Broschüre Arzthaftung/Schweigepflicht - Sächsische ...
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Die zivilrechtliche Haftung des Arztes<br />
Die ärztliche <strong>Schweigepflicht</strong>
Impressum<br />
Herausgeber<br />
<strong>Sächsische</strong> Landesärztekammer<br />
Schützenhöhe 16<br />
01099 Dresden<br />
www.slaek.de<br />
Redaktion<br />
Knut Köhler M.A.<br />
Umschlaggestaltung<br />
form&grafik<br />
Hans Wiesenhütter<br />
Satz und Druck<br />
Druckhaus Dresden<br />
© <strong>Sächsische</strong> Landesärztekammer. Alle Rechte vorbehalten!<br />
Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Herausgebers.<br />
1. Auflage – Dresden 2005
Die zivilrechtliche Haftung des Arztes<br />
Die ärztliche <strong>Schweigepflicht</strong><br />
Dr. med. Michael Kirsch, RA Dr. jur. Jürgen Trilsch<br />
Dresden 2005
Inhalt<br />
Vorwort ........................................................................................................... 4<br />
Die zivilrechtliche Haftung des Arztes ......................................................... 5<br />
Vorbemerkung ............................................................................................... 5<br />
1.Ärztliche Behandlung = Körperverletzung? ....................................... 6<br />
2.Zivilrechtliche Haftungsgrundlagen .................................................... 6<br />
2.1. Vertragliche Haftungsgrundsätze ............................................................. 7<br />
2.2. Deliktische Haftungsgrundsätze .............................................................. 10<br />
2.3. Der Behandlungsfehler ............................................................................ 11<br />
2.4. Der Aufklärungsfehler ............................................................................. 16<br />
2.5. Die ärztliche Dokumentation ................................................................... 21<br />
2.6. Kausalität und Beweisfragen ................................................................... 23<br />
2.7. Richtlinien/Leitlinien ............................................................................... 30<br />
2.8. Haftungsumfang ...................................................................................... 30<br />
3.Einzelfragen ............................................................................................ 32<br />
3.1. Horizontale/vertikale Arbeitsteilung ........................................................ 32<br />
3.2. Belegarztvertrag ....................................................................................... 35<br />
3.3. Die kosmetische Behandlung ................................................................... 36<br />
3.4. Haftungsfragen bei Patienten mit psychischen Erkrankungen ................ 36<br />
3.5. Urlaubsvertretung; Gemeinschaftspraxis ................................................. 37<br />
3.6. Die Berufshaftpflichtversicherung ........................................................... 38<br />
3.7. Umgang mit dem unzufriedenen Patienten bzw. mit dem Rechtsanwalt<br />
des Patienten ............................................................................................ 40<br />
3.8. Das Schlichtungsverfahren bei der <strong>Sächsische</strong>n Landesärztekammer<br />
bzw. das gerichtliche Verfahren einschließlich<br />
selbstständiges Beweisverfahren. ............................................................. 41<br />
4.Zusammenfassung ................................................................................. 42
Die ärztliche <strong>Schweigepflicht</strong> ........................................................................ 48<br />
1.Allgemeines zur ärztlichen <strong>Schweigepflicht</strong> ........................................ 48<br />
2.Rechtsgrundlagen der ärztlichen <strong>Schweigepflicht</strong> .............................. 48<br />
3.Die Strafvorschrift des § 203 StGB ...................................................... 49<br />
4.<strong>Schweigepflicht</strong> und die ärztliche Berufsordnung .............................. 55<br />
5.<strong>Schweigepflicht</strong> und Zivilrecht ............................................................. 56<br />
6.<strong>Schweigepflicht</strong> und Datenschutz ......................................................... 57<br />
7.<strong>Schweigepflicht</strong> und Zeugnisverweigerungsrecht ............................... 59<br />
8.Einzelfragen ............................................................................................ 60<br />
8.1. <strong>Schweigepflicht</strong> des ärztlichen Gutachters .............................................. 60<br />
8.2. <strong>Schweigepflicht</strong> bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen ..... 61<br />
8.3. <strong>Schweigepflicht</strong> des psychiatrisch tätigen Arztes .................................... 62<br />
8.4. <strong>Schweigepflicht</strong> und elektronische Datenträger ...................................... 62<br />
8.5. <strong>Schweigepflicht</strong> und Informationsanspruch des Patienten ...................... 63<br />
8.6. Postmortale <strong>Schweigepflicht</strong> ................................................................... 64<br />
8.7. <strong>Schweigepflicht</strong> und Praxisveräußerung .................................................. 65<br />
8.8. <strong>Schweigepflicht</strong> gegenüber der GKV und PKV<br />
sowie gewerbliche Verrechnungsstellen ................................................... 65<br />
8.9. <strong>Schweigepflicht</strong> unter Ärzten .................................................................. 66<br />
9.Zusammenfassung ................................................................................. 66
Vorwort<br />
Das Dresdener Medizinrechtsforum wurde im Januar 2003 von Herrn Dr. med.<br />
Michael Kirsch, niedergelassener Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, und<br />
Herrn Dr. jur. Jürgen Trilsch, niedergelassener Rechtsanwalt, mit dem Tätigkeitsschwerpunkt<br />
Medizinrecht, gegründet. Seit dem ersten Quartal 2003 wurden von<br />
den beiden Verfassern dieses Heftes bisher zehn medizinrechtliche Fortbildungsveranstaltungen<br />
durchgeführt, die im Besonderen auf die Interessen der niedergelassenen<br />
Ärztinnen und Ärzte ausgerichtet waren. In diesem Heft sind zwei<br />
Schwerpunktthemen aus dieser Fortbildungsreihe Medizinrecht publiziert.<br />
Im Mittelpunkt ihrer Darstellungen sehen die beiden Autoren die Verantwortlichkeit<br />
des freiberuflichen Arztes im Dienst am kranken Menschen. Jeder Arzt<br />
wird heute täglich mit rechtlichen Fragen konfrontiert. Während die Konjunktur<br />
im <strong>Arzthaftung</strong>srecht fortdauert, das Material des Arztrechts und der zivilrechtlichen<br />
Haftung des Arztes weiter zunimmt und für Teilgebiete bereits umfangreiche<br />
Handbücher vorliegen, haben die beiden Autoren ihre Beiträge trotz<br />
Kurzfassungen umfassend und übersichtlich dargestellt.<br />
Die Rechtsgrundlagen der <strong>Schweigepflicht</strong> als Pflicht des Arztes, über alle ihm<br />
in beruflicher Eigenschaft bekannt gewordenen Tatsachen und Umstände Stillschweigen<br />
zu bewahren, sind das Grundrecht des Patienten auf Achtung der<br />
Intimsphäre. Grundsätzlich besteht eine ärztliche <strong>Schweigepflicht</strong> gegenüber<br />
jedermann. Dies gilt auch über den Tod des Patienten hinaus.<br />
Der Mensch, der sich in ärztliche Behandlung begibt, muss und darf erwarten,<br />
dass alles was der Arzt im Rahmen seiner Berufsausübung erfährt, geheim<br />
bleibt und nicht zur Kenntnis Unbefugter gelangt. Nur so kann zwischen Arzt<br />
und Patient jenes Vertrauen entstehen, das zu den Grundvoraussetzungen ärztlichen<br />
Wirkens zählt.<br />
Das Autorenteam aus den Bereichen Arztrecht und Medizin hat wichtige juristische<br />
Definitionen unter Verwendung der korrekten juristischen Terminologie<br />
komplex und vor allem für Nichtjuristen verständlich dargestellt. Die beiden<br />
Beiträge liefern Anregungen für die Rechtsanwendung und für die Rechtsfortbildung<br />
und können zur Klarheit im ärztlichen Alltag beitragen. Entscheidungen<br />
und aktuelle Rechtsprechungen verdeutlichen die Darstellung medizinischer<br />
Rechtsfragen. Durch die genaue Gliederung eignet sich dieses Heft auch bestens<br />
als Nachschlagewerk in der Praxis.<br />
Prof. Dr. med. habil. Winfried Klug<br />
Vorsitzender des Redaktionskollegiums „Ärzteblatt Sachsen“
Die zivilrechtliche Haftung des Arztes<br />
Dr. med. Michael Kirsch, RA Dr. jur. Jürgen Trilsch<br />
Vorbemerkung<br />
Die veröffentlichte Literatur und die Rechtsprechung zum Thema <strong>Arzthaftung</strong><br />
sind sehr umfangreich. Hier sollen nur die wesentlichen Grundzüge mit Blick<br />
auf die jüngere Rechtsprechung insbesondere des Bundesgerichtshofes vorgestellt<br />
werden, wobei auch auf Entscheidungen von Oberlandesgerichten, insbesondere<br />
des OLG Dresden, eingegangen werden soll.<br />
Am 01.01.2002 trat das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz in Kraft, welches<br />
auch Neuerungen – beispielsweise im Verjährungsrecht – für die hier zu erörternde<br />
Materie enthält. Das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz novelliert das Bürgerliche<br />
Gesetzbuch (BGB). Durch ein weiteres Reformgesetz, welches am 01.08.2002<br />
in Kraft getreten ist, traten Änderungen ein, die sich ebenso auf das Recht der<br />
<strong>Arzthaftung</strong> auswirken. Es handelt sich dabei um das Zweite Schadensrechtsänderungsgesetz.<br />
Auch dieses Gesetz novelliert das Bürgerliche Gesetzbuch. Die<br />
Änderungen betreffen insbesondere Regelungen zum Schmerzensgeld.<br />
Schließlich darf auf folgendes verwiesen werden. In der Bundesrepublik existiert<br />
keine spezialgesetzliche Regelung für die zivilrechtliche <strong>Arzthaftung</strong>.<br />
Neben den allgemeinen Haftungsgrundsätzen des BGB ist zu berücksichtigen,<br />
dass die Kernfragen der <strong>Arzthaftung</strong> durch die Gerichte geklärt wurden. Hierzu<br />
gehört sowohl die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte als auch und insbesondere<br />
die Rechtsprechung des für <strong>Arzthaftung</strong>ssachen zuständigen VI. Zivilsenates<br />
beim Bundesgerichtshof. Auf wichtige Entscheidungen des Bundesgerichtshofes<br />
wird näher eingegangen.<br />
Zuallerletzt wird noch darauf hingewiesen, dass Gegenstand der folgenden<br />
Ausführungen die zivilrechtliche Haftung, nicht die strafrechtliche Haftung des<br />
Arztes ist. Die zivilrechtliche Haftung des Arztes spielt in der täglichen Rechtspraxis<br />
die dominierende Rolle gegenüber Ermittlungs- und Strafverfahren, die<br />
sich mit der ärztlichen Behandlung befassen.
1.Ärztliche Behandlung = Körperverletzung?<br />
Jeder Eingriff in die körperliche oder gesundheitliche Befindlichkeit des Patienten<br />
– unabhängig davon, ob er behandlungsfehlerhaft oder behandlungsfehlerfrei<br />
ist – stellt dann eine Verletzung des medizinischen Behandlungsvertrages<br />
und eine rechtswidrige Körperverletzung dar, wenn er nicht durch die<br />
wirksame Einwilligung des Patienten gerechtfertigt ist (1).<br />
Dieser Ansatz spielt eine erhebliche Rolle für die noch zu erörternde Aufklärungspflicht<br />
des Arztes. Es wird hier an den deliktischen Tatbestand des<br />
§ 823 BGB angeknüpft. Der rechtliche Ansatzpunkt ist dort die Körper- oder<br />
Gesundheitsverletzung. Es handelt sich dabei um einen juristisch-technischen<br />
Anknüpfungspunkt. Keinesfalls soll damit die ärztliche Therapie als solche<br />
abgewertet werden (2).<br />
Dessen ungeachtet beruht der Ansatz Heileingriff = Körperverletzung und<br />
damit Straftat auf einem verfehlten Leitbild, welches einer Korrektur bedarf.<br />
Eine solche rechtspolitisch wünschenswerte Korrektur ist jedoch nicht in Sicht.<br />
2.Zivilrechtliche Haftungsgrundlagen<br />
Die vertragliche Haftung steht gegenüber der deliktischen Haftung im Vordergrund.<br />
Die deliktische Haftung dient insbesondere dazu, die Zahl der Haftungsschuldner<br />
zu erweitern, sofern das nötig ist (3). Im Übrigen sind für die medizinische<br />
Heilbehandlung vertraglicher und deliktischer Schutz als prinzipiell<br />
identisch anzusehen.<br />
Der geborene Haftungsschuldner ist der (niedergelassene) Arzt, der mit dem<br />
Patienten einen medizinischen Behandlungsvertrag abgeschlossen hat. Der<br />
Anwalt des Patienten würde einen anwaltlichen „Kunstfehler“ begehen und sich<br />
selbst gegebenenfalls der Haftung aussetzen, würde er nicht zunächst die vertraglichen<br />
Haftungsgrundlagen abklären.<br />
Die Behandlungsbeziehung zwischen Arzt und Patient basiert sowohl auf vertraglicher<br />
als auch auf deliktischer Grundlage. Beide Ordnungen bestehen nebeneinander,<br />
keine schließt die andere aus (4). Die Vertragsbeziehung basiert auf dem<br />
medizinischen Behandlungsvertrag. Der medizinische Behandlungsvertrag ist ein<br />
Vertrag eigener Art. Er ist nicht gesondert im BGB geregelt. Ein medizinischer<br />
Behandlungsvertrag wird auch mit dem Kassenpatienten abgeschlossen.<br />
Die deliktische Haftungsordnung basiert darauf, dass die fehlerhafte ärztliche<br />
Behandlung eine so genannte unerlaubte Handlung darstellt. Der Arzt kann also<br />
6
auch dann haftungsrechtlich herangezogen werden, wenn er gar keinen Behandlungsvertrag<br />
mit dem Patienten abgeschlossen hat. Der beim niedergelassenen<br />
Arzt angestellte Arzt kann beispielsweise für eigene Behandlungsfehler haftungsrechtlich<br />
durchaus herangezogen werden – und zwar deliktisch, nicht<br />
jedoch vertraglich. Vertraglich ist ausschließlich der niedergelassene Arzt Haftungsschuldner,<br />
auch wenn er die medizinische Behandlung selbst gar nicht<br />
vorgenommen hat.<br />
Die deliktische Haftung betrifft auch den im Krankenhaus angestellten Arzt.<br />
Vertraglich richtet der Patient von Ausnahmen abgesehen (zum Beispiel Belegarzttätigkeit)<br />
seine Ansprüche gegen den Träger des Krankenhauses.<br />
2.1. Vertragliche Haftungsgrundsätze<br />
Grundlage der vertraglichen Haftung ist der bereits erwähnte medizinische Behandlungsvertrag,<br />
der fast ausnahmslos als Dienstvertrag qualifiziert wird. Ein<br />
solcher Behandlungsvertrag kommt bereits dann zustande, wenn sich der Patient<br />
in die Praxis des niedergelassenen Arztes oder in eine Klinik begibt. In der<br />
Klinik ist – von Ausnahmen abgesehen – nicht der angestellte Arzt der Vertragspartner<br />
des Patienten, sondern der Träger der Klinik.<br />
Der Vertragstyp Dienstvertrag wird in Abgrenzung zu dem so genannten Werkvertrag<br />
verwendet. Ein klassischer Werkvertrag ist beispielsweise der Vertrag<br />
über die Reparatur eines Fahrzeuges. Dort haftet der Handwerker verschuldensunabhängig<br />
für den Erfolg der Reparatur, also dafür, dass das zu reparierende<br />
Fahrzeug anschließend wieder fährt. Keineswegs soll hier die Tätigkeit des Arztes<br />
mit der einer „Reparatur“ verglichen werden. Es geht hier nur um das juristische<br />
Verständnis, um die Abgrenzung zum Werkvertrag. Der Arzt steht<br />
nämlich nicht für den Behandlungs- oder Heilerfolg ein. Er schuldet eine<br />
Dienstleistung basierend auf dem medizinischen Standard.<br />
Für die Vertragshaftung sind gem. § 280 Abs. 1 BGB folgende Tatbestandsvoraussetzungen<br />
erforderlich:<br />
a) Pflichtverletzung<br />
Bei der <strong>Arzthaftung</strong> fällt die Definition der Pflichtverletzung schwerer als in<br />
anderen Haftungsbereichen. Zum größten Teil wird man die Pflichtverletzung<br />
darin sehen, dass dem Arzt eine Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt<br />
vorgehalten wird. Genau damit überschneidet sich die Pflichtverletzung<br />
7
jedoch mit einer Verschuldensform, und zwar der Fahrlässigkeit (§ 276 Abs. 2<br />
BGB). Auf keinen Fall wird man dem Arzt die Nichtheilung des Patienten als<br />
Pflichtverletzung vorwerfen können.<br />
Geiß/Greiner haben folgende Vertragspflichten genannt (5):<br />
Vertragliche Hauptpflichten:<br />
– ärztliche Behandlung in Diagnose und Therapie nach dem anerkannten und<br />
gesicherten Stand der medizinischen Wissenschaft im Zeitpunkt der Behandlung;<br />
– Behandlungs- und Risikoaufklärung des Patienten; Sicherstellung seiner Einwilligung<br />
in die Behandlung;<br />
– sachgerechte Organisation des Behandlungsablaufs.<br />
Vertragliche Nebenpflichten:<br />
– Pflicht zur ärztlichen Dokumentation;<br />
– Pflicht zur Gewährung der Einsicht in die Krankenunterlagen;<br />
– Pflicht zur Auskunft (auf Anforderung) über Befund, Prognose und äußeren<br />
Behandlungsablauf;<br />
– Pflicht zur Berücksichtigung finanzieller Belange des Patienten.<br />
b) Rechtswidrigkeit<br />
Anders als bei der deliktischen Haftung ist die Rechtswidrigkeit im oben genannten<br />
§ 280 Abs. 1 BGB nicht erwähnt. Rechtswidrig ist ein Verhalten, das<br />
im Widerspruch zur Rechtsordnung steht. Da es kein Verschulden ohne Rechtswidrigkeit<br />
gibt, ist diese auch Wesensmerkmal der Vertragshaftung. Durch die<br />
unter a) erläuterte Pflichtwidrigkeit wird die Rechtswidrigkeit vermutet bzw. ist<br />
die Rechtswidrigkeit sogar in der Pflichtverletzung enthalten.<br />
c) Verschulden<br />
Für das Verschulden genügt Fahrlässigkeit. Praktisch spielt nur diese Schuldform<br />
im Haftungsrecht eine Rolle, Vorsatz hingegen so gut wie gar nicht.<br />
Die Zurechnung der schuldhaften Pflichtverletzung bildet die Haftungsschwelle.<br />
Nicht der schlechte Ausgang einer Behandlung wird zum Haftungsgrund, sondern<br />
das Abweichen vom Standard der medizinischen Wissenschaft. Es kommt<br />
darauf an, ob der Arzt so gehandelt hat, wie es in seinem Berufskreis erwartet<br />
wird (6).<br />
Solange der Arzt sich innerhalb des Standards bewegt – es handelt sich nicht<br />
um einen juristischen, sondern einen medizinischen Maßstab – verletzt er keine<br />
Pflicht bzw. trifft den Arzt kein Verschulden. Die Sorgfalt, die vom Arzt erwar-<br />
8
tet wird, ist normativ und objektiv-typisierend. Individuelle Unkenntnisse oder<br />
