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Presse - MainzerMedienDisput

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2007© MGS Marketing-Services GmbHClaudia Kristine HuberBlack Box BrüsselJournalismus zwischen Affirmation und Kontrolle


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box BrüsselInhaltsverzeichnisVorwort 51. Einleitung 61.1 Stand der Forschung 92. Allgemeiner Überblick 112.1 Politischer Journalismus und Demokratie 112.1.1 Theorien der Nachrichtenproduktion 112.1.2 Gatekeeper-Forschung 122.1.3 Agenda-Setting 132.1.4 Deutsche Journalisten 132.1.5 Die Arbeitssituation in Brüssel 142.2 Politische Öffentlichkeitsarbeit 152.2.1 PR und politische Kommunikation in der EU –Besonderheiten und Schwierigkeiten 152.2.2 Die Interdependenz zwischen Politik und Medien –Die Makroperspektive 162.2.3 Die Interaktionen zwischen PR-Personal und Journalisten –Die Mikroperspektive 173. Forschungsfragen 184. Methode 184.1 Die befragten Journalisten 184.2 Analyse und Interpretation 205. Ergebnisse 215.1 Politik jenseits öffentlicher Kontrolle 215.2 Das System Brüssel: Kein Nachrichtenwert 225.2.1 Bürokratie statt Showdown 225.2.2 Komplexitätsfalle 225.2.3 Black Box Brüssel 235.3 Der Arbeitsplatz Brüssel 245.3.1 Raumschiff Brüssel – ein spezieller Posten für Korrespondenten 255.3.2 Deadlines und Zeitdruck 265.3.3 Der Einfluss der Heimatredaktion 275.4 Steckbrief: EU Korrespondent 285.4.1 Einstellungen zur Europäischen Union 285.4.2 Journalistische Rollen 285.4.3 Das Publikumsbild der Journalisten 295.5 Der Umgang von Journalisten mit Informationsquellen 305.5.1 Die Europäische Kommission 305.5.2 Das Europäische Parlament als Informationsquelle 313


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box Brüssel5.5.3 Der Europäische Rat und der Ministerrat als Informationsquellen 325.5.4 Unter drei 335.5.5 Eine Lawine von Information 355.5.6 Die Hackordnung 355.5.7 Kooperation zwischen Brüsseler Journalisten 365.5.8 „Der nationale Klüngel“ 375.6 Agenda Setting 385.7 Recherche-Journalismus in Brüssel 406. Handlungsempfehlungen 416.1 Verbesserungspotentiale auf Seiten der Medien 416.1.1 Journalisten 416.1.2 Medienorganisationen 416.2 Verbesserungspotentiale auf Seiten der Politik 426.2.1 Nationale politische Institutionen und Akteure 426.2.2 EU-Institutionen und politische Akteure 427. Fazit 448. Literatur 46Danksagungen, Biographie 50Veranstalter des <strong>MainzerMedienDisput</strong>s:ImpressumHerausgeber:<strong>MainzerMedienDisput</strong>zum 12. <strong>MainzerMedienDisput</strong>am 21./22.11.2007www.mediendisput.dec/o MGS Marketing GmbHMittelstraße 556579 Hardertinfo@mediendisput.deTel. 02634/9688-0Fax 02634/9688-19verantwortlich:die Projektgruppe <strong>MainzerMedienDisput</strong>Redaktion: Dr. Thomas LeifAutorin: Claudia Kristine HuberStudentische Projektmitarbeiterin: Franziska OehmerDiese Studie ist in Zusammenarbeit mit demInstitut für Medien- und Kommunikationspolitik(IfM) in Berlin entstanden. Sie wurde aus Etatmittelndes <strong>MainzerMedienDisput</strong>s und zweckgebundenenZuweisungen der FES – Friedrich-Ebert-Stiftung undder Ing DiBa AG gefördert.Gestaltung und Satz: MGS Marketing GmbHDruck: Görres Druckerei GmbH56070 Koblenz©<strong>MainzerMedienDisput</strong>, November 20074


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box BrüsselVorwortEuropa braucht eine bessere und intensivere journalistischeBegleitung – Die „Black Box Brüssel“ bremst dieeuropäische Integration.Wer sich mit Europa, den europäischen Institutionenund dem Machtgeflecht in Brüssel beschäftigt, wirdmeist milde belächelt – oder ignoriert. Die alte These,dass politische Macht stets von einer besonderenmedialen Aufmerksamkeit begleitet wird, ist im „FallEuropa“ außer Kraft gesetzt. Diese Erfahrung musstesogar der frühere Bundespräsident Roland Herzogmachen. Seine scharfe Kritik am Demokratieverfall dereuropäischen Institutionen und der unzulänglichenKontrolle europäischer Institutionen ist t r o t z prominenterPlatzierung unter anderem in der Welt am Sonntag,weitgehend ignoriert worden. Die politische Klasseschweigt, obwohl es um ihre eigenen Interessen geht.Warum die europäischen Institutionen – insbesonderedie mächtige Kommission - nicht an einer wirksamenKontrollfunktion der Medien interessiert ist, könnteman noch verstehen. Keine Bürokratie, auch keine gutgeölte Ministerialbürokratie, lässt sich gerne in die Kartenschauen. Aber warum Europa-Politiker und diedemokratischen Parteien sich mit der systematischenmedialen Vernachlässigung ihrer Arbeit und ihrer Aufgabenabgefunden haben, bleibt im Dunkeln.Für den <strong>MainzerMedienDisput</strong> war dieses Ausgangs-Szenario der Grund für die auf den ersten Blick sperrigeThemenwahl in diesem Jahr. Die europäische Öffentlichkeit,dieChancen und Grenzen der Medienberichterstattungund Vorschläge für eine Verbesserung der Transparenzim „Raumschiff Brüssel“ stehen im November 2007auf derTagesordnung.In guter Tradition wollen wir diese überfällige Debattemit der vorliegenden Studie der KommunikationswissenschaftlerinClaudia Huber unterfüttern. Frau Huberpräsentiert Ihnen in der Studie „Black Box Brüssel“ diewichtigsten Erkenntnisse der vorliegenden Forschung.Sie hat zudem die Arbeitspraxis der Journalisten inBrüssel erkundet, Defizite und deren Hintergründe analysiertund die Systeme von „agenda setting“ und„agenda cutting“ untersucht. Aus der Summe ihrerErkenntnisse leitet sie zudem konkrete Lösungsvorschlägeab.Im Rahmen der „modernen Begegnungsindustrie“ rauschendie Worte auf den Kongress-Podien oft rasch vorbei.Damit sie die Argumente, Thesen, Analysen und klugenGedanken später noch einmal neu sortieren undeinordnen können, liefern wir Ihnen mit dieser Studieden intellektuellen Kitt, der die vielen Mosaiksteinezusammenhält. Auch die vorangegangenen Studien desMMD haben diesen Zweck erfüllt und ein breites medialesEcho gefunden. Uns geht es vor allem darum, verdichtetesWissen gut aufgearbeitet zu präsentieren.*Wir hoffen, dass wir damit dem selbst gesteckten Zieldes <strong>MainzerMedienDisput</strong>s, den Qualitäts-Journalismusund eine seriöse Medienpolitik in Rede und Gegenredezu fördern, entsprechen.Mainz, 15.11.2007Dr. Thomas Leif* Diese und andere Studien des MMD können sie unterwww.mediendisput.de runterladen.5


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box BrüsselClaudia Kristine HuberBlack Box Brüssel –EU-Journalismus zwischen Affirmation und Kontrolle1. EinleitungAnfang 2007 sahen Bundespräsident a.D. Roman Herzogund Lüder Gerken, Direktor des Zentrums für EuropäischePolitik, in der „Welt am Sonntag“ das Ende der parlamentarischenDemokratie in der BundesrepublikDeutschland heraufziehen. Die sonst der Übertreibungeher unverdächtigen Herren hatten auf Basis einerErhebung des Justizministeriums eigene Berechnungenangestellt und waren zu dem Schluss gekommen, dasszwischen 1998 und 2004 glatte 84 Prozent der Rechtsvorschriftenin Brüssel initiiert worden seien. Nun warntendie Autoren eindringlich vor europäischem Zentralismusund der Entmachtung gewählter deutscherVolksvertreter. Obwohl der Zeitpunkt der Intervention –das 50. Jubiläum der Römischen Verträge und die deutscheEU-Ratspräsidentschaft – gut gewählt und der Tonalarmierend war, wurde das Thema kaum aufgegriffen.Zwar wies Bundestagspräsident Norbert Lammert ineiner Replik beschwichtigend darauf hin, dass dieeuropäische Vorschrift zur Kennzeichnung von Nüssenkaum gegen die Reform des Bürgerlichen Gesetzbuchesaufgerechnet werden könne. Ansonsten aber war dasEcho auf die gezielte Provokation kaum vernehmbar.Dieser gescheiterte Versuch, eine grundsätzliche Diskussionüber die Struktur der EU anzuregen, zeigt zweierlei:zum einen spielt Brüssel inzwischen auf vielen Felderndie politische Hauptrolle. Wie auch immer man denBrüsseler Einfluss auf die deutsche Politik im Einzelnengewichtet, ein Großteil der Gesetze, die unser täglichesLeben ordnen und regeln, wird von der EU bestimmt.Zum anderen löst diese Tatsache keine entsprechendemediale Reaktion aus. Der wirtschaftlichen und politischenMacht Europas steht keine äquivalente Berichterstattunggegenüber. Europapolitik wird, 50 Jahre nachAbschluss der Römischen Verträge, in vielen Bereichennoch immer unter Ausschluss der Öffentlichkeitgemacht.Die folgende Studie hat das Ziel zu analysieren, unterwelchen Bedingungen die Quantität und vor allem dieQualität von EU-Berichterstattung in deutschen Medienverbessert werden kann. Dafür sollen die Schwachpunkteaktueller EU-Berichterstattung benannt und imHinblick auf ihre Ursachen hinterfragt werden. Es gehtdabei allerdings nicht um eine reine Medien- und Journalismuskritik,wie sie in diesem Kontext schon diverseMale formuliert wurde (siehe Tillack z.B. 2004, 2006),sondern vor allem darum, die Strukturen, in denen EU-Berichterstattung stattfindet, zu analysieren. Im Fokusder Untersuchung steht dabei die Ermittlung von Faktoren,die die Qualität von EU-Berichterstattung positivbeeinflussen könnten.Eine Hauptursache für den geringen Medialisierungsgraddes politischen Prozesses in Brüssel im Vergleich zuden einzelnen Mitgliedsstaaten der EU ist dasgrundsätzliche Verhältnis der Europäischen Union zuden Medien. In allen westlichen Demokratien ist dieEntwicklung der Medien historisch eng mit der Entwicklungdes Staates und seiner Demokratisierung verknüpft.Eine Symbiose zwischen Mediensystem undpolitischem System hat sich im Falle der EU jedoch nichtherausgebildet. In der Folge existieren keine grenzübergreifendenEU-Medien. Die Möglichkeit der Entwicklungsolcher europäischer Medien beschreibt Machill alssehr unwahrscheinlich. „Die Überlegung, ein europäischesFernsehen könne in den Köpfen der Europäer eineähnlich einheitsstiftende Wirkung haben wie nationaleTV-Sender für die Bürger einer Nation, hat sich alsunzulässige Übertragung just dieser nationalen Erfahrungherausgestellt“ (1997:185).Aus dieser historisch einmaligen Situation einer transnationalenRegierung ohne einheitliches Mediensystemhat sich eine Sonderform im Verhältnis von Politik undMedien gebildet. Für die politische Avantgarde dereuropäischen Integration hat die Kommunikation mitden Bürgern zunächst kaum eine Rolle gespielt. Grambergernennt den PR-Ansatz von Jean Monnet als Präsidentender Europäischen Gemeinschaft für Kohle undStahl (EGKS) einen Versuch der Informationsverhinderung(1997:327). Margot Wallström, die für die Kom-6


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box Brüsselmunikationstrategie verantwortliche Vizepräsidentinder Europäischen Kommission, resümiert: „Wir warenlange Zeit ein Projekt für eine politische Elite. Wir warenschlechte Zuhörer, haben die Dinge schlecht erklärt undEU-Themen schlecht auf der politischen Bühne der Mitgliedsstaatenpositioniert“ (2005). Der Journalist Backhausspottete im März 1999 in der Berliner Morgenpost:„Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus warenneben Kuba, Nordkorea und der Mafia noch zweigeschlossene Gesellschaften übrig: Die EuropäischeKommission und das IOC.“ Bis in die institutionelleAnlage der Europäischen Union hinein hat dieses Verständniseiner paternalistischen Politik der Eliten tiefeSpuren hinterlassen. Europäische Politik hängt in vielgeringerem Maße als nationale Politik von der Zustimmungder Bevölkerung ab. Damit werden Politiker auchbis zu einem gewissen Grad unabhängig von den Medien.Und obwohl die Macht der Medien in der Demokratiemindestens seit Kennedy’s televisionärem KO-Siegüber Nixon in Verdacht steht, Inhalte aus der Politik zuverdrängen, ist es doch genau diese Abhängigkeit derPolitiker von der öffentlichen Wahrnehmung, die Politikerst zu einem sichtbaren Stück auf einer einigermaßenausgeleuchteten Meinungsbühne gemacht hat.Diese Situation hat, gemeinsam mit anderen Einflussfaktoren,dazu geführt, dass die Europäische Integrationzwar ökonomisch und politisch immer mehr vorangeschrittenist, dass aber die EU-Institutionen undAkteure den Medien und folglich auch den Bürgernweitgehend fremd geblieben sind. Brettscheider undRettich kommen in ihrer empirischen Untersuchung zurPräsenz der EU in der Berichterstattung deutscherMedien 1 auch im Jahr 2005 noch zu dem Schluss:„Offenbar ist die Europäische Integration in den Redaktionsstubennoch nicht wirklich angekommen“(2005:140). Voltmer und Eilders zeigen in ihrer Analyseder Berichterstattung deutscher Tageszeitungen (1994-1998), dass die Medien, wenn sie berichten, dies auseiner stark national geprägten Sicht tun (2003:194).Diese Haltung deutscher Medien zu Europa zeigt sichauch in der Struktur der Redaktionen. Meist ist dieBerichterstattung über die EU im Ressort Außenpolitikangesiedelt, berichtet wird nicht aus europäischer Sicht,sondern aus nationalstaatlicher Perspektive. „Zwischeneuropäischem Rock und nationalem Hemd“, sobeschreibt Michael Stabenow, EU-Korrespondent derFAZ, seine Stellung in Brüssel (2004:230-236).Doch ganz abgesehen von Strukturen der Nachrichtenproduktion:schon die Inhalte der Europaberichterstattungselbst stellen Journalisten vor eine schwierige Aufgabe.Die Prozesse sind langwierig und lassen sich nurselten zu Schlagzeilen – oder gar Dreißigsekündern –verdichten, wie es der Takt der Medien vor allem in Zeitender verstärkten Kommerzialisierung häufig vorgibt(Meyer 2002:8). Zudem ist es für durchschnittliche EU-Bürger, also für das „Publikum“ der Journalisten,schwierig europäische Gesetzgebungsprozesse und dieVerteilung von Kompetenzen zwischen EU und Nationalstaatzu überblicken (vgl. z.B. Koopmans, Neidhardtund Pfetsch 2000:15).Übrig bleibt oft der Vorwurf an Journalisten, defizitärüber Prozesse der Entscheidungsfindung auf europäischerEbene zu berichten oder nur Sprachrohr der –selbst als defizitär wahrgenommenen – politischenKommunikation der europäischen Institutionen zu sein(Tillack 2006). Dieser Vorwurf ist nicht nur eine medieninterneKritik, er greift tief in das demokratischeSelbstverständnis Europas: Politischen Entscheidungenfehle auf europäischer Ebene die demokratische Legitimation;und dies eben nicht allein aufgrund des strukturellenAufbaus der europäischen Institutionen, sondernvor allem wegen der mangelnden Transparenz politischerAbläufe (siehe z.B. Habermas 2001:9). Für denpolitischen Prozess bedeutet ein Mangel an Berichterstattungund somit an Öffentlichkeit auch einen Mangelan Feedback-Möglichkeiten durch die europäischeBevölkerung und damit einen Mangel an Demokratie,Legitimation und nicht zuletzt an Akzeptanz.Journalisten könnten als Multiplikatoren uns Kontrollinstanzzur Legitimierung europäischer Politik beitragen.Dazu müssten aber Themen schon in der Diskussionund vor einer Entscheidung kommuniziert werden,der Entscheidungsprozess mit seinen politischen Konfliktenmüsste transparent gemacht werden, und politischeAkteure müssten als gestaltende Figuren in diesemProzess sichtbar werden (siehe Meyer 1999:622).Hier liegt sowohl die Herausforderung für politischeAkteure und Kommunikationsbeauftragte der europäischenInstitutionen, Prozessen mehr Transparenz zuverleihen, als auch die Herausforderung für Journalisten,über diese Prozesse adäquat zu berichten.Eine Berichterstattung, die ihrem Gegenstand gerechtwird, ist aus Gründen, die sowohl im politischen Systemals auch in der Organisation der Medienberichterstattungverankert sind, momentan kaum möglich. Individuenhaben im Prozess der politischen Kommunikationzu Europa wenig Handlungsspielraum, so lange dieStrukturen der Europaberichterstattung nicht der1 Durchschnittlich wurde von 1998-2004 in den von Brettschneider undRettich untersuchten Hauptnachrichtensendungen und den überregionalenTageszeitungen nur 5 Prozent der gesamten Berichterstattung für EU-Themen verwandt (2005:141).7


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box BrüsselBedeutung des politischen Projekts der europäischenIntegration angepasst werden. Im Einzelnen kommtdiese Studie zu folgenden Ergebnissen:" Kommunikationswissenschaftliche Theorien aus demnationalen Kontext lassen sich im transnationalenSetting der EU nicht ohne weiteres anwenden. DieMediatisierung der Politik, die im nationalen Zusammenhangstetig zunimmt, hat auf europäischerEbene noch nicht stattgefunden. Im Gegenteil: derVerwaltungsapparat der transnationalen Regierungist in keiner Weise auf die Bedürfnisse der Massenmedienausgerichtet. Hauptgrund dafür ist die geringeregegenseitige Abhängigkeit der Systeme Politikund Medien. Auf der Mikroebene zeigt sich dies ander Stelle, wo die Systeme zusammentreffen: in denInteraktionen der Journalisten mit politischenAkteuren sowie mit deren Sprechern." Meldungen aus Brüssel weisen selten die heute relevantenNachrichtenfaktoren auf. Prozesse und Entscheidungensind überkomplex, an Stelle von Showdownszwischen Parteien, Positionen und Personentreten Bürokratie und Verwaltung. Die Intransparenzeuropäischer Entscheidungsprozesse erschwert dieBerichterstattung zusätzlich und macht News ausEuropa für den durchschnittlichen Bürger unverständlich." Die Medien haben es versäumt, adäquate Rahmenbedingungenfür die EU-Berichterstattung zu schaffen.So sind die Redaktionen in Brüssel bis auf wenigeAusnahmen chronisch unterbesetzt, was Recherchenur eingeschränkt möglich macht. Viele Medienbeschäftigen ausschließlich freie Mitarbeiter, dieunter großem Zeitdruck arbeiten." Die Redakteure in den Heimatredaktionen sind mitden Feinheiten europäischer Politik selten in ausreichendemMaße vertraut. Zudem schätzen Sie dasPublikumsinteresse an EU-Nachrichten gering ein.Gerade in diesen Redaktionen wird aber entschieden,welche Geschichte es ins Blatt oder in die Sendungschafft." Auch die meisten EU-Korrespondenten trauen ihremPublikum weder das Interesse noch das Verständnisfür eine differenziertere Darstellung der EuropäischenZusammenhänge und Prozesse zu – ein Publikumsbild,das anspruchsvollere EU-Berichterstattungerheblich behindert." Die Korrespondenten selbst sind grundsätzlich eherpro-europäisch eingestellt. In seinem Berufsbildfolgt ein Großteil der Korrespondenten eher eineminformationsvermittelnden und erklärenden Rollenmusterals einem kritisch-kontrollierenden Journalismusverständnis." Die EU-Kommission in Brüssel schwankt zwischeneiner nachlässigen bis defensiven Kommunikationspolitikund der Überschüttung der Journalisten mitInformationen. Das Parlament gilt zwar als offener,ist aber politisch weniger bedeutend. Im EuropäischenRat und im Ministerrat werden nationaleRegierungen zu Akteuren der Europakommunikation.In diesem Moment treten Phänomene auf, die ausdem nationalen Kontext bekannt sind: „Spin Doctoring“und Instrumentalisierungsversuche durchInformationsmanagement." Transnationale Kooperationen zwischen Journalisten,wie sie im Brüsseler Alltag intensiv praktiziertwerden, schaffen Transparenz und verbessern damitdie Qualität der Berichterstattung erheblich. Durchtransnationale Zusammenarbeit werden die Journalistenzur Avantgarde einer europäischen Öffentlichkeitund kontrollieren politische Akteure auf Ebeneder EU effektiver als der journalistische Einzelkämpfer.Durch Kollaborationen erlangen sie eine vergleichsweiseeinflussreiche Position gegenüber politischenAkteuren im Kontext der EU-Politik." Nach wie vor lässt sich konstatieren, dass die Agendaauf europäischer Ebene stark von den Institutionenvorgegeben wird und dass Journalisten dieseeher affirmativ begleiten als sie kritisch zu hinterfragen." Zwar ergibt sich aus den Selbstbeschreibungen derJournalisten, dass diese sich auch auf Ebene der EUals vierte Gewalt sehen, die politische Macht kritischkontrolliert. Allerdings zeigen Inhaltsanalysen, dassdeutsche Journalisten besonders positiv über die EUberichten. Die Gesamtschau der Ergebnisse dieserStudie legt nahe, dass die genannten Rahmenbedingungenstärkere Auswirkungen auf die Berichterstattunghaben, als die individuellen Rollenverständnisse.8


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box Brüssel1.1 Stand der ForschungSchon nach dem negativen Ausgang des Referendumszum Vertrag von Maastricht 1992 in Dänemark, demknappen Ausgang des Referendums in Frankreich (nur51 Prozent der Bevölkerung stimmten für den Vertrag)und den Verfassungsklagen gegen den Vertrag inDeutschland war klar, dass die Bürger intensiver als nurzur Abstimmung über politische Verhandlungsergebnissein den europäischen Integrationsprozess eingebundenwerden müssen. Die Frage nach der Bedeutung politischerKommunikation im Kontext der EU und nach derEntstehung einer europäischen Öffentlichkeit wurde soAnfang der 90er Jahre vermehrt Gegenstand der akademischenwie politischen Debatte.Im Frühjahr 2005 brachte das Scheitern der Referendenzur europäischen Verfassung in Frankreich und den Niederlandendas Thema der Legitimation europäischerPolitik erneut auf die Agenda. An den Wegmarken derIntegration, die eine explizite Zustimmung der Bürgerzum Projekt EU voraussetzten, wurde deutlich, dassdiese grenzüberschreitende politische Unternehmungnicht ohne einen Dialog mit den Bürgern, der den Anforderungendemokratischer Strukturen gerecht wird, voranschreitenkann.Die Untersuchung der kommunikativen Voraussetzungeneiner europäischen Demokratie hat inzwischen einganzes Forschungsfeld hervorgebracht. Im Vordergrundsteht stets die Frage nach empirischen wie normativenParametern einer europäischen Öffentlichkeit. Dabeihaben sich die Untersuchungen zunächst auf Texte, alsoMedien-Output konzentriert. Vor allem Zeitungsanalysensollen den Grad der Europäisierung und Synchronisierungpolitischer Debatten in den Mitgliedsstaatender EU messen (vgl. z.B. Risse 2004; Voltmer & Eilders2003). Auch theoretische und normative Konzeptioneneuropäischer Öffentlichkeit haben sich im Zuge dessenweiter entwickelt (vgl. z.B. Eder 2000, Eder & Kantner2000; Kleinsteuber 2004).Die vorliegende Studie befasst sich nicht mit dem Outputder Berichterstattung und nur am Rande mit deroft beschworenen „Europäischen Öffentlichkeit“. DieUntersuchung beschäftigt sich vielmehr mit jenenAkteuren, ohne die in modernen ausdifferenziertenGesellschaften Öffentlichkeit nicht entstehen kann: mitden Journalisten.Die Studie kann dabei auf eine Reihe von Arbeiten aufbauen,die mit jeweils unterschiedlichem Erkenntnisinteressediese Akteure der journalistischen Berichterstattungüber die EU bereits in den Fokus genommen haben.Meyer analysiert anhand dreier ausgewählter Skandale 2 ,die sich alle in der Amtszeit der EU-Kommission unterJacques Santer (1995-1999) ereignet haben, das Verhältnisder Brüsseler Korrespondenten zu den europäischenInstitutionen. Dabei geht er der Frage nach, inwelchem Maße es dem <strong>Presse</strong> Corps in Brüssel gelingt,eine europäische Medienöffentlichkeit zur Kontrolle derEU-Kommission herzustellen.Er kommt zu dem Ergebnis, „dass eine öffentliche Kontrollevon supranationalen Institutionen auch mittelsder vornehmlich national vermarkteten Medienproduktemöglich ist. Die Medienvertreter in Brüssel sind (…) ineinen transnationalen Recherche-, MeinungsbildungsundAgenda-Setting-Prozess eingebunden und gestaltendiesen maßgeblich mit“ (Meyer 2002: 183). Er siehtdabei die transnationale Kooperation von Journalistenals Bedingung für eine effektive Ausübung medialerKontrolle politischer Macht 3 .Die Untersuchung kommt in ihren Zielen dem hier dargestelltenProjekt am nächsten. Jedoch hat Meyer nichtexplizit die deutsche Europaberichterstattung untersucht,sondern eine multinationale Auswahl von Korrespondentenbefragt. Auch betrachtet er das Zusammenspielvon politischer PR und Journalismus in Brüsselausschließlich im Kontext von Skandal-Situationen. DieErgebnisse dieser Studien geben daher kaum Aufschlussüber alltägliche Arbeitsroutinen der Brüsseler Korrespondentenund PR-Praktiker. Es kann angenommenwerden, dass PR und Journalismus ihre Arbeitsweisen inKrisenzeiten verändern (Barth und Donsbach 1992; Szyska1997:220). Journalisten entwickeln investigativereArbeitsweisen, während PR-Praktiker sich defensiververhalten. Zudem hat er allein Akteure, die aus Brüsselheraus agieren, untersucht 4 . Doch wie auch Baisnéeschreibt: „To understand the production of EU news asa whole. One also needs to take into account (...) howeditors in national capitals deal (...) with the articlestheir correspondents send them from Brussels“(2004:153).2 Meyer untersucht folgende Fälle: „Korruption im Bereich der gemeinschaftlichenTourismuspolitik, den fahrlässigen Umgang mit den Risikender Rinderseuche BSE für die Verbraucher sowie den Vorwurf des Betrugsund der Vetternwirtschaft im Echo/Cresson-Fall“ (2002:91).3 In diversen Publikationen zum Thema behandelt Meyer das Kommunikationsdefizitder EU und beleuchtet die Rolle politischer Kommunikation imProzess der Legitimation von EU-Politik. In diesem Rahmen diskutiert erauch normative Erwartungen an einen europapolitischen Journalismus inBrüssel (1999; 2002; 2003; 2004).4 Meyers Studie beruht auf semi-strukturierten Interviews mit Akteuren, „dieim Prozess der medial vermittelten Meinungsbildung über die EU mitwirken“(2002:36), genauere Angaben sind in der Studie nicht zu finden.Zudem hat er Fragebögen von 70 internationalen Korrespondenten ausgewertetund eine teilnehmende Beobachtung „des Brüsseler Nachrichtenprozess“(ebd. 37) durchgeführt.9


