jetzt nicht gefruchtet.• Im Kontrast dazu hat es etwa die Solarbranche geschafft, ein Subventionierungssystemzu etablieren, das schon mittelfristig die bekannte Kohlesubventionie-


ung aus der Vergangenheit in den Schatten stellen wird.• Ich will mich darüber nicht beklagen. Die Ursachen für die Erfolglosigkeit unsererBemühungen sind vielfältig. Aber die Niederlagen gerade auf diesem Feld stehenin einem grotesken Kontrast zur vermuteten und immer wieder unterstellten politischenMacht der Energieunternehmen.Zu 4. und 5.:• Demokratie lebt von Meinungsfreiheit, von Diskussion, Dialog und Partizipationder Betroffenen. Wenn eine Straße gebaut werden soll, werden die Anwohnerebenso gehört und beteiligt wie die Träger öffentlicher Belange und die Umweltorganisationen.Sie sind dann Lobbyisten ihrer jeweiligen Interessen. Wird einGesetz geplant, das die Energiewirtschaft betrifft, ist eine Beteiligung der betroffenenUnternehmen ebenso selbstverständlich.• Die Frage nach einem Verbot von Lobbying ist also bestenfalls naiv. Es setztezudem Grundrechte außer Kraft. Es wäre gleichbedeutend mit einer der Einschränkungdemokratischer Rechte.• Transparenz und klare Regeln für das Lobbying würden einen wichtigen Beitragzur Entmystifizierung <strong>des</strong> Prozesses leisten.• Die Forderung nach einer völligen Öffentlichkeit von Gesprächen erinnert abereher an Zeiten, als die Grünen meinten, öffentliche Koalitionsverhandlungen seienein probates Mittel für mehr Demokratie und Transparenz. Das einzige, was esbewirkte, war ein groteskes Politiktheater. Gelegentlich geht es beim Gesprächmit Regierungsvertretern auch um den Austausch sensibler Daten, die demGeheimnisschutz unterliegen. (etwa bei der Netzregulierung, wo bei aller Transparenzkeine Geschäftsgeheimnisse an Wettbewerber verraten werden dürfen).Zu 6.:• Ein politischer Diskussionsprozess ist kein Fußballspiel. Aber ich plädiere füreinen Code of Conduct: Einen Kodex mit freiwillige Leitlinien für ein gutes undethisch verantwortungsvolles Lobbying. Darin festzuschreiben wäre etwa dieIntegrität der Lobbymaßnahmen: Wahrhaftigkeit, der verantwortungsvolleUmgang mit Daten und Fakten; Transparenz: Positionierungen prinzipiell offenlegen; Partizipation: Diskussion der Unternehmensziele und -maßnahmen mitden Stakeholdern: also den Anteilseignern, Kunden, Lieferanten, den gesellschaftlichenGruppen.Es wäre auch zu definieren, was unzulässig ist, nämlich alles, was der Integritätder berechtigten Vertretung von Interessen zuwiderläuft: Die Gründung undUnterstützung von getarnten Interessenorganisationen zum Beispiel oder dieverdeckte Finanzierung von Organisationen, um sie für bestimmte Interessenagieren zu lassen. verdeckte Spenden an Politiker oder Parteien und dergleichenmehr.Zu 7.:• Auf keinen Fall. Politik als ein hermetisch abgeschotteter Zirkel ist keine attrak-33


34tive Vorstellung. Wir wollen Politiker, die über eine gestandene Lebens- undBerufserfahrung verfügen. Durchlässigkeit zwischen den Sphären der Politik, derWirtschaft und den Non-Profit-Organisationen ist im höchsten Maße wünschenswertund findet viel zu selten statt – übrigens in beiden Richtungen. Erfahrung invielen Berufsfeldern fördert den Sachverstand und die Qualität der Gesetzgebung.Die Alternative wäre ein lebenslanges Berufspolitikertum und ein Beamtenparlament.• Es wäre spannend zu diskutieren, wie man verfahren sollte, wenn ein politischerEntscheidungsträger sein Amt niederlegt oder verliert und danach direkt Aufgabenin einem Unternehmen oder in einem Verband wahrnehmen möchte, für das oderden er zuvor politisch an entscheidender Stelle zuständig war. Auch hier gibt esrechtliche Aspekte zu bedenken – z. B. die Freiheit der Berufswahl.• Fiktives Beispiel: Ein ehemaliger Staatssekretär eines Umweltministeriumswechselt als Geschäftsführer zu einem Umweltverband und nutzt dort seineamtsinternen Kenntnisse intensiven Kontakte ins Ministerium für seinen neuenArbeitgeber. Statthaft oder nicht?Zu 8.:• Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass Politiker engagierte Menschen sind, diesich leidenschaftlich für bestimmte Themen einsetzen. Umgekehrt fördern wirdas politische Interesse unserer Mitarbeiter.• Abgeordnete auf Bun<strong>des</strong>ebene oder im Europäischen Parlament üben eine Funktionaus, die sie im Grundsatz vollständig fordern sollte. Umgekehrt dürfen Politikeraber auch nicht von der Politik abhängig werden. Das heißt, man musseinen Unternehmer erlauben, dass er sich weiter um sein Unternehmen kümmert,einem Anwalt, dass er seine Anwaltskanzlei weiter betreibt. Ein Mitarbeitereines Unternehmens soll dahin zurückkehren können, wenn er sein Mandatniederlegt. Wenn jemand ein, zwei oder drei Legislaturperioden hindurch sichnicht um seinen ehemaligen Beruf oder seine Branche gekümmert hat, wird er inaller Regel kaum mehr in seiner ursprünglichen Profession einsetzbar sein.• Es müsste spätestens hier einmal präzise definiert werden, was Sie unter Lobby-Arbeit verstehen.• Sind etwa Gewerkschaftsfunktionäre als Abgeordnete tragbar? Da hat es zahlloseBeispiele gegeben• Ist es unproblematisch, dass führende Politiker der Regierungskoalition oder aufLan<strong>des</strong>ebene im Parlamentarischen Beirat <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verban<strong>des</strong> ErneuerbareEnergien sind? Ist es sinnvoll, dass die Politiker im Beirat <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verban<strong>des</strong>BioEnergie sitzen, die gleichzeitig über die Vergütungssätze von Biogasanlagenentscheiden? Es ist nicht zu übersehen, dass das Parlament den Interessen dieserBranche ganz aktuell ein großes Verständnis entgegen bringt.• Hier könnte jemand einwerfen, dass ein Engagement für Erneuerbare Energieseinem/ihrem politischen Verständnis entspricht und er/sie insofern nur eine


politische Aufgabe wahrnimmt. Das müsste man dann wohl auch gelten lassenfür eine Abgeordnet, die sich für die Kernenergie stark macht.• Summa summarum ist diese Frage zu komplex, um in einem solchen Stadium derDiskussion schon eine allgemeine Regel aufstellen zu können.• Unverzichtbar ist Transparenz. Politiker müssen ihre Einkünfte ebenso offenlegen,wie ihre Tätigkeiten außerhalb <strong>des</strong> Mandats. Aber auch hier gibt es begründeteAusnahmen: Ich bin hier ganz auf der Seite etwa von Otto Schily, der sichals Rechtsanwalt auf seine diesbezügliche Schweigepflicht beruft. Organisationen,die Lobbyarbeit betreiben, müssen offenlegen, wer sie finanziert.Zu 9.:• Diese Frage scheint mir ein Ausdruck alten Denkens zu sein. Wirtschaftsinteressenund Gesellschaftsinteressen stehen nicht zwangsläufig in einem Widerspruch.Wenn man etwa die Interessen der Industrie der erneuerbaren Energieansieht, so würde ich nicht davon sprechen, dass sie den Gesellschaftsinteressenautomatisch widersprechen. Ebenso wenig wie bei uns. Die Interessen derErneuerbaren tun das womöglich teilweise, jedenfalls gibt es solche Auffassungenbei Natur- und Umweltschützern ebenso wie bei Volkswirten und Wissenschaftlernunterschiedlicher Provenienz. Übrigens: Hersteller erneuerbarer Energietechnologienfinden sich in Listen, in denen die privaten VermögensmilliardäreDeutschlands aufgeführt werden. Immer häufiger wird mir die Frage gestellt, obdieser private Superreichtum (der prinzipiell jedem zu gönnen ist) womöglichdurch Subventionen möglich wurde, die über den Erneuerbare Energien-Anteilam Strompreis beim Privatverbraucher erhoben werden. Beim Thema Energiesind die Lobbyorganisationen, die teils objektiv, teils subjektiv die Industrie derErneuerbaren Energieproduzenten vertreten (teils bezahlt, teils ohne Honorierung)eindeutig im Vorteil gegenüber Unternehmen, die auch andere Energieträgerverwenden. Dabei verfügen die EE-Lobbyisten natürlich inzwischen auch übergroße Budgets, einen nennenswerten Stab von qualifizierten Mitarbeitern undpolitischen Analysten und sind sehr gut mit wissenschaftlichen Institutionen vernetzt.Demgegenüber haben Menschen, die – in welcher Funktion auch immer –etwa die Kohle- oder Kernenergie als einen unverzichtbaren Bestandteil <strong>des</strong>deutschen Energiemixes sehen, eher einen schweren Stand. Vor allem in der veröffentlichtenMeinung ist da von einer „Waffengleichheit“ nicht zu sprechen.Hier schlägt das Herz vieler Berichterstatter und Kommentatoren klar für dieEE-Industrie – aus welchen Gründen auch immer. Die Vertreter der Kohle- undKernindustrie müssen im Zweifel mit deutlich kritischerer Presse rechnen.Zu 10.:• Das Thema ist jedenfalls präsent, spätestens seit die EU-Kommission ihr „Grünbuchüber eine europäische Transparenzinitiative“ vorgestellt hat. Der Lobbyismusauf europäischer Ebene bildete den Schwerpunkt <strong>des</strong> Grünbuchs. Inzwischen istdie Einrichtung eines öffentlichen Registers für Interessenvertreter beschlossen.35


36Die Eintragung erfordert auch eine gewisse finanzielle Transparenz. Ebenso sollauf EU-Ebene der von mir angesprochene „Code of Conduct“ für die Beziehungenzwischen EU-Kommission und Interessenvertretern erarbeitet und erlassenwerden. Zum Dritten will die Kommission offenlegen, von wem sie sich bei welchenVorhaben beraten lässt.• Damit ist die EU insgesamt auf einem guten Weg .Zu 11.:• Ja. Wenn Sie sich beispielsweise anschauen, wie bestimmte Politiker und Verbändevertreteragiert haben, um aus einem vergleichsweise unbedeutenden technischenZwischenfall an einem Trafo eines Kernkraftwerkes einen „Gau“ herbei zuzaubern, kann man das nur bejahen. Oder nehmen Sie das „Ownership Unbundling“:Es gibt keinen einzigen Beweis für die dieser Forderung zugrunde liegendeUnterstellung, es gebe in Deutschland, einen systematischen Missbrauchmarktbeherrschender Positionen im Energiesektor. Gleichwohl haben Unternehmensvertreterund Verbände im deutschen wie im EU-Kontext diese Forderungnahe an den Bereich der wahrscheinlichen Umsetzung gebracht. Glaubt irgendjemand,dass hier keine materiellen Interessen im Spiel sind? Oder nehmen Sieein positives Beispiel für agenda-setting: EnBW hat im September 2006 alserstes deutsches Unternehmen einen Klimakongress veranstaltet. Damit habenwir in der gesamten Industrie und in der Diskussion insgesamt ein Zeichengesetzt. Mittlerweile gibt es drei große Klimainitiativen von Unternehmen unddem BDI. Gleichwohl: Themen können nicht einfach kraft Willens auf die politischeTagesordnung gehievt werden. Man kann ihnen zum Durchbruch verhelfen,wenn sie quasi in der Luft liegen, man kann sie in ihrer Latenzphase verstärken.Zu <strong>12.</strong>:• Dieselben, die etwa auch Journalisten zur Verfügung stehen. Methoden, wie siedie Frage suggeriert, sind kriminell und gehören bestraft. Da gibt es entsprechendeGesetze. Im Übrigen würden derartige Methoden nicht zum Erfolg führen:Glaubwürdigkeit, Kompetenz, Zuverlässigkeit, Wahrhaftigkeit und eine gute politischeund gesellschaftliche Vernetzung sind auf jeden Fall hilfreich.Zu 13.:• Die Frage ist albern. Politik nutzt zahlreiche Informationsquellen, in erster Liniewissenschaftliche Expertise und, wenn es gut läuft, eigene Erfahrung. Das Wissen,das sich in den Unternehmen generiert, ist aber in jedem Fall eine wertvolle undauch unverzichtbare Ressource, denn es kommt aus erster Hand. So erklärt sichdas – bererechtigte – Frageinteresse der Politik und Administration. Übrigens:Wer weiß das besser als die Medien, die sich, um zu profunden Auffassungen zukommen, möglichst nah an den Ort <strong>des</strong> Geschehens begeben sollte.?• Und noch einmal: Demokratie ist Teilhabe. Und Diskussion macht klug. Oderwollen wir einen Staat, der über die Köpfe der Betroffenen hinweg entscheidet?


Zu 14.:• Die Kartellbehörden sind für den freien Wettbewerb zuständig. Soweit ich weiß,klagen sie nicht übermangelnde personelle oder materielle Ausstattung.Zu 15.:• Wir haben generell zuwenig Berichterstattung über die EU und wenn, dann zusehr durch die nationale Brille. Hier werden die Medien ihrer Aufgabe nichtgerecht.• Bei jeder Europawahl beklagen sich die Medien über das geringe Interesse, blendendann aber fast ausschließlich die nationalen Wahlergebnisse ein und diskutierenprimär die Auswirkungen auf die nationale Machtbalance.Ergänzende Fragen:1. Die Sensibilität der Bürgerinnen und Bürger gegenüber dem Einfluss vonLobbyorganisation scheint gewachsen. Beobachten Sie ebenfalls einekritischere Öffentlichkeit?• Wir beobachten, dass generell das Verständnis für eine Teilhabe von Unternehmenan der politisch-gesellschaftlichen Debatte gewachsen ist. Das hat damit zutun, dass der staatliche Sektor zurückgeht und der private Sektor immer größereTeile der öffentlichen Belange verantwortet – bis hinein in hoheitliche Bereiche.Die Unternehmen, welcher Provenienz auch immer, sind zunehmend verpflichtet,sich gegenüber der Gesellschaft zu öffnen. Wenn sie sich nur um ihre betriebswirtschaftlichenBelange kümmern würden, würden sie bald vom Markt verschwinden.So werden sie – im gelungenen Fall – aus reinem Eigennutz ihrersozialen, ökologischen und kulturellen Verantwortung gerecht. Diese Verantwortungwächst, je mehr die Welt zusammenrückt und die Regulierungsmöglich -keiten der Nationalstaaten abnehmen.• Das heißt nicht nur, seine Meinung öffentlich zu sagen und Positionen kenntlichzu machen. Das bedeutet darüber hinaus die Einführung von Regelwerken füreine gute Unternehmensführung (Corporate Governance) und die Anerkennungvon gesellschaftlicher Verantwortung für Nachhaltigkeit, Kultur und Soziales(Corporate Social Responsibility) durch die Benennung von Verantwortlichen imUnternehmen, die Einrichtung von Strukturen, die Definition von Abläufen undVerfahren und deren externe Überprüfung. Dazu gehört auch Transparenz durchBerichtspflichten, wie zum Beispiel die Veröffentlichung von Nachhaltigkeits -berichten.• Ein Bestandteil dieser Verantwortung ist der Dialog mit Politik, Gesellschaft undKultur, die Debatte mit unseren „Stakeholdern“: Den Kunden, Lieferanten, denGewerkschaften, Kirchen, Umweltverbänden, Verbraucherorganisationen undnatürlich auch mit Regierung und Parlament. Ich rede von einem Dialog und nichtvon einem Monolog. Das heißt, wir vertreten hier nicht nur unsere Interessen,sondern nehmen auch die Wünsche und Forderungen aus Politik und Gesell-37


38schaft auf und versuchen, daraus zu lernen und unser unternehmerischesHandeln weiter zu entwickeln.2.Sie plädieren für einen „Lobby-Kodex“, der genau regelt, was in der Praxiserlaubt und was verboten sein soll. Was sind ihre Kernpunkte, die geregeltwerden müssen?• Integrität: Die Verpflichtung zu einer wahrhaftigen Information über das Interesseeines Unternehmens.• Konsistenz: Tun, was man sagt; sagen, was man tut;• Transparenz: Für Politik und Öffentlichkeit: Registrierung der Interessenvertreterin einem Register; Offenlegung ihrer Auftraggeber. Für die Regierung: Offen -legung der Regierungsberater und der Vorhaben, an denen sie mitgewirkt haben.Für die Unternehmen: Prinzipiell Lobbyziele und Positionen benennen. Interessenvertreterbenennen.• Partizipation: Diskussion der Unternehmensziele und -maßnahmen mit denStakeholdern, also den Anteilseignern, Kunden, Lieferanten, den gesellschaft -lichen Gruppen.• Und es wäre auch zu definieren, was unzulässig ist, nämlich alles, was der Integritätzuwiderläuft: Die Gründung und Unterstützung von getarnten Interessenorganisationenzum Beispiel oder die verdeckte Finanzierung von Organisationen,damit sie sich für bestimmte Interessen stark machen, verdeckte Spenden anPolitiker oder Parteien und dergleichen mehr.3.Wer unterstützt ihre Position?• Die Transparenzinitiative der EU-Kommission zielt für Brüssel in eine ganz ähn -liche Richtung.• Die de’ge’pol, die Deutsche Gesellschaft für Politikberatung, hat sich und ihrenMitgliedern einen Verhaltenskodex gegeben, der einen Teil unserer Ideen abdeckt.4.Vor allem ältere Lobbyisten sagen: Unsere Arbeit entzieht sich prinzipiell derÖffentlichkeit. Wir brauchen keine Regeln.“ Ist diese Haltung noch zeitgemäß?• Diese Haltung ist nicht mehr zeitgemäß, weil sie den Faktor der öffentlichenAkzeptanz ignoriert. Wer dauerhaft erfolgreich seine Interessen vertreten will,muss dafür eine breite gesellschaftliche Akzeptanz, besser noch Unterstützunghaben. Die kann nicht in Hinterzimmern errungen werden, sondern nur in derAuseinandersetzung mit Politik, Medien und Gesellschaft.Das heißt nicht, dass ich je<strong>des</strong> Gespräch im Ministerium nur noch vor den Objektivenvon Fernsehkameras führen darf.5.Wie realistisch ist es, einen eigenen Kodex für die Lobbyarbeit mit verbindlichenRegeln aufzustellen?• Da die Bedeutung der politischen Kommunikation stetig wächst, wächst auchder Bedarf an verbindlichen Spielregeln. Schaut man sich die Entwicklungen, beispielsweisein den USA an, so ist es sehr wahrscheinlich, dass auf Dauer Lobbyarbeitnur noch auf Basis eines solchen Kodex’ möglich sein wird.


6. Besteht nicht die Gefahr, das ein möglicher Lobby-Codex nur von wachsweichenFormulierungen getragen wäre? So sieht es ja zum Teil auf dereuropäischen Ebene aus.• Die Gefahr ist nicht auszuschließen. Aber die beschlossene Einrichtung einesöffentlichen Registers und die Offenlegung der Subventionsempfänger gehenweit über unverbindliche Empfehlungen hinaus.• Wichtig ist ein Einstieg. Mit den Erfahrungen kommt auch die Weiterentwicklung.7. Sie haben Al Gore nach Berlin zu EnBW geholt; hat sich die Investitiongelohnt?• Al Gore hat die Teilnehmer <strong>des</strong> 2. Deutschen Klimakongresses der EnBW begeistert,mitgerissen und für den Schutz der Erdatmosphäre motiviert. Insofern hat sichdie Einladung sehr gelohnt.• Sein Auftritt hat zudem das Engagement der EnBW für den Klimaschutz wirksamunterstrichen. Mit dem 1. Deutschen Klimakongress eines deutschen Unternehmenshat die EnBW 2006 eine Pionierrolle übernommen und deutlich gemacht,dass eine stringente Klimaschutzpolitik die Unterstützung von Unternehmen hat.Sie hat damit den Stellenwert <strong>des</strong> Klimaschutzes in der Öffentlichkeit und in derPolitik erheblich gestärkt. Der 2. Kongress in diesem Jahr hat gezeigt, dass essich beim Klimaschutz für die EnBW um eine Daueraufgabe handelt, der immermehr ins Zentrum der unternehmerischen Entscheidungen rückt.Damit geht die EnBW übrigens durchaus auch Risiken ein, denn wir werden andiesem nicht immer leicht zu folgenden Anspruch auch gemessen werden.Die öffentlichen Reaktionen auf den Auftritt von Gore waren außerordentlichermutigend, das Medienecho war enorm. Auch wenn wir gelegentlich das Gefühlhatten, manchem Berichterstatter wäre es lieber, wenn sein tradiertes Freund-Feind-Bild nicht so durcheinander gewürfelt würde und alles hübsch ordentlichin den altbekannten Schubladen verbliebe.8. Wie wichtig sind die Medien als Transportsystem für die Interessen derLobby?• Die gesellschaftliche Diskussion braucht Öffentlichkeit. Sie herzustellen, ist dieAufgabe der Medien, aber auch, die Diskussion zu moderieren und zu gewichten.Wir sind aktive Teilnehmer der Diskussion und insofern Gegenstand der Berichterstattung.Eine rein interessengebundene Kommunikation hat nur wenigChancen. Gebraucht werden Kompetenz und gute Argumente, im Zweifel diebesten. Da gibt es einen harten Wettbewerb.39


„BRÜSSEL: Eldorado der Interessenvertreter“Hans Martin Tillack, Stern-Korrespondent, BerlinZu 1.:Lobbying ist grundsätzlich legitim. Da finanzstarke bzw. leicht organisierbare Interessenbeim Lobbying jedoch Startvorteile gegenüber weniger finanzstarken oderschlechter organisierbaren Interessen haben, sollte Lobbying möglichst transparentgemacht werden. Mögliches Vorbild: die Regeln in den USA.Zu 2.:Lobbyisten sollten nicht zugleich Mitarbeiter in Ministerien oder in der EU-Kommissionsein. Abgeordnete sollten ihre Nebentätigkeiten offen legen und zwar idealerweiseüber das jetzt im Bun<strong>des</strong>tag geforderte Maß hinaus – undZu 3.:Wird eher unterschätzt. Besonders in Brüssel findet die Gesetzgebung mangelsKontroverse zwischen Regierung und Opposition weitgehend unter Ausschluss derÖffentlichkeit statt. Hier haben es Lobbyisten noch leichter als in Berlin, ihre Interessenohne viel Aufsehen zu vertreten.Zu 4.:Durch Transparenzregeln, die Lobbyisten eine Registrierpflicht auferlegen und sieverpflichten, ihre Kundenbeziehungen offen zu legen. Das von der EU-Kommissiongeplante Lobbyregister bleibt selbst weit hinter den Regeln zurück, die in Washingtonbereits vor über 60 Jahren (1946) eingeführt und 1995 deutlich verschärft wurden.Zu 5.:Ja.Zu 6.:Nur als Beispiel: In den USA werden bei Verstößen gegen Lobbying Disclosure Acts(LDA) Geldbußen bis 50 000 Dollar verhängt.Zu 7.:Nein, aber es sollte eine Karenzzeit („cooling-off period“) geben, in der die Aufnahmesolcher Tätigkeiten untersagt ist oder untersagt werden kann. EU-Kommissaremüssen im ersten Jahr nach ihrem Abschied bekanntlich um Genehmigung ersuchen,wenn Sie eine neue bezahlte Tätigkeit aufnehmen wollen. Dass die deutschenRegeln an diesem Punkt sehr lückenhaft sind, hat 2005 sogar der Europarat (Groupes’Etats contre la corruption- GRECO) kritisiert. Selbst die existierenden deutschenUntersagungsmöglichkeiten werden in Berlin offenbar wenig genutzt. Für Europaabgeordnete,Bun<strong>des</strong>tagsabgeordnete, Minister oder Bun<strong>des</strong>kanzler gelten inDeutschland überhaupt keine Karenzzeiten.Zu 8.:EU-Abgeordneten sollten Nebentätigkeiten erlaubt bleiben. Allerdings sollten diegeltenden Transparenzvorschriften zumin<strong>des</strong>t (!) auf das jetzige Niveau <strong>des</strong> Bun-40


<strong>des</strong>tages angehoben werden. Heute müssen Europaabgeordnete nicht einmalansatzweise die Höhe ihrer Nebeneinkünfte veröffentlichen, lediglich Beträge, diesie „im Rahmen ihrer politischen Tätigkeit“ erhalten. Zudem werden die Angabenzu den „finanziellen Interessen“ nur in der Sprache der jeweiligen Abgeordnetenveröffentlicht – also zum Beispiel in Griechisch, Bulgarisch oder Maltesisch,obwohl diese Abgeordnete über europaweit geltende Gesetzgebung mit befinden.Das zeugt – auf Seiten <strong>des</strong> Europaparlaments – von beträchtlicher Unverfrorenheitgegenüber den Bürgern.Zu 9.:Transparenz kann die Ungleichheit zumin<strong>des</strong>t helfen auszubalancieren.Zu 10.:Die europäische öffentliche Debatte ist generell beklagenswert unterentwickeltund lässt kritische Diskussionen über Missstände auf EU-Ebene oft fast vollkommenvermissen. Das gilt auch für das Thema Lobbying.Zu 11.:Sie haben Mittel dazu, zum Beispiel durch die gezielte Setzung von Themen überJournalisten oder die entsprechende Beeinflussung von Amtsträgern.Zu <strong>12.</strong>:Viele. In Deutschland ist bekanntlich selbst die Beschenkung/Bestechung vonAbgeordneten legal, so weit es nicht um Stimmenkauf geht.Zu 13.:Es wäre wünschenswert, wenn Parlamentarier auf deutscher wie auf EU-Ebenemehr Mittel für qualifizierte Mitarbeiter hätten. Das wäre wichtiger als mancheandere finanzielle Privilegien etwa der Europa-Abgeordneten.Zu 14.:Mir scheint, dass die EU-Kommission zumin<strong>des</strong>t in der Vergangenheit ihre GeneraldirektionWettbewerb im Vergleich zu Generaldirektionen ohne vergleichbare Kompetenzenzu stiefmütterlich ausgestattet hat. Diese Klage hört man zumin<strong>des</strong>t vonden betroffenen Mitarbeitern der „DG Competition“.Zu 15.:Bei weitem nicht. Die EU-Berichterstattung ist zu stark beeinflusst von den EU-Institutionen, vor allem der EU-Kommission. Auch wegen <strong>des</strong> Fehlens einer organisiertenparlamentarischen Opposition gibt es zu wenige kritische Debatten überEU-Gesetzgebung wie über Missstände in den Brüsseler Apparaten – den Einflussder Lobby eingeschlossen41


„BRÜSSEL: Eldorado der Interessenvertreter“Dr. Ulf Böge, Präsident Bun<strong>des</strong>kartellamt a. D.I.Lobbyismus, ob in Brüssel oder in Deutschland, wird zumeist als reine Interessenvertretungwirtschaftlicher Belange – ob durch Unternehmen, Verbände oder Vereinigungen– verstanden und oft pauschal abgelehnt und als verwerflich oderunmoralisch bewertet.Pauschale Verurteilungen dienen der Sache letztlich aber nicht. Sie sind nicht differenziertgenug.Wer wollte etwas dagegen haben, dass jemand seine Interessen artikuliert! Darf ersie dann nicht anderen gegenüber vertreten?Parlamentarier sind Interessenvertreter – <strong>des</strong> Volkes oder ihrer Partei oder derGruppierungen, die sie gewählt haben und die sie wieder wählen sollen?Parteien vertreten Interessen. Aber sind das nur gesellschaftspolitische? Es gibt inDeutschland z. B. keine Bauernpartei. Aber was ist mit jenen Landwirten, die Abgeordneteim Europäischen Parlament, in Lan<strong>des</strong>parlamenten oder im Bun<strong>des</strong>tagsind? Wie steht es mit den Parlamentariern, die den Beruf <strong>des</strong> Schornsteinfegerserlernten: Sie werden in Deutschland wohl kaum für das Ende <strong>des</strong> Gebietsmonopolsvon Schornsteinfegern votieren.Wirtschaftliche Interessen von Unternehmen/Branchen und politische Interessen,die nicht nur von Parteien artikuliert und vertreten werden, gehen oft Hand inHand. Fassen wir beide Worte zusammen, sind wir beim Begriff der Wirtschafts -politik. Auch andere Interessenfelder finden ihren Ausdruck als „Anhängsel“ derPolitik: Sozialpolitik, Arbeitsmarktpolitik, Industriepolitik, Landwirtschaftspolitik,Mittelstandspolitik, Sportpolitik usw.Eigentlich bedeutet das nichts anderes, als dass die jeweiligen Interessen im parlamentarischenWillensbildungsprozess wie auch bei der Exekutive ihren Eingangfinden. Erfolgt das in einem offenen Abwägungsprozess mit den Interessen anderer,wäre das für mich „sanfter Lobbyismus“, an dem an und für sich nichts Verwerf -liches dran ist.Denn Entscheidungsträger brauchen die notwendigen Informationen. Es geht nichtohne das Fachwissen von Experten, ohne die Kenntnisse von Auswirkungen auf42


wirtschaftliche Prozesse, ohne Hinweise aus der Wirtschaft auf neue innovativeEntwicklungen, wenn die Politik nicht an den Bedürfnissen der Menschen vorbeiregierenwill.Diktaturen kennen keine Lobbyisten. Aus Demokratien ist die Interessenvertretungdagegen nicht wegzudenken. Sie ist grundsätzlich Teil <strong>des</strong> demokratischenWillensbildungsprozesses, der den Interessenausgleich zum Wohl <strong>des</strong> Ganzen alsZiel haben sollte.II.Wo kommt also das Anstößige <strong>des</strong> Lobbyismus her?Der englische Ausdruck „pressure group“ kommt bei direkter Übersetzung deremotionalen Empfindung näher. Interessen werden mit aller Macht ohne Rücksichtauf andere auf allen Wegen oder Nebenwegen mit allen Mitteln durchgesetzt.Ich würde hierfür den Begriff „harter Lobbyismus“ verwenden.Dabei sind „Schmiermittel“ jedweder Art, ob direkte Bestechung oder weichereAusgestaltungen wie Angebote von Vorteilen, z. B. in Form von Vergnügungsreisen,zweifelsohne inakzteptabel, aber durchaus Realität. Sie zu verfolgen, bedarf esallerdings keiner neuen Regelungen, denn diese existieren bereits. Das Problemliegt hier eher im mangelnden Unrechtsbewußtsein einerseits sowie der Beweisführungandererseits.Ein erhebliches Problem liegt aber auch darin, dass wirtschaftliche Partikularinteressenoft als gesellschaftspolitische verbrämt werden. Der Vergleich mit der Werbungliegt nahe: sie kann transparent und informativ aber auch hämmernd undunterschwellig sein.Auch Lobbyismus kann mit hoher Transparenz am „runden Tisch“ stattfinden. Einwändegegen diese Form wären sicher fehl am Platze. Große Unternehmen vertretenihre wirtschaftlichen Interessen jedoch meist nicht an „runden Tischen“.Anders als mittelständische und kleine Unternehmen, die ihre Interessen in Verbändenbündeln müssen, um gehört zu werden, haben sie schnellen Zugang bis indie Spitze der politischen Instanzen. Und wenn es um ihre wirtschaftlichen Interessengeht, steht ihnen „ihre“ Gewerkschaft meist zur Seite.Man nehme das Beispiel der Deutschen Post AG. Trotz vieler Widerstände läuft dasBriefmonopol der Deutschen Post AG Ende <strong>des</strong> Jahres aus. Mittelständische undkleinere Dienstleister haben sich mit umfangreichen Investitionen auf den kom-43


menden Wettbewerb vorbereitet. Möglicherweise müssen sie diese aber letztlichabschreiben, wenn sich die Deutsche Post AG gemeinsam mit der GewerkschaftVerdi bei ihrem Lobbying durchsetzen kann, den für ihren Bereich ausgehandeltenMin<strong>des</strong>tlohn durch die Politik für allgemein verbindlich erklären zu lassen. DieMonopolstellung der Deutschen Post AG wäre damit durch die Hintertür wiederweitgehend abgesichert.Eine andere Form von Lobbyismus sind „vertrauliche Gespräche“ zwischen demVorsitzenden eines einzelnen Unternehmens und einem Minister oder dem Bun<strong>des</strong>kanzler.Wie, wenn dabei strategische Unternehmenspläne politisch vorabgeklärtwerden, z. B. dass ein Fusionsvorhaben die ministerielle Erlaubnis erhaltenwird, falls das Bun<strong>des</strong>kartellamt es untersagen sollte? Dieser Verdacht ist z. B.nach der EON-Ruhrgas-Fusion öffentlich erhoben worden.III.So berechtigt die Sorge vor mißbräuchlichen Handlungsweisen und die Forderungnach Kontrolle <strong>des</strong> Lobbyismus ist, sollte man aber nicht gleich in ein Extrem verfallen.Denn warum sollte man den personellen Wechsel von der Politik (einschließlichdem von Beamten – Angestellte <strong>des</strong> öffentlichen Dienstes in gleicher Positionkönnte man sowieso nicht daran hindern –) in Unternehmen oder Verbände undvice versa, wie er in den USA selbstverständlich ist, untersagen?Warum Abgeordneten <strong>des</strong> europäischen oder eines anderen Parlamentes – dieimmer nur auf Zeit gewählt sind – alle Nebentätigkeiten untersagen? Reicht einmöglichst hohes Maß an Transparenz nicht aus?Es wäre wohl naiv anzunehmen, man könne Lobbyisten aus den Parlamenten entfernen.Dann dürften uns letztlich nur noch Berufsänfänger regieren. Im übrigenstünde das auch im Widerspruch mit der Forderung, Parlamente sollten den Querschnittder (beruflichen) Bevölkerung abbilden.Man kann Lobbyismus nicht verbieten – und in einer Demokratie sollte man esauch nicht.Man kann auch nicht anordnen, dass Interessenvertretung nur öffentlich erlaubtist. Dafür sind die Formen zu vielfältig.Entscheidend ist vielmehr,- dass gegen unbillige Verhaltensweisen und die unerwünschte Einflußnahme aufpolitische Entscheidungsprozesse ein Gegengewicht existiert,- dass es bestimmte Grundsätze gibt,44


- dass eine abgewogene offene Interessendarstellung von dritter Seite für Transparenzvon Entscheidungsprozessen sorgt und- dass es ausreichende Sanktionen gegen Mißbrauch gibt.Denn es wäre wohl schlimmer, die Auswirkungen eines „harten Lobbyismus“ zuunterschätzen als die <strong>des</strong> „sanften Lobbyismus“ zu überschätzen.Dem Lobbyismus die „rote Karte“ zu zeigen, dürfte leichter umsetzbar sein als die„gelbe“. Rot sind Straftatbestände oder Ordnungswidrigkeiten, die keiner grundsätzlichneuen Regeln bedürfen. „Gelb“ ist schwerer zu definieren, denn vieles wasnicht zweifelsfrei zu untersagen oder nachzuweisen ist, hat doch ein „Geschmäckle“,wie oben genannte Beispiele zeigen.Hier hilft m. E. nur eines: ein kritischer Journalismus, der Unternehmens- und Brancheninteressendeutlich macht, der Entscheidungsprozesse begleitet und sie fürjeden transparent macht, der auf Objektivität achtet und dabei sauber zwischenInformation und Kommentar trennt. Er muß hier allerdings die Fähigkeit besitzen,sich nicht von PR-gesteuerten Informationen – von welcher Seite auch immer –einfangen zu lassen.45


„BRÜSSEL: Eldorado der Interessenvertreter“Rolf Dieter KrauseZu 1.:Nein.Zu 2.:Wenn sie drin sind, ja.Zu 3.:Ich weiß nicht, wie der Einfluß von Lobbyisten eingeschätzt wird, <strong>des</strong>wegen kannich „über“ oder „unter“ nicht beantworten.Zu 4.:Wahrscheinlich nicht. Es wäre auch der falsche Ansatzpunkt.Zu 6.:Natürlich: Ein Code of Conduct wäre wahrscheinlich hilfreich. Die Frage aber ist, obsich dann in der Brüsseler Praxis viel ändern würde?Zu 7.:Wie würde sich das mit dem Umstand vertragen, das die EU-Mitgliedstaaten freieLänder sind?Zu 8.:Warum? – Ich halte das nicht für in Ordnung. Aber die Entscheidung darübermüssen die Wähler treffen. Wichtig ist, dass man es weiß (wie bei Elmar Brok).Zu 9.:Ja, durch entsprechende politische Strukturen. Die haben wir in der EU allerdingsnicht (und werden sie auch nicht bekommen).Zu 10.:Nein.Zu 11.:Wenn damit gemeint ist „willkürlich“: nein.Zu <strong>12.</strong>:In der EU: ArgumenteZu 13.:- Aus welchen denn? Das ist ja gerade das Problem.Zu 14.:Weiß ich nicht. Müßte man die fragen. Mein Eindruck ist, dass gerade die europäischeKartellbehörde durchaus Zähne hat (s. Microsoft).Zu 15.:Balanciert? Dann nicht. Wir machen keine PR gesteuerte Berichterstattung, undauch andere Medien sind da nach meiner Beobachtung resistent.Wenn Sie mir eine grundsätzliche Bemerkung erlauben: Ihre Fragen erwecken mirden Eindruck, dass Sie einen eher fragwürdigen Begriff von Lobby verwenden. Die46


Regierungen der Mitgliedstaaten (oder von Regionen wie etwa den deutschenLändern) sowie die NGO’s scheinen nicht dazuzugehören. Die aber sind gerade inBrüssel außerordentlich aktiv.47


PANEL„SUMPF UND REIBACH– KLISCHEES UND KOLPORTAGE“Die hervorragende BBC-Kolportage-Reihe „Der große Reibach“ hat es uns in den1980er Jahren mit subtiler Ironie und in satirischer Zuspitzung gezeigt: Brüssel istder Tummelplatz für politische und ökonomische Interessenvertreter aus den Mitgliedsstaatenund Beitrittskandidaten sowie für europäische Selbstdarsteller inAmt und Würden. Und was vor gut 20 Jahren galt, ist heutzutage umso schlimmer.Alle EU-Mitglieder unterhalten Vertretungen. Selbst die deutschen Bun<strong>des</strong>länderhaben ihre Büros „vor Ort“. Konzerne, Gewerkschaften, Organisationen sind „imSchatten <strong>des</strong> Atomium“ schwer aktiv. Alle wollen über Kommissionspläne und Entscheidungenrechtzeitig im Bild sein, besser noch diese in ihrem Sinne beeinflussen,mitwirken. Und die Kommissare, Generaldirektoren und Referenten in den27 Ressorts haben ein offenes Ohr oder streuen Sand in die Augen, je nach dem.Das gängige Klischee vom Brüsseler Tagesgeschäft beinhaltet den strengen Glaubenan Rituale und fest verankerte Interaktionsmuster. In dieses angebliche Klimavon „Sumpf und Reibach“ in Brüssel (aber auch an den übrigen EU-„Standorten“Straßburg oder Luxemburg) mischen sich die Ansprüche der Aufheller und Luftverbessereraus Verbraucherorganisationen und anderer NGOs und selbstverständlichder Informationshunger der Medien. Die Journalisten in Brüssel – Korrespondentenaus „aller Herren Länder“ – haben es in<strong>des</strong> nicht leicht. Sie stoßen in Brüsselnach eigener Einschätzung mit ihrer Wissbegier an die hohe Mauer einer gebetsmühlenartigenund oftmals selbstreferentiellen EU-Informationspolitik. Andererseitserleben Korrespondenten ein wachsen<strong>des</strong> Desinteresse an den oftmals48


komplexen Europalösungen. Das Bestellverhalten der Heimatredaktionen zeigt esihnen deutlich, wenn sie sich den Mund fusselig geredet haben und dennoch nurein Mini-Zweispalter Platz im Blatt findet.Brüssel ist der Ansicht, dass alles am besten ohne Öffentlichkeit läuft. Dabei werdenhier Weichen gestellt für das Zusammenleben von nunmehr 370 MillionenMenschen. Es ist Zeit, diesen circulus vitiosus zu durchbrechen. Wenn Lobbyistenin Brüssel aktiv werden – wie der deutsche Verband der Privaten TV-Anbieter imFalle der „Fernsehrichtlinie“ –, muss der Bürger die Hintergründe und auch die Entscheidungskriterienumgehend erfahren. Aus Brüssel! Von den Verantwortlichenund gut unterrichteten Korrespondenten.49


LEITFRAGEN: Journalismus in Brüssel1. Entspricht das Klischee von den „Brüsseler Spitzen“ den Tatsachen?2. Wie hat sich die Arbeit der Journalisten in Brüssel verändert –positiv bzw. negativ?3. Was führt in vielen Ländern (GB, Italien) zum Desinteresse an „Europa“?4. Wie ist die „Einkaufspraxis“ der europäischen/ der deutschen Medien inBrüssel? Was bieten „Korris“ den Heimatredaktionen an?5. Kritiker der EU-Institutionen (z. B. Ex-Bun<strong>des</strong>präsident und VerfassungsrechtlerRoman Herzog) beobachten einen „Mangel an Demokratie“ (demokrat.Willensbildung). Lässt sich das aus Sicht der Korrespondenten bestätigen?6. Verfügt das Europäische Parlament über eine echte legislative Macht?7. Brauchen wir ein „Europa der Regionen“?8. Inwieweit hat der Prozess der „EU-Verfassung“ (Giscard-Entwurf mehr als1000 Seiten stark) die Wahrnehmung Brüsseler Sujets verändert?9. Welche Informationspolitik wird betrieben, welche müssten die EU-Institutionenbetreiben?10. Welche Rolle spielen die Lobbyisten im Informationspuzzle?11. Katapultiert sich die „europäische Idee“ ins Nirwana?50


„Sumpf und Reibach – Klischees und Kolportage“Niels Kadritzke, Lettre InternationalZu 1.:Die geistigen Mütter und Väter hatten ein klareres Fundament als heute, weil diehistorische Bedeutung <strong>des</strong> Projekts klarer und plausibler war, eben nach dengroßen Kriegen <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts. Das Problem ist, dass der Europa-Gedankenach 1989 eine neue Gestalt annahm, als er durch eine zweite „historische Mission“nicht nur ergänzt, sondern überformt wurde – durch die Einigung <strong>des</strong> durch denKalten Krieg gespaltenen Europa. Seitdem stellt sich auch die zentrale Frage nachdem Verhältnis von Vertiefung und Erweiterung entschieden anders. Dabei hat der„big bang“ von 2004 sowohl die Brüsseler Instanzen und die politische Klasse derEU überfordert, als auch die breitere EU-Öffentlichkeit verunsichert.Zu 2.:Eine sinnvolle Antwort ist nur möglich, wenn die Fragen einvernehmlich identifiziertsind. „Politik und Gesellschaft“ müssen also zunächst ehrlich definieren,welche Fragen überhaupt noch „offen“ bzw. welche schon (vor-)entschieden sind,bzw. welche gar nicht gestellt werden können, weil sie auf einer ganz anderen Ebene(etwa der WTO) geregelt sind, ohne dass die EU-Bürger je dazu gefragt wurden.Zu 3.:Politische Instanzen einer Union, deren Legitimation nicht an ein europäischesWahlvolk zurückgebunden sind, kann man nicht „demokratisieren“, sondern nurmehr oder minder „fair“ austarieren. Die einzige durch Wahlen legitimierte Institution,das Europäische Parlament, wird erst eine „demokratische“ Funktion gewinnen,wenn es als wichtiges Entscheidungsorgan und nicht nur als Resolutions-Gremiummit sehr begrenzten Kontrollbefugnissen konstituiert wird. Das dürfte erst der Fallsein, wenn es eine EU-Steuer gibt, über deren Höhe und Verwendung das Parlamentnach politischen Kriterien streiten könnte.Zu 4.:Die Regionen könnten zu Transmissionsriemen zumin<strong>des</strong>t in dem Sinne werden,dass sie transnationale Bewegungen artikulieren und so dazu beitragen, denBegriff <strong>des</strong> „nationalen Interesses“ zu entmystifizieren und zu differenzieren. Die„Aufweichung“ der Grenzen durch bi- oder gar trinationale Regionen sind momentannicht nur der beste, sondern fast der einzige Impuls für eine politische Dynamik,die auf mittlere Sicht mehr als ein diffuses europäisches Bewusstsein hervorbringen könnte, nämlich agierende europäische Bürger.Zu 5.:Alle Anzeichen sprechen dafür, dass Europa schon heute von innen (von denmeisten EU-Bürgern) eher als „Konzern“ und von außen (z. B. von den vielen Einwanderungsaspiranten)als „Festung“ gesehen wird. Dieser Eindruck ist durchaus51


52realistisch, wenn man die marktradikale Wirtschaftspolitik – entgegen der „sozialen“Rhetorik“ im Verfassungsvertrag – und die Einwanderungspolitik plus Schengen-Grenzregime betrachtet. Zu einem weltweit ausstrahlenden Demokratie-Modellfehlen derzeit fast alle Voraussetzungen.Zu 6.:Die Reaktion der direkt befragten EU-Bürger auf den Verfassungsvertrag ist einstarkes Indiz für ein gespürtes Wertedefizit. Und dieses Gespürt ist richtig, etwa imHinblick auf das kaum existente „soziale Europa“: Wenn die EU nur als starkerBinnenmarkt und Globalisierungsplayer konstruiert ist, tritt sie den Bürgern als dieInstanz entgegen, die im Namen <strong>des</strong> Marktdogmas einen schmerzhaften „Sozialabbau“durchsetzt, den ihnen die eigene nationale Regierung nicht zumuten wollen,weil sie sonst abgewählt würden. Von einer Minderheit aktiver Europa-Befürworterwird ein weiteres „Wertedefizit“ empfunden: die fehlende Eigenständigkeitder EU-Außenpolitik im Sinne einer selbstbewußten „soft power“, die sich konsequentfür das Völkerrecht und die internationale Gerichtsbarkeit stark macht.Zu 7.:Angesichts der konstatierten „Wertedefizite“ ist es kein Wunder, dass es keineEU-weite Öffentlichkeit im Sinne eines ständigen breiten Diskurses gibt. Insofernist es ein ehrliches Abbild der Realität, dass in den Massenmedien der einzelnenLänder klassische EU-Themen vornehmlich aus der Perspektive „nationaler Ego -ismen“ diskutiert werden (abgesehen von den europaweiten Klagen und Satirenüber die „Brüsseler Bürokratie“). Das hat gar nichts mit der Sprachenvielfalt derUnion zu tun. Die ist keineswegs ein kommunikationshemmender Faktor, imGegenteil: Der Reiz, andere Sprachen zu lernen, ist für viele „aktive“ Europäer einMotiv, sich wirklich auf andere Länder einzulassen, sei es während <strong>des</strong> Studiums(z.B. mithilfe <strong>des</strong> höchst sinnvollen Erasmus-Programms), sei es als beruflicheMigranten.Zu 8.:Die zunehmende Mobilität von immer mehr EU-Bürgern ist für mich die wichtigsteEntwicklung, die konkret auf eine gesamteuropäische Lebenswelt hinwirkt. DasLeben und Arbeiten möglichst vieler EU-Bürger in einem anderen EU-Land, daszugleich eine Einmischung in das soziale und politische Leben bedeutet, wirdirgendwann zu einer neuen, aber stets hybriden und vielfältig ausgeprägten „europäischenIdentität“ führen (es muss ja nicht gleich die „europäische Seele“ sein).Alles, was diese Binnenwanderungen fördert, scheint mir sinnvoll, alles was siebehindert, sollte vermieden werden.