Schwächen des betroffenen Arztes entschuldigen nicht.<br />
Es ist sicherlich leicht einsehbar, dass die geforderte Sorgfalt einerseits und vertragsärztliche<br />
Zwänge andererseits (zum Beispiel Wirtschaftlichkeitsgebot) in<br />
Konflikt geraten können. Wirtschaftliche Vorgaben des Vertragsarztrechts müssen<br />
jedoch im Haftungsrecht berücksichtigt werden, denn ansonsten ist ärztliche<br />
Tätigkeit mit einem Risiko behaftet, das überhaupt nicht mehr beherrschbar ist,<br />
sondern zur Glückssache wird. Das Auseinanderdriften von Zivilrecht (Haftungsrecht)<br />
einerseits und dem Vertragsarztrecht andererseits wird in der Literatur<br />
zunehmend kritisiert (7).<br />
d) Schaden, Kausalität und Zurechnung<br />
Als Schadenersatz kann ein materieller Anspruch in Frage kommen, aber auch<br />
das immaterielle Schmerzensgeld. Früher gab es das Schmerzensgeld nur auf<br />
deliktischer Grundlage. Das 2. Schadensrechtsänderungsgesetz hat einen neuen<br />
§ 253 Abs. 2 BGB geschaffen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen steht dem Patienten<br />
nunmehr auch dann ein Schmerzensgeldanspruch zu, wenn er Ansprüche<br />
ausschließlich auf vertraglicher Grundlage geltend macht, sich also ausschließlich<br />
auf Ansprüche aus dem medizinischen Behandlungsvertrag stützt.<br />
Selbstverständlich gehört zur Haftung das Bindeglied zwischen Pflichtverletzung<br />
und Schaden – die Kausalität und die Zurechnung des Schadens zur ärztlichen<br />
Pflichtverletzung.<br />
Die haftungsrechtliche Verantwortung eines erstbehandelnden Arztes für etwaige<br />
Behandlungsfehler wird durch etwaige Behandlungsfehler nachbehandelnder<br />
Ärzte nicht aufgehoben. Der vorbehandelnde Arzt ist mithin haftungsrechtlich<br />
auch für die Behandlungsfehler des Nachbehandlers verantwortlich (8).<br />
Der Zurechnungszusammenhang entfällt nur dann, sofern die Nachbehandlung<br />
einer Krankheit oder Komplikation in keinem inneren Zusammenhang mit therapeutischen<br />
oder diagnostischen Maßnahmen des Erstbehandlers steht (8a).<br />
Zusammengefasst gilt folgendes:<br />
Die Vertragshaftung des Arztes knüpft an das Rechtsinstitut der so genannten<br />
schuldhaften Schlechterfüllung. Es geht also stets um die Frage, ob eine schuldhafte<br />
Verletzung des medizinischen Behandlungsvertrages vorliegt oder nicht.<br />
Auch bei der Behandlung unter ärztlichen Kollegen ist vom Abschluss eines<br />
medizinischen Behandlungsvertrages auszugehen. Das gilt selbst dann, wenn<br />
keinerlei Abrechnung erfolgt. Der Bundesgerichtshof hält einen vertraglichen<br />
Anspruch aus Vertragsverletzung auch in diesem Falle für möglich (9).<br />
9
Es besteht nur in sehr eingeschränktem Umfang die Möglichkeit, das Vertragsverhältnis<br />
zwischen Arzt und Patient durch gesonderte Regelungen individuell<br />
auszugestalten. Der Gestaltungsfreiheit sind durch die §§ 134, 138 BGB Grenzen<br />
gesetzt. Gesetzwidrige oder sittenwidrige Abreden sind dem Arzt untersagt.<br />
So sind Haftungsbegrenzungsabreden ohne tragenden Grund sittenwidrig. Gleiches<br />
gilt für Eingriffe, die keinem medizinischen Zweck dienen (10). Anders<br />
kann die Sachlage gegebenenfalls bei plastischen Operationen sein, die kosmetischen<br />
Zwecken dienen.<br />
In seltenen Einzelfällen kann ein Haftungsverzicht bei medizinisch nicht indizierten<br />
Maßnahmen wirksam sein, wenn der Patient über medizinische Vorkenntnisse<br />
verfügt und auf die Durchführung des Eingriffes, deren Folgen er<br />
allein tragen will, besteht (11). Das Urteil betraf die Fingeramputation bei<br />
einem Veterinärmediziner, der – wie sich herausstellte zu Unrecht – eine Gasbrandinfektion<br />
befürchtete. Es ist zu beachten, dass dieses Urteil keinesfalls zur<br />
Verallgemeinerung herangezogen werden kann. Hier bestand die besondere<br />
Situation, dass der Patient als Veterinärmediziner selbst über erhebliche medizinische<br />
Kenntnisse verfügte. Selbst dieses letzte Argument sollte jedoch mit<br />
Zurückhaltung betrachtet werden, denn bei einer Krankenschwester oder einem<br />
Tierarzt können nicht ohne weiteres die Kenntnisse eines Facharztes vorausgesetzt<br />
werden. (So beispielsweise das OLG Stuttgart (12), welches die Haftung<br />
eines Facharztes für Chirurgie bejahte, der von einer Tierärztin verklagt<br />
wurde.)<br />
Jeder Arzt tut gut daran, sich selbst einem nachhaltigen Begehren seines Patienten<br />
zu widersetzen, wenn dieser eine kontra indizierte Behandlung wünscht.<br />
Führt der Arzt auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten eine kontraindizierte<br />
Therapie durch, so haftet er allein. Der Arzt kann sich bei Eintritt eines dadurch<br />
bedingten Schadens insbesondere nicht auf ein Mitverschulden des Patienten<br />
stützen (13). Der Bundesgerichtshof hatte die Revision des beklagten Arztes<br />
durch Beschluss vom 18.09.2001 (14) nicht angenommen, so dass die hier dargestellte<br />
Rechtslage höchstrichterlich bestätigt ist.<br />
2.2. Deliktische Haftungsgrundlagen<br />
Mit der Übernahme der Behandlung erwachsen für den Arzt, aber auch für das<br />
nichtärztliche Personal gesetzliche Pflichten zum Schutz und zur Erhaltung der<br />
Gesundheit der Patienten. Gesetzliche Grundlage sind die Vorschriften über<br />
unerlaubte Handlungen, geregelt im BGB unter §§ 823 ff. BGB.<br />
10
Die Haftung basierend auf den §§ 823 ff. BGB ist Verschuldenshaftung. Das<br />
Verschulden ist hier Anspruchsvoraussetzung. Kann der Patient dem Arzt kein<br />
Verschulden nachweisen, verliert er den Schadenersatzprozess, wobei es gerade<br />
im <strong>Arzthaftung</strong>srecht viele Ausnahmen gibt, die durch die Rechtsprechung ausgeurteilt<br />
wurden.<br />
Es darf nochmals darauf hingewiesen werden, dass die Verletzung vertraglicher<br />
Pflichten basierend auf dem medizinischen Behandlungsvertrag regelmäßig<br />
auch mit einer Verletzung deliktischer Pflichten verknüpft ist. Der Patient kann<br />
seinen Anspruch also in vielen Fällen sowohl auf vertraglicher als auch auf<br />
deliktischer Grundlage geltend machen. Die vom niedergelassenen Arzt vorgenommene<br />
(fehlerhafte) Behandlung stellt mithin sowohl eine Vertragsverletzung<br />
als auch eine unerlaubte Handlung dar. Im Klinikbereich hingegen stehen<br />
zumindest beim totalen Krankenhausvertrag Ärzte und Pflegekräfte des Krankenhauses<br />
mit dem Patienten unmittelbar nur in deliktsrechtlicher Beziehung.<br />
Bis zum Inkrafttreten des Zweiten Schadensrechtsänderungsgesetzes am<br />
01.08.2002 konnten Schmerzensgeldansprüche ausschließlich auf deliktischer<br />
Grundlage geltend gemacht werden. Unter Ziff. 2 dieses Skriptes wurde das<br />
Verhältnis niedergelassener Arzt und angestellter Arzt kurz angerissen. Verursachte<br />
der Assistenzarzt (zum Beispiel Weiterbildungs- oder Entlastungsassistent)<br />
einen Gesundheitsschaden beim Patienten, so musste der Patient früher zwingend<br />
den Weiterbildungsassistenten in Anspruch nehmen, um Schmerzensgeldansprüche<br />
durchzusetzen. Durch die oben genannte Gesetzesnovellierung des BGB<br />
hat sich die Rechtslage geändert. Der Schmerzensgeldanspruch wird auch in<br />
Fällen der Vertragshaftung gewährt. Der Patient kann also auch Schmerzensgeldansprüche<br />
gegenüber dem niedergelassenen Arzt als Vertragspartner des<br />
Patienten geltend machen, der sich das Gehilfenverschulden des Assistenzarztes<br />
gemäß § 278 BGB zurechnen lassen muss. Das Gesetz nimmt also eine Haftungskonzentration<br />
zugunsten des Patienten vor.<br />
2.3. Der Behandlungsfehler<br />
Vorab darf bemerkt werden, dass die folgenden Ausführungen sowohl für die<br />
Vertrags- sowie Deliktshaftung des Arztes gültig sind.<br />
Der Arzt schuldet einen so genannten Soll-Standard. Qualitätsmängel, die sich<br />
gegenüber dem anerkannten und gesicherten Stand der ärztlichen Wissenschaft<br />
im Zeitpunkt der Behandlung ergeben, werden haftungsrechtlich sanktioniert.<br />
Der Sorgfaltsmaßstab ist objektiv-typisierend und nicht subjektiv individuell.<br />
11
Es kommt stets auf die im jeweiligen Fachgebiet des Arztes zu fordernde Sorgfalt<br />
an, und zwar stets zum Zeitpunkt der Behandlung. Der Sorgfaltsmaßstab<br />
orientiert sich an der Aufgabe, Qualitätsmängel gegenüber dem anerkannten<br />
und gesicherten Stand der ärztlichen Wissenschaft zum Zeitpunkt der Behandlung<br />
haftungsrechtlich zu sanktionieren (15).<br />
Der medizinische Soll-Standard wird von der medizinischen Wissenschaft vorgegeben.<br />
Die Feststellung obliegt im Streitfall dem durch einen medizinischen<br />
Sachverständigen beratenen Richter. Maßgeblich ist, ob der Arzt nach den von<br />
ihm zu fordernden medizinischen Kenntnissen und Erfahrungen im konkreten<br />
Fall diagnostisch und therapeutisch vertretbar und sorgfältig zu Werke gegangen<br />
ist oder nicht (16).<br />
Die Wahl der Therapie muss der Arzt grundsätzlich nach seinem ärztlichen Beurteilungsermessen<br />
treffen können. Mithin ist die Wahl der Behandlungsmethode<br />
primär Sache des Arztes. Dieser Grundsatz gilt allerdings nur für den Fall,<br />
dass gleichwertige Methoden zur Verfügung stehen und findet seine Grenze<br />
dort, wo keine vertretbare Alternative verbleibt. Bei der Wahl der Methode muss<br />
der Arzt zwar nicht immer den sichersten Weg beschreiten. Ein höheres Risiko<br />
muss jedoch in den besonderen Sachzwängen des konkreten Falls oder einer<br />
günstigeren Heilungsprognose seine sachliche Rechtfertigung finden (17).<br />
Der Arzt ist haftungsrechtlich nicht auf sein Fachgebiet festgelegt (Kurierfreiheit).<br />
Sofern er sich jedoch auf ein anderes Fachgebiet begibt, muss er dessen<br />
Standard gewährleisten (18).<br />
Der Bundesgerichtshof stellt an die Fortbildungspflicht des Arztes hohe Anforderungen.<br />
Insbesondere muss er die einschlägigen Fachzeitschriften auf seinem<br />
Fachgebiet regelmäßig lesen (19).<br />
Geiß/Greiner strukturieren die Behandlungsfehler in folgende Fehlertypen (20):<br />
a) Generalisierte Qualitätsmängel<br />
aa) Übernahmeverschulden<br />
Hierzu gehört zunächst das Übernahmeverschulden. Jeder Arzt ist verpflichtet,<br />
eine ärztliche Behandlung nur aufgrund hinreichender Fachkenntnisse vorzunehmen.<br />
Übernimmt der Arzt Behandlungsmaßnahmen, die außerhalb seines<br />
Fachgebietes liegen, so schuldet er den Standard der übernommenen Behandlung.<br />
Sofern die Zuziehung eines Konsiliararztes geboten ist oder die Überweisung<br />
zum Arzt eines speziellen Fachgebietes oder gegebenenfalls in ein Krankenhaus<br />
12
notwendig wird, begründet die Unterlassung dieser gebotenen Maßnahme die<br />
Haftung aus Behandlungsfehler (21).<br />
Darüber hinaus muss der Arzt die nach dem Stand der Wissenschaft erforderlichen<br />
technischen Hilfsmittel und Apparate bereithalten und sich mit deren<br />
Funktionsweise vertraut machen.<br />
ab) Organisations- und Koordinierungsverschulden<br />
Zur sachgerechten Organisation und Koordinierung der Behandlungsabläufe<br />
gehört die Gewährleistung<br />
– des hygienischen Standards,<br />
– des apparativen Standards,<br />
– des Standards der Medikamentenvorhaltung,<br />
– des Standards der Geräte- und Verrichtungssicherheit,<br />
– des personellen Ausstattungsstandards,<br />
– der Regelung der internen Ablauforganisation<br />
dergestalt, dass der Facharztstandard in jeder Behandlungsphase verfügbar ist.<br />
Das Landgericht München verurteilte einen niedergelassenen Arzt für den Eintritt<br />
einer Infektion (hier Streptokokken der Gruppe A) und deren Folgen, die<br />
auf die Verletzung von Hygienevorschriften zurückzuführen war. In der Praxis<br />
des niedergelassenen Arztes wurden am Morgen Injektionen „en bloc“ aufgezogen<br />
und dann ungekühlt gelagert und über den Tag hinweg den Patienten verabreicht.<br />
In den Anmerkungen zu diesem Urteil wird darauf hingewiesen, dass es<br />
für den Arzt bei Vorliegen eines Verstoßes gegen Hygienevorschriften fast unmöglich<br />
sei, sich zu entlasten (22).<br />
b) Konkrete Qualitätsmängel<br />
ba) Fehler bei Wahl der ärztlichen Diagnostik- oder Therapiemethode<br />
Die Wahl der richtigen Diagnostik- und Therapiemethode ist grundsätzlich<br />
Sache des behandelnden Arztes. Der Arzt hat mithin einen Beurteilungsspielraum.<br />
Die rechtliche Anerkennung der Therapiefreiheit bedeutet jedoch nicht,<br />
dass dem Arzt eine schrankenlose Therapiewahl möglich ist. Es gilt das Gebot<br />
des sichersten Weges und das Verbot der Risikoerhöhung (23). Dessen ungeachtet<br />
kann der Arzt nicht stets auf den jeweils sichersten therapeutischen Weg festgelegt<br />
werden, da das Patienteninteresse in erster Linie auf Befreiung von der<br />
Krankheit ausgerichtet ist, wobei ein höheres Risiko in den besonderen Sachzwängen<br />
des konkreten Falls oder in einer günstigeren Heilungsprognose eine<br />
sachliche Rechtfertigung finden muss (24).<br />
13
Eine in der zurückliegenden Zeit anerkannte Therapiemethode wird erst dann<br />
fehlerhaft, wenn sie durch gesicherte medizinische Erkenntnisse überholt ist<br />
und bedenklich erscheinen muss.<br />
bb) Diagnosefehler<br />
Ein Diagnosefehler wird in der Fehlinterpretation von erhobenen oder sonst<br />
vorliegenden Befunden angenommen. Die Rechtsprechung ist hier zurückhaltender<br />
als im Therapiebereich.<br />
Der Bundesgerichtshof hat stets betont, dass Diagnoseirrtümer nur mit Zurückhaltung<br />
als Behandlungsfehler gewertet werden können, wobei dieser Gesichtspunkt<br />
dann nicht greift, wenn Symptome vorliegen, die für eine bestimmte<br />
Erkrankung kennzeichnend sind, vom Arzt jedoch nicht ausreichend berücksichtigt<br />
wurden (25). Das OLG Zweibrücken hatte einen Behandlungsfehler<br />
bejaht, wo die Anzeichen einer Hirnhautentzündung als Grippe missdeutet worden<br />
sind (26).<br />
Der Arzt ist verpflichtet, den Patienten durch die Art und Weise der Diagnosemitteilung<br />
nicht in unnötige Ängste zu versetzen und ihn nicht unnötig zu<br />
belasten. Das OLG Bamberg verurteilte einen Arzt zur Zahlung eines Schmerzensgeldes<br />
in Höhe von 2.500 €. Der Arzt eröffnete dem Patienten die unzutreffende<br />
Diagnose „Hodenkrebs“, der darauf hin ca. 1 Monat in Todesangst<br />
lebte (27). Unter Bezugnahme auf die Entscheidungen von 3 anderen Oberlandesgerichten<br />
hat das OLG Bamberg darauf hingewiesen, dass für eine Haftung<br />
über den unzutreffenden Inhalt einer Diagnosemitteilung folgende 4 Voraussetzungen<br />
zusammentreffen müssen: Erstens ist die Diagnose objektiv falsch,<br />
zweitens besteht dafür keine hinreichende tatsächliche Grundlage, drittens lässt<br />
sie den Laien auf eine schwere, unter Umständen lebensbedrohliche Erkrankung<br />
schließen und viertens ist die Art und Weise der Mitteilung unter den<br />
gegebenen Umständen auch geeignet, den Patienten in psychischer Hinsicht<br />
schwer zu belasten, insbesondere bei ihm Überreaktionen auszulösen.<br />
bc) Nichterheben erforderlicher Diagnose- und Kontrollbefunde<br />
Die Rechtsprechung ist im Bereich der Nichterhebung erforderlicher Befunde<br />
als Grundlage für eine differenzierte Diagnostik und Therapie streng.<br />
Vom Arzt wird verlangt, dass er nicht nur die erhobenen Befunde bewertet, er<br />
hat in der Regel nach ersten Schlussfolgerungen weitere Befunde zu erheben,<br />
und zwar insbesondere dann, wenn die ersten Befunde oder die Anamnese den<br />
Verdacht auf das Vorliegen einer Krankheit ergeben. Den Verdacht hat der Arzt<br />
14
durch übliche Befunderhebungen weiter abzuklären, zu erhärten oder auszuräumen.<br />
Die Unterlassung der gebotenen Befunderhebung stellt regelmäßig einen<br />
Behandlungsfehler dar (28).<br />
bd) Fehler der konkreten Therapie<br />
Nicht nur das falsch behandeln, auch das Unterlassen anerkannter und gesicherter<br />
Standards ist fehlerhaft.<br />
Die Rechtsprechung zu Behandlungsfehlern in Bezug auf die konkrete Therapie<br />
ist sehr umfangreich. Es existieren mehrbändige, immer wieder aktualisierte<br />
Urteilssammlungen in den juristischen Bibliotheken, die sich mit Behandlungsfehlern<br />
der einzelnen Arztgruppen befassen.<br />
be) Nichterteilung der erforderlichen therapeutischen (Sicherungs-)Aufklärung<br />
Die therapeutische Sicherungsaufklärung kann sich mit der Selbstbestimmungsaufklärung<br />
überschneiden, ist mit ihr jedoch nicht identisch. Hier geht es<br />
um die notwendige Erteilung von Schutz- und Warnhinweisen zur Mitwirkung<br />
des Patienten an der Heilung sowie zur Vermeidung einer Selbstgefährdung.<br />
Zu beachten ist in diesem Zusammenhang ein Urteil des BGH vom 08.03.2003,<br />
Az: VI ZR 265/02 (29). Dort geht es um die Pflicht zur Überwachung sedierter<br />
Patienten bei ambulanter Behandlung. Der Arzt hatte den Patienten ausreichend<br />
darüber belehrt, dass dieser nach dem Eingriff kein Kraftfahrzeug führen dürfe.<br />
Nach einiger Wartezeit entfernte sich der Patient eigenmächtig und vorzeitig,<br />
um sich zur Heimfahrt ans Steuer seines Wagens zu begeben. Mit dem Wagen<br />
verunglückte er tödlich. Der Bundesgerichtshof verlangt eine ständige Beobachtung<br />
in einem Vorzimmer oder besonderen Wartezimmer.<br />
Zu diesem Komplex gehört auch die Notwendigkeit, dass der Arzt einen Patienten<br />
bei einem konkreten Tumorverdacht wieder einbestellt (30). Weigert<br />
sich ein Patient, Untersuchungen vornehmen zu lassen oder einer Krankenhauseinweisung<br />
zu folgen, dann entlastet dies den Arzt nur, wenn er den Patienten<br />
auf die Notwendigkeit und Dringlichkeit der Untersuchung hingewiesen<br />
hat (31).<br />
Die Nichtbeachtung der therapeutischen Sicherungsaufklärung stellt einen<br />
Behandlungsfehler dar. Sie ist nicht mit der Selbstbestimmungsaufklärung zu<br />
verwechseln.<br />
Am 16.11.2004 hat der Bundesgerichtshof unter dem Aktenzeichen IV ZR 328/03<br />
(32) eine Entscheidung verkündet, die sich wiederum mit der therapeutischen<br />
15
Sicherungsaufklärung (Warnhinweise) befasst. Folgender Sachverhalt liegt dieser<br />
wichtigen Entscheidung zugrunde:<br />
Am 06.01.2000 bemerkte der klagende Patient abends Lichtblitze in seinem<br />
