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Die Publikation im PDF-Format - Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung

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Im Seichten kann man nichtertrinken......Medien zwischen Sinn undSensationMedien-Disput <strong>der</strong> <strong>Friedrich</strong>-<strong>Ebert</strong>-<strong>Stiftung</strong>vom 9. November 2000 in Mainz1


Thomas LeifMacht ohne VerantwortungDer wuchernde Einfluß <strong>der</strong> Medienund das Desinteresse <strong>der</strong> Gesellschaft 4Klaus RüterIm Seichten kann man nicht ertrinken 12Hans Leyendecker<strong>Die</strong> so genannte vierte Gewalt ist oft nur viertklassig 16Gesprächsrunde – Journalismus am Scheideweg:Farbe bekennen – Service contra AufklärungMo<strong>der</strong>ation: Miriam Meckel und Uli RöhmMichael Jungblut (WISO-ZDF) diskutiertmit Uwe Jean Heuser (<strong>Die</strong> Zeit) 22Michel Friedman (Vorsicht Friedman! – HR) diskutiertmit Ulrich Kienzle (Frontal – ZDF) 30Uli Röhm (ZDF) diskutiert mit Thomas Kröter (Tagesspiegel) 36Nach „Big Brother“... – Wohin treibt die Bürgergesellschaft?Kurt Beck befragt von Lucia Braun 41Thesen zur MedienpolitikHans Leyendecker<strong>Die</strong> moralische Macht <strong>der</strong> Medien –Was kann (investigativer) Journalismus bewirken? 58Conny HermannJournalismus am Scheideweg:Farbe bekennen – Service contra Aufklärung 59Hans-Helmut KohlNach <strong>der</strong> Spendenaffaire –Nur Eitelkeit und Auflage o<strong>der</strong> Sieg des Journalismus? 612


Thomas KröterThesen über Medien und Politik in Berlin 63Klaus WirtgenMoKoKo – Das Aussitzen geht weiter 65Walter HömbegForum, Bühne, BeichtstuhlZur Rolle <strong>der</strong> Medien in <strong>der</strong> Parteispenden-Affäre 69Christoph O. MeyerEuropäische Politik ausser Kontrolle?<strong>Die</strong> Suche nach einer Europäischen Medienöffentlichkeitin Theorie und journalistischer Praxis 74Thomas LeifKritischer Journalismus kann die Demokratie beatmen 92Jochen MarkettInvestigativer Journalismus „Handwerk statt Zauberei!“ 108Rundgespräch „Investigativer Journalismus in Deutschland“ 141Zehn-Punkte-Programm des „netzwerks recherche“ 171Start in die Informationsfreiheit nur mit angezogener Handbremse?Stellungnahme des Netzwerks Recherche zumReferentenentwurf für das Informationsfreiheitsgesetz 173Walter SchumacherNachschlag 177ReferentInnen und Mo<strong>der</strong>atorInnen des 5. Mainer Medien-Disputs 179Projektgruppe des 5. Mainzer Medien-Disput am 9.11.2000 181New Journalism – vom Kulturgut zum WirtschaftsgutMainzer Medien-Disput 2001 (vorläufiges Programm) 182Impressum 1843


Thomas LeifMacht ohne VerantwortungDer wuchernde Einfluß <strong>der</strong> Medien und das Desinteresse<strong>der</strong> GesellschaftPolitik ist nur das, was prominentvor allem in den elektronischen Medienstattfindet. <strong>Die</strong>sen Leitsatz <strong>der</strong>Berliner Republik lernt je<strong>der</strong> Minister,Oppositionspolitiker, Parlamentariero<strong>der</strong> Lobbyist. Freiwilligo<strong>der</strong> unfreiwillig. Denn die Medienpräsenzentscheidet über den Marktwerteines Politikers und damit indirektüber künftige Listenplätze, Vorstandsposteno<strong>der</strong> mehr. Selbst einbrillianter, anerkannter Fachmannbleibt chancenlos, wenn er nicht in<strong>der</strong> Lage ist, die Essenz eines Leitz-Ordners in einem 12-Sekunden-Sound-Bite zu präsentieren. Medienwirksamkeit– gemeint ist damitvor allem Fernsehtauglichkeit- wirdzunehmend zum entscheidendenAuswahlkriterium, selbst für Kanzlerkandidaten.<strong>Die</strong> verdeckten,he<strong>im</strong>lichen Gesetze <strong>der</strong> Mediendemokratiewerden wichtiger als dieRegeln des Parteiengesetzes o<strong>der</strong> dieGeschäftsordung des Bundestages.Auf diese Entwicklung reagieren nurwenige prominente Politiker mit defensivenMahnungen: die Talk-Show dürfe Bundestags-Debattennicht ersetzen.Ein Gespür für Fehlentwicklungen<strong>der</strong> „Mediendemokratie“ hatten inDeutschland ausgerechnet die Bundespräsidenten.Richard von Weizsäcker,Roman Herzog und JohannesRau setzten in ihren großen Redenzum Thema jeweils eigene Akzente,<strong>im</strong> Grundtenor waren ihreWarnungen eigentlich unüberhörbar.Aber die Botschaft versickerte<strong>im</strong> Dschungel <strong>der</strong> rund 2000 Agenturmeldungen,die täglich auf demBildschirm <strong>der</strong> Journalisten landen.Wichtiges und Unwichtiges, Aufgesetzesund Inszeniertes, Ernsthaftesund Belangloses – alles hängt hierzusammen und bildet gemeinsameine „zerstreute Öffentlichkeit“, dienach einem Kompaß für Wichtigesund Relevantes sucht. <strong>Die</strong> Kluft zwischenöffentlicher und veröffentlichterMeinung wird in <strong>der</strong> Medienberichterstattung<strong>im</strong>mer größer. EinGrund ist die „Umkehr <strong>der</strong> Wichtigkeiten“,wie Richard von Weizsäcker4


einmal analysiert hat. Gemeint istdamit, dass das Missverhältnis zwischenden Dingen, über die geredetwird, und den Themen, über die geredetwerden müsste, <strong>im</strong>mer groteskerwird. Was wichtig und was nebensächlichist, welche Nachrichto<strong>der</strong> Geschichte in den Vor<strong>der</strong>grundgehört, und was aussortiertwerden kann, was also relevant ist,darüber gibt es heute bei den Medienschaffendenkeinen professionellenKonsens mehr. Alles reiht sichaneinan<strong>der</strong>, bleibt unsortiert.Der Trend zum UnwichtigenMichael Abend – früher Tagesschau-Redakteur– gab 1974 eineorientierende Definition für die Einordnungvon Ereignissen. <strong>Die</strong> Tagesschaubetrachte es „als ihre Aufgabe,über die wichtigsten Tagesereignissezu berichten, aber auch ihrenBedeutungszusammenhang(Hintergrund und Auswirkungen)klar zu machen. Als wichtig gilt, wasviele Zuschauer interessiert o<strong>der</strong> betrifft,was neue Entwicklungen aufzeigto<strong>der</strong> Mißstände aufdeckt, was<strong>der</strong> demokratischen Selbstdarstellung<strong>der</strong> staatlichen Organe und <strong>der</strong>gesellschaftlichen Gruppen dient.“<strong>Die</strong> öffentlich-rechtliche Konkurrenz<strong>der</strong> Tagesschau hat sich für„mo<strong>der</strong>ierte Nachrichten“ entschiedenmit einem starken, kommentierendenAkzent. Doch selbst für dieNachrichten ist eine gemeinsameLinie <strong>der</strong> Relevanz von Ereignissenbei ARD, ZDF, RTL und SAT1nicht mehr festzustellen. <strong>Die</strong> Auswirkungen<strong>der</strong> unterschiedlichenModelle war nicht nur bei <strong>der</strong> Berichterstattungüber die CDU-Spendenaffäre,den Leuna-Komplex unddie Rolle <strong>der</strong> Akteure um Kiep-Schreiber&Co zu besichtigen ( vgl.die Aufsätze in dieser Dokumentation).Roman Herzog hat in seinerAmtszeit mindestens vier gewichtigeReden zur drohenden Verflachung<strong>der</strong> Medien gehalten. Bereits1996 warnte er vor einer „Abflachungsspirale“:„Kein Schwachsinn,keine Perversion, keine noch so abwegigeMarotte, die nicht in extensobunte Seiten und Bildschirme bevölkernwürde. (...) <strong>Die</strong>se unendlich,ausweglose, schleichende Banalisierungund Trivialisierung macht dieHirne kaputt.“ Drei Jahre späterwarnte er vor den Medien-Mechanismen,die die Inhalte <strong>der</strong> Politikverän<strong>der</strong>ten.Bundespräsident Johannes Rauknüpfte mit seiner Kritik nahtlos anseine Vorgänger an, als er in <strong>der</strong> zunehmendenunterhaltenden Inszenierungvon Politik eine Gefahr witterte:„So wird Politik zu einem Teil<strong>der</strong> Öffentlichen Unterhaltung“,warnte er und verknüpfte seine Kritikmit einer Vision: „Ich wünsche5


mir eine Mediendemokratie, in <strong>der</strong>das vermitteln <strong>der</strong> Sache wichtigerist, als das vermitteln von Bil<strong>der</strong>nund Bildunterschriften.“Doch Wunsch und Wirklichkeitwerden wohl auch künftig weit auseinan<strong>der</strong>treiben.<strong>Die</strong> Mahnungen<strong>der</strong> Staats-Oberhäupter blieben ungehört.Denn Appelle allein könnenwohl die eigenmächtigen Themenkonjunkturennicht bremsen o<strong>der</strong>beeinflussen.Betrachtet man rückwirkend die großen,den öffentlichen Diskurs strukturierendenThemen <strong>der</strong> vergangenenMonate, erkennt man die Webstruktur<strong>der</strong> prägenden Stoffe sofort:ganz gleich ob es um den Streitum die Kampfhunde in Deutschland,das Drama um die Gefangenenin Jolo, die Tragödie von Sebnitz,den Skandal um Joschka FischersJugendsünden, o<strong>der</strong> die <strong>im</strong>merwie<strong>der</strong> aufflackenden Debattenum den Preiskampf an den Tanksäulenging, alle diese Themenwellensind verebbt. Der politische Gehalt,<strong>der</strong> in den Themen verborgen war,ist heute kaum mehr erkennbar. KonkreteFolgen o<strong>der</strong> gar politische Korrekturenin den jeweiligen Politikfel<strong>der</strong>nsind nicht festzustellen. Der zynisch-realistischgemeinte journalistischeLeitsatz „Aktualität geht vorRealität“ trifft die Lage ganz gut.Der Trend zurInformationsverdünnungInspiriert von <strong>der</strong> Kritik <strong>der</strong> Bundespräsidentenwarnte ZDF-Intendant<strong>Die</strong>ter Stolte Mitte Mai dieMedien vor einem zunehmendenRealitäts-Verlust. <strong>Die</strong> „voyeuristischeSelbstinszenierung“ nehme zu,die Zuwendung zur konkreten Wirklichkeitmüsse die Antwort auf dieseEntwicklung sein. Ein Intendantfor<strong>der</strong>te die Rückbesinnung auf dieRealität und nutzte dazu die Bühne<strong>der</strong> „Mainzer Tage <strong>der</strong> Fernseh-Kritik“.Zwei Stars auf Stoltes Gästelistewitterten die Chance, um die Misere<strong>der</strong> zu diskutierenden Spaßgesellschaftnoch deutlicher zu benennen.Harald Schmidt, <strong>der</strong> Entertainmentmit dem weiten Horizont desBildungsbürgers auslebt, bilanzierteknapp: „80 Prozent <strong>der</strong> TV-Sendungensind unfassbarer Müll, da tutman niemandem Unrecht.“ SeinKonkurrent Thomas Gottschalksteuerte gleich die Lösung bei undbetonte: „Es gibt eine Chance, deneinseitigen Ausstieg aus dem Quotendruckzu erklären; das sollten sichdie Öffentlich-Rechtlichen leistenkönnen.“ Gottschalk, <strong>der</strong> Meister<strong>der</strong> Quotenmax<strong>im</strong>ierung als Kritiker<strong>der</strong> einzigen Maßeinheit für Qualität,die heute tatsächlich noch gilt?Mit seinem Vorschlag ging es ihmnicht an<strong>der</strong>s als den Bundespräsidentenzuvor.6


Solche Empfehlungen von prominentenQuoten-Fischern sind neu.Aber werden die Protagonisten desöffentlich-rechtlichen Boulevardsüberhaupt auf ihre Kritiker reagieren?Ihre Erfolgsformel: „Informationsverdünnungbedeutet Quotensteigerung“,gelehrt auf Seminarenzum Thema „Boulevard-Journalismus“,gibt ihnen Recht.Der Trend zur PersonalisierungDer Trend zur „People-Story“ istungebrochen, meint Hans Leyendeckerund verrät die Rezeptur anHand eines erfolgreichen Beispiels :„Das Sterben <strong>der</strong> Hannelore Kohlhat nicht nur deshalb so viel Aufmerksamkeitgefunden, weil sie dieGattin Helmut Kohls war, son<strong>der</strong>nauch, weil Leid und Gerüchte eineMelange ergaben, die den Klatschbeför<strong>der</strong>te.“ Nicht nur dieser Fallzeigte: das Unglück von Prominentenverkauft sich <strong>im</strong>mer noch ambesten.Ein Grund für diese Entwicklunghin zum Leichten und Seichten liegtsicher in <strong>der</strong> zunehmenden Komplexitätvon politischen Entscheidungen.Politik wird mit allen internationalenVerflechtungen <strong>im</strong>merundurchsichtiger. Der Staatssekretär<strong>im</strong> Bildungsministerium, UweThomas, definiert Politik als ein„Kompexitätsreduzierungs-Spiel“.Gleichzeitig sinkt das Verständnisfür den langwierigen Gestaltungsprozeßvon Politik und den Einflußvon „pressure groups“ o<strong>der</strong> Lobbyisten,die erfolgreich <strong>im</strong> Stillen arbeiten.Das Bekenntnis des CSU-Generalsekretärs, Thomas Goppel,es gebe „Grenzen <strong>der</strong> Politikgestaltung“ist eine Ausnahme. Im Zusammenhangmit <strong>der</strong> Gendebattemachte er öffentlich darauf aufmerksam,dass Entscheidungen <strong>der</strong>Politik in hochkomplexen Themenfel<strong>der</strong>nauf Grenzen stießen. Stattsolcher Grenzziehungen neigen diemeisten Politiker <strong>im</strong>mer noch dazu,mehr zu versprechen, als sie haltenkönnen. <strong>Die</strong>s reduziert auf Dauerdie Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit<strong>der</strong> Politik bei den Bürgen.<strong>Die</strong>sen diffusen Unmut spiegeln dieMedien.Der Trend zum UnernstenMangeln<strong>der</strong> Ernst und das Verspielenvon Glaubwürdigkeit sind abernur eine Seite <strong>der</strong> Medaille. In einemLand, das die grossen ideologischenAuseinan<strong>der</strong>setzungen hinter sichgelassen hat, in dem die Mitte <strong>im</strong>mergrößer wird und sich die meistenrecht gut eingerichtet haben, tritt <strong>der</strong>Streit um bessere Lösungen – umwas eigentlich? – zurück. Es gibtkaum mehr Grundsatzfragen, überdie kontrovers diskutiert wird. Beivielen zentralen Reformthemen7


etwa <strong>der</strong> Rentenreform ist es für denNormalbürger nicht leicht auszumachen,wo be<strong>im</strong> siebten Referentenentwurfnun die Unterschiede zwischenRegierung und Oppositionliegen? Hätte <strong>Die</strong> Zeit die zaghaftenErmittlungen <strong>der</strong> Justiz in SachenLeuna nicht <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> auf SeiteEins angeprangert, wären die Aktenwohl nie genau angeschaut worden.Viele Medien reagieren auf dieseEntwicklung, in dem sie auf an<strong>der</strong>eleichtere Stoffe ausweichen. Es gibtals Anwort auf die zunehmendeKomplexität einen stillen – nicht reflektierten– Konsens gegen das Anspruchsvolle,das Sperrige, dasKomplexe. Statt des Sachberichtshat sich passend zu dieser Entwicklungein neues Genre etabliert: <strong>der</strong>sogenannte „Aufreger“, <strong>der</strong> Themenaufbereitet, über die man sich eigentlichgarnicht aufregen muss.Selbst Klaus Bresser hat jüngst bilanziertund eingeräumt: „Es ist sicherlichschwieriger geworden fürden ernsthaften Journalismus“, und„das Interesse an Politik scheint tatsächlichgeringer zu werden.“Keine Angst:Der Mann ist Medienmitarbeiter.8


Der Trend zum UnwesentlichenWissenschaftliche Untersuchungenetwa des Medien-Tenors (Bonn) habenergeben, das die Medien häufig zuspät über das Wesentliche berichtenund die Sensation <strong>im</strong> Visier haben. <strong>Die</strong>Konzentration auf das Offensichtliche,das Spektakuläre Und die Sensationverdränge das Wesentliche.Eine Langzeit-Studie <strong>im</strong> Auftrag <strong>der</strong>Landesmedienanstalten aus demJahr 2000 kommt zu ähnlichen Ergebnissen.Unterhaltung ist das Maßaller Dinge, die politische Berichterstattungist auf dem Rückzug. ImBereich <strong>der</strong> Information verdrängtdie Unterhaltungspublizistik dieklassischen Formen <strong>der</strong> Informationsvermittlung.Mustert man dieseErkenntnisse ist es nur konsequent,das die Landesanstalt für RundfunkNordrhein-Westfalen ein grossesForschungsprojekt mit dem Titel„Der Wert von Nachrichtenwerten“ausgeschrieben hat. <strong>Die</strong> wissenschaftlicheBeschäftigung mit Nachrichtenwertenist überfällig. <strong>Die</strong> Regeln<strong>der</strong> anerkannten journalistischenHandbücher, die <strong>im</strong>mer nochvon klassischen Relevanzkriterienausgehen, haben sich längst überholt.Folgende „Agenda Setting Prozesse“funktionieren, auch wenn sienoch nicht in die offizielle wissenschaftlicheLiteratur eingegangensind. Der Stoff muß einfach und eingängigsein, komplizierte Sinnzusammenhängehaben keine Chance.Be<strong>im</strong> Publikum gibt es eine Sehnsuchtnach orientieren<strong>der</strong> Verdichtungohne verwirrende Nebenargumente.Stoffe, die sich zur extemenVereinfachung nicht eignen (etwadie Politik <strong>der</strong> EU), fallen durch daselektronische Auslese-Raster. Nurwenn Bil<strong>der</strong> vorliegen, besteht dieChance in das Leitmedium Fernsehenund auf die Titel <strong>der</strong> zunehmendbildorientierten Zeitungen zu kommen.Hintergründe sind nicht mehrinteressant, Vor<strong>der</strong>gründiges mußbeleuchtet werden weil <strong>der</strong> Aufmerksamkeitspegelin einer überreiztenGesellschaft sehr niedrig ist.Gute Chancen haben Schicksale vonProminenten, zumal wenn sie mitAspekten von Sex&Cr<strong>im</strong>e verbundenwerden können.Der Trend zum Agenda Cutting<strong>Die</strong> aktuelle Medienlandschaft würdeallerdings missverstanden, wennman nur die ,neuen‘ Agenda SettingProzesse analysieren würde. Genausowichtig sind Agenda Cutting Prozesse.Denn in einer blühenden Medienlandschaftkommt es heute wesentlichdarauf an, best<strong>im</strong>mte Themenzu verhin<strong>der</strong>n, zu verzögerno<strong>der</strong> mit einem eingenen ,Spin‘ zuverbinden. Es gibt eine Zunahmevon kanalisierter Information undeinen grösseren Einfluß von PublicRelation Agenturen auf die Bericht-9


erstattung <strong>der</strong> Medien. Der zunehmendeEinfluß <strong>der</strong> PR – die ihrenUmsatz in einem Jahr verdoppelt hat– zehrt die Unabhängigkeit <strong>der</strong> Journalistenaus, die aus eigener Beobachtungund dem eigenen Einschätzungsvermögenunabhängig berichtensollen. <strong>Die</strong> Kolonialisierung <strong>der</strong>Medien durch die PR-Industrie korrespondiertmit dem schleichendenKompetenzverlust von Teilen <strong>der</strong>Medien. Nach intensiver Beobachtungdes vergangenen Bundestags-Wahlkampfs kam <strong>der</strong> DokumentarfilmerThomas Schadt („Der Kandidat“)zu einer nüchternen Bilanz.„<strong>Die</strong> Politiker waren besser vorbereitetals die Journalisten“. <strong>Die</strong>serBefund läßt sich nicht nur auf heißeWahlkampfzeiten begrenzen, er giltsicher für die alltägliche Arbeit. Fastzwei Drittel <strong>der</strong> Berichterstattungbasieren auf „offiziellen Verlautbarungen,Pressekonferenzen, Pressemitteilungenund an<strong>der</strong>en PR-Quellen.Weil nur noch je<strong>der</strong> zehnte Artikelaus journalistischer Initiative entstehe,so <strong>der</strong> Schweizer PublizistRené Grossenbacher, werde <strong>der</strong>Journalist zunehmend zum Textmanager.An<strong>der</strong>e sprechen vonSchreibsoldaten. <strong>Die</strong> Abhängigkeitvom Mainstream <strong>der</strong> Agenturen verschärftdiesen Trend noch. ZurAgenda Cutting gehört allerdingsauch das, was junge Pressereferentenin den Staatskanzleien „Wording“nennen. Nur eine best<strong>im</strong>mteAussage soll transportiert werden.Wer sich nicht an das politische Alphabetdes Wordings hält, wird von<strong>der</strong> Interviewliste gestrichen, bekommtkeine Antworten mehr. Immermehr Ministerien und öffentlicheStellen gehen dazu über, nurnoch ausgewählte Journaliten zu bedienenund alle potenziell kritischenMedien auszublenden. Auch dieserTrend hin zur kanalisierten Informationhat sich verschärft.Der Trend zur InszenierungAuch die Vermittlungswege von Informationhaben sich gravierend verän<strong>der</strong>t.(Inszenierte) Bil<strong>der</strong>, gut gestylteSt<strong>im</strong>mungen und überlegt eingesetzteEmotionen verdrängen <strong>im</strong>mermehr das Wort, die Argumenteo<strong>der</strong> den redlichen intellektuellenAustausch. Ist es ein Zufall, dass dieFrisur <strong>der</strong> CDU-Vorsitzenden so vieleLeitartikler inspiriert? Dass hinterdiesen Feuilletons politische Ideenverschwinden? Schon Mao predigte:Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte.Für die Berliner Praxis heißt das heute:<strong>der</strong> Politiker, <strong>der</strong> gute Laune zumbösen Spiel verbreiten kann, stehtganz vorne. <strong>Die</strong> Wohlfühlbil<strong>der</strong>überstrahlen die Mängelliste <strong>der</strong> verdrängteno<strong>der</strong> ungelösten Probleme.Ein erfolgreiches Privatradio <strong>im</strong>Rhein-Main-Gebiet hat diese Ent-10


wicklung zur Programmphilosophieerhoben. „Wir wollen, dass sie sichgut informiert fühlen,“ lautet <strong>der</strong>werbende Trailer. Es kommt alsonur noch auf das Gefühl, nicht aberauf den tatsächlichen Zustand an.Politik wird so zu einer Sparte <strong>der</strong>Illusionskunst, die die Kulissen desWichtigen und Unwichtigen nachBelieben verschiebt. Eine Folge ist,dass die Gesellschaft – bezogen aufdie Mediennutzung – <strong>im</strong>mer weiterauseinan<strong>der</strong> fällt: in einen kleine Informationselite,die die vielfältigenQuellen nutzt, und ein riesiges Unterhaltungs-Proletariat,das sich aufzufällige Informationen verlässtund eher <strong>der</strong> Unterhaltung zuneigt.Für die Politikvermittlung ein Riesengebirgegroßer Herausfor<strong>der</strong>ungen.Aber welche Institutionen undgesellschaftliche Agenturen kümmernsich um diese Aufgabe?Der Trend zur Dauer-UnterhaltungEin führen<strong>der</strong> Programm-Direktor<strong>der</strong> ARD sagte kürzlich, „die Unterhaltungsmaschinerollt undrollt.“ <strong>Die</strong> Gleichgültigkeit seinesGesichtsausdrucks verriet, dass ersie we<strong>der</strong> aufhalten könnte o<strong>der</strong>wollte. <strong>Die</strong>se Begegnung sagt mehrals viele Reden, Protokolle, Kongresseund Studien. <strong>Die</strong> skizzierteEntwicklung <strong>der</strong> zersplitterten Öffentlichkeitenwird we<strong>der</strong> von denProgramm-Machern, noch von denpolitisch und gesellschaftlich Verantwortlichenmit <strong>der</strong> nötigen Aufmerksamkeitregistriert. Das Problembewusstseinfür all diese Tendenzenhat eine Quote von 0,1 Prozent,hat sich also „versendet“. <strong>Die</strong>Medien entfalten sich quasi <strong>im</strong>Schatten <strong>der</strong> öffentlichen Beobachtungund folgen lediglich den Gesetzendes Marktes. <strong>Die</strong>s beschädigtallerdings eine lebendige Demokratie-Entwicklung.Im Sinne <strong>der</strong> Bundespräsidentenund einiger prominenter Kritikerdieser wuchernden Entwicklungmüssen die Dinge nicht einfach treiben.Nicht zuletzt die Abstumpfungdes Publikums nach großen Konjunkturen– etwa nach ,Big Brother‘o<strong>der</strong> ,Big <strong>Die</strong>t‘ zeigt, dass es aucheinen ,Entertainment Overkill‘ gebenkann. Es kann eine Renaissanceeiner neuen – breit angelegten – Politikvermittlungüber die Medien geben,wenn die Verantwortlichen aufallen Ebenen dies wollen und ihreGestaltungsspielraum nutzen. Dannwerden sich auch die Bürger intensivermit <strong>der</strong> Frage beschäftigen, welcheFragen wirklich wichtig und welcheunwichtig sind. Wenn die Bürgersich intensiver um die großenTrends kümmern, wird die Politikdie wichtigen Medientendenzennicht länger von wenigen „Medienpolitikern“bearbeiten lassen.11


Klaus RüterIm Seichten kann man nicht ertrinkenMeine sehr verehrten Damen undHerren, ich darf Sie ganz, ganz herzlich<strong>im</strong> Namen <strong>der</strong> beiden Veranstalterbegrüßen, insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong>rheinland-pfälzischen Landesregierung.Schön, dass Sie gekommensind, schön, dass Sie mit uns diskutierenwollen und dass sie mit uns„disputieren“ wollen. Das ist in <strong>der</strong>Pfalz und auch in Rheinhessen einbisschen etwas an<strong>der</strong>es als „diskutieren“,aber mindestens genausospannend.Fünf mal Mainzer Medien-Disput,das ist ein Faktum, auf das wir einwenig stolz sind. Das ist schon fasteine kleine Tradition und ein Jubiläum.Aber wir wollen es nicht übertreiben.Wir wollen bescheiden bleiben.Aber wir wollen doch auchkonstatieren, dass unser Konzeptklein aber fein zu sein, eine beson<strong>der</strong>eVeranstaltung ohne den großenMedienzirkus durchzuführenund dabei die Nähe zu denen zu sehen,die das Mediengeschäft machen,den Journalisten, aber auch dieNähe zu den Bürgern, zu den Bürgerinnen,voll aufgegangen ist. <strong>Die</strong>snicht nur deshalb, weil Sie heute gekommensind und weil darüber berichtetworden ist, worüber wir unsauch <strong>im</strong>mer sehr freuen, son<strong>der</strong>nauch weil einfach dieser Ansatz, eineBrücke zu schlagen zwischen <strong>der</strong>fachlichen Diskussion und dem wasdann sozusagen die Außenansichtist, was draußen ankommt, was dieBürger und Bürgerinnen verstehen,nicht nur gelungen, son<strong>der</strong>n auchumgesetzt worden ist. Und das wünschenwir uns natürlich von dieserVeranstaltung ganz genauso.Und wenn wir über eine neue Medienordnungnachdenken, was zurZeit geschieht, wenn wir feststellen,dass wir unzufrieden sind, dass wirmit unseren rechtlichen Ordnungenhinter den gesellschaftlichen undtechnologischen Entwicklungenhinterherhinken, dann meine ich,dass es gerade hier ganz wichtig ist,mit den Journalisten, und dem, denes betrifft, dem Bürger zu reden undzu diskutieren. Denn sonst verliertman den Blick für das Wesentliche,sieht vor lauter Wald die Bäumenicht und ist damit auch vielleicht in12


den eigentlichen Fragen, die wir sehrfachlich und qualifiziert diskutierengar nicht so gut. Wenn es um Problemegeht, wie die Digitalisierung -ungeHeuser wichtig, zweifellos, o<strong>der</strong>um die Frage, wie wir eine Diskr<strong>im</strong>inierungin <strong>der</strong> Kabelbelegung abwehren.<strong>Die</strong>s sind ganz entscheidendeFragen, die uns gestellt sind. Aberwir vergessen dabei manchmal denBlick auf das, um das es geht. Esgeht eben auch und es geht entscheidendum Inhalte und um die wollenwir uns heute kümmern.Wie gesagt, klein aber fein und überschaubarund vor allen Dingen aktuellwollen wir sein und mitten insJournalisten- und Bürgerherz wollenwir treffen.Wenn das an diesem Tag auf demWeg, den wir bisher mit insgesamtrecht beachtlichem Erfolg gegangensind, beson<strong>der</strong>s gut gelingt, wenn essozusagen und bei Ihrem Besuchkönnte das so sein, ein Höhepunktwird, dann wären wir doch sehr froh.Wir werden dann, meine Damenund Herren, feststellen, ob man <strong>im</strong>Seichten wirklich nicht ertrinkenkann und wohin die mediale Weltuns und darüber hinaus, so ist ja dieÜberschrift über die Podiumsdiskussionheute Nachmittag, die Bürgergesellschafttreibt. Ich könnte esKlaus Rüterauch an<strong>der</strong>s herum formulieren,vielleicht etwas überspitzt und einseitig:Wer hat eigentlich den amerikanischenPräsidenten, wer es auch<strong>im</strong>mer sein mag, am Ende gewählt,die Medien, die Bürger o<strong>der</strong> ein Clubvon Politikern und Journalisten, diesich gut verstehen, die die Gesetze<strong>der</strong> Medienwelt machen, sie beherrschenund somit wohl auch die Fähigkeithaben, die verfasste Ordnungein gutes Stück zu än<strong>der</strong>n.Im Programm sehen Sie, was heuteansteht. <strong>Die</strong> Bestandsaufnahme zuaktuellen Entwicklungen <strong>der</strong> Medien,die möglicherweise von einer13


Rücknahme bis hin zum Verzichtauf professionelle journalistischeStandards zugunsten oftmals, aberwirklich nur oftmals, nicht <strong>im</strong>mer,oberflächlicher, effekthascherischerDarstellung und Inszenierung geht.Hat das etwas zu tun mit dem <strong>im</strong>merhärter werdenden Konkurrenzkampf,<strong>der</strong> zweifellos zu konstatierenist? O<strong>der</strong> ist das schon etwasmehr? Geht es um eine gesellschaftlicheEntwicklung, die wir zum Teil,gelassen, zum Teil aber auch mitSchrecken zur Kenntnis nehmen,vor allen Dingen mit Schrecken zurKenntnis nehmen. O<strong>der</strong> geht esauch um eine, das deute ich damit jaschon an, um eine ganz unterschiedlicheSicht von Generationen. Dennbe<strong>im</strong> Thema Big Brother gibt es quasieinen Generationenkonflikt. <strong>Die</strong>Jüngeren sehen es völlig an<strong>der</strong>s, alsdies die Älteren sehen, die wir danndie Hände schon vielfach, auch beisolchen Veranstaltungen über demKopf zusammengeschlagen haben.Und dann die Frage nach <strong>der</strong> Verantwortung<strong>der</strong> Medien, nach <strong>der</strong>Verantwortlichkeit <strong>der</strong> Journalistenbis hin zu einer angeblich notwendigen,sie sehen, ich bin ganz vorsichtig,neuen Medienethik, die den entsprechendengesellschaftlichenWandelungen Rechnung trägt. Wirbrauchen sicher eine neue Medienethik,aber ob die etwas ganz an<strong>der</strong>esist, als das, was wir bisher hatten,o<strong>der</strong> ob sie nur best<strong>im</strong>mte gesellschaftlicheEntwicklungen fortschreibt,den technologischen Wandeleinbezieht, genauso wie dierechtlichen Fragen, die sich ergeben,das sei mal dahingestellt.Ich bin jedenfalls ein Stück skeptisch,wenn hier vorschnell ein Fazitgezogen wird, weil die Einfor<strong>der</strong>ungvon Verantwortlichkeit von Journalisteninsbeson<strong>der</strong>e für die Politiknatürlich ein schwieriges Geschäftist. Da halten wir uns mit gutenGründen zurück. Aber ich bin dochguten Mutes, dass die Grenzen beiuns noch nicht ganz so gezogen werden,wie in den Vereinigten Staaten,Causa Lewinsky, Internet. Das mussman natürlich dazusagen, und dassab und an, zumindest die seriösePresse und die seriösen Fernsehsen<strong>der</strong><strong>im</strong> allgemeinen Wettbewerbstrubelund <strong>im</strong> Haschen nach dem letztenBildkick innehalten und öffentlichsich auch mal selbst in Fragestellen. Das ist durchaus schon einigeMale geschehen, zuletzt ganzspektakulär bei <strong>der</strong> Süddeutschen Zeitungals man best<strong>im</strong>mte Fehltritte deseigenen Magazins dann sehr offenund sehr klar dargestellt hat und sichsozusagen vom eigenen Tun distanzierthat. Und Gerichte spielen natürlichdabei auch eine Rolle, wenndas auch heute nicht <strong>im</strong> Mittelpunkt14


<strong>der</strong> Debatte steht. Das ist ein an<strong>der</strong>esFeld. Aber wenn Prinzessin Stefanieinzwischen jetzt, ich glaubezwei o<strong>der</strong> drei Mal, eine beachtlicheSumme Schmerzensgeld erstrittenhat, weil erfundene Stories über ihrLeben veröffentlicht worden sind,dann kann es auch eine Wirkung haben,die bei dem schmalen Gradzwischen Presse und Meinungsfreiheitund dem Persönlichkeitsrechteinige Dinge wie<strong>der</strong> grade schiebt.Also, meine Damen und Herren,Grund zur Hoffnung gibt es. Es gibtpositive Ausnahmeerscheinungen,vielleicht gar nicht so wenige. Undes gibt natürlich auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite,das werden wir heute vernehmen,diese zum Teil gnadenlose Fehlentwicklung,die natürlich etwas zu tunhat mit unserem wirtschaftlichenSystem. Darüber brauchen wir unskeine großen Gedanken zu machen.Das ist <strong>im</strong>manent und das müssenwir dann auch entsprechend zurKenntnis nehmen. Aber die Fehlentwicklungendürfen wir danndurchaus aufgreifen und entsprechendkennzeichnen. Vielleicht,meine Damen und Herren, ich bineigentlich ganz sicher, dass es so seinwird, vielleicht sind wir nach demEnde <strong>der</strong> Veranstaltung insoweit etwasschlauer und Walter Schumacher,<strong>der</strong> das Schlusswort sprechenwird, kann ein Fazit ziehen, das wirdoch ein Stück vorangebracht haben:nämlich die Erkenntnis, dasseben Freiheit <strong>der</strong> Presse und <strong>der</strong>Medien mit <strong>der</strong> Verantwortlichkeiteng zusammengehören und dass eseben viele Fehler gibt, bei denenman schon einmal einen Fingerzeigmachen kann und mithelfen kann,eine gute Entwicklung voranzubringen.Zum Schluss Preis und Lob, und vorallem Dank für die Projektgruppe,die diese Konferenz vorbereitet hat.Da haben sich viele engagiert undeingesetzt. Herzlichen Dank dafürund ansonsten wünsche ich Ihnenjetzt einen vergnüglichen und vorallen Dingen informationsreichenDonnerstag <strong>im</strong> Mainzer FrankfurterHof. Vielen Dank.15


Hans Leyendecker<strong>Die</strong> so genannte vierte Gewalt ist oftnur viertklassigMeine Damen und Herren,jedes Wochenende nach dem Tatortzumeist, stoßen wir be<strong>im</strong> Zappenauf Herrn Markwort und hören seinBekenntnis: Fakten, Fakten, Fakten.<strong>Die</strong> besten Zahnärzte werden enthüllt,die besten Chirurgen. Fakten,die manchmal bis zur Kenntlichkeitentstellen. Und das wollen auch alldie an<strong>der</strong>en Blätter: Fakten, die keinan<strong>der</strong>er hat. Fortwährend und biszur Besinnungslosigkeit wird enthüllt.Mittags ist <strong>der</strong> BerlinerGendarmenmarkt von investigativenJournalisten umzingelt. In denbesseren Häusern können sie zuschauen,wie verzweifelt JournalistenBeamte füttern, um aus denenirgendwas rauszulocken, das wieeine Enthüllung wirkt. Eine ganzeGastronomiebranche lebt von <strong>der</strong>Enthüllung<strong>Die</strong>se Enthüllungsindustrie wirdauch von den Mächtigen genährt.Belanglose Papiere werden in dieÖffentlichkeit lanciert, indem sie fürvertraulich erklärt werden. Mit demEtikett vertraulich lässt sich allesverkaufen. Nach Kabinettssitzungenklingeln die Handys Sturm.Kabinettsmitglie<strong>der</strong> geben Interessantesüber an<strong>der</strong>e Kabinettsmitglie<strong>der</strong>weiter und daraus wird dann eineNachricht. In Berlin boomt eineganze Enthüllungsindustrie. Wenneine Geschichte wenig Neues zu bietenhat, wird einer Nachrichtenagentureine Meldung über das exklusiveNichts angeboten. <strong>Die</strong> Standardformellautet, dass sich die Geschichteausweitet. Beson<strong>der</strong>s an den Wochenendenweitet sich alles aus, bises dann wie<strong>der</strong> platzt.Der investigative Journalist schleichtneuerdings mit einem Lappen durchdie Toiletten <strong>der</strong> Mächtigen, um wasaufzuwischen. Man möchte einenBlick in die Container <strong>der</strong> Machtwerfen. Zeitungen machen Schamhaarein Depots von Notaren aus,und das wird exklusiv auf Seite 1gemeldet. Im Print-Bereich verzeichnenBlätter wie Bunte o<strong>der</strong>Gala erhebliche Auflagenzuwächse,und auch die exklusiv explosiv blitzendenbrisant enthüllenden Boulevard-Fernsehmagazinehaben gewaltigeEinschaltquoten: Fakten, Fakten,Fakten.16


Leser und Zuschauer werden mitangeblichen Enthüllungen bombardiert.Üblicherweise stehen Journalisten,wenn sie nicht Günter Jauch heißen,in wenig hohem Ansehen. In denletzten Monaten waren aber ganzan<strong>der</strong>e Töne zu hören. In großerKoalition wurde dem deutschenJournalismus das Etikett einerMacht <strong>im</strong> Staate aufgeklebt. Dass dieKontrollfunktion <strong>der</strong> Presse unersetzbarsei, hörten wir von denSonntagsrednern. Tatsächlich gibt esdie Idee einer Kräfteverteilung zwischenBürgern, Machtinhabern undKontrolleuren. Den Politikern undWirtschaftsführern stehen, jedenfallsin <strong>der</strong> Theorie, völlig unabhängigeJournalisten gegenüber, diewirtschaftliche und politische Prozessetransparent machen und denMächtigen auf die Finger schauen.Ich soll heute über die moralischeMacht <strong>der</strong> Medien sprechen undeine Antwort auf die Frage versuchen,was investigativer Journalismus,<strong>der</strong> nicht nur Wortgesummseist, bewirken kann. Zunächst: Redenwir über Moral o<strong>der</strong> reden wirüber Geschäfte? Mit dem BegriffMoral sollte man als Journalist, zumalwenn es um das eigene Gewerbegeht, sehr vorsichtig umgehen.Investigativer Journalismus kanndann zum Zuge kommen wenn an<strong>der</strong>eInstanzen versagen. Welcher<strong>der</strong> großen politischen Skandale <strong>der</strong>Nachkriegszeit ist mit Hilfe einesParlaments ans Licht gekommen?Keiner. Welcher Untersuchungsausschusswar mehr als ein Kampfinstrument<strong>der</strong> Parteien? Wenige. Je<strong>der</strong>Mächtige, <strong>der</strong> das Parlament betritt,kann sich auf seine Fraktion verlassenund manchmal auch auf die Opposition.<strong>Die</strong> demokratische Aufgabe<strong>der</strong> Kontrolle wird häufig nur zumSchein wahrgenommen, zu oft gibtes eine Kumpanei <strong>der</strong> Gegner.Scheinkämpfe werden geführt, undwenn es ernst wird, sitzen alle in einemBoot. Im Alltag versagt die parlamentarischeKontrolle, und auchdas normale Regelwerk passt nicht.Eine moralische Macht in diesemLande ist <strong>der</strong> Bundespräsident, abern<strong>im</strong>mt er sie wahr? Das Bundesverfassungsgericht,das wirklichnicht zuständig ist, muss sich heftigdagegen wehren, zur moralischenInstanz dieses Staates ernannt zuwerden. Und die jungen Wilden, diealles an<strong>der</strong>s machen wollen?Bei näherem Hinsehen kommt <strong>der</strong>Verdacht auf, dass sie am Ende nurregieren wollen. <strong>Die</strong> Macht ist obszön,das freut die Wut, heißt es in einembös-ironischen Kalen<strong>der</strong>spruchvon Hans Magnus Enzensberger.In jedem Wahlkampf hören Sie denSatz, man müsse verhin<strong>der</strong>n, dassXY an die Macht komme. Dahinterverbirgt sich die Erkenntnis, dass17


Hans LeyendeckerMacht korrumpieren kann undmissbraucht wird Der recherchierendeJournalist hat die Aufgabe,die dunkle Seite <strong>der</strong> Macht auszuleuchtenund den Mächtigen dasGefühl zu geben, dass <strong>der</strong> Missbrauchnicht völlig gefahrlos ist.<strong>Die</strong>s macht er in dem Wissen, dasssich die Sudler auf einen langenZermürbungskrieg einrichten undmit dem Zynismus des Publikumsrechnen dürfen.Kaum ein Ereignis <strong>der</strong> Nachkriegszeithat die Aufmerksamkeit <strong>im</strong> Auslandund in <strong>der</strong> Kommunikationswissenschaftso stark auf die Rolle<strong>der</strong> deutschen Medien gelenkt wiedie jüngste Kohl-Affäre. Quer durchden Blätterwald gab es Lob undSelbstlob. Der Berliner Professorfür Publizistikwissenschaft, StephanRuß-Mohl, machte eine „Verneigungvor den Medien: Dass sieSchmutz aufwirbeln, dass sie dieseSkandale schonungslos aufzuklärenversuchen, dass dabei Reporter inakribisch-kr<strong>im</strong>inalistischer KleinarbeitPuzzlesteine zusammenfügen –das alles ist bewun<strong>der</strong>nswert und esist zugleich notwendiger <strong>Die</strong>nst an<strong>der</strong> Demokratie.“Ähnlich fiel das Urteil des TheologieprofessorsRichard Schrö<strong>der</strong> aus:„Es ist den Medien zu verdanken, dass<strong>der</strong> Skandal nicht unter dem Teppichblieb“, sagte er und fügte hinzu: ... „In<strong>der</strong> DDR wäre so etwas nie rausgekommen.“Von einem „wichtigenEinschnitt in <strong>der</strong> Nachkriegsgeschichtedes deutschen Medienwesens“war die Rede, und zwar einem,„<strong>der</strong> dem Gemeinwesen gut tut“. Alletaten so, als habe eine Vereinigung vonEnthüllern losgeschlagen.Bei politischen Skandalen geht esum Konflikte über die Verteilung,Ausübung, Kontrolle und Legit<strong>im</strong>ierungvon politischer Herrschaft.Skandale entzaubern die soziale Magie<strong>der</strong> öffentlichen Repräsentation,sind aber in einer politischen Kulturnichts Außergewöhnliches: Japanund Italien haben ihre großenParteispendenaffären gehabt, auchRichter in Frankreich versuchten,den Finanzsumpf <strong>der</strong> sozialistischenMachthaber trockenzulegen. Entscheidendfür den Sittenbefund ist18


die gesellschaftliche Verarbeitung<strong>der</strong> Affären. Von Aufdeckung undAufklärung kann eine Katharsis, einereinigende Wirkung, ausgehen.Aber: Wie viele <strong>der</strong> Journalistenkratzen eigentlich gern am Unbekannten,Recherche genannt? Wie istes mit <strong>der</strong> Grundbefindlichkeit desBerufsstandes? Vor einigen Jahrenerschien eine Studie, <strong>der</strong>zufolge inDeutschland nur 20 Prozent <strong>der</strong>Journalisten ausführliche eigene Recherchenzur Grundlage von Berichtenmachen. In Großbritannien sindes gut vierzig Prozent, in Amerikaknapp fünfzig Prozent. Gibt es beiuns investigative Blätter, die man mit<strong>der</strong> Washington Post o<strong>der</strong> dem PhiladelphiaInqirer in einem Atemzugnennen dürif? Existiert eine demCenter for Public Integrity vergleichbarenon-profit-organization, die wiein den USA über Jahre wichtige Rechercheprojektedurchzieht und amEnde die Ergebnisse den seriösenMedien zur Verfügung stellt? Ich willden amerikanischen Journalismus,gerade wegen <strong>der</strong> Fehlentwicklung inden letzten Jahren, nicht glorifizieren,aber ich glaube, dass in dem Genredes recherchierenden Journalismusin Deutschland die so genannte vierteGewalt oft nur viertklassig ist.Im Ürigen: Für die vierte Gewalt, soes sie denn geben sollte, können dieVerleger, die Intendanten sprechen.Der Journalist spricht als Journalist.Es gibt in diesem unserem Landevorzügliche Reporter, gute Redakteure.<strong>Die</strong> Deutschen sind Meister<strong>im</strong> Meinungsjournalismus. Wer denLeitartikel schreiben darf, <strong>im</strong> Presseclubsitzt, hat den Ausweis höchsterKompetenz erreicht. Aber dieZeitungen und Sen<strong>der</strong> beschäftigennur wenige Rechercheure, die Enthüllungsstorysliefern wollen. Amliebsten bewegt man sich in Augenhöhemit den Mächtigen. Politik erziehtzur Eitelkeit. In <strong>der</strong> Mediendemokratienoch mehr als früher. VonKurt Tucholsky, dem großen Journalistenstammt <strong>der</strong> Satz, <strong>der</strong> deutscheJournalist brauche nicht bestochen zuwerden. „Er ist stolz, eingeladen zusein, er ist schon zufrieden, wie eineMacht behandelt zu werden.“„<strong>Die</strong> Teilwahrheit, das Teilbild <strong>der</strong>Wirklichkeit“ ist nach Feststellungvon Erhard Eppler das Kennzeichen<strong>der</strong> politischen Sprache. Politikerhielten sich an <strong>der</strong> Teil <strong>der</strong> Wahrheit,<strong>der</strong> sich dafür anbiete. Dabeigebe es gleitende Übergänge zwischenTeilwahrheit und bewussterTäuschung und es brauche aufmerksameBeobachter.<strong>Die</strong> Krankheit des deutschenJournalismus ist nicht die gepflegteKampagne, son<strong>der</strong>n die Verwischungvon Grenzen zur Politik, zurWirtschaft, <strong>der</strong> gegenseitigen Instrumentalisierungfür politischeund eigennützige Zwecke.19


Stärker als ausländische Kollegenstützen sich deutsche Journalistenauf die Nachrichtenagentur, ja, esgibt eine Agenturgläubigkeit. <strong>Die</strong>Agenturmeldung wird leicht verän<strong>der</strong>to<strong>der</strong> mit Meinung angereichert,und man hat die eigene Geschichte.Obwohl <strong>der</strong> Text <strong>im</strong> Grunde <strong>im</strong>mer<strong>der</strong>selbe ist, so rufen doch leichteVerän<strong>der</strong>ungen den Eindruck vonVielfalt hervor. Dabei gilt das Postulat<strong>der</strong> Mitte. Nicht nur <strong>der</strong> deutschePhilister findet in <strong>der</strong> Mitte sein Maß.Man äußert sich nur ungern jenseitsdessen, was gerade als Konsenskorridorgilt, und bitte kein Risiko.Als ein angesehener freier Journalisteinem TV-Studioleiter eine exklusiveStory anbot, wurde er abgewiesen:„Darüber liegt mir keine Meldungvor“, sagte <strong>der</strong> TV-Mann. Deshalbbringe er die Geschichte nicht. Erruiniere sich doch nicht wegen einer„heißen Geschichte“ seine Karriere,hat er auch noch gesagt.Ein freier Autor, <strong>der</strong> dem Fernseheneine rechercheintensive Geschichteanbietet, wird sich die Sache dre<strong>im</strong>alüberleben müssen, ob er sie durchzieht.In <strong>der</strong> Regel wird die Recherchenicht bezahlt, und was ist, wennam Ende keine Story rauskommt, wasja schon mal passieren kann?Recherchen kosten viel Geld undZeit und die Quote ist auch nichtgarantiert. Wer trotz alledem die Recherchepflegen möchte, muss sichdiesen Luxus oft mit Brot- undButter-Geschäften finanzieren. Es istviel einfacher, schöne Pressemeldungenfilmisch zu übersetzen und mitden Zweitverwertungsrechten dieKasse aufzubessern, als etwas komplizierteGeschichten anzubieten, dieauch noch Ärger machen können.Im deutschen Journalismus sindbilanzsichere Dokumentationen unsaubererpolitischer Vorgänge wenigentwickelt. Bei Interviews werdenPolitikern nicht selten die Fragenvorgelegt, die Interview-Ritualewerden dem Leser, dem Zuschauerverschwiegen. Und oft sind die Dialogeso langweilig, weil sie von Referentenbis zur Unkenntlichkeit bearbeitetwurden. Ist es eigentlich richtig,diese desinfizierte Form des Interviewsdurchzuhalten?Und wie ist es mit <strong>der</strong> Trennungsliniezwischen PR und Journalismus?In Amerika kommen mittlerweilerund 150000 PR-Leute auf etwa130000 Journalisten. In Deutschlandbedienen 20000 PR-Fachleute mehrals 40000 Journalisten. Früher saßenschneidige PRMänner mit tadellosenUmgangsformen wie Fritz Huschkevon Hanstein, Egbert von Tirpitz inaltdeutschen Herrenz<strong>im</strong>mern undließen die Prosa <strong>der</strong> Geschäftsberichteunters Volk bringen. Legendärist <strong>der</strong> Spruch des Graf GeorgVolkmar Zedtwitz-Arn<strong>im</strong>, <strong>der</strong> eisenbeschlageneSchuhe trug: „Ich gebe20


meinen guten Namen für dieseScheiß-Branche“, schnarrte <strong>der</strong>Adelige. „Das muss reichen.“Wenn heute VW mit BMW umRolls-Royce kämpft, wird in <strong>der</strong>Wolfsburger KommunikationsabteilungUrlaubssperre verhängt, undalle 70 Mitarbeiter sind voll <strong>im</strong> Einsatzund versuchen, Einfluss auf dieMedienleute zu nehmen. Ein Marktist entstanden, <strong>der</strong> noch stärker alsdie IT-Branche wächst. In Schnellbleichenwerden Kommunikatorenherangezogen, und <strong>im</strong>mer häufigergerät die Trennungslinie <strong>der</strong> beidenBerufe aus dem Blick. In <strong>der</strong>Schweiz gibt es bereits einen gemeinsamenAusbildungsgang fürPR-Berater und Journalisten.Und auch über Meinungsforschungwird Politik gemacht. In Amerikaäußerte sich jüngst eine Mehrheitskeptisch über die Seriosität <strong>der</strong> Meinungsforschung,und das Ergebniskam durch eine Meinungsbefragungzu Stande.Zur Frage zurück: Was kanninvestigativer Journalismus bewirken?<strong>Die</strong> Frage richtet sich zunächstan die eigene Branche. Kann recherchieren<strong>der</strong>Journalismus ansteckendsein? Das wäre doch schon eine ganzeMenge.Damit verknüpft ist die nächste Frage:Wo hat recherchieren<strong>der</strong> Journalismuszu Verän<strong>der</strong>ungen beigetragen?Sicherlich am ehesten <strong>im</strong> lokalenBereich, wo die Wirkung <strong>der</strong> Arbeitnoch überschaubar ist. Generell gilt: Esist sehr viel einfacher, über einen Gewerkschaftsführero<strong>der</strong> einenBDI-Funktionär eine Affärengeschichtezu publizieren als über einen mächtigenVorstandsvorsitzenden. Spendenaffärenfinden in <strong>der</strong> Regel auch eindankbares Publikum, aber wenn <strong>der</strong>Reiz <strong>der</strong> Neuheit verschwunden ist,kann die St<strong>im</strong>mung leicht umschwenken.Keiner schaut mehr hin.1995 publizierte Der Spiegel eineGeschichte über die Geldmanöverdes damaligen Bundeskanzlers HelmutKohl und des CDU-FinanzberatersHorst Weyrauch. Vier Redakteuredes Blattes hatten den Fall recherchiert.<strong>Die</strong> Geschichte war vonden Kollegen Gr<strong>im</strong>m und Mans angeschlepptworden. Mans zumindestwird den meisten von ihnen bekanntsein. Klaus Wirtgen aus dem BonnerBüro und ich stießen dazu. Eswar eine schöne Geschichte: In Umrissenwurde das System Kohl erkennbar.Was fehlte, waren dieSchwarzgeldkonten und die gehe<strong>im</strong>enTransfers aus <strong>der</strong> Schweiz. <strong>Die</strong>Story erregte keinerlei Aufmerksamkeit– nicht einmal be<strong>im</strong> HamburgerNachrichtenmagazin. Es bedurftemehrerer Anläufe, den Report insBlatt zu hieven. Auch die Oppositionwar nicht interessiert, und dieCDU ohnehin nicht. <strong>Die</strong> Macht istobszön, das freut die Wut.21


Journalismus am Scheideweg:Farbe bekennen –Service contra AufklärungMo<strong>der</strong>ation: Miriam Meckel und Uli RöhmMichael Jungblut (WISO-ZDF) diskutiertmit Uwe Jean Heuser (<strong>Die</strong> Zeit)Meckel: Wir reden ständig über dieNew Economy, wir lesen ständig darüber.Wo ist denn da <strong>der</strong> neue Knackpunkt,wenn wir Farbe bekennen,wenn wir auch über neue Herausfor<strong>der</strong>ungendes Journalismus reden?Heuser: Was es hier in Deutschlandgegeben hat, ist eine Art Paradigmenwechsel<strong>im</strong> Journalismus. Wirtschaftist auf einmal relativ positivbesetzt. Der Mainstream ist nichtmehr <strong>der</strong> gleiche wie vor 5 o<strong>der</strong> 10Jahren. Wenn es früher beson<strong>der</strong>sschick war, irgendetwas zu sagen gegendie Absahner, gegen Ungleichheit,ist es heute eher verpönt. Wiees früher zur Farbe bekennen zusehr in die politische korrekte Richtungging, gehen wir heute zu sehr indie neue politisch korrekte Richtung.Da ist keine Bereitschaft mehr da,zu sagen, guck mal, hier gibt es Verlierer.Guck, mal diese Art des Abkassierensist nicht richtig. Da mangeltes manchmal an Ehrlichkeit,wobei es nicht vorsätzlich passiert,in aller Regel, son<strong>der</strong>n wie alle an<strong>der</strong>enBerufsgruppen auch, lassen wiruns von Moden tragen, von Überzeugungentragen, die relativ leichtzu vermitteln sind. Dagegen anzuarbeitendas ist jede Woche und jedenTag wie<strong>der</strong> schwierig.Meckel: Herr Jungblut, wir haben ja,wenn wir von Journalismus amScheideweg reden, eine an<strong>der</strong>e Herausfor<strong>der</strong>ung,die gerade mit dem neuenWirtschaftthemen in <strong>der</strong> Diskussionwar. Wie berichte ich eigentlich alsWirtschaftsjournalist über Dinge, diemöglicherweise eben sehr konkreteKonsequenzen haben können ? Wirhaben z.B. den Fall Focus gehabt. Derdeutsche Presserat hat sich hervorgetanund hat gesagt, wir machen jetzteinmal einen Katalog, was eigentlichsein muss, um Wirtschaftsjournalismusso zu gestalten, dass man sichauch darauf verlassen kann. Was sagenSie denn zu diesen Fällen?22


Jungblut: Das sind Dinge, die nichtsein sollten, aber lei<strong>der</strong> <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong>vorkommen. <strong>Die</strong> Versuchung istsehr groß. Das gehört sicherlich zuden Grundsünden eines Journalisten,dass er best<strong>im</strong>mte Dinge, ichsage mal Aktien, die er selber hat,dann hochschreibt o<strong>der</strong> vorher kaufto<strong>der</strong> verkauft, wenn es gelungen ist.Das sind Dinge wie bei den Römernin <strong>der</strong> Politik, bis heute ist Korruption<strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> vorgekommen.Dann wird ein Skandal aufgedeckt,dann kriegen die etwas auf den Dekkel,dann sind sie eine zeitlang vorsichtigund legen danach wie<strong>der</strong> los.Und Journalisten sind auch nur Menschen,in je<strong>der</strong> Hinsicht. <strong>Die</strong> schw<strong>im</strong>menauch mit dem Mainstream mit.So ist es halt mit <strong>der</strong> Versuchung,Geld zu verdienen. Journalisten sindauch nicht davor gefeit, Dinge zumachen, die vielleicht nicht ganz saubersind. Da kann man eigentlich <strong>im</strong>mernur durch die entsprechendenSanktionen dafür sorgen, dass diejenigen,die für solche Sachen anfälligsind, zumindest dann vorsichtigerwerden und es zehn Jahre nicht mehrmachen. Dann geht es wie<strong>der</strong> vonvorne los.Auf jeden Fall muß <strong>der</strong> Journalismusauch die Themen behandeln, die seineZuschauer, Hörer etc. interessieren.Man muss sich natürlich auch soein bisschen nach den Interessenbedürfnissen<strong>der</strong>jenigen richten, die dasBlatt kaufen o<strong>der</strong> das Programm sehen,o<strong>der</strong> man macht pleite.Meckel: Wie sehen Sie Service undAufklärung? Wenn ich mir beispielsweise<strong>im</strong> Fernsehen best<strong>im</strong>mte Angeboteangucke, dann kriege ich Balken,Kuchendiagramme, dann kriegeich unhe<strong>im</strong>liche Anlegertipps –aber eigentlich ganz punktuell, ganzsporadisch, sehr aufgebauscht. DenHintergrund kriege ich nicht.Heuser: Das liegt teilweise in <strong>der</strong> Naturdes Mediums. Für die ZEIT istes wirklich kein Gegensatz zu sagen,wir wollen einerseits aufklären, orientierenund an<strong>der</strong>erseits einen Servicebieten. <strong>Die</strong> Frage ist, ob wir einfachzugeschüttet werden mit Informationen,mit denen wir nichts anfangenkönnen. Wenn die Leutemerken, dass sie mit den kurzfristigenInformationen nicht so viel anfangenkönnen, dann fangen sieauch wie<strong>der</strong> an, eine Orientierungzu suchen.Meckel: Herr Jungblut, wie sehen Siedies?Jungblut: Es gibt natürlich in <strong>der</strong> Art,wie man die Zuschauer bzw. Leseranspricht, große Unterschiede. Beispiel<strong>Die</strong> ZEIT und WISO. <strong>Die</strong> Zeithat einen ganz an<strong>der</strong>en Leserkreis,ich war ja 20 Jahre <strong>im</strong> Wirtschafts-23


essort bei <strong>der</strong> Zeit, und da habenwir natürlich die Schwergewichte etwasan<strong>der</strong>s gesetzt, und wir habenauch damals Dinge betrieben, die soein bisschen gegen den Strom <strong>der</strong>Zeit gingen. Sagen wir mal, etwas,was heute für jeden eine Selbstverständlichkeitist, Flexibilisierung <strong>der</strong>Arbeitszeit o<strong>der</strong> Liberalisierung <strong>der</strong>Ladenöffnungszeiten. Wenn Sie sowollen, war das auch so irgendwoein bisschen Service, und es war aberauch Farbe. Das gibt es so nicht in<strong>der</strong> Form bzw. dass sich Service undInformation bzw. Aufklärung ausschließen.Bei Wiso gehört dies mitzum Erfolgsrezept, dass wir versuchen,Wirtschaftspolitische Berichterstattungund Servicethemen zu mischen.„Wiso“ ist nicht umsonst seit Beginndie erfolgreichste Wirtschaftssendung,überhaupt eines <strong>der</strong> erfolgreichstenMagazine in Deutschland,weil wir es offenbar <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong>schaffen o<strong>der</strong> uns jedenfalls bemühen,die Mischung zu finden, von<strong>der</strong> <strong>der</strong> Zuschauer sagt, er hat etwasdavon, er wird aufgeklärt, bekommtaber auch Service.Meckel: Herr Heuser, Sie haben gesagt,wir haben es heute <strong>im</strong> Wirtschaftsjournalismusdamit zu tun,dass man viel stärker auf dieser Wellemitschw<strong>im</strong>mt. Wäre an dieserStelle nicht zu sagen, man kann auchso etwas wie eine positive Parteilichkeitvon Journalisten und Journalistinnenfor<strong>der</strong>n, die das auch thematisierenmüssen, dass es dies <strong>im</strong>mernoch gibt und jenseits <strong>der</strong> rosarotenWelt <strong>der</strong> Börsenkurse aucheben noch eine an<strong>der</strong>e vorhandenist?Heuser: Da würde ich nicht mit demBegriff <strong>der</strong> Parteilichkeit operieren.Aber in <strong>der</strong> Tat, denke ich, dass eswichtig ist, vom Journalismus <strong>im</strong>merauch das zu thematisieren, wasgerade nicht in <strong>der</strong> Brille <strong>der</strong> Gesellschaft<strong>im</strong> Focus steht. Das ist ebenunbedingt eine Aufgabe, die er leistenmuss und damit macht er sichauch manchmal halt unbeliebt, unddamit steht er auch in diesem Spannungsfeldzwischen dem, was sichkurzfristig rechnet und dem, wasihm vielleicht langfristig hoch angerechnetwird. Wir haben es mit einemVolk von amerikanisiertenÖkonomie-Begeisterten zu tun.Gleichzeitig, das finde ich dann auchwie<strong>der</strong> sehr interessant, ist dann aberauch das Bewusstsein dafür da, dassdie Gesellschaft so Verteilungsfragen,Gerechtigkeitsfragen weitgehendausgeklammert hat. Es wirdauch durchaus beklagt, aber es wirdgleichzeitig von den Menschen gesagt,man kann ja nichts dagegen tun.Der Trend geht in eine an<strong>der</strong>e Richtung.Das ist so ein differenziertes24