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box BrüsselBaisnée untersucht die Arbeit französischer und britischerKorrespondenten in Brüssel und geht dabei derFrage nach, ob ein spezifisch politischer Journalismusauf EU-Ebene existieren kann. Er entwickelt aus denjournalismus-inhärenten sozialen Strukturen eine differenzierteTypologie des Brüsseler Journalismus im Hinblickauf sein Politisierungspotenzial (2000). Dabeikommt er zu dem Schluss, dass erst ein kleiner Teil derfranzösischen <strong>Presse</strong>vertreter in Brüssel investigativenund politischen Journalismus betreibt, während dieMehrheit eher dem „institutionellen Journalismus“zuzuordnen ist. Die britische <strong>Presse</strong> dagegen beschreibter als stark polarisierend und von nationalen Konfliktlinienin der Berichterstattung beeinflusst (ebd.: 3).Dass die Europäische Kommission selbst inzwischen dieBedeutung der Analyse politischer Kommunikation aufEU-Ebene verstanden hat, zeigt sich in der Förderunggroßer transnationaler Forschungsprojekte zu diesemThema. Die Projekte AIM – Adequate InformationManagement – und Europub – The Transformation ofPolitical Mobilisation and Communication in EuropeanPublic Spheres – wurden beide aus Mitteln der Kommissionfinanziert.Das AIM Projekt liefert dabei die aktuellste und umfassendsteDatenbasis. Es ist ein interdisziplinäres Forschungsprogrammin elf Ländern. In zwei Feldstudien imJahr 2005 und 2006 wurden die Daten – eine Kombinationaus Interviews und Inhaltsanalysen – erhoben. Dieauf drei Jahre angelegte Studie geht der Frage nach,warum die Medienberichterstattung zur EuropäischenUnion qualitativ und quantitativ nicht der tatsächlichenBedeutung der EU-Politik entspricht. Die Untersuchungvon Arbeitsprozessen und Routinen von EU-Korrespondenten5 ist ein wichtiger Teilbereich der umfassendenStudie, die vom Erich-Brost-Institut in Dortmund koordiniertwird.Es ist an dieser Stelle unmöglich, die Ergebnisse des AIMProjektes in Gänze darzustellen. Für die vorliegendeUntersuchung wesentlich ist jedoch die Erkenntnis,dass deutsche Medien EU-Nachrichten noch immer alsAuslandsberichterstattung behandeln, obwohl denJournalisten die Bedeutung der Entscheidungeneuropäischer Institutionen für die nationale Politikdurchaus bewusst ist. Generell wurde den Journalisteneine gewisse Unsicherheit und mangelnde Kompetenzim Umgang mit EU-Nachrichten attestiert.Ebenfalls mit einem transnationalen Forscherverbundhat sich das Projekt Europub dem Thema gewidmet. DieStudie, die von 2001 bis 2004 lief, untersucht dieEuropäisierung von Öffentlichkeit in sieben Ländern 6 .Die Interviewstudie mit deutschen Journalisten hatunter anderem ergeben, dass die Ressourcen, die einMedium für EU-Berichterstattung zur Verfügung stellt,entscheidend sind für Qualität und Quantität der EU-Berichterstattung. Besonders die personelle Ausstattungder Korrespondentenbüros in Brüssel entscheidetdarüber, ob die Journalisten einer Zeitung Anschluss andas internationale Korrespondenten-Netzwerk in Brüsselfinden und somit Zugang zu wertvollen Informationenerhalten. Die Öffentlichkeitsarbeit der europäischenInstitutionen sehen die befragten Journalisten sehr kritisch(vgl. Adam & Berkel 2004).5 Für den deutschen Fall basiert die Analyse auf 17 teilstandardisiertenTiefen-Interviews mit Brüsseler Print-, Fernseh-, Online- und Agenturjournalisten.Es handelt sich um Vertreter folgender Medien: SüddeutscheZeitung, Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ), Bild-Zeitung, ARD(Tagesschau), RTL (RTL aktuell) und Deutsche <strong>Presse</strong>agentur (dpa).6 Die Inhaltsanalyse erstreckt sich über den Zeitraum von 1980 bis 2002.Untersucht wurden jedoch für den deutschen Fall allein Journalisten vonTageszeitungen. Für die Interview-Studie wurden 14 Journalisten nachihrer Funktion im Prozess der Nachrichtenproduktion ausgesucht. Es handeltsich um Journalisten der Süddeutsche Zeitung, der Frankfurter AllgemeineZeitung, der Bild Zeitung sowie der Leipziger Volkszeitung.10


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box Brüssel2. Allgemeiner Überblick2.1 Politischer Journalismus und DemokratieDie Erwartungen, die in demokratischen Systemen anMedien und Journalismus gestellt werden, hängen starkvon dem jeweils vorausgesetzten Demokratiemodell ab.Als wichtigste Funktion der Medien in westlichenDemokratien wird jedoch meist die Kontrolle der staatlichenInstitutionen – also die Funktion der Medien als„watchdog“ (oder auch als „vierte Gewalt“) gesehen. „Afree press is required for protection of the autonomy ofcivil society from the potentially despotic incursions ofthe state (Scammel and Semteko 2000:xiii).Im Gegensatz zu dieser eher reaktiven Funktion betonenandere Autoren das Potential der Medien, Bürger zuinformieren, eine Brücke zwischen Politik und Bürgernzu bauen und letztlich gesellschaftsbildend zu wirken.„[The media] provide a channel of communication betweengovernment and governed, which helps society toclarify its objectives, formulate policy, co-ordinateactivity and manage itself“ (Curran 2000:127). Unterdiesem Blickwinkel bilden Medien ein Forum, auf demsich täglich eine öffentliche Willensbildung und eineArtikulation dieses Willens dem Staat gegenüber vollziehen.Auf der Suche nach einem politischen Journalismus aufEbene der EU stellt Baisnée fest, dass es mindestens dreiFormen des EU-Journalismus in Brüssel gibt, die Aufschlussüber den Grad der Politisierung von Nachrichtengeben. Erstens den institutionellen Journalismus, derohne politische Interpretation die Tagesordnung dereuropäischen Institutionen verkündet und Neuigkeitenvermeldet. Journalisten, die einen solchen Ansatz verfolgen,unterstützen meist das europäische Projektsowie die Institutionen der EU. Zweitens den investigativenund politisierenden Journalismus, der sich gegendie Verkündung technokratischer Nachrichten aus denEU-Institutionen wehrt und eine aktiv nachforschende,kritische Berichterstattung verfolgt. Diese ersten beidenIdealtypen des EU-Journalismus schreibt Baisnée eherden französischen Journalisten zu (10). Diese Gruppensind häufig nicht trennscharf zu bestimmen und befindensich gerade deshalb in einem lebendigen Prozessvon ständiger Rechtfertigung und Abgrenzung zueinander.Gleichzeitig sieht er diese Typen des Journalismustendenziell als chronologische Abfolge. Die institutionelleForm, quasi die „Urform“ der EU-Berichterstattung,wurde erst im Lauf des Integrationsprozessesdurch eine politischere und investigativere Form desJournalismus ergänzt – ohne gänzlich verdrängt zuwerden. Drittens beschreibt er einen weiteren Typus desEU-Journalismus, der tendenziell eher im britischen<strong>Presse</strong> Corps in Brüssel vorzufinden ist – die politisierteBerichterstattung aus einer national geprägten Perspektive,die sich nach der jeweiligen politischen Liniedes Auftrag gebenden Mediums richtet. Diesen Typussieht Baisnée durch die von klarer politischer Positionierungund Parteinahme geprägte britische Journalismus-Kultur begünstigt (18).In seiner Untersuchung des <strong>Presse</strong> Corps in Brüsselnimmt Meyer eine ähnliche Kategorisierung vor undkontrastiert den recherchierenden und den Investigationsjournalismusmit dem Informations- und Meinungsjournalismus,der bei geringerer professioneller Distanzeine deutlich stärkere Quellenloyalität aufweist. DieseForm des Journalismus nennt er Verlautbahrungsjournalismus(78). Die beschriebenen journalistischen Rollencharakterisiert er als Wachhund- und Sprachrohrrolle(Meyer 2002:78). In seiner Untersuchung kommtMeyer in Übereinstimmung mit Bainsées Ergebnissen zudem Schluss, dass „sich die Bedingungen für einentransnationalen Investigationsjournalismus in Brüsselverbessern, während der vorwiegend unkritische Verlautbahrungsjournalismuslangsam im Schwindenbegriffen ist“ (2002:183).2.1.1 Theorien der NachrichtenproduktionDas Bild, das den Bürgern von Europa vermittelt wird, istmaßgeblich von journalistischen Selektionskriterienund der Auswahllogik der Massenmedien bestimmt. Ausden Informationen, die täglich auf Journalisten einprasseln,müssen für die Nachrichten relevante Teile ausgewähltwerden. Die Quantität und Komplexität der Ereignissemuss reduziert werden, um in der MedienwirklichkeitAbbildung zu finden (vgl. Göbbel & Ruhrmann2007:3). Je weiter Ereignisse von den Rezipienten entferntsind, desto mehr muss für die Nachrichtenberichterstattungausgewählt werden, desto mehr Entscheidungenmüssen gefällt werden. Dies gilt besonders fürden Nachrichtenort Brüssel, der kein natürliches Publikumin geographischer Nähe zu den politischen Institutionenhat.Ein Weg, den Wert von Ereignissen für die Medien zubestimmen und vorauszusagen, ist die Orientierung anNachrichtenfaktoren. Je mehr Nachrichtenfaktoren einEreignis erfüllt, desto höher ist sein Nachrichtenwertund desto wahrscheinlicher ist es folglich, dass es in denMedien erscheint und prominent platziert wird (vgl.11


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box BrüsselBurkart 2002:279). In der Forschung zu Nachrichtenwertenwurden die relevanten Faktoren zur Nachrichtenauswahlseit den 60er Jahren immer wieder überprüft,reformuliert und erweitert. Eine aktuelle Studievon Ruhrmann und Göbbel zeigt, dass die NachrichtenfaktorenReichweite (Anzahl betroffener Personen),deutsche Beteiligung, negative und positive Folgen,Überraschung (nicht ankündbare, bestehenden Erwartungenwidersprechende Ereignisse) und Kontroversebesonders relevant für Journalisten sind. Zudem würdendie „Faktoren Visualität und bildliche Darstellung vonEmotionen sowie das Kriterium der Verfügbarkeit vonBildern“ immer bedeutender für die Auswahl von Nachrichten7 (2007:66).Die Ergebnisse des AIM-Projekts zeigen, dass die meistenBrüsseler Korrespondenten bei der Beurteilung desNachrichtenwertes von EU-Themen davon ausgehen,dass Ihre Leser/Seher nur sehr wenig oder gar kein Vorwissenhaben und dass, um die Aufmerksamkeit derMedienkonsumenten zu erregen, Nachrichten überEuropa nur Themen behandeln können, die einen direktenBezug zu den Bürgern und direkte Relevanz fürDeutschland haben (Hahn, Leppik & Lönnedonker2006:76).Wenn Ereignisse auf Ebene der EU dieser Medienlogiknicht entsprechen, ist es wahrscheinlich, dass wenigerNachrichten über Europa ausgewählt werden (vgl. auchStatham 2006:9-10).Zwar haben Entscheidungen der EU eine enorme politischeReichweite, doch ist dies aufgrund der langwierigenGesetzgebungsverfahren im fernen Brüssel und derabstrakten Themen oft nur schwierig darstellbar. DeutscheBeteiligung ist zwar auf EU-Ebene fast immergegeben, doch viel weniger sichtbar als wenn die Bundesregierungals eigenständiger politischer Akteur auftritt.Die negativen und positiven Folgen treten imZusammenhang mit EU-Politik erst zeitversetzt auf oderwerden als selbstverständlich gesehen. So geben Friedenund Sicherheit in Europa seit dem Zweiten Weltkriegkaum Anlass für medialen Jubel. Auch Überraschungenbieten die langsam arbeitenden Behördenund komplizierten multinationalen Abstimmungsprozesseauf EU-Ebene selten. Kontroversen und Konfliktewerden von den europäischen Institutionen kaumtransparent gemacht, um die Kompromissfindung zwischenden Nationen nicht weiter zu erschweren. Das„Kollegialitätsprinzip“ in der Europäischen Kommissionverbietet es Kommissaren Konflikte in der Öffentlichkeitauszutragen. Auch das Europäische Parlament verfolgteinen „konsensualen Arbeitsstil, um sich nicht nochweiter gegenüber anderen europäischen Institutionenzu schwächen“ (Kleinsteuber 2004:37). Auch Visualitätund bildliche Darstellung werden durch Diskussionenüber komplizierte Themen zwischen unbekannten BrüsselerBeamten in vergleichsweise unbekannten Gebäudennicht begünstigt.Verstärkte Medienöffentlichkeit bekommt die EU dagegenvor allem durch skandalisierbare Situationen wiedie Affäre des deutschen EU-Kommissars Günter Verheugen,die kurzfristig mehr Aufsehen erregte als seinpolitisches Wirken. Oder Agrarrichtlinien, die der Bild-Zeitung gelegentlich eine „Behördenirrsinn“-Schlagzeilewert sind. Auch Prominenz schafft Öffentlichkeit, wiedas Aufgebot der Staats- und Regierungschefs beimJubiläumsfest zum 50. Jahrestag der Römischen Verträgein Berlin 8 .Für den Recherche-Journalismus ergibt sich aus dieserLage eine kontraproduktive Anreizsituation. Selbstwenn ein Journalist durch Recherche seine Kontrollfunktionausübt, ist nicht gesichert, dass die Geschichteihren Weg ins Blatt findet. Bei dem relativ bekanntendeutschen Kommissar Günther Verheugen reicht eineBeziehung mit „Geschmäckle“ (Nachrichtenfaktoren:Personalisierung, Prominenz, deutsche Beteiligung,Sexualität/Erotik), um in den – deutschen – Medien präsentzu sein. Ohne deutsche Beteiligung aber kommenselbst wesentlich bedeutendere Unregelmäßigkeiten inden deutschen Medien nur unter ferner liefen vor, wiezum Beispiel Hans-Martin Tillack an mehreren Beispielengezeigt hat 9 .2.1.2 Gatekeeper-ForschungDie Entscheidung, ob eine Nachricht genug „Appeal“hat, um an prominenter Stelle ins Blatt genommen zuwerden, wird allerdings so gut wie nie von EU-Fachjournalistenin Brüssel getroffen, sondern obliegt den Chefredakteurenin Deutschland, den „Gatekeepern“. DieGatekeeper-Forschung 10 setzt bei diesen Redakteurenin Schlüsselpositionen an. In seiner berühmten Gatekeeper-Studie(1950) beschreibt White die Entschei-7 Schulz hat als erster deutscher Forscher schon 1976 „hypothetische Einflussgrößenim Prozess der Nachrichtenvermittlung“ (34) benannt. Die Faktorenvon Ruhrmann und Göbbel ähneln den von Schulz aufgestelltensechs Faktorendimensionen: 1) Zeit (Dauer, Thematisierung), 2) Nähe(räumliche, politische, kulturelle Nähe und Relevanz), 3) Status (regionaleZentralität, nationale Zentralität, persönlicher Einfluss, Prominenz), 4)Dynamik (Überraschung, Struktur), 5) Valenz (Konflikt, Kriminalität, Schaden,Erfolg), 6) Identifikation (Personalisierung, Ethnozentrismus) (32 ff.).8 Bei Vetters 2007a findet sich eine Überprüfung der Anwendbarkeit derNachrichtenfaktoren nach Schulz auf Themen der EU-Berichterstattung.9 So hat Tillack in mehreren Artikeln unter anderem Unregelmäßigkeiten beider EU-Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF, beim Statistikamt Eurostatoder den Diätenskandal des EU-Parlaments 2004 auf ihren Niederschlag inder deutschen Tagespresse hin geprüft (siehe z.B. Tillack 2004 und 2006).10 Der Begriff Gatekeeper wurde ursprünglich durch den SozialpsychologenKurt Lewin geprägt.12


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box Brüsseldungen des Redakteurs, der Informationen zur Berichterstattungauswählt, als hochsubjektiv: „Through studyinghis overt reasons for rejecting news stories from thepress associations we see how highly subjective, howbased on the ‚gatekeeper’s’ own set of experiences, attitudesand expectations the communications of ‚news’really is“ (White 1964:171). Im Gegensatz dazu habenspätere Forschungsergebnisse gezeigt, dass die Auswahlvon Nachrichten selten auf rein persönlichen Entscheidungenberuht. Stattdessen spielt beispielsweise auchdie politische Linie des Mediums, für das der Journalistarbeitet, eine Rolle. Noch häufiger werden Selektionsentscheidungennach praktischen Gesichtspunkten,zum Beispiel durch Einflüsse der Arbeitsorganisationund -routine getroffen. Faktoren wie Deadlines, räumlicheBeschränkungen oder im Fall von Fernsehberichterstattungdie Verfügbarkeit guter Bilder, sind entscheidend.Zudem hat die bekannte Studie von Gieber (1956)gezeigt, dass Redakteure stark davon abhängig sind,was PR-Agenturen anbieten, und dass sie häufig dasangebotene Material nur leicht modifiziert verarbeiten.(Ein Befund, der auch in späteren Studien bestätigtwerden konnte (vgl. Baerns 1987; Haller 2005; Schnedler2006)).Die Ergebnisse der AIM-Studie haben gezeigt, dass Korrespondentenoft darum kämpfen müssen, Berichte ausBrüssel ihrer Heimatredaktion „zu verkaufen“. Dennletztlich entscheiden oft unzureichend informierteRedakteure in Deutschland, ob über ein Thema berichtetwird oder nicht. Dazu zeigen die Ergebnisse, dass diebefragten Journalisten europäische Themen als Außenpolitik-Nachrichtenbehandeln (Hahn, Leppik & Lönnedonker2006). So konkurrieren diese Themen mit Berichtenaus Washington oder Peking um den oft knappenRaum im Außenpolitik-Ressort.2.1.3 Agenda-Setting„Agenda“, das sind wörtlich übersetzt „die zu tuendenDinge“. Auf die Medien übertragen könnte man sagen:die Agenda ist die to-do-Liste der Redakteure, siebestimmt, über was geschrieben, was diskutiert undnachgefragt wird. Die Agenda-Setting-Forschungbefasst sich mit der Frage, wie diese Themenkonjunkturüberhaupt entsteht und welche Akteure sie prägen. Dieklassische Antwort lautet: die Medien selbst. Sie„machen“ durch die Frequenz der Berichterstattung,durch die Platzierung, die Aufmachung und den UmfangNachrichten zu Themen. Allerdings haben Studien auchgezeigt, dass die Medien nur beeinflussen, worübergesprochen wird. Die Interpretation der Themen istdavon in weiten Teilen unabhängig (Cohen 1963:13). Indiesem Modell sind die Medien Huhn und Ei zugleich:sie setzen die Trends, denen sie folgen.Schon kurze Zeit nach Veröffentlichung der klassischenAgenda-Setting-Hypothese durch McCombs and Shaw1972 wurde die Theorie ergänzt und spezifiziert. An dieStelle der Medien als maßgebliche Instanz für dieBedeutung von Themen trat im Modell ein komplexesWechselspiel von öffentlicher Meinung, politischenInteressen und der Medienagenda. Zusätzlich wurdenexterne Effekte wie beispielsweise die Themenkonkurrenz,die Glaubwürdigkeit der Quelle und der Grad derMediennutzung des Rezipienten als Einflussgrößen einbezogen.(Kunczik und Zipfel 2001: 359f.)Um nun zu klären, warum manche Themen eine besondereRelevanz in der Öffentlichkeit haben und manchenicht, muss eine Vielzahl von Einflüssen berücksichtigtwerden. Dies gilt auch für die Analyse der Agenda-Setting-Prozessein der EU-Berichterstattung, die bishernur auf geringes wissenschaftliches Forschungsinteressestieß. Die Inhaltsanalyse führender Zeitungen in siebeneuropäischen Ländern durch Trenz (2005) bescheinigteine klare Dominanz von politischen Akteuren imAgenda-Setting-Prozess der EU-Berichterstattung.Hiervon stammen weit über die Hälfte der Akteure, dieals Agenda-Setter in europäischen Nachrichten auftreten,aus den europäischen Institutionen. Nur ein Drittelder politischen Agenda-Setter agieren auf der nationalenEbene. Regionale Vertreter kommen selten vor.Anlass der Berichterstattung bilden meist administrativeEntscheidungen, Beschlüsse oder beratende Zusammenkünfteder Verwaltung. Unterrepräsentiert sind hingegenklar außerinstitutionelle Ereignisse wie zivilgesellschaftlicheAktivitäten. So ist Trenz zu Folge dasCharakeristikum eines typischen europapolitischenArtikels der Ereignisbezug. Er beziehe sich meist „aufdas tagespolitische Geschehen in Brüssel, auf Entscheidungender Behörden, auf Treffen hoher Politiker, Verhandlungenund Vertragsabschlüsse, oder auf inszenierteEreignisse wie <strong>Presse</strong>konferenzen und Interviews“(Trenz 2005: 220). Diesen Ergebnissen zufolge haben dieMedien die Setzung von Themen auf Ebene der Europapolitikweitgehend aus der Hand gegeben und folgender institutionellen Agenda.2.1.4 Deutsche JournalistenWährend Köcher 1986 noch zu dem Ergebnis kam, dassdeutsche Journalisten sich eher als „Missionare“ dennals investigative Forscher sehen (63), schreibt Weischenberg2005, dass sich „[j]ahrelang vorgetrageneBehauptungen, dass sich die deutschen Journalistenhinsichtlich ihrer professionellen Einstellungen (‚Linkslastigkeit’,‚Missionarrolle’) deutlich von denen andererwestlicher Länder unterschieden, (...) im Lichte vorlie-13


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box Brüsselgender Befunde nicht aufrechterhalten“ ließen (Weischenberg2005:140). Vielmehr spricht er von einerinternationalen Synchronisierung der Journalismuskulturen,die sich beispielsweise darin ausdrückt, dassinzwischen weltweit die Kommunikationsabsicht der„neutralen Informationsvermittlung“ im journalistischenRollenverständnis dominiert (ebd.). Weischenbergkonstatiert jedoch, dass sich auf Ebene der „journalistischenProgramme“ noch immer nationale Charakteristikaabbilden lassen. So schreibt er den Recherche-Journalismusnach wie vor eher dem nordamerikanischenRaum zu. Deutsche Journalisten dagegen zeichnen sichlaut Weischenberg dadurch aus, dass sie auf „fragwürdigeRecherchemethoden“ eher sensibel reagieren(ebd.).Im Kontext von EU-Berichterstattung wird deutschenJournalisten teilweise vorgeworfen, als Sprachrohr derEuropäischen Kommission zu agieren (vgl. Tillack2006:35), während zum Beispiel britischen Journalistenvorgeworfen wurde, sie seien in der Mehrzahl euroskeptisch(Meyer, 2000:113, siehe auch Anderson und Weymouth1999). Der Vorwurf, die deutschen Journalistenberichteten tendenziell pro-europäisch, wird unterstütztdurch die Ergebnisse des Europub-Projekts. Sokommt Statham in seiner Inhaltsanalyse zu demSchluss, dass die deutsche <strong>Presse</strong> am europafreundlichstenberichtet, gefolgt von den Niederländern, denFranzosen, den Schweizern und den spanischen Journalisten(2006:14-17).Die aktuelle Studie über Journalisten in Deutschlandvon Weischenberg, Malik und Scholl zeigt, dass sich dieBedeutung der Informationsfunktion des Journalismusin der Selbsteinschätzung von Journalisten noch verstärkthat, während „der politische Journalismus in denmeisten Facetten weiter an Bedeutung verloren“ hat(Weischenberg 2006:119). Die Forscher konstatieren,dass ein aktives journalistisches Rollenselbstverständnisbei den deutschen Journalisten insgesamt recht seltenvorkommt. „Dies gilt insbesondere für das Agenda Setting(Beeinflussung der politischen Tagesordnung) undfür die Kontrolle von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft(...)“ (116). Gerade für die Verankerung der Kontrollfunktiondes Journalismus im Selbstbild der Medienakteurestellt das Forscherteam einen deutlichen Rückgang seitder letzten Erhebung im Jahr 1993 fest. Weniger als einViertel der Journalisten (24 Prozent) sieht sich als „Kontrolleurvon Politik Wirtschaft und Gesellschaft (watchdog)“und weniger als ein Siebtel der Befragten (14 Prozent)gibt an, Themen auf die Agenda setzen oder diepolitische Tagesordnung beeinflussen zu wollen (106).2.1.5 Die Arbeitssituation in BrüsselBrüsseler Korrespondenten sind in der Regel multitaskendeGeneralisten. Einer der wichtigsten Unterschiedezwischen der politischen Berichterstattung in Deutschlandund der Berichterstattung über europäische Politikist die personelle Ausstattung der jeweiligen Redaktionen.In Brüssel herrscht in fast allen Redaktionen derpersonelle Notstand, die Korrespondentenbüros sindhäufig schlechter besetzt als deutsche Lokalredaktionen.Dies gilt zwar nicht für die überregionalen Qualitätsblätterund den öffentlich-rechtlichen Rundfunk,aber doch für die Mehrheit der deutschen Medien, die inBrüssel entweder gar nicht oder nur durch Freie Mitarbeitervertreten sind.Trotz dieser Situation ist das Corps der EU-Korrespondentenin Brüssel das größte der Welt. Im Gegensatz zuden europäischen Bürgern, die geographisch über ganzEuropa verteilt sind, haben die Journalisten direktenZugang zu politischen Institutionen und Akteuren inBrüssel und können so Informationen über europäischePolitik aus erster Hand erlangen. „They are the filterthrough which institutions that have no natural audiencesexcept geographically, culturally and politicallydivided publics, are given publicity“ (Baisnée 2000:2).In Brüssel konzentriert sich auf engem Raum eine internationaleElite aus Politik, Medien und Wirtschaft. Baisnéebeschreibt die enge Vermischung und Verflechtungjournalistischer Kreise mit Beamten, Politikern und Lobbyistenals besonderes Charakteristikum der BrüsselerMedienlandschaft (2000:5).Die Arbeitsroutinen der Journalisten in Brüssel sindstark geprägt von den täglichen Press Briefings derEuropäischen Kommission. Diese sind zentral für dieZusammentreffen der Journalisten mit dem Kommunikationspersonalder Europäischen Kommission wie auchfür das Zusammentreffen internationaler Journalistenuntereinander (Meyer 2002:75).Nach Meyer ist dieser Nachrichten-Basar nicht nur diewichtigste Informationsquelle für Journalisten in Brüssel,sondern auch ein wichtiger Ort um Freundschaftenund Beziehungen zu knüpfen, und Meinungen und Einschätzungenzu aktuellen Geschehnissen auszutauschen.Zudem reisen die EU-Korrespondenten sehr viel 11und begegnen einander zum Beispiel in Straßburg oderLuxemburg. „The rythm of an EU press correspondent’slife is governed by visits to changeless places andevents, in which they experience a real community life11 Dies hat jedoch abgenommen, seitdem der Vertrag von Nizza vorsieht, dassdie Gipfel des Europäischen Rats nicht mehr in den Hauptstädten derMitgliedsstaaten sondern in Brüssel stattfinden.14