linken Auge. Er begab sich daraufhin noch am selben Tag in den augenärztlichen<br />
Bereitschaftsdienst, den die beklagte Augenärztin wahrnahm. Die von<br />
der Ärztin durchgeführten Untersuchungen ergaben keinen auffälligen Befund.<br />
Ebenso wenig wurden pathologische Veränderungen bei der Untersuchung des<br />
Augenhintergrundes nach Erweiterung der Pupille festgestellt. Am 11.01.2000<br />
trat bei dem Patienten eine massive Netzhautablösung im linken Auge auf.<br />
Trotz zweier Operationen in der Universitätsklinik ist die Sehfähigkeit des<br />
klagenden Patienten beeinträchtigt. Der Bundesgerichtshof bejahte Schadenersatzansprüche.<br />
In seiner Entscheidung weist das Gericht unter anderem auf<br />
folgende Aspekte hin:<br />
Bei dem Patienten lag eine beginnende Glaskörperabhebung als Vorstufe einer<br />
Netzhautablösung nahe und die beklagte Ärztin hatte dies erkannt. Sie war<br />
infolge dessen verpflichtet, dem Patienten ihre Erkenntnisse sowie ihren Verdacht<br />
bekannt zu geben. Im Rahmen der ihr obliegenden therapeutischen Aufklärungspflicht<br />
hätte der Patient darauf hingewiesen werden müssen, dass er bei<br />
fortschreitenden Symptomen sofort einen Augenarzt einschaltet und im Übrigen<br />
den Befund alsbald überprüfen lässt. Darüber hinaus bestätigte der Bundesgerichtshof,<br />
dass dieser fehlende Hinweis einen groben Behandlungsfehler darstellt<br />
(vgl. dazu auch die Ausführungen unter Ziff. 2.6).<br />
bf) Koordinierungsfehler<br />
Hierzu gehört beispielsweise das Verhältnis überweisender (Haus-)Arzt zum<br />
Facharzt. So ist der überweisende Arzt bei der Übergabe der Behandlung an den<br />
weiterbehandelnden Arzt gehalten, in nicht einfach liegenden, eine besondere<br />
Überwachung erfordernden Fällen, dem nachbehandelnden Arzt neben dem<br />
Entlassungsbefund die sich für die Nachbehandlung ergebenden besonderen<br />
Konsequenzen durch einen Arztbrief mitzuteilen.<br />
2.4. Der Aufklärungsfehler<br />
Die Rechtsprechung zur Aufklärung geht auf eine strafrechtliche Entscheidung<br />
des Reichsgerichtes aus dem Jahre 1887 zurück (33). Damals stand ein Oberarzt<br />
unter Anklage wegen Körperverletzung. Der Arzt hatte bei einem siebenjährigen<br />
Kind eine Fußamputation vorgenommen, da eine tuberkulöse Ver-<br />
16
eiterung des Fußwurzelknochens vorlag. Der Vater hatte der Operation widersprochen.<br />
Das Reichsgericht sah in dem medizinisch indizierten Eingriff eine<br />
Körperverletzung, die nur durch die Einwilligung des sorgeberechtigten Vaters<br />
oder eines Pflegers hätte gerechtfertigt werden können.<br />
Die bereits in Ziff. 1 dargelegte Sach- und Rechtslage, wonach jeder Eingriff,<br />
sei er behandlungsfehlerhaft oder behandlungsfehlerfrei, als Verletzung des<br />
Behandlungsvertrages und rechtswidrige Körperverletzung zu werten, sofern<br />
keine auf einer Aufklärung basierende wirksame Einwilligung vorliegt, basiert<br />
auf dem verfassungsrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrecht des Patienten<br />
(Art. 2 Grundgesetz).<br />
Die Aufklärung ist nicht nur eine deliktische Pflicht des Arztes, die Durchführung<br />
der Aufklärung wird auch vertraglich geschuldet. Die Aufklärung geht<br />
der Einwilligung voraus und ist Voraussetzung für die Erteilung der Einwilligung.<br />
Die Selbstbestimmungsaufklärung zielt darauf ab, dem Patienten eine allgemeine<br />
Vorstellung von der Art und dem Schweregrad der in Betracht kommenden<br />
Behandlung, von den auf den Patienten zukommenden Belastungen und Risiken<br />
zu vermitteln (34).<br />
Grundsätzlich ist die Aufklärung und Einwilligung vor allen diagnostischen<br />
und therapeutischen Behandlungsmaßnahmen geboten.<br />
Die Einwilligung muss für mehrere an der Behandlung beteiligte Ärzte dann<br />
getrennt erfolgen, sofern sie selbständige Behandlungsschritte vornehmen zum<br />
Beispiel Chirurg/Operateur – Anästhesist oder Chirurg – Radiologe bei Kontrastmitteluntersuchung<br />
in Vorbereitung einer Operation (35).<br />
Aufklärungsarten und Umfang der Aufklärung:<br />
Das Oberlandesgericht Koblenz hat in einer Entscheidung aus dem Jahre 2001<br />
die unterschiedlichen Aufklärungsarten wie folgt strukturiert (36):<br />
a) Selbstbestimmungsaufklärung<br />
Die Selbstbestimmungsaufklärung schafft die Voraussetzungen für eine rechtfertigende<br />
Einwilligung. Der Patient muss im Großen und Ganzen erfahren,<br />
welche Krankheit vorliegt, welcher Eingriff geplant ist, wie dringlich er ist, wie<br />
er abläuft und welche Nebenwirkungen und Risiken damit verbunden sind. Die<br />
Aufklärung muss vorher erfolgen, unabhängig davon, ob es sich um diagnostische<br />
oder therapeutische Maßnahmen handelt.<br />
17
) Verlaufsaufklärung<br />
Die Verlaufsaufklärung erstreckt sich auf die Art, den Umfang und die Durchführung<br />
des Eingriffs. Der Patient muss wissen, was mit ihm geschehen soll<br />
und auf welche Weise der Eingriff vorgenommen wird. Dem Patient ist, sofern<br />
er nicht auf eine solche Erläuterung ausdrücklich verzichtet hat, der beabsichtigte<br />
Eingriff in einer seinem Verständnisvermögen angepassten Weise zu erläutern,<br />
dass er, wenn auch nur im Großen und Ganzen, weiß, worin er einwilligt.<br />
c) Risikoaufklärung<br />
Die Risikoaufklärung vermittelt dem Patienten Informationen über die Gefahren<br />
eines ärztlichen Eingriffs, nämlich über dauernde oder vorübergehende<br />
Nebenfolgen, die sich auch bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt, bei fehlerfreier<br />
Durchführung des Eingriffs nicht mit Gewissheit ausschließen lassen.<br />
Der Patient ist darüber hinaus mit Art und Schwere des Eingriffs vertraut zu<br />
machen, wobei es genügt, wenn dem Patienten ein allgemeines Bild von der<br />
Schwere und Richtung des konkreten Risikospektrums vermittelt wird. Sofern<br />
eine Behandlungsmethode noch nicht wissenschaftlich anerkannt ist, hat der<br />
Arzt darauf hinzuweisen, dass sich die Methode noch in der Erprobungsphase<br />
befindet und unbekannte Risiken nicht auszuschließen sind.<br />
Über Risiken, die mit der Eigenart des Eingriffs spezifisch verbunden sind, ist<br />
unabhängig von ihrer Komplikationshäufigkeit aufzuklären.<br />
Der Arzt muss den Patienten über Behandlungsalternativen aufklären, wenn die<br />
von ihm gewählte Methode und die Alternativmethode durch unterschiedliche<br />
Erfolgschancen einerseits sowie unterschiedliche Belastungen und Risiken<br />
andererseits gekennzeichnet sind und deshalb der Patient in die Entscheidungsfindung<br />
einzubeziehen ist (37).<br />
Das OLG Dresden hatte mit Urteil vom 23.10.2003 über die konservative Therapie<br />
einer distalen Unterschenkelfraktur rechts zu befinden (38). Der Patient<br />
rügte, dass über die Möglichkeit einer operativen Behandlung nicht aufgeklärt<br />
worden sei. Das Gericht ließ – sachverständig beraten – diese Aufklärungsrüge<br />
nicht gelten und wies darauf hin, dass die operative Behandlung keine echte<br />
Behandlungsalternative zur konservativen Behandlung gewesen sei. Ähnlich<br />
entschied das OLG Dresden mit Urteil vom 17.05.2001 (39). Dort war das<br />
Gericht mit der Frage befasst, ob ein Patient, dessen verletzter Finger nach<br />
einer operativen Versorgung mit der so genannten „Nahlappenmethode“ infektionsbedingt<br />
teilamputiert werden musste, vor dem Eingriff über die alternative<br />
Operationstechnik der „Fernlappenmethode“ hätte informiert werden müssen.<br />
18
Das OLG Dresden verneinte dies, da die Fernlappenmethode nach den Feststellungen<br />
des Gutachters zwar die „elegantere“, jedoch keine der Nahlappenplastik<br />
grundsätzlich überlegene Methode darstellt, wobei die Besonderheit hinzukam,<br />
dass eine Entscheidung für die Nahlappenmethode als alternative<br />
Operationstechnik erst intraoperativ möglich gewesen wäre.<br />
d) Aufklärung über die Dringlichkeit des Eingriffs<br />
Sofern eine Operation noch kurze Zeit hinausgeschoben werden kann, jedoch<br />
die Möglichkeiten einer konservativen Behandlung des Schmerzzustandes erschöpft<br />
sind, ist daraus kein ärztliches Aufklärungsversäumnis herzuleiten.<br />
Bei diagnostischen Eingriffen ohne therapeutischen Eigenwert gelten strengere<br />
Maßstäbe für die Aufklärung des Patienten über die mit der medizinischen<br />
Maßnahme verbundenen Gefahren, sofern der invasive Schritt nicht dringend<br />
oder sogar vital indiziert erscheint. Hier hat der Arzt dem Patienten selbst entfernt<br />
liegende Komplikationsmöglichkeiten in angemessener Weise mitzuteilen.<br />
e) Aufklärung über die Heilungschancen<br />
Das Kammergericht Berlin, welches den Status eines Oberlandesgerichtes hat,<br />
wies in einer Entscheidung vom 15.12.2003 darauf hin, dass eine Aufklärung<br />
des Patienten nicht nur über die Risiken zu erfolgen habe, sondern auch die<br />
Heilungschancen aufgezeigt werden müssten (40).<br />
Auch Gehrlein weist darauf hin, dass der Patient den Nutzen des Eingriffs und die<br />
Wahrscheinlichkeit seiner Realisierung erst dann einzuschätzen weiß, wenn er<br />
imstande ist, Nutzen und Risiken des Eingriffs gegeneinander abzuwägen (41).<br />
Sonstiges zur Aufklärung:<br />
Auch die vitale oder absolute Indikation entbinden den Arzt nicht von der Aufklärung.<br />
Ein so genanntes „therapeutisches Privileg“ steht dem Arzt nicht zur Verfügung.<br />
Eine Reduktion der Aufklärung ist nur in sehr wenigen Konstellationen<br />
denkbar. Das Aufklärungsgespräch sollte in rücksichtsvoller Art und Weise<br />
durchgeführt werden.<br />
Die Aufklärung ist vom Arzt durchzuführen, nicht von der Schwester oder Helferin.<br />
Die Aufklärung wird in einem persönlichen Arzt-Patientengespräch<br />
durchgeführt. Aufklärung und Einwilligung bedürfen nicht der Schriftform. Die<br />
Dokumentation der Aufklärung in den Patientenunterlagen muss jedoch dringend<br />
empfohlen werden.<br />
19
Aufklärungszeitpunkt<br />
Das Aufklärungsgespräch muss stets so früh geführt werden, dass das Selbstbestimmungsrecht<br />
des Patienten gewährleistet ist. Es wird empfohlen, das Aufklärungsgespräch<br />
schon bei der Vereinbarung eines Operationstermines vorzunehmen,<br />
sofern es sich nicht um einen Notfall handelt. Diese Empfehlung gilt<br />
auch für diagnostische Eingriffe (42).<br />
Regelmäßig ist eine Aufklärung am Vorabend der Operation zu spät. Lediglich<br />
bei einfachen Eingriffen mit geringem Risiko wird eine Aufklärung noch am<br />
Tag der Operation als ausreichend erachtet. Dem Patienten muss allerdings<br />
auch dann Zeit und Ruhe zur Verfügung gestellt werden, um eine eigenständige<br />
Entscheidung ohne psychischen Druck treffen zu können. Der Bundesgerichtshof<br />
hat dies in seiner jüngsten Entscheidung zu dieser Frage am 25.03.2003<br />
nochmals ausdrücklich bestätigt (43).<br />
Bewusstloser oder willensunfähiger Patient<br />
Hier gilt in Anlehnung an die Grundsätze der Geschäftsführung ohne Auftrag<br />
gemäß § 683 BGB Folgendes:<br />
Es ist zu prüfen, ob eine mutmaßliche Einwilligung des Patienten vorliegt, das<br />
heißt, ob die ärztliche Behandlung des Bewusstlosen in dessen objektiv verstandenem<br />
Interesse liegt und seinem wirklich geäußerten oder mutmaßlich anzunehmenden<br />
subjektiven Willen entspricht.<br />
Die mutmaßliche Einwilligung ist nur dann heranzuziehen, wenn der ärztliche<br />
Eingriff bzw. die notwendige ärztliche Behandlung unaufschiebbar erscheint.<br />
Andernfalls hat der Arzt abzuwarten, bis der Patient wieder das Bewusstsein<br />
erlangt hat oder es ist für eine vom Gericht zu berufende, gesetzliche Vertretung<br />
zu sorgen (44).<br />
Wirtschaftliche Aufklärung<br />
Fragen der wirtschaftlichen Aufklärung spielen durchaus eine Rolle. Sofern der<br />
Arzt weiß, dass eine bestimmte ärztliche Behandlung von der Gesetzlichen Krankenversicherung<br />
nicht oder nur unter bestimmten fraglichen vorliegenden Voraussetzungen<br />
getragen wird, ist er verpflichtet, den Patienten hierauf hinzuweisen (45).<br />
Bei der Anwendung alternativer Methoden ist der Arzt verpflichtet, den Patienten<br />
darauf hinzuweisen, dass diese auch vom privaten Krankenversicherer<br />
regelmäßig nicht ersetzt werden (46).<br />
Bietet der Arzt Krebspatienten im letzten Stadium der Krankheit eine kostenintensive<br />
Therapie an, deren Wirksamkeit wissenschaftlich nicht erwiesen ist und<br />
20
deren Kosten von der Gesetzlichen Krankenversicherung regelmäßig nicht übernommen<br />
werden, so ist er verpflichtet, den Patienten unmissverständlich darauf<br />
hinzuweisen, dass er die Therapie voraussichtlich selbst bezahlen muss. Der<br />
Patient ist darüber hinaus klar und eindeutig über die realistischen Chancen<br />
einer ins Auge gefassten Therapie aufzuklären (47).<br />
Zusammenfassung zur Aufklärungsfehlerhaftung<br />
Niemand wird heute die Notwendigkeit der Aufklärung des Patienten ernsthaft<br />
bestreiten.<br />
Jeder Arzt muss sich aus haftungsrechtlichen Gründen bemühen, den rechtlichen<br />
Anforderungen bestmöglich gerecht zu werden. Dessen ungeachtet stellt<br />
sich jedoch die Frage, ob die strengen Anforderungen der Rechtsprechung für<br />
den Arzt in dem juristisch geforderten Umfang wirklich in jedem Fall vollständig<br />
erfüllbar sind.<br />
Darüber hinaus stellt sich die Frage, wieviel Aufklärung der Patient verkraftet,<br />
wieviel er aufnehmen kann. Die Aufnahme sowie die Verarbeitung von Informationen<br />
erfordern Zeit und Aufklärung und wird oft nur als Prozess gelingen<br />
(48). Flipp und Aymanns weisen darauf hin, dass der Arzt berücksichtigen<br />
muss, wie viele Informationen der Patient – seinen individuellen Abwehr-versus<br />
Vigilanztendenzen entsprechend – verarbeiten kann, bevor er ihn über seine<br />
Erkrankung oder deren Behandlung informiert (49). In welchem Verhältnis stehen<br />
diese ärztlichen Forderungen zu der eindeutigen Rechtslage, wonach es kein<br />
„therapeutisches Privileg“ gibt? (50) Sind nicht zum Beispiel Fallgestaltungen<br />
denkbar, wo ein Aufklärungsgespräch stückweise gegebenenfalls erst zu einem<br />
späten Zeitpunkt – haftungsrechtlich möglicherweise zu spät mit der Folge der<br />
Haftung des Arztes – auch für den Patienten besser sein kann?<br />
Die oben genannten Fragen nützen dem Arzt als niedergelassenen Praktiker oder<br />
als Kliniker im Haftungsfall wenig, sie machen jedoch deutlich, dass auch im<br />
Bereich der Aufklärungsfehlerhaftung durchaus noch Gesprächs- und gegebenenfalls<br />
Handlungsbedarf zwischen Justiz und Medizin besteht, um eine für alle<br />
Beteiligten optimale Lösung anzustreben.<br />
2.5. Die ärztliche Dokumentation<br />
Die Dokumentationspflicht wird vom Arzt vertraglich und deliktisch geschuldet.<br />
Die Dokumentation zielt nicht in erster Linie auf juristische Beweissicherung<br />
ab. Sie dient dazu, eine sachgerechte medizinische Behandlung durch<br />
21
einen Ersatzarzt oder weiterbehandelnden Arzt zu gewährleisten, wobei eine<br />
Dokumentation, die medizinisch nicht erforderlich ist, auch aus Rechtsgründen<br />
nicht geboten sein kann (51).<br />
Trotzdem kommt man nicht umhin, der ärztlichen Dokumentation neben der<br />
Therapiesicherung auch die Aufgabe der Rechnungslegung und Beweissicherung<br />
zuordnen zu müssen.<br />
Zu dokumentieren sind<br />
– Anamnese,<br />
– Befunde,<br />
– Diagnostik und Therapie (einschließlich Diagnose-Kontrolluntersuchungen<br />
mit Befunden, Medikamentation, Operationsbericht, Narkoseprotokoll),<br />
– wichtigste Daten zum Therapieablauf (Standardverlauf, Abweichungen hiervon,<br />
im Eingriff angetroffene anatomische Abweichungen, Komplikationen,<br />
Wechsel des Operateurs, Behandlungsweigerung, Therapiehinweise, Sicherungsaufklärung<br />
zum Beispiel Fahruntüchtigkeit durch Nachwirkungen der<br />
Anästhesie, notwendige Wiedereinbestellungen zu Kontrolluntersuchungen).<br />
Grundsätzlich hat der Arzt in den Krankenunterlagen zu dokumentieren, wann<br />
und über welche Risiken aufgeklärt worden ist (52). Dabei ist stets zu beachten,<br />
dass der Arzt den Nachweis über die vollständige und zutreffende Aufklärung<br />
zu führen hat. Bei Zweifeln an einer dokumentationsgerechten Aufklärung muss<br />
der Arzt angehört bzw. als Partei vernommen werden. Allerdings kann auch,<br />
wenn nicht dokumentiert worden ist, dass ein Aufklärungsgespräch stattgefunden<br />
hat, der Nachweis auf andere Weise erfolgen, zum Beispiel durch Zeugenvernehmung<br />
der Schwester oder Helferin, anderer Ärzte etc.<br />
Die Aushändigung und Unterzeichnung von Merkblättern ersetzt nicht das erforderliche<br />
Aufklärungsgespräch. Ausschlaggebend ist stets das Gespräch zwischen<br />
Arzt und Patient. Die Existenz einer unterschriebenen Einwilligungserklärung ist<br />
nur ein Indiz dafür, dass überhaupt ein Aufklärungsgespräch stattgefunden hat (53).<br />
Die ärztliche Dokumentation ist auch eine Berufspflicht. Es wird verwiesen auf<br />
§ 10 der Berufsordnung der <strong>Sächsische</strong>n Landesärztekammer. Diese Bestimmung<br />
hat in gekürzter Fassung folgenden Wortlaut:<br />
„§ 10 Dokumentationspflicht<br />
(1) Der Arzt hat über die in Ausübung seines Berufes gemachten Feststellungen<br />
und getroffenen Maßnahmen die erforderlichen Aufzeichnungen zu fertigen.<br />
Diese sind nicht nur Gedächtnisstützen für den Arzt, sie dienen auch<br />
dem Interesse des Patienten an einer ordnungsgemäßen Dokumentation.<br />
22
(2) Der Arzt hat dem Patienten auf dessen Verlangen grundsätzlich in die ihn<br />
betreffenden Krankenunterlagen Einsicht zu gewähren; ausgenommen sind<br />
diejenigen Teile, welche subjektive Eindrücke oder Wahrnehmungen des<br />
Arztes enthalten. Auf Verlangen sind dem Patienten Kopien der Unterlagen<br />
gegen Erstattung der Kosten herauszugeben.<br />
(3) Ärztliche Aufzeichnungen sind für die Dauer von zehn Jahren nach Abschluss<br />
der Behandlung aufzubewahren, soweit nicht nach gesetzlichen Vorschriften<br />
eine längere Aufbewahrungspflicht besteht.<br />
(4) .....<br />
(5) Aufzeichnungen auf elektronischen Datenträgern oder anderen Speichermedien<br />