St<strong>im</strong>mungsbild, das mich sehr nachdenklichgemacht hat. Man hätte esgern an<strong>der</strong>s, aber die Menschen meinen,es geht nicht.Meckel: Wie geht Ihr damit um?Heuser: Einerseits bin ich begeistertvon all dem, was da passiert. Mansieht auch eine gewisse Notwendigkeit,eine gewisse Unausweichlichkeit,weil es sich um ein internationalesPhänomen handelt. An<strong>der</strong>seitsweiß man, dass dabei eine Mengeunter die Rä<strong>der</strong> gerät, an sozialemLeben. Man würde natürlich gerneohne diese Schere auskommen aberes geht nicht. Ich habe es auch persönlichgemerkt, weil ich dieses Jahrein Buch veröffentlicht habe, wo esum die Ökonomisierung unseres Lebensgeht und auch da, wenn ich dasnoch sagen darf, habe ich eine interessanteReaktion.Das Buch hat den Titel: „Das Unbehagen<strong>im</strong> Kapitalismus“. Es ist einrelativ negativer Titel und dabei istmir etwas passiert, das ist mir nochnie passiert. Auf einmal war ich soeine Art Hassfigur bei <strong>der</strong> SZ undbe<strong>im</strong> Handelsblatt, bei diesen Mainstreamliberalen Wirtschaftsblätternund kriegte das Lob von <strong>der</strong> TAZeinerseits und an<strong>der</strong>erseits von <strong>der</strong>Welt, Welt am Sonntag. Es heißt, ichwar in einer Gesellschaft, in <strong>der</strong> ichmich eigentlich nicht befinde. UndUwe Jean Heuserda wurde mir nochmals offenbar,dass wir es durchaus mit einem gewissenSchubladendenken zu tunhaben. Man muss jetzt schon mitbeiden Seiten umgehen können. Dasversuchen wir bei <strong>der</strong> Zeit und wirgehen jede Woche das Risiko ein,uns bei einigen Leuten unbeliebt zumachen.Meckel: Das wäre auch schon dasStichwort: Medien und Moral. Gehörtes zu Moral von Medien dazu,sich auch in <strong>der</strong> Wirtschaftsberichtserstattungunbeliebt zu machen, weilman das Thema benennt, was vielevielleicht überhaupt nicht hörenwollen und am liebsten gleich wie<strong>der</strong>in die Schublade stecken wollen?25


Jungblut: Ja, durchaus. Ich bleibe malbe<strong>im</strong> Neuen Markt, weil Sie den einpaar Mal angesprochen haben. Esist ja einerseits positiv, dass wir denhaben und dass jetzt junge Unternehmeran Kapital kommen unddass sich viel mehr Menschen inDeutschland an <strong>der</strong> Finanzierung<strong>der</strong> Wirtschaft beteiligen und damitauch <strong>im</strong> Grunde etwas für die Sicherungihrer Alterseinkünfte tun. Aberda hat es natürlich auch riesige Übertreibungengegeben. Und da habensich diejenigen etwas unbeliebt gemacht,die vorher gesagt haben, passmal auf, da sind ein paar Sachen, diekönnen nur schief gehen, das mussplatzen. Solche Unternehmenswertsteigerungen,wie sie da am NeuenMarkt aber auch teilweise an <strong>der</strong> altenBörse signalisiert wurden o<strong>der</strong>scheinbar zustande kamen, die sindauf die Dauer nicht haltbar.Das war ein Beispiel, ein an<strong>der</strong>esstammt wie<strong>der</strong> aus den alten Zeitenbei <strong>der</strong> Zeit. Ich weiß nicht, wer sichnoch an Bernie Cornfeld und seinewun<strong>der</strong>bare Geldvermehrung erinnerte.Da ist auch die Masse <strong>der</strong>deutschen Wirtschaftsjournalistendraufgesprungen. Das war <strong>der</strong> großeGuru und <strong>der</strong> macht alle Menschenreich. Wir haben <strong>im</strong>mer dagegengehalten, haben uns damals sehrunbeliebt gemacht und die Leutehaben gesagt, Mensch, was sind dasfür Miesepeter. Aber <strong>der</strong> damaligeMichael JungblutBörsenfachmann <strong>der</strong> Zeit, <strong>der</strong> hateben <strong>im</strong>mer gesagt, ich mache dasnicht mit. Das ist unseriös und ichhalte dagegen. Das muss auch einmalsein. Das ist jetzt aus dem Bereich<strong>der</strong> Wirtschaft, aber <strong>im</strong> Bereich<strong>der</strong> Politik und vielen an<strong>der</strong>en Bereichenkann man natürlich ähnlicheBeispiele finden.Heuser: Ich wollte nur eins zugestehen.Ich glaube, es wird schwieriger,sich als Wirtschaftsjournalist gegenden Mainstream zu wenden. Es istnicht so, als würde man gekauft o<strong>der</strong>irgend so etwas, son<strong>der</strong>n es gibt eineÖkonomisierung nicht nur in <strong>der</strong>Gesellschaft, son<strong>der</strong>n auch in den26


Zeitungen. Es ist nicht mehr so, dassdie Redakteure völlig <strong>im</strong> Leerenschw<strong>im</strong>men und machen können,was sie wollen. Irgendwo kriegt manschon auch mit, das muss ich verkaufen,mehr als früher. Das gibt esselbst bei <strong>der</strong> TAZ nicht mehr. Unddeswegen ist es so schwer, die interessantenSachen gegen den Mainstreamzu schreiben, bzw. sich damitdurchzusetzen, erst einmal in <strong>der</strong>Redaktion und dann zweitens be<strong>im</strong>Leser. Ich glaube schon, dass dieganze Gesellschaft trendgetriebenerist und das vermittelt sich dann ebenauch aufgrund des ökonomischenInteresses <strong>der</strong> Zeitung. Da ist einerseitsmehr Mut erfor<strong>der</strong>lich und an<strong>der</strong>erseitsein langfristigeres, einlangatmigeres Marketing <strong>der</strong> Medien.Da wie<strong>der</strong> hinzukommen, daswäre sehr wichtig. <strong>Die</strong> Leute zu belohnen,die den Mut haben, damitan<strong>der</strong>e auch den Anreiz haben.Jungblut: Früher hat sich <strong>der</strong> Wirtschaftsjournalistüberhaupt nichtum seine Leser gekümmert. Wir habenes an<strong>der</strong>s aufgefasst und habengesagt, nein, auch <strong>der</strong> Wirtschaftsteilist für seine Leser da. Es kannjedes Thema behandelt werden, nur<strong>der</strong> Leser, <strong>der</strong> normale Zeitleser,o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Wiso-Zuschauer muss esverstehen. Dann können Sie auchLeser für Themen gewinnen, die sievorher uninteressant fanden. Manmuss dem Leser eine Brücke bauen.Ich glaube, das ist die Aufgabe <strong>der</strong>Journalisten. Sie haben sicherlichviele Funktionen, aber eine von unserenFunktionen, ist auch Übersetzerzu sein, zwischen <strong>der</strong> jeweiligenFachwelt, zwischen den Eierköpfen,die da irgendwo in Instituten sitzeno<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Wirtschaft irgendetwasmachen und dem Leser, <strong>der</strong> diesesalles nicht versteht.Meckel: Jetzt haben wir schon zweiPerspektiven. Was Sie gerade gesagthaben, heißt: Guter Journalismusschafft es, wenn er wirklich gut ist,wenn er gut recherchiert hat, gut geschriebenist, gut dargestellt ist,schafft es auch für nicht trendorientierteThemen eine Leserschaft, eineZuschauerschaft zu finden.Im Grunde genommen wäre dasdoch, wenn ich das richtig verstandenhabe, ein Plädoyer für ein Marketing<strong>der</strong> Medienmoral. Ist das eineneue Form von qualitätssicheremJournalismus?Heuser: Ich glaube, das ist eine Formvon Ehrlichkeit, also mit dem BegriffMoral würde ich da vorsichtigumgehen, aber es ist eine Form vonEhrlichkeit, auch in Zeiten, wo seineThemen, wo seine Ansichten nichtso beliebt sind, dazu zu stehen. Esist nicht einfach. Der Zeit-Leser istteilweise noch <strong>der</strong> gleiche wie frü-27


Michael Jungblut, Miriam Meckel und Uwe Jean Heuserher, aber er hat sich mächtig verän<strong>der</strong>t.<strong>Die</strong> sitzen zum Teil auchabends <strong>im</strong> Internet und gucken mal,was <strong>der</strong> Neue Markt gemacht hat.<strong>Die</strong> sagen dann, was will <strong>der</strong> mit seinerSkepsis, lass mich in Ruhe, ichbin hier am Zocken! Dagegen dielange Sicht und den langen Atem zubewahren ist, glaube ich, nicht ganzeinfach. Es ist teilweise aufgrund <strong>der</strong>Stärke <strong>der</strong> Trends wohl auch schwierigerals früher, aber das zu tun istfür mich ein Stück Ehrlichkeit und– wenn es darum geht, Leute vordiesem Mist zu bewahren – auch einStück Service.Meckel: Wie funktioniert denn Recherche,intensives Arbeiten bei Ihnen,bezahlen Sie zum Beispiel Geldfür Informationen?Jungblut: Das kann ich ganz klar mitNein beantworten, schon aus demschlichten Grund, dass wir es nichthaben. Vor allem kriegen die, diefür Informationen mit Millionenum sich werfen wie Stern, Bunte,Spiegel, Focus manchmal nur Sachen,die an <strong>der</strong> Oberfläche wichtig sindund die Leute vielleicht furchtbaraufregen. An viele an<strong>der</strong>e Dingewürden sie auch ohne Geld kommen,indem sie fleißiger recherchieren.Irgendwann findet man <strong>im</strong>merLeute, die auch bereit sind, etwaszu sagen, weil sie selber das Gefühlhaben, da stinkt was, da muss was28


getan werden. So machen wir das.Vielleicht ist es manchmal etwasschwieriger.Meckel: Herr Heuser, was würden Siean<strong>der</strong>s machen, wenn Sie Chef vonWISO wären?Heuser: Ich würde versuchen, dieseetwas langfristigen unterschwelligenThemen, die die Menschen aber jairgendwo trotzdem bewegen, Risiko,Verteilung, Ökonomisierung,Flexibilisierung, ein bisschen stärkerzu vermitteln. Nun bin ich aberkein Fernsehmann und weiß nicht,ob es geht. Ich glaube, dass maninnovative Wege beschreiten muss,die ich hier nicht nennen kann, weilich sie nicht kenne, aber ich würdemir wünschen, dass das Fernseheninsgesamt öfter versucht, diesePhänomene auf seine Art, d. h. aufseine Art des Visuellen, darzustellen.Meckel: Was würden Sie heute an<strong>der</strong>smachen, wenn Sie wie<strong>der</strong> <strong>im</strong>Wirtschaftsressort <strong>der</strong> Zeit wären?Jungblut: Ich hätte schon vor 10 Jahrenvieles an<strong>der</strong>s gemacht, weil esmich <strong>im</strong>mer gewun<strong>der</strong>t hat, wie lange<strong>Die</strong> Zeit gebraucht hat, bis sieendlich mal den Schritt gemacht hat,<strong>der</strong> dringend notwendig war. Aberda sie gerade reformiert haben, mussman ihnen jetzt keine guten Ratschlägegeben. Ich glaube, sie sindauf einem guten Weg und probierenwie<strong>der</strong> etwas Neues aus. Ich wünscheihnen, dass sie weiterhin so vielErfolg haben.Heuser: Vielen Dank. In <strong>der</strong> Tat habenSie recht, was das Überfälligeangeht. <strong>Die</strong> Zeit hat eine Weile <strong>im</strong>Wirtschaftsteil versucht, völlig gegenden Zeitgeist zu sein, gegen diese ganzeEntwicklung, über die wir gesprochenhaben. Aber wie wir gelernt haben,geht das nicht. Sich dieser Themenannehmen, sich mit dem beschäftigen,was die Menschen bewegt,das müssen wir schon. Aberversuchen, das mit an<strong>der</strong>en Perspektivenzu tun. Das haben wir versucht,sowohl formal als auch inhaltlich indie Reihe zu bringen.Meckel: Wir haben mitbekommen, esgibt sicherlich einen Scheideweg, andem sich <strong>der</strong> Journalismus, vor allem<strong>der</strong> Wirtschaftsjournalismus,entlang hangeln muss, vielleichtauch die ein o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Grenzüberschreitung.Es gibt aber auch einpaar Perspektiven, die fast banalklingen: Professionelle journalistischeArbeit, professionelle Recherche,auch den Mut haben, Themenzu benennen und zu besetzen, dienicht gerade en vogue sind. Ich dankeIhnen beiden.29


Michel Friedman (Vorsicht Friedman! – HR) diskutiertmit Ulrich Kienzle (Frontal – ZDF)Meckel: Herr Friedman, es gibt ja sicherlichdie einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Beobachter,die bei Ihnen sagen, <strong>der</strong>bekämpft ja oft ein bisschen viel.Friedman: Ich halte nichts von diesemgeheuchelten Neutrum-Journalisten,<strong>der</strong> so tut als ob er keine Meinunghat, keine Einstellung hat, son<strong>der</strong>nnatürlich sind wir auch subjektiv,natürlich haben wir auch subjektiveEinstellungen. Meine Sendungwill nicht pr<strong>im</strong>är informieren, son<strong>der</strong>nsie ist eine Diskussionssendung,eine Streitsendung mit einemStück Leidenschaft – ein Stichwort,das in Deutschland zur deutschenKultur lei<strong>der</strong> nicht gehört. Vielleichtführen wir das ein bisschen mehrein.Ich bin ein gastgeben<strong>der</strong> Gast, <strong>der</strong>das Publikum provoziert, aber auchangeregt ist und genauso wie meineGäste ein Stück aus sich hinausgeht,körperlich, inhaltlich, seelisch, undwenn Sie dann dabei das ein o<strong>der</strong>an<strong>der</strong>e sagen, was sie eine Sekundespäter bedauern, dann war das jaauch gut so.Meckel: Aber gemessen an dem wasSie gerade gesagt haben, ist HerrKienzle dann eigentlich Ihr Idealmo<strong>der</strong>ator.Friedman: Herr Kienzle ist sowiesomein Ideal.Kienzle: Naja, Sie sind nicht aber ganzmein Ideal!Ich finde seine Sendung wirklichspannend und gut und gucke fastjede an. Ich habe nur ein Problemmit Ihnen. Nur eins, aber ein ganzgroßes. Mal setzt er sich den Hutdes Funktionärs auf, mal ist er Politiker,mal ist er... Das ist natürlicheine fiese Nummer, die wir Journalistennie können. Er kann in je<strong>der</strong>Rolle auftreten, mal so mal so, wie eres gerne hat. Das finde ich eigentlichnicht in Ordnung. Ich finde, Sie solltenendlich den Mut haben, Journalistzu werden o<strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ator.<strong>Die</strong>se berühmten „sowohl als auch“Kommentare, die sind mir <strong>im</strong>merschon auf den Wecker gegangen.<strong>Die</strong>se Nummer, mit diesem HinundHersprechen, das ist etwas, wasSie geschickt ausnützen, sagen wires einmal so.Friedman: Ich kann mit diesem Kommentarleben.30


Meckel: ....die Farbe bekennen, wärebei Ihnen Chamäleon sein.Friedman: Nein, er meint nur, dassich unterschiedliche Möglichkeitenhabe, in unterschiedlichen Rollendiese Meinung, die ich habe, auchdarzustellen. Nun muss man natürlichsagen, es gibt eine Grenze, dieich selbst sehe. Man kann für seineMeinung kämpfen, aber man darfnicht Instrumente nutzen, um dieMeinung abzufragen und sie bestätigtzu bekommen. Bei einer Streitkunstwie bei so einem <strong>Format</strong> wie„Vorsicht Friedman“ ist das auchgar nicht möglich. Denn ich motivieremeine Gäste, mir auch zu wi<strong>der</strong>sprechenund ich finde das eigentlichdie erfolgreichste Situation,wenn man da nicht mit drei Gästenund einem gastgebendem Gast, son<strong>der</strong>nmit vier Gästen diskutiert. Dasist aber auch Absicht <strong>der</strong> Sendung.Kienzle: Ich verstehe bei Ihnen nicht,dass Sie nach dem „jüdischen Vermächtnis“nicht sofort aus <strong>der</strong> CDUausgetreten sind. Ich habe ein bisschendas Gefühl, Sie benutzen dieCDU, nicht um <strong>der</strong> CDU was Guteszu tun, son<strong>der</strong>n sich selber. Denn,wenn Sie aus <strong>der</strong> CDU austreten,sind Sie uninteressant.Friedman: Es wun<strong>der</strong>t mich, dass einpolitischer Journalist nicht weiß,Miriam Meckeldass ich nach den Vermächtnissen,die Hessen-CDU verlassen habe und<strong>der</strong> Saarland-CDU beigetreten bin.Kienzle: Das ist ja sehr tricky.Friedman: Ja, aber Sie können Differenziertheitnicht <strong>im</strong>mer nur trickreichnennen. Sie sind ja auch nichtohne Grund be<strong>im</strong> ZDF geblieben,bei SAT 1 wären Sie uninteressantmit FRONTAL.Kienzle: Das ist ein Irrtum.Friedman: Nein, das ist kein Irrtum.Das ist genauso wenig ein Irrtum,31


Michel Friedmanwie ich bei <strong>der</strong> Saar-CDU gut gelandetbin.Kienzle: Wenn die Argumente ausgehen,berührt er seine Gegner. Wie<strong>der</strong>ein Trick. Er schreit den Gästenins Ohr und die schreien sofort zurück,und <strong>der</strong> Teufel ist los in <strong>der</strong>Sendung. Das ist nicht schlecht.Meckel: <strong>Die</strong> Frage ist, was mache icho<strong>der</strong> was biete ich an und waskommt bei den Menschen rüber.Friedman: Ich bin ein Gegner <strong>der</strong>Konsensgesellschaft. Ich bin eingroßer Anhänger von Streitkultur.Das kommt vielleicht daher, dass icheine an<strong>der</strong>e Leitkultur, nämlich diefranzösische in meiner Kindheit genossenhabe. Ich glaube, das StreitLust und nicht Last ist und ich willdies auch <strong>im</strong> Fernsehen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>swo,wo ich lebe, selbst hier, darstellen,und deswegen genieße ich dieKonfrontation und den Konflikt.Ich glaube, dass es ganz wichtig ist,dass wir uns auseinan<strong>der</strong>setzen. <strong>Die</strong>gepflegte Soße <strong>der</strong> deutschen Diskussionskulturist ein Einschlafmittel.Ich bin gegen Valium. Und ichweiß auch, dass sehr viele, gerade in<strong>der</strong> Politik, dieses Valium nutzen,um nicht nur nichts zu sagen, son<strong>der</strong>nhinter dem Valium trotzdemDinge zu tun und zu entscheiden,die letztendlich dem hochgeschätztenPublikum in ihrer Dramatik garnicht dargestellt werden. So gesehen,plädiere ich für polarisieren <strong>im</strong> konstruktivenSinne, dass Meinung undauch grundsätzliche Unterschiededeutlich werden. <strong>Die</strong> sogenannteneue Mitte ist so ungefähr dasSchl<strong>im</strong>mste an Begriff, was ich mirfür eine individualisierte Gesellschaftvorstellen kann. Gesicht zeigen,meine Damen und Herren. Unddies gilt <strong>im</strong> übrigen auch für Journalisten.Ich erlebe es doch auch inmeiner Sendung, dass mittlerweilePressereferenten von Ministern versuchen,uns vorzuschreiben, <strong>der</strong> Ministerkommt nur, wenn dieser Gastnicht kommt. Und ich weiß, wie vie-32


le Redaktionen das mittlerweile mitmachen.Ich mache es nicht mit. ImGegenteil, wenn bei mir einer damitanfängt, dann habe ich das großeVergnügen zu sagen, „Vorsicht Friedman“,dann eben nicht.Kienzle: Ich meine, die Auseinan<strong>der</strong>setzung<strong>im</strong> Journalismus ist heutesehr viel sachlicher als früher. Ichfinde es erfrischend, und ich willnoch mal dafür plädieren, dass wirsachlicher geworden sind, das wirhärter geworden sind in vielen Dingen.Es ist nämlich sehr viel leichter,eine tolle Meinung zu verkünden.Das heißt, <strong>der</strong> Beitrag war frühervöllig uninteressant, wichtig war dieMo<strong>der</strong>ation von fünf Minuten Länge.Das ist heute nicht mehr möglich.Es gibt auch eine unhe<strong>im</strong>licheProfessionalisierung <strong>der</strong> Nachrichten.Wenn Sie zum Beispiel die altenTagesschauen von vor 20 Jahren sehen,was da an Schwachsinn gesendetworden ist. Drei Minuten Statementsvon Politikern, Und ich finde,da haben wir uns doch auf denrichtigen Weg gemacht, auch die privatenKollegen.Friedman: Also, ich würde da ganzgerne ein Stück differenzieren. Ichglaube, dass es bei einem Politikernicht entscheidend ist, wie viel Zeiter hat, son<strong>der</strong>n, was er sagt. Denn indrei Minuten wird nicht mehr undUlrich Kienzlenicht weniger gesagt als in den 20Sekunden – in <strong>der</strong> Regel gar nichts.Das wirkt nicht mehr so, weil, wennSie 20 Sekunden multiplizieren aufdrei Minuten wird es unerträglich.So gesehen, ist die Headline des Politikersmeistens besser. Wenn ichmir aber wirklich die typischen Profilewie Tagesthemen, Heute Journalo<strong>der</strong> RTL Nachtmagazin anschaue,fällt mir auf, dass die Befragungnicht sehr viel kritischer, härter,nachdenklicher geworden ist als vorzehn bis fünfzehn Jahren. Das ganzewirkt nur souveräner, weil <strong>der</strong> Teleprompterdas Ablesen ersetzt. Ichglaube also, dass die Qualität nichtdeutlich gestiegen, son<strong>der</strong>n dass die33


Form, die Darstellung des „so tunals ob“ gestiegen ist, und das gilt fürfast alle Magazine. Ich glaube nachwie vor, Deutsches Fernsehen ist vielzu respektvoll, ist viel zu „umarmt“.Deutscher Journalismus hat das Bedürfnis,geliebt zu werden, und zwargar nicht nur von denen, die Machthaben, son<strong>der</strong>n vom hochgeschätztenPublikum. Das führt zu einer innerenVerweichlichung.Kienzle: Mir ist auch aufgefallen, dassdie Politiker lieber in eine seichteTalkshow gehen als in eine politischeSendung. Das ist völlig klar,weil da nicht nachgehakt wird und<strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ator nett ist. Und die Politikerhaben noch etwas gelernt: Sieantworten Ihnen auf Fragen einfachnicht. Und wenn Sie dre<strong>im</strong>al nachhaken,sind Sie <strong>der</strong> Blödmann, <strong>der</strong><strong>im</strong>mer nachhakt und es nicht verstandenhat, und die bringen nur dasrüber, was sie wollen.Meckel: Ich würde gerne noch mal,konkret auf den Punkt „Journalismusam Scheideweg“ zu sprechenkommen. Herr Kienzle, Ihre Sendunghat hervorragend funktioniert,war sehr erfolgreich, war meinungsfreudig,aber ich könnte auch behaupten,ist das nicht einfach eineÜberzeichnung des Parteienproporzesgewesen, den wir dann sozusagenzum Guten gewendet haben?Kienzle: Ja, <strong>der</strong> ist dann ad absurdumgeführt worden bei uns, und deshalbist auch Ende jetzt. Das ist klar,das kann man nicht ewig machen, da34


haben Sie völlig recht. Aber das istgenau <strong>im</strong> Augenblick die Chance fürdie jüngeren Kollegen.Meckel: Kommen wir am Schlussnochmals auf eine Form von Ausweg.Farbe bekennen, Moral <strong>der</strong> Medien,die neue Medienethik wurde gefor<strong>der</strong>t.Was sind für Sie die Essentials?Friedman: Glaubwürdigkeit, Wahrhaftigkeitund Anstrengung. Wirsollten den Journalismus nicht überbewerten.Eines aber, was ich vomJournalismus, wie auch von jedeman<strong>der</strong>en Beruf verlange ist, ist Professionalität.Kienzle: Das Stichwort <strong>der</strong> nächstenJahre ist für mich ebenfalls Professionalisierung.Nicht nur die Quantität,son<strong>der</strong>n die Qualität in denVor<strong>der</strong>grund zu stellen. Das ist fürmich das Wichtigste. Gut vorbereiteteLeute, denn wir tragen Verantwortung.Es gibt heute mehr Journalistendenn je. Und es gibt mehrMagazine denn je. <strong>Die</strong>s ist eine Riesenchancefür junge Journalisten.Als ich angefangen habe als Journalistgab es vier Magazine. Heute sindes 15 o<strong>der</strong> 16. D.h. hier ist eine Riesenchanceda. Mit sehr unterschiedlichenVorstellungen. Mit sehr unterschiedlichenjournalistischenVorstellungen. Was ich bedauereist, dass es den Privaten, außerdem Spiegel-TV und vielleicht Focus,nicht gelungen ist, eine Professionalisierung<strong>im</strong> politischenzeitkritischen Magazinbereich zuerreichen. Das bedauere ich sehr.Aber die Chancen sind da nachmeiner Einschätzung und die Leutesind auch da und das Engagementist auch da.Friedman: Noch eins, über das wir indiesem Zusammenhang denn dochnoch sprechen müssen, weil es denganzen Vormittag nicht angesprochenworden ist: Das Internet undauch <strong>der</strong> Internetjournalismus. Dasist auch eine ganze neue Chance, einganz neue Möglichkeit, aber aucheine Gefahr, die wir nicht unterschätzensollen. Denn <strong>der</strong> Internet-Journalismus ist ja auch ein sehr anarchischerund auch teilweise einsehr anonymer. Er arbeitet auch damit,dass die Leute, die das Internetkonsumieren, aktiv werden können.Es wird ein Gedanke, eine Meinung,eine Wertung, eine Information undeine Psychoinformation in ein Netzhineingeworfen und verselbständigtsich noch schneller, noch dramatischer.Wir müssen sehr darauf achten,dass hier nicht Missbrauch undBanalisierung stattfindet. Ansonstensage ich auch: Es gab noch nie soviel Pressevielfalt in <strong>der</strong> BundesrepublikDeutschland wie <strong>im</strong> Jahre2000 und das finde ich, tut gut.35


Uli Röhm (ZDF) diskutiertmit Thomas Kröter (Tagesspiegel)Röhm: Jetzt kündige ich Ihnen ThomasKröter an, den Leiter <strong>der</strong> Parlamentsredaktionbe<strong>im</strong> Tagesspiegel inBerlin. Vorher war er als Journalistin Bonn. Er kennt beide Korrespondentenplätzeaus eigener Erfahrung.„Braucht die Berliner Republik an<strong>der</strong>eJournalisten?“ heißt es <strong>im</strong> Programm.Ich gebe das als Frage weiter.Kröter: Ich finde, politisch und vorallen Dingen auch journalistisch interessantwird die Frage, wenn wirsie so stellen: Wie ist diese Big Brother-Generation,wenn man sie malso nennen will, für Politik zu interessieren?Und ich fürchte, da habenwir Journalisten insbeson<strong>der</strong>e die,die aus dem Parlaments- und Regierungsgeschehenin Berlin berichten,ein ähnliches Problem wie die Politiker,z.B. Herr Westerwelle. Aber ichfürchte, dass wir doch ein bisschenan<strong>der</strong>e Journalisten brauchen, weildiese Gesellschaft sich so verän<strong>der</strong>that, wie sie sich verän<strong>der</strong>t hat. Fürdie heutige Gesellschaft ist Politiknicht mehr selbstverständlich. Undich habe selber noch keine Antwort,außer <strong>der</strong> klassischen, wir müsseninteressant sein und wir müssen qualifiziertauf <strong>der</strong> Höhe <strong>der</strong> Zeit sein,aber die Frage, wie wir in dieser Gesellschaftfür Politik und für dieWahrnehmung von politischer Berichterstattungwerben, dafür müssenwir uns, glaube ich, alle nochetwas anstrengen.Röhm: Warum berichten Sie heutean<strong>der</strong>s als früher?Kröter: Es hat eine schleichende Verän<strong>der</strong>ung<strong>im</strong> politischen Journalismus,was die Hauptstadt angeht, gegeben.Und zwar dadurch, dass wireine viel größere Zahl von Medienhaben, die vor Ort sind. Als normalerschreiben<strong>der</strong> Journalist z.B. seheich von politischen Pressekonferenzenin Berlin hauptsächlich die Hinterteilevon Kameraleuten, weil eseine Explosion von Medien, vonRundfunkanstalten usw. gegebenhat. <strong>Die</strong>ses hat zum Teil auch zueiner Verseichtung geführt, zur Jagdnach <strong>der</strong> jeweils angeblich spektakulärenMeldung und insofern hat sicheine Entwicklung beschleunigt.Röhm: Ist die Macht <strong>der</strong> Pressestellenin Berlin eine an<strong>der</strong>e o<strong>der</strong> gareine größere geworden?36


Kröter: Eher eine kleinere. Das sehenSie z.B. an den vergeblichen Versuchendes Arbeitsministeriums. Ichhabe nachgesehen, <strong>im</strong> vergangenenJahr hat <strong>der</strong> Spindoctor HerrSchmidt-Deguelle versucht, die Tätigkeitenin <strong>der</strong> Öffentlichkeit zuopt<strong>im</strong>ieren. Bei Herrn Eichel ist esihm gelungen, aber Herr Riestersteht noch genauso blöd und unprofessionellda, wie vor Beginn seinerTätigkeit. Nein, ich glaube eher diePressestellen haben einen ähnlichenMachtverlust, wie ihn die Journalistenhaben.Röhm: In Bonn spielten früher diesogenannten Kreise – Stichwort„Gelbe Karte“ – eine große Rolle.Gibt es in Berlin solche Zirkel, woPolitiker und Journalisten vertraulichmiteinan<strong>der</strong> reden können?Kröter: <strong>Die</strong> gibt es. Es gibt noch diealten Kreise. Aber dadurch, dasszum Teil Protagonisten dieserKreise nicht mehr mit nach Berlingekommen sind, haben die altenKreise durchaus an Bedeutungverloren. Es gibt von jüngerenKollegen neuere Kreise. Aber wirstellen <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> fest, dass dieguten alten Regeln von Bonn –eins ist öffentlich gesagt, zwei istdass irgendwelche Kreise um Politiketwas gesagt haben und drei istfür den Hinterkopf und darf nichtThomas Kröterals Info, son<strong>der</strong>n allenfalls als Argumentationverwendet werden –<strong>im</strong>mer weniger befolgt werden.Das führt dazu, dass es eine Krisedieser Kreise gibt, weil das Misstrauen<strong>der</strong> Politiker größer gewordenist.Röhm: Gibt es eine Verän<strong>der</strong>ungdurch mo<strong>der</strong>ne Technik und an<strong>der</strong>eKommunikationsmöglichkeiten?Ein Beispiel, die Phoenix-Berichterstattung.Jetzt sitzt je<strong>der</strong> <strong>im</strong> eigenenKämmerchen vor dem Bildschirmmit <strong>der</strong> Folge, dass Journalistennicht mehr miteinan<strong>der</strong> kommunizieren.37


Kröter: <strong>Die</strong> Onlinegeschichten habenetwas fürchterlich Praktisches. Ichhabe meine Sekretärin angewiesen,den ganzen Papierberg von Bundestagsprotokollenwegzuschmeißen,weil man die Protokoll wun<strong>der</strong>bar<strong>im</strong> Internet hat. Phoenix ist gelegentlichpraktisch, aber auch nicht<strong>im</strong>mer praktisch, weil man nicht <strong>im</strong>mergenau ausrechnen kann, überträgtPhoenix nun o<strong>der</strong> nicht. Ichwürde sagen, wir haben eine Situation,die <strong>im</strong> Übergang begriffen istund bei <strong>der</strong> es noch keine halbwegsabschließende Antwort gibt.Röhm: Wer die Berichterstattungverfolgt, stellt fest, klassische B-Themen nehmen zu. Aktuelles Beispiel:Kokain <strong>im</strong> Bundeshausklo.Hat <strong>der</strong> Tagesspiegel auch darüberberichtet?Kröte: Das ist eine jener Fragen, bei<strong>der</strong> ich durchaus in die hilflose Antikulturkritikvon Herrn Beck einst<strong>im</strong>menwürde. Ja, <strong>der</strong> Tagesspiegelhat darüber berichtet. Er hatsogar einen Aufmacher gemacht.<strong>Die</strong>ser Aufmacher war in seinemText ordentlich recherchiert, wie<strong>der</strong> Tagesspiegel das zu tun pflegt,aber es gab in <strong>der</strong> Redaktion heißeDiskussionen darüber, ob diese Geschichtees denn wirklich wert war,den Aufmacher einer Qualitätszeitungabzugeben. Also da ist, wiegesagt, in <strong>der</strong> Redaktion heiß diskutiertworden.Klaus Rüter, Michel Friedman und Michael Jungblut – zuhörend.38


Röhm: Sind solche seichten ThemenFolgen des Berliner Zeitungskrieges?Kröter: Nein, ich glaube, solche Themensind Produkt dessen, was auchschon früher gesagt worden ist, dassdas Privatfernsehen jetzt zum Teildas macht, was früher die Bildzeitunggemacht hat. Das ist ein Trend zurBoulevardisierung, den es auch schonvorher gegeben hat. Im Berliner Zeitungsmarktvon dem wir klassischerWeise reden, ist eigentlich ein Krieg,Herbert Riehl-Heise hat das mal in<strong>der</strong> Süddeutschen Zeitung beschrieben,die Aufrüstung von zwei Lokalblätternzu Zeitungen mit nationalemAnspruch. Es ist womöglich <strong>der</strong> letzteVersuch, mit Qualität Quote bzw.Auflage zu machen.Röhm: Bei oberflächlicher Betrachtungbekommt man den Eindruck,es gibt <strong>im</strong>mer mehr exklusive Geschichten.Tatsächlich stellt manaber bei genauer Betrachtung schnellfest, dass es <strong>im</strong>mer weniger sind.Kröter: Wir haben eine Tendenz, dassdie Zeitungen etwas magazin-ähnlichergeworden sind. Johannes Rauhat neulich ein Interview gegebenzum Thema: Wir amüsieren uns zuTode. Er bringt da ein Beispiel übersich als Interviewpartner, wo er <strong>im</strong>Bericht aus Berlin gefragt wordenist, ob <strong>der</strong> Terrorismus <strong>der</strong> RAF mitdem heutigen aktuellen Rechtsextremismusvergleichbar sei. Rau: „Ichsagte nein, das ist nicht vergleichbarund versuchte, dies in mehrerenAntworten ausführlich zu begründen.Abschließend fragte <strong>der</strong> Interviewer:Ist <strong>der</strong> Rechtsextremismusdenn genauso gefährlich wie <strong>der</strong>Terrorismus <strong>der</strong> RAF? Darauf habeich geantwortet: Ja, genauso gefährlichist er, aber ganz an<strong>der</strong>s. <strong>Die</strong>Agenturen und die Zeitungen, diedarüber berichteten, brachten dieÜberschrift: Rau vergleicht Rechtsextremismusmit <strong>der</strong> RAF.“Das ist ein journalistisches Grundsatzproblem.Ich habe noch keineLösung dafür. Wir müssen darüberdiskutieren, dass wir da wie<strong>der</strong> etwas„seriöser“ werden.Röhm: Bei den wirklich exklusivenGeschichten müssen die Quellen geschontwerden, wenn man sie sicherhalten will. Machen sich da Journalistennicht noch ein Stück abhängigervon <strong>der</strong> Politik?Kröter: Das kann passieren. Es gibtbest<strong>im</strong>mte Informationen, da kannman die Quelle nicht nennen. Undes kann schon sein, dass man dann,um seine Quelle bedeckt zu halten,eine gewisse Camouflage betreibenmuss. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite, wennman die Quelle bedeckt halten will,kann es auch durchaus gelegentlich39


notwendig sein, <strong>der</strong> Quelle eins überdie Rübe zu geben, weil es ja auffallenkönnte, dass man einen best<strong>im</strong>mtennicht berücksichtigt beiseiner Kritik. Das ist eine Gradwan<strong>der</strong>ung,die gab es früher schon, vielleichtwird sie <strong>der</strong>zeit ein bisschenschwieriger.Röhm: Zweitletzte Frage: Wie stehtes eigentlich mit <strong>der</strong> Macht <strong>der</strong>Agenturen?Kröter: Ja das ist eine gute Frage. DasRau-Zitat schien zu belegen, dass dieAgenturen eine große Macht haben,weil sie aus best<strong>im</strong>mten ÄußerungenMeldungen machen. Auf <strong>der</strong>an<strong>der</strong>en Seite ist diese Macht aucheine ziemliche Ohnmacht, weil wenndie Agenturen das nicht weiter verbreiten,was die Rundfunkanstalteno<strong>der</strong> die Zeitungen ihnen als Meldungenbringen, dann wird sich bei<strong>der</strong> Deutschen Presseagentur o<strong>der</strong>so, beschwert. Also ich glaube, dieMacht <strong>der</strong> Agenturen ist nicht entscheidendgewachsen.Röhm: Von den neuen Themen, wiez.B. Biotech ist in Leitartikeln vieldie Rede, aber wirkliche Kompetenzvermisse ich oft, wenn ich es vergleichemit <strong>der</strong> klassischen SachberichterstattungWirtschaft und Sozialpolitik.Stellt die Frage <strong>der</strong> Qualifikationvon Journalisten in dem Fallauch die Frage einer Gegenmachtzur Politik dar?Kröter: Nein, noch nicht. Es ist ja auchkein Zufall, dass es das Feuilleton <strong>der</strong>Allgemeinen war, das die Biotech-Diskussion auch auf den politischenSeiten stärker gedruckt hat. Da müssenwir, glaube ich, nacharbeiten undes kommt sicherlich auch darauf an,bei den journalistischen Studiengängenund überhaupt in <strong>der</strong> Journalistenausbildungdarauf hinzuweisen,dass mindestens so wichtig wie Kommunikationswissenschaften,Jurao<strong>der</strong> ähnliches, heutzutage und inZukunft naturwissenschaftliche o<strong>der</strong>an<strong>der</strong>e Studiengänge sein könnten.Das wird sicherlich noch eine Weiledauern, ist aber, glaube ich, nicht aufzuhalten.Röhm: Bonn war nicht We<strong>im</strong>ar, aberBerlin ist auch nicht Bonn. Wo warenSie denn lieber, wären Sie wie<strong>der</strong>gern am Rhein?Kröter: Der Winfried Schalau, ARD-Korrespondent in Südostasien hat malgesagt, er sei 10.000 km von seinerZentrale entfernt und er möchte keinendavon missen. Ich war in Bonn600 km von meiner Zentrale entfernt,jetzt bin ich 3km entfernt. Bei dieserAussage möchte ich es belassen.Röhm: Vielen Dank, Thomas Kröter.40


Nach „Big Brother“... – Wohin treibtdie Bürgergesellschaft?Kurt Beck (Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz undVorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Rundfunkkommission <strong>der</strong> Län<strong>der</strong>)befragt von Lucia Braun (aspekte – ZDF)Braun: Herr Ministerpräsident, wiefühlt man sich, wenn die Sendung,die man selber leidenschaftlich bekämpfthat, die man <strong>im</strong> Vorfeld wieSie bereits verbieten wollte, wennausgerechnet diese Sendung für denDeutschen Fernsehpreis nominiertwird und das Fernsehereignis desJahres war, das die Programmdebattebest<strong>im</strong>mt hat?Beck: Ja man kann nur sagen: TraurigeWirklichkeit ist aus dem geworden,was man befürchtet hat. MeineBefürchtung war ja nicht, dass eineinzelnes Sendeformat die ganzeKultur in Deutschland verän<strong>der</strong>nwürde,son<strong>der</strong>n dass wir wie<strong>der</strong> einmaleine Spiraldrehung weiter gehenbei Tabuverletzungen und be<strong>im</strong> respektlosenEindringen in die Privatsphäre<strong>der</strong> Menschen.Braun: Sie sprachen konkret von einemMenschen-Exper<strong>im</strong>ent, inzwischenweiß je<strong>der</strong>, das ist ein Spielmit zwar fragwürdigen, aber sehrtransparenten Spielregeln, die kannman bescheuert finden kann, langweiligo<strong>der</strong> blöd – aber dabei vonVerstoß gegen die Menschenwürdezu sprechen, wie Sie es getan haben,ist das nicht ein wenig hoch gegriffen?Bleiben Sie dabei, dass auchjetzt die zweite Staffel „Big Brother“ein Verstoß gegen die Menschenwürdeist?Beck: Ich bleibe dabei.Man darf nichtübersehen, dass Menschen unterdem Druck von Millionen ZuschauernDinge tun, die sie bei nüchternerÜberlegung nie tun würden. Sieentblößen sich. Nicht <strong>im</strong> körperlichenSinne, son<strong>der</strong>n was ihre Befindlichkeitund ihre Menschlichkeitangeht. Sie zeigen sich, wie man diesbei halbwegs vernünftigem Verhaltenallenfalls <strong>im</strong> int<strong>im</strong>sten Familienkreistun würde. Alles wird offenausgetragen, offen dargestellt. Eswird Druck erzeugt. Von dieser hergestelltenÖffentlichkeit vor demContainer wird eine best<strong>im</strong>mte Situation<strong>der</strong> Abneigung bis hin zuHasstiraden erzeugt o<strong>der</strong> eben hei-41


ßeste und innigste Zuneigung. Dasalles sind künstlich erzeugte Gefühlswelten,die mit <strong>der</strong> Wirklichkeitsehr wenig zu tun haben. Ich glaube,dass das die Menschen verän<strong>der</strong>t.Ich befürchte, wenn wir es jetztnicht schaffen, werden wir eines Tagesnicht mehr die Kraft haben, dieZielrichtung umzukehren.Braun: Im Rundfunkstaatsvertragsteht, dass Sendungen, die gegen dieMenschenwürde verstoßen, unzulässigsind. Seit dem 1. April gibt eseinen Zusatz: <strong>Die</strong> Einwilligung istunbeachtlich. Das heißt, es kommtalso nicht darauf an, dass die Kandidatenfreiwillig in diesen Containergehen. Da frage ich mich, spielt esfür das Gesetz wirklich eine Rolle,wenn elf erwachsene Leute sagen:Ich setze mich einem Exper<strong>im</strong>entaus, das ich als persönliche Herausfor<strong>der</strong>ungbetrachte.Wo hört das Selbstbest<strong>im</strong>mungsrechtauf, das ja ebenfalls <strong>im</strong> Grundgesetzverankert ist, und wo beginnendie Pflichten des Staates, dieMenschenwürde zu schützen? Ichfinde, das ist eine schwierige Grenze.Wo ist diese Grenze für Sie?Beck: Das ist eine ganz schwierigeGrenzziehung und ich glaube, manmuss nach den Werten fragen, diehinter einer solchen Entwicklungstehen. <strong>Die</strong> Frage ist, ob diese Showsüber die Grenze <strong>der</strong> Verletzung <strong>der</strong>Menschenwürde hinausausgehen,nur um eine Show zu erzeugen, diedann Einschaltquoten bringt.Braun: Wer legt die Grenze fest? Dasist doch <strong>der</strong> Punkt.Beck: Wir schreiten ja in an<strong>der</strong>en Bereichenauch ein, wenn wir die Gesamtentwicklung<strong>der</strong> Gesellschaftfür bedroht halten. <strong>Die</strong> Tatsache,dass wir Jugendschutzrechte verankern,ist eine Grenzziehung. <strong>Die</strong>Tatsache, dass wir best<strong>im</strong>mte Darstellungenvon Sexualität über einbest<strong>im</strong>mtes Maß hinaus – zumindestzu best<strong>im</strong>mten Zeiten und für best<strong>im</strong>mteAltersgruppen und in <strong>der</strong>öffentlichen Form von Fernsehen –untersagen, ist eine Best<strong>im</strong>mung <strong>der</strong>Grenze.Braun: Wer ist wir? <strong>Die</strong> Landesmedienanstalt?Beck: Nein, <strong>der</strong> Gesetzgeber. Erzieht in diesem Fall – beispielsweisedurch Jugendschutzrechte – mit <strong>der</strong>Ausgestaltung <strong>der</strong> Verfassung dieseGrenzen. Ich weiss, dass solcheGrenzziehungen mit <strong>der</strong> Entwicklungeiner Gesellschaft <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong>auf den Prüfstand gestellt werdenmüssen, aber man kann nichteinfach sagen: Das sind ja alles Freiwillige,also dürfen sie alles tun. Es42


muss auch mit dem Interesse <strong>der</strong>Gesamtgesellschaft abgeglichenwerden.Braun: Das Interesse gibt es. 3,5 Millionen,die jeden Tag gucken.Beck: Das bestreite ich ja gar nicht.Es gäbe sicher auch Interesse, wennsich 10 Leute entschließen würden,die nächsten drei Tage nackt durchMainz zu rennen. Dafür gäbe es sicherviele Zuschauer. Ich bleibe abertrotzdem dabei, dass dies Erregungöffentlichen Ärgernisses ist. Wirhaben den Anspruch, dass wir dasgemeinschaftliche, vernünftige Zusammenlebengestalten und wo essein muss, auch mit Gesetzen gestalten.<strong>Die</strong> Frage ist doch: Wann wird essoweit sein, dass eine öffentlicheHinrichtung aus China <strong>im</strong> deutschenFernsehen übertragen wird? Ich binüberzeugt, da wird es mehr als 3,5Millionen Menschen geben, die einschaltenwerden. Wenn wir dann sagen:Na ja, ist halt so, es ist ja einInteresse da. <strong>Die</strong> Einschaltquotest<strong>im</strong>mt, drum herum kann manWerbung platzieren, wenn man sichdann noch ein bisschen empört gibtund eine empörte Erklärung dazuabgibt ist das Ganze in Ordnung.Aber dann haben wir wie<strong>der</strong> einmalein entscheidendes Tabu über Bordgeworfen. Darüber muss diskutiertund gestritten werden. Ich möchteso wenig wie möglich mit Verbotenarbeiten und so viel wie möglich mitEinsicht.Braun: Wie kann man Leute, die gegenhalten,mehr mit einbeziehen? Esgibt auf <strong>der</strong> einen Seite die Landesmedienanstalten,die auf ihrer Ebenefür die Medienkontrolle da sind.Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite gibt es dieVerantwortlichen in den Fernsehanstalten.Es gibt die Öffentlichkeit,die darüber diskutiert.Wie kann Medienkompetenz undMedienkritik zu einem öffentlichenDiskurs werden, <strong>der</strong> wirklich auchAuswirkungen hat?Beck: Zunächst einmal ist die Diskussionüber solche Fragen ein Wertan sich, <strong>der</strong> auch, wie ich hoffe, Einflussauf das Verhalten hat. Ich binüberzeugt, dass ohne die öffentlicheDiskussion bei diesem „Big Brother“<strong>Format</strong> und bei an<strong>der</strong>en <strong>Format</strong>en,die nachgefolgt sind, dieGrenzverletzungen noch intensivergewesen wären. Es hat ja durchaus,wenn auch bescheidene, Verän<strong>der</strong>ungen<strong>im</strong> Konzept gegeben <strong>im</strong>Zuge <strong>der</strong> Diskussion. Ich habe mitden Verantwortlichen selber auchunter vier Augen über diese Fragediskutiert. Es sind einige Verschärfungenaus diesen Spielsituationenherausgenommen worden, und den43


Kandidaten wurde die Möglichkeiteingeräumt, sich mal in einen Raumzurückzuziehen. Ich halte dies nichtfür ausreichend, aber es zeigt, dasses doch Reaktionen gegeben hat,wenn auch bescheidener Art. <strong>Die</strong>Tatsache, dass viele Leute sagen: Ichwill in einer Gesellschaft leben, in<strong>der</strong> <strong>der</strong> Spaß über allem steht, darfletztendlich nicht dazu führen, zumeinen, dass, wenn das 3,5 Millionengut finden, es die an<strong>der</strong>en 67Millionen in Deutschland auch gutfinden müssen. Ich will jetzt nichtGeschmacksfragen zur Grundlagevon Gesetzen machen, aber auchüber Geschmacksfragen darf mandiskutieren.Braun: Das ist aber ein großer Unterschied.Wo fängt <strong>der</strong> schlechte Geschmackan und wo fängt die Verletzung<strong>der</strong> Menschenwürde an?Beck: Ich denke, über Geschmacksfragendarf man und muss man diskutieren,aber dort, wo <strong>der</strong> Gesetzgebero<strong>der</strong> <strong>der</strong> Staatsvertragsgeberjetzt einschreitet, müssen noch an<strong>der</strong>eGrenzen, nämlich die Grenzen,die in unseren Gesetzen gezogensind, verletzt sein. Wenn das erreichtMinisterpräsident Kurt Beck <strong>im</strong> Gespräch mit Lucia Braun (ZDF)44


ist, muss man alle Grenzverletzungenklar benennen.Braun: Sämtliche Folgeprodukte dienach ,Big Brother‘ kamen, wie Inselduello<strong>der</strong> Robinson geben vor, dasechte Leben zu <strong>im</strong>itieren. <strong>Die</strong> Reality,die man <strong>im</strong> Fernsehen sieht, istnicht die Realität, wie wir alle wissen.<strong>Die</strong> Kandidaten bewegen sichja in einem virtuellen Raum – völliglosgelöst von ihrer sozialen Wirklichkeit.Wo würden Sie sagen, weilsie vorhin die Hinrichtung nannten,wo sagen Sie Stop, was Reality-TVbetrifft?Beck: Im Bereich von Spielshows bewegenwir uns dann an Grenzenheran, wenn Spiele gemacht werden,die mit eindeutiger Lebensgefahr fürKandidaten und Kandidatinnen verbundensind. Dann muss man fragen,inwieweit das verantwortbar ist.Und das müssen sich zunächst einmaldie Verantwortlichen fragen.Es gab Science Fiction Filme, woMenschen gejagt wurden und einejohlende Menge mitspielte. Wir sindnicht mehr so arg weit davon entfernt.Ich habe gehört, dass mansich da auf ein Gleis legen muss undein Zug drüber wegfährt. Der Kopfwird angebunden, damit man nichtvom Zug erwischt wird. Das scheintunglaublich, aber soweit ist das nichtmehr entfernt. <strong>Die</strong>ses Herantastenan den Tabubruch, das muss zunächstkritisch diskutiert werden,und wenn das alles keinen Sinn hat,muss man darüber reden, ob manGrenzen zieht.Braun: Also dann auch durch Gesetze?Beck: Dann auch. Aber, wie gesagt,ich bin <strong>der</strong> Letzte, <strong>der</strong> in diesem Bereichnach Gesetzen ruft. Im Gegenteil,ich habe in den medienpolitischenGrundthesen und Fragestellungenals Aufgabenstellung für dieRundfunkkommission, die ich mirvon <strong>der</strong> letzten Ministerpräsidentenkonferenzerbeten habe, eine Passagedrin, die auch auf europäischerEbene, Stichwort EuropäischeFernsehrichtlinie, die Möglichkeitsucht, die Eigenverantwortung zustärken, sie aber auch einzufor<strong>der</strong>n.Braun: ,Big Brother‘ ist ein Show-<strong>Format</strong>. Jetzt gibt es aber die Tendenz<strong>der</strong> „Big Brotherisierung“, d.h.eine von vielen Kritikern beobachteteVerflachung des Gesamtprogramms.Teilen Sie die in letzter Zeitgerade auch aus Bildungskreisen formulierteKritik am Qualitätsverlust<strong>im</strong> deutschen Fernsehen, nicht nurbei den Privaten, son<strong>der</strong>n vor allembei den Öffentlich-Rechtlichen?Beck: Ich würde das gerne differenziertbetrachten, weil ich erlebe auch45


an einer Reihe von Stellen, dass mansich um Qualität bemüht, dass mansich um Verantwortung bemüht.Man muss ja <strong>im</strong>mer beide Seiten sehen,sonst zeichnet sich automatischein schiefes Bild.Braun: Sehen Sie eine Boulevardisierungin den Nachrichten?Beck: Also da sehe ich best<strong>im</strong>mteTendenzen, aber ich glaube, dassman darüber diskutiert hat und daauch wie<strong>der</strong> bewußter geworden ist.Eine Darstellung <strong>der</strong> Nachrichtensendungenin einer etwas offenerenForm, also nicht diese Verlautbarungenvon höchster Stelle, das halteich nicht für einen Tabuverstoß,son<strong>der</strong>n für eine vernünftige Entwicklung,bei <strong>der</strong> wir mitgehen können.Ich habe mir einmal <strong>im</strong> japanischenFernsehen Nachrichten angeguckt,zwar kein Wort verstanden,aber die Tatsache, dass zwischen je<strong>der</strong>Sendung irgendwelche Leute daherumgekaspert haben, das muss ichsagen, habe ich nicht gerade als begeisterndund als anregend gesehen.Braun: Im deutschen Fernsehen würdeIhnen jetzt kein Beispiel einfallen?Beck: Mir fällt schon das eine o<strong>der</strong>an<strong>der</strong>e ein,unter dem Motto: Ich gebGas, ich will die Spaßmentalität. Daspürt man natürlich – ohne dass ichda <strong>im</strong>mer mit den Fingern auf diePrivaten zeige – schon Entsetzliches.Wenn da irgendein Ereignisaus <strong>der</strong> Showszene als erste Meldungkommt, an einem Tag, an dem inJapan ein neuer Ministerpräsidentgewählt wird und diese Meldung gerademal noch so als siebte, als Kurzmeldungdran gehängt wird, dannfragt man sich, ist das <strong>der</strong> richtigeWeg? Damit bekommt man sichermehr junge Leute vor den Fernseher,aber ob das die verantwortlicheArt und Weise ist, mit solchen Sendungenumzugehen, weiß ich nicht.Braun: Aber Sie haben jetzt keinekonkrete Kritik am Öffentlich-Rechtlichen o<strong>der</strong> an dem, was vielleichtauch die Zukunft des Öffentlich-Rechtlichensein könnte?Beck: Also es gibt sicher auch einenAnpassungsdruck, den die Öffentlich-Rechtlichenaufgenommen haben,weil man Einschaltquotenbraucht. Ich verüble es den Leutennicht, dass sie sich fragen, wer gucktuns denn zu, wie kommen wir dennan mit unseren <strong>Format</strong>en? Da ist sicherauch manchmal nicht mehr alleindie journalistische SorgfaltspflichtMaßstab, für das, was in einerNachricht o<strong>der</strong> in einer Hintergrundbeleuchtenden Sendung o<strong>der</strong>einer aktuellen Sendung mit drin ist,46


aber es gibt sicher noch einen, dassagen einem auch die Studien, einenqualitativen Unterschied, in dem,was die Öffentlich-Rechtlichen <strong>im</strong>informativen Teil ihrer Programmesenden. Ich wollte noch eins sagendürfen: Ich will auch nicht so verstandenwerden, dass leichte lockereSendungen ohne einen tieferen Anspruchkeine Platz haben sollen. Ichhabe nichts gegen eine Schlagerparade,ob sie mir gefällt, ist ja eineganz an<strong>der</strong>e Frage, ich muss sie janicht gucken. So etwas würde ichnicht mit Naserümpfen und hochnäsigsagen: Das darf jetzt nicht dagesendet werden, weil das ist ja nichtanspruchsvolle Kultur. Aber wenndie Maßstäbe, die in <strong>der</strong> Realität gelten,<strong>im</strong> Fernsehen völlig über Bordgeworfen werden, dann fragt mansich, ob wir nicht auf einer schiefenEbene sind und ich meine, dann istman auf einer schiefen Ebene. Dagibt es natürlich das weite Feld <strong>der</strong>Freiheit, <strong>der</strong> Kultur, da muss manaufpassen, dass nicht Zensur dannan diese Stelle tritt, deshalb sage ich,es geht <strong>im</strong>mer in erster Linie darum,die Eigenverantwortung einzufor<strong>der</strong>n.Wir haben so viel Freiheit <strong>im</strong>Bereich des Journalismus, zumindestbei denen, die sich verantwortlichzeichnen für die einzelnen Sendungen,bei den einzelnen Journalistensind es ja lei<strong>der</strong> oft an<strong>der</strong>s aus,aber wir haben so viel Freiheit, damuss auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Waagschaleauch die Verantwortung eingefor<strong>der</strong>twerden, die dieser Freiheit entspricht.Braun: Apropos, es gibt einen alten,aber <strong>im</strong>mer noch gültigen Satz vonAdorno, <strong>der</strong> heißt: “Der Zuschauerhat das Recht, nicht betrogen zuwerden, auch wenn er betrogen werdenwill!” Glauben Sie, dass die Öffentlich-Rechtlichenvon diesemRecht genug Gebrauch machen?Beck: Ich nehme an, dass es überwiegendnoch so ist, dass man sich überwiegendum Verantwortung bemühtund insoweit glaube ich, dass wirjetzt noch keinen Grund haben,Alarm zu schlagen, aber wir müssenauch was das Öffentlich-RechtlicheFernsehen angeht, aufmerksam sein.BraunAlso insgesamt haben Sie ein positiveresBild <strong>der</strong> Medien als das Bild,das heute Morgen sozusagen vonden Fernsehmachern gezeichnetwurde. Sie sind eigentlich positivskeptisch, wenn ich das mal so sagendarf.Beck: Ja, ich bin nicht hoffnungslos,dass wir das noch vernünftig in denGriff kriegen können. Man muss dieDinge <strong>im</strong>mer relativ sehen. Wennich irgendwo <strong>im</strong> Ausland bin unddort einmal ins Fernsehen schaue47


und diese dort gesammelten Erfahrungen<strong>der</strong> letzten Jahre vergleiche,dann muss ich sagen, bin ich wie<strong>der</strong>relativ zufrieden, wenn ich he<strong>im</strong>komme.Braun: Sie haben in <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzungum „Big Brother“ gesagt,die Sen<strong>der</strong> sollten nicht jeden Mistmitmachen. Dasselbe könnte manauch Politikern empfehlen.Wenn Jenny Elvers ihren Bauch indie Kamera zeigt, dann ist das einlästiger Exhibitionismus. Wennaber die Jenny Elvers <strong>der</strong> FDP,Guido Westerwelle, sich in denContainer setzt, dann hat das einean<strong>der</strong>e Bedeutung. Meine Frageist: Welche Verän<strong>der</strong>ung für dieDarstellung <strong>der</strong> Politiker haben eigentlichsolche Sendungen wie„Big Brother“? Was bedeutet dieseArt von Medienpräsenz, in <strong>der</strong>die Politiker nicht mehr mit <strong>der</strong>guten alten argumentativen Rhetorikzu überzeugen versuchen,son<strong>der</strong>n nur noch durch ihre Präsenz.Nach dem Motto: sag einfachDu zu mir. Wären Sie auchreingegangen?Beck: Nein, ich wäre sicher nichtreingegangen. Ich hatte <strong>im</strong> übrigeneine Einladung.Braun: Warum sind Sie nicht gegangen?Beck: Weil ich da die Grenzen seheund man sich eben nicht missbrauchenlässt. Ich habe mich schonschwer getan mit <strong>der</strong> kritischenDiskussion, weil ich mir bewusstwar, dass ich denen durch die kritischeDiskussion auch Hasen inden Stall treibe. Aber die Diskussionmusste sein, gerade für jemanden,<strong>der</strong> für die Medienpolitik mitverantwortlichist. Aber sich dahinzuhocken und damit dem Tabubruchnoch ein Stückchen persönlichenVorschub zu leisten unddann noch zu meinen, man könntedas differenziert darstellen, zumindesthinterher zu behaupten, manhabe das so gewollt – das ist glaubeich nicht schlüssig. Das glaubeich, ist nicht schlüssig und darauswird keine vernünftige Verhaltensweise.Aber für Herrn Westerwelleo<strong>der</strong> für Herrn Möllemann übernehmeich keinerlei Verantwortung.Braun: <strong>Die</strong> haben dadurch einenenormen Zuwachs an Popularitätbekommen, vor allen Dingen beiden jungen Leuten.Beck: Das macht einen traurig.Braun: Aber was bedeutet das für diePolitiker? Nicht nur die Medien verän<strong>der</strong>nsich, son<strong>der</strong>n auch die Politiker.48