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box Brüsselthat gives the Press Corps the appearance of a ‚travellingcocktail’“ (Baisnée 2000:3).Die geografischen Umstände der journalistischen Arbeitsind jedoch nicht die einzige Besonderheit der Korrespondententätigkeitin Brüssel. Korrespondenten sindtäglich mit der großen Herausforderung konfrontiert,verständlich und interessant über europäische Politik zuberichten. „European decision shaping and decision makingprocess are lengthy and complex. In addition, Europeanintegration has developed its own coded and for anormal citizen rather hermetic language“ (Brunmayr2000:22). Dies ist eine Erklärung dafür, dass viele BürgerBrüssel und die dort stattfindenden Entscheidungsfindungsprozesseals sehr weit entfernt erleben. Dahersind Journalisten ständig damit beschäftigt, Informationenzu vereinfachen und Anknüpfungspunkte an denAlltag ihrer Publika und Leser in den Mitgliedsstaatenzu finden, um Nachrichten interessant zu gestalten.2.2 Politische ÖffentlichkeitsarbeitNach der Definition von Grunig und Hunt sind PublicRelations „(...) part of the management of communicationbetween an organisation and its publics“ (1984:6).Im Fall politischer PR werden Parteiprogramme, politischeThemen und Akteure präsentiert, um öffentlicheUnterstützung zu erlangen. Professionelle politischeÖffentlichkeitsarbeiter managen Themen, Bilder undVeranstaltungen politischer Organisationen; sie veranstalten<strong>Presse</strong>konferenzen und stellen Kontakte zuMedien her. Zudem werden sie inzwischen häufig in dieLangzeitstrategie von Regierungen eingebunden. Sieversuchen die öffentliche Meinung und Einstellungender Bürger in ihre Kommunikationsanstrengungen einzubindenund ermitteln diese mit Hilfe modernerMethoden der Sozialforschung. Inzwischen spielendiese Techniken eine zentrale Rolle in der Politikvermittlung.Bundesjustizministerin Brigitte Zypriesbeschreibt die Entwicklung in ihrem Beitrag für denKongress „Politik als Marke“ im April 2004 so: „Währenddie Politik früher meilenweit hinter dem Standard vonWerbung und PR bei Produktmarken hinterher hinkte,setzt sie heute Trends. Die moderne politische Kommunikationhat eine Vielzahl von Strategien aus Marketingund Markenkommunikation aufgegriffen und weiterentwickelt“(Zypries 2005:92). Durch die immer professionellerorganisierte Kommunikation von Politikern,Parteien und gesellschaftlichen Interessengruppen entwickeltsich ein Wettbewerb der Botschaften umÖffentlichkeit. Dabei muss berücksichtigt werden, dassdie Zuspitzung von Botschaften oft auf Kosten einer differenziertenDarstellung erfolgt und der Zugang zuÖffentlichkeit in erheblichem Maße von den Ressourcender jeweiligen Akteursgruppe abhängig ist.2.2.1 PR und politische Kommunikation in der EU –Besonderheiten und SchwierigkeitenDiverse Institutionen unterschiedlichster Herkunft sindin Brüssel situiert, und alle versuchen „ihre Themen“ indie Öffentlichkeit zu bringen (siehe Horstmann1998:17). Es gibt die Europäische Kommission, dasEuropäische Parlament, den Europäischen Rat, Repräsentantender nationalen Regierungen, die OSCE, vieleregionale Institutionen, Lobby-Gruppen und NGO’s.Diese Vielfalt der Sender und die häufig komplexen undtechnischen Themen, die sie den Journalisten kommunizieren,führen fast zwangsläufig zu einem Mangel anTransparenz.Eine weitere Besonderheit ist, dass politische Akteureauf europäischer Ebene weniger auf positive Berichterstattungüber ihre Person angewiesen sind als Politikerim nationalstaatlichen Kontext. Die hohen Beamten derKommission, wie auch die Kommissare, werden nichtdirekt gewählt und sind daher weniger abhängig vonöffentlicher Unterstützung. Weder die Transparenz politischerProzesse noch die Popularität ihrer eigenen Personist für ihren Erfolg ausschlaggebend. Dagegen istdas Europäische Parlament zwar von öffentlicher Unterstützung– und Wählerstimmen – abhängig, ist abereine vergleichsweise schwache Institution (Kleinsteuberund Rossman 1994:136). In der Konsequenz sind denBürgern die politischen Akteure häufig unbekannt.Nachrichtenfaktoren wie „Personalisierung“ und „Prominenz“,die eine Berichterstattung über europäischePolitik attraktiver machen könnten, kommen selten vor(Gerhards 2000:53).Wie bereits beschrieben, wird häufig kritisiert, dass eskaum Berichterstattung über den Prozess der politischenEntscheidungsfindung gibt. Meyer vermutet, dassdies von politischen PR-Spezialisten absichtlich vermiedenwird, um die Konsensfindung zwischen den oft sehrheterogenen Akteuren unterschiedlicher Mitgliedsstaatenzu vereinfachen (2002:163 und 2003:38). Dies isteine mögliche Erklärung dafür, dass zwei Drittel derJournalisten in Brüssel in einem Fragebogen angaben,selten oder fast nie über Verhandlungen zu berichten,bevor die Europäische Kommission eine Entscheidunggetroffen hat (Meyer 2002:167). Dies führt letztendlichdazu, dass „(...) European decisions seem to come out ofnowhere“ (Baisnée 2000:2) – zumindest für die meistenEU-Bürger.Als wichtigste Schnittstelle zwischen europäischer Poli-15


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box Brüsseltik und Medien wird häufig die Europäische Kommissionbeschrieben. Mit der Zeit hat ihre Rolle sich gewandelt.„As long as the Commission’s efficacy was dependendprimarily on convincing executives and expertcommunities, its public communication was biasedtowards stifling rather than stimulating public debate“(Meyer 1999:624, siehe auch Gramberger 1997:327).Dies hat sich jedoch geändert, sobald die Öffentlichkeitdurch Referenden stärker involviert wurde. In mehrerenSchritten wurde eine Öffentlichkeitsarbeit entwickelt,die dazu beitragen sollte, die voranschreitende politischeIntegration und den Übergang politischer Machtvon den nationalen Regierungen nach Brüssel zu legitimieren.Wobei Gramberger feststellt, dass sich die Professionalitätder PR nicht durchgehend gesteigert hat.Insgesamt beschreibt er den Grad an Professionalisierungim Sinne einer informierenden Öffentlichkeitsarbeitnoch 1997 als erstaunlich gering (329). Erst seit1993 sei die Kommission 12 davon abgerückt, bewusstmanipulative und werbende Öffentlichkeitsarbeit zupraktizieren. Reformen, nach dem Rücktritt der Santer-Kommission von Romano Prodi eingeleitet, führten zuder Entwicklung einer zentralen Kommunikationseinheit.Im Rahmen der Eurobarometer-Umfragen beobachtetdie EU die öffentliche Meinung, um proaktiveStrategien zu entwickeln, die Bürger einzubinden (Trenzand Eder 2004:17).Seit dem negativen Ausgang der Referenden in Frankreichund den Niederlanden versucht die Kommissionnoch energischer, ihre Kommunikationsstrategie zu verbessern.Der Plan D für Demokratie, Dialog und Debattenund das Weißpapier über eine Europäische Kommunikationspolitikwurden eingeführt „not as a rescueoperation for the Constitution, but to stimulate a widerdebate between the European Union’s democratic institutionsand citizens” (European Commission 2005).Dennoch wird die EU-Kommission häufig für ihrenbürokratischen Kommunikationsstil mit Journalistenkritisiert (vgl. Statham 2006:27). Teilweise hat die Kommissiondiese Kritik aufgenommen und stellt nun auchprofessionelle Sprecher für den Sprecherservice ein,statt diese Positionen mit den eigenen Beamten zubesetzen (siehe Vetters 2007a:86).Doch trotz dieser Anstrengungen zu einer neuen effizienterenStruktur, „the Commission still has only verylimited resources, the professionalisation of staff is along haul, and the fragmentation of communicationbetween departments and Commissioners with theirown agenda and interests continues to be a problem“(Meyer 2003:39).2.2.2 Die Interdependenz zwischen Politik und Medien– Die MakroperspektiveStrukturelle Veränderungen in westlichen Demokratien,wie das Abnehmen politischen Engagements, die größereKonkurrenz auf Medienmärkten und die Konzentrationvon Kapital im Mediensektor in Kombination miteiner aggressiveren journalistischen Kultur, haben zueinem neuen Grad der Abhängigkeit zwischen Politikund Medien geführt. Unter dem Druck der Medienumweltpräsentieren sich politische Akteure immer professioneller.Politisches Marketing, News Management undSpin Doctoring finden in modernen westlichen Demokratienimmer selbstverständlicher Anwendung (vgl.Huber und Weichert 2007). Durch den Fokus auf diePräsentation von Politik und die Anwendung vonMethoden wie politischer PR und News Management,treten komplizierte politische Programme und Ideensowie langfristige Überlegungen häufig in den Hintergrund,weil sie nicht so gut darstellbar sind. "Politicalpower tends to be embodied in the triangular recursiverelation between the top political actors with mediacharisma, the media and permanent polling” (Meyer andHinchman 2002:117).Die Anstrengungen politischer Akteure, journalistischeBerichterstattung zu beeinflussen und so die Kontrolleüber die politische Berichterstattung zu gewinnen, könnenals Versuch gesehen werden, wieder aktive Spielerim Kampf zwischen Medien und Politik zu werden.Meyer und Hinchman beschreiben diesen Prozess unddie Veränderungen, die er in der politischen Landschaftnach sich zieht, als Selbstmediatisierung der Politik(2001:85-96). Dies ist jedoch nur ein Aspekt der Beziehung,die am besten als gegenseitige Dependenzbeschrieben werden kann, denn die Medien sind ebensoabhängig von der Politik. Sie sind abhängig von aktuellerund exklusiver Information, um ein größtmöglichesPublikum zu erreichen, und so ihren Profit zu maximieren(siehe Cottle 1998:84).Doch Während in der nationalen Politik häufig eine zustarke Ausrichtung der Politik an der Logik der Massenmedienbeklagt und die Verlagerung parlamentarischerDiskussionen in Talkshows bedauert wird, kann voneiner vergleichbaren Mediatisierung der Politik aufEuropäischer Ebene kaum die Rede sein. Wo in Berlinder aufgeregte Wettbewerb um Aufmerksamkeit gelegentlichdie Sachthemen verdrängt, ist das gegenseitigeVerhältnis von Politik und Medien im Kontext der EU12 Meyer geht davon aus, dass die Kommission nicht wegen einzelner Fälle desMissmanagement zurücktreten musste, sondern wegen ihrer Unfähigkeitmit steigender Medienaufmerksamkeit und parlamentarischer Kontrolleumzugehen (1999:618).16


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box Brüsselhäufig von Ignoranz gekennzeichnet. – Eine direkteFolge der geringen demokratischen Rückkopplungeuropäischer Institutionen und der noch immer nationalfragmentierten Öffentlichkeit innerhalb der EU.2.2.3 Die Interaktionen zwischen PR-Personal undJournalisten – Die MikroperspektiveBaerns ist in ihren Untersuchungen den Fragen nachgegangenob, und unter welchen Umständen und wie oft,Produkte von PR in der Medienberichterstattung vonJournalisten auftauchen, und wenn ja, ob die Quellenkorrekt angegeben werden. Um dieser Frage nachzugehen,hat sie Medieninhaltsanalysen in Form von Input-Output-Analysen von PR-Material und Medienberichterstattungdurchgeführt. Die Ergebnisse ihrer Untersuchungenzeigen, dass PR-Quellen von Journalisten oftnicht korrekt angegeben werden. Stattdessen sind häufigganze Passagen aus <strong>Presse</strong>mitteilungen kopiert undvon Journalisten übernommen (Baerns 1991:3). Sokommt es zu einer nur scheinbaren Vielfalt der Medienberichterstattung,da die Mehrzahl der Nachrichten aufnur wenige Quellen zurückgeht und nicht auf unabhängigeRecherche. Dies wiederum ist intransparent fürLeser und Seher und gaukelt ihnen eine Art „Pseudo-Wahl“ zwischen unterschiedlichen Informationsquellenvor.Laut Baerns ist die Agenda selten durch die Nachrichtenwertevon Ereignissen bestimmt, sondern vielmehrdurch <strong>Presse</strong>konferenzen und <strong>Presse</strong>mitteilungen.Bearns geht so weit, die hohe Abhängigkeit von PublicRelations und den Mangel an eigener Recherche alsSelbstzensur der Journalisten zu beschreiben (Baerns1991:4). Für die Beziehung zwischen Journalismus undPR prägt sie den Begriff „Nullsummenspiel“: je mehrEinfluss PR-Arbeiter haben, desto weniger Gestaltungsmöglichkeitbleibt den Journalisten und umgekehrt(Baerns 1991:2). Aus Baerns’ Sicht spielen PR-Spezialistenin dieser Beziehung eindeutig die dominante Rolle.Bentele, Liebert und Seeling entwickeln diese Perspektiveweiter und entwerfen ein Modell für die Beziehungzwischen Journalisten und PR-Arbeitern, die sie als„Intereffikation“ beschreiben (Bentele et al. 1999:240).Nach Bentele et al. ermöglichen die beiden Systeme PRund Journalismus einander erst und sind in verschiedenenDimensionen interdependent.Wie bereits erwähnt, kommt in modernen westlichenDemokratien eine Methode des News Management undder politischen PR zur Anwendung, die eine neue Qualitätaufweist: Das so genannte Spin Doctoring. Durchdiese Methode versuchen politische Akteure und PRSpezialisten die bestmögliche Darstellung ihrer Handlungenin den Medien durchzusetzen.Methoden und Ziele des Spin Doctoring ähneln denenpolitischer PR sehr stark. Unterschiede bestehen in denMitteln und der Intensität mit denen sie angewandtwerden. Politische PR ist eine akzeptierte und häufigauch geschätzte Technik für politische Akteure, Themenund Bilder an die Öffentlichkeit zu kommunizieren. ImGegensatz dazu hat ein Spin Doctor „... sinister connotations,as a manipulator, conspirator, propagandist,even a malign and evil force at the heart of the bodypolitic“ (Esser et al 2000:213). Esser et al. beschreibendiverse Formen des Spin Doctoring, die von politischenAkteuren angewandt werden, um positive Berichterstattungherbeizuführen, oder um negative Berichterstattungzu vermeiden.Ein Großteil der theoretischen Grundlagen, die sich mitJournalismus und Public Relations befassen, wurde innationalen Medienkontexten entwickelt. Schon diesekurze Skizze der Journalismus-Theorien und derArbeitsbedingungen für EU-Korrespondenten hat deutlichgemacht, dass sich Journalismus in Brüssel vonJournalismus im Kontext von Nationalstaaten erheblichunterscheidet. Der theoretische Kern dieser Studiebefasst sich mit der Interdependenz der Systeme Medienund Politik und ihren Akteuren im nationalen Kontext.Diese sind Ausgangspunkt für eine Fallstudie aufeuropäischer Ebene in einem transnationalen politischenKontext.Es wird der Frage nachgegangen, inwiefern die Makro-Strukturen des politischen und des Mediensystems dieKultur politischer Kommunikation formen und beeinflussenund somit auch die Interaktionen zwischen politischenAkteuren und Medienvertretern auf der Mikro-Ebene.17


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box Brüssel3. ForschungsfragenFolgende Fragen haben sich aufbauend auf dem bisherigenForschungsstand für eine Bestandsaufnahme desdeutschen EU-Journalismus ergeben:1) Wird der Journalismus auf europäischer Ebene seinerKontrollfunktion als „Vierte Gewalt“ gerecht?2) Stellen Journalisten ein Forum her, auf dem sicheine informierte Willensbildung in der Bevölkerungvollziehen kann?3) Gibt es besondere Schwachpunkte im EU-Journalismus?4) Unter welchen Bedingungen kann die Qualität derEU-Berichterstattung verbessert werden?5) Sind kommunikationswissenschaftliche Theorienaus dem nationalen Kontext auch auf BrüsselerEbene anwendbar?4. MethodeZiel der Studie ist es, Prozesse und Charakteristika derEU-Berichterstattung zu identifizieren, um Vorschlägezur Optimierung erarbeiten zu können. Hierfür wurdevornehmlich auf die vergleichsweise offene Methodeder leitfadengestützten Experteninterviews zurückgegriffen.Im Vergleich zu vergangenen, international angelegtenProjekten, die sich aus arbeitsökonomischen Gründenauf sehr beschränkte Fallzahlen bei der Untersuchungdeutscher Journalisten stützen, kann hier der deutscheFall intensiv empirisch bearbeitet werden. Ziel der Fallauswahlist nicht die Repräsentativität, sondern vielmehrdie Selektion typischer Fälle, die – von denErkenntnissinteressen der Studie geleitet – in Formeines „theoretical sampling“ (Lamnek 1995:93) ausgewähltwurden.Insgesamt konnten 27 Gespräche mit deutschen Korrespondentengeführt werden 13 . Untersucht wurden nichtnur Brüsseler und Straßburger, sondern auch BerlinerJournalisten, die mit EU-Berichterstattung befasst sind.Zwar haben die wichtigsten Medien ihre Heimatredaktionenmeist nicht in Berlin, sondern z. B. in München,Frankfurt oder Hamburg. Allerdings wird davon ausgegangen,dass die kompetente Beurteilung der Auswirkungeneuropäischer Politik auf nationale Prozesse nurin enger Abstimmung zwischen Hauptstadt- und EU-Korrespondenten erfolgen kann und daher gerade dasZusammenspiel zwischen Journalisten in Berlin undBrüssel Aufschluss über Probleme und Potentiale in derEU-Berichterstattung geben kann.Um ein möglichst umfassendes Bild der EU-Berichterstattunggewinnen zu können, wurden Vertreter desPrint-, Fernseh-, Hörfunk-, Online- sowie Agenturjournalismusbefragt. Dabei wurden acht Journalisten inBerlin, ein Journalist in Straßburg, ein Journalist inMainz sowie 17 Journalisten in Brüssel befragt. NachMöglichkeit wurden jeweils der Berliner und der BrüsslerKorrespondent desselben Mediums interviewt. ImFall des ZDF wurde die Brüsseler Korrespondentin sowiedie leitende Redakteurin in der Heimatredaktionbefragt. Folgende Medien sind mit dem Sample abgedeckt:" Print: Süddeutsche Zeitung, Frankfurter AllgemeineZeitung, die tageszeitung, die Welt, Financial TimesDeutschland, Handelsblatt, der Tagesspiegel, stern,die Zeit, (die dänische Zeitung Information)" Fernsehen: ARD, ZDF" Hörfunk: SWR, RBB, Deutschlandfunk" Online: stern.de, europa digital" Agenturen: Reuters, dpa4.1 Die befragten JournalistenName Medium OrtHorst BaciaFrankfurter Allgemeine ZeitungBrüsselMichael Becker SWR Hörfunk BrüsselAlois Berger Freier Journalist BrüsselAxel Heyer Europa Digital BrüsselRolf-Dieter Krause ARD Fernsehen BrüsselAlexander Kudascheff Deutsche Welle FernsehenBrüsselCarsten Lietz Reuters Brüssel13Ein zusätzliches informelles Interview wurde mit einer dänischen Journalistingeführt. Dieses ist jedoch nicht in vollem Maße in die Analyse eingeflossen,um den Fokus auf deutsche EU-Berichterstatter, der in dieser Studieverfolgt wird, nicht zu schwächen.18


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box BrüsselTilman Müller stern BrüsselPetra Pinzler Die Zeit BrüsselKnut Pries WAZ BrüsselWolfgang ProisslFinancial Times DeutschlandBrüsselMartin Romanczyk dpa BrüsselChristoph Schlitz Die Welt BrüsselNatalie Steger ZDF Fernsehen BrüsselDaniela Weingärtner taz BrüsselBarbara Wesel RBB Hörfunk BrüsselMartin WinterSüddeutsche ZeitungBrüsselJoachim Görgen SWR Fernsehen Straßburg[Brigitte Alfter] Information BrüsselMartin Bialecki dpa BerlinNico FriedPeter EhrlichSüddeutsche ZeitungBerlinFinancial Times DeutschlandBerlinFlorian Güßgen stern BerlinClaudia Kade Reuters BerlinThomas Kreutzmann ARD Fernsehen BerlinAlbecht Meier Der Tagesspiegel BerlinAndreas Rinke Handelsblatt BerlinSusanne Biedenkopf ZDF Fernsehen MainzDie nach einem theoretischen Sampling erfolgte Auswahlder Gesprächspartner ist statistisch keinesfallsrepräsentativ für die Grundgesamtheit der EU-Berichterstatter.Dennoch werden im Folgenden die Charakteristikader Befragten genannt, um zumindest Hinweiseauf den „typischen EU-Berichterstatter“ zu geben. Dieserist, so legen die Daten hier nahe, eher männlich(78%). Im Mittel ist er 45 14 Jahre alt. Damit ist er knappvier Jahre älter als der durchschnittliche Journalistin Deutschland 15 . Auch verfügt er über mehr formaleBildungsabschlüsse als der bundesweite Durchschnittseiner Kollegen 16 . Ganze 93 Prozent der Befragten verfügenüber einen Hochschulabschluss, gut ein Fünftelhat sogar einen Doktortitel (die Favoriten der Journalistensind die Fächer Politikwissenschaften undGeschichte). Mit durchschnittlich 19 17 Jahren Berufserfahrungliegen die EU-Berichterstatter ebenfalls weitvor ihren Kollegen in Deutschland.Die Daten weisen darauf hin, dass EU-Berichterstattungin den Händen einer journalistischen Spitzengruppeliegt, die über eine besonders hohe formale Bildung undüber ausgeprägte journalistische Erfahrungen verfügt.Ein möglicher Erklärungsansatz hierfür ist die Tatsache,dass Auslands- sowie Hauptstadtposten in den meistenRedaktionen eher umkämpft sind, und dass die Journalisteneinen Selektionsprozess durchlaufen mussten, umauf ihre Posten zu gelangen.Den Interviewpartnern wurde Anonymität zugesichert,so dass nach dieser einmaligen Nennung der GesprächspartnerAussagen bis auf einzelne Ausnahmen Personennicht direkt zugeordnet werden.Leider war es nicht möglich, einen Mitarbeiter der Bild-Zeitung oder einen Journalisten, der für Privatsenderberichtet, zu interviewen. Dies spiegelt jedoch auchwider, dass diese Medien keine festen Korrespondentenin Brüssel beschäftigen. Ein freier Journalist, der für verschiedeneMedien aus Brüssel berichtet, konnte für dieBefragung jedoch gewonnen werden.Alle Interviews wurden persönlich von der Autorindurchgeführt 18 und aufgenommen. Nach Möglichkeitfanden die Gespräche im alltäglichen Arbeitsumfeld derJournalisten statt. Die Dauer der Gespräche variiertezwischen 30 und 60 Minuten. Die Aufnahmen wurdentranskribiert und standen so der Analyse zur Verfügung.Neben der Befragung wurden ergänzend passiv teilnehmendeBeobachtungen durchgeführt. Die Autorin hatsich zu folgenden Anlässen ein genaueres Bild von denAbläufen der EU-Berichterstattung gemacht:" Während zwei Briefings der EU-Kommission imOktober und November 2007" Während des Gipfels des Europäischen Rates unterdeutscher Präsidentschaft am 21. und 22. Juni" Während eines Hintergrundkreises in der ständigenVertretung Deutschlands im Vorfeld eines Rats fürWirtschaft und Finanzen (ECOFIN) unter portugiesischerPräsidentschaft in Brüssel im November 2007So konnten Routinen und Verhaltensweisen der Korrespondentenin ihrem Arbeitsumfeld ermittelt und mitden Angaben in den Interviews verglichen werden. Dieteilnehmende Beobachtung als „behind the scenes”-14 Der errechnete Mittelwert basiert auf den Altersangaben von 26 der 27befragten Journalisten15 Weischenberg, Siegfried (2006): Die Souffleure der Mediengesellschaft.Report über Journalismus in Deutschland. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft,S.59.16 Zum Vergleich: Nach den Daten der Studie „Journalismus in Deutschland“verfügen 69 Prozent der deutschen hauptberuflichen Journalisten übereinen Hochschulabschluss. In: Ebd. S. 57.17 Der Mittelwert basiert auf den Angaben von 23 der 27 befragten Journalisten.18 Die große Mehrheit der Gespräche wurde face-to-face in Brüssel und Berlindurchgeführt, in einigen Fällen musste aus arbeitsökonomischen Gründenauf Telefon-Interviews zurückgegriffen werden. „Die meisten Untersuchungenzum Vergleich des Antwortverhaltens in telephonischen und persönlichenInterviews lassen keine oder nur geringfügige Unterschiede inden Antwortreaktionen erkennen. Die Datenqualität bei der telefonischenBefragung ist in der Regel zumindest nicht geringer als bei persönlichenInterviews“ (Diekmann 2004:431).19