„Sumpf und Reibach – Klischees und Kolportage“Martin Romanczyk, dpaZu 1.:Grundsätzlich: Nein. Dennoch ist klar, auch in Brüssel und an den anderen Standortender EU agieren Menschen, die für die Untiefen <strong>des</strong> Lebens empfänglich sind.Und außerdem sind Politiker und Beamten immer nur so gut, wie die Aus-(Wahl) inderen Heimat.Zu 2.:Das Geschäft ist schneller geworden. Europa ist wichtig – das hat sich inzwischenim Bewusstsein der Menschen festgesetzt, und entsprechend hat sich die Nachfragein der Heimat erhöht. Es gibt mehr Konkurrenz, was nicht unbedingt der Qualitätzugute kommt. Journalisten sind inzwischen einem täglichen Sperrfeuer vermeintlichwichtiger Informationen von Politik, Wirtschaft, NGO ausgesetzt. Deshalb wirdder Auswahlprozess – Was ist wichtig? – immer schwieriger.Zu 3.:Zumeist einer Tradition: Politiker bedienen die Klischees ihrer Bürger, und Medienverstärken den Effekt noch.Zu 4.:Wir bei dpa sind in der privilegierten Situation, die Agenda – in enger Absprachemit der Zentrale – zumeist selbst setzen zu können.Zu 5.:Nein, angesichts der fast immer widerstrebenden Interessen von 27 Staaten ist fürausreichend politische Debatte gesorgt und damit auch für einen – wenn auchmüh samen – demokratischen und vergleichsweise transparenten Entscheidungsprozess.Zu 6.:Ja, und es wird mit den kommenden neuen Verträge mehr Einfluss bekommen.Zu 7.:Ja, zumin<strong>des</strong>t ein solches europäisches Selbstverständnis.Zu 8.:Die Verfassung ist nun tot – die politischen Prozesse entlang ihres Sterbens habensicher geholfen, dass Europa zumin<strong>des</strong>t in den Medien inzwischen besser erklärt wird.Zu 9.:Eine Informationspolitik, die überall dort betrieben wird, wo Menschen Interessendurchsetzen wollen.Zu 10.:Eine große Rolle – aber nichts spricht dagegen, sich den Lobbyisten zu entziehen.Zu 11.:Nein!53


„Sumpf und Reibach – Klischees und Kolportage“Bettina Warken, ZDFZu 1.:Das Klischee ist mir nicht bekannt.Zu 2.:Das muss der Korrespondent beurteilenZu 3.:Möglicherweise sind es dieselben Gründe, die auch in Deutschland das Bildprägen: mangelnde Transparenz, Vielzahl der Gremien und Entscheidungswege,komplizierte Kompromissformeln, die nicht immer nachvollziehbar sind, öffent -licher Streit der Mitgliedsländer, wenig Bürgernähe durch Bürokratie und Entfernung.Zu 4.:Das Angebot <strong>des</strong> Korrespondenten ist umfangreich und vielseitig. Es richtet sichdabei auch an unterschiedliche Sendeformate. Zum Beispiel sind Portraits vonAbgeordneten eher in Ländersendungen zu finden und Berichte über die Strukturender EU in den Nachrichten eine Pflicht.Wir bemühen uns, über wichtige Entscheidungen der EU immer in zwei Phasen zuberichten, 1. in der Vorbereitung – worum geht es – wie sehen die Positionen ausund 2. bei der Verabschiedung – welche Auswirkungen haben sie. Gleichzeitigbilden wir regelmäßig die Diskussionsprozesse ab, z. B. über den Klimawandeloder die Position der EU zu außenpolitischen Fragen.Zu 5.:Aus Sicht der Nachrichtenzentrale stellen wir eine „mehr“ an Demokratie fest. DieRechte <strong>des</strong> europäischen Parlaments sind in den letzten Jahren gestärkt worden.Gleichzeitig liegen die wesentlichen Entscheidungen immer noch in der Hand derKommission oder werden auf EU-Gipfel getroffen. In beiden Fällen fehlt es manchmalan der Transparenz. Wie ist eine Entscheidung zustande gekommen? WelcheDiskussionen liegen der Entscheidung zugrunde?Zu 6.:Sicher nicht vergleichbar mit dem deutschen Parlament, aber die Kompetenz istgrößer geworden.Zu 7.:Ein Europa der Regionen gibt es schon im Bereich der regionalen Förderung, grundsätzlichist eine zusätzliche Zersplitterung nicht hilfreich in der Berichterstattung.Ob es die EU oder die Regionen stärken würde, wage ich zu bezweifeln.Zu 8.:Die Abstimmungsniederlagen zur Verfassung waren sicher ein starker Rückschlagin der öffentlichen Wahrnehmung. Die politischen Diskussionen mit Polen, Italienoder Großbritannien haben auch nicht dazu beigetragen, die Dimension und54


Bedeutung <strong>des</strong> Verfassungsvertrages im öffentlichen Bewusstsein zu verankern.Zu 9.:Sicher wäre eine offene Diskussion im Umgang auch mit Fehlentwicklungen (z. B.Korruption oder Bürokratie) wichtig für die Akzeptanz. Die Kontrolle der Institutionenist zu wenig ausgeprägt. Auch eine Erklärung warum Kommissare aus Malta dasLeben der Menschen in Frankreich und Deutschland mitbestimmen, wäre hilfreich.Wer steht für was in der Union und warum ist sie von Nutzen. Dabei sind es aberauch die heimischen Parlamente, die Erfolge für sich verbuchen und Misserfolge inBrüssel ansiedeln.Zu 10.:Es entsteht der Eindruck, dass die Nähe der Lobbyisten zu den Parlamentariernoder der Kommission besonders ausgeprägt ist. Allein die Vielzahl der Büros unddie Veränderungen vieler Richtlinien lassen diesen Eindruck entstehen.Zu 11.:Da es keine Alternative dazu gibt, werden wir dazu beitragen müssen, dass es nichtso kommt.55


„Sumpf und Reibach – Klischees und Kolportage“Claudia Deeg, SWR„Journalisten in den Heimatredaktionen finden EU-Themen selten sexy“, die Wortestammen von einem Brüsseler Kollegen. Für viele Korrespondenten, die sich mit derEuropäischen Union beschäftigen, ist es ein Kampf, mit EU-Themen in die Redaktionenvorzudringen und in den Blättern und Programmen zu landen. Wenn, dann tauchendie Themen in den großen überregionalen Tageszeitungen auf – gerne im Wirtschaftsteil.Die Folge: Berichterstatttung für Eliten, meistens durch die nationale Brillebetrachtet. „Was bedeutet die Richtlinie aus Brüssel für uns in Deutschland? KannstDu das Thema auf die Region runterbrechen?“ – so die Bitten der Redakteure in derHeimat. Der Leser der Lokalzeitung nimmt die EU wenig wahr, obwohl immer mehrEntscheidungen auf europäischer Ebene getroffen werden. Das (angebliche?) Desinteresseder Leser, Hörer und Zuschauer führt dazu, dass sie unterschätzt werden.Dabei wurde beispielsweise die Diskussion in Frankreich vor dem Referendum unddem Nein der Bevölkerung zum EU-Verfassungsvertrag im Jahr 2005 durchaus breitund auf hohem Niveau geführt – wenn auch vor allem national motiviert. Und auchjetzt wieder wünscht sich eine deutliche Mehrheit der Franzosen (61%) eine Volksabstimmungüber die abgespeckte EU-Verfassung, den „Mini-Vertrag“. Für sieAusdruck von Demokratie.Berichte über die ausufernde Brüsseler Bürokratie werden immer wieder gernegedruckt. Die Europäische Union wird vor allem im Zusammenhang mit Krisen undSkandalen wahrgenommen. Beiträge über die Förderung diverser Projekte durch dieEU tauchen selten auf. Die Analyse von Claude Guéant, Generalsekretär im Elysée-Palast und wichtigster Berater <strong>des</strong> französischen Präsidenten trifft zu: „Die Bürger inEuropa haben oft das Gefühl, dass die EU ihr Leben komplizierter macht.“ Das Praktischean der EU für die Politik: Man kann anderen Ländern oder der EU-Bürokratieetwas in die Schuhe schieben oder sich selbst grandios in Szene setzen. PräsidentNicolas Sarkozy ist das geglückt mit seinem Einsatz für die Freilassung der bulgarischenKrankenschwestern in Libyen, für den er sich in der Heimat feiern lassen konnte.Die Korrespondenten in Brüssel hangeln sich entlang am Terminjournalismus, wühlensich durch Berge von Informationen, davon viele überflüssig und sprachlichunverständlich – und haben kaum Zeit, sich intensiv in die wichtigen, kompliziertenThemen einzuarbeiten. Wer zum ersten Mal an einem Briefing für einen Agrarrat teilnimmt,dem raucht der Kopf. Nicht zu vergessen, das aggressive Lobbying der verschiedenenInteressengruppen. Schätzungsweise 15.000 Strippenzieher soll es inBrüssel geben. Ihre Aufgabe: Einfluss nehmen auf Politik und Medien. Um darauf aufmerksamzu machen, vergeben mehrere Nichtregierungsorganisationen den „WorstEU Lobbying Award“. Im vergangenen Jahr bekam ihn Ölgigant ExxonMobil in diesemJahr sind u. a. die Automobilhersteller BMW, Daimler und Porsche die Kandidaten.57


PANEL„ZWISCHEN GREENWASHING UND AVANTGARDE– WEGMARKEN ZUR EUROPÄISCHENÖFFENTLICHKEIT“Eine europäische Öffentlichkeit, die ihren Namen verdient hätte, gibt es bishernicht. Aber es gibt europäische Leuchttürme, Projekte, die sich auf den Weg zueiner europäischen Öffentlichkeit begeben haben und dabei recht erfolgreich sind.Ob Internet, Print oder elektronische Medien- noch immer stehen nationale Interessenund Normen im Vordergrund. Europäische Projekte müssen europäischeGemeinsamkeiten finden, ohne hinter mühsam erworbene Standards von Ethikund Öffentlichkeit zurückzufallen.Beispiel Internet:Klicksafe.de ist Teil <strong>des</strong> Safer Internet Programms der Europäischen Kommission.Klicksafe will über die Gefahren <strong>des</strong> Internets aufklären. Viren, Dialer und jugendgefährdendeInhalte sind der Gegner, dem mit Aufklärung und Information zu Leibegerückt werden soll. Die Vermittlung von Medienkompetenz für Kinder, Jugendlicheund Eltern steht im Mittelpunkt der Aufgaben. Auf nationaler Ebene gibt es Knotenpunktewie in Deutschland Klicksafe.de, auf europäischer Ebene wird die Zusammenarbeitvon Insafe koordiniert. Insafe steht für „Internet Safety Awareness forEurope“.Beispiel Print:Le Monde diplomatique hat in Frankreich eine Gesamtauflage von rund 700 000Exemplaren, der überwiegende Teil davon geht ins Ausland. Le Monde Diplomatiquehat eine eigene Europaredaktion. Nach eigener Aussage „verleiht Le Monde Diplo-58


matique dem globalen Austausch der Ideen eine neue Dimension“. Lettre Internationalnennt sich selbst „Europas Kulturzeitung“ Selbstdefinition: „Die Arbeit vonLettre International beruht auf dem Grundkonzept, ein internationales und interdisziplinäresintellektuelles Forum für Europa zu schaffen. Die Themen der Zeitschrift,die Herkunft der Autoren und der Leserkreis reichen jedoch über Europaweit hinaus.“ Die Mehrzahl der Beiträge ist aus anderen Sprachen übersetzt. Ausgabengibt es in deutscher, italienischer, spanischer, ungarischer, rumänischer unddänischer Sprache. Die Ausgaben sind nicht identisch. Jede Redaktion arbeiteteigenständig und selbstverantwortlich.Beispiel Elektronische Medien:ARTE die „Association Relative à la Télévision Européenne“ soll laut GründungsvertragFernsehsendungen produzieren,“ die in einem umfassenden Sinne kulturellenund internationalen Charakter haben und geeignet sind, das Verständnis unddie Annäherung der Völker in Europa zu fördern.“ ARTE- Info gilt vielen als europäischeTagesschau, die durch einen anderen, europäischen Blick auf die Tagesereignissebesticht. Arte denkt europäisch, ist aber im Kern ein deutsch-französischesUnternehmen geblieben.Lange haben sich andere europäische Sender zurückgehalten, sie wollten diedeutsch-französische Medienachse nicht noch verstärken. Mittlerweile gibt esimmerhin „Kooperationen“ mit RTBF in Belgien, SRG SSR idée suisse in derSchweiz, TVE in Spanien, TVP in Polen, ORF in Österreich, YLE in Finnland, NPS inden Niederlanden, BBC in Großbritannien und SVT in Schweden.59


LEITFRAGEN: Greenwashing1. Die nationalen und regionalen Öffentlichkeiten in Europa sind historischgewachsen. Eine europäische Öffentlichkeit muss erarbeitet und gefördertwerden. Warum brauchen wir überhaupt eine europäische Öffentlichkeit?2. Lettre international will ein Forum für Europa schaffen, betont aber gleich,dass die Themen weit über Europa hinausreichen. Ist Europa die letzteBastion gegen die Globalisierung? Greift eine „europäische Öffentlichkeit“zu kurz angesichts weltweiter Vernetzung?3. ARTE zeigt, dass die Initiative zweier Länder (Deutschland/Frankreich) vonden europäischen Nachbarn lange argwöhnisch beobachtet wurde. Wasmacht eine europäische Zusammenarbeit so schwer?4. Die Standards für Ethik, journalistische Unabhängigkeit, Staatsnähe oderFerne in den Medien sind in Europa sehr unterschiedlich.Wie kann verhindert werden, dass Exemplarisches und Beispielhaftesverschwindet und nur noch der kleinste gemeinsame Nenner gilt?5. Obwohl von einer „europäischen Öffentlichkeit“ nur als Zukunftsprojektgesprochen werden kann, gibt es schon heute funktionierende Netzwerke,Knotenpunkte, Kooperationen. Was zeichnet solche erfolgreichen europäischenProjekte aus? Gibt es ein Erfolgsrezept? Wenn ja, welches?60


„Zwischen Greenwashing und Avantgarde –Wegmarken zur europäischen Öffentlichkeit“Reinhold Albert, EU-Beamter, BüsselZu 1.:Um eine stabile Zukunft zu haben, muss Europa mehr sein als der Zusammenschlussvon Nationalstaaten zur Steigerung <strong>des</strong> politischen Einflusses und derwirtschaftlichen Macht. Europa muss auch in den Köpfen der Menschen alsgemeinsame Lebenswelt ankommen. Billigflieger und Schengen reichen alleinnicht aus.Zu 2.:Es geht bei der europäischen Öffentlichkeit um europäische Identität. Sie ist einewesentliche Voraussetzung, damit Europa in den Zeiten der Globalisierung wahrgenommenwird und eine gewichtige Rolle spielen kann. Den europäischen Nationalstaatenwird dies allein nicht gelingen.Zu 3.:Es handelt sich um traditionellen Argwohn gegen politische Achsen. Wie die aktuellenDiskussionen zur europäischen Verfassung, insbesondere über die Einräumungvon Sonderrechten bei Mehrheitsentscheidungen zeigen, müssen wir wohlnoch einige Zeit damit leben. Bei den neuen Beitrittsstaaten kommt hinzu, dass dieZeit, die ihnen nach den politischen Umwälzungen Ende der 80-er/Anfang der 90-er Jahre die „Blockfreiheit“ gebracht hat, noch zu kurz ist, um aus der Positioneiner stabilen nationalen Identität heraus sich einem engeren Staatenverbund aufeuropäischer Ebene zu öffnen.Zu 4.:Der Versuch einer Nivellierung der kulturellen Vielfalt würde kein Mehr an europäischerIdentität bringen, sondern zu einem Scheitern <strong>des</strong> Europagedankens führen.Das Europa der Regionen muss daher gefördert werden und zu enge, einheitlicheStandards sind zu vermeiden. Eine Annäherung noch unterschiedlicher Standardswird die Verstärkung einer innereuropäischen Kommunikation, verbunden mit demFaktor Zeit bringen.Zu 5.:Netzwerke funktionieren, weil Interesse an den Erfahrungen der Anderen besteht;sei es um davon zu profitieren, sei es um davon Abstand zu nehmen. ErfolgreicheBeispiele sind in meinem Metier die EPRA und die EBU. Sie funktionieren erfolgreich,wenn der europäischen Vielfalt – auch in dem jeweiligen Metier – Raum verbleibtund man sich zugleich anderen Ideen und Sichtweisen öffnet.61


„Zwischen Greenwashing und Avantgarde –Wegmarken zur europäischen Öffentlichkeit“Martin Stadelmaier, Chef der Staatskanzlei Rheinland-PfalzZu 1.:Europäische Öffentlichkeit ist wichtig, denn sie erhöht die Akzeptanz für die EuropäischeUnion. Gemessen an der nationalen Politik ist Europapolitik immer nochetwas für Spezialisten. Wenn nicht Vorurteile und Verzerrungen das Bild vonEuropa prägen sollen, ist europäische Öffentlichkeit notwendiger denn je.Zu 2.:Die EU kann die Globalisierung gestalten, d. h., sie verträglich machen. Der einzelneMitgliedstaat ist im globalen Kontext dazu kaum in der Lage. Das europäischeEinigungsprojekt war und ist nicht nur auf sich bezogen. Als bedeutender Wirtschaftsraummit ausgeprägtem Gesellschaftsmodell hat die EU internationalgroßes Gewicht. Der Reformvertrag stärkt die EU als globalen Akteur. Eine verstärkteeuropäische Öffentlichkeit ist ein dringend erforderlicher Bestandteil weltweiterVernetzung.Zu 3.:Auf der Grundlage etwa jeweils national ausgeprägter Journalismuskulturen undSehgewohnheiten war es schwer, einen gemeinsamen Nenner für das deutschfranzösischeKooperationsprojekt zu finden. Aber das Ergebnis spricht für sich undbeweist: Die Vielfalt Europas, auch die der Sprachen, lebt und belebt.Zu 4.:Die Medienschaffenden sind in der Verantwortung, Vereinbarungen zu ethischenStandards ihrer Arbeit im Sinne einer Selbstverpflichtung festzulegen und Sank -tionsmechanismen zu fixieren. In Deutschland gibt es dafür den Presserat und <strong>des</strong>senPressekodex. Um die Situation europaweit zu verbessern, müssen institutionelleund organisatorische Rahmenbedingungen für ein sicheres Fundament sorgen, aufdem Journalisten arbeiten können. Dies geschieht im Übrigen mit der Grundrechtechartaoder auch mit der neuen Richtlinie für audiovisuelle Medien.Zu 5.:„Europäische Öffentlichkeit“ gibt es schon jetzt, zumin<strong>des</strong>t in Ansätzen. Medienund Bürger in Europa diskutieren gleichzeitig über gemeinsame Themen, etwaüber BSE oder die EU-Dienstleistungsrichtlinie. Was überregionale Zeitungenangeht, haben die so genannten „Europaseiten“ Schule gemacht. EuropäischeÖffentlichkeit wird aber durch die Macht <strong>des</strong> Faktischen zunehmend an Raumgewinnen, auch durch das Internet.62


„Zwischen Greenwashing und Avantgarde –Wegmarken zur europäischen Öffentlichkeit“Monika Oelz, cafebabel.comZu 1.:Europa ist längst Realität geworden. Auch wenn sich die Bürger nach wie vor innerhalbnationaler Denk- und Handlungsschemen bewegen, bestimmt die europä -ische Agenda längst unser Alltagsleben und die Themen, die uns beschäftigen.Eine europäische Öffentlichkeit würde dieser Entwicklung nur entgegenkommen.Ebenso leidet die EU unter einem Legitimationsdefizit gegenüber seinen Bürgern:die Institutionen scheinen weit weg zu sein und der Demokratieprozess wird als zukomplex befunden. Hier kann nur eine europäische Öffentlichkeit langfristig dieoptimale Lösung sein, um die europäische Integration voran zu treiben.Zu 2.:Die Globalisierung zwingt uns sicherlich dazu, uns mit weiterreichenden Themenzu beschäftigen. Diese Themen können nicht ignoriert werden – aber eine europäischeÖffentlichkeit greift, wie ich meine, nicht zu kurz. Die EU braucht den Konsensseiner Mitgliedsstaaten, um eine kohärente europäische Außen- und Sicherheitspolitikzu führen. Nur wenn eine europäische Öffentlichkeit diesen Prozess begleitetund beeinflusst, kann die EU eine gemeinsame europäische Linie, die unabhängignationaler Interessen steht, verfolgen.Zu 3.:Je größer Europa wird, <strong>des</strong>to vielfältiger aber auch komplexer werden die Möglichkeitenfür eine europäische Zusammenarbeit. Konkurrenzbefürchtungen, unterschiedlicheQualitätsstandards und der Zwang möglichst hohe Quoten zu erzielen,lassen kaum Platz für Kooperationen innerhalb Europas. Europa aber brauchttransnationale Medienkooperationen, um der nationalen „Brille“ zu entkommen.Hier sollten Strukturen geschaffen werden, welche die Unabhängigkeit der einzelnenMedien gewährleisten und die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene erleichtern.Zu 4.:Europa hat kein einheitliches Mediensystem, dennoch gibt uns die Vielfalt dereuropäischen Medienlandschaft die Möglichkeit diese Systeme miteinander zu vergleichen.Von den unterschiedlichen Erfahrungen in den einzelnen Ländern könnenwir profitieren, um unser eigenes Mediensystem zu verbessern. Wir könnten etwadamit beginnen, über exemplarische Medienprojekte in unseren eigenen Medienzu berichten – Europajournalismus darf kein Projekt alleine für Einzelkämpfer bleiben.Der Blick in die USA etwa zeigt, dass journalistische Qualität dadurch gefördertwerden kann, indem Preise an exemplarische und beispielhafte Projekte verliehenwerden. Warum entwickeln wir nicht einen Pulitzer-Preis für europäischen Journalismus?63


Zu 5.:Dazu möchte ich Ihnen cafebabel.com präsentieren: Ein europäisches Online-Medium, das aus einem Netzwerk von über 1000 ehrenamtlichen Mitarbeitern und26 Lokalredaktionen in ganz Europa besteht. Als Plattform für partizipativen Journalismuswill cafebabel.com so viele Leser wie möglich in ihrer Mutterspracheerreichen. Cafebabel.com verwendet einen so genannten „Pro-Am“ (Professional-Amateur) Journalismus: Professionelle Journalisten der Zentralredaktion in Parisbearbeiten die Artikel der Jungjournalisten aus ganz Europa und sichern dadurchdie Einhaltung unserer Qualitätsstandards. Im Jahre 2001 gegründet, publiziertcafebabel.com heute wöchentlich ca. 15 Artikel in sieben Sprachen und wird vonMenschen aus ganz Europa besucht. Cafebabel.com hat bereits eine Plattform fürLeser, die über Grenzen hinweg denken, geschaffen: Zum einem über das 7-sprachigeEuropamagazin, in welchem alle Artikel eine europäische Perspektiveaufweisen. Zum anderen versucht cafebabel.com mit Hilfe seiner E-Communityeine grenzüberschreitende Debatte zu aktuellen Themen anzuregen.Das Erfolgsrezept von cafebabel.com liegt meiner Ansicht nach in den Themen undAufmachung der Artikel: Die Redakteure privilegieren einen frischen Ton, der nichtdas institutionelle Europa, sondern ein Europa der Bürger wiedergeben möchte.Die Entwicklung von cafebabel.com hin zu einem „Web 2.0“ Medium bezieht dieLeser in die Gestaltung <strong>des</strong> Magazins ein: Über die E-Community werden die Leseraktiv und regen europaweite Diskussionen an.64


PANEL„ZEILENSCHINDER UND LANGWEILER –AUF DEM STRICH DER EUROPÄISCHENMEDIENARENA“Der Hauptstadt-Journalismus in Berlin wird von vielen Medienkritikern und Wissenschaftlernmeist mit einer Mischung aus respektvoller Ergebenheit und ressentiment -geladener Distanz betrachtet. Über das wirkliche journalistische Leben auf der„Pfaueninsel“ (Kister) zwischen Reichstag und Borchardt wissen die interessiertenBeobachter nur wenig. Noch weniger ist über den journalistischen Alltag in Brüsselbekannt. Mehr Macht in der europäischen Hauptstadt hat merkwürdigerweisenicht gleichzeitig mehr Aufmerksamkeit für die Prozesse vor und hinter den politischenKulissen geführt. Und dies obwohl in den europäischen Demokratien mittlerweileklar ist, dass die Parlamente für viele Akteure nicht mehr das Standbein,sondern allenfalls das Spielbein ist. Kommunikationswissenschaftler sprechen vonder Ablösung der parlamentarischen Demokratie durch eine immer undurchsichtigerMediendemokratie. Wie funktioniert Journalismus in anderen Ländern? WelcheSpezifika prägen die mediale Landschaft? Können Medien den Europa-Gedankenfördern oder sind sie selbst die Protagonisten der Ressentiments? Wie kann eineinteressante Berichterstattung über Europa erfolgen, die sich nicht nur aus Klischeesund administrativer Verlautbarung speist?Diesen Fragen und Phänomenen wollen wir im Panel „Zeilenschinder und Langweiler– auf dem Strich der europäischen Medienarena“ auf den Grund gehen und vonJournalisten und Medien-Profis erfahren, welche besonderen Arbeitsbedingungenund mediale Rahmenbedingungen in ihren Ländern prägend wirken. Die Summealler Informationen, analytisch gewichtet und in Rede und Gegenrede vertieft,ergibt evtl. ein besseres Bild der gefährdeten europäischen Öffentlichkeit.66


LEITFRAGEN: Europäische Öffentlichkeit1. Welchen Status und welche Rollendefinition haben Journalisten in ihrem Land?2. Wie stark ist die Position als „Vierte Gewalt“ – als Kontroll-Instrument –entwickelt?3. Wie wird Presse- und Informationsfreiheit eingeschränkt?4. Wer bestimmt die politische Agenda – die Regierung oder die Medien?5. Welche Chance hat eine qualifizierte Gegenöffentlichkeit –als Garant für wirksamen Pluralismus- in ihrem Land?6. Welchen Einfluss nimmt eine zunehmend professionalisierte PR-Industriein ihrem Land?7. Wie bestimmen mächtige Lobby-Interessen die Agenda der Nachrichten undder Themenfindung?8. Welche Rolle spielt das Thema „Europa“ in der nationalen Berichterstattung?9. Sehen Sie einen „europäischen Geist“ in ihren Ländern? Können die Medienein europäisches Klima – jenseits direkt spürbarer ökonomischer Vorteile –fördern oder begleiten?10. Sie haben drei prioritäre Wünsche: Was müsste sich ändern oder verbessern,damit die Medien ihre Aufgabe in ihrem Land verantwortlich ausführenkönnten? (Stichworte: Berufsverständnis, Ethik, Unabhängigkeit, Rolle <strong>des</strong>Publikums etc.)67


„Zeilenschinder und Langweiler– auf dem Strich der europäischen Medienarena“Brigitte Alfter, Journalistin, BrüsselZu 1.:In Dänemark haben Journalisten einen hohen Status und gute Löhne. BesondersFernseh-Journalisten geniessen Star-Status und sind immer wieder in den Illustriertenund auch anderen Medien zu finden. Die Löhne sind wohl nicht zuletzt dank einerguten Organisierung auch gut im Verhältnis zu anderen Berufsgruppen mit einervergleichbaren Ausbildungszeit, auch als Freie Journalistin kann man in Dänemarkausgezeichnet leben, es gibt viele Freie und auch Tarifverträge für Freie. Allerdingsist dieser Status im letzten Jahrzehnt bedroht, und der Alltag ist angespannt.Wenn es zur Frage der Glaubwürdigkeit kommt, verblasst der Sternen-Status einwenig. Denn bei der Glaubwürdigkeit rangieren Journalisten – laut einer Umfragevor einigen Jahren – auf einer Ebene mit Politikern, Reklame-Leuten und – Autohändlern...Allerdings: Bei Umfragen, wo sowohl nach der Glaubwürdigkeit bestimmter Berufsgruppen,sowie nach den Informationsquellen gefragt wird, werden die grossenFernsehsender und die grossen Tagesmedien genannt – und zwar als glaubwürdigeQuellen.Dänische Journalisten sehen sich natürlich gerne als Wachhunde, sind aberde facto im Alltag oft Nachrichtenhunde. In Dänemark herrscht in diesen JahrenZeitungs- und TV-Krieg, wo z.B. mehrere lan<strong>des</strong>weite Gratiszeitungen gründlichden gemeinsamen Anzeigenmarkt ins Schaukeln bringen.Allerdings gibt es ein hohes Berufsethos, in einem kleinen Land kennt man sich,Debatten tauchen immer wieder auf, die erfahrenen Leute mit den erhobenenZeigefingern werden ernst genommen.Zu 2.:Das ist ja das eigentliche Selbstverständnis vieler Journalisten. Allerdings berichtenLektoren der Journalistenschulen, dass einige der jungen Leuten eher „was mitMedien“ machen wollen, als kritischen Journalismus zu betreiben.Generell muss Dänemark in der angelsachsischen Tradition eingeordnet werden,wo Berichte und Kommentare scharf getrennt werden, und die Rolle als VierteGewalt ernst genommen wird. So sind beispielsweise Traditionen der laufendenFortbildungen, <strong>des</strong> gegenseitigen Inspirierens und <strong>des</strong> Methoden-Teilens seit Endeder 1980’er etabliert.Zwischen Selbstverständnis und hektischer Alltags-Wirklichkeit ist natürlich immereine Lücke, aber auch hier kommt der Vorteil eines kleinen Lan<strong>des</strong> zum Zuge,sodass es immer wieder lebendige Debatten sowohl zu konkreten Berichterstattungenals auch zu mehr prinzipiellen Themen gibt.68


Zu 3.:Es gab in den vergangenen Jahren einige Fälle, wo die Pressefreiheit bedroht war,beispielsweise als zwei Journalisten und ihr Chefredakteur wegen Geheimnisverratangeklagt waren: Sie hatten einen Whistleblower aus dem Militärgeheimdienstzitiert, der die Grundlagen – oder eben die fehlenden Grundlagen – der dänischenRegierung blosslegte, als diese das Land in den Irak-Krieg zog. Der Whistleblowerwurde verurteilt, die Journalisten allerdings nicht.Die Informationsfreiheit - Dänemark hat ein im europäischen Vergleich wohlentwickeltesIFG – ist in diesen Jahren bedroht. Schwer bedroht, würde ich sogarsagen. Und zwar von Außen als auch von Innen.Von Innen sind nicht zuletzt unter der rechtsliberalen Regierung, die seit 2001 ander Macht ist (und am 13. November <strong>2007</strong> Wahl ausgeschrieben hat), die Archiv -regeln nicht beachtet wurden. Wenn Dokumente nicht mehr ordentlich archiviertwerden, sind sie später nicht mehr zu finden – und somit wird es auch unmöglich,IFG-Anfragen positiv und vollständig zu beantworten. Bei einer Konferenz imSeptember diesen Jahres wurden diese Themen von der Journalisten-FortbildungUpdate und dem Verband für Recherchejournalismus FUJ zur Sprache gebracht undan die Politiker herangetragen.Außerdem „droht“ eine Reform <strong>des</strong> dänischen IFGs – unter strikter Geheimhaltung– tagt eine Gruppe von Experten seit Jahren zum Thema, der Bericht wird Ende diesesoder Anfang nächsten Jahres erwartet und auch befürchtet.Ebenso von Innen kommen neue, immer höhere Kosten für Datenauszüge die – wennman nur um wenige Daten bittet – kostenfrei wären. Da gibt es auch rechtlicheFragen, die von europäischem Recht herrühren. Damit sind wir beim „von Aussen“.Von Außen wird das dänische IFG von der europäischen Zusammenarbeit bedroht.Durch die Solidaritätsklauseln gegenüber und durch die Geheimniskrämerei in derEU taucht immer wieder die Frage auf: Dänische oder Brüsseller Offenheit? Leidernehmen die dänischen Beamten gerne die Rolle <strong>des</strong> braven Strebers ein – im Gegensatzzu den Schweden, die für ihre Transparenz auch gerne mal mit der EU kämpfen.Zu 4.:Natürlich würde ich gerne behaupten, dass die Medien die Agenda bestimmen.Und das gelingt auch immer wieder mal.Aber wenn man bedenkt, dass Dänemark seit 2003 ein Land im Krieg ist, herrschtein schreiender Mangel an gründlicher Berichterstattung zum Thema Irak, Hintergründe<strong>des</strong> Krieges usw.Auch in Afghanistan sind dänische Soldaten, und zwar durchaus in „heissen“Gegenden <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>. Vor kurzem gab es einen Dokumentarfilm zum Thema, derIndizien dafür hatte, dass dänische Soldaten afghanische Gefangene an die US-Truppen auslieferten - und zwar nach Bushs Stellungnahme zur Frage <strong>des</strong> Schutzesvon Gefangenen bzw. in diesem Falle eben fehlenden Schutzes. Mit mehr als ausgezeichnetemSpin gelang es der Regierung, die Methoden <strong>des</strong> Journalisten69


70dermaßen in Frage zu stellen, dass die gesamte folgende Debatte nicht um diemöglicherweise zur Folter ausgelieferten Gefangenen ging, sondern um dieArbeitsmethoden <strong>des</strong> Journalisten. Pikantes Detail aus einem kleinen Land: Derderzeitige Spin-Doktor <strong>des</strong> Premierministers ist ehemals investigativer Journalist,kannte den Dokumentarfilmer und hatte sogar anfangs – bevor er den Job alsSpin-Doktor annahm – mit diesem über den Film geredet.Zu 5.:Auf dem TV-Markt geht es derzeit – wie in vielen anderen europäischen Ländernauch – um die Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen. Ein solcher Sender in Dänemark,TV2, soll eventuell gänzlich privatisiert werden, das Erste dänische Fernsehen, DR,hat grosse Probleme aufgrund von Fehlplanung bei einem Bauvorhaben. Da werdendann Abteilungen wie der Radio-Dokumentar – international preisgekrönt –einfach geschlossen.Bei den Zeitungen herrscht derzeit Krieg, mehrere hart konkurrierende Gratiszeitungenbedrohen die Einnahmen, die „Eindringlinge“ sind Metro (allerdings inzwischenschon voll etabliert) sowie ein isländischer Investor (der jetzt etwa einJahr da ist). Bei den Tageszeitungen herrscht derzeit Mecom-Stimmung, der BriteMontgomery hat mit geliehenem Geld große Teile <strong>des</strong> Tageszeitungsmarktes vomnorwegischen Orkla gekauft, und jetzt wird optimiert bis aufs Blut.Die Frage ist, wie lange diese Krise währt – denn wenn bei den Medien Krise herrscht,wird natürlich auch der Inhalt schwächer, und eine Generation von Nachwuchs-Journalisten bekommt eine dementsprechend schwächere Einführung ins Fach.Zu 6.:Die PR-Industrie ist in Dänemark – wie auch in anderen Ländern – sehr professionell.Derzeit sind mir keine aktuellen Studien bekannt, aber die Debatte flackertimmer wieder auf. Einer der wichtigen „Treffpunkte“ für diese Debatte wäre dieFachzeitschrift Journalisten, (herausgegeben vom dänischen Journalistenverband,vergleichbar mit DJV oder DJU, also Schwerpunkt auf Gewerkschaftsarbeit, in derZeitschrift allerdings Schwerpunkt Medien und Journalismus). Aber auch im Radiound in einigen Printmedien wird die Debatte aufgegriffen. Im Fernsehen möglicherweiseauch, ist mir aber derzeit (nach drei Jahren in Brüssel) nicht bekannt.Zu 7.:Lobby-Interessen sind in Brüssel allgegenwärtig. Nicht nur die Mailboxen werdenimmer gründlich gefüllt, besonders die grossen Lobby-Firmen haken dann auchnoch telefonisch nach: „Haben Sie die Einladung bekommen?“Think-Tanks tummeln sich fleissig, viele mit klaren Lobby-Interessen. Oft sind dortinteressante Informationen zu finden – wenn man denn auch dran denkt, andereBlickwinkel mit einzubeziehen.Auch Quasi-Medien tauchen auf und vertreten Lobbyinteressen – in dieser Stadt istQuellenkritik also ganz besonders wichtig.Zu dem Thema ist das Buch <strong>des</strong> ehemaligen Kommissions-Insiders Derk-Jan Eppink


sehr empfehlenswert: „Life of a European Mandarin“, wo die Interaktion von Lobbyismus,Medien und Regierende sehr schön beschrieben ist.Zu 8.:Europa schwappt bei dänischen Medien immer wieder zwischen den In- undAuslandsressorts hin und her. Lustig zu beobachten: Immer wieder, wenn z. B.Zeitungen reformieren, wird die Europa-Berichterstattung verschoben. Inzwischenhaben einige Zeitungen Europa übergreifend eingeordnet, sodass also von Themazu Thema entschieden wird, wo die Artikel erscheinen.Generell ist Dänemark eines der Länder, wo die Bevölkerung am besten zum ThemaEuropa informiert ist (laut Eurobarometer und ähnlichen Studien). Da haben wohlnicht zuletzt die vielen Volksabstimmungen ihres getan – denn dann haben diedänischen Wähler die Traktate gepaukt, debattiert – und dann darüber abgestimmt(1972 über Mitgliedschaft - ja, 1986 über den Binnenmarkt – ja, 1992 über den Vertragvon Maastricht /Schritte zur gemeinsamen Rechtspolitik, zur gemeinsamenWährung usw – nein, 1993 über den Vertrag von Maastricht plus den vier dänischenAusnahmen – ja, 1998 über den Amsterdamer Vertrag – ja, 2000 über die gemeinsameWährung – nein).Zu 9.:Einen europäischen Geist, tja. In den Leitartikeln sind die meisten grossen MedienEU-freundlich eingestellt, obgleich auch zeitweise eine kritische Haltung eingenommenwird. Alltagsberichterstattung und – in geringerem Grad – auch kritischerJournalismus sind vorhanden.In der Bevölkerung gibt es besonders unter jungen Leuten und vielleicht auch inden ethnisch nicht-dänischen Teilen der Bevölkerung ein Klima der Möglichkeiten.Selbstverständlich reist man in und ausserhalb Europas, selbstverständlich überlegtman ein Gastsemester an einer Universität im Ausland – besonders im europä -ischen und angelsächsischen Ausland.Dadurch, dass die dänische Regierung seit 2001 eine extrem stramme Einwanderungspolitikführt, z. B. wenn es um Familienzusammenführungen geht, gibt es vielejunge Neu-Dänen und ihre Partner oder Gatten, die sich in Schweden oder im Lan<strong>des</strong> -teil Schleswig niederlassen, um die strengen Regeln zu umgehen und doch die ge -wünschte Heirat leben zu können – eine ganz klare Nutzung europäischer Regeln.Zu 10.:• Eine höhere Priorität für Recherche – dazu ist im Alltag immer noch nicht genugPlatz.• Die Anzahl der Mitarbeiter darf nicht weiter verringert werden, die derzeitigenKündigungsrunden bei den Leitmedien schaden dem Qualitätsjournalismus.• Der Status der Berichterstattung über die Europäische Union muss besser werden.Vergleicht man Kopenhagener Hauptstadtjournalismus und Brüssel-Berichterstattung,sind die Brüssel-Redaktionen akut unterbesetzt im Verhältnis zu derMacht, die dort konzentriert ist.71


„Zeilenschinder und Langweiler– auf dem Strich der europäischen Medienarena“Michael Grabner, VerlagsmanagerAntworten aus österreichischer Sicht, jedoch weitgehend deckungsgleichZu 1.:Hoher sozialer Status, hohe Anerkennung, hohe „Annehmlichkeiten“. Bei großenMedien auch hoher Einfluss.Zu 2.:Hoch entwickelt; für Österreich: derzeit weinige „Aufdecker“; für Deutschland:intakte Szene. Der Wirtschaftsbereich ist deutlich schwieriger zu bearbeiten als derpolitische Bereich.Zu 3.:Keinerlei Einschränkungen. Im Bereich Wirtschaft wird durch immer dünnere Informationspolitikund mehr „Vernebelungs-PR“ die Recherchearbeit schwieriger.Zu 4.:Wird bestimmt durch das Wechselspiel Politik/Medien. Für den Konsumentenoftmals deutlich zuviel „Klein-Klein“-Politik.Zu 5.:In Deutschland deutlich besser ausgebildet als in Österreich, Chancen jederzeitvorhanden.Zu 6.:Sind zunehmend mächtiger und erschweren die objektive journalistische Arbeit.Ungleiches Kräfteverhältnis. PR zu Journalisten = 10:1.Zu 7.:Werden zunehmend stärker; die Professionalisierung der PR-Industrie führt zurimmer schwierigeren Arbeit für seriösen Journalismus.Zu 8.:Solange durch die EU/und ihre Kommissare keine bürger- und konsumentengerechteInformationspolitik betrieben wird, wird der Negativ-Europa-Bürokratie-Trend weiter anhalten. Ein klarer „Europa-USP“ muss gefunden und kommuniziertwerden.Zu 9.:Schwer vermittelbar, siehe oben.Zu 10.:Mehr Interesse an Qualitätsmedien, fundierte recherchierte Beiträge im öffentlichrechtlichemund privatem TV, Kennzeichnung für PR.72


BERICHT„Sumpf und Reibach – Klischees und Kolportagen.Wer bestimmt die Medien-Agenda?Anne KauthVier Diskutanten trafen sich, um mit Moderatorin Claudia Deeg vom Südwestrundfunküber oben genanntes Thema ihre Meinungen auszutauschen. Interessanterweiseliefen die Konfliktlinien in zweierlei Richtungen: Zum einen waren mit HerrnMartin Romanczyk, Leiter <strong>des</strong> dpa-Büros in Brüssel und Herrn Rolf-Dieter Krause,Leiter <strong>des</strong> ARD-Studios in Brüssel, zwei Herren in der Runde, die direkt aus ihremArbeitsalltag in Brüssel berichten konnten. Auf der anderen Seite sind BettinaWarken, Redaktionsleiterin der „heute“ <strong>des</strong> ZDF und Carsten Mierke, stellvertretenderChef <strong>des</strong> RTL-„Nachtjournals“ Vertreter der „Heimatredaktionen“, die vonMainz bzw. von Köln aus planen, welche Themen aus Brüssel wann und in welchemUmfang in ihren Nachrichtensendungen vorkommen. Eine weitere interessanteDiskrepanz bestand zwischen den Vertretern der öffentlich-rechtlichen Sendereinerseits und Herrn Mierke von RTL andererseits.Eröffnet wurde die Debatte mit der Diskussion um die Äppelwoi-Verordnung ausBrüssel. Anhand dieses Beispiels, da waren sich alle Gesprächspartner einig, lässtsich zeigen, wie Entscheidungen aus Brüssel die Gemüter der Deutschen erhitzenkönnen. Hieran könne man sehen, dass EU-Themen, sofern sie runter gebrochenwerden auf die Ebene derer, die sie betreffen, auch auf Interesse stoßen können.Die Äppelwoi-Verordnung, die letztendlich dann doch nicht verabschiedet wurde,so dass der Hessische Apfelwein noch immer als Apfelwein bezeichnet werdendarf, habe außerdem gezeigt, dass man scheinbar durch Protest „von unten“ dieEntscheidungsträger in Brüssel beeinflussen und von der Durchsetzung einerscheinbar unsinnigen Bestimmung abbringen kann.Der erste Themenschwerpunkt der Diskussion drehte sich um die Frage, was dennnun dran sei am Gerücht, dass man mit Themenangeboten aus Brüssel auf ein Gähnenoder ein Achselzucken auf Seiten der Heimatredaktionen stoße. Bettina Warkensprach sich vehement dagegen aus. Für den Sender ZDF und für die von ihr geplanteSendung „heute“ sei es völlig unerheblich, ob man EU-Themen vielleicht mehroder weniger attraktiv findet. In ihren Augen ist es eine Pflicht, diese Themen zubehandeln und sie so zu behandeln, dass die Zuschauer sie möglichst gut verstehen.Die Aufbereitung der Themen aus Brüssel sei meist zweigeteilt: Zunächst74


gehe es darum, die Positionen der einzelnen Seiten darzustellen. In einem zweitenSchritt gehe es darum, über die Auswirkung der gerade getroffenen Entscheidungauf das Leben der Bürger zu berichten.Carsten Mierke von RTL betonte, dass seine Redaktion RTL-„Nachtjournal“ ausschließlichauf diese Art über EU-Themen berichte. Für ihn ginge es vor allemdarum, den Zuschauern klar zu machen, welche Auswirkungen die in Brüsselbeschlossenen Themen auf ihr alltägliches Leben haben. Wo betrifft ein Themaunsere Zuschauer? Das ist die Leitfrage in der RTL-Redaktion. Das Thema wird vonDeutschland aus aufgebaut. Aus Brüssel – wo RTL im Übrigen keinen Korrespondentensitzen hat – kommt höchstens ein O-Ton. Die Berichterstattung ist äußerstverbraucherorientiert. Die investigativen Berichte aus Brüssel überlasse man beiRTL gern den Kollegen der ARD.Das ist das Stichwort für Rolf-Dieter Krause, der es für eine und für seine Pflichthält, nicht nur über die Auswirkungen von EU-Beschlüssen zu berichten, sondernauch über die Institutionen. Dass RTL das anders handhabt ist in seinen Augenbedenklich.Eine weitere zentrale Frage <strong>des</strong> Panels war die, inwiefern sich in den letzten Jahrendie Berichterstattung aus Brüssel geändert hat. Hierzu berichtet Martin Romanczyk,dass die Berichterstattung aus Brüssel sehr viel mehr geworden sei. Damit wachseallerdings auch der Druck. Das Geschäft ist schneller geworden, was häufig miteinem Qualitätsverlust in der Berichterstattung einher gehe.Für Rolf-Dieter Krause, der bereits 1990 erstmals aus Brüssel berichtet hat, ist vorallem ein qualitativer Unterschied festzustellen, wenn er über das Früher und dasHeute der Berichterstattung nachdenkt. Früher, so Krause, hätten Journalistennoch versucht, den Menschen Europa wirklich näher zu bringen. Das wolle heuteniemand mehr. Die Berichterstattung aus Brüssel sei jetzt eine ganz normale wiedie Berichterstattung aus der Hauptstadt auch.Eine weitere Frage war die nach der Europaverdrossenheit. Gibt es sie tatsächlich?Sind Europa-Themen unsexy? Und wenn ja warum?Europa sexy zu machen, sei ganz und gar nicht ihre Aufgabe, so Bettina Warken.Sie sieht ihre Pflicht darin, aus Europa zu berichten. Für sie geht es darum, Berichteaus Europa so zu gestalten, dass sie zum einen verständlich, zum anderen attraktivsind zu sehen.Rolf-Dieter Krause schließt sich Bettina Warken an und verteilt eine Spitze gegenCarsten Mierke, für den Europa-Berichterstattung schlussendlich nur aus Verbrau-75


cher-Themen besteht. Für Krause sind es aber auch die etwas kryptischerenThemen wie Sicherheitspolitik etc, über die berichtet werden muss, und die sichauf den ersten Blick nicht gut in Bildern darstellen lassen. Eine Währungsunionlässt sich nicht leicht verfilmen, so Krause. In Brüssel wird Macht ausgeübt. Dasmuss abgebildet werden.Die Frage, die sich weiterhin stellt, ist die, ob trotz oder wegen der Europaverdrossenheitder EU-Bürger mehr oder weniger Berichterstattung stattfindet.Bettina Warken sagt ganz klar, dass die Berichterstattung zugenommen habe. DieZDF-„heute“ habe den Auftrag über die Prozesse und Entscheidungen, die inEuropa getroffen werden, zu berichten. Es sei ihnen allen bewusst, dass dann unterUmständen die Quoten runtergehen. Aber das muss in Kauf genommen werden, soWarken. Die Mitarbeiter der heute schreiben sich auf die Fahnen, so verständlichwie möglich zu berichten. „Nachrichten, die vor vorne bis hinten ein Feuerwerk derSpannung sind, sehe ich kaum“, so Warken.Auch Rolf-Dieter Krause weiß um den „Abschaltimpuls“ der Zuschauer, der sichimmer dann einstellt, wenn die blaue EU-Fahne auf dem Bildschirm erscheint. Fürihn ist es wichtig, EU-Themen gut zu platzieren und nach einer Möglichkeit zusuchen, diese Themen an den Mann zu kriegen. Die Ursache für das mangelndeInteresse der Bürger an Europa sieht Krause darin begründet, dass Informationsvermittlungnormalerweise über drei Kanäle funktioniert: über eine Person, überVertrauen und über O-Töne der Beteiligten. Das falle bei EU-Themen schwer. Schonallein, dass immer alles in andere Sprachen übersetzt werden muss, entfremdetden EU-Bürger und erschwert die Personalisierung.Martin Romanczyk betreibt bei der dpa eine regelmäßige Auswertung der Themendie von seiner Agentur dpa abgefragt werden. Es wird täglich ein Ranking erstellt.EU-Themen liegen oft unter den ersten 10 Plätzen dieses Rankings. Sie werden alsogut abgefragt und stoßen auf großes Interesse. Sein persönlicher Anreiz ist es,lieber wenige Themen, die in Brüssel verhandelt werden, sauber und gründlich aufzuarbeiten,mit Hintergrundberichten etc, so dass sie auch seine Mutter verstehenkönnte, als ein breites, aber oberflächliches Angebot zu haben.Ob die Europaverdrossenheit auch am demokratischen Defizit der EU-Institutionenliegt, ist die nächste Frage <strong>des</strong> Panels.Bettina Warken bejaht dies. Zwar habe das EU-Parlament an demokratischer Legitimationgewonnen, andere Institutionen wie die EU-Kommission wiesen allerdingserhebliche Defizite auf. Den Menschen sei nicht zu vermitteln, wieso ein EU-Kommis-76


sar aus Malta ihnen vorschreiben dürfe, wie sie zu leben haben.Aus der Sicht von Martin Romanczyk gewinnt das Europa-Parlament immer mehran Gewicht. Für ihn besteht das Hauptproblem darin, dass sich die nationalen Politikergern hinter Europa verstecken. Für alles, was sie selbst nicht hinbekommen,machen sie Europa verantwortlich. Dann ist klar, dass Brüssel bei den EU-Bürgernkein gutes Image genießt.Für maßlos überschätzt halten alle Beteiligten, Carsten Mierke ausgenommen, dieFrage der Einflussnahme der Lobbyisten auf die Entscheidungsfindung in Brüssel.Mierke, <strong>des</strong>sen Redaktion über keinen Korrespondenten in Brüssel verfügt, bemitleidetdie anderen Anwesenden, sich durch diesen Wust von Lobby-Kletten schlagenzu müssen. Er liest die Zeitungen und ist froh, dass die Themen für ihn vorgefiltertsind, und er sich nicht von Lobbyisten umlagern lassen muss.Rolf-Dieter Krause widerspricht Mierke vehement. Lobbyisten in Brüssel – das seiimmer ein Thema, das mit einem Gruselfaktor behaftet sei. Er selbst habe dasGefühl, das absolut im Griff zu haben und sehr wohl selbst zu entscheiden, mitwem er über welches Thema redet.Martin Romanczyk berichtet zwar von einer Masse an lästigen E-Mails, die er täglichin seinem Postfach vorfindet. Alle sind in Brüssel vertreten und müssen ihreExistenz dort rechtfertigen und Presse-Texte verfassen und unters Volk bringen.Allerdings, so Romanczyk, funktionieren in seinen Augen die Filtermechanismengut. Wenn man einige Jahre in Brüssel ist, weiß man, wer zu welchem Thema wirklichwas zu sagen hat. An diese Leute wendet man sich.Bettina Warken gibt zu, dass oft dieselben Leute vor der Kamera zu einembestimmten Thema was sagen. Das liege selbstverständlich auch an der Verfügbarkeitder Leute, die zu einem Thema was sagen können. Klar sei, dass man denjenigennimmt, der einem nahe liegt. Trotzdem sei ein gesunder Abstand vorhanden.77