Beck: Das ist wahr. Aber die Frageist natürlich auch, warum ist es spannend,eine Sendung mit denen zumachen. Es wäre auch schön, wenndie Medien dann auch die Kraft hätten,so etwas eben einfach nicht zusenden. Und wenn es <strong>der</strong> eine tut ..Braun: Um Gottes Willen. Warumsollten sie das. Das ist doch ein Superding,wenn <strong>der</strong> Westerwelle <strong>im</strong>Container sitzt.Beck: Das ist ja unser Problem, dasses zwischenzeitlich alles super Dingersind und am Ende ist die Gesellschafteben...Braun: Entschuldigung Herr Beck,verstehe ich Sie richtig? Soll dasFernsehen jetzt die Leute vor denPolitikern schützen?Beck: Sie kritisieren jeden Schritt, dendie Politiker gehen. Warum kritisierenSen<strong>der</strong> nicht auch solche Vorgehensweisen?Braun: Ich finde kritische Berichterstattunggegenüber Politikern eherselten.Beck: Das st<strong>im</strong>mt doch gar nicht. Siekritisieren doch jeden Schritt, denwir gehen. Es wird doch kaum einpositives Wort über politische Entscheidungenberichtet o<strong>der</strong> geschrieben.Also, jetzt lassen Sie mal dieKirche <strong>im</strong> Dorf. Es gibt kaum nochetwas Positives, nur das Negativewird berichtet. Was ich gar nicht bejammere.Ich denke, kritisches Fernsehen,kritische Journalisten habenauch ihre Aufgabe in unserer Gesellschaft.Und was Politiker <strong>im</strong>Container betrifft, hätte ich eingefor<strong>der</strong>t,dass man sich auch mit einemsolchen Verhalten ein bisschenintensiver auseinan<strong>der</strong>setzt undnicht nur mit dem Unterton einesSchmunzelns.Braun: Aber Herr Beck, es ist dochabsurd, wenn Sie for<strong>der</strong>n, dass dasFernsehen aus Jugendschutzgründenverhin<strong>der</strong>n soll, Westerwelle zuzeigen, wie er <strong>im</strong> Container sitzt.Beck: Das habe ich ja nicht gesagt.Ich habe gesagt, dass die verantwortlichenSen<strong>der</strong>, die einen an<strong>der</strong>en Anspruchformulieren, sich mit einersolchen Verhaltensweise auch malintensiv auseinan<strong>der</strong>setzen sollten –und zwar auf jugendgerechte Weise.Warum setzt sich ein Sen<strong>der</strong> wieSWR 3, nicht einmal mit einer solchenGeschichte kritisch auseinan<strong>der</strong>und nicht nur schmunzelnd undein bisschen jauchzend, was von denjungen Leuten, die den Sen<strong>der</strong> hören,sicher nicht als kritische Auseinan<strong>der</strong>setzungempfunden werdenkonnte. Das habe ich, weil ich das49


morgens unter <strong>der</strong> Dusche höre, zumindestso empfunden. Und da darfich doch einmal was einfor<strong>der</strong>n.Denn zurecht sagen Sie, verteidigtmal das öffentlich-rechtliche Fernsehenund den Rundfunk und dieGebühren. Ich bin gerade wie<strong>der</strong>dabei und lass mich besch<strong>im</strong>pfenund jetzt möchte ich auch einmal,dass Sie einmal das mit verteidigen,was die Werte sind, die öffentlichrechtlichenRundfunk vom Privatenunterscheiden, nach Ihrer eigenenLesart.Braun: Sendungen wie Big Brothersind in gewissem Sinne eine Farceauf die demokratischen Prinzipien.Sie spielen mit Begriffen wie Nominierung,Wahl, Kandidaten etc.Es ist kein Zufall, dass <strong>der</strong> englischeGewinner <strong>im</strong> Container beiseiner Wahl mehr St<strong>im</strong>men hatteals bei <strong>der</strong> letzten Unterhauswahlalle Konservativen zusammen.Wird es irgendwann so sein, dassdie demokratische Beteiligungübers TED, übers Fernsehen o<strong>der</strong>Internet die direkte Bürgergesellschaftablöst? Sehen Sie da ein Problem?Beck: Natürlich sehe ich ein Problem,wenn es so wäre, weil <strong>der</strong> Manipulationdann Tür und Tor geöffnetist. Da muss man versuchen, argumentativdagegen zu halten. Manmuss versuchen, Angebote zu machen.Wir müssen versuchen, einbreites Spektrum zu erhalten, unddeshalb bin ich durchaus dafür, dassöffentlich-rechtliche Sen<strong>der</strong> nichtzurückgeschnitten werden auf einbisschen Bildungsfernsehen und einbisschen Information, und es hatsich dann. Es müssen auch jugendgerechte<strong>Format</strong>e angeboten werden,damit man Leute bindet undversuchen kann, einigermaßen seriöseInformation eben auch an dieseZielgruppe heranzubringen. Sie solleneine Chance bekommen, sich selberentscheiden zu können und sicheine Meinung bilden zu können undsich positionieren zu können zuwichtigen gesellschaftlichen Themen.Das ist schon eine Aufgabe, undzwischen diesen Polen muss manhalt den richtigen Weg finden. Es istja nicht schwarz o<strong>der</strong> weiß an dieserStelle, son<strong>der</strong>n es gibt viele Schattierungendazwischen, in denen wir unsbewegen müssen.Braun: Herr Beck, jetzt wollte ich Siekonfrontieren mit einem Satz, miteiner Äußerung von <strong>Die</strong>ter Stolte,ZDF-Intendant. Davor wollte ichsie aber fragen, <strong>im</strong> Spiegel haben wiralle gelesen, dass Sie in Absprachemit Clement gesagt haben sollen, aufdie Ankündigung von Stolte, er könnesich eine Verlängerung seiner50


Amtszeit vorstellen, er sei wohlkaum <strong>der</strong> richtige Mann, um dasZDF in die Zukunft zu führen.St<strong>im</strong>mt diese Aussage o<strong>der</strong> st<strong>im</strong>mtsie nicht? Gestern in <strong>der</strong> Welt habeich gelesen, Sie wollten das nie gesagthaben. Haben Sie es gesagt o<strong>der</strong>nicht?Beck: Es hat dieses Gespräch zwischenWolfgang Clement und mirnicht gegeben, infolge auch nicht dieAussage.Braun: Ich habe gehört, dass <strong>der</strong> Redakteurvon <strong>der</strong> Medienseite desSpiegels auch da sein soll. Mich würdees wirklich interessieren. Ich meine,wie kommt so eine Nachrichtzustande?Beck: Das würde mich auch interessieren.Am Montag hatten wir Medienkommission<strong>der</strong> SPD des Präsidiumsund da war Wolfgang Clementdabei und viele an<strong>der</strong>e und wir warenbeide erstaunt. Ich hatte es zudiesem Zeitpunkt noch gar nicht lesenkönnen, dass es diese Meldunggibt. Also das Treffen hat es nichtgegeben.Braun: Das Treffen hat es nicht gegeben,aber die Äußerung schon?Beck: Nein,die Äußerung hat es auchnicht gegeben.Braun: Dort sitzt Hans-Jürgen Jakobsvom Spiegel. Herr Jakobs, wiehaben Sie die Meldung ins Blatt bekommen?War das einfach nurschlecht recherchierter Journalismus,pure Erfindung? Ist ein KörnchenWahrheit dran?Jakobs: Sie können davon ausgehen,dass wir uns bei allen Beteiligteninformiert haben. Ich habe nichtpersönlich mit Herrn Beck gesprochen,das ist richtig. Aber <strong>im</strong> Umfeldgab es Äußerungen, die eindeutiggleichlautend in diese Richtungzielen.Braun: Im Umfeld von Herrn Beckalso.Jakobs: Sie werden verstehen. Ichwürde das letzte Mal Informationenbekommen, wenn ich jetzt sage, mitwem ich gesprochen habe. Ich kannnur sagen, wir bleiben bei <strong>der</strong> Darstellung.Braun: Sie bleiben bei <strong>der</strong> Darstellung?Jakobs: Wir bleiben bei <strong>der</strong> Darstellung.Braun: Sie werden nicht dementieren?Jakobs: Warum sollen wir das dementieren.51


Braun: Weil Herr Beck sagt, esst<strong>im</strong>mt nicht.Jakobs: Wir haben ordnungsgemäßrecherchiert. Und wenn Sie <strong>im</strong> Frühjahrnochmals nachfragen, werdenwir in <strong>der</strong> Personalsache sicherlicherstaunliche Entwicklungen bemerkenkönnen.Braun: Herr Beck, jetzt bringe ich Siein Schwierigkeiten.Beck: Sie bringen mich gar nicht inSchwierigkeiten. Wenn über einTreffen berichtet wird, das es nichtgegeben hat, dann kann etwas nichtst<strong>im</strong>men. Also wieso bin ich dann inSchwierigkeiten. Das darf ja wohlnicht war sein, dass ich jetzt inSchwierigkeiten bin. Also jetzt hörenSie mal auf. <strong>Die</strong>se Art und Weise,die ist unmöglich.Braun: Sie sind deswegen in Schwierigkeiten,weil <strong>der</strong> Kollege sagt, dasUmfeld von Ihnen habe... er habeeindeutige Indizien dafür, aus IhremUmfeld, dass Sie so eine Äußerunggemacht haben könnten. Wenn iches richtig verstanden haben könnte.Ich glaube nicht, dass Sie deswegenin Schwierigkeiten sind.Beck: Also ich kann nur nochmalssagen, es hat kein Gespräch über dieseFrage zwischen Wolfgang Clementund mir gegeben. <strong>Die</strong>ses Treffenhat es nicht gegeben.Braun: Ok, das wissen wir.Beck: Ja, das wissen wir. Aber dasmuss man doch zugrundelegen,wenn daraus dann eine Meldung entsteht,dann muss etwas nicht st<strong>im</strong>menund zwar an <strong>der</strong> Meldung.Braun: Aber könnte das Umfeldst<strong>im</strong>men, dass diese Aussage ...?Beck: Dazu wollte ich Ihnen geradeetwas sagen, Sie haben mich ja nochnicht zu Wort kommen lassen. Ichwollte dazu gerade etwas sagen.Ich bin nebenbei noch Verwaltungsratsvorsitzen<strong>der</strong>dieser größtenFernsehanstalt Europas und habedamit auch Verantwortung. <strong>Die</strong> Beteiligtendort wissen, dass ich sorgfältigdarauf geachtet habe, daraufachten werde, erstens dass die Spielregeln,wie sie in den Staatsverträgenstehen, eingehalten werden, nämlichdass die Gremien und dann zumrichtigen Zeitpunkt eine solche Frageentscheiden. Und ich werde nie,we<strong>der</strong> be<strong>im</strong> ZDF noch <strong>im</strong> politischenBereich, jemanden <strong>der</strong> in einerAufgabe steht mit Äußerungeneiner solchen o<strong>der</strong> ähnlichen Artsozusagen zur Handlungsunfähigkeitbringen. Das muss man dochsehen. Ich habe eine ganz an<strong>der</strong>e52


Grundhaltung zur Verfahrensweisein solchen Fragen. Deshalb hat esmich auch so gewun<strong>der</strong>t. Insoweitgibt es überhaupt keinen Anlass. Eswäre wirklich für eine ein so großeAnstalt ein schwerer Fehler, wennman jemand an <strong>der</strong> Spitze hätte, überdessen Nachfolge o<strong>der</strong> Nichtnachfolgeeine Diskussion begonnenwürde. <strong>Die</strong>s ist nicht meine Art, mitPersonalien umzugehen. Das habeich noch nie gemacht und ich werdees auch nicht machen. Das ist, denkeich klar und eindeutig. Und wenn<strong>der</strong> richtige Zeitpunkt kommt, <strong>der</strong>wird auch nicht <strong>im</strong> Frühjahr gekommensein, <strong>der</strong> wird deutlich späterliegen, aber wenn <strong>der</strong> richtige Zeitpunktkommt, natürlich werde ichmich dann an einer solchen Diskussionbeteiligen. Dann ist sie angebrachtund dann bin ich auch einStück weit mit aufgerufen, als Mitgliedeines Gremiums, das zwarnicht unmittelbar entscheidet, weildas <strong>der</strong> Fernsehrat tut, aber dassman da eingebunden ist, in solcheEntwicklungen, das will ich überhauptnicht bestreiten.Braun: Also dürfte ich als schlichteFrau von <strong>der</strong> Straße sagen, <strong>der</strong> Spiegelhat ein bisschen recht?Beck: Das ist eine Faktenverdrehung,was Sie jetzt vornehmen. Ich habejetzt exakt das Gegenteil gesagt.Kurt BeckExakt das Gegenteil. Natürlich hater ein bisschen recht. Richtig ist, dassHerr Stolte in einem Alter ist, woman sich fragt, wird er nochmalskandidieren o<strong>der</strong> nicht. Das ist wahr.Insofern hat man <strong>im</strong>mer ein bisschenrecht. Das ist gar keine Frage.Und richtig ist auch, dass Herr StolteInterviews gegeben hat, die missverständlichhätten wahrgenommenwerden können. Das ist auch wahr.Braun: Dann komme ich zu dem Zitat,mit dem ich Sie kurz konfrontierenmöchte. <strong>Die</strong>ter Stolte sagte vorwenigen Tagen in einem Interviewanlässlich <strong>der</strong> Gebührenerhöhung,Zitat: Es gibt drei Legenden über53


den öffentlich-rechtlichen Rundfunk,die sich hartnäckig halten.1. Das Fernsehprogramm werde <strong>im</strong>merschlechter.2. Es gebe eine Konvergenz, alsoeine Annäherung zwischen öffentlichenund privaten Sen<strong>der</strong>n und3. Es gebe so etwas wie Selbstkommerzialisierung.Stolte hält alle drei Vorwürfe fürhaltlos. Und Sie, Herr Ministerpräsident?Beck: Ich habe ja vorhin etwas dazugesagt. Ich glaube nicht, dass dasFernsehprogramm <strong>im</strong>mer bessergeworden ist. Ich denke insoweit,dass man die Gefahr real sehenmuss. Dass man sich eher, ich sagemal, dem was man Zeitgeschmacknennen kann, vielleicht ein bisschenzu leicht neigt, an manchenStellen. Das gilt auch nicht durchgängigund das würde ich nicht fürjede Sendung o<strong>der</strong> für jeden Journalisten,für jeden Mo<strong>der</strong>ator sagen.Das ist eine ganz differenziert zubetrachtende Frage. Es gibt Sendungen,Sendeformate, an denenich Kritik habe und es gibt an<strong>der</strong>e,finde ich, die haben einen hohenAnspruch, manche einen eherwachsend hohen Anspruch an sichselber und sie werden dem auchgerecht. Das wollte ich damit deutlichmachen und ich bleibe dabei,dass ich mir herausnehme, dieDinge differenziert zu sehen.Braun: Punkt 2, es gebe eine Konvergenz,also Annäherung zwischenöffentlichen und privaten Sen<strong>der</strong>n?Beck: Das gilt auch für manche Bereiche.Wenn ich z.B. das ThemaSponsoring nehme in Abendsendungen,dann muss ich sagen, das isteine Art Konvergenz. Das ist zwarnicht Werbung, aber manchmal sinddie Unterschiede nicht mehr sodeutlich feststellbar. Ich bin garnicht gegen Sponsoring. Ich glaube,dass wir uns diese Einnahmequelleerhalten sollten, aber wenn man sagt,es wäre so etwas wie eine Konvergenzzwischen den Erscheinungsformen,dann glaube ich, guckt manüber etwas hinweg.Braun: Und dort, wo Sie diese Annäherungsehen, finden Sie das nichtso gut?Beck: In dieser Frage des Sponsoringssage ich ganz bewusst, ich haltedies für ein legit<strong>im</strong>es Mittel einezusätzliche Finanzierung zu bekommen.<strong>Die</strong> Grenzen müssen erhaltenbleiben. Es darf nicht überzogenwerden und ich finde es nicht mehrgut, wo man den Leuten ein X fürein U vormacht. Wenn ich ein Fußballspielsehe und in <strong>der</strong> Halbzeit-54


pause verlost eine Versicherung, irgendeinAuto o<strong>der</strong> eine Reise undje<strong>der</strong> weiß, es geht nicht um die Reise,o<strong>der</strong> um die Frage ob Völlerschon 80 Jahre ist o<strong>der</strong> erst 70 o<strong>der</strong>gerade 40, son<strong>der</strong>n eben die Versicherung<strong>im</strong> Vor<strong>der</strong>grund steht, dannsage ich, dann sollte man sich zueiner Sponsoringgeschichte bekennenund nicht das so hintenrum kaschieren.Braun: 3. Es gebe so etwas wieSelbstkommerzialisierung?Beck: Ich kann nur sagen, ich erwartevon einem Sen<strong>der</strong>, dass er natürlichin dem Sinne kommerziell handelt,dass man möglichst in vielenBereichen opt<strong>im</strong>iert und mit denBeitragszahlungen und mit den Gebührengel<strong>der</strong>so opt<strong>im</strong>al wie möglichumgeht. Wenn mit dem Begriffgemeint ist, dass eine Reihe vonAufgaben über privat-rechtlich organisierteTochtergesellschaften organisiertist, dann glaube ich, dassdies legit<strong>im</strong> ist. Man muss das nuroffenlegen, man muss wissen, wermacht was, unter welchen Bedingungenund wie ist das, was ebendort gemacht wird, kontrolliert.Wenn das so ist, warum kann mannicht Produktion und ähnlichesmehr mit privaten Firmen gemeinsamo<strong>der</strong> mit gemeinsamen Töchternfahren?Braun: Herr Beck, was halten Sievom System <strong>der</strong> Selbstkontrolle?Beck: Ich fände es gut, wenn sich ausden Rundfunkhäusern, aus <strong>der</strong> journalistischenVerantwortung herauseine Kontrolle entwickelte. So dassnicht von außen sozusagen einsachfrem<strong>der</strong> überhaupt nicht passen<strong>der</strong>Maßstab gesucht wird. Dasmuss dann schon ein Maß an Verbindlichkeithaben und ich glaubeauch, dass wir, wenn diese Dingenur hingeschrieben und nicht gemachtwerden, dass wir dann einSanktionsinstrumentarium zumindestandrohen sollten. Im übrigen,ich bin nach wie vor ein Anhängereiner Gruppe von erfahrenen Persönlichkeitenaus unterschiedlichengesellschaftlichen Bereichen, diesich mit solchen Fragen befasst,ohne dass sie direkt Einfluss hat,aber die mahnend hinweisend dieDiskussion mit prägen kannBraun: Herr Ministerpräsident beiden Medientagen in München dieseWoche hat Ihr Kollege Stoiber vorgeschlagen,dass man eine Vereinheitlichungdes Jugendschutzgesetzesmacht, was auch das Internet betrifft.Sind Sie da auch seiner Meinung?Beck: Ich bin nicht seiner Meinung,das ist meine Meinung.55


Braun: O.K. um so besser.Beck: Das darf ich in dem Fall sagen,weil er hat, und darüber habe ichmich sehr gefreut, exakt das in seinerRede vorgetragen, was ich <strong>der</strong>Ministerpräsidentenkonferenz inSchwerin vorgeschlagen habe. Es isteine seltene Einheit gewesen. Wirwerden mit dem Bund verhandelnmüssen und die Aufgaben klar abgrenzenmüssen. Meine Vorstellungist, dass wir den Bereich des Jugendschutzesgenerell bei den Län<strong>der</strong>nverorten. Wir können das auch. Wirhaben hier in Mainz die Aufgabeübernommen, über Jugendschutznetz,über automatische Filter, <strong>im</strong>Bereich Internet Jugendschutzverletzungenherauszufiltern. Wir gehenden Dingen auch konsequentnach, und ich möchte, dass <strong>der</strong> Bereich<strong>der</strong> <strong>im</strong> Bereich Mediengesetzeund <strong>der</strong> Teledienste sich abspielenkann, da wird ja vieles noch möglichsein, Stichwort: neue Frequenzmöglichkeitenetc, dass <strong>der</strong> eben an Kontrollenan den Bund gegeben wird,so dass ganz klar getrennte Zuständigkeitenda sind und wir insoweituns nicht fragen müssen, ist es jetztFernsehen o<strong>der</strong> ist es Point to Point-Angebot, was dann letztendlichBundeszuständigkeit o<strong>der</strong> Län<strong>der</strong>zuständigkeitbedeutet. Das versuchenwir zusammenzuführen. MeineVorstellung ist, und auch dassteht in dem Papier drin, dass wirdies bis zum Jahr 2003 geschafft habenwollen. Sagen mir einige, dauert56


viel zu lange, sehe ich auch, aber wirmüssen aufpassen, dass wir nichtRegelungen machen, die <strong>der</strong> Wirklichkeitsozusagen vorgreifen wollen,sie aber dann verfehlen. Deshalblasse ich mir in diesen Fragenlieber ein bisschen mehr Zeit undnehme den Vorhalt bewusst in Kauf,einer Entwicklung zu folgen, denn,wenn man ihr vorausgehen will... eshat sich soviel an<strong>der</strong>s dargestellt, alses noch in Mediendiskussionen vordrei Jahren dargestellt worden wäre.Man muss da also das „ein bisschenNachfolgen“ <strong>der</strong> rechtlichen Rahmenbedingungenin Kauf nehmen.Braun: <strong>Die</strong> letzte Frage, eine leichteFrage zum Schluss. Was ist IhreLieblingssendung ? Gibt es sowas?Beck: Meine Lieblingssendung? Gut,Nachrichtensendungen.Braun: Das gilt nicht.Beck: Das gilt nicht? O.K. Fußball.Mal einen guten Film, wenn es einengibt, meistens wird er dann so oftunterbrochen, wenn er bei den Privatenkommt, dass ich vor Wut ausschalte.Brau: Phönix schauen Sie ab und zu?Beck: Ich schaue Phönix fast jedeNacht noch einmal, häufig Zusammenfassungen,weil zu <strong>der</strong> Zeit sonstkeine Nachrichten mehr kommen.Braun: Wo Sie sich selbst manchmalauch sehen können, o<strong>der</strong>?Beck: Also, ich weiß nicht, wie esIhnen geht. Mir geht es <strong>im</strong>mer so,dass ich mir nie selber auf dem Bildschirmgefalle. Deshalb gucke ichnicht bewusst hin, es sei denn, manweiß nicht, was ist rausgeschnittenworden, von dem, was man gesagthat. Es interessiert mich schon, wiedie Botschaft war, die über denSchirm gegangen ist gegenüber <strong>der</strong>,die ich vermitteln wollte. Aber sonstguckt man sich, glaube ich, nichtgern selber an. Ich sehe gerne fern,das will ich deutlich einräumen. Vielleichtliegt es daran, dass ich seltenZeit habe, und deshalb ist die Lustnoch größer. Was ich toll finde, sindReiseberichte wie über den Baikalseeo<strong>der</strong> die Seidenstraße. Das sindhervorragende <strong>Format</strong>e, die michbegeistern, die ich auch mal aufzeichneund mir später noch einmalansehe.Braun: Also die Domänen des öffentlich-rechtlichenFernsehens.Herr Ministerpräsident, ich dankeIhnen sehr für das Gespräch undwünsche Ihnen alles Gute.Beck: Ich danke Ihnen.57


Hans Leyendecker<strong>Die</strong> moralische Macht <strong>der</strong> Medien –Was kann (investigativer)Journalismus bewirken?1. <strong>Die</strong> Parlamente versagen. <strong>Die</strong> demokratischeAufgabe <strong>der</strong> Kontrollewird häufig nur zum Schein wahrgenommen.Also muss <strong>der</strong> Journalistversuchen, den Part des Aufklärerswahrzunehmen.2. In Deutschland ist die Sparte <strong>der</strong>Rechercheure chronisch unterbesetzt.<strong>Die</strong> angebliche vierte Gewaltist oft nur viertklassig.3. Investigativen Journalismus, wieer in den USA ausgeübt wird, gibt eshierzulande nicht. Ein paar DutzendRechercheure arbeiten ohneApparat.4. <strong>Die</strong> Blätter sind voll mit Pseudo-Enthüllungen. Fortwährend wirdnichts Wesentliches enthüllt.5. Auch die Regierenden enthüllenselbst unerbittlich und schieben Exklusivesunterm Tisch durch, um<strong>der</strong>art die Medien zu steuern.6. <strong>Die</strong> Kohl-Affäre wäre ohne dieUntersuchungen durch die CDUnicht in vollem Umfang ans Lichtgekommen.58


Conny HermannJournalismus am Scheideweg: Farbebekennen – Service contra Aufklärung1. Nehmen die Journalisten vor demHintergrund ihrer Karriereabsichtendie Rolle wahr, die sie in einer Demokratiewahrnehmen sollten?Hat denn je<strong>der</strong> Journalist automatischKarriereabsichten? Das Gros<strong>der</strong> Journalisten wählt den Beruf,weil sie <strong>im</strong> Sinne <strong>der</strong> Demokratieberichten wollen. Ein verallgemeinern<strong>der</strong>,schlechter Ruf von Journalistenist unangebracht. Journalistenwerden von Politik und Wirtschaftgern ganz gezielt „eingesetzt“, umInformationen zu transportieren.Welche Informationen das sind,würden dieselben Interessengruppenund Personen aber am liebstenauch noch kontrollieren. <strong>Die</strong> Journalisten,die zuvor „benutzt“ wurden,werden anschließend angeklagt.2. Haben Sie eine Wächterfunktion undwofür haben Sie eine?Je<strong>der</strong> Journalist sollte sich selbstWächter sein für guten, sauberenJournalismus.3. Service contra Aufklärung. Aufdekkeno<strong>der</strong> Abbilden? Herzblut o<strong>der</strong>Scheckbuch?Bis auf das Scheckbuch hat alles seineBerechtigung und muss sich nichteinmal wi<strong>der</strong>sprechen.4. Ist die Zeit vorbei, Farbe zu bekennen,Position zu beziehen und Engagementzu zeigen?<strong>Die</strong> Quote ist zum ausschlaggebendenInstrument geworden. St<strong>im</strong>mtdie Quote, darf Farbe bekannt werdenauf Teufel komm raus.5. Gibt es einen positiven Begriff für Parteilichkeitvon Journalisten?Der negative Begriff wäre auf jedenFall, wenn Parteilichkeit mit Parteibuchverwechselt wird.6. Sollen Journalisten Anwalt sein?Journalisten sind nicht dazu da, Lesern,Zuhörern o<strong>der</strong> Zuschauern dasDenken abzunehmen. Aber schonallein durch die Auswahl des Inhaltsmacht sich ein Journalist automatischzum Anwalt. Berichtet ein59


Journalist über die menschliche undökonomische Katastrophe durch einMammutstaudammprojekt, machter sich natürlich zum Anwalt <strong>der</strong>betroffenen Menschen.7. Der Informationsberg wächst ständig,aber verliert dadurch <strong>im</strong>mer mehr anWert?<strong>Die</strong> Gefahr wächst, jedes beliebigeEreignis zur Information zu erheben.Durch die Konkurrenz <strong>der</strong> Sen<strong>der</strong>kann es sich kaum einer alleinleisten, nicht zu berichten, worüberdie an<strong>der</strong>en berichten.8. Kann man als Journalist noch Informationenbekommen, ohne dafür zubezahlen?Ja, natürlich. <strong>Die</strong> Welt und die Menschensind nicht so schlecht, wie siegemacht werden.9. Verschwindet die Moral aus den Medien?Tendenzen dazu sind zweifelsohnevorhanden.10. Alles nur noch Focus-Brei?Ist <strong>der</strong> Focus tatsächlich soschlecht? Es gibt be<strong>im</strong> öffentlichrechtlichenFernsehen eine ganzeReihe Sendungen mit klarem Profílund den berühmten Ecken undKanten. ML Mona Lisa gehört zudiesen Sendungen.11. Was war früher an<strong>der</strong>s als heute?Es hat keine Privatsen<strong>der</strong> gegeben.12. Wenn alles wichtig ist, ist dann allesauch egal?Wenn es tatsächlich so wäre, wäre<strong>der</strong> Satz richtig.13. Sind Leser, Hörer und Zuschauerüberinformiert aber unterorientiert?Mehr Wertediskussionen wärenganz sicher nicht fehl am Platz.14. Service contra investigativer Journalismus?Investigativer Journalismus warschon <strong>im</strong>mer <strong>der</strong> schwierigere Part.Trotzdem gibt es aller Service-Wutzum Trotz noch den ein o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>enJournalisten, den ein o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>enSendeplatz, auf dem investigativerJournalismus möglich ist. Allerdingsist die Palette journalistischerMöglichkeiten wesentlich breiterund bedeutet nicht nur Service o<strong>der</strong>investigativer Journalismus.60


Hans-Helmut KohlNach <strong>der</strong> Spendenaffaire –Nur Eitelkeit und Auflage o<strong>der</strong> Siegdes Journalismus?1. Ich habe Schwierigkeiten mit demTitel unseres Podiums: Nicht Eitelkeito<strong>der</strong> Auflage waren und sind Motivefür die intensive Berichterstattung,son<strong>der</strong>n Information und Aufklärungsowie Einordnung und Kommentierung.Deshalb denke ich auch nicht inden Kategorien Sieg o<strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lage,son<strong>der</strong>n messe den „Erfolg“ daran,ob die Leserinnen/Leser und Zuschauerinnnen/Zuschauerinformiert,aufgeklärt und mit <strong>der</strong> Kommentierungin die Lage versetzt wurden, eineigenes Urteil zu fällen.2. <strong>Die</strong>ses Ziel ist erreicht worden,wie die Debatte in <strong>der</strong> Union, die bisheute anhält, und auch die Umfragenin Hessen und bundesweit belegen.Das Wahlvolk hat sich diesesUrteil gebildet – allerdings darf es inHessen nicht entscheiden, weil dortseit dem Beginn des Spendenskandalsdie Landesregierung und die sietragenden Parteien mit allen MittelnNeuwahlen verhin<strong>der</strong>n (Stichworte:Wahlprüfung, Behin<strong>der</strong>ung des Untersuchungsausschusses,öffentlicheIrreführung usw.)3. Zu den Leitfragen: <strong>Die</strong> Qualitätszeitungenhaben mit ihrer intensivenBerichterstattung dafür gesorgt,dass Fakten aufgedeckt, Wi<strong>der</strong>sprüchenachgewiesen und Bewertungenmöglich wurden. Im Gegensatz zufrüheren „Skandalen“, die vor allemvon den Wochenendmagazinen angestoßenwurden, haben diesmal dieZeitungen mit ihren an sechs Tagenerscheinenden Berichten für einekontinuierliche und umfassendeAufklärung gesorgt.4. Der entscheidende Unterschiedzwischen den elektronischen undden Printmedien, die Wie<strong>der</strong>holbarkeit<strong>der</strong> Information an jedem Ortzu je<strong>der</strong> Zeit sowie die Verknüpfungvon Dokumentation, Berichtund Kommentierung inklusive <strong>der</strong>Hintergrundberichterstattung, istbei diesem Beispiel beson<strong>der</strong>s deutlichgeworden. TV und Hörfunk„versenden sich“, personalisierendie Affairen, schaffen wegen ihrerReichweite und Massenwirksamkeitjedoch von und gemeinsam mit denPrintmedien eine „Grundst<strong>im</strong>-61


mung“, die insgesamt als veröffentlichteMeinung gilt. „Bekenntnisse“wie die von Kohl und Schäuble laufendenKameras drehen die Affairenweiter und sind manches Malauch Wendepunkte, ihre Bedeutungwird aber erst in <strong>der</strong> folgenden ausführlichenBerichterstattung in denPrintmedien sichtbar. <strong>Die</strong> „Interviews“<strong>im</strong> TV – gerade von Protagonisten<strong>der</strong> Affaire – waren häufigSelbstdarstellungen, die journalistischenGrundanfor<strong>der</strong>ungennicht entsprachen, da die Kollegenals Stichwortgeber agierten.5. Das Verhältnis Politik und Journalismushat keine beson<strong>der</strong>en Än<strong>der</strong>ungenerfahren. <strong>Die</strong> Balance zwischen„Nähe“ (um an exklusive Informationenzu kommen) und „Distanz“(um die journalistischeGlaubwürdigkeit zu wahren) ist in<strong>der</strong> Regel eingehalten worden. <strong>Die</strong>Klagen <strong>der</strong> Politik über die Mediensind häufiger geworden – und diesist kein Fehler.6. Geradezu klassisch ist das Defizit<strong>der</strong> „historischen“ Berichterstattung:<strong>Die</strong> Einordnung in die Gesamtperspektiveunterbleibt, Wi<strong>der</strong>sprüchezu früheren Aussagen werdennicht aufgearbeitet, die Detail-Untersuchung fehlt, weil sie zu mühsamist und weil in <strong>der</strong> Zwischenzeitsowohl an<strong>der</strong>e Kolleginnen/Kollegenals auch an<strong>der</strong>e Redaktionen mitdem Thema befasst sind. Es fehltdie Kontinuität (personell und journalistisch),es fehlt <strong>der</strong> Wille, <strong>im</strong> Detailsicher zu sein, wenn nur dieSchlagzeile st<strong>im</strong>mt. Außerdem wendetsich das Interesse zu schnell an<strong>der</strong>en,leichter umzusetzenden Themenzu; Redaktionen diskutieren internzu schnell, ob sie ihrem Publikumweitere Informationen zu diesemThema („das nervt die Leutedoch nur“) noch zumuten könneno<strong>der</strong> wollen. Meinungsbeiträge orientierensich nicht an zuvor geäußertenEinschätzungen, son<strong>der</strong>n lediglichan dem jeweiligen aktuellenAufhänger.7. Hessen ist <strong>im</strong> Gesamtkomplexzentral, aber eben nur (siehe 6.) mitgenauer Arbeit und Detailkenntnissendarstellbar. <strong>Die</strong>s und die Tatsache,dass ständig neue Themen dargestelltwerden müssen, sorgt dafür,dass die nationalen/überregionaleMedien das Interesse verlieren.8. <strong>Die</strong> Bilanz fällt positiv aus. Ohnedie Medien wäre <strong>der</strong> CDU-Finanzskandalnicht öffentlich geworden.Justiz und parlamentarische Kontrollehätten die intensive Aufklärungsarbeitnicht geleistet – auchnicht leisten können. Deshalb heißtmein Motto angesichts dieses Vorgangsausnahmsweise: Weiter so!62


Thomas KröterThesen über Medien und Politik inBerlinBonn war nicht We<strong>im</strong>ar, aber Berlinist auch nicht Bonn. Der politischeJournalismus verän<strong>der</strong>t sich. Dashängt mit <strong>der</strong> Politik zusammen,aber auch mit dem Journalismus.Vor allem mit dem Journalismus.<strong>Die</strong> Tendenz zur „Boulevardisierung“<strong>der</strong> politischen Berichterstattung,die es bereits in Bonn gab, istin Berlin noch stärker geworden. Obdiese neue Quantität auch dauerhaftzu einer neuen Qualität wird – dafürgibt es zumindest Anzeichen.Was heißt Boulevardisierung?• noch stärkere Personenzentriertheit• noch stärkere Konzentrationauf alles, was sich mit dem Wort„Streit“ belegen lässt (Debatten,Meinungsverschiedenheiten etc.gibt es praktisch nicht mehr)• klassische B-Themen ohne Distanz(jüngstes Beispiel: „Kokainauf dem Bundestagsklo“)• <strong>Die</strong> Sucht nach „Exklusivität“ –beför<strong>der</strong>t, aber nicht verursachtdurch den „Berliner Zeitungskrieg“.<strong>Die</strong> Magazine haben <strong>im</strong>merweniger, was nur sie haben;die Zeitungen haben ihnen denNachrichtenmarkt unterhalb <strong>der</strong>Großaffäre ziemlich geklaut.Wobei eine Nachricht schon dieMeldung <strong>der</strong> neusten Arbeitslosenzahlenam <strong>Die</strong>nstag ist, dieam Mittwoch ohnehin verkündetwürden.• „Exklusivität“ entsteht zum Teildurch „Bestechung durch Information“– die Quellen müssendann „geschont“ werden. Dasmacht die Journalisten noch einStück abhängiger von <strong>der</strong> Politik,weil zu selten reflektiertwird, dass die „Exklusivnachricht“Teil <strong>der</strong> Taktik des politischenAkteurs ist, <strong>der</strong> sie rausgelassenhat. Das gab es schonfrüher, aber die Quantität drohteben in eine neue Qualität umzuschlagen.<strong>Die</strong>se Tendenz führt dazu, dass auchdie klassischen, seriösen Medienmitmachen: Noch <strong>der</strong> kleinste Brosamenwird mit einem „Nach Infor-63


mationen des“ garniert, nicht um dieQuelle zu zitieren, son<strong>der</strong>n sich alsInhaber von Exklusiv-Informationenzu profilieren.<strong>Die</strong> Politiker <strong>der</strong> Regierung nutzendas natürlich (s. oben). Ihr Verhältniszur Journaille ist ansonsten vonähnlicher „Hochachtung“ geprägtwie das <strong>der</strong> vorigen – ob diese Verachtungschl<strong>im</strong>mer ist? Wie<strong>der</strong>vorlage.Zum Teil jedenfalls ist dasMisstrauen größer geworden – beigleichzeitig stärkeren Versuchen zurInstrumentalisierung.Von den neuen Themen wie „Biotechnologie“ist <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> inLeitartikeln die Rede – aber wirklicheKompetenz ist in den Korrespondentenbüroskaum vorhanden,etwa <strong>im</strong> Vergleich zur klassischen„Sachberichterstattung“ in <strong>der</strong> Wirtschafts-und Sozialpolitik.Festzustellen ist ganz sicher (s. oben)eine Verstärkung <strong>der</strong> Konkurrenz.Aber ob Wettbewerb auch wirklichzu einer Verbesserung <strong>der</strong> angebotenen„Ware“ führt o<strong>der</strong> ob nichtdie alte linke Kritik am Warencharakter<strong>der</strong> Nachricht neue Berechtigungbekommt? Einiges spricht dafür.Denn <strong>der</strong> Wettbewerb führt wenigerzum „Immer an den Leser denken“,son<strong>der</strong>n dazu, noch mehr alsfrüher schon hauptsächlich für dieKollegen o<strong>der</strong> die politische (publizistische)Community zu schreiben(o<strong>der</strong> zu senden). Soziologen nennendas ein selbstreferentielles System.64


Klaus WirtgenMoKoKo – Das Aussitzen geht weiterKann investigativer Journalismusbei <strong>der</strong> Aufdeckung politischer Affärenersetzen, was offensichtlichstaatliche Institutionen, ob Staatsanwaltschafteno<strong>der</strong> ein parlamentarischerUntersuchungsausschuss,nicht leisten o<strong>der</strong> nicht leisten wollen?<strong>Die</strong> vierte Gewalt als Kontrollinstanz– ist das ein Trost o<strong>der</strong> nureine Illusion für den engagiertenBürger? <strong>Die</strong>se Fragen drängen sichauf angesichts <strong>der</strong> bislang we<strong>der</strong> aufgeklärtennoch bewältigten CDU-Spendenaffäre. Länger als ein Jahrquält sich <strong>der</strong> Parlamentarische Untersuchungsausschussdes Bundestages,Licht in das Dunkel <strong>der</strong>schwarzen CDU-Kassen zu bringenund Einblick in jene Liste ominöserSpen<strong>der</strong>namen zu ergattern, die Ex-Kanzler Helmut Kohl eisern für sichbehält. Und zwar ohne Rücksichtauf Recht und Gesetz. Er hat seinEhrenwort zu einer Tugend stilisiert,die er sogar höher achtet als dasGrundgesetz. Einfach so.Mehr als 90 Zeugen hat <strong>der</strong> BerlinerAusschuss bis Ende März 2001 gehört.Ex-Bundeskanzler HelmutKohl, die zentrale Figur <strong>im</strong> CDU-Skandal um schwarze Kassen undanonyme Spen<strong>der</strong>, um Korruptionund Geldwäsche, wurde bis März2001 bereits dre<strong>im</strong>al geladen. Aufgeklärtwurde nichts. Der Schadenfür die deutsche Parteiendemokratieist noch nicht absehbar. <strong>Die</strong> großeVolkspartei CDU schlitterte in dieschwerste Krise ihrer Geschichte.Weggefährten von Adenauersselbsternanntem Enkel, allen voranKohls Nachfolger als CDU-Vorsitzen<strong>der</strong>,Wolfgang Schäuble, beschmutztensich <strong>im</strong> Morast ungeklärterSpenden eines dubiosen Waffenhändlers.Integre Politiker wieHeiner Geißler und Norbert Blümzogen sich zurück. Sie mochtennicht länger als Weißwäscher beiDreckgeschäften herhalten. Ihrekritischen Anmerkungen zu dem Sittenverfall<strong>im</strong> eigenen Lager bliebenbislang die einzigen Lichtblicke <strong>im</strong>Dunkel <strong>der</strong> Skandale um die schwarzenKassen <strong>der</strong> Bundes-CDU undihres hessischen Landesverbandes.<strong>Die</strong> Fragesteller <strong>im</strong> Ausschuss, <strong>im</strong>merhinfrei gewählte Abgeordnete,65


mussten sich von Kohl aufs heftigstebesch<strong>im</strong>pfen lassen. Er verweigertejegliche Aussage und blähtesich stattdessen regelmäßig vor laufendenKameras als unschuldig Verfolgterauf. Treue Anhänger genossendas extra – endlich mal wie<strong>der</strong>ein O-Ton von ihrem Idol.Aussagen werde er nur vor Staatsanwälten,hatte Kohl getönt. SeineEmpörung über die Fragerei <strong>im</strong>Ausschuss beeindruckte offensichtlichsogar Bonner Staatsanwälte undRichter, die gegen Kohl <strong>im</strong>merhinmonatelang wegen Betrugs und Beihilfezum Betrug ermittelten. Sie befandenes nicht einmal für nötig, denAltkanzler auch nur einmal persönlichvorzuladen. Sie gaben sich mitdem Schriftsatz seines Anwaltes zufrieden.Der vermochte vor allemmit dem Argument zu beeindrucken,sein Mandant sei schließlich <strong>der</strong>Kanzler <strong>der</strong> Einheit und ein großerEuropäer. Ermittlungen gegen Kohlwegen Steuerhinterziehung wurdenvon <strong>der</strong> Staatsanwaltschaft Kaiserslauterneingestellt noch ehe die Anzeigegegen den Altkanzler richtiggeprüft war. Der hessische MinisterpräsidentRoland Koch durfte sichsogar <strong>im</strong> Licht eines Kommunalwahlerfolgesin Hessen sonnen, weiler – stur wie sein Vorbild Kohl –eine <strong>der</strong> übelsten Politaffären <strong>der</strong>Nachkriegszeit einfach ausgesessenhat. Es ist daran zu erinnern, dass<strong>der</strong> Schatzmeister von Kochs CDU-Landesverband seine dunklen Geschäftemit <strong>der</strong> Lüge zu kaschierenversucht hatte, die schwarzen Millionenstammten aus „jüdischenVermächtnissen“. Alles schon weitweg. Quo vadis, Bundesrepublik?Unbestreitbar hat die Affäre für einengewaltigen Medienwirbel gesorgt,vergleichbar <strong>der</strong> Berichterstattungüber Skandale wie „ Flick“ und„Neue He<strong>im</strong>at“. Nahezu täglichsorgten Schlagzeilen über neue Aktenfundeund Enthüllungen überbislang unbekannte Connections fürSchlagzeilen und Auflage. Und esst<strong>im</strong>mt auch, dass <strong>im</strong> Genre „Tageszeitungen“mehr über den Fall Kohlund seine Verästelungen berichtetwurde als in früheren Zeiten. Bislangreklamierten die Magazine dieExklusivität des investigativen Journalismusfür sich – nachdem diesesschillernde Prädikat aus <strong>der</strong> „Watergate“-Affäreauch Eingang in dieWelt <strong>der</strong> deutschen Medienschaffendengefunden hat. Der EichstätterMedienwissenschaftler WalterHömberg meint zu Recht, es seiendiesmal „nicht die alten investigativenLeitmedien wie Spiegel o<strong>der</strong>Stern“ gewesen, „son<strong>der</strong>n die Tageszeitungen,die sehr viel aufgedeckthaben“. Bei genauerem Hinsehenscheint mir dieses Phänomen in ersterLinie mit dem Wechsel eines66


erfahrenen Magazin-Rechercheursins Tageszeitungsgeschäft begründet.Der Regelfall sah so aus: Wenndie Süddeutsche o<strong>der</strong> auch Stern undSpiegel, später schloss die Zeit auf,wie<strong>der</strong> über neue Aktenfunde undZusammenhänge berichteten, zogenviele an<strong>der</strong>e Gazetten nach. Mehrkommentierend als enthüllend. Dortsitzen nicht etwa die schlechterenRechercheure, aber in diesen Redaktionenverweigern die Verleger in <strong>der</strong>Regel Etats, die aufwendige Recherchenund das Abstellen guter Kräftefür langfristige Projekte erlauben.Auffallend war allerdings, dass sichauch konservative Blätter ins Getümmelstürzten. Doch die Indizienzu Kohls Verstrickungen, die Wi<strong>der</strong>sprüche,in die sich <strong>der</strong> pedantischeWolfgang Schäuble und die irrlichterndeEx-Schatzmeisterin BrigitteBaumeister über ihre Kontakte zumWaffenhändler Schreiber verstrickten,waren zu explosiv. Sie ließen sichnicht mehr kaschieren, geschweigedenn ignorieren. Entscheidend fürdie scheinbare Öffnung deutscherRedaktionen über alle ideologischenGrenzen hinweg waren jedoch tiefgreifendeÄn<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> Machtstruktur<strong>der</strong> Union. Helmut Kohl warnicht mehr Kanzler. Der Kontrollapparat<strong>im</strong> damaligen Bonner Kanzleramt,<strong>der</strong> den Informationsfluss bishin zur Reisebegleitung des Kanz-67


lers nach politischem Wohlverhaltenund Geneigtheit <strong>der</strong> Chefredakteureselektiert hatte, existierte nichtmehr. Kohl hatte keine Macht mehr,seine Affäre war nur noch gut fürSchlagzeilen und Auflage. Hinzukommt: es waren Unionschristen,die das erste Licht in die dunklenGeschäfte brachten. Sie lösten Fesseln,die Kohls Parteigänger in denMedien früher ihren Mitarbeiternangelegt hatten. Der ehemalige GeneralsekretärHeiner Geißler, <strong>der</strong> biszu seinem Rauswurf <strong>im</strong> Jahre 1988<strong>im</strong> Bonner Konrad-Adenauer-Hausregierte, bestätigte die Existenzschwarzer Kassen. Und die graueEminenz am Geldhahn <strong>der</strong> Union,<strong>der</strong> Frankfurter WirtschaftsprüferWeyrauch, schrieb die Details seinerjahrelangen Finanzakrobatik auf.Kohl wollte das Dokument verbergen,sein Nachfolger Schäuble fühltesich hintergangen – und Bildmachte das brisante Geständnispublik.Frühere Berichte, vor allem <strong>im</strong> Spiegel,über Weyrauchs Treiben, überschwarze Kassen aus, denen HelmutKohl Ende <strong>der</strong> achtziger Jahre freihändigan <strong>der</strong> Partei vorbei für sichwerben konnte, waren von den Medienkaum zur Kenntnis genommenworden. Wie gesagt, damals warKohl noch Kanzler – und dazu noch<strong>der</strong>jenige <strong>der</strong> Einheit.Bis hinein in die sogenannte linksliberaleSzene, bis in die Redaktiondes Spiegel, genoss Helmut Kohl inden neunziger Jahren Schutz. Werdagegen aufbegehrte, wurde aufgeklärt,die neue Zeit nicht erkannt zuhaben. Und überhaupt habe <strong>der</strong> Leserdie Nase voll von <strong>der</strong> Wühlerei<strong>im</strong> Schmutz <strong>der</strong> Wahrheit. Was jenevirtuelle Lichtgestalt namens „Leser“wünscht, entsprach in diesenDiskussionen auf den oberen Redaktionsetagenmeist den Interessen<strong>der</strong> Hierarchen.Inzwischen hat sich die Aufgeregtheitin den Medien wie<strong>der</strong> gelegt.Nachdem eine Staatsanwaltschaftnach <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en passt, nachdem<strong>der</strong> Berliner Ausschuss monatelangauf <strong>der</strong> Stelle getreten ist, hat sichauch die scheinbar so investigativeAufbruchst<strong>im</strong>mung gelegt. „<strong>Die</strong> Leutekönnen es nicht mehr hören“, diesesArgument dämpft jeden Anfallneuer Recherchierwut bei vielenJournalisten. Bei den hessischenKommunalwahlen und den Urnengängenin Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberghat die CDU-Schwarzgeldaffäre schon keine Rollemehr gespielt, we<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Wahlkabinenoch in <strong>der</strong> Wahlberichterstattung.„MoKoKo“, das Modell Kohl/Koch, Beispiel für Aussitzen, ruhtund lebt weiter – in den Archiven <strong>der</strong>Tageszeitungen und Magazine.68


Walter HömbergForum, Bühne, BeichtstuhlZur Rolle <strong>der</strong> Medien in <strong>der</strong> Parteispenden-AffäreKritik und Kontrolle – diese siamesischenBegriffszwillinge werdenmeist als erstes und zudem am häufigstengenannt, wenn Journalistennach ihrem Aufgabenverständnisgefragt werden. Auch wenn sich faktischdie Berufsrolle <strong>im</strong>mer mehr inRichtung Informationsvermittlung,Ratgeber- und Servicefunktion sowieUnterhaltung verschoben hat –<strong>im</strong> Selbstbild hat die Wächterfunktionihren Spitzenplatz behalten.Manche Berufsvertreter bemühen indiesem Zusammenhang gern denTerminus „Vierte Gewalt“, <strong>der</strong> dieMontesquieu’sche Trias von Exekutive,Legislative und Judikative ergänzensoll.Auch wenn die Medien in Umbruchzeitendann und wann tatsächlichdiese Rolle gespielt haben – eine solcheAufgabenzuschreibung bleibtvordemokratisch und ist in mo<strong>der</strong>nenVerfassungsstaaten normativnicht verankert. Allerdings: Wenndie an<strong>der</strong>en Gewalten versagen,übernehmen die Medien kompensatorischeLeistungen – <strong>der</strong> Journalistwird vom Aufklärer zum Aufdecker,und bisweilen mutiert er sogar vomDetektor zum Detektiv.Manche politischen Regelverletzungenhaben die Medien in den letztenJahrzehnten hierzulande aufgedeckt:<strong>Die</strong> Stichworte Flick, Neue He<strong>im</strong>atund Barschel mögen als Beispielegenügen. Hier hatten sich jeweilsbest<strong>im</strong>mte Leitmedien hervorgetan– beson<strong>der</strong>s politische Magazinewie „Der Spiegel“, das selbsternannte„Sturmgeschütz <strong>der</strong> Demokratie“(Rudolf Augstein). Auch dieaktuelle Spendenaffäre <strong>der</strong> CDUbewegt sich in <strong>der</strong> Grauzone zwischenWirtschaft und Politik. ImUnterschied zu vorangegangenenSkandalfällen spielten allerdingsganz an<strong>der</strong>e Medien bei <strong>der</strong> Aufdeckungtragende Rollen: einerseitsdie Tageszeitungen, an<strong>der</strong>erseitsdas Fernsehen.Zeitungen als ForumBerichten die Tageszeitungen mitüberregionalem Anspruch gemäßihrer politisch-weltanschaulichen69


Grundhaltung? Sind Blätter, die alslinksliberal eingeschätzt werden, kritischerin <strong>der</strong> Bewertung <strong>der</strong> Affäreals eher konservative Zeitungen?Das waren die Leitfragen einer Inhaltsanalyse,die eine studentischeArbeitsgruppe am Journalistik-Studiengang<strong>der</strong> Universität Eichstättdurchgeführt hat. Unter Leitung vonRalf Hohlfeld wurden „FrankfurterRundschau“ (FR), „SüddeutscheZeitung“ (SZ), „Frankfurter AllgemeineZeitung“ (FAZ) und „<strong>Die</strong>Welt“ über einen Zeitraum vonzwölf Wochen untersucht.<strong>Die</strong> quantitative Bestandsaufnahmezeigt zunächst eine erstaunlicheÜbereinst<strong>im</strong>mung bezüglich Häufigkeitund Platzierung <strong>der</strong> Beiträge.Zwischen dem 3. November 1999und dem 22. Januar 2000 erschieneninsgesamt 932 Artikel zum Parteispenden-Skandal:<strong>Die</strong> „Süddeutsche“lag mit 261 vorn, dicht gefolgtvon <strong>der</strong> „Welt“ mit 244, schließlichvon „FAZ“ mit 221 und „FR“ mit206 Beiträgen. Das Thema stand fast<strong>im</strong>mer auf den ersten Seiten, beherrschteden Politikteil und dienteoft als Aufmacher.Während Tageszeitungen sonst häufigam Tropf <strong>der</strong> Nachrichtenagenturenhängen, ergab sich hier ein an<strong>der</strong>esBild: Fast 92 Prozent warenEigenbeiträge, und sie beruhten vorwiegendauch auf eigenen Recher-70


chen. Weitgehende Übereinst<strong>im</strong>mungauch bei den behandeltenThemenaspekten. Im Vor<strong>der</strong>grundstanden bei allen Blättern die Verstößegegen rechtliche Normen sowiedie moralisch fragwürdigen Machenschaften<strong>der</strong> Akteure. Während„FR“ und „SZ“ daneben beson<strong>der</strong>sden Betrug am Wähler herausstellten,thematisierten „FAZ“ und„Welt“ stärker die Schädigung <strong>der</strong>eigenen Partei durch die Hauptbeschuldigten.Bei <strong>der</strong> Bewertung <strong>der</strong>aufgedeckten Tatbestände überwiegennegative Urteile bei allen Zeitungen– am stärksten bei jenen Blättern,die als linksliberal gelten.<strong>Die</strong> investigativen Leistungen warenunterschiedlich, aber alle untersuchtenTitel haben sich hier engagiert:voran die „Süddeutsche Zeitung“ (alleinHans Leyendecker schrieb <strong>im</strong>genannten Zeitraum 115 Beiträgezum Thema), aber auch „<strong>Die</strong> Welt“(sie hat z. B. die Aussagen LeislerKieps aus den Akten <strong>der</strong> Staatsanwaltschaftzuerst zitiert). Ein Fazit<strong>der</strong> Studie: „In <strong>der</strong> Gesamtschau betrachtet,haben linke und rechte Blätterbei <strong>der</strong> Aufdeckung und Begleitungdes Skandals ähnliche Schwerpunktegesetzt. In dieser Hinsicht istdie linksliberale Presse nicht wesentlichkritischer gewesen: Alle Qualitätszeitungensind gleichermaßen aufDistanz gegangen.“<strong>Die</strong> Berichterstattung zur Parteispendenaffärehat gezeigt, dass sichhierzulande <strong>der</strong> Typ <strong>der</strong> Forumspresse<strong>im</strong>mer stärker durchgesetzthat. Zwar lassen sich durchaus gewisse„Färbungen“ unterscheiden,aber <strong>der</strong> Typ <strong>der</strong> Lagerpresse, <strong>der</strong>sich best<strong>im</strong>mten Parteien, Verbänden,Wirtschafts- und Gesellschaftsgruppenverpflichtet fühlt,ist passé.Das war nicht <strong>im</strong>mer so. Noch währenddes Flick-Skandals gab es Medien,die sich auf die eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>eSeite schlugen. Ganz zu schweigenvon <strong>der</strong> We<strong>im</strong>arer Republik, woetwa die Hälfte <strong>der</strong> Tages- und Wochenzeitungenfest- bzw. grundrichtungsbest<strong>im</strong>mtwar: Sprachrohrblätter,<strong>der</strong>en monologische Grundstrukturzum Kommunikationskollaps<strong>der</strong> jungen Demokratie beigetragenund damit ihren Untergangbeför<strong>der</strong>t hat.Fernsehen als Bühne und BeichtstuhlNicht nur die Presse, son<strong>der</strong>n auch<strong>der</strong> Rundfunk hat aus den We<strong>im</strong>arerErfahrungen gelernt. <strong>Die</strong> Konsequenzwar die Etablierung <strong>der</strong> öffentlich-rechtlichenOrganisationsform– ein Rundfunk frei vonMarkt und Staat, gesellschaftlichkontrolliert, mit pluralistischerGrundstruktur. Nach meiner Einschätzunghaben die öffentlich-71


echtlichen Rundfunkanstalten sichinsgesamt um eine umfassende Berichterstattungbemüht und dabei –vor allem in Magazinen und Son<strong>der</strong>sendungen(ARD-Brennpunkt,ZDF-Spezial) – viele Hintergründeausgeleuchtet. Bei den Privatsen<strong>der</strong>nhat sich wie<strong>der</strong> einmal gezeigt,dass politische Information undAnalyse nicht zu ihren Stärken gehören.Großes Echo fanden insbeson<strong>der</strong>edie Exklusivauftritte von HelmutKohl <strong>im</strong> ZDF. Sie sind nicht ohneprofessionelle Kritik geblieben. Hattehier nicht ein Beschuldigter zugroßen Einfluss auf das „Setting“gehabt? Waren die Journalisten nichtpr<strong>im</strong>är Stichwortgeber? Vielleichtliegt es am Medium: Das Fernsehenist wohl eher eine Bühne, manchmalauch ein Beichtstuhl – und wenigerein Medium <strong>der</strong> Aufdeckung und<strong>der</strong> Analyse.Immerhin haben auch diese Sendungenneue Erkenntnisse gebracht: In„Was nun, Herr Kohl?“ hat <strong>der</strong> Ex-Bundeskanzler eingestanden, zwischen1993 und 1998 Spenden inMillionenhöhe illegal angenommenzu haben (ZDF, 16. Dezember1999). Und Wolfgang Schäuble hat<strong>im</strong> ARD-Programm eingeräumt,1994 eine Barspende des LobbyistenSchreiber persönlich entgegengenommenzu haben („Farbe bekennen“,10. Januar 2000).Gemischte BilanzWar die Berichterstattung über denSpendenskandal eine Sternstundedes Journalismus? Solche (Trivial-)Metaphern sind sicherlich unangemessen.Zweifellos haben journalistischeRechercheleistungen viel zurAufdeckung <strong>der</strong> Affäre beigetragen.Aber die Berichterstattung machteauch traditionelle und aktuelle Defizite<strong>der</strong> journalistischen Berufskulturdeutlich.• Personalisierung: Der ehemaligeBundeskanzler beherrschteSchlagzeilen und Bil<strong>der</strong> (ÜberlebensgroßHerr Kohl). Ersthochschreiben, dann nie<strong>der</strong>ziehen– auch dieser bekannte Mechanismusvon Prominenzerzeugungund Prominentensturzwar zu beobachten. MancheMedienleute haben menschlicheDistanz vermissen lassen (WolfgangSchäuble hat eindrucksvolldarüber berichtet). StrukturelleProbleme – wie die Parteienfinanzierung,die ja schon <strong>im</strong> Zentrumdes Flick-Skandals stand –wurden eher ausgeblendet.• Rudeljournalismus: Alle stürzensich auf dasselbe Thema. In denletzten Jahren haben sich dieThematisierungswellen ver-72


kürzt, und die wachsende Medienkonkurrenzhat gleichzeitigzum Anziehen <strong>der</strong> Reizschraubegeführt. <strong>Die</strong> Entwicklung istinternational, und sie hat unterschiedlicheGesichter: Sie reichtvom Paparazzijournalismus(Fall Lady Di) über den Pharisäerjournalismus(Clinton/Lewinsky)bis zum Prangerjournalismus(Selbstjustiz nach Kin<strong>der</strong>schän<strong>der</strong>-Maniein England).Das Paradox: Der <strong>im</strong>mer stärkereWettbewerbsdruck führtdazu, dass in diesen Konsonanzwellendie Medien sich mit möglichstvielen „Exklusiv“-Happenhervortun wollen. Da fragt mandann auch nicht groß nach <strong>der</strong>Seriosität <strong>der</strong> Quellen (Schreiber,Kanada). Im vorliegendenFall zeigte sich als beson<strong>der</strong>esProblem, dass die HauptakteureBeteiligte, Beschuldigte und Betroffenezugleich waren.• Recherchekapazität: Manche Mediensind hier schlecht gerüstet– etwa die privaten Rundfunksen<strong>der</strong>können durchweg kaummehr als Barfußjournalismusbieten (sie leben dann gern parasitärvom PR-Bereich, <strong>der</strong> mächtigaufrüstet). <strong>Die</strong> Qualitätsmedienhierzulande haben das erkannt– und in den letzten Jahrenihre Mann- und Frauschaftenzum Teil sogar deutlich verstärkt.Notabene: <strong>Die</strong> USA sindkeineswegs – wie bisweilen suggeriertwird – ein „Journalismus-Paradies“. <strong>Die</strong> horizontale, bereichsspezifischeArbeitsteilung<strong>im</strong> deutschsprachigen Journalismusmit seinem Ressort-Prinzip hat auch manche Vorteilegegenüber <strong>der</strong> vertikal geprägtenredaktionellen Organisationsstrukturin angelsächsischenRedaktionen, nach <strong>der</strong>Recherche-, Umsetzungs- undRedaktionstätigkeiten teilweiseo<strong>der</strong> vorwiegend getrennt sind.Allerdings sollte die klassischeRessortorganisation ergänztwerden durch flexible Organisationsmodelle– vor allemdurch die Bildung von Projektredaktionen,die aktuell als„task force“ eingesetzt und längerfristigauf komplexe Themenangesetzt werden können.Viele Punkte <strong>im</strong> Affärengeflechtsind bisher unaufgeklärt geblieben.Es besteht also kein Anlass zur Euphorie.Dennoch: In <strong>der</strong> Parteispendenaffärehaben die Medien ihre(kompensatorische) Rolle als Kritikerund Kontrolleure insgesamtüberzeugend gespielt. Man kann nurhoffen, dass sich dies von <strong>der</strong> ersten,zweiten und dritten Gewaltauch bald sagen lässt.73