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box BrüsselMethode ermöglicht, „(…) a rare look into the innersanctum of media production, that privileged domain inwhich media professionals ply their trade […]” (Hansenet al. 1998: 35). Vor allem Hintergrundgespräche imRahmen der Europaberichterstattung waren bisherkaum Gegenstand wissenschaftlicher Analyse.Die Beobachtungen wurden, wie auch die Interviews,von der Autorin persönlich durchgeführt. BesonderesAugenmerk galt der Beantwortung der Fragen: WelcheBesonderheiten und (impliziten) Regeln lassen sich imAblauf der jeweiligen Veranstaltung feststellen? Wiegestaltet sich die Interaktion der Journalisten a) untereinanderund b) mit Politikern und Öffentlichkeitsarbeitern?Welche Fragen werden in welcher Art und Weiseund von wem thematisiert?4.2 Analyse und InterpretationAlle Interviews wurden in Gänze transkribiert. „Andersals bei der einzelfallinteressierten Interpretation orientiertsich die Auswertung von ExpertInneninterviews anthematischen Einheiten, an inhaltlich zusammmengehörigen,über die Texte verstreuten Passagen - nichtan der Sequenzialität von Äußerungen je Interview.Demgegenüber erhält der Funktionskontext der ExpertInnenan Gewicht, die Äußerungen der ExpertInnenwerden von Anfang an im Kontext ihrer InstitutionellorganisatorischenHandlungsbedingungen verortet (...)“(Meuser und Nagel 2005:81).Themen und Zitate, die Relevanz für die Forschungsfrageaufweisen, wurden identifiziert und nach den Kategoriender Interviewleitfäden geordnet. Zudem wurdenden Kategorien auch neue, die im Interviewleitfadennicht berücksichtig waren und spontan während derInterviews aufkamen, hinzugefügt.Nach diesen ersten Schritten wurde das Material nachThemen geordnet verdichtet, interpretiert und analysiert.Dies geschah zunächst durch die Suche nachMustern in den Antworten und durch eine Verortungdes Gesagten in einem größeren Kontext. Schließlichwurden die Beobachtungen an die theoretischen Vorüberlegungenund die Forschungsfragen zurückgekoppelt.In der Präsentation der Studie sind die wiederholtauftauchenden Themen dargestellt und mit Zitatenuntermauert. Die direkt zitierten Sequenzen wurdenaufgrund ihrer Erklärungskraft ausgesucht. Manchesind typische Äußerungen, die wiederkehrend in Interviewsauftauchten, andere zeigen extreme oder unkonventionelleWahrnehmungen. Die Zitate sollen das Verständnisdes Interviewmaterials vertiefen und vermeiden,die Ergebnisse durch zu starke Zusammenfassungund Zuordnung zu Kategorien zu stark zu simplifizieren.Die in einem qualitativen Verfahren gewonnenen Datensind nicht als repräsentativ zu verstehen. Sie sollenlediglich ein tieferes Verständnis der Arbeitssituationenvon Journalisten bei der EU-Berichterstattung ermöglichen.Es ist zu berücksichtigen, dass die Ergebnisse nurdie Wahrnehmungen der Journalisten widerspiegelnund daher nicht als objektive Realität verstanden werdenkönnen. Zudem bergen Interviews immer dieGefahr, sozial erwünschte Antworten zu produzieren,gerade wenn es um normativ stark aufgeladene Fragenwie journalistische Rollen und Ideale politischerBerichterstattung geht. Dem wurde versucht durch einevertrauensvolle Gesprächssituation sowie dieGewährung von Anonymität bei bestimmten Fragenentgegenzuwirken.Die Beobachtungen wurden von einem Leitfaden, derdie wichtigsten Gesichtspunkte enthielt, gestützt undlaufend durch frei formulierte Notizen festgehalten.Interpretationen erfolgten erst in einem zweiten Schritt.Die Objektivität und Zuverlässigkeit der gewonnenDaten sollte so ein größtmögliches Maß erreichen(Diekmann 2002: 472). Eine Beobachtung ist jedochimmer zugleich auch eine Selektion, da es unmöglichist, die Totalität des Geschehens zu erfassen (ebd.).Zudem muss auch einbezogen werden, dass Akteure ihrVerhalten möglicherweise durch den Einfluss der Anwesenheitder Beobachterin ändern, auch wenn diese stetsversucht hat, sich im Hintergrund zu halten.20


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box Brüssel5. Ergebnisse5.1 Politik jenseits öffentlicher KontrolleMassenmedien sind die „Wachhunde“ politischer wiewirtschaftlicher Macht und zugleich Transmissionsriemenzwischen Gesellschaft und Staat. Häufig beschriebenals „vierte Gewalt“, sind sie seit der Aufklärung elementarerBestandteil freiheitlich-demokratischerGesellschaftssysteme. Durch die Vielzahl der Sprachen,Medienkulturen und Partikularinteressen ist daseuropäische Mediensystem national fragmentiertgeblieben. Übergreifende Angebote, die informieren undkontrollieren, haben sich auf europäischer Ebene nichtausgebildet. Die EU als transnationaler Staatenbundohne historisches Vorbild hat keine natürlich gewachseneÖffentlichkeit. Dementsprechend gab die Mehrheitder befragten Journalisten an, über EU-Politik aus einernationalen Perspektive zu berichten.Ich berichte für ein deutsches Publikum, insofern istmeine Perspektive immer national. Das kann ja gar nichtanders sein. Ich werde über Dinge berichten, die eindeutsches Publikum interessieren. Das ist das Publikum,das mich bezahlt. (...) Ich glaube nicht an eine europäischeÖffentlichkeit, weil es die nicht geben kann. Das isteine Fama, von der immer wieder auf Seminaren oderKongressen schön daherschwadroniert wird. Ich glaube,dass sie europäische Öffentlichkeit im Alltag nichthaben, weil die Interessen zwischen Finnland und Sizilieneinfach zu unterschiedlich sind. Was den Weinbauernbetrifft, dafür wird sich in Finnland keine Socke interessieren“(EU8).Das Fehlen einer gemeinsamen Medienarena als Raumfür Kritik und Kontrolle politischer Macht hat im Fall derEU weit reichende Folgen. Die in den Öffentlichkeiteneinzelner Mitgliedsstaaten vorherrschende Meinung istfür die Akteure europäischer Politik von so geringerBedeutung, dass sie wenig Wert auf öffentliche Selbstdarstellungund Inszenierung ihrer Politik legen. So gibtes schließlich auch weniger Anlässe zur Berichterstattung,wodurch Europapolitik in den Medien nochunsichtbarer wird.„Also Europa hat deswegen nicht so eine Öffentlichkeitwie nationale Politik, weil Europa als Institution nichtdemokratisch sein kann. Weil es kein europäischesStaatsvolk gibt, weil es niemanden gibt, der hier irgendjemandenabsetzen kann, weil es niemanden gibt, der inder Lage ist, einen Skandal zu beenden, in dem manjemanden zum Teufel jagt, weil es niemanden gibt, derseinen Abgeordneten kennt, weil es niemanden gibt, derweiß was die Kommission macht. Das ist auch in Ordnung,das ist nicht schlimm“ (EU2).Kommissare sind grundsätzlich nicht auf positive Publicityangewiesen. Aber auch für die Abgeordneten desEuropäischen Parlaments ist im Grunde immer nur dieÖffentlichkeit im Heimatland Ziel positiver Selbstdarstellung,denn nur dort fällt die Entscheidung über ihreWiederwahl. Dies führt dazu, dass sich die Parlamentarieroft wenig darum bemühen, in den Medien andererMitgliedsstaaten positiv vorzukommen. Ein BrüsselerFernsehkorrespondent berichtet über Schwierigkeiten,Parlamentarier für Interviews oder Auftritte vor laufenderKamera zu gewinnen.„Die wollen ja gar nicht immer vor unsere Kameras. Wirsind - das ist ja auch eins der Probleme hier - den meistenKommissaren und Europaabgeordneten völlig egal,nämlich denen aus den anderen EU-Mitgliedsländern.Politiker drängen ja auch deshalb in die Medien, weil siesich davon bessere Chancen für die Wiederwahl erhoffen.Das kann ein Kommissar aus Portugal oder ein Abgeordneteraus Italien aber in einem deutschen Mediumnicht finden. Insofern sind wir denen völlig wurscht, undsie haben von sich aus nur wenig Interesse, vor unsereKameras zu kommen“ (EU8).Obwohl der politische Apparat als gut zugänglichbeschrieben wird und auch die Quellen als vielfältig undeinfach zugänglich gelten, ist das politische Systemweniger offen.„Besonderheiten sind vielleicht, dass Berlin im Grundeoffener ist, weil sich da natürlich die Leute auch ihrenWählern darstellen müssen. Das heißt, da wird politischmehr auf offener Bühne gespielt, während es hier mehreinen Apparatcharakter hat“ (EU4).Das führt neben im politischen System verankerten Faktorendazu, dass europäische Politik in sehr geringemMaße an die europäischen Bürger rückgekoppelt ist.Dass Europapolitik in Verkennung ihrer tatsächlichenBedeutung als entferntes Rauschen empfunden wird,das den Alltag der meisten Menschen kaum tangiert,spiegelt sich auch in der Tatsache wider, dass die EU-Berichterstattung meist dem Außenressort zugeordnet21


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box Brüsselwird. So finden sich EU-Nachrichten neben Nachrichtenaus dem Irak oder dem fernen Osten wieder – obwohl,den Beschreibungen der Journalisten nach, die EU-Berichterstattung eigentlich im innenpolitischen Ressortangesiedelt sein müsste. Dies steht im Einklang mitden oben ausgeführten Ergebnissen des AIM-Projekts(vgl. Hahn, Leppik und Lönnedonker 2007).5.2 Das System Brüssel: Kein NachrichtenwertBerichten über europäische Angelegenheiten fehlen oftNachrichtenfaktoren und damit Nachrichtenwert. Diesführt dazu, dass sie, gemessen an ihrer tatsächlichenBedeutung, in der Berichterstattung unterrepräsentiertsind. Gerade die Faktoren, die in der aktuellen Studievon Ruhrmann und Göbbel 2007 als zunehmend wichtigdargestellt werden, nämlich „Visualität und bildlicheDarstellung von Emotionen sowie das Kriterium Verfügbarkeitvon Bildern“ vermissen die befragten Journalisten.Der EU-Korrespondent einer großen deutschenTageszeitung nennt Brüssel „eine bilderlose Stadt“. Erbeschreibt den Abstraktionsgrad der europäischen Politikals eines der Hauptprobleme der Europaberichterstattung.„Europapolitik ist lebensfern in dem Sinne, dass derGegenstand unserer Berichterstattung meist Männer ingrauen Anzügen sind - Frauen schon sehr viel weniger -die irgendwelche Papiere besprechen und verabschieden.Leute, die mit ihrer Hände Arbeit irgendetwasmachen gibt es hier nicht. Hier gibt es nur Akten, die herumgereichtwerden“ (EU6).Die weiterhin von Ruhrmann und Göbbel als besonderswichtig identifizierten Faktoren Reichweite, deutscheBeteiligung sowie negative und positive Folgen müsstenbei EU-Berichterstattung eigentlich besonders starkausgeprägt sein. Besonders wenn man bedenkt, dass einGroßteil des politischen Regelwerks, das den deutschenBürger in seinem täglichen Leben bestimmt, in Brüsselseinen Ursprung hat. In vielen Fällen ist Europapolitikdeutsche Politik. Doch wie im Folgenden dargestellt,sind es oft strukturelle Faktoren, die Nachrichten ausBrüssel zu einer zähen Materie machen, die sich derFunktionslogik der Massenmedien in großen Teilen verschließt.Auch die Nachrichtenfaktoren Überraschung und Kontroversekommen in der EU-Politik selten vor. An Stelledes „Showdowns“, der häufig im nationalen Parteienzwistfür die Medien inszeniert wird, tritt auf Ebene derEU häufig nur Bürokratie.5.2.1 Bürokratie statt ShowdownWie bereits in den theoretischen Grundlagen dieserArbeit erörtert, ist das Europäische Parlament die einzigeInstitution auf der Ebene der EU, deren Akteure aufdie Gunst von Wählern angewiesen sind. Das Parlamenthat jedoch im Vergleich zur Europäischen Kommissionrecht wenige Befugnisse. Da die Kommissare nichtgewählt, sondern von den nationalen Regierungenernannt werden, sind sie weniger von positiver Medienresonanzabhängig. Die Kommission unternimmt daherauch keine großen Anstrengungen, politische Prozessemediengerecht zu inszenieren.Ein zweites Charakteristikum, das die mediale Inszenierungvon EU-Politik erschwert, ist die Tatsache, dass dieEU-Regierung keine Opposition hat. Auch im EuropäischenParlament gibt es selten Zuspitzungen zwischenParteilagern, regiert wird stattdessen mit wechselndenMehrheiten. Deshalb kann EU-Politik nur ganz selten inForm von Konflikten zwischen Parteien dargestellt werden.Wenn Konflikte dargestellt werden, dann eher zwischennationalen Lagern. So beschreibt der Leiter einerBrüsseler Fernsehredaktion:„Bei uns spielt Parteipolitik nicht so eine große Rolle. Beiuns sind es doch eher die nationalen Befindlichkeitenund die betreffen eigentlich eher Regierungen als Oppositionen“(EU2).Im nationalen Kontext ist die Opposition stets bemüht,ihre Position in Abgrenzung zur Regierung darzustellenoder sogar durch geschicktes News-Managementnicht-öffentliche Regierungsfehler publik zu machen,um negative Schlagzeilen für die amtierende Regierungzu provozieren. In dieser Situation unterstützt dieOpposition die Kontrollfunktion der Medien, um dieeigene Wiederwahl zu befördern.Die Nachrichtenfaktoren Personalisierung und Konfliktsind also auf europäischer Ebene schwach ausgeprägt.Eine Möglichkeit, trotz dieser Beschränkungen Schlagzeilenzu machen, ist die Zuspitzung der Europaberichterstattungauf prominente nationale Politiker und derenKonflikte mit Vertretern anderer Mitgliedsstaaten oderder EU als Apparat. Dies geschieht regelmäßig und wirdebenso häufig bemängelt. Doch selbst diese umstritteneStrategie wird durch die speziellen Voraussetzungen inBrüssel erschwert. Wie unten erläutert, dringen wenigeEinzelheiten über politische Verhandlungen zwischen denMitgliedsstaaten nach außen, um die Kompromissfindungder 27 Mitgliedsstaaten nicht weiter zu erschweren.22


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box Brüssel5.2.2 KomplexitätsfalleLetztlich besteht jede Form der politischen Berichterstattungnicht nur aus der Nachricht selbst, sondernlebt vom Zusammenspiel neuer Informationen mit demVorwissen der Leser. Insbesondere kritische Berichterstattungsetzt gewisse Vorkenntnisse und ein Bewusstseinfür gängige Normen des politischen Prozesses voraus.Je genauer die Norm bekannt ist, desto leichterkann eine Abweichung von der Norm beschrieben undbewertet werden.Schreibt zum Beispiel ein Journalist über die deutscheGesundheitsreform, wird er bei seinen Lesern vermutlichkeine Detailkenntnisse gesetzlicher Regelungen voraussetzenkönnen. Doch der Rahmen, in dem die Gesundheitspolitikverhandelt wird, ist dem Publikum sehr wohlvertraut. Minister und Parlamentarier sind in den meistenFällen bekannte Gesichter, die für bestimmte (partei-)politischePositionen stehen. Auch Bundestag undBundesrat sind für den deutschen Bürger bekannteInstitutionen. Zumindest grobe Vorstellungen des politischenSystems und seiner Institutionen hat fast jederDeutsche.Im Gegensatz dazu gehen die meisten befragten Journalistendavon aus, dass ihr Publikum keine Vorstellungvon der institutionellen Struktur der EuropäischenUnion hat. Daraus folgt, dass Berichterstattung über dieEU immer auch ein Grundkurs der Europapolitik undihrer Spielregeln sein muss.„Es ist, als ob ein Engländer einem Nicht-Engländer sagt:„Guck mal da: Die spielen Cricket, das ist ein wahnsinnigaufregendes Spiel!“ Wenn Sie die Regeln aber gar nichtkennen, dann ist es sturzlangweilig. Ein Kerl in einer langenweißen Hose rennt ein bisschen hin und her, dann istPause, und alle gehen Tee trinken. Was soll daran aufregendsein? So ähnlich ist das hier in Brüssel. Man kannden Leuten ja nicht sagen, gebt mir mal eine Stunde Zeit,dann erkläre ich euch die Spielregeln. Sondern man mussbei jeder Spielszene die Regeln mit erklären. Das istschwierig“ (EU6).Im laufenden Spiel die Regeln immer wieder neu zuerklären, führt nicht nur dazu, dass Berichterstattungüber Europapolitik oft zäh und „schwer verdaulich“ fürdas Publikum ist, sondern auch dazu, dass die oft hochspezialisierten Korrespondenten wenig Raum haben, umihr Spezialwissen weiterzugeben und stattdessen ineinem stark deskriptiven Duktus verhaftet bleiben. Esbleibt weniger Raum für kritische Analysen und Interpretationenin der Berichterstattung.Nun kann man auch von nationalen Politik- und Gesetzgebungsprozessennicht sagen, dass sie einfachen Spielregelnfolgen würden. Sie sind für die Medienberichterstattunglediglich besser darstellbar als europäischePolitik. Medien können über Bundespolitik eher personalisiertberichten. Politische Verhandlungen und dabeiauftretende Konflikte sowie Gefechte zwischen Spitzenkandidatenlassen sich häufig entlang von Parteilinienzuspitzen und auch für den Bürger ohne detailreichespolitisches Vorwissen verständlich machen.5.2.3 Black Box BrüsselWeil so wenig über den Prozess der europäischen Entscheidungsfindungberichtet wird, erscheinen dieeuropäischen Institutionen meist als Black Box. Ein prominentesBeispiel ist die Feinstaubrichtlinie, die 1999 inBrüssel leise verabschiedet wurde und schließlich 2002auch Bundestag und Bundesrat ohne öffentliche Kontroversepassierte. Erst mit In Kraft treten des Gesetzesbegann eine heftige Debatte in der deutschen Öffentlichkeit.Gerhards, Offerhaus und Roose beschreiben dieDiskussion über die Feinstaubregelung der EU-Richtlinie1999/30/EG als „ein prototypisches Beispiel für den Verlaufeiner öffentlichen Debatte über europäischeGesetzgebungsverfahren“ (Gerhards et al. 2005:3).Dieser „prototypische Verlauf“ hat unterschiedlicheUrsachen. Eine Ursache ist, dass Regional- und Lokaljournalistenmeist nicht über die notwendige Europakompetenzverfügen, um Themen wie die „Feinstaubrichtlinie“zu einem adäquaten Zeitpunkt zu erkennenund in ihre Berichterstattung aufzunehmen (vgl. Schäfer2006:117).„Beispiel Feinstaubrichtlinie. Wenn es dann so weit ist,fallen sie aus allen Wolken, inklusive der Oberstadtdirektorenund sonstigen Leuten, die es wissen müssten, diesagen: Davon haben wir noch nie gehört. Davon habensie deshalb noch nie gehört, weil wir Journalisten nochnie darüber berichtet haben. Also, da sehe ich schon einstrukturelles Problem“ (EU18).Die Interviews haben jedoch auch ergeben, dass diemangelnde Information und Diskussion über laufendeGesetzgebungsverfahren nicht erst in den Redaktionen,sondern oft bereits in den politischen Institutionenihren Ursprung haben. Journalisten berichten, dass die<strong>Presse</strong>sprecher meist bewusst vermeiden, Informationenweiterzugeben, während Verhandlungen und Entscheidungsprozessenoch andauern.In nationalem Kontext wären solche „Stillhalte-Taktiken“angesichts des Recherchedrucks der Medien kaumdurchzuhalten. In Brüssel aber herrschen andere Bedingungen.Wirklich überraschend ist, dass die Mehrheitder interviewten Journalisten großes Verständnis dafür23


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box Brüsselzeigt, dass bestimmte politische Verhandlungen nurunter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt werdenkönnen. So kommentiert eine EU-Korrespondentin dieÖffentlichkeitsarbeit der Europäischen Kommission:„Natürlich ist sozusagen diese Unzulänglichkeit derKommission einerseits ein gewisses Grundproblem.Andererseits verstehe ich auch, dass die ganzen Spitzenbeamtennicht pausenlos die <strong>Presse</strong> auf dem Schoßhaben können. Das geht natürlich auch nicht, wenn dieSachen, bevor sie fertig gekocht sind, schon wieder aufden nationalen Märkten gehandelt werden. Die Mitgliedsländerhaben natürlich teilweise total widerstrebendeInteressen, das muss man auch sehen. Dann istdas ganz klar, dass die natürlich erst mal den Mund haltenmüssen, so lange bis sie einen Vorschlag machenkönnen, wo sie meinen, sie könnten es ungefähr ausbalancierenund dafür eine Mehrheit kriegen. Das ist ebender völlig normale Prozess. Wir versuchen, was raus zukriegen und die versuchen, was nicht zu sagen. Das istimmer so, das ist das Spiel“ (EU4).Ähnlich verständnisvoll schildert ein anderer EU-Korrespondentden Umgang mit Öffentlichkeit der nationalenFachminister im Rat der Europäischen Union:„Und wenn der Ministerrat hier ein Interesse hat, - es istimmer derselbe Ministerrat mit unterschiedlicher Besetzung– ein Thema durchzukriegen, dann können die garnicht öffentlich tagen. Wenn sie das machen, dann istjede Richtlinie tot. Das ist das, was bei der Forderungnach mehr Transparenz gerne übersehen wird. Das istalles recht und schön. Aber es gibt halt 27 unterschiedlicheÖffentlichkeiten“ (EU5).Diese Schilderungen stehen in Übereinstimmung mitder Studie von Meyer, in der ein Drittel aller Journalistenangab, selten oder fast nie über Verhandlungen zuberichten, bevor eine Entscheidung der EuropäischenKommission getroffen ist. Mehr als 70% gaben zu Protokoll,wenig Interesse an der Berichterstattung überArbeitsgruppen des Rates zu haben. Gleichzeitig stuftendie Journalisten den Zugang zu Informationen in diesemBereich als „schwierig“ oder „sehr schwierig“ ein (Meyer2002:167). Dass die meisten Journalisten es akzeptierenoder sogar unterstützen, während politischer Verhandlungenin der Kommission oder im Ministerrat kauminformiert zu werden, ist als Ergebnis zumindest überraschend.Die Forderung, die Räte öffentlich abzuhalten unddadurch die Beratungsstadien transparenter zu machen,greift in diesem Fall zu kurz. Wie der ehemalige BundesfinanzministerHans Eichel im Gespräch mit derAutorin bestätigte, ist die Bereitschaft der Minister, freiund ergebnisoffen zu diskutieren, direkt an die verschlossenenTüren des Verhandlungsraumes gekoppelt.Finden die Räte, wie es gelegentlich versucht wurde undwird, öffentlich statt, werden nur vorbereitete Papiereverlesen und die wesentlichen Verhandlungen findenbeim Mittagessen ohne laufende Kameras und Diktiergerätestatt. Transparenz könnte unter diesen Bedingungennur über die Bereitschaft der Teilnehmer entstehen,Konflikte öffentlich zu machen.Durch die Tendenz von Politik und Medien, Diskussionenund Entscheidungsprozesse auszublenden, wird die EUzur Black Box. Scheinbar aus dem Nichts tauchen Regelungenin der öffentlichen Wahrnehmung erst dann auf,wenn ihre Umsetzung in nationales Recht ansteht. InDemokratien ist aber gerade die Transparenz der Prozesseim komplexen Regierungs- und Entscheidungsapparatvon Bedeutung. Nur so kann Politik über denUmweg der Medienöffentlichkeit an die Bürger rückgekoppeltwerden und ein Mindestmaß an Reziprozität impolitischen System geschaffen werden.Eine Berichterstattung, die Grundlagen nicht voraussetzenkann und den politischen Prozess mit seinen Akteurenin einer Black Box verschwinden lässt, bietet keineAngriffspunkte für Kontroverse und Diskussion. Sokommt es schon durch strukturelle Faktoren zu einerEntpolitisierung der Berichterstattung aus Brüssel.5.3 Der Arbeitsplatz BrüsselIn den Institutionen der Europäischen Union ist in denvergangenen fünf Jahrzehnten eine einzigartige politischeKultur entstanden. Wie die Ergebnisse der Interviewszeigen, haben Akteure aus Politik und Medien eineebenso einzigartige Kultur der politischen Kommunikationentwickelt. Diese Beobachtung steht im Einklangmit Pfetschs Argumentation, dass die Kultur der politischenKommunikation immer durch die spezifischenmakrostrukturellen Vorbedingungen des politischen unddes Mediensystems geformt ist (Pfetsch 2003:27).Der Arbeitsplatz Brüssel unterscheidet sich für EU-Korrespondentenin vielfacher Hinsicht von den traditionellenKorrespondentenposten. Im Gegensatz zum klassischenAuslandskorrespondenten berichtet der BrüsselerJournalist nicht über ein fremdes, unabhängig agierendesLand, sondern über eine Ebene des politischenSystems, welche die deutsche Politik maßgeblichbestimmt und umgekehrt ständig von den Akteuren undInteressen nationaler Politik beeinflusst wird. Ein EU-24