BERICHTZwischen Greenwashing und Avantgarde –Wegmarken zur europäischen ÖffentlichkeitPhoebe GaaWarum schaffen es die großen Medienkonzerne nicht, der Öffentlichkeit dasThema Europa schmackhaft zu machen? Wie könnten sie ihre Aufgabe, ein europäischesPolitik- und Kulturverständnis zu vermitteln, besser wahrnehmen? Zurzeitscheint dies hauptsächlich einigen engagierten Einzelprojekten zu gelingen – waskönnten sich die „Großen“ also abschauen? Dies waren die zentralen Fragen, diedie Panelteilnehmer rund um Moderatorin Stephanie Lachnit (freie Journalistin)diskutierten. Die Runde war mit Reinhold Albert (Vorsitzender der DLM und Direktorder NLM), Martin Stadelmaier (Staatssekretär Rheinland-Pfalz) und DanielCohn-Bendit (MdEP und Vorsitzender Fraktion der Grünen / Freie europ. Allianz imEU-Parlament.) recht politisch besetzt. Die Seite der Medienmacher wurde vertretendurch Dr. Christoph Hauser (Programmdirektor von Arte) und Monika Oelz (Verantwortlichfür die Öffentlichkeitsarbeit von cafebabel.com).Ein grundsätzliches Problem der Berichterstattung über Europa scheint zu sein,dass es schwerer ist, sich mit europäischen als mit nationalen Themen zu identifizieren.Dabei bestimmen Entscheidungen aus Brüssel schon längst das alltäglicheLeben in den EU-Mitgliedsstaaten. In den Medien transportiert wird dies allerdingshauptsächlich, wenn der europäische Bürokratieapparat eine scheinbar absurdeVorschrift produziert oder gar damit droht, den Bürgern ein Stück ihrer Souveränitätzu nehmen. Dies hat in nicht unerheblichem Umfang zu dem schlechten Image, dasBrüssel genießt, beigetragen. „EU-Bashing“ scheint bei nationalen Medien undPolitikern gleichermaßen beliebt, unabhängig davon, ob der Informationsgehaltdabei auf der Strecke bleibt. Probleme werden aus dem eigenen Verantwortungsbereichauf Brüssel geschoben, eine langwierige Erklärung der europäischen Entscheidungsabläufemöchte man dem Leser, Hörer oder Zuschauer ersparen. Undso bleibt die EU ein abstraktes Gebilde, über <strong>des</strong>sen Entscheidungen man manchmalschmunzeln, manchmal raunen möchte. Wie Reinhold Albert bemerkte, könnevor allem die Personifizierung von politischen Standpunkten Interesse wecken –hieran jedoch fehle es den europäischen Gremien, ist doch kaum ein EU-Politikerder breiten Öffentlichkeit bekannt. Daniel Cohn-Bendit fügte hinzu, dass es bei der78


Berichterstattung eben nicht immer nur um das Vermitteln von Informationen,sondern auch um das Erzeugen von Spannung gehen müsse.Dabei könnte vor allem eine Vernetzung der Berichterstattung helfen. Wie MartinStadelmaier anmerkte, befasst sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk zwar durchausmit Europa, tut dies jedoch durch die „nationale Brille.“ Statt Debatten, dieEuropa betreffen, auch grenzübergreifend zu führen, wird auf die Standpunkteanderer Länder lediglich verwiesen. Ein direkter Austausch von Argumenten findetkaum statt. Eine löbliche Ausnahme ist der TV-Sender Arte. Gestartet als französisch-deutscheZusammenarbeit macht er seit einiger Zeit Schritte in Richtung multinationalerKooperationstätigkeiten. Diskussionsrunden international zu besetzenund die Sichtweise verschiedener Länder zu einem Thema zu beleuchten, dies seider Mehrwert, den Arte seinen Zuschauern bieten könne, so Dr. Christoph Hauser.Doch nicht alle Medienanstalten beweisen soviel Innovationsgeist. Vor allem dieprivaten Anbieter orientieren sich, mit ständigem Blick auf die Quote, am nationalenMarkt. Wie Reinhold Albert ausführte, fehle es daher häufig an Risikobereitschaft.Lieber wird an Altbewährtem festgehalten, als die Chancen einer globalen – oderzumin<strong>des</strong>t europäischen – Welt auszuloten. Die national spezifischen, über Jahrzehntegewachsenen Journalismus- und Rezeptionskulturen wurden dann auch alsgroßes Hindernis für eine europäische Öffentlichkeit angesehen. Allerdings könnendiese Gewohnheiten nur aufgebrochen werden, wenn den Medienkonsumentenmehr zugemutet wird, sie also mit neuen Sendeformaten und Denkansätzen konfrontiertwerden.Und wer ist denn nun eigentlich dafür zuständig, diese neue Form der Berichterstattungzu kultivieren? Sind es die Politiker, die Medien oder gar die Bürger selbst,die für eine funktionierende europäische Öffentlichkeit sorgen müssen? Bei dieserFrage gingen die Meinungen im Plenum auseinander. Reinhold Albert hatte bereitszu einem früheren Zeitpunkt bemerkt, dass die Aufgabe der Lan<strong>des</strong>medienanstaltenRechtsaufsicht über die privaten Medien sei. Nicht über Europa zu berichten seikein Rechtsverstoß, entziehe sich demnach der Regulierbarkeit. Und auch MartinStadelmaier berief sich auf die Programmhoheit der Medienanstalten. Eine Anordnungaus der Politik darüber, wie viele Sendeminuten oder Zeitungsseiten europä -ischen Themen gewidmet werden sollten, sei ein Eingriff in die redaktionelle Entscheidungsfreiheitund somit sogar verfassungsrechtlich bedenklich. Den Europaredaktionen,die immer wieder über Schwierigkeiten beim Absetzen ihrer BrüsselerThemen klagten, könne nur von ihren Heimatredaktionen mehr Raum eingeräumtwerden, der Politik seien in diesem Zusammenhang die Hände gebunden. DanielCohn-Bendit hingegen attestierte den Politikern durchaus eine Mitschuld an demfehlenden EU-Interesse. Sie hätten von Anfang an darauf achten müssen, dass79


Europas Entscheidungsprozesse und Debatten transparent und darstellbar seien.Sie müssten sich die Frage stellen, wie sie die Öffentlichkeit erreichen könnten –sobald sie für Spannung sorgten, würden die Medien schon folgen. Monika Oelzverwies in diesem Zusammenhang darauf, dass europäische Medien auch vonEuropäern gemacht werden sollten. Als Beispiel nannte sie das Internet-Portalcafebabel.com: Hier schreiben interessierte EU-Bürger über Themen, die sie bewegen– eine europäische Debatte entsteht dabei fast von selbst. Die ehrenamtlichenMitarbeiter werden von Journalisten in verschiedenen Lokalredaktionen unterstützt,so dass eine Mischung aus professionellem und citizen journalism entsteht.Damit ist sichergestellt, dass zum einen die Themen diskutiert werden, die dieMenschen tatsächlich bewegen (und das sind erfahrungsgemäß nicht unbedingtdie, die das Bild in den „großen“ Medien prägen) und dabei die Qualität nicht zukurz kommt. Eine europäische Öffentlichkeit könnte nach diesem Modell aus derMitte Europas heraus wachsen und von den Menschen gestaltet werden, dieEuropa repräsentieren: Von seinen Bürgern.Und auch für die traditionellen Medien scheint es notwendig, über eine neue Formder Berichterstattung nachzudenken. Wer über die EU berichtet, der muss überGrenzen hinaus denken. Transnationale Formen der Berichterstattung scheinen inZeiten, in denen nicht nur Waren und Menschen, sondern eben auch Themen nationaleGrenzen überschreiten, unbedingt erforderlich. Die Debatten über europäischeThemen müssen vernetzt werden, denn nur über einen regen Austausch vonMeinungen, Erfahrungsberichten und Sendeformaten kann die Akzeptanz unddamit das Interesse an Europas Öffentlichkeit steigen. Und solange die transnationale,europäische Berichterstattung noch nicht – oder nur partiell – praktizierbarist, muss wenigstens die Berichterstattung über Europa gestärkt werden, so dasFazit der Diskussionsrunde.80


Der Projektgruppe <strong>des</strong> MainzerMedienDisputs (MMD) liegt die Zukunft einer europäischenBürgergesellschaft am Herzen. Sie schlägt den Teilnehmern <strong>des</strong> <strong>12.</strong> MMD an diesem22. November <strong>2007</strong> den folgenden Aufruf zur Verabschiedung per Handzeichen vor:MainzerMedienAppellEuropa eine Seele geben –Bürgerverfassung statt ElitenherrschaftDie Idee eines geeinten, friedlichen und demokratischen Europa ist sinnvoll und überzeugend.Wir beklagen, dass dieser großartige Anstoß nur noch verwaltet oder gänzlich in denSchubläden der allmächtigen EU-Bürokratie verschwunden ist.Die Pressefreiheit in Europa ist bedroht. Eine demokratische Öffentlichkeit, die umfassendeTransparenz der politischen Entscheidungen für alle Bürger innen und Bürger garantiert,muss zügig entwickelt werden.Die Teilnehmer <strong>des</strong> <strong>12.</strong> MainzerMedienDisputs, fordern• umfassende Presse- und Meinungsfreiheit in der gesamten Europäischen Union.• ein Informationsfreiheitsgesetz, das allen Bürgerinnen und Bürgern um fassendeInformationsrechte gegenüber den nationalen und supra natio nalen Instanzen inder EU und den Ländern <strong>des</strong> Europarats garantiert.Europa darf nicht Spielball politischer und ökonomischer Eliten bleiben. Europa brauchtmehr Demokratie und Transparenz statt bürokratischer Allmacht und HinterzimmerpolitikUnsere Ziele sind• eine offene, gut informierte Öffentlichkeit als Grundvoraussetzung für einedemokratische Gesellschaft handlungsfähiger Europäer.• eine europäische Bürgerverfassung an Stelle der gegenwärtigen intransparentenEntscheidungskultur in Europa.Es ist höchste Zeit, Europa eine Seele zu geben.Verabschiedet anlässlich <strong>des</strong> <strong>12.</strong> MMD – Mainz, am 22. November <strong>2007</strong>.81


LAUDATIO ZUR VERLEIHUNGDES JOURNALISTEN-PREISES „LEUCHTTURM“DURCH DAS NETZWERK RECHERCHEDr. jur. Heribert Prantl,Redaktionsleiter Innenpolitik der Süddeutschen ZeitungLiebe Kolleginnen und Kollegen,Wie viele Nazis gibt es hier? Sie halten das für eine unpassende Frage? Es gibt Örtlichkeitenin Deutschland, wo diese Frage sehr gut passt, Örtlichkeiten, an denendiese Frage betreten-verlegene Heiterkeit auslöst. „Wie viele Nazis gibt es hier?“Wenn man diese Frage irgendwo in der ostdeutschen Provinz in einer Plattenbauschulein einer Plattenbausiedlung stellt, dann erntet man Gelächter. „Wie vieleNazis gibt es hier?“ Die Klasse grinst, ein Junge sagt leicht spöttisch: „Die kannman hier gar nicht zählen, die stehen doch hier überall herum!“Und daher geht man in etlichen Gegenden zumal in Ost-Deutschland eben nicht aufStadtfeste und nicht in bestimmte Stadtteile, den Nazis „gehören“. Der SoulsängerXavier Kurt Naidoo aus Mannheim, hat vor einiger Zeit, als er zu Besuch in einer Schulein Anklam war, mit seiner Frage nach den Nazis beklommene Heiterkeit ausgelöst.„Und wie ist es im Jugendclub“, hat er die Klasse weiter gefragt. „Da sind überwiegendNazis“, erklärt ihm eines der Mädchen, „aber wir gehen trotzdem da hin.Wenn man die nicht blöd anmacht, sind die doch ganz normal“. „Und wenn ich dahinkommen würde?“, hakt der Soulsänger nach. Ungläubiges Hüsteln in der Klasse:„Na, dann gäbe es sicher Stress!“ Der Sänger bohrt weiter: „Und wenn Ihr Zeugeneines Überfalls werdet, holt Ihr da wenigstens die Polizei?“ „Die Polizei?“, fragteine Dunkelhaarige zurück, „die haben doch selbst Angst vor denen und machennichts“.82


Die Nazi-Jugendkultur ist in Ostdeutschland und zunehmend in Westdeutschlandallgegenwärtig. Die Szene ist längst keine Randgruppe mehr, sondern eine Massenbewegung.In Europa gibt es Nazi-Konzerte mit bis zu 2000 Leuten. Das ist diebraune Welt, in der unsere Preisträger recherchieren: Andrea Röpke, ThomasKuban, Anton Maegerle.Andrea Röpke recherchiert seit eineinhalb Jahrzehnten über Nazis und Neonazis.Das ist gefährlich uns sie hat diese Gefahren am eigenen Leib erlebt. Sie kann sichwehren – auch mit den Artikeln, den Büchern, den Filmen, die sie macht. Viele Menschen,die die braune Gewalt trifft, haben diesen Schutz der Öffentlichkeit nicht.Thomas Kuban, es handelt sich um ein Autoren-Pseudonym, recherchiert seit fastzehn Jahren Undercover in der Neonazi-Szene – er bewegt sich in Schauspielermanierim braunen Milieu. Anton Maegele beobachtet rechtsextreme Gewalt seit 20 Jahren– und berichtet darüber in bewundernswerter Penibilität in Medien aller Art.Ihnen ergeht es wohl manchmal, beinah im Wortsinn so, wie es ein Film- und Buchtitelsagt: Allein gegen die Mafia. In diesem Milieu zu recherchieren ist nicht nureinen respektable journalistische Leistung, sondern ein Akt hoher Zivilcourage.Und wenn ich die schönen, die hehren Sätze <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verfassungsgerichts imSpiegel-Urteil oder im Cicero-Urteil über die Aufgabe und Bedeutung der Presselese – dann kann man sich an diesen Stellen und auf diesen Seiten die Namenunserer Preisträger als Einmerkzeichen legen. Die Preisträger sind der Braintrust<strong>des</strong> deutschen Journalismus, wenn es um Rechtsextremismus geht.„Man darf nicht zeigen, dass man Angst hat“, hat mir Leoluca Orlando gesagt, derdamalige Bürgermeister von Palermo und Gründer der Anti-Mafia Partei La Rete,als ich vor zehn Jahren mit ihm durch Sizilien gefahren bin. „Man darf den öffent -lichen Raum nicht ‘denen’ überlassen“. Nicht „denen“ – das waren damals in Siziliendie, die ein par Jahre vorher Orlandos Freunde, den Staatsanwalt Falcone und denRichter Borsellino ermordet hatten. Den öffentlichen Raum „nicht denen“ überlassen– in Ostdeutschland sind es rechte Kameradschaften, die den öffentlichen Raumbesetzen. In ganzen Kleinstädten ist der Rechtsextremismus zur dominantenJugend kultur geworden. Auf den Schulhöfen zumal der Berufsschulen dominierenkahlgeschorene Jungmänner das Bild. Die NPD und die DVU sitzt in den Stadträtenund die rechten Cliquen sitzen in den Kneipen und an den Tankstellen, bei Sportveranstaltungenund Stadtfesten. Als links gilt in weiten Landstrichen der ostdeutschenProvinz jeder, der nicht rechts ist oder nicht die Schnauze halten will.Wenn in Ostdeutschland Neonazis „ausländerfreie“ oder „national befreite“ Zonenproklamieren, dann sagt das sehr genau, worum es gehen muss: Um die Rückeroberung<strong>des</strong> öffentlichen Raums für die Werte der Demokratie und der Toleranz.83


Das gilt nicht nur im Osten, sondern auch im Westen. Die besonderen Probleme inOstdeutschland verleiten im Westen bisweilen dazu, sich sehr pharisäerhaft zugerieren – als ob Zivilcourage und Verantwortungsgefühl nicht auch hier Mangelwarewären. Der Westen unseres Lan<strong>des</strong> braucht den Sauerteig Zivilcourage sosehr wie der Osten.Verwahrlosung <strong>des</strong> öffentlichen Raumes kann so viele Ursachen haben. In Sizilienheißt das, was das Gemeinwesen zerstört, Mafia. In Deutschland heißt es Neonazismus.Es heißt Antisemitismus. Es heißt Ausländerfeindlichkeit. Es heißt Ausgrenzung.Es heißt Desintegration. Es heißt Jugendarbeitslosigkeit. Es heißt Zerfall<strong>des</strong> sozialen Zusammenhalts. Es heißt Sprachlosigkeit zwischen Ausländern undDeutschen , zwischen Altbürgern und Neubürgern in diesem Land. Es heißt Rückzugder Ausländer in die eigene Ethnie.Mafia in Deutschland hat also andere Namen, eine andere, eine braune Geschichte,sie funktioniert anders – aber sie richtet vergleichbares Unheil an: Hier wie dortmacht sie Gesellschaft und Kultur kaputt. Und hier wie dort wird immer wiedergeleugnet, dass es sie gibt: „Mir ist nicht bekannt, dass es bei uns gefährlicheRechtsextreme gibt“, hört man Bürgermeister immer wieder sagen. Gern heißt esauch: „Das war doch keine Hetzjagd, das war doch nur eine Wirtshausschlägerei!“,wie zuletzt in Mügeln. Es ist dies, wie Juristen sagen, eine protestatio facto contraria– eine Leugnung von Fakten.Die Arbeit unserer Preisträger ist eine Arbeit gegen die Leugnung von Fakten. IhreArbeit schaut hinter die Kulissen, hinter die Fassaden und Verkleidungen. Das istviel, viel wichtiger als Neonazi-Demonstrationen und die Gegendemos samt all -fälliger Ausschreitungen abzufilmen.Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus: Das ist die Pest für eine freiheitlicheGesellschaft. Es ist, wenn es etwa gegen den Antisemitismus geht, nicht damitgetan, Ausschwitzlüge und Volksverhetzung unter Strafe zu stellen, die Synagogenzu bewachen, ein paar als verrückt apostrophierte Neonazis aus dem Verkehr zuziehen und den Zentralrat der Juden zu beruhigen. Der Antisemitismus ist nämlichnicht nur ein Angriff auf eine Minderheit in Deutschland, auf eine, der man aus historischenGründen besonders verpflichtet ist. Er ist ein Angriff, der die Gesellschaftinsgesamt bedroht. Der Antisemitismus ist kein Minderheitenthema, kein Thema,bei dem es nur um das Verhältnis zu den mittlerweile wieder hunderttausend Judenin Deutschland geht; er ist ein zentrales Thema der deutschen Gesellschaft.Es ist sicher so, dass sich das offizielle Deutschland bemüht. Es gab Wiedergut -machung. Es gibt die Woche der Brüderlichkeit, Jahr für Jahr ist der Bun<strong>des</strong>präsi-84


dent ihr Schirmherr. Christlich-jüdische Gemeinschaften sind entstanden, Synagogensind restauriert und neu errichtet worden, Gedenkstätten werden gepflegt, Denkmälererrichtet. Spitzenpolitiker schreiben Grußworte zu den jüdischen Feiertagenund bei den Großfeiern der Republik sitzen die Vorsitzenden der Jüdischen Gemeindein der ersten Reihe. Das offizielle Deutschland fühlt sich irgendwie in der Rolle<strong>des</strong> ehemaligen Alkoholikers, der weiß, was passiert, wenn er wieder zur Flaschegreift.Abseits der offiziösen Anlässe dagegen, und zwar nicht nur an den Stammtischen,greift man immer wieder zum alten Fusel. Man hat sich hierzulande leider darangewöhnt, dass jüdische Einrichtungen ausschauen müssen wie Festungen unddass fast tagtäglich jüdische Gräber geschändet werden. Soll man sich jetzt auchnoch daran gewöhnen müssen, dass Kindern in der S-Bahn oder im Omnibus derDavidstern vom Halskettchen gerissen wird – und die Politik Israels, also vonfrüher Scharon, jetzt Olmert, als Entschuldigungsgrund herhalten muss?„Vor dem Antisemitismus ist man nur noch auf dem Monde sicher“, hat HannahAraendt einmal voller ironischem Pessimismus gesagt. Das gilt für Rassismus undAusländerfeindlichkeit genauso. Vor Rassismus und Ausländerfeindlichkeit mannur noch auf dem Monde sicher.Das ist eine Erkenntnis, die sich aus den Arbeiten unserer Preisträger ergibt. Un<strong>des</strong> gilt, was schon im dritten Jahrhundert der heilige Irenäus festgestellt hat: „Nihilsalvatur, nisi acceptatur“. Nichts kann geheilt werden, was nicht zuvor erkanntworden ist. Die Arbeit unserer Preisträger ist ein Erkenntnisprojekt, sie steht alsoam Anfang aller gesellschaftspolitischen Heilungsversuche. Die Arbeit unsererPreisträger ist dafür eine conditio sine qua non.Es gibt einen merkwürdigen Glauben daran, auch bei aufrechten Demokraten,dass es, wenn es um die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus geht,genügt, die richtige Gesinnung zu haben. Aber: Moral allein genügt noch nicht, dieschnelle Aufregung nach Landtagswahlen auch nicht. Die Auseinandersetzung istharte Arbeit, kostet Zeit, kostet Nerven - und ist gefährlich. Die Preisträgerwissendas, weil sie es bei ihrer Arbeit erlebten. Deshalb haben Sie bitte Verständnisdafür, dass zwei Preisträger nicht auf der Bühne stehen werden und fotografiertund gefilmt werden wollen.Die Demokratie muss im Umgang mit ihren Gegnern den Weg finden zwischen Skyllaund Charybdis. Skylla ist in diesem Fall die selbstmörderische Lethargie, wie sie inder Weimarer Republik herrschte. Charybdis ist die eifernde Selbstgerechtigkeit,wie sie sich im flotten Spruch „Keine Freiheit den Feinden der Freiheit“ widerspie-86


gelt. Dieser Spruch stammt bezeichnenderweise von Saint-Just, dem Theoretikerund Praktiker <strong>des</strong> Terrors während der Französischen Revolution – und damit istschon angedeutet, wie leicht er zu missbrauchen ist. Demokratie setzt grundsätzlichnicht auf Verbote, sondern auf offene politische Auseinandersetzung auch mitverfassungsfeindlichen Bestrebungen, in der Überzeugung, dass sie Auseinandersetzungnicht scheuen muss. Die streitbare Demokratie streitet, so lange es irgendgeht, mit Argumenten, nicht mit Verboten. Aber sie muss ihre Feinde nicht auchnoch alimentieren und finanzieren.Es ist sicherlich so: Wenn Extremisten auf ihre Grundrechte pochen, wird aus WohltatPlage. Und trotzdem ist der Satz „Demokratie nur für Demokraten“ ein unüberlegterSatz – weil erstens Freiheit nun einmal die Freiheit <strong>des</strong> Andersdenkenden istund weil es zweitens kein Demokratiemessgerät gibt, das man dem echten odervermeintlichen Demokratiegegner wie ein Fieberthermometer in den Hinternstecken kann, um so seine Teilnahmeberechtigung an der Veranstaltung Demokratiezu überprüfen. Die Meinungsfreiheit muss eine geduldige Freiheit sein – sie mussauch unerträgliche Dummheit ertragen. Sie muss es ertragen, dass auch diejenigenihre Meinung sagen, die wenn sie das Sagen hätten, das nie und nimmer zulassenwürden. Und wenn Demokraten von Links- oder Rechtsextremen <strong>des</strong>wegen liberaleScheißer genannt werden, dann müssen Demokraten das aushalten – ohne sichgleich zu Verboten provozieren zu lassen. Demokratie ist also, kurz gesagt, eineanstrengende Staatsform.Das sind die Grundsätze, die zu gelten haben. Und trotzdem ist die NPD zu verbieten– wenn und weil sie eine kriminelle Vereinigung ist. Zu verbieten ist nicht die Meinungsfreiheitund nicht die Demonstrationsfreiheit für Neonazis, zu verbieten istdie NPD. Wenn es stimmt, dass sich hier unter dem Schutz <strong>des</strong> ParteienprivilegsGewalttätigkeit versammelt, wenn es stimmt, dass die NPD nicht nur braunemGedankengut, sondern auch braunen Straftaten Heimstatt bietet, wenn es stimmt,dass diese Partei Animations- und Rekreationsraum ist für aggressive Rassistenund für offensive Verfassungsfeindlichkeit – dann ist der NPD-Verbotsantrag nichtnur erlaubt, sondern geboten. Ein solches Verbot ist kein Konstrukt antiliberalenund antidemokratischen Denkens, sondern aktiver (und hoffentlich nicht einziger)Schutz der Menschenwürde. So sehen es, glaube ich, auch die Preisträger.Wenn der Staat diesen Schutz will, muss er aber die Karten aufdecken – dennmüssen Geheimhaltungsinteressen zurückstehen, dann muss die Geheimdienstbürokratieangeben, woher sie ihre Erkenntnisse hat. Das ist der Preis, den dasBun<strong>des</strong>verfassungsgericht und das Verfassungsrecht verlangen. Gegen jeden, deres unternimmt, die Menschenwürde organisiert in Frage zu stellen, ist Widerstandgeboten; alle Deutschen haben dieses Recht, so steht es in Artikel 20 Absatz 4.87


Vorschläge und Bewerbungen bittejeweils bis zum1. September (eines Jahres) an:info@netzwerk recherche.derichten.Die Preisträger werden mit einerLeuchtturm-Grafik und einem Preisgeldin Höhe von 3.000 Euro ausgezeichnet.Der „Leuchtturm 2008“wird in diesem Jahr während <strong>des</strong>13. MainzerMedienDisputs verliehen.Leuchtturmfür besondere publizistischeLeistungenMedienpreis <strong>des</strong> netzwerkes recherche e.V.Ausgezeichnet werden Personen und Projekte:• außergewöhnliche Recherchen, die für den öffentlichen Diskursvon grosser Bedeutung sind• eindrucksvolle Reportagen, Essays oder Interviews, die derÖffentlichkeit ein bislang unbeachtetes Thema präsentieren sowie• wegweisende Medienprojekte oder Initiativen, die öffentlicheDebatten ausgelöst haben.Stefan L. Wolf88


Und für einen Verfassungsminister ist dieser Widerstand Pflicht. Diese Pflicht heißt:Antrag auf Verbot der NPD.Manche Leute glauben freilich, so ein Verbotsantrag funktioniere wie die Fernbedienungbeim Fernsehen: Man drückt drauf – und schon hat man ein neues Bildund ein neues, besseres Programm. So einfach ist es nicht. Das Verbot ist nur einAnfang.Was braucht man wirklich, um Rechtsextremismus zu bekämpfen? Was brauchtman wirklich, um Visionen zu entwickeln für eine gute Zukunft der DemokratischenGesellschaft? Man braucht Leute, die sich trauen, und die in mühseliger Alltags -arbeit in die Schulen gehen, in die Jugendzentren, in die Behörden und zur Polizei– Leute, die es nicht akzeptieren, wenn abgewiegelt und abgewimmelt wird.Dieser Mut beginnt mit der harten und nachhaltigen Recherche. Die Arbeit unsererdrei Preisträger ist also praktizierter Verfassungsschutz, wirklich wirksamer Verfassungsschutz.Sie ist journalistischer Widerstand. Sie ist Nothilfe für die Demokratieund die Menschenwürde.Diese Laudatio hätte also eigentlich der Bun<strong>des</strong>innenminister halten müssen.Ich darf Ihnen an seiner Statt – quasi als Geschäftsführer ohne Auftrag – gratulieren.Ich stehe mit großem Respekt vor Ihrer Arbeit.Wir dürfen die Preisträger beglückwünschen – und auch uns: dafür, dass wir Siehaben.89


IMPRESSIONEN


IMPRESSIONEN


WAS WISSEN WIR NOCH VOM WELTGESCHEHEN?Über die Krise <strong>des</strong> Auslandsjourna lismus und die notwendigeDifferenzierung in der aktuellen „Qualitätsdiskussion“MainzerMedienDisput in BerlinAnfang April machte der „Gong“ seinem Namen wirklich alle Ehre. RenommierteAuslandskorrespondenten <strong>des</strong> ZDF, darunter Alexander von Sobeck (Paris), KlausPrömpers (Wien) und Ruprecht Eser (London) hatten der sonst biederenProgrammzeitschrift einen echten Knüller geboten. Ihre Hauptkritik: Außenpolitiksei „nur noch selten prime-time-fähig.“ Selbst einstige Aushängeschilder wie das„auslandsjournal“ sind im ZDF nur noch im Randprogramm zu finden. Auch andereMitarbeiter/innen der Auslands-Ressorts klagen seit Jahren zunehmend über dasGhetto der Nichtbeachtung der wichtigen Auslandsberichterstattung. Ihre Hauptkritik:Ressourcen und Kompetenzen würden nicht ausreichend abgerufen. DieProgrammverantwortlichen halten dagegen und führen den zunehmenden Quotendruckins Feld: „Eine Auslandsberichterstattung, die nicht von vielen Zuschauerngesehen wird, verliert an öffentlich-rechtlichem Wert,“ so ZDF-Chef redakteur NikolausBrender. Er hält die Zeit der „diplomatischen Korrespondenten“ ebenso vorbei, wiedas „klassische Feature.“ (vgl. FR, 14.4.08)Folgende Fragen stehen auf der Tagesordnung:• Was sind die Gründe für die Veränderungen in der Auslandsberichterstattung?• Königshäuser gegen Kriegsgebiete:Welche Themen stehen heute auf der agenda?• Welche Unterschiede gibt es im print-Bereich und den elektronischen Medien?• Warum steckt das „Ausland“ in der Aufmerksamkeitsfalle der Planer und<strong>des</strong> Publikums?• Welche Folgen hat es, wenn wichtige Sendungen und <strong>Dokumentation</strong>en andie Programmränder geschoben werden?• Wer bestimmt die Relevanz von internationalen Ereignissen?Wie entstehen „blinde Flecke“ und wann sind Vorgänge „SNG-fähig“?• Wie beeinflussen Geheimdienste, Militär und PR-Diplomaten dieinternationale Berichterstattung?94


Vorstellung und Einleitung:Leif: Da kommt jetzt als erstes unser Presseoffizier, Dirk Schulze, dann Lutz Mükke,Kommunikationswissenschaftler, schließlich Ashwin Raman, freier TV Journalist,Krisenreporter und zum Schluss Elmar Theveßen. Das ist heute Abend unsere Runde.Es ist immer schön, wenn die Referenten, in dem Fall Herr Zaymenz, dementiertwerden. Er hat wohl gedacht: Wenn ihr dieses Auslandsthema macht, dann kommenaller höchstens 80 Leute. Wir stehen ja immer unter einem Druck, haben unsereneigenen Quotendruck, der sich durch Publikumsresonanz ausdrückt. Aber ichbin froh, dass Sie ihn dementiert haben und Sie werden bestimmt entschädigtdurch eine ganz interessante Runde heute Abend.Wir wollen anfangen unter dem etwas volkshochschulmäßig formulierten Titel:„Was wissen wir noch vom Weltgeschehen - über die Krise <strong>des</strong> Auslandsjournalismusund die Rolle der Geheimdienste bei der internationalen Aufklärung“. Dashaben wir extra so formuliert, damit die Referenten uns nicht vorab absagen. WennSie das anders formulieren, dann kriegen sie nur Absagen.Fangen wir also mit Herrn Raman an. Vielleicht haben Sie vor kurzem seinen Filmüber den Irak in der ARD gesehen? Herr Raman hat 18 längere Filme alleine überden Irak und 11 über Afghanistan gedreht. Herr Raman, wenn Sie Ihre Erfahrungbilanzieren, was läuft schief etwa in der Irak-Berichterstattung?Raman: Meiner Ansicht nach wird nicht über den Irak berichtet, sondern über dieAnzahl der Menschen, die dort ums Leben kommen. Wenn irgendwo eine Bombehochgeht, dann ist das die „News“. Man weiß aber sehr wenig über das Land, denndie Berichterstattung bleibt allein bei den Anschlägen.Ashwin Raman – als freier Krisenberichterstatter im Irak und Afghanistan:Leif: Sie selbst arbeiten mit eigener Kamera, als VJ. Was bringt Ihnen das fürVorteile?Raman: Ich habe mehrere Vorteile: Zum einen erst einmal meine Hautfarbe. Ichkann mich gut unter mischen, und ich bewege mich auch frei, was Menschen mitweißer Hautfarbe dort nicht so leicht können. Auch dunkle Haut hat eben manchmalVorteile. Und ich habe Kontakte zu dem Militär, auch zu den Aufständischen.Und irgendwie, aus irgendeinem Grund habe ich deren Vertrauen. Die denken, wasdie mir anbieten oder sagen wird so vorgetragen. Dieses Vertrauen habe ich vonbeiden Seiten.Leif: Sie haben einen Weltspiegel-Bericht gemacht, auch mit eigener Kamera, wo95


Sie die Razzia von US-Soldaten bei Familien im Irak gezeigt haben. Und man hatsich wirklich gewundert: Wie kamen Sie so nahe ran? War das nur möglich, weil Siedie eigene Kamera hatten?Raman:: Ja, ich arbeite immer mit so einer 500-Euro-Kamera. Immer wieder werdeich nach meiner Kamera gefragt und wie ich drehe - also, wie drehe ich? Ich kaufeeine 16:9-formatige Kamera, stelle diese auf „Automatic“ und dann drehe ich. Mehrmache ich nicht. Es ist meine Überzeugung, dass der Mensch hinter der Kameradie wichtigste Komponente ist, nicht das Gerät oder die Technik. Dieses Ereigniskonnte ich drehen, weil ich in dem Jeep vor Ort war und gesehen habe, was da passiert.Also habe ich es gedreht. Ich konnte das aufnehmen, weil ich unauffällig binund gut mit solchen Leuten zurechtkomme. Und diesen Einwand muss ich auch loswerden:Wenn ich diese ganzen Diskussionen höre über Auslandsberichterstattung,dann werde ich wütend: In diesen Ländern gibt es kein fließen<strong>des</strong> Wasser,kein warmes Essen, es gibt Soldaten - und dann denke ich, diese Menschen, dieentscheiden, was die Bevölkerung in Deutschland sehen oder hören soll, (...), also,das kann doch nicht stimmen!Leif: Aber, als Sie mit ihrem Material zur Weltspiegel-Redaktion kamen, hat manIhnen die Füße geküsst und gesagt: „Sehr gut, Herr Raman, das ist eine fantastischeArbeit, die Sie geleistet haben.“Raman: Nein, das wurde mir nicht gesagt. Es ist so, dass dieser Bericht erst einmalin Channel 4 erschienen ist. Und das Rundschreiben ging dann in alle HerrenLänder. Schließlich haben mich die Tagesthemen angerufen. Also, ich sage esIhnen ganz offen und ehrlich: Ich hätte keine Filme machen können, wenn ich nichteinen oder anderen, besonders eine Person in einer Anstalt hätte, die Vertrauen zumir und meiner Sache hat und diese in den Vordergrund bringen würde. Ohne dieseVermittlung hätte ich keine Chance gehabt.Embedded Journalism – ein ehemaliger Presseoffizier erzähltLeif: Wir wechseln von mir aus nach links, zu Dirk Schulze. Er kennt sich aus ineinem anderen Krisenkontinent, über den wir auch wenig erfahren – Afghanistan.Sie sind überzeugter Military. Zwölf Jahre und zwei Jahre Zusatz.Schulze: War. War.Leif: War. Ist man das nicht sein ganzes Leben lang? Zeitsoldat zwölf Jahre, pluszwei Jahre Zuschlag?96


Schulze: Doch schon.Leif: Was hat Sie angetrieben so lange beim Militär zu bleiben?Schulze: Es war eben diese Mischung. Das eine ist die Verantwortung gegenüberMensch und Material. Auf der anderen Seite ist auch diese Freundschaft, Kameradschaft,der Zusammenhalt. Das war eigentlich das Schöne.Leif: Aber irgendwann sind Sie auf den Trichter gekommen, dass doch nicht allesso super läuft in Afghanistan und Sie haben mit einem Kollegen das Buch „EndstationKabul“ geschrieben. Über 50.000 Exemplare wurden bereits verkauft. Keinerhätte damit gerechnet, nicht mal die Lektorin. Und jetzt erklären Sie uns: Warumhat dieses Buch so eine Attraktivität? Ist es, weil es die schmutzige Seite Afghanistansund die <strong>des</strong> deutschen Einsatzes zeigt?Schulze: Ich glaube, die Leute hier, die Bevölkerung in der Bun<strong>des</strong>republikDeutschland, die hat ein Bedürfnis, einen Bedarf an die Berichterstattung aus diesemLand. Und zwar ungeschönt und ungeschminkt. Wie gehen die Soldaten vorOrt mit den Leuten um, wie leben die Soldaten dort? Diese Fragen haben wir zumersten Mal mit dem Buch beantwortet.Leif: Was läuft schief in Afghanistan bei dem Militäreinsatz und bei dem Einsatzdeutscher Soldaten?Schulze: Meine ganz persönliche Meinung ist: Diesen Einsatz wird man militärischnicht zum Erfolg bringen. Da können wir noch 200.000 bis 300.000 Soldaten runterschicken, das bringt nichts. Was als allererstes fehlt, ist ein abprüfbares Ziel vorOrt, von dem man sagen kann: In fünf Jahren möchten wir dort stehen, in zehn Jahrenmöchten wir dort stehen. Und nach 13 Jahren können wir vielleicht eine Exit-Strategievorlegen, weil wir das erreicht haben, was wir uns vorgenommen haben. DieZiele bisher sind eher sehr schwammig formuliert. Man kann immer mal wiedersagen: Na gut, das haben wir erreicht, das haben wir auch mit „good will“ erreicht.Mir fehlt eine Strategie. Das ist aber nicht nur das Problem der Bun<strong>des</strong>republik,das ist das globale Problem, das auch die UNO, die Amerikaner und andere sehen.Leif: Und warum hält man trotz dieses fehlenden strategischen Ziels weiter an demAfghanistan-Einsatz fest?Schulze: Meiner Meinung nach ganz eindeutig <strong>des</strong>halb: Man hat sich frei gekauftvon dem Irak-Einsatz, indem man die Truppen in das vermeintlich sicherere Landgesendet hat und eben nicht in den Irak. Man hat gesagt: Wir zeigen „good will“,97


wir wollen Truppen senden. Aber jetzt ist bei uns eine Grenze erreicht. Wir schaffenes einfach nicht mehr, mit der Wehrpflichtarmee weitere Truppen zu entsenden.Leif: Aber diese Argumentation liest oder hört man kaum in deutschen Medien?Schulze: Richtig. Aber das ist meine persönliche Meinung, weil ich es vor Ort nichtanders erlebt habe, weil mir auch durch Vorgesetze nicht ein klarer Sinn, Ziel oderZweck vermittelt werden konnte, warum ich am Hindukusch Deutschlands Freiheitverteidigen soll.Leif: Sie waren auch Presseoffizier, wie haben Sie die Arbeit der Journalisten erlebt,die etwa mit Bun<strong>des</strong>wehrmaschinen einrollen?Schulze: Sehr differenziert. Wie Sie schon angesprochen haben, wenn die Reisedann, ich sage es mal ganz salopp, über die Bun<strong>des</strong>wehr gebucht worden ist, wennsie „embedded“ statt findet, dann konnte der Presseoffizier vor Ort ganz gezieltauf diese Kollegen einwirken und denen ganz gezielt zeigen, was gezeigt werdensollte. Und zwar Patrouillen, die schick zurechtgemacht waren. Wir sind dannPatrouillen gefahren in Stadtteile, von denen man wusste, dass sie ruhig sind, dassdie Bevölkerung dort den Deutschen sehr wohl gesonnen ist, weil beispielsweisegerade eine Schule aufgemacht worden ist. Aber dann gab es auch noch die freienJournalisten, die nicht „embedded“ waren, die dort rein gegangen sind und maluns vielleicht ab und zu vielleicht nur über den Weg gelaufen sind. Die haben schonganz andere Bilder mitgebracht.Leif: Aber Sie haben dort brav geübt, wenn die deutschen Journalisten mit demdeutschen Verteidigungsminister kamen?Schulze: Richtig. Korrekt.Leif: Wie sieht so eine Übung aus, damit Journalisten sich wohl fühlen?Schulze: Wir haben es in unserem Buch als „monkey show“, als Affenzirkus,bezeichnet. Kein Politiker macht dort einen Überraschungsbesuch. Es wird Wochenlang vorher angekündigt. Straßen müssen gesichert und abgesperrt werden, Übernachtungsmöglichkeitenmüssen geschaffen werden. Da wird parallel dann auchvor geübt mit bestimmten Truppenteilen. Da wird jetzt gesagt: Ihr stellt jetzt diePatrouille, die dann raus fahren soll. Die Klamotten werden ausgebürstet, dieSchuhe werden geputzt, die Waffen auf Hochglanz poliert. Es werden durch dasMilGeowesen Karten, Weltkarten, zu Verfügung gestellt. Es ist wirklich eine Show-Veranstaltung für die Presse. Die Jungs fahren dann auch nicht raus, nachdem die98


Presse mit den Politikern durch ist, sondern sie fahren eine Runde im Camp, weilsie ihre Patrouille schon hinter sich gebracht haben, und gehen dann wieder in dieRuhe oder bereiten sich für den echten nächsten Auftrag vor.Leif: Ist so was ein Ausnahmeprogramm für die privaten Sender oder machenÖffentlich-Rechtliche auch mit?Schulze: Das ist definitiv für alle, die mit Politikern reinkommen. Dieses Programmist für alle, auch für die Öffentlich-Rechtlichen.Leif: Und was hat das aus Ihrer Sicht für Folgen für den Endverbraucher? WelchesBild von Afghanistan bekommt er?Schulze: Der Endverbraucher ist erstmal der Bun<strong>des</strong>tagsabgeordnete, der alsMultiplikator für seine Fraktion dient. Er erstattet dann ja Bericht und sagt:Mensch, ich habe da nur schicke Soldaten gesehen, die wohnen dort gut, diehaben alle unisono berichtet: „Uns geht es gut dort unten. Wir haben gar keineProbleme.“ Und auf der anderen Seite steht dann die Fraktion hinter dem Abgeordneten,die sich darauf einstimmt und sagt: „Mensch, gar keine Probleme! Wirkönnen den Einsatz, das Mandat verlängern.“ Das wird natürlich auch wieder inden Medien als Statement gegeben. Und das kommt dann so bei den Bürgern an.Leif: Man hat also kein vollständiges Bild?Schulze: Nein, definitiv nicht.Problem 1: Zu wenig KompetenzEiner für einen ganzen Kontinent und Inkompetenz in der HeimatredaktionLeif: Von Irak und Afghanistan wandern wir weiter zu Herrn Mükke nach Afrika. Siehaben zwei Jahre in Afrika verbracht - für Ihr Studium aber auch als Journalist.Sie waren in verschiedenen Ländern auf dem Kontinent und haben jetzt Ihre Dissertationweitgehend fertig gestellt. Wenn Sie mal – Wissenschaftler können das jain aller Knappheit – sagen, was ist Ihre fundamentale Erkenntnis ist, die Sie IhremDoktorvater präsentieren werden? Was macht die Afrika-Berichterstattung aus?Mükke: Eine weitgehende Inkompetenz. Und zwar auf vielen Feldern. Ich will malkurz die Strukturprobleme der Afrika-Berichterstattung beschreiben: Etwa seit derMedienkrise, aber auch schon vorher, seit der Mitte der 90er Jahre, findet ein massiverKorrespondentenabbau statt, die Korrespondentenzahlen sinken: Ungefähr99


20 Prozent, also jeder fünfte Korrespondent wurde zurückgezogen. Das betrifft inerster Linie die Printmedien, bei den Öffentlich-Rechtlichen fand kein Stellenabbaustatt. Ein weiteres Strukturproblem ist folgen<strong>des</strong>: Themenkomplexe, die beackertwerden, sind vor allem Brennpunkte. Das heißt, Kriege, Krisen, Katastrophen – derKatastrophenkontinent Afrika. Zum anderen schaffen es auch Boulevardthemen indie Berichterstattung – Folklore, Ethnologie, Tiere. Das sind die beiden großenThemen, für die Afrika gut ist. Was tendenziell ausgespart wird ist Alltag, ist Wirtschaft,ist Arbeitnehmerperspektiven, sind Kulturthemen. In diesen Bereichenwerden Sie, wenn Sie mit den Leuten sprechen, auch immer wieder Klagen hören.Leif: Sie haben mit Korrespondenten selbst geredet, das war Teil Ihrer Befragung.Was hat sich als Meinungs - und Analysebild über den Status ihrer Berichtserstattungergeben. Was sagen die, was sie selbst leisten können?Mükke: Wenig. Das Bild von Afrika in der Berichterstattung ist extrem verzerrt,extrem eurozentristisch. Das macht sich zum Beispiel auch daran fest, welcheQuellen Korrespondenten nutzen. Der Hauptteil der Quellen sind deutsche, sindeuropäische Quellen, sind UNO, sind externe Quellen. Das wird Herr Theveßendann vielleicht auch über den Libanon erzählen. Zu einem gewissen Grad findet einAusschluss der Afrikaner aus der Berichterstattung statt, weil sie keine Chancehaben, diese wahrzunehmen. Kaum einer spricht da Deutsch, kaum einer rezipiertdeutsche Medien. Das heißt, Kritik von afrikanischer Seite an dieser Berichterstattungwird nicht herangetragen. Dann ist ein großes Problem das Desinteresse unddie Inkompetenz der Heimatredaktion. Und ich spreche jetzt über die Leitmedien,ich spreche jetzt nicht über die regionalen Medien, sondern ich spreche über diegroßen Leitmedien Deutschlands, die überhaupt noch jemanden nach Afrika schicken.Wenn jemand als Counterpart in der Redaktion verantwortlich ist für die inhaltlicheBetreuung, dann hat der meist zwei Berichtsgebiete zu betreuen. Das heißt, derRedakteur hat dann eben Osteuropa und Afrika oder Nahost und Afrika. Und wodann die Prioritäten gesetzt werden, ist klar. Das ist natürlich nicht Subsahara-Afrika, sondern die anderen Berichtsgebiete.Leif: Und wenn wir unseren Titel <strong>des</strong> Abends übersetzen auf Afrika, was wissen wirdann am Ende noch von Afrika?Mükke: Wir bekommen ein extrem verzerrtes Bild, was ebenso wie in Afghanistan,wie im Irak keinesfalls den Alltag oder Lebensrealitäten in Afrika widerspiegelt. Ichmöchte auch noch eine ganz wichtige Zahl nennen: Subsahara-Afrika hat 48 Länder,und die meisten der Korrespondenten betreuen auch 48 Länder. In voller Themenbreite,von Kultur, Wirtschaft bis zur Politik. Der Korrespondent soll Kriegsberichterstattungmachen und auch bunte Themen liefern. Es ist eine strukturelle Hoch-100


stapelei, die da stattfindet. Die Arbeitsaufgaben, die er da eigentlich erfüllen soll,sind überhaupt nicht machbar. Ich denke, diese Zahl spricht einfach Bände überdas enorme Desinteresse, was in Deutschland an diesen Berichtsgebietenherrscht.Problem 2: Informationsvermeidung und DesinteresseEin Programmmacher erklärt sichLeif: Herr Theveßen, Sie können sich vorstellen, die drei haben die Stichflammeextra für Sie produziert, weil Sie sozusagen der Verantwortliche sind. Wie reagierenSie darauf? Was sagen Sie den Kollegen?Theveßen: Dass alles stimmt, was hier gesagt wurde. Man muss als erstes festhalten:Das hat viel mit Veränderungen in der Informationslandschaft zu tun, auch inder Medienlandschaft. Ich habe auch wahrgenommen, dass viele Korrespondentenstellenabgebaut worden sind. Bei den Öffentlich-Rechtlichen allerdingsweniger. Wenn wir unsere Struktur angucken, muss man konstatieren: Die hat sichnicht wesentlich verändert beim ZDF – und ich kann ja nur für das ZDF reden. Wirhaben nach wie vor die gleiche Anzahl von Studios in diesen Gebieten. Wir habendie gleiche Anzahl, teilweise sogar mehr Korrespondenten in diesen Gebieten.Trotzdem fragt man sich, warum all das stimmt, was Sie hier gesagt haben? Dasliegt vielleicht daran, dass wir einerseits in unseren Nachrichtensendungen stärkerin diese Regionen gucken, auch weg übrigens von Europa, was einigen europäischenKorrespondenten gar nicht gefällt. Das war in den letzten Monaten ja zulesen. Aber Tatsache ist, dass wir mehr in diese Regionen der Welt gucken, auch inden Nachrichtensendungen. Und oft versuchen wir auch, die Hintergründe derEreignisse gleich in den Nachrichtensendungen mitzuliefern. Bei uns finden Sieeine zunehmende Zahl von Hintergrundbeiträge, auch in den Hauptnachrichtensendungen:Beispielsweise über die Flüchtlinge, die versuchen über Ceuta undMelilla nach Europa kommen. Aber gleichzeitig stellt sich die Frage: Wo sind die<strong>Dokumentation</strong>en? Wo sind die Magazinbeiträge? Ich sage Ihnen ganz ehrlich:Die sind nach wie vor da. Wenn wir nachrechnen, stellen wir fest, dass wir etwa diegleiche Anzahl aus all diesen Ländern an Berichterstattung haben. Einige von denStudios, gerade in Afrika, haben einen viel höheren Output als in vergangenen Jahrenoder Jahrzehnten. Ich glaube, es fällt nur weniger auf, weil die Zuschauerwomöglich verschiedenste Programme gucken, Zerstreuung suchen – und das vielleichteher in der Bunten als in der Hintergrundberichterstattung. Und wir sendenauch in der Prime Time um 20.15 Uhr dienstags abends noch eine tolle <strong>Dokumentation</strong>über das arabische Königshaus mit aller Problematik. Aber es wird von vielweniger Zuschauern geguckt als früher.102