Christoph O. MeyerEuropäische Politik ausser Kontrolle?<strong>Die</strong> Suche nach einer Europäischen Medienöffentlichkeitin Theorie und journalistischer Praxis 1Nicht Europa, aber die EuropäischeUnion ist unbeliebt. Schl<strong>im</strong>mernoch, die EU, ihre Institutionenund Akteure sind den meistenBesitzern des EU-Reisepassesfremd und suspekt. Indizien fürdiese These lassen sich regelmässigin Eurobarometerumfragen verfolgeno<strong>der</strong> in Gestalt eruptiver Referendumsvotenbei <strong>der</strong> Ratifizierungvon EU-Verträgen wie zuletzt inIrland o<strong>der</strong> vor rund zehn Jahre inDänemark. Kernelement des inLeitartikeln gern beklagten Legit<strong>im</strong>ätsdefizit<strong>der</strong> EU scheint ein tiefsitzendesMisstrauen zu sein. Inbreiten Teilen <strong>der</strong> Bevölkerungwird geargwöhnt, die in Brüssel,Strassburg o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Hauptstädtenverhandelnden Beamten,Politiker und Lobbyisten, verfolgtenlediglich ihr eigenen, recht unrepräsentativenInteressen und entschiedenüber die Köpfe <strong>der</strong> Bürgerhinweg, also ohne dass den BetroffenenMöglichkeiten <strong>der</strong> Kontrolleund Beeinflussung blieben.Wie gerechtfertigt dieser Vorwurf<strong>im</strong> einzelnen auch sein mag, so lässtsich doch kaum bestreiten, dass inund durch die EU Macht ausgübtwird – durch Verordnungen, Mitteilungenund an<strong>der</strong>en Formen europäischerGesetzgebung. Europarechtbricht nationales Recht. Unddie EU verwendet ihre Rechtssetzungskompetenzund öffentlichenMittel, um verschiedene Steuerungseffektezu erzielen, Handelshemmnisseabzubauen o<strong>der</strong> um best<strong>im</strong>mteGruppen und Län<strong>der</strong> fürWettbewerbsnachteile infolge <strong>der</strong>Integration von Märkten zu entschädigen.Zum Kreis <strong>der</strong> handelndenAkteure zählen nicht nur 15Mitglie<strong>der</strong> des Kollegiums <strong>der</strong> EU-Kommission und ihre 16.000 Beamten,son<strong>der</strong>n auch die EU-Parlamentarierund nicht zuletzt die nationalenMinister und Staatschefs,sofern sie in den Gemeinschaftsinstitutionenagieren. Einen kleinen,wenn auch nicht ganz unwichtigenEinfluss üben auch die Vertreter<strong>der</strong> Regionen und <strong>der</strong> Sozialpartneraus.74


In jedem Fall lässt sich aus <strong>der</strong> Kompetenzfülle,<strong>der</strong> Finanzierung ausSteuergel<strong>der</strong>n und den AuswirkungenEuropäischen Regierens auf dieBürger <strong>der</strong> EU die For<strong>der</strong>ung nacheiner öffentlichen Kontrolle sowohldes Regierungshandelns als auch <strong>der</strong>handelnde Akteure ableiteen. <strong>Die</strong>Kontrolle von Macht, gleich welcherNatur o<strong>der</strong> Zielsetzung, gehört zuden Kernfunktionen von Öffentlichkeitin Demokratien. PolitischeMeinungsbildung läuft ohne Informationenüber das Reden und Handelnpolitischer Mandatsträger entwe<strong>der</strong>leer o<strong>der</strong> lässt sich trefflichvon jenen lenken, die ein Interessean <strong>der</strong> Beeinflussung <strong>der</strong> öffentlichenMeinung haben. Nichtöffentlichkeitund Machtmissbrauch för<strong>der</strong>nsich gegenseitig und könnenden Wahlakt seiner Bedeutung entleeren.Bei <strong>der</strong> Recherche relevanterInformationen über Machtmißbrauchund <strong>der</strong> öffentlichen Artikulationvon Kritik spielen Medien eineHauptrolle. Doch gerade <strong>im</strong> Bereich<strong>der</strong> Medienkommunikation überEuropapolitik sehen Beobachter ausWissenschaft, Publizistik und inzwischenauch <strong>der</strong> Politik ein Problem.Muß sich nicht erst eine län<strong>der</strong>übergreifendeEuropäische Öffentlichkeitentwickeln, bevor man über eineVertiefung <strong>der</strong> Europäischen Unionnachdenken kann? Inwieweit ist dasÖffentlichkeitsdefizit dem vielbeklagtenDemokratiedefizit <strong>der</strong> EUvorgelagert, ja geradezu dessen Ursache?Wie lässt sich politische Öffentlichkeitjenseits des Nationalstaatesorganisieren? Und welcheRolle können und sollen die Medienbei <strong>der</strong> Herstellung von politischerMeinungsbildung und Kontrolle inEuropa spielen?<strong>Die</strong>ser Beitrag soll die wichtigstentheoretischen Positionen in <strong>der</strong> Debatteum die Funktion und Strukturvon Europäischer Öffentlichkeit erläuternund an <strong>der</strong> journalistischenPraxis messen. Am Beispiel des Korruptionsskandalsum die EU-Kommission1998/1999 soll gezeigt werden,dass sich die Bedingungen fürdie Entstehung transnationaler Öffentlichkeitverbessert haben, auchwenn es noch viele Hin<strong>der</strong>nisse fürdie Entstehung einer leistungsfähigenÖffentlichkeit <strong>im</strong> EuropäischenKommunikationsraum gibt. Dabeisind insbeson<strong>der</strong>e die Journalistengefor<strong>der</strong>t, sich den neuen Herausfor<strong>der</strong>ungenzu stellen.Legit<strong>im</strong>itäts- und Öffentlichkeitsdefizit<strong>Die</strong>se Frage nach <strong>der</strong> Existenz undLeistungsfähigkeit von EuropäischerÖffentlichkeit ist eng mit <strong>der</strong>Frage nach <strong>der</strong> Legit<strong>im</strong>ität <strong>der</strong> EuropäischenIntegration, ihrer Institutionenund Politiken verbunden.Beson<strong>der</strong>s in <strong>der</strong> deutschen Debatte,aber zunehmend auch darüber75


hinaus, wird die Position vertreten,dass die Demokratiefähigkeit <strong>der</strong>Europäischen Union direkt o<strong>der</strong> indirektvon <strong>der</strong> Entwicklung einerlän<strong>der</strong>übergreifenden politischenÖffentlichkeit abhänge. Eine solcheÖffentlichkeit sei aber, so wurdebeispielsweise vom ehemaligen Bundesverfassungsrichter<strong>Die</strong>terGr<strong>im</strong>m argumentiert, wegen <strong>der</strong> kulturellen,ethnischen o<strong>der</strong> sprachlichenHeterogenität in Europa zumindestauf absehbare Zeit nichtmöglich. <strong>Die</strong>ses Totschlagsargumenthat sich in <strong>der</strong> wissenschaftlichenDebatte als nicht tragfähig erwiesen.Zum einen lassen sich empirischdurchaus Beispiele für Öffentlichkeitenfinden, die sprachlich, religiöso<strong>der</strong> kulturell auf verschiedenenSäulen ruhen, es aber dennochschaffen, politische Meinungsbildung,Identitätsvermittlung undKontrolle <strong>im</strong> Rahmen eines Staateszu organisieren. <strong>Die</strong> Schweiz undKanada sind hier die einschlägigenBeispiele. Zum an<strong>der</strong>en ist Sprachekeine undurchlässige Mauer, son<strong>der</strong>nzu allererst ein Instrument zurVerständigung. Entscheidend istnicht pr<strong>im</strong>är, dass je<strong>der</strong> mit jedemsprechen muss, son<strong>der</strong>n dass dieMöglichkeit politischer Meinungsbildungauch über Sprachgrenzenhinweg gegeben ist. In mo<strong>der</strong>nenMassendemokratien ist Öffentlichkeitkeine Präsenzöffentlichkeit,son<strong>der</strong>n medial vermittelt. Mit an<strong>der</strong>enWorten: Ob und inwiefernSprachgrenzen auch zu Kommunikations-und Verständnisgrenzenwerden, hängt vor allem von <strong>der</strong> Fähigkeit<strong>der</strong> Medien ab, politische undan<strong>der</strong>e Diskurse in an<strong>der</strong>e Sprachräumezu übersetzen und zu vermitteln.Der Versuch, die Struktur nationalstaatlichverfasster Öffentlichkeiten,die auf einem relativ hohenGrad sprachlicher, ethnischer undkultureller Homogenität beruhen,auf die Europäische Ebene zu übertragen,birgt jedoch noch weitereGefahren. Zum einen ist ein solcherBlickwinkel ungeeignet, Entwicklungenabseits des nationalstaatlichenModells zu erfassen, diezwar zu an<strong>der</strong>en Strukturen führen,aber letztlich ähnliche Funktionsmerkmaleaufweisen. Zum an<strong>der</strong>enführt diese Vorgehensweise unweigerlichzu Defizitbefunden, unddamit zu einer normativen Überhöhungdes innerstaatlichen Statusquo gegenüber an<strong>der</strong>en Formendemokratischer Kontrolle und Meinungsbildung.<strong>Die</strong> Eingangsfragesollte also nicht sein, wie sieht einefunktionierende politische Öffentlichkeitaus, son<strong>der</strong>n was soll undwas kann sie leisten? Es geht alsoum, zumeist normativ begründete,Funktionserwartungen gegenüberöffentlicher Meinungsbildung <strong>im</strong>76


Europa <strong>der</strong> Europäischen Union.Hier kann zwischen zwei Zielenunterschieden werden:<strong>Die</strong> Schwäche einer identitätsstiftendenÖffentlichkeitErstens: Soll politische Öffentlichkeitdazu dienen, eine EuropäischeIdentität zu schaffen, zu för<strong>der</strong>no<strong>der</strong> zu stabilisieren? Damit ist meistein Gefühl von Gemeinschaft, Vertrauenund Zugehörigkeit gemeint,das es möglich macht, nationale o<strong>der</strong>regionale Interessen gegenüber Interessenvon Mehrheiten in Europanach dem Majoritätsprinzip zurückzustellen.Wenn dies die Frage ist,scheint die Antwort vorerst „Nein“zu lauten. Zu Recht wird festgestellt,dass es nur wenige Medienproduktegibt, denen es gelingt, die sprachlichenund kulturellen Barrieren desNationalstaates zu überwinden. <strong>Die</strong>seMedien, wie etwa die FinancialT<strong>im</strong>es o<strong>der</strong> die European Voice, sindfast ausschließlich englischsprachigund richten sich zumeist an einenrelativ kleinen, wenn auch stetig größerwerdenden, Kreis von Eliten. Esgibt noch keinen nennenswertenMarkt für Europäische Massenmedien.Auch eine Europäisierung nationalerÖffentlichkeiten ist problematisch,wenn darunter verstandenwird, dass nationale Medien Themenüberwiegend, wenn nicht gar ausschließlichvon einem europäischenBlickwinkel aus betrachten sollten.Massenmedien die kommerziell erfolgreichkommunizieren wollen,müssen dies <strong>im</strong> Bewusstsein desVorwissens, <strong>der</strong> Vorlieben und Vorurteileeines relativ breiten Zielpublikumstun. <strong>Die</strong> Annahme einerumfassenden Europäisierung diesertiefverwurzelten Eigenschaften undInterpretationsmuster ist zumindestmittelfristig offensichtlich unwahrscheinlich.Allerdings deuten Medieninhaltsanalysenauf eine deutlicheAusweitung <strong>der</strong> Berichterstattungüber EU-Politik hin. Noch weitgehendunklar bleibt die Forschungsfragenach einer zeitlichen und inhaltlichenAngleichung <strong>der</strong> europapolitischenBerichterstattung in verschiedenenLän<strong>der</strong>n. Es scheintThemen zu geben, wie etwa BSE,den Euro o<strong>der</strong> die Osterweiterung,die nicht nur in verschiedenen Öffentlichkeitengleichzeitig, son<strong>der</strong>nauch auf eine ähnliche Weise „gerahmt“werden. Auch wenn tragfähigeErgebnisse noch etwas auf sichwarten lassen, ist doch klar, dass echtetransnationale Debatten eher seltensind. Identitätsbildung undKommunikation finden <strong>im</strong> überwiegendenMaße weiterhin in nationaleno<strong>der</strong> regionalen Räumen statt.Das bedeutet auch, dass es schwerfallendürfte, zwischen regionaleno<strong>der</strong> gar nationalen Min<strong>der</strong>heitsundeuropäischen Mehrheitsinteres-77


sen zu vermitteln, ohne auf die Möglichkeit<strong>der</strong> Kompensation fürKompromisse, etwa durch Subventionenin <strong>der</strong> Landwirtschaft o<strong>der</strong><strong>der</strong> Strukturpolitik, zurückzugreifen.Wenn nicht alle gewinnen, gewinntkeiner. Damit drohen weitergehendePolitikvorhaben und die Ausdehnungvon Mehrheitsabst<strong>im</strong>mungenzumindest legit<strong>im</strong>atorisch <strong>im</strong> Ansatzstecken zu bleiben.Politische Verantwortlichkeit durchöffentliche Kontrolle<strong>Die</strong> zweite Kernfunktion von politischerÖffentlichkeit nach dem liberal-repräsentativenModell beziehtsich auf die öffentliche Meinungsbildung<strong>im</strong> Dialog mit und als Gegengewichtzu politischer Macht.<strong>Die</strong>se normative Konzeption vonÖffentlichkeit geht von Notwendigkeit<strong>der</strong> Legit<strong>im</strong>ation von Regierendurch informale Verfahren aus. Danachsind formale Kanäle demokratischerBeteiligung etwa durch allgemeineWahlen, Referenda o<strong>der</strong> parlamentarischeVoten, allein nichtausreichend, um ein politisches Systemzu legit<strong>im</strong>ieren. Sie müssen eingebettetsein und aktiviert werdendurch eine freie politische Meinungsbildungin <strong>der</strong> Öffentlichkeit,die Politik kritisch begleitet und zubeinflussen sucht. Formal-demokratischeVerfahren sind wenig wert,wenn <strong>der</strong> Staat die Medien als Vehikelöffentlicher Meinungsbildunggebraucht und missbraucht. PolitischeÖffentlichkeit soll also eineMöglichkeit <strong>der</strong> Kontrolle und Kritikvon Politik bieten, die <strong>im</strong> Englischenals Responsiveness und Accountabilityfirmieren. Es ergibt sichjedoch auch hier das Problem, dass<strong>im</strong> Fall <strong>der</strong> EU sich dieser Meinungsbildungs-und Artikulationsprozessnicht auf nationalen Räumebeschränken darf. Ohne ein Mindestmaßan Resonanz über nationaleÖffentlichkeiten hinweg, fehlt esöffentlicher Kritik an Legit<strong>im</strong>itätund damit an Wirkung auf das Gesamtgebilde.<strong>Die</strong> in britischen Medienüber lange Zeit geäußerte Kritikan einer Reihe von Personen o<strong>der</strong>Politiken wurde von Brüsseler Akteuren,sei es Kommissaren o<strong>der</strong>an<strong>der</strong>en Journalisten, kaum mehrernst genommen. Sie wurde überwiegendals euroskeptisch motiviertstigmatisiert und blieb damit überwiegendwirkungslos.Zum an<strong>der</strong>en setzt die Entstehungeines Skandals voraus, dass die ihmzugrunde liegende Wahrnehmungeiner Normverletzung über dieGrenzen zumindest mehrerer nationalerpolitischer Kulturen hinweggeteilt wird. Schließlich sollte eintransnationaler Austausch über diefaktischen Aspekte <strong>der</strong> Normverletzung(Wer hat wann, was gesagt, gewussto<strong>der</strong> getan?) und eine Verstän-78


digung über die Schwere <strong>der</strong> Normverletzungsowie mögliche Konsequenzenmöglich sein. <strong>Die</strong>se Erwartungenlassen sich mit einem reinnational ausgerichteten Journalismusnicht erfüllen, sofern dieser ausländischeSt<strong>im</strong>men kaum o<strong>der</strong> nursehr verzerrt wahrn<strong>im</strong>mt. Ebensowenig dürfte <strong>der</strong> typische Auslandsjournalismusden Anfor<strong>der</strong>ungengenügen, da dieser traditionell niedrigeredemokratische Standards andiplomatische Verhandlungen undinternationale Organisationen ansetztund bei <strong>der</strong> Nachrichtenbeschaffungeher reagiert als agiert.Letztendlich lässt sich die Fragenach <strong>der</strong> Leistungsfähigkeit von einertransnationalen Medienöffentlichkeitnicht theoretisch, son<strong>der</strong>nnur anhand konkreter Fallbeispieleund Beobachtungen beantworten.Dazu sollen die folgenden zwei Abschnittedienen.Investigativer Journalismus und <strong>der</strong>Rücktritt <strong>der</strong> EU KommissionÜber viele Jahre hatten es investigativorientierte Journalisten in Brüsselschwer, zumal wenn sie län<strong>der</strong>übergreifendwirken wollten. Das lagkaum daran, dass es nichts an <strong>der</strong>EU und ihren Akteuren zu kritisierengegeben hätte. Im Gegenteil, in<strong>der</strong> Vergangenheit hatten verschiedeneeuropäische Zeitungen <strong>im</strong>merwie<strong>der</strong> Berichte über Nepotismus,Korruption und mangelndes Managementpubliziert. <strong>Die</strong>se Artikelwurden jedoch nur selten von denMedien des Herkunftslandes <strong>der</strong> betroffenenPersonen aufgegriffenund konnten sich kaum über nationaleMedienräume hinwegverbreiten.So fiel es Beschuldigten, seienes Kommissare, Parlamentarier o<strong>der</strong>nationale Politiker, relativ leicht,Vorwürfe auszusitzen o<strong>der</strong> die betreffendenJournalisten bzw. Medienunter Druck zu setzen. <strong>Die</strong>sesMuster zeigte sich beispielsweise anden Recherchen, die <strong>der</strong> JournalistChristopher White, ein Mitarbeiter<strong>der</strong> Zeitung The European, Mitte <strong>der</strong>neunziger Jahre über Betrug undKorruption in <strong>der</strong> Tourismuspolitik<strong>der</strong> EU verfolgte. Bereits 1990 warenVorwürfe aus dem EuropäischenParlament laut geworden, dassKommissionsbeamte und die mit<strong>der</strong> Durchführung des Jahres desTourismus beauftragten Firma Bestechungsgel<strong>der</strong>gefor<strong>der</strong>t und erhaltenhätten. <strong>Die</strong> Ermittlungen desParlaments, des Rechnungshofesund <strong>der</strong> Kommission führten jedochbis 1995 zu keinem greifbaren Ergebnis,vor allem nicht zu einer Bestrafung<strong>der</strong> betroffenen Beamtenund ihrer Vorgesetzten. White trafnicht nur auf eine Mauer des Schweigensin <strong>der</strong> Kommission, son<strong>der</strong>nwurde auch von keinem seiner Kollegenin Brüssel unterstützt. Im Ge-79


genteil, viele <strong>im</strong> Pressesaal sahen ihnals Nestbeschmutzer, <strong>der</strong> in den britischenKanon <strong>der</strong> Euroskeptikerund Kommissionshasser eingefallenwar. Kein Hollän<strong>der</strong> o<strong>der</strong> Franzose,<strong>der</strong> mit ihm wichtige Papiere o<strong>der</strong>Informantenkontakte austauschte,und auch <strong>im</strong> Europaparlament interessiertesich kaum ein Mitglied füreinen Skandal, <strong>der</strong> auf das Parlamentwie die junge Tourismuspolitik einschlechtes Licht werfen würde. Alsdie Vorgesetzten Whites in <strong>der</strong> Zeitungschließlich eine Reihe von Beschwerdenaus <strong>der</strong> Kommissionüber inakkurate Berichterstattungund obsessives Verhalten erhielten,wurde White fallengelassen. Auchwenn Whites Berichterstattung nichtganz ohne Folgen blieb – ein belgischerStaatsanwalt leitete Ermittlungenein und ließ ein Gebäude <strong>der</strong>Kommission durchsuchen, endetedie Affäre für den Journalisten mitdem beruflichen Absturz.Eine erste Verän<strong>der</strong>ung <strong>im</strong> Verhältnis<strong>der</strong> Brüsseler Korrespondentenzur EU-Kommission markierte dieBSE-Krise von 1996. Es ging dortnicht nur um Milliarden Euro Umsatzeinbußenfür Landwirte, son<strong>der</strong>nauch um die Frage, ob die politischeVerantwortlichen in <strong>der</strong> EUgenug getan hatten, um eine möglicheGefährdung <strong>der</strong> Verbraucherdurch infiziertes Rindfleisch abzuwenden.Zum ersten Mal nahm eine,wenn auch kleine Zahl von Journalistenin Brüssel, vor allem die Korrespondentendes deutschen Focus und<strong>der</strong> französischen Libération, dieFunktionen einer politischen Öffentlichkeitwar, prangerte Vertuschung,Missinformation, und mangelndeVerantwortlichkeit auf Seiten<strong>der</strong> britischen Regierung und <strong>der</strong>EU-Kommission an. <strong>Die</strong> wenigeninvestigativen Journalisten bliebenjedoch isoliert voneinan<strong>der</strong> – es kamzu einer starken Polarisierung zwischenbritischer und französischsprachigerPresse. <strong>Die</strong> politischenKonsequenzen waren bescheiden.Das EU-Parlament erstellte einenUntersuchungsbericht, die Kommissionverschob eine administrativeEinheit vom LandwirtschaftszumVerbraucherressort, und dievermutlich Hauptschuldigen, britischePolitiker, entzogen sich erfolgreich<strong>der</strong> Verantwortung. Erst mit<strong>der</strong> Abwahl <strong>der</strong> Tory-Regierung einJahr später musste <strong>der</strong> britischeLandwirtschaftsminister seinen Hutnehmen.Rin<strong>der</strong>wahnsinn und die Geburtinvestigativen JournalismusEs war vor allem die Erfahrung <strong>der</strong>BSE-Affäre, die zu einer Verän<strong>der</strong>ungin <strong>der</strong> Ausrichtung, <strong>der</strong> Taktikund <strong>der</strong> Hartnäckigkeit von investigativemJournalismus in Brüsselführte. Nur vor diesem Hintergrund80


ist es zu verstehen, warum ein Fallvon Vetternwirtschaft und drei Fällevon Missmanagement 1998 eineKrise auslösten, die schließlich <strong>im</strong>Rücktritt <strong>der</strong> EU-Kommission <strong>im</strong>März 1999 mündete. Der Echo-Cresson-Fall unterschied sich in einerReihe von Aspekten von <strong>der</strong>BSE-Krise. Ein wichtiger Grund fürdie Verän<strong>der</strong>ung waren die Aktivitäteneiner Zahl von kritischen Investigationsjournalistenaus verschiedenenEU-Län<strong>der</strong>n, die miteinan<strong>der</strong>kooperierten. <strong>Die</strong> ersten Recherchenunternahm <strong>der</strong> LuxemburgerJournalist Jean Nicolas, <strong>der</strong> für eineGruppe unbedeuten<strong>der</strong> wallonischerBoulevardblätter schrieb undbisher nicht über EU-Politik, son<strong>der</strong>nbeispielsweise über den belgischenJustiz- und Politik-Skandalum den Kin<strong>der</strong>schän<strong>der</strong> Marc Dutrouxberichtet hatte. Im Auftrag einesdeutschen Journalisten vom Focus-Magazin,Hartwig Nathe, sollte erseine Kontakte zur LuxemburgischenJustiz nutzen, um verschwundenenEU-Gel<strong>der</strong> bei einer dort ansässigenFirma nachzugehen. Schonbald öffnete <strong>der</strong> Firmeninhaber, <strong>der</strong>sich von <strong>der</strong> Kommission verratenfühlte, dem Journalisten die Aktenschränkevoller Unterlagen überEU-Aufträge. Mitte August 1998hatte Nicolas viele <strong>der</strong> Informationenrecherchiert, die später durchden Bericht <strong>der</strong> Experten zum Rücktritt<strong>der</strong> Kommission führen sollten.Insbeson<strong>der</strong>e das Material über dieBeschäftigung eines Vertrauten <strong>der</strong>Kommissarin Cresson auf Kostendes Steuerzahlers schien hochexplosiv.Nicolas und Nathe fürchtetenzu Recht – teilweise aufgrund eigenerErfahrungen während <strong>der</strong> BSE-Krise – dass ihre Enthüllungen nichtgenügend wahrgenommen würden,wenn sie nur in einem belgischenBoulevardblatt und einem deutschenWochenmagazin erschienen.Deshalb traf sich auf Anregung vonNicolas und mit Hilfe einer EU-ParlamentarierinAnfang Septembererstmals eine multinationale Gruppeinvestigativer Journalisten. Dazugehörten neben Nicolas und Nathenoch die Journalisten vom NouvelObservateur, und des ersten deutschenFernsehens, <strong>der</strong> ARD. Der Poolwurde später erweitert um Vertreter<strong>der</strong> Sunday T<strong>im</strong>es, Libération und denGuardian.Ein transnationales Recherchenetzwerk<strong>Die</strong>se Gruppe war in ihrer Zusammensetzung,Kohäsion und Funktionsweiseein Novum in <strong>der</strong> Geschichtedes Brüsseler Journalismusund vielleicht sogar darüber hinaus.Ihre Mitglie<strong>der</strong> aus vier Län<strong>der</strong>n telefoniertentäglich miteinan<strong>der</strong>, trafensich regelmäßig mit neuen Informantenund tauschten wichtigeDokumente untereinan<strong>der</strong> aus. Was81


ein einzelner nicht hätte leisten können,nämlich eine weitläufige, verschiedeneSprachräume und Netzwerkeübergreifende Recherche,wurde durch die Aufteilung undKoordination verschiedener nationalerMedien möglich. Gleichzeitigkoordinierte die Gruppe ihre Veröffentlichungen,die zumeist am Sonntagmit <strong>der</strong> Sunday T<strong>im</strong>es eingeleitetwurden und am Montag ihren Höhepunktfanden. Damit setzte sienicht nur die Kommission unterDruck, son<strong>der</strong>n best<strong>im</strong>mten auchdie Nachrichtenagenda <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en,zu Beginn <strong>der</strong> Berichterstattungüberwiegend skeptischen, Journalistenin Brüssel für den Rest <strong>der</strong>Woche. Gleichzeitig bot die Gruppedem einzelnen auch Schutz gegenAusgrenzung und Druck durch dieKommission, nationale Politikerund Medien. Insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Korrespondentvon Libération schrieblange Zeit gegen die Mehrzahl seinerfranzösischen Kollegen in Brüsselüber die Affäre Cresson. Hätte ergegenüber seiner He<strong>im</strong>atredaktionund politischem Druck nicht aufan<strong>der</strong>e bekannte Medien wir dieSunday T<strong>im</strong>es o<strong>der</strong> Focus verweisenkönnen, diese Art <strong>der</strong> Berichterstattungwäre vermutlich nicht aufrechtzuerhaltengewesen.Ein weiterer interessanter Aspekt<strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ungen betrifft die Kooperation<strong>der</strong> Journalisten mit kritischenEU-Parlamentariern. Auf <strong>der</strong>einen Seite konnten die Journalistendiese vereinzelten Parlamentarierzur Erhöhung des Drucks zitieren.Zum an<strong>der</strong>en legit<strong>im</strong>ierte die umfänglicheMedienberichterstattung,die Position jener EU-Parlamentarier,die sich in ihren Fraktionen und<strong>im</strong> Parlament anfänglich in einerdeutlichen Min<strong>der</strong>heitenpositionbefunden hatten. <strong>Die</strong> wenig kooperativeund teilweise feindliche Reaktion<strong>der</strong> Kommission auf die Anschuldigungentrug nur dazu bei,dass die Mehrheit skeptischer Parlamentarierund Journalisten nach undnach umschwenkte. So schaukeltensich Medien und Parlament <strong>im</strong>mermehr gegenseitig auf, bis die Kräfteverhältnissekippten, zuerst <strong>im</strong> Pressesaalund dann <strong>im</strong> EU-Parlament.In Umkehrung <strong>der</strong> vorher geltendenNorm in Brüssel, zeichnete sich ein„ guter“ Journalist o<strong>der</strong> Parlamentarierplötzlich dadurch aus, dass erdie Kommission kritisierte. <strong>Die</strong>Kommissionsspitze offenbahrte <strong>im</strong>Gegenzug in zunehmenden Maßeeine Bunkermentalität, die gekennzeichnetwar von verzerrter Realitätswahrnehmungund einer Frontstellunggegenüber Kritikern. So verän<strong>der</strong>tensich auch die Mehrheitsverhältnisse<strong>im</strong> Europäischen Parlamentund aktivierten mit <strong>der</strong> Entlastungdes Haushaltes und späterdem Misstrauensvotum zwei Ver-82


fahren, <strong>der</strong>en politische Relevanznur wenig Monate zuvor zu Rechtbezweifelt worden wäre. Der Fallzeigt, dass ein relativ geringes Ausmaßan transnationaler Verbreitungvon Investigationsjournalismus ausreichte,die etablierte Funktionsweisedes Gesamtsystems nachhaltig zuverän<strong>der</strong>n. Politische Kontrolle undVerantwortlichkeit konnte letztlichaber nur <strong>im</strong> Zusammenspiel verschiedenerInstitutionen und Akteure,insbeson<strong>der</strong>e mit Hilfe des EU-Parlaments und des Rechnungshofsverwirklicht werden.Investigativer Journalismus zwischenErfolg und HybrisDer Rücktritt <strong>der</strong> Kommission alsReaktion auf den Bericht <strong>der</strong> UnabhängigenExpertengruppe kann alsEndpunkt einer Entwicklung interpretiertwerden, die auf <strong>der</strong> einenSeite die Leistungsfähigkeit vontransnationaler Medienöffentlichkeitin Europa dokumentiert, zuman<strong>der</strong>en aber die Defizite in <strong>der</strong> Öffentlichkeitsarbeitauf Seiten <strong>der</strong>EU-Kommission deutlich gemachthat. <strong>Die</strong> Kommission musste letztlichnicht aufgrund <strong>der</strong> Vorwürfezurücktreten, son<strong>der</strong>n weil sie aufdie offene Fragen und die For<strong>der</strong>ungnach politischer Verantwortlichkeitnicht angemessen reagierthat. Wie schon in <strong>der</strong> BSE-Krise tratenorganisatorische, personelle undstrategische Schwächen auf, die denRücktritt fast unvermeidlich machten.Innerhalb des Kollegiums <strong>der</strong>Kommissare konnten Santer und dieMehrheit <strong>der</strong> Kommissare, politischeVerantwortung nicht durchsetzen.Ähnliche Probleme hatten verschiedeneKommissare gegenüberihren eigenen Direktoraten bzw. gegenübermächtigen nationalen Seilschafteninnerhalb <strong>der</strong> Kommissionshierarchien.Neben dieser Fragmentierungund Obstruktion vonpolitischer Verantwortlichkeit wardie Öffentlichkeitsarbeit gekennzeichnetvon mangelhafter Professionalität<strong>der</strong> handelnden Personen,die Informationen zurückhielten,fälschlicherweise dementierten undDruck auf Journalisten ausübten.Nichts zeigt das Ausmaß <strong>der</strong> Eskalationdes Konflikts zwischen Journalistenund Kommissionsvertreterndeutlicher als die Reaktion vielerPressevertreter auf die Rücktrittsankündigung<strong>der</strong> Kommission inden frühen Morgenstunden des 16.März 1999. <strong>Die</strong> Ankündigung PräsidentSanters wurde mit spontanenFreudenschreien, Klatschen undSiegesrufen aus dem Pressesaal begrüßt– eine Reaktion, die ein Mitglieddes Pools investigativer Journalistenrückblickend als „eineSchande für unsere Profession“ bezeichnete,zumal sie mehrheitlichvon jenen stammte, die die Kom-83


mission lange gegen die Anschuldigungenin Schutz genommen hatten.<strong>Die</strong> langsame Transformation desBrüsseler EU-JournalismusTrotz des geschil<strong>der</strong>ten Falles funktionieren<strong>der</strong>transnationaler Öffentlichkeitmögen Skeptiker zu Rechtfragen, ob die Verän<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong>Berichterstattung dauerhafter Natursind. Tatsächlich ist die Fixierung<strong>der</strong> Medien auf nationale Ereignisse,Sichtweisen und Akteure zu starkverwurzelt, als dass grenzüberschreitendeDebatten und Kritik zum Regelfallgeworden wären. Genausowenig ist die überwiegende Zahl <strong>der</strong>in Brüssel akkreditierten Journalistenvom einen zum an<strong>der</strong>en Tag zuinvestigativen Journalisten gewordeno<strong>der</strong> zum Euroskeptizismuskonvertiert. Eine Stichprobenbefragungvon 70 Korrespondenten ausverschiedenen EU-Län<strong>der</strong>n ergab,dass sich nur etwa 15 Prozent <strong>der</strong>Befragten zu <strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> investigativenJournalisten zählen. 2 Dertatsächliche Anteil liegt wahrscheinlichunter zehn Prozent. Allerdingshat <strong>der</strong> Echo-Cresson-Fall gezeigt,dass schon eine relativ kleine Zahlvon Journalisten durch ein Mindestmaßan Kooperation eine großeauch öffentlichkeitsübergreifendeWirkung erzielen kann. ÄhnlicheZahlenverhältnisse sind auch ausden USA bekannt, als die Watergate-Affärevon kaum einer HandvollJournalisten voran getrieben wurde.Auf <strong>der</strong> Ebene individueller Reporterstellt sich die Frage, inwieweitdas transnationale Netzwerk in Zukunftnoch besteht o<strong>der</strong> sich garweiter entwickeln kann. Obwohlsich diese Frage zum gegenwärtigenZeitpunkt noch nicht beantwortenlässt, gibt es dennoch deutliche Anzeichendafür, dass sich die Rahmenbedingungenund das Umfeld füreine transnational wirksame Medienöffentlichkeitverbessert haben.Der Echo-Cresson-Fall markiertden vorläufigen Höhepunkt eineslangsamen Wandels <strong>der</strong> EU-Berichterstattungvon einem pro-europäischenInformations- und Lobbyjournalismuszu einer kritischerenHaltung gegenüber EuropäischenInstitutionen und Akteuren. <strong>Die</strong>shat weniger mit ideologischen Verän<strong>der</strong>ungen<strong>im</strong> Pressecorps zu tun,obwohl es nicht wenige Journalistengab, die von <strong>der</strong> Kommission sehrenttäuscht waren.<strong>Die</strong> Hauptursache liegt vielmehr ineiner langsamen Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong>Nachfragestruktur <strong>im</strong> Bezug aufEU-Themen. Über viele Jahre hinweghatten es die bei <strong>der</strong> EU akkreditiertenJournalisten entwe<strong>der</strong> sehrleicht o<strong>der</strong> sehr schwer. Aufgrund<strong>der</strong> geringen Nachfrage nach den angeblichlangweiligen und wirt-84


schaftslastigen EU-Themen, fiel esJournalisten leicht, mit geringem Rechercheaufwandaus dem <strong>im</strong>merweiter anschwellenden Brüsseler Informationsstromrelevante Nachrichtenherauszufischen. Mühenmussten sich nicht die Journalisten,son<strong>der</strong>n die Pressesprecher.„Spoon-feeding“ pflegten angelsächsischeKorrespondenten diesepassive Konsumhaltung mit abfälligenUnterton zu bezeichnen. Schwerdagegen hatten es vor allem jeneJournalisten, die keine „BrüsselerSpitzen“ mehr über Produktharmonisierungschreiben mochten, son<strong>der</strong>nzu Themen wie Machtmissbrauchund nationale Seilschaften,Subventionsbetrug und Entscheidungstransparenzberichten wolltenund sich mühten, ihre He<strong>im</strong>atredaktionzu überzeugen.<strong>Die</strong> Aufwertung <strong>der</strong>EU BerichterstattungSeit Anfang <strong>der</strong> neunziger Jahre istBrüsseler Journalismus für die ersteGruppe schwerer, für die zweiteGruppe dagegen leichter geworden.Hintergrund ist die Aufwertung <strong>der</strong>EU als Thema <strong>der</strong> Berichterstattungvor allem in <strong>der</strong> Presse und <strong>der</strong> damitverbundenen Verschärfung <strong>der</strong>Nachrichtenkonkurrenz in Brüssel.Im Zuge <strong>der</strong> Umsetzung des Binnenmarktprogrammsund <strong>der</strong> Einführungdes Euros erkannten vieleHe<strong>im</strong>atredaktionen, dass in Europaoft nationale Innenpolitik betriebenwird. Viele nationale Themen habeneine Europäische D<strong>im</strong>ension, währendviele EU-Themen nationaleAuswirkungen haben. Mit <strong>der</strong> Einführung<strong>der</strong> Währungsunion sindZinsentscheidungen an die EuropäischeZentralbank übertragen worden,Fiskalpolitik wird durch die Stabilitätskriterienreglementiert unddie Protektion nationaler Firmenwird von <strong>der</strong> EU-Wettbewerbspolitikeingeschränkt. Auch auf demGebiet <strong>der</strong> inneren Sicherheit, Asylund Migration, lässt sich ohne dieBeteiligung <strong>der</strong> EU keine wirkungsvollePolitik mehr gestalten. <strong>Die</strong> tatsächlicheBedeutungszunahme vonEU-Entscheidungen seit 1987 spiegeltsich, wenn auch mit einer gewissenVerzögerung, in <strong>der</strong> Ausweitung<strong>der</strong> entsprechenden Berichterstattungwie<strong>der</strong>. Eine Medienstudie<strong>im</strong> Auftrag <strong>der</strong> Kommission stelltfest, dass die Zahl <strong>der</strong> veröffentlichtenArtikel mit EU-Bezug zwischen1995 und 1998 von 6.000 pro Monatauf etwa 11.000 gestiegen ist. Auchdie Nachrichtenagenturen habenihre Präsenz in Brüssel und ihre Berichterstattungverstärkt, nicht nur<strong>im</strong> Bezug auf traditionelle Wirtschaftsthemen.<strong>Die</strong> NachrichtenagenturReuters hat zwischen 1995und 1997 ihre EU-Berichterstattungvon 19.000 auf 24.500 Artikel <strong>im</strong>85


Jahr erhöht. Gleichzeitig schicken<strong>im</strong>mer mehr Redaktionen Mitarbeiternach Brüssel o<strong>der</strong> stocken ihreBüros dort auf. Zwischen 1986 und1999 hat sich die Zahl <strong>der</strong> akkreditiertenJournalisten in Brüssel mehrals verdoppelt. Mit mehr als 900Journalisten hat Brüssel heute dasgrößte Presscorps <strong>der</strong> Welt.Stärkere Konkurrenz und Fluktuation<strong>Die</strong> personelle Verän<strong>der</strong>ung undstärkere Fluktuation innerhalb desBrüsseler Presscorps hatte Auswirkungenauf die politischen, journalistischenund normativen Einstellungen<strong>der</strong> akkreditierten Presse. Zwarergab die Stichprobenbefragung von70 akkreditierten Korrespondentenin Brüssel, dass auch weiterhin einegroße Mehrzahl <strong>der</strong> EuropäischenIntegration positiv (69 Prozent) o<strong>der</strong>sogar sehr positiv (22 Prozent) gegenüberstehen. Dennoch sind Verän<strong>der</strong>ungenoffensichtlich. Journalisten,die seit <strong>der</strong> BSE-Krise nachBrüssel gekommen sind, bezeichnensich weniger häufig als „starke“ Unterstützer<strong>der</strong> EU als diejenigen, dieschon mehr als acht Jahre in Brüsselarbeiten. Es mag kaum überraschen,dass einige <strong>der</strong> langjährigen Korrespondentenmit <strong>der</strong> Zeit zu Subunternehmerndes politischen Systemgeworden sind; sie führten für dieKommission Nebenjobs aus undverstanden es als ihre vornehmlicheAufgabe, Europäische Institutionengegen Kritik aus den Mitgliedstaatenin Schutz zu nehmen.Unter Verän<strong>der</strong>ungsdruck sind jedochnicht nur die Anhänger <strong>der</strong>Kommission gekommen, son<strong>der</strong>nauch diejenigen, die Brüssel als Terrain<strong>der</strong> Außenpolitik sahen, überdas man informieren konnte, dassaber nicht hinterfragt werden musste.<strong>Die</strong> Aufwertung und das größereAngebot des Produkts EU-Nachrichthaben die Nachfrage und denRechercheaufwand erhöht. <strong>Die</strong> Arbeitvon Agenturen und die Verfügbarkeitvon Pressemitteilungen <strong>im</strong>Internet macht die Arbeit <strong>der</strong> Korrespondentenin den He<strong>im</strong>atredaktionentransparenter, und damitüberprüfbarer. Sowohl die Bequemlichkeitdes reinen Informations-und Lobbyjournalismus alsauch die falsche Rücksichtnahme<strong>der</strong> Pro-Europäer ist durch die neuenAnfor<strong>der</strong>ungen an Europa-Berichterstattungunter Druck gekommen.Gleichzeitig haben sich diemedien-ökonomischen Bedingungenfür investigativen Journalismusin Brüssel verbessert. <strong>Die</strong>s bedeutetnicht nur eine stärkere Nachfragenach Skandalen, son<strong>der</strong>n auchverstärkte Anreize für Journalisten,über den eigenen nationalen Zirkelhinaus zu recherchieren. Nur sowerden Interessensvertretung undVersäumnisse <strong>der</strong> eigenen Regie-86


ung auf Europäischen Parkettdeutlich.<strong>Die</strong> weiterbestehende Trennung <strong>der</strong>nationalen Märkte begünstigt dabeineue Formen von transnationalerZusammenarbeit zwischen BrüsselerJournalisten, die nicht fürchtenmüssen, dass ihr Kollege ihnen eineGeschichte wegschnappt. Ungefährein Drittel <strong>der</strong> Korrespondenten gaban, dass sie mit ausländischen Kollegenin <strong>der</strong> Mehrzahl aller Artikel kooperieren.Für etwa die Hälfte allerbefragten Journalisten waren ausländischeJournalisten „manchmal“eine wichtige Quelle ihrer Berichterstattung,für ein Fünftel sogar „häufig“.Doch nicht nur <strong>der</strong> täglicheAustausch zwischen Journalistenaus unterschiedlichen Län<strong>der</strong>n, son<strong>der</strong>nauch die zunehmende Rezeptionausländischer Medien tragendazu bei, dass kritische Berichterstattungdie Grenzen nationaler Öffentlichkeitenüberwinden und politischeWirkung entfalten kann. Soergab die Stichprobenbefragung,dass <strong>der</strong> durchschnittliche BrüsselerKorrespondent zwischen vier undfünf ausländischen Zeitungen undMagazine regelmäßig liest. Leitmediumist dabei vor ganz klar die FinancialT<strong>im</strong>es (67 Prozent), gefolgtvon Le Soir (51 Prozent) und LeMonde (39 Prozent), InternationalHerald Tribune (28 Prozent), Libération(17 Prozent), und schließlich<strong>der</strong> Frankfurter Allgemeine Zeitung(11 Prozent).Perspektiven für eine transnationaleÖffentlichkeit <strong>der</strong> MassenmedienTrotz <strong>der</strong> geschil<strong>der</strong>ten Entwicklungen,die sich an <strong>der</strong> Aufwertung<strong>der</strong> EU-Berichterstattung und <strong>der</strong>län<strong>der</strong>übergreifenden Kooperationzwischen Journalisten festmachenlassen, ist doch die Kontrolle EuropäischenRegierens durch die Öffentlichkeitnoch unzureichend.Zwar ist deutlich geworden, dassdie Europäische Kommission nichtlänger auf eine journalistischeHausmacht bauen kann, die administrativeo<strong>der</strong> persönliche Verfehlungengeflissentlich übersieht. <strong>Die</strong>mediale Toleranzschwelle ist nachdem Echo-Cresson-Fall deutlichgesunken, wenn auch unterschiedlichstark innerhalb verschiedenernationaler Gruppierungen. <strong>Die</strong>Prodi-Kommission hat auf dasScheitern ihrer Vorgängerin mitzum Teil mutigen Reformen reagiert,die trotz aller Schwierigkeitenin <strong>der</strong> Umsetzung zeigen, dass mitdem Prinzip politischer Verantwortlichkeitund Transparenz in einerwichtigen Institution <strong>der</strong> EUernst gemacht wird.Trotz dieser Erfolge artikuliert sicheine Europäische Medienöffentlichkeitnur sporadisch, entlang relativweniger Themen und Ereignisse. Da87


sie sich vornehmlich aus einer län<strong>der</strong>übergreifendenDiskussion innationalen Massenmedien herauskonstruiert, mangelt es ihr an <strong>der</strong>Kontinuität, Tiefe und Differenziertheit– nicht nur <strong>im</strong> Vergleich zunationalen Räumen <strong>der</strong> Meinungsbildungund Kontrolle, son<strong>der</strong>n vorallem gemessen an den realen Auswirkungen<strong>der</strong> Europapolitik auf dieBürger des Kontinents, zum Gutenwie zum Schlechten. Insbeson<strong>der</strong>efällt auf, dass die Mehrzahl <strong>der</strong> Medienauf einem Auge extrem kurzsichtigsind. <strong>Die</strong> Sehschwäche bestehtvor allem darin, dass die politischeVerantwortlichkeit <strong>der</strong> Mitgliedstaateninnerhalb <strong>der</strong> EU-Entscheidungsstrukturennoch unzureichendeingefor<strong>der</strong>t und umgesetztist. Für die mangelnde Transparenzdes Europäischen Regierens sindzumindest zum Teil auch die politischenAkteure verantwortlich.Symptomatisch, wenn auch nichtausschlaggebend erscheinen dasvieldiskutierten Problem <strong>der</strong> Transparenzvon Ratssitzungen und dieEinschränkungen des Rechts aufZugang zu EU Dokumenten. <strong>Die</strong>spezifische Form <strong>der</strong> Konsensfindungin Brüssel mit Hilfe hun<strong>der</strong>terAusschüsse ist über Jahrzehnte gewachsenund hat die öffentliche Unzugänglichkeit<strong>der</strong> behandelten politischenKonflikte geför<strong>der</strong>t, <strong>im</strong> Interessevor allem <strong>der</strong> Vertreter <strong>der</strong>Mitgliedstaaten, die ohne die Scheinwerferpolitischer Öffentlichkeitleichter Kompromisse schliessenkonnten.Personalisierung von EuropapolitikSo bleibt die Anbindung <strong>der</strong> politischenDebatten in Brüssel an diePolitik in den Hauptstädten weiterhinein ernstes Problem für die Kontrolleeuropäischen Regierens durchÖffentlichkeit. Allerdings gibt esauch Hinweise, dass <strong>der</strong> gegenwärtigeTrend zur Renationalisierung undPolitisierung die EU-Minister undgar Regierungschefs zwingt, Konflikteauch <strong>im</strong> Vorfeld von Ratsentscheidungenpublik zu machen undauszutragen. In <strong>der</strong> Vergangenheithatten es Medienvertreter zwar nichtschwer, nationale Interessen o<strong>der</strong>Verhandlungspositionen in Brüsselauszumachen, sie konnten diese jedochnur selten mit ministeriellenZitaten, Bil<strong>der</strong>n und Debattenbeiträgenunterfüttern. Ohne eine Personalisierungpolitische Konfliktebleibt <strong>der</strong> Beitrag nationaler Politikerzur Brüsseler Politik aber oftmalsunklar, von den Sitzungen desEuropäischen Rates abgesehen.Deshalb ist es bemerkenswert, dasssich in den vergangenen Monatenmehrere führende Politiker wie etwaBlair, Schrö<strong>der</strong> und Chirac in öffentlichenStellungnahmen über die Zukunft<strong>der</strong> Union geäußert haben,88


obwohl damit ihre unterschiedlichenZielsetzungen und Interessen deutlichzu Tage getreten sind.Doch auch die Journalisten, die vehementgegen die Entscheidungsfindung„hinter verschlossenen“ Türenwettern, haben Grund zur Selbstkritikund Besserung. Über viele Jahrehinweg haben sich viele <strong>der</strong> mit <strong>der</strong>EU-Berichterstattung befasstenJournalisten von ihren nationalenQuellen einwickeln lassen. Teils ausBequemlichkeit, teils aus Rücksichtnahmevor nationalen Ministernwurde <strong>der</strong> offizielle Spin über dieerfolgreiche Interessensvertretungin Brüssel oft zu unkritisch als dieWahrheit verkauft. Für unpopuläreMaßnahmen konnte die EuropäischeKommission o<strong>der</strong> ein anonymerStabilitätspakt verantwortlichgemacht werden, ebenso wie dasScheitern wichtiger Initiativen undReformen <strong>im</strong> Ministerrat gerne an<strong>der</strong>enMitgliedslän<strong>der</strong>n in die Schuhegeschoben wurde. <strong>Die</strong>ses Verhaltenist den politischen Akteuren <strong>im</strong>Grunde kaum vorzuwerfen, es gehörtzum meinungsbildenden Spielin Demokratien. Das Versäumnisliegt hier vielmehr auf <strong>der</strong> Seite jenerMedienvertreter, die bei <strong>der</strong> Recherchezu selten die eigenen nationalenZirkel verlassen.89


Transnationale Recherchenals Ausbildungsinhalt<strong>Die</strong>ses Defizit ist in <strong>der</strong> Mehrzahlnicht individuell zu begründen, esgehört zu den wichtigsten Erkenntnissen<strong>der</strong> Medienwissenschaft, dass<strong>der</strong> Entscheidungsspielraum vonJournalisten geringer ist als allgemeinangenommen wird. DasHauptproblem, die über lange Jahregeringe Nachfrage nach EU-Nachrichtenund <strong>der</strong> Mangel an professionellerDistanz zwischen Journalistenund ihren Quellen, hat sichdeutlich verringert. Dennoch gibt esweiterhin Mängel auf an<strong>der</strong>en Ebenen,angefangen von <strong>der</strong> journalistischenAusbildung, in <strong>der</strong> Auslandsaufenthaltezu kurz kommen,Fremdsprachkenntnisse wenig ausgebildetsind und die Internetrecherchenoch längst keine Selbstverständlichkeitist. Ein weiteres Problemstellt die nur rud<strong>im</strong>entäre Ausbildungtransnationaler Netzwerkefür Journalisten in Europa dar. DasBeispiel <strong>der</strong> Brüsseler Korrespondentenzeigt, dass solche Netzwerkeeinen unschätzbaren Wert für dielän<strong>der</strong>übergreifende Recherche undspäter die Durchschlagskraft <strong>der</strong>Berichterstattung haben. Hätte esein ähnlich wirksames Netzwerkzwischen deutschen und französischenJournalisten gegeben, die Affäreum den Verkauf <strong>der</strong> Leuna-Raffinerienan Elf-Aquitaine wäre heutevermutlich schon geklärt. Deshalbist es positiv zu bewerten, wenn jungeJournalisten zum Aufbau vonKontakten ins Ausland geschicktwerden, o<strong>der</strong> gar in einem multinationalenVerbund zusammenarbeiten,wie etwa <strong>im</strong> Falle <strong>der</strong> BrüsselerBüros von Reuters o<strong>der</strong> <strong>der</strong> FinancialT<strong>im</strong>es/Financial T<strong>im</strong>es Deutschland.Es ist wenig überraschend, dass dieInternationalisierung des Journalismusbeson<strong>der</strong>s <strong>im</strong> Bereich <strong>der</strong> Wirtschaftsberichterstattungzu findenist. <strong>Die</strong> Globalisierung von Märktenund Kapital hat auch die Nachfragenach Informationen verän<strong>der</strong>t. Vorallem linksliberal orientierte Zeitungenhaben die Verwandlung <strong>der</strong>Auslandsberichterstattung langeverschlafen und redaktionelle Ressourcenvor allem auf die nationalenForen <strong>der</strong> Berichterstattung konzentriert.<strong>Die</strong> französische ZeitungLibération schickte erst 1994 eineneigenen Korrespondenten nachBrüssel, <strong>der</strong> sich zu einem <strong>der</strong>Hauptakteure in <strong>der</strong> Aufdeckungpolitischer Skandale entwickelte.Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnissescheint die funktionierendeEuropäische Medienöffentlichkeitnicht in erster Linie vonMedien mit transnationalem Verbreitungsraumabzuhängen, son<strong>der</strong>nvon einem Journalismus miteinem transnationalen Recherche-90


ansatz. Wenn politische Akteureaus unterschiedlichen Län<strong>der</strong>n zusammenkommen, um Politik zugestalten, müssen Journalisten in<strong>der</strong> Lage sein, ihren natürlichen Informationsrückstanddurch Kooperationund län<strong>der</strong>übergreifende Recherchenzu kompensieren. Siemüssen also bis zu einem gewissenGrad in ihrer Arbeitsweise die Europäisierungund Internationalisierung<strong>der</strong> Politik nachvollziehen,ohne dabei ihr überwiegend nationalverwurzeltes Publikum hinter sichzu lassen. Ob sich <strong>im</strong> Zug län<strong>der</strong>übergreifen<strong>der</strong>Debatten und Informationdie Meinung <strong>der</strong> Bürger überdie Europäische Union verbessert,ist eine völlig an<strong>der</strong>e Frage.Anmerkungen1<strong>Die</strong>ser Artikel basiert auf Forschungsergebnissen,die <strong>der</strong> Autor<strong>im</strong> Rahmen einer Promotion an <strong>der</strong>Universität Cambridge gesammelthat. Eine aktualisierte deutsche Version<strong>der</strong> Doktorarbeit erscheint <strong>im</strong>Frühjahr 2002 mit Unterstützungdes Erich-Brost-Instituts für Journalismusin Europa bei Vistas (Berlin)unter dem voraussichtlichen Titel:„Europäische Öffentlichkeit inBrüssel: <strong>Die</strong> EU Kommission, dieMedien und politische Verantwortlichkeit“.2Es wurden 200 Korrespondentenvor allem <strong>der</strong> Printmedien angeschrieben,wobei die nationale Verteilungihrem jeweiligen Anteil <strong>im</strong>Pressecorps entsprach. Bei <strong>der</strong> Auswertung<strong>der</strong> 70 beantworteten Fragebögenstellte sich heraus, dass südeuropäischeKorrespondenten etwahalb so stark vetreten waren wie in<strong>der</strong> Grundgesamtheit. Deshalb istdie Repräsentativität des Samplesvorsichtig zu beurteilen. <strong>Die</strong> Methodenund Ergebnisse <strong>der</strong> Befragungsind in <strong>der</strong> eingangs erwähnten Veröffentlichung<strong>der</strong> Doktorarbeit ausführlichdargestellt.91


Thomas LeifKritischer Journalismus kann dieDemokratie beatmen„Selbstgedrehtes, Selbstrecherchiertes,(sind) allenfalls noch bei <strong>der</strong>seltenen Hintergrundgeschichtewillkommen. Wir Journalisten sinddie menschlichen Bausteine einerIndustrieproduktion geworden.“<strong>Die</strong>se Mahnung von Sonia Mikichbei <strong>der</strong> Verleihung des Kritiker-Preises(wdr print 6/2001) bringt aufden Punkt, was viele denken, aberkaum jemand öffentlich auszusprechenwagt. Mit dem N<strong>im</strong>bus desNestbeschmutzers und Anklägerslebt niemand gerne.Auch ein zweiter Gedanke aus <strong>der</strong>Praxis wird etablierten Medienmanagernfremd sein: „Wir sind <strong>der</strong> Tyrannei<strong>der</strong> Aktualität unterworfen“– schreibt die künftige Monitor-Chefin.“ Wir haben keine Zeit mehrzu zweifeln. Der Satellit wartet. Ambivalenzen,Grautöne, Wi<strong>der</strong>sprüche– sie werden in den Schlagzeilenund Son<strong>der</strong>sendungen weggeballert.“Jürgen Thebrath – ebenfalls WDR-Autor – bestätigt, das heute „Schnelligkeit<strong>der</strong> Maßstab aller Dinge“ ist:„<strong>Die</strong> Blitze <strong>der</strong> Aktualität nehmenzu, und die Regel lautet: Für einenAugenblick wird ein Ereignis grellerleuchtet, danach ist alles für denZuschauer wie<strong>der</strong> zappenduster.“Einen weiteren Mosaikstein <strong>im</strong> öffentlich-rechlichenGesamtbild fügenzwei Nachrichtenprofis hinzu:Bettina Warken, die „heute“-Chefinwendet das Blatt ins Positive undvertraut dem ZDF-Hausblatt ihreMedien-Vision an: „<strong>Die</strong> Besinnungdes ZDF auf kompetenten, spannendenund investigativen Journalismusist ganz eindeutig das, wasunsere Zukunft sichert.“ (zdf kontakt6/01)Ulrich Deppendorf, <strong>der</strong> Chef desARD-Hauptstadtstudios ist insgesamtopt<strong>im</strong>istischer: „Und es ist <strong>im</strong>mernoch möglich“ – sinniert er gegenüberddp (23.05.01) – „investigativenJournalismus zu betreiben, wiewir <strong>im</strong> „Bericht aus Berlin“ <strong>im</strong>merwie<strong>der</strong> bewiesen haben.“<strong>Die</strong>sen Opt<strong>im</strong>ismus trübt allein JohannesRau, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> unterhaltendenInszenierung von Politik eine92