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box BrüsselKorrespondent betont, dass keine gute Europaberichterstattungmöglich sei ohne „ein Auge auf die deutscheInnenpolitik. Sie müssen schon wissen, was zuhause vorsich geht, um vernünftig berichten zu können.“ EinBrüsseler Tageszeitungskorrespondent erklärt diesenbesonderen Status folgendermaßen:„Brüssel ist für einen deutschen Korrespondenten nichtwie ein Auslandsposten, sondern wie ein Inlandsposten.Wir arbeiten hier genauso wie die Kollegen in Berlin. Dasheißt, die Themen sind ja in einer gewissen Weise auchdeutsche Themen. Man berichtet also nicht über einfremdes Land oder eine fremde Organisation, sondernüber eine, an der das eigene Land beteiligt ist, also auchein direktes Interesse hat“ (EU3).Es wird deutlich, dass EU Korrespondenten im Grundezwischen zwei politischen Systemen agieren müssten.Sie stehen täglich erneut vor der Herausforderung,beide Perspektiven zu verbinden, um adäquat – und fürden deutschen Markt relevant – berichten zu können.5.3.1 Raumschiff Brüssel – ein spezieller Posten fürKorrespondentenEU-Korrespondenten erfahren am Standort Brüssel einestarke Sozialisierung. „During their first weeks in Brussels,most journalists confess that they believed theyhad ‚landed on planet Mars’ since the ‚Euro-speak’, thetechnicalities and the complexity of EU processes correspondedlittle with what they were previously accustomedto” (Baisnée 2000:79.) Eine Journalistin spricht indiesem Zusammenhang vom Aufeinandertreffen zweierunterschiedlicher Wirklichkeiten.Die meisten Korrespondenten betonen, dass es langwierigerEinarbeitung bedarf, die Prozesse der EU zu verstehen,Quellen vor Ort zu erschließen, Vertrauen aufzubauen,um schließlich auch Zugänge zu exklusivenNachrichten zu gewinnen. Nach Einarbeitung in diekomplexen Strukturen wird das „Raumschiff Brüssel“ fürdie meisten Journalisten zur Heimat und der EU-Trosszum sozialen Umfeld. Olivier Baisnée beschreibt dasLeben der Korrespondenten vor Ort als „real communitylife“. Ein EU-Korrespondent schildert diesen Effekt so:„Das ist hier ja schon wie eine große Schulklasse. Wennin der EU was ist, dann ist es ein Betriebsausflug, einKlassenausflug, da fährt man dann miteinander hin.Früher saß man noch im selben Flugzeug. Da hat API, die„Association pour la presse internationale“ ein Flugzeuggechartert, dann sind wir gemeinsam nach Tamperegeflogen. In Tampere waren dann 500 Brüsseler Journalisten,die man halt so kennt. In Amsterdam ist es schoneinmal passiert, dass ich die Kreditkartennummer vergessenhabe und kein Geld mehr dabei hatte. Dann gehtman in die nächste Kneipe, da sitzen fünf Leute, die mankennt und leiht sich Geld 19 “ (EU5).Dadurch, dass Journalisten in die politischen Strukturender EU „hineinwachsen“, mit immer mehr Akteurenbekannt sind und an den Brüsseler Politikprozessenintensiv teilhaben, verändert sich auch der Blick auf denGegenstand der Berichterstattung. So beschreibt dieKorrespondentin einer großen deutschen Tageszeitungzum Beispiel wie sehr sich durch das Anhäufen vonExpertise zu EU-Politik auch der Umgang mit Themenändert:„Ja die Berliner Journalisten haben oft von Details keineAhnung und stellen die völlig falschen Fragen, aber dasist dann halt der Stand, den man auch zuhause hat, undder Vorteil davon ist, dass da eben nicht so ein Fachidiotdarauf guckt, sondern mal jemand ganz frisch mal wiederganz von vorn blödsinnige Fragen stellt, die keinemvon uns über die Lippen kämen, weil wir halt viel zu vieldrin sind in der Materie“. Aber wenn man das alles weiß,dann stellt man eben bestimmte Fragen nicht mehr, weilman kennt die Antwort schon, und das ist einem dannirgendwie peinlich, während der Kollege aus Berlin dasdann ganz frisch und unverblümt wieder fragen kann,und das ist ja auch gut so“ (EU10).So verlieren die Brüsseler Korrespondenten nach einigerZeit alleine durch die räumliche Trennung auch häufigden direkten Kontakt zur Berliner Politik. Auf die Frage,inwiefern die Kanzlerin und die Bundesregierung diedeutsche Ratspräsidentschaft auch innenpolitischgenutzt haben, erwidert ein Zeitungskorrespondent:„Das kann ich – ehrlich gesagt – nicht so richtig beurteilen,weil ich im Ausland lebe. Ich schaue zwar regelmäßigdie Tagesschau und so was, aber da müssten Siemeine Berliner Kollegen fragen. Die wissen das wahrscheinlichbesser“ (EU15).Dies führt zu einem Dilemma: je länger die Journalistenin Brüssel sind, desto mehr identifizieren sie sich mitden politischen Akteuren und Institutionen vor Ort. Diesbirgt die Gefahr in sich, dass sie die notwendige Distanz19 Im Vertrag von Nizza (in Kraft seit 2003) wurde festgeschrieben, dass dieGipfel des Europäischen Rates nicht mehr regulär im jeweiligen Vorsitzlandstattfinden, sondern im Ratsgebäude in Brüssel. Damit hat sich das Reiseaufkommender Korrespondenten verringert.25


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box Brüsselfür eine kritische Berichterstattung verlieren.„Es gibt in diesem Raumschiff Brüssel eine Art Syndrom,dass man auch als Journalist mit drin sitzt, ganz nah beider Schaltzentrale, und das Geschehen entsprechendbesser nachvollziehen kann als die Außenstehenden. Esist oft unattraktiv, wie Kompromisse letzten Endes aussehen,wie wenig etwa von einer gut durchdachtennationalen Position übrigbleibt. Aber so wie die Politikerverteidigen, dass es magere, aber immerhin: Ergebnissegibt, so sehen auch die meisten Journalisten die Vorgängenicht einfach schwarz-weiß. Dieses Verteidigenunpopulärer Kompromisse und der Prozesse, wie siezustande kommen, bedeutet keine Solidarisierung zwischenJournalisten und Politikern, aber eine Gemeinsamkeit.Dieses Syndrom ereilt übrigens selbst ausgesprocheneuropakritische Abgeordnete und Journalisten,wenn sie in Brüssel arbeiten.“ (EU1).Trotz der Gefahr einer Überanpassung erfordern daskomplexe Themenfeld und die schwierige Quellenlage,dass Journalisten für längere Zeit in Brüssel arbeiten,damit sie das politische Feld mit all seinen Chancen undMöglichkeiten erschließen können.5.3.2 Deadlines und ZeitdruckIn den Berliner Redaktionen der größeren deutschenZeitungen sind Finanzexperten, Spezialisten fürGesundheitspolitik, Fachleute für Innen-, Außen- undVerkehrspolitik, Kulturredakteure und Klatschreporterselbstverständlich. Im Gegensatz zu diesen Großredaktionenist die Notbesetzung in Brüssel der Normalfall –obwohl wesentliche politische Entscheidungen und Gesetzesentwürfehier ihren Ursprung haben. Das NachrichtenmagazinDer Spiegel leistet sich etwa 35 Redakteurein Berlin, in Brüssel wird das „Sturmgeschütz derDemokratie“ von zwei Journalisten vertreten 20 .Die Brüsseler Außenposten berichten nicht nur über dieEuropäische Union, sondern sind bei fast allen Zeitungenzusätzlich für die NATO-Berichterstattung und dieBenelux-Länder zuständig. Straßburger Journalistendecken meist noch das Elsass mit ab. Die Korrespondentenhaben unter diesen Umständen in der Regel kaumdie Möglichkeit, sich auf einzelne Themenfelder zu spezialisieren.Auch Zugänge und Kontakte zu Quellen könnenso nicht in allen Bereichen gepflegt werden. Durchdie systematische Unterbesetzung der Korrespondenten-Bürosentsteht erheblicher Zeitdruck, der sichnatürlich auch auf Umfang und Gründlichkeit derRecherche auswirkt.Es gibt verschiedene Ansätze, um diesen Schwierigkeitenzu begegnen. Die Landesanstalten der ARD poolenihre Korrespondenten in gemeinsamen Büros in Brüsselund Straßburg. Einen anderen, sehr europäischen Weg,wählen zum Beispiel die Nachrichtenagentur Reutersund die Zeitungen der WAZ-Gruppe. Hier teilen sichKorrespondenten aus verschiedenen europäischen Ländernein Büro und arbeiten oft gemeinsam an denBerichten aus Brüssel. So entsteht aus Pragmatismuseine internationale Redaktion und der Transnationalisierungvon Medienkapital folgt die Internationalisierungjournalistischer Arbeit.Freie Journalisten, die mit einem so genannten „Bauchladen“für verschiedene Medien arbeiten, leiden oftunter noch größerem Zeit- und Termindruck als ihre beieinem Medium fest angestellten Kollegen. Sie habendiverse Auftraggeber mit unterschiedlichen Ansprüchenund Zielgruppen. So erkärt ein EU-Korrespondent „mancheLeute haben ein Dutzend Regionalzeitungen amHals, die haben schlicht keine Zeit dafür“ [gemeint isthier die intensive Recherche] (EU3). Gleichzeitig sind dieFreiberufler davon abhängig, möglichst viel zu produzieren,da sie direkt nach Leistung vergütet werden undmeist kein festes Gehalt haben. In dieser Situation kannRecherche zum wirtschaftlichen Risiko werden (vgl.Leyendecker 2005:52).Neben den personellen Ressourcen in den Redaktionenspielt natürlich auch der Takt der jeweiligen Mediengattungeine wichtige Rolle bei der Entstehung von Termindruck.Von Fernseh- und Radiojournalisten wird eineunmittelbare Berichterstattung erwartet. Über den Tagverteilt gibt es eine Reihe von Deadlines. Zu den verschiedenen(Nachrichten-)Sendungen muss jeweils deraktuellste Stand berichtet werden. Dies ist ein wesentlicherUnterschied zu Zeitungen, die nur einmal am Tageinen allgemeinen Redaktionsschluss haben.Folglich brauchen Journalisten elektronischer Medienhäufig besonders schnellen Zugang zu Informationenund müssen entweder sehr gute Kontakte aufgebauthaben, oder sich zeitweise auf die Berichterstattung derAgenturen verlassen.Unter noch stärkerem Zeitdruck arbeiten schließlich dieAgenturjournalisten, von denen grundsätzlich erwartetwird, immer etwas schneller als die Kollegen zu sein. ImKampf der Agenturen um exklusiven Zugang zu Informationenwird daher mit harten Bandagen gekämpft.So erinnert sich ein Agenturjournalist an den BrüsselerGipfel zur EU-Verfassung:20 Der Spiegel ist hierbei kein Einzelfall. Auch RTL beschäftigt zum Beispiel nureinen freien Journalisten, für den Stern pendelt ein Journalist zwischenParis und Brüssel und die Bild Zeitung hat gar keinen festen Journalistenfür die Berichterstattung aus Brüssel.26


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box Brüssel„Wir haben uns in der Nacht sozusagen unter den Agenturennichts geschenkt. Wir haben natürlich den Druck,dass wir die ersten sein wollen. Es gab auch Momente, dawaren die anderen mal vorn. Das ist ein Prozess, der überdie ganze Nacht geht. Dann waren wir wieder vorne. Sieriskieren da jedes Mal sozusagen Ihren guten Ruf. Das istdas, was diese Berichterstattung so besonders macht“(EU14).Weil Agenturjournalisten unter erheblichem Druckarbeiten und andere Medien regelmäßig auf ihr Materialzurückgreifen, sind sie für Politiker und PR-Spezialistenwichtige Multiplikatoren.5.3.3 Der Einfluss der HeimatredaktionDie befragten Journalisten gaben an, relativ unabhängigvon ihren Heimatredaktionen zu arbeiten. Eine EU-Korrespondentinantwortet auf die Frage, wie groß der Einflussihrer Heimatredaktion ist:„Ich bin völlig autonom. Das ist ja teilweise auch ziemlichspezifisch, was wir hier machen. Und es ist nichtganz unkompliziert. Insofern, denke ich mal, kann ich garnicht erkennen, wer sich da hinsetzen sollte, um quasinachzubessern oder zu ändern“ (EU4).Die Mehrheit der Interview-Partner gab an, dass denHeimatredakteuren häufig detailliertes Wissen zueuropäischen Fragen fehle und sie deshalb auch keinenEinfluss auf die Richtung der Berichterstattung der Korrespondentenaus Brüssel nehmen könnten.Diese Sicht der Journalisten auf die Einflussmöglichkeitender Heimatredaktionen blendet allerdings aus, dassEinfluss sich nicht auf aktive Eingriffe in den journalistischenInhalt beschränken muss. Letzten Endes habendie Redakteure in der Heimat noch immer die Funktionder „Gatekeeper“, sie entscheiden schon vor Beginn derNachrichtenproduktion über die Auswahl der Themen,zu denen Berichte angefertigt werden. Diese Entscheidungensind, in Einklang mit den Ergebnissen von Gatekeeper-Studien,sehr stark von organisatorischen Faktorenabhängig - von der Verfügbarkeit von Bildern, Platzbeschränkungenoder dem Wettbewerb mit anderenEreignissen.Thematisch sind die Erwartungen der Heimatredaktionenmaßgeblich durch die angenommenen Interessendes Publikums geprägt.„Das ist im Prinzip der ständige Wunsch der Heimatredaktion.Die sagen: Was heißt denn das eigentlich füruns? Was bedeutet das für den Verbraucher und für denBürger?“ (EU11).Eine wichtige Rolle spielen allerdings auch die Nachrichtenagenturen.Durch das Informationsdefizit, dasRedakteure in Berlin, Frankfurt, Bochum oder Münchengegenüber ihren Kollegen in Brüssel haben, wird ihreSicht der Vorgänge in erheblichem Maße durch dieBerichterstattung der Agenturen geprägt. Für Heimatredakteureist der Wirklichkeitsausschnitt des Agenturtickersneben der Kommunikation mit den eigenen Korrespondentenhäufig das einzige Fenster zu den Vorgängenin Brüssel. So setzen die Agenturen durch ihren Einflussauf die Heimatredaktionen die Agenda sozusagen„über Bande“. Einige Journalisten beschreiben, dass dieHeimatredaktionen Themen anfordern, sobald Agenturenvermehrt darüber berichten. Ganz gleich, ob einThema von den Korrespondenten auch als besondersrelevant gesehen wird (z.B. EU12 und EU6). Das Relevanz-Empfindender Journalisten in Brüssel und das derRedaktionen im Heimatort scheint im Fall von Regionalzeitungbesonders weit auseinander zu klaffen:„Man kann Regionalzeitungen mit Erfolg Geschichtenanbieten, die einen Verbrauchergesichtspunkt haben, dieregionale Wirtschaft betreffen oder größere politischeThemen in Deutschland. Aber die Statusfrage des Kosovo,die außenpolitisch sehr spannend ist und in der EU-Agenda eine der schwierigsten Frage überhaupt - dieinteressiert den Leser in Dortmund nur sehr begrenzt“(EU6).Wo überregionale Zeitungen noch mit einiger Regelmäßigkeitauf EU-Politik und deren Hintergründe eingehen,räumen die Heimatredakteure der RegionalzeitungenEuropapolitik noch weniger Platz ein. Dies konnteauch Vetters in einem Vergleich der EU-Berichterstattungvon Qualitäts- und Regionalzeitungen belegen(2007b:368). Diese Beobachtung ist besonders relevant,da es in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländernaufgrund seiner föderalistischen Struktur eine höhereAnzahl und Bedeutung von Regional- und Lokalzeitungengibt 21 . Die Entscheidungen der Redakteure in Chemnitz,Stuttgart oder Oldenburg haben also einen erheblichenAnteil an der Quantität und Qualität der EU-Informationen,die den Bürger potentiell erreichen könnten.21 Nach Angaben der Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse 2007erlangen regionale Abo-Tageszeitungen eine Reichweite von 54,1 Prozent(35,06 Mio.), während die überregionalen Abo-Tageszeitungen lediglicheine Reichweite von 6,5 Prozent (4,23 Mio.) erzielen. (Folgende überregionaleTageszeitungen gingen in die Analyse des Allensbacher Institutes ein:Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurter Rundschau, Süddeutsche Zeitung,Die Welt, Financial Times Deutschland, Handelsblatt. Quelle: AWA2007 In: www.awa-online.de, Stand: Oktober 2007.)27


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box Brüssel5.4 Steckbrief: EU Korrespondent5.4.1 Einstellungen zur Europäischen Union„Man wird in Brüssel fast automatisch pro-europäisch,sowohl als Politiker, als auch als Journalist“ (EU1).Bisherige Studien sind zu dem Ergebnis gekommen, dassdeutsche EU-Korrespondenten den Prozess der europäischenIntegration in der Regel unterstützen – stärker,als Medien in anderen europäischen Staaten. „Overall,the German newspapers are very supportive of theEuropean project. They do support further integrationand more rights for the EU“ (Adam und Berkel 2004:8;siehe auch Huber 2007; Statham 2006).Im Einklang mit dieser Beobachtung haben sich auchdie für diese Untersuchung befragten Korrespondentendahingehend geäußert, dass sie das europäische Projektbefürworten, wenn auch in ganz unterschiedlichen Graduierungen.Die Journalisten bezeichnen darüber hinausnicht nur sich selbst als Unterstützer des europäischenProjekts, sie gehen auch von einer zustimmenden Haltungin Politik und Bevölkerung aus.„Ich glaube, dass Deutschland im Prinzip in weiten Teileneurophil ist. Das es vielleicht zwischen den einzelnenParteien Nuancen gibt, aber dass man sich da im Großenund Ganzen einig ist“ (D9).Ein Spezifikum in der Sicht der deutschen Journalistenist dabei die besondere historische Rolle Deutschlandsin Europa. Beispielhaft hierfür ist das Statement einesleitenden TV-Korrespondenten:„Und dann kommen ein paar Leute und sagen: Mit denDeutschen zusammen machen wir etwas. Und schonfünf Jahre später beginnt eine so faszinierende Friedensideesich auszubreiten, dass daran gemessen ehrlichgesagt das ganze kleinkarierte und völlig berechtigteKritikastern an Korinthenkriegen, an den Seekriegen undHeringskriegen, was es immer gegeben hat in der langenGeschichte dieser fünfzig Jahre, in den Hintergrund tritt.Das finde ich ist im Kern unglaublich. Für meineGroßmutter 1893 geboren, war Krieg gegen Frankreich,Polen oder andere normal. Für meine Tochter, 1983geboren, ist Krieg gegen alle Nachbarn völlig undenkbar“(EU2).Die wesentliche Fragestellung, ob sich die Journalistenaufgrund dieser positiven Einstellung mit der SacheEuropa „gemein machen“ ist damit allerdings nochnicht beantwortet.Ob die positive Grundstimmung zur EU und der europäischenIntegration die Berichterstattung dahingehendbeeinflusst, dass Kritik an politischen Entscheidungenoder Strukturen der EU aus Sympathie für den Einigungsprozess– bewusst oder unbewusst – insgesamtunterrepräsentiert ist, lässt sich auf Basis von Interviewsnicht klären. Wie viele der interviewten Journalistenbetont zum Beispiel ein Straßburger Fernsehkorrespondent:„Ich bin schon europafreundlich eingestellt, finde aber,das schließt Kritik auch mit ein, das Aufzeigen von Mängeln.Ich sehe meine Aufgabe nicht darin, Agit-Prop fürdie EU zu machen, keineswegs“ (EU18).Wie oben zitiert gibt es allerdings inhaltsanalytischeStudien, die beweisen, dass die deutsche EU-Berichterstattunghäufig besonders positiv ausfällt. Der Journalistund ehemalige Brüssel-Korrespondent des Stern,Hans Martin Tillack, der sich in mehreren Artikeln mitder aus seiner Sicht defizitären Europaberichterstattungauseinandergesetzt hat, spricht in diesem Zusammenhangvon der „EU-Schere im Kopf“, mit der ein Großteildes deutschen <strong>Presse</strong>corps negative Nachrichten ausBrüssel systematisch ausblende (2006:35).5.4.2 Journalistische RollenNeben der Einstellung zur Europäischen Union ist dieEinstellung zum eigenen Beruf, das Selbstverständnisder Journalisten, ein wesentlicher Faktor für ihreBerichterstattung. Um das Rollenverständnis der Journalistenin die Analyse mit einbeziehen zu können,wurde vor allem erhoben, ob sich die Journalisten selbstals Vertreter des Informationsjournalismus, des Investigationsjournalismusoder des Meinungsjournalismusverstehen.Wie ihre Kollegen in Deutschland (Weischenberg 2006),beschrieben auch die befragten EU-Korrespondentenihre Tätigkeit als hauptsächlich informierend. In denInterviews gibt die Mehrheit der Befragten an, Prozesseund Institutionen der EU darzustellen und zu beschreiben.Sie charakterisierten sich selbst jedoch weniger inder Rolle des Informanten oder Erklärers, sondern eherin der des Übersetzers oder Dolmetschers, der versucht,die kaum bekannten Prozesse innerhalb des Institutionen-Gefügesder EU transparent zu machen:„Ich finde, wir haben immer auch die Aufgabe, Übersetzerzu sein. Unsere Leser kennen Deutschland. Doch wiedie EU funktioniert und warum bestimmte Entscheidungengetroffen werden, müssen wir ihnen häufig nocherklären“ (EU13).28


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box BrüsselNeben dieser Rolle als Informationsjournalist, als Dolmetschereines komplexen Systems in eine erfahrbarepolitische Realität, sehen sich viele Korrespondentenauch als Kontrolleure, als klassische Watchdogs, dieFehlentwicklungen und Missstände innerhalb der EUfrühzeitig erkennen und auch gegen den Willen politischerAkteure publik machen.„Und das finde ich, ist so eine Aufgabe, die man als politischerJournalist hat: Wenn sie Mist bauen, dann mussman eben auch den Mist beschreiben. Aber wie alle neigennatürlich auch Politiker dazu, wenn sie Mistgemacht haben, das möglichst hinterm Schrank zu kehren.Und da holen wir es wieder raus“ (EU3).Um dieser Rolle als Kontrollinstanz gerecht werden zukönnen, ist es für die Journalisten nach eigener Aussageunabdingbar, den Institutionen und Informationsquellengegenüber die eigene Unabhängigkeit zu wahren.Ein Interviewpartner (EU10) betonte, dass sich dieEU-Korrespondenten aus diesem Grund auch nicht alsbloße Vermittler der Kommunikationsbotschaften politischerInstitutionen der EU verstehen.„Kein Journalist lässt sich so was gefallen. Wir werdennicht dafür bezahlt, den Sprecherdienst der Kommissionnach außen zu verlängern, und wir begreifen uns nicht indieser Rolle“ (EU10).In den Gesprächen mit Agenturjournalisten wurde deutlich,dass sie sich – über ihre Rolle als neutrale Informationsvermittlerhinaus – häufig als „erstes Publikum“europäischer Politik und als Multiplikatoren exklusiverNachrichten sehen. Sie beschreiben, wie unten weiterausgeführt, oft einen bevorzugten Zugang zu Informationenzu haben und sehen sich so häufig als Pioniere inder Nachrichtenkette. In ihrem Rollenverständnis spielendaher die Selektion von Nachrichten und die Orientierungshilfein komplexen Themenfeldern eine herausragendeRolle.„Als Nachrichtenagentur haben wir zwei Funktionen.Zum einen klassisch Informieren, zum anderen stark filtern.Wir versuchen unseren Kunden damit zu helfen,dass wir ihnen ein bisschen Guidance dabei geben, wasso die wichtigen Ereignisse und Entwicklungen sind unddiese möglichst kontinuierlich zu beschreiben und andererseitsüber das zu informieren, was jeweils geradeaktuell passiert“ (EU9).In welchem Maße diese Selbstbeschreibungen einentatsächlichen Niederschlag in der Arbeit der Journalistenfinden, ist umstritten (Weischenberg et al. 2006:98). Andere Einflussfaktoren wie Redaktionszwängeoder Verlagslinien können dem eigenen Rollenverständnisentgegenstehen und die Berichterstattung deutlichstärker prägen. Dennoch können journalistische Rollenals wichtige Indikatoren für individuelle Maximen undHandlungsorientierungen angesehen werden. Um einenEindruck davon zu erhalten, inwiefern sich das BerufsundRollenverständnis in der Berichterstattung tatsächlichabbildet, wäre allerdings eine Analyse der Medieninhaltenotwendig.5.4.3 Das Publikumsbild der JournalistenWelche Themen und Aspekte der EU-Berichterstattungvon den Korrespondenten als besonders relevant eingeschätztwerden, hängt u. a. von den angenommenenCharakteristika des Publikums ab.Generell vermuten die EU-Journalisten ein Desinteresseihrer Leser, Hörer oder Zuschauer an den EU-Prozessenund -Institutionen. Nur wenn EU-Entscheidungen einendirekten Einfluss auf die Lebens- und Erfahrungsweltder Rezipienten haben könnten, wird eine gesteigerteAufmerksamkeit für EU-Themen erwartet.„Wir denken hier in Brüssel natürlich in Institutionen:Kommission, Ministerrat, Parlament und so weiter. Dasinteressiert den Bürger aber herzlich wenig. Der will wissen,was kommt bei der Sache am Ende heraus. DieWenigsten wollen eigentlich am politischen Spiel imEinzelnen teilnehmen. Insofern haben wir ständig einegrößere Übersetzungsaufgabe als die Journalisten in derHeimat, weil man viel weniger voraussetzen kann“(EU6).Einer der befragten Journalisten bestreitet einen Zusammenhangzwischen dem geringen Wissen der Bürgerüber die Europäische Union und einer unzureichendenEU-Berichterstattung (EU8). Seiner Ansicht nachnutzt die Bevölkerung das umfangreiche Informationsangebot,das tagtäglich zur Verfügung steht, nicht inausreichendem Maße. Der als sehr niedrig angenommeneKenntnisstand über EU-Prozesse scheint für vieleJournalisten eine ausführliche Hintergrundberichterstattungnotwendig zu machen.„Wobei man bei Europa nichts voraussetzen darf. Siekönnen nicht davon ausgehen, dass irgendjemand weiß,was der Ministerrat ist. Ich gehe davon aus, dass ein halbesbis ein Prozent wirklich sagen könnte, was. Selbst beiden Hörern [des Mediums für das ich arbeite] glaube ich,dass viele Leute, wahrscheinlich die Hälfte der Hörer,nicht sagen könnte, was der Europäische Ministerrat29