Leif: Früher hätte man so was kognitive Dissonanz genannt.Theveßen: Ich glaube, wir müssen neue Wege suchen. Das eine ist, uns aus unserenStrukturen so weit verändern, dass wir Kollegen haben, die ähnlich wie HerrRaman unterwegs sind und versuchen, diese Geschichten auszugraben, die hochspannend sind. Das braucht auch eine ganz besondere Art von Korrespondent undJournalist. Da sind wir vielleicht alle ein bisschen zu gemütlich geworden in denletzten Jahren und Jahrzehnten. Das ist auch gefährlich. Und das andere ist eineandere Form von Storytelling. Der Reisebericht eines Korrespondenten findet heutzutageviel, viel weniger Zuschauer als noch vor zehn Jahren. Und <strong>des</strong>wegen müssenwir uns auch andere dramaturgische Mittel überlegen, um diese Regionen der Weltden Zuschauern näher zu bringenLeif: Aber trotzdem mussten Sie vor kurzem Feuerwehr spielen, weil im ZDF etwaspassiert ist, was eigentlich gar nicht passieren darf: Mehrere prominente Auslandskorrespondentensind ausgerechnet zum „Gong“ gegangen und haben ziemlichauf den Gong gehauen, haben gesagt, dass die Auslandsthemen, die sie in Paris,Wien oder London machen, nicht mehr prime-time-fähig seien. Als Sie den „Gong“gelesen haben, Herr Theveßen, was haben Sie gedacht? Was war Ihre erste Reaktion?Theveßen: Ich war stocksauer, weil wir über diese Thematik in vergangenen Jahrenhin und wieder mal gesprochen haben. Und das Interessante ist: Diejenigen, diesich darüber beschweren, sind ausgerechnet jene, zu deren Lasten wir die Berichterstattungaus anderen Regionen der Welt ausgeweitet haben. Wir konnten frühernicht aus Aserbaidschan, Ukraine, Kasachstan, Kirgisien, aus China in der Art undWeise berichten, wie wir das heute tun. Das geht natürlich zu Lasten der Europaberichterstattung.Und ich frage dann mal ganz ehrlich, hier sind ja einige Kronzeugenda: Was ist am Ende wichtiger, dass wir über den Entwurf einen Gesetztes inLondon, in Großbritannien berichten, das vielleicht es irgendwann mal durchsParlament geschafft hat - und somit Verlaufsberichterstattung betreiben, oder dasswir intensiv hin gucken in solche Länder und Regionen, die wir in vergangenen Jahrzehntenunterbelichtet haben?Leif: Aber Sie waren so stocksauer, dass Sie eine Mail geschrieben haben – so wir<strong>des</strong> jedenfalls zitiert – wenn Sie dienstrechtlich verantwortlich wären, würden Siedienstrechtliche Konsequenzen ziehen.Theveßen: Also ich sage zu diesem Teil jetzt mal nichts.Leif: Aber ich habe es Schwarz auf Weiß. Es ist auch okay. Wenn er stocksauer ist,darf er auch stocksauer reagieren.103


Theveßen: Ich glaube, dass wir solche Dinge zuerst einmal miteinander besprechensollen. Und ich hätte mich sehr gefreut, wenn diese Kritik im Hause selber mitden Nachrichtenredaktionen diskutiert worden wäre. Bei der Berichterstattungsind Interna, Kommunikation zwischen Korrespondenten und Mitarbeitern in derZentrale in die Öffentlichkeit gelangt. Unter Kollegen gehört sich das nicht. Wasnichts daran ändert, dass man über den Kern der Sache diskutieren sollte. Dashaben wir getan. Sowohl schriftlich als auch in der Zentrale in Mainz mit den Beteiligten.Und die Bottom Line ist: Wir können belegen, dass all die Vorwürfe, die im„Gong“ im Bezug auf angebliche Verseichtung in der Berichtserstattung genanntwurden, falsch sind. Das lässt sich anhand von Zahlen, Fakten, Abläufen der Nachrichtensendungenbelegen. Ich hätte mich <strong>des</strong>halb gefreut, wenn wir uns lieberkonstruktiv überlegen, wie wir zum Beispiel aus Afghanistan, Irak und anderenLändern intensiver berichten und ob vielleicht auch westeuropäische Kollegen denMut aufbringen, in diese Länder zu reisen.Leif: So sehen es jedenfalls auch diese drei Promis, weil sie wollen jetzt gar nichtsöffentlich sagen zum Thema. Die sind jetzt kuriert. Und im Grunde sehen sie das allesso ähnlich wie Sie. Das heißt, der „Gong“ hat doch irgendwie den Gong gemacht?Theveßen: Ich glaube, das einige das immer noch anders sehen. Wir haben intensivmit den Kollegen gesprochen, und jeder hat da so seine Ansichten. Was michärgert, ist, dass ich nicht weiß, wer heute Morgen den „Kölner Stadtanzeiger“gesehen hat: Was ich nicht haben kann, ist, wenn man hinterher dann noch malrumläuft und so tut, als würde erst nach der Kritik der Auslandskorrespondentenein Nachdenken im ZDF erst eingesetzt haben. Das ist purer Blödsinn. Wir machenuns seit Jahrzehnten Gedanken darüber, ein qualitativ anspruchsvolles Programmzu machen.Leif: Letzter Punkt: Sie haben sich mit einigen Programmentscheidungen abertrotzdem schwer getan, in dem Sie durch das „Auslandsjournal“ eine wichtigezentrale Sendung aus der Prime Time rausgezogen haben – in den späteren Abend.Theveßen: Ich hätte mir gewünscht, dass das „Auslandsjournal“ lieber direkt nachdem „heute-journal“ platziert wird. Aber da, wo es lag, hat es arg gelitten. Es istsehr oft ausgefallen. Zum anderen kam das Vollaufpublikum von Sendungen wie„Aktenzeichenzeichen XY“ oder „Marianne und Michael“. Und da ist es für solcheine Sendung unglaublich schwer, einigermaßen die Zuschauer zu finden und zuwissen, wie man eine Formatarbeit betreibt. Jetzt ist das „Auslandsjournal“ auf22 Uhr 45. Und wenn Sie mal rein geguckt haben in letzter Zeit, dann werden Siesehen, dass die Kollegen das nutzen. Es ist erstklassige Auslandsberichterstattung,die im „Auslandsjournal“ stattfindet, das ist anspruchsvolles Fernsehen, und104


übrigens auch abrufbar im Internet, was dann die Zeitproblematik ein bisschenaufhebt.Problem 3: Bürokratie, Strukturzwänge und UnvermögenDer Qualitätsverlust im AuslandsjournalismusLeif: Herr Raman, sind Sie überzeugt von den Argumenten, die Sie jetzt gehörthaben?Raman: Nein, das Kernproblem in Deutschland ist dieses introvertierte Denken. Wirleben in einem Zeitalter der Globalisierung. Die Programmmacher sagen: „Quoten!Wir kommen nicht an gegen irgendwelche Serien bei RTL und so an.“ Und das istmeiner Ansicht nach falsch. Mein letzter Film war ein Beispiel dafür. Ich berichteseit 40 Jahren aus Kriegsgebieten. Mein erster Krieg war Vietnam. Und ich habe nieso viel Resonanz bekommen, meine Filme liefen oft erst erst halb zwölf. Aber dieBereitschaft ist ja da. Und wenn man jetzt irgendwelche Zahlen und Forschungsberichteda vorlegt und feststellt, dass nur wenige Leute die Beiträge sehen – dannglaube ich diese Argumente nicht. Was bedeuten diese Statistiken? Man muss mitLeuten reden, was die sehen wollen. Und das ist das größte Problem mit Deutschland:Wir machen immer so weiter. Wir diskutieren zu viel. Ich möchte an dieDiskussion „Kinder statt Inder“ erinnern. Wir haben hier diskutiert: Die Inder werdenkommen, sie werden hier bleiben. Bis wir fertig waren mit der Diskussion,waren die Kinder längst schon in Silicon Valley. Und dabei wollte sowieso niemandhierher kommen wegen der Sprache. Wir sind Weltmeister in Diskussionen, inForschung und Zahlen, aber wir tun wenig.Leif: Aber was sind aus Ihrer Sicht die Gründe? Dieses falsche Bild auf die Realität,man konstruiert sich eine Wirklichkeit, so dass die Leute <strong>des</strong>interessiert sind unddass sie das nicht wissen wollen?Raman: Nein, das glaube ich nicht. Wissen Sie, die öffentlich-rechtlichen kann manvergleichen mit den Kombinaten in der DDR-Zeit. Das sind Riesentiere mit unwahrscheinlichviel Bürokratie. Und wenn Sie als freier Korrespondenten da nicht einenMenschen erwischen, der Ausland versteht, und eine Story kennt, dann passiertgar nichts. Also ich habe schon Leute gehabt, die meinen Film abgenommen haben– und da war eine Sequenz, die der Redakteur nicht verstanden hat, also mussteich sie raus schneiden. Das ist häufig passiert. Manchmal haben die Redakteureauch Angst gehabt, dass wir die Aufständischen nicht so darstellen können. Es gibtwenig qualifizierte Redakteure, die das Ausland verstehen – und das schlägt sichauf die Berichterstattung nieder.105


Leif: Herr Mükke, wie sehen Sie das? Was sind aus Ihrer Sicht, die Gründe für dieseVeränderung im Auslandsjournalismus?Mükke: Was mir die Korrespondenten immer wieder genannt haben, wäre die Technisierung– also die Digitalisierung – die auf der einen Seite extrem hilfreich ist,denn man kann jetzt kommunizieren mit allen Ecken <strong>des</strong> Kontinents. Aber gleichzeitig,und das ist paradox, bindet diese Digitalisierung die Leute ans Büro. Dasheißt, die Redaktionen wollen, dass die Korrespondenten ständig verfügbar sind.Ein sehr gutes Beispiel ist da ARD-Hörfunk, wo es auch als Komplementärstück fastkeine Auslandsredaktionen mehr gibt – und das führt dazu, dass 50 Radiowellen,jeder Redakteur, jeder, der etwas möchte, sich bei dem einen Korrespondenten beispielsweisein Nairobi melden darf mit seinen Wünschen. Und dann müssen Sieerstmal die Hartnäckigkeit und das dicke Fell besitzen, um zu sagen: Nein, ichmuss jetzt für drei Wochen in den Kongo. Das geht überhaupt nicht mehr. Dasheißt, eigentlich werden die Mittel, die doch Recherche befördern sollen, zur Kugelam Bein. Das sehe ich als einen gefährlichen Trend.Problem 4: Überforderte KorrespondentenGefüttert mit Fakes und PropagandaLeif: Wie reagieren die Korrespondenten, mit denen Sie gesprochen haben, aufdiese Entwicklung?Mükke: Zynisch. Zynisch zum einen, dass man sich in diese Strukturen fügt. DieseStrukturen sind ja gesetzt – und ein Korrespondent in Afrika kann diese nichtändern. Ich bin einmal einem Korrespondenten begegnet, der hat letzten En<strong>des</strong> imJahr 1.000 Beiträge produziert. Stellen Sie sich das vor! 1.000 Radiobeiträge ausNairobi, aus diesem Berichtsgebiet, was definitiv eines der schwierigsten auf derganzen Welt ist. Infrastrukturell, logistisch, von Quellenzugängen, alles. Manbraucht sehr viel Zeit, es ist unheimlich aufwendig. Und dieser Mensch hat esfertig gebracht, 1.000 Beiträge zu produzieren. Und da es zu Hause keinen Counterpartgibt, keine Redaktion, die das auch mal begutachtet, was da eigentlich inhaltlichgeliefert wird, hat auch niemand diesen Output hinterfragt. Im Gegenteil, er istdann noch befördert worden, in einen noch „wichtigeren“ Korrespondentenstand.Er wurde groß gelobt in der WDR-Print. Aber wie hat er diesen Output zustandegebracht? Es war zum großen Teil virtueller Journalismus. Er sitzt in seinem Büro,wartet darauf, dass eben 50 Radiowellen und was weiß ich wie viele Redakteure daanrufen. Er muss aktuell berichten, und das bedient er. Und er sitzt in seinem Büro,hört früh BBC oder AFP und schneidet mit. Das ist sozusagen die primäre Quelle.Nun wäre das alles nicht ganz schlimm, wenn er das angeben würde: Wie BBC106


sagte ... Aber das ist nicht der Fall. Sie denken: Mensch, das ist ja ein Kerl vonSchrot und Korn, der geht ja nach Somalia, und da hat er den interviewt und diesenund jenen. Das kann unter Umständen gar nicht der Fall sein. Oft kommen auchMaschinengewehrfeuer oder Hubschraubertöne im Hintergrund aus dem Tonarchiv.Leif: Das heißt doch, uns wird ein X für ein U vorgemacht?Mükke: Hundert Prozent – in diesem Fall, denn ich möchte das nicht auf alle Kollegenausweiten. Das war ein Einzelfall, er ist auch kritisiert worden, was allerdings zukeinen Konsequenzen geführt hat.Leif: Wie schaut es aus mit den Heimatredaktionen? Können Sie da auch so eineBilanz ziehen? Kann man generell sagen, dass es so schlecht läuft in den Kopf -redaktionen, dass da keiner Ahnung hat? Oder sind die eher unter Druck? Ich leseeine Studie, die in sechs Monaten erscheint vom Brost-Institut, dass eher dieRedakteure in den Heimredaktionen die Korrespondenten mit absurden Aufgabenbelästigen und ihnen Dinge abverlangen, die sich überhaupt nicht decken lassenmit der Realität vor Ort.Mükke: Das ist ganz sicher so, aber das hat was mit Kompetenzen zu tun, das hatwas mit der Kontinuität der Betreuung dieser Berichtsgebiete zu tun. Eine Tendenzist ja, dass junge Redakteure in den Auslandsjournalismus in diesen Redaktioneneinsteigen, und dann ein Berichtsgebiet betreuen, aber auch bald wieder verschwinden,weil sie andere Posten bekommen oder selber Korrespondent werden.Wenn ich also keine kompetente Betreuung zu Hause habe, führt das automatischzu Themenwünschen, die eben teilweise absurd sind. Ein gutes Beispiel ist dieBerichterstattung über den Bun<strong>des</strong>wehreinsatz im Kongo. Jeder, der sich mit Afrikaauskennt, musste lachen, was da für Fragen gestellt wurden. Das gilt leider auchfür die Öffentlich-Rechtlichen. „Wie ist die Klage? Und gibt es da Kindersoldaten?“.Sie standen in Kinshasa, der Krieg ist mehr als 2.000 Kilometer weiter weg vonKinshasa. Diese für Kenner wirklich naiven bis nicht mehr erträglichen Fragen spiegelnnatürlich wieder, dass man nachholen muss, was man permanent versäumthat: Einigermaßen zu berichten über einen der größten Konflikte dieser Zeit, unddas ist der Kongo-Konflikt, der jetzt sozusagen in Konkurrenz zu anderen großenKonflikten wieder absolut keine Rolle spielt.Leif: Herr Schulze, aus Ihrer Erfahrung als Presseoffizier und als Buchautor: Gibt esUnterschiede zwischen Print-Journalisten und Journalisten aus elektronischen Medien?Schulze: Wir haben wirklich kaum welche gesehen. Die einzige Unterscheidung,die wir wirklich immer wieder wahrgenommen haben, war folgende: War das Kom-107


plettpaket mit der Bun<strong>des</strong>wehr gebucht oder aber der eigenen Korrespondent vorOrt, der auch abseits von Wegen sich seine Geschichten gesucht hat und seineKontakte über Jahre gepflegt hat. Darin hat man eigentlich die Unterscheidunggesehen.Leif: Und wie schaut es aus mit Footage-Material, also mit Material, das vomMilitär gedreht wird? Liefert die Bun<strong>des</strong>wehr auch Bildmaterial?Schulze: Wir haben ja auch so eine Übersicht gemacht für die Y-Zeitung derBun<strong>des</strong>wehr. Da geht natürlich auch Material an die Medien weiter, die nicht dortvor Ort sind. Und ich glaube schon, dass da, das eine oder andere mit „verwurstet“wird.Leif: Herr Raman, die Kollegen von der ARD sagten, die besten Lieferanten warendie US-Militärs in Afghanistan, aber auch im Irak. Sie haben die Top-Bildergebracht. Die kamen auch in der „Tagesschau“, waren aber nicht gekennzeichnet.Ist das okay, aus Ihrer Sicht moralisch okay, dass man vom Militär Bilder nimmt?Raman: Das ist bestimmt eher im Irak der Fall als in Afghanistan, weil es im Iraksehr schwierig ist, überhaupt Bilder zu bekommen. Daher man nimmt, was man hatund kommentiert entsprechend. Viel schlimmer finde ich, dass man Bilder vonirakischen Kameraleuten nimmt. Man steht irgendwo vor einem Fünf-Sterne-Hotelvor der Kamera und sagt was, sagt aber nicht, dass die Bilder, die jetzt gezeigt werden,von einem irakischen Kameramann gedreht wurden, der dafür sein Lebenriskiert hat. Aber so oder so: Ich glaube, es gehört zu einem guten Journalismus,dass ein Journalist seine Quellen angibt.Problem 5: Vorbei am BürgerDas Dilemma der späten SendeplätzenTheveßen: Wir müssen nur gucken, dass wir unsere Struktur entsprechend anpassen.Von diese Reisen mit der Bun<strong>des</strong>wehr oder mit Politikern hat das ZDF beispielsweisein den Jahren 2006-07 vier Stücke gemacht. Vier. Und alles andere an Afghanistan-Berichterstattung in dieser Zeit - 12 Reisen von Uli Gack, zwei große Reisen vonUlrich Tilgner - die wurden auf eigene Faust gemacht. Beim „Spiegel“ ist SusanneKoelbl immer auf eigene Faust unterwegs. Diese Arbeitsweise generiert hundertevon Beiträgen und Schaltgespräche mit Afghanistan in diesen zwei Jahren. Undtrotzdem bleibt bei manchen der Eindruck zurück, wir würden nur regierungstreuberichten und wir würden dieses Angebot immer dankbar annehmen. Das ist nichtso. Wir haben in den letzten zwei Jahren zum Beispiel als erste darüber berichtet,108


dass es massive Ausrüstungsmängel bei der Bun<strong>des</strong>wehr gab. Wir haben als erstedarüber berichtet, dass in Afghanistan die Stimmug in der Bevölkerung gegenüberder Bun<strong>des</strong>wehr umschwang und dass der Glaube an eine Zukunft, an Stabilitätverloren ging. Das sind Dinge, die unsere Korrespondenten Ulrich Tilgner und UliGack vor Ort auf eigene Faust erkundet haben.Leif: Da kann ich Ihnen Recht geben, wenn ich vielleicht ganz kurz noch mal einhakenkann: Denn einen Vorwurf muss ich Ihnen doch machen, dass es dann oftmals23 Uhr 45 Dienstag- oder Mittwochabend, wenn der Otto-Normalbürger, der morgensum sieben Uhr aufstehen muss und um acht Uhr bei der Arbeit sein muss,dann einfach nicht mehr fernsieht. Der normale Bürger ist nicht bis ein Uhr nachtsauch aufmerksam genug, sich das wirklich sehr gut anzugucken. Sie haben sicherlichRecht, dass es sehr gute Berichterstattung auch über Afghanistan gab. Aber eswar oftmals zu spät unter der Woche, auf einem Sendeplatz, wo diese wichtigeThemen meiner Meinung nach nichts zu suchen haben.Theveßen: Ich gebe Ihnen Recht: Das Lange, Ausführliche läuft oft relativ spät. Ichweiß nicht, wie oft Sie „heute“ und „heute-journal“ sehen. Und unter hundertenvon Beiträgen, die ich vorhin erwähnt habe, sind vor allem „heute-“ und „heutejournal-“Beiträge,die vier Minuten lang sind, aber trotzdem sehr eindrucksvoll. ProWoche gucken die Leute im Schnitt anderthalbmal das „heute-journal“ – dannstellt sich am Ende die Frage, wie viel von dieser Auslandsberichterstattung in ARDund ZDF beim Zuschauer ankommen.Problem 6: Sicherheit geht vor –Gute Auslandsberichterstattung ist eine Frage <strong>des</strong> RisikosLeif: Aber jetzt noch mal zurück auf diesen „embedded journalism“: Würden Sieheute sagen, dass öffentlich-rechtliche Sender noch mit Bun<strong>des</strong>wehrmaschineneinfliegen müssen? Sollte man nicht prinzipiell darauf verzichten?Theveßen: Es ist tatsächlich so, dass die Kollegen Gack und Tilgner immer auf eigeneFaust gereist sind und zwar mit zivilen Fluggesellschaften. Nur in Ausnahmefällen,wenn es besonders gefährlich war, haben sie mal einen Inlandsflug mit der Bun<strong>des</strong>wehrgemacht. Etwas anderes ist der Tross, der mit Politikern dorthin reist. UndSie haben meiner Meinung nach völlig Recht, dass die Polizeiausbildung in Afghanistanso gut wie gar nicht funktioniert. Von 61.000 Soldaten, die ausgebildet wordensind in den letzten Jahren, sind gerade mal 40.000 da. Wohin sind die anderen21.000 verschwunden, die der Westen ausgebildet hat? Das sind alles wichtigeGeschichten, und die müssen wir erzählen. Dazu brauchen wir Menschen, die109


ereit sind, das zu erzählen, die die Whistleblower spielen. Und die riskieren teilweiseihre Karriere, um dies zu tun. Unsere Kollegen, die vor Ort sind, reden manchmalmit denen, müssen aber so etwas min<strong>des</strong>tens durch zwei Quellen gedeckthaben, um das zu berichten.Raman: Aber Herr Theveßen, es ist doch eine Tatsache, dass Afghanistan einendeutschen Bezug hat. Ich finde es merkwürdig, dass weder ARD noch ZDF dort einpermanentes Büro haben. Das kann doch nicht sein!Theveßen: Das stimmt so nicht. Wir haben natürlich einen ständigen Stringer da,der aus dem Land kommt. Und die Kollegen, die dorthin reisen, sind immer dieselbengewesen in den letzten Jahren. Das sind also Leute, die sich auskennen. Jetztkommt aber eins dazu, und das sollten wir offen diskutieren: Wie gefährlich istdas? Sie gehen ein hohes Risiko ein, unsere Kollegen, die dorthin gereist sindebenfalls. Deshalb haben wir Auflagen, wie sie sich bewegen, wie oft sie mit derZentrale telefonieren pro Tag. Das Risiko ist sehr hoch, wenn sie sich in Lan<strong>des</strong>teilenbewegen, in denen Krieg herrscht, und das ist in Afghanistan in einem Großteil <strong>des</strong>Lan<strong>des</strong> der Fall. Und dann stellt sich am Ende die Frage: Haben wir genügend erfahreneKollegen, die die Ausbildung und Erfahrung haben, um solche Risiken einzuschätzen?Und wie gehen wir vor Ort mit denen um, wenn eben die Lage so dramatischgefährlich ist?Raman: Wieso gibt es diese Probleme nur mit Deutschland? Wie so schaffen esBBC und die anderen?Leif: BBC, Amerikaner, CBS ...Theveßen: Ich glaube, wir brauchen mehr Kollegen wie Uli Tilgner, wie Uli Gack,wie Sie, Herr Raman. Und ich glaube, darauf müssen wir auch strukturell reagieren.Wir müssen uns bei ARD und ZDF überlegen, wie wir Krisenreporter, die entsprechendausgebildet sind, in diese Regionen entsenden. Und ich glaube, es hat keinenSinn, junge Kolleginnen und Kollegen, die gerade frisch in den Job gekommensind, gleich in den Erdbebengebiete, Überschwemmungsgebiete, Kriegsgebietehineinzusenden, damit sie sich ihre ersten Sporen verdienen. Ich glaube, das solltenunsere erfahrensten und besten Kollegen sein.Leif: Aber wird es bei Ihnen so in der Hierarchie diskutiert, ob man nicht nachAfghanistan jemand schicken sollte, der dauerhaft da ist und vielleicht nicht in dieganz heißen Gebiete geht? Ist das wieder an der Tagesordnung, oder haben Sie dasganz verdrängt?110


Theveßen: Ja, wir haben das natürlich jetzt diskutiert in Bezug auf den Iran, weilUli Tilgner eben nicht mehr für uns kontinuierlich aus dem Iran arbeitet. Die Frageist am Ende, ob Sie eine Präsenz – und Fernsehen ist ein bisschen aufwendiger alsPrint und Hörfunk – vor Ort unterhalten wollen und können und wie Sie mit Sicherheitsmaßnahmenumgehen. In Bagdad beispielsweise waren die Korrespondenteneine Weile im Palace-Hotel untergebracht. Und sie wissen alle, was dort passiertist, vor dem Palace-Hotel.Leif: Aber Sie haben jetzt wieder Fragen gestellt. Könnten Sie versuchen, den aktuellenStand wiederzugeben? Gibt es da ein Umdenken oder bleibt es bei demStatus, den wir jetzt haben?Theveßen: Wir bleiben zunächst mal bei dem Status, den wir haben. Weil wirglauben, dass das Risiko, eine feste Präsenz vor Ort zu haben, zur Zeit relativ großist. Aber wir arbeiten mit Kolleginnen und Kollegen vor Ort zusammen, Stringern,die sich sehr gut auskennen.Leif: Stringer, ich weiß nicht, ob das für alle bekannt ist. Das sind einheimischeZuarbeiter, die Material beschaffen, aber auch Informanten. Und ich glaube, kaumein Auslandsreporter kommt ohne diese Stringer aus. Neu ist übrigens der Begriff„Fixer“, das ist jemand, der spezielles Material besorgt. Oder?Theveßen: Fixer ist einer, der die Kontakten besorgt.Leif: Herr Mükke, haben Sie auch einen Fixer dabei?Mükke: Nein, ich habe keinen, ich selbst bin mein Fixer.Ausblick in die digitale Zukunft: Die Revolution der TechnikLeif: Vielleicht ein positiver Ausklang: Man hat jetzt bei dem Erdbeben in Asiengesehen, dass sehr viele junge Kolleginnen, die für den Norddeutschen Rundfunktätig waren, mit einer modernen Technik berichtet haben. Wird diese Art vonBerichterstattung den klassischen Krisenjournalismus revolutionieren, so dassman künftig mit wenig Technik autonomer arbeiten kann und auch mehr frische,unverbrauchte Köpfe sehen wird?Theveßen: Ich glaube, ja. Der Einsatz moderner Technik macht es einfacher, unmittelbarvor Ort zu berichten. Gleichzeitig erhöht es aber den Anspruch, nicht nureinen Kollegen vor Ort zu haben, der von morgens bis abends live da steht und alle111


Sendungen bedient, denn der kommt tatsächlich aus seinem Hotel kaum raus. Dersteht auf irgendeinem Balkon, damit er von der Militärjunta nicht verhaftet wird.Wir müssen dafür sorgen, dass dann wir entsprechend mehr Ressourcen vor Orthaben: Beispielsweise zwei Kollegen mit komplettem Teams, wovon einer dannvielleicht immer vor Ort bleibt, während der andere die Geschichten sucht, die sichdann entsprechend abwechseln. Aber wir sind durch diese kleine Technik in derLage, aus dem Irawadi-Delta unmittelbar nach Deutschland Schalten zu machenoder Beiträge abzusetzen.Die Rolle der GeheimdiensteLeif: Titel unseres Abends ist ja auch: Die Rolle der Geheimdienste. Herr Theveßen,Sie sind Geheimdienstspezialist. Sie werden unglaublich nett von den Geheimdienstenbehandelt. Alles, was sie haben, geben sie Ihnen zuerst. Keiner weißwarum.Theveßen: Wenn mal das so wäre...Leif: Es heißt immer, andere quälen sich und Theveßen wird angerufen und kriegtdas online alles auf den Tisch.Theveßen: Ich bin noch nie angerufen worden von denen.Leif: Sie schicken es per Mail?Theveßen: Ne, auch nicht.Leif: Wie haben Sie das gemacht? Verraten Sie uns heute wenigstens ein Geheimnis:Wie haben Sie das gemacht, dass Sie diese sondersonderprivilegierte Superstellungkriegen?Theveßen: Es gibt keine sonderprivilegierte Stellung, sondern es ist schlicht undergreifend das, was jeder Journalist macht, dass sich über Jahre erstens Informationenansammeln, zweitens Material und drittens auch Kontakte. Übrigens sowohlin den Bereichen der Sicherheitsbehörde, als auch in den Bereichen der Objekteder Betrachtung der Sicherheitsbehörde. Das heißt, auch in Islamistenkreisen. UndAnrufe habe ich bislang nur von Informanten aus islamistischen Kreisen bekommenoder eben von den Whistleblowern aus den Behörden. Und das ist ganz normale,gute journalistische Arbeit, glaube ich. Und am Ende führt das dazu, dassman sich trotzdem zehnmal überlegen muss, was man macht, was man für Infor-112


mationen hat. Letztlich ist es so, dass gerade auch Sicherheitsbehörden und diePolitiker dahinter ein sehr hohes Interesse haben, eine bestimmte Sicht der Dingein den Medien unterzubringen. Je höher die Terrorgefahr, <strong>des</strong>to einfacher ist es, dieSicherheitsgesetze durchzubringen, und <strong>des</strong>sen muss man sich bewusst sein –und <strong>des</strong>halb vielleicht nicht jede Sau durchs Dorf treiben, die vielleicht manchesprivate Medium gerne mal in die Schlagzeilen hieven würde.Leif: Wenn Sie den BND und ganz konkreten Personen mal massiv ans Schienbeintreten würden, könnte es sein, dass Sie dann abgestellt werden?Theveßen: Ich glaube, ich habe den BND schon ein paar Mal ziemlich an Schienbeingetreten. Was heißt abgestellt?Leif: Abgestellt heißt, dass Sie nichts mehr kriegen an Stoff.Theveßen: Das ich nichts mehr bekomme? Es kann sein, dass dann Monate langFunkstille ist. Das gab es schon sowohl beim BND, beim BKA, als auch beim Verfassungsschutz.Auch bei Islamisten kann man durch Berichterstattung hervorrufen,dass sie nicht mehr anrufen.Leif: Aber auffällig ist ja, dass Sie und auf einer anderen Ebene Herr Wagner privilegiertinformiert werden. Also offenbar gibt es da eine gewisse Arbeitsteilung.Theveßen: Nein, also wenn es Hintergrundgespräche gibt, sind da auch die Kollegender „Süddeutschen“, <strong>des</strong> „Spiegels“, der „Welt“, <strong>des</strong> „Focus“, ARD, ZDF, RTL, SAT1.Leif: Aber Focus muss gar nicht dabei sein. Der ist ja dort teilweise selbst tätig.Theveßen: Da enthalte ich mich je<strong>des</strong> Urteils.Leif: Sehr doppelt gemoppelt ...Theveßen: Es gibt einen Informationsmarkt. Aus dem halten wir uns als ZDFheraus. Auf diesem Markt werden Informationen getauscht, Dokumente getauschtund möglicherweise auch Geld gezahlt.Leif: Machen Sie nicht mit. Also Geld ist nicht drin. Im Lerchenberg wird knappkalkuliert?Theveßen: Öffentlich-rechtlich. Da würde ich ja die Gebührenzahlergelder verschleudern.113


Leif: Aber was zum Beispiel Susanne Koelbl vom „Spiegel“ passiert ist – könntedas theoretisch auch Ihnen passiert sein?Theveßen: Mir wahrscheinlich nicht, ich bin zu unwichtig für. Bei mir gab es allerdingsschon Fälle, wo man versucht hat, private Daten auszuforschen. Aber Kollegen,die sich intensiv beschäftigt haben mit diesen Bereichen, sind schon Gegenstandvon Lauschangriffen geworden. Jörg Brase vom „Frontal 21“ beispielsweise:Da ist auch ein Gerichtsverfahren gelaufen. Auch Bruno Schirra ist nun bekannt.Leif: Die wollen wissen, welche Quellen Sie haben.Theveßen: Das würden die gerne wissen. Das haben sie auch bei Susanne Koelblwissen wollen. Mittlerweile machen sie das fast subtiler, auch das muss man offensagen. Als die Entführungen in Afghanistan im vergangenen Jahr waren, gab es einHintergrundgespräch. Und hinterher wurde von deutschen Sicherheitsbehördeneine nette Übersicht über die Struktur der Taliban verteilt. Da waren die Telefonnummernvon Taliban-Sprechern drauf. Das heißt, so macht man es wahrscheinlichperfekt. Man verteilt diese Telefonnummern an Kollegen. Einige sind dann wirklichso dumm, rufen da an und stellen all die Fragen, die die Sicherheitsbehördengerne mal beantwortet haben möchten.Leif: Aber insgesamt fühlen Sie sich wohl in der Rolle als Geheimdienstexperte?Theveßen: Ich bin der Terrorismusexperte und nicht der Geheimdienstexperte.Leif: Also habe ich ein falsches Insert gelegt.Theveßen: Das kann sein. Ich fühle mich in der Rolle wohl, weil ich glaube, dassman sehr gut und zwar sehr sachlich erklären kann, wie die Dinge sind. Man kannerklären, was an einer Terrorwarnung dran ist – oder eben nicht.Leif: Haben Sie schon mal Gefühl gehabt, das Sie instrumentalisiert worden sindmit Informationen?Theveßen: Ja, absolut. Die Erfahrung machen Sie immer. Das Entscheidende ist,dass Sie sich am Ende nicht instrumentalisieren lassen.Leif: Herr Raman, Sie sind ein überzeugter Kooperationspartner von Geheimdiensten.Ich war überrascht. Sie haben gesagt, Sie arbeiten „super gerne“ mit denGeheimdienstlern zusammen. Was treibt Sie immer in die Arme der Geheimdienstler?114


Raman: Ich bin wirklich sehr oft angesprochen worden. Vorweg erstmal: Es gibt nurzwei Geheimdienste, ISI, der pakistanische, und Mossad. Die anderen spielenGeheimdienste. Die kann man nicht ernst nehmen. Kurz nachdem die Amerikanernin Afghanistan waren, traf ich einen Mann im so genannten „German Club“. Ichhabe mich kurz mit ihm unterhalten. Ich habe gesagt: BND. Der ist sehr sauergeworden, wollte nicht mit mir reden. Aber am nächsten Tag hatte er sich beruhigtund wir sind Freunde geworden. Offiziell war er kein BND-Mensch, aber er wollteimmer mein Material sehen, das ich gedreht habe. Ich habe es ihm auch gezeigt.Warum nicht? Und darauf hat er den Botschafter da beraten. Neulich hat mich einmalangerufen, ich sollte nach Köln kommen und in einem Restaurant seiner Wahlmit ihm essen gehen. Da hat er mir gesagt, dieses Treffen sei von ganz oben offiziellgenehmigt worden und er hat mir mehrere Möglichkeiten angeboten für denGeheimdienst zu arbeiten, unter anderem in den Sudan zu gehen. Ich habe zu ihmgesagt: „Sag mal, Herr Weber, alles, was ich weiß, ist in meinem Film. Warumwollen Sie mich dafür bezahlen?“ Am Ende <strong>des</strong> Abends musste ich ihn irgendwoabsetzen, unter einer Brücke in Köln. Dann ist er so durch die Wiese gegangen undhat mir beim Abschied so wie im Film „Casablanca“ gesagt: „Das könnte eine guteFreundschaft werden.“ Und weg war er.Leif: Ist es eine gute Freundschaft geworden? Geht es weiter?Raman: Nein. Wissen Sie, ich bin ein viel zu offener Typ. Ich erzähle, was ich weiß.Ich habe auch keine Geheimnisse. Ich gebe auch Storys weiter an Journalisten. Ichhabe diese Probleme nicht. Die sollen mir zeigen, was die können!Leif: Und ab und zu sind Sie mal hilfreich für die?Raman: Ich glaube kaum. Sie fragen mich nach Meinungen und so. So war es auchbei der CIA. Ständig, immer irgendwelche Einladungen.Der Kreis schließt sich – wenn Geheimdienste und Korrespondenten kooperierenLeif: Jetzt wollen wir aber nochmal die wichtigen Informanten mit nutzen. Wirhaben heute Glück, weil zufällig auch Herr Professor Geiger hier ist. Er war frühermal Chef vom BND. Ich würde ihn gerne mal spontan fragen, ob er sich auch inseiner Amtszeit hätte vorstellen könnte, dass so was wie jetzt beim „Spiegel“, dasAbhören oder Sammeln von Informationen bei Frau Koelbl, auch hätte passierenkönnen?Geiger: Wer behauptet als Chef einer größeren Organisation mit zu meiner Zeit115


7.000 Mitarbeitern, jetzt 6.000, er wüsste, was jeder der 6.000 oder 7.000 Mitarbeiterjeden Tag macht, der ist ein Hochstapler. Das heißt, Sie können nie ausschließen,dass in einer Organisation, noch dazu in einem Nachrichtendienst, wosich auch manche Leute sammeln, die bewusst Nachrichten sammeln wollen, allekorrekt arbeiten. Ich würde nie eine andere Antwort geben.Leif: Aber Frau Koelbl ist eine Journalistin, und dass ihre Emails gecheckt undkontrolliert werden, das ist kein Kavaliersdelikt, auch nicht aus Ihrer Sicht?Geiger: Nein, es ist kein Kavaliersdelikt. Und die öffentliche Reaktion war ja ganzeindeutig. Wenn ich mir vorstelle, ich wäre jetzt Mitarbeiter <strong>des</strong> BND und säße inKabul – woher bekomme ich meine Informationen? Es wird natürlich von der Zentraleerwartet, dass wenn ich schon dort bin, ich auch etwas berichte. Und zwarnicht das berichte, was einen Tag vorher schon in der „Neuen Zürcher Zeitung“gestanden hat. Also, wo gehen Sie da ran? Da gibt es Journalisten, die könnenDeutsch oder Englisch, dann sprechen Sie mit diesen Leuten. Sie sprechen mit denAngehörigen anderer Botschaften, vielleicht haben die was gehört. Das ist ja eineder ganz großen Gefahren: Dass Journalisten und auch Nachrichtendienstleute, diein einer so isolierten Situation sitzen, sich untereinander möglicherweise auch einBild zeichnen, von dem sie hinterher alle überzeugt sind, dass es das richtige ist,und sich dann bestätigt fühlen, weil sie merken: Ach ja, im Fernsehen, in der Rundfunksendungoder der Zeitung habe ich das gesehen, gehört oder gelesen, alsoliege ich richtig. Und dann schließt sich der Kreis. Ich glaube, das ist eine der ganzgroßen Gefahren. Auch wenn wir über den Auslandsjournalismus sprechen oderwenn wir an das Thema denken: Was wissen wir über das Ausland? Da kann ich nursagen, in meiner Zeit hat mich, wenn ich Berichte gelesen habe, die Frage umgetrieben:Ist das jetzt der wirkliche Bericht? Ist das die Wahrheit? Oder kommt es derWahrheit nur möglichst nahe? Wenn Sie im Irak unmittelbar drehen, sind Sieembedded, nicht im Militär, sondern in der Bevölkerung. Dann sind es natürlichganz andere Zugänge. Aber für die anderen ist es unglaublich schwierig. Und Siekönnen sich auch vorstellen, der CIA-Mann oder der vom MI6 aus Großbritannien,der fällt ja auch sofort auf. Der kann natürlich versuchen, Quellen zu haben. Aberwas sind das wieder für Quellen? Sind es nicht die gleichen Quellen, die allehaben?Leif: Sie haben jetzt Fragen gestellt. Und wie würden Sie sie beantworten? WelcheInformationsqualität sehen Sie vom BND? Ist das wirklich die Realität ...?Geiger: Da muss man unterscheiden. Wir alle wisse, dass etwa 90 Prozent derInformationen inzwischen offene Informationsquellen sind. Das ist etwas ganz entscheiden<strong>des</strong>.Die muss man auswerten. Es interessiert möglicherweise einen116


Nachrichtendienst nicht nur, wie die politische Lage ganz allgemein ist. Das könnenwir aus den Medien erfahren. Was der Nachrichtendienst herausbringen sollte,sind andere Fragen: Was hat Nasrallah vor? Was will der eigentlich machen mitHisbollah? Hat er wirklich vor, den Libanon zu übernehmen? Wie sind nun genaudie Beziehungen von Nasrallah in den Iran, nach Syrien? Wo laufen da die Linien?Wo werden Waffen übermittelt? Was macht der Iran mit seiner Raketentechnologie?Wie weit ist er genau? Welchen Weg geht er mit der Atomausrüstung, Atomwaffenentwicklung?Das sind Informationen, die kann ich vielleicht nicht der „NeuenZürcher Zeitung“ entnehmen, aber das wären jetzt Informationen, die für die Politikganz wichtig sind. Das heißt, man muss sich vielleicht fragen: Müsste man denNachrichtendiensten andere Aufgaben stellen, und das andere aber weglassen.Da haben Sie sehr wohl neue Informationen, wenn Sie Zugänge haben. Und diebringen auch was.Leif: Und wie steht es aus Ihrer Erfahrung mit Desinformation <strong>des</strong> Nachrichtendienstenan Journalisten? Dass sie gefakte, atmosphärisch angereicherte Berichtebringen, damit Journalisten in ihrem Sinne schreiben?Geiger: Ich bin ja im Geschäft sehr lange drin gewesen, habe aber zu meiner Zeitbewusst ein offenes Haus gehabt und mit vielen Journalisten gesprochen. Natürlichnicht unter einem Decknamen, sonder als damaliger Präsident <strong>des</strong> jeweiligenAmtes. Ich habe den Journalisten das mitgeteilt, was ich wichtig finde für Journalistenaus meiner Sicht der Weltlage. Das barg die Chance, mir zu widersprechenoder einfach zu schweigen und dann zu entscheiden, was man daraus macht odermit welchen anderen Informationen man das verbindet – oder eben nichts darauszu machen. Ich wäre aber nicht auf die Idee gekommen dem Journalist irgendwaseinzublasen, weil ich ein Bild zeichnen will, dazu bin ich persönlich viel zu sehr ander Wahrheit interessiert und viel zu neugierig, um jetzt irgendwas falsches in dieWelt zu setzen. Mich interessieren nicht die Zeiten der Gehlen-Ära und ich kannmich auch nicht erinnern, dass bei Powell und seinem berühmten Auftritt bei denVereinten Nationen derartiges passiert wäre, dass man da irgendwas konstruiert.Ich war ja auch als Staatssekretär in der nachrichtendienstlichen Lage, wo man dieseDinge dann umgesetzt und gesprochen hat. Niemand hat irgendeinen Vorschlaggemacht, da bringen wir jetzt eine Sondermeldung.Raman: Sie sprechen von Powell. Diese Geschichte ist doch von Deutschlandgespielt worden.Geiger: Ja, gut, ich meine...Raman: Dieser Mann, dieser Alkoholiker, der soll ...117


Geiger: Ich kenne natürlich nicht die genaue Geschichte. Ich kenne sie ja nur ausden Medien. Aber aus den Medien weiß ich umgekehrt genauso, dass den Amerikanernrechtzeitig, lange vor dem Termin, deutlich gemacht worden ist, dass siesich darauf nicht stützen sollten. Wenn die Amerikaner es gewollt hätten, dann hättensie die Quelle, die sie hatten, auch bewerten können. Laut Medienberichten sollendie Amerikaner kurz vorher noch nervös gewesen sein und gefragt haben: Gibt eseine Bestätigung? Die haben sie dann aber definitiv nicht bekommen. Ich glaube,da kann man dem Bun<strong>des</strong>nachrichtendienst nicht den Vorwurf machen, dass er dieGeschichte anders geschrieben hat, weil er zu einem zu späten Zeitpunkt oderüberhaupt nicht die Wahrheit über diese Quelle gemeldet hat.Leif: Zum Schluss vielleicht noch Ihre Bewertung: Wird dieser Fall Koelbl irgend -welche Konsequenzen haben oder ist das Routine, und man vergisst das schnellwieder?Geiger: Herr Uhrlau hat sehr deutlich seine Betroffenheit über den Vorfall geäußert.Das war nicht gespielt. Ich kenne ihn ja auch persönlich. Ich habe mit ihmdarüber nicht gesprochen, aber ich habe ihn in den Medien erlebt und gelesen,welche Weisungen er erteilt hat. Er will solche Dinge definitiv nicht. Man muss sichnatürlich überlegen, wer das Ziel der ganzen Operation war. Und gerade, wenn mansagt: Ziel war eine ganz andere Person – in diesem Zusammenhang taucht ein Journalistauf – dann muss man natürlich wissen, was man dann mit diesen Informationenmacht, wo man noch einmal Rücksprache nimmt und was man genau tut,damit man nicht genau da reingeht, wo man eben nicht reingeht. Artikel 5, Grundgesetz,Pressefreiheit ist nun mal wichtig.Theveßen: Und das ist sehr wichtig, wenn unsere Kollegen in Afghanistan oder Irakunterwegs sind. Wir wissen alle, dass die Kollegen vor Ort abgehört werden, genauwie hier. Aber in dem Moment, in dem Emails länger aufbewahrt werden und schönweiter gelesen werden, da wird es höchst illegal. Angeblich sind da ein paar ausirgendeinem Referat aus dem Ruder gelaufen. Das können Sie wahrscheinlich beider Größe <strong>des</strong> Ladens nicht ausschließen. Fest steht, dass trotzdem jemand dafürverantwortlich ist oder die Verantwortung tragen muss.118


FragestundeLeif: Vielen Dank erstmal an Herrn Professor Geiger für diese Eisbrecherfunktion.Ich hoffe, dass wir Sie jetzt genügend mit Material angefüttert haben, dass Sie jetztselbst vielleicht Fragen stellen wollen. Die Gelegenheit haben Sie dazu. Wirsammeln die Fragen.Frage: Mein Name ist Wolfram Stahl. Ich bin vom Westdeutschen Rundfunk und ichwollte gern Herrn Mükke insbesondere über den Korrespondenten in Nairobifragen. Würden Sie sagen, das ist ein Problem <strong>des</strong> Korrespondenten gewesen, denSie beschrieben haben, oder ist das Problem eines der Sache, weil es so viele Ländersind, über die er zu berichten hatte? Würden Sie vielleicht sogar so weit gehen,zu sagen, das ist gewollt von der ARD?Frage: Ich wollte gerne mal den ZDF-Kollegen fragen, wie es eigentlich kommt, dassjetzt auf einmal Antonia Rados im ZDF auftaucht, die bis jetzt bei ntv oder bei RTLzu sehen war. Sind dem ZDF die entsprechenden Kollegen abhanden gekommen?Frage: Meine Frage richtet sich an den Presseoffizier. Sie haben ja eingangsbeschrieben, dass Sie das Konzept im Prinzip vermissen. Mich würde interessieren,wie Sie es geschafft haben, als Offizier auf der einen Seite Ihren Auftrag zu erfüllen,ein Produkt, das möglichst perfekt sein sollte, zu produzieren und auf deranderen Seite, sich von der fehlenden Sinnhaftigkeit, die sie ja vermutet haben,nicht beeinflussen zu lassen?Frage: Ich heiße Hardy Voss und bin pensionierter Beamter. Wie löst der Journalistdas Dilemma, dass er einmal die grundgesetzlich gewährte Freiheit der Berichterstattungaus eigener Initiative entfaltet und Prioritäten setzt, gleichzeitig aberimmer die Gewissheit haben muss, dass das, was er vorbereitet und sendet, nichtin der Prime Time läuft? Wie lösen Sie dieses Dilemma in der Praxis, denn es stelltsich ja ständig?Leif: Gut. Herr Mükke, vielleicht beginnen Sie mit der ersten konkreten Frage <strong>des</strong>WDR-Kollegen.Mükke: Also, dass das gewollt wäre von der ARD, das kann ich mir beim bestenWillen nicht vorstellen. Es sind Strukturen, in denen Korrespondenten arbeitenmüssen, in denen sie sich zurechtfinden müssen. Der Bedarf an Berichterstattungist offensichtlich da. Und man kann ja nicht sagen, dass der Korrespondent nichtgearbeitet hat. Er hat ja gearbeitet wie ein Tier! Tausend Beiträge müssen Sie erstmalmachen. Nur: Unser Job als Journalist ist Recherche, und inwieweit das Bewe-119


gen im selbstreferenziellen Mediensystem guter Journalismus ist? Und die strukturelleFrage stellt sich: Warum gibt es keine Debatte über so was? Die gibt es nichtoder kaum. Warum gibt es keine ausreichend kompetente Betreuung auf derRedaktionsseite? Warum hat der ARD-Hörfunk Auslandsredaktionen abgebaut undsomit strukturelle Inkompetenz geschaffen? Das kann nicht gewollt sein, das weißich. Aber die Frage müssen Sie beantworten. Sie sind in der Organisation, Siemüssen an Ihre Chefredaktion, Programmplaner oder sonst wen herantreten.Leif: Herr Schulze, können Sie noch mal auf die Offiziersfrage antworten?Schulze: Ich war zu dem Zeitpunkt kein Presseoffizier, als ich in Afghanistan war.Ich war Zugführer eines Fallschirmjägerzuges, der auf Patrouille gefahren ist. Ichwar jeden Tag praktisch außerhalb <strong>des</strong> Camps unterwegs und habe mit den Leutenvor Ort zusammengearbeitet, habe Show of Force durchgeführt und Informationenbeschafft. Und ich habe schon früher an anderen Auslandseinsätzen teilgenommenund dabei für mich erkannt, dass die Bun<strong>des</strong>wehr leider auf der Stelle tritt. Es istleider keine Entwicklung zu spüren gewesen von Anfang oder Mitte 1999 Balkanbis dann 2002 Afghanistan. Ich habe zwei bis drei Jahre gebraucht nach dem Vertragsende,auch nicht zu versuchen, Berufssoldat zu werden. Dieses Buch warnatürlich eine Art Frustbewältigung für mich.Leif: Wie reagieren eigentlich Ihre Kollegen auf das Buch? Sind Sie so ein Fahnenflüchtiger?Schulze: Ja, ich war die Unke in unserem Team. Ich habe Kollegen, dem Verlag undmeinem Autor gegenüber gesagt: „Wir werden als Lan<strong>des</strong>verräter dargestellt.“Ganz anders ist es gelaufen: Wir haben bis in den obersten Rang hoch ein Feedbackbekommen: „Danke, dass es jetzt jemand mal gemacht hat, ungeschminkt.Und wir hoffen, ihr seid da so eine Art Wellenbrecher.“ Denn die Realität ist 3.000deutsche Soldatinnen und Soldaten sind zum Teil unter widrigsten Umständen undBedingungen dort vor Ort, in einem sehr sehr gefährlichen Einsatz.Leif: Genau. Und für die Soldatenehefrauen sind Sie so eine Art Lili Marleen?Schulze: Ja.Leif: Sagen sie bei den Lesungen?Schulze: Ja, ja, sagen sie. Wir wollten einfach nur der Bevölkerung einen ungeschönten,ungeschminkten Blick geben.120