Bedrohung wittert. „So wird Politikzu einem Teil <strong>der</strong> öffentlichen Unterhaltung“,warnt er und formuliertseine Vision: „Ich wünsche mir eineMediendemokratie, in <strong>der</strong> das Vermitteln<strong>der</strong> Sache wichtiger ist, alsdas Vermitteln von Bil<strong>der</strong>n undBildunterschriften.“<strong>Die</strong>ses kurze Problem-Relief sollden Horizont öffnen für ein Leitmotiv<strong>der</strong> Berliner Republik:Recherchieren<strong>der</strong> Journalismus istzeitgeistabhängig. Und <strong>der</strong> Zeitgeistliebt zur Zeit eben eher die hochpolierteOberfläche, nicht den tiefgründigenBlick hinter die Kulissen <strong>der</strong>Mächtigen und Einflussreichen inPolitik und Wirtschaft.Recherche ist die zentrale Ressource fürguten Journalismus und damit für Medienqualität.Das Klischee des investigativenJournalismus, das sich allein auf Aktenbeschaffungund Gehe<strong>im</strong>-Dossiersreduziert, sollten wir schnellvergessen.Ohne die Analyse <strong>der</strong> gesellschaftlichenRealität und <strong>der</strong> prägendenMedienkultur werden wir das Phänomen„Recherche“ nicht verstehen.Deshalb zunächst das Ausleuchten<strong>der</strong> politischen Rahmenbedingungen,ehe wir in einemzweiten Schritt zu dem aussterbendenHandwerk <strong>der</strong> Recherche kommen.Der Schluss bleibt positiven Perspektivenvorbehalten, frei nachdem Motto „Wo Gefahr ist, wächstauch das Rettende.“Back to the roots – back to realityDer ZDF-Intendant <strong>Die</strong>ter Stoltehat Mitte Mai die Medien vor einemzunehmenden Realitäts-Verlust gewarnt.<strong>Die</strong> „voyeuristische Selbstinszenierung“nehme zu, die Zuwendungzur konkreten Wirklichkeitmüsse die Antwort auf diese Entwicklungsein. Ein Intendant for<strong>der</strong>tbeherzt die Rückbesinnung zur Realität– dies wirft die freilich unbeantworteteFrage auf, wie es zuvor zu<strong>der</strong> diagnostizierten Entfernung von<strong>der</strong> Realität kommen konnte?<strong>Die</strong> Analyse ist richtig, <strong>der</strong> Appellwird aber folgendlos verhallen, weildie Entwicklung vor allem <strong>der</strong> elektronischenMassenmedien kaummehr umzusteuern ist: die Betonungdes Leichten und Seichten, die Zentrierungauf Personen und Konflikte,das Vertrauen auf einfache Sinnstrukturenund die Diskr<strong>im</strong>inierungkomplexer Zusammenhänge ist einReflex auf die gesellschaftliche Entwicklungund die Zeitläufte. Wennselbst in Seminaren von ARD-Sen<strong>der</strong>nzum Thema „Boulevard-Journalismus“bereits die Botschaft verkündetwird, „Informationsverdünnungbringt Quotenzuwachs“, dannist <strong>der</strong> Trend <strong>der</strong> Zeit spürbar. In93


dem ,handout‘ des Seminars (1. Auflage1999) unterscheiden die Trainer„Massenprogramme“ von sogenannten„Zuwendungsprogrammen.“(„reine, trockene Fachsendungen“)Be<strong>im</strong> „Programm für die Mehrheit“müsse die „Baucherwartung“ befriedigtwerden. Anschliessend werden„sieben Säulen“ vermittelt, die einThema stützen: „ Schicksal, Prominenz,Sex & Cr<strong>im</strong>e, Katastrophe,Geld, Kin<strong>der</strong>, Tiere.“ Unumwundenlautet <strong>der</strong> Tip an die Fernsehmacheraus <strong>der</strong> Politikredaktion: „Je mehrdieser Kriterien ein Thema erfüllt,desto besser ist es.“<strong>Die</strong>se ,neue agenda‘ journalistischerNachrichtenfaktoren ist weiter fortgeschritten,als manche Medienkritikervermuten.Dazu kommt ein ergänzen<strong>der</strong>Trend zur Infantilisierung <strong>der</strong> Gesellschaft,manche nennen es auchBanalisierung. <strong>Die</strong> Spaßgesellschaftwill eben bei Laune gehalten werden.<strong>Die</strong>se Entwicklung läßt sich wohlnicht mehr umkehren, zumal dasBewusstsein für diese Problemlageunterentwickelt ist.In diesem Programmumfeld „für dieMehrheit“ stören alle Faktoren, dierecherchierenden Journalismus ausmachen:• Kritische Anfragen auch anStrukturen, Machtkonstellationensowie dokumentierte Interessenkonfliktefinden nur geringeResonanz• Recherchieren<strong>der</strong> Journalismusbraucht Zeit, Geld und Ressourcen.Sparen ist aber auf allenEbenen angesagt.• <strong>Die</strong> Ergebnisse langer Recherchenför<strong>der</strong>n meist Misstände,Unregelmäßigkeiten, kr<strong>im</strong>inellesHandeln, Skandale und Konfliktezu Tage. All das bringt Unruhe,und Unruhe stört das Bedürfnisnach Zerstreuung undUnterhaltung.• Es gibt eine extreme Zunahmekanalisierter Information. Es istwohl kein Zufall, dass <strong>der</strong> Regierungssprecherals PR-Manndes Jahres ausgezeichnet wurde.• Relevante Kritik an best<strong>im</strong>mtenMissständen führt zu starkemGegendruck, und oft zu juristischenAuseinan<strong>der</strong>setzungenmit zum Teil persönlichen Folgen.Zunahme von ,Kampfhund-Kommunikation‘Betrachtet man die großen, den öffentlichenDiskurs strukturierendenThemenkonjunkturen <strong>der</strong> vergangenenMonate, erkennt man die Webstrukturdieser Themen rechtschnell:• <strong>der</strong> Streit um die Kampfhundein Deutschland94


• das Drama um die Gefangenenin Jolo• die Tragödie von Sebnitz (als einHöhepunkt <strong>der</strong> Debatte umRechtsextremismus)• <strong>der</strong> Skandal um Joschka FischersJugendsünden (und dieDebatte um 68)• die Auseinan<strong>der</strong>setzung umTrittins Nationalstolz und seinerBuback-Entschuldigung• <strong>der</strong> <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> aufflackerndePreiskampf an <strong>der</strong> Tanksäule.All diese Wellen sind verebbt, <strong>der</strong>politische Gehalt, <strong>der</strong> in den Themenverborgen war, ist heute kaummehr erkennbar. Konkrete Folgeno<strong>der</strong> gar politische Korrekturen inden jeweiligen politischen Fel<strong>der</strong>nsind nicht festzustellen. Erst wennwie<strong>der</strong> ein Kind von einemKampfhund zu Tode gebissenwird, beginnt die Debatte wahrscheinlichvon Neuem.Das heißt: in vielen Bereichen istein „Ende <strong>der</strong> Politik“ festzustellen.Der langsame Prozess <strong>der</strong>Aushöhlung <strong>der</strong> politischen Gestaltunghat die Ausstattung <strong>der</strong>Medien und ihre Agenda beeinflusst.Zugespitzt heißt das: In einemLand, das die großen ideologischenAuseinan<strong>der</strong>setzungen hintersich gelassen hat, in dem dieMitte <strong>im</strong>mer grösser wird und sichdie meisten recht gut eingerichtethaben, tritt <strong>der</strong> Streit um bessereLösungen (um was?) zurück. Esgibt kaum mehr Grundsatzfragen,über die kontrovers und nachhaltiggestritten wird.Bei den notwendigen großen Reformthemensteht die jeweiligeLobby wohl positioniert und wohlvertreten in den Vorz<strong>im</strong>mern <strong>der</strong>Macht und protestiert. <strong>Die</strong> Menschen,so haben die Wahlforscherdie Parte<strong>im</strong>anager überzeugt, wollenSicherheit. Und keinen Wandel.Nicht einmal Sicherheit durchWandel.<strong>Die</strong>se Grundtendenz in <strong>der</strong> Gesellschaftspiegeln die Medien, in demsie ein neu erfundenes Genre, den„Aufreger“, über Themen produzieren,über die man sich eigentlichgarnicht aufregen muss.Gesellschaftspolitische Trendsund die mediale Antwort daraufverbinden sich zu einem stillenKonsens gegen das Anspruchvolle,das Sperrige, das Komplexe –also gegen alle Stoffe, aus denen<strong>der</strong> recherchierende Journalismusin <strong>der</strong> Regel seine Geschichtenschöpft. <strong>Die</strong> Spaßgesellschaft willbei Laune gehalten werden, Eventsund <strong>der</strong> lange Lauf auf dem endlosenBoulevard verdrängen danneben gute Hintergrundgeschichtenauf Seite Acht o<strong>der</strong> ins Ghetto <strong>der</strong>Nacht.95


<strong>Die</strong> Grammatik <strong>der</strong> SkandaleDer Vertrauensverlust in die Politik– als Ausfluss eines Jahrzehnts<strong>der</strong> Politikverdrossenheit – hatSpuren hinterlassen. <strong>Die</strong> Folge: fürviele bürgerliche Eliten spielt Politik– gedacht in großen Linien undeingebettet in ein Werte-Fundament– keine Rolle mehr. Allenfallsgeht es um die Durchsetzungkurzfristiger Interessen, und dieLösung eigener, spezifischer Probleme.Der Prozess hin zur Politikverachtung– begleitet von einem ernstzunehmendenAusmaß <strong>der</strong> Nichtwählerund Wahlverweigerer – hat vieleGründe. In einem großen Bündelwirken sie verheerend – auch auf dieWahrnehmungsfilter <strong>der</strong> Medien.Für viele Macher sind Politikthemeneinfach „nur noch ätzend“ und „Abschalter“.Folgende Erfahrungsgrundsätzesind mittlerweile tief <strong>im</strong> Bewußtsein<strong>der</strong> Menschen verankert.Tendenzen, die die Wahrnehmungvon Politik prägen.• Defizite in <strong>der</strong> Gestaltung relevanterProbleme und in <strong>der</strong> Umsetzungbeschlossener Politik• Auszehrung des politischen Personals• Staatsversagen auf vielen Ebenen(Handlungsunfähigkeit <strong>der</strong>Kommunen)• „Viel reden. nichts machen“ -<strong>Die</strong> Talk Show ersetzt das Parlament.• die Fülle <strong>der</strong> kleinen und grossenSkandale, die Distanz zurPolitik legit<strong>im</strong>ieren und massiveVorurteile „gegen die da oben“bestätigt.• die Überbürokratisierung <strong>der</strong>Gesellschaft („Sozialmafia“)und gleichzeitige Unbeweglichkeit<strong>der</strong> Politik• Show statt Substanz – die Inszenierungvon Politik und die Vermittlungvon St<strong>im</strong>mung als PolitikersatzWohltuend sind in diesem Zusammenhangfre<strong>im</strong>ütige Stellungnahmenetwa des CSU-GeneralsekretärsThomas Goppel, <strong>der</strong> bezogen aufdie Gen-Debatte auf die „Grenzen<strong>der</strong> Politikgestaltung“ aufmerksammachte und offen darlegte, dass Entscheidungen<strong>der</strong> Politik in hochkomplexenThemenfel<strong>der</strong>n auch aufGrenzen stießen. (DLF, 29.5.2001)All diese Tendenzen, die insgesamteinen gepflegten Stillstand markieren,werden mit feinen Sensorenaufgenommen – auch von den Medien.All das sind keine Katalysatorenfür recherchierenden Journalismus,weil nach <strong>der</strong> ersten „Skandal-Stichflamme“ die Aufregung verlo<strong>der</strong>tund sich wie<strong>der</strong> Langeweile aus-96


eitet. Offenbar kann nur die andauerndeBerichterstattung allerMedien über einen längeren Zeitraumein Thema auf <strong>der</strong> „BerlinerAgenda“ halten. Doch dies ist nur inAusnahmefällen – wie etwa <strong>der</strong>Hochphase <strong>der</strong> CDU-Spendenaffaire– möglich.„... sich gut informiert fühlen“Statt sich den Herausfor<strong>der</strong>ungendieser Politik-Szenerie zu widmen,sucht die agressive Konsumgesellschaftnach neuen Wegen, nachSpannung in <strong>der</strong> Langeweile, nachdem Kick für den Augenblick.<strong>Die</strong> großen Wahrheiten werden meistensganz s<strong>im</strong>pel verkündet. EinPrivat-Radio ist einer dieser Wahrheitsvermittler:Im Vorspann zu den„Nachrichten“ umgarnt uns eineSt<strong>im</strong>me mit dem entwaffnendenSlogan: „Wir wollen, das sie sich gutinformiert fühlen.“Wenn man die Nachrichten <strong>im</strong> Hörfunk– privat wie öffentlich-rechtlichmit best<strong>im</strong>mten Ausnahmen –und die TV-Nachrichten analysiert,wird man feststellen, dass es keineinheitliches agenda setting gibt,son<strong>der</strong>n höchstens best<strong>im</strong>mte Tendenzen.Zentrale, neue Informationen<strong>im</strong> Fall Kiep kommen in denHauptnachrichten von SAT 1 undRTL gar nicht vor, werden in den„mo<strong>der</strong>ierten“ Nachrichten desZDF am Ende und in <strong>der</strong> ARD <strong>im</strong>ersten Drittel <strong>der</strong> Tagesschau plaziert.Bezogen auf den recherchierendenJournalismus heißt das: es gibt keinenverbindlichen Kompass für dieRelevanz von Themen und Konflikten,die als „investigativ“ eingeschätztwerden. Was ist wirklich neu– o<strong>der</strong> was wird nur um einen bereitsbekannten Informations-Kernals Neu-Information garniert undentsprechend verkauft? Das Recyclingvon vermeintlich „neuen“ Informationenführt zunehmend zumVerdruss von Machern und Konsumenten.Agenda-Cutting ersetzt Agenda-SettingNiemand weiss heute mehr ganz genau,was wichtig und was unwichtigist. Das organisch entwickelte Konzept<strong>der</strong> „mo<strong>der</strong>ierten“ heute-Nachrichtenwird man in keinem Journalismus-Lehrbuchfinden.<strong>Die</strong> klassischen Relevanz-Kriterienwerden nicht selten auf den Kopfgestellt.Folgende agenda-prozesse funktionieren,auch wenn sie nicht in<strong>der</strong> offiziellen Lehrbüchern zu lesensind o<strong>der</strong> gar die mit einemenormen t<strong>im</strong>elack ausgestattetePublizistik-Wissenschaft beschäftigen:97


• Der Stoff muss einfach und eingängigsein, komplizierte Sinnzusammenhängehaben keineChance.• Es gibt eine Sehnsucht nach orientieren<strong>der</strong>Verdichtung, die dieKonsumnenten aus dem diffusen,Overkill‘ von news und entertainmentin einen sicherenHafen <strong>der</strong> klaren Informationführt. Stoffe, die sich dazu nichteignen, fallen durch die vorgegebenenRaster.• Nur wenn BILDER vorliegen,besteht eine Chance in dasLeitmedium TV und die zunehmendbildorientierten Zeitungen(auf die Seite 1) zu kommen.<strong>Die</strong> visuellen Exper<strong>im</strong>ente desTagesspiegel und <strong>der</strong> Welt, die mitgroßflächigen Fotos arbeiten,prägen wohl den Zukunftstrend.• Das Motto: ,Ein Bild sagt mehrals 1000 Worte‘ o<strong>der</strong> ,Einmal sehen,ist besser als 100 Mal hören‘(Mao) illustriert die Macht<strong>der</strong> Bil<strong>der</strong>.Hier ist auch die Inszenierungsgefahrangelegt, da durch die Ausweitung<strong>der</strong> elektronischen Medien dieBil<strong>der</strong>-Gier grenzenlos wächst.• Personen- und Einzelschicksaleo<strong>der</strong> <strong>der</strong> Kampf / Streit zweierProtagonisten verdrängen komplizierteStrukturen und Sinnzusammenhänge.Der Stoff muss sich ganz einfachund s<strong>im</strong>pel darstellen lassenkönnen. Vereinfachung istdas Zauberwort und die damitverbundene Ausblendung an<strong>der</strong>er„schwieriger“ Themen.• Hintergründe sind nicht mehrinteressant, Vor<strong>der</strong>gründigesmuss beleuchtet werden, weil<strong>der</strong> Aufmerksamkeitspegel in einerüberreizten Gesellschaftsehr niedrig ist. AufstrebendeChefredakteure haben dafür denBegriff des „Oberflächenreizes“erfunden.All diese Faktoren, die sich durchdie Zunahme des Internet-Journalismusund die „news-to-use“-Philosophienoch verstärken werden,sind Handicaps für recherchierendenJournalismus. Der Aspekt des„Nutzens“ hat längst die Bedeutungdes „Wissens“ verdrängt.Das Tempo <strong>der</strong>Unterhaltungs-MaschineWir leben in einer wachsenden Welt,in <strong>der</strong> Medien & Konsum zu Schlüsselbegriffenwerden, die eine großeGestaltungsmacht entfalten.Gleichzeitig muss hier krass unterschiedenwerden zwischen qualitativ98


hochwertigen Medienangeboten inSparten und Nischen und dem kl<strong>im</strong>aprägendenMassenprogramm –vom Privatfunk bis zu den Anzeigenblättern.Gleichzeitig bewegen wir uns inzersplitterten Teilöffentlichkeiten,die – extrem zugespitzt – von einerInfo-Elite und einem Unterhaltungs-Proletariatgeprägt werden.Zwischen diesen beiden Polen findetdas Puzzlespiel <strong>der</strong> Zerstreuungstatt. D.h. best<strong>im</strong>mte Informationenerreichen das Gros <strong>der</strong> Bevölkerungnicht mehr. Parzellierunghat aber zentrale Konsequenzen fürdie Frage „was ist wichtig“, „was istnachrangig und was unbedeutend?“.Natürlich gibt es eine kritische Öffentlichkeit,die sich für orginäreRecherchen interessiert. Natürlichgibt es qualitativ hochwertige TagesundWochenzeitungen, natürlichgibt es Nischen zu später Stunde inden elektronischen Medien. Aber<strong>der</strong> Befund ist eindeutig: <strong>Die</strong>ser Sektorschrumpft und wird durch Quoten-und Auflagendruck weiter bedrängt.In <strong>der</strong> Summe heißt dies: Der Marktfür recherchierenden Journalismuswird <strong>im</strong>mer kleiner, eine Insel <strong>im</strong>Meer <strong>der</strong> leichten Unterhaltung.Orientierungslos <strong>im</strong> Medien-DschungelIn einer visuell überreizten Gesellschaftgeht es <strong>im</strong>mer häufiger nichtmehr um Informationen und Fakten,son<strong>der</strong>n um Eindrücke undSt<strong>im</strong>mungen. Wie wirken M<strong>im</strong>ik,Gestik, Farben?Wie aggressiv reagieren Politiker –wie souverän? Welche Laune hat <strong>der</strong>Kanzler?Schrö<strong>der</strong> ist ein Meister <strong>der</strong> Medien-Inszenierung, wenn er etwa die torsoartigeRentenreform als großartigenErfolg vermittelt. Er „verkauft“das Ereignis mit großer Freude undverbindet dies mit dem Dank an seinenMinister. <strong>Die</strong> „gute St<strong>im</strong>mungs-Bil<strong>der</strong>“ erschlagen dann die trübenFakten.Wahlentscheidend ist nicht die klareBilanz einer Amtsperiode, son<strong>der</strong>ndas massenmedial geprägte Bild, dasein Politiker abgibt. Welche Assoziationenund Gefühle – von Vertrauenbis Kompetenz – setzen best<strong>im</strong>mteBil<strong>der</strong> frei?Politiker wissen, dass nicht die mühseligeparlamentarische Kleinarbeitihnen be<strong>im</strong> Entstehen dieser Bil<strong>der</strong>hilft, son<strong>der</strong>n allein die mediale Präsenz.Das verleitet zur Abkehr vonklassischen parlamentarischen Tugenden– hin zu professionellen Inszenierungs-Aktivitäten.<strong>Die</strong> Sache tritt in den Hintergrund –die Show wird zentral. <strong>Die</strong> Show-Regie verdrängt also die langfristige99


Konzept-Arbeit. <strong>Die</strong>s verän<strong>der</strong>tnicht nur Politiker-Rollen, son<strong>der</strong>nverzerrt auch die heile Welt des Berufspolitikersaus deutschen Sozialkundebüchern.<strong>Die</strong> Konsequenz: Oft wird Politikschon in <strong>der</strong> Konzeptionsphase aufihre mediale Wirkung hin gecheckt.Nicht die Sache o<strong>der</strong> das zu lösendeProblem ist <strong>der</strong> Maßstab, son<strong>der</strong>ndie zu erwartende Medienresonanz.Inszenierungs-Politik verdrängtSach-Politik.Viele Menschen suchen nach Orientierungin <strong>der</strong> <strong>im</strong>mer komplizierterenWelt. Deshalb haben dieÜbersetzer <strong>der</strong> Komplexität diegrößten Marktchancen. Umfragen,Rankings und „Experten“, die keineAngst vor Vereinfachung haben,sind die Stars <strong>der</strong> Medienszene.Jochen Hörisch aus Mannhe<strong>im</strong>spitzt zu: „<strong>Die</strong>jenigen sind prominent,die fachlich inkompetentsind.“ So genannte Instant-Expertendas heißt: Gegenexperten, diefür die Vermittlung von Recherche-Ergebnisseunverzichtbarsind, haben geringe Chancen.(„Wer ist denn dieser ,no name‘?“)<strong>Die</strong> For<strong>der</strong>ung nach prominenten(nicht kompetenten) Interviewpartnerngehört bereits zu <strong>der</strong> Innenaustattungselbst renommierterMagazine.Macht ohne VerantwortungDas Trennungsgebot zwischen Medienund Politik existiert nicht mehr.Der duzende Kanzler, die vielenHintergrund-Kreise, Roland Kochals Focus-Chef, Helmut Markwortals Hessen-MP, Hans Eichel alsBILD-Chef, Kai <strong>Die</strong>kmann als Sparkommissar<strong>im</strong> Finanzministerium.Auf dieser Plattform läßt sich einAustausch unter Gleichen pflegen.Der Mann mit den vielen Fakten,Focus-Chef Markwort, nahm am29.5.2001 nicht zufällig die Rolle deshessischen Ministerpräsidenten an.Bei dem riesigen Medienauflauf betonteer noch einmal die Rolle <strong>der</strong>Medien als „Dolmetscher“ <strong>der</strong> Politik.Selten wurde die Verschmelzungzwischen Politik und Medien unddas (verzerrte) Selbstbild so deutlichwie in diesem Fall.Zeit-Autor Gunter Hofmann brachtees auf den Punkt: „<strong>Die</strong>se Veranstaltungist ein Teil des Problems,das sie beleuchten will.“Zugespitzter hat es Rudyard Kiplingquasi vorauseilend gesagt „Journalistenhaben Macht ohne Verantwortung– zu allen Zeiten ist dies dasKennzeichen <strong>der</strong> Huren.“Abseits des inszenierten Medienereignisses:<strong>Die</strong> Rollen <strong>der</strong> Journalistenän<strong>der</strong>n sich – von <strong>der</strong> eigenständigenBeobachtung aus eigenem100


Blickwinkel, unabhängig und kompetent–, geht <strong>der</strong> Trend zum content-manager,<strong>der</strong> am „traffic“ (alsoam Geschäftsverlauf) beteiligt ist.Es geht zunehmend darum, aus vorhandenen,leicht verfügbaren Stoffen,neue zu produzieren und eineperfekte Wertschöpfungskette zukreiren. Auch das beeinflusst dieAgenda <strong>der</strong> Medien.Zunahme kanalisierter InformationImmer mehr aussenstehende Akteurebetreiben effektives agenda-setting.<strong>Die</strong> größte Gefahr geht von den PR-Agenturen aus, die gerade <strong>im</strong> politischenBereich ihr Personal aufforsten.Regierungssprecher besetzen <strong>im</strong>Nebenjob die Gästeliste <strong>der</strong> wichtigstenTalkshows.Entscheidend ist die Vermarktungvon „Nicht-Informationen“ und„Zitaten“ nicht nur an Wochenenden.Wenn man die Vorab-Meldungenvon Tageszeitungen und Nachrichtenmagazinenüberprüft und ihren„Ertrag“ in den Agenturen analysiert,kommt man oft zu einer ernüchterndenBilanz.In den USA gilt häufig die Empfehlung„never talk to an press-officer“.<strong>Die</strong>ser Hinweis kann zunehmendauch auf Deutschland übertragenwerden. Denn den meisten geht esnur um „wording“, d.h. sie wollenselbst best<strong>im</strong>men, was berichtet wirdund was nicht. Trotz Informationsfreiheitsgesetzin bald vier Bundeslän<strong>der</strong>nund <strong>im</strong> Bund – <strong>der</strong> Trendgeht in Richtung kalt kalkulierterund kanalisierter Information. Werkritische Anfragen o<strong>der</strong> Interviewwünschehat, geht zunehmend leeraus.Weil es keinen Wi<strong>der</strong>stand etwa vonJournalistenorganisationen gibt weitetsich diese Methode <strong>der</strong> „Nicht-Information“ <strong>im</strong>mer rasanter aus.Deutschland –wo sind deine Spürnasen?Sind diese Trends <strong>der</strong> Mediengesellschaftunumkehrbar? Wo könntenAlternativen erkennbar sein?Wenn man über „investigativenJournalismus“ spricht, muss die gesellschafts-und medienpolitischeGesamtlage zunächst einmal besichtigtwerden. Denn Journalismus unddie jeweilige Resonanz auf die Berichterstattungund die daraus folgendenDebatten, finden nicht <strong>im</strong>luftleeren Bereich statt:Investigativer Journalismus kommtdann zum Zuge, wenn an<strong>der</strong>e Instanzenversagen. Rechnungshöfeo<strong>der</strong> Untersuchungsausschüsseüben oft nur Kontrolle zum Scheinaus. Bei <strong>der</strong> Umsetzung ihrer Kontrollvorschlägeund <strong>der</strong> Nennung101


<strong>der</strong> Verantwortlichen sind ihnen oftdie Hände gebunden und sie spürendie Abhängigkeiten von denen, diesie gewählt haben.Aufgabe eines guten Journalismusist es, Macht in je<strong>der</strong> Form unterLegit<strong>im</strong>ationsdruck zu setzen. Niemanddarf es sich bequem machen.„Der recherchierende Journalist hatdie Aufgabe, die dunkle Seite <strong>der</strong>Macht auszuleuchten und denMächtigen das Gefühl zu geben,dass <strong>der</strong> Missbrauch nicht völlig gefahrlosist,“ so das Credo von HansLeyendecker von <strong>der</strong> SüddeutschenZeitung.Will man die Chancen, Möglichkeitenaber auch Grenzen des recherchierendenJournal<strong>im</strong>us bemessen,dann scheinen mir folgende Überlegungenzentral:1. <strong>Die</strong> Intensität einer Rechercheentscheidet über die Qualität einesjournalistischen Produkts: Es gehtalso in erster Linie nicht um „Enthüllungen“,vertrauliche Vermerke,ungedeckte Schecks und verschwundeneAkten. Son<strong>der</strong>n es geht zunächsteinmal ganz schlicht um dieOpt<strong>im</strong>ierung <strong>der</strong> Qualität und damitum den Respekt vor den Lesern,Zuschauern und Zuhörern. Das Publikumhat ein Recht auf ordentlichrecherchierte Geschichten.Gute Recherche darf nicht auf die„Enthüllung“ verkürzt werden; sieist das Fundament für kompetenteBerichterstattung. Ohne Recherche,hat Gerd Ruge gesagt, bleibt alles <strong>im</strong>Allgemeinen und Ungefähren.Im Medien-Alltag geht es aber <strong>im</strong>Wesentlichen um die Ergänzungs-Recherche. Wen muss ich zu <strong>der</strong>Agentur- o<strong>der</strong> Pressemeldung nochanrufen, um den Text abzurunden?Vielleicht reicht die Zeit noch, umdie Gegenseite zu hören? Weil dasje<strong>der</strong> kann, wollen die meisten Journalistennichts von vertiefter Recherchehören.Zum Selbstbild gehört es „recherchierenzu können“. <strong>Die</strong>se Sozialtechnikgehört sozusagen zur Innenausstattung<strong>der</strong> Journalisten, soselbstverständlich wie <strong>der</strong> Führerscheino<strong>der</strong> die persönliche Trinkfestigkeit.Ein trügerisches Selbstbild.„Recherchieren gehört zur selbstverständlichenGrundausstattung“,dieser Tabu-Zustand darf nicht hinterfragtwerden, sonst würden vieleMythen zerbrechen.Recherche best<strong>im</strong>mt Qualität, indemdurch intensive Auseinan<strong>der</strong>setzungmit einem Thema Informantenden Autoren kein X für einU vormachen können, indem dierichtigen Fragen an die richtigen102


Leute gestellt, auf Antworten gedrängtwird. Schließlich verbessertdie Recherche die Urteilsfähigkeitund die Auswahlqualität von Interviews,Fakten, Eindrücken, Bil<strong>der</strong>nund Tönen. Das Produkt wird einfachbesser. Recherche ist also d a s(unentdeckte) Instrument zur Qualitätssicherung.Qualität kommt von Qual2. <strong>Die</strong> Zentrierung von Rechercheauf „Aktenbeschaffung“ ist eine unzulässigeVerkürzung. Gleichzeitigist es ein geschicktes Entlastungsargument,das davor schützt, sich konkretmit <strong>der</strong> Anatomie <strong>der</strong> Recherchezu beschäftigen.In allen journalistischen Fel<strong>der</strong>nmüsste mehr beobachtet, mehr gedacht,mehr nachgefragt, also mehrrecherchiert werden. <strong>Die</strong>se Arbeitsweisewürde zu besseren Portraits,spannenden Interviews und reflektiertenMo<strong>der</strong>ationen führen.<strong>Die</strong> Stigmatisierung o<strong>der</strong> Ausblendung<strong>der</strong> Recherche ist oft ein Entlastungsvorgang.Denn intensiveRecherche ist schlicht und einfachmehr Arbeit.Aber damit sind Verleger und Intendantenangesprochen, bessereArbeitsbedingungen zu ermöglichenund die Verbindung von „Rechercheund Qualität“ zu akzeptieren.Honorarschlüssel für Filme „mit“und „ohne“ Rechercheleistung o<strong>der</strong>die bessere Bezahlung für die Bearbeitungvon eingespielten Nachrichtenbil<strong>der</strong>n<strong>im</strong> Verhältnis zu traditionellenMagazinmachern. dürfte eseigentlich nicht geben. <strong>Die</strong> finanzielleBilanz ist unter Recherchereneindeutig: Ihr Mehreinsatz zahlt sichnicht aus.3. Wenn man über recherchierendenJournalismus redet, muss manmehrere Arbeitsebenen und damitIntensitätsstufen <strong>der</strong> Recherche unterscheiden:• die Alltags-Recherche, die vorrangigFakten und Informationenkritisch prüft und die Stoffein eine vernünftige Ordnungbringt.• die Magazin-Recherche, die tiefergeht, Zusammenhänge herstelltund Hintergründe ausleuchtet,die sich um neue Faktenund authentische Quellenund Informanten bemüht.• die orginäre Hintergrund-Recherche,die sich das Ziel setztmit langem Atem bisher nichtveröffentlichte o<strong>der</strong> nicht öffentlichbekannte Fakten undZusammenhänge aufzudecken.103


• die Enthüllung (als Ausnahmeund Königsform).Zwischen diesen vier Stufen gibt esnatürlich fließende Übergänge undAkzente. Auf allen vier Ebenen sindRecherchen nötig und möglich.4. Recherche-Fähigkeiten müssendauernd weiterentwickelt werden.<strong>Die</strong> Verbesserung <strong>der</strong> Recherche-Fähigkeit <strong>der</strong> Journalisten ist einQualitätssicherungs-Programm. <strong>Die</strong>Wissensgesellschaft Deutschlandbefindet sich hier noch <strong>im</strong> Stadiumeines Entwicklungslandes.Es ist ja kein Zufall, dass die Recherche-Ausbildungseltener betriebenwird als etwa das Training an<strong>der</strong>erjournalistischer Arbeitstechniken.Nach einer groben Übersichtfällt auf, dass die Angebote für„Online-Recherche“ die normaleBasis-Recherche längst übersteigen.<strong>Die</strong>s ist nicht nur ein Tribut an „billigereRecherchequellen“, son<strong>der</strong>nfolgt auch vielen Kollegen, die demNetz eher vertrauen als <strong>der</strong> Realität.5. Das Internet als Quelle ersetzt oftdie zentrale Ressource – das Denken.<strong>Die</strong> Analyse von Joseph Weizenbaum„Das Internet ist ein großerMisthaufen, in dem man auchSchätze und Perlen findet“ solltezum Allgemeingut werden. Eine kritischereHaltung zu Chancen undGrenzen <strong>der</strong> Netzinformation wäreeine Bereicherung für den Journalismus.6. In <strong>der</strong> Ausbildung und <strong>der</strong> Praxisdes Journalismus sollten die Pr<strong>im</strong>ärtugenden<strong>der</strong> Recherchegepflegt werden:• Denken• den Sachverhalt klären und Wissenakkumulieren• die richtigen Fragen an die richtigenLeute stellen• Quellen erschließen, pflegenund sichern• einen Befragungsplan und eineChronologie <strong>der</strong> Ereignisse anlegen• Ergebnissicherung betreibenmit einem Rechercheprotokoll,d.h. systematisches Arbeitenför<strong>der</strong>n; mit viel Übung ist diesauf Dauer sogar zeitsparend.<strong>Die</strong> Qualität <strong>der</strong> Produkte wirdnach intensiver Recherche auf jedenFall besser.Solides Handwerk – kein Zauberwerk7. Intensive Recherche ist vor allemQuellenarbeit. Spannende und unbekannteInformationen werdennicht mit „Zauberhand“ beschafft,son<strong>der</strong>n mit solidem Handwerk erarbeitet.104


Im Mittelpunkt steht die Erschließungvon Quellen, die vor allem absolutenSchutz brauchen.<strong>Die</strong>se Grundregel ist banal, wirdaber nur selten akzeptiert.Hier kommt es <strong>im</strong> Wesentlichen daraufan, Menschen zu öffnen und ihnendie gebotene Seriösität zu vermitteln.Kommunikationsfähigkeitund Vertrauensvermittlung sind hieressentiell.Denn viele Informationen kommenaus „nie<strong>der</strong>en Motiven.“(Haß, Herabsetzung, Ausgrenzung,Konkurrenz, Intrige, Demütigung,PR- Gegenmaßnahmen,Ex-Mitarbeiter) <strong>Die</strong>se Erkenntnissollte zu Konsequenzen führen: einensensibleren Umgang mit Informantenpflegen und natürlicheine intensive Gegenrecherche betreiben.8. Kontakte pflegen, ein Kontaktnetzaufbauen ist entscheidend.Neugier ist notwendig.Dazu kommt aber eine ÜberdosisMisstrauen. Denn nur mit dem gebotenenMisstrauen und dem gegencheckenvon „heißen“ Informationenist eine Recherche vollständig.Es ist kein Zufall,dass die erfolgreichenRechercheure <strong>der</strong> Republikeine hohe Kommunikationsfähigkeitund die Fähigkeit zum Rollenspielaufweisen.Der Typ „diplomatischer“ Rechercheurscheint am erfolgreichsten zusein.9. Bei intensiven Recherchen gibt es(meist) kein Ende, son<strong>der</strong>n lediglichPausen. Ausdauer und Nachhaltigkeit,Fleiß und Hartnäckigkeit sindpr<strong>im</strong>äre Tugenden guter Rechercheure.Manchen Informanten ist die nachgewieseneIntensität des Interessesan <strong>der</strong> Sache irgendwann einmalsympathisch. D.h. die psychologischeDisposition <strong>im</strong> Kontakt mitInformanten ist oft entscheidend.Meist gilt <strong>der</strong> Erfahrungssatz nach<strong>der</strong> Bearbeitung eines Themas: Auseinem Stoff wächst <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e; einguter Informant hat meist mehr alseine Geschichte zu erzählen.10. Rechercheure, die ihrem Geschäftintensiv nachgehen, sind oftsehr einsam. Denn nach je<strong>der</strong> kritischenGeschichte gibt es nicht nur„winner“ – son<strong>der</strong>n auch Verlierer.Es gibt eine Faustregel: Wenn wirklichetwas aufgedeckt wird, folgt diedirekte und versteckte Gegenwehr,wächst <strong>der</strong> Druck (JuristischeSchritte, Prozesse, politischerDruck, Karriere-Einbußen...).Es gibt außerdem den Trend „bekannte“Rechercheure mit Gegen-105


echerchen und Anfeindungen zuüberziehen. <strong>Die</strong>s geschieht oft inForm einer „Projektion“. Als RolandKoch den Filmautor ChristophMaria Fröh<strong>der</strong> wegen seinerBerichterstattung <strong>im</strong> Spendenskandalübel besch<strong>im</strong>pfte, erklärtedie hessische Landespressekonferenzgeschlossen ihre Solidarität.Das ist unter Journalisten nicht<strong>im</strong>mer so.<strong>Die</strong> Attacken gegen die Recherchenehmen zu: Nachdem die Welt exclusivauf hessischen Akten zu demgeplanten NPD-Verbot berichtete,wurde sogar das BKA eingeschaltet.Nachdem <strong>im</strong> Aussenministeriumein Bericht über die US-Reise desKanzlers an die Öffentlichkeit kam,wurde sogar eine „Task Force“ eingerichtet.Nach vielen kritischen Berichtenwerden Behörden durchforstet,Quellen und Informaten gesucht.All dies belegt die Notwendigkeit absolutenInformantenschutzes.Perspektiven – wo Gefahr ist, wächstauch das RettendeWenn man die zahlreichen kritischenHinweise zur mangelhaftenRecherche in jüngster Zeit mustert,stellt man ein gewachsenes Problembewusstseinbei Machern und Managernfest.106


<strong>Die</strong>ser „Unmut“ muss allerdingskonstruktiv übersetzt werden. EinigePerspektiven sind denkbar:• Rechercheure müssen teamfähigerwerden. Wer lange allein arbeitet,dem droht die Gefahr desEinzelgängers. Kooperationen,Themenaustausch (zwischenden Medien) sind sinnvollvolleHilfskonstruktionen, um Reflexion,einen intellektuellen Gegenpartetc. zu för<strong>der</strong>n. <strong>Die</strong>s giltauch für die internationaleGrenzüberschreitung. <strong>Die</strong> Kooperationbe<strong>im</strong> Sturz <strong>der</strong> EU-Kommission gilt als leuchtendesBeispiel.• Medienkritik und die Diskussionethischer Standards in denMedien sind die Partner des recherchierendenJournalismus.<strong>Die</strong> Entwicklung eines „TV-Medienmagazins“ <strong>im</strong> NDR istein gutes Zeichen. <strong>Die</strong> Verständigungauf ethische Standards –jüngst <strong>im</strong> WDR festgelegt –kann schon allein deshalb hilfreichsein, weil die interne Diskussionüber ethische Standardsund Werteorientierungen eineDebatte ausgelöst.• Mitte Juni verkündete die ARDeine neue Programmstrategie.Dokumentationen und Featureswurden gestärkt, politische Magazinezumindest vorläufig direktnach <strong>der</strong> Tagesschau ausgestrahlt.Tendenzen, die darauf hindeuten,das das geflügelte Wort <strong>der</strong> „Informationskompetenz“eine neueRenaissance erfährt.Sonja Mikich hat bezogen auf dieAuslands-Berichterstattung einenwichtigen Aspekt <strong>der</strong> Gegenwehrbeschrieben. Sie erinnert daran, dassich Journalisten stets fragen sollten,„Wer möchte, das ich das somache und warum?“. Ihre Empfehlungsich offensiv gegen die Macht<strong>der</strong> Vereinfacher und Quoten-Predigerzu wehren: „Wer sich gegen,Ausland light‘ und Bangbang-Berichtewehrt, bekommt oft vorgehalten,er o<strong>der</strong> sie habe einen überentwickelten,erhobenen Zeigefinger.Mit an<strong>der</strong>en Worten: langweilig,kopfig, oberlehrerhaft. Wirbekommen Komplexe eingeredet,wenn wir über Humanismus o<strong>der</strong>Ansprüche reden. Aber wir müssenstur bleiben und uns nicht von Quotenund Quotenpredigern einschüchternlassen.“107


Jochen MarkettInvestigativer Journalismus„Handwerk statt Zauberei!“1. Einleitung„Man sollte die Recherche auf dieRote Liste <strong>der</strong> vom Aussterben bedrohtenjournalistischen Tugendensetzen.“ 1 Mit dieser scharfen For<strong>der</strong>ungmachte Matthias Drobinski,Redakteur <strong>der</strong> Süddeutschen Zeitung inMünchen, <strong>im</strong> Jahre 1998 auf einenaus seiner Sicht gefährlichen Missstandin den deutschen Medien aufmerksam.Drobinski begründete seinen Pess<strong>im</strong>ismusso: Den wenigen festangestelltenRedakteuren stehe das„Brackwasser <strong>der</strong> Verwaltung“ biszum Kinn. Ihnen fehle die Zeit, umeine Geschichte gründlich zu recherchieren.<strong>Die</strong>jenigen, die die Storiesbringen könnten, nämlich die Freien,arbeiteten nach einer einfachenRechnung: Steigt <strong>der</strong> Aufwand, sinkt<strong>der</strong> Stundenlohn. Finanziell fehleihnen also auch <strong>der</strong> Anreiz, sichmehrere Wochen o<strong>der</strong> gar Monatein ein einziges Thema einzuarbeiten.2Drobinskis Analyse leuchtet ein.Doch wenn <strong>der</strong> SZ-Redakteur diejournalistische Recherche als „vomAussterben bedroht“ bezeichnet,müsste er fairerweise auch die nennen,die für ihr „Überleben“ stehen:Hans Leyendecker, früher Spiegel-,nun SZ-Redakteur; Christoph MariaFröh<strong>der</strong>, freier ARD-Fernsehjournalist;o<strong>der</strong> auch Dagmar Hovestädt,Redakteurin be<strong>im</strong> ARD-Magazin„Kontraste“. Sie und einige ihrerKollegen betreiben und för<strong>der</strong>n das,was Wissenschaftler und Autorenheute als „Investigativen Journalismus“bezeichnen. Ihre Stärke ist diegründliche Recherche: Sie verlassensich nie auf Pressemitteilungen, son<strong>der</strong>nsie denken nach und entwikkelnFragen. Sie telefonieren, wälzenAkten, treffen sich mit Informantenund konfrontieren Verantwortlichemit Vorwürfen. Ihre <strong>Publikation</strong>ensorgen nicht selten fürAufruhr be<strong>im</strong> Publikum und produzierenauf diese Weise politische undwirtschaftliche Skandale. Als herausragendesBeispiel wird meist dieWatergate-Affäre genannt, die vorallem durch die gründliche Recherchevon Bob Woodward und CarlBernstein, zweier junger Redakteure<strong>der</strong> Washington Post, ausgelöst wurde.In ihrer Folge trat Richard Nixonals Präsident <strong>der</strong> USA zurück.108


<strong>Die</strong> Arbeit und das Selbstverständnisvon Rechercheuren nach demVorbild von Bernstein und Woodwardhabe ich zum Thema dieserArbeit gemacht. Bei <strong>der</strong> Lektüre wissenschaftlicherAufsätze und journalistischerBerichte haben sich folgendeFragen ergeben:1. Welche Bedeutung hat <strong>der</strong> Begriff„Investigativer Journalismus“?2. In welcher historischen Traditionsteht Investigativer Journalismus?3. Wie lässt sich die Lage des investigativenJournalismus inDeutschland und vergleichenddazu in den USA beschreiben?4. Welche strukturellen Bedingungen,d.h. Gesetze, gesellschaftlicheAnfor<strong>der</strong>ungen und redaktionelleStrukturen, behin<strong>der</strong>no<strong>der</strong> för<strong>der</strong>n die investigativeRecherche?5. Welches Selbstverständnis stehthinter <strong>der</strong> Arbeit eines investigativenJournalisten in Deutschlandund in den angelsächsischenLän<strong>der</strong>n?6. Welche Chancen haben Nachwuchsjournalisten<strong>im</strong> investigativenJournalismus?<strong>Die</strong> Beantwortung dieser Fragen erfolgtin den Kapiteln zwei bis sechs,die inhaltlich aufeinan<strong>der</strong> aufbauen.Erst nach einer begrifflichen Eingrenzungvon investigativem Journalismusist es möglich, die historischenVorbil<strong>der</strong> investigativer Recherchezu beschreiben. Danacherscheint es mir sinnvoll, zunächstdie von Gesetzen sowie gesellschaftlichenund redaktionellenStrukturen beeinflusste Lage desinvestigativen Journalismus inDeutschland und den angelsächsischenLän<strong>der</strong>n zu beschreiben, umdanach auf das Selbstverständnis<strong>der</strong> Rechercheure und die Anfor<strong>der</strong>ungenan ihre Arbeit einzugehen.Im letzten Kapitel möchte ichkurz auf neue Möglichkeiten fürinvestigative Nachwuchsjournalisteneingehen.2. Investigativer Journalismus –eine DefinitionWer nach einer Definition für denBegriff „Investigativer Journalismus“sucht, kann nicht einfach inden Duden schauen, um dort einesinnvolle Auslegung und Inhaltsbest<strong>im</strong>mungdes Wortes zu finden.Denn <strong>der</strong> Begriff birgt Interpretationsspielraum.Hans Leyendeckerhat in einem Rundgespräch zumThema „Investigativer Journalismusin Deutschland“ gesagt: „<strong>Die</strong> meisten,so glaube ich, verstehen darunter,dass man ohne Hilfe <strong>der</strong> Sekretärineine Telefonnummer findet.“ 3Sieht man einmal von <strong>der</strong> satirischenSchärfe dieser Aussage ab, so zeigt109


sie schon, dass die Definitionsansätzefür den Begriff sehr unterschiedlichsind. Sie reichen von rein hermeneutischenbis in beinahe kulturphilosophischeD<strong>im</strong>ensionen.Viele versuchen den Begriff zunächstgegenüber einer an<strong>der</strong>en,weit verbreiteten Form des Journalismusabzugrenzen: dem Verlautbarungsjournalismus.Investigativ istfür Hannes Haas und Heinz Pürerein Journalismus, <strong>der</strong> sich <strong>der</strong> Information<strong>der</strong> Öffentlichkeit verpflichtetfühlt und sich nicht damit begnügt,nur Verlautbarungen unterdie Leute zu bringen. In einer Zeitkünstlicher Informationsüberflutungund gleichzeitig systematischbetriebener Informationsverhin<strong>der</strong>ungsei nachforschen<strong>der</strong> Journalismusunbedingt erfor<strong>der</strong>lich. 4 Recherchesehen sie also als Gegenmittelzur reinen „PR-Falle“.So argumentiert auch <strong>der</strong> RundfunkjournalistKlaus-Jürgen Haller, fürden „Investigative Reporting“ und„Recherchejournalismus“ weitgehenddasselbe sind. Bei beiden gehees um die Überprüfung von Fakten,Behauptungen und Unterstellungen,also <strong>im</strong>mer um die Frage nach <strong>der</strong>Wahrheit. Beide Arbeitsweisen hättenzum Ziel, das öffentlich zu machen,was an<strong>der</strong>e meinen unter denTeppich kehren zu müssen. Er definiert:„,To investigate‘, ,den Spuren110


folgen‘, bedeutet: ,untersuchen‘,,nachforschen‘, ,nachgehen‘, ,Ermittlungenanstellen‘“. 5Auch Werner Holzer, ehemaligerChefredakteur <strong>der</strong> Frankfurter Rundschau,kann sich mit <strong>der</strong> Gleichsetzungvon investigativem Journalismusmit nachforschendem Journalismusanfreunden. Er glaubt aber,dass man es dann eigentlich mit einemPleonasmus, wie z.B. „weißerSch<strong>im</strong>mel“, zu tun habe. Denn wirklicherJournalismus, <strong>der</strong> sich <strong>der</strong> Information<strong>der</strong> Öffentlichkeit verpflichtetfühle, sei <strong>im</strong>mer nachforschendgewesen und habe sich niedamit begnügt, nur Verlautbarungenunter die Leute zu bringen. Holzersagt: „Es st<strong>im</strong>mt einfach nicht, dassdamit eine ganz neue Art des Journalismusgeboren worden ist. Seitunabhängige Leute angefangen haben,Informationen zu sammeln, zusortieren, zu vergleichen und zu analysieren,wird nachforschen<strong>der</strong> Journalismusbetrieben.“ 6Benjamin C. Bradlee, <strong>der</strong> VerantwortlicheRedakteur für die Watergate-Recherchevon Bob Woodwardund Carl Bernstein (siehe 3. Kapitel),formuliert es ähnlich: „Any kindof journalism, if you ask more than acouple of questions, becomes investigativeby definition.“ 7Wolfgang Donsbach st<strong>im</strong>mt Holzerund Bradlee zu, indem er über deninvestigativen Journalismus sagt:„Im Grunde ist dieser Typus keinevöllig neue Rollendefinition.“ Dannfügt er aber gleich hinzu, dass er darindie Erweiterung des klassischenRecherche-Journalismus aus denUSA sieht 8 und entkräftet so HolzersArgument des Pleonasmus.Entscheidend ist hier <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong>Erweiterung. Er verleiht dem investigativenJournalismus den Statusdes Beson<strong>der</strong>en, gibt ihm einen eigenenCharakter.<strong>Die</strong>sen beson<strong>der</strong>en Charakter beschreibtz. B. Manfred Redelfs. Fürihn ist es „eine Form von US-Journalismus,bei <strong>der</strong> durch die intensiveRecherche bisher unbekannte Sachverhaltevon politischer Relevanzöffentlich gemacht werden, die Einzelne,Gruppen o<strong>der</strong> Organisationenverbergen möchten. Ziel von,investigative reporting‘ ist es, Missständeaus den Bereichen Politik,Wirtschaft und Gesellschaft aufzudecken.“9 Analog zu dieser Aussageverlaufen die Ergebnisse einer Umfrage,die 1986 von <strong>der</strong> amerikanischenBerufsorganisation „InvestigativeReporters and Editors“ (IRE)durchgeführt wurde. Bei rund 90Prozent <strong>der</strong> Journalisten, die bei den500 auflagenstärksten Zeitungenund den 200 größten Fernsehstationen<strong>der</strong> USA arbeiten, herrschte dabeiKonsens über die drei Hauptmerkmalevon investigativem Journalismus:111


• Eine aktive Reporterrolle• Thematische Relevanz• <strong>Die</strong> Recherche lässt sich nur gegenWi<strong>der</strong>stände betreiben. 10Wenn es Wi<strong>der</strong>stände gegen eineRecherche gibt, müssen Wege gefundenwerden, diese zu umgeheno<strong>der</strong> zu brechen. Eine Charakterisierung<strong>der</strong> dafür angewandten Methodensteht <strong>im</strong> Mittelpunkt weitererDefinitionen zur Frage, was eigentlich„investigativ“ ist. Für SiegfriedWeischenberg, heute Vorsitzen<strong>der</strong>des Deutschen Journalisten-Verbandes, ist Enthüllungsjournalismusein Gegenentwurf zum gängigenInformationsjournalismus. SeineKennzeichen seien intensive, kritischeRecherchemethoden. 11 FürMichael Haller, Professor am Institutfür Kommunikations- und Medienwissenschaftenin Leipzig undHerausgeber <strong>der</strong> Fachzeitschrift„Message“, sind die investigativenRecherchemethoden nicht nur „intensiv“o<strong>der</strong> „kritisch“, son<strong>der</strong>n„hart an <strong>der</strong> Grenze des Erlaubten“12 . Und Hermann Son<strong>der</strong>hüskenzieht sogar einen Vergleich zur Polizeiarbeit:„Da wird mit teilweise kr<strong>im</strong>inalistischenMethoden ermittelt.Es ist <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> erstaunlich, wasda von begabten Journalisten zutagegeför<strong>der</strong>t wird.“ 13Während Son<strong>der</strong>hüsken also vonden kr<strong>im</strong>inalistischen Methoden positivbeeindruckt ist, kann HerbertKremp, ehemaliger „Welt“-Korrespondentin Brüssel, diese Art <strong>der</strong>Recherche gar nicht gutheißen.„Verfolgungsbehörden investigieren.Gemeindienste investigieren.Das Ziel <strong>der</strong> Investigation ist dieAufdeckung kr<strong>im</strong>ineller o<strong>der</strong> <strong>im</strong> weiterenSinn gemeinschädigen<strong>der</strong>Handlungen und Zusammenhänge.Investigation in diesem Sinne bedarfeiner Legit<strong>im</strong>ation, über die <strong>der</strong>Journalist nicht verfügt.“ 14Viele Autoren bemerken, dass investigativeJournalisten sich oft selbstzu moralischen Wächtern <strong>der</strong> Gesellschaftmachen. Hermann Boventerbeurteilt das kritisch. In <strong>der</strong> klassischenVerfassungslehre sei dieKontrollfunktion nicht zu Unrechtdem Parlament übertragen. Wenn<strong>der</strong> Journalist sich nun als Wächtero<strong>der</strong> Richter ideologisiere, löse ersich aus den verfassungspolitischenZusammenhängen und verselbstständigeeigenmächtig sein Amt. 15Eine beson<strong>der</strong>e Form <strong>der</strong> Verselbstständigungkritisiert Klaus Reumann:„Wenn dieser Journalismusnicht in erster Linie <strong>der</strong> Verteidigungdemokratischer Tugenden und Einrichtungendient, son<strong>der</strong>n eherdurch Sensationshascherei <strong>der</strong> Auflagensteigerung,nennt man ihn abfällig,muckraking‘“ 16 .Um zu erfahren, woher dieser nichtvon Reumann geprägte Begriffstammt, möchte ich nun einen Blick112


in die Geschichte, zu den Vorläuferndes investigativen Journalismuswerfen.3. Recherchierende Journalisten in<strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> USA3.1. Watchdogs und MuckrakersIn <strong>der</strong> zweiten Hälfte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>tswar von investigativemJournalismus in den USA noch keineRede. Doch es gab bereits Journalisten,die sich <strong>der</strong> Öffentlichkeitverpflichtet fühlten und kämpferischfür die Enthüllung von Korruptionund Skandalen eintraten. Siebeanspruchten für sich eine „watchdogfunction“, sahen sich als Wachhunde<strong>der</strong> Gesellschaft. Der wohlberühmteste Fall <strong>der</strong> „Wachhund“-Arbeit spielte sich 1870 ab, als dieNew York T<strong>im</strong>es eine Kampagne gegendas Reg<strong>im</strong>e des berüchtigtenBürgermeisters von New York, WilliamMarcy Tweed, führte. 17 Tweedwar Mitglied einer als korrupt geltendenFraktion <strong>der</strong> Tammany Demokraten.18 Offensichtlich trug dieFraktion mittels <strong>der</strong> „T<strong>im</strong>es“-Kampagneinterne Rivalitäten an die Öffentlichkeit.Denn ein Großteil <strong>der</strong>konkreten Beweise stammte von SamuelJ. Tilden, <strong>der</strong> selbst TammanyHall angehörte und nicht nur dasAmt des Gouverneurs des StaatesNew York, son<strong>der</strong>n das des Präsidenten<strong>der</strong> USA anstrebte. Tweedhatte jedoch öffentlich Partei für denbisherigen Gouverneur John T.Hoffmann ergriffen. 19 <strong>Die</strong> T<strong>im</strong>eswurde von Tilden eher instrumentalisiert,als dass sie investigativ tätigwurde. Allerdings füllte die Zeitungfast während des gesamten Septembers1870 die ganze erste Seite mitneuen Enthüllungen von Tweed undseiner Fraktion. So verlieh sie <strong>der</strong>Kampagne einen investigativen Pathos.Tweed wurde schließlich gestürztund verhaftet.Als wenig später <strong>der</strong> VerlegerAdolph Ochs die New York T<strong>im</strong>esübernahm, kehrte die Zeitung demEnthüllungs- und Skandaljournalismusden Rücken. Sie verschrieb sicheinem objektiven und leidenschaftslosenJournalismus, <strong>der</strong> seine Legit<strong>im</strong>ationan dem berühmten Wahlspruch„All the news that’s fit toprint“ festzumachen suchte. 20Doch das Image <strong>der</strong> Presse als„furchtloser Wahrheitssucher undeinsamer Streiter gegen die Korruption<strong>der</strong> Mächtigen“ 21 ging in denUSA nicht verloren. Zu verdankenhatte sie dies einer beson<strong>der</strong>enGruppe von Journalisten, den„Muckrakers“. <strong>Die</strong> Besch<strong>im</strong>pfung„Muckrakers“, zu Deutsch „Mistgabeln“,stammt aus einer Rede des26. amerikanischen Präsidenten,Theodore Roosevelt, aus dem Jahre1906. Roosevelt ließ sich zu <strong>der</strong>113