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box Brüsselmacht und wer er ist. Das muss man immer im Kopfhaben” (EU5).Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch Paul Statham ineiner Studie über politischen Journalismus und Europäisierung.Auch hier betonten die befragten Journalisten„the need to explain and express more clearly, and inmore detail, because of the lack of public and readershipknowledge about European compared to nationalaffairs“ (Statham 2006: 31).Ein anderes Publikumsbild entwirft jedoch ein Wirtschaftsjournalist:„Das ist bei unseren Lesern wahrscheinlich so, dass die jarelativ viel Ahnung haben, also wer in der Wirtschaft ist,weiß natürlich, dass viele Regulierungen und so weitereh über Europa laufen“ (D3).5.5 Der Umgang von Journalistenmit InformationsquellenObwohl viele Journalisten die Intransparenz europäischerProzesse und die unzulängliche Informationsarbeitder Institutionen kritisieren, scheint kein Mangel anInformationen zu bestehen. Ganz im Gegenteil: Geradedie Vielzahl der involvierten Institutionen, Länder undOrganisationen ermöglicht es, Informationen auf verschiedenenWegen zu beschaffen und so Sachverhalteaus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten.Neben den EU-Institutionen, zum Beispiel der EU-Kommission,dem Europäischen Parlament und demEuropäischen Rat bzw. dem Rat der Europäischen Unionkönnen Journalisten auf die 27 Vertretungen der Nationalstaatensowie eine Vielzahl regionaler Vertretungen,Lobbyisten, Thinktanks, NGO’s und anderer Akteurezurückgreifen. Selbst wenn ein politisches Interessedaran bestünde, wäre es doch für eine Institution oderInteressengruppe unmöglich, all diese Quellen „auf einekommunikative Linie“ zu bringen. So beschreibt einJournalist:„In Brüssel wird ständig so viel gesprochen und gemailtund so weiter. (...) In dem Moment, wo die bestimmteDinge rausgeben passiert es natürlich bei 27 Nationenrelativ schnell, dass dir irgendeiner irgendwas irgendwiegibt. Denn bei 27 weiß man dann hinterher auch nichtmehr so genau, wer es gewesen ist. (...) Deswegen ist esmanchmal leichter in Brüssel an Dinge heranzukommenals in Berlin „ (D3).In den Interviews wurde auch deutlich, dass sich eineRangliste der Quellen kaum erstellen lässt. Die Institutionenhaben zu verschiedenen Zeitpunkten des politischenProzesses unterschiedliche Bedeutung im Hinblickauf ihre Entscheidungskraft und ihre Gestaltungsmöglichkeiten– damit verlieren oder gewinnen sie auchals Quellen jeweils an Relevanz.Die beschriebene Quellenvielfalt wird von den Journalistenzwar in erster Linie als positiv wahrgenommen,doch spiegelt sie auch ein Gewirr an Institutionen,Akteuren und Interessen, die in einer ausgewogenenund kritischen Berichterstattung Berücksichtigung findenmüssen.Im Folgenden sollen die wichtigsten europäischen Institutionenim Hinblick auf ihre Bedeutung als Informationsquellenaus journalistischer Sicht charakterisiertwerden. Die Ergebnisse der Interviews belegen allerdingskeine ausgeprägte Abhängigkeit der Journalistenvon bestimmten Quellen. Im Gegenteil, die von denInterviewpartnern angegebenen Quellen zeigen einesehr große Variation.5.5.1 Die Europäische KommissionViele Journalisten stellen fest, dass die EU-Kommissionim Bereich <strong>Presse</strong>arbeit nur unzureichend ausgestattetist, und dass die Sprecher häufig mit ihren Aufgabenüberfordert seien. So ist es nach Auskunft einer Journalistinoft nicht einfach, relevante Informationen zubekommen, „aus der Kommission etwas herauszupuhlen“:„Diese Sprecher, die sind eigentlich unterbesetzt. Diehaben hunderte und dutzende – vor allem, wenn ineinem Bereich was los ist – unendlich viele Anfragen. Bisdie zurückrufen, ist es manchmal nachmittags um halbfünf, da habe ich meine Sachen längst geschrieben. Dasist schon teilweise mühsam. Wenn die besser besetztwären, wäre es schon gut“ (EU4).Diese Interviewergebnisse bestätigen Erkenntnisse vorangegangenerUntersuchungen, die die PR-Arbeit derKommission als zu wenig professionalisiert und mit zuwenig Personal ausgestattet beschreiben (Meyer 2003).Den Beamten, die als Sprecher eingesetzt sind, wirdhäufig mangelnde Kompetenz in Kommunikationsfragenattestiert. Manche Sprecher werden sehr wohl alshochkompetent für Ihren Bereich beschrieben, doch eswird konstatiert, dass noch immer wenige Kommunikationsprofisfür die Kommission arbeiten.„In der Kommission ist halt generell so ein Misstrauengegenüber der <strong>Presse</strong> da. Man merkt natürlich schon,30


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box Brüsseldass nur ein Teil der <strong>Presse</strong>sprecher eine journalistischeErfahrung hat. Die anderen sind Beamte, die sagen halthmm‚ huh, um Gottes Willen, was macht die <strong>Presse</strong> daraus?Das ist ja zum Teil berechtigt. Natürlich gibt esgenügend Medien, die mit Bereitschaft zum mutwilligenMissverständnis an die Sache herangehen, um einfachdie Schlagzeile zu kriegen. Aber da sind die auch zum Teilunbeholfen“ (EU5 ).Hier wird deutlich, wie die Funktionslogik eines großenVerwaltungsapparats mit der Funktionslogik der Medienkollidiert. Trotz der vermehrten Anstrengungen derKommission, gerade nach den gescheiterten Referendenzur Verfassung in Frankreich und den Niederlanden, hatsich, den Beschreibungen der interviewten Journalistenzu Folge, hier noch nicht viel bewegt.Die im Rahmen des Plan D angestrebten „Verbesserungen“der Öffentlichkeitsarbeit der Kommission habendiese Situation nicht verbessert, im Gegenteil: Die Kommunikationsoffensivelöst bei der großen Mehrheit derbefragten Journalisten eher Unmut aus.„Ich halte das für irrsinnig, dass die Kommission glaubt,sie müsste ein eigenes Fernsehen machen. Mit eigenemRundfunk, eigenen Agenturen, und eigenen Technikern.Das finde ich skandalös. Die sollen einfach ihre Sachenmachen und normal kommunizieren. Die können auchein bisschen Footage und Bilder dazu werfen und Töne.Aber sie sollen zur Verfügung stehen, man soll sie fragenkönnen, sie sollten sich vielleicht nicht hinter ihren Sprechernverstecken“ (EU2).Generell beschreiben die Journalisten die Kommunikationder Kommission als ängstlich und defensiv. Häufighemmen die Sprecher den Fluss von Informationen eher,als dass sie ihn unterstützen. Das Verhalten der Sprecherwird oft als eine Art „Pseudo-Offenheit“ charakterisiert:Die Sprecher sind prinzipiell zugänglich, halten entscheidendeKontakte und Informationen jedoch zurück.Teilweise wird dieses Verhalten auch als Kommunikationsstrategiebeschrieben:Herr Barroso „hat gedacht, indem er uns in portioniertenHäppchen jeden Mittag um 12 Uhr ein kleines bisschenEU-Information vorlegt, würden wir so ausgehungert,dass wir dann immer zugreifen und das alles direkt aufschnappen.Der macht also Kommunikationsstrategienfür vier Wochen, der weiß heute schon, was er uns in vierWochen mittags um zwölf im Briefing vorkauen wird.Also wenn die irgendwas beschlossen haben, dannmacht er das erst übermorgen und wundert sich, dass esschon in allen Zeitungen gestanden hat“ (EU10).Doch obwohl der Umgang mit der Kommission alsQuelle von fast allen Befragten als unergiebig beschriebenwird, ist das tägliche Mittagsbriefing der EU Kommissioneine wichtige Instanz.„Erster Anlaufpunkt in Brüssel sind die täglichen Zwölf-Uhr-Konferenzen, die <strong>Presse</strong>konferenzen der Kommission.Da kriegen Sie rituell natürlich zuerst die Kommissions-Sichtder Dinge geliefert. Ich glaube, dass das schondas entscheidende Event im Laufe des Tages ist“ (D9).Das Briefing selbst gilt als nicht besonders informativund oft sogar langweilig. Seine Bedeutung ist eher rituell:Es strukturiert den Tag und bringt alle Akteure regelmäßigzusammen. Der Austausch mit den Kollegen wirdvon allen Korrespondenten als Herz dieser täglichenVeranstaltung beschrieben. Das ist besonders wichtigfür die Generalisten unter den Korrespondenten, dieallein arbeiten und daher sonst wenig Austausch mitKollegen haben.5.5.2 Das Europäische Parlament als InformationsquelleAus den Ausführungen der Journalisten geht hervor,dass das Parlament nachrichtlich nicht zu den interessantestenSchauplätzen gehört.„Das Parlament ist insgesamt die schwächste der dreieuropäischen Institutionen. Naturgemäß wird auch nurentsprechend über das Parlament berichtet. Wir gebenuns Mühe, jede Plenarsitzung in Straßburg zu covern.Aber es ist ja nicht so, dass das Parlament die großenHämmer produziert“ (EU3).Ein praktisches Problem für die Berichterstattung stelltdie Aufteilung der Parlamentsarbeit auf zwei Standortedar.„Ein struktureller Nachteil ist diese Geschichte mit denzwei Sitzen. Insofern macht es die Arbeit schon schwierigerals in Bonn damals oder in Berlin, also in einemnationalen Parlament, wo alles an einem Ort in einemGebäude stattfindet“ (EU18).Insgesamt beschreiben die meisten Journalisten dasEuropäische Parlament als eine überdurchschnittlichtransparente Institution:„Das Parlament zum Beispiel, das muss ich ehrlicherWeise sagen, da sind die Abgeordneten deutlich zugänglicherals in vielen nationalen Parlamenten. Sie sind sehrbemüht um Öffentlichkeit“ (EU2).31


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box BrüsselDiese Offenheit ist allerdings primär auf Journalistendes eigenen Landes und somit die nationale Öffentlichkeitder Abgeordneten ausgerichtet. Ein anderer Journalistbeschreibt seine Probleme, internationale Interviewpartnerzu gewinnen:„Ich kriege alle deutschen Abgeordneten, das ist nie einProblem. Aber das Problem sind immer die aus anderenLändern. Spanische Abgeordnete können schöne Sachenerzählen zur Sozialpolitik und anderen Themen. Abereinen zu kriegen, der das macht, ist sehr schwierig. Denndie haben halt ihre Wähler im Kopf und die sitzen in Spanien.Denen ist es völlig egal, was der [Sender für den ichberichte] da macht“ (EU5).In Sachfragen spielt das Europäische Parlament alsInstitution ohne wesentliche Kompetenzen als Quellefür Journalisten kaum eine Rolle. Einige prominenteAbgeordnete, wie in Deutschland zum Beispiel DanielCohn-Bendit oder Silvana Koch-Mehrin, haben zwareinen festen Platz in den Medien. Diese Aufmerksamkeitist allerdings in den meisten Fällen der Person und nichtdem Mandat geschuldet. So beschreibt auch ein deutscherTageszeitungskorrespondent: „Das hängt danneben von einzelnen Personen ab, die zum Teil dann in ihrjeweiliges Land rein eine große Strahlkraft entfalten“(EU19).Doch ansonsten unterbricht das Parlament, die einzigeInstitution, auf deren Zusammensetzung die Bürgerwirklichen Einfluss haben, seinen medialen Tauchgangnur für Skandalfälle wie die Tirade des damaligen italienischenMinisterpräsidenten Silvio Berlusconi, der dendeutschen Europaabgeordneten Martin Schulz alsnationalsozialistischen Kapo beschimpft hatte. Schlagzeilenwie diese sorgen allenfalls für temporäre Aufmerksamkeit,der Bezug zur Sache verschwindet in derBerichterstattung hinter dem Skandal.5.5.3 Der Europäische Rat und der Ministerrat alsInformationsquellenDer Verwaltungsapparat des Rats in Brüssel wird vonden Journalisten selten als Quelle genannt. Er wird als„unsichtbares Backup für die jeweilige Ratspräsidentschaft“(EU19) charakterisiert und wenn überhauptdann als relativ unzugänglich beschrieben. So berichteteine EU-Korrespondentin:„Der Rat – da kommt überhaupt nichts raus. Die ganzeSolana-Abteilung da drüben ist natürlich sehr verschlossen,aber das ist in der Außenpolitik eigentlich fastimmer so. Da ist es auch eher schwierig“ (EU4).Ganz anders sieht es aus, sobald nationale Akteure zuSitzungen des Rats der Europäischen Union (die jeweiligenAußen- bzw. Fachminister) oder des EuropäischenRats (die 27 Staats- und Regierungschefs selbst)zusammen treten.So beschreibt der Leiter einer Fernsehredaktion dieBedeutung von Gipfeln für nationale Regierungschefs:„Es ist ein gewaltiger medial inszenierter und für diePolitiker auch lebenswichtiger Hype, bei dem der einzelnePolitiker brillieren muss als Kämpfer, Stürmer, als Verteidiger,als Torwart und gelegentlich auch noch alsSchiedsrichter. Alles gibt gute Noten, wenn er es gutmacht“ (EU2).Diese Anlässe auf „europäischer Bühne“ werden von dennationalen Akteuren auch zur Selbstdarstellung im Heimatlandgenutzt. Hier briefen folglich auch nationaleRegierungen die Journalisten. Im Umfeld von Gipfelnund den Treffen des Ministerrats kommen dementsprechendganz ähnliche Mechanismen wie in der nationalenRegierungskommunikation zum Tragen.„Wobei man dann immer sehr aufpassen muss: Da werdenauch Nebelkerzen geworfen. Je nachdem aus welchemLager die Leute kommen, versuchen sie, auch dieBerichterstattung in ihre Richtung zu lenken. Überhauptist es so, dass alle Regierungschefs darum bemüht sindgut auszusehen und als Gewinner dazustehen. Deswegenhat man häufig auch am Ende eines Gipfels keinhundertprozentig ausgewogenes, klares Bild davon, wasnun wirklich herausgekommen ist. Das wird häufig ersteinige Tage später klar „ (EU7).Strategien des Newsmanagement und des „Spin“ werdenüberhaupt erst möglich, weil die Politiker in denmeisten Fällen ausschließlich Journalisten der eigenennationalen Heimatmedien als Adressaten wählen. Durchdie Zergliederung der europäischen <strong>Presse</strong>landschaftund damit auch der Publika können sich Regierungschefsoder Minister nach Verhandlungen, die unterAusschluss der Öffentlichkeit stattfinden, vor der eigenen<strong>Presse</strong> als Verhandlungssieger positionieren. Basisdieser Taktik ist die Hoffnung, dass ein Abgleich der verschiedenennationalen Positionen durch ein transnationalesMediensystem nur zeitversetzt stattfindet. Transparenzder unterschiedlichen nationalen Positionenwird zudem dadurch verhindert, dass die Abschluss-Briefings der Gipfelteilnehmer meist gleichzeitig undnoch dazu ohne Übersetzung in der jeweiligen Landessprachestattfinden. Allein aufgrund der schwachenPersonaldecke der meisten Korrespondentenbüros kön-32


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box Brüsselnen daher nicht alle nationalen Positionen eingefangenwerden.So beschreibt ein Agenturjournalist die Notwendigkeitausreichender personeller Ressourcen bei der Berichterstattungvon Ministerräten:„Wenn in der einen Ecke des Saales 15 Minister ihr Statementabgeben, umringt von einem Grüppchen Journalisten,und in der anderen Ecke die anderen zwölf, dannwird es schwierig. Man kann sich nicht zerreißen. Da istes immer besser zu zweit zu sein“ (D4).Selbst wenn genügend Kollegen vor Ort sind, um mehrereBriefings abzudecken, verhindern oft Sprachbarrierenoder Zugangsbeschränkungen die Recherche derPositionen anderer Mitgliedsstaaten.Auch die Briefings, die im Vorfeld von Räten in den ständigenVertretungen in Brüssel stattfinden, sind meistden Journalisten aus dem eigenen Land vorbehalten.Hintergrundinformationen über die Positionen derRegierungen im Vorfeld kann nur bekommen, wer zugelassenwird. Bei diesen Veranstaltungen bleibt manunter sich, die meisten Teilnehmer sind miteinanderbekannt. Im Rahmen dieser Briefings, so hat auch dieteilnehmende Beobachtung gezeigt, wird die nationaleSicht auf die bevorstehenden informellen Räte sowiedie Verhandlungsposition des jeweiligen Landes explizitfür die Medien des Heimatlandes geschildert. Im Interviewberichtete ein Studienteilnehmer, trotz Nachfragekeinen Zugang zu den Briefings anderer Mitgliedsstaatenbekommen zu haben.Weil sowohl die Verhandlungen als auch das Abstimmungsverhaltenim Europäischen Rat und im Ministerratin der Regel nicht öffentlich gemacht werden, umdie Verhandlungen und Kompromissfindung zwischen27 Parteien nicht zu erschweren, ist es für nationaleRegierungschefs und Minister möglich, Brüssel als„Sündenbock“ zu nutzen. Unpopuläre Entscheidungenwerden gerade auch im politischen Alltag im Heimatlandhäufig auf „Brüssel“ geschoben, obwohl die jeweiligenPolitiker selbst auf europäischer Ebene an Entscheidungenmitgewirkt haben.Bemühungen, die Arbeit des Ministerrats kommunikativzu öffnen, beschreibt ein Brüsseler Zeitungskorrespondentals fruchtlos.„Es gibt ja immer wieder versuche, die Sache transparentzu machen. Da sind dann Teile der Beratungen des Ministerratesöffentlich. Da geht von uns niemand hin, weiljeder, weiß dass, was öffentlich geredet wird, sowiesonur zum Fenster hinaus geredet ist. Das sind Sprüche“(EU15).Allerdings haben Journalisten Strategien entwickelt, umbei Gipfeln und informellen Räten dennoch an relevanteInformationen zu kommen. Ein Berliner Zeitungskorrespondentbeschreibt:„Das ist vielleicht auch ein Aspekt der EU-Berichterstattung,der sich auf den Gipfeln etwas von anderen unterscheidet.Es wird sehr viel systematischer bei Delegationenund Journalisten anderer Länder nachgefragt – ‚washabt ihr gehört? Die Iren oder die Portugiesen, von eurenBeamten oder Ministern?’ Dann kann man abgleichen,wie sehr man von der eigenen Regierung verladen oder indie Irre geführt wird oder nicht“ (D1).Die nationalen Regierungen müssen trotz ihrer bewährtenKommunikationsstrategien damit rechnen, dass sieInformationen schlecht zurückhalten können.„Das Negative über die Deutschen höre ich eher vondenen [Sprechern des Rats oder der EU-Kommission] alsvon den Deutschen selber. Um bei dem Thema Fußball zubleiben, da kriegt man dann auch gesteckt, dass Schrödergar nicht in der Sitzung anwesend war als Deutschlandspielte, sondern beim Fußball. Das erzählen einemnatürlich nicht die Deutschen, sondern die anderen, diesagen, es sei doch etwas merkwürdig gewesen, dass ersich da überhaupt nicht gezeigt habe“ (EU15).Wie später noch erläutert wird, spielen bei transnationalenRecherchen der Journalisten ihre Kollegen ausanderen Ländern eine besondere Rolle. Durch dieumfassende Vernetzung der Brüsseler Korrespondentenkönnten sie Quellen erschließen, die ihnen sonst aufgrundder Knappheit der Ressourcen sowie sprachlicherund kultureller Grenzen verschlossen geblieben wären.5.5.4 Unter dreiDie Weitergabe von Informationen „unter drei“ in informellenGesprächen und Hintergrundkreisen ist Gangund Gäbe auf dem Brüsseler Parkett. Das zeigt auch derTitel einer Journalistenreise des Berliner Landesverbandsdes DJV im Juli 2007: Unter dem Motto „Reise zurEU-Kommission – ‚Brüssel unter drei’“ wurden den Journalistennicht nur die EU-Institutionen näher gebracht,sondern auch gleich noch ein bunter Strauß an Hintergrundgesprächenangeboten.Die Interviews haben ergeben, dass der direkte Kontaktzu politischen Akteuren und Beamten oft eine wichtigereRolle spielt als der Besuch von <strong>Presse</strong>konferenzen.Diverse Formen von informellen Kontakten und Hintergrundkreisenhaben sich herausgebildet, in denen derAustausch zwischen Politikern oder deren Sprechern mit33


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box BrüsselJournalisten nach ausgefeilten Regeln abläuft.„Es gibt sozusagen welche [Hintergrundkreise], dieregelmäßig stattfinden und es gibt welche, wo dieBesetzung regelmäßig wechselt. Solana z.B. lädt nichtimmer dieselbe Gruppe ein, sondern sagt dann, ‚na, jetzthole ich mal mehr aus Osteuropa, und dann hole ich mirwieder die Deutschen und Franzosen.’ Mehr als zehn,fünfzehn Leute dürfen das nicht sein, weil man sich sonstnicht unterhalten kann. Diese ganzen Kreise sind unterdrei“ (EU3).Es gibt zwar auch verschiedene Hintergrundkreise, dienicht von Politikern, sondern von Journalisten initiiertwerden, doch setzen stets die politischen Akteure selbstdie Bedingungen fest, zu denen sie Informationen weitergeben.Sie sichern sich meist durch ein genauesRegelwerk ab, das festlegt, wie Journalisten Informationenverwenden dürfen. Im Gegenzug bekommen Journalistenoft Hintergrundinformationen und wertvolleEinblicke.Wie auch in der nationalen politischen Kommunikationwird generell unterschieden zwischen Informationen„unter eins“, die frei unter vollständiger Nennung derQuelle veröffentlicht werden können, Informationen„unter zwei“, die zwar veröffentlicht werden dürfen,aber nur unter der Umschreibung der Quelle (z.B. „gutinformierte Kreise“, „Diplomaten“, „aus Regierungskreisen“)und Informationen „unter drei“, die gar nicht zurVeröffentlichung bestimmt sind, und nur als Hintergrundinformationfür Journalisten dienen.Die befragte dänische Journalistin kritisiert, dass diePraxis der Informationen „unter zwei“ in der BrüsselerVerwaltung oft Überhand nimmt.„Es gibt inzwischen ganze Spektren von diesen Titeln,wie die Beamten oder Diplomaten benannt werden können.Das ist eine Bedingung dafür, dass man das Zitatüberhaupt bekommt. Es wird richtig verhandelt, wie mandie nennt. Das kann lächerlich wirken, weil die Informationenoft solche sind, die nicht besonders geheim sind.Ganz faktuelle Sachen, wo die sich aber nicht trauen, mitNamen in Erscheinung zu treten 22 “ (EU17).Die dänische Korrespondentin, die in einem sehr internationalenUmfeld arbeitet, beschreibt dass die Informationskulturund der Umgang mit Journalisten vonLand zu Land stark variieren. So sei das komplizierteVerklausulieren der Quelle in skandinavischen Ländernviel weniger üblich als bei den EU-Institutionen in Brüssel.Dies weise darauf hin, dass die EU-Institutioneneher von einer französisch-belgischen Verwaltungskulturgeprägt seien. Unterschiede in den politischen Informationskulturen,die in Brüssel sozusagen wie in einem„Reagenzglas“ auf kleinem Raum zu erleben sind,kamen in den Interviews immer wieder zur Sprache. Sobeschreibt auch eine andere Zeitungsjournalistin:„Die Finnen kommunizieren enorm offen, sind rund umdie Uhr per Handy erreichbar, halten Transparenz fürselbstverständlich. Die Portugiesen rufen tagelang nichtzurück, blasen sich auf und hüten ihr Herrschaftswissen.Die jeweilige Präsidentschaft kommuniziert so, wie sie esvon der politischen Kultur ihres eigenen Landes gewöhntist. Der Kommunikationsstil wechselt alle sechs Monate“(EU10).Ein EU-Korrespondent berichtet, „dass manche Ländereine Tradition haben, ‚also wir sind nicht dazu da, umJournalisten zu informieren, sondern um sie zu agitieren.’Also wenn, dann kriegen sie Propaganda und sonstnichts. Man selber kollidiert dann mit sehr unterschiedlichen“[Kommunikationskulturen] (EU3).Journalisten gezielt mit Hintergrundinformationen zuversorgen ist nicht allein in Brüssel gängige Praxis. Auchin Deutschland gehört dieses Vorgehen für politischeAkteure wie Journalisten zum Alltag (vgl. Hoffmann2003:261). Doch gerade in einem Umfeld, wo politischeProzesse und Verhandlungen zum Teil von der Öffentlichkeitabgeschirmt werden, entsteht durch dasZuspielen halböffentlicher Informationen ein großesPotential für die Instrumentalisierung von Journalisten.Denn nicht in allen Fällen sind es nur Belanglosigkeitenaus dem Verwaltungsapparat, die auf diesem schattigenWeg die <strong>Presse</strong> und gelegentlich die Öffentlichkeiterreichen. Letztendlich können anonyme Quellen aufdiese Weise als „unsichtbare Akteure“ Berichterstattungbeeinflussen, ohne später auf ihre Äußerung festgelegtwerden zu können - also auch ohne für eine Position zurVerantwortung gezogen zu werden.Ein Journalist beschreibt, dass Informationen „unterdrei“ aus diesen Gründen grundsätzlich mit Vorsicht zugenießen seien.„Das ‚unter drei’ ist ohnehin eine ganz heikle Geschichte.Es ist nützlich, weil Sie bestimmte Informationen nichtkriegen, die Sie brauchen, um Sachen einzuschätzen. (...)22 Die teilnehmende Beobachtung eines Hintergrundgesprächs bestätigtdiese Einschätzung. Selbst relativ allgemeine Einschätzungen durften nurunter Berufung auf „Europäische Diplomaten“ verwertet werden.34