Leif: Und jetzt kriegen wir eine ungeschönte Frage vom Herrn Theveßen auf die PR-Frage zu Frau Rados.Theveßen: PR-Frage?Leif: Ja, das ist doch die Morgengabe für Herrn Kleber.Theveßen: Was wir brauchen, um die Auslandsberichterstattung noch besser zumachen: Erfahrung, Wissen und Fähigkeiten – also Kollegen, die all das in sich vereinen.Das können wir einerseits, indem wir Kolleginnen und Kollegen finden, diediese Erfahrung über Jahre oder Jahrzehnte gesammelt haben. Uli Tilgner ist unsverlustig gegangen. Jetzt haben wir Antonia Rados. Das war, entgegen dem, was inmanchen Zeitungen kolportiert wurde, übrigens so nicht geplant. Und wir sind sehrfroh, dass Antonia Rados es als Schnellste geschafft hat, nach Myanmar reinzukommenund auch sehr gut berichtet hat. Gleichzeitig versuchen wir auch, jüngereKollegen aus dem ZDF intensiv auszubilden. Bei uns gibt es ein Krisentraining,da geht man durch mehrere Kurse durch, teilweise übrigens auch mit der Bun<strong>des</strong>wehr.Auch psychologischer Druck wird simuliert.121


Wertvolle Tipps und Trickszur professionellen RechercheUNDESTAG GRUNDGESETZ POLITISCHES SYSTEM EUROPÄISCHE UNION WAHLEN VERFASSUNG INTERATIONALE BEZIEHUNGEN POLITISCHE THEORIE PARTEIEN INSTITUTIONEN POLITISCHE KULTUROLITISCHE ELITEN PARLAMENTARISMUS DEMOKRATIE MACHT REGIERUNG VERWALTUNG FÖDERAISMUS POLITISCHE SOZIOLOGIE GLOBALISIERUNG POLITISCHE KOMMUNIKATION PARTEIENSYSTEMECHTSSTAAT GERECHTIGKEIT STAAT POLITISCHE ÖKONOMIE BUNDESTAG GRUNDGESETZ POLITICHES SYSTEM EUROPÄISCHE UNION WAHLEN VERFASSUNG INTERNATIONALE BEZIEHUNGEN POLITICHE THEORIE PARTEIEN INSTITUTIONEN POLITISCHE KULTUR POLITISCHE ELITEN PARLAMENTAISMUS DEMOKRATIE MACHT REGIERUNG VERWALTUNG FÖDERALISMUS POLITISCHE SOZIOLOGIE GLOALISIERUNG POLITISCHE KOMMUNIKATION PARTEIENSYSTEM RECHTSSTAAT GERECHTIGKEIT STAATOLITISCHE ÖKONOMIE BUNDESTAG GRUNDGESETZ POLITISCHES SYSTEM EUROPÄISCHE UNION WAHEN VERFASSUNG INTERNATIONALE BEZIEHUNGEN POLITISCHE THEORIE PARTEIEN INSTITUTIONENOLITISCHE KULTUR POLITISCHE ELITEN PARLAMENTARISMUS DEMOKRATIE MACHT REGIERUNG VERALTUNG FÖDERALISMUS POLITISCHE SOZIOLOGIE GLOBALISIERUNG POLITISCHE KOMMUNIKATIONInformationsbeschaffungprofessionellDie Recherche ist das Stiefkindin der Journalistenausbildung.Ein Hauptgrund fürdieses Defizit scheint diekomplizierte Vermittlung vonRecherche-Techniken, praktikablenRecherche-Verfahrenund wirksamen Motivations-Impulsenfür vertiefteNachfragen zu sein.Diese "Wissens- und Vermittlungslücke"wird nun erstmalsmit einem Trainingsbuchgefüllt. ErfahreneRecherche-Trainer haben einTeam gebildet und zahlreicheModellkurse, Fallbeispiele,Übungen, Tipps und Trickszur Optimierung der Recherche-Technikenzusammengestellt.Eine Fundgrube für alle, dieRecherche besser vermittelnwollen und all diejenigen,die sich beruflich der Informationsbeschaffungwidmen.Das Trainingsbuch wird vonder JournalistenvereinigungNetzwerk Recherche inKooperation mit der EvangelischenMedienakademie,der Zentralen Fortbildungvon ARD und ZDF (zfp) undder Deutschen JournalistenUnion (dju) herausgegeben.„Das Trainingsbuch ist mitseinen Lehrbeispielen undÜbungen insbesondere fürAusbilder und Seminarleiterattraktiv.“journalist, 01/2004„..ein nützliches Kompendium,das Journalisten ebensohilft wie denjenigen, dieJournalisten ausbilden."WDR (Die Story), 23.05.20032003. 222 S. Br. EUR 17,90ISBN 3-531-14058-2Skandal-Geschichten undEnthüllungsberichte. EinHandbuch zu Recherche undInformationsbeschaffungNach dem Erfolg <strong>des</strong> Titels„Leidenschaft Recherche“folgt nun die Zugabe.M e h r Leidenschaft Recherchebietet eine Fülle spannenderRecherche-Rekonstruktionenund tiefe Einblickein die Werkstattbekannter Rechercheure.Das Buch will zwei Fliegenmit einer Klappe schlagen.Einerseits wird eine Skandalgeschichteoder ein Enthüllungs-Berichthintergründigund unmittelbar von denrecherchierenden Autorenpräsentiert. Andererseits öffnendie Autoren ihre Werkstatt,vermitteln ihre Recherchewege,ihre Methoden, ihrErfahrungswissen, das Erfolgeund Scheitern einschließt.Ein Ausnahme-Buch im Journalismus,das den zentralenWert der Recherche als Qualitäts-Scharnierim Journalismusfördern will.„Lesenswerte Recherche-Perlen“Berliner Zeitung, 23.8.2003„Lesenswert, lehrreich undunterhaltsam. Ein ‘Thriller’der Medien-Didaktik!“WDR-Medienmagazin,7.9.2003„Eine wichtige Mahnung,dieses Handwerk besser zupflegen.“die tageszeitung, 29.8.2003„Journalisten beklagen Kriseder Recherche.“dpa, 22.8.2003„Enthüllungs-Geschichtensind kein leichtes Geschäft.“ddp, 22.8.20032003. 274 S. Br. EUR 23,90ISBN 3-531-14126-0+ =VS Verlag für SozialwissenschaftenAbraham-Lincoln-Straße 4665189 WiesbadenTelefon 0611.7878-722Telefax 0611.7878-420www.vs-verlag.de


„EXISTENZPFLICHT“EBU-Präsident Fritz Pleitgenzur Notwendigkeit von Auslandsberichterstattung*„In einer Zeit <strong>des</strong> Universalbetruges ist die Wahrheit zu sagen eine revolutionäreTat.“ Diese Worte stammen von George Orwell. In diesem Sinne kann der OttoBrenner Preis für revolutionär gehalten werden, auch wenn er nun bereits zumvierten Mal verliehen wird. Schon das Motto spricht dafür. Es lautet „GründlicheRecherche statt bestellter Wahrheiten“. Vergeben wird der Preis für kritischen Journalismus.Ich sehe in der Auszeichnung eine Ermutigung und zugleich eine Mahnungan unseren Berufsstand, sich in einer Welt der gekonnten Desinformationnicht abhängen zu lassen.„Viele Wahrheiten“Wir sind uns sicher einig: Was Orwell revolutionär nennt, müsste für JournalistenSelbstverständlichkeit sein. Dem Anspruch ist allerdings nicht so leicht gerecht zuwerden, wie er sich formulieren lässt. Abgesehen davon, dass es meist Mühe bereitet,manchmal sogar unendlich viel Mühe, um an die Wahrheit heranzukommen, mussdiese Wahrheit nicht die volle Wahrheit sein. Zur Wahrheit eines Vorgangs gehörenoft viele Wahrheiten.Der <strong>Dokumentation</strong>s- und Ereigniskanal ‚Phoenix’ hat sich die schöne Aufgabegestellt, das ganze Bild zu liefern. Aber wann ist das Bild perfekt? Was ist die ganzeWahrheit? Ist sie nicht wie ein Kosmos? Je weiter man vordringt, <strong>des</strong>to mehrWahrheit gibt es zu entdecken. Nun möchte ich mit diesen Erkenntnissen nichtabschrecken, sondern nur dezent darauf hinweisen, dass revolutionäre SelbstverständlichkeitZeit und auch Geld braucht. Und bei<strong>des</strong> wird - Rundfunkanstalten undVerlegern sei es geklagt – Journalisten heutzutage selten ausreichend gegeben.Von diesem Tatbestand sind nicht zuletzt diejenigen betroffen, um die es hier undheute geht: die Auslandskorrespondenten und Auslandsreporter.An dieser Stelle muss ich der politischen Korrektheit halber erklären, dass ich ‚Auslandskorrespondenten’und ‚Auslandsreporter’ als Sammelbegriff benutze, der dievielen Kolleginnen selbstverständlich mit einbezieht. In dieser Hinsicht hat sich123


eine außerordentlich positive Veränderung vollzogen. Im Vergleich zum Beginnmeiner Auslandskorrespondentenzeit sind mehr und mehr Journalistinnen in diefrüher männliche Domäne vorgestoßen, was auch zum Wandel gehört und derwichtigen Sache Auslandsjournalismus überaus gut bekommt. Damit bin ich fastendgültig beim Thema.Eine Vorbemerkung muss ich noch machen. Wenn ich hier rede, dann tue ich dasvorwiegend aus dem Blickwinkel <strong>des</strong> Rundfunkmannes. Dies hat nichts mit mangelndemRespekt vor der gedruckten Presse zu tun. Aber auf deren Feld fühle ichmich für ein Urteil nicht kompetent genug, auch wenn ich zu Hause oder in Flughäfenmit Gewinn lese, was die „Süddeutsche“, die FAZ, die „Welt“, das „Handelsblatt“,die „taz“, der „Spiegel“ und die „Zeit“ aus dem Ausland mit eigenen Leuten berichten.Die Korrespondentenberichte der dpa zähle ich auch dazu. Wie gesagt, ich lesedie Artikel mit Gewinn, manchmal auch mit Verwunderung, wenn es mir zu buntwird.„Informieren und aufklären“Zum ‚Wandel in der Auslandsberichterstattung’ soll ich hier Stellung beziehen. DieAntwort ist leicht zu geben. Hier hat sich eigentlich alles gewandelt. Das Publikumist ein anderes geworden, die technischen Möglichkeiten sind revolutionär verbessertworden, der Typus <strong>des</strong> Berichterstatters hat sich ebenso gewandelt wie die Artder Berichterstattung, in der Hierarchie ist die Auslandskorrespondenz auf Platz 3hinter der Berichterstattung über Nationales und Regionales zurückgefallen.Schließlich: die Verhältnisse in der Welt sind auch nicht mehr so wie früher. Gebliebenist der Auftrag: zu informieren und aufzuklären. Unterhaltend darf die Auslandsberichterstattungauch sein. Nein, unterhaltend soll sie sein, wird zu Hause erwartet,um das Publikum bei Laune zu halten. Auch das hat sich geändert gegenüber früher.Wie steht es nun um die Auslandsberichterstattung heute? In den letzten Wochenund Monaten habe ich viel Aufhellen<strong>des</strong> und auch viel Kritisches darüber gelesen.Was Oliver Hahn, Julia Lönnendonker und Roland Schröder in ihrem Handbuch„Deutsche Auslandskorrespondenten“ und Lutz Mükke in seinem Dossier „Entgrenzung“über den Zustand der deutschen Auslandsberichterstattung zusammengetragenhaben, wird hoffentlich von den Verantwortlichen in den Rundfunkanstaltenund Verlagen analysiert und zu verstärktem Engagement Anlass geben, obwohlich in dieser Hinsicht keine übertriebene Hoffnung hege. Aber da es um ein hohesGut geht, sollte nicht locker gelassen werden.Vieles, was ich gelesen habe, kam mir bekannt vor, was nichts an den manchmalbedenklichen Verhältnissen ändert. Von Überforderung der Auslandskorrespondentenwar und ist die Rede, von Vernachlässigung weiter Weltteile und wichtiger124


Themen, von wachsender Boulevardisierung, von Ahnungslosigkeit der Heimatredaktionen,von mangelndem Ethos bei Übernahme von Informationen, von unzureichenderAusbildung. Das meiste deckt sich mit meiner Erfahrung und mit meinerBeobachtung. Aber ich nehme auch das Gegenteil wahr.„Propagandamaschinen“So habe ich voller Respekt verfolgt, was die Kolleginnen und Kollegen während <strong>des</strong>Krieges zwischen Georgien und Russland geleistet haben. Obwohl die Krieg führendenParteien ihre Propagandamaschinen volle Kraft laufen ließen, haben es dieReporterinnen und Reporter vor Ort geschafft, ein einigermaßen zutreffen<strong>des</strong> Bildzu vermitteln. Zu beklagen ist allerdings, dass wieder einmal Journalisten dieSuche nach der Wahrheit mit ihrem Leben bezahlen mussten. Fünf wurden imGeorgien-Krieg getötet, 69 sind es allein in diesem Jahr weltweit. Die Entwicklungist alarmierend. Die Getöteten sind nicht nur Opfer eines bösen Zufalls. Mehr undmehr Journalistinnen und Journalisten werden durch Mord gezielt ausgeschaltet.Nur Klage darüber zu führen, reicht nicht. Dagegen muss national und internationalkonzertiert vorgegangen werden. Dies muss gemeinsam geschehen. Presseund Politik müssen sich dazu aufraffen. Dies ist mein dringender Appell an uns alle,insbesondere an die Journalistenorganisationen, an die Verlage und an die Rundfunkanstalten.Zwei Wochen ist intensiv über den Krieg im Kaukasus berichtet worden. Die Menschenin aller Welt haben erfahren können, was es mit dem Konflikt Georgien/Russland, mit Südossetien und Abchasien auf sich hat. Nun ist es in der Weltöffentlichkeitwieder still geworden um die umstrittene Region. Doch Frieden ist längstnicht eingekehrt. Beide Seiten beharren auf ihren Positionen, die zum Krieg geführthaben. Die Aufgabe der Aufklärung ist noch zu erledigen. Presse und Rundfunksind gefordert, die Hintergründe und Auslöser dieser gewalttätigen Auseinandersetzungherauszuarbeiten. Die Menschheit muss wissen, was da abgelaufen ist,nicht zuletzt um der Politik auf die Sprünge zu helfen, solche Entgleisungen künftigzu verhindern.Die Aufklärungsarbeit ist außerordentlich schwierig. Dazu bedarf es gut ausgebildeterRechercheure und guter Kondition. Wie ich mitbekommen habe, haben Zeitungenschon einiges Material zusammengetragen und auch veröffentlicht. DerWestdeutsche Rundfunk arbeitet ebenfalls an einer <strong>Dokumentation</strong>. Ich hoffe,dass das Ergebnis, das sicher eine Menge Mühe und einiges Geld kostet, im Hauptabendprogrammausgestrahlt wird, um ein möglichst großes Publikum zu erreichen.Dies ist, wie ich meine, kein unbilliges Verlangen. Das Publikum ist zur Hauptsendezeitmit den Kriegsberichten beunruhigt worden. Nun soll es auch die geprüfte Aufklärung<strong>des</strong> Tathergangs zur Primetime erfahren.125


„Starke <strong>Dokumentation</strong>en“Wie ich überhaupt die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ermutigen möchte,mit starken <strong>Dokumentation</strong>en intensiver zur besten Sendezeit aufzutreten. Konkurrenzist da von kommerziellen Anbietern nicht zu befürchten. Spannenden undwichtigen Stoff gibt es reichlich in der Welt. Das zu vermitteln, entspricht dem Sendeauftrag.Es verleiht Ansehen und ist wegen der zahlreichen Wiederholungen sagenhaftkostengünstig. Eine solche Programmpolitik wäre für die Zukunftssicherungein kluger Schachzug. Mit Information generell, Auslandsberichterstattung imBesonderen und Kultur sind Skeptiker in Brüssel und auch im eigenen Land von derNotwendigkeit <strong>des</strong> öffentlich-rechtlichen Rundfunks am ehesten zu überzeugen. Alsaktiver Intendant bin ich mit meinen Vorstellungen nicht so weit gekommen, wieich es mir gewünscht hatte. Vielleicht erziele ich von der Tribüne mehr Wirkung.Ich möchte auf eine Entwicklung zu sprechen kommen, die ich für außerordentlichbesorgniserregend halte. Was wir im Georgien/Russland-Krieg erlebt haben, istlängst gängige Praxis. Regierungen setzen Agenturen ein, die ‚ihre Wahrheit’ unterdie Leute bringen. So wurde der erste Irak-Krieg in Gang gebracht, so geschah esbeim zweiten Irak-Krieg und so wird es weiter praktiziert werden. Um die Menschheitvor der Selbstverständlichkeit <strong>des</strong> Betruges, der ausgeklügelten, schwer zuentdeckenden Desinformation zu schützen, sie dadurch vor falschen politischenEntscheidungen zu bewahren, sind Presse und Rundfunk mehr denn je gefordert.Die eigene Recherche spielt dabei eine Schlüsselrolle. Um sie durchführen zu können,müssen Journalisten angemessen ausgestattet sein – mit Ausbildung, Talentund Zeit, was alles zusammen natürlich Geld kostet. Es lohnt sich. Man stelle sichvor, welches Bild die von Georgien und Russland bezahlten Agenturen der Weltgeliefert hätten, wenn es nicht die Journalisten vor Ort gegeben hätte, derenBerichte die bestellten Wahrheiten als Lügen entlarvten.Aber fühlen sich Verlage und Rundfunkanstalten, was die Auslandsberichterstattungangeht, zu größerem finanziellem Engagement veranlasst? Die Verhältnisse sprechennicht dafür. Die deutsche Bevölkerung scheint heute weit weniger Interesseam Geschehen im Ausland zu haben als in früheren Jahrzehnten. Insofern ziehenwir mit anderen Ländern wie Frankreich, Italien oder den USA gleich. Auch dortinteressiert das Ausland relativ wenig. Eingesetzt hat bei uns die Entwicklung nachder Wiedervereinigung. Seitdem kümmern die Deutschen die eigenen Problemeoffensichtlich deutlich mehr als die Entwicklungen in anderen Ländern.„Abflauen<strong>des</strong> Interesse“Diese Beobachtung ist im Fernsehen messbar. Im „Presseclub“ sackten die Quotenbei Auslandsthemen deutlich ab. Als sich das nicht änderte, kamen im Laufe126


der Jahre – um nicht am Publikum vorbei zu senden, wie es so schön heißt – immerweniger internationale Angelegenheiten zur Sprache. Inland dominiert inzwischendeutlich über Ausland. Eine Diskussion über die Zukunft der Rente zieht auch imWiederholungsfall mehr Publikum als ein Krieg nebenan. Ähnlich erging es dem„Weltspiegel“. Die glorreichen Zeiten hoher Zuschauerakzeptanzen sind passé.Aber ein Publikum von zweieinhalb Millionen ist für eine Sendung wie den „Weltspiegel“immer noch eine beachtliche Größe. Verdienstvollerweise hält die ARD andem guten Sendeplatz vor der „Tagesschau“ fest.Woran liegt das abflauende Interesse? Es gibt viele Gründe. Seit der Wiedervereinigungist Deutschland nicht mehr so vom Ausland, insbesondere von den Großmächten,abhängig wie zur Zeit der Teilung. Außerdem ist das Flair der großenweiten Welt verloren gegangen. Vorbei ist die Zeit, da uns Peter von Zahn Amerikamit Hilfe eines Briefkastens erklären konnte. Das Publikum ist inzwischen kundigergeworden. Es gibt keine Ecke auf dem Globus, die nicht von deutschen Touristenaufgesucht wird. Sie sehen die attraktiven Seiten. Das reicht ihnen meist. Die problematischenSeiten <strong>des</strong> jeweiligen Lan<strong>des</strong> über Presse oder Rundfunk kennenzulernen,weckt weniger Interesse. Dabei ist die Außenwelt für uns nicht unwichtigergeworden. Im Gegenteil, im Global Village von heute mit all seinen gegenseitigenAbhängigkeiten ist es vonnöten, auch über den Nachbarn in Lateinamerika oderFernost Bescheid zu wissen.Die Auslandsberichterstattung hat darauf reagiert. Sie stellt mehr und mehr einenDeutschlandbezug her. In unseren hoch geschätzten Nachrichtensendungen stelleich häufig fest, wie Berichte über Begegnungen oder sonstige Ereignisse im Auslandmit Erklärungen deutscher Persönlichkeiten aufgeladen werden. Mir leuchtetdas nicht ein. Es bringt das Publikum nicht weiter, das Wesentliche in der Weltdurch die deutsche Brille zu betrachten und einzuordnen. Diese Art der Nachrichtenvermittlunghaben wir aus Amerika genommen. Die zuständigen Redaktionensollten das Verfahren überprüfen. Wie unterschiedlich die Perspektiven sind, ist beigroßen Konferenzen festzustellen. Wer sich die Mühe macht und im Rundfunk wiein der gedruckten Presse die Berichterstattung in den beteiligten Ländern verfolgt,kann leicht den Eindruck gewinnen, über höchst unterschiedliche Konferenzeninformiert zu werden.„Drastischer Wandel“Einen drastischen Wandel in der Auslandsberichterstattung hat die rasante technologischeEntwicklung herbeigeführt. Wenn ich früher zu einer Drehreise nachSibirien oder in den Kaukasus aufbrach, dann war ich für Tage verschwunden. EineTelefonverbindung nach Deutschland ließ sich nicht herstellen, das Filmmaterial127


auchte wenigstens zwei, drei Tage, um sein Ziel in Hamburg zu erreichen. Für die„Tagesschau“ war es dann immer noch aktuell, weil es keine Konkurrenz durchandere Sender oder Agenturen gab. Das hat sich drastisch geändert. Aus den entlegenstenWinkeln der Welt kann über Satellit sofort berichtet werden. Davon wirdintensiv Gebrauch gemacht. Der teure Transport von Ausrüstung und Team musssich ja auszahlen. Und die Konkurrenz duldet keine Verschnaufpause. Ob mitjedem Live-Auftritt <strong>des</strong> Reporters vor Ort Neues und Relevantes hinzukommt, istoft nicht zu erkennen. Nicht selten kann man den Eindruck gewinnen, dass die Zeitbesser für Recherche genutzt worden wäre.Mit anderen Worten: Der technische Vorteil gegenüber früheren Zeiten kann sichleicht in inhaltlichen Nachteil verkehren. Die Reporter haben für eigene Recherchenhäufig keine Zeit, weil sie ständig auf Sendung sind. Aber hilft in solchen Fällennicht auch die Technik? Über Internet lassen sich in Bruchteilen von SekundenInformationen heranholen, für die früher Stunden und Tage benötigt wurden. Auchdie Heimatredaktionen helfen nach. Aber tief eindringen in einen aktuellen Vorganglässt sich mit dieser Methode nicht. Ein Segen ist die Technik schon, insbesonderefür die weniger Kundigen und die Kleinen im Wettbewerb, denn vor demComputer sind alle gleich. Wichtig ist dabei allerdings, dass die Quellen die richtigenNachrichten liefern.Der PC-Journalismus ist eine verlockende Sache. Man kann mit wenig Aufwand vielliefern. Eigenes und Neues allerdings nicht! Wer unter Zeitdruck steht, wird sich<strong>des</strong>wegen von Skrupeln nicht unterkriegen lassen. Als Quellen stehen ja honorigeZeitungen und Agenturen zur Verfügung, ebenso lassen sich heimische Publikationenheranziehen, was den Berichten die notwendige Vor-Ort-Färbung verleiht. Es wäreredlich und dann auch zu vertreten, wenn dem Leser, Hörer oder Zuschauer mitdem Bericht auch die Quellenlage offenbart würde. Daran ist nach meiner Beobachtung noch entschieden zu arbeiten.„In Stoßzeiten Stück auf Stück“Bedenklich wird es, wenn Korrespondenten in Stoßzeiten Stück auf Stück liefernmüssen und dadurch gar nicht in die Nähe <strong>des</strong> Orts <strong>des</strong> Geschehens kommen, sondernaus dem Äther alle möglichen Materialien abgreifen, sie zu einem Berichteigener Art zusammenbasteln und beim Publikum den Eindruck <strong>des</strong> Augenzeugenvermitteln. Wenn ein Korrespondent ein riesiges Berichtsgebiet mit einer Vielzahlvon Ländern zu betreuen hat, wie zum Beispiel in Afrika, dann wird ihm nicht vielanderes als Fremdmaterialnutzung übrig bleiben, wenn er von seinen Heimat -redaktionen zur Sofort- und Dauerberichterstattung veranlasst wird. Aber dannmuss immer klar sein, von wo der Bericht kommt und wie er entstanden ist. Zur128


Dauermethode sollte das Verfahren nicht werden. Vor allem darf der oft zu be-o -bachtende unzutreffende Umgang mit Ortsmarken nicht akzeptiert werden. Werunter der Ortsmarke berichtet, muss auch dort sein.„Sollte man erst mit der Berichterstattung beginnen, wenn man sich gründlichinformiert hat?“, werde ich gelegentlich gefragt. Am besten ja! Aber im Katastrophen,Krisen- oder Kriegsfall ist der Wunsch <strong>des</strong> Publikums nach Information oft so groß,dass nicht lange gewartet werden kann. Aber wer gerade angekommen ist, solltenicht mit der Attitüde der Allwissenheit auftreten. Es ist besser, eine Frage nicht zubeantworten als fahrlässig eine falsche Fährte zu legen.Viel kommt auf die Heimatredaktionen an. Sie sollten ihre Korrespondenten nichtüberfordern, sie sollten ihnen Zeit geben, wirklich eigene Berichte zu liefern. Vorallem sollten sie ihren Leuten draußen vertrauen und sie die Themen möglichstselbst setzen lassen. Unter Korrespondenten wird gerne die Geschichte erzählt,dass ein Ereignis für die Kollegen zu Hause erst an Bedeutung gewinnt, wenn eineAgentur darüber berichtet. Also überlässt man seine Story erst einer Agentur, diefür die entsprechende Verbreitung sorgt. Erst dann, so das Kalkül, reagiert dieHeimatredaktion mit Interesse. So wird man schließlich seinen ursprünglich exklusivenBeitrag im eigenen Programm los.„Massive Einflussnahmen der Heimatredaktionen“Ich will nicht bestreiten, dass es solche bizarren Fälle gibt. Ich habe sie in meineraktiven Zeit ebenfalls erlebt, aber meist hat man es mit kundigen Kolleginnen undKollegen zu tun. Aber es hat auch harte Auseinandersetzungen gegeben, weil dieHeimatredaktion partout etwas haben wollte, was angeblich aus deutscher Sichtbesser beim Publikum ankam. In den erwähnten Publikationen zur Auslands -berichterstattung ist von massiven Einflussnahmen der Heimatredaktionen dieRede. Kein guter Zustand! In solchen Fällen sind die Verantwortlichen gefordert.Dafür steht zu viel auf dem Spiel. Der Auslandskorrespondent darf im Konfliktfallnicht allein gelassen werden.Generell sollte gelten: Wer Korrespondentenbüros im Ausland unterhält, sollteseine Leute nicht am Schreibtisch festnageln. Sonst unterscheiden sich derenBerichte nicht von denen, die von Journalisten produziert werden, die erst gar nichtdie heimatlichen Gefilde verlassen. Gewiefte Kollegen verstehen es, tief in ihrenComputern zu schürfen und aus dem weltweiten Angebot von Zeitungen, Zeitschriftenund Agenturen Beiträge über Ereignisse und Entwicklungen zu verfassen,die Tausende Kilometer entfernt geschehen. Diese Autoren, die leider ihre Fern -diagnosen nicht als solche zu erkennen geben, sind meist leichte Opfer für129


PR-Agenturen. Deren faule Informationen setzen sich häufig wie resistente Virenim weltweiten Netz fest, wo sie von sorglosen Journalisten abgeholt und weiterverbreitetwerden. Dagegen hilft nur eigene Recherche.Der Auslandskorrespondent muss auf der Hut sein. Während unsere Seite abbaut,wird die Gegenseite, werden die PR-Truppen immer stärker. Sie sind allgegenwärtig:in der Politik und in der Wirtschaft, in nationalen und internationalen Behörden.Die Agenten haben ein favorisiertes Ziel. Das ist der Zugang zu den Medien. DieMethoden sind subtil. Ohne dass es die Auslandskorrespondenten merken, werdenihnen Informationen untergeschoben, die zum Vorteil <strong>des</strong> Auftraggebers in dieWelt gesetzt werden. Es werden Gerüchte und Ängste geschürt, um politischeReaktionen auszulösen. Hoch angesehene Regierungen arbeiten mit diesenMethoden, ebenso Militärs, Wirtschaftsunternehmen und auch der Sport. Vermutlichsind sie erfolgreicher, als wir es vermuten. Sie sind in der Lage, wie wir erlebthaben, ganze Kriege anzuzetteln.Wenn ich die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen im Ausland verfolge, dann tue ichdas meist mit großem Respekt. Im Fernsehen fallen sie natürlich mehr auf als inden anderen Medien, wenn ich an Thomas Roth oder vorher Klaus Kleber und TomBuhrow denke. Aber auch Jüngere erledigen ihre Aufgabe gut. In schwierigen Situationenberichten sie schnell, sachkundig und verantwortungsvoll. Da sich in denaudiovisuellen Medien die Programme und Sendungen vervielfacht haben,bekommt ihre Arbeit allerdings nicht selten industrielles Format. Lutz Mükkespricht von Dienstleistungsjournalismus.Für Rundfunkanstalten mag das wirtschaftlich sein, für die Herausbildung vonunverwechselbaren Typen ist die hohe Arbeitsdichte hingegen nicht hilfreich. Vielleichtist das der Grund, dass zumin<strong>des</strong>t das ältere Publikum Charaktere wie GerdRuge, Peter Scholl-Latour, Stefan Georg Troller oder Werner Baecker vermisst. Siewaren in ihren Glanzzeiten Autoritäten. Gewiss, das Publikum ist nicht mehr soleicht zu beeindrucken wie damals. Aber die Berichte der genannten Altmeisterkönnen sich heute noch sehen lassen. Sie sind geprägt von eigenen Handschriften.Man merkt den Berichten an: Nichts war inhaltlich von anderen übernommen, alleswar selbst erarbeitet. Bei freien Autoren findet man so etwas heute noch, aber siekommen aus Kostengründen nicht so häufig zum Zuge, dass sie vom Publikumdauerhaft wahrgenommen werden.„Anekdotischer“Was ist mit der Qualität? Die Seite 3 der „Süddeutschen Zeitung“ hat für viele denStandard für die größere Reportage gesetzt. Der Stil hat auch im Fernsehen Einzuggehalten, was beim Publikum gut ankommt. Die Features sind im Vergleich zu130


früher anekdotenhafter, erzählerischer geworden. Filmisch ist das zweifellos eineerfreuliche Weiterentwicklung. Inhaltlich, so scheint mir, besteht allerdings dieGefahr, dass wichtige Grundsatzinformationen auf der Strecke bleiben, weil sichdafür nicht die geeigneten Bilder finden.Als Präsident der Europäischen Rundfunkunion habe ich einen ganz guten Überblicküber die Auslandsberichterstattung. Auf diesem Feld haben ARD und ZDF zumgroßen Vorbild BBC und somit zur Spitze aufgeschlossen, zumin<strong>des</strong>t was die Zahlder Korrespondenten und Studios angeht. Allein die ARD unterhält 27 Fernsehstudiosund 29 Hörfunkstudios, was angesichts <strong>des</strong> Gebührenprivilegs nicht mehr als rechtund billig ist. Wenn ich die Sendungen im internationalen Vergleich sehe, habe ichallerdings den Eindruck, dass die BBC immer noch die Nase vorne hat. In derGesamtbetrachtung wirkt ihre Auslandsberichterstattung souverän und kompakt.Der Charakter <strong>des</strong> Commonwealth schlägt hier noch durch. Ein Programm wie BBCWorld zu besitzen ist ein Vorteil, den der Sender entschlossen nutzt.„Ein alter Korrespondententraum“Ein reines Auslandsprogramm ist ein alter Korrespondententraum. Sendungen hättenARD und ZDF genug dafür zu bieten. Aber wir haben neben den beiden Hauptprogrammenund den einschlägigen Digital-Kanälen auch noch Phoenix, 3sat,Dritte Programme und gelegentlich auch noch ARTE; also an Abspielmöglichkeiten,wie es im Jargon heißt, fehlt es den Auslandskorrespondenten von ARD und ZDFnicht. Dennoch wird von ihnen immer wieder bewegte Klage geführt, dass sie zuwenig zum Zuge kommen. Das kommt mir aus meiner aktiven Zeit vertraut vor. Ineinem gebe ich den Kolleginnen und Kollegen recht: Auch ich würde in der Primetimemeiner ARD gerne mehr kraftvolle Reportagen und hintergründige <strong>Dokumentation</strong>enaus dem Ausland sehen. Ich wiederhole mich da gerne.Bedenklich finde ich, dass das alte Ungleichgewicht in der Berichterstattung nichtwegzukriegen ist. Das gilt für Presse und Rundfunk. Es wird kein zutreffen<strong>des</strong>,geschweige denn gerechtes Bild vom Geschehen in der Welt liefert. Wie auch? DieKorrespondenten knubbeln sich in Europa und den USA. Afrika, weite Teile Asiensund Lateinamerika werden sträflich vernachlässigt. Was Afghanistan angeht, habeich den Eindruck, dass ich über unsere Medien nicht erfahre, was in dem Land tatsächlichvor sich geht, außer Militäraktionen gegen Taliban und terroristischeAnschläge auf ausländische Truppen. Ich vermute, das wird nicht die ganze Wahrheitsein. Die Korrespondenten, die dort ein- und ausfliegen, leisten sicher guteArbeit, aber sie müssten an einem so wichtigen Platz länger bleiben. Keine Hilfesehe ich in den Journalisten, die hochrangige Politiker nach Afghanistan begleiten.Von solchen Touren erwarte ich überhaupt keinen Erkenntnisgewinn, höchstens131


Vernebelungsgefahr. Um diese Propagandatrips sollten sich Journalisten möglichstnicht reißen. Sie können höchstens zu Kontaktaufnahmen genutzt werden. Abermuss man dafür so weit reisen?Was ist eigentlich mit dem Irak? Darüber wissen wir im Grunde gar nichts. Wirhören von dem Land, das uns so in Atem gehalten hat, nur noch, wenn mal wiederein Anschlag passiert. Die Meldung darüber trägt zur Aufhellung der Verhältnissewenig bei. Normalisiert sich die Lage oder braut sich neues Unheil zusammen? Mirist das nicht klar. Eigentlich müsste auch der Kaukasus von sach- und sprachkundigenJournalisten auf absehbare Zeit fest besetzt werden. Mit gelegentlichenBesuchen ist den komplizierten Verhältnissen in der Region nicht beizukommen.Gestatten Sie, dass ich noch einmal den alten Rundfunkmann herauskehre. Vorgenau 50 Jahren gab der legendäre amerikanische Journalist Ed Murrow eine ebensolegendäre Erklärung ab. Der Elite der amerikanischen Fernsehveranstalter schrieber ins Stammbuch, was zunehmend an Aktualität gewinnt. „Television can teach, itcan illuminate, it can inspire. But it can do so only to the extent that humans aredetermined to use it to those ends. Otherwise it is merely wires and lights in a box.“„Mehr als Kabel und Lichter“Murrow sah das große Potenzial <strong>des</strong> Fernsehens als treibende Kraft der Aufklärung,aber er sah auch die Gefahr, dass Fernsehen im Kampf um die Marktanteileden Journalismus ruinieren kann, wenn es zu sehr auf Triviales und Sensationalismussetzt. Noch ist es nicht so weit, aber ernsthafter Journalismus hat es zunehmendschwerer. Wir sollten uns auch in Deutschland Murrows Feststellung zurMahnung dienen lassen: „Fernsehen kann lehren, es kann erleuchten, es kanninspirieren. Aber es wird dies nur schaffen, wenn wir es zu diesen Zwecken nutzen.Sonst ist Fernsehen nicht mehr als Kabel und Lichter in einem Kasten.“ Wir solltentäglich beweisen, dass wir mehr als Kabel und Lichter im und auf dem Kasten haben.Bei allem Engagement in der Auslandsberichterstattung werde ich den Verdachtnicht los, dass es uns nicht gelingt, mehr Kenntnis und mehr Aufklärung über andereLänder in unserer Bevölkerung herzustellen. Dass Stereotypen und Vorurteileabgebaut wurden, lässt sich kaum behaupten. Im Gegenteil! Um nur ein Beispielzu nennen: was den Islam angeht, haben sich die Vorurteile unter den Deutschennoch verstärkt, zumin<strong>des</strong>t unter den autochtonen. Die Beispiele ließen sich fortsetzen.Korrespondenten beschweren sich darüber, dass ihnen mehr und mehr Boulevardabverlangt wird. Hintergründige Analysen seien hingegen nicht gefragt. Oberflächlichkeitkönne nur geliefert werden, Langzeitrecherchen und Langzeitreisen seien132


nicht mehr drin. Das klingt alarmierend. Auf alle Fälle sollte die Themensetzungüberdacht werden. Insofern kann ich nur wiederholen, was ich eingangs gesagthabe: Es sind wertvolle Untersuchungen zum Stand <strong>des</strong> Auslandsjournalismusdurchgeführt worden. Die Arbeiten sollten nicht in den Regalen der Auslandsredaktionenverstauben, sondern Grundsatzdiskussionen auslösen. Sicher wird manentdecken, dass die Welt zu groß und kompliziert ist, um sie nur einigermaßenzutreffend wieder zuspiegeln. Aber es gibt Defizite, die ausgeräumt werden können.Zeitgemäße und gerechte Verteilung der Berichterstattung, Überprüfung derThemenauswahl, mehr Langzeitprojekte. Wenn dies zu Lasten <strong>des</strong> Bunten geht,könnte ich das verkraften.Es wird beklagt, dass zu viel auf Brennpunkte gesetzt würde. Ich sehe das nicht so.Wie wir immer wieder erleben, ist das Interesse der Bevölkerung bei außergewöhnlichenund aufwühlenden Ereignissen an zusätzlichen Informationen sehr groß. Esgelingt zwar selten, dem Begehren mit einem zufriedenstellenden Angebot zu entsprechen,dennoch helfen auch kleinere Einordnungen für eine erste Einschätzung.Wenn einerseits schnell reagiert wird, dann muss allerdings andererseits den Vorgängen,die zu Krisen und Kriegen geführt haben, entschieden nachgegangen werden.Sonst ist der Auftrag, zu informieren und aufzuklären, nicht erfüllt. Dies geschiehtselten, eigentlich fast nie.„Kapitales Versagen unseres Berufsstan<strong>des</strong>“Selbstkritisch muss festgestellt werden, dass nicht nur die Aufarbeitung vergangenerEreignisse von Bedeutung Defizite aufweist, sondern auch die Beobachtungder Gegenwart. Es ist ein kapitales Versagen unseres Berufsstan<strong>des</strong>, Entwicklungenwie die gegenwärtige Finanzkrise nicht aufgespürt zu haben. Bei den Möglichkeitender Früherkennung, die es heute gibt, sollte es eigentlich unmöglich sein,dass ein Ereignis von einer derartigen weltweiten Wucht wie ein Tsunami diegesamte Menschheit überrollt, aus dem Nichts gewissermaßen.Was erwarte ich vom Auslandsjournalismus? Dazu zwei Beispiele: Ich möchte nichtnur wissen, was vor und im Georgien-Krieg gelaufen ist; ich möchte auch wissen,was sich aus dem nebenan liegenden, noch ruhenden Krisengebiet Krim ent -wickeln könnte. Welche Überlegungen gibt es da auf Seiten Russlands, der Ukraineund der Nato? Wir sollten uns rechtzeitig darauf einstellen. Wenn es auf der Krimschief laufen sollte, haben wir ein Problem, das weit schwerer unter Kontrolle zubringen sein dürfte als der Georgien-Krieg. Wir sollten umsetzen, was wir unsimmer wieder vornehmen: aus der Vergangenheit zu lernen.Auch wenn die Auslandsberichterstattung, was die Wahrnehmung durch die Bevöl-133


kerung angeht, etwas abgesackt ist, hat sie aus meiner Sicht eher an Bedeutunggewonnen als verloren. Wir sind in der Welt so eng zusammengerückt, dass wir amGeschehen auf allen Kontinenten interessiert sein müssen; auch in Afrika, Lateinamerikaund Zentralasien. Was dort passiert, kann uns bald berühren.Auslandsberichterstattung besitzt nicht nur eine Existenzberechtigung, sondernsie ist Existenzpflicht, wie festgestellt wurde. Wie der Zehnkampf die Krone derLeichtathletik ist, so ist für mich aus eigener Erfahrung die Auslandsberichterstattungwegen ihrer Vielseitigkeit die Krone <strong>des</strong> Journalismus. Ob Nachrichtenfilm,Magazin, Reportage, Feuilleton, Feature, Satire, <strong>Dokumentation</strong> oder Live-Auftritt,in allen Fällen ist gekonnte Recherche oberstes Gebot. Nur mit guter Recherchekommt man der Wahrheit so nahe wie möglich. Für meine Schlussworte leihe ichmir die Worte von Sören Kierkegaard: „Wahrheit steht am Anfang <strong>des</strong> Vertrauens.Je echter die Wahrheit, umso kürzer der Weg zur Verständigung.“ Zur Verständigungbeizutragen, ist nicht zuletzt Sinn der Auslandsberichterstattung.* Rede anläßlich der Preisverleihung <strong>des</strong> Otto Brenner Preises „Kritischer Journalismus statt bestellter Wahrheiten“, Berlin 22.10.2008134


14 THESEN UND EMPFEHLUNGENZUR AUSLANDSBERICHTERSTATTUNGLutz Mükke*1. Selbst freie Journalisten machen mit eigenen Organisationen auf sich und ihreAnliegen aufmerksam. Um die Debatte über Auslandsjournalismus dezidiertermitzugestalten, sollten sich Auslandsjournalisten in Deutschland organisieren.2. Ausbildungsanforderungen und -angebote an Auslandskorrespondenten solltendefiniert und professionalisiert werden. Innerbetriebliche und externe berufsbegleitendeWeiterbildungsangebote sowie die Qualifizierung <strong>des</strong> journalistischenNachwuchses sollten diesbezüglich auf ihre Existenz und Substanz hinüberprüft werden. Stärkere Kooperationen zwischen Medienhäusern undwissenschaftlichen Einrichtungen in den Bereichen der Regional-, Politik-,Medien-, Militärwissenschaften oder Journalismusforschung sind zweckmäßig.3. Auslandsberichterstattung darf nicht dazu verkommen, Proklamationen dererzu kolportieren, die vorgeben demokratische Regeln, humanitäre Werte oderHilfe zur Selbsthilfe in alle Welt exportieren zu wollen. Auslandsjournalismusmuss der Aufgabe gerecht werden, faktenorientiert, kritisch und hintergründigdiese Proklamationen auf ihren Tatsachengehalt zu prüfen.4. Journalismus muss seine Aufgabe als Vierte Gewalt im Ausland stärker wahrnehmen.Medienunternehmen sollten sowohl Ressourcen als auch Know-howbereitstellen und Machtkontrolle in Form von Hintergrund- und Recherchejournalismusim Ausland fördern. Dass trifft im besonderen Maß auf Themenfelderzu, für die westliche Journalisten potenziell Kontrollfunktionen auszuübenhaben - wie Diplomatie, die Arbeit von Botschaften, UN/Hilfsorganisationen,westliche Militäreinsätze, westliche Unternehmen etc.5. Positionen, Probleme, Kontroversen, Entwicklungstendenzen und Ansichtenanderer Weltregionen und deren Bewohner müssen frei von Feind-, Angst- undMitleidsbildern vermittelt werden.135


6. Eine zu starke Selbstbezüglichkeit und Orientierung an den Selbst- und Fremdbildernsowie Ideologien deutscher Werteordnungen und an deren Vorstellungenüber politische, wirtschaftliche und soziale Vorgänge reicht für Wirklichkeitsentwürfeeines progressiven Auslandsjournalismus nicht aus. Auslandsberichterstattungmuss dazu beitragen, ethno-, euro- oder marktzentristische Sichtweisenzu erodieren und nationalstaatliche Kontextualisierungen durch andereBlickwinkel zu bereichen und ggf. aufzubrechen. Ziel muss der aufgeklärteRezipient sein, der durch den Konsum von massenmedialem Journalismus denintellektuellen und kulturellen Herausforderungen von Globalisierungsprozessenbesser gewachsen ist als ohne.7. Im redaktionellen Management von Auslandsberichterstattung liegt erheb -liches Optimierungspotenzial. Ansatzpunkte sind unter anderem a) stringentereAuswahl von Korrespondenten und Redakteuren nach klar definierten Kompetenzkriterien,b) fundierte und kontinuierliche redaktionelle Betreuung vonKorrespondenten, c) Koordination von Korrespondenten, Reportern und Redakteurenauch über Ressortgrenzen hinaus d) die stärkere Einbeziehung vonKorrespondenten in längerfristige konzeptionelle Planungen.8. Technische Innovationen und neue Kommunikationsmöglichkeiten erleichternInformationszugang, Kommunikation und Mobilität von Journalisten. Die Kehrseiteder Medaille: Parallel dazu etabliert sich im Auslandsjournalismus einvirtueller Copy-Paste-Büro-Journalismus. Praktiker und Wissenschaftler sinddazu angehalten, sich stärker mit beschleunigten journalistischen Produktionsprozessenund ihren Auswirkungen auf den Journalismus auseinanderzusetzen.9. Auslandsjournalisten machen keine PR. Auch nicht für Regierungen und Hilfsorganisationen.10. Korrespondenten sind mit der Aufgabe überfordert, als einzelkämpfendeAllrounder kompetent als Analyst, Vermittler zwischen den Kulturen, LifestyleundBoulevardjournalist als auch als Krisen- und Kriegsberichterstatter arbeitenzu müssen. Besonders im Bereich der hochrelevanten Krisen- und Kriegs-Berichterstattung müssen Berufsbilder <strong>des</strong> Auslandsjournalisten und -korrespondentendifferenziert und spezialisiert werden.11. Potenziale für internationale Vernetzungen und Kooperationen journalistischerAkteure müssen besser genutzt werden. Auslandsjournalismus muss lang -fristig stärker die Kompetenzen lokaler Mitarbeiter, Stringer und ausländischerJournalisten einbinden und fördern, um eine Berichterstattung mit Einheimischenzu ermöglichen und nicht nur über sie. Die Zusammenarbeit sollte durch136


erweiterte und vertiefte Kooperationen und Qualifizierungen verstärkt werden.<strong>12.</strong> Das von der Bevölkerung der Bun<strong>des</strong>republik Deutschland weitgehend vonmarktwirtschaftlichen Zwängen befreite öffentlich-rechtliche Fernsehen trägtbesonders große Verantwortung für den demokratischen Diskurs. ÖffentlichrechtlicheAnstalten sind in besonderem Maße dazu verpflichtet, außenpolitischeEntwicklungen und Entwicklungen im Ausland kompetent, prominent, vielfältigund umfangreich zu recherchieren, zu kontextualisieren, zu präsentieren undzu diskutieren.Journalisten der öffentlich-rechtlichen Medien äußern jedoch Unzufriedenheitüber Programmstrukturen, Redaktionsmanagement, inhaltliche Ausrichtungen,Quoten- und Inlandsorientierung sowie Boulevardisierungstendenzen. Fürwichtige Auslandsthemen werden beispielsweise deutlich mehr prominenteSendeplätze für umfangreiche und hintergründig recherchierte <strong>Dokumentation</strong>engefordert. Die Diskrepanz von potenziell Machbarem und strukturell Mög -lichem führt bei etlichen Korrespondenten zu erheblicher Frustration.Ein Lösungsvorschlag: Im Fernsehbereich könnten die weltweit stark aufgestelltenund oftmals in Parallelstrukturen arbeitenden ARD- und ZDF-Korrespondentennetzein einem gemeinsamen Auslandskanal kooperieren.Das gesamte Dossier zur Lage <strong>des</strong> Auslandsjournalismus kann uner www.netzwerk recherche.de heruntergeladen werden.137


Die <strong>Dokumentation</strong>ennr-Werkstatt:Getrennte Weltenundnr-Werkstatt:Veränderung der Nachrichtenfaktoren undAuswirkungen auf die journalistische Praxisin Deutschlandkönnen kostenfrei gegen einen adressiertenund ausreichend frankierten Rückumschlag(DIN C5, 1.50 Euro) beim netzwerk recherchebezogen werden.Bezugsadresse:netzwerk rechercheWalkmühltalanlagen 2565195 Wiesbadenwww.netzwerkrecherche.deinfoπnetzwerkrecherche.de@