Presseschelte hinreißen, weil einJournalist den amerikanischen Senatals „Plutokratennest“ bezeichnethatte. Der Präsident entlieh das Bildvon <strong>der</strong> Mistgabel aus dem Buch„Pilgr<strong>im</strong>’s Progress“, das JohnBunyan <strong>im</strong> 17. Jahrhun<strong>der</strong>t verfassthatte. 22 <strong>Die</strong> Lektüre dieses Romanswar an <strong>der</strong> Schwelle zum 20. Jahrhun<strong>der</strong>tfast so wichtig wie die <strong>der</strong>Bibel, so dass Roosevelts Zuhörersein Bild direkt verstanden habendürften. Dennoch beschrieb er den„Muckraker“ noch einmal: „DerMann, <strong>der</strong>, mit seiner Mistgabel in<strong>der</strong> Hand, nur nach unten schauenkonnte, <strong>der</strong>, obwohl ihm eine h<strong>im</strong>mlischeKrone angeboten wurde, we<strong>der</strong>nach oben blickte noch nach <strong>der</strong>Krone griff, son<strong>der</strong>n weiter denSchmutz am Boden aufwühlte.“ 23Zudem sch<strong>im</strong>pfte <strong>der</strong> Präsident dieamerikanische Presse eine Dreckschleu<strong>der</strong>,warf ihr Mangel an gutemWillen vor und bezichtigte sie <strong>der</strong>Aufwiegelung zum Klassenkampf.Roosevelt und die Journalisten warenfünf Jahre nach Beginn seinerAmtszeit zu erbitterten Gegnern geworden.Das hatte wenige Jahre zuvor, in <strong>der</strong>Hochblütezeit <strong>der</strong> Muckrakers,noch ganz an<strong>der</strong>s ausgesehen. Umdie Jahrhun<strong>der</strong>twende war TheodoreRoosevelt <strong>der</strong> politische Held <strong>der</strong>Muckrakers. 24 In <strong>der</strong> Zeit des Sozial-Darwinismus,wo <strong>der</strong> aufke<strong>im</strong>endeIndividualismus auch von vielenJournalisten verherrlicht wurde, sahensie in dem Präsidenten den einsamenKämpfer, „<strong>der</strong> es in Afrikamit Großwild, in San Juan Hill mitden bösen Spaniern und in WashingtonD.C. mit den mächtigen Großkonzernenaufnahm.“ 25 TheodoreRoosevelt, ein Mitglied des Reformflügels<strong>der</strong> Republikaner, galt alsAnhänger <strong>der</strong> Bewegung <strong>der</strong> Progressives,die mit For<strong>der</strong>ungen nachAntitrustgesetzen, Handelsregulierungund Maßnahmen gegen Regierungskorruptionzum Sprachrohr<strong>der</strong> Kleinunternehmer wurden.<strong>Die</strong> Anhänger <strong>der</strong> Progressiven <strong>im</strong>Journalismus waren die Muckrakers.Sie arbeiteten entwe<strong>der</strong> alsBuchautoren o<strong>der</strong> für die neu gegründetenMassenzeitschriften, diedas qualitativ hochwertigere Pendantzu den „gelben“ Sensationszeitungen<strong>der</strong> Hearst- und Pulitzerpressebildeten. Zu den erfolgreichstengehörte das McClure’s Magazine.S.S. McClure gründete seineZeitschrift 1893 auf <strong>der</strong> Basis niedrigerPreise. Zeitschriften kostetendamals zwischen 25 und 35 Cents –McClure ging jedoch mit einerSchrift für nur 15 Cents auf denMarkt. 26 <strong>Die</strong> Auflage machte einenenormen Sprung von 120.000 <strong>im</strong>August 1895 auf 307.000 <strong>im</strong> Jahr1900. Den Erfolg verdankte <strong>der</strong>Herausgeber aber nicht nur dem114


niedrigen Preis, son<strong>der</strong>n in ersterLinie den Muckrakern.Berühmt wurde vor allem die Januar-Ausgabevon 1903. Sie bot denLesern drei spannende Features, diesich mit Betrügerei in höheren Kreisenbeschäftigten. Lincoln Steffensschrieb über die Korruption inStadtverwaltungen. Ray StannardBaker griff die Unmenschlichkeit <strong>der</strong>Bergbauindustrie <strong>im</strong> Generalstreik<strong>der</strong> Bergleute an und for<strong>der</strong>te zurGewerkschaftsbildung auf.Am meisten wiegelte die Öffentlichkeitaber Ida Tarbells offener Angriffauf John D. Rockefeller in ihremArtikel „<strong>Die</strong> Geschichte <strong>der</strong>Standard Oil Company: Der Ölkriegvon 1872“ auf. 27 Tarbell, eine <strong>der</strong>ersten studierten Frauen <strong>der</strong> USA,war 1901 von McClure mit <strong>der</strong> Untersuchung<strong>der</strong> Geschichte von RokkefellersÖlkonzern beauftragt worden.McClure investierte 50.000Dollar für die Recherche, so dassTarbell in fünf Jahren 19 Artikelschreiben konnte, die zur Popularitätdes Blattes und zum Reichtumdes Verlegers enorm beitrugen. 28Doch nicht alle Muckrakers wurdenvermögend. Der Sozialist UptonSinclair, vielleicht „Amerikas berühmtesterhistorischer Muckraker“29 , verdiente wenig Geld, wenngleicher mit seinen <strong>Publikation</strong>enwie „The Brass Check“ (1906) überdie Missstände in <strong>der</strong> fleischverpakkendenIndustrie viel Aufsehen erregte.Muckrakers wie Sinclair waren keineswegsJournalisten, die, wieRoosevelt abschätzig bemerkt hatte,nur Unrat und Schlechtigkeit sahenund schmutzige Wäsche um <strong>der</strong>schmutzigen Wäsche willen wuschen.Ihre Ziele entsprangen vielmehreinem romantischem Idealismus.30 Als Theodore Roosevelt, <strong>der</strong>„einsame Reiter“, <strong>der</strong> Held und dieHoffnung <strong>der</strong> Sozialreformer, ihrVertrauen verraten hatte, ging auchdie Ära <strong>der</strong> Muckrakers zu Ende.In <strong>der</strong> Folgezeit sammelten sich investigativePraktiken in neuen journalistischenSon<strong>der</strong>formen. So bildetesich vor dem Zweiten Weltkrieg<strong>der</strong> „advocacy journalism“, <strong>der</strong> anwaltschaftlicheJournalismus, heraus.31 Journalisten machten sich <strong>im</strong>Stile von Anwälten zu Parteigängernund Fürsprechern eines best<strong>im</strong>mtenAnliegens und verzichteten dabeibewusst auf Objektivität. Meist verhalfensie „sprachlosen“ Bürgern,sich in <strong>der</strong> Öffentlichkeit Gehör zuverschaffen. 32 Ein weiteres Beispielist <strong>der</strong> „un<strong>der</strong>ground journalism“,<strong>der</strong> sich aus <strong>der</strong> Gegenkultur <strong>der</strong>Sechziger Jahre entwickelte und gegenden Mainstream anschrieb. 33Doch keine dieser Son<strong>der</strong>formengewann eine solche Weltgeltung wiedie zweite Ära des investigativenJournalismus ab 1970. Zunächst war115


vor allem das Engagement <strong>der</strong> USA<strong>im</strong> Vietnamkrieg Gegenstand <strong>der</strong>Kritik. Seymour Hersh schrieb einenArtikel über das „Massaker vonMy Lai“ 34 . Und 1972 veröffentlichtendie New York T<strong>im</strong>es, die WashingtonPost und <strong>der</strong> Boston Globedie gehe<strong>im</strong>en Pentagon-Papiere,die Amerikas langjähriges Engagementin Südostasien in einem kritischenLicht erscheinen ließen, weilsie die angebliche „kommunistischeBedrohung“ relativierten. <strong>Die</strong> Dokumentewaren <strong>im</strong> Auftrag des Verteidigungsministeriumsverfasst undvon dem früheren Pentagon-BeraterDaniel Ellsberg an die Presseweitergegeben worden. 353.2. Der Skandal von Watergate<strong>Die</strong>se journalistische Ära gipfelteschließlich <strong>im</strong> sogenannten Watergate-Skandal.Watergate, <strong>der</strong> Nameeines Washingtoner Büro- und Hotelkomplexes,verdeutlicht wie kaumein an<strong>der</strong>es Beispiel die Dynamikdes investigativen Journalismus.Ausgelöst wurde <strong>der</strong> Fall, als am 17.Juni 1972 fünf Männer bei einemEinbruch ins Partei-Hauptquartier<strong>der</strong> Demokraten in Watergate beidem Versuch verhaftet wurden, Abhöranlagenzu installieren. 36 Zweijunge Lokalreporter <strong>der</strong> WashingtonPost, Carl Bernstein und BobWoodward (letzterer war erst 29, alsdie Berichterstattung begann), vermutetenin den Einbrechern schnellmehr als gewöhnliche <strong>Die</strong>be. Sie begannen,die Hintergründe des Einbruchsin das Hauptquartier zu recherchieren.Zwar wurden sie anfangsvon bis zu sieben Kollegen <strong>der</strong>Washington Post in <strong>der</strong> Recherche unterstützt.Aber <strong>im</strong> wesentlichen warenes die beiden Reporter, die insgesamtzwei Jahre mit nur kurzenUnterbrechungen an dem Themadranblieben. 37 Dass sie dabei gegenstarke Wi<strong>der</strong>stände ankämpften,sich nie vereinnahmen ließen unddie journalistische Präsentation stetsin ihren Händen behielten, verlieh<strong>der</strong> Recherche den investigativenCharakter. Daran kann auch die Tatsachenichts än<strong>der</strong>n, dass sie vielebrisante Informationen von demstets anonym gebliebenen Informantenmit dem Codenamen „DeepThroat“ erhielten, <strong>der</strong> offenbar einInteresse daran hatte, Nixon zuschwächen.Schon wenige Wochen nach demEinbruch berichtete die WashingtonPost über mögliche Verbindungenzwischen den Einbrechern und demKomitee zur Wie<strong>der</strong>wahl des US-Präsidenten Richard Nixon. Geldaus <strong>der</strong> Wahlkampagne war auf demKonto eines Einbrechers aufgetaucht.38Bis zur Präsidentschaftswahl am 7.November 1972 berichtete die Wa-116


shington Post 79 Mal auf Seite 1über die Affäre. Auch an<strong>der</strong>e Zeitungenund das Fernsehen zogennach. Dennoch gewann Richard Nixondie Wahl mit hohem Vorsprung.Offenbar stand Watergate nicht auf<strong>der</strong> öffentlichen Agenda. 39Das än<strong>der</strong>te sich erst <strong>im</strong> Frühjahr1973 mit <strong>der</strong> Live-Übertragung <strong>der</strong>Senatsanhörung. Und als das Fernsehenschließlich die Verhandlungendes Justizkomitees des Repräsentantenhausesüber die Amtsenthebungdes Präsidenten sendete, wurde <strong>der</strong>öffentliche Druck zu groß. RichardNixon trat am 8. August 1974 zurück.Watergate wurde verfilmt und kamals „All the president’s men“ mitRobert Redford und Dustin Hoffmanin den Hauptrollen in die Kinos.Millionen sahen den Film. Vielejunge Studenten konnten sich mitden Leinwandidolen so identifizieren,dass sie wenig später vor denJournalistenschulen Schlange standen.40 Der Film trug zu einer Mythologisierungvon Woodward undBernstein bei.Wegen seines Bekanntheitsgradesgenießt Bob Woodward bis heuteeine Son<strong>der</strong>stellung bei <strong>der</strong> WashingtonPost. Er gilt in Washingtonnach wie vor als Insi<strong>der</strong>, <strong>der</strong> vieleTipps erhält und dem viele Politiker– unter Zusicherung von Anonymität– bereitwillig Interviewsgeben. So sorgt er mit zahlreichenBüchern nach wie vor für Aufsehenund gewährt Einblicke in politischeHintergründe. In jüngerer Zeit hatWoodward sich dabei mit Gehe<strong>im</strong>operationen<strong>der</strong> CIA, <strong>der</strong> Planungdes Golfkrieges und mit <strong>der</strong> RegierungClinton befasst. 41 Viele <strong>der</strong> inden Recherchen gewonnenen Erkenntnisseverarbeitet Woodward inBerichten für die Washington Post.Bei dieser Zeitung findet er offenbarseit Watergate die strukturellen Bedingungenvor, die seine investigativeArbeit ermöglichen.Wie wichtig diese äußeren Faktorensind und wie sehr durch sie auch <strong>der</strong>Stellenwert <strong>der</strong> investigativen Kultureines Landes geprägt wird, solldas folgende Kapitel zeigen.4. <strong>Die</strong> Lage des investigativenJournalismus4.1. <strong>Die</strong> Privilegien <strong>der</strong> Amerikaner<strong>Die</strong> Aufdeckung des Watergate-Skandals brachte <strong>der</strong> WashingtonPost einen enormen Imagegewinn.In <strong>der</strong> Folge legte die Redaktion einnoch größeres Schwergewicht auf„investigative reporting“. Es wurdefür die Zeitung zu einem Markenzeichen,zu einer „Briefmarke“, wie<strong>der</strong> ehemalige stellvertretende ChefredakteurRichard Harwoodschrieb. 42 Zahlreiche Rechercheure117


suchten nach <strong>im</strong>mer neuen Enthüllungsgeschichten,und es entwickeltesich ein regelrechter Konkurrenzkampfum die Plätze auf <strong>der</strong> Titelseite.Bei <strong>der</strong> Jagd nach Sensationenverzichtete die Chefredaktion allerdingsauf institutionelle Vorkehrungenzur Qualitätssicherung. Dasrächte sich. 1981 erlebte die Zeitungihren hauseigenen Skandal, genannt„J<strong>im</strong>mygate“. <strong>Die</strong> Reporterin JanetCooke schrieb in dem Jahr eine aufsehenerregendeArtikelserie über einenachtjährigen drogenabhängigenJungen aus dem WashingtonerSchwarzenghetto. Sie erhielt dafürden Pulitzerpreis. Doch wenig später,nachdem sich die WashingtonerPolizei auf die Suche nach dem Jungengemacht hatte, stellte sich heraus,dass es J<strong>im</strong>my gar nicht gab.Cooke hatte sich die Geschichte nurausgedacht. Den Pulitzerpreis musstesie zurückgeben. 43<strong>Die</strong> Washington Post zog daraus einschneidendeKonsequenzen. Sie beschloss,„investigative reporting“(IR) zu professionalisieren undgründete ein sogenanntes „IR-Team“, das bis heute zur Redaktion<strong>der</strong> Zeitung gehört. Das Team bestehtaus fünf vollzeit tätigen Reportern,einer Recherche-Assistentinund einem Computerexperten. Amwichtigsten ist aber die intensiveBetreuung <strong>der</strong> Reporter durch zweispezialisierte „Editors“, die dasTeam leiten: Der eine hat als „AssistentManaging Editor for Investigations“den Rang eines Ressortleiters.Der an<strong>der</strong>e ist Bob Woodward,<strong>der</strong> dank seiner langjährigen Erfahrungwichtige Hilfestellungen bei <strong>der</strong>Abst<strong>im</strong>mung und Absicherung <strong>der</strong>Recherchen geben kann. 44Bereits einige Jahre vor Watergate,nämlich 1967, hat Newsday, Amerikassiebtgrößte Tageszeitung mit einerAuflage von knapp 700.000 Exemplarenan Werktagen, ein IR-Team ins Leben gerufen. <strong>Die</strong> Zahl<strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> des Teams schwanktzwischen vier und zwölf. Für großeProjekte werden zusätzlich sogenannte„beat reporter“ freigestellt,so dass die Gruppenstärke auf über20 Personen anwachsen kann.Gleich die erste Untersuchung desTeams über Korruption auf LongIsland brachte den Pulitzer-Preis ein.1974 folgte ein weiterer Pulitzer füreine 32-teilige Serie über Heroinhandelvon <strong>der</strong> Türkei nach New York.Der Etat dieses Projekts war ursprünglichauf 75.000 Dollar taxiertworden. Hinterher waren aber 18Reporter fast 18 Monate <strong>im</strong> Einsatz,so dass die gesamte Recherche letztlich280.000 Dollar kostete zuzüglich<strong>der</strong> Gehälter <strong>der</strong> Journalisten. 45<strong>Die</strong>se Kostenfrage birgt bis heutedie größte Gefahr für den investigativenJournalismus. Denn für kommerzielleMedienunternehmen liegt118


das übergeordnete Interesse <strong>im</strong> Gewinnstreben.Genau deshalb kommtden amerikanischen Reportern diepolitische Kultur ihres Landes zugute.Investigative Berichte finden in<strong>der</strong> Öffentlichkeit <strong>der</strong> USA einehohe Beachtung und schlagen sichin erhöhten Auflagen o<strong>der</strong> Einschaltquotennie<strong>der</strong>. Denn die amerikanischeBevölkerung ist grundsätzlichskeptisch gegenüber jeglicherForm von Machtkonzentration,sei es in <strong>der</strong> Politik o<strong>der</strong> in <strong>der</strong>Wirtschaft. Darauf können die Journalistenbauen, die das Verhaltenvon Politikern kritisch durchleuchtenund auf Machtmissbrauch überprüfen.46Auf <strong>der</strong> kommerziellen Seite habensich dennoch in den letzten Jahrenstrukturelle Nachteile für den investigativenJournalismus ergeben.Der Zeitschriftenmarkt wird zunehmendvon Spezialmagazinen best<strong>im</strong>mt,die ihre Anzeigenkundennicht durch konfliktträchtige IR-Beiträge verschrecken wollen. Indiese Nische sind bislang die Tageszeitungengesprungen, die sich aufgrundihrer lokalen und regionalenAnbindung den Problemen undHintergrundgeschichten vor Ortverpflichtet fühlten.Doch das durch rückläufige Anzeigeneinnahmenbegründete Zeitungssterbenin den USA hat zur119


Monopolisierung und zur Entstehunggroßer Zeitungsketten geführt.Dort herrscht eher ein an ökonomischenEffizienzkriterien ausgerichteter,Journalismus-ferner Managementstil.Trotz <strong>der</strong> Populariät desIR sind die investigativen Teams vielerTageszeitungen deshalb vonEtatkürzungen bedroht. 47Hier zeigt sich nun ein weiteres Privileg<strong>der</strong> Amerikaner: <strong>Die</strong> Defizite<strong>im</strong> kommerziellen investigativenJournalismus werden zum Teildurch große Non-Profit-Organisationenwie<strong>der</strong> aufgefangen. Einewichtige Rolle spielt dabei <strong>der</strong> Berufsverband„Investigative Reportersand Editors“ (IRE). Er wurdevor 25 Jahren gegründet und ist heutemit mehr als 4.500 Mitglie<strong>der</strong>n<strong>der</strong> weltweit größte Berufsverbandfür Rechercheure. 48 Aus einer Fachbibliothekund einem Archiv mitüber 17.000 Recherchebeispielenkönnen sich die Mitglie<strong>der</strong> thematischeSets zusammenstellen lassenund erhalten gleichzeitig Kontaktadressen.Mit Fortbildungsangebotenträgt das IRE zur Professionalisierung<strong>der</strong> Journalisten bei.Während sich das IRE also vor allem<strong>der</strong> Weiterbildung und Vernetzungverschrieben hat, gibt es weitereOrganisationen, die als „Arbeitgeber“investigativer Journalistenfungieren, so z. B. das InternationalConsortium of Investigative Journalists(ICIJ). Das ICIJ gründet internationaleTeams, die über das Interneto<strong>der</strong> durch Konferenzen vernetztwerden und bezahlte Langzeitrecherchendurchführen. Das Gelddafür kommt aus den Kassen gemeinnütziger<strong>Stiftung</strong>en. Auf dieseWeise werden etwa sechs Langzeitprojektepro Jahr finanziert, die biszu einer halben Million Dollar kosten.49Auf ähnliche Weise funktioniert das1977 von drei Journalisten gegründeteCenter for Investigative Reporting(CIR). <strong>Die</strong> Arbeit wird zu einemkleinen Teil aus Honoraren, zuzwei Dritteln aber aus Spenden bzw.Zuwendungen von <strong>Stiftung</strong>en finanziert.<strong>Die</strong> Mitarbeiter können deshalbauch Themen aufgreifen, die <strong>im</strong>journalistischen Mainstream keineBerücksichtigung finden, weil sie zuschwer zu recherchieren sind o<strong>der</strong>Konflikte mit Anzeigenkunden auslösenkönnten. Das Team, das aus13 Journalisten, drei Verwaltungsmitarbeiternund bis zu sieben befristetmitarbeitenden Rechercheurenbesteht, veröffentlicht pro Jahrdurchschnittlich 50 umfangreichejournalistische Beiträge sämtlicherMediengattungen. <strong>Die</strong> Recherche istje<strong>der</strong>zeit unabhängig, da das CIRGel<strong>der</strong> von Organisationen und Privatpersonenablehnt, die unmittelbarmit potentiellen Untersuchungsobjektenzu tun haben.120


<strong>Die</strong> Medienunternehmen haben denVorteil, dass sie über das CIR „subventionierte“Beiträge beziehenkönnen, <strong>der</strong>en Honorar nicht demtatsächlichen Aufwand entspricht.Das CIR gilt daher als Musterbeispielfür die Verzahnung von investigativemJournalismus <strong>im</strong> kommerziellenund <strong>im</strong> nicht-kommerziellenBereich. 50„Mother Jones“, <strong>der</strong> „Fund for InvestigativeJournalism“ o<strong>der</strong> sogenannte„non-profit governmentwatchdog organizations“ wie das„Center for Public Integrity“ und die„Better Goverment Organization“haben vergleichbare Ansprüche undunterstützen ebenfalls den amerikanischenInvestigativjournalismus.Trotz <strong>der</strong> nach wie vor positivenäußeren Strukturen erkennen Kritikerauch <strong>im</strong> amerikanischen Journalismusnegative Tendenzen. Einschwerer Vorwurf ist, die Medienseien in den letzten Jahren „domestiziert“51 worden. Bei Kriegen o<strong>der</strong>Invasionen wie in Grenada o<strong>der</strong> Panamahätten sie sich handzahm verhaltenund sich als Stenografen <strong>der</strong>Macht fast ausnahmslos zugunstendes Militärs geäußert.Statt in Politik und Wirtschaftnachzuforschen, würden sie stärkerprivat „skandalisieren“. 52 DerBestseller „The Int<strong>im</strong>ate Sex Livesof Famous People“ über alle int<strong>im</strong>enSkandale Prominenter von<strong>der</strong> Antike bis zur Gegenwart o<strong>der</strong>die Lewinsky-Affäre seien Beispieledafür.Als die New York University vorkurzem eine Liste <strong>der</strong> besten Werkedes US-Journalismus <strong>im</strong> zwanzigstenJahrhun<strong>der</strong>t erstellte, landete JohnHerseys Stück über den Atombombenabwurfvon Hirosh<strong>im</strong>a auf Platzeins. Aus <strong>der</strong> Zeit nach Watergate warkeine einzige Geschichte unter denersten Hun<strong>der</strong>t zu finden. 53Während die Amerikaner also <strong>der</strong>zeiteher darum kämpfen, investigativenJournalismus und die dafürnötige Infrastruktur zu erhalten,müssen deutsche Journalisten mitdem Aufbau von Recherchekulturerst einmal anfangen. 54Das wird das folgende Kapitel zeigen.4.2. Der Mangel an deutschenEnthüllern„Enthüllungsjournalisten kann manin Deutschland an zwei Händen abzählen“55 , sagt Michael Haller. UndHans Leyendecker fragte <strong>im</strong> April1999 die Leser <strong>der</strong> Fachzeitschrift„Message“: „Wann haben Sie eineEnthüllungsgeschichte gelesen, diedas Wort verdient? Und können Siesich überhaupt noch an einen Scooperinnern? An einen ordentlichenSkandal, eine zischende Affäre, diein den letzten drei, vier Jahren vondeutschen Journalisten aufgedeckt121


wurde?“ 56 Leyendecker gibt die Antwortauf seine rhetorischen Fragenselbst: „Da war, summa summarum,ganz lange nichts.“ In die Zeit nachdieser Aussage fällt zwar die CDU-Spendenaffäre, die die Republik <strong>im</strong>merhinvier Monate in Atem hielt.Aber die Aufdeckung dieses Skandalswar nicht in erster Linie recherchierendenJournalisten, son<strong>der</strong>nzwei hartnäckigen Beamten zu verdanken:einem Staatsanwalt und einemSteuerfahn<strong>der</strong>. 57Neidisch blickt Hans Leyendeckerdeshalb nach Amerika und stellt fest:„Von den USA lernen heißt recherchierenlernen.“ 58 LeyendeckersThese wird durch die Ergebnissewissenschaftlicher Forschung bestätigt.Offensichtlich hat die längerejournalistische Tradition in den USAAuswirkungen auf die Bereitschaftzur Faktenrecherche und zur Anwendungharter Investigativmethoden.So ergab eine international vergleichendeStudie von Thomas Patterson(Harvard) und WolfgangDonsbach (Dresden), dass nur 21Prozent <strong>der</strong> deutschen Journalistensehr viel Zeit mit Berichten auf <strong>der</strong>Grundlage persönlicher Rechercheverbringen. Von den ostdeutschenJournalisten widmen gar nur achtProzent den Großteil ihrer Arbeitszeitdem Recherchieren. Stattdessenverließen sich 57 Prozent <strong>der</strong>deutschen Journalisten bei ihremletzten Bericht lieber auf die Agenturen.In den USA und in Großbritanniensehen die Zahlen ganz an<strong>der</strong>s aus.Dort spielt für 44 bzw. 48 Prozent<strong>der</strong> Journalisten die Recherche dieHauptrolle <strong>im</strong> Beruf. Und nur 29bzw. 24 Prozent griffen bei ihremletzten Bericht <strong>im</strong> wesentlichen aufdie Agenturen zurück. 59<strong>Die</strong> mangelnde Recherchebereitschaft<strong>der</strong> Deutschen hinterlässt beiausländischen Kollegen negativeEindrücke. So ist dem Deutschland-Korrespondenten <strong>der</strong> LondonerT<strong>im</strong>es, Roger Boyles, die Abhängigkeitdeutscher Zeitungsjournalistenvon den Presseagenturen nicht verborgengeblieben: „Viele Artikel, dieunter ihrem Namen erscheinen, sindidentisch mit dpa- o<strong>der</strong> deutschenAP-Reports vom Vortag. Wenn eseinen Unterschied gibt, dann den,dass <strong>der</strong> Journalist seine Meinunghinzugefügt hat - ohne eigene Recherche.“60 Boyles US-Kollege von<strong>der</strong> International Herald Tribunehält die deutschen Journalisten gar„für zu passiv und vielleicht auchetwas faul.“ Sie seien zwar <strong>im</strong>mergut informiert, aber auch etwas „obrigkeitshörig“61 . Deshalb kann sichRoger Cohen, Korrespondent <strong>der</strong>New York T<strong>im</strong>es in Berlin, „ein ,Watergate‘<strong>im</strong> Sinne einer investigativenGeschichte, die wirklich eineRegierung bedrohen könnte, [...] in122


Deutschland <strong>im</strong>mer noch schwervorstellen.“ 62Einen Grund für die geringere Bedeutungdes investigativen Journalismusin Deutschland könnte manin einer Benachteiligung durch diefür Journalisten relevanten Gesetzevermuten. Tatsächlich ist dieRechtslage für amerikanischen Mediengünstig. So gewährt <strong>der</strong> „Freedomof Information Act“ (FOIA)von 1966, <strong>der</strong> nach Watergate <strong>im</strong>Sinne <strong>der</strong> Journalisten verbessertund seitdem noch mehrmals geän<strong>der</strong>twurde, einen generellen Anspruchauf Informationen gegenBehörden und Abteilungen <strong>der</strong> US-Regierung (außer gegen den Präsidentenselbst). 63 <strong>Die</strong> Beweislast,dass dies aus neun <strong>im</strong> Gesetz spezifiziertenGehe<strong>im</strong>haltungsgründennicht möglich ist, liegt bei <strong>der</strong> Behörde.64 So zählen Fragen <strong>der</strong> nationalenSicherheit, <strong>der</strong> behördeninternenEntscheidungsvorbereitungund des Persönlichkeitsschutzes zuden wichtigsten Ausnahmen desFOIA. 65Zudem ist die Privatsphäre einesAmerikaners bei weitem nicht so gutgeschützt wie die eines Deutschen.So sind bei öffentlich Bedienstetendie Telefonabrechnungen aller<strong>Die</strong>nstgespräche einsehbar. Bei Autotelefonenwerden zusätzlich dieNummern eingehen<strong>der</strong> Gesprächeverzeichnet und Journalisten zugänglichgemacht. Gleiches gilt fürSpesenabrechnungen und dienstlichgeführte Terminkalen<strong>der</strong>. So wurdein <strong>der</strong> Watergate-Affäre das Notizbucheines Einbrechers zu einemSchlüsseldokument: Er hatte sichdort die Telefonnummer seinesKontaktmannes <strong>im</strong> Weißen Hausnotiert. 66„Open meeting laws“ legen in allenBundesstaaten <strong>der</strong> USA fest, dassSitzungen gesetzgeben<strong>der</strong> Körperschaftenund praktisch aller Gremien,die Steuergel<strong>der</strong> verwalten, öffentlichsein müssen. Selbst die Beratungvon Personalangelegenheitenist nicht unbedingt ein Ausschlussgrundfür die Öffentlichkeit.Ferner gibt es seit 1977 den „Governmentin the Sunshine Act“. Erregelt, dass rund 50 Regierungseinrichtungenihre Sitzungen öffentlichabhalten müssen. Auch hier gibt esSon<strong>der</strong>fälle, die allerdings nicht <strong>im</strong>mereine Gehe<strong>im</strong>haltung rechtfertigen.Ein Beispiel: Nach dem Unglück<strong>im</strong> Atomkraftwerk von ThreeMile Island bei Harrisburg <strong>im</strong> Jahre1979 musste die Nuclear RegulatoryCommission all ihre Beratungen aufBand aufnehmen und <strong>der</strong> Presse zurVerfügung stellen. 67<strong>Die</strong>se Transparenz von Entscheidungsprozessenför<strong>der</strong>t sicherlichdie Recherchemöglichkeiten für investigativeJournalisten. Doch noch<strong>im</strong>mer fühlen sich 81 Prozent <strong>der</strong>123


amerikanischen Journalisten in ihrerArbeit durch „unzureichenden Zugangzu Regierungsdokumenten“und „zu wichtigen Persönlichkeitendes öffentlichen Lebens beschränkt.“In Deutschland stören diese Bedingungennur etwa zwei Drittel <strong>der</strong>Befragten. 68<strong>Die</strong>se Zahlen lassen den Rückschlusszu, dass die Bereitschaft zurinvestigativen Recherche nicht anden deutschen Gesetzen scheitert.Frank Esser, Hochschulassistent amInstitut für Publizistik in Mainz, bestätigt,dass die deutschen Journalistenverschiedene Privilegien haben,auf die beispielsweise die britischenKollegen neidisch sind. 69 Hierzuzählten <strong>der</strong> Informationsanspruchgegenüber Behörden, das Zeugnisverweigerungsrechtund die günstigeBeweislastregelung in Beleidigungsprozessen.Des weiteren haben die Bundeslän<strong>der</strong>Berlin, Brandenburg und Schleswig-Holsteinin den letzten Jahrenein Informationsfreiheitsgesetz(IFG) verabschiedet. Sofern keinePersönlichkeitsrechte, behördlicheWillensbildungsprozesse o<strong>der</strong> dasGemeinwohl beeinträchtigt werden,ermöglicht das Gesetz jedem Menschenein Recht auf Einsicht in o<strong>der</strong>Auskunft über den Inhalt <strong>der</strong> vonden öffentlichen Stellen dieser Län<strong>der</strong>geführten Akten. 70 Sowohl dasLand Nordrhein-Westfalen als auchdie Bundesregierung planen ebenfallsdie Verabschiedung eines IFG.<strong>Die</strong>se presserechtlichen Möglichkeitenhaben in Deutschland bislangnicht, wie in den USA, zu einer hohenRecherchekultur geführt. ImGegenteil: Gerade, weil es hier seltenervorkommt, dass die Journalistendie Anwendung harter Recherchemethodenvor sich und an<strong>der</strong>enrechtfertigen müssen, sind sie weniger„aggressiv“ 71 . So haben die deutschenMedien an<strong>der</strong>s als die Britenund Amerikaner auch große Vorbehalte,sich als eigenständige VierteGewalt zu begreifen.Wenn deutsche Journalisten dannaber doch einmal ein aggressivesVerhalten an den Tag legen und einenSkandal aufdecken, haben sie esin Deutschland schwer. Bei ihrenVeröffentlichungen können sie sichnicht unbedingt auf die für Amerikatypische Skepsis in <strong>der</strong> Bevölkerunggegenüber jeglicher Form vonMachtkonzentration verlassen. <strong>Die</strong>Mächtigen als Betroffene <strong>der</strong> Berichterstattungwissen das und könnendeshalb unverhohlen zum Gegenschlagausholen. So prägte OttoGraf Lambsdorff, <strong>der</strong> 1984 nach <strong>der</strong>Flick-Parteispendenaffäre als Bundeswirtschaftministerzurücktretenmusste, den Begriff des „Hinrichtungsjournalismus“.72 Und als die124


„Welt“ <strong>im</strong> August 1970 vorzeitig dieOstverträge veröffentlichte, bezeichnetedie Bundesregierung dieverantwortlichen Journalisten als„Schreibtischtäter“ 73 . <strong>Die</strong>se Art vonJournalismus müsse unterbundenwerden.Noch mehr als die Reaktion <strong>der</strong>„Opfer“ überraschte aber ein Kommentar<strong>der</strong> Frankfurter Allgemeinennach <strong>der</strong> Flick-Affäre, mit dem sieihren eigenen Kollegen in den Rükkenfiel. Sie klagte jene „illustriertenZeitschriften“ an, „die da wöchentlichein mit Häme über den Parteienstaatangefülltes Publikum verwöhnen.“74 Für Thomas Leif, Chefreporterdes SWR, sind das deutlicheBeweise für den geringen Stellenwert,den investigativer Journalismusin Deutschland genießt. Nötigsei deshalb die Besinnung aufeine „investigative Kultur“, die Aufklärungund Nachforschung för<strong>der</strong>t.75Ein weiterer Grund für die mangelndeRecherchebereitschaft <strong>im</strong> deutschenJournalismus liegt in den Redaktions-und Verlagsstrukturen.Zum einen ist investigativer Journalismuseine Kostenfrage. Doch Verleger,die wie in den USA bereit sind,die teure Arbeit von IR-Teams wiebei <strong>der</strong> Washington Post o<strong>der</strong> Newsday125


zu bezahlen, sind in Deutschlandsehr rar. Stattdessen haben Rechercheurebei Intendanten und Verlegernkeinen großen Rückhalt, müssenständig gegen Wi<strong>der</strong>stände ankämpfen.76 Eher wird Personal ausKostengründen eingespart, als Mitarbeiterfür Recherchen eine Zeitlangfreizustellen.Zum zweiten herrschte hier nie einarbeitsteiliges, son<strong>der</strong>n ein eherganzheitliches Verständnis journalistischerTätigkeit vor. <strong>Die</strong> Folge war,dass sich das Tätigkeitsprofil desReporters kaum als eigenständigesredaktionelles Berufsbild etablierenkonnte. In <strong>der</strong> repräsentativen Journalistenbefragungvon SiegfriedWeischenberg, Martin Löffelholzund Armin Scholl aus dem Jahre1998 gaben von allen 1.494 Befragtennur 2,7 Prozent an, „Reporter“zu sein. 77<strong>Die</strong>jenigen, die die Recherche lernenwollen, haben in DeutschlandSchwierigkeiten, passende Lehrbücherzu diesem Thema zu finden. 78Neben Michael Hallers Handbuch„Recherchieren“, das 1983 veröffentlichtwurde und mittlerweile invierter Auflage erschienen ist, empfiehltThomas Leif in „LeidenschaftRecherche“ noch Matthias’ undFrank Brendels Handbuch „Richtigrecherchieren“, das 1998 in Frankfurterschienen ist. Danach fällt dieSuche schon schwer.Doch als ärgerlich empfinden dasnur wenige. Offensichtlich wollendie meisten deutschen Journalistengar keine Reporter sein. Denn geehrtwerden hierzulande „die warmund trocken sitzenden Feuilletonistenund Leitartikler, die Dichterund Denker.“ 79 Im Meinungsjournalismussind die Deutschen Meister.Wer bei einer Zeitung den Leitartikelschreiben darf und sonntags<strong>im</strong> Presseclub sitzt, hat den Ausweishöchster Kompetenz erreicht. Vieleglauben, wenn sie <strong>der</strong> Macht nurnahe genug kommen, dann sind sieselbst auch mächtig. Bezeichnend istein Satz von Kurt Tucholsky: „Derdeutsche Journalist braucht nichtbestochen zu werden, er ist stolz,eingeladen zu sein, er ist schon zufrieden,wie eine Macht behandeltzu werden.“ 80Und „wenn einer es weit gebrachthat, kreiselt er kunstvolle Kritiken<strong>im</strong> Feuilleton“ 81 , sagt Hans Leyendecker.Das höchste Ziel für deutscheJournalisten sei <strong>der</strong> Egon-Erwin-Kisch-Preis,mit dem das HamburgerMagazin stern alljährlich diebesten deutschsprachigen Reportagenauszeichnet. Der Wächterpreis<strong>der</strong> Tagespresse, den Leyendeckerselbst in diesem Jahr für seine außerordentlichenLeistungen bei <strong>der</strong>Aufdeckung des CDU-Spendenskandalserhalten hat, habe ein niedrigeresAnsehen.126


An<strong>der</strong>s ist das be<strong>im</strong> HamburgerNachrichtenmagazin „Der Spiegel“.Den Spiegel halten viele bis heutefür die erste Adresse <strong>im</strong> investigativenJournalismus Deutschlands.„Alle Blätter servieren die gleichemonotone Kost. O<strong>der</strong> sie verbringendie Woche damit, das aufzuarbeiten,was <strong>der</strong> Spiegel am Sonntagauf die Tagesordnung setzt“ 82 , sagtImre Karacs, Korrespondent von„The Independent“ in Berlin. UndArnauld Leparmentier, Korrespondentvon „Le Monde“ in Berlin, fügthinzu: „Exklusive und sehr genaueReportagen wie <strong>im</strong> Nachrichtenmagazin,Der Spiegel‘ gibt es in Frankreichnur selten in den Wochenzeitungen.“83 Nicht nur bei Auslandskorrespondenten,son<strong>der</strong>n auch beizwei Dritteln <strong>der</strong> deutschen Journalistenund bei einer Million Käuferngenießt <strong>der</strong> Spiegel eine hohe Glaubwürdigkeit.84 Erworben hat er siesich – ganz <strong>im</strong> Stile von angelsächsischenNachrichtenmagazinen – miteiner detailgenauen, hartnäckigenRecherche und einer Respektlosigkeitgegenüber Autoritäten.Genau das scheinen wichtige Eigenschaftenzu sein, die ein Journalistbraucht, wenn er investigativ arbeitenwill. Welche Charakterzüge nocherfor<strong>der</strong>lich sind und wie die Rechercheureihre Arbeit selbst beurteilen,das soll das folgende Kapitelzeigen.5. Das Selbstverständnis voninvestigativen JournalistenDa <strong>der</strong> amerikanische Recherchejournalismus,wie in den vorigenKapiteln gezeigt, trotz auftreten<strong>der</strong>Schwächen <strong>im</strong>mer noch <strong>im</strong> Auslandhoch geschätzt wird, empfiehlt sichzunächst ein Blick auf das Selbstverständnis<strong>der</strong> investigativen Journalistenin den USA. In einem Land, wodie Presse gegen den Krieg in Vietnam„angeschrieben“ und einen Präsidentenzu Fall gebracht hat, vermutetman Journalisten, die sich alspolitische Aktivisten sehen. MorrisJanowitz (1975) und Robert Lichter(1986) haben denn auch herausgefunden,dass sich die US-Journalistenin <strong>der</strong> Folge von Vietnam undWatergate zu „Advokaten“ <strong>der</strong> Bürgerentwickelt haben.Doch empirische Untersuchungenvon Zhu (1991) sowie Weaver undWilhoit (1992) scheinen nun zu belegen,dass dieser Wandel nur vonkurzer Dauer war und nicht bis heuteangehalten hat. 85 Wolfgang Donsbachkonnte dies nach seiner Studievon 1993 bestätigen. Er fand heraus,dass die amerikanischen Journalistenmittlerweile wie<strong>der</strong> ein wenigerantagonistisches Verhältnis zurPolitik haben. Nur 45 Prozent <strong>der</strong>US-Journalisten nehmen eine grundsätzlichkritische Haltung gegenüberPolitikern ein. <strong>Die</strong> meisten beschrei-127


en ihr Verhältnis zu den Mächtigenals eine professionelle Beziehung. Essei nicht von ideologischen Grundpositionenbest<strong>im</strong>mt, son<strong>der</strong>n von<strong>der</strong> Überzeugung, dass es auch Aufgabe<strong>der</strong> Medien ist, die Position vonPolitikern in fairer Weise an die Bevölkerungzu vermitteln. 86 Sie sehensich also eher als neutrale „gatekeeper“o<strong>der</strong> sogenannte „commoncarrier“, allgemeine Träger von Informationen.<strong>Die</strong> Folge dieser Haltung ist aberkeineswegs ein Gefälligkeits-Journalismus.Denn die unabhängige Recherchehat für die Amerikaner absolutePriorität gegenüber allen an<strong>der</strong>enTätigkeitsmerkmalen. <strong>Die</strong>Haltung erwächst vielmehr aus <strong>der</strong>Hoffnung, „dass objektiv und neutralberichtete Informationen ihreWirkung nicht verfehlen werden.“ 87<strong>Die</strong> Journalisten glauben an rationalhandelnde Bürger, die mit möglichstallen relevanten Informationen versorgtwerden müssen, um zu eigenenMeinungen und politischenEntscheidungen zu finden. Sie vertretendamit das emanzipatorischePrinzip <strong>der</strong> Aufklärung, dass FrancisBacon in seinem Werk „NeuesOrganon“ einmal so beschrieb:„Dem Urteilen <strong>der</strong> Menschen tueich keine Gewalt an; ich hintergehesie nicht, son<strong>der</strong>n führe sie zu denDingen selbst und zu dem, was dieseverbindet; damit sie selbst sehen,was sie haben, und sehen, was siebeweisen, was sie hinzufügen, undwas sie zu dem Gemeinsamen beitragenkönnen.“ 88Das Selbstverständnis des objektivenRechercheurs überrascht <strong>im</strong> erstenMoment. Denn wer die Wirkungenkennt, die gute investigativeGeschichten mitunter haben, könntein den Rechercheuren eher knallharteKr<strong>im</strong>inalisten vermuten. Sowie die Journalisten, die HerbertKremp in seinem Referat für denStudienkreis Presserecht in Essenbeschrieb. Er sprach dort von „professionellenEntlarvern“, die den Titeldes Investigators wie ein modischesEmblem tragen und ständigvon dem Ehrgeiz angetrieben werden,ihre „Abschussliste“ von Politikernzu erweitern. 89 Davon, soKremp, habe er schon viele getroffen.Doch ob das wirklich den investigativenJournalismus ausmacht,darf bezweifelt werden.Wenn Journalisten zu Staatsanwälteno<strong>der</strong> verkappten Detektivenwerden, wenn sie durch Schlüssellöcherschnüffeln, Personen regelrechtverfolgen, künstliche Skandaleproduzieren und Selbstjustizbetreiben, dann bringt das eherden investigativen Journalismus inVerruf, als dass es <strong>der</strong> Demokratienützt. 90Es gibt auch Rechercheure mit einerweniger aggressiven Einstellung, die128


sich für Missionare halten und sichin ihrem Beruf für best<strong>im</strong>mte Werteund Ideen einsetzen wollen.Doch die meisten investigativenJournalisten können sich mit diesemSelbstverständnis nicht identifizieren.Sie sehen sich nicht als „Missionare“,we<strong>der</strong> in den USA noch inDeutschland. „Redakteure, die sichwie Missionare, nicht wie Journalistengebärden, sind PR-Leute vonSachen o<strong>der</strong> Personen“ 91 , glaubtHans Leyendecker. Vor Journalistik-Studenten <strong>der</strong> Universität Dortmundführte Leyendecker dieseÜberlegung <strong>im</strong> Juni 2001 weiter aus:„Der recherchierende Journalist istkein Rächer. Er darf sich nicht einbilden,dass er die Welt, geschweigedenn die Politik o<strong>der</strong> Wirtschaft verän<strong>der</strong>nkönnte. Was er tut, bewirktin <strong>der</strong> fünften o<strong>der</strong> zehnten Stellehinter dem Komma ein Nachdenken,ein Zögern, eine Selbstprüfung.Aber auch das ist schon eine ganzeMenge.“ 92 Und in einem Interviewmit <strong>der</strong> „Woche“ antwortete er aufdie Frage, wie er nach all den Skandalenüberhaupt noch wählen gehenkönne: „Wenn du das näher an dichrankommen lässt, wirst du zum Eiferer.Und wenn du zum Eifererwirst, hast du verloren.“ 93 Das heißtnicht, dass investigative Journalistenvöllig emotionslose Menschen, quasirecherchierende Roboter seinmüssen. Auch sie treibt <strong>der</strong>„Wunsch nach ein bisschen Gerechtigkeit“94 um.Dan Noyes, Vorsitzen<strong>der</strong> des amerikanischen„Centre for InvestigativeReporting“, ist „ständig auf <strong>der</strong>Suche nach Reportern, die leidenschaftlichnach verborgenen Informationengraben“ 95 . Und ThomasLeif hat sein Buch über Skandal-Geschichten und Enthüllungs-Berichtesogar „Leidenschaft: Recherche“genannt.Es besteht demnach ein Unterschiedzwischen Leidenschaft und Eifer.Denn wer eifert, wird schnell übereifrig.Und dann begeht er Fehler,die gerade während einer brisantenRecherche fatal sein können. LeoMüller, heute Redakteur des „Stern“<strong>im</strong> Büro in Düsseldorf, kennt siebenFallen, in die Enthüller häufig tappen:<strong>Die</strong> Informanten-, die Dokumenten-,die Internet-, die Archiv-,die Beobachtungs-, die Produktionsunddie Zeitdruckfalle. 96 Es gibt Informanten,die gelernte Lügner sind.Dokumente werden gefälscht. ImInternet stehen Veröffentlichungen,<strong>der</strong>en Routing-Informationen zuden falschen Urhebern führen. Aufdie Inhalte von Datenbanken undan<strong>der</strong>en Archiven ist kein Verlass,weil dort gelöscht und manipuliertwird. Selbst die eigenen Beobachtungenkönnen trügerisch sein, weilRealität bewusst inszeniert werdenkann. Und schließlich führen Zeit-129


druck und Produktionsfehler zu S<strong>im</strong>plifizierungen,schludrigen Kürzungenund fehlenden Informationen. 97Hans Leyendecker erlebte seinengrößten Flop <strong>im</strong> Fall Bad Kleinen,als er einen Zeugen präsentierte, <strong>der</strong>die „Hinrichtung“ des RAF-MitgliedsWolfgang Grams durch diePolizei beobachtet haben wollte.Vor <strong>der</strong> Staatsanwaltschaft mochte<strong>der</strong> Zeuge seine Aussage dann abernicht wie<strong>der</strong>holen. 98Fehler wie diese können jedemJournalisten passieren. Aber dieGefahr des Fehlgriffs lässt sich soweit wie möglich reduzieren. Denn„Recherche ist kein Zauberwerk,son<strong>der</strong>n Handwerk“ 99 , wie ThomasLeif feststellt. <strong>Die</strong>sem Bild kannsich Hans Leyendecker anschließen.<strong>Die</strong> „Wühlmäuse“, die er bislangkennengelernt habe, seien„eher langweilig und bürgerlich“und wüssten, „dass man auf einerBeerdigung eine schwarze Krawatteträgt.“ 100 Handwerker eben. „Sowie ein Fliesenleger Fliesen legt,muss ein Journalist nun einmal recherchieren.“101Charakteristisch für das Handwerk<strong>der</strong> investigativen Recherche sindbest<strong>im</strong>mte Tugenden, die den bequemerenKollegen fehlen. ThomasLeif nennt vier <strong>der</strong> wichtigstenHaltungen: Misstrauen, Neugier,Hartnäckigkeit und Kontaktfähigkeit.102Auf diese Tugenden möchte ichnun näher eingehen, da sie dasSelbstverständnis <strong>der</strong> investigativenJournalisten entscheidend prägen.MisstrauenEin alter amerikanischer Journalisten-Spruchbesagt: „If your mothertells you she loves you, you shouldcheck it out.“ 103 Leo Müller hältdiese These bei aller inhaltlichen Satiredurchaus für angebracht. Misstrauensei eine wichtige Eigenschaftfür Rechercheure. Ein vertrauterUmgang mit Informanten solltetabu sein, denn darin liege eine <strong>der</strong>schl<strong>im</strong>msten Fallgruben. Der freieFernsehproduzent Egmont R. Kochwarnt deshalb: „Bei jedem Kontakt,auch mit Quellen, die man inzwischenals gute Bekannte einstufenwürde, muss demnach die Frage bedachtwerden: ,Will er mich instrumentalisieren?““104 Denn oft wollenInformanten nur wichtig sein,den Vorgesetzten o<strong>der</strong> einen Konkurrentenärgern, von eigenem Versagenablenken, Geld machen o<strong>der</strong>auch mal einen Journalisten le<strong>im</strong>en.105 Ulrich Pätzold, heute Professorfür Journalistik in Dortmund,hält die Skepsis deshalb füreine Pflicht <strong>im</strong> Journalismus. Geradein <strong>der</strong> Politik würden Informationenund Sachverhalte bewusst130


verschleiert, weil Interessen <strong>im</strong>Spiel sind. <strong>Die</strong> Erkenntnis, dasssich niemand seines Wissens sichersein könne, mache die Skepsis zueiner Grundhaltung journalistischerArbeit. 106NeugierAls Christoph Maria Fröh<strong>der</strong>, freierARD-Fernsehjournalist, einmal mitseinem Kamerateam be<strong>im</strong> BKA inWiesbaden war, um einen Film überdie Möglichkeiten <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nenKr<strong>im</strong>inaltechnik zu drehen, kam eszu einer merkwürdigen Unterbrechung:Ein aufgeregter Beamterstürmte auf das Team zu und for<strong>der</strong>tees auf, sofort alles stehen undliegen zu lassen und in einen Nebenraumzu gehen. Auf Nachfrage erklärteer, selbst hochrangige BKA-Beamte müssten sich in einem solchenFall mit dem Gesicht zur Wandstellen.Der Vorfall weckte Fröh<strong>der</strong>s Interesse.Er fragte sich, welche Begebenheitein solches Handeln rechtfertigenkönnte. Für den Fernsehproduzentenwar das <strong>der</strong> Beginn einerlangen Recherche, an <strong>der</strong>enEnde die Entlarvung von WernerMauss, einem <strong>der</strong> wichtigsten undzugleich zwielichtigsten V-Männervom BKA stand. 107 Ein deutscherJuwelier, <strong>der</strong> zu sieben Jahren Haftverurteilt worden war, wurde auf<strong>der</strong> Basis <strong>der</strong> Panorama-Enthüllungenüber Mauss’ Machenschaften inzweiter Instanz freigesprochen.Ohne Christoph Maria Fröh<strong>der</strong>sNeugier wäre <strong>der</strong> Juwelier mit hoherWahrscheinlichkeit ins Gefängnisgekommen.Und Fröh<strong>der</strong> bewies während <strong>der</strong>Recherche noch eine weitere investigativeTugend: Hartnäckigkeit.HartnäckigkeitFröh<strong>der</strong> hatte einen langen Atem.Er recherchierte fast ein Jahr an <strong>der</strong>Gehe<strong>im</strong>waffe „M“. Als sich ein ehemaligerBKA-Beamter bereit erklärte,mit ihm über die Hintergründedes Vorfalls zu reden, sobald er „seineHausaufgaben gemacht“ 108 habe,war das für den Journalisten keineErnüchterung, son<strong>der</strong>n <strong>im</strong> Gegenteileine Herausfor<strong>der</strong>ung. Er besorgtesich Dutzende alter Telefonbücher,um an die Nummern weitererehemaliger BKA-Beamter zukommen. So erhielt Fröh<strong>der</strong> wichtigeHinweise zu dem Fall undkonnte mit dem neuen Wissen wie<strong>der</strong>zu seinem Erstinformanten gehen.<strong>Die</strong>ser lobte den Journalistenfür seine gemachten „Schulaufgaben“und nannte ihm als Belohnungden Namen des V-Mannes,Werner Mauss. Fröh<strong>der</strong>s Hartnäkkigkeithatte sich schließlich ausgezahlt.131


„Wer die Mühe nicht scheut, Informantennicht nur ein zweites, son<strong>der</strong>nauch ein drittes o<strong>der</strong> zehntesMal zu befragen, lernt schnell, <strong>der</strong>Wahrheit <strong>im</strong>mer näher zu kommen“109 , schreibt Leo Müller undbestätigt damit das, was Fröh<strong>der</strong> inseiner Recherche gezeigt hat.Kontaktfähigkeit„Ohne dichte Informantennetzeist kein recherchieren<strong>der</strong> Journalismusmöglich. Kontakte pflegen– in alle gesellschaftlichen Bereiche– und hun<strong>der</strong>tprozentigen Informantenschutzgewähren. Dassind die Grundbedingungen fürerfolgreiche Recherchen.“ 110Gute investigative Journalistenhaben diese von Thomas Leif formuliertenGrundbedingungenverinnerlicht. Hans LeyendeckersKontakte sind zahlreich und gut.Auch die Spiegel-Redakteure, vorallem die in den Außenbüros, sinddafür bekannt, dass sie mit vielenMenschen öfter mal ein Bier trinkengehen. 111Eine notwendige Ergänzung findendie genannten Tugenden <strong>im</strong> Erfahrungswissen.Wer lange <strong>im</strong> Geschäftdabei ist, kennt viele Informanten,nützliche Tricks und weiß, wo Gefahrenlauern. <strong>Die</strong>ses Wissen fehltjungen, angehenden Journalistenzwangsläufig. Aber den Mangel könnensie durch den nötigen Ehrgeiz undden Willen, das Handwerk <strong>der</strong> Recherchezu lernen, kompensieren. Wennsie es denn wollen. Doch lei<strong>der</strong> wollensie offensichtlich <strong>im</strong>mer seltener.6. Chancen fürNachwuchsrechercheureThomas Leif bemängelt, dass beivielen Journalisten das Interesse amkritischen Befragen nachgelassenhat. Gerade für den Nachwuchs seiJournalismus <strong>im</strong> Sinne einer kontrollierendenvierten Gewalt nicht mehrangesagt. 112 Der frühere Stern-ChefredakteurMichael Jürgs schließt sichdem an: „<strong>Die</strong> Altvor<strong>der</strong>en warennicht ehrlicher, anständiger, aufrechter,mutiger o<strong>der</strong> gar weniger zynisch.Aber sie waren Überzeugungstäter.“113 Und Hans Leyendekkerhat festgestellt, „dass selten einejunge Generation so unverhohlendazugehören wollte. <strong>Die</strong> Jungen arbeitenhöchst professionell für denMainstream.“ 114 Es gebe <strong>im</strong>mermehr Entertainer und <strong>im</strong>mer wenigerAnalytiker.<strong>Die</strong>sem Trend wollen Hans Leyendecker,Thomas Leif und einige ihrerKollegen etwas entgegensetzen.Deswegen haben sie Anfang April2001 in <strong>der</strong> Eifel das „Netzwerk Recherche“gegründet. Auf <strong>der</strong> Gründungstagung,an <strong>der</strong> 35 Journalisten132


teilnahmen, formulierten sie Zielvorstellungendes Netzwerks, diesich an <strong>der</strong> Arbeit <strong>der</strong> amerikanischenBerufsorganisation InvestigativeReporters and Editors orientierensoll. So wollen sie „die journalistischeRecherche in <strong>der</strong> Medien-Praxis stärken, auf ihre Bedeutungaufmerksam machen und die intensiveRecherche vor allem in <strong>der</strong> journalistischenAusbildung för<strong>der</strong>n.“ 115<strong>Die</strong>ses Konzept beinhaltet großeChancen für junge Journalisten, diesich entgegen dem Mainstream fürdie Recherche begeistern.Zum einen sollen Modellseminarefür sinnvolles Recherchetraining anUniversitäten und Journalistenschulenentwickelt werden. Darüber hinausplant das Netzwerk, Stipendienfür junge Recherche-Talente vergeben,die dann einen großen Rechercheauftragerhalten. Während dieserArbeit werden sie ein ganzes Jahr langvon erfahrenen Journalisten betreut,die als Mentoren Hilfestellung leisten.116 Bezahlt werden soll diesesProjekt aus Spenden, die das Netzwerkals gemeinnütziger Verein anwerbenwill. Wie bereits geschil<strong>der</strong>t,hat sich dieses Modell in Amerika,beispielsweise be<strong>im</strong> Center for InvestigativeReporting bereits bewährt.Deutsche Journalisten sind also aufdem Weg, die Recherche inDeutschland vor dem „Aussterben“zu bewahren.7. ZusammenfassungZu Beginn dieser Arbeit habe ichnach einer Definition für den Begriff„Investigativer Journalismus“gesucht. Es fanden sich viele verschiedeneAntworten, aus denensich schließlich ein gemeinsamerTenor herauskristallisierte. Danachist investigativer Journalismus diegründliche, intensive und nachforschendeArbeitsweise von Journalisten,um an thematisch relevanteInformationen zu kommen, die <strong>der</strong>Öffentlichkeit vorenthalten werdensollen. <strong>Die</strong> Methoden, um die Informationsblockadenzu brechen, könnendabei hart an die Grenze desErlaubten gehen.Danach fragte ich nach <strong>der</strong> geschichtlichenEntwicklung von investigativemJournalismus. Ich habegezeigt, dass dieser Berufszweig vorallem in den USA eine lange Traditionhat. Stilbildend waren vor allemzwei Jahrgänge: Zum einen die Ära<strong>der</strong> sogenannten Muckrakers (zudeutsch: Mistgabeln) an <strong>der</strong> Schwellezum 20. Jahrhun<strong>der</strong>t. <strong>Die</strong> beteiligtenJournalisten waren Anhänger <strong>der</strong>progressiven Bewegung. Sie wi<strong>der</strong>setztensich den Machtkartellen undwurden vor allem mit ihren Sozialreportagenzum Sprachrohr <strong>der</strong> Verbraucherund <strong>der</strong> Kleinunternehmer.<strong>Die</strong> Ära <strong>der</strong> Muckrakers endete<strong>im</strong> Streit mit Präsident Theodore133