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box BrüsselAber es führt natürlich auch dazu, dass man leichterbenutzt werden kann. Bei allem „unter drei“ kann mannatürlich wunderbar benutzt werden, dass manGeschichten unterbringt, die der Auftraggeber oder derInformant loswerden will“ (EU5).Diese Beobachtung wird von der Mehrheit der interviewtenJournalisten geteilt. In den Gesprächen wurdenFälle beschrieben, in denen Politiker unter Vergabe vonInformationen „unter zwei“ oder „unter drei“ den politischenProzess selbst „über Bande“ beeinflusst haben. Sowerden zum Teil aus laufenden Verhandlungen Informationenan die <strong>Presse</strong> gespielt, deren Echo den politischenProzess selbst wieder tangieren kann. In solchenFällen zahlt der Journalist einen hohen Preis für dieExklusivität der erhaltenen Informationen und wird zumpolitischen Instrument. Der beschriebene Mechanismusweist zudem darauf hin, dass Akteure, die Informationen„unter drei“ weitergeben oft gezielt mit der Veröffentlichungkalkulieren.5.5.5 Eine Lawine von InformationWo Hintergrundgespräche die gezielte Zuteilung vonInformationen an kleine und exklusive Kreise bieten, leistendie <strong>Presse</strong>stellen der in Brüssel ansässigen Institutionendas genaue Gegenteil: Sie versorgen Journalistenvor Ort wahllos und ohne thematischen Fokus mit Informationsmaterial.Es gibt einen so gewaltigen Überschussan Informationen, dass Insider von einer Informationslawinesprechen.„Die <strong>Presse</strong>dienste sind wichtig. Die spucken natürlicheine unendliche Menge von, Papier ist es Gott sei Danknicht mehr, sondern Emails, <strong>Presse</strong>mitteilungen aus,wovon ein guter Teil uninteressant ist, aber ein guter Teilauch nicht“ (EU6).Die große Menge an Informationen birgt ganz eigeneProbleme: Die Journalisten berichten, dass es zum Teilsehr schwer sei, in der Flut von Details nicht die Orientierungzu verlieren und die wichtigen und relevantenThemen von den unbedeutenden zu trennen. So ist esnicht verwunderlich, dass viele Journalisten die schiereDatenmenge eher als Arbeitserschwernis denn alsErleichterung betrachten.„NGO, Industrieverbände und politische Stiftungen sindalle gleich schlimm, weil die uns zumüllen“. Das istexterm professionell gemacht und wir müssen es haltabklopfen, ob es news sind oder nicht“ (EU14).Ähnlich schildert dies auch einer seiner Kollegen:„Das Besondere an Brüsseler EU-Themen insgesamt isthalt, dass es eine Überinformation gibt. Es gibt nicht dasProblem, dass man nicht weiß, wo man die Sachen herkriegt,sondern man muss sortieren, wen ruft man an undwen nicht. Jedes Thema lässt sich endlos recherchierenund man wird eher mit Informationen zugeschüttet alsanders herum. Es ist eher so, dass, wenn ich am Computersitze, die wichtigste Taste am Morgen die Delete-Taste ist“ (EU5).Die meisten Journalisten sehen die oft wahllosen Informationen,die auf sie einprasseln, als weiteren Beweisfür den mangelhaften Professionalisierungsgrad unddamit die Ineffizienz der <strong>Presse</strong>services. Im Fokus derKritik steht hier besonders die EU-Kommission, die nachihrer eigenen Verwaltungslogik und damit oft an denBedürfnissen der Medienvertreter vorbei kommuniziert.Es ist jedoch auch denkbar, dass die „Flutung“ der Journalistenmit Detailinformationen absichtlich praktiziertwird, um unvorteilhafte Informationen in einemSchwall von Belanglosem zu verstecken. – Eine Taktikdes News-Management, die aus dem nationalenBereich bekannt ist.So beschreibt eine dänische Journalistin den Effekt dieserBrüsseler Informationspraxis: „Es herrscht hier totaleOffenheit, es gibt ganz viele Quellen, aber im Alltagwird man ertränkt mit Informationen, die Journalistenwerden satt gehalten. Dann sitzen sie alle und verdauenund haben keine Zeit mehr nachzufragen“ (EU17).5.5.6 Die HackordnungEU-Korrespondenten schildern, dass politische Akteurein Brüssel häufig nicht das Gleichbehandlungsprinzipverfolgen, sondern bei der Informationsvergabe eineklare Hierarchie im journalistischen Corps herstellen.Die Medien, die durch ihre Reichweite und ihren publizistischenEinfluss als besonders bedeutsam wahrgenommenwerden, werden unmittelbarer als andereJournalisten informiert. Häufig werden ihnen auchExklusivgeschichten zugespielt.Eine EU-Korrespondentin spricht in diesem Zusammenhangvon „eine[r] Hackordnung unter den Journalisten,die darüber entscheidet, wie die Informationsversorgungabläuft (...).“ Hierbei sehen die meisten Journalisten dieenglische Financial Times (FT) als privilegiertes Medium.Die FT wird in Brüssel von Journalisten wie Politikerngelesen und kann so fast als „Brüsseler Lokalzeitung“ fürein Elite-Publikum beschrieben werden (vgl. auch Huber2007:22). Auch der Herald Tribune und der EuropeanVoice wird vereinzelt eine Sonderstellung zugeschrieben.35


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box Brüssel„Sie greifen sich natürlich gezielt die Nachrichtenagenturen,die großen Zeitungen – Financial Times, HeraldTribune – die großen Meinungsmacher. Sicherlich auchARD Fernsehen, ZDF, BBC. Was passiert ist, dass Themenbewusst lanciert werden an Einzelne, um ihnen einerseitsZuckerli zu geben, andererseits natürlich auch umdie Berichterstattung in eine gewisse Richtung zu lenken“(EU7).Eine Journalistin vermutet, dass die Politiker aufgrundvon Zeitmangel aus der Vielzahl an Medienvertretern,diejenigen wählen, denen als Leitmedien das größteDistributionspotenzial zugesprochen werden kann. Unddas liegt naturgemäß eher bei den großen Nachrichtenagenturen,den großen nationalen Fernsehsendern undden auflagenstarken internationalen Medienorganen,die in der Lingua Franca Englisch auch ein internationalesPublikum ansprechen.Ein Berliner Journalist beschreibt, dass er seinen Quellenauch versucht zu vermitteln, dass er in seinerBerichterstattung Nachrichten mit großer Geschwindigkeitmultiplizieren muss:„Die erwarten (...), dass wir denen auch alles sofort,zuerst und ganz schnell liefern. Diese Erwartungshaltungunserer Partneragenturen und auch unserer Kundenhaben wir versucht unseren Quellen weiter zu vermitteln.Ob es nun daran lag, dass wir das meiste zuersthatten oder ob es an unserer sowieso hervorragendenQualität liegt [ironisches Schmunzeln], das weiß ichnicht“ (D4).Ein Journalist (D7) bestätigt auch für den Berliner Kontextdass bestimmten Medien beim Zugang zu InformationenVorteile eingeräumt werden.Neben dem angenommenen Einflusspotenzial einesMediums, spielen auch persönliche Präferenzen derPolitiker und Öffentlichkeitsarbeiter eine große Rolle fürden Zugang zu Informationen. So beschreibt ein Agentur-Journalist:„Meine persönliche Erfahrung ist, dass das es auch sehrauf den Sprecher ankommt. Also es gibt Sprecher, diehalten zum Beispiel große Tageszeitungen für ihre wichtigstenKunden. Und dann geben die sich bei denenbesonders Mühe, die zu briefen, weil die da entsprechendam nächsten Tag eine gewisse <strong>Presse</strong> haben wollen. Esgibt Sprecher, die halten Agenturen für sehr wichtig undgeben denen entsprechend was, weil sie sich dieser Breitenwirkung,Agenda-Setting-Wirkung gerade in soeinem zeitlich engem Raum bewusst sind. Dann gibt eswelche, für die ist das allerwichtigste, dass ihre Leute imFernsehen gut aussehen und die kümmern sich deshalbvor allem darum, dass es irgendwelche Fernsehstatementsam Rande gibt – also das hängt glaube ich sehrvon der Kommunikationsstrategie vielleicht einzelnerRegierungen aber nach meinem persönlichen Eindruckauch häufig von einzelnen Akteuren auf Regierungsseiteab“ (EU9).Neben der fest gefügten Hierarchie, die durch die Medien-Zugehörigkeitder Journalisten festgelegt ist, spielenden Beschreibungen der Journalisten zufolge auchimmer persönliche Kontakte und vertrauensvolle Beziehungenzu politischen Akteuren eine entscheidendeRolle für den privilegierten Informationszugang.So beschreibt ein Agenturjournalist die Quellensituationauf dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs imJuni 2007 unter deutscher Präsidentschaft:„Wir sind leicht an Informationen gekommen, weil wirgute Kontakte und gute Drähte hatten. Wenn man dienicht hat, also unvorbereitet da hingeht, und nur auf dieoffiziellen Dinge wartet, dann ist man völlig aufgeschmissen.Man muss wissen, welcher Delegation kannich vertrauen. Da gibt es wirklich die ungewöhnlichstenWege, die man da gehen kann, um an verlässliche Informationenzu kommen“ (D4).5.5.7 Kooperation zwischen Brüsseler JournalistenEine der charakteristischsten Eigenschaften der Arbeitssituationin Brüssel, ist nach den Beschreibungen derJournalisten, die Kooperation mit Kollegen andererMedien – vor allem mit Journalisten aus anderen Mitgliedsstaaten:Auf die Frage „was ist die wichtigsteInformationsquelle in Brüssel?“ erwidert ein leitenderBrüsseler Fernsehjournalist: „Die ehrliche Antwort darauf?– Kollegen“ (EU8).Dabei gibt es zwei Formen der transnationalen Kooperation.Die institutionalisierte und die individuelle,spontane. Erstere findet zum Beispiel bei der NachrichtenagenturReuters statt. So beschreibt ein Journalistwie im Vorfeld der Verabschiedung der BerlinerErklärung das internationale Korrespondentennetzwerkder Nachrichtenagentur mobilisiert wurde.„Es hat einer gehört, dass der Entwurf für die BerlinerErklärung von deutscher Seite aus verschickt wird. Daraufgeht eine Rundmail an alle 27 Länder: Wer den zuerstkriegt und veröffentlicht kriegt eine Flasche Wein. (...)Wir haben hier so eine Emailgruppe, wo alle EU-Korrespondenten,die irgendetwas damit zu haben, angesprochenwerden, dann ziehen alle an einem Strang“ (D5).36


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box BrüsselDie Agentur hat in Brüssel eine große Redaktion, in derJournalisten unterschiedlicher Nationen arbeiten. Ähnlichist die Situation für Journalisten der FT und der FTDin Brüssel. Deutsche und britische Redakteure arbeitenauf verschiedenen Stockwerken ein und desselbenGebäudes. Oft arbeiten die beiden Redaktionen engzusammen und tauschen sogar Zitate und Quellen aus(Huber 2007:21). Das jüngste Beispiel einer solchenKooperation ist das im Februar 2007 gegründete WAZ-Büro, in dem unter der Leitung von Knut Pries Journalistenaus unterschiedlichen Ländern für unterschiedlicheZeitungsformate der WAZ-Gruppe zusammenarbeiten.Wirklich außergewöhnlich ist allerdings die zweite Formder Zusammenarbeit von Korrespondenten in Brüssel:die informelle Kooperation von Journalisten unterschiedlicherMedienorganisationen. Diese Art derZusammenarbeit beschreiben fast alle Journalisten alsessentiell:„Ich sage Ihnen, wenn Sie nicht mit Journalisten ausanderen Ländern reden, sind Sie hier verraten und verkauft.Sie können den Job hier nicht machen ohne dieKollegen aus den anderen Ländern. Das liegt an derArbeitsökonomie. Sie kommen nicht durch mit denSachen, wenn sie das unterlassen. Dazu sind hier viel zuviele Themen, die viel zu unübersichtlich sind. Sie könnengar nicht dauernd alles selbst recherchieren. Die Kollegenaus anderen Ländern sind hier in Brüssel eine ganzeessentielle Informationsquelle, ohne die geht es nicht“(EU8).Diese transnationale Kooperation ist möglich, weil dieeinzelnen Journalisten für verschiedene Märkte berichtenund daher nicht in direkter Konkurrenz zueinanderstehen.„Weil man, anders als in der Innenpolitik mit den Kollegennicht in einer direkten Konkurrenz steht, gibt es fürdie keinen Grund, einem Sachen nicht zu sagen“ (EU19).Die Tatsache, dass die Journalisten unterschiedlichenationale Hintergründe haben, macht sie für ihre Kollegenzu wertvollen Experten für Themen, die ihr jeweiligesHeimatland betreffen. Zudem haben sie Zugang zuBeamten und Politikern ihrer Nation und können einfacherKontakte vermitteln.„In letzter Zeit habe ich öfter mit polnischen Kollegen zutun. Die rufe ich dann auch an und die polnischen Kollegenrufen bei mir an und sagen. Was sagt die Merkel undwas ist wirklich? Ist das so, und wollen die wirklich dasmachen? „ (EU5).Die Kooperation geht teilweise sogar noch über denAustausch von Meinungen und Standpunkten hinaus:Auch Interviewquellen und Informationsmaterialienwerden den Kollegen zur Verfügung gestellt, wie dieMehrheit der Journalisten berichtet.Basis dieser Kooperation ist Vertrauen, das man sich vorOrt in Brüssel auch in vielen informellen Kontaktenerarbeitet. Ein EU-Korrespondent berichtet sogar, dassdie Korrespondenten jeden Donnerstag gemeinsamFußball spielen.„Dieser Austausch unter den Journalisten ist ungeheuerwichtig. Das funktioniert nur, weil wir uns untereinanderkennen. Wenn hier nur immer die Hauptstadt-Journalistenzusammen säßen, würde es nicht funktionieren,weil die kennen ja die anderen Kollegen nicht. Ich kenneeben meinen spanischen Kollegen, gehe bei dem vorbei,und bei den französischen und britischen Kollegen geheich vorbei und frage, was habt ihr gehört. Und die kommenzu mir und sagen, kannst du mir noch mal erklärenoder gib mir doch mal ein Zitat. So tauscht man sichgegenseitig aus und das ist das Wichtigste, was Informationenanbelangt, das ist wichtiger als alles andere“(EU15).Die enge Kooperation untereinander bringt Journalistenin eine vergleichsweise einflussreiche Position. Dennwie oben beschrieben, sind fast alle Techniken des NewsManagement und des Spin allein dadurch wirksam, dassJournalisten in starker Konkurrenz zueinander stehen.Es kann aus den Berichten über die Zusammenarbeit derJournalisten unterschiedlicher Länder geschlossen werden,dass diese auch zu Überschneidungen in derMedienberichterstattung in den verschiedenen Nationenführt. So werden Journalisten in Brüssel zu einerAvantgarde der europäischen Öffentlichkeit.5.5.8 „Der nationale Klüngel“Neben dieser Tendenz zur Internationalisierung wirdvon einigen Journalisten ein gegenläufiges Phänomenbeschrieben. Vor allem bei Veranstaltungen suchenJournalisten die Nähe zu ihren Landsleuten, um ihreEinschätzungen miteinander diskutieren zu können.„Wobei eben hier trotzdem die Journalistentrupps nationalrelativ stark zusammen klüngeln, also mehr, als ichursprünglich gedacht hätte. Die Franzosen sind mit denFranzosen und die Engländer schon überhaupt mit denEngländern usw. Also, die bleiben auch in nationalenTrupps. Wenn wir reisen und unterwegs sind, da fährtman quasi immer mit dem eigenen Trupp“ (EU4).37


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box BrüsselNeben dem Austausch von Einschätzungen und Informationenzur Bestätigung, Neuorientierung oder Erweiterungeigener Erkenntnisse hat der enge Kontakt zuden nationalen Kollegen auch positive Effekte auf dieArbeitsorganisation. Weil die Journalisten bei Veranstaltungenwie Ministerräten oder Gipfeln des EuropäischenRats häufig zusammen sitzen, können die jeweiligenMedienbeauftragten gezielt und zeitgleich informieren.„Manchmal gibt es landesspezifische Zusammenrottungen,dass dort eine Gruppe Deutscher oder eine GruppeSpanier sitzt. Das ist manchmal gut, weil es zum Beispielpassiert, dass die Deutschen briefen und dann kommtmal kurz einer der Sprecher und der geht dann dorthin,wo die meisten deutschen Journalisten sitzen“ (EU19).Um sicherzustellen, dass auch genügend gemeinsamerRaum für die deutschen Kollegen bei Gipfeln oder ähnlichenVeranstaltungen zur Verfügung steht, wirdzumeist eine Kennzeichnung der Platzierungen vorgenommen:„Das hängt einfach damit zusammen, dass die BrüsselerKollegen bei der Gipfelvorbereitung hingehen und danndiese DIN-A4-Zettel auf die Tische kleben und ganzeSitzreihen für bestimmte Medien blocken. Meist machendas ein oder zwei Leute dann auch für den großen Kreisder Kollegen. Das geht da auch sehr kollegial zu. Diemachen das auch für andere Medien mit“ (D1).Eine Journalistin versäumt es jedoch nicht auf dieGefahren, dieses „shoulder rubbings“ aufmerksam zumachen. Die Nähe und der permanente Austausch undVergleich von Sichtweisen, führe zu einer Uniformitätder Berichterstattung und Kommentierung. So könnenur von einer scheinbaren Meinungsvielfalt in der deutschenEU-Berichterstattung ausgegangen werden.„ Also ich könnte mich davon nicht mehr frei machen,wenn die FAZ neben mir eine These entwickelt hat unddie These dann auch noch mal mit dem Kollegen von derStuttgarter Zeitung abgleicht, ob die auch bestand hat,da wäre mein Kommentar schon im Eimer, weil meineganzen Gedanken würden sich sofort auflösen. Und ichkann so nicht arbeiten. Und ich habe den Verdacht, dasses viele meiner Kollegen auch nicht können, weil wennman am nächsten Tag in die Zeitung guckt, dann ist esauch ziemlich uniform, was man da sieht“ (EU10).5.6 Agenda SettingUm die Rolle der Politik und der Medien bei der Themenwahlder EU-Berichterstattung näher eruieren zukönnen, wurden die Journalisten nach den Berichterstattungsanlässengefragt. Sie wurden gebeten denAnteil der Eigenrecherche und den der Vorgaben derpolitischen Agenda an ihrer Berichterstattung zugewichten und zu erklären. Ein Brüsseler Korrespondentbeschreibt diese beiden Einflussfaktoren als zwei Stränge,die Berichterstattung formen:„Der eine Strang sind die normalen Ereignisse: Man hatMinisterräte, man hat irgendwelche Kommissionssitzungenund weiß, es steht die und die Entscheidung an,im Wettbewerbsbereich, in der Außenpolitik. Man hatParlamentssitzungen. Das sind alles die Dinge, die mankennt, und man weiß ungefähr, was da kommen wird.Das ist der eine Strang. Der andere Strang ist der, dassman von sich auch selbst bestimmte Bereiche und Themenpermanent im Blick hat und immer mal wiedernachhakt und seine eigenen Geschichten sucht; die jetztnicht öffentlich laufen, aber hinter denen man selbst herist, und die man, wenn man sie halbwegs rund hat, dannin die Zeitung bringt“ (EU3).Die Mehrheit der EU-Korrespondenten spricht dem erstgenanntenStrang – der politischen Agenda – den größtenEinfluss auf die Themensetzung zu: sie sei die „absolutoberste Determinante auch hier für die Berichterstattung“(EU6). Einige beziffern den Anteil mit 60 Prozentpolitischer Agenda und 40 Prozent Eigenrecherche(EU3). Andere messen der Politikagenda sogar einenAnteil von 90 Prozent zu (D2). Dass die Dominanz derpolitischen Agenda, die von einem Großteil der Journalistenim Gespräch eingeräumt wurde, auch einentatsächlichen Niederschlag in der Berichterstattung findet,zeigen die Ergebnisse einer Inhaltsanalyse nationalerTageszeitungen zur EU-Berichterstattung von Hans-Jörg Trenz. Die Berichterstattung orientiere sich, demWissenschaftler zu Folge, „zumeist am Ereigniskalenderder europäischen Institutionen und damit an institutionellinszenierten Ereignissen (wie wöchentliche <strong>Presse</strong>konferenzen),auf die sich die Medien bereits routinemäßigeinstellen können“ (Trenz 2005: 221f.).„Es sind zum größten Teil die Termine, die die Agendavorschreiben (...). [I]ch würde sagen, in erster Linie ist esdoch die Terminpolitik, die wir dann versuchen mit Beispielenauszugestalten“ (EU11).38


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box BrüsselAls Gründe dafür werden vor allem Zeit –und Ressourcenmangelgenannt. Man habe nicht genügend zeitlicheund personelle Kapazitäten, um neben den täglichenVorgaben der politischen Agenda eigenständigeThemengebiete zu recherchieren.„Wir sind sehr stark in den Ablauf der Geschäfte hier eingebunden.Ich habe eigentlich wenig Zeit, mich umDinge zu kümmern, die sozusagen nicht öffentlich sindund wo man viel recherchieren müsste“ (EU15).Das große Gewicht politischer Termine im Agenda-Setting-Prozesserklärt ein EU-Korrespondent auch mitdem Verweis auf die Funktion des politischen Journalisten,der per definitionem über politische Prozesse undTagesordnungen berichten sollte.„Wir berichten ja nicht über etwas, dass wir irgendwieerfinden, sondern berichten über Dinge, die sich ereignen,die gemacht werden. Insofern setzt in der Politikberichterstattungimmer auch die Politik selbst die Berichterstattung,das kann ja nicht anders sein. [...] Da könnenwir gar nicht dran vorbei“ (EU8).Die Notwendigkeit eigenständiger Themenrecherchewurde von einem Interviewpartner auf EU-Ebene generellangezweifelt. Politische Prozesse seien entweder perse nicht zugänglich oder wären für das Publikum irrelevant.„Ich meine, was kann man hier selbst recherchieren? Inallen großen politischen Betrieben ist die Vorstellungselbst recherchierter Themen eigentlich weitgehend eineIllusion. Jedes Thema, das hier ist – von Gen-Mais angefangenbis sonst wohin – ist ja irgendwie da (...). Ichdenke, die Vorstellung, hier könne man irgendwieRecherchen betreiben in irgendwelche Geheimnisse, dasist weitgehend illusorisch. Das ist auf nationaler Ebeneteilweise möglich, wenn man z. B. in Geheimdienstgeschichtenoder Terrorismussachen recherchiert. Da gibtes hier nichts. Da ist hier nichts rauszukriegen, weil hierist niemand. Hier wird nur die Zusammenarbeit abgewickelt.Die Geheimnisse der Kommission sind weitgehendnicht vermittelbar. Die Prozesse, die da ablaufen,sind politische Prozesse und politische Streitigkeiten.Wer will das im Detail wissen?“ (EU4).Der Einfluss der politischen Agenda auf die Themen derMedienberichterstattung variiert stark von Journalist zuJournalist und von Medium zu Medium. Ein freier Journalist,der nicht tagesaktuell für verschiedene Medienarbeitet, benennt beispielsweise nur individuelle und redaktionelleFaktoren, die seine Themenwahl bestimmen.„Das ist schon das Interesse der Redaktionen und dasLand in dem ich lebe, und mein persönliches Interesse.Das sind die drei Faktoren, die jetzt die Themenauswahlbestimmen“ (EU5).Ein Interviewpartner macht auch auf die Möglichkeitder Beeinflussung der Politikeragenda durch dieMedienberichterstattung aufmerksam. Demnach sei esvor allem den großen Zeitungen möglich auf bestimmteThemen und Aspekte hinzuweisen, die dann eine entsprechendeReaktion im politischen System nach sichziehen. Diese Richtung des Agenda-Setting sei jedoch,wie er gleichzeitig einräumt, seltener anzutreffen.„(...) Wenn in zwei großen Zeitungen solche Geschichtenstehen, die laufen dann auch über die Agenturen. Dannreagieren die da drauf. Das ist klar. Wir reagieren häufigernatürlich auf die Politik, aber die reagieren auchschon auf uns – also die großen Zeitungen“ (EU12).Ob ein EU-Thema mediale Beachtung erfährt, ist jedochnicht nur Ergebnis der Themen- und Timing-Vorgabender politischen Agenda der EU, sondern wird auch vonder Berichterstattung anderer Journalisten bestimmt.Gelingt es einem Medium ein besonders interessantesund viel beachtetes Thema zu lancieren, folgen dieanderen Medien mit eigener Berichterstattung zu diesemSachverhalt.„Das ist manchmal dann auch der Herdentrieb. Dann istdie Reaktion: Warum haben wir nichts? Die haben dochdort eine gute Geschichte gehabt. Und da müssen wiralle nachschreiben“ (EU12).Von einem EU-Journalisten wird in diesem Zusammenhangvor allem auf die Leitfunktion des Fernsehens hingewiesen(D8). Generell wird jedoch vor allem demAgenturjournalismus ein besonderer Stellenwert beigemessen,der durch seine Aktualität und Omnipräsenzzum Agenda-Setter avanciert:„Natürlich sind die Nachrichtenagenturen der Haupttransporteurder Themen, das ist ja klar. Die sitzen undschreiben den ganzen Tag ohne Ende, was in der Kommissionoder im Parlament passiert etc. pp. Das ist dochklar, die Nachrichtenagenturen setzen in jedem Falle inerster Linie das Thema. (...) Kleine Meldungen nimmtman normalerweise von den Agenturen. Die richtigenGeschichten schreiben die Korrespondenten. Das ist dasGleiche wie überall“ (EU4).39


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box BrüsselZudem sind die Agenturmeldungen meist die erste undeinzige Quelle von EU-Nachrichten für die Heimatredaktion.Dominiert ein Thema die Agenturmeldungen,so wird es von der Heimatredaktion als besondersberichtenswert eingestuft und der Korrespondent inBrüssel beauftragt zu diesem Thema zu recherchieren.5.7 Recherche-Journalismus in BrüsselDie Frage nach den Möglichkeiten der investigativenRecherche wurde von den Journalisten sehr uneinheitlichbeantwortet, wobei die Definition von „investigativ“bei der Einschätzung eine wichtige Rolle spielt. EinJournalist kritisiert, dass der Begriff in Deutschlandinzwischen auf eine Art „politischen Skandaljournalismus“reduziert wird. Ähnlich äußert sich einer seinerKollegen:„Das Investigative kommt vielleicht ein bisschen zu kurz.Es gibt jetzt seit zehn Jahren oder so ein größeres Interessean solcher Berichterstattung, die sich aber eben aufdiesen etwas engen Fokus, ‚können die nicht mal eineSauerei ausgraben’, beschränkt. Das finde ich nicht sorichtig überzeugend. So wie es vielleicht vorher allzufromm war, nach dem Motto, die EU ist eine gottgefälligeVeranstaltung, da schreiben wir nun schöne Sachendrüber, ist es dann dazu gekommen, dass ein Teil der<strong>Presse</strong> sich darauf versteift hat, zu sagen, das ist dochalles ein Drecksladen, die hauen wir jetzt Woche fürWoche in die Pfanne. Das ist genauso bescheuert“ (EU6).Versteht man investigative Recherche jedoch nichtallein als das Aufdecken von Skandalen, wird sie vonden meisten Journalisten als genuiner Bestandteil derjournalistischen Arbeit in Brüssel betrachtet. Die Journalistenbetonen jedoch, dass eine gute personelle Ausstattungder Redaktionen Voraussetzung für den intensivrecherchierenden Journalisten ist. Die Journalisten indiesen Redaktionen haben oft weniger Zeitdruck, könnensich besser spezialisieren und so am ehesten nachforschendQuellen untersuchen und Hinweisen folgen.So beschreibt ein EU-Korrespondent:„Was wir hier machen, ist investigativ. Auf dem Bereich,wo wir unsere eigenen Geschichten machen, ist dasnichts anderes. Wir suchen uns Quellen, wir glauben,irgendwo ist was, wir vermuten was, wir gehen demnach, bis wir was haben, und dann haben wir eineGeschichte. Das ist für mich investigativer Journalismus.So ist und muss politischer Journalismus eigentlich sein.Viele von denen, die ich hier kenne, machen das, jedenfallsviele von denen, die ich kenne, machen das“ (EU3).Es lässt sich jedoch schlussfolgern, dass die meistenJournalisten in Brüssel aus einem Zusammenspiel deroben beschriebenen Faktoren und Umstände häufigweniger recherche-intensiv arbeiten. Dies scheint allerdingsnicht allein im Rollenverständnis der Journalistenbegründet zu liegen, sondern viel mehr an dem besondereninstitutionellen Setting, mit dem der einzelneJournalist in Brüssel konfrontiert ist.Die folgenden Handlungsempfehlungen sollen Möglichkeitenaufzeigen, wie den oben beschriebenen Defizitender EU-Berichterstattung begegnet werden kann.40