bedürfen besonderer Sicherungs- und Schutzmaßnahmen, um deren<br />
Veränderung, Vernichtung oder unrechtmäßige Verwendung zu verhindern.<br />
Der Arzt hat hierbei die Empfehlungen der Ärztekammer zu beachten.“<br />
Die in § 10 Abs. 2 Berufsordnung dargestellte Aufbewahrungspflicht ist eine<br />
Mindestfrist. Es ist zu berücksichtigen, dass auch nach dem neuen Verjährungsrecht<br />
die Höchstfrist für den Eintritt der Verjährung 30 Jahre beträgt. Zwar<br />
beläuft sich die Verjährungsfrist grundsätzlich auf 3 Jahre (so genannte Regelverjährung<br />
gem. § 195 BGB neue Fassung). Diese Frist beginnt jedoch erst mit<br />
dem Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (zum Beispiel Ende der<br />
Behandlung 30.06.2003, Verjährungsbeginn möglich ab 31.12.2003) und der<br />
Patient von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des<br />
Schädigers Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen.<br />
(Der oben genannte 31.12.2003 kommt also keinesfalls zwingend als Verjährungsbeginn<br />
in Betracht; erfährt der Patient erst Jahre später – zum Beispiel<br />
im Zuge einer Nachbehandlung – dass die Behandlung aus dem Jahre 2003 fehlerhaft<br />
war, so kann er noch nach Jahren Ansprüche geltend machen, ohne dass die<br />
Einrede der Verjährung greift). Eine vorzeitige Aktenvernichtung verletzt nicht<br />
nur das Recht des Patienten auf Einsicht in die Patientenunterlagen, es bringt<br />
auch im Falle eines Haftungsprozesses Nachteile mit sich, die sich insbesondere<br />
für die Behandlerseite ungünstig auswirken können.<br />
2.6. Kausalität und Beweisfragen<br />
Kausalitäts- und Beweisfragen im Bereich des Behandlungsfehlers:<br />
Der Arzt haftet nur dann aus Vertrag oder unerlaubter Handlung, wenn der bei<br />
dem Patienten eingetretene Schaden auf einem schuldhaften Behandlungsfehler<br />
23
eruht. Die Kausalität betrifft also die Frage der Verknüpfung zwischen Behandlungsfehler<br />
einerseits und Schaden des Patienten andererseits.<br />
Der Patient trägt die Beweislast für das Vorhandensein eines Behandlungsfehlers.<br />
Sofern die Behauptung des Patienten ungeklärt bleibt, ist der Behandlungsfehler<br />
zu Lasten des Patienten unbewiesen. Darüber hinaus trägt der Patient die<br />
Beweislast für ein Behandlungsverschulden. Im Kernbereich des ärztlichen<br />
Handelns findet die Verschuldungsvermutung keine Anwendung. Diese Auffassung<br />
wird auch nach der Schuldrechtsreform aus dem Jahre 2002 in der Literatur<br />
vertreten (54). Es existieren jedoch auch Auffassungen, die den Nachweis<br />
des Verschuldens nunmehr der Behandlerseite – also dem Arzt – auferlegen<br />
unter Bezugnahme auf den neu gefassten § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB (55). Diese<br />
für den Arzt ungünstige Beweissituation soll namentlich im Bereich der Vertragshaftung<br />
gelten (56).<br />
Unstrittig ist, dass im Bereich der so genannten vollbeherrschbaren Risiken die<br />
Behandlerseite die Beweislast für die Fehler- und Verschuldensfreiheit trägt.<br />
Hierzu gehören zum Beispiel Gerätesicherheit und Hygienegewähr (57).<br />
Auch für die Kausalität ist grundsätzlich der Patient beweisbelastet.<br />
Die Rechtsprechung hat für den Patienten verschiedene Beweiserleichterungsmöglichkeiten<br />
geschaffen. Einige dieser Beweiserleichterungen auf Behandlungsfehlerebene<br />
sollen hier vorgestellt werden:<br />
a) Dokumentationsmängel<br />
Dokumentationsmängel können zu Beweiserleichterungen zugunsten des Patienten<br />
führen. Sofern dokumentationspflichtige Geschehnisse des Behandlungsablaufes<br />
nicht festgehalten wurden folgt daraus ein Indiz, dass das, was<br />
nicht dokumentiert wurde, auch nicht durchgeführt wurde (58). Dem Arzt steht<br />
dessen ungeachtet der Beweis offen, dass die Behandlung durchgeführt wurde<br />
oder der Befund erhoben wurde.<br />
Der Arzt muss auch dafür sorgen, dass die erhobenen Befunde gesichert werden.<br />
So müssen beispielsweise Röntgenaufnahmen aufbewahrt werden.<br />
Der Arzt ist auch verpflichtet, die Ablehnung dringend indizierter Untersuchungsmaßnahmen<br />
seitens des Patienten in die ärztliche Dokumentation aufzunehmen.<br />
b) Anscheinsbeweis<br />
Zugunsten des Patienten können gegebenenfalls die Grundsätze des Anscheinsbeweises<br />
herangezogen werden. Hierbei geht es um die Frage, ob aus dem fest-<br />
24
gestellten Behandlungsfehler typischerweise auf das Vorliegen eines Verschuldens<br />
und/oder auf die ursächliche Zuordnung des Primärschadens geschlossen<br />
werden kann. Darüber hinaus kann sich die Frage stellen, ob ein festgestellter<br />
Primärschaden typischerweise nur durch einen schuldhaften Behandlungsfehler<br />
verursacht worden sein kann (59).<br />
Sofern die Grundsätze des Anscheinsbeweises heranzuziehen sind obliegt es<br />
dem Arzt, den Anschein zu erschüttern. Der Arzt muss einen Sachverhalt<br />
beweisen, der die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Verlaufes nahelegt.<br />
c) Grober Behandlungsfehler<br />
Zugunsten des Patienten besteht die Möglichkeit der Annahme von Beweiserleichterungen<br />
bis hin zu Beweislastumkehr hinsichtlich der Ursächlichkeit des<br />
Behandlungsfehlers, und zwar für den Fall der Feststellung eines groben Behandlungsfehlers.<br />
Ein Behandlungsfehler wird dann als grob angesehen, wenn ein medizinisches<br />
Fehlverhalten vorliegt, das aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich<br />
erscheint, da ein solcher Fehler dem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen<br />
darf (60).<br />
Es kommt hier keineswegs zwingend darauf an, dass dem Arzt grobe Fahrlässigkeit<br />
vorgeworfen werden muss. Entscheidend ist, ob das ärztliche Verhalten<br />
eindeutig gegen gesicherte medizinische Erkenntnisse und bewährte ärztliche<br />
Behandlungsregeln und Erfahrungen verstößt (61).<br />
Die Frage, ob ein Behandlungsfehler als grob eingestuft wird oder nicht hat oft<br />
auf den Prozessausgang ausschlaggebende Wirkung. Bei einer Umkehr der<br />
Beweislast zugunsten des Patienten gelingt dem Arzt der Gegenbeweis meist<br />
nicht, so dass er den Prozess aus beweisrechtlichen Gründen verliert. Ein jüngeres<br />
Urteil des Bundesgerichtshofes macht deutlich, dass die höchstrichterliche<br />
Rechtsprechung Präzisierungen vornimmt, um Tendenzen einer Herabsetzung<br />
der Schwelle für die Beweislastumkehr wegen eines groben Behandlungsfehlers<br />
entgegen zu wirken. Der BGH hat darauf hingewiesen, dass ein grober<br />
Behandlungsfehler nicht bereits bei zweifelsfreier Feststellung einer Verletzung<br />
des maßgeblichen ärztlichen Standards gegeben sei. Der grobe Behandlungsfehler<br />
setzt neben einem eindeutigen Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln<br />
oder gesicherte medizinische Erkenntnisse die Feststellung<br />
voraus, dass der Arzt einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht<br />
mehr verständlich erscheint, da er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen<br />
darf. Ferner weist der BGH darauf hin, dass es sich hier zwar um eine juristi-<br />
25
sche Bewertung handeln würde, die jedoch zwingend durch die vom medizinischen<br />
Sachverständigen mitgeteilten Fakten getragen werden muss (62).<br />
Schließlich ist auf das Urteil des BGH vom 27.04.2004 zu verweisen (63). Die<br />
Patientin erlitt bei einem Motorradunfall Rippenbrüche. Darüber hinaus waren<br />
der dritte Lendenwirbelkörper und das Schulterblatt gebrochen. Es wurde in der<br />
Klinik nicht bemerkt, dass sie darüber hinaus eine Beckenringfraktur mit einem<br />
Sakrumkompressionsbruch rechts davon getragen hatte. Der Bundesgerichtshof<br />
konnte seiner Entscheidung zugrunde legen, dass eine Abklärung der von der<br />
Patientin nach Beginn der Mobilisierung geäußerten Schmerzen durch eine<br />
Röntgenaufnahme hätte veranlasst werden müssen, dass ferner die Beckenringfraktur<br />
bei dieser Untersuchung erkannt worden wäre und dass eine Fehlreaktion<br />
auf diesen Befund, insbesondere eine Fortsetzung der Mobilisierung ohne<br />
gleichzeitige (Teil-) Entlastung durch Unterarmstützen schlechthin unverständlich<br />
und grob fehlerhaft gewesen wäre. Dem Urteil liegt auch zugrunde, dass<br />
der Behandlungsfehler die aufgetretene Pseudoarthrose und die weiteren gesundheitlichen<br />
Beeinträchtigungen mitverursacht habe, dies jedoch unwahrscheinlich,<br />
wenn auch nicht gänzlich unwahrscheinlich sei. Der BGH hatte sich<br />
mit der Frage auseinander zu setzen, ob auf dieser Grundlage eine Beweislastumkehr<br />
der ursächlichen Auswirkung des Behandlungsfehlers eintreten muss.<br />
Der BGH führt aus, dass es ausreiche, dass der grobe Behandlungsfehler geeignet<br />
sei, den eingetretenen Schaden zu verursachen, nahelegen oder wahrscheinlich<br />
machen muss, der Fehler den Schaden hingegen nicht. Eine Verlagerung der<br />
Beweislast bei Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers ist nur ausnahmsweise<br />
ausgeschlossen, wenn jeglicher haftungsbegründender Zusammenhang<br />
äußerst unwahrscheinlich ist. Diese Entscheidung bringt zwar mehr Rechtsklarheit,<br />
stärkt jedoch auch die Situation des klagenden Patienten zu Lasten des<br />
beklagten Arztes.<br />
Die oben genannte Entscheidung legte der Bundesgerichtshof auch später in dem<br />
unter Ziff. 2.3. vorgestellten Augenarztfall zugrunde (64) und weist darauf hin,<br />
dass ein grober Behandlungsfehler grundsätzlich zu einer Umkehr der objektiven<br />
Beweislast für den Ursachenzusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler<br />
und dem Gesundheitsschaden führt. Es sei Sache der beklagten Augenärztin<br />
darzulegen und zu beweisen, dass ein ordnungsgemäßer Hinweis an den klagenden<br />
Patienten, er solle bei Befundverschlechterung umgehend eine Kontrolluntersuchung<br />
durchführen lassen, eine Netzhautablösung mit den eingetretenen<br />
Folgen weder verhindert noch hätte abgemildert werden können. Einer<br />
Umkehr der Beweislast stehe auch nicht entgegen, dass der Patient weiterge-<br />
26
hende Anzeichen als die auftretenden Lichtblitze nicht bemerkt habe. Die beklagte<br />
Ärztin hätte den Patienten zu einer baldigen Kontrolle des Augenhintergrundes<br />
veranlassen müssen.<br />
d) Verstoß gegen die Pflicht zur Erhebung und Sicherung von Befunden<br />
Der Verstoß gegen die Pflicht zur Erhebung und Sicherung von Befunden kann<br />
für den Patienten zu Beweiserleichterungen zum Nachweis der Kausalität des<br />
Behandlungsfehlers für den eingetretenen Gesundheitsschaden führen.<br />
Für eine Beweislastumkehr werden 3 Voraussetzungen verlangt:<br />
Als erstes ist ein Befund behandlungsfehlerhaft nicht erhoben worden; zweitens<br />
hätte der Befund mit hinreichender Sicherheit ein reaktionspflichtiges Ergebnis<br />
erbracht, drittens greift eine Beweislastumkehr durch, wenn sich das Verkennen<br />
des Befunds als fundamentaler Diagnosefehler oder die Nichtreaktion als grob<br />
fehlerhaft darstellt (65).<br />
Einer Entscheidung des OLG Dresden vom 06.06.2002 (66) wurde als Leitsatz<br />
vorangestellt, dass bei unterlassener Befunderhebung nur dann eine Beweiserleichterung<br />
in Betracht kommt, wenn der Befund mit hinreichender Wahrscheinlichkeit<br />
ein medizinisch positives Ergebnis gehabt hätte. Von einer hinreichenden<br />
Wahrscheinlichkeit kann dann nicht gesprochen werden, wenn das<br />
mutmaßliche Ergebnis des Befundes völlig offen und die Wahrscheinlichkeit<br />
eines reaktionspflichtigen Befundergebnisses nicht höher als mit 50 Prozent<br />
anzusetzen ist.<br />
Kausalitäts- und Beweisfragen zum Aufklärungsfehler<br />
Auch die Aufklärungspflichtverletzung muss in einem Kausalzusammenhang<br />
zu dem vom Patienten geltend gemachten Schaden stehen. Sofern feststeht,<br />
dass der Schaden auf der Entwicklung des Grundleidens beruht und ohne den<br />
Behandlungseingriff in Ausprägung und Zeitpunkt gleichermaßen eingetreten<br />
wäre, entfällt eine Haftung aus dem Aufklärungsfehler. Man spricht hier von<br />
der Konstellation der Reserveursache.<br />
Der Arzt hat zu beweisen, dass der Patient aufgeklärt wurde und der Behandlung<br />
eingewilligt hat. Hierzu kann der Arzt die Patientenunterlagen vorlegen – sofern<br />
der wesentliche Inhalt des Aufklärungsgespräches dokumentiert wurde. In Frage<br />
kommt auch die Vernehmung von Zeugen – zum Beispiel der Schwester/Arzthelferin<br />
oder die Parteienvernehmung. Dabei kann es zur Überzeugungsfindung<br />
im Einzelfall ausreichen, wenn der Arzt durch Zeugen oder Parteienvernehmung<br />
den Nachweis erbringt, dass die ordnungsgemäße Aufklärung ständige Praxis<br />
27
ist (67). In diese Richtung geht auch ein Urteil des OLG Karlsruhe vom<br />
23.06.2004 (68). Dem Arzt, der in anderen vergleichbaren Fällen richtig aufklärt,<br />
sollte im Zweifel geglaubt werden, dass auch im konkreten Fall die Aufklärung<br />
in der gebotenen Weise erfolgt ist. An den Beweis der gehörigen Erfüllung der<br />
Aufklärungspflichten durch den Arzt dürfen – so das OLG – keine überzogenen<br />
Anforderungen gestellt werden.<br />
Formularmäßigen Einwilligungsbögen messen die Gerichte für sich genommen<br />
keinen großen Beweiswert bei, wenn sich daraus insbesondere keinerlei Hinweis<br />
dafür ergibt, dass mit dem Patienten über die konkret geplante Behandlung<br />
gesprochen wurde. Der Arzt sollte also beim Einsatz von Einwilligungsbögen<br />
durchaus die mündlichen Erklärungen gegenüber dem Patienten zum konkreten<br />
Behandlungsfall unter Zugrundelegung des Einwilligungsbogens schriftlich<br />
und patientenbezogen vermerken.<br />
Die Rechtsprechung hat – um rechtsmissbräuchlichem Vorbringen fehlerhafter<br />
Aufklärung zu begegnen – den Einwand der hypothetischen Einwilligung –<br />
auch rechtmäßiges Alternativverhalten genannt – zugelassen (69). Kann der<br />
Arzt den Nachweis der Aufklärung nicht führen, fehlt die Einwilligung. Der<br />
Arzt kann dann behaupten, dass der Patient sich auch bei ordnungsgemäßer<br />
Aufklärung zu dem Eingriff entschlossen hätte und muss den ihm obliegenden<br />
Beweis für seine Behauptung erbringen. Zunächst ist hier zu berücksichtigen,<br />
dass es sich um einen Einwand handelt, an dessen Voraussetzungen strenge<br />
Anforderungen gestellt werden. Einwand bedeutet, dass der Arzt dieses Argument<br />
in den Prozess einführen muss. Von Amts wegen wird hier keine Überprüfung<br />
durch das Gericht vorgenommen. Dem Einwand kann der Patient seinerseits<br />
entgegensetzen, dass er sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung in einem<br />
Entscheidungskonflikt darüber befunden hätte, ob er den tatsächlich bereits<br />
durchgeführten Eingriff hätte vornehmen lassen oder nicht.<br />
Mit der hypothetischen Einwilligung beschäftigt sich ein Urteil des OLG<br />
Koblenz vom 01.04.2004 (70). In Übereinstimmung mit einem Urteil des OLG<br />
Dresden vom 23.10.2003 (71) und im Gegensatz zu einem Urteil des OLG Jena<br />
(72) erkennt das Gericht, sofern der Eingriff kraft hypothetischer Einwilligung<br />
rechtens war, wegen des bloßen Aufklärungsmangels dem Patienten auch kein<br />
Teilschmerzensgeld zusteht.<br />
Beweiswert der Patientendokumentation<br />
Die Patientendokumentation spielt im <strong>Arzthaftung</strong>sverfahren eine erhebliche<br />
Rolle. Steffen/Richter führen aus, dass die Dokumentation zwar nicht dadurch<br />
28
entwertet würde, dass sie schwer zu lesen sei und von der Sprechstundenhilfe<br />
herrühre. Andererseits könne der Arzt mit einer korrekten Dokumentation Beweis<br />
für eine fehlerfreie Behandlung und für ordnungsgemäße Aufklärung des<br />
Patienten erbringen (73).<br />
Die Gerichte gehen insbesondere auf Rüge der Patientenseite Widersprüchen in<br />
der Dokumentation nach. Darüber hinaus muss die Dokumentation in unmittelbarem<br />
zeitlichem Zusammenhang mit der Behandlung oder dem Eingriff erfolgen.<br />
Liegt zwischen der Behandlung und Eintragung ein Zeitraum von Wochen<br />
oder Monaten, so kann das die Vermutung rechtfertigen, dass die (später) dokumentierte<br />
Behandlung unterblieben ist (74).<br />
Die Glaubwürdigkeit der Patientendokumentation wird auch nicht dadurch<br />
erhöht, wenn diese nicht systematisch, nicht chronologisch geführt wurde,<br />
durch Streichungen und Änderungen etc. gekennzeichnet ist. Einerseits wird<br />
dadurch der Beweiswert der Dokumentation herabgesetzt, andererseits muss<br />
sich der Arzt möglicherweise mit dem Vorwurf auseinander setzen, die Dokumentation<br />
gegebenenfalls unter dem Einfluss eines Verfahrens nachträglich ergänzt<br />
oder verändert zu haben. Vor nachträglichen Veränderungen kann nur<br />
dringlich gewarnt werden. Die Wirkungen können nicht nur für den Zivilprozess<br />
fatal sein. Der Arzt setzt sich ohne Not strafrechtlichen Risiken aus.<br />
Die papiergeführte handschriftliche Dokumentation stellt eine Urkunde im<br />
Sinne des Zivilprozessrechts dar. Das Gesetz betrachtet den Urkundenbeweis<br />
als das sicherste Beweismittel. EDV-Datenträger und deren ausgedruckter<br />
Datenbestand stellen keine Urkunde dar, sondern sind Objekt des Augenscheins<br />
(75). Mit dem Inkrafttreten des Justizkommunikationsgesetzes am 01.04.2005<br />
wurde eine Vorschrift der ZPO neu gefasst. Der § 371 a Abs. 1 ZPO hat folgenden<br />
Wortlaut:<br />
„Auf private elektronische Dokumente, die mit einer qualifizierten elektronischen<br />
Signatur versehen sind, finden die Vorschriften über die Beweiskraft privater<br />
Urkunden entsprechende Anwendung. Der Anschein der Echtheit einer in<br />
elektronischer Form vorliegenden Erklärung, der sich aufgrund der Prüfung<br />
nach dem Signaturgesetz ergibt, kann nur durch Tatsachen erschüttert werden,<br />
die ernsthafte Zweifel daran begründen, dass die Erklärung vom Signaturschlüssel-Inhaber<br />
abgegeben worden ist.“<br />
Die oben genannte Bestimmung unterstellt also die Beweiswirkung von elektronischen<br />
Dokumenten, die mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen<br />
sind, dem Urkundenbeweis (76).<br />
29
2.7. Richtlinien/Leitlinien<br />