PRESSEFREIHEIT UNTER DRUCKRecherche-Journalismus als Qualitäts-AnkerDr. Thomas Leif„Man wundert sich. Darüber, dass der Journalismus in Deutschland offenbar sogleichgeschaltet ist, dass sich jeder alles gefallen lässt.“ So lautete der derbe Kommentarvon Michael Schmatloch, Chefredakteur <strong>des</strong> Donaukuriers in Ingolstadt, zuden insgesamt zurückhaltenden Reaktionen der Medien auf die Vorratsdatenspeicherung.Der Protest der bayerischen Regionalzeitung war unübersehbar. Am3. November <strong>2007</strong> erschien der Donaukurier mit einer schwarzen Titelseite undeinem pointierten Leitartikel zur zunehmenden Gefährdung der Pressefreiheit.Ingolstadt war eine Ausnahme. Mitte April <strong>2007</strong> beklagte der frühere NRW-Innenministerund Bun<strong>des</strong>tagsvizepräsident, Burkhard Hirsch (FDP) das „Schweigen imBlätterwalde“ (message, 2/2008): „Es scheint so, als ob der Berufsstand in kollektiveSchreckstarre verfallen ist.“ Dabei war allen klar, welche fundamentale Freiheitseinschränkungmit der Daten-Sammelflut <strong>des</strong> Staates verbunden ist. GeorgMascolo, neuer Chefredakteur <strong>des</strong> Spiegel, spricht von einem „Kollateralschaden,<strong>des</strong>sen Ausmaß noch unübersehbar ist.“ „Die Vorratsdatenspeicherung bedrohtdie Pressefreiheit vermutlich mehr als die aller meisten Gesetze wie etwa der soheftig umstrittene Große Lauschangriff.“ (message 2/2008) Die gesetzlich abge -sicherte Sammelwut <strong>des</strong> Staates sieht eine sechsmonatige Speicherung aller Telekommunikations-Verbindungsdatenvor. Nummern, Dauer, Datum und Uhrzeit werdengespeichert. Bei Mobilfunknutzern wird sogar der Standort bei Gesprächsbeginnregistriert, aber auch die Identifikationsnummern der Handys und <strong>des</strong> jeweiligenTeilnehmers sowie SMS-Verbindungsdaten. Polizei und Justiz dürfen im Fall„schwerer Straftaten“ auf die Daten zurückgreifen. Die Speicherung der Datenmüssen die Telekommunikationsfirmen übernehmen.Zuständig für diese „Dienstleistung“ ist unter anderem die Deutsche Telekom, dieselbst mit grossem Aufwand Aufsichtsräte <strong>des</strong> Unternehmens und Journalistenüber Jahre ausspionieren ließ. Auf einzelne Wirtschaftsredakteure sollen sogarSpitzel angesetzt worden sein. (vgl. Der Spiegel, 23/2008: 20 f.) Um den grösstenSkandal der Firmengeschichte aufzuarbeiten, wurde der frühere Vorsitzende <strong>des</strong>139


Bun<strong>des</strong>gerichtshofes Gerhard Schäfer, als „Chefaufklärer“ angeworben. Schäferhat sich bereits als unabhängiger Ermittler bei der Aufarbeitung der BND-Affaireeinen Namen gemacht. Im sogenannten 175-seitigen „Schäfer-Bericht“ vom April2006 ist genau nachzulesen, wie der Geheimdienst Journalisten systematisch ausforschteund warum bestimmte Journalisten mit dem Geheimdienst kooperierten.Man darf also gespannt sein auf die internen Ermittlungen von Schäfer im Telekom-Konzern und die Leistungsbilanz der Staatsanwaltschaft in Bonn.Anfang August <strong>2007</strong> sorgte ein weiterer staatlicher Übergriff für Furore. Gegen17 Journalisten wurde ermittelt, weil sie aus Geheimakten <strong>des</strong> BND-Ausschusseszitiert hatten und sich damit <strong>des</strong> Geheimnisverrats mitschuldig gemacht haben sollen.Der Vorsitzende <strong>des</strong> BND-Ausschusses, Siegfried Kauder (CDU) wollte einExempel statuieren: „Für mich war wichtig, die Schotten dicht zu halten im Ausschuss,weil die Ausschussarbeit deutlich behindert war.“ Ziel <strong>des</strong> Ermittlungsverfahrenssei es, herauszufinden, „wo die undichten Stellen sind, und sicherzustellen,dass es in Zukunft so nicht läuft.“ (SZ, 4./5.8.<strong>2007</strong>)„Freie Presse im Fadenkreuz“ titelte die Frankfurter Rundschau; sogar die Chef -redakteure der betroffenen Medien verfassten eine Empörungs-Erklärung. Wieabsurd und doppelbödig diese Intervention <strong>des</strong> Staates war, zeigt dass im BND-Ausschuss selbst Zeitungsartikel als „geheim“ eingestuft wurden. Zudem ist jedemPolitiker bekannt, dass in jedem Untersuchungsausschuss einzelne Informationenund „vertrauliche Papiere“ gezielt an Journalisten weitergeleitet werden. Im sogenannten„Visa-Untersuchungsausschuss“ gegen Joschka Fischer wurde die Instrumentalisierungder Medien zur Perfektion getrieben. Im Hintergrund bündelte einMitarbeiter der CDU/CSU-Fraktion die gesamte Pressearbeit und führte Journalistenmit seinen Informationen wie Marionetten. Im Lichte dieser gängigen Praxis, wirktdieses publizistisch aufgeblasene „Ermittlungsverfahren“ in der Rückschau etwassonderbar. Ein Lehrstück im Fach ‘negative campaigning’.Nur ein halbes Jahr zuvor hatte das Bun<strong>des</strong>verfassungsgericht mit einem Urteilerneut die Pressefreiheit gestärkt. Die Richter erklärten die Durchsuchungsaktionbeim Magazin Cicero und in den Privaträumen eines Autors für verfassungswidrig.Cicero hatte im April 2005 aus einem „vertraulichen“ BKA-Dokument zitiert. Inihrem Urteil vom 27.2.<strong>2007</strong> stellten die Richter fest, dass der Staat auch nicht überden Umweg der Durchsuchungsaktion an die „undichten Stellen“ herankommendürfe. „Auch wenn die betreffenden Angehörigen von Presse oder Rundfunk selbstBeschuldigte sind, dürfen in gegen sie gerichteten Ermittlungsverfahren wegen<strong>des</strong> Verdachts einer Beihilfe zum Dienstgeheimnisverrats Durchsuchungen sowieBeschlagnahmungen zwar zur Aufklärung der ihnen zur Last gelegten Straftatangeordnet werden, nicht aber zu dem Zweck, Verdachtsgründe insbesondere gegenden Informanten zu finden,“ heisst der Leitsatz <strong>des</strong> sogenannten „Cicero-Urteils.“140


Obgleich dieses Urteil in seiner Eindeutigkeit den zentralen Mitarbeitern deutscherSicherheitsbehörden bekannt sein dürfte, kommen sie in der täglichen Praxisoffenbar immer noch zu einer anderen Güterabwägung. Die Aushebelung <strong>des</strong> Informantenschutzesund die Identifikation von Hinweisgebern i n den Behörden hat fürviele Spitzenakteure in Ministerien und Sicherheitsbehörden offenbar immer nocheinen höheren Stellenwert, als die Akzeptanz von Schutzrechten der Medien.Im Juni <strong>2007</strong> wurde bekannt, dass im Saarland sogar die Telefonanschlüssevon Oppositionspolitikern und Journalisten ausgespäht wurden. Die damaligeInnenministerin wurde frühzeitig über diesen Vorgang informiert. (Der Spiegel,27/2008 : 34 f.)Auch der BND zog offenbar weder aus dem BVG-Urteil vom Februar <strong>2007</strong> noch ausden Ergebnissen <strong>des</strong> „Schäfer-Berichts“ ernsthafte Konsequenzen. Denn bereitskurz nach Vorlage dieser Expertise wurde der e-mail-Verkehr der Spiegel-JournalistinSusanne Koelbl mit dem afghanischen Handelsminister Amin Farhang überwacht.Besonders pikant: Eine Konsequenz <strong>des</strong> Schäfer-Berichts war eine Weisung<strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>kanzleramtes an den BND, Journalisten in Zukunft weder auszuspähennoch als Mitarbeiter anzuheuern. Der Fall Koelbl legt die Interpration nahe, dassNachrichtendienste ein unkontrollierbares Eigenleben – jenseits der Hausleitungund jenseits der parlamentarischen Kontrolle – führen. Vor diesem Hintergrundgibt es begründete Zweifel an der BND-Theorie der vielen „Einzelfälle.“ Die Fülleder Einzelbeispiele, die hier nur exemplarisch präsentiert werden können, legteinen Schluß nahe: Sicherheitsbehörden agieren bei der Einschränkung der PresseundMeinungsfreiheit oft im rechtsfreien Raum. Zum Teil agieren sie freihändig,zum Teil aber auch von jeweils verantwortlichen Politikern gestützt. Sie verfolgenmit Ihren rechtswidrigen Aktionen zwei zentrale Ziele: Erstens wollen Sie die Informantenund deren Kommunikationsnetz identifizieren, um hier interne Sanktionenzu veranlassen und das Leck „dicht zu machen.“ Zweitens wollen Sie durch zumTeil bewusst spektakuläre, öffentliche Aktionen – etwa im Fall <strong>des</strong> BND-Unter -suchungsausschusses- potentielle Informanten in den Behörden abschrecken. DieKombination der beiden strategischen Ziele soll helfen, staatliches Handeln vorallem in der Grauzone von Geheimdiensten, Polizei und privaten Dienstleistern <strong>des</strong>Sicherheitsgewerbes, von öffentlicher Berichterstattung fernzuhalten. Angestrebtwird ein kontrollfreier Handlungskorridor <strong>des</strong> Sicherheitsapparates, der schonheute – im Fall der Geheimdienste- von einer parlamentarischen Kontrollkommissionbegleitet, aber nicht effizient kontrolliert wird. Da dieser Befund von denKontrolleuren selbst geteilt wird, erscheint eine freie Presse die letzte Instanz zusein, die überhaupt ein Minimum an Transparenz auf dem Terrain der Sicherheitsbehördengarantieren könnte. Die Kritik- und Kontrollfunktion können die Medienjedoch nur einlösen, wenn sie sich auf ein fachlich fundiertes Informantennetz stützenkönnen. Dies ist den Akteuren in den Diensten bekannt. Deshalb fokussieren sieihre Aktivitäten auf die Abschreckung von Informanten.141


Die privilegierte Sonderstellung von InformantenKein relevanter Skandal der Nachkriegsgeschichte wäre ohne die Mitwirkung vonInformanten ans Tageslicht gekommen. Oder umgekehrt: die Medien können ihrerechtlich geregelte Sonderstellung als „Vierte Gewalt“ beziehungsweise als wirksameKontrollinstanz in der Öffentlichkeit nur wahrnehmen, wenn sie auf dasWissen und die Quellen von Informanten zurückgreifen können. Informanten sinddas Herz-Kreislauf-System für guten Journalismus. Ohne Informanten mit relevantenInformationen, die eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind, würdeder Journalismus auf ein „Generalanzeiger-Niveau“ zurückfallen und seine Aufgabenim demokratischen Gemeinwesen nicht mehr erfüllen können. Die Privilegiender Medien, vor allem das Zeugnisverweigerungsrecht, verlieren ihren Sinn, wennder Schutz von Informanten im Kern von staatlichen Stellen nicht mehr akzeptiert wird.Informanten verhalten sich wie ‘scheue Rehe’. Ihre Quellen versiegen, sobald sienur die Spur einer Gefahr wittern oder das Vertrauen zu ihren Kooperationspartnernim Journalismus verlieren. Der skizzierte Maßnahmenkatalog – von der Vorrats -datenspeicherung über Razzien bis hin zu Abhöraktionen – kann in diesem Sinneals groß angelegte Treibjagd auf Informanten gewertet werden. Gute Informantenmit substanziellen Informationen verstehen diese Signale und ziehen sich insUnterholz der Bürokratie zurück. In diesem Sinne müssen die permanentenAbschreckungs-Rituale von Politik und Verwaltung als effizient, aber auch alsschädlich für die Demokratie, eingeschätzt werden.Das Motivationsspektrum von Informanten ist sehr unterschiedlich ausgeprägt.Oft geht es um fachliche und moralische Motive. Viele Informanten sind getriebenvon einem Gerechtigkeitsgefühl. Sie können es offenbar nur schwer ertragen,wenn Willkür, Korruption, oder Rechtsverstöße etc. „einfach so durchgehen.“Intern können Sie Missstände aller Art kaum artikulieren, ohne Gefahr zu laufen,ihren Arbeitsplatz oder zumin<strong>des</strong>t ihre Karriere aufs Spiel zu setzen. Zudem wissenSie, dass interne Kritik den Akteuren oftmals Gelegenheit gibt, Spuren zu ver -tuschen, die Verantwortung zu diffundieren oder Missstände rasch (präventiv zuregulieren. Medienresonanz – so das Gefühl zahlreicher seriöser Informanten – istdie einzige Ressource, die überhaupt noch etwas bewegt. Da formal zuständigeKontrollgremien ihre Aufsichts- und Überwachungsfunktion oft nur auf dem Papier,aber selten wirksam durchführen, ist das Vertrauen in diese Institutionen nurbegrenzt.Sicher gibt es für Informanten auch andere Motive. Rache-Bedürfnisse auf Grundvon (ungerechtfertigten) Sanktionen, Karriere-Blockaden oder gar Mobbing-Aktionenkönnen Triebfedern sein. Sicher spielt gelegentlich auch Rivalität eine Rolle; mituntermögen auch wirtschaftliche Interessen im Spiel sein. (Verkauf von Daten wie142


im Fall Liechtenstein). Einzelne PR-Agenturen haben sich zudem darauf spezialisiert,relevante Medien mit negativen Informationen im Sinne ihrer Auftraggeberzu füttern. Marktvorteile erreicht man heute zum Teil auch durch die Verbreitungvon „heiklen“ Informationen über die entsprechenden Akteure. In der Politik stehtdas Wachstums-Modell „negative campaigning“,inszeniert von PR-Agenturen oderprofessionellen „Gegner-Beobachtern“ vor einem Konjunktur-Hoch. Bereits imjüngsten Bun<strong>des</strong>tagswahlkampf wurden wichtige „Kampagnen-Themen“ von denParteien über ausgewählte Journalisten erfolgreich in die Medien geschleust.Diese Aktionen werden mit Hilfe von „Informanten“ gesteuert. Der Umgang, dieKontrolle, Pflege und der Schutz von Informanten gehören also zu den Kernauf -gaben professioneller Journalisten. Sie müssen vor allem die Motivlage saubersezieren, Daten und Fakten intensiv prüfen und vor allem in jedem Fall einem aufwändigenGegencheck unterziehen. Dies gilt ganz besonders für die vorsätzlichselektive Informantenarbeit von Fraktionsmitarbeitern in den Untersuchungs-Ausschüssen. Diese Informanten wissen mittlerweile, wie man „investigativenJournalismus“ inszenieren kann, welche Medien (Autoren) die Funktion von Leitmedienwahrnehmen und wie die Verwertungsketten von Informationen überAgenturen etc. tatsächlich laufen. Zunehmend werden Autoren von ihren Vor -gesetzten „angehalten“ ihre Informanten zu nennen, sozusagen als Qualitätsnachweisihrer Recherchen. Allen Journalisten müsste bewusst sein, dass diese Methodeder Anfang vom Ende eines Vertrauensverhältnisses mit Informanten wäre.Im Umkehrschluß suchen sich professionelle Informanten auch „ihre Journalisten“und „ihr Medium“. Der potentielle Wirkungshorizont einer „Geschichte“, dieMechanik ihrer Verwertung, die Garantie der Anonymität, langjähriges Vertrauensind nur einige Kriterien, die die Zusammenarbeit prägen oder ausschließen. DieFaustregel lautet: je relevanter das Informanten-Material, umso vorsichtiger derInformant. Mit Blick auf die eingangs geschilderten staatlichen Maßnahmen, heisstdies: die gängige Kommunikation über Telefon und Internet ist nicht mehr sicher,sie gefährdet den einst geschützten Kommunikationsraum zwischen Journalistenund Informanten.Eine Antwort: besseres Quellenmanagement und intensivere RechercheMan kann die skizzierten Eingriffe beklagen, man kann – wie im Fall Koelbl – rechtlichgegen Überwachungsmaßnahmen vorgehen. Den Rückzug von Informantenmuss man registrieren. Dies beeinträchtigt die Recherche-Möglichkeiten, sollteaber gleichzeitig Ansporn sein, alle Anstrengungen bei der Informationsbeschaffungzu verstärken. Denn viele Journalisten kommen offenbar auch ohne Informantenaus. „80 Prozent der Journalisten haben gar keinen echten Informanten – sie glauben,der Pressesprecher sei ein Informant.“ Diese nüchterne Lageeinschätzung vonKuno Haberbusch (NDR) in der Welt am Sonntag (11.6.2008) mit der Textzeile143


„Redaktionsleiter von Zapp kritisiert die Faulheit deutscher Journalisten.“zugespitzt, rührte eigentlich an einem Tabu. Aber – die pointierte These provoziertekeine Gegenreaktionen, sondern wurde als Schlüsselzitat immer wieder kommentarlosnachgedruckt. Haberbusch weist auf Missstände im Journalismus hin, dieauch der Medienforscher Lutz Hachmeister bei der Wächterpreis-Verleihung der„Stiftung Freiheit der Presse“ Anfang Mai in Frankfurt in einer bemerkenswertenRede analysiert hat. Guter Journalismus müsse unabhängig von Ökonomie sein,unabhängig von Public Relations und den Standpunkten der eigenen Medienunternehmensein. Guter Journalismus für alle Medien beruhe auf den „vier FaktorenZeit, Geld, Recherche und Stil.“ (dpa, 7.5.08) Weiter führte Hachmeister aus: die„ungesunden Beschleunigungstendenzen im Online-Journalismus“ seien fühlbar,„auch die verschärfte Konkurrenz um Pseudo-Nachrichten in der Hauptstadt, wo diewirklich entscheidenden politischen und legislativen Prozesse, die sich auf der Ebenevon Ministerialbeamten und Lobbyisten abspielen, zu selten reportiert werden.“Zu den Säulen „Zeit. Geld. Recherche. Stil.“, die in der Frankfurter Rede aufgegriffenwurden, könnte noch eine fünfte Säule ergänzt werden. Von grosser Bedeutungsind natürlich die Quellen von Journalisten, ohne die wahrscheinlich kein einzigerSkandal von Relevanz in der Nachkriegsgeschichte die Öffentlichkeit erreicht hätte.„Quellen hat man, aber über Quellen redet man nicht.“ Diese Journalisten-Weisheithat leider auch ihre Gültigkeit, wenn die Informanten möglicherweise mit zweifelhaftenMaterial hantieren. Darüber schreibt etwa Bernhard Honnigfort. In seinembitteren Text „Kein Sumpf, nirgends. Die ‘sizilianischen Verhältnisse’ in Sachsengab es nicht. Staatsanwälte stellen Ermittlungen ein.“ (FR 30.4.2008) Wir erinnernuns: vor etwa einem Jahr berichtete nicht nur der Spiegel vom „SächsischenSumpf“; die Leipziger Volkszeitung war von „Kriminellen Verstrickungen bis inhöchste Kreise“ alarmiert; und sogar renommierte Medien- und Politikmagazineließ den „mafiösen Sumpf“ von einem „Top-Experten“ ausführlich vermessen. Nur:der angebliche Sumpf war eine Erfindung von wenigen Verfassungsschutz-Mitarbeitern.Teile eines 10 000 Seiten Konvoluts, das zwischen 2003 und 2006 zusammengetragenwurde, diente den „Experten“ als Vorlage für „Hysterie und Leichtfertigkeit.“Der FR-Korrespondent schreibt: „Roth und weitere Journalisten habenzwischenzeitlich strafbewehrte Unterlassungserklärungen bzw eine entsprechendePresseerklärung abgegeben oder sich telefonisch bei dem betroffenen früherenStaatsanwalt entschuldigt.“ Der ausführliche Bericht unabhängiger Experten zum„Sachsen-Sumpf“, aber auch der sogenannte „Schäfer-Bericht“ zur Bespitzelungund Kooperation von Journalisten mit dem BND sind wertvolle Dokumente für alleJournalisten, die sich mit dem Dunst der Dienste umgeben. Desinformation gehörtin diesem Milieu offenbar zur Innenausstattung einer Profession.Die Problematik von (vermeintlichen) Experten als Quellen wird unter Journalistenoder auf Medienfachtagungen selten reflektiert. Zu diesem journalistischen Tabu-144


Thema gibt es eine hoch interessante interne Anleitung der Nachrichtenagentur APzum „Umgang mit Quellen“. (FH/Letzte Aktualisierung 02.10.2006) Hier werdenalle Mitarbeiter auf die Regeln bei der Quellenprüfung, auf die Problematik vonblogs und Quellen im www, auf die Quellenaufbewahrung und Quellenhinweiseaufmerksam gemacht. Besonders aufschlussreich ist das Kapitel „Experten/SchwarzeListe“. Hier heisst es: „In dieser – bislang noch sehr unvollständigen– Liste aufgeführte Experten oder Institutionen haben uns aus unterschiedlichenGründen schon Probleme bereitet und werden daher in der AP-Berichterstattungnicht berücksichtigt. Alle AP-Mitarbeiter, die schlechte Erfahrungen mit Experten/Institutionengemacht haben, mögen diese bitte per Mail an (...) mailen, damitwir sie ggf. in diese Liste aufnehmen können.“ Nur zwei Fallbeispiele: „Geheimdienste:Udo Ulfkotte (nicht umstrittener Geheimdienstexperte, der inzwischenauch als ddp-Mitarbeiter firmiert und damit für uns endgültig nicht mehr in Fragekommt). Gesundheit: Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin und Diätetik(DIET) (betreibt sehr geschickt verdeckte Produkt-PR; wurde vor zwei Jahren vonder ‘SZ’ als unseriös enttarnt.“ Die interne Liste der Nachrichtenagentur AP ist einesehr wertvolle Quelle. Gleichwohl müssten nicht nur die grossen Nachrichten -redaktionen diese Sensibilität pflegen, wenn interessengebundene „Rentenexperten“oder „Automobilexperten“ die jeweilige Marktlage aus ihrer PR-Perspektive erklären.Informanten und SkandaleSkandale beschäftigen die Medien oft monatelang, die Geschichten im Umfeld vonAmtsmissbrauch und Korruption werden nicht immer von Journalisten ‘ausgegraben‘sondern von gut präparierten Informanten ‘gesetzt‘. Rudolf Scharpings‘ verhängnisvolleVerbindung mit dem Waffen-Lobbyisten und PR-Mann Moritz Hunzingerwurde zunächst dem Spiegel offeriert; erst danach dem Stern, für den sich der Dealschliesslich auszahlte. Ernst Weltekes Adlon-Ausflug zur Euro-Taufe mit familiärerEntourage wurde von seinen Konkurrenten und einstigen Weggefährten im Finanzministeriummit Hilfe von Rechnungsbelegen skandalisiert. Wie im Fall der RWE-Lobbyisten Laurenz Meyer und Hermann-Josef Arentz kannten die professionellenInformanten die Medien-Dynamik und bauten auf geschicktes timing, kalkuliertesDementi, dosierter Materialergänzung – und schliesslich öffentlichen Abgang.Oft wird in solchen Fällen mit grossem Aufwand versucht, die „Nestbeschmutzer“(Informanten) zu finden, um die undichten Löcher zu schliessen. Im Fall FlorianGerster lancierten interessierte Referenten sogar einen FAZ-Artikel. Ganz unverhohlenwurde die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer an denInformanten-Pranger gestellt: „Die Hauptverdächtige Engelen-Kefer ist unter<strong>des</strong>senauf Tauchstation ...“ hieß es lakonisch.(FAZ 29.11.2003) Der „Feldherr“ wolltedamit nicht nur die „Teflon-Frau“ treffen, sondern alle potenziellen Informanten inder Bun<strong>des</strong>agentur für Arbeit. Die Medien veröffentlichten in diesem Fall zwar das145


Material der Konkurrenten, aber sie bohrten nicht nach: die wirklichen Skandaleum die freihändige Vergabe und mangelhafte Druchführung von millionenschwerenBeratungs- Projekten der BA im IT-Bereich sind bis heute nicht aufgedeckt.Das gleiche Prinzip ist im Fall der RWE-Konzernkommunikation zu besichtigen.Zwar gibt es interne Ermittlungen nach den undichten Stellen im Controlling.Aber – RWE als Finanzier von Politikern auf Bun<strong>des</strong>,- Lan<strong>des</strong>- und auf Kommunalebene– blieb bis heute weitgehend ungeschoren. Noch bis in den frühen Januarmeldeten selbst seriöse Nachrichtensendungen: „Meyer und Arentz hätten ihreZahlungen ohne Gegenleistung bekommen. Bis heute hat sich kaum jemand dafürinteressiert, welche Dienste die Geldempfänger für ihre Tätigkeit geleistet haben.Den Medien reichen offenbar spektakuläre Rücktritte, die Strukturen und die wahrenMotive für die Rücktritte bleiben meist im Dunkeln. Es reicht, wenn die vorliegendenInformationen plausibel erscheinen.In Fall RWE ist den Kommunikations-Experten ein genialer Coup gelungen. Politikerhaben im grellen Scheinwerferlicht die politische Bühne verlassen. Die Rolle <strong>des</strong>RWE-Managements wurde bis heute nicht hinterfragt. Dies liegt auch daran, dassdie Pressestelle Medienanfragen konsequent unbeantwortet liess. Einen Informations-Anspruchgegenüber Unternehmen gibt es für Journalisten nicht. Eigentlichein Thema für die zahlreichen Berufsverbände der PR-Industrie, den Bun<strong>des</strong>verbandder Pressesprecher oder den Deutschen Presserat.Aber auch Chefredakteure könnten sich gegen die als naturgegeben wahrgenommeneInformationssperre wehren. Ähnlich wie bei der Kampagne zur „Autorisierungs-Zensurvon Politiker-Interviews“ oder der Beschränkung von Prominenten-Fotografen („Caroline“) könnte man die „Schweige-Zensur“ von betroffenen Unternehmenähnlich vehement thematisieren.Wer schweigt, der bleibt – Informationsblockaden staatlicher StellenFormal sieht die Lage gegenüber Behörden und staatlichen Stellen zwar besseraus. Der überall gültige Informationsermittlungsanspruch leitet sich aus derPresse- und Rundfunkfreiheit ab. Der Grundkonsens: „Die Presse erfüllt eineöffentliche Aufgabe. Insbesondere dadurch, dass sie Nachrichten beschafft undverbreitet, Stellung nimmt, Kritik übt und auf andere Weise an der Meinungsbildungmitwirkt.“ In fast allen Lan<strong>des</strong>pressegesetzen gibt es dementsprechend eineausdrückliche Normierung: „Die Behörden sind verpflichtet, den Vertretern derPresse die der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben dienenden Auskünfte zuerteilen.“ heisst es etwa im § 4 Lan<strong>des</strong>pressegesetz NRW.Doch diese Auskunftspflicht der Behörden entwickelt sich in der Praxis immer mehrzu einer Farce. Ministerien und Behörden mauern immer dann, wenn es heikelwird. Die Ausnahmeregeln kennen die Pressesprecher auswendig. Schweben<strong>des</strong>Verfahren, Vorschriften über die Geheimhaltung, Datenschutz oder schutzwürdige146


Interessen. Die Abschottung und die von manchen Ministerien sogar öffentlich eingeräumte„Auswahl“ von Informationen amputiert gezielt die Pressefreiheit undzüchtet einen „Generalanzeiger-Journalismus.“ Ein Beispiel: Immer wieder wurdedie Öffentlichkeit zum Thema „NPD-Verbot“ gezielt <strong>des</strong>informiert. Führende Politikerversuchen den Konflikt mit dem Bun<strong>des</strong>verfassungsgericht allein auf die Rolle derzahlreichen NPD-V-Leute zu reduzieren. Tatsächlich haben aber die beiden von denInnenministerien eingesetzten Arbeitsgruppen von Verfassungsschützern undStaatsrechts-Experten gewichtige andere Gründe gegen ein NPD-Verbot aufgelistet.Sie haben die jahrelang abwartende Rolle der Politik kritisiert, die Gewaltbereitschaftder NPD in Frage gestellt und die hohen Hürden <strong>des</strong> Parteienverbots begründet.All diese Argumente werden zur Zeit aus dem öffentlichen Diskurs ausgeblendet,auch weil die Behörden die dichten Berichte der beiden Beratungs-Gremiennicht herausgeben. Desinformation durch Informationsverweigerung und gezielteAuslassung. Diese Technik funktioniert auch, weil zu viele Journalisten sich zuschnell von den Behörden abweisen lassen.Oft hilft in Konfliktfällen schon die Forderung einer schriftlichen Begründung für dieInformations-Blockade. Solche Ablehnungen – (die meist verweigert werden) –könnten Journalisten sammeln und öffentlich machen. Dies wäre die beste Medizingegen die Informationsverhinderung von Pressesprechern.Denn ihr Bild von einer funktionierenden Presse ist ganz einfach. Die Mediensollen das veröffentlichen, was die Pressestellen ihnen mitteilen. Rückfragen überflüssig,Nachfragen unnötig. Das rheinland-pfälzische Innenministerium siehtMedien sogar in der Rolle eines ausführenden Organs, wie ein entsprechen<strong>des</strong>Dokument belegt.Wenn diese Praxis aber weiter klaglos hingenommen wird, verkümmert dieAuskunftspflicht der Behörden bald und wird so praktiziert wie die rigide Informationspolitikder Unternehmen. Sie verfahren nach dem Motto <strong>des</strong> Broadway-Kolumnisten Walter Winchell, der den PR-Leuten aus dem Herzen sprach: „Zu vielRecherche macht die schönste Geschichte kaputt.“Der restriktive Umgang mit dem Informationsfreiheitsgesetz auf Bun<strong>des</strong>- undLan<strong>des</strong>ebene illustriert – bezogen auf das Informationsverhalten – das Klima <strong>des</strong>überholten Obrigkeitsstaates. Veröffentlicht wird nur das, was mit Hilfe der Ausnahmeregelungennicht verhindert werden kann. Aber auch hier muss eingeräumtwerden, dass nur wenige Journalisten an diesem Instrument der Informations -beschaffung interessiert sind.Das süße Gift der PR – Die Technik der gekauften KommunikationNick Davies, erfahrener Sonderkorrespondent der britischen Tageszeitung „TheGuardian“ hat die britische Qualitätspresse einem aufwändigen Test unterzogen.147


Seine Ergebnisse sind niederschmetternd und vielleicht eine Folie für deutscheKommunikationswissenschaftler, die ähnliche Tendenzen in der deutschenMedienlandschaft bislang nicht erkannt haben. „Ich war gezwungen mir einzu -gestehen, dass ich in einer korrumpierten Profession arbeite,“ so das Fazit <strong>des</strong>400-seitigen Werks mit dem Titel „Flat Earth News.“ „Die Journalisten seien im‘professionellen Käfig’ ihrer ‘Nachrichten-Fabriken’ gefangen und zu ‘Churnalisten’verkommen. (nach ‘to churn out’: auswerfen). Sie schrieben Pressemitteilungenoder Agenturmeldungen nur noch schnell um, ohne selbst nachzuforschen. DieserZustand mache die Massenmedien äußerst anfällig für die Verbreitung von Falschmeldungen,irreführenden Legenden und Propaganda.“In seiner Buch-Rezension zitiert Henning Hoff in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung(www.faz.net) schockierende Zahlen einer empirischen Untersuchungvon 2000 Berichten (im Frühjahr 2006) der britischen Qualitätspresse. „SechzigProzent bestanden ausschließlich oder hauptsächlich aus PR-Material oder Berichtenvon Nachrichtenagenturen, die aber auch nur bei zwei Prozent als Quelle angegebenworden waren. (...) Nur zwölf Prozent der Texte ließen auf eigene Recherchenschließen.“ Die Ursache für diese Entwicklung – die wohl keine britische Spezialitätist – sieht Davis so: „Das Grundproblem ist, dass eine kommerzielle Logik die journalistischeabgelöst hat.“ Nicht nur im online-Markt wird heute nicht mehr vonJournalismus, sondern von „Geschäftsmodellen“ gesprochen. Journalismus alsWare, die mit möglichst geringen (personellen) Aufwand hergestellt werden soll?Nick Davies erschütternde Analyse endet nicht mit einer erschütternden Botschaft:„Ich fürchte, ich beschreibe nur den Tumor, der uns umbringt, ohne eine Therapieanbieten zu können.“Auswege: Recherche-Journalismus als Qualitäts-KatalysatorAl Gore – der bekannteste Weltklima-Kämpfer – hat vor kurzem „Belanglosigkeitenund Unsinn“ in den Medien kritisiert. „Die Grenze zwischen Nachrichten und Unterhaltung“werde zerstört. Die Vereinigten Staaten seien „anfällig für massenhafteund dauerhafte Zerstreuung.“ Nicht nur beim Klimawandel würden die Tatsachengenauso „beiseite gewischt und missachtet“, weil sie unbequem seien, wie es beiden Tatsachen zum Irak-Krieg geschehen sei. Al Gore sieht in dieser Entwicklungeinen „Angriff auf die Vernunft.“ Aber der Friedensnobelpreisträger geht einenSchritt weiter und appelliert an die konsumfreudigen Bürger. Sie sollten sich wenigermit Klatsch und Tratsch beschäftigen, sondern mit wichtigeren Themen. Wiekönne es sein – so seine Frage – „dass wir viel mehr Zeit damit zubringen, überBritney Spears‘ Glatze und Paris Hiltons Gefängnisaufenthalt zu reden?“ Dieseunbequeme Frage nach den Konsumgewohnheiten der Mediennutzer gilt nicht nur fürdie USA, sie wird auch in Deutschland noch tabuisiert. Die Kritik wirft die Frage nachdem Stellenwert <strong>des</strong> Qualitätsjournalismus und den Chancen der Recherche auf.148


Die prominent präsentierte Kritik aus der jüngsten Zeit ist im Prinzip nicht neu: dasSpannungsverhältnis zwischen vernachlässigten ernsthaften Themen und belangloserBerichterstattung wurde schon vor einem Jahrzehnt in vielen Facetten analysiert.Postmans Kritik unter dem Titel „Wir amüsieren uns zu Tode“ (1985) hat zumTeil den engen Kreis der professionell mit Medienfragen beschäftigten Akteureüberschreiten können.Aber – man kann wohl ohne Übertreibung sagen, dass die Kluft zwischen dem Einflußder Medien in der Demokratie einerseits, der Analyse ihrer Arbeitsweise,Wirkungsmechanismen und Defizite andererseits, grösser geworden ist. Die Wirkungender Medien auf Wirtschaft und Gesellschaft wachsen, die Medienkritik undMedienanalyse bleibt aber eine Orchideen-Disziplin, oft eingehegt im Interessengeflechtvon Verlegern.Aber was ist Qualität im Journalismus? Bei der Definition kommt es darauf an, wersich wie zu diesem Thema äussert: drei Definitionsansätze, illustrieren das enormeSpektrum der Sichtweisen :• „Qualität ist für uns Quote. Wenn Qualität keine Quote bringt, ist für uns dasSpiel vorbei.“ Dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der ProSiebenSat.1Media AG, Guillaume de Posch ist für diese Definition seiner Programmausrichtungzu danken, die er hier in Hamburg Mitte Oktober <strong>2007</strong> vor dem ClubHamburger Wirtschaftsjournalisten vorgetragen hat. (dpa, 16.10.07) Diese ehrlicheMaxime gilt, ganz gleich wer de Posch noch folgen wird. Der Medienmanagerspricht aus, was die meisten seiner Kollegen über „Qualität“ denken, aber sonicht aussprechen würden.• Eine Führungskraft in der Weiterbildung der öffentlich-rechtlichen Konkurrenzanalysierte genauso treffend den mainstream der Programmverantwortlichen inseiner Welt: „Qualität gibt es auf jedem Niveau.“ Er ließ keinen Zweifel daran,dass die beliebige Bandbreite seiner Qualitäts-Definition jeden Tag in den Programmenneu ausbalanciert wird. Quotenverlauf, Konkurrenz-Vergleich,Umschaltzeiten, Altersdurchschnitt. Das sind die „harten Daten“, die das innereGeländer der Programm-Macher stützen. Der Rest ist Geschmackssache.• Frank Schirrmacher – Exponent <strong>des</strong> Print-Journalismus und einer der FAZ-Herausgeber – nutzte Ende Oktober (SZ, 29.10.07) eine Dankesrede zum Jacob-Grimm-Preis Deutsche Sprache <strong>2007</strong> zu einer ungewöhnlichen Prognose:„Jeder, der Augen hat zu sehen, wird erkennen, dass das nächste Jahrzehnt dasJahrzehnt <strong>des</strong> Qualitätsjournalismus sein wird; er schafft die Bindekräfte einermedial disparaten Gesellschaft. (...) Die, die sich nicht anstecken lassen, dieihre Qualität, also ihre Inhalte, unverändert lassen, werden sein, was dieseGesellschaft dringender benötigt den je: der geometrische Ort, an dem die Summe<strong>des</strong> Tages und der Zeit gezogen wird.“ Der Blick in die Zukunft vermeidet die149


Sicht auf die Gegenwart. Auch diese optimistische Unschärfe belegt, dass derQualitäts-Diskurs offenbar auf analytisch unbestigtem Gelände stattfindet.Relevante Inhalte, überprüfte Informationen, Quellenvielfalt, das Interesse an Aufklärung,eine reflektierte Haltung zum Beruf sind aus meiner Sicht Klammern füreinen Qualitätsjournalismus, der demokratische Teilhabe ermöglichen und gesellschaftlicheIntegration fördern kann. Qualitätsjournalismus in diesem Sinne ist derKitt, der eine demokratische Gesellschaft zusammenhält und einen Diskurs überwichtige Entscheidungen für das Zusammenleben der Menschen in Rede undGegenrede vorantreibt.Dieser Qualitätsjournalismus wird in Deutschland in vielen Medien täglich – wennauch in Nischen-Programmen und Publikationen – praktiziert, aber unzureichendgenutzt. Dieser Qualitätsjournalismus wird gleichzeitg massiv bedroht: durchSparzwang, um übertriebene Renditeerwartungen von Verlegern und Aktionärenzu erfüllen, von quoten-getriebenen Medienmachern, die den inneren Kompaßihres beruflichen Auftrags verloren haben, und von einem Publikum getrieben, dasZerstreuung, Nutzwert und Nervenkitzel sucht.Was aber kann eine intensive Vermittlung, Förderung und Pflege von Recherche inden Redaktionen zur Entfaltung eines Qualitätsjournalismus beitragen?Erstens: Recherche muss von der Ausnahme zum Normalzustand in den Redaktionenwerden. Recherche ist das Rückgrat für guten Journalismus. Sie kostet Zeit undGeld und verlangt von den Journalisten besonderes Engagement. Jedenfalls müssensie mehr tun, als unbedingt von ihnen erwartet wird. Um die Normalität zu ermöglichen,sollten man Abschied von unproduktiven Mythen nehmen. Abschied vomMythos <strong>des</strong> investigativen Journalismus. Denn den gibt es nur in seltenen Ausnahmefällen.Statt<strong>des</strong>sen sollten man sich hinwenden zu einem klassischen Recherche-Journalismus, der die wesentlichen Recherche-Qualifikationen ausbildet, pflegtund profiliert.Dieser Schritt zu mehr Bescheidenheit würde alle dementieren, die die (investigative)Recherche als unerreichbar, unbezahlbar – und <strong>des</strong>halb nicht praktizierbarklassifizieren.Gleichzeitig würden mit der Verankerung der Recherche in der Alltagspraxisbreite Lernfelder für viele Medienmacher eröffnet, die heute meistbrach liegen.Redaktionen, die sich konzentriert der Recherche widmen (im NDR und WDR Hörfunk,Sonder-Rechercheure selbst in Lokalzeitungen ) greifen diesen Grundgedankenerfolgreich auf und stützen die für die Entwicklung eines Qualitäts-Journalismusnotwendige Recherchekultur. Auch die Leser goutieren offenbar – so mehrereUmfragen – hintergründigen Journalismus.150


Zweitens: Recherche darf nicht nur als Marketinginstrument und für das brandingvon Magazinen missbraucht werden. Eine Umfrage unter Chefredakteuren <strong>des</strong>g+j Verlages hat vor Jahren ergeben, dass sie die Recherche für das wichtigsteInstrument zur Etablierung eines erfolgreichen Journalismus halten. Welche Konsequenzendiese Einschätzung nach sich ziehen müsste, blieb unbeantwortet.Investitionen in Recherche? Oft bleibt es bei folgenlosen Ankündigungen.Fast alle Magazine in öffentlich-rechtlichen und privaten Medien schmücken sichbei ihren Auftritten mit Superlativen zur Recherche, auch wenn sie wissen, dasssie die selbst formulierten Ansprüche nur selten einlösen. Ziel sollte es sein, nichtnur von Recherche zu reden, sondern Recherche zu ermöglichen, zu fördern undfinanziell absichern.Drittens: Recherche müsste eigentlich auf der Liste der aussterbenden Artenplatziert werden. Der mögliche Nutzen der Recherche steht in einem ungünstigenVerhältnis zur Intensität der Weiterbildungsangebote.Im aktuellen Programm etwa der Akademie für Publizistik gibt es einen Kurs mitdem Titel „Sauberes Handwerk – Recherche-Strategien“ (der 2x angeboten wird.)Der Bereich Öffentlichkeitsarbeit und PR wird dagegen allein mit acht eigenständigenSeminar-Modulen bedient. Dies ist nur ein Fallbeispiel, das stellvertretend für diegesamte (Weiter)-Bildungslandschaft steht.Diese Diskrepanz zwischen notwendigem und überflüssigem in der Journalistenausbildungvon Gelsenkirchen bis Hannover ist durchaus ein Spiegel <strong>des</strong> krisenhaftenZustands einer bedrohten Disziplin. Die in Deutschland vernachlässigteRecherche-Ausbildung hinterlässt ein riesiges, unausgeschöpftes Potential (übrigensauch in der Vermittlung von Recherche-Trainings, die nachweislich besondereZugänge und praxis-gestählte Motivations-Methoden erfordern).Viertens: Dieses Potential müsste durchgehend in der Journalisten-Aus- und Weiterbildungvorangetrieben werden. Praxis darf nicht nur simuliert werden, echtePraxis mit realistischen Aufgaben und konkreten, veröffentlichungsfähigenGeschichten müssen die Werttreiber und Motoren der Ausbildung sein. Recherchebraucht Leidenschaft, Interesse, Antrieb und professionelle Begleitung. „Nichts isterregender als Erfolge ...“ Diese leicht abgewandelte Formel eines berühmtenJournalisten sollte das Leitmotiv für eine effiziente Recherche-Ausbildung sein.Elektrisieren, helfen Grenzen zu überschreiten, der Abschied von der passivenErgänzungsrecherche hin zu einer eigenständigen Rechercheleistung kann vielbewirken und Motivation für Recherchejournalimus auslösen. In diesem Sinnekann eine solide, stimmig aufgebaute, theoretisch fundierte und praktisch inspirierteRecherche-Ausbildung Nutzwert-Journalismus im besten Sinne sein. Nutzwert-Journalismusfür eine demokratische Öffentlichkeit.151


Fünftens. Folgt man den einschlägigen journalistischen Lehrbüchern, steht dieRecherche am Anfang jeder journalistischen Produktion. Dass dieser Grundsatzlängst aus der Praxis ausgewandert ist, wurde skizziert. Auffallend ist die zunehmendeTrennung von zwei Produktionsstufen, vor allem in TV-Redaktionen. Dieredaktionelle Vorbereitung (location, Protagonisten, Casting etc.) wird von einemMitarbeiter übernommen. Diese Vor-Recherchen werden dann an den Produzentenübergeben, der das vorgegebene Thema umsetzt. Mit dem wenig überraschendenErgebnis, dass die Recherche-Tiefe auf dem Niveau eines Anzeigenblattesstagniert. Das Wichtigste im Journalismus sollte also wieder wichtig werden. Deshalblohnt es sich, den bedrohten Qualitätsjournalismus mit dem SauerstoffRecherche zu beleben. Eine intensive Recherche-Ausbildung birgt keine Risiken,hat aber viele nützliche Wirkungen zur Steigerung der Medien-Qualität:- Mehr Recherche schärft das Auswahl-Sensorium für Wichtiges und Unwichtiges.Relevantes wird wieder relevant. (Inhalt)- Mehr Recherche sensibilisiert für die sozial-kommunikative Rolle im Verhältniszu Informanten, Zeugen und Quellen. (Vertraulichkeit)- Mehr Recherche belebt die verschüttete Verifikations- und Falsifikationskultur.(Aufgabe der Überprüfung von Fakten und Vorgängen)- Mehr Recherche reduziert die Fehleranfälligkeit und erhöht so die Glaubwürdigkeit.- Mehr Recherche bildet die Grundlage für bessere Interviews und die Erzählungder Geschichten. (Handwerk) In den erstklassigen Ausbildungsstätten in denUSA heisst es bei erkannten Mängeln: „you didn’t do enough research.“- Mehr Recherche ist ein Bypass für mehr journalistisches Selbstbewusstsein unddamit der notwendigen Stärkung einer bedrohten journalistischen Berufsidentität.(Ethik/Haltung)- Mehr Recherche bringt für die Medien Marktvorteile, durch die Präsentation vonechter Exklusivität und damit verbundener Aufmerksamkeit für qualitätsvollenJournalismus. Recherche könnte Markenkern und Abgrenzungsmerkmal zurKonkurrenz sein.- Mehr Recherche fördert – schließlich – die oft verwaiste Fachkompetenz in denRedaktionen und bringt Folgegeschichten, weil das Vertrauen von Informantenoft auch an das erkennbare Qualitätsniveau der Medien gekoppelt ist. Der Kreisschliesst sich; vereinfacht könnte man sagen, die Investitionen in Recherche-Kompetenz zahlen sich aus.- Mehr Recherche sensibilisiert für den professionellen Umgang mit schwierigenInformanten und komplizierten Quellen.Selbstverständlich müssten die vorgeschlagenen Instrumente und Maßnahmen fürdie Medienpraxis genau definiert, begründet und dann auch überprüft werden.152


Je<strong>des</strong> Haushaltsgerät in Deutschland wird besser überprüft, als die Ausbildung einflussreicherVerlage. Im Zuge der Zertifizierungs- und „benchmark“-Kultur könntenauch Aspekte der Qualität von erfahrenen Medienmachern und Kommunikationswissenschaftlernüberprüft werden. Ergebnisse, Missstände und Leuchttürmekönnten je<strong>des</strong> Jahr in einem „Weissbuch Medienqualität“ dokumentiert werden.Die grassierende Enttäuschung – vieler Bürger über die Medien, aber auch daswachsende Interesse an Medienfragen fände hier ein wirksames Forum.Zusammengefasst: Recherche kann den gewünschten und geforderten Qualitätsjournalismusbeatmen, im Sinne der Mediennutzer und einer aufgeklärten Öffentlichkeiteinen besseren Journalismus ermöglichen. Guter Recherche-Journalismusmacht unabhängig(er) von Quellen, die eine gesteuerte Kommunikation anstreben.Das wäre dann eine erste Antwort auf den „Angriff auf die Vernunft.“,die offenbarnicht nur Al Gore umtreibt.Zum Autor: Dr. Thomas Leif, Chefreporter Fernsehen SWR Lan<strong>des</strong>sender Mainz; Vorsitzender netzwerk recherche e. V. (nr).Jüngste Veröffentlichung: Beraten und Verkauft, McKinsey und Co., Der grosse Bluff der Unternehmensberater, München 2008 (akt. Neuauflage)153


Tugenden und Techniken für die Recherche– Mit Tatendrang und Temparament zu besseren Ergebnissen.1. Für alle Recherchen gilt: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.Interesse, Arbeitsfreude und Engagment führen immer zum Erfolg.2. Gute Recherche lebt davon, Informationen und Wissen zu sammeln und zu systematisieren.Umfangreiches Informationsmaterial muss ausgewählt, verdichtet, erweitertund zugespitzt werden.3. Die Kunst besteht darin, den Rohstoff Information aus Archiven, von Informanten,Experten, dem web etc. kreativ zu verknüpfen. Es gilt der alte Grundsatz: wer vielweiß hat bessere Ideen. Und: einfache Ideen tragen oft einen genialen Funken in sich.4. Bei der professionellen Recherche geht es im Kern darum, die zentralen Fragen zustellen und sie – ihrer Bedeutung nach – zu ordnen, wichtiges und unwichtiges voneinanderzu trennen. Prüfen – analysieren – verwerfen – nachhaken: in einem Prozeß<strong>des</strong> Nachdenkens entsteht ein Recherche-Plan mit ersten Hypothesen zum Thema.Diese Hypothesen werden dann Schritt für Schritt überprüft.5 Zielgerichtet fragen und Informanten öffnen – das ist die Königsdisziplin für Rechercheure.Es geht nicht darum, irgendeinen Experten zu finden, sondern die kompetentenFachleute auf der Basis eines soliden Wissens-Fundamentes zu befragen. Es gilt:immer auch die Gegenseite zu integrieren; bei der Recherche gibt es keine Favoriten.Informanten sind das A + O im Journalismus. Sie werden geschützt wie der eigeneAugapfel; sie werden gehegt und gepflegt.6. Über alle Gespräche und Kontakte wird ein gründliches Protokoll geführt. Alle Beweiseund Belege werden sorgfältig dokumentiert. Der Rechercheur muss „Akten liebenlernen“ und begreifen, dass man sich nie allein auf sein Gedächnis verlassen kann.7. Rechercheure brauchen die Sekundärtugend eines Langstreckenläufers. Denn Qualitätkommt von Qual. Ausdauer, Hartnäckigkeit und Fleiß ersetzen die übliche fastfood-Mentalität.Das Prinzip der „Wiedervorlage“ von unerledigten Fällen ist dasLesezeichen für Rechercheure. Denn nur so werden wichtige Themen zu Ende gebracht.8. Nichts geht ohne Vertrauen und Vertraulichkeit. Nur so können Informanten gewonnenund Quellen gesichert werden. Trotzdem muss Misstrauen und Skepsis ständigerBegleiter sein. Es geht um die Balance zwischen Vertrauen und Skepsis9. Inspiration – das gilt besonders für die Recherche – kommt von Arbeit. Die Ergebnissesolider Recherchen steigern die Produktqualität und damit die Marktposition vonJournalisten. Es lohnt sich also zu recherchieren.10.Das Wichtigste zum Schluß: überzeugende Recherchen verbessern die Quellenlage.Gute Stories sind das beste Mittel zur Aquise neuer Geschichten; sie sind vertrauensbildendeMaßnahmen für relevante Informanten, misstrauische Beamte und skeptischeBehörden.154