Roosevelt, <strong>der</strong> die in ihn gestecktenErwartungen als einsamer Reformernicht erfüllte.Um 1970 wurde <strong>der</strong> amerikanischeJournalismus so politisch, wie er esbis heute nicht mehr geworden ist.Zunächst führte die Presse eineKampagne gegen den Vietnam-Krieg. Und zu dem Paradebeispieldes investigativen Journalismus wurdedie Watergate-Affäre, die PräsidentNixon schließlich zum Rücktrittzwang. Bob Woodward undCarl Bernstein von <strong>der</strong> WashingtonPost betrieben mit ihrer hartnäckigen,zweijährigen Recherche ihre eigeneLegendenbildung.Ich becshrieb dann die aktuelle Lagedes investigativen Journalismus inDeutschland und vergleichend dazuin den USA. Ich stellte fest, dass dieamerikanischen Rechercheure privilegiertsind. Ihre Arbeit findet in <strong>der</strong>Bevölkerung eine große Unterstützung.Aus Imagegründen sind vieleVerleger deshalb bereit, Geld fürlangfristige Recherchen auszugeben.Und dort, wo die Strukturen schwächerwerden, finanzieren nicht-kommerzielleOrganistationen mit Spendengel<strong>der</strong>ndie investigative Arbeit.In Deutschland ist die Lage wesentlichschlechter. We<strong>der</strong> Verleger,noch Rezipienten, geschweige dennPolitiker schätzen den investigativenJournalismus. Hinzu kommt, dassdie deutschen Journalisten trotzgünstiger Gesetze kaum recherchie-134


en, son<strong>der</strong>n viel Agenturmaterialverwenden. Der Meinungsjournalismushat hier einen höheren Stellenwert.Viele sonnen sich <strong>im</strong> Gefühl,Macht zu besitzen.Im Anschluss fragte ich nach demSelbstverständnis <strong>der</strong> investigativenJournalisten in Deutschland und inden angelsächsischen Län<strong>der</strong>n. Ichkonnte den Unterschied ausmachen,dass Deutschland mehr Rechercheuremit missionarischem, zumTeil übertrieben detektivischem Eiferhat als die USA. Doch auf denGroßteil <strong>der</strong> investigativen Journalistentrifft das nicht zu. Sie verstehensich eher als journalistische Handwerker,die ihr Publikum mit denErgebnissen einer objektiven Recherchezu überzeugen versuchen.Zu ihren wichtigsten Tugenden zählensie Misstrauen, Neugier, Hartnäckigkeitund Kontaktfähigkeit.Schließlich untersuchte ich dieChancen von Nachwuchsjournalisten<strong>im</strong> investigativen Journalismus.Es zeigte sich, dass Recherche nichtzu den Vorlieben junger deutscherTalente zählt. <strong>Die</strong>sem Trend setzenetablierte Journalisten mit dem neugegründeten „Netzwerk Recherche“nun ein Konzept entgegen. Möglichkeiteneröffnen sich dem Nachwuchsvor allem in dem dort geplantenMentoring-Programm. Es bietetjungen Journalisten die Chance, einelangfristige, bezahlte Recherchedurchzuführen und dabei auf denRat und die Unterstützung eines erfahrenenRechercheurs zurückzugreifen.Auf diesem Weg will dasNetzwerk die investigative Kultur inDeutschland verbessern.8. LiteraturverzeichnisAltschull, J. Herbert: Agenten <strong>der</strong> Macht:die Welt <strong>der</strong> Nachrichtenmedien, Konstanz1990Augstein, Rudolf: „Vertrauen Sie dieserSache Ihre besten Fe<strong>der</strong> an“. In: DerSpiegel, Heft 52/1984, S. 36-44Bernstein, Carl/Woodward, Bob: AmerikanischerAlptraum, Köln 1976Boventer, Hermann: „Muckrakers. InvestigativerJournalismus zwischen Anspruchund Wirklichkeit“. In: Wunden,Wolfgang (Hrsg.): Öffentlichkeit undKommunikationskultur (= Beiträge zurMedienethik Bd. 2), Hamburg-Stuttgart1994, S. 215-230Buchsteiner, Jochen: „Über Kümmeltürken,richtige Säue und das Zusammenspielvon Politik und Journalismus“. In:<strong>Die</strong> Zeit vom 11.7.97, Politik S. 2Cohen, Roger: „Wie gut recherchierendeutsche Journalisten?“. In: Message,Heft 2/1999, S. 9Donsbach, Wolfgang: „Täter und Opfer –die Rolle <strong>der</strong> Massenmedien in <strong>der</strong> amerikanischenPolitik“. In: Donsbach,Wolfgang u.a. (Hrsg.): Beziehungsspiele– Medien und Politik in <strong>der</strong> öffentlichenDiskussion, Gütersloh 1993, S.221-281Donsbach, Wolfgang: „Journalismus versusjournalism – ein Vergleich zum Ver-135


hältnis von Medien und Politik inDeutschland und in den USA“. In:Donsbach, Wolfgang u.a. (Hrsg.): Beziehungsspiele- Medien und Politik in<strong>der</strong> öffentlichen Diskussion, Gütersloh1993, S. 283-317Draht, Henning/Meckel, Miriam: „I-TüpfelchenRecherche“. In: Message, Heft1/2001, S. 34-38Einfeldt, Anja: „Spürnasenclub“. In:Message, Heft 1/2001, S. 39-41Engelbrecht, Torsten: „Schutz vor Machtmissbrauch“.In: Message, Heft 2/1999,S. 36-39Esser, Frank: <strong>Die</strong> Kräfte hinter denSchlagzeilen, Englischer und deutscherJournalismus <strong>im</strong> Vergleich, Freiburg/München 1998Esser, Frank: „Gehemmter Investigativgeist“.In: Message, Heft 2/1999, S. 26-31Fröh<strong>der</strong>, Christoph Maria: „<strong>Die</strong> Entlarvung<strong>der</strong> Gehe<strong>im</strong>waffe ‘M’“. In: Leif,Thomas: Leidenschaft Recherche,Wiesbaden 1998, S. 45-50Haas, Hannes/Pürer, Heinz: „Berufsauffassungen<strong>im</strong> Journalismus“. In: Pürer,Heinz/Stuiber, Heinz-Werner(Hrsg.): Journalismus (= KommunikationswissenschaftlicheStudien Bd. 11),Nürnberg 1991, S. 71-85Haller, Michael: Recherchieren. EinHandbuch für Journalisten, München1991Hei<strong>der</strong>, Ulrike: „Der Mann mit <strong>der</strong> Mistgabel“.In: Michel, Karl Markus/Spengler,Tilman: <strong>Die</strong> Meinungsmacher.Kursbuch 125, Berlin 1996, S. 143-153Holzer, Werner: „Investigativer Journalismus“.In: Archiv für Presserecht, Heft2/1988, S. 113-114Janisch, Wolfgang: Investigativer Journalismusund Pressefreiheit. Ein Vergleichdes deutschen und amerikanischenRechts, Baden-Baden 1998Karacs, Imre: „Wie gut recherchierendeutsche Journalisten“. In: Message,Heft 2/1999, S. 9Koch, Egmont R.: „Ich habe da meineQuellen...“. In: Leif, Thomas: LeidenschaftRecherche, Wiesbaden 1998, S.42-44Kremp, Herbert: „Investigativer Journalismus“.In: Archiv für Presserecht, Heft2/1988, S. 114-117Leif, Thomas: „Leidenschaft Recherche:<strong>Die</strong> Kontrollfunktion <strong>der</strong> Medienbraucht Pflege und Ermutigung“. In:Leif, Thomas: Leidenschaft Recherche,Wiesbaden 1998, S. 7-13Leif, Thomas: „<strong>Die</strong> Demokratie beatmen“.In: Message, Heft 2/1999, S. 46-47Leinemann, Jürgen: „<strong>Die</strong> Gemütlichkeit isthin“. In: Der Spiegel, Heft 28/1977, S.42-44Leparmentier, Arnaud: „Wie gut recherchierendeutsche Journalisten“. In: Message,Heft 2/1999, S. 9Leyendecker, Hans: „Auf Kuscheltour mit<strong>der</strong> Macht“. In: Message, Heft 2/1999,S. 10-12Leyendecker, Hans: „Wer <strong>im</strong> Schmutzwühlt...“. In: Der Spiegel, Son<strong>der</strong>ausgabe1947-1997 zum 50. Geburtstag desMagazin, S. 48-55Leyendecker, Hans: „Welttag <strong>der</strong> Presse-freiheit:Erst die Recherche, dann die Mei-136


nung“. Auf: http://www. spiegel. de/politik/deutschland/0,1518,131663,00.htmlam 29.06.01 um 9 UhrMüller, Leo: „Viel gesehen, wenig begriffen“.In: Message, Heft 2/1999,S. 22-25Müller, Michael: Investigativer Journalismus.Seine Begründung und Begrenzungaus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> christlichenEthik, Münster 1997N.N.: „Gesetz zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Informationsfreiheit<strong>im</strong> Land Berlin“.Auf: http://www.datenschutzberlin.de/recht/bln/ifg/ifg.htmam07.07.01 um 18 UhrN.N.: „Rundgespräch zum Thema: ,InvestigativerJournalismus in Deutschland‘“.Auf: http://www.netzwerkrecherche.de am07.07.01 um 16 UhrNitschmann, Johannes: „Keine Gehe<strong>im</strong>kunst“.In: M – Menschen Machen Medien,Heft 5/2001, S. 16-17Pätzold, Ulrich: „Hofberichterstattungo<strong>der</strong> Recherchenjournalismus – ZurPhilosophie journalistischer Arbeit“. In:Langenbucher, Wolfgang R. (Hrsg.):Journalismus&Journalismus. Plädoyersfür Recherche und Zivilcourage, München1980, S. 21-33Pürer, Heinz: „Ethik in Journalismus undMassenkommunikation“. In: Publizistik,Heft 3/1992, S. 304-321Redelfs, Manfred: Investigative reportingin den USA, Opladen 1996Riehl-Heyse, Herbert: Bestellte Wahrheiten,München 1989Rust, Holger: Entfremdete Elite? Journalisten<strong>im</strong> Kreuzfeuer <strong>der</strong> Kritik, Wien1986Sch<strong>im</strong>meck, Tom: „Der Enthüller“. In:<strong>Die</strong> Woche vom 5.7.1996, Menschen S.39Schmitt, Karl Volker: „6 * w ist investigativ“.In: multiMEDIA vom 29.04.01, S.4-5Schön, Gerti: „Wühlarbeit“. In: MediumMagazin, Heft 7/2001, S. 38-39Scholl, Armin: „Wie fair sind die Journalisten?“.In: Sage&Schreibe special, Heft2/1994, S. 22-24Steffen, Erich: „Schranken des Persönlichkeitsschutzesfür den ,investigativen‘Journalismus“. In: Archiv für Presserecht,Heft 2/1988, S. 117-120Weischenberg, Siegfried: „InvestigativerJournalismus und ‘kapitalistischer Realismus“.In: Rundfunk und Fernsehen,Heft 31/1983, S. 349-369Anmerkungen1Drobinski, Matthias: „Recherche ist eineTugend“. In: Leif, Thomas: LeidenschaftRecherche, Wiesbaden 1998, S.1332Vgl. ebenda, S. 1333N.N.: „Rundgespräch zum Thema: ,InvestigativerJournalismus in Deutschland‘“.Auf: http://www.netzwerkrecherche.deam 07.07.01 um 16Uhr4Vgl. Haas, Hannes/Pürer, Heinz: „Berufsauffassungen<strong>im</strong> Journalismus“. In:Pürer, Heinz/Stuiber, Heinz-Werner(Hrsg.): Journalismus (= KommunikationswissenschaftlicheStudien Bd. 11),Nürnberg 1991, S. 755Vgl. Müller, Michael: Investigativer Journalismus.Seine Begründung und Be-137


grenzung aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> christlichenEthik, Münster 1997, S. 96Holzer, Werner: a.a.O., S. 1137Janisch, Wolfgang: Investigativer Journalismusund Pressefreiheit. Ein Vergleichdes deutschen und amerikanischenRechts, Baden-Baden 1998, S. 158Vgl. Donsbach, Wolfgang: „Täter undOpfer – die Rolle <strong>der</strong> Massenmedien in<strong>der</strong> amerikanischen Politik“. In: Donsbach,Wolfgang u.a. (Hrsg.): Beziehungsspiele– Medien und Politik in <strong>der</strong>öffentlichen Diskussion, Gütersloh1993, S. 2509Redelfs, Manfred: Investigative reportingin den USA, Opladen 1996, S. 3210Vgl. Redelfs, Manfred: a.a.O., S. 2811Vgl. Weischenberg, Siegfried: „InvestigativerJournalismus und ‘kapitalistischerRealismus“. In: Rundfunk undFernsehen, Heft 31/1983, S. 35012Haller, Michael: Recherchieren. EinHandbuch für Journalisten, München1991, S. 8113Vgl. Müller, Michael: a.a.O., S. 1014Kremp, Herbert: „Investigativer Journalismus“.In: Archiv für Presserecht, Heft2/1988, S. 11415Vgl. Boventer, Hermann: „Muckrakers.Investigativer Journalismus zwischenAnspruch und Wirklichkeit“. In:Wunden, Wolfgang (Hrsg.): Öffentlichkeitund Kommunikationskultur (= Beiträgezur Medienethik Bd. 2), Hamburg/Stuttgart1994, S. 22116Vgl. Müller, Michael: a.a.O., S. 1317Vgl. Altschull, J. Herbert: Agenten <strong>der</strong>Macht: die Welt <strong>der</strong> Nachrichtenmedien,Konstanz 1990, S. 9618Vgl. Boventer, Hermann: a.a.O., S.21519Vgl. Altschull, J. Herbert: a.a.O., S. 9720Vgl. Boventer, Hermann: a.a.O., S.21621ebenda, S. 21722Vgl. ebenda, S. 21723Vgl. Hei<strong>der</strong>, Ulrike: „Der Mann mit<strong>der</strong> Mistgabel“. In: Michel, Karl Markus/Spengler,Tilman: <strong>Die</strong> Meinungsmacher.Kursbuch 125, Berlin 1996, S.14524Vgl. Altschull, J. Herbert: a.a.O., S. 9325ebenda, S. 9326Vgl. ebenda, S. 9927Vgl. ebenda, S. 9928Vgl. Hei<strong>der</strong>, Ulrike: a.a.O., S. 14629Vgl. Hei<strong>der</strong>, Ulrike: a.a.O., S. 14730Vgl. Altschull, J. Herbert: a.a.O., S.10331Vgl. Boventer, Hermann: a.a.O., S.22332Vgl. Haas, Hannes/Pürer, Heinz:a.a.O., S. 7433Vgl. Boventer, Hermann: a.a.O., S.22334Vgl. Janisch, Wolfgang: a.a.O., S. 1935Vgl. Redelfs, Manfred: a.a.O., S. 2836Vgl. Janisch, Wolfgang: a.a.O., S. 2337Vgl. Redelfs, Manfred: a.a.O., S. 67f.38Vgl. Janisch, Wolfgang: a.a.O., S. 2339Vgl. ebenda, S. 2440Vgl. Rust, Holger: Entfremdete Elite?Journalisten <strong>im</strong> Kreuzfeuer <strong>der</strong> Kritik,Wien 1986, S. 2441Vgl. Redelfs, Manfred: a.a.O., S. 24042Vgl. ebenda, S. 24143Vgl. Rust, Holger: a.a.O., S. 26 undRedelfs, Manfred: a.a.O., S. 23744Vgl. Redelfs, Manfred: a.a.O., S. 238ff.45Vgl. ebenda, S. 25446Vgl. Redelfs, Manfred: a.a.O., S. 310ff.47Vgl. ebenda, S. 312138


48 Vgl. Einfeldt, Anja: „Spürnasenclub“.In: Message, Heft 1/2001, S. 4049Vgl. Einfeldt, Anja: a.a.O., S. 40f.50Vgl. Redelfs, Manfred: a.a.O., S. 285ff.51Leyendecker, Hans: „Welttag <strong>der</strong>Pressefreiheit: Erst die Recherche, danndie Meinung“. Auf: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,131663,00.html am 29.06.01 um9 Uhr52Müller, Michael: a.a.O., S. 1753Leyendecker, Hans: „Welttag ...“,a.a.O.° Vgl. Draht, Henning/Meckel, Miriam:„I-Tüpfelchen Recherche“. In: Message,Heft 1/2001,S. 3855Vgl. Einfeldt, Anja: a.a.O., S. 4056Leyendecker, Hans: „Auf Kuscheltourmit <strong>der</strong> Macht“. In: Message, Heft2/1999, S. 1057Leyendecker, Hans: „Welttag ...“,a.a.O.58ebenda59Vgl. Esser, Frank: <strong>Die</strong> Kräfte hinterden Schlagzeilen, Englischer und deutscherJournalismus <strong>im</strong> Vergleich, Freiburg/München1998, S. 11660Esser, Frank: „Gehemmter Investigativgeist“.In: Message, Heft 2/1999, S.2661ebenda, S. 2662Cohen, Roger: „Wie gut recherchierendeutsche Journalisten?“ In: Message,Heft 2/1999, S.963Vgl. Janisch, Wolfgang: a.a.O., S. 6764Vgl. Redelfs, Manfred: a.a.O., S. 16265Vgl. Janisch, Wolfgang: a.a.O., S. 6866Vgl. Redelfs, Manfred: a.a.O., S. 16567Vgl. ebenda, S. 161f.68Vgl. Donsbach, Wolfgang: „Journalismusversus journalism – ein Vergleichzum Verhältnis von Medien und Politikin Deutschland und in den USA“. In:Donsbach, Wolfgang u.a. (Hrsg.): Beziehungsspiele- Medien und Politik in<strong>der</strong> öffentlichen Diskussion, Gütersloh1993, S. 28969Esser, Frank: „Gehemmter ...“, a.a.O.,S. 2870Vgl. N.N.: „Gesetz zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong>Informationsfreiheit <strong>im</strong> LandBerlin“. Auf: http://www.datenschutzberlin.de/recht/bln/ifg/ifg.htmam07.07.01 um 18 Uhr71Vgl. Esser, Frank: <strong>Die</strong> Kräfte ...,a.a.O., S. 12672Leyendecker, Hans: „Wer <strong>im</strong> Schmutzwühlt...“. In: Der Spiegel, Son<strong>der</strong>ausgabe1947-1997 zum 50. Geburtstag desMagazin, S. 5073Kremp, Herbert: a.a.O., S. 11674Leyendecker, Hans: „Wer <strong>im</strong> Schmutz...“, a.a.O., S. 5175Vgl. Leif, Thomas: „<strong>Die</strong> Demokratiebeatmen“. In: Message, Heft 2/1999, S.46f.76Nitschmann, Johannes: „Keine Gehe<strong>im</strong>kunst“.In: M - Menschen MachenMedien, Heft 5/2001, S. 1677Vgl. Esser, Frank: „Gehemmter ...“,a.a.O., S. 2978Vgl. Redelfs, Manfred: a.a.O., S. 32079Sch<strong>im</strong>meck, Tom: „Der Enthüller“.In: <strong>Die</strong> Woche vom 5.7.1996, MenschenS. 3980Zitiert nach Leyendecker, Hans: „AufKuscheltour mit <strong>der</strong> Macht“. In: Message,Heft 2/1999,S. 12139


81Vgl. Leyendecker, Hans: „Auf Kuscheltour...“, a.a.O., S. 1282Karacs, Imre: „Wie gut recherchierendeutsche Journalisten“. In: Message,Heft 2/1999, S. 983Leparmentier; Arnaud: „Wie gut recherchierendeutsche Journalisten“. In:Message, Heft 2/1999, S. 984Vgl. Esser, Frank: <strong>Die</strong> Kräfte ...,a.a.O., S. 12785Vgl. Donsbach, Wolfgang: „Journalismus...“, a.a.O., S. 29186Vgl. Donsbach, Wolfgang: „Journalismus...“, a.a.O., S. 29187Vgl. ebenda, S. 29588Vgl. Pätzold, Ulrich: „Hofberichterstattungo<strong>der</strong> Recherchenjournalismus– Zur Philosophie journalistischer Arbeit“.In: Langenbucher, Wolfgang R.(Hrsg.): Journalismus&Journalismus.Plädoyers für Recherche und Zivilcourage,München 1980, S. 3189Vgl. Kremp, Herbert: a.a.O., S. 11590Vgl. Haas, Hannes/Pürer, Heinz:a.a.O., S. 7891Leyendecker, Hans: „Auf Kuscheltour...“, a.a.O., S. 1292Hans Leyendecker in einem Vortragan <strong>der</strong> Universität Dortmund am 07.Juni 200193Sch<strong>im</strong>meck, Tom: a.a.O., S. 3994ebenda, S. 3995Engelbrecht, Torsten: „Schutz vorMachtmissbrauch“. In: Message, Heft2/1999, S. 3696Müller, Leo: „Viel gesehen, wenig begriffen“.In: Message, Heft 2/1999, S.2297Vgl. Müller, Leo: a.a.O., S. 23ff.98Sch<strong>im</strong>meck, Tom: a.a.O., S. 3999Leif, Thomas: „<strong>Die</strong> Demokratie beatmen“.In: Message, Heft 2/1999, S. 46100Sch<strong>im</strong>meck, Tom: a.a.O., S. 39101Nitschmann, Johannes: a.a.O., S. 16102Vgl. Leif, Thomas: „<strong>Die</strong> Demokratie...“, a.a.O., S. 46103Müller, Leo: a.a.O., S. 22104Koch, Egmont R.: „Ich habe da meineQuellen ...“. In: Leif, Thomas: LeidenschaftRecherche, Wiesbaden 1998,S. 44105Vgl. Sch<strong>im</strong>meck, Tom: a.a.O., S. 39106Vgl. Pätzold, Ulrich: a.a.O., S. 26107Vgl. Fröh<strong>der</strong>, Christoph Maria: „<strong>Die</strong>Entlarvung <strong>der</strong> Gehe<strong>im</strong>waffe ,M‘“. In:Leif, Thomas: Leidenschaft Recherche,Wiesbaden 1998, S. 45ff.108Vgl. Fröh<strong>der</strong>, Christoph Maria:a.a.O., S. 46109Vgl. Müller, Leo: a.a.O., S. 23110Leif, Thomas: „<strong>Die</strong> Demokratie ...“,a.a.O., S. 47111Vgl. Sch<strong>im</strong>meck, Tom: a.a.O., S. 39112Vgl. Schmitt, Karl Volker: „6 * w istinvestigativ“. In: multiMEDIA vom29.04.01, S. 5113Vgl. Leyendecker, Hans: „Auf Kuscheltour...“, a.a.O., S. 12114Vgl. ebenda, S. 11115Vgl. Nitschmann, Johannes: a.a.O.,S. 17116Vgl. Schmitt, Karl Volker: a.a.O., S. 5140


Rundgespräch„Investigativer Journalismus inDeutschland“Tagung des Netzwerkes Recherche und <strong>der</strong> <strong>Friedrich</strong><strong>Ebert</strong> <strong>Stiftung</strong> „Recherchieren<strong>der</strong> Journalismus inDeutschland“ in S<strong>im</strong>merath-Erkensruhr (30.03.01-1.04.01)Thomas Leif (Mo<strong>der</strong>ator): Herr Leyendecker,was ist Ihr Motiv, dass Sieneben Ihrer Arbeit sagen, man muss<strong>im</strong> journalistischen Feld mal Flaggezeigen und sich engagieren. Warummachen Sie das?Hans Leyendecker: Journalismus istnicht nur Broterwerb, son<strong>der</strong>n manhat auch eine Vorstellung von denDingen, wie sie ungefähr laufen sollten.Mich hat es dabei in den recherchierendenBereich verschlagen, undjetzt versuche ich, das wenige, wasich kann, an einige junge Leute weiterzugeben,das heißt also, z.B. anUniversitäten zu gehen. Ich veranstaltemittlerweile viele Ausbildungsseminare,bei denen ich mit den jungenLeuten darüber rede, was sie bishergemacht haben und wohin esgehen soll. Ich habe einige Male inAmerika die Erfahrung gemacht,dass ich mich dort sehr geniert habe,wenn die amerikanischen Kollegenüber ihre Arbeit, z.B. wie eine Rechercheaussieht, berichteten. Icherinnere mich dabei <strong>im</strong>mer noch aneine wun<strong>der</strong>bare Kollegin ausPhoenix, Arizona. Sie hatte dieAtomwaffenversuche in <strong>der</strong> Wüstevon Nevada recherchiert und dastatsächlich für zwei Jahre mit einemTeam. <strong>Die</strong> hatte dann so einen langenQuellenkatalog und man diskutiertedarüber, ob ihre Wege richtigwaren, und ich saß ganz klein da unddachte: „Irgendwie muss ich michhier schminken, wenn die Dichgleich fragen, was machst Du eigentlich?“In <strong>der</strong> Regel sieht ja unsereArbeit sehr viel an<strong>der</strong>s aus. <strong>Die</strong> amerikanischenKollegen haben zumTeil ganz an<strong>der</strong>e Voraussetzungen.Ich bin mit <strong>der</strong> Ansicht, wie auchviele an<strong>der</strong>e Kollegen hier, dass manfür den recherchierenden Journalismuswirbt, <strong>der</strong> in diesem Landedurch Meinungsjournalismus undan<strong>der</strong>e Dinge keine sehr große Kul-141


tur hat. Wir haben keinen sehr großenRückhalt bei den Intendanteno<strong>der</strong> be<strong>im</strong> Verleger, d.h. wir setzenuns größeren Wi<strong>der</strong>ständen aus.Man muss sich zusammensetzenund die Erfahrungen, die in an<strong>der</strong>enLän<strong>der</strong>n gemacht werden, aber auchunsere eigenen Erfahrungen diskutieren.Woran mir sehr liegen würde,wäre, dass ein solcher Verein dazubeitragen könnte, dass man in einemgewissen Zeitraum einen Kongresso<strong>der</strong> etwas ähnliches organisiert, indem Kollegen über ihre Arbeit undüber die Schwierigkeiten, die dabeiauftreten, reden. Wir sprechen ja <strong>im</strong>Grunde genommen nie über Handwerk.Wir reden nur darüber, ob einergut schreiben kann. Deshalbwerden wir, die sich <strong>im</strong> recherchierendenJournalismus tummeln,manchmal auch gefragt, ob wir Detektiveseien. An dieser ganzen Schizophreniemerkt man eigentlich,dass wir über das, was wir in Ansätzenin Sachen Recherche machen,mehr reden müssten. Diskutiertwerden muss auch, unter welchenVoraussetzungen z.B. Fernsehleutemit Printleuten zusammenarbeitenund welche Geschichte dabei herauskommt,die vielleicht ohne dieseKooperation nicht entstanden wäre.Der Verein müsste auch <strong>im</strong> Bereich<strong>der</strong> Ausbildung etwas machen, dazumuss sicherlich auch ein Journalistenpreisgehören, <strong>der</strong> sich vomWächterpreis unterscheidet. Ein solcherPreis darf dann aber auch nichtdenjenigen auszeichnen, <strong>der</strong> amleichtesten bei einem Anwalt dieAkte gezogen und daraus eine Enthüllungsgeschichtegemacht hat,son<strong>der</strong>n man muss wirklich daraufachten, wo jemand für seine Recherchewas ausgegraben hat und auchmit großer Hartnäckigkeit drangebliebenist. Auch glaube ich, dassveröffentlichte Negativlisten sinnvollsind, die aufzeigen, wer z.B. amrigidesten war und Journalisten denInformationszugang verweigert hat.Das hat jetzt nicht nur etwas mitdem ,Freedom of Information Act‘zu tun, son<strong>der</strong>n vielmehr mit einergewissen Solidarität <strong>der</strong> Leute, diewir brauchen.Ich glaube nicht, dass wir inDeutschland so ein Netzwerk wiez.B. in Skandinavien schaffen können,wo dann <strong>der</strong> eine Journalist ausdem Süden seinen Kollegen <strong>im</strong> Nordenanruft und fragt: „Du hast dochmal an <strong>der</strong> Geschichte gearbeitet,wie kommst Du weiter?“ Wir stehenja doch zu häufig in Konkurrenzmiteinan<strong>der</strong>. Aber wir können an<strong>der</strong>eDinge erreichen.Ich glaube, dass man auch schondurch symbolische Akte, wie z.B.eine Negativliste, bei den Kollegen,die als Einzelkämpfer unterwegssind, ein gewisses Gemeinschaftsge-142


fühl schaffen kann. Man kann auchdann stärker auftreten, wenn manzu definieren versucht, was Journalismuseigentlich ist. Wenn Sie mitChefredakteuren über Recherchediskutieren, ergibt es sich oft, dassdie Chefredakteure sagen: „Ich weißgar nicht, worüber Sie reden, wir recherchierenalle.“ <strong>Die</strong> haben dasauch <strong>im</strong>mer alle ganz hervorragendin ihrem Leben gemacht. Doch diemeisten, so glaube ich, verstehen darunter,dass man ohne Hilfe <strong>der</strong> Sekretärineine Telefonnummer findet.Leif: Das ist eine sehr schöne Definition.Ich glaube, die sollte als Prefacein alle Lehrbüchern eingehen.Das war schon mehr als eine Ouvertüream Anfang. Ich gebe über zuGeorg Mascolo, den auch einigesmit Hans Leyendecker verbindet.Was ist Ihr Motiv, wenn man alsleistungsstarker Rechercheur <strong>im</strong> Geschäftist, sich über den eigenen Jobhinaus zu engagieren und einzelneElemente vom Job und vom Recherchierenauch an an<strong>der</strong>e weiterzutragen.Sie referieren auch gelegentlicho<strong>der</strong> geben ein Interviewund reflektieren somit ihren Job.Georg Mascolo: Das meiste hat HansLeyendecker gesagt, außerdem falleich natürlich, was meine Leistungenals journalistischer Referent betrifft,gegen ihn weit ab. Ich glaube, wasdie Zahl <strong>der</strong> Vorträge angeht, liegeich weit hinter ihm zurück.Ob das hier heute zum Vereinkommt o<strong>der</strong> nicht, welchen Sinn dasmacht, darüber werden wir ja nachhernoch reden. Ich glaube, dassheute auch schon eine Menge gelungenwäre, wenn man, so wie es inden USA schon passiert ist, versuchenwürde, eine gewisse Trennschärfefür diesen Begriff investigativesRecherchieren zu finden. DasSchlagwort investigatives Recherchieren,investigativer Reporter wirdin Deutschland alle Nase lang gebraucht,auch wenn es dann darumgeht, über die Defizite zu reden, diees hier ohne Frage gibt. Was das aberso genau ist, wer das ist, das ist an<strong>der</strong>sals in Amerika.Es gibt auch viele Kollegen, und ichgehe auch davon aus, dass viele hiersind, die investigatives Recherchieren,nicht wie es in den USA oftmalsüblich ist, ausschließlich betreiben,aber die es <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> betreiben.Das sind dann Geschichten bei denenes uns möglicherweise nicht auffällt,weil sie hinterher keinen Nachrichtenwerthaben, dennoch aber dieHerangehensweise einer gründlichen,ausgewogenen Recherche aufweisen.Darüber würde ich auch reden,weil ich ansonsten die Sorgehabe, dass es eine große Gruppe vonKollegen und Kolleginnen gibt, diesich ausgeschlossen fühlen, weil sie143


denken, dass sie das, worüber hiereigentlich geredet wird, überhauptnicht machen.Insofern meine Bitte, lassen Sie unsnachher noch einmal über die Begriffereden und über die Frage fürwen, wenn ein solcher Verein zuStande käme, er auch Ansprechpartnerund Sammelbecken sein sollte.Leif: Welchen Vorschlag hätten Siedenn zur Trennschärfe. Wo würdenSie denn die Linien ziehen, wohingeht die Argumentation?Mascolo: Ich glaube, dass ich so eineVerknüpfung beispielsweise <strong>im</strong>Platz des Dossiers <strong>der</strong> ZEIT, dasBruno Schirra und Thomas Kleine-Brockhoff eingeführt haben, beobachtenkann. Das wäre früher völligunvorstellbar gewesen; langdarstellend,häufig dann auch mitNewswert, bisweilen aber auch einfachnur unter dem Anspruch zu sagen,ich fasse das alles noch mal zusammeno<strong>der</strong> erkläre das auf einemprominenten Platz in einer Art undWeise, wie mir das sonst selten gelingt.Ich lese auch oft in den Zeitungendie Seite-Drei-Geschichten,bei denen ich denke, die Arbeit, diegründliche Recherche, die darinsteckt, die ist bemerkenswert. Es144


kommt keine Nachricht dabei heraus,und es kann auch keine Nachrichtdabei herauskommen, weil dasBeschriebene es möglicherweise garnicht zulässt. Aber auch über all dieseLeute und ihre Arbeitsweisen sollteman reden.Leif: Also eher ein breiterer Ansatz.Oliver Merz, auch seit Jahren unterwegsin dem Themenfeld. Wo würdestDu die Defizite <strong>im</strong> sogenanntenrecherchierenden Journalismussehen? Kollege Volker Steinhoff hatja schon nüchtern in einigen Statementsetwas dazu gesagt. Du willstja auch von den Segeln gehen undbist wahrscheinlich auch über dieJahre ein wenig enttäuscht.Oliver Merz: Ich arbeite seit acht Jahrenfür REPORT Baden-Baden,jetzt Mainz und ich teile nicht ganzDeine Auffassung. Ich finde dieLage nicht so schl<strong>im</strong>m, wie sie teilweisedargestellt wird. Ich glaube,dass sie besser ist als viele denken.Was ich persönlich gerne sagen würde,und ich will mich damit auch gernedem Herrn Mascolo anschließen,ist, dass wir diese Formen, die zumTeil um den Begriff InvestigativerJournalismus gestrickt sind, ein bisschenzurecht rücken. Mir liegt sehrviel an dem Wort „Gründlich“. Ichglaube, dass wir aufpassen sollten,dass wir durch die vorschnelle Skandalierung,die wir oft bei vielen Themenerleben, nicht auf Irrwege geführtwerden, weil sie tatsächlich keineinvestigativen Stories sind. Esgeht möglicherweise nur darum, irgendeinDokument, so wie es HerrLeyendecker geschil<strong>der</strong>t hat, einenTag vorher zu haben, bevor es sowiesoveröffentlicht worden wäre.Da müssen wir dann nachhetzen,weil wir halbaktuellen, latent aktuelleno<strong>der</strong> ganz aktuellen Medien verpflichtetsind und dann aber in <strong>der</strong>ganzen Hektik gar nicht dazu kommen,es gründlich darzustellen, Interessenverflechtungenaufzuzeigen,möglicherweise auch mal gegen denStrich zu bürsten und Gewissheiten,mit denen wir alle tagtäglich umgehenund die wir auch selber transportieren,kritisch zu hinterfragenund auch manchmal auf den Kopfzu stellen.Seit zwei Jahren mache ich Chefvom <strong>Die</strong>nst und die Planungsarbeitfür ein Fernsehmagazin REPORTin Mainz. Was mir fehlt, das sage ichganz offen, ist das, was wir hier indiesem Kreis auch schon öfters gehörthaben: Ich glaube nicht so sehr,dass Geld ein so großes Problem ist,ich vermisse – und obwohl ich erst41 Jahre alt bin, gestatte ich mir daszu sagen – die unruhigen jungenKollegen, die anklopfen und einAnliegen haben. Wenn sie ein Anliegenhaben, dann kommen sie nor-145


malerweise auch mit einem interessantenThema und dann kann manals interessierter CvD auch versuchen,eine spannende, interessanteund relevante Geschichte daraus zumachen. Das ist es, was mich teilweisein den vergangenen Jahrenstörte, dass tatsächlich oft die Fragenach dem Geld kommt. In <strong>der</strong> Sendeanstalt,in <strong>der</strong> ich arbeite, das kannich ganz plastisch sagen, da kannman an an<strong>der</strong>en Stellen mit wesentlichweniger Aufwand viel mehrGeld verdienen. Gut, aber dannmuss man auch nicht bei REPORTanklopfen. Ich glaube nicht, dass wiruns jetzt erst mal darauf versteifensollten, Professoren für recherchierendeJournalisten zu for<strong>der</strong>n, umes mal zugespitzt zu sagen. Wenndie Leidenschaft und das Temperamentmehr zunehmen würden, würdeich mich sehr freuen.Leif: Wie könnte das mit Leben gefülltwerden?Merz: In den Rundfunkanstalten istes so, dass natürlich die Basis fehlt.Früher in den 80er Jahren, als ichangefangen habe, wurden viele Sendungen,wie die regionalen Nachrichtensendungeno<strong>der</strong> die regionalenMagazine, journalistischer gemacht.Das war einfach Alltag, heutesind sie tatsächlich in weiten Teilenzu Unterhaltungsmaschinen verkommenund deswegen gibt es diesenNachwuchs nicht mehr, <strong>der</strong> in<strong>der</strong> Landesschau anfängt, ob dasbe<strong>im</strong> Bayrischen Rundfunk ist o<strong>der</strong>in Hannover, und sich dann irgendwann<strong>im</strong> Laufe <strong>der</strong> Jahre über einlandespolitisches Magazin, überARD Aktuell möglicherweise zuPANORAMA o<strong>der</strong> zu REPORThochkämpft.Dagmar Hovestädt: Es ist ja in weitenTeilen eine entpolitisierte Gesellschaft.Wenn Du Seelenstripteaseund Striptease <strong>im</strong> Fernsehen zumhauptsächlichen Anliegen machst,dann ist es einfach überhaupt nichtmehr attraktiv, dieses gesellschaftlicheAnliegen zu verkörpern und inSendungen zu gehen und daran zuarbeiten, dass ist einfach nicht chic.Ich würde sagen, wir sind hier auchin einem relativ erlauchten kleinenKreis zusammen gekommen. Wirreden über Medien, die ausgezeichneteArchive haben, die, <strong>im</strong> Fall desSPIEGEL, seit 50 Jahren einen Namendurch die Gegend tragen, <strong>der</strong>Recherchen einfacher macht. In <strong>der</strong>Realität wird die Vielzahl <strong>der</strong> Zuschauerund Leser damit überhauptgar nicht erreicht. Wir haben niemandenvon den privaten Fernseh-Anbietern hier. Und ein Printmagazinwie FOCUS hat meiner Ansichtnach das, was ich unter investigativverstehe, einfach auch ein Stück ver-146


wässert und das <strong>Format</strong> eher benutzt.Deswegen denke ich auch, dass dieLeute, die mit einem Anliegen kommen,<strong>im</strong>mer von einer best<strong>im</strong>mtenZeit geprägt worden sind. Ich finde,es ist eine schwierige Zeit, um miteinem gesellschaftlichen Anliegen inMedien reinzugehen. Das Anliegenheute heißt: Geld verdienen, chic zusein, sich selber in diesen Medien,vor allem be<strong>im</strong> Fernsehen, zu spiegeln.Bei einer Zeitung eine gute Recherchezu machen, solide Stücke zuliefern o<strong>der</strong> eine Seite Drei zu machen,mit <strong>der</strong> man aber nicht großrauskommt, dafür ist das gesellschaftlicheKl<strong>im</strong>a nicht da, sogar inJournalistenkreisen ist es nicht vorhanden.Leif: Doch wenn einer eine gute Storyhat, dann findet er auch einenPlatz. Es gab jetzt von Bruno Schirradieses ZEIT-Dossier, was gelobtwird, und es kann auch in <strong>der</strong> SZnachgelesen werden, wenn jemandeine gute Story hat. Es bleibt janichts verborgen. Ist das nicht soeine kulturpess<strong>im</strong>istische St<strong>im</strong>mungsfrage?Hovestädt: Es war nur eine Reaktionauf die Äußerung, dass man sichwünscht, dass junge Leute mit einemAnliegen kommen. Aber wo147


soll das Anliegen herkommen? Wiewird man geprägt, in welchen gesellschaftlichenZusammenhängen wirdman groß und was ist eigentlich <strong>im</strong>Mainstream vorhanden. Das ist jetztkein Plädoyer dafür, investigativeGeschichten vollkommen zu unterlassen,weil sie nicht <strong>im</strong> Trend liegen.Im Gegenteil! Ich glaube auch,dass wenn man sich darum bemüht,in diesem Bereich etwas zu definieren,dann muss man das von diesemGlamour herunterholen. Wir sind janicht die James Bonds des Journalismus,die un<strong>der</strong>cover arbeiten. Eswird ja auch alles gern mythologisiert.Im Gegenteil, man muss esentmythologisieren, zu einem Genrewie jedes an<strong>der</strong>e auch machen.Und man muss durch die klarereDefinition das Image aufbessern,vor allem <strong>im</strong> Fernsehbereich, dafürwerben, dass man Zeit dafürbraucht, um eine Geschichte sorgfältigzu recherchieren o<strong>der</strong> aufzudecken,was die Mächte gerne verborgenwissen wollen. Um das öffentlichzu machen, dafür brauchtman Zeit, da kann man nicht sagen:„<strong>Die</strong> sitzen da drei Wochen, drehenDäumchen, und machen dann malin zwei Tagen schnell einen Beitrag.“Das Image ist es, das gehoben werdenmuss.Mascolo: Also irgendwas bei <strong>der</strong> prinzipiellenFragestellung kann ja <strong>im</strong>Grunde genommen nicht st<strong>im</strong>men.Meine Beobachtung ist seit Jahren,dass aller Orten enthüllt wird. Mankommt ja überhaupt nicht mehr hinterher.Es sind eine Vielzahl vonSkandalen, die mich bis <strong>Die</strong>nstagdurch die Gegend treiben und vondenen Mittwoch keiner mehr waswissen will. Angeblich boomt dasGeschäft aller Ort und gleichzeitigsitzen wir hier und sagen, dass vonunserem Beruf niemand was wissenwill. Entwe<strong>der</strong> gibt es da so eineWahrnehmungslücke o<strong>der</strong> irgendetwasan<strong>der</strong>es, worüber wir redenmüssen.Hovestädt: Eine Inflation des Begriffs.Leif: Herr Fröhlingsdorf, Sie hattenja ein best<strong>im</strong>mtes Anliegen und habensogar eine kleine Kulturverän<strong>der</strong>ung<strong>im</strong> „Trierischen Volksfreund“,wo sie bisher gearbeitet haben,eingeleitet. Wie wichtig ist dennIhr Einfluss, wie würden Sie es einschätzen,dass man über Einzelkämpfertum,was es irgendwo in soeinem kleinen Blatt ist, auch internwas verän<strong>der</strong>n kann. Haben Sie dairgendwas verspürt o<strong>der</strong> blieb esbe<strong>im</strong> Einzelkämpfertum?Michael Fröhlingsdorf: Es hat sichschon einiges geän<strong>der</strong>t. Wir sindkürzlich sogar geadelt wurden, als in148


<strong>der</strong> WELT stand, dass in Trier diemeisten Skandale passieren. Ich sehees nicht so pess<strong>im</strong>istisch, gerade vielejunge Kollegen bemühen sichdurchaus in lokalen Dingen. DasProblem ist, dass da wirklich je<strong>der</strong>Einzelkämpfer ist, und das ich auchnoch nächste Woche zu dem Bürgermeistergehen muss, dem ich dieseWoche eins reingewürgt habe.Also, das ist einfach das Problem:<strong>Die</strong> Leute sind schon bemüht, obman dann aber die entsprechendeRückendeckung vom Chefredakteurhat, ob man möglicherweise Anzeigenkundenverliert, dass sind die eigentlichenProbleme, die die Lokalredakteurevor Ort bewegen undnicht die Enthüllungen <strong>im</strong> SPIE-GEL.Hovestädt: Oliver Merz und ich redenauch überwiegend über den Fernsehbereich,weil das unsere Prägungist. Ich glaube, Printmagazin- Journalismusund auch die Lokalpresseerfor<strong>der</strong>n jeweils unterschiedlichePerspektiven auf dieses Bild.Fröhlingsdorf: Ich sehe es auch in an<strong>der</strong>erHinsicht nicht so pess<strong>im</strong>istisch.Ich bin jetzt be<strong>im</strong> „TrierischenVolksfreund“ seit ein 1/2 Jahrenals Reporter freigestellt gewesen,und das ist natürlich in einer Zeitungmit einer Auflage von 100 000und 50 Redakteuren schon einTraumjob für jeden an<strong>der</strong>en, <strong>der</strong>sonst in <strong>der</strong> Lokalredaktion zum Kaninchenzüchtervereingehen muss.<strong>Die</strong>sen kleinen Reporterkreis gab esbei <strong>der</strong> „Lausitzer Rundschau“ undes gibt ihn bei <strong>der</strong> „Saarbrücker Zeitung“,und ich denke schon, dassdas auch an<strong>der</strong>e Kollegen gerne machenwürden. Es gibt zum Beispieldie „Saarbrücker Zeitung“, die dieseZukunftswerkstätten macht und <strong>im</strong>Herbst war jetzt auch eine zum ThemaRecherche. Da war zumindestdie Absichtserklärung aller Chefredakteure,in diese Richtung weiterzugehenund das auszubauen. Dasallerdings <strong>im</strong> Lokalen ein freier Mitarbeiterirgendeine Enthüllungsgeschichteliefern würde, das habe ichnoch nie erlebt. Wenn, dann müssendas wirklich die Festangestelltensein, die dann genauer recherchieren.Leif: Aber wenn sie jetzt den „TrierischenVolksfreund“ verlassen, wirddenn <strong>der</strong> Job dann neu besetzt?Fröhlingsdorf: Das ist eine kurioseGeschichte, weil <strong>der</strong> Chefredakteursagt, dass sich ein Nachfolger erstqualifizieren müsse: „Jetzt schreibemal schön investigative Geschichtenund dann suche ich mir einen aus.“Leif: Herr Leyendecker, wie sehenSie in Deutschland die Luft für den149


investigativen Journalismus, alsofür den recherchierenden Journalismus?Leyendecker: Ich spreche vom recherchierendenJournalismus, investigativsage ich nicht, weil es in <strong>der</strong> Regelnicht investigativ ist. Für recherchierendenJournalismus: Es sind unterschiedlicheBedingungen, die dieLeute haben. Herr Fröhlingsdorfbe<strong>im</strong> „Trierischen Volksfreund“ hatganz an<strong>der</strong>e Bedingungen als einKollege, <strong>der</strong> be<strong>im</strong> SPIEGEL aufeine Dokumentation zurückgreifenkann o<strong>der</strong> <strong>der</strong> bei <strong>der</strong> ZEIT ist undda auch die eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Möglichkeithat.Was man insgesamt machen sollte,ist, die Leute mehr dazu zu ermutigen,solche Geschichten auszuprobieren.Auch bei <strong>der</strong> Zeitung sollteman sich nicht von den zynischenAlten entmutigen lassen, die sagen:„Das habe ich früher auch mal gewollt,hat eh nix gebracht, hat nurÄrger gebracht o<strong>der</strong> kommt dochnix bei rum.“ Gerade den jungenLeuten muss man das Gefühl geben:„Komm, probiere es mal!“ Wir wollenja von niemanden die Hofsängersein und müssen deshalb relativnüchtern auf Sachverhalte schauen.Dann geraten wir natürlich <strong>im</strong>merwie<strong>der</strong> in Kollision, deshalb müssenwir diese jungen Leute in Zukunft insolchen Situationen unterstützen.Ein Problem ist auch <strong>der</strong> Meinungsjournalismus,da bin ich nun auchbei einer Zeitung, die sehr stark davongeprägt ist. Eine Redaktionskonferenzsieht so aus, dass es daeine Vorkonferenz gibt, in <strong>der</strong> eineViertel Stunde über den Leitartikelgesprochen wird. Dann geht man indie Hauptkonferenz und da erzähltje<strong>der</strong> aus seinem Ressort. Theoretischkönnte man es an<strong>der</strong>s machen,man könnte fragen: „Was sind eigentlichdie wichtigsten Themen desTages?“ Man muss einfach dieseStruktur durchbrechen. Doch dasDenken <strong>der</strong> Gruppe ist natürlichdann auch oft so, dass <strong>der</strong> eine eigentlichmal ein gutes Editorial o<strong>der</strong>den Kommentar schreiben will.Ich finde z.B. die WELT o<strong>der</strong> denTAGESSPIEGEL ganz erstaunlich,zwar nicht <strong>im</strong>mer inhaltlich, aber wiesie sich best<strong>im</strong>mten Themen nähern.Es gibt <strong>im</strong> Moment auch die Überlegungen<strong>im</strong> Journalismus: „Wie destillierenwir jetzt mal die wichtigstenThemen <strong>der</strong> Woche o<strong>der</strong> diewichtigsten Themen des Tages, undwie nähern wir uns dem Opt<strong>im</strong>alen?“<strong>Die</strong> „Rheinische Post“ versucht z.B.Leute unterschiedlicher Ressorts zusammenzubringen,das halte ich fürganz hervorragend.Normalerweise haben Wissenschaftsredakteurebei einem Kl<strong>im</strong>aschutzproblemhun<strong>der</strong>t Zeilen.150


Dann n<strong>im</strong>mt <strong>der</strong> Redakteur die Berichte,die er vor sieben Jahren undvor zwei Jahren geschrieben hat undwechselt nur die Zahlen aus. Leute,die aus unterschiedlichen Gebietendaran arbeiten, könnten das Themainteressanter gestalten. Bei großenZeitungen gibt es auch Ansätze, dassman einen guten Schreiber mit einemguten Rechercheur zusammenbringt.In <strong>der</strong> Regel schreiben dieRechercheure ein wenig schlechterals die guten Schreiber, aber die Geschichtewird sehr viel spannen<strong>der</strong>,wenn sie von so einem Team gemachtwird. Dann kommen auchzwei Kulturen zusammen.Mascolo: Das letzte, was ich in diesemLand erkennen kann, ist einewirkliche Anfeindungskultur. Ichglaube, dass es <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> Situationengibt, wo auf einzelne Kollegenlos gegangen wird. Wenn wiraber schon darüber debattieren, obAmerika ein Vorbild für uns ist,kann ich nur dazu sagen, wenn mansich in den USA das gefallen lassenmüsste, was in unserem Bereichpassiert, verglichen mit all den Fehlern,die hier nicht registriert werdenund mit all den Debatten, diehier nicht stattfinden, über das wasMedien gut aber auch falsch machen,sind wir in <strong>der</strong> Beziehung in151


einer komfortablen Situation. Deswegenwürde ich die wenigen Fälle,über die man da reden muss, nichtso dramatisch sehen. Zum Beispieldie Geschichte, dass in Hessen <strong>der</strong>Koch auf Fröh<strong>der</strong> namentlich losgegangenist, das war sicher eineunschöne Episode, auf den SPIE-GEL ist er auch losgegangen, nichtin dieser Form und nicht namentlich.Ich finde dann das Beispiel desWDR-Films über den Kosovo Kriegwie<strong>der</strong> ein schlechtes Beispiel, weilman über diesen Film in <strong>der</strong> Tatstreiten kann und über die Frage, wieer gemacht war und ob er zu einseitiggewesen ist und welche Fehler ergemacht hat. Also prinzipiell zu sagen,da müsste man eigentlich so einNetzwerk haben, dass sich dann voralles und jeden, egal wie es war, erstmal schützend davor wirft, dass würdeich für einen Fehler halten. Nochmehr Debatte darüber, welcherQualität unsere Arbeit eigentlich genügenmuss und wo das nicht <strong>der</strong>Fall gewesen ist, würde uns gut tun.Leif: Meinen Sie damit eher gelassenenGleichmut? <strong>Die</strong>se Anfeindungensind nicht richtig. Da würde ichdie Koch-Affäre dagegen setzen:Koch nutzte ein gezieltes Kommunikationsmanagement,stellte Wahrheitenan die Seite und griff Einzelnescharf an, wie er das auch bei denKollegen von <strong>der</strong> FR machte, und esbleiben nur wenige in Hessen übrig,die sich um diese größte Affäre <strong>im</strong>Rahmen des Spendenkonflikts bemühen.Das ist doch eine wichtigeSache, <strong>der</strong> will doch was ereichen.Wenn keine Gegenst<strong>im</strong>me kommt,dann machen die doch weiter. <strong>Die</strong>Stigmatisierung in einzelnen kleinenBereichen läuft doch relativ systematisch.Wenn man Ihrer Thesefolgt, sollte man, wenn man sich z.B. zusammen schließt, um solcheDinge nicht kümmern. Hab ich dasrichtig verstanden?Mascolo: Ich glaube, so undifferenzierthabe ich das nicht gesagt.Leif: Ich versuche nur eine Klärungherbeizuführen.Mascolo: Ich habe schon einen Unterschiedzu dem Fall des KollegenFröh<strong>der</strong> gemacht und mache ihnauch zu an<strong>der</strong>en, insbeson<strong>der</strong>e da,wo wirtschaftlicher Druck ausgeübtwird, was gerade Kollegen bei kleinenTageszeitungen betrifft. Ichglaube, dass dieses kleine Netzwerk,das es über persönliche, wirtschaftlicheund sonstige Verbindungengibt, das größere Problem ist, als wires tatsächlich auf dieser oberen Ebenehaben. Da geht ein Ministerpräsidentmal auf sie los und wenn siePech haben, ist das vielleicht sogar152


irgendwann mal ein Außenminister.Aber das sind dann ohnehin <strong>im</strong>meralles schon öffentliche Vorgänge, diespielen eine Rolle und die Leute nehmenPartei. Es hat einen öffentlichenHintergrund. Das, worüber zureden wäre, glaube ich, sind Situationen,in denen Geschichten verhin<strong>der</strong>tund weggetreten werden, woechte Repressionen stattfinden.Leif: Danke, das zur Klärung. Nundie Frage Recherche und journalistischeQualität, gibt es da einen Zusammenhang?Jetzt nicht nur <strong>im</strong>Fernsehbereich son<strong>der</strong>n auch in an<strong>der</strong>enMediensektoren?Merz: Natürlich! Ich glaube, das habenwir besprochen. Ohne Recherchekeine journalistische Qualität.Basta!Leif: Heißt das aber auch, wenn mandas intensiver betriebe, dass mandamit etwas in <strong>der</strong> Qualität bewegenkönnte?Merz: Natürlich! Ich glaube auch,dass – jetzt wie<strong>der</strong> reflektiert auf unsereRedaktion – man jedem Stückanmerkt, dass es nicht in <strong>der</strong> Hetzegemacht wurde, son<strong>der</strong>n das es einbisschen ausgeruht gemacht wurde,was nicht heißen muss, dass mandafür Wochen o<strong>der</strong> Monate brauchte.Ich denke, dass <strong>der</strong> Zusammenhangeindeutig ist, und dass es sichin je<strong>der</strong> Beziehung lohnt a) die Freiräumeund b) auch den Anreiz zuschaffen, mehr zu recherchieren.Leif: Noch mal die Qualitätsfrage anHerrn Leyendecker: Glauben Sie,dass man einer breiteren Öffentlichkeitvermitteln kann, dass ein verbesserterrecherchieren<strong>der</strong> Journalismusauch einen Nutzen hat? Heutewird viel über Nutzen geredet,o<strong>der</strong> ist das zu pathetisch und zunaiv?Leyendecker: Ich glaube, man mussdie Geschichten, weil es ja auch einschöner Beruf ist, so machen, dassman einigermaßen damit leben kann.Dass man nach einer Geschichte sagenkann: „So schl<strong>im</strong>m war es auchnicht, was man da gemacht hat, es isterträglich gewesen und es hat vielleichtsogar auch den einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>enguten Ansatz gehabt.“ Mankann auch missionarischen Journalismusmachen. Ich glaube, <strong>im</strong> Fernsehenist das ja doch häufiger einProblem. Gerade wenn ich mir MO-NITOR o<strong>der</strong> REPORT Münchenangucke, habe ich überhaupt keineNeugierde mehr, weil ich in <strong>der</strong> Regelweiß, was kommt. Dass also Leute,und das ist bei Tageszeitungennicht an<strong>der</strong>s, nur noch für ihre Gemeindearbeiten, das finde ich relativlangweilig. Von daher sollte man153


versuchen, sich gewisse Standardszu erarbeiten, beziehungsweise solcheStandards zu halten, und dannfindet man auch eine Klientel, diedas gar nicht so uninteressant findet.Hovestädt: Ich finde, was den Nutzenangeht, kommt be<strong>im</strong> Fernsehennoch ein zusätzliches Problem hinzu.Es ist ja ein hoch-emotionalesMedium, und man kann eine sechswöchigeRecherche in einen Fernsehbeitragverpacken; man kannauch drei Tage reinstecken.Für den normalen Zuschauer gibt esdabei keinen wirklichen Unterschied.Wenn <strong>der</strong> Beitrag schnell geschnittenist, wenn die Musik funktioniert,wenn es da ein paar emotionaleO-Töne gibt, dann merkt mannicht, ob <strong>der</strong>jenige sechs Wochengebraucht hat, um die entscheidendenFragen zu stellen, o<strong>der</strong> nur zufälligerweiseda rein geschlittert ist.Deswegen ist die Qualitätsunterscheidungbe<strong>im</strong> Fernsehen beson<strong>der</strong>sschwierig zu treffen. Das trifftvor allem für den privaten Bereichzu: <strong>Die</strong> Techniken und die Formen,die man nutzt, um Investigationendarzustellen, sprich, mit laufen<strong>der</strong>Kamera irgendwo reinlaufen, verdeckteKameras einsetzen, heulendeLeute vor den Kameras, alles, wasirgendwo emotional macht – es wirdinflationär gebraucht, ohne einenMaßstab für das Einsetzen dieserFormen zu finden. Also ich finde,das sind Formen, die man nur danneinsetzen sollte, wenn es wirklichnicht mehr an<strong>der</strong>s geht und wenn es<strong>der</strong> Inhalt gebietet. Das haben diePrivaten <strong>im</strong> Grunde genommenvollkommen zunichte gemacht. Weilklar wird, sobald es dramaturgischspannend ist, bringt es etwas für dieQuote und dann wird es eingesetzt,egal ob es funktioniert o<strong>der</strong> nicht.Da, finde ich, ist es einfach schwierig,die Qualität <strong>im</strong> Fernsehjournalismuszu halten. Es geht dann einfachnur darum, dass es eben solche„Inseln“ gibt, wie öffentlich-rechtlicheMagazine, selbst wenn sie dieRealität bisweilen sehr eingeschränktkonstruieren und dann auch wie<strong>der</strong>geben,wo aber diese Art von langzeitlicherAuseinan<strong>der</strong>setzung mitThemen erfolgt. Denn nur über einebest<strong>im</strong>mte Zeit kann man eine Auseinan<strong>der</strong>setzungund auch eigeneAnsichten finden, die man dann indiese ganze öffentliche Diskussioneinbringen kann. Es ist also wichtig,dass diese „Inseln“ einfach bestehenbleiben und dafür auch eine Akzeptanzgeschaffen wird.Merz: Wir erleben ja in diesen Tagenein spannendes Exper<strong>im</strong>ent Fernsehjournalismus:ZDF-Reporter,eine Notlösung sozusagen für dieForm <strong>der</strong> Recherche. Ich sag es jetzt154


mal überspitzt, ich möchte den Kollegennicht zu nahe treten: Wenndieses Exper<strong>im</strong>ent so ausgeht, wiees sich jetzt abzeichnet, dann wäreAnlass zur Schadenfreude gegeben,die mir eigentlich auch nichtnahe liegt. Aber ich denke, dass dieRedaktion – schade, dass niemandhier ist – einen wirklich schwierigenWeg geht. Ich bin gespannt,ob es wirklich funktioniert. Ichglaube es nicht, weil sie die Relevanzund die banale Recherchevergessen haben. Sie haben gedacht,es funktioniert, wenn sie dasamerikanische Modell kopieren,d.h. mit Leuten, die in <strong>der</strong> Redaktionin zwei-drei Tagen für irgendeinenschnellen Reporter ein paarBild-Termine organisieren. Dannglauben sie, wenn sie es flott mo<strong>der</strong>ierenlassen, dann funktioniertdas. Wenn es nicht funktioniert,ist es ein Beispiel dafür, dass Recherchetatsächlich gefragt ist unddas auch <strong>im</strong> ZDF, <strong>der</strong> großen Unterhaltungsmaschinerie.Mascolo: Es ist bedauerlicherweiseso, dass, wenn es irgendwo in denvergangenen zehn Jahren einenRückschritt zu beobachten gibt,dieser lei<strong>der</strong> bei den elektronischenMedien stattgefunden hat. Dasfängt an bei dem privatem Hörfunkprogramm,von dem ich glaube,dass einige am Anfang ausgesprochenscharfe journalistischeAnspruchskriterien gehabt habenund sie auch verwirklicht haben.Heute würde mir überhaupt niemandmehr einfallen. Auch was dasprivate Fernsehen angeht, es ist,was diesen Bereich angeht, ein permanenterSinkflug. Ich glaube, <strong>der</strong>letzte Versuch – ich weiß gar nicht,ob ich ernsthafter Versuch sagensoll – ist ,Newsmaker‘ gewesen. Ichfürchte, dass sich jetzt auf langerZeit <strong>im</strong> privaten Fernsehen niemandmehr an irgendeiner Formversuchen wird, von <strong>der</strong> ich garnicht sagen würde, dass sie investigativgewesen ist, son<strong>der</strong>n die wenigstensdas Kriterium von einigermaßenernsthaftig erfüllen würde.Be<strong>im</strong> öffentlich-rechtlichen Fernsehenist es tragisch anzusehen, wiedie unglaublichen Potentiale, die esnach wie vor gibt, insbeson<strong>der</strong>e in<strong>der</strong> ARD, von wirklich qualifiziertenund guten Journalisten aufgesplittertwerden, anstatt möglicherweiseirgendwann mal zu einem gemeinsamenMagazin o<strong>der</strong> einer wieauch <strong>im</strong>mer gearteten gemeinsamenNachrichtenredaktion zu kommen.Ich glaube, dass es bei <strong>der</strong> ARDsehr viele begabte Kollegen gibt,auch ganz viele Nachwuchskollegen,und dass die ARD <strong>im</strong>mer nochnicht verstanden hat, daraus etwaszu machen. Das ZDF ist sowiesoein Son<strong>der</strong>fall.155


Leif: Warum, glauben Sie, wird dennaus diesem Potential nichts gemacht?Was ist die tiefere Analyseaus Ihrer Sicht?Mascolo: Weil ich glaube, dass esüberhaupt gar keinen Leidensdruckirgendwo innerhalb <strong>der</strong> ARD gibt.Das mag es vielleicht innerhalb <strong>der</strong>Magazine geben, da fanden <strong>im</strong>mermal wie<strong>der</strong> Überlegungen statt. Dabeklage ich das, was Hans Leyendeckerauch schon gesagt hatte, inTeilen <strong>der</strong> öffentlich-rechtlichenMagazine ist so eine Missionarshaltungeingezogen. Das gilt nicht <strong>im</strong>merfür alle Stücke und gilt beispielsweiseaus meiner Sicht auchwirklich nicht <strong>im</strong>mer für REPORTBayern, auch wenn man es diesenstärker nachsagt als an<strong>der</strong>en. Dafinde ich dann bisweilen <strong>im</strong>mer einpaar interessante Stücke. PAN-ORAMA ist da für mich ein Beispiel:<strong>Die</strong> haben sich da so einigermaßenrausgezogen und haben amaller ehesten den Blick, <strong>der</strong> in alleRichtungen geht.Hovestädt: Um auch noch mal dieVariante von „Amerika lernen heißtsiegen lernen“ aufzunehmen: EinTeil dieses Unwillens, sich mit vielAufwand mit ernsthaften Themenzu beschäftigen – das ist <strong>im</strong> Fernsehenrelativ teuer – hat mit <strong>der</strong> Kommerzialisierungund <strong>der</strong> Übertragungamerikanisch erfolgreicherkommerzieller Fernsehformen zutun. Es ist einfach nicht lukrativ,wenn es darum geht, am Ende desTages zu fragen: „Für wie viel Aufwandbekomme ich wie viel Quote?“Es ist dre<strong>im</strong>al einfacher, „BigBrother“ anzuschieben o<strong>der</strong> aberauch irgendwelche hübschen Mo<strong>der</strong>atorinnenund Wackel-Kamerabil<strong>der</strong>durch die Gegend schicken zulassen, um damit eine Quote zu erzielen.O<strong>der</strong> eben, wenn die Quotenicht st<strong>im</strong>mt, das durch irgendwelchean<strong>der</strong>en banalen Geschichtenzu ersetzen. Das ist in Teilen, nichtüberall, aber in Teilen einfach <strong>der</strong>Mechanismus, <strong>der</strong> funktioniert und<strong>der</strong> auch in Amerika so funktioniert.Mascolo: Entschuldigung, aber dasst<strong>im</strong>mt ja nicht, wenn man sich dieGeschichte <strong>der</strong> elektronischen privatenMedien anguckt. Informationhat den öffentlich-rechtlichen Medienund den privaten Medien übereine lange Zeit gute Quoten garantiert.<strong>Die</strong> Produktion einer Sendungwie Akte „Irgendwas“ wird <strong>im</strong> Ergebnisnicht mehr Quote bringenund auch nicht mehr Geld kostenals ein vernünftiges politisches Magazinzu etablieren. Das hat mittlerweilebei denen auch ganz viel mitSen<strong>der</strong>fragen zu tun. So was brauchtman alles nicht.156


Leif: Aber wenn man das nun malalles bilanziert, kommt man zu demErgebnis, dass fast alles in Butter ist,es drückt nirgendwo <strong>der</strong> Schuh. Werdie Lust hat, hat auch die Möglichkeiten,etwas vernünftiges zu platzieren.Wir haben eigentlich idealeKonstellationen, was Recherchejournalismusangeht. Es gibt keinenProblemdruck. Es kann jetzt sein,dass wir hier vorne beson<strong>der</strong>s etabliertund schwergewichtig sitzen,aber ich habe den Eindruck, dass wirvielleicht streitige Punkte noch maldiskutieren müssen.N.N.: Ich möchte wi<strong>der</strong>sprechen.Ich war für ein 1/2 Jahre in Langen<strong>im</strong> privaten Hörfunk in Bayern tätigund habe hier versucht, als Einzelkämpfereinen einigermaßen vernünftigenund ansprechenden Journalismus,auch fürdie Hörer, über denÄther zu bringen.Es ist mir als Einzelkämpfereinigermaßengeglückt,aber es war innerhalb<strong>der</strong> Geschäftsführung,innerhalb<strong>der</strong> RedaktionsleitungkeinInteresse für deninvestigativenJournalismus da,auch weil manAngst hatte, mankönne sich damitirgendjemandenvergrämen, sei esjetzt <strong>der</strong> Oberbürgermeistero<strong>der</strong>seien es irgendwelcheWerbekunden.Im privaten Hörfunkbereichseheich da ganz große157