Leitlinien haben indizielle Bedeutung bei Haftungsfragen. Die Befolgung von<br />
Leitlinien indiziert ein pflichtgemäßes, sorgfältiges Verhalten.<br />
Leitlinien bedürfen allerdings – so ein Urteil des OLG Naumburg – der Konkretisierung<br />
im Einzelfall. Deshalb hat das OLG den Ärztlichen Leitlinien der<br />
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften<br />
(AMF) lediglich Informationscharakter für die Ärzte beigemessen. Eine weitergehende<br />
Bedeutung im Sinne einer verbindlichen Handlungsanleitung wurde<br />
vom OLG Naumburg nicht anerkannt (77).<br />
Das OLG Hamm hat entschieden, dass Richtlinien den Erkenntnisstand der<br />
medizinischen Wissenschaft nur deklaratorisch wiedergeben würden, nicht aber<br />
konstitutiv begründen (78).<br />
Das OLG Stuttgart hat einen Verstoß gegen in Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften<br />
niedergelegte Behandlungsregeln nicht zwingend als groben Behandlungsfehler<br />
angesehen (79).<br />
Es existiert keine Entscheidung des BGH, die die Haftung eines Arztes unmittelbar<br />
auf die Verletzung von Leitlinien stützt (80). Dessen ungeachtet sind 2<br />
höchstrichterliche Entscheidungen bekannt, die sich mit der Leitlinienproblematik<br />
befassen (81). Den Leitlinien und Richtlinien der Bundesärztekammer<br />
oder der Medizinischen Fachgesellschaften kommt zwar keine Bindungswirkung<br />
zu, sie sind aber Wegweiser für den medizinischen Standard. Eine Abweichung<br />
davon bedarf besonderer Rechtfertigung (82).<br />
2.8. Haftungsumfang<br />
a) Allgemeines<br />
Die zivilrechtliche Haftung zielt vertraglich und deliktisch auf Schadensausgleich.<br />
Der Sanktionscharakter spielt im Zivilrecht im Gegensatz zum Strafrecht<br />
eine völlig untergeordnete Rolle. Jeder Arzt – auch der noch so gewissenhafte<br />
Arzt – muss mit dem Risiko leben, einmal zivilrechtlich auf<br />
Schadenersatz in Anspruch genommen zu werden.<br />
Dieses Berufsrisiko muss der Arzt akzeptieren. Die wirtschaftlichen Risiken<br />
werden durch eine Berufshaftpflichtversicherung abgefedert, so dass deren<br />
Bedeutung nicht hoch genug betont werden muss.<br />
Zu ersetzen ist zunächst der dem Patienten entstandene materielle Schaden. Bei<br />
Verletzungen des Körpers und der Gesundheit steht dem Patienten ein so ge-<br />
30
nanntes Schmerzensgeld zu (immaterieller Schadenersatz). Lediglich beim<br />
Schmerzensgeld spielt neben der Schadensausgleichsfunktion die Genugtuungsfunktion<br />
eine Rolle.<br />
Rechtlich werden Fehler bei der Einholung der Einwilligung und der Aufklärung<br />
des Patienten den Behandlungsfehlern gleichgestellt. Hat der Arzt ohne<br />
Aufklärung und Einwilligung einen Eingriff vorgenommen und verwirklicht<br />
sich das aufklärungsbedürftige Risiko, so ist voller Ersatz des entstandenen<br />
Schadens sowie Schmerzensgeld zu zahlen (83).<br />
Die ausgeurteilten Schmerzensgeldbeträge werden auch in der Bundesrepublik<br />
höher. So hat das OLG Hamm 500.000 € Schmerzensgeld für schwerste Schädigungen<br />
eines Kindes bei der Geburt durch fehlerhaftes Geburtsmanagement<br />
ausgesprochen (84).<br />
Es ist möglich, dass der Patient nicht mehr Inhaber des Anspruches ist, soweit<br />
dieser auf den Arbeitgeber, insbesondere jedoch die Sozialversicherung oder<br />
private Versicherung übergegangen ist bzw. abgetreten wurde. Dies wird der<br />
Arzt dem Patienten entgegenhalten. Der Anspruch kann jedoch zurückübertragen<br />
werden oder der Versicherungsträger macht seine Ansprüche unmittelbar<br />
geltend.<br />
Zu beachten ist ferner folgender Aspekt:<br />
Sofern dem Arzt ein Behandlungs- oder Aufklärungsfehler unterläuft, ist der<br />
ärztliche Eingriff als rechtswidrig zu erachten mit der Folge, dass ihm ein<br />
Honoraranspruch gegen den Patienten nicht zusteht. Sofern der Patient das<br />
Honorar bereits gezahlt hat, kann er als Bestandteil seines Schadenersatzanspruchs<br />
Erstattung der Zahlung verlangen (85).<br />
b) Mitverschulden<br />
Der Einwand des Mitverschuldens auf Seiten des Geschädigten spielt im allgemeinen<br />
Zivilrecht eine nicht unerhebliche Rolle. Der Einwand muss vom Arzt<br />
bzw. dessen Anwalt im Prozess getätigt werden. Die gesetzliche Regelung ist<br />
im § 254 BGB zu finden.<br />
Im <strong>Arzthaftung</strong>srecht wird dem Mitverschuldenseinwand mit Zurückhaltung<br />
begegnet. Der Mitverschuldenseinwand ist ausnahmsweise dann berechtigt,<br />
wenn der Patient diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die ein ordentlicher und<br />
verständiger Mensch zur Vermeidung eines eigenen Schadens anzuwenden<br />
pflegt. So genügt der Patient der einzuhaltenden Sorgfalt nicht, wenn er Therapievorgaben<br />
oder Kontrolluntersuchungen missachtet. Allerdings kann dem<br />
Patienten das Versäumnis einer Kontrolluntersuchung nur vorgeworfen werden,<br />
31
wenn ihm die Bedeutung der Untersuchung im Hinblick auf den bestehenden<br />
Krankheitsverdacht bekannt ist (86).<br />
c) Inanspruchnahme privatärztlicher Behandlung durch geschädigten Kassenpatienten<br />
Der Bundesgerichtshof hat in einem Urteil vom 06.07.2004, unter VI ZR 266/03<br />
(87) entschieden, dass die Haftpflicht des Schädigers (hier war eine zahnärztliche<br />
Behandlung bei einem Kassenpatienten Streitgegenstand) auch die Übernahme<br />
der Kosten einer privatärztlichen Behandlung umfassen kann, wenn<br />
nach den Umständen des Einzelfalls feststeht, dass das Leistungssystem der<br />
Gesetzlichen Krankenversicherung nur unzureichende Möglichkeiten zur Schadensbeseitigung<br />
bietet oder die Inanspruchnahme der vertragsärztlichen Leistung<br />
aufgrund besonderer Umstände dem Geschädigten ausnahmsweise nicht<br />
zumutbar ist.<br />
d) Wegfall des Vergütungsanspruchs und Haftungsfall?<br />
Im Gegensatz zu einer anders lautenden Entscheidung des OLG München lässt<br />
das OLG Nürnberg in einem Urteil vom 12.07.2004 (88) den Vergütungsanspruch<br />
des Arztes trotz unzureichender Risikoaufklärung dann unberührt, wenn<br />
die Operation tatsächlich zum Erfolg geführt hat. Der Honoraranspruch entfalle<br />
bei einer Aufklärungspflichtverletzung nur dann, wenn die Dienstleistung<br />
wegen unzureichender Bemühung um den Heilerfolg unbrauchbar sei. Beruhe<br />
der Behandlungsmisserfolg auf einer schuldhaften Fehlleistung des Arztes, so<br />
läge eine vertragliche Pflichtverletzung vor mit der Folge, dass dem Patienten<br />
ein Schadenersatzanspruch zustünde, mit dem er gegen den Honoraranspruch<br />
aufrechnen könne.<br />
3.Einzelfragen<br />
3.1. Horizontale/vertikale Arbeitsteilung<br />
Horizontale Arbeitsteilung<br />
Im allgemeinen darf auf die fachliche Richtigkeit des zuarbeitenden Arztes vertraut<br />
werden. Der Vertrauensgrundsatz wird jedoch für das Strafrecht eingesetzt<br />
und hat dort seine Grenzen, wenn deutliche Hinweise zum Misstrauen gegeben<br />
sind. Im Zivilrecht geht es um die Ausgrenzung von Haftungsbereichen nach<br />
dem medizinischen Einflussbereich und medizinischen Kontrollmöglichkeiten.<br />
32
Dessen ungeachtet kann der Arzt vorbehaltlich konkreter Anhaltspunkte für<br />
Zweifel auf die objektiven im fremden Fach erhobenen einschlägigen Befunde<br />
vertrauen (89).<br />
Einem Urteil des Oberlandesgerichtes Naumburg vom 14.09.2004 wurden folgende<br />
Leitsätze vorangestellt (90):<br />
1. Wirken bei einer ambulanten Operation Chirurg und Anästhesist in horizontaler<br />
Arbeitsteilung zuammen, so hat der Chirurg nicht für Behandlungsfehler des<br />
Anästhesisten (hier: Überdosierung eines Hypnotikums; unzureichende postoperative<br />
Überwachung der Vitalfunktionen) einzustehen. 2. Es besteht grundsätzlich<br />
auch keine gegenseitige Überwachungspflicht der kooperierenden Ärzte.<br />
Der oben genannten Entscheidung liegt im wesentlichen folgender Sachverhalt<br />
zugrunde:<br />
Am 23.04.1998 nahm die erstbeklagte niedergelassene Chirurgin an dem damals<br />
fünfeinhalbjährigen Kläger in der Zeit von 9.40 Uhr bis 10.00 Uhr ambulant<br />
eine Zirkumzision zur Beseitigung einer Phimose unter Allgemeinnarkose<br />
vor. Die Narkose wurde von dem zweitbeklagten Anästhesist durchgeführt, der<br />
eine ambulante Anästhesie betreibt und schon früher von der Chirurgin hinzugezogen<br />
worden war. Dazu verabreichte er dem Kläger insgesamt 220 mg Disorivan<br />
(Wirkstoff: Profanol) sowie drei Gaben von je 1 mg Rapifen (Wirkstoff:<br />
Alfentanil). Zusätzlich legte der Anästhesist einen Penisblock mit dem Lokalanästhetikum<br />
Bupivacain. Anschließend wurde der ansprechbare und reflexaktive<br />
Kläger in den Aufwachraum verbracht, wo es zu einem Atem- und Kreislaufstillstand<br />
unter einer schweren Schädigung des Hirns kam, die der Kläger<br />
auf eine Überdosis von Rapifen und auf Überwachungsversäumnisse in der<br />
Aufwachphase zurückführt. Beide Beklagte wurden auf Schadenersatz in<br />
Anspruch genommen. Während das Landgericht der Klage gegen beide Ärzte<br />
stattgab wurde durch das OLG als Berufungsgericht die Klage gegen die beklagte<br />
Chirurgin abgewiesen, so dass ausschließlich der Anästhesist haftet.<br />
Das OLG Naumburg führte aus, dass der Anästhesist den fachärztlichen Standard<br />
fahrlässig verletzt habe, indem er dem Kläger insgesamt 3 mg Rapifen<br />
injizierte. Unter Bezugnahme auf vorliegende neurologische sowie anästhesiologische<br />
Fachgutachten sei die maximal zu rechtfertigende Dosierung um mehr<br />
als das Doppelte überschritten worden. Darüber hinaus habe der Anästhesist<br />
keine lückenlose intensive Überwachung des Klägers nach der Operation organisiert<br />
und sichergestellt. Das Gericht wies darauf hin, dass die postoperative<br />
Überwachungspflicht des Anästhesisten erst dann endet, wenn die Vitalfunktionen<br />
des Patienten (Schutzreflexe, Atmung und Kreislaufregulation) vollständig<br />
33
wiederhergestellt und solche unmittelbar mit der Narkose zusammenhängenden<br />
Komplikationen nicht mehr zu besorgen seien. Die Chirurgin hafte nicht, da im<br />
Rahmen der horizontalen Arbeitsteilung jeder Arzt grundsätzlich nur den Facharztstandard<br />
desjenigen medizinischen Fachbereiches zu gewährleisten habe, in den<br />
die von ihm übernommene Behandlung fällt. Ausnahmen von diesem Grundsatz<br />
wie zum Beispiel Anfängeroperationen bzw. Fehlleistungen des hinzugezogenen<br />
Arztes, die wegen Evidenz hätten erkannt werden müssen hätten nicht vorgelegen.<br />
Das Thüringer Oberlandesgericht hatte sich mit einem Sachverhalt zu befassen,<br />
wo weniger die Arbeitsteilung, mehr die Vor- und Nachbehandlung eine Rolle<br />
spielten. Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde (91):<br />
Der Kläger begehrte Prozesskostenhilfe zur Einlegung der Berufung gegen ein<br />
Urteil des Landgerichtes Gera. Das Landgericht hatte seinen geltend gemachten<br />
Anspruch auf Schmerzensgeld für die Katarakt-Operation an seinem rechten<br />
Auge abgewiesen. Der Kläger trug vor, dem beklagten Arzt sei ein grober<br />
Behandlungsfehler unterlaufen, er habe keine Anamnese durchgeführt und deshalb<br />
nicht erkannt, dass er auch unter einer konzentrischen Gesichtsfeldeinschränkung<br />
leiden würde. Bei Kenntnis dieser Beeinträchtigung wären weitergehende<br />
Untersuchungen geboten gewesen, die zur Feststellung der tatsächlich<br />
vorhandenen tapetoretinalen Degeneration geführt hätten. Bei der Aufklärung<br />
über Chancen und Risiken der Katarakt-Operation hätte dann zusätzlich darauf<br />
hingewiesen werden müssen, dass wegen dieser Vorschädigung die erwünschte<br />
Verbesserung des Sehvermögens ganz oder teilweise ausbleiben könne. Aufgrund<br />
einer solchen Aufklärung hätte er von der Operation Abstand genommen.<br />
Deshalb sei der Eingriff rechtswidrig, so dass der beklagte Arzt haften würde.<br />
Das Gericht wies darauf hin, dass dem beklagten Arzt als Nachbehandler nicht<br />
verpflichtet gewesen sei, die Krankengeschichte des klagenden Patienten erneut<br />
abzuklären. Der Zweitbehandler konnte sich darauf verlassen, dass dies in der<br />
gebotenen Form durch den überweisenden Erstbehandler geschehen war und<br />
dieser die danach gebotenen Befunde erhoben hatte. Der Zweitbehandler war –<br />
so das OLG – nicht berechtigt, über den ihm konkret erteilten Auftrag hinauszugehen,<br />
den er behandlungsfehlerfrei erfüllt hat. Etwas anderes könnte allenfalls<br />
dann gelten, wenn der beklagte Arzt als Zweitbehandler aufgrund konkreter<br />
Anhaltspunkte Zweifel an der Diagnose des Erstbehandlers hätte haben<br />
müssen.<br />
Der Bundesgerichtshof äußerte sich zum Verhältnis Hausarzt – Krankenhaus.<br />
Ein Hausarzt darf sich im Allgemeinen darauf verlassen, dass die Klinikärzte<br />
seinen Patienten richtig behandelt und beraten haben und meist auch auf deren<br />
34
essere Sachkunde und größere Erfahrung vertrauen. Anders verhält es sich jedoch,<br />
wenn der Hausarzt ohne besondere weitere Untersuchungen erkennt oder<br />
erkennen muss, dass ernste Zweifel an der Richtigkeit der Krankenhausbehandlung<br />
und der dort seinem Patienten gegebenen ärztlichen Ratschläge bestehen.<br />
In einem solchen Fall darf der Hausarzt im Rahmen seiner eigenen ärztlichen<br />
Sorgfaltspflichten dem Patienten gegenüber Hinweisen auf offenbares Versehen<br />
oder ins Auge springende Unrichtigkeiten nicht unterdrücken (92).<br />
Vertikale Arbeitsteilung<br />
Diagnose und Therapie sind stets Sache des Arztes. Krankenschwestern und<br />
Arzthelferinnen sind grundsätzlich zur Assistenz bei ärztlichen Leistungen nur<br />
unter ärztlicher Anleitung berufen.<br />
3.2. Belegarztvertrag<br />
Die belegärztliche Tätigkeit bezieht sich darauf, dass ein niedergelassener Arzt<br />
basierend auf dem Vertrag mit einem Krankenhaus das Recht und die Pflicht<br />
hat, seine Patienten im Belegkrankenhaus unter der Inanspruchnahme der vom<br />
Krankenhausträger bereitgestellten Dienste, Einrichtungen und Mittel stationär<br />
oder teilstationär zu behandeln, ohne dafür vom Klinikträger eine Vergütung zu<br />
erhalten (93).<br />
Der Belegarzt berechnet seine Leistungen gem. § 23 Bundespflegesatzverordnung<br />
(BPflV). Er rechnet seine Leistungen unmittelbar mit dem Patienten bzw.<br />
der Kassenärztlichen Vereinigung ab. Für seine Leistungen ist der Belegarzt<br />
dem Patienten gegenüber Vertragspartner, im Übrigen ist das Belegkrankenhaus<br />
Vertragspartner für die Benutzung stationärer und teilstationärer Leistungen.<br />
Das Belegkrankenhaus berechnet den so genannten kleinen Pflegesatz.<br />
Zwischen dem Belegarzt und dem Klinikträger besteht seinerseits auch ein Vertrag,<br />
der atypischen Inhalts ist und Elemente der Leihe, der Dienstverschaffung<br />
und der Gesellschaft enthält (94).<br />
Haftungsrechtlich ist davon auszugehen, dass der Belegarzt grundsätzlich für<br />
die in sein Fachgebiet fallenden Fehlleistungen einzustehen hat. Das gilt auch<br />
für die vom Belegarzt selbst angestellten Hilfspersonen. Für die allgemeinen<br />
Krankenhausleistungen ist der Klinikträger zuständig. Dieser Grundsatz wird<br />
durch verschiedenste Sonderfälle und Ausnahmen untersetzt, so dass auf die<br />
weiterführende Literatur verwiesen werden muss (95).<br />
35
3.3. Die kosmetische Behandlung<br />
Die ärztlichen Pflichten beim kosmetischen Eingriff weisen Besonderheiten<br />
auf. An die Risikoaufklärung sind besonders strenge Anforderungen zu stellen.<br />
Dem Patienten muss das Für und Wider des Eingriffs in allen Konsequenzen<br />
verdeutlicht werden. Zudem ist eine eingehende Aufklärung über die Misserfolgsquote<br />
oder gar bleibender Entstellungen und gesundheitlicher Beeinträchtigungen<br />
solcher Eingriffe erforderlich.<br />
Das OLG Düsseldorf hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 1997 bei einer<br />
kosmetischen Operation – es ging um die Entfernung von Fettpolstern – auch<br />
eine Aufklärung darüber gefordert, dass die Operation aus medizinischer Sicht<br />
unnötig ist (96). Ebenso wenig darf der Arzt einer Patientin vor Durchführung<br />
einer Fettabsaugung verschweigen, dass der gewünschte Erfolg nur durch den<br />
zusätzlichen Eingriff einer Haut- und Bauchdeckenstraffung verwirklicht werden<br />
kann und außerdem bei großflächigen Fettabsaugungen unregelmäßige<br />
Konturen zu befürchten sind (97).<br />
3.4. Haftungsfragen bei Patienten mit psychischen Erkrankungen<br />
Schutz vor Selbstgefährdung<br />
Im Bereich der Behandlungsfehlerhaftung spielen die Komplexe eine besondere<br />
Rolle, die sich mit der Fragestellung befassen, ob und inwiefern der Arzt verpflichtet<br />
sein kann, den Patienten vor Selbstgefährdung zu schützen.<br />
Der Arzt muss hier eine durch übermäßige Sicherungsvorkehrungen mögliche<br />
Beeinträchtigung bzw. Gefährdung des Therapieerfolges mit der für den Patienten<br />
entstehenden Gefahr in Relation setzen (98).<br />
Spickhoff schildert folgenden Fall:<br />
„BGH NJW 2000, 3425: Die Patientin wurde wegen einer paranoid-halluzinatorischen<br />
Psychose in einer Nervenklinik behandelt. Bei ihrer Vorstellung hatte<br />
sie geäußert, früher Gedanken an Selbstmord gehabt zu haben. Nun stünden<br />
ihre Kinder im Vordergrund. Später stürzt sie sich in Selbstmordabsicht vom<br />
ungesicherten Balkon eines Aufenthaltsraumes. Anders als das OLG meint der<br />
BGH, dass keine Verkehrssicherungspflicht verletzt sei. Ohne besondere Umstände<br />
– die hier nicht vorlägen – könne nicht verlangt werden, dass in der offenen<br />
Station einer psychiatrischen Klinik alle Türen und Fenster verschlossen<br />
werden.“ (99).<br />
36
Aufklärung und Einwilligung<br />
Der Patient mit einem psychischen Leiden ist grundsätzlich als rechts- und<br />
handlungsfähig anzusehen. Besonderheiten bestehen bei Patienten, die unter<br />
Betreuung stehen. Die frühere Entmündigung wurde 1992 abgeschafft. Der<br />
unter Betreuung stehende Patient hat einen gesetzlichen Vertreter. Er ist jedoch<br />
keineswegs rechtlos. Einerseits ist stets der Umfang der Betreuung zu prüfen,<br />
andererseits bedeutet die Anordnung einer Betreuung nicht automatisch, dass<br />