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box Brüssel6. HandlungsempfehlungenDie Ergebnisse dieser Befragung, wie auch Befunde vorangegangenerStudien, deuten auf fundamentale Defizitein der medialen Vermittlung von Europapolitik hin.Hindernisse für die adäquate Berichterstattung findensich sowohl auf der politischen Ebene als auch auf derEbene der Medien. Die Probleme sind teilweise in derStruktur des politischen Systems der EU sowie in derLogik der nationalen Medienberichterstattung angelegt.Dennoch bleiben Akteuren aus Politik und MedienHandlungsspielräume, um die EU-Berichterstattung zuverbessern.Im Folgenden sollen auf Grundlage der vorliegendenUntersuchungsergebnisse Möglichkeiten aufgezeigtwerden, wie Handlungsspielräume genutzt werden können.Da es um konkrete Verbesserungsvorschläge gehen soll,werden die in der Studie aufgezeigten Probleme aufEbene des institutionellen Aufbaus der EU und dernationalen Mediensysteme hier nicht thematisiert, sondernvielmehr Problemlösungspotentiale für die Ebenevon Organisationen und Akteuren benannt.6.1 Verbesserungspotentiale auf Seiten derMedien6.1.1 Journalisten" Den Lesern und Zuschauern muss mehr zugetrautund zugemutet werden. Der Hauptgrund für Medienein Thema ins Blatt oder ins Programm zu nehmen –sofern sie nicht öffentlich-rechtlich oder staatlichsind – ist das angenommene Interesse der Leser, unddie daraus resultierende Auflage beziehungsweiseQuote. Die Interessen des Publikums werden allerdingsumgekehrt in erheblichem Maße durch diemediale Gewichtung von Themen bestimmt. Wenndem Publikum von Anfang an das Verständnis europapolitischerProzesse nicht zugetraut und deshalbnicht berichtet wird, tritt ein sich selbst verstärkenderProzess ein: Die EU wird nicht nur immer unverständlichersondern auch immer unsichtbarer." Europaexpertise muss schon in der Journalisten-Ausbildung vermittelt werden. Nur, wer die Institutionenund Prozesse der Europäischen Union kennt,kann europäische Politik für sein Publikum verständlichaufbereiten und die Relevanz europäischer Politikund ihrer Themen frühzeitig abschätzen. Es wäreundenkbar, dass Absolventen einer deutschen Journalismusschuleoder Volontäre deutscher Tageszeitungendie Bundesministerien und ihr Führungspersonalnicht kennen. Im Fall der Europäischen Union,so darf vermutet werden, ist dieser Zustand eher dieRegel, als die Ausnahme." Besonders bei regionalen und lokalen Zeitungenmuss Europaexpertise gebildet werden (vgl. Schäfer2005:58). Regionalzeitungen werden in Deutschlandmit Abstand am meisten gelesen, haben aber dasgrößte Defizit in der Europaberichterstattung. Unddies, obwohl es häufig gerade die Regionen sind, dievon Entscheidungen der EU-Institutionen betroffensind." Journalisten müssen sich davon lösen, in ihrerBerichterstattung allein die politische Agenda unddas Timing der europäischen Institutionen zu übernehmen.Die eigene Recherche muss bei der Themenfindungan Gewicht gewinnen. Dies geht nurdurch eine personelle Verstärkung der BrüsselerRedaktionen. Forderungen gehen ins Leere, wenn eineinzelner Journalist in Brüssel für Nato, die Benelux-Länder und die EU-Institutionen verantwortlich ist." Journalisten müssen Prozesse von Beginn an begleiten.Die verbreitete Einstellung „frühe Thematisierungstöre die Entscheidungsfindung“ führt dazu,dass Richtlinien scheinbar aus dem Nichts auftauchen.Gerade bei langwierigen Entscheidungen isteine frühzeitige Einschätzung der Relevanz von Themennotwendig. Nur so können Medien auch vorproblematischen Entwicklungen warnen, bevor Entscheidungengefallen sind.6.1.2 Medienorganisationen" Europapolitik ist in weiten Teilen Innenpolitik undmuss auch so behandelt werden. Das betrifft sowohldie Ressourcen als auch den Platz im Blatt oder dieZeit auf dem Sender." Ein notwendiger Schritt hin zu einer adäquaten EU-Berichterstattung ist die personelle Verstärkung derRedaktionen. Ein einzelner Journalist kann sichunmöglich in alle Themenfelder, die auf europäischerEbene verhandelt werden, einarbeiten. Die EU istkein Thema, wie die Gesundheits- oder Verkehrspolitik,sondern eine eigenständige politische Ebene und41


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box Brüsselsollte als solche auch von den Medien behandeltwerden. Eine Ressortaufteilung – und eine vergleichbareRedaktionsstärke – wie sie im Hauptstadtjournalismusgang und gäbe ist, würde auch eine differenziertereEU-Berichterstattung nach sich ziehen." Die Verstärkung der Teams ist nicht nur aus Gründender Expertise für unterschiedliche Politikfelder geboten,sondern auch um Kapazitäten für eigenständigeRecherche freizustellen. Zurzeit spielt die politischeAgenda die Hauptrolle, wenn es darum geht, die Themender Europaberichterstattung zu setzen. Durchzusätzliches Personal würden Freiräume entstehen,um den journalistischen Eigenanteil bei der Themenfindungzu stärken." Parallel zur Aufstockung der EU-Büros muss auch dieEU-Expertise in den Heimatredaktionen gestärktwerden. Die „Gatekeeper“ in den Heimatredaktionenmüssen in der Lage sein, die Relevanz von Themenfrühzeitig richtig einzuschätzen. Es ist problematisch,dass Stücke von Brüsseler EU-Expertengeschrieben werden, über ihre Platzierung aber häufig„EU-Laien“ im Ressort Außenpolitik entscheiden." Die Kooperation zwischen Brüsseler und BerlinerKorrespondenten muss verbessert werden. Oft sindeuropäische Prozesse nur mit einer genauen Kenntnisnationaler Politik zu verstehen und umgekehrt.Solange Brüssel und Berlin als unverbundene Ressortsbehandelt werden, kann die Berichterstattungüber beide politische Ebenen politische Prozessenicht in Gänze erfassen." Journalisten müssen internationale Netzwerke etablierenund transnational mit Kollegen aus anderenMitgliedsstaaten kooperieren. Wo nur aus nationalerPerspektive recherchiert und berichtet wird, endenInformation und somit auch Kontrolle politischerMacht häufig an den Landes- und Sprachgrenzen.Eine wirkliche Watchdog-Funktion können Journalistenin einer multinationalen Organisation nur inmultinationalen Mediennetzwerken erfüllen. DieEffizienz transnationaler Recherche-Netzwerkebestätigen Erfahrungen wie die Geschichte desRücktritts der Santer-Kommission, die auf die Aufdeckungvon Missständen durch ein informellesJournalisten- Netzwerk folgte (vgl. Meyer 2002).Vorbildlich sind Medienorganisationen, die aufunterschiedlichen Märkten agieren und die Möglichkeitnutzen, die transnationale Zusammenarbeitihrer Journalisten zu institutionalisieren 23 .6.2 Verbesserungspotentiale auf Seiten derPolitik6.2.1 Nationale politische Institutionen und Akteure" Nationale Politiker müssen die Bedeutung europäischerPolitik kenntlich machen und Verantwortlichkeitenklar benennen. Politische Kommunikationwird nach wie vor maßgeblich von den Akteurennationaler Politik bestimmt. Auch das Bild derEuropäischen Union in der Öffentlichkeit wird vonkommunikativen Akzenten geprägt, die diese setzen(vgl. Bunz 2000:25)." Das „Blame-Game“ muss aufhören. Minister undStaatsoberhäupter, die auf Ebene der EU beteiligtsind, dürfen in der nationalen Arena nicht damitwerben, was sie Europa abgetrotzt und gegen„Brüssel“ für das eigene Land erreicht haben. EU-Richtlinien populistisch zu kritisieren und gleichzeitigzu verschweigen, dass die eigene Regierung anderen Entstehung maßgeblich beteiligt war, fördertnicht die Transparenz, sondern einseitige Ressentiments.6.2.2 EU-Institutionen und politische Akteure" Die EU-Kommission sollte statt in PR-Kampagnenund Broschüren in eine fachlich bessere Informationspolitikinvestieren. Sie sollte Öffentlichkeitsarbeitweniger dirigistisch angehen und mehr Offenheitund Bereitschaft zum Dialog mit den Medien zeigen." Die Europäische Union darf Kommunikation nichtlänger als Mittel begreifen, den Bürgern die Ergebnisselängst abgeschlossener politischer Prozesseschmackhaft zu machen. Transparenz bedeutet auchkontinuierliche Einbindung von Öffentlichkeit in dengesamten politischen Prozess (vgl. auch Meyer2003:40).23Solche Modelle werden bereits erfolgreich von der WAZ-Gruppe, der englischenund deutschen Financial Times sowie der Nachrichtenagentur Reutersbetrieben. Beispielhaft ist hier das Modell der WAZ-Konzerns, der eininternational besetztes Brüsseler Büro eingerichtet hat, aus dem Korrespondentenauch für Regionalzeitungen verschiedener Länder und Märkteberichten. Ein öfentlich-rechtliches Vorzeigeprojekt ist „Radio E“, einGemeinschaftsprogramm verschiedener Europäischer Auslandssender.Auch hier werden politisches Know-How und Sprachkompetenz für eineBerichterstattung mit Europäischer Perspektive gebündelt (vgl. Kleinsteuber2007:13).42


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box Brüssel" Kommissare müssen für die Medien ansprechbarsein. Auch wenn EU-Kommissare und hohe Beamteder Europäischen Kommission nicht von der Wählergunstabhängig sind, sind sie Bürgern und somitauch Medien Rechenschaft schuldig. Eine stärkerePräsenz der EU-Kommissare durch mehr öffentlicheAuftritte würde eine personalisierte Europaberichterstattungerheblich erleichtern." Um Transparenz und Personalisierung der Debattenzu erleichtern, müssen Europapolitiker und -Beamteihre Namen mit ihren inhaltlichen Positionen verknüpfen.Das bedeutet: weniger anonymes Agenda-Setting „unter zwei“ oder „unter drei“, stärkere Präsenzvon Personen. Nur so können auch EU-Politikerbeim Wort genommen werden." Verhandlungen sowie auch Abstimmungsergebnisseder Verhandlungen der Europäischen Kommissionsowie des Europäischen Rats und des Ministerratsmüssen zumindest teilweise öffentlich gemachtwerden (wie es im Fall des Ministerrats ja auch schonin Einzelfällen praktiziert wird). Öffentliche Konfliktemüssen zugelassen werden, auch wenn dies dieKompromissfindung verzögert. Journalisten muss sodie Möglichkeit gegeben werden, über politischeProzesse mit all ihren Konflikten und Schwierigkeitenzu berichten. Nur so bekommen die Institutioneneine Medienpräsenz (vgl. auch Meyer 2003:40)." Auch im Europaparlament gibt es noch Spielräume,um den Umgang mit den Medien weiter zu professionalisieren.So schlägt zum Beispiel der freie JournalistAlois Berger im Interview die Erstellung einerListe vor, der zu entnehmen ist, welche Abgeordnetendes Europaparlaments welche Sprachen sprechen.Durch diesen Service wären Radio-, FernsehundInternetredakteure für O-Töne nicht mehr aufdie Abgeordneten ihres jeweiligen Heimatlandesbeschränkt.43


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box Brüssel7. FazitWarum ist die Europäische Union für den größten Teilihrer Bürger eine Black Box? Eine undurchsichtigeMaschine, deren Produktion nur von Interesse ist, wennsie den Europäer in Verona, Wattenscheid oder Tamperedirekt betrifft? Dass dies zumindest zum Teil daran liegt,dass Journalismus in der Vermittlung und Kontrolle vonEuropapolitik starke Defizite hat, legen die Ergebnissedieser Studie nahe.Eine Vielzahl von Faktoren erschwert die effektivepublizistische Kontrolle politischer Prozesse in Brüssel.Diese haben ihren Ursprung zum Teil in den politischenStrukturen, zum Teil entstehen sie auf Seiten der Medienorganisationenund Journalisten. Schon der Vermittlungvon Basisinformationen werden die Medien, die ausdem „Raumschiff Brüssel“ berichten, nicht immergerecht.Wendet man kommunikationswissenschaftliche Theorienauf Prozesse der politischen Kommunikation in Brüsselan, so zeigt sich, dass das einzigartige institutionelleSetting der EU ganz andere Regeln hervorgebrachthat als die politischen Systeme der Nationalstaaten.Theorien über das Zusammenspiel zwischen Medien undPolitik sowie über die Interaktionen zwischen Journalistenund ihren Informationsquellen sind nicht ohne weiteresauf den europäischen Kontext übertragbar. Siemüssten für die Ebene der EU modifiziert und weiterentwickelt werden.Die „Mediatisierung der Politik“, die Meyer und Hinchman(2002) im nationalen Kontext beobachten, kann sofür die europäische Ebene nicht konstatiert werden.Dies liegt nicht zuletzt darin begründet, dass Politik undMedien im Kontext europäischer Politik weniger Interdependenzenaufweisen:Die politischen Akteure der Europäischen Union sindweniger von Journalisten abhängig, um ihren politischenEinfluss zu verstetigen und bei Wahlen zu erneuern.Einer der Hauptgründe dafür ist, dass die Mitgliederder Europäischen Kommission als der einflussreichsteneuropäischen Institution nicht gewählt, sondern vonden nationalen Regierungen berufen werden und dassdie Abgeordneten des Europäischen Parlaments alleinvon den Bürgern ihres jeweiligen Heimatlandes gewähltwerden.Aber auch die Journalisten sind weniger von politischenAkteuren abhängig, um an Informationen zu gelangen.Dies liegt vor allem an der stark ausgeprägten Kooperationzwischen Journalisten verschiedener Länder. DieBrüsseler Korrespondenten arbeiten für ganz unterschiedlicheMedienmärkte und stehen deshalb kaum inKonkurrenz zueinander. Sie nutzen einander daher alsInformationsquellen und vermitteln sich gegenseitigKontakte zu den jeweiligen nationalen Politikern undEntscheidungsträgern.Dieses Klima der Kooperation führt auch dazu, dassJournalisten weniger als im nationalen Kontext gegeneinanderausgespielt werden können. Viele Methodendes Spin Doctoring und News Management sind nichtErfolg versprechend, wenn Journalisten nicht in einemgewissen Ausmaß miteinander konkurrieren.Transnationale Kooperationen zwischen Journalisten,wie sie in der EU-Berichterstattung intensiv praktiziertwerden, beschneiden jedoch nicht nur die Manipulationsmöglichkeitenpolitischer Akteure. Die journalistischenNetzwerke über verschiedene Nationalitätenstellen im Quellen-Dschungel der EU auch Transparenzher und ermöglichen durch gegenseitige Hilfestellungentrotz geringer Ressourcen in den Nachrichtenredaktionenweiterführende Recherchen. Dies wurde besondersin den Schilderungen der Journalisten über die Zusammenarbeitbei Gipfeln des Europäischen Rats deutlich.Doch obwohl diese Recherchenetzwerke inzwischen –sowohl informell als in Einzelfällen auch formell 24 – ander Tagesordnung sind, sind es noch immer hauptsächlichdie europäischen Institutionen, die die Themen aufder Nachrichtenagenda bestimmen. Über welche Inhaltewann berichtet wird, gibt – nach den Aussagen dermeisten Korrespondenten – in erster Linie der Kalenderder europäischen Institutionen vor. Die Berichterstattungist also meist anlassbezogen und nichtrechercheinduziert, ein klares Indiz für die Dominanzeines eher affirmativ begleitenden Journalismus. DieGründe hierfür liegen vor allem in der unzureichendenpersonellen Ausstattung der Brüsseler Büros. Journalistenhaben selten die Ressourcen, um durch aufwändigeRecherche unabhängig von den Inhalten, die derpolitische Apparat vorgibt, eigene Themen auf dieNachrichtenagenda zu setzen. Was in Berlin als Personalnotstandgelten würde, ist in Brüssel der Normalfall.Unterstützt wird diese Tendenz durch das Selbstverständnisder Korrespondenten. Sie folgen eher eineminformationsvermittelnden und erklärenden Muster alseinem investigativen Journalismusverständnis. Dieses24 Wie oben beschrieben, sind hier die WAZ-Gruppe, die ein Büro für EU-Korrespondenten unterschiedlicher Nationalitäten eingerichtet hat, sowiedie internationalen Redaktionen von Reuters und der Financial Timesbesonders positive Beispiele.44


12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box BrüsselSelbstbild als „Übersetzer“ der EU-Politik ist unter anderemeine Folge des hohen Komplexitätsgrades europäischerPolitik, der eine Beschreibung der institutionellenGrundlagen immer wieder notwendig macht. Viele Journalistentrauen ihrem Publikum das Verständnis für einedifferenzierte Darstellung von EU-politischen Fragennicht zu – ein Publikumsbild, das anspruchsvolle EU-Berichterstattung zusätzlich behindert.Dieses Publikumsbild findet sich nicht nur bei den Korrespondenten,sondern auch bei den Heimatredakteuren,die als Gatekeeper entscheiden, was in die Berichterstattungaufgenommen wird. Hier zählt der Nachrichtenwert,der bei Berichten aus Brüssel aufgrund einerVielzahl von Faktoren oft gering ist. Zudem gibt es inden Heimatredaktionen wenig Überprüfungskapazität,die Redakteure sind mit den Feinheiten europäischerPolitik selten in ausreichendem Maße vertraut. So wirdEuropaberichterstattung erst von Experten geschriebenum dann von relativen Laien selektiert zu werden, welcheihre Auswahl stellvertretend für Leser treffen, diedas Thema mutmaßlich abschreckt. Das Publikumsbildder Journalisten ist auch ein sprechendes Beispiel fürdie Tatsache, dass Schwierigkeiten der EU-Berichterstattungnur selten isoliert betrachtet werden können,sondern meist Bestandteil übergreifender, sich selbstverstärkender Mechanismen sind. So führen die Medienals Grund für die geringe Präsenz europäischer Politikdas mangelnde Interesse des Publikums an. Voraussetzungfür ein wachsendes Interesse aber wäre ein Verständnisder politischen Prozesse in Brüssel, das wiederumauch durch die Medien vermittelt werden müsste.Diese Studie, die sich besonders auf den deutschen EU-Journalismus konzentriert, hat Schwachpunkte in denRoutinen der EU-Berichterstattung ermittelt. Sie hatsich der Thematik mit zwei einander ergänzendenMethoden genähert. Selbstbeschreibungen und Wahrnehmungendes eigenen Arbeitsumfelds sind meist sehrsubjektiv, daher wurden die aus leitfadengestütztenExperten-Interviews gewonnenen Daten durch dieErgebnisse der teilnehmenden Beobachtung ergänzt 25 .Die Kombination der Methoden hat sich als effektiveMöglichkeit erwiesen, um mehr über die Arbeitsroutinenund das Rollenverständnis von Journalisten in derEuropaberichterstattung herauszufinden. Um generalisierbareDaten zu gewinnen, müsste die Anwendungqualitativer Methoden jedoch durch die Erhebungrepräsentativer quantitativer Daten ergänzt werden. Sokönnte beispielsweise eine standardisierte Befragung,ergänzt durch eine Inhaltsanalyse der Medienberichterstattung,helfen, die in dieser Studie entwickelten Thesenzu testen, sie zu verfestigen und zu ergänzen.25 Auch Baerns betont, dass journalistische Selbstbeurteilung häufig zu sehr anderen Ergebnissen führt als teilnehmende Beobachtung (1991:152-153).45


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12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> Black Box BrüsselDanksagungenOhne die großzügige finanzielle Förderung des Mainzer-MedienDisputs, der Friedrich-Ebert-Stiftung und derING DiBa AG wäre diese Publikation nicht zu Standegekommen. Dafür möchte ich mich herzlich bedanken.Mein besonderer Dank gilt zudem Franziska Oehmer, diemit viel Engagement und tatkräftiger Unterstützungdazu beigetragen hat, diese Studie im Rahmen desstraffen Zeitplans fertig zu stellen. Zu danken habe ichaußerdem Herrn Dr. Thomas Leif, der mir mit dieser Veröffentlichungdie Chance gibt, die Ergebnisse meinerForschung über die Kreise der „Scientific Community“hinaus öffentlich zu machen. Dr. Stephan Weichert,Prof. Dr. Hans Kleinsteuber und Dr. Lutz Hachmeisterdanke ich für die kritische Lektüre des Manuskripts undkreative Anregungen.Ohne die befragten Journalisten, die mir trotz ihres oftchronischen Zeitmangels Gesprächstermine gewährtund einen vertrauensvollen Blick hinter die Kulissengewährt haben, wäre diese Studie nicht möglich gewesen.Auch danke ich Herrn Martin Kotthaus, dem <strong>Presse</strong>sprecherder ständigen Vertretung der BundesrepublikDeutschland in Brüssel, dafür, dass er mir den Zugang zueinem Hintergrundkreis gewährt hat, und so meineBeobachtungen erst möglich gemacht hat.Die AutorinCLAUDIA KRISTINE HUBER,geboren 1980, 1999-2000einjähriges Studium Generaleam Leibniz Kolleg inTübingen. 2000-2004 Studiumder Fächer Medienmanagement,PublizistikundKommunikationswissenschaft,Psychologie undPolitikwissenschaften amInstitut für JournalistikundKommunikationsforschungin Hannover, derFreien Universität Berlin und der London School of Economicsand Political Sciences (LSE). Abschluss an derLSE mit dem Master of Sciences im Jahr 2004. 2005Erwerb der Zusatzqualifikation in Medienpädagogik undMedienforschung an der FU-Berlin. Während des Studiumsstudentische Hilfskraft am Center for Media Researchder FU Berlin. Claudia K. Huber wurde von derStudienstiftung des deutschen Volkes und dem DeutschenAkademischen Austausch Dienst gefördert.2004 und 2005 Tätigkeit als Projektreferentin im Referatfür Kultur und Medien des Auswärtigen Amtes inBerlin, 2006 wissenschaftliche Mitarbeiterin an derHamburg Media School.Seit Ende 2006 ist Claudia K. Huber wissenschaftlicheReferentin am Berliner Institut für Medien- und Kommunikationspolitik(IfM), wo sie zur europäischen Kommunikationspolitikarbeitet. Zudem schreibt sie ihreDoktorarbeit zu politischer Kommunikation bei EU-Ratspräsidentschaften.50


12 Jahre <strong>MainzerMedienDisput</strong>1. <strong>MainzerMedienDisput</strong> vom 9. Oktober 1996Der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Umbruch2. <strong>MainzerMedienDisput</strong> vom 26. November 1997Medienzukunft zwischen Morgen und Grauen –Medien im Unterhaltungsrausch3. <strong>MainzerMedienDisput</strong> vom 26. November 1998Wa(h)re Nachrichten – Berichterstattungzwischen Medien-Realität und Wirklichkeit4. <strong>MainzerMedienDisput</strong> vom 4. November 1999Markt, Macht, Macher – Wohin treibt das Programm?5. <strong>MainzerMedienDisput</strong> vom 9. November 2000Im Seichten kann man nicht ertrinken……Medien zwischen Sinn und Sensation6. <strong>MainzerMedienDisput</strong> vom 27. November 2001New Journalism – Vom Kulturgut zum Wirtschaftsgut7. <strong>MainzerMedienDisput</strong> vom 30. Oktober 2002Verschwiegen, Verschwunden, Verdrängt –was (nicht) öffentlich wird8. <strong>MainzerMedienDisput</strong> vom 3. Oktober 2003Auf dem Boulevard der Öffentlichkeit –Was kosten uns die Meinungsfreiheit?9. <strong>MainzerMedienDisput</strong> vom 4. November 2004Kommerz, Kartelle, Kumpanei – Medien und Politikzwischen Populismus und Verantwortung10. <strong>MainzerMedienDisput</strong> vom 10. November 2005(Medien)-Muster ohne Wert? – Medien in der Wertefalle11. <strong>MainzerMedienDisput</strong> vom 9. November 2006Kommerz auf allen Kanälen – vor der digitalen Revolution12. <strong>MainzerMedienDisput</strong> vom 22. November 2007Medienkonzern Europa: verkümmerte Öffentlichkeit ·steigende Kurse · blühende BürokratieDie Dokumentationen der Jahre 2002 bis 2006 erhalten Sie als pdf-Download unter www.mediendisput.de oderbei MGS Marketing GmbH, Mittelstraße 5, 56579 Hardert.(DIN A5-Umschlag, frankiert mit 1,45 Euro)Gesellschafter und Mitveranstalter:Staatskanzlei Rheinland-PfalzFES - Friedrich-Ebert-StiftungLMK - Landeszentrale für Medienund KommunikationRheinland-PfalzGeschäftsführung:MGS Marketing GmbHMarketing-ServicesGünter SchreiberYvonne KuhlmannProjektgruppe:Gerhard KrausDr. Thomas LeifThomas MeyerUli RöhmBertold RungeKontakt:Tel.: 0 26 34/96 88-12/13/14Fax: 0 26 34/96 88-19info@mediendisput.dewww.mainzermediendisput.deBeirat:Dr. Rudolf BüllesbachManfred HelmesDr. Joachim KindCarla Schulte-ReckertWalter SchumacherReinhard WeilAnschrift:Haus ForstMittelstraße 556579 HardertMedienpartner des <strong>MainzerMedienDisput</strong>s:Unsere Sponsoren und Wirtschaftspartner:

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