Schwierigkeiten. Es gibt vielleichtwenige Ausnahmen bei einigen Sen<strong>der</strong>n,aber ansonsten ist <strong>der</strong> privateHörfunk, zumindest in Bayern, zueinem Gewinnspiel von Publikumabgerutscht.Fröhlingsdorf: Ich habe eben gesagt,<strong>im</strong> Lokalen ist die Welt nie in Ordnung,und da ist die Anfeindungdurch den Bürgermeister <strong>im</strong> Zweifelsfalleschl<strong>im</strong>mer als das, was auf<strong>der</strong> oberen Ebene passiert. Aberman kann auch als Einzelkämpfer<strong>im</strong> Lokalen versuchen, eines <strong>der</strong>Magazine FOCUS o<strong>der</strong> SPIEGELfür best<strong>im</strong>mte Themen zu interessieren.Das ist zum Beispiel bei <strong>der</strong>Döpfert Geschichte erfolgt. Zu meinereigenen Absicherung ist die Geschichteam gleichen Tag <strong>im</strong> FO-CUS und <strong>im</strong> „Trierischen Volksfreund“erschienen, dadurch ist sienicht mehr rückholbar. Da hätte sich<strong>der</strong> „Trierische Volksfreund“ hun<strong>der</strong>tmal entschuldigen können, dieGeschichte war nun auch auf an<strong>der</strong>enEbenen veröffentlicht. Von einemNetzwerk verspreche ich mirauch solche Kooperationsmöglichkeiten.Wenn eine Geschichte woan<strong>der</strong>sschon veröffentlicht wurde,dann sind wir unter Zugzwang undmüssen sie auch bringen. Dann kannsich auch <strong>der</strong> Chefredakteur gegenüberdem Anzeigenkunden rechtfertigenund sagen: „Wir konnten nichtan<strong>der</strong>s, wir mussten jetzt auch daraufreagieren.“Volker Steinhoff: Noch einmal auf dieFrage von Thomas Leif, ob denn zuwenig recherchieren<strong>der</strong> o<strong>der</strong> investigativerJournalismus betriebenwerde. Ich denke, das hängt von <strong>der</strong>Definition ab, über die wir noch garnicht geredet haben. Das was ich<strong>im</strong>mer höre, ist mir ehrlich gesagt zupolitisch korrekt, weil ,investigativ‘,untersuchen‘ heißt. Wenn man dazusagt „für die gute Sache“ also relevantsozial usw., dann grenzt mannatürlich unhe<strong>im</strong>lich viele journalistischeAktionsformen aus, die absolutinvestigativ sind.Ich habe vorhin schon mal an dieBoris Becker-Geschichte gedacht.Da wurde gesagt, man bräuchte Rechercheund Honorar ohne Ende,um die neue Freundin von BorisBecker zu finden, da könnten auchinvestigative Methoden finanziertwerden. Es gibt <strong>im</strong> Boulevardbereich,was man gerne ignoriert, weildas Schmutzkram ist, natürlich auchteilweise sehr tiefgehende investigativeMethoden, und vielleicht ist daseine Verlagerung.Es gibt gerade viele junge Leute, diegut <strong>im</strong> Polizeibereich, <strong>im</strong> Rotlicht-Milieu o<strong>der</strong> <strong>im</strong> Prominenten-Bereichrecherchieren können, aber esgibt nicht mehr die sozial Bewegten,die die Gesellschaft verän<strong>der</strong>n wol-158


len. Auch wenn man das ungern zurKenntnis n<strong>im</strong>mt, da gibt es eine an<strong>der</strong>eArt des investigativen Journalismus,das meinte vielleicht auchGeorg Mascolo mit <strong>der</strong> Bemerkung,das Geschäft brummt, da gibt es jaunhe<strong>im</strong>lich viel, was läuft.Hardy Prothmann: Ich bin einer dieserjungen Journalisten, arbeite freiberuflichund frage mich: „Was kannuns ein Verein nutzen?“ Ist es nichtso, dass viele <strong>der</strong> „alten Hasen“ ihreInformationen und ihre Recherchemethodennicht weitergeben, son<strong>der</strong>ndarauf sitzen und sitzen bleiben?Natürlich verfügen auch jungeKollegen über Erfahrungen, die sehrnützlich sein können, wenn sie dennweiter gegeben werden. Ich fragemich, auch vor dem Hintergrund einergewissen Konkurrenz durch dieverschiedenen Medien, wie ein„Netzwerk Recherche“ funktionierenkann und sich das in einem Vereinpraktisch umsetzten lässt. Dahabe ich noch gar keine Vorstellung.Mascolo: Ich auch nicht, und ich fangemal mit dem letzten an. Wir werdenja alle nicht, in welcher Funktionauch <strong>im</strong>mer, die normalen Mechanismen,die zwischen unserenBlättern herrschen, außer Kraft setzenkönnen. So, wenn es z.B. um dieFrage geht, steigt <strong>der</strong> eine mal be<strong>im</strong>an<strong>der</strong>en ein?Hardy Prothmann: Herr Mascolo, istdas wirklich unmöglich? Wäre esnicht denkbar, dass die Konkurrenzbei gewissen Themen aufgehobenwird? Und das verschiedene Mediensagen: „OK, jetzt drehen ebenSPIEGEL, SÜDDEUTSCHE, <strong>der</strong>Hessische Rundfunk, FOCUS undvielleicht sogar noch ein Privatsen<strong>der</strong>an einer Schraube?“Mascolo: <strong>Die</strong> einzige Kooperation, andie ich mich überhaupt in den letztenJahren erinnern kann, ist die gemeinsameRecherche zwischen <strong>der</strong>FRANKFURTER RUNDSCHAUund <strong>der</strong> SÜDDEUTSCHEN ZEI-TUNG in Tschetschenien gewesen,die unterschiedliche Gründe gehabthat. Wenn wir noch mal über Amerikareden und über das, warum wireigentlich neidisch auf Amerikaschauen, dann gibt es für mich einenBereich, wo ich sage, da tun wir daswirklich zu Recht. Das ist nicht <strong>der</strong>Bereich <strong>der</strong> normalen und aktuellenTagesberichterstattung. Ich glaube,da lesen Sie in amerikanischen Zeitungenoft nichts besseres und hintergründigeresüber amerikanischeWirtschaft o<strong>der</strong> Politik als hier. Wasdie Amerikaner auf eine begnadeteArt und Weise tun, und was wir hierauch versuchen sollten, ist, dass siesich zusammenspannen und dannoft über einen langen Zeitraumstrukturelle Recherchen betreiben.159


Dass hat beispielsweise auch <strong>der</strong>amerikanische Verein investigativerJournalisten gerade zusammen mitden Englän<strong>der</strong>n gemacht und dabeieine hervorragende Recherche überdie Verwicklung <strong>der</strong> Tabakkonzerne<strong>im</strong> internationalen Zigarettenschmuggelhingelegt. Da gibt es einerichtig blinde Ecke, das ist <strong>der</strong> deutscheMarkt. Das liegt daran, dass indem Bereich niemand, SPIEGEL,STERN, SÜDDEUTSCHE, wenauch <strong>im</strong>mer eingeschlossen, irgendetwas gemacht hätte o<strong>der</strong> sich fürdas Projekt interessiert hätte. DerSPIEGEL eingeschlossen, das sageich in diesem Fall selbstkritisch, obwohles hier vielfältige Hinweisegibt. Zigarettenschmuggel ist hierein größeres Problem, als es in Englando<strong>der</strong> in Skandinavien ist. Dassind dann die Geschichten, auf diewir neidisch starren und sagen:„Guck mal einer an, da hat einNetzwerk von Journalisten zwei,drei Jahre gemeinsam an einer Geschichtegearbeitet und <strong>im</strong> nachhineinkommen dabei ein paar Fernsehdokumentationenund hervorragendeGeschichten heraus.“ Dannwerden Prozesse geführt und Büchererscheinen, und man steht mitoffenem Mund davor und sagt:„Guck mal einer an.“ Das ist etwas,was man in Form eines Netzwerkesorganisieren könnte und sagenkönnte: „Lasst uns doch mal versuchen,ein solches Projekt zu machen.“Es gibt in den amerikanischen Vereinen<strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> diese großenProjekte, wo dann Kollegen teilweisefreigestellt werden und in dieserZeit von <strong>Stiftung</strong>en bezahlt werden.Sie haben dann Ansprechpartnerinnerhalb des Vereins, die sich mehro<strong>der</strong> weniger beteiligen.Das wäre ein Modell, das interessantsein könnte und worüber wir redenkönnen.Wenn Sie z.B. bei <strong>der</strong> SaarbrückerZeitung mit einer guten Geschichteso richtig unter Beschuss kommenund dann sagen: „Be<strong>im</strong> SPIEGELsitzt auch einer aus dem Netzwerk,jetzt soll <strong>der</strong> mir mal ordentlich unterdie Arme greifen. Wofür sind wirschließlich in einem Netzwerk.“Dann haben Sie vielleicht Recht,aber es stellt sich die Frage, ob <strong>der</strong>normale Mechanismus be<strong>im</strong> SPIE-GEL außer Kraft gesetzt werdenkann. <strong>Die</strong>sen Mechanismus gibt esja nicht nur be<strong>im</strong> SPIEGEL, son<strong>der</strong>nauch bei ganz vielen an<strong>der</strong>enMedien. Da sage ich, machen wiruns nichts vor, das mag in Einzelfällengelingen, aber die normalen Kriterien,nach denen unser Geschäftläuft, werden wir alle miteinan<strong>der</strong>nicht außer Kraft setzen können.Das ist auch gut so. Wir können nurdarüber reden, wie es in Einzelfällenmal gelingen kann, wir können auch160


darüber reden, wie eine Struktur aussehenkönnte, die es einfachermacht, aber neue Regeln werden wirnicht einführen können.Merz: Ja, wenn so ein Netzwerk an<strong>der</strong> Stelle angreifen soll, dann kanndas nie so funktionieren, dass jetzt<strong>der</strong> SPIEGEL so etwas schreibt, damit<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e dann geschützt wird.Das ist ja Unsinn.Sandra Daßler: Ich habe gesternAbend schon mal gesagt, dass achtzigProzent unserer Leser den Lokalteil<strong>der</strong> Regionalzeitung lesen. Ichst<strong>im</strong>me also wirklich dem zu, wasauch aus dem Podium gekommenist; es wäre wirklich schade, wenndieses Netzwerk aus einem erlauchtenTeil <strong>der</strong> großen investigativenJournalisten dieses Landes bestünde.Es wäre wirklich hilfreich, wennda auch viele Leute aus Regionalzeitungen,aus Lokalredaktionen undmöglicherweise auch von privatenSen<strong>der</strong>n, die ja jetzt vor Ort sind,dabei wären, damit die einfach auchein wenig die Scheu vor <strong>der</strong> Rechercheverlieren. Ein an<strong>der</strong>es Problemist – und ich komme wirklich auseiner Zeitung aus dem Osten, ichweiß, was da in den letzten zehn Jahrenabgegangen ist – dass es da Skandaleüber Skandale gab, aber ein Redakteurvom SPIEGEL, <strong>der</strong> hat niein <strong>der</strong> Lokalredaktion angerufen,und natürlich hat die Lokalredaktionsich doch nicht getraut, be<strong>im</strong>SPIEGEL anzurufen, um zu sagen:„Da brauchen wir vielleicht malEure Hilfe o<strong>der</strong> da gibt es etwas, dakomme ich nicht weiter, weil meineZeitung zu klein ist, aber Ihr könntda weiter machen.“ Das wäre dannauch keine Konkurrenz mehr. SolcheFälle gab es zu Hun<strong>der</strong>ten o<strong>der</strong>Tausenden. Man hätte auch auf dieIdee kommen können, dass MichaelFröhlingsdorf Döpfert recherchiert.Das Herzzentrum ist in Cottbus, rufdoch mal in Cottbus an. Das ist nurausnahmsweise mal so gelaufen, weilwir in einem kleinen Konzern sind.Wo ist hier ein Kollege aus einerZeitung aus den neuen Län<strong>der</strong>n?Kein einziger ist da.Leif: Eingeladen sind sie.Daßler: Ja, das war jetzt auch keinVorwurf an die Veranstalter. Ichmache selber Seminare, ich weißwarum die nicht kommen.Es gibt so viele Geschichten in allenBereichen, doch es gibt auch einegroße Scheu davor, sich gegenseitiganzurufen o<strong>der</strong> sich gegenseitig aufetwas aufmerksam zu machen. Gerade<strong>im</strong> informellen Bereich sehe ichfür so ein Netzwerk eine großeChance. Wenn man sich ein- o<strong>der</strong>zwe<strong>im</strong>al <strong>im</strong> Jahr trifft und dann auchgleichberechtigt miteinan<strong>der</strong> disku-161


tiert und auch Anregungen bekommt– und die bekommt manauch von den kleinen Kollegen aus<strong>der</strong> kleinen Lokalredaktion – dannwäre das eben super.Leif: Gut. Nun bitte Kollege Wiendl.Wiendl: Ich möchte daran erinnern,dass es ein Netzwerk an prominenterStelle zwischen Herrn Leyendekkerund dem Kollegen Fröh<strong>der</strong> gibt.Ich erinnere da an das Weihrauch-Interview, das auf zwei Schienen gelaufenist. Was bei Ihnen an prominenterStelle geschieht, gelingt mirweiter unten in <strong>der</strong> Kreisklasse auch.Ich habe kein Problem, mich mitKollegen und Kolleginnen <strong>der</strong> regionalenZeitungen zu verständigen.Ich muss sagen, das funktionierthervorragend, dass wir gemeinsameine Geschichte machen, die vor Ortspielt. Wir verabreden uns danneben an den Sendetagen. Das mussum den Reportsendetermin auchpassieren. Ich kann die Geschichtenicht an dem Samstag davor <strong>im</strong> Blatthaben, wenn <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e sie dann erstam Montag o<strong>der</strong> <strong>Die</strong>nstag hat. Daraufhaben wir uns schon oft verständigt,und da habe ich überhaupt keinProblem damit, ein Netzwerk zu bilden,son<strong>der</strong>n ich lebe auch von diesemNetzwerk. Das gebe ich unumwundenzu, dass man sich abspricht,dass man zwei-, dreigleisig recherchiert.Es kommt <strong>im</strong>mer mehr dabeiheraus, als wenn man alleine an <strong>der</strong>Sache dran ist. Ich will damit nursagen, es funktioniert vielleicht nichtoffiziell, aber auf inoffizieller Ebenefunktioniert bei mir jedenfalls einNetzwerk sofort.Hovestädt: Bei KONTRASTE siehtman das übrigens auch häufiger.Wenn man als Fernsehkollege mitLokalredakteuren spricht, funktioniertdas als Rechercheanlaufstelleund man wird sogar Kooperationspartner.Ich glaube, das ist schon einigeJahre her, aber wir haben auchschon mal mit dem SPIEGEL eineo<strong>der</strong> zwei gemeinsame Geschichtengemacht. Da hatten wir aber nochMontags den Sendetermin und sindgemeinsam mit dem SPIEGEL rausgekommen. Das passiert selten.Mascolo: Wir haben auch schon mit<strong>der</strong> „Lausitzer Rundschau“ kooperiert,und wenn ich darauf hinweisendarf, mit dem Kollegen Fröhlingsdorfhaben wir so hervorragend kooperiert,dass wir ihn jetzt sogar eingestellthaben.Leif: Professor Haller bitte.Haller: Jetzt haben wir das Augenmerkvor allen Dingen auf die Fragegelegt, wie wir intern kooperierenkönnen. Ich denke, dass das, was162


hier angesprochen wurde, wie z.B.themenzentriertes Kooperieren,dass sich verschiedene Rechercheure,Redaktionen o<strong>der</strong> Medien je nachThema zusammenfinden o<strong>der</strong> dassman eine Art Infrastruktur daraushervorgehen lässt, die dann auchan<strong>der</strong>en weiteren Themen zu Gutekommt, kann man nicht beschließen,das muss sich entwickeln. Jedenfallsist dieser Netzwerkgedankeals ein internes Verknüpfen und Zusammenarbeitenetwas ganz Zentrales.Trotzdem sollten wir das an<strong>der</strong>eauch nicht unterschätzen. Das würdedort anknüpfen, was über die Situation<strong>der</strong> regionalen Zeitungenund des Alltagsjournalismus <strong>im</strong> Bereichdes nachrichtlichen Informationsjournalismusangesprochenwurde.Ich denke, es gibt auch da einengemeinsamen Nenner, und zwar,dass wir die Recherchiermöglichkeitenund die Recherchierbedingungenoffensiv verbessern und offensivwerten müssen, damit wir dieFel<strong>der</strong> <strong>der</strong> Recherche weiter stekkenkönnen. Wir dürfen das, waswir o<strong>der</strong> Sie hier von den sogenanntengroßen und durchschlagstarkenMedien an Erfahrung mitbringennicht verallgemeinern. Der Recherchieralltagauf <strong>der</strong> regionalen undlokalen Ebene sieht an<strong>der</strong>s aus.Hier ist es in <strong>der</strong> Tat wichtig undsinnvoll, offensiv nach außen aufzutretenund dafür zu sorgen, dassdie Mitglie<strong>der</strong> kleinerer RedaktionenMut fassen, sich hier auch gestütztsehen und hier auch Rückfragemöglichkeitenfinden. Siemüssen hier auch Probleme klärenkönnen, die sie in ihrem eigenenUmfeld nicht klären können, entwe<strong>der</strong>weil die an<strong>der</strong>en auch zu nahdran sind o<strong>der</strong> weil die nicht kompetentgenug sind.Ich glaube, dass sich ein solchesNetzwerk hier, eben auch um <strong>der</strong>Sache Willen, gefunden hat und auchdie nötige Kompetenz versammeltist, die bis in die Richtung eines Expertensystemsgehen kann, so wiewir es <strong>im</strong> Hochschulbereich seit Jahrenentwickelt haben. Ich denke, esgibt ein doch relativ gutes und wechselseitigesInfosystem für einen Expertenaustauschund <strong>der</strong> gleichen,das auch heute noch mehr durch dasInternet vorhanden ist.<strong>Die</strong>sen zweiten gemeinsamen Nennersollten wir nicht zu klein reden,son<strong>der</strong>n eher umgekehrt, groß redenund den Bedarf erkennen, <strong>der</strong>außerhalb dieses Kreises liegtMerz: Da würde ich auch voll zust<strong>im</strong>men.<strong>Die</strong>se interne Zusammenarbeitorganisiert man informell. Dasfunktioniert auch an vielen Stellen,wenn man es aktiv sucht, viel besserals über so eine Organisation. Da163


st<strong>im</strong>me ich Ihnen zu 150 Prozentzu.Hartmut Heß: Ich wollte noch einmaleinige Beispiele aus meiner eigenenErfahrungen von früher beisteuernund damit zeigen, dass eine Zusammenarbeitauf den unterschiedlichenEbenen durchaus notwendig ist.Anfang <strong>der</strong> 70er Jahre befand ichmich als Lokalredakteur in Hessenin <strong>der</strong> Situation, dass ich in einemRathaus schlichtweg Hausverbot erteiltbekam, weil ich über Durchstechereienberichtet hatte. Ich will garnicht sagen, dass ich sie aufgedeckthatte, aber ich hatte über sie berichtet.<strong>Die</strong> Drohung mit einer Klage wegenVerletzung <strong>der</strong> Informationsfreiheito<strong>der</strong> ähnliches half mir gar nicht.Was half, waren die Kollegen <strong>der</strong>Konkurrenzzeitungen, die gesagthaben, mit dem Bürgermeister redenwir nicht mehr, <strong>der</strong> kann erzählenwas er will, es schreibt keinermehr darüber, solange er mit demKollegen nicht mehr reden will. Dashalf dann wirklich, weil <strong>der</strong> Bürgermeisterauf die Zeitungen angewiesenwar.Ein an<strong>der</strong>es Beispiel: In <strong>der</strong> Landespressekonferenzin Hessen kam esvor, dass wir bei riskanten Themen,wenn wir wussten, dass es einfachunmöglich war, dass einer sie bis zuEnde hieb- und stichfest durchrecherchierte,um damit auch vor GerichtBestand zu haben, häufig zwischenzwei drei Kollegen Informationenausgetauscht haben. Es wurdedann gemeinsam recherchiertund dann verabredet, wann die Geschichteveröffentlicht wird undmöglichst so, dass keine Konkurrenzentstehen konnte.Das war eine Absicherung und eineHilfe, die etwas gebracht hat, auchwenn es nur auf einer privaten Ebeneinstitutionalisiert war. Wenn dasauf ein Netzwerk übertragbar ist, dasbundesweit für Lokaljournalisten,für Leute, die auf Landes- o<strong>der</strong> Bundesebenearbeiten o<strong>der</strong> sogar darüberhinaus, funktionieren kann,dann kann das doch allen nur nützenund <strong>im</strong> Prinzip bringt es dochfür niemanden Nachteile.Andreas Heerwig: Ein Netzwerk darfnatürlich nicht dazu führen, dassdann vor <strong>der</strong> eigenen Haustür nichtmehr gekehrt wird, und man sagt,gut dafür sind wir dann nicht mehrzuständig, son<strong>der</strong>n gibt es vielleichtirgendein überregionales Medium,wo dann aber die Themen möglicherweiseliegen bleiben. Das ist natürlichauch eine Gefahr. Das Einzelkämpfertum,das es in Deutschlandgibt, das erreicht ja durchausetwas, und das darf durch so einNetzwerk nicht eingeschränkt werden.164


Leif: Nur noch mal zur Erklärung:Bei den Leuten, die sich zur Vorbereitunggetroffen haben, die jetztauch teilweise hier sind, entstand inverschiedenen privaten Gesprächenüber mehrere Jahre <strong>der</strong> folgendeKonsens: Das Ganze soll als eineMöglichkeit, als eine Chance verstandenwerden und das Verpflichtendesoll relativ gering sein. Von<strong>der</strong> Grundphilosophie soll kein Rahmengesetzt werden, <strong>der</strong> sagt: Dusollst son<strong>der</strong>n eher: Man kann.Es ist wichtig zu wissen, dass wir dieVereinsform nicht deshalb wählen,weil wir unbedingt einen deutschenVerein wollen, son<strong>der</strong>n aus formalpragmatischen Gründen: Es mussirgendeine Rechtsform geben, mit<strong>der</strong> man agieren kann, weil es irgendwannauch darauf ankommt, ökonomischeZusammenhänge zu klären,Gel<strong>der</strong> zu kriegen, vielleicht sogarSpenden absetzen zu könnenund ähnliches. Der Rahmen sollweich sein, und diese Kooperationsformen,die jetzt angesprochen wordensind, wären dann möglich. Essoll also nicht so sein, dass man etwasmuss, son<strong>der</strong>n es soll ein Kooperationsrahmenentstehen undkeine Festlegung sein.Daßler: Ich glaube, wir haben hierauch alle ein gemeinsames Problem.Ich stelle <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> fest, dassselbst Journalistikstudenten o<strong>der</strong>Volontäre keine Zeitungen mehr lesen,nicht mehr die SÜDDEUT-SCHE, nicht die ZEIT o<strong>der</strong> denSPIEGEL. Wenn meine Kin<strong>der</strong> Informationenbrauchen, dann holensie sich diese aus dem Internet. <strong>Die</strong>machen daraus dann super Vorträgein <strong>der</strong> Schule. Sie geben ihre Stichworteein und finden ihre Informationen,aber sie lesen keine Zeitungmehr. Sie machen sich die Mühenicht mehr. Was die Qualität anbelangt,habe ich eine sehr viel skeptischereMeinung. Dass sich Zeitungendurch Qualität durchsetzten,d.h., was gut recherchiert ist, das istauch Qualität und wird gelesen, damachen viele Leute in Regionalzeitungenganz an<strong>der</strong>e Erfahrungen.Ich habe viele Jahre lang die großenSeite Drei Geschichten geschriebenund irgendwann wollte mich meinChefredakteur mal ärgern, und ichmusste über „Energie Cottbus“schreiben.Jeden Tag eine Kolumne über dieseMannschaft, zusätzlich zu den an<strong>der</strong>enGeschichten und das acht Wochenlang bis zum Endspiel gegenStuttgart. Es kann sich ja je<strong>der</strong> vorstellen,wie gehaltvoll diese Kolumnenwaren, die ich jeden Tag nochkurz vor Feierabend so abdrückenmusste, aber ich war auf einmal populär.<strong>Die</strong> Leute kannten mich auf<strong>der</strong> Straße, ich wurde angesprochen,die haben gesagt: „Das ist die, die165


die Kolumnen schreibt und jetzt liestsogar die Pfarrersfrau den Sportteil.“Man sollte sich da nicht soviel vormachen,was Leute als Qualität empfinden.Deshalb haben wir in einemNetzwerk vielleicht auch ein wenigdie Verantwortung, auch um unsererSelbst Willen, die Leute wie<strong>der</strong> dahinzu erziehen, dass die ein Angebot vonguten Journalisten haben und dass siees auch unterscheiden könnenHovestädt: Es geht ja um Wirkungvon Recherche. Man sollte nicht erwarten,durch viel qualitative Rechercheunglaubliche Wirkungen zuerzielen. Das ist die Erfahrung ausdem Fernsehen, dass es nicht wirklicheinen Unterschied macht. Genaudarum geht es ja in so einemNetzwerk, den Wert von qualitativerRecherche zu erhalten, dafürRessourcen frei zu räumen, sich zuvernetzen, sich in dem Sinne vielleichtauch amerikanisch pragmatischuntereinan<strong>der</strong> zu verständigenund diese ganzen Hürden abzubauen.Das finde ich auch sehr wichtig:Eine Lobby zu schaffen, die ausdrückt,dass gründliche Rechercheetwas sehr wichtiges ist, das man erhaltenmuss.Leif: Ich würde gerne noch mal Mr.Reeves das Wort geben. Er ist teilnehmen<strong>der</strong>Beobachter und war füruns sozusagen als Entwicklungshelfereingeflogen worden, weil wir gernedie US-Erfahrungen, obwohl siesehr an<strong>der</strong>s sind als hier, reflektierenwürden. Sie haben sehr lange zugehört.Wie ist Ihr Eindruck von diesemDiskussionsprozess?Reeves: Wenn Sie das Netzwerk wollen,da wird ein Schlaraffenlanddraus werden.It´s the land of milk and honey. Wehave a Kokurrenzprobleme in IREas well. We have team efforts instories but more than three fourthsof IRE´s work is training and softwareinstruction: How to find somethingon the internet, a phonenumberof an official, very practical dayto day help. The most common activityin IRE and it´s brother and sisterorganisation knightheart, thenational institute for computer assitedreporting, is the internet list serveIREL and the other list serveknightheart L, these are mailing listson the internet. I don´t know whatthey are called. I hope you un<strong>der</strong>stand.There are probabely fiftytwoonehun<strong>der</strong>ed messages a day amongworking reporters that have savedme days of work at a t<strong>im</strong>e s<strong>im</strong>plyfrom seeing another reporters experiencein handling a story, solving aproblem with software. Somet<strong>im</strong>eseducating need to the existence of astory even though the USA is big166


enough, as you have said, that localpress doesn´t compete with eachother. Detroit, Kansas City, Denver,L.A., not L.A. but in the rest of thecountry in the really big citys we don´tcare in a sense what other city papersreport but we do care for purposes ofthe Pulitzer Prize, the IRE award orother high level awards. To win thoseyou have to come up with somethingnew. I admit that we are so obsessedwith winning those awards and Ithink a lot of daily newspapers are atthe same way. I am at the Kansas CityStar which has a circulation ofaround 300.000 in an area of 1.7 Million.So we are a very average marketand rea<strong>der</strong>ship. I don´t know howmuch this answers your question.Leif: Ich möchte gerne noch einmalunseren Mitstreiter von Greenpeacevor dem Hintergrund seiner Amerika-Erfahrungenfragen: Wenn mandie USA sieht, was da läuft – undjetzt unsere Diskussion mit verarbeitetund reflektiert – wo gibt esGemeinsamkeiten? Wo sind bei unsjetzt noch Blindstellen, wo sind gemeinsameProbleme und woraufsollte man aufpassen. Was ist daDeine Einschätzung?Redelfs: Ich möchte das jetzt nicht ineinem Rundumschlag abhandeln,denn die Unterschiede zwischenDeutschland und den USA habenwir gestern bereits ausführlich diskutiert.Stattdessen will ich mich aufden Netzwerkaspekt als große Chancebeschränken: Ich denke, es istganz wichtig, dass überhaupt in soeinem Kreis eine Debatte über Rechercheals Qualitätssicherungsinstrumentstattfindet. Dass hier Journalisten,die sich sonst vielleichtnoch nie getroffen haben, Visitenkartenaustauschen und auch amRande des Treffens miteinan<strong>der</strong> geredethaben, daraus entstehen vielleichtspäter einmal Kooperationen,die man gar nicht großartig strategischplanen kann. Das Schaffen dieserAnlässe ist schon ein Wert ansich. Das ist es auch, was IRE macht.Ich habe mal an einer Konferenz mitverschiedenen parallel stattfindendenPanels in New York teilgenommen,zu <strong>der</strong> sich fast 1.000 Teilnehmerangemeldet hatten. Das wichtigstedabei waren die informellenKontakte, die daraus entstandensind und das Lernen anhand von Rechercheerfahrungen,die Kollegenweitergegeben haben. Manche Dinge,die in den USA über IRE organisiertwerden, werden uns wahrscheinlichnicht so stark beschäftigen:Der Bereich Computer AssistedReporting spielt aus nahe liegendenGründen wegen <strong>der</strong> strengeren Datenschutzbest<strong>im</strong>mungen,<strong>der</strong> geringerenInformationsmöglichkeiten,die wir in Deutschland haben, ein-167


fach keine Rolle. <strong>Die</strong> Möglichkeit,dass man in den USA Rohdaten <strong>der</strong>Verwaltung per Diskette bekommtund auswerten kann, fast nach demModell <strong>der</strong> Rasterfahndung, wie wirdas aus unseligeren Zeiten inDeutschland kennen, ist hier unvorstellbar.Das wird so schnell inDeutschland nicht kommen und ichfrage mich auch, ob man das unbedingtwünschen sollte. Besseren Informationszugangschon, aber ichglaube, die Voraussetzungen für Arbeitmit Rohdaten <strong>der</strong> Verwaltungwerden wir so schnell nicht haben.Gleichwohl kann es aber Aufgabeeines solchen Netzwerkes o<strong>der</strong> Vereinssein, sich z.B. für das Informationsfreiheitsgesetzeinzusetzen, daszur Zeit <strong>im</strong> Innenministerium vorbereitetwird. Es wun<strong>der</strong>t mich, dasses dazu bisher so wenige Kommentareaus dem Journalismus gibt. Ichdenke auch, dass einige praktischeUS-Ideen zur Qualitätssicherungkopiert werden könnten, wie zumBeispiel diese Korrekturmeldungenin den Zeitungen, mit denen sich dieMedien offen dazu bekennen, wennmal etwas schief gelaufen ist.Leif: Herr Fröhlingsdorf, was ist IhreBilanz, auch die aus <strong>der</strong> PerspektiveIhres alten Jobs? Was könnte esbringen, was sind die drei Essentiales,die Sie befürworten würden o<strong>der</strong>wo Sie auch vielleicht ein Warnschildaufstellen.168


Fröhlingsdorf: Ich habe ja vorhinschon gesagt, ich habe mich sehr alsEinzelkämpfer gefühlt, insofern istnatürlich eine Verbindung zu an<strong>der</strong>enKollegen auf jeden Fall gut. Wennman weniger in <strong>der</strong> eigenen Redaktionbekommt, son<strong>der</strong>n Informationenwoan<strong>der</strong>s herholen muss, dannwäre dieses Netzwerk auf jeden Falleine große Hilfe. Wie weit dann dasnachher bei konkreten Gechichteneine Rolle spielt, weiß ich nicht. <strong>Die</strong>Idee ist auf jeden Fall gut.Leyendecker: Der Ausbildungsaspektund die Didaktik sollten eine Lobbyfür Recherche sein. Infoservice undUrteile sollten heute unbedingt gebotenwerden. Das „Come together“ istein Wert an sich, das kann ich nachvollziehen.Ich glaube, dass aus dem„Come together“ aber auch praktischetwas werden sollte. Entwe<strong>der</strong> entschließtman sich tatsächlich dazu, irgendwannso eine Art Preis zu schaffeno<strong>der</strong> man schließt sich zu einerkleinen Journalistenlobby zusammen,die eingreift, wenn es darumgeht, Unsitten anzuprangern.Mascolo: Ich halte es für eine vernünftigeIdee, es auszuprobieren.Ich würde allerdings, bevor ein Preisvergeben wird, darüber nachdenken,ob es nicht beispielsweise die Möglichkeitgibt, sich einmal ein gemeinsamesProjekt zu suchen. Ich möchtenoch einmal auf das Jammern überdie schlechten Möglichkeiten <strong>der</strong> Recherchezurückkommen. In den dreiBundeslän<strong>der</strong>n, in denen es bereitsInformationszugangsgesetze gibt, aufBundesebene wird ja jetzt auch einskommen, empfehle ich, sich die Statistikenanzugucken, wie oft Journalistendavon Gebrauch machen. Dastellt man fest, nie. Wenn man sieht,welche Möglichkeiten die Gesetzebieten, ist das enorm.Ich glaube, die Jammerei darüber,wie es wäre, wenn man den FOIAhätte, ist 20 Jahre alt und jetzt gibt esihn in einigen Bundeslän<strong>der</strong>n schon– und <strong>im</strong> Bund wird er kommen, inwelcher konkreten Ausgestaltungauch <strong>im</strong>mer – doch Journalistenmachen keinen Gebrauch davon.Das könnte ein erstes gemeinsamesProjekt sein, warum n<strong>im</strong>mt man sichnicht gemeinsam was vor und überlegtsich ein Themengebiet, an demdann Kollegen gemeinsam arbeiten.Das ist was, das kann man nebenhermachen, da hat man keinen Konkurrenzdruck.Leif: Dagmar Hovenstädt bitte.Hovestädt: Ich würde auch das mit<strong>der</strong> Preisverschieberei durchaus unterstützen.Ich glaube, so sehr es dieAmerikaner motiviert, irgendwelchePreise zu Hause ins Regal zu stellen,in Deutschland funktioniert das169


nicht so. Gemeinsame Projektideenzu entwickeln finde ich besser. Deinerhetorische Bedenkenträgereiverstehe ich gar nicht, <strong>im</strong> Grundegenommen kann man doch nichtsverlieren. Es gibt nichts Gutes, außerman tut es. Ich finde, das isteinfach ein klarer Startschuss dafür.Leif: Nur eine kurze Anmerkung zudem Preis. Gestern erzählte HerrReeves, dass die Bewerbungen fürzum Beispiel einen journalistischenPreis, viel Stoff zusammen bringen.Leute rekonstruieren z.B. ihreStories und es sind damit so vieleImpulse da, so viel gutes Material,dass das eine ganz klare Innovationgegenüber den an<strong>der</strong>en PR-Preisenund Schwachmaaten-Preisen ist.Eine zweite Sache: Ich kann nursagen, dass z.B. dieses Sammlungsbuch,das wir über „LeidenschaftRecherche“ gemacht haben, ziemlichviel bewegt und ziemlich vielejüngere Leute motiviert hat. Es wirdauch in <strong>der</strong> Ausbildung genutzt,etwa bei <strong>der</strong> Bundeszentrale. Aus einemPreis dieser Art könnte manohne Probleme wie<strong>der</strong> solch einBuch generieren, das wird ja auch anan<strong>der</strong>er Stelle gemacht. Ich glaube,die Rekonstruktion von Geschichtenerfüllt zwei Aspekte, die hier <strong>im</strong>merwie<strong>der</strong> genannt worden sind.Erstens: Journalisten müssen sichselbst hinterfragen, es ist gar nichtso leicht, so ein Ding zu schreiben,weil man da nicht mehr rumfuschenkann, son<strong>der</strong>n es ist anstrengendund reflektiert die Prozesse. Zweitens:Es ist <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> eine wun<strong>der</strong>bareAnstiftung für an<strong>der</strong>e, diesich so was abschauen können undzeigt auch, dass es nicht irgendeineSpezialität ist. Das nur als Einschränkung.Letzte Wortmeldung von Hans Leyendeckerin <strong>der</strong> Reflexion auf das,was wir diskutiert haben, was esbringen kann und wie Sie einenÜberraschungsscoop für die Zukunftsehen.Leyendecker: Das meiste ist gesagtworden. Wichtig ist, dass man Leuteermutigt, an<strong>der</strong>e Leute kennen zulernen und mit denen auch über daszu reden, was sie die meiste Zeit ihresLebens machen. Das muss danndamit verbunden sein, dass manüber die handwerklichen Dinge redet.Es ist ja alles keine Gehe<strong>im</strong>kunst,Recherche ist, das wissen wiralle, ein schlichtes Handwerk. So wie<strong>der</strong> Fliesenleger Fliesen legt, so recherchiertman. Von daher mussman beobachten, welche Verän<strong>der</strong>ungenes in <strong>der</strong> Recherche gibt, wasman voneinan<strong>der</strong> lernen kann.Wenn man da so ein Netzwerk beieinan<strong>der</strong>hat, ist das schon eine ganzeMenge170


Zehn-Punkte-Programm des„netzwerks recherche“1.Das „netzwerk recherche“ verfolgtdas Ziel, die journalistische Recherchein <strong>der</strong> Medien-Praxis zu stärken,auf ihre Bedeutung aufmerksam zumachen und die intensive Recherchevor allem in <strong>der</strong> journalistischenAusbildung zu för<strong>der</strong>n.2.Zu diesem Zweck entwickelt das„netzwerk recherche“ Ausbildungskonzeptefür die Recherche-Ausbildung,vermittelt Referenten und berätInstitutionen <strong>der</strong> journalistischenAus- und Weiterbildung in <strong>der</strong> Gestaltungund Umsetzung entsprechen<strong>der</strong>Ausbildungskonzepte. Das„netwerk recherche“ bietet zudemeigene Recherche-Seminare sowieModellseminare an.3.Das „netzwerk recherche“ bietet einRecherche-Mentoring für jüngereKolleginnen und Kollegen an, um ineinem intensiven Beratungs- undAustauschprozess über jeweils einJahr einen entsprechenden Wissens-Transfer von erfah-renen Rechercheurenzu interessierten Kolleginnenund Kollegen zu organisieren.4.Das „netzwerk recherche“ för<strong>der</strong>tden umfassenden Informationsaustauschzum Thema „Recherche“und bietet seinen Mitglie<strong>der</strong>n entsprechendeForen an. Im Internetsoll durch entsprechende newsletterdie Kommunikation untereinan<strong>der</strong>geför<strong>der</strong>t werden. Der Austauschüber Projekte, konkrete Recherche-Erfahrungen etc., aber auch <strong>der</strong> Hinweisauf Weiterbildung und entsprechendeServiceangebote soll hiermöglich sein.5.Das „netzwerk recherche“ beteiligtsich am internationalen Austauschentsprechen<strong>der</strong> Journalisten-Organisationenin Europa und in Übersee.171


6.Das „netzwerk recherche“ vergibteinmal <strong>im</strong> Jahr einen Preis für eineaussergewöhnliche Recherche-Leistung,die Themen und Konfliktebeleuchtet, die in <strong>der</strong> Öffentlichkeitbislang nicht o<strong>der</strong> nicht ausreichendwahrgenommen wurden.7.<strong>Die</strong> Mitglie<strong>der</strong> des Netzwerkes setzensich dafür ein, dass die Möglichkeiten<strong>der</strong> Recherche nicht eingeschränktwerden. Das „netzwerk recherche“äußert sich öffentlich zuFragen <strong>der</strong> Recherche und <strong>der</strong> Bezügezur journalistischen Qualität,wenn Begrenzungen o<strong>der</strong> Einschränkungen<strong>der</strong> Pressefreiheitfestgestellt werden.8.Das „netzwerk recherche“ arbeitetmit an<strong>der</strong>en Journalisten-Organisationenund Gewerkschaften zusammen,die <strong>im</strong> Grundsatz ähnliche Zieleverfolgen und ebenfalls dazu beitragen,den Aspekt <strong>der</strong> Recherche<strong>im</strong> Journalismus zu stärken.9.Das „netzwerk recherche“ trifft sicheinmal <strong>im</strong> Jahr zu einem Jahrestreffenund erörtert jeweils aktuelle Tendenzen<strong>im</strong> Umfeld des „Recherche-Journalismus“ und setzt sich hier mitzentralen Themen <strong>im</strong> Zusammenhangmit <strong>der</strong> journalistischen Rechercheund konkreten Fallbeispielenauseinan<strong>der</strong>. Regionale Unterglie<strong>der</strong>ungenermöglichen den Austauschin best<strong>im</strong>mten Regionen.10.Das „netzwerk recherche“ ist politischunabhängig und verfolgt ausschließlichgemeinnützige Zwecke.Der Zusammenschluß <strong>der</strong> Journalistenhat den Status <strong>der</strong> Gemeinnützigkeiterhalten und kann somitSpenden einwerben, mit denen dieArbeit finanziert wird.März 2001Kontakt:homepage:netzwerkrecherche.de &thomas.leif@faberdesign.de172


Start in die Informationsfreiheit nurmit angezogener Handbremse?Stellungnahme des Netzwerks Recherche zumReferentenentwurf für das InformationsfreiheitsgesetzBei <strong>der</strong> Informationsfreiheit, alsodem Recht auf Akteneinsicht für je<strong>der</strong>mann,hinkt Deutschland bisherhinter an<strong>der</strong>en europäischen Län<strong>der</strong>nsowie den USA und Kanadahinterher. Deshalb ist jede Initiative,die auf mehr Transparenz in Politikund Verwaltung abzielt, überfälligund grundsätzlich zu begrüßen. Allerdingsgeht <strong>der</strong> vorliegende Referentenentwurfdes Innenministeriumsfür ein bundesweites Informationsfreiheitsgesetz(IFG) in entscheidendenPunkten nicht weit genug.<strong>Die</strong>s betrifft sowohl den Umfangdes Aktenzugangs, als auch dieRegelung von Bearbeitungsfristenund Gebühren. Sofern nicht nachgebessertwird, besteht sogar dieGefahr, dass das Gesetz, das dieAkteneinsicht bei Bundesbehördenregelt, hinter schon bestehende Landesgesetzein Brandenburg, Schleswig-Holsteinund Berlin zurückfällt.Damit das bisherige Prinzip <strong>der</strong>„Amtsverschwiegenheit“ überwundenwird, sollte das neue Gesetzmöglichst wenige Ausnahmen vomRecht auf Akteneinsicht vorsehen.Im jetzigen Entwurf gibt es jedocheinige Formulierungen, die einenweiten Interpretationsspielraum eröffnenund so zu einer restriktivenInformationspraxis führen können.Zum Beispiel besteht <strong>der</strong> Anspruchauf Informationszugang dann nicht,wenn <strong>der</strong> „Kernbereich exekutiverEigenverantwortung berührt wird“o<strong>der</strong> wenn es sich um Informationenaus einem „laufenden Verwaltungsverfahren“handelt. GeradeVerwaltungsverfahren, die nochnicht abgeschlossen sind, interessierendie Öffentlichkeit jedoch mehrals „vollendete Tatsachen“. Hier isteine Formulierung nötig, die einegrößere Transparenz auch bei andauerndenVerfahren zulässt. Derjournalistische Auskunftsanspruchnach den Landespressegesetzen darfzum Beispiel bei schwebenden Verfahrennur verweigert werden, wenndie Auskunft die sachgerechte173


Durchführung des Verfahrens vereiteln,erschweren, verzögern o<strong>der</strong>gefährden würde. Der bloße Hinweisauf ein schwebendes Verfahrenreicht in dem Falle nicht aus.In den USA ist ein Hauptkritikpunktam Freedom of Information Act,dass die Bearbeitung <strong>der</strong> Anträge zulange dauert. Deshalb ist es unverständlich,dass <strong>der</strong> deutsche Gesetzentwurfgar keine Fristen für dieAntragsbearbeitung vorschreibt. Lediglichaus <strong>der</strong> Verwaltungsgerichtsordnungergibt sich, dass ein Antragstellernach drei Monaten wegenUntätigkeit klagen kann. Um eineService-Orientierung in den Behördenzu för<strong>der</strong>n, ist es unerlässlich,klare Zeitvorgaben in das Bundesgesetzaufzunehmen, so wie es beiden Landesgesetzen in Schleswig-Holstein („unverzüglich, spätestensaber innerhalb eines Monats“) undin Berlin („unverzüglich“) <strong>der</strong> Fallist.Im Vergleich zum journalistischenInformationsanspruch nach denLandespressegesetzen eröffnet dasIFG neue Recherche-Möglichkeitendurch das Recht, Originalakten einzusehen,sich Notizen zu macheno<strong>der</strong> Akten zu kopieren. <strong>Die</strong>se neueTransparenz sollte uneingeschränktgelten und <strong>der</strong> jetzige Zusatz gestrichenwerden, nach dem die Behördedas Wahlrecht zwischen Auskunfto<strong>der</strong> Akteneinsicht bei „gewichtigenGründen“ wie<strong>der</strong> einschränkenkann. Auch in diesem Punkt sind dieLandesgesetze weitreichen<strong>der</strong> undeindeutiger als <strong>der</strong> Bundesentwurf.In <strong>der</strong> Begründung zum Referentenentwurfwird zwar ausgeführt, dassdie Gebühren für Behördenauskünfteo<strong>der</strong> Akteneinsicht „nichtprohibitiv wirken“, also nicht abschreckensollen. Der vorgeseheneHöchstsatz von bis zu 1.000 Marklässt jedoch befürchten, dass genaudieser Fall eintreten wird. Lei<strong>der</strong> zeigendie Erfahrungen mit dem Umweltinformationsgesetz(UIG), dasseinige Behörden den zulässigen Gebührenrahmenin <strong>der</strong> Vergangenheitweitgehend ausgeschöpft haben.Daher sah sich bei diesem Gesetzsogar <strong>der</strong> Europäische Gerichtshofgezwungen, die abschreckende deutscheGebührenpraxis zu beanstanden,so dass das UIG geän<strong>der</strong>t werdenmuss. Um be<strong>im</strong> IFG die Gefahrzu vermeiden, dass kooperationsunwilligeBehörden Antragsteller abschrecken,indem sie den Kostenrahmenausschöpfen, sollte <strong>der</strong>Höchstsatz deutlich gesenkt werden.Im übrigen sind zu den Gebührenvon bis zu 1.000 Mark die Auslagenhinzuzuzählen, also vor allem dieSachkosten für Kopien. Im Einzelfallkönnen auf diese Weise Sum-174


men erreicht werden, die sehr wohleine „prohibitive Wirkung“ haben.<strong>Die</strong> Möglichkeit zur Gebührenbefreiungist <strong>im</strong> Referentenwurf sehrvage gehalten und laut Gesetzesbegründungauf den „Einzelfall ausGründen des öffentlichen Interesseso<strong>der</strong> <strong>der</strong> Billigkeit“ beschränkt.Der Freedom of Information Act inden USA, <strong>der</strong> für die Informationsfreiheits-Gesetzgebungvorbildlichist und bei dem bereits Erfahrungenaus 35 Jahren Gesetzespraxis vorliegen,sieht dem hingegen einen Gebührenerlassvor, wenn die gewünschtenInformationen dazu beitragen,dass die Öffentlichkeit einenbesseren Einblick in die Arbeit <strong>der</strong>Regierung erhält und <strong>der</strong> Antragstellerkeine eigenen geschäftlichen Interessenverfolgt. Ferner werdenJournalisten sowie Mitarbeiter nichtkommerziellerwissenschaftlicherEinrichtungen ausdrücklich als Vertretervon Berufsgruppen genannt,bei denen grundsätzlich ermäßigteGebühren gelten, die u.U. wie<strong>der</strong>umganz erlassen werden können. Inden deutschen Gesetzentwurf sollteeine ähnliche Regelung zur Gebührenbefreiungaufgenommen werden,damit überhaupt eine realistischeChance besteht, dass <strong>der</strong> Passus zurGebührenbefreiung angewandtwird. Eine mo<strong>der</strong>ne, transparenteVerwaltung darf nicht an Refinanzierungsüberlegungenscheitern,175


son<strong>der</strong>n sollte Anfragen von öffentlichemInteresse als normale „Demokratiekosten“behandeln.Während das Berliner Landesgesetzdie Behörden verpflichtet, Anträgebei Unzuständigkeit an die richtigeStelle weiterzuleiten, verzichtet <strong>der</strong>Bundesentwurf auf einen entsprechendenbürgerfreundlichen Passus.In <strong>der</strong> Gesetzesbegründung wird dieWeiterleitung stattdessen als „nobileofficium“ bezeichnet, also als„Ehrenpflicht“. Hier ist es geboten,eine verlässliche Regelung zu treffen.Bei <strong>der</strong> Überarbeitung des Freedomof Information Act in den USA wurdenBundesbehörden bereits 1996verpflichtet, Organisations- und Aktenplänesowie Antworten auf Bürgeranfragenvon allgemeinem Interesseauf dem Internet zu veröffentlichen.<strong>Die</strong>se Form von Transparenzermöglicht es den Bürgern, eine genauereVorstellung davon zu erlangen,welche Informationen überhauptbei welchen Stellen verfügbarsind und ist eine Grundvoraussetzungdafür, dass <strong>der</strong> Zweck des Gesetzeserfüllt werden kann. Der deutscheGesetzentwurf lässt die positivenErfahrungen aus den USA unberücksichtigt,denn die Behördensollen zwar Organisations- und Aktenplänezugänglich machen. Hierfürgenügt jedoch die Reaktion aufeinen Antrag – es gibt keine Verpflichtung,sich <strong>der</strong> kostengünstigenund für alle abrufbaren <strong>Publikation</strong>sformInternet zu bedienen undbereits ohne ausdrückliche NachfrageOrganisations- und Aktenplänezu veröffentlichen.Nachdem Deutschland bei <strong>der</strong> Informationsfreiheitbisher als Nachzüglergelten muss, bietet sich mitdem geplanten Bundesgesetz eineeinmalige Möglichkeit, einen Schrittzur bürgernahen, transparenten Verwaltungzu wagen. <strong>Die</strong>se Chancedarf nicht durch einen zu zögerlichenGesetzentwurf verspielt werden,<strong>der</strong> in manchen Punkten hinterbestehende Landesgesetze zurückfällt.176


Walter SchumacherNachschlagJa, Nachschlag hier jetzt heute, meineDamen und Herren, gibt es denNachschlag vor dem Essen, sonstist das umgekehrt. Ich habe den Zuschlagbekommen, den fünfte MainzerMediendisput kompr<strong>im</strong>iert in1.30 o<strong>der</strong> so. Klein aber fein soll essein, hat in <strong>der</strong> BegrüßungsredeKlaus Rüter, <strong>der</strong> Chef <strong>der</strong> Staatskanzlei,gesagt, klein aber oho, kannes auch sein. Klein, aber nicht kleinlaut,ja ein kleiner Mut sei nötig vonJournalisten, sich gegen ein Mysteriumzu stellen, habe ich vom ZEIT-Journalisten Uwe Jean Heuser gehört.Mit diesem kleinen Mut und<strong>der</strong> großen Hilfe prominenter Journalistinnenund Journalisten wollenwir in Mainz Medienthemen diskutieren,nicht in <strong>der</strong> Nische, nein ineiner Jahr für Jahr größer werdendenÖffentlichkeit. Ich danke Ihnenfür Ihr Interesse und ich danke UliRöhm für seine Mo<strong>der</strong>ation. Daswar <strong>der</strong> Raum für Beifall, den könnenwir reinschneiden. Als um 11.08Uhr schon die zweite Agenturmeldungüber diesen Mediendisput gelaufenwar, habe ich mich zum erstenMal zurückgelehnt. Das hattenwir ja auch <strong>im</strong> Sinn, als wir eingeladenhaben mit <strong>der</strong> Schlagzeile Medienzwischen Sinn und Sensation,zwischen Journalismus und Politik,zwischen Anklage und Verteidigung,zwischen Beziehungen und PublicRelations, zwischen Podium undPult, zwischen Reportage und Kommentar,zwischen Öffentlich-Rechtlichenund Privaten, zwischen Zeitungenund Magazinen, zwischenAktualität und Anekdote, zwischenGrundsätzen und Bonmots, zwischenFakten und Fiktionen, zwischenKampfjournalismus und Bor<strong>der</strong>lines,zwischen Moral und Moralin,zwischen Gestern und Morgen,zwischen heute Vormittag und heuteNachmittag. Streit ist Lust, weißMichel Friedman, und unser Disputwill Lust machen, über das zu streiten,was wir Tag für Tag konsumieren,erleben und ersehen, und nichtentbehren wollen, die Medien. Streitenwir „positiv skeptisch“, wie LuciaBraun, die Haltung des MinisterpräsidentenKurt Beck nannte. Übrigenskann ich es als Regierungs-177


sprecher nicht gutheißen, wie gut Siegefragt, nachgefragt und diskutierthaben.Das war ein neuer Aspekt, und dassogar für mich <strong>im</strong> Umfeld. Undein Dementi dann auch noch, aufeine zwiespältige einspaltige Nachrichteines Meinungsmagazins. Wirhaben in Rheinland Pfalz übrigensauch eine kompliziertere Nachfolgezu regeln, als die des ZDF-Intendanten,<strong>der</strong> Bischof von Trierist zurückgetreten. In freier Assoziationfiel mir jetzt auch noch ein,dass das ZDF unlängst vom Politikerund Journalisten GüntherGaus als Ministrantenfernsehenbezeichnet wurde. Das passt. Dernächste Mainzer Mediendisput,<strong>der</strong> sechste, wird <strong>im</strong> Herbst 2001sein. Sie sind eingeladen, und nunins Foyer zu Wein aus Rheinland-Pfalz. Hans Leyendecker hat heutemorgen ja erzählt, wie in BerlinJournalisten Beamte füttern, inMainz machen wir auch das an<strong>der</strong>s,und ein letzter Nachschlag:In Amsterdam auf einem Medienkongresswurde zuletzt die Deviseausgegeben, schere Dich nicht umsPublikum, sei einfach Medium.Ein Motto fürs nächste Jahr, diesmalwar es <strong>der</strong> Spruch, <strong>im</strong> Seichtenkann man nicht ertrinken, aber ichhoffe, Sie haben den Eindruck, ichkann durchaus ein Wässerchentrüben.178


ReferentInnen und Mo<strong>der</strong>atorInnendes 5. Mainer Medien-DisputsKurt BeckMinisterpräsidentLuzia BraunZDF aspekteNikolaus Bren<strong>der</strong>ZDF ChefredakteurMatthias BrodowyKabarettistDr. Michel FriedmanHR – Vorsicht Friedman!Bettina Gausdie tageszeitung - tazConny HermannZDF Mona LisaDr. Uwe Jens Heuser<strong>Die</strong> ZeitProf. Dr. Walter HömbergKatholische Universität EichstättMichael JungblutZDF WISOUlrich KienzleZDF Frontal179


Hans-Helmut KohlChefredakteur - Frankfurter RundschauThomas KröterFrankfurter RundschauHans LeyendeckerSüddeutsche ZeitungJochen MarkettVolontärProf. Dr. Miriam MeckelUniversität MünsterDr. Christoph O. MeyerJournalistConny NeumannDer SpiegelUli RöhmZDF-WISOKlaus RüterStaatskanzleiWalter SchumacherStaatskanzleiProf. Dr. Helmut ThomaMedienberaterKlaus WirtgenJournalist180


Projektgruppe des 5. Mainzer Medien-Disput am 9.11.2000Dr. Volker BahlDGB Rheinland-PfalzIris BauerStaatskanzleiDr. Thomas LeifSWRRolf MantowskiFESUli RöhmZDF-WISOBertold RungeSWRWalter SchuhmacherStaatskanzleiMitarbeiterinnenKathrin KrämerFESDiana UnkelhäußerFES181


New Journalism –vom Kulturgut zum WirtschaftsgutMainzer Medien-Disput 2001am <strong>Die</strong>nstag, 27. November 2001 in Mainz– Programmentwurf –10.00 Begrüssung und Einführung durch Klaus Rüter,Chef <strong>der</strong> Staatskanzlei Rheinland-Pfalz10.15 Peter Merseburger (Publizist, Ex-Panorama-Chef) – angefragtMedien-Wandel und Demokratie-Entwicklung11.00 Auftakt:Prof. Dr. Volker Wolff, Journalistisches Seminar MainzWirtschaftsjournalismus zwischen Kunden, Kohle und Kumpaneianschl. DiskussionAdolf Theobald (Grün<strong>der</strong> Capital) – angefragtJens Eckhardt (Leiter <strong>der</strong> Georg von Holtzbrinck-Schule für Wirtschaftsjournalismus)– angefragtWolfgang Kaden (Chefredakteur Manager Magazin)Dr. Rainer Hank (FAZ-Sonntagszeitung)Ursula Weidenfeld (Der Tagesspiegel)Mo<strong>der</strong>ation: Prof. Dr. Stephan Rusz-Mohl (FU Berlin)12.30 Mittagspause / Buffet14.00 Medienpolitik – am Publikum vorbei?Über die Herausfor<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> MediendemokratieAuftakt: Kurt Beck, Ministerpräsident Rheinland-PfalzAnschl. DiskussionMichael Jürgs (Journalist, Hamburg)Prof. Thomas Schadt (Film-Autor, Berlin)182


Manfred Helmes (Direktor <strong>der</strong> Landeszentrale für privaten RundfunkRheinland-Pfalz)Pascal Krian (Arthur D. Little)Mo<strong>der</strong>ation: Arno Luik (Stern, Autor)15.30 Online-Journalismus zwischen traffic und contentAuftakt: Prof. Hans J. Kleinsteuber (Institut für politische Wissenschaftund Journalistik Hamburg) – angefragtanschl. DiskussionKirsten Haake (Financial T<strong>im</strong>es Deutschland, Online Chefredakteurin)Philipp J. Fleischmann (Verlagsgruppe Handelsblatt)Matthias Müller von Blumencron (Spiegel-Online, Chefredakteur)Kai Stepp (Focus-Money, Chefredakteur) – angefragtMo<strong>der</strong>ation: Hans-Jürgen Jakobs (Süddeutsche Zeitung, Leiter <strong>der</strong>Medienredaktion)17.00 Kaffee17.15 Ethik war gestern ...Über journalistische Werte gestern und heuteMichael H. Spreng (Medien- und Kommunikationsberater, Hamburg)Ilka Brecht (Redakteurin, Panorama – NDR)Klaus Harpprecht (<strong>Die</strong> Zeit)Benjamin v. Stuckart-Barre (Autor, Hamburg)Christina Läsker (Bertelsmann-<strong>Stiftung</strong>)Herlinde Kölbl (Photographin/Filmautorin, München) – angefragtWolfgang Menge (Regisseur, Berlin) – angefragtMo<strong>der</strong>ation: Maybritt Illner (Mo<strong>der</strong>atorin Berlin Mitte) – angefragt18.30 Empfang <strong>der</strong> Landesregierung Rheinland-PfalzAnsprache: Klaus Rüter (Chef <strong>der</strong> Staatskanzlei Rheinland-Pfalz)183


Herausgegeben von <strong>der</strong> <strong>Friedrich</strong>-<strong>Ebert</strong>-<strong>Stiftung</strong> in Zusammenarbeit mit<strong>der</strong> Projektgruppe „Mainzer Medien-Disput“:Stephan Engelfried (verdi), Christina Glietsch, Dr. Thomas Leif (SWR),Klaus Lotz (Staatskanzlei), Rolf Mantowski (<strong>Friedrich</strong>-<strong>Ebert</strong>-<strong>Stiftung</strong>),Uli Röhm (ZDF), Bertold Runge (SWR)Redaktion: Dr. Thomas Leif, Bertold Runge, Ingmar CarioFotos: Diana UnkelhäußerKarikaturen: Gerhard Mester, WiesbadenTitel: Stefan Wolf, nina faber design, WiesbadenGesamtherstellung: mops, MainzISBN 3-89892-014-3184

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