der Patient nicht mehr zu informieren oder gar einwilligungsunfähig ist. Nur<br />
wenn der Betreute nicht einwilligungsfähig ist, tritt der Betreuer an die Stelle<br />
des Patienten. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Betreuung mit Einwilligungsvorbehalt<br />
ausgesprochen wurde. In diesem Falle ist alles von der Einwilligung<br />
des Betreuers abhängig.<br />
Die psychiatrische Therapie bedarf somit grundsätzlich auch der Aufklärung<br />
und Einwilligung des Patienten. Etwas anderes gilt nur für die Zwangsbehandlung.<br />
Im Bereich der Psychotherapie ist bisher kein Urteil bekannt, welches sich mit<br />
Aufklärungs- und Einwilligungsfragen befasst (100). Gründel vertritt die Auffassung,<br />
dass die Grundsätze der ärztlichen Aufklärung zwar nicht spiegelgleich,<br />
aber im wesentlichen für die Psychotherapie heranzuziehen seien (101).<br />
3.5. Urlaubsvertretung; Gemeinschaftspraxis<br />
Urlaubsvertretung<br />
Im Falle der Urlaubsvertretung bleibt es dabei, dass der medizinische Behandlungsvertrag<br />
zwischen dem Praxisinhaber und Patienten abgeschlossen ist. Der<br />
Urlaubsvertreter hat den Status eines Erfüllungsgehilfen gem. § 278 BGB. Vertragliche<br />
Haftungsansprüche kann der Patient ausschließlich gegenüber dem<br />
Praxisinhaber geltend machen. Deliktisch haftet der Urlaubsvertreter hingegen<br />
für eigenes Aufklärungs- und Behandlungsverschulden, so dass der Patient<br />
zwei potentielle Haftungsschuldner zur Verfügung hat (102). Es ist also für den<br />
Praxisinhaber durchaus von Belang, wen er während seiner Urlaubszeit als Vertreter<br />
einsetzt.<br />
Zu beachten ist allerdings, dass die oben genannten Ausführungen nur für den<br />
Fall der echten Stellvertretung gelten. Die regelmäßigen Fälle der Weiterverweisung<br />
eines Patienten zur Durchführung der Behandlung an die andere Praxis<br />
sind nicht erfasst (103).<br />
37
Gemeinschaftspraxis<br />
Grundsätzlich haften die Ärzte einer Gemeinschaftspraxis vertraglich gemeinschaftlich.<br />
Dies gilt insbesondere dann, wenn die Partner der Gemeinschaftspraxis<br />
ärztliche Leistungen erbringen, die von einem wie dem anderen Partner<br />
erbracht werden können – so genannte austauschbare Leistungen und der Patient<br />
die Gemeinschaftspraxis als solche zur Behandlung aufsucht. Sofern der<br />
Patient dagegen Wert auf einen bestimmten Arzt der Gemeinschaftspraxis legt,<br />
trifft nur den Arzt seines Vertrauens die vertragliche Haftung (104).<br />
Die gesamtschuldnerische Haftung ist auch dann gegeben, wenn einem der<br />
Partner einer gynäkologischen Gemeinschaftspraxis in einer Belegklinik oder<br />
einem Geburtskrankenhaus bei der Geburtsleitung ein Behandlungsfehler<br />
unterläuft (105).<br />
3.6. Die Berufshaftpflichtversicherung<br />
Der Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung mit ausreichendem Versicherungsschutz<br />
ist eine Berufspflicht. Der § 21 Berufsordnung der <strong>Sächsische</strong>n<br />
Landesärztekammer verpflichtet jeden Arzt, sich hinreichend gegen Haftungsansprüche<br />
im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit zu versichern.<br />
Für jeden Arzt ist die Berufshaftpflichtversicherung von grundlegender Bedeutung.<br />
Es ist darauf zu achten, dass im Versicherungsvertrag das ärztliche Tätigkeitsfeld<br />
richtig und umfassend genug beschrieben ist. Darüber hinaus muss die Versicherungssumme<br />
ausreichend sein, um im Schadensfall eine ausreichende Deckungssumme<br />
vorweisen zu können. Die Berufshaftpflichtversicherung übernimmt auch<br />
die Kosten für die anwaltliche Prozessvertretung des Arztes vor dem Zivilgericht.<br />
Der Arzt hat seinerseits verschiedene Obliegenheiten. Die wichtigste Obliegenheit<br />
besteht darin, den Schaden der Versicherung zu melden. Schadensfälle sind<br />
innerhalb einer Woche anzuzeigen gem. § 153 Versicherungsvertragsgesetz<br />
(VVG) i. V. m. § 5 Nr. 2 Allgemeine Haftpflichtbedingungen (AHB). Die Anzeigepflicht<br />
setzt bereits ein, wenn der Arzt weiß, dass Tatsachen eingetreten<br />
sind, durch die ein Schaden entstanden ist und weiß oder damit rechnet, dass er<br />
vom Patienten geltend gemacht werden kann. Es ist zu beachten, dass sich die<br />
Anzeigepflicht auch auf (vermutlich) unbegründete Ansprüche des Patienten<br />
bezieht. Darüber hinaus ist die vorprozessuale Vertretung mit dem Versicherer<br />
abzustimmen. Dem Arzt ist es insbesondere verboten, den Anspruch ohne vorherige<br />
Rücksprache mit der Versicherung anzuerkennen.<br />
38
Eine Anzeigepflicht besteht auch, wenn der Arzt davon erfährt, dass gegen ihn<br />
ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. Der Bericht gegenüber der Versicherung<br />
sollte sich auf die tatsächlichen Vorgänge beschränken. Vermutungen<br />
und Wertungen sollte mit Zurückhaltung begegnet werden.<br />
Die hier grob skizzierten Obliegenheiten sollte jeder Arzt unbedingt beachten.<br />
Immerhin kann eine Obliegenheitsverletzung schlimmstenfalls zur Folge haben,<br />
dass der Versicherer unter Berufung auf eine Obliegenheitsverletzung nicht<br />
leistet. Dieses Risiko kann jeder Arzt leicht vermeiden.<br />
Es ist unbedingt zu empfehlen, den Versicherungsvertrag regelmäßig zu überprüfen.<br />
Es ist davon auszugehen, dass die zuerkannten Schadenersatzansprüche<br />
tendenziell zunehmen werden. Ausreichender Versicherungsschutz sichert die<br />
berufliche und die private Existenz des Arztes, so dass der Umfang des Versicherungsschutzes<br />
stets dem tatsächlichen Schadensrisiko entsprechen muss.<br />
Darüber hinaus sollte bei vertraglichen und gesellschaftsrechtlichen Fragestellungen<br />
(zum Beispiel fachübergreifende Gemeinschaftspraxen, MVZ in der Freiberufler-<br />
und Angestelltenvariante, Kooperations- und Nutzungsverträge mit<br />
Kliniken) niemals die Haftungsfrage unberücksichtigt bleiben. Es ist unbedingt<br />
darauf zu achten, dass keine Versicherungslücken entstehen.<br />
Schließlich dürfte gerade bei fachübergreifenden Freiberuflergesellschaften die<br />
Rechtsformwahl auch unter haftungsrechtlichen Aspekten eine Rolle spielen. So<br />
begrenzt beispielsweise die Vorschrift des § 8 Abs. 2 PartGG (Partnerschaftsgesellschaftsgesetz)<br />
die Haftung der Partner für Verbindlichkeiten der Partnerschaft<br />
neben der Partnerschaft auf den Partner, der mit der Bearbeitung des Auftrags<br />
befasst war. Diese Norm betrifft (nur) berufliche Fehler, das heißt Behandlungsund<br />
Aufklärungsfehler wegen Nicht- oder Schlechterfüllung des Auftrags (106).<br />
Es sollte auch daran gedacht werden, dass das gesamte tatsächlich vom Arzt<br />
erbrachte Leistungsspektrum versichert ist. Will zum Beispiel der niedergelassene<br />
Arzt sein Tätigungsfeld erweitern (ambulante Operationen, Belegarzttätigkeit<br />
oder ähnliches), so ist er gut beraten, den Versicherungsumfang zuvor überprüfen<br />
zu lassen und erforderlichenfalls das Spektrum des versicherten Risikos zu<br />
erweitern. Ähnlich verhält es sich, wenn der Arzt Naturheilverfahren oder alternative<br />
Behandlungsmethoden anwenden will. Ein Blick in den Versicherungsvertrag,<br />
insbesondere die mit vereinbarten Versicherungsbedingungen kann nur<br />
dringend empfohlen werden, denn es ist keinesfalls davon auszugehen, dass<br />
hier ein vollständiger Versicherungsschutz besteht.<br />
Auch kosmetische Operationen unterliegen einem Zuschlag, soweit sie überhaupt<br />
versicherbar sind (107).<br />
39
3.7. Umgang mit dem unzufriedenen Patienten bzw. mit dem Anwalt<br />
des Patienten<br />
Zunächst kann nur jedem Arzt empfohlen werden, gegenüber dem Patienten<br />
sachlich zu bleiben und die Ruhe zu bewahren. Eine aufgeheizte Atmosphäre<br />
provoziert geradezu spätere gerichtliche Auseinandersetzungen, obwohl diese<br />
gegebenenfalls vermeidbar wären.<br />
Sobald der Patient deutlich macht, dass er Ansprüche geltend zu machen beabsichtigt,<br />
sollten etwaige beabsichtigte Gespräche zuvor mit der Haftpflichtversicherung<br />
abgestimmt werden. In jedem Falle ist die Beiziehung eines Zeugen zu<br />
empfehlen. Dieser Zeuge kann zum Beispiel ein ärztlicher Kollege sein, der eine<br />
ganz andere Distanz zu dem Geschehen hat und vielleicht in der Lage ist, den<br />
Sachverhalt aus seiner Sicht zu schildern. Der Patient muss natürlich zuvor<br />
gefragt werden, ob dessen Teilnahme gestattet wird und insofern auch eine Entbindung<br />
von der <strong>Schweigepflicht</strong> erfolgt.<br />
Der außergerichtliche Schriftverkehr mit dem Patienten bzw. dessen Anwalt<br />
wird durch die Berufshaftpflichtversicherung geführt, es sei denn, die Haftpflichtversicherung<br />
bestimmt etwas anderes.<br />
Bei etwaiger Korrespondenz mit dem Anwalt des Patienten gelten die oben genannten<br />
Ausführungen. Darüber hinaus ist darauf zu achten, dass der Anwalt<br />
eine Vollmacht sowie eine <strong>Schweigepflicht</strong>entbindung vorlegt. Dies gilt auch<br />
für ein etwaiges Verlangen, die Patientendokumentation – freilich nur in kopierter<br />
Form – herauszugeben. Stets ist dringend zu empfehlen, jeden Schritt zuvor mit<br />
der Haftpflichtversicherung abzustimmen.<br />
Außergerichtlich stellt sich regelmäßig die Frage der Einsichtnahme in die Patientendokumentation.<br />
Hierzu darf auf Ziff. 8.5. des Leitfadens zur ärztlichen<br />
<strong>Schweigepflicht</strong> verwiesen werden.<br />
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das Einsichtsrecht auch die Einsichtnahme<br />
durch einen beauftragten Rechtsanwalt und die Überlassung von Fotokopien<br />
gegen Unkostenerstattung erfasst (108).<br />
Allerdings ist der behandelnde Arzt im vorprozessualen Stadium außerhalb<br />
der Dokumentation grundsätzlich nicht verpflichtet, Auskunftsbegehren des<br />
Geschädigten zu entsprechen, die einen <strong>Arzthaftung</strong>sprozess vorbereiten sollen.<br />
Das Gericht erkennt einen Auskunftsanspruch über die behandelnden Ärzte<br />
an, ein Auskunftsanspruch bezüglich eventueller Behandlungsfehler besteht<br />
nicht (109).<br />
40
3.8. Das Schlichtungsverfahren bei der <strong>Sächsische</strong>n Landesärztekammer<br />
bzw.das gerichtliche Verfahren einschließlich selbstständiges<br />
Beweisverfahren<br />
Gerichtsverfahren<br />
An die Substantiierungspflichten (Darlegungspflichten) des Sachvortrages werden<br />
durch die Gerichte bei Patienten maßvolle Anforderungen gestellt, da dem<br />
Patienten das nötige Fachwissen zur Erfassung und Darstellung des Konfliktstoffes<br />
fehlt (110).<br />
Medizinische Gutachten kennzeichnen den <strong>Arzthaftung</strong>sprozess. Die Gutachten<br />
der Gutachter- und Schlichtungsstellen werden durch die Gerichte im Wege des<br />
Urkundenbeweises gewürdigt werden. In rechtlicher Hinsicht stellen sie Privatgutachten<br />
dar, haben jedoch einen nicht unerheblichen Beweiswert. Trotzdem<br />
ist es regelmäßig erforderlich, dass die Gerichte einen eigenen Sachverständigen<br />
beauftragen.<br />
<strong>Arzthaftung</strong>sprozesse werden zumindest auf der Ebene der Landgerichte, Oberlandesgerichte<br />
und des Bundesgerichtshofes fast ausschließlich von Fachkammern/Fachsenaten<br />
für <strong>Arzthaftung</strong>sangelegenheiten durchgeführt.<br />
Gutachterstelle für <strong>Arzthaftung</strong>sfragen der <strong>Sächsische</strong>n Landesärztekammer<br />
Es existiert eine Gutachterstelle für <strong>Arzthaftung</strong>sfragen bei der <strong>Sächsische</strong>n<br />
Landesärztekammer. Grundlage des Verfahrens ist die Verfahrensordnung vom<br />
19.06.2002, abgedruckt im „Ärzteblatt Sachsen“ Heft 7/2002. (Amtliche Bekanntmachungen)<br />
oder im Internet unter www.slaek.de.<br />
Die Gutachterstelle ist unabhängig und kann wegen des Vorwurfs fehlerhafter<br />
ärztlicher Behandlung angerufen werden. Die Gutachterstelle kann erst dann<br />
angerufen werden, wenn der Haftpflichtversicherer zu dem geltend gemachten<br />
Anspruch Stellung genommen hat.<br />
Der Gerichtsweg wird durch das Gutachterverfahren nicht ausgeschlossen. Die<br />
Gutachterstelle ist mit einem Vorsitzenden, der ein Arzt sein soll, und einem<br />
Juristen besetzt.<br />
Ein Antrag kann vom Patienten, dem behandelnden Arzt oder der Haftpflichtversicherung<br />
des Arztes eingereicht werden. Die Gutachterstelle gibt unter Zugrundelegung<br />
eines Gutachtens eine mit Gründen versehene Stellungnahme<br />
darüber ab, ob ein Anspruch dem Grunde nach besteht oder nicht. Zur Höhe<br />
eines etwaigen Anspruchs äußert sich die Gutachterstelle nicht.<br />
41
Selbständiges Beweisverfahren<br />
Vor der Anhängigkeit eines Rechtsstreites bzw. außerhalb eines Rechtsstreites<br />
kennt das Verfahrensrecht die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens.<br />
Es handelt sich dabei um ein Gutachterverfahren unter der Federführung des<br />
Gerichtes. In der Regel übernimmt das Gericht die einseitig von der Antragstellerseite<br />
gestellten Fragen in einem Beweisbeschluss, der dann einem vorm<br />
Gericht bestellten Sachverständigen vorgelegt wird. Typisch sind diese Verfahren<br />
in Baurechtsstreitigkeiten, wo die Frage des drohenden Verlustes oder die<br />
drohende Erschwerung der Benutzbarkeit eines Beweismittels oft eine Rolle<br />
spielt. Es war in der Vergangenheit umstritten, ob ein derartiges Verfahren auch<br />
für das <strong>Arzthaftung</strong>srecht zulässig ist. In der Zwischenzeit hat der Bundesgerichtshof<br />
entschieden. Die Frage wurde bejaht (111), wobei der BGH seine<br />
Bedenken in Bezug auf diese Verfahrensart in <strong>Arzthaftung</strong>ssachen artikulierte.<br />
Medizinische Gutachten<br />
Ein Haftungsprozess ohne Beiziehung medizinischer Gutachten ist kaum denkbar.<br />
Nur der Gutachter hat die erforderliche medizinische Sachkunde und ist in<br />
der Lage, über den Standard der medizinischen Wissenschaft zum Zeitpunkt<br />
der Behandlung Auskunft zu erteilen. Häufig wird das schriftlich erstattete<br />
Gutachten vom Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung erläutert.<br />
Dem Gutachter werden dazu Fragen gestellt.<br />
Es liegt auf der Hand, dass im <strong>Arzthaftung</strong>sprozess speziell zur Frage der Klärung<br />
eines Behandlungsfehlers dem Gutachter eine zentrale Rolle zukommt.<br />
Der Gutachter ist nicht Zeuge, sondern Gehilfe des Richters. Er ist nicht dazu<br />
da, Rechtsfragen zu beantworten.<br />
Sofern neben dem Gerichtsgutachten ein Privatgutachten erstattet wurde, hat sich<br />
das Gericht auch mit dem Privatgutachten auseinander zu setzen. Das Gericht<br />
muss insbesondere darlegen, weshalb es einem bestimmten Gutachten folgt.<br />
4.Zusammenfassung<br />
<strong>Arzthaftung</strong> ist Berufshaftung wie sie auch andere Berufsausübende – insbesondere<br />
freie Berufe wie Architekten, Ingenieure, Anwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer<br />
und Notare trifft. Der besondere Akzent der <strong>Arzthaftung</strong> besteht<br />
darin, dass das Verletzungsobjekt ein Mensch ist und der Tätigkeit des Arztes<br />
eine Schadensneigung innewohnt (112).<br />
42
1993 stellten in mehr als 30.000 Fällen Patienten Schadenersatzansprüche an<br />
Versicherer. Davon wurden etwa die Hälfte reguliert (113). Die Zahl dürfte sich<br />
in der Zwischenzeit eher erhöht haben. Es ist auch zu beobachten, dass die ausgeurteilten<br />
Schmerzensgeldbeträge tendenziell nach oben gehen. So hielt das<br />
OLG Hamm bei schwerstem Geburtsschaden ein Schmerzensgeld von 500.000 €<br />
für möglich (114).<br />
Patienten werden auch weiterhin berechtigte und sicher auch unberechtigte<br />
Ansprüche gegenüber Ärzten geltend machen. Die Vermeidung von Behandlungs-<br />
und Aufklärungsfehlern sollte stets Ziel jeglicher Behandlung sein.<br />
Sofern behandelnder Arzt einerseits und tatsächlicher Vertragspartner des Patienten<br />
andererseits auseinander fallen, kann sich der behandelnde (angestellte)<br />
Arzt nicht zurücklehnen und auf den Vertragspartner (zum Beispiel Träger des Klinikum)<br />
des Patienten verweisen. Die Einbeziehung zum Beispiel des angestellten<br />
Assistenzarztes beim niedergelassenen Praktiker oder des angestellten Arztes eines<br />
Krankenhauses als weitere Partei in ein Gerichtsverfahren unter Zuhilfenahme<br />
der deliktische Haftungsschiene wird oft schon aus prozesstaktischen Gründen<br />
erfolgen, um den Behandler aufgrund seiner Parteistellung als Zeugen auszuschalten.<br />
Wer Partei eines Verfahrens ist, kann nicht gleichzeitig Zeuge sein.<br />
Zu beachten ist stets, dass die sehr strenge zivilrechtliche Haftung nicht auf Bestrafung<br />
zielt, sondern auf Schadensausgleich ausgerichtet ist. Es soll zu einem<br />
Ausgleich der Interessen zwischen Schädiger und Geschädigten kommen. Ein<br />
individuell-subjektiver Maßstab spielt im Zivilrecht keine Rolle bzw. allenfalls<br />
im Rahmen der Genugtuungsfunktion beim Schmerzensgeld. Der Ansatz des<br />
Verbraucher-/Patientenschutzes wird im Zivilrecht – so auch im <strong>Arzthaftung</strong>srecht<br />
– immer wieder deutlich.<br />
Zu beachten ist auch, dass sich die äußeren Rahmenbedingungen laufend verändern.<br />
Der zunehmende Wettbewerb unter Anwälten, die Existenz von Prozessfinanzierern,<br />
der zunehmende Einfluss rein kommerzieller Elemente in der<br />
Medizin, die Betrachtung ärztlicher Tätigkeit als reine Dienstleistung sind nur<br />
einige Faktoren, die nach unserer Meinung nicht völlig ohne Einfluss auf das<br />
hochsensible Arzt-Patientenverhältnis sein dürften.<br />
Kein Mensch kann 24 Stunden am Tag perfekt arbeiten. Trotzdem gilt im Zivilrecht<br />
der Grundsatz, dass schon die geringste Abweichung vom Standard –<br />
selbst leichte Fahrlässigkeit aufgrund subjektiv entschuldbarer Umstände –<br />
zivilrechtlich zur Haftung führt. Jeder Arzt muss also mit dem Berufsrisiko der<br />
zivilrechtlichen Haftung leben. Für den tatsächlich betroffenen Arzt wird dieses<br />
Wissen sicherlich wenig tröstlich sein, denn jeder Gerichtsprozess – auch ein<br />
43
Zivilprozess – ist für den betroffenen Arzt eine erhebliche psychische Belastung,<br />
mit der er fertig werden muss.<br />