DIE KANZLER UND DIE MEDIEN:Kohl, Schröder und Merkel als FallbeispieleProf. Dr. Ulrich SarcinelliDass sich der Langzeitkanzler Helmut Kohl (CDU), der über weite Strecken seinerKanzlerschaft nicht gerade über die gängigen Attribute eines Medienstars verfügte,zum Ende seiner Amtszeit dennoch zu einer Art politisch-medialem Antistarwurde, sich zugleich eine gewisse Medienresistenz leistete (vgl. etwa die Weigerungdem Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL Interviews zu geben) und medialenAnpassungszwängen weithin entzog, sollte über eines nicht hinwegtäuschen:Auch das „System Kohl“ verfügte über ein hoch entwickeltes Instrumentarium zurBeobachtung und Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Zudem rückten diezunehmende Amtsdauer und die mit dem Jahrhundertereignis der deutschen Einheitverbundene innen- und außenpolitische Schlüsselrolle den Kanzler in denFokus medialer Aufmerksamkeit. Sprachverhalten, Telegenität und sonstige beiihm nicht vorhandene Attribute medialer Performance erschienen angesichts derRelevanz substantieller politischer Entscheidungen zunehmend marginal.Ein wohl noch wichtigerer Schutz gegen mediengesellschaftliche Anpassung botdem Regierungschef seine parteiendemokratische Verankerung als langjährigerParteivorsitzender. Denn das „System Kohl“ fand seine Hauptlegitimationsbasisin der Partei. Über Jahrzehnte vertraut mit allen Gängen <strong>des</strong> innerparteilichenLabyrinths, mit Institutionen und Verfahren, vor allem aber gestützt auf ein langegepflegtes Netz persönlicher Loyalitäten verfügte Kohl über eine solide parteiendemokratischeMachtbasis. Die wichtigste politische Prämie demokratischerRegierungsweise im Rahmen dieses Modells war im Zweifelsfall seine Chance, aufdie Zustimmung der Parteitagsdelegierten und die Loyalität der politischen Freundeund Funktionsträger in der weiten Unionslandschaft zählen zu können. Dieses Jahrzehntelang vor allem durch informelle Kommunikation gepflegte, „geradezuosmotische Verhältnis“ (Hermann Rudolph, zit. nach Niclauß 1988: 140) mit seinerPartei und ihren Funktionsträgern machte den Kanzler zwar für die Medien nichtunangreifbar. Es gab dem langjährigen Amtsinhaber aber eine gewisse Unabhängigkeitvon den Tageslaunen der Medienresonanz und Publikumssympathie.Genaue Organisationskenntnis und ständige Pflege persönlicher Beziehungensicherten die Loyalität von Funktionsträgern und Untergliederungen ebenso wie155


deren Mobilisierungsbereitschaft in Wahlkämpfen. Zugespitzt: Die parteiendemokratischeMachtbasis gab dem Kanzler Schutz bei mediendemokratischen Konflikten.Das verzweigte Netz vertraulicher Binnenkommunikation machte das „SystemKohl“ teilweise immun gegenüber publizistischer Kritik von außen.Der Wechsel im Kommunikationsstil hätte 1998 nicht offensichtlicher sein können,bediente doch Gerhard Schröder als Inhaber <strong>des</strong> politisch wichtigsten Amtes imStaat zunächst alle Erwartungen mediengeneigter Selbst- und Fremdinszenierung.Zunächst schien es, dass wie im Italien unter Berlusconi, wie in den USA unter Reaganund Clinton sowie im Großbritannien unter Blair auch in Deutschland mit einemmedienversierten Kanzler Schröder Medienpräsenz und Fernsehkompetenz zumalles bestimmenden Merkmal <strong>des</strong> Regierungsstils werden würde, ein Wechsel alsovon der „Kanzlerdemokratie“ zu einer Art „Teledemokratie“ (vgl. Sarcinelli 1999c).Prägnanten Ausdruck fand diese zunächst wohl auch intendierte Legitimationsverschiebungin dem Kanzlerwort, man müsse jeden Tag so regieren, dass man amnächsten Sonntag Wahlen gewinnen könne. Diese wenige Monate nach Amtsübernahmegemachten Äußerungen wurden später relativiert. Bei aller damit wohlauch verbundenen Ironie, zeugen sie dennoch von der seinerzeitigen politischenGrundeinstellung: Regieren mit direkter und ständiger Legitimationsbeschaffungüber die Medien. Nicht die Institutionen der repräsentativen Demokratie undparteiendemokratische Basispflege, sondern das Medienpublikum sollten derbevorzugte Adressat <strong>des</strong> Regierens sein: Das Spiel mit den Medien als Stil derPolitikvermittlung im „System Schröder“.Nicht erst mit Gerhard Schröders vorzeitig beendeter zweiter Amtszeit als Bun<strong>des</strong>kanzlerwurde jedoch offenkundig, dass sich Regieren und politische Führung nichtin Publizitätsgewinn und Publikumssympathie, in „public leadership“ und „imagemanagement“ erschöpfen (Helms 2001: 1497). Politisch auch in ihren früherenÄmtern systematisch unterschätzt, schien Angela Merkel zunächst in jederHinsicht, vor allem aber in ihrem Kommunikationsstil, wie ein medialer Anti-Typ, jawie das personifizierte Gegenmodell zum Medienkanzler Schröder. Sozialisiert inder DDR und ausgebildet als Naturwissenschaftlerin vermittelte sie das Bild einerPhysikerin der Macht, die unpathetisch und „mit dem Charme unverdächtigerHarmlosigkeit“ immer wieder „Handlungskorridore auszuloten und politischeOptionen schnell zu nutzen“ (Korte <strong>2007</strong>: 11) weiß. Sehr bald wurde dann aberdeutlich, dass sich die Kanzlerin moderner Kommunikationsmittel (z.B. SMS, Podcast)zu bedienen weiß. Der mit dem Amt und seinen nationalen und internationalenHandlungsoptionen verbundene Aufmerksamkeitsbonus ließ mit zunehmenderAmtsdauer erkennen, dass sich hinter dem Stil „demonstrative(r) Nichtinszenierung“(Rosumek <strong>2007</strong>) weniger das Desinteresse einer allein an effizienter Problemlösungorientieren Pragmatikerin steckt, als vielmehr professionelles Politikvermittlungskalkül.156


Insgesamt machen die unterschiedlichen Politik- und Kommunikationsstile derKanzler einmal mehr deutlich: Wenn es um den Umgang mit Medien geht, bietetdas Amt <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>kanzlers bzw. der Bun<strong>des</strong>kanzlerin unterschiedliche Handlungsoptionen(vgl. Korte 2001: 6 ff.; ders. 2000). Es bringt zugleich aber auchinstitutionelle Handlungszwänge mit sich, die eine Reduktion auf „teledemokratisches“Agieren als allzu schlichtes Muster für Regierungshandeln erscheinenlassen. „Legitimation aus dem telegenen Schwung“, „Telepolitik“ (Korte 2001)oder das Prinzip „going public“ (Kernell 1993) erweisen sich als ambivalente Kommunikationsstile.Ein Garant für erfolgreiches Regieren in der Mediengesellschaftsind sie nicht. Das politische Schicksal <strong>des</strong> Medienkanzlers Gerhard Schröder istdafür sichtbarer Beleg. So ist auch in der „Mediendemokratie“ die Partei eineunverzichtbare Machtressource. Gleiches gilt für die Fraktion. Beide bedürfen derständigen Pflege im Rahmen zumeist wenig spektakulärer Binnenkommunikation(vgl. Walter 1997; vgl. auch Kap. 15 in diesem Band).Präsidialisierung der Regierung: Stil und SubstanzAuch unter medialen Stressbedingungen folgt Regieren nicht eindimensional einerzwingenden Kommunikationslogik. Unverkennbar ist gleichwohl, dass die besondereKompetenzausstattung, die Rahmenbedingungen <strong>des</strong> Amtes <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>kanzlersund die Anforderungen <strong>des</strong> modernen Medienbetriebes, in dem „dieelektorale Zugkraft <strong>des</strong> politischen Führungspersonals immer wichtiger“ wird,„Tendenzen zu einem präsidialen Regierungsstil“ begünstigen (Poguntke 2000:356, 359; Glaeßner 1999: 229).Zu dieser präsidialen Regierungsweise gehört auch der „Trend, immer mehr Themenzumin<strong>des</strong>t zeitweilig aus dem allgemeinen Verfahren zu ziehen (Runde Tische, Gipfel,Kamingespräche)“ (Gebauer 1998: 471) und damit Vorentscheidungsverfahrenmehr und mehr zu informalisieren. Das ermöglicht diskrete Inklusion und begünstigtstilles Regieren. Unter der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder war diesverbunden mit „Netzwerk-Pflege“ (Korte 2001: 9; ders. 2008) im Rahmen eines korporatistischenFührungsstils. Das Spiel mit vertraulichen „Kanzlerrunden“, prominentbesetzten „Bündnissen“ und „Kommissionen“ bietet dabei viele Gelegenheitenzu fernsehgerechten Auftritten. Hier kann dann die auch schon unter früherenKanzlern zu beobachtende quasi-präsidiale Moderatorenrolle <strong>des</strong> Regierungschefszum Tragen kommen (vgl. Murswieck 1990). Nicht weniger medienattraktiv vermochtenes die Kanzler, ein Problem als „Chefsache“ an sich ziehen und damitVerantwortung, Kompetenz und Führungsstärke zu demonstrieren. Mit solchengouvernementalen Stilelementen lässt sich öffentlich wirkungsvoll operierenDabei zielt die These einer durch die Medien mit bedingten „Präsidialisierung“nicht auf die konstitutionelle Veränderung <strong>des</strong> parlamentarischen in ein präsidentiellesRegierungssystem, sondern auf die „Veränderung der Verfassungspraxis157


158parlamentarischer Systeme“, die eine gewisse Angleichung der Funktionslogik beiderRegierungssysteme anzeigt (Poguntke 2000: 362). Diese findet ihren Ausdruckin einer „Schwächung <strong>des</strong> kollektiven Elementes zugunsten <strong>des</strong> individuellen, alsozugunsten der Vorherrschaft <strong>des</strong> Regierungschefs“ (ebenda: 363). Das personelleund charismatische Moment <strong>des</strong> Regierens wird gegenüber dem institutionellengestärkt.Dass medienattraktives Charisma eines politischen Spitzenakteurs allerdingskeine bestimmte Charaktereigenschaft mit einem feststehenden Verhaltensrepertoiredarstellt, sondern eine variable Größe, zeigen die kurzen Hinweise auf dieKommunikationsstile der drei Kanzler. Die Verbindung von Amt, Person und Aktionin konkreten politischen Situationen macht es möglich, dass ganz unterschiedlicheEigenschaftszuschreibungen vom Medienpublikum als mehr oder weniger charismatischempfunden werden können. Was bei dem einen als dröge bewertet wird,wird bei dem anderen zum Ausdruck sachorientierter Bescheidenheit; was imeinen Falle als professionelle Darstellungskompetenz beurteilt wird, wirkt im anderenFalle als überzogene politische Show.Strukturell ist die Stärkung <strong>des</strong> charismatischen Elements in der Politik mit einereiner Konzentration der exekutiven Macht verbunden, die – zumin<strong>des</strong>t in medialerOptik - den Kanzler gegenüber dem Kollegialorgan Regierung heraushebt und dieAktionseinheit zwischen Regierung und Regierungsfraktionen lockert. Währendder Kanzler bzw. die Kanzlerin den überwiegenden Anteil an der Regierungsberichterstattungausmacht, sind eine Reihe von Kabinettsmitgliedern über weiteStrecken blinde Flecken in der Medienlandschaft. Allerdings geht es hier um variableBeziehungen und politische Kräfteverhältnisse, die nicht linear und eindimensionaletwa einer Medienlogik folgen. So befand sich das politische Machtzentrum im Verlaufeder letzten Bun<strong>des</strong>regierungen mal im Kanzleramt, mal im Präsidium derführenden Regierungspartei oder in Koalitionsausschüssen, die aus den Spitzenvon Partei, Fraktion und Regierung zusammengesetzt sind.Man mag darüber streiten, ob die Gewichtsverschiebungen demokratischer Regierungsweisein Deutschland bereits als „Systemwechsel“ (Günter Bannas) begriffenwerden sollten. Unverkennbar werden jedenfalls Chancen und Neigungen der exekutivenSpitze begünstigt, in der Mediengesellschaft den „Weg zum Volk“ direktüber die Medien zu suchen und sich durch Akklamation auf diese Weise eine eigene,quasiplebiszitäre Legitimationsbasis zu verschaffen. Die Dauerkonjunktur von veröffentlichtenUmfragewerten unterstützt diese Entwicklung. Für den demokratischenProzess ist diese Entwicklung folgenreich. Denn ein mehr und mehr medienunddemoskopiefixierter Regierungsstil reduziert zwar institutionelle (Regierung,Partei, Fraktion) Abhängigkeiten. Er macht dafür aber umso abhängiger von politisch-medialenStimmungen (vgl. Seibt 2002; Meng 2002: 23). Deshalb sind auchMedienperformance und Kanzlercharisma politische ‚Lebensversicherungen mitschwankendem Kurswert. Was in der Mediendemokratie als Machtprämie für


schnellen Aufstieg und kurzfristige politische Durchsetzungsfähigkeit nützt, kannbei veränderter politischer Stimmungslage den politischen Absturz beschleunigen.Denn die Mediendemokratie steht zwar in Konkurrenz zur parlamentarischenParteiendemokratie. Sie kann diese jedoch nicht auf Dauer überspielen. Deshalbhängt politischer Erfolg in Deutschland – bei aller Medialisierung – weiterhin undauf nicht absehbare Zeit ganz wesentlich von der kontinuierlichen kommunikativenPflege von Partei und Fraktion als institutioneller Machtbasis ab.Die liberale Demokratie im Medienzeitalter: Mehr als die Legitimation<strong>des</strong> AugenblicksÜber die gesellschaftlichen und politischen Wirkungen eines so universalenPhänomens, wie es Kommunikation nun einmal darstellt, lässt sich trefflich streiten.Kein Wunder, dass auch über die hier exemplarisch beleuchteten Tendenzenmoderner politischer Kommunikationskultur im parlamentarischen Regierungs -system Deutschlands kräftig spekuliert wird. Ob es um die These vom „Wandel derParteien- in eine Mediendemokratie“ geht, die These vom „Wandel <strong>des</strong> repräsentativenin ein präsentatives System“ oder um die These vom „Wandel der Kanzlerdemokratiein eine Teledemokratie“ – bei allen diesen vom Autor in früheren Publikationenvertretenen Thesen handelt es sich nicht um schlagartige Systemveränderungen,sondern um sehr langfristige Wandlungsprozesse unter spezifischeninstitutionellen, personellen, politisch-kulturellen Bedingungen und in variablenMachtkonstellationen. Dabei muss betont werden, was schon verschiedentlich indiesem Band vertreten wurde: Trotz aller mediengesellschaftlicher Entwicklungstendenzenvollzieht sich dieser Wandel nicht als linearer Prozess im Sinne einereinseitigen Ausrichtung auf die Medienlogik. Allein der Glaube aber an solche Veränderungendürfte politisch nicht ohne Folgen sein. Der medienöffentlichenKommunikation über politische Kommunikation, also der Debatte über die symbiotischeVerflechtung von Politik und Medien, die öffentliche Auseinandersetzungund Kritik mit Kommunikationsbedingungen, -strategien und -stilen kann dabeidurchaus eine politisch-pädagogische Funktion zukommen.Bei aller Vorsicht: Vier übergreifende, für die Demokratieentwicklung in Deutschlandrelevante, Tendenzen verdienen abschließend Beachtung:1. Auseinanderdriften politischer Kommunikationswelten:Die beiden Kommunikationswelten „Darstellungspolitik“ und „Entscheidungspolitik“driften auseinander. Es verfestigt sich der Eindruck einer politisch-medialenWirklichkeitsspaltung. Der Aufmerksamkeitswettbewerb verselbständigt sich mehrund mehr gegenüber dem politischen Entscheidungshandeln. Die Investitionen indie ingenieurhafte Planung von Politikdarstellungskompetenz steigen. Kommunikationdroht damit eine Art sozialtechnologischer Sonderfall von Politik zu werden159


und nicht deren integraler Bestandteil. Während sich dies bei Akteuren der politischenInteressenvermittlung (z.B. Parteien, Verbänden etc.), z.T. aber auch beiAkteuren <strong>des</strong> politisch-administrativen Systems (z.B. Regierung, Parlament etc.)relativ leicht beobachten und analysieren lässt, liegen die Rückwirkungen der„Darstellungspolitik“ auf die „Entscheidungspolitik“ auch wissenschaftlich nochweithin im Dunkeln. Über Wechselwirkungen werden viele Vermutungen angestellt.Allein es fehlt an empirischen Entscheidungsanalysen in den verschiedenenPolitikfeldern2. Resistenz der Eigenlogik <strong>des</strong> Politischen:Mutmaßungen über eine generelle „Transformation <strong>des</strong> Politischen“ (Meyer 1994)mit der Folge einer Kolonisierung der Politik durch die Medien lassen sich zwardurch die eine oder andere Alltagsbeobachtung plausibilisieren. Empirisch stehenauch diese Thesen auf schwachen Beinen. Vielmehr spricht einiges dafür, dass eseinen gegen Inszenierung widerständigen Kern <strong>des</strong> Politischen gibt, dass Medienlogikund politische Logik nicht einfach verschmelzen. Darauf deutet auch dasgesteigerte, öffentliche Interesse an politischer Authentizität und Glaubwürdigkeit.Vielleicht ist es eine Gegenreaktion, dass mit zunehmender Professionalisierungder Kommunikation Originalität und Unangepasstheit mehr denn je gefragt sindund die Abneigung gegenüber politisch-medialer Stromlinienförmigkeit von politischenAkteuren ohne ‚Ecken und Kanten’ wächst.3. Öffentlichkeit, Kommunikation und Transparenz:Für die Demokratie bleibt Öffentlichkeit der Raum, in dem sich die Vorstellungenüber alternative Politikentwürfe bewähren müssen. Ob ein Mehr an Medienpräsenzallerdings immer zu einer erhöhten Rationalität und Transparenz <strong>des</strong> politischenProzesses beiträgt, hängt von einer Reihe von Voraussetzungen ab: Von der Qualität<strong>des</strong> politischen Personals, von der Professionalität <strong>des</strong> Journalismus und vonden Qualitätsansprüchen der Bürger, die nicht unterschätzt werden sollten. Letztlichkommt es auf eine politische Kommunikation an, die Politik transparent machtund Bürger nicht auf Distanz halten will, sondern einbezieht. Das zielt nicht aufsituative Akklamation, sondern auf Beteiligung, erhöht die Entscheidungskosten,verschafft damit aber auch Legitimationsgewinn.4. Die Plebiszitarisierung der Politik:In Politikdarstellung und Politikwahrnehmung verstärken sich die Tendenzen einerQuasi-Plebiszitarisierung <strong>des</strong> Politischen. Allerdings vollzieht sich auch diese Entwicklungnicht in Form eines linearen Plebiszitarisierungstrends. Politik erscheintmehr und mehr als medienöffentlicher Dialog zwischen der Politikprominenz unddem Publikum. Das erhöht die Reichweite für Politik gerade auch in solche Teile derBürgerschaft hinein, die geringes oder kein politisches Interesse haben. Und die160


Massenmedien geben – in Verbindung mit der Demoskopie – die Bühne ab, die derPolitik die Beobachtung eines vermeintlich dauerpräsenten Volkswillen erlauben.Es höhlt jedoch auf Dauer die Autorität der Institutionen <strong>des</strong> parlamentarischrepräsentativenSystems aus. Dafür spricht auch, dass die medienpräsente Politprominenzund die Bürger als Medienpublikum eine gewisse Abneigung gegen dasInstitutionelle in der Politik zu verbindet (vgl. Seubert 2002).Verdrängt auf lange Frist die Legitimation <strong>des</strong> Augenblicks und die Illusion einesmedialen „plebiscite de tous les jours“ das Vertrauen in die Integrität institutionellerVerfahren als Bedingung einer jeden liberalen Demokratie? Entwickelt sichmedienattraktiver Populismus zur „Billigvariante parlamentarischer Demokratie“(Lepenies 2003: 13)? Dies wäre nicht nur verhängnisvoll, weil eine medienfixierteStimmungsdemokratie anfällig ist für kollektiven Irrtum. Es wäre auch für die liberaleDemokratie folgenreich. Denn die freiheitliche Verfassung setzt nicht auf„identitäre Kurzschlüsse“ (di Fabio 2002: 10) und auf die Legitimation <strong>des</strong> Augenblicks,sondern auf die Unterscheidung zwischen Freiheit und Herrschaft, auf dasliberale Prinzip einer rechtsverpflichteten, institutionell grundierten Amtsautoritäteinerseits und das an Verfahren gebundene demokratische Prinzip der Volks -souveränität andererseits. Diese Balance gilt es auch im Medienzeitalter zu haltenund auszuhalten. Gefährdet erscheint diese Balance weniger durch „Kommunikationsstress“als vielmehr durch medialen Stress, dem das parlamentarische Regierungssystemauch in Deutschland zunehmend ausgesetzt ist, von dem es sichjedoch nicht die politischen Spielregeln diktieren lassen darf.Vorabdruck aus: Ulrich Sarcinelli: Politische Kommunikation in Deutschland. Zur Politikvermittlung im demokratischen System. VS-Verlag fürSozialwissenschaften: Wiesbaden 2009 (im Erscheinen)161


Die <strong>Dokumentation</strong>ennr-Werkstatt:In der Lobby brennt noch Lichtundnr-Werkstatt:Quellenmanagementkönnen kostenfrei gegen einen adressiertenund ausreichend frankierten Rückumschlag(DIN C5, 1.50 Euro) beim netzwerk recherchebezogen werden.Bezugsadresse:netzwerk rechercheWalkmühltalanlagen 2565195 Wiesbadenwww.netzwerkrecherche.deinfoπnetzwerkrecherche.de@


WER PRÄGT DIE POLITISCHE AGENDAIN DER BERLINER REPUBLIK?Prof. Dr. Stephan Weichert / Leif KrampDie Berichterstattung in der Bun<strong>des</strong>hauptstadt ist geprägt von einigen wichtigenKorrespondenten und Leitmedien. Wie diese Akteure arbeiten, wer sie informiert,und welche Themen warum ausgewählt werden, ist jedoch weitgehend unerforscht.Aus der Auswertung und Analyse der vorliegenden Literatur zum Themaergaben sich fünf Fragenkomplexe, die in qualitativen Experteninterviews mitführenden Vertretern <strong>des</strong> Hauptstadtjournalismus berücksichtigt wurden:• Biografien/ Selbstverständnis: Welches journalistische Rollen-Selbstverständnisbzw. welche Selbsteinschätzung der eigenen Arbeit haben die Hauptstadtjournalistenunter Berücksichtigung ihres jeweiligen biografischen Zugangs,von welchen Motiven lassen sie sich leiten?• Leitmedien/ Agenda Setting: Welche Rolle spielen die unterschiedlichenMediengattungen (Presse, TV, Hörfunk, Internet) in der Politikberichterstattung,welche Themen werden prominent platziert, welche eher vernachlässigt, wiefunktionieren Agenda Setting und Agenda Cutting in Berlin?• Politische Kommunikation: Welchem Wandel unterliegen politischer Journalismusund politische (Regierungs-)Kommunikation in der Berliner Republik, welcheWechselwirkungen gibt es zwischen beiden Systemen, wie stellt sich die Zu -sammenarbeit von Journalisten, politischen Akteuren und Lobbyisten konkret dar?• Recherche: Welche Vor- und Nachteile der Informationsbeschaffung undRecherche gibt es in Berlin, welche Bedeutung haben informelle Kontakte zuPolitikern und die Teilnahme an Hintergrundkreisen, welche Rolle spielt dabeidie Kollegenorientierung?• Besonderheiten und Mängel in der Medienpraxis: Was macht die Berichterstattungaus Berlin zu einer Besonderheit (im Vergleich zu Bonn), welche Schwachpunkteund Defizite sind im Hauptstadtjournalismus insgesamt zu verzeichnen,wie könnten diese behoben werden?Die vorliegende Studie will Prozesse, Probleme und Potentiale der deutschenHauptstadtberichterstattung und deren Auswirkungen auf die politische Agenda163


erstmals mit einer breiten empirischen Bearbeitung wissenschaftlich fundieren.Dabei stand nicht eine repräsentative Auswahl und Analyse der Untersuchungssubjekteim Vordergrund, sondern die Zusammenstellung typischer Fälle, die einenmöglichst ertragreichen Einblick in die massenkommunikativen und politischenProzesse im Mit- und Gegeneinander von Medien und Politik in der Hauptstadtermöglichen. Die befragten Praktiker sind aufgrund ihrer Entscheidungskompetenzenim jeweiligen Arbeitsfeld wichtige Experten, deren Selbsteinschätzungen undErfahrungen über die Gesamtsituation <strong>des</strong> Hauptstadtjournalismus von entscheidenderBedeutung für die Analyse <strong>des</strong> Themas sind.Insgesamt wurden 32 Gespräche mit politischen Berichterstattern aller Mediengattungensowie Vertretern aus Politik und Wirtschaft geführt. Dabei standen diedeutschen Hauptstadtjournalisten zwar im Vordergrund <strong>des</strong> Untersuchungsinteresses,eine zusätzlich notwendige Vergleichsgröße stellte jedoch die Auswahl derPressesprecher jeweils zweier Bun<strong>des</strong>ministerien, zweier Parteien, <strong>des</strong> BerlinerSenats und der Bun<strong>des</strong>regierung, einem selbstständigen Medienberater sowiezweier Interessensgruppen der Wirtschaft dar. Dieser scheinbar heterogenen Auswahlist die Aufgabe gemein, der allgemeinen Öffentlichkeit politisches Handelnüber die Medien zu vermitteln. Um ein möglichst umfassen<strong>des</strong> Bild der politischenBerichterstattung aus Berlin zu gewinnen, wurden Journalisten aus den BereichenPrint, Fernsehen, Hörfunk, Online und Nachrichtenagenturen befragt, und zwar13 Zeitungsjournalisten, zwei Magazinjournalisten, drei Fernsehjournalisten, eineHörfunkjournalistin, ein Online-Journalist und drei Agenturjournalisten. Alle Interviewswurden persönlich von den Autoren durchgeführt (Face-to-Face-Gespräch)und elektronisch aufgezeichnet.ErgebnisseDie empirischen Ergebnisse dieser Studie zeigen zahlreiche Probleme und Mängelin der Politikberichterstattung auf. Dabei bestätigen sie einige weit verbreitete Vorurteile,überraschen aber auch mit neuen Resultaten.Selbstverständnis und Biografien der AkteureDie biografischen Werdegänge der befragten Hauptstadtjournalisten und Pressesprechersind ebenso verschieden wie die Auffassungen ihrer einzelnen Berufsrollen:Einige der Befragten waren vor ihrer Journalisten- und Sprecherlaufbahnparteipolitisch aktiv, manche lehnten genau dies aus ethischen Gründen vehementab, viele volontierten oder arbeiteten bereits während <strong>des</strong> Studiums journalistisch,für andere wiederum kam der Wechsel in den Journalismus bzw. ins politischeSprecheramt eher unvermittelt. Zwei Drittel der Journalisten erklärten, ihr Beruf sei164


schon immer ihr Ziel gewesen; der Großteil war bereits zu Schüler- und Studienzeitenjournalistisch aktiv. Vier der Befragten sind Quereinsteiger, die erst einen anderenJob ergriffen und ihre journalistische Berufung später entdeckten. So arbeiteteBrigitte Fehrle von der Zeit zunächst mehrere Jahre als Buchhändlerin, bevor sie sichfür ein Studium und den Einstieg in den Journalismus entschied. Ulrich Deppendorf(ARD) absolvierte nach seinem Jura-Studium ein Referendariat, bevor er sich beimWestdeutschen Rundfunk um ein Volontariat bewarb. Bemerkenswert ist auch,dass die überwiegende Mehrheit der befragten Vertreter der Öffentlichkeitsarbeitund der Beraterbranche vor ihrer jetzigen Tätigkeit als Journalisten gearbeitethaben.Unterschiedlich fällt das Rollen-Selbstverständnis vor allem der journalistischenAkteure aus: Während sich die einen eher als reine Chronisten der Berliner Republikund Dienstleister der Öffentlichkeit verstehen, sehen sich die anderen als„Vierte Gewalt“, die den politischen Machtapparat kontrolliert. Viele von ihnenbegannen ihre Karriere bereits in Bonn, mussten sich jedoch dem Umzug der Bun<strong>des</strong>regierungbeugen und mit ihren Redaktionen bzw. Ministerien in die Hauptstadtwechseln; nur wenige, meistens jüngere Journalisten starteten ihre Laufbahnerst in Berlin, einige waren zuvor Auslandskorrespondenten in europäischenHauptstädten. Dabei haben alle ihre ursprünglichen beruflichen Ziele und Erwartungenheruntergeschraubt oder zumin<strong>des</strong>t relativiert; nur wenige haben die Verhältnisse<strong>des</strong> Hauptstadtjournalismus neuer Prägung und der politischen Kommunikationso antizipiert, wie sie heute sind. Was (fast) allen Befragten ebenfallsgemeinsam ist: Sie halten ihre Tätigkeit einerseits für besonders wichtig undgestehen ein, selbst „wichtigtuerisch“ zu sein – wenngleich sie sich nicht mit demPrädikat <strong>des</strong> „Alpha-Journalisten“ schmücken wollen (dies sei anderen Wichtig -tuern vorbehalten, vor allem den prominenten Publizisten, Moderatoren und Chefredakteuren).Andererseits wird beklagt, dass sich die Branche zunehmend inAlpha- und Omegatiere aufspaltet: die Medienprominenz und die „Medienbrötler“.Gerade vor dem Hintergrund der wachsenden Bekanntheits- und Einkommensklüftekritisieren die Befragten, dass die Selbstreflexion und -kontrolle <strong>des</strong> eigenenBerufsstan<strong>des</strong> und der Politikberichterstattung mangelhaft ist: Es fehle sowohl anGelegenheiten und Foren zum professionellen Austausch als auch an funktionierendenund nachhaltigen Kontrollmechanismen im Politikjournalismus selbst –Stichworte: Medienjournalismus/ Medienkritik.Agenda Setting in der Bun<strong>des</strong>hauptstadtDer massive Konkurrenzdruck, die eklatante Selbstbezogenheit der Medienszene,die mit einer zunehmend gleichförmigen Berichterstattung einhergeht, und dieausgeprägte Tendenz zur Boulevardisierung gehören zu den wichtigsten Deter -165


minanten, ohne deren Analyse die unterschiedlichen Ausprägungen <strong>des</strong> AgendaSetting und <strong>des</strong> Agenda Cutting in Berlin nicht zu verstehen sind. Die Beschleunigung<strong>des</strong> Informationsumschlags durch den unaufhaltsamen Siegeszug der elektronischenMassenmedien führt latent zu einer weiteren Verkürzung von Themenkarrierenund einer Ausbreitung <strong>des</strong> so genannten „Häppchenjournalismus“, derjeder historischen Perspektive entbehrt. Dadurch wird nicht nur der Mediennutzerüberfordert, sondern auch die Journalisten selbst ebenso wie die Politikvertreter,denen es allesamt immer schwerer fällt, den (Über-)Blick fürs Wesentliche, Langfristige,Sachliche zu behalten. Schuld daran, dass sich die publizistischenRahmenbedingungen derart rasant wandeln und damit die Identität <strong>des</strong> politischenJournalismus im Kern angegriffen wird, sind nicht nur die technologischenSchübe im Bereich der politischen Kommunikation und die Recherchebesonderheitenin der Hauptstadt, sondern in erster Linie die veränderten Konstellationenunter den Berliner Leitmedien.Vergleicht man die unterschiedlichen Mediengattungen und Nachrichtenangebote,wird deutlich, dass nach wie vor das Fernsehen und die Qualitätspresse – insbesondereetablierte Nachrichtenmarken wie Tagesschau und heute, F.A.Z. undSüddeutsche Zeitung –, aber auch die Bild-Zeitung, das Nachrichtenmagazin Spiegelund der Deutschlandfunk den Takt vorgeben. Das Ansehen <strong>des</strong> Fernsehens alslineares Programmmedium hat in der Wahrnehmung der Hauptstadtjournalistenallerdings stärker eingebüßt als je<strong>des</strong> andere Medium. Dieser Bedeutungsverlustist insofern bemerkenswert, als dass die öffentlich-rechtlichen Fernsehveranstalternach dem Aus von Sabine Christiansen ihr Angebot an politischen Talkshowsnoch weiter ausgebaut haben. Dennoch vermag es das Medium nach Einschätzungder Politikberichterstatter nicht, über das basale Informationsangebot in denherkömmlichen Nachrichtensendungen hinaus noch eine tragende Rolle im Agenda-Setting-Prozesszu spielen - selbst Politikmagazine wie „Panorama“ oder„Monitor“ wurden von vielen Befragten als bedeutungslos bezeichnet.Die Funktion <strong>des</strong> Fernsehens beschränkt sich vielmehr fast nur noch auf die Prominenzierung<strong>des</strong> politischen Personals, was zweifellos der Image-Pflege undBekanntheit von Politikern dient, die sachliche Auseinandersetzung mit Politik -themen aber erheblich beeinträchtigt. Während viele Befragte den älteren undneueren politischen Talkshows wie „Anne Will“, „Maybrit Illner“ und „Hart aberfair“ einen schwindenden Einfluss auf das politische Tagesgeschehen attestieren,wurde in den vergangenen Jahren besonders ein Medienangebot zur Pflichtlektüreerhoben, das offenbar kein Hauptstadtjournalist mehr ignorieren kann: SpiegelOnline, das nach Aussage der Befragten mit Abstand schnellste, flexibelste und nachlangen Jahren <strong>des</strong> Darbens inzwischen personell wie redaktionell fürstlich ausgestatteteNachrichtenmedium, hat sich im Bereich der politischen Themensetzung166


den Ruf eines Trendverkünders und unerschütterlichen Agenda-Setters erworben.Der bahnbrechende Erfolg <strong>des</strong> Spiegel-Ablegers in Berlin hat jedoch gravierendeNachteile: Gerade Zeitungsleute, aber auch manche Fernsehmacher, fürchten dieAgilität und den boulevar<strong>des</strong>ken Stil von Spiegel Online – derart aggressiv unddominant kommt ihnen die Berichterstattung vor. Manche Korrespondenten sehensich von den Zentralredaktionen mitunter sogar mit dem Auftrag konfrontiert, denThemen von Spiegel Online nachzuspüren.Politische KommunikationMit dem Regierungsumzug von Bonn nach Berlin und dem späteren Machtwechselder Bun<strong>des</strong>regierung von Rot-Grün zur Großen Koalition veränderten sich nachAussage der Befragten auch die Kommunikationsströme und Medienstrategien<strong>des</strong> politischen Betriebs: Die Zahl der politischen Kommunikations-und Medienkongressenahm exorbitant zu, ebenso die Konzentration der elektronischen undmobilen Kommunikationsmittel. Zudem arbeiteten in der Hauptstadt im Jahr 2008so viele Profis im Kommunikationssektor wie nie zuvor: Die – neben Politik undJournalismus – „dritte Säule“ der Kommunikationspolitik bilden vor allem Politikberater,Pressesprecher und Lobbyisten, die wie die publizistischen Leitmedien inBerlin erheblichen Einfluss auf das Agenda-Setting und das Kommunikationsverhaltender politischen Klasse insgesamt nehmen.Zum Leidwesen der Zeitungsjournalisten hat sich die Interview-Autorisierungdurchgesetzt: Kaum etwas, was im Gespräch gesagt wurde, bleibt unverändert,statt<strong>des</strong>sen wird extrapoliert, umgeschrieben, sinnentstellt. Hier findet das politischeInszenierungsprinzip <strong>des</strong> Fernsehens seine Entsprechung im Gedruckten. DerAustausch der Kommunikatoren ist – wie überhaupt das Miteinander von Medienund Politik – überdies charakterisiert durch neue Spielarten und Restriktionen inder Regierungskommunikation, die es zu Bonner Zeiten nicht gegeben hat, darunterdie informelle SMS-Kommunikation zwischen Journalisten und Abgeordneten, dieden Berichterstattungsdruck in der Hauptstadt abermals potenziert und einzelnenpolitischen Akteuren zunehmend als Mittel zur Profilierung dient, sowie der moderneVideo-Podcast von Bun<strong>des</strong>kanzlerin Angela Merkel, der – absichtlich oder nicht –galant die traditionelle Gatekeeper-Rolle der Medien umgeht.Der präsentistische Charakter und das daraus folgende hohe Inszenierungspotenzialhaben sich also vom Fernsehen auf andere Bereiche der elektronischen Kommunikationverschoben. Vor allem das Internet genießt einen wachsenden Stellenwertbei der Darstellung politischer Prozesse in der Öffentlichkeit, vor allem bei jüngerenMediennutzern.167


Recherche-NetzwerkeDie neuen Möglichkeiten der Hinterzimmer und Nobelgastronomie Berlins habendie Recherche-Kultur der politischen Berichterstattung nach Aussage der befragtenJournalisten grundlegend verändert: Auch wenn schon in Bonn in trauter RundeHintergrundgespräche geführt wurden, ist die gefühlte Nähe <strong>des</strong> Journalismus zurPolitik an den gemeinsamen Dreh- und Angelpunkten offensichtlicher als je zuvor.Persönliche Kontakte, das „Sehen-und-Gesehen-Werden“, sind etwa im Edel -restaurant Borchardt, im In-Lokal Grill Royal, im Café Einstein unter den Lindenoder auf einer der vielen Festivitäten, die Medienhäuser, Großunternehmen undPolitik regelmäßig ausrichten, an der Tagesordnung – zumin<strong>des</strong>t für die MedienundPolitprominenz. Für das ‚Fußvolk’ der Berichterstatter bilden dagegen diegründliche Morgenlektüre der überregionalen Leitmedien und der Griff zum Telefonhörernach wie vor die Hauptinformationsquellen, obwohl das Internet mitkostenlosen Angeboten wie Google-News, Wikipedia und Spiegel Online klassischeRecherchetätigkeiten zunehmend abzulösen scheint. Immer häufiger werdenauch SMS und reine Fernsehübertragungen, etwa von den Sitzungen der Bun<strong>des</strong>pressekonferenz(die für Recherchen ohnehin bedeutungsloser wird), zur Über -brückung der langen Fußwege im Großstadtmilieu genutzt.Zum Ärger vieler Journalisten kommen investigative Recherchen unter BerlinerBedingungen gänzlich zu kurz, was einerseits der ‚kollegialen’ Zusammenarbeitmit den Pressestellen bzw. Pressesprechern von Bun<strong>des</strong>regierung, Ministerien undParteien geschuldet ist, andererseits offenbar auch einem Mangel an (redaktionellenund finanziellen) Ressourcen und dem gestiegenen Zeitdruck im Journalismus. Dasdadurch erzwungene „Nachdrehen“ der Themensetzung einiger führender Leit -medien, darunter vor allem die Bild-Zeitung, zwingt die betroffenen Hauptstadtjournalistenhäufig zu einem ambivalenten Vorgehen: Zwar werden die ethischenGrundsätze der journalistischen Arbeit betont und in Bezug auf private „Tabu-Themen“ auf den Pressekodex verwiesen, doch wird zugleich bemängelt, dass sichdie Berichterstatter dem Druck, sich mit dem Privatleben von Politikern zu befassen,nicht entziehen können, wenn dieses von Boulevardmedien aggressiv auf dieAgenda gehoben wird und dadurch oft unnötig (politische) Relevanz erhält.Einen besonderen Stellenwert in der Informationsbeschaffung nehmen die HintergrundkreiseBerlins ein, die in einem immer unübersichtlicheren Rechercheumfeldals wichtiger denn je eingeschätzt werden. Anders als von einigen Kollegen außerhalbder engeren Politikzirkel suggeriert, geht es dort allerdings vergleichsweiseharmlos zu: Es finden weder konspirative Absprachen statt, noch werden Staatsgeheimnisseausgeplaudert. Vielmehr geht es den Befragten zufolge vorrangig umdas informelle Gespräch zwischen Politikern und Journalisten („Unter drei“) mit168


dem Ziel, ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis aufzubauen. Dabei gibt es größereund kleinere Kreise, darunter journalistische Selbstgründungen und solche, dievon Ministern, Fraktionsvorsitzenden oder anderen Politikern ins Leben gerufenwurden. Je<strong>des</strong> politische Ressort hat min<strong>des</strong>tens einen eigenen Kreis, wenn nichtmehrere, je nach politischer Gesinnung. Eine Besonderheit ist ferner, dass diemeisten Kreise von Männern besucht werden, weshalb sie oft auch abfällig als„Herrenclubs“ abgestempelt werden. Zugangsprobleme zum exklusiven Informationsflusshaben insbesondere (kleinere) Regionalmedien; sie werden nicht nur beiInterviews mit Spitzenpolitikern, in den Kreisen, bei Ministerreisen oder politischenEvents benachteiligt, ihnen fehlt meist auch die Flexibilität und Beharrlichkeit,um den etablierten Leitmedien das Wasser reichen zu können. Gefährdet sinddie Hintergrundkreis als wertvolle Recherchequellen vor allem durch den wachsendenKonkurrenzdruck, wenn sich Journalisten über die Verschwiegenheitspflicht hinwegsetzenund vertrauliche Informationen veröffentlichen. Die Konsequenz ist einzunehmen<strong>des</strong> Misstrauen der politischen Gäste, das die Institution <strong>des</strong> Hintergrundkreisesdamit grundsätzlich in Frage stellt.ConclusioDie Befragten lassen allesamt eine grundsätzliche kritische, auch in Teilen selbstkritischeHaltung zur Arbeitssituation in der Hauptstadt erkennen, konkrete Verbesserungsideenund -ansätze im eigenen Berufsalltag aber vermissen. Sie forderneinerseits mehr (Selbst-)Reflexion im Medienbetrieb, schaffen selbst aber keineeigenen Reflexionsräume, obwohl sie in den geeigneten Führungspositionen innerhalbder Redaktionen sitzen, um derartige Voraussetzungen zu ermöglichen.Erklärt wird die Nachlässigkeit in der kritischen Selbstbeobachtung und Herstellungvon Transparenz häufig damit, dass die Hauptstadtjournalisten in einem„Hamsterrad“ steckten, das ein Ausbrechen aus der täglichen Routine erschwere.Die Recherchesituation der Hauptstadtjournalisten ist von einer starken Ambivalenzgeprägt, die sich aus dem Zusammenspiel von Nähe und Distanz, Ausnutzenund Anfreunden sowie einer erheblichen Unwissenheit in Bezug auf Sachthemenund den jeweiligen Gegenüber ergibt. Die für den Recherchejournalismus zentraleFrage, warum in Berlin so wenig bzw. so mangelhaft recherchiert wird, lässt sichauf Grundlage der Befragung zwar nicht eindeutig beantworten. Die Befunde legenallerdings mehrere Vermutungen nahe, und zwar dass (1) aktualitätsgebundeneRedaktionen generell weniger recherchieren, (2) die Zentralredaktionen eineumfassende Recherche möglicherweise gar nicht erwarten, (3) Recherchen – imökonomischen und ideellen Sinn – nicht (mehr) angemessen honoriert werden und(4) generell nach einem „Zuckerbrot-und-Peitsche“-Prinzip gehandelt wird: Beikritischer Berichterstattung könnten wertvolle Recherchequellen für immerversiegen, umgekehrt könnten publizistische Liebedienereien und ein Hinweg -169


sehen über Affären und Skandale einen dauerhaften Zugang zu Exklusivinforma -tionen garantieren.Die Befragungsergebnisse dokumentieren insgesamt einen zum Teil erheblichenKorrekturbedarf und alarmierende Missstände im praktizierten Hauptstadtjournalismus.Schwer auszumachen ist, wer die eigentlichen Verantwortlichen sind, wirddie Medienpraxis doch durch ökonomische, journalistische, ideologische, medienpolitischeund – immer häufiger – individuell motivierte Einflussnahme deter -miniert.Leif Kramp, Medienwissenschaftler und Journalist, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medien- und Kommunikationspolitik in Berlin,Dr. Stephan Weichert, Kommunikationswissenschaftler und Publizist, ist Projektleiter am Institut für Medien- und Kommunikationspolitik in Berlinund Studiengangsleiter Journalistik an der Macromedia Fachhochschule der Medien in Hamburg.Die Studie wurde im Auftrag <strong>des</strong> netzwerk recherche e. V. durchgeführt und unter www.netzwerkrecherche.de publiziert.170


DER „LIBERTY AWARD“ UNDDER ZUSTAND DES BERLINER JOURNALISMUSDr. Claus Richter*Vor einigen Wochen wurde in einem Berliner Nobelhotel ein neuer Journalistenpreisverliehen, der „Liberty Award“ für, wie es heißt, mutige Journalisten, die derGlauben an den Geist der Freiheit auszeichnet. Das Preisgeld war hoch, € 15.000,-,Preisträger und Jury waren durchaus ehrenwert. Soweit, so schön.Das ganze allerdings lief ab unter Ausschluss der Öffentlichkeit, keine Kamerasund: Alles einschließlich der Bewirtung vom Feinsten wurde gesponsert von einemZigarettenkonzern. Zu diesem gesellschaftlichen Ereignis geladen waren Journalisten,Politiker, Lobbyisten, mit dem erklärten Ziel Netzwerke einzufädeln und zu entwickeln.Netzwerke, die bekanntlich nach dem Grundsatz von Geben und Nehmenarbeiten, also Gefälligkeiten austauschen.Wenn ein Zigarettenkonzern die Freiheit auszeichnet, dann muss man schon sehrnaiv sein, um in diesen Tagen nicht zu vermuten, dass er dabei auch oder vor alleman die Freiheit <strong>des</strong> Rauchens denkt. Ein Freiheitspreis also ausgerechnet der Tabakindustrie,die sich Jahre, ja Jahrzehnte lang die Freiheit nahm, die Öffentlichkeit zutäuschen, zu manipulieren und zu belügen. Seit dem Film „The Insider“ ist dasgleichsam Hollywood-notorisch.Nun – der Abend war ein Erfolg. Die PR-Strategen der Industrie hatten gute Arbeitgeleistet. In ihren vertraulichen Papieren hieß es lange zuvor schon, man müsseJournalisten füttern, sich um sie kümmern, damit sie sich den Unternehmen verbundenfühlen. Solche Strategen sind nicht zu schelten, sie machen nur ihren Jobund werden dafür bezahlt. Wohl aber, so meine ich, sind die Journalisten zu schelten,die sich füttern lassen, die sich – ob sie nun wollen oder nicht – vor den Karreneiner Lobbymaschine spannen lassen, die offenbar kein Gefühl mehr dafür haben,dass es mehr als fragwürdig ist, sich von einem Zigarettenkonzern für den „Glaubenan die Freiheit“ belobigen zu lassen. Früher hätte man das eine Frage der Ehregenannt, zumin<strong>des</strong>t eine <strong>des</strong> Anstands sollte es bleiben.171


Bemerkenswerter aber noch, dass derartiges in der Öffentlichkeit, der journalistischen,kaum diskutiert wird, geschweige denn zu dem berühmten Aufschrei führt.Es ist so, als nehme man es stillschweigend, fast als selbstverständlich in Kauf,dass Journalisten in den Ruf der Käuflichkeit und Kumpanei geraten. Hier stimmtetwas nicht.Ein zweites Beispiel:Die journalistische Öffentlichkeit nimmt es auch hin, dass populäre Persönlichkeiten,die sich Journalisten nennen, werben, für kommerzielle Produkte und dafür wiederumreichlich bezahlt werden. Es handelt sich obendrein um sehr erfolgreichePersönlichkeiten, die ihre Popularität ausgerechnet dem gebührenfinanziertenöffentlich-rechtlichen Fernsehen verdanken.Um nicht missverstanden zu werden: Das alles ist legal. Die Frage ist nur, ob esauch legitim ist, ob Journalisten damit nicht auch noch die Reste ihres Rufs ruinieren.Bei allen Umfragen nach dem Ansehen von Berufen rangieren Journalisten weitunten - ganz nahe bei den Politkern. Völlig unverdient scheint mir das mittlerweilenicht mehr zu sein.Hanns-Joachim Friedrichs war bekanntlich der Meinung, man erkenne einen gutenJournalisten daran, dass er sich mit keiner Sache gemein macht, auch nicht miteiner guten. Er war sich zu fein, um hinzuzufügen, dass ein guter Journalist niemandemzu Diensten ist, sich nicht für irgendwelche Zwecke einspannen lässt, sichnicht sponsern lässt oder Netzwerke bildet mit Politkern oder Lobbyisten. Er sollnur schlicht seine Pflicht tun, kritische Fragen stellen, recherchieren, Regierendenund Mächtigen auf die Finger und zwischen die Zeilen schauen.Ein drittes Beispiel:Das „Project for Excellence“, ein Zusammenschluss kritscher amerikanischer Journalisten,hat sich mit der laufenden Wahlkampfberichterstattung in den amerikanischenMedien beschäftigt. Ergebnis: Mehr als 60% aller Wahlkampfberichtebeschäftigen sich mit Wahlkampfstrategien, Taktiken oder Persönlichkeiten, nichtaber mit politischen Inhalten. Hatte John McCain eine Geliebte? Erinnerte sichClinton falsch an einen Besuch? Welchen Anstecker trug Obama? Solche Fragenbewegten den Großteil der Journalisten. Und das bei einer Wahl, bei der es umKrieg oder Frieden geht, um die Folgen der Globalisierung, schlicht um Fragen vonvermutlich historischer Bedeutung.Ein kluger Kollege meinte, das Publikum werde von derartigen Journalisten wennnicht bewusst in die Irre, so doch ins Irrelevante geführt. Und er schrieb weiter:„Nicht wenige Journalisten wirkten an der Verzwergung ihres Berufstan<strong>des</strong> mit. Sie172


sehen sich mittlerweile als Teil eines medialen Amüsierbetriebs“. Ich fürchte, dassdieser Befund auch hierzulande Gültigkeit hat und dass die Zahl jener Beflissenheits-Journalistenwächst, auch weil sie von ihren marktbewussten Chefredakteurendazu angehalten werden.So scheint es mir umso nötiger, dass Journalisten mit ihresgleichen ins Gerichtgehen, wie sie das auch mit anderen tun. Ich fürchte, dass so etwas wie ein journalistischerVerhaltens- oder Ehrenkodex zunehmend in die Brüche geht, dassimmer mehr Journalisten, hier in der Hauptstadt zumal, sich, wie ein SchweizerKollege beobachtet hat, als Kaste gerieren, stolz darauf sind, dabei zu sein unddazu zu gehören und weniger darauf, ihre Aufgaben zu erledigen, um eben nichtDarsteller in einem Amüsierbetrieb zu werden, dem „Infotainment“ nicht alsUnwort gilt. Um widerum nicht missverstanden zu werden: Journalismus ist auchUnterhaltung, nur darf Unterhaltung nicht das beherschende Kritierium für Journalismuswerden. Journalistische Glaubwürdigkeit hängt ab von der Glaubwürdigkeitder Journalisten.An welchen Grundwerten sollen sich junge Journalisten orientieren? Das ist eineder Fragen, zu der ich mich hier und heute äußern sollte. Nach dem Gesagtem istdie Antwort klar. Wir dienen einer kritischen Öffentlichkeit und wir sollten diesunabhängig tun, wachsam, neugierig und mit allgegenwärtigem Zweifel – auf derSuche nach, nun ja – der Wahrheit.Und, so fragen die Veranstalter weiter, was macht einen guten Journalisten in10 oder 20 Jahren aus? Die Antwort: Das gleiche, was einen guten Journalisten beiallem Wandel der technischen Mittel schon immer ausgemacht hat: Unbequem zusein, sich anzulegen, gelegentlich anzuecken.Lassen Sie sich nicht irre machen, lassen Sie sich nicht ins Irrelevante führen,sorgen Sie mit dafür, dass „viele faule Eier in diesem Land nicht ausgebrütet werden“,weil es Sie gibt. „Richtig informieren heißt auch schon verändern“, schrieb einstRudolf Augstein in einem bis heute sehr lesenswerten Text. Es war ein Vortrag vordem Düsseldorfer Rhein-Ruhr-Club 1953 über die Rolle der Presse in einer parlamentarischenDemokratie. Augstein weiter: „Journalisten sind frei von jeder ihnenaufgezwungenen Richtung und nur ihren Vorurteilen und Irrtümern unterworfen ...“Und welche Hauptgefahr sieht Augstein für den SPIEGEL und eine kritische Presse?„Nun, meine Damen und Herren, dass sie das Wichtige zugunsten <strong>des</strong> Interessantenvernachlässigt ... Die Auflage freut uns, aber sie ist für uns kein Maßstab.“ Klingtvielleicht idealistisch, wahr ist es trotzdem.*Dies sind persönliche Bemerkungen eines Journalisten, nicht eines Sprechers <strong>des</strong> ZDF.173


DIE MACHT DER PRESSESPRECHER– UND DIE ANFORDERUNGENVON JOURNALISTEN*1. Die wachsende Anzahl und zunehmende Spezialisierung von Medienfordert mehr Stoff, der vorbereitet und leicht vermittelbar ist. Pressesprechersind heute wichtige „Stofflieferanten“ für die Medien.Festangestellte Redakteure und freie Journalisten sind damit empfäng -licher für gut aufbereitetes Material von Pressesprechern, <strong>des</strong>sen Wahrheitsgehaltund Nachrichtenwert oft nicht mehr gründlich überprüft wird.Auf Gegenrecherchen und das Abgleichen mit weiteren Quellen wirdleichtfertig verzichtet, um Arbeitszeit und Personal zu sparen.Die zunehmende Konkurrenzsituation im aktuellen Geschäft erhöht denZeitdruck.Für fragwürdige Exklusivmeldungen und kurzlebige Schlagzeilen giltdann der Grundsatz „Schnelligkeit geht vor Qualität“. Man riskiert eherein Dementi, als das Risiko einzugehen, die Meldung nach einer Recherchespäter als die Konkurrenz zu veröffentlichen.Die Bequemlichkeit der Journalisten ist nicht selten das Fundament fürdie Botschaften der Pressesprecher.2. Pressesprecher und Mitarbeiter von PR-Abteilungen sind oft ehemaligeJournalisten, die die Strukturen und Arbeitsweisen der Medien genaukennen. Sie nutzen dieses „know how“ um ihre Botschaften zu platzierenbzw. unangenehme Themen „weg zu telefonieren.“Die erfahrenen „Seitenwechsler“ platzieren ihre Themenangebote zielgruppengenaufür die Bedürfnisse der jeweiligen Redaktionen. Sie orientierensich mit Pressemeldungen am Zeittakt der Redaktionen und verhindernauch dadurch in konfliktreichen Situationen Gegenrecherchenoder engen sie bewusst ein.3. Journalisten sehen sich zunehmend als Dienstleister und „Verkäufer“von Informationen.Die Absicht und Wirkung von interessengebundener Information wird175


von Redaktionen und Journalisten nicht mit der gebotenen Distanz undKritik aufgenommen.Das „Zauberwort Service“ dient als Einfallstor für Beiträge, die oft als„Vorabberichte“ getarnt, einen kritischen Zugriff aushebeln.Service-Informationen in allen Varianten und Spielarten dominieren; diejournalistische Bearbeitung <strong>des</strong> Materials samt kritischer Würdigungwird seltener.4. Langjährige Arbeitsbeziehungen zwischen Pressesprechern undJournalisten fördern die Nähe und gefährden die professionelle Distanz.Nicht nur auf lokaler und regionaler Ebene, wo wenige Journalistenlange für das gleiche Medium arbeiten, geht die Distanz zu den Pressesprechernvon Unternehmen, Institutionen und Behörden oft verloren.Enge Vertrauensverhältnisse fördern Grenzüberschreitungen und Ab -sprachen auf dem „kleinen Dienstweg.“Pressesprecher knüpfen an die journalistischen Defizite an und präsentierenausgearbeitete Themenvorschläge und organisieren Gesprächspartneretc. Dies nimmt z. B. die Form an, dass die Pressesprecherin einer Lan<strong>des</strong>behördeFernsehbeiträge für freie Journalisten vorschlägt, recherchiertund teilweise sogar selbst schreibt, weil die Journalisten nicht willensoder fähig sind, eigene Themen zu finden.5. Immer wieder lassen sich Zeitungsredaktionen auf sogenannteKoppelungsgeschäfte ein.Hierbei wird einem Anzeigenkunden bei Auftragserteilung ein redaktionellerGefälligkeitsartikel versprochen. Bekannt wurde im Sommer <strong>2007</strong>die Praxis einer Berliner Werbeagentur, die für das Bun<strong>des</strong>wirtschafts -ministerium arbeitete. Ihr war es gelungen, gegen Anzeigen wohlwollendeArtikel in der Märkischen Allgemeinen Zeitung zu platzieren und derenChefredakteur für die Moderation einer Veranstaltung <strong>des</strong> Ministeriumszu gewinnen.Dorothee Bölke, Rechtsanwältin und Mitglied <strong>des</strong> Ethikrates derHamburger Akademie für Publizistik, rät bei Kopplungsgeschäften:„Wenn es Belege dafür gibt, dass die Verquickung von Berichterstattungund Anzeigen tatsächlich beabsichtigt war, dann sollte man dies öffentlichmachen und klar als unethischen Vorgang benennen. Erstens leistetman durch die öffentliche Diskussion einen Beitrag zur Unterstützunganderer Redaktionen. Denn man festigt dadurch einen ethischen Standard,der über den Einzelfall und die eigene Betroffenheit hinausgeht.Zweitens sendet man dadurch auch der Werbewirtschaft eine klare Bot-176


schaft, dass Medien dies nicht dulden und dass Agenturen mit solchenVersuchen nicht durchkommen.“6. Kritische Berichterstattung wird von den Pressestellen nicht selten mitInformationsentzug bestraft.Daimler-Chrysler verhängte gegen den Autor einer Glosse über eine missglückteAuto-Präsentation ein Hausverbot. Unter dem Titel „Nachsitzenbei Ulla Schmidt. Gesundheitsreform: Wie das zuständige Ministeriumversucht, kritische Journalisten auf Linie zu bringen“, schrieb CerstinGammelin in der „Zeit“ vom 14.9.2006 über die Einflussname auf kritischeBerichterstattung.Von der diskreditierenden Medienschelte vor Kollegen bis zu schrift -lichen Interventionen <strong>des</strong> Ministeriums bei führenden Tageszeitungenreicht das Spektrum der Reaktionen.7. „Lügen darf man nicht“ - vom flexiblen Umgang mit Fakten„Lügen darf ein guter Regierungssprecher nicht“, so Angela MerkelsRegierungssprecher Ulrich Wilhelm im „Zeit“-Interview. (30.4.2008).Dass die Wahrheit fein dosiert mitgeteilt wird, Ausweich manöver ebensozum Alltagsgeschäft eines Pressesprechers gehören wie das Dementierenund das Abblocken unliebsamer Fragen, sollte für Journalisten zumGrundwissen über diese Berufsrolle gehören. Fast alle Pressesprecherbeklagen in Interviews unzureichende Vorbereitung und oft auch mangelndeBildung der Journalisten. Diese Defizite verhindern fundiertesNachfragen und machen es der Gegenseite (allzu) leicht, Fakten mit einerbestimmten Wertung zu publizieren oder auf bestimmte Fragen nicht einmaleinzugehen. In diesem Fall sind Pressesprecher mächtig, weil sie mitden Schwächen der Journalisten spielen.8. Mut zu Experten aus der zweiten ReiheReferenten oder Fachleute aus den jeweiligen Abteilungen haben oftdetaillierteres Spezialwissen als der Pressesprecher, der zwar den Überblicküber ein Thema hat, sich aber meist auf ein „wording“ beschränktund die Themen nicht unbedingt vertiefen möchte. Durch Recherchen imOrganigramm der Institution oder die nachdrückliche Bitte um Ge -sprächs partner mit langjähriger Berufserfahrung kann man Presse -sprecher umgehen. Ein vorheriges Telefonat mit medienunerfahrenenMitarbeitern kann Mut machen zu einem (Hintergrund)-Interview, dasletztlich ergebnisreicher ist als die „wordings“ der Pressesprecher. Auchschriftlich eingereichte Fragen können eine höhere Informationsdichteliefern.177


8. Wer ist zuständig – wer ist nicht zuständig?Pressestellen in Ministerien haben vielfach Hilfskräfte vorgeschaltet,deren Aufgabe zunächst in der Klärung einer Frage besteht: Ist das entsprechendeMinisterium für das Problem zuständig oder nicht? Man hatvielfach den Eindruck, dass diese „Presseassistenten“ inkompetent undzudem unfreundlich sind. Journalisten äußern immer wieder den Eindruck,dass sie abgewimmelt werden sollen. Manchmal werden vor allemkritischen Anfragen „bewusst“ später bearbeitet.9. Was nützt – was schadet? Die Hauptfrage der PressesprecherBevor es um die Klärung der Sachverhaltsebene geht, prüft der Pressesprecher,ob die Anfrage dem Unternehmen/Ministerium nützt oderschadet. Verspricht sich der Pressemann einen Nutzen von einem Journalisten,dann „gibt er PR-Milch“. Handelt es sich jedoch um kritischeFragen, dann wird gemauert. Fragen zum Beispiel die politischen Magazinevon ARD und ZDF Interviews in Ministerien an, bekommen sie fastimmer eine Absage und müssen sich meist mit dürftigen schriftlichenStatements zufrieden geben.Gegenstrategien:1. Gute Vorbereitung und klare Definition von Informationszielen.2. Erinnern an die Informationspflicht von Pressesprechern in Behörden undöffentlichen Einrichtungen (nach Lan<strong>des</strong>pressegesetzen).3. Verzicht auf „journalistische Serviceleistungen“ in Form von komplett konfektioniertenGeschichten.4. Kritik an selbstgefälligen Pressesprechern gemeinsam aufgreifen und beispielsweisemit Briefen von Journalistenorganisationen und Vereinigungen (Lan<strong>des</strong>presse-Konferenzen)reagieren.5. Botschaften und Interessen von Pressesprechern identifizieren und im Verlaufder Kooperation an die Arbeitsteilung erinnern: Journalisten fragen – Pressesprecherantworten.* Diskussions-Impuls von netzwerk recherche zur Rolle von Pressesprechern.178


„HOCHMUT KOMMT VOR DEM FALL– Überlegungen zur Profilschärfung deröffentlich-rechtlichen Sender im Dualen System“Peter BoudgoustEs war noch nie ganz einfach, zwischen dem Dualen System im Sinne <strong>des</strong> Nebeneinandersvon öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Hörfunk- und Fernsehsendernund dem Dualen System im Sinne <strong>des</strong> Müllrecyclings zu unterscheiden. In diesenTagen aber bekommt man endgültig das Gefühl, das Fernsehen müsse selbst in dieTonne getreten und zerkleinert werden, bevor daraus wieder etwas Anständigeswerden kann. Der pensionierte Großkritiker der deutschen Literaturszene hat sichüber eine lange und vermutlich für einen Mann seiner geistigen Fähigkeiten auchlangweilige Preisverleihung geärgert. Ein kluger Mann, der 88 Jahre alt ist, hatsicher anderes zu tun, als stundenlang zuzusehen, wie Atze Schröder in Admiralsuniformherumturnt oder „Deutschland sucht den Superstar“ zur besten Unterhaltungssendunggekürt wird. Marcel Reich-Ranicki tat nun das, was ihn schon alsKritiker berühmt und berüchtigt gemacht hat: Er lieferte einen gnadenlosen Verriss.Diesmal allerdings nicht den eines Buches, sondern den einer Veranstaltung.Und weil Übertreibung bekanntlich anschaulich macht und Reich-Ranicki noch nieein Mann der leisen Worte und der kleinen Gesten war, verurteilte er gleich inBausch und Bogen das gesamte deutsche Fernsehen und machte einzig und alleinfür Arte eine Ausnahme.Sie kennen die Geschichte und was daraus geworden ist. Interessant finde ichbesonders, wie sich die Debatte auf den Medienseiten der Zeitungen entwickelt.Während Reich-Ranicki sich sehr bald deutlich differenzierter äußerte und zum Beispieldie öffentlich-rechtlichen Preisträger wie Eric Friedler mit seinem Film über dieFamilie Quandt ausdrücklich ausnahm von der Kritik, wurde sukzessive aus einerDebatte über Qualitätsfernsehen eine Debatte über Sendezeiten für Kultur -programme bei ARD und ZDF. Das nahm sich nun schon etwas seltsam aus: Im RTL-Dschungelcamp gewinnt, wer einen Känguru-Hoden verspeist, und eine ProSieben-Castingshow bezieht besondere dramaturgische Fallhöhe daraus, dass eine 16-Jährige mit der Nachricht vom plötzlichen Tod ihrer Mutter konfrontiert wird.Daneben scheint mir die Frage, ob „Aspekte“ um Viertel nach Zehn oder umViertel vor Elf läuft, doch von untergeordneter Bedeutung.179


180Am Sonntag der Vorwoche hat der SWR gewagt, eine Tatort-Folge ins Erste Programmeinzubringen, in der das Thema Sterbehilfe aufgegriffen wurde. Wir habenmit diesem Film, der übrigens von der Kritik einhellig gelobt wurde, sieben MillionenMenschen und 20 Prozent Marktanteil erreicht. Ein fiktionaler Stoff, der abereinen „Sitz im Leben“ hat und so zu einem Programminhalt mit gesellschaftlicherRelevanz wird. Vermutlich haben sich durch diesen Film zur besten Sendezeit mehrMenschen über das Thema tiefe Gedanken gemacht, als wenn wir zum BeispielWissenschaftler, Politiker und Vertreter der Kirchen und Religionsgemeinschaftendarüber hätten diskutieren lassen. Das wäre – seien wir ehrlich – eher ein Abschaltergewesen. So aber hat der Film die Menschen emotional gepackt, dann aberauch rational gefordert. Die Zuschauerpost zeigt uns, dass wir mit diesem Ansatz,auf den ich später noch zurückkomme, ganz richtig liegen.Damit wir uns nicht missverstehen: Eine Debatte über die Qualität <strong>des</strong> Fernsehprogrammsist richtig und wichtig. Wir diskutieren im Übrigen ständig über Fragen derQualität: Intern in Kritikrunden, Redaktionskonferenzen, ARD-weiten Telefonschalten.Und extern mit unseren Rundfunkräten. Doch eine solche Debatte muss ohne Vorurteilegeführt werden, sonst recyclet sie nur alte Klischees, womit wir wieder beider anderen Wortbedeutung <strong>des</strong> „Dualen Systems“ wären.Wer die heutige Situation <strong>des</strong> deutschen Fernsehprogramms beurteilen will, tut,wie so oft, gut daran, „ad fontes“ zu gehen, zu den Quellen und Ursprüngen dergegenwärtigen Situation. Neben die synchrone Betrachtung der Gegenwart mussauch die diachrone Betrachtung, sozusagen der Längsschnitt durch die Medien -geschichte treten. Lassen Sie uns in einem knappen Streifzug ein paar Schlaglichterauf die deutsche Mediengeschichte werfen.Im Blick auf die vergangenen Jahrzehnte lassen sich vier Phasen der Entwicklung<strong>des</strong> Verhältnisses zwischen Privaten und Öffentlich-Rechtlichen, <strong>des</strong> DualenSystems also, ausmachen:Die erste Phase beginnt direkt nach dem Krieg. Die Alliierten Siegermächte installierenin Deutschland ein öffentlich-rechtliches Sendersystem, das dem britischennachempfunden ist. Hugh Greene und andere vertrauten darauf, dass Medien eineDemokratie-fördernde und -festigende Wirkung haben können. Letztlich entsprichtdies dem berühmten Diktum <strong>des</strong> Verfassungsrichters Ernst-Wolfgang Böckenförde,wonach der freiheitliche Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht schaffenkann. Dazu braucht es Sinnstiftung und ethisches Hinterfragen, wie sie in denKirchen stattfindet, aber auch in politischen Parteien und nicht zuletzt im Qualitätsjournalismus.Sicher, das deutsche Mediensystem der Nachkriegsjahre ist im Vergleichetwa zum liberalen amerikanischen System ein streng regulierter Markt,eine öffentlich-rechtliche Monokultur, aber sie funktioniert eigentlich gar nichtschlecht: Die Tagesschau geht auf Sendung und ist bis heute die Institution, an dersich alle Nachrichtensendungen im Fernsehen messen lassen müssen. Die großenPolitikmagazine wie „Panorama“ oder „Monitor“ verärgern die Politiker, finden


aber treue Fans nicht nur unter deutschen Studienräten. Im Unterhaltungsbereichgibt es Straßenfeger wie die Durbridge-Filme „Melissa“ oder „Das Halstuch“, aberauch „Einer wird gewinnen“, sozusagen der Großvater von „Wer wird Millionär“ imeuropäischen Gedanken, oder „Was bin ich?“, das spannende Einblicke in dieBerufe seiner Zeit und in die Sichtweise der Menschen auf diese Berufe ermöglicht.Die Öffentlich-Rechtlichen sind in dieser Phase Monopolisten. Es gibt natürlich denföderalen Pluralismus, der zum Beispiel auch für die politische Verortung mancherPolitikmagazine sorgt, und später tritt das ZDF als bewusst national organisiertesGegenmodell und eine Art Binnenkonkurrenz hinzu. Wenn man überlegt, dass dieProgramm-Macher keine Konkurrenz außer der eigenen fürchten müssen, ist diePro grammqualität und auch die Zugänglichkeit der Inhalte aber insgesamt nichtschlecht.Doch aus Gründen, die Sie alle kennen, bleibt es nicht dabei: In den achtziger Jahrentreten wir in eine zweite Phase der bun<strong>des</strong>deutschen Mediengeschichte ein, dennnun erlebt der private, der werbefinanzierte Rundfunk seinen Urknall. Sein Vaterist Helmut Kohl, der Geburtsort ist Ludwigshafen und Umgebung, wo beim KabelpilotprojektSender wie das heutige SAT.1 und auch RTL ihre ersten Schritte tun.Und natürlich läuft am Anfang noch nicht alles rund. Die Öffentlich-Rechtlichenmögen dieses spätgeborene kleine Schwesterchen nicht, strafen es zunächst mitMissachtung, später mit Spott. Helmut Thoma prägte damals den Satz „Im Seichtenkann man nicht ertrinken“ und trifft damit das Profil der Privaten ganz gut. Privatfernsehengilt als schmuddelig, als BILD-Zeitung auf dem Fernsehschirm, rein aufdie Unterhaltung fokussiert, und die selbst ist noch degoutant: Die Frage, ob sichbei „Tutti frutti“ Damen entblößen dürfen, spaltet die Nation – und Nachrichtensieht man selbstverständlich im Ersten oder Zweiten Programm, die noch ihrenPlatz auf den entsprechenden Knöpfen der Fernbedienung verteidigen.Doch das kommerzielle Fernsehen entwickelt sich weiter, kauft bekannte Journalistenwie Dieter Kronzucker oder Ernst Dieter Lueg ein, engagiert öffentlich-rechtlicheUnterhaltungsgrößen wie Thomas Gottschalk und Günther Jauch und produzierteigene Serien wie „Kommissar Rex“ oder „Wolffs Revier“, die trotz ihrerputzigen caninen Namensgebung für gut gemachte, sauber konzipierte und professionellinszenierte Krimis stehen. Im Schatten eines gewissen Hochmuts deröffentlich-rechtlichen Platzhirsche, die sich auf ihre eingeführten Marken wie„Wetten dass ..?“ und „Tatort“ verlassen, wächst und gedeiht das Privatfernsehenin den 90er Jahren. Das Erste Deutsche Fernsehen holt sich Günter Struve alsProgrammdirektor, der schnell wieder die Marktführerschaft bei den Zuschauerzahlensichert. Und doch nagen die Privaten zunehmend am öffentlich-rechtlichenProgrammportfolio: Im Unterhaltungsbereich zeigen sie die großen Hollywood -filme. Die ARD-Sportschau verliert die Bun<strong>des</strong>liga 1988 an RTL-„Anpfiff“, 1992kommt Sat.1-„ran“ zum Zug und zeigt eine frische, zudem noch sehr erfolgreicheArt der Sportberichterstattung. Doch die vermutlich wichtigste Kernkompetenz der181


182Öffentlich-Rechtlichen, die Information, ficht das noch nicht an. Es gibt eben nureine Tagesschau.Und dann kommt der 11. September 2001, ein Datum, das nicht nur die politischeWeltkarte in Bewegung bringt. Zuallererst ist das natürlich ein Tag, an dem vieleMenschen sinnlos sterben mussten und Traumata entstanden, die heute noch dieamerikanische Politik maßgeblich bestimmen. Nach mehr als sieben Jahren lässtsich jedoch auch ein medialer Blick auf das Geschehen wagen: In Deutschland wardies der große Durchbruch für den Anchorman Peter Kloeppel von RTL. Währendzum Beispiel die ARD eine ganze Weile brauchte, bis endlich Uli Wickert auf Sendunggehen konnte, lieferte RTL, natürlich auch dank der Bilder von CNN, sehrzügig eine handwerklich vernünftige Berichterstattung, die manch öffentlich-rechtlichemSender an diesem Tag gut zu Gesicht gestanden hätte. Damit wird auch demletzten Programmverantwortlichen bei ARD und ZDF klar: Hochmut kommt vor demFall. Es galt, sich mit der Konkurrenz auseinanderzusetzen. Und zwar in allenTeilen <strong>des</strong> öffentlich-rechtlichen Auftrags, der ja bekanntlich Information, Bildungund Unterhaltung umfassst.Nun glänzen die kommerziellen Sender nur bedingt mit wirklich eigenen innovativenIdeen. Gerade die sehr erfolgreichen Shows wurden fast alle nicht in Deutschlanderfunden, sondern aus dem Ausland lizenziert. Das Konzept für „Wer wird Millionär?“ist bis zur Lichtsetzung und Studiodekoration dem britischen Original „Whowants to be a millionaire?“ nachgeahmt. Die Sendung ist in mittlerweile 107 Länderweiterverkauft worden - und wird wie Coca Cola nur marginal an die jeweiligenlokalen Gegebenheiten angepasst. Dasselbe gilt für „Deutschland sucht denSuperstar“, das als „Pop Idol“ ebenfalls jenseits <strong>des</strong> Ärmelkanals erdacht ist, undnatürlich auch für „Germany’s next Topmodel“, das als „America’s Next Topmodel“erdacht wurde. „Das perfekte Dinner“ heißt im Original „Come Dine with me“, undauch das Dschungelcamp stammt aus Großbritannien.Natürlich ist es keineswegs verwerflich, in Deutschland ausländische Showformatezu lizenzieren, es wäre ja sogar merkwürdig, wenn in einer globalisierten Weltausgerechnet der Fernsehmarkt von dieser Entwicklung ausgenommen wäre. DasProblem ist aber ein anderes: Es gibt in dieser dritten Phase, die ich auszumachenversuche, nach der öffentlich-rechtlichen Monokultur und der Geburt der Privaten,zu wenig Innovation und statt <strong>des</strong>sen zu viel Imitation. Und das gilt – leider – auchfür die Auseinandersetzung von ARD und ZDF mit der Konkurrenz.Die Öffentlich-Rechtlichen werden vom Erfolg der kommerziellen Konkurrenz überraschtund ahmen sie nach, statt vermehrt eigene Ideen zu entwickeln. RTL hat eineDaily Soap – also brauchen wir auch eine. Bei Pro Sieben ist Bruce Darnell erfolgreich– also holen wir ihn ins Erste.Aber da liegt das Problem: Die genannten Formate der Privaten sind oft genau dasGegenteil von öffentlich-rechtlich: Bei „Deutschland sucht den Superstar“ suchtsich Dieter Bohlen den „Deppen <strong>des</strong> Tages“ aus, der dann beim feixenden Publi-


kum der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Wenn beim Dschungelcamp nicht min<strong>des</strong>tenstausend Kakerlaken auf den Kandidaten niedergehen, wären die Machernicht zufrieden. Und auch bei „Germany’s Next Top Model“ muss schon eineKandidatin nach einer vernichtenden Kritik durch die Jury heulend aus dem Raumrennen, bevor die nötige dramaturgische Fallhöhe erreicht ist. Für diesen Zynismusdarf es bei uns im Programm keinen Platz geben.Wenn wir als ARD nun eine solche Programmidee oder einen Protagonisten wieBruce Darnell übernehmen, dann geht das naturgemäß nur in einer „entgifteten“Form. Ein weichgespülter Bruce hat sich bei uns rührend um die Mädchen gekümmert,sie eben nicht vorgeführt - aber das wollte niemand sehen. Um ein Formatder 90er aufzugreifen: Wenn aus dem „heißen Stuhl“ von Sat.1 in der ARD der„lauwarme“ Stuhl wird, ist auch das Interesse <strong>des</strong> Publikums nur lau.Die ARD hat für „Bruce“ und ähnliche Formate viel Kritik eingesteckt – zu Recht.Das Anliegen dieser Sendung aber ist ein ehrenwertes: Nämlich ein jüngeres Publikumfür uns zu gewinnen. Natürlich ist mir wohler dabei, wenn das mit Serien wie„Türkisch für Anfänger“ gelingt, die dann auch noch reihenweise Preise abräumen.Aber wir sind hier, wie alle anderen Sender auch, auf das Prinzip Trial and Errorangewiesen. Ganz klar: „Bruce“ war Letzteres und darf meines Erachtens nur nochals „schlechtes Beispiel“ dienen. So hat jeder seinen Platz in der Fernsehgeschichte.Sie müssen sich vorstellen, dass bei uns – überspitzt formuliert – Über-50-Jährigeein Programm für 30-Jährige machen. Zwischen diesen beiden Gruppen liegennatürlich Welten. Deshalb wäre es sicher nicht verkehrt, mal unsere eigenen30-Jährigen daran zu setzen und einfach machen zu lassen. Wir haben hervor -ragende Programmkreative in unseren Reihen, und je<strong>des</strong> Jahr kommt spannenderNachwuchs hinzu. Weil ich regelmäßig die neuen Volontäre mit auswähle, kann ichdas aus eigener Anschauung bestätigen.Deshalb plädiere ich nachdrücklich für den Eintritt in eine vierte Phase: Die Öffentlich-Rechtlichensollten sich auf ihre eigenen Werte besinnen. Wir haben genugPfunde, mit denen wir wuchern können, und müssen die Privaten nicht imitieren.Auf dem Innovationsplatz, den wir im Ersten am späten Sonntagabend eingerichtethaben, liefen in diesem Sommer schon einige spannende Formate: „Echtzeit“ vomWDR zum Beispiel, eine Magazinsendung, bei der es keine Moderationen mehrgibt, sondern der Zuschauer das Gefühl hat, bei der Redaktionskonferenz dabei zusein. Dieser Werkstattcharakter, bei dem auch die Informationen hinter der Newszur Sprache kommen, verträgt sich gut mit dem öffentlich-rechtlichen Verständnisvon Journalismus. Auch das SWR-Format „Kuttners Kleinanzeigen“ ist nah dran anden Menschen, ohne sie vorzuführen oder bloßzustellen. Und die 3Sat-Reihe„Charlotte Roche unter Bestattern“, „ ... unter Jägern“ usw. hat mir auch sehr gefallen.Was 3Sat angeht, muss ich sagen: Hier irrt Herr Reich-Ranicki ganz eindeutig – dasProgramm wird immer besser.183


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Noch ein letztes Beispiel für gelungene Programmkonzepte möchte ich ansprechen:Die Kombination aus Spielfilm und <strong>Dokumentation</strong> oder Gesprächssendung. DerContergan-Film hat mit seinem emotionalen Zugang zum Thema mehr alssieben Millionen Zuschauer vor die Bildschirme gelockt. Und als anschließendFrank Plasberg mit Contergan-Opfern ins Gespräch kam, blieb ein maßgeblicherTeil das Publikums „dran“. Gleiches wollen wir bei unserem Film „Mogadischu“über die Entführung der „Landshut“ versuchen: Der Film kommt am 30. November,einem Sonntag, um 20.15 Uhr. Anschließend wird sich Anne Will mit dem Themabeschäftigen, und danach bringt der SWR eine <strong>Dokumentation</strong> zum Thema in dasErste ein, die zu den aufwändigsten nichtfiktionalen Produktionen in der Geschichteunseres Senders zählt. Auch das ist ein Versuch – hoffentlich ein erfolgreicher.Und wenn es nicht klappt, dürfen wir natürlich nicht aufgeben. Wir müssen mitanspruchsvollen Stoffen möglichst viele Menschen ansprechen. Ein Theaterdirektorwill ja auch nicht vor leerem Haus spielen, und auch ein Pfarrer wünscht sichvolle Kirchenbänke. Deshalb „schielen“ wir auch nicht auf die Quote, wie uns oftvorgeworfen wird: Nein, wir schauen ganz offen und ganz genau hin auf die Quote,denn sie zeigt uns an, ob die, die für unser Programm mit ihren Gebühren bezahlen,es am Ende auch anschauen und anhören. Wenn nicht, machen wir etwasfalsch. Quote steht für Akzeptanz, und da hat sie durchaus ihren Sinn. Mir machtes Sorgen, wenn uns die Medienforscher belegen, dass die „Sportschau“ nahezudas einzige Format im Ersten ist, das von Männern unter Vierzig noch signifikantgesehen wird. Es muss uns gelingen, auch jüngere Menschen anzusprechen. ImHörfunk klappt das schon sehr gut, weil wir hier durch verschiedene Wellen diversifizierenkönnen, wie Sie im Laufe <strong>des</strong> heutigen Tages auch beim Vortrag überDASDING, unser Programm für junge Leute, erfahren werden. Im Fernsehen ist diesaufgrund der begrenzten Anzahl von Kanälen schwieriger. Hilfe kann unter anderemdas Internet bringen, wo sich jeder sein Programm zusammenklicken kann,wann er oder sie es sehen will.Wir müssen nicht wie RTL große Werbekunden akquirieren, damit unser Programmbezahlt wird. Aber wir müssen dafür sorgen, dass es beim Publikum ankommt,sonst ist eine allgemeine Rundfunkgebühr nicht zu vertreten. Trotzdem sollten wirden Privaten nicht nacheifern – der Markt ist groß genug, dass wir alle gut nebeneinanderleben können. Hier sehe ich auch die Chance für ein gutes Nebeneinandervon öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Sendern. Kurz gesagt: So langeRTL aus dem Dschungelcamp sendet und wir aus der Mitte der Gesellschaft, ist mirum die Zukunft <strong>des</strong> Dualen Systems nicht bange.Rede <strong>des</strong> SWR-Intendanten bei den 4. Bad Boller Medientagen in der Evangelischen Akademie, Bad Boll, am 18. Oktober 2008185


BROT & SPIELE: FINANZ-MACHT UND DEMOKRATIE-VERFALL„Das Fernsehen ist doch selber mit sich nicht glücklich. Das ist eine dieser großen Maschinen,die meint, sie müsse die Gelder, die sie ausgibt, rechtfertigen mit Masse, eben durch die Quote.Das ist eine ganz schlechte Basis, gutes Fernsehen zu machen.“ Edgar Selge (60), SchauspielerSeit nunmehr dreizehn Jahren bemüht sich der MainzerMedienDisput die Trends zur Inszenierungvon Politik, zur Umkehr von wichtigen und unwichtigen Themen, zur Ausdehnung <strong>des</strong> Boulevardsund zur gnadenlosen Personalisierung aufzuspüren. Mit großer Konstanz wurden immer wiederEinzelfacetten der internationalen Medienentwicklung und -politik beleuchtet. Doch 2008 wollenwir den Focus auf die vielschichtigen Wechselbeziehungen von Finanz- und Medien-Macht,-Politik und Demokratie-Entwicklung konzentrieren.■ In einer ungewöhnlichen Blitzaktion wurde ein 500-Milliarden Hilfsprogramm zur Stabilisierung<strong>des</strong> deutschen Finanzsystems offeriert. Ein Ausnahmevorgang in der Parlamentsgeschichte.Dieser Hoch-Risiko-Vorgang wirft die Frage auf, ob der Wirtschaftsjournalismus seiner KontrollundAufklärungsfunktion in der Vergangenheit gerecht wurde? Oder – haben sich viele im Wirtschaftsjournalismuslängst an eine „diplomatische Sonderrolle“ gewöhnt und auf Ereignis-Journalismuskapriziert. Gab es entsprechende Warnrufe und Alarmsignale? Oder lautes Schweigen?Oder haben sich Wirtschaftsjournalisten zu sehr an das „wording“ der hochgetunten PR-Mitarbeiterin den Banken gewöhnt? Darüber wird in Mainz gestritten.■ „Sport ist Unterhaltung“ – dieses Credo hört man immer wieder von Chefredakteuren, dieauch für dieses scheinbar so unpolitische Ressort zuständig sind. Allerdings nur hinter vorgehaltenerHand. Denn der Mythos <strong>des</strong> seriösen, hintergründigen und analytischen Journalismusrund um das attraktive Massenspektakel soll mit allen Mitteln zementiert werden. Während <strong>des</strong>MainzerMedienDisputs nehmen wir in diesem Jahr einen Seitenwechsel vor, schauen uns und dieSchattenseiten <strong>des</strong> journalistischen Sportbetriebs an, nehmen die Duz-Maschinen unter dieLupe, untersuchen die Einflusszonen der Rechte-Dealer und die Geldströme zwischen den„Sportunternehmen“ und den „Sport-Abspiel-Stationen“■ Gerhard Hofmann, langjähriger Korrespondent in Bonn und Berlin hat die Irrungen undWirrungen <strong>des</strong> Hauptstadtjournalismus in einem Buch analysiert: „Längst sind alte Unterscheidungsmusterzwischen wichtig und unwichtig aus dem Blickfeld geraten. Lappalien werden zuTopstories aufgeblasen. Nebensächliches wird zur Sensation, die allerdings auch nach einemhalben Tag wieder vergessen ist. Die Medienmaschine dreht immer schneller, verlangt immermehr und in immer rascherer Abfolge Treibstoff. Wir ertrinken im Scheinbaren.“ Lutz Hachmeisterhat die „ungesunden Beschleunigungstendenzen“ kritisiert und „auch die verschärfteKonkurrenz um Pseudo-Nachrichten in der Hauptstadt, wo die wirklich entscheidenden politischenund legislativen Prozesse, die sich auf der Ebene von Ministerialbeamten und Lobbyistenabspielen, zu selten reportiert werden.“ (dpa, 7.5.08) Alarmzeichen für eine Gesellschaft, die anSelbstaufklärung interessiert sein muss, eine Bankrotterklärung für eine Wissensgesellschaft, diesich das Mantra der Excellenz einredet. Aber auch ein Paradies für die so genannten „Spindoctoren“,die anonym und professionell dieses System füttern, Nachrichten liefern und denGeschichten den „richtigen Dreh“ geben.■ Diese und andere relevante Themen werden von Journalistenverbänden und der Medienpolitikkaum aufgegriffen. Statt<strong>des</strong>sen sind die Medienpolitiker zunehmend dem Lobbydruck derVerleger und privater Programmanbieter ausgesetzt. Ihr (erstes) Ziel: dem öffentlich–rechtlichenRundfunk soll im weltweiten Netz nur eine Mini-Nische zugestanden werden. Man hat den Eindruck:dem Dackel soll ein Maulkorb verpasst werden, während die Kampfhunde im Netz freienLauf haben. Welche Wirkung die anhaltende Kampagne hat, wohin die aktuelle Medienpolitik


treibt, welche Interessen Brüssel verfolgt und was das alles mit den Mediennutzern und derMeinungsfreiheit zu tun hat, steht ebenfalls auf dem Mainzer Debatten-Programm.■ Heute kann man wohl ohne Übertreibung diagnostizieren, dass die Kluft zwischen dem Einflussder Medien in der Demokratie einerseits, der Analyse ihrer Arbeitsweise, Wirkungsmechanismenund Defizite andererseits, größer geworden ist. Die Wirkungen der Medien auf Politik, Wirtschaftund Gesellschaft wachsen, Medienkritik und Medienanalyse oder gar die journalistische Selbstreflexionbleiben aber eine Orchideen-Disziplin. Dabei wäre eine Diskussion über eine verwilderteProfession überfällig. Immer mehr sehen im Journalismus einen technischen Beruf, der angeliefertesMaterial zielgruppengerecht für das jeweilige Medium verpackt. Viele sind an Recherche, Fachwissen,Erfahrungs-Kompetenz nicht mehr interessiert. Das Leitbild <strong>des</strong> „klassischen“ Journalisten,der aus eigener Kenntnis, Anschauung und Sachverhaltsklärung, auf der Grundlage eigenerRecherchen seine journalistischen Aufgaben bewältigt, wird zunehmend abgelöst. Von schnellen,technisch versierten Nachrichtenverwertern, die fremde Informationen konfektionieren, hypen undaufmotzen.■ Ein Medienmanager spricht aus, wie er sich guten Journalismus vorstellt, was die meisten seinerKollegen über „Qualität“ denken, aber so nicht sagen würden. „Qualität ist für uns Quote.Wenn Qualität keine Quote bringt, ist für uns das Spiel vorbei.“ Der Ex-Vorstandsvorsitzende derProSiebenSat.1 Media AG, Guillaume de Posch hat mit dieser Definition die krisenhafte Lage derMedien vor dem Club Hamburger Wirtschaftsjournalisten auf den Punkt gebracht (dpa, 16.10.07).■ Relevante Inhalte, überprüfte Informationen, Quellenvielfalt, das Interesse an Aufklärung, einereflektierte Haltung zum Beruf sind Klammern für einen Qualitätsjournalismus, der demokratischeTeilhabe ermöglichen und gesellschaftliche Integration fördern kann. Qualitätsjournalismus in diesemSinne ist der Kitt, der eine demokratische Gesellschaft zusammenhält und einen Diskurs überwichtige Entscheidungen für das Zusammenleben der Menschen in Rede und Gegenrede vorantreibt.Über diesen auch verfassungsrechtlich geschützten Aufgaben <strong>des</strong> Journalismus will derMainzerMedienDisput 2008 diskutieren. Mit interessanten Vorträgen, spannenden, kontroversenDiskussionen und konstruktiven Lösungsvorschlägen. Der MedienDisput im ZDF Konferenzzentrumin Mainz bleibt seiner Tradition treu und folgt seiner Linie: „Nicht verzagen.“Die ProjektgruppeProjektgruppe:Gerhard KrausDr. Thomas LeifThomas MeyerUli RöhmBertold RungeProjektmitarbeit:Michael GrabenströerWilfried VoigtOrganisation:MGS Marketing GmbHMarketing-ServicesGünter SchreiberGesellschafter und Mitveranstalter:Staatskanzlei Rheinland-PfalzFES – Friedrich-Ebert-StiftungLMK – Lan<strong>des</strong>zentrale für Medienund KommunikationRheinland-PfalzKontakt:Tel.: 0 26 34/96 88-12/13/14Fax: 0 26 34/96 88-19info@mediendisput.deMedienpartner <strong>des</strong> MainzerMedienDisputs:Beirat:Monika FuhrManfred HelmesDr. Joachim KindCarla Schulte-ReckertReinhard WeilAnschrift:Haus ForstMittelstraße 556579 Hardert


Auftaktveranstaltung im SWR-Lan<strong>des</strong>funkhaus · 2. Dezember 2008ZWISCHEN WAHRHEIT UND WIRKLICHKEIT: POLITIK MACHT MEDIEN18.30 Uhr Waldemar Martynel Musikalischer Auftakt: Klavier Soli19.00 Uhr BegrüßungDr. Simone Sanftenberg9.00 Uhr Kaffee & Kommunikation9.15 Uhr Musikalischer Auftakt Marching Band „Ensemble Klanggewitter“9.20 Uhr Einstieg und BegrüßungAnke FuchsVorsitzende <strong>des</strong> Vorstan<strong>des</strong>der FES – Friedrich-Ebert-StiftungEinwürfe zur aktuellen QualitätsdebatteManfred HelmesDirektor der LMK – Lan<strong>des</strong>zentralefür Medien und KommunikationMarkus SchächterIntendant <strong>des</strong> ZDF10.00 Uhr Keynote zum Thema: Medien als Komplizen der PolitikFrank A. MeierChefpublizist Ringier-Verlag10.30 Uhr Panel 1: Boulevardisierung und Leitmedium BILDLead in: Stefan Niggemeier „Enttarnen<strong>des</strong> & Entlarven<strong>des</strong>…“10.40 Uhr Disput 1: Surfen auf der Boulevard-WelleChristian SchüleFreier Autor, Essayistvs. Patricia RiekelChefredakteurin Bunte (angefragt)Disput 2: BILD: Das Leitmedium deutscher JournalistenProf. Dr. Carsten Reinemann IfKW Münchenvs. N.N.Mitglied der Geschäftsleitungder Axel Springer AG (angefragt)Moderation:Alfred Eichhorn, RBB<strong>12.</strong>00 Uhr Kabarettistischer Zwischenruf Matthias Deutschmann, Mainzer Medien Agent<strong>12.</strong>15 Uhr MittagspauseSWR, Lan<strong>des</strong>senderdirektorin19.10 Uhr Kabarettistischer Auftakt Matthias Deutschmann, Mainzer Medien Agent19.20 Uhr Monolith:Andrea Ypsilantiim Gespräch mit19.45 Uhr PodiumsdiskussionTissy BrunsSabine AdlerUwe-Karsten HeyeRudolf DreßlerModeration:SPD-Fraktionsvorsitzende im Hessischen LandtagDr. Thomas Leif, Chefreporter, SWRDer TagesspiegelDeutschlandradio KulturRegierungssprecher a.D., CR „Vorwärts“Botschafter a.D.Dr. Thomas Leif21.30 Uhr Waldemar Martynel Piano-FinaleTagesveranstaltung im ZDF-Konferenzzentrum · 3. Dezember 2008Vormittagsprogramm


Tagesveranstaltung im ZDF-KonferenzzentrumParallelveranstaltungen13.40 Uhr Forum 2: Brot & Spiele · Cash-Cow SportEinspieler von Arnd Zeigler zu „Brot & Spiele“BROT & SPIELE: FINANZ-MACHT13.00 Uhr Musikalischer Auftakt13.15 Uhr Monolith:Ministerpräsident Kurt Beckim Interview mitPodiumsdiskussion:Dr. Michael VesperImke DuplitzerNikolaus BrenderProf. Ines GeipelModeration:Generaldirektor DOSBDegenfechterin, OFC BonnChefredakteur, ZDFEx-Weltrekordlerin, AutorinCathrin Kahlweit, Süddeutsche Zeitung14.40 Uhr Forum 3: „Alles Schnulli-Bulli“ · Duz-Maschinen und Tabuzonen im SportZwischenruf: „Ratzfatz… - sprachlos!“ (Sportsemantik mit Arnd Zeigler)PodiumsdiskussionRainer HolzschuhRolf TöpperwienJürgen KloppArnd ZeiglerHajo SeppeltModeration:Chefredakteur „kicker“Sportreporter, ZDFTrainer Borussia Dortmund (angefragt)Autor, Kolumnist, ModeratorSportjournalist, ARDJürgen Schmidt, SWR (angefragt)15.30 Uhr Kaffeepause16.00 Uhr Preisverleihung16.30 Uhr Forum 4: Zwischen Finanz- und Realwirtschaft · Hat der deutsche Wirtschaftsjournalismusversagt?Dr. Nicolaus FestStv. Chefredakteur BILDUwe VorkötterChefredakteur FRDr. Wolfgang Kadenehem. Chefredakteur „manager magazin“Rudolf DreßlerBotschafter a.D.Michael BestBörse im ErstenModeration:Prof. Dr. Christoph Moss, ISM, DortmundSponsoren und Wirtschaftspartner<strong>des</strong> MainzerMedienDisputs:


UND DEMOKRATIE-VERFALL3. Dezember 2008 · NachmittagsprogrammMarching Band „Ensemble Klanggewitter“Vorsitzender der Rundfunkkommission der LänderHans-Jürgen Jakobs, Süddeutsche ZeitungParallelveranstaltungen13.40 Uhr Forum 5: „Der Drei-Schluchten-Test“ – Medienpolitik zwischen Kontrolleund KommerzProf. Dr. Dieter DörrDirektor, Mainzer MedieninstitutFritz RaffIntendant <strong>des</strong> SRProf. Dr. Norbert Schneider Direktor LfM NRWGötz MäuserPermira Beteiligungsberatung GmbHPhilipp SchindlerGeschäftsführer Google Deutschland,(oder Vertreter)Österreich, Schweiz und SkandinavienModeration:Prof. Dr. Hansjürgen Rosenbauer14.40 Uhr Forum 6, Disput: Im Wolfsrudel: Spin(ner), Treiber und Getriebene –Zur Krise <strong>des</strong> HauptstadtjournalismusLeif KrampIfM, Berlinvs. Tissy BrunsDer TagesspiegelModeration:Gottlob Schober, SWRÄnderungen vorbehalten!Die <strong>Dokumentation</strong>en der letzten acht Jahre von 2000 bis <strong>2007</strong> sowie aktuelle Auftragsarbeiten und Studien<strong>des</strong> MainzerMedienDisputs erhalten Sie als <strong>PDF</strong>-Download unter www.mediendisput.de.„Leuchtturm für besondere publizistische Leistungen“von netzwerk recherche und MainzerMedienDisput16.30 Uhr Forum 7: „Was mit Medien…“ · Von der Substanz zum ZeitgeistGert MonheimAutor und Redakteur, WDRWolf SchneiderJournalist und AutorDr. Dominik Wichmann Chefredakteur „SZ-Magazin“ (angefragt)Michael EbertChefredakteur „Neon”Michael Schornstheimer Journalist und AutorModeration:Kuno Haberbusch, NDR


IMPRESSUM<strong>Dokumentation</strong> zum MainzerMedienDisput –BROT & SPIELE, FINANZ-MACHT UND DEMOKRATIEVERFALLin MainzKonzeption und Redaktion:Korrekturen:Gestaltungskonzept & Artwork:Titel & Karikaturen:Fotos:Druck:Dr. Thomas Leif (verantw.)Albrecht UdeNina Faber de.sign, WiesbadenGerhard Mester, WiesbadenMGS, Michaela VeithColorDruck LeimenISBN: 978-3-89892-996-7 November 2008192


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