Die vorliegenden Ausführungen können nur einen allgemeinen und groben<br />
Überblick geben. Um einen vollständiger Überblick über das <strong>Arzthaftung</strong>srecht<br />
zu erhalten, muss auf die immer umfangreicher werdende Fachliteratur und die<br />
Rechtsprechung der Obergerichte, insbesondere die mehrbändige Sammlung<br />
zur <strong>Arzthaftung</strong>srechtsprechung des Bundesgerichtshofes und der Oberlandesgerichte<br />
(AHRS) verwiesen werden.<br />
Literaturverzeichnis<br />
(1) Geiß/Greiner, <strong>Arzthaftung</strong>srecht, 3. Auflage, C.H. Beck, S. 137 Rdnr. 1<br />
(2) Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 5. Auflage, Springer, S. 85, Rdnr. 126<br />
(3) Geiß/Greiner, a. a. O, S. 3 , Rdnr 1<br />
(4) Steffen/Dressler, <strong>Arzthaftung</strong>srecht, 9. Auflage, RWS, S. 1 Rdnr. 1<br />
(5) Geiß/Greiner, a. a. O., S. 4/5 Rdnr. 5 – 7<br />
(6) Deutsch/Spickhoff, a. a. O. S. 98, Rdnr. 140<br />
(7) z. B. Schimmelpfennig-Schütte, Der Arzt im Spannungsfeld der Inkompatibilität<br />
der Rechtssysteme, MedR 2002, 286 ff., ebenso Kern, MedR<br />
2004, 300 ff.<br />
(8) BGH NJW 1999, 2731<br />
(8a) Martis/Winkhart, <strong>Arzthaftung</strong>srecht aktuell, Fallgruppenkommentar, Otto<br />
Schmidt, S. 39<br />
(9) weiterführend Deutsch/Spickhoff, a. a. O, S. 42, Rdnr. 64<br />
(10) Deutsch/Spickhoff, a. a. O, S. 63, Rdnr. 98<br />
(11) OLG Saarbrücken, NJW 1999, 871<br />
(12) OLG Stuttgart, VersR 2002, 1563<br />
(13) OLG Düsseldorf, VersR 2002, 492<br />
(14) VI ZR 419/00<br />
(15) Geiß/Greiner, a. a. O, S. 35, Rdnr. 2<br />
(16) OLG Brandenburg, VersR 2004, 199<br />
(17) Gehrlein, Neuere Rechtsprechung zur Arzt-Berufshaftung, ARGE MedR<br />
des DAV, 20.05.2004, S. 2<br />
(18) BGH VI ZR 69/80<br />
(19) BGH VI ZR 206/90, VersR 1991, 469<br />
(20) Geiß/Greiner strukturieren die Behandlungsfehler in folgende Fehlertypen<br />
(Geiß/Greiner a. a. O., S. 39 ff.<br />
44
(21) Geiß/Greiner a. a. O., S. 40 Rdnr. 15<br />
(22) LG München, Urteil vom 07.07.2004, GesR 2004, 512 mit Anmerkung<br />
von Jorzig<br />
(23) Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 3. Auflage, S. 27, Rdnr. 19d<br />
(24) Steffen/Dressler, <strong>Arzthaftung</strong>srecht, 8. Auflage, S. 68/69 Rdnr. 157 a<br />
(25) BGH, NJW 2003, 2827<br />
(26) OLGR Zweibrücken 2003, 92<br />
(27) OLG Bamberg, VersR 2004, 198<br />
(28) BGH, NJW 2004, 293 ff.<br />
(29) Urteil des BGH vom 08.03.2003, Az: VI ZR 265/02. (www.bundesgerichtshof.de,<br />
Entscheidungen, dann Az eingeben)<br />
(30) OLG Düsseldorf VersR 2003, 1310<br />
(31) OLGR Zweibrücken, 2003, 92<br />
(32) Bundesgerichtshof unter dem Aktenzeichen IV ZR 328/03 (nachzulesen<br />
im Volltext unter www. bundesgerichtshof.de)<br />
(33) RGSt 25, 375<br />
(34) Geiß/Greiner, a. a. O., S. 138 Rdnr. 4<br />
(35) Geiß/Greiner, a. a. O., S. 138, Rdnr. 6<br />
(36) NJW-RR 2002, 817 ff.<br />
(37) Gehrlein, a. a. O., S. 18 ff.<br />
(38) Az: 4 U 980/03<br />
(39) VersR 2002, 440<br />
(40) KG Berlin, NJW-RR 2004, 458 ff.<br />
(41) Gehrlein a. a. O., S. 20<br />
(42) Geiß/Greiner, a. a. O., S. 170, Rdnr. 97<br />
(43) Urteil des BGH vom 25.03.2003, Az: VI ZR 131/03, zu downloaden<br />
unter www. bundesgerichtshof.de unter dem Stichwort „Entscheidungen“<br />
(44) Deutsch/Spickhoff, a. a. O., S.138, Rdnr. 201<br />
(45) Martis/Winkhart, <strong>Arzthaftung</strong>srecht aktuell, Fallgruppenkommentar,<br />
S. 73<br />
(46) Martis/Winkhart, a. a. O., S. 74<br />
(47) Martis, Winkhart, a. a. O., S. 74<br />
(48) Köhler in, Uexküll, Psychosomatische Medizin, 6. Auflage, S. 59<br />
(49) Uexküll, a. a. O., S. 304<br />
(50) Steffen/Dressler, <strong>Arzthaftung</strong>srecht, 8. Auflage, S. 160, Rdnr. 389<br />
(51) Geiß/Greiner, a. a. O, S. 99, Rdnr. 202<br />
(52) Martis/Winkhart, <strong>Arzthaftung</strong>srecht, Fallgruppenkommentar, S. 167<br />
45
(53) Gehrlein, a. a. O., S. 22<br />
(54) Steffen/Dressler, a. a. O, S. 249, Rdnr. 492<br />
(55) Jaeger/Luckey, Das neue Schadensersatzrecht, ZAP, S. 87, Rdnr. 159<br />
(56) Deutsch/Spickhoff, a. a. O., S. 100, Rdnr. 143<br />
(57) Geiß/Greiner, a. a. O., S. 104, Rdnr. 214<br />
(58) Geiß/Greiner, a. a. O., S. 99, Rdnr. 202<br />
(59) Geiß/Greiner, a. a. O., S. 109, Rdnr. 231<br />
(60) Geiß/Greiner, a. a. O., S. 116, Rdnr. 252<br />
(61) Geiß/Greiner, a. a. O., S. 117, Rdnr. 252<br />
(62) BGH, Urteil vom 28.05.2002, VI ZR 42/01, MedR 2003, 169<br />
(63) VI ZR 34/03, ZMGR 2004, 123 ff.<br />
(64) Urteil vom 16.11.2004, VI ZR 328/03<br />
(65) Gehrlein ZMGR, 2003, 7, 9 f.<br />
(66) OLG Report 9/2003, S. 208 ff<br />
(67) Geiß/Greiner, a. a. O., S. 181, Rdnr. 134<br />
(68) GesR 2004, 469<br />
(69) Geiß/Greiner a. a. O., S. 182, Rdnr. 137<br />
(70) GesR 2004, 330 ff.<br />
(71) GesR 2004, 22<br />
(72) MDR 1998, 536<br />
(73) Steffen/Dressler, Neue Entwicklungen der BGH-Rechtsprechung, 8. Auflage,<br />
S. 237, 471 und 472<br />
(74) Martis/Winkhart, <strong>Arzthaftung</strong>srecht aktuell, S. 268<br />
(75) Zöller, 24. Auflage, 2004, vor § 415, Rdnr. 2<br />
(76) Viefues, NJW 2005, 1014<br />
(77) MedR 2002, 471<br />
(78) VersR 2002, 857<br />
(79) MedR 2002, 650<br />
(80) so Ziegler, VersR 2003, 545 ff.<br />
(81) BGH, VI ZR, 193/85 sowie BGH VI ZR 48/99<br />
(82) Steffen/Dressler, a. a. O., S. 87 Rdnr. 161 b<br />
(83) Deutsch/Spickhoff, a. a. O., S. 226, Rdnr. 346<br />
(84) OLG Hamm, VersR 2004, 386<br />
(85) OLG Düsseldorf, VersR 2004, 386<br />
(86) Gehrlein, a. a. O., S. 17<br />
(87) GesR 2004, 412 ff.<br />
(88) GesR 2004, 514<br />
46
(89) Steffen/Dressler, a. a. O., S. 128, Rdnr. 235<br />
(90) MedR 2005, 232 ff.<br />
(91) OLG Jena, Beschluss vom 15.01.2004, OLG Report, 7/2004 S. 140<br />
(92) Gehrlein, ZMGR 2003, 8 sowie BGH, NJW 2002, 2944<br />
(93) Geiß/Greiner, a. a. O., S. 11, Rdnr 31<br />
(94) Deutsch/Spickhoff, a. a. O., S. 77, Rdnr. 116<br />
(95) z. B. Steffen/Dressler, a. a. O., S. 12 ff., Rdnr. 24<br />
(96) VersR 1999, 61<br />
(97) OLG Düsseldorf, NJW-RR 2003, 1331<br />
(98) Deutsch/Spickhoff, a. a. O., S. 109, Rdnr. 158<br />
(99) Deutsch/Spickhoff, a. a. O., S. 109, Rdnr. 158<br />
(100) so Gründel, NJW 2002, 2988<br />
(101) NJW 2002, 2992<br />
(102) Geiß/Greiner, a. a. O., S. 7, Rdnr. 16<br />
(103) Steffen/Dressler, a. a. O., S. 35, Rdnr. 73 a<br />
(104) Steffen/Dressler, a. a. O., S. 41, Rdnr. 86<br />
(105) OLG Hamm, VersR 2003, 1312<br />
(106) Michalski/Römermann, Vertrag der Partnerschaftsgesellschaft, 3. Auflage,<br />
RWS Verlag, S. 60, Rdnr. 231, 232<br />
(107) Teichner/Schneider, MedR 2005, 128<br />
(108) Martis/Winkhart, <strong>Arzthaftung</strong>srecht aktuell, S. 272<br />
(109) OLG Koblenz, Urteil vom 15.01.2004, GesR 4/2005 und die Anmerkung<br />
von Jorzig<br />
(110) Steffen/Dressler, a. a. O., S. 296, Rdnr. 580<br />
(111) BGH, Beschluss vom 21.01.2003, VI ZB 51/02, MedR 2003, 405<br />
(112) Deutsch/Spickhoff, a. a. O., S. 83, Rdnr. 123<br />
(113) Deutsch/Spickhoff, a. a. O., S. 84, Rdnr. 124<br />
(114) VersR 2002, 1163<br />
47
Die ärztliche <strong>Schweigepflicht</strong><br />
Dr. med. Michael Kirsch & RA Dr. jur. Jürgen Trilsch<br />
„Was immer ich sehe und höre bei der Behandlung oder außerhalb der Behandlung<br />
im Leben der Menschen, so werde ich von dem, was niemals nach<br />
draußen ausgeplaudert werden soll, schweigen, indem ich alles Derartige als<br />
solches betrachte, das nicht ausgesprochen werden darf.“ Eid des Hippokrates<br />
1.Allgemeines zur ärztlichen <strong>Schweigepflicht</strong><br />
Nach allgemeiner Ansicht liegt der Ursprung der ärztlichen <strong>Schweigepflicht</strong> im<br />
Eid des Hippokrates.<br />
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die <strong>Schweigepflicht</strong> von einer Berufspflicht<br />
in eine Rechtspflicht, und zwar durch die mit Verabschiedung des Strafgesetzbuches<br />
von 1871 geschaffene Einführung der strafrechtlich sanktionierten<br />
Pflicht des Arztes, die <strong>Schweigepflicht</strong> einzuhalten (1).<br />
Heute finden sich Regelungen zur ärztlichen <strong>Schweigepflicht</strong> neben der Strafbestimmung<br />
des § 203 StGB insbesondere in den Berufsordnungen der auf<br />
Landesebene existierenden Ärztekammern.<br />
2.Rechtsgrundlagen der ärztlichen <strong>Schweigepflicht</strong><br />
Die ärztliche <strong>Schweigepflicht</strong> beruht auf folgenden rechtlichen Grundlagen:<br />
1. dem Grundrecht des Patienten auf Achtung der Intimsphäre;<br />
2. der Strafvorschrift des § 203 StGB. Danach macht sich strafbar, wer als<br />
Angehöriger der im Gesetz genannten Personen ein fremdes Geheimnis, das<br />
ihm anvertraut worden oder bekannt geworden ist, unbefugt offenbart;<br />
3. der in den ärztlichen Berufsordnungen verankerten <strong>Schweigepflicht</strong>;<br />
4. dem Arztvertrag. Die Beachtung der ärztlichen <strong>Schweigepflicht</strong> stellt eine so<br />
genannte ärztliche Nebenpflicht des mit dem Patienten abgeschlossenen<br />
Arztvertrages dar (2).<br />
Zusammengefasst ergibt sich folgendes: Die ärztliche <strong>Schweigepflicht</strong> lässt<br />
sich nicht auf das Verfassungsrecht (Grundrechte) und das Strafrecht reduzieren.<br />
Die Einhaltung der ärztlichen <strong>Schweigepflicht</strong> ist auch eine Rechtspflicht<br />
in berufsrechtlicher Hinsicht. Darüber hinaus kann die Verletzung der ärztlichen<br />
<strong>Schweigepflicht</strong> zivilrechtliche Konsequenzen für den Arzt haben, indem<br />
beispielsweise Schadenersatzansprüche geltend gemacht werden.<br />
48
3.Die Strafvorschrift des § 203 StGB<br />
Die Geheim- und Individualsphäre des Einzelnen wird strafrechtlich geschützt. Darüber<br />
hinaus schützt das Gesetz jedoch auch die Funktionstüchtigkeit des Arztberufes,<br />
denn die <strong>Schweigepflicht</strong> einerseits und das erforderliche Vertrauensverhältnis<br />
zwischen Patient und Arzt andererseits sind engstens miteinander verknüpft.<br />
Strafverfahren gegen Ärzte wegen Verletzung der ärztlichen <strong>Schweigepflicht</strong><br />
spielen in der Praxis und im Justizalltag nur eine äußerst geringe Rolle, was vor<br />
allem auf drei Gründe zurückzuführen ist:<br />
Es handelt sich bei dem Vorwurf der Verletzung von Privatgeheimnissen im<br />
Sinne des § 203 StGB um ein absolutes Antragsdelikt. Das bedeutet, dass der<br />
Patient einen fristgerechten Strafantrag stellen muss, um die Verfolgung in<br />
Gang zu setzen (§ 205 StGB). Darüber hinaus handelt es sich um einen Vorsatztatbestand.<br />
Die Strafverfolgung setzt also einen bewussten und gewollten Geheimnisbruch<br />
voraus (3). Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Bereitschaft<br />
der Ärzteschaft in Sachsen groß ist, gerade in diesem Bereich rechtliche<br />
Fragen mit der <strong>Sächsische</strong>n Landesärztekammer abzuklären, was für ein hohes<br />
Problembewusstsein spricht.<br />
Trotzdem darf die Bedeutung der ärztlichen <strong>Schweigepflicht</strong> nicht unterschätzt<br />
werden. Der Bundesgerichtshof hatte in einer Grundsatzentscheidung zu einer<br />
wesentlichen Stärkung beigetragen (4). Der BGH hat insbesondere das umfassende<br />
Schweigerecht von Ärzten in Strafprozessen gestärkt. Entbindet ein Angeklagter<br />
nämlich einen Arzt nicht von der <strong>Schweigepflicht</strong>, so darf ihm (dem<br />
Angeklagten) eine solche Vorgehensweise im Strafverfahren nicht als belastendes<br />
Indiz angelastet werden.<br />
Die Vorschrift des § 203 hat in in gekürzter Fassung folgenden Wortlaut:<br />
„(1) Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen<br />
Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis<br />
offenbart, das ihm als<br />
1. Arzt, Zahnarzt, Tierarzt, Apotheker oder Angehöriger eines anderen Heilberufs,<br />
der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung<br />
eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert, anvertraut worden oder sonst<br />
bekanntgeworden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit<br />
Geldstrafe bestraft. ......<br />
(2) .... Den in Absatz 1 und Satz 1 Genannten stehen ihre berufsmäßig tätigen<br />
Gehilfen und die Personen gleich, die bei ihnen zur Vorbereitung auf den<br />
Beruf tätig sind. ....“<br />
49
Zum Personenkreis<br />
Der strafrechtlichen <strong>Schweigepflicht</strong> unterliegen auch nichtärztliche Psychotherapeuten,<br />
Krankenschwestern, Hebammen, Masseure, Diätassistenten, Physiotherapeuten,<br />
Logopäden, Ergotherapeuten, Rettungsassistenten, nicht jedoch<br />
Heilpraktiker.<br />
Zu den berufsmäßig tätigen Gehilfen des Arztes gehören auch die Arzthelferinnen<br />
und das Krankenpflegepersonal.<br />
Das Geheimnis<br />
Tatobjekt ist ein Geheimnis, das einen anderen Menschen betrifft und das dem<br />
persönlichen Lebens- und Geheimbereich des Betroffenen angehört.<br />
Das Geheimnis ist eine Tatsache, die nur einem Einzelnen oder nur einem beschränkten<br />
Personenkreis bekannt ist und an deren Geheimhaltung der Betroffene<br />
ein schutzwürdiges Interesse hat (5).<br />
Die Tatsache muss geheim sein, also höchstens einem beschränkten Personenkreis<br />
bekannt sein.<br />
Geheimnisse sind nicht nur Tatsachen und Umstände, die sich auf den Gesundheitszustand<br />
des Patienten beziehen. Zu den Geheimnissen gehören auch alle<br />
Gedanken, Meinungen, Empfindungen, Handlungen, die familiären, finanziellen<br />
sowie beruflichen Verhältnisse, an deren Geheimhaltung der Patient erkennbar<br />
ein Interesse hat. Hierzu gehört auch das so genannte Drittgeheimnis. Rieger<br />
nennt folgendes Beispiel: der Patient berichtet dem Arzt, dass sein Nachbar<br />
sich einer Alkoholentziehungskur unterzogen habe (6).<br />
Zum schutzwürdigen Geheimnis gehört bereits der Name des Patienten sowie<br />
die Frage, ob überhaupt jemand den Arzt aufgesucht hat.<br />
Kein Geheimnis hingegen ist das, was offenkundig ist.<br />
Schließlich muss der Betroffene ein Interesse an der Geheimhaltung haben. Es<br />
muss sich also sowohl objektiv als auch subjektiv um ein Geheimnis handeln.<br />
Geschützt sind nur solche Geheimnisse, die dem Arzt in seiner Eigenschaft als<br />
Arzt – nicht dagegen als Privatmann – anvertraut wurden. Es muss also ein<br />
innerer Zusammenhang zur ärztlichen Berufstätigkeit – ein so genannter berufsrechtlicher<br />
Konnex – vorhanden sein. Es kommt dabei allerdings nicht darauf<br />
an, ob ihm das Geheimnis in der Praxis, beim Hausbesuch oder auf der<br />
Straße übermittelt wurde. Entscheidend ist, dass er in seiner Eigenschaft als<br />
Arzt von dem Geheimnis erfuhr. Daran fehlt es, wenn der Arzt das Geheimnis<br />
gänzlich außerhalb seiner Berufsausübung bei privaten gesellschaftlichen Anlässen<br />
erfahren hat (7).<br />
50
Die Abgrenzung dürfte im Einzelfall schwierig sein, so dass sich im Zweifelsfalle<br />
empfiehlt zu schweigen.<br />
Das Offenbaren<br />
Unter „Offenbaren“ ist die Weitergabe des Geheimnisses und die Benennung<br />
seines Trägers an einen Dritten zu verstehen, dem die Tatsache noch nicht bzw.<br />
noch nicht sicher bekannt ist.<br />
Das Anvertrauen bzw. sonst bekannt geben<br />
Anvertrauen bedeutet die Mitteilung eines Geheimnisses unter dem (ausdrücklichen)<br />
Siegel der Verschwiegenheit oder unter Umständen, aus denen sich<br />
diese Pflicht ergibt (8).<br />
Es ist dabei unerheblich, ob die dem Arzt gegebene Information in einem unmittelbaren<br />
Zusammenhang mit der erbetenen ärztlichen Behandlung steht. Die<br />
<strong>Schweigepflicht</strong> besteht auch, sofern sich der Patient in einem allgemeinen<br />
Gespräch über sonstige Sorgen und Nöte äußert (9).<br />
Auch auf sonstige Weise, zum Beispiel durch Dritte, kann dem Arzt ein<br />
Geheimnis bekannt werden. Gleichgültig ist auch, ob der Arzt für den Patienten<br />
tätig wurde oder nicht. Sogar die Ablehnung einer Behandlung oder die Bitte<br />
um ein falsches Gesundheitszeugnis fallen unter die <strong>Schweigepflicht</strong> (10).<br />
Unbefugt sein<br />
Die Offenbarung des Geheimnisses muss unbefugt sein. Ist der Arzt beispielsweise<br />
von der <strong>Schweigepflicht</strong> durch Einwilligung des Patienten entbunden,<br />
dann stellt dies einen der so genannten Rechtfertigungsgründe dar, so dass das<br />
Offenbaren straflos ist.<br />
Die einzelnen Rechtfertigungsgründe:<br />
a) Einwilligung des Patienten<br />
Die Offenbarung des Geheimnisses ist befugt, wenn der Patient wirksam eingewilligt<br />
hat. Grundsätzlich ist die Einwilligung formlos möglich. Zur Schriftform<br />
der Einwilligung gem. § 4 Abs. 2 Satz 2 des BDSG (Bundesdatenschutzgesetz)<br />
wird auf Ziff. 6 verwiesen.<br />
Für die strafrechtliche Einwilligung kommt es ausschließlich darauf an, ob der<br />
Patient eingewilligt hat oder nicht.<br />
51
) Konkludente Einwilligung<br />
Die Einwilligung kann auch konkludent (stillschweigend) erteilt werden. Sofern<br />
für den Patienten beispielsweise in Fällen der Mit-, Weiter- und Nachbehandlung<br />
eine Koordination der einzelnen ärztlichen Maßnahmen zwischen den beteiligten<br />
Ärzten erkennbar unumgänglich ist, kann das stillschweigende Einverständnis<br />
des Patienten vorausgesetzt werden mit der Folge, dass die grundsätzlich<br />
auch zwischen den Ärzten bestehende <strong>Schweigepflicht</strong> aufgehoben ist (11).<br />
Konkludentes Einverständnis wird auch angenommen, wenn der Klinikarzt<br />
nach einer Einweisung dem Hausarzt berichtet (12).<br />
c) Mutmaßliche Einwilligung<br />
Kann sich der Patient beispielsweise infolge Todes, Bewusstlosigkeit oder Geistesschwäche<br />
nicht mehr äußern, so stellt sich die Frage der mutmaßlichen Einwilligung.<br />
Es geht hier um Fallgestaltungen, wo die ausdrückliche Einwilligung<br />
nicht (mehr) eingeholt werden kann und auch keine stillschweigende (konkludente)<br />
Einwilligung vorliegt.<br />
Sofern es möglich ist, die Einwilligung des Patienten einzuholen, muss dies<br />
geschehen! Der Arzt kann sich also nicht auf die mutmaßliche Einwilligung des<br />
Patienten berufen, wenn er nicht zuvor – das heißt vor dem Offenbaren des Geheimnisses<br />
– versucht hat, die Einwilligung des Patienten einzuholen.<br />
Bei der Annahme der mutmaßlichen Einwilligung werden zwei Fälle unterschieden.<br />
Der erste Fall ist die Situation, dass der Patient nicht vorher befragt<br />
werden kann. Beispiel: Die Polizei wendet sich an den Arzt und teilt mit, dass<br />
der Patient entführt worden sei und benötigt Informationen, die zur Befreiung<br />
des Patienten aus seiner misslichen Lage dienen. Hier kann der Arzt den Patienten<br />
nicht befragen. Der Patient würde jedoch mutmaßlich damit einverstanden<br />
sein, dass alles getan wird, um ihm zu helfen und zu befreien. Die zweite Fallgestaltung<br />
besteht darin, dass der Patient zweifelsfrei und erkennbar überhaupt<br />
kein Interesse an der Wahrung des Geheimnisses haben wird, da er zum Beispiel<br />
als Straftäter in Frage kommt. In diesem Fall wird der Patient mutmaßlich nicht<br />
damit einverstanden sein, dass der Arzt seine <strong>Schweigepflicht</strong> bricht. Der Arzt<br />
wird im Zweifelsfalle schweigen (13).<br />
d) Rechtfertigender Notstand gem.§ 34 StGB<br />
Ein Offenbarungsrecht besteht für den Arzt auch dann, wenn diese zum Schutz<br />
eines höherrangigen Rechtsgutes erforderlich ist. Darüber hinaus muss die<br />
Offenbarung ein angemessenes Mittel zur Gefahrenabwehr darstellen.<br />
52
Der § 34 StGB hat (gekürzt) folgenden Wortlaut:<br />
„Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben,<br />
Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um<br />
die Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einer anderen ihm nahe stehenden<br />
Person abzuwenden, handelt ohne Schuld...“<br />
Voraussetzung für die Anwendung der Bestimmung des § 34 StGB ist, dass das<br />
geschützte Rechtsgut (zum Beispiel Gesundheit oder Leben) das beeinträchtigende<br />
Rechtsgut (die ärztliche <strong>Schweigepflicht</strong>) wesentlich überwiegt und der Eingriff<br />
zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr zwingend notwendig ist. Das kann zum<br />
Beispiel die Anzeige einer Person zur Verhinderung einer bevorstehenden Straftat<br />
nach erfolgreichem Versuch sein, den Täter von der Tat abzuhalten (14).<br />
Dabei ist stets der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, so dass vom<br />
Arzt eine Güterabwägung vorgenommen werden muss.<br />
Ein viel beachteter Beschluss des OLG Frankfurt a. M. vom 08.08.1999 musste<br />
sich unter anderem mit der Vorschrift des § 34 StGB befassen (14a).<br />
Zwei Lebenspartner waren Patienten des gleichen Arztes. Der Lebensgefährte war<br />
an Aids erkrankt. Er untersagte dem Arzt jede Auskunftserteilung über die Aids-<br />
Infektion. Daraufhin schwieg der Arzt gegenüber der Lebensgefährtin. Die Lebensgefährtin<br />
wurde später HIV-positiv und verklagte den Arzt. Das OLG wies<br />
darauf hin, dass die ärztliche <strong>Schweigepflicht</strong> in erheblichen Maße eingeschränkt<br />
war, da die Voraussetzungen eines rechtfertigenden Notstandes gem. § 34 StGB<br />
vorgelegen hätten. Der beklagte Arzt sei gehalten gewesen, die Lebensgefährtin<br />
auch gegen den Willen des Lebensgefährten aufzuklären. Dem Schutzbedürfnis<br />
der ärztlichen Verschwiegenheit stehe gegenüber, dass insbesondere der Sexualpartner<br />
des erkrankten Patienten vor der ihm drohenden tödlichen Gefahr einer<br />
Aids-Erkrankung bewahrt werden müsse. Das OLG bejahte im konkreten Fall<br />
sogar eine Rechtspflicht des Arztes zur Offenbarung der drohenden Gefahr.<br />
Das Strafverfolgungsinteresse bezüglich bereits begangener – also zurückliegender<br />
Delikte rechtfertigt die Verletzung der <strong>Schweigepflicht</strong> grundsätzlich nicht (15).<br />
Stets muss der Arzt selbst die Interessenabwägung vornehmen, was im Einzelfall<br />
für den Arzt äußerst schwierig sein kann.<br />
e) Wahrung eigener Interessen<br />
Die Wahrung eigener Interessen kann es rechtfertigen, dass der Arzt notwendige<br />
Angaben zur Krankheit sowie zur Behandlung des Patienten macht.<br />
Es sei zum Beispiel an die gerichtliche Geltendmachung einer ärztlichen<br />
Honorarforderung gedacht.<br />
53
Darüber hinaus muss der Arzt die Möglichkeit haben, sich gegen die Ehre kränkende<br />
und beleidigende Behauptungen schützen zu können, wobei hier Zurückhaltung<br />
geboten ist.<br />
Schließlich muss er sich auch gegen strafrechtlich relevante Vorwürfe, zum<br />
Beispiel fahrlässige Tötung oder fahrlässige Körperverletzung zur Wehr setzen<br />
können. Gleiches gilt für die in der Praxis viel häufiger vorkommenden Zivilverfahren,<br />
in denen sich der Arzt dem Vorwurf eines Aufklärungs- bzw. Behandlungsfehlers<br />
ausgesetzt sieht und der Patient Schadenersatzansprüche beim<br />
Zivilgericht geltend macht.<br />
f) Besondere Rechtfertigungsgründe<br />
Die Offenbarung des Patientengeheimnisses ist zulässig, wenn sie zur Erfüllung<br />
einer gesetzlichen Offenbarungspflicht erfolgt. Rieger nennt im Lexikon des<br />
Arztrechts (S. 31, Rdnr. 70) folgende Beispiele:<br />
1. §§ 6 bis 15 IfSG (Infektionsschutzgesetz, früher Bundesseuchengesetz):<br />
Verpflichtung des Arztes, Erkrankungen oder Infektionen aufgrund von meldepflichtigen<br />
Krankheitserregern dem Gesundheitsamt mitzuteilen;<br />
2. § 18 Abs. 1 SchKG (Schwangerschaftskonfliktgesetz):<br />
Diese Bestimmung verlangt eine Auskunftspflicht der Inhaber von Arztpraxen<br />
und der Leiter von Krankenhäusern über die Zahl der durchgeführten<br />
Schwangerschaftsabbrüche;<br />
3. §§ 138, 139 Abs. 3 StGB (Strafgesetzbuch):<br />
Geplante nicht bereits begangene schwere Verbrechen – und zwar nur die im<br />
oben genannten Gesetz genannten – sind, das heißt müssen angezeigt werden.<br />
Die oben genannten Bestimmungen betreffen im wesentlichen folgende Delikte,<br />
wobei im Einzelfall der genaue Gesetzeswortlaut überprüft werden muss,<br />
bevor der Arzt das Geheimnis offenbart:<br />
– Vorbereitung eines Angriffskrieges,<br />
– Hochverrat,<br />
– Landesverrat,<br />
– Geld- oder Wertpapierfälschung,<br />
– schweren Menschenhandel,<br />
– Mord, Totschlag oder Völkermordstraftaten gegen die persönliche Freiheit,<br />
– Raub oder Räuberische Erpressung,<br />
– bestimmte gemeinschaftliche Straftaten zum Beispiel gemeinschaftliche Brandstiftung.<br />
54
Der § 139 Abs. 3 StGB befasst sich mit der Straflosigkeit der Nichtanzeige in<br />
bestimmten Fällen. Wer nämlich eine Anzeige unterlässt, obwohl er Anzeige<br />
erstatten müsste, der ist dann straffrei, wenn er sich ernsthaft bemüht hat, den<br />
Täter von der Tat abzuhalten oder den Erfolg abzuwenden, es sei denn es handelt<br />
sich um schwerste Verbrechen, wo sich der Arzt auch dann nicht auf Straffreiheit<br />
berufen kann, obwohl der die oben genannten Bemühungen unternommen hat.<br />
Strafanzeige ist stets bei folgenden geplanten Straftaten zu erstatten:<br />
– Mord oder Totschlag (§§ 211 oder 212),<br />
– Völkermord in den Fällen des § 220 a Abs. 1 Nr. 1 oder<br />
– Erpresserischer Menschenraub (§ 239 a Abs. 1), Geiselnahme (§ 239 b Abs. 1)<br />
oder Angriff auf den Luft- und Seeverkehr (§ 316 c Abs. 1) durch eine terroristische<br />
Vereinigung (§ 129 a).<br />
4.<strong>Schweigepflicht</strong> und die ärztliche Berufsordnung<br />
Jede Ärztekammer hat als Körperschaft des öffentlichen Rechts bestimmte<br />
Rechte und Pflichten. Dazu gehört auch die Pflicht, Satzungen zu erlassen. Die<br />
für die Ärzte wichtigste Satzung ist die Berufsordnung. Die Berufsordnungen<br />
der einzelnen Ärztekammern ähneln sich, sind jedoch nicht identisch. Die<br />
Kammerversammlung der jeweiligen Länderkammer entscheidet darüber, ob<br />
sie den empfohlenen Wortlaut der (Muster-)Berufsordnung der Bundesärztekammer<br />
übernimmt oder kammerspezifisch eigene Regelungen schafft.<br />
Die Bestimmung des § 9 der Berufsordnung der <strong>Sächsische</strong>n Landesärztekammer<br />
hat folgenden Wortlaut:<br />
„(1) Der Arzt hat über das, was ihm in seiner Eigenschaft als Arzt anvertraut<br />
oder bekannt geworden ist – auch über den Tod des Patienten hinaus – zu<br />
schweigen. Dazu gehören auch schriftliche Mitteilungen des Patienten,<br />
Aufzeichnungen über Patienten, Röntgenaufnahmen und sonstige Untersuchungsbefunde.<br />
(2) Der Arzt ist zur Offenbarung befugt, soweit er von der <strong>Schweigepflicht</strong> entbunden<br />
worden ist oder soweit die Offenbarung zum Schutze eines höherwertigen<br />
Rechtsgutes erforderlich ist. Gesetzliche Aussage- und Anzeigepflichten<br />
bleiben unberührt. Soweit gesetzliche Vorschriften die <strong>Schweigepflicht</strong> des<br />
Arztes einschränken, soll der Arzt den Patienten darüber unterrichten.<br />
(3) Der Arzt hat seine Mitarbeiter und die Personen, die zur Vorbereitung auf<br />
den Beruf an der ärztlichen Tätigkeit teilnehmen, über die gesetzliche<br />
Pflicht zur Verschwiegenheit zu belehren und dies schriftlich festzuhalten.<br />
55
(4) Wenn mehrere Ärzte gleichzeitig oder nacheinander denselben Patienten<br />
untersuchen oder behandeln, so sind sie untereinander von der <strong>Schweigepflicht</strong><br />
insoweit befreit, als das Einverständnis des Patienten vorliegt oder<br />
anzunehmen ist.“<br />
Der vollständige Wortlaut der Berufsordnung ist jederzeit abrufbar unter<br />
www.slaek.de. Darüber hinaus sind auf der Homepage der Bundesärztekammer<br />
die Empfehlungen der Bundesärztekammer zur ärztlichen <strong>Schweigepflicht</strong>, Datenschutz<br />
und Datenverarbeitung in der Arztpraxis verfügbar (Internetadresse:<br />
www.bundesaerztekammer.de).<br />
Die in der Berufsordnung enthaltende Vorschrift zur <strong>Schweigepflicht</strong> stellt eine<br />
der zentralen Vorschriften des ärztlichen Standesrechts dar (16).<br />
Der Wortlaut des § 203 Abs. 1 StGB stimmt nicht vollinhaltlich mit dem Wortlaut<br />
des § 9 Berufsordnung überein. Der § 203 Abs. 1 StGB stellt nur das unbefugte<br />
Offenbaren eines Geheimnisses unter Strafe, während nach § 9 der Berufsordnung<br />
alles, was dem Arzt anvertraut worden oder auf sonstige Weise bekannt<br />
wurde, sanktioniert wird. Der Wortlaut geht also weiter, jedoch soll der strafrechtliche<br />
Geheimnisbegriff als Leitlinie herangezogen werden (17).<br />
Die oben genannte Strafrechtsnorm des § 203 StGB und die Norm des § 9<br />
Berufsordnung stehen nebeneinander.<br />
Die Verletzung der <strong>Schweigepflicht</strong> im Sinne des § 9 Berufsordnung stellt eine<br />
berufsunwürdige Handlung dar. Sie kann zu einer Ahndung durch das Berufsgericht<br />
für Heilberufe führen.<br />
Ein Strafurteil hindert weder im Falle des Freispruchs noch im Falle der<br />
Verurteilung die Möglichkeit der berufsgerichtlichen Ahndung derselben<br />
Tat. Aufgrund des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist jedoch eine zusätzliche<br />
Sanktion durch ein Berufsgericht nur dann erlaubt, wenn ein so<br />
genannter berufsrechtlicher Überhang vorliegt, wenn also die Strafe basierend<br />
auf dem Strafgesetzbuch nicht ausreicht, um den beschuldigten Arzt zur Erfüllung<br />
seiner Pflichten anzuhalten und das Ansehen des Berufsstandes zu<br />
wahren.<br />
5.<strong>Schweigepflicht</strong> und Zivilrecht<br />
Die Verletzung der ärztlichen <strong>Schweigepflicht</strong> kann neben straf- bzw. berufsrechtlichen<br />
Konsequenzen zivilrechtliche Folgen haben.<br />
Verletzt zum Beispiel der niedergelassene Arzt die <strong>Schweigepflicht</strong> gegenüber<br />
dem Patienten, so stellt sich die Frage, ob der Arztvertrag verletzt wurde. Ein<br />
56
Arztvertrag kommt nach heute überwiegender Meinung sowohl mit dem Privatpatienten<br />
zustande als auch mit dem Kassenpatienten. Die schuldhafte Verletzung<br />
einer Pflicht des Arztvertrages kann unter dem Gesichtspunkt der positiven Vertragsverletzung<br />
Schadenersatzansprüche begründen (18). Es wurde bereits ausgeführt,<br />
dass die Einhaltung der <strong>Schweigepflicht</strong> eine so genannte vertragliche<br />
Nebenpflicht des Arztvertrages ist.<br />
Ähnlich wie bei der <strong>Arzthaftung</strong> existiert neben der vertraglichen Haftungsschiene<br />
auch die Schiene der deliktischen Haftung. Klassische Fälle deliktischer<br />
Haftung sind Verkehrsunfälle. Der Verkehrsunfallverursacher und das<br />
Verkehrsunfallopfer schließen keinen Vertrag ab, bevor es zum Unfall kommt.<br />
Trotzdem haftet der Unfallverursacher gegenüber dem Opfer des Unfalles.<br />
Rechtsgrundlage sind die deliktischen Bestimmungen der §§ 823 Abs. 1 BGB<br />
wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sowie 823 Abs. 2 BGB<br />
i. V. m. § 203 Abs. 1 StGB wegen Verletzung eines so genannten Schutzgesetzes.<br />
Stets muss es sich um eine schuldhafte Verletzung der <strong>Schweigepflicht</strong><br />
handeln, wobei im Gegensatz zum Strafrecht Fahrlässigkeit genügt, um die<br />
Haftung begründen zu können.<br />
Die zivilrechtliche Problematik wird auch von Bender angesprochen (18a).<br />
Dort wird darauf hingewiesen, dass aufgrund der Konstellation des Vertrages<br />
mit Schutzwirkung für Dritte der Arzt verpflichtet sein kann, auch Dritten<br />
gegenüber – insbesondere gegenüber Familienangehörigen des Patienten – die<br />
<strong>Schweigepflicht</strong> einzuhalten. Namentlich erwähnt wird der Bereich der Psychotherapie,<br />
wo der Arzt/Therapeut einen tiefen Einblick in das Familienleben dritter<br />
Personen erhält.<br />
In bestimmten gesondert gelagerten Fällen sind auch zivilrechtliche Unterlassungsklagen<br />
denkbar.<br />
6.<strong>Schweigepflicht</strong> und Datenschutz<br />
In der Bundesrepublik existiert das Bundesdatenschutzgesetz. Darüber hinaus<br />
gelten in den Ländern Landesdatenschutzgesetze, die Behörden und öffentliche<br />
Stellen der Länder und Gemeinden erfassen.<br />
Das BDSG (Bundesdatenschutzgesetz) ist einschlägig für alle privaten und freien<br />
gemeinnützigen Krankenhäuser und Kliniken, für den betriebsärztlichen<br />
Dienst in privaten Unternehmen, für überbetriebliche arbeitsmedizinische<br />
Dienste in privater Trägerschaft und für alle Arztpraxen (19).<br />
Die folgenden Ausführungen befassen sich ausschließlich mit dem BDSG.<br />
57
Die ärztliche <strong>Schweigepflicht</strong> und die datenschutzrechtlichen Vorschriften gelten<br />
nebeneinander. Die ärztliche <strong>Schweigepflicht</strong> verdrängt das Datenschutzrecht<br />
nicht, so dass von einer Parallelgeltung gesprochen wird. Der Datenschutz<br />
und der Schutz der ärztlichen <strong>Schweigepflicht</strong> werden jedoch im vertragsärztlichen<br />
Bereich durch das Sozialgeheimnis modifiziert (19a). Die Regelungen<br />
dazu befinden sich insbesondere in Bestimmungen des SGB I und des SGB X.<br />
Das BDSG findet auch auf medizinische Daten Anwendung. Sowohl manuell<br />
geführte als auch computermäßig erfasste Patientendaten fallen unter das<br />
Gesetz (20).<br />
Das BDSG schützt personenbezogene Daten. Die Verarbeitung personenbezogener<br />
Daten und deren Nutzung ist zulässig, wenn sie durch Gesetz erlaubt oder<br />
durch Einwilligung des Patienten gedeckt ist.<br />
Die Datenerhebung und Datenspeicherung basieren auf dem Grundsatz der Erforderlichkeit.<br />
Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Freiwilligkeit gewährt<br />
wird. Niemand kann dazu gezwungen werden, dass Daten erhoben und gespeichert<br />
werden. Bei diesem juristischen Ansatz ist jedoch zu beachten, dass die<br />
Funktionstüchtigkeit des Praxisbetriebes gewährleistet sein muss, ganz abgesehen<br />
davon, dass die Erhebung und Speicherung von Daten auch dem Patienten<br />
zugute kommt, da der Arzt nur Daten erheben wird und erheben darf, die zur<br />
Erfüllung des Arztvertrages erforderlich sind. Die Empfehlungen der Bundesärztekammer<br />
zur ärztlichen <strong>Schweigepflicht</strong>, Datenschutz und Datenverarbeitung<br />
in der Arztpraxis (www. bundesaerztekammer.de, Rubrik Empfehlungen<br />
der BÄK) weisen darauf hin, dass im Rahmen der Zweckbestimmung des Patientenvertrages<br />
das Speichern von Patientendaten auch mittels EDV zulässig<br />
sei und es einer gesonderten Einwilligung und Benachrichtigung des Patienten<br />
nicht bedürfe.<br />
Anders sieht die Situation bei der Übermittlung von Patientendaten an Dritte<br />
aus. Schlund weist darauf hin, dass die Übermittlung von Daten, die dem Gebot<br />
des § 203 Abs. 1 StGB unterliegen würden, in der Regel nur basierend auf der<br />
schriftlichen Einwilligung des Patienten zulässig sei (21).<br />
Ähnlich ist die Empfehlung der Bundesärztekammer zu dieser Problematik, die<br />
folgenden Wortlaut innehat:<br />
„Die Übermittlung von Patientendaten bedarf unabhängig von der Form, in der<br />
sie erfolgt, grundsätzlich der gesetzlichen Ermächtigung oder, soweit diese<br />
nicht vorhanden ist, einer schriftlichen Einwilligungserklärung des Patienten.“<br />
In den Empfehlungen der Bundesärztekammer wird unter 4.1. weiter darauf<br />
hingewiesen, dass die Übermittlung von Patientendaten nur zulässig sei, wenn sie<br />
58
entweder durch eine gesetzliche Vorschrift, durch die Einwilligung des Patienten<br />
oder durch einen besonderen Rechtfertigungsgrund legitimiert sei. Ansonsten<br />
laufe der Arzt Gefahr, die ärztliche <strong>Schweigepflicht</strong> zu verletzen und gegen<br />
datenschutzrechtliche Vorschriften zu verstoßen. In Fällen der Mit- und Nachbehandlung<br />
(zum Beispiel Überweisung) seien die Ärzte insoweit von der <strong>Schweigepflicht</strong><br />
befreit, als dass das Einverständnis des Patienten anzunehmen sei.<br />
Hier ist natürlich zu beachten, dass insbesondere bei der Behandlung von Kassenpatienten<br />
verschiedene datenschutzrechtliche Vorschriften des SGB dem<br />
Datenschutzrecht vorgehen. So haben beispielsweise Ärzte gem. § 295 SGB V<br />
gegenüber den Kassenärztlichen Vereinigungen die Pflicht, die dort genannten<br />
Abrechnungsdaten aufzuzeichnen und zu übermitteln.<br />
Abschließend darf darauf hingewiesen werden, dass die wichtigsten gesetzlichen<br />
Übermittlungsbefugnisse an Dritte in den oben genannten Empfehlungen der<br />
Bundesärztekammer unter Ziff. 4.1. genannt sind (www. bundesaerztekammer.de<br />
oder Deutsches Ärzteblatt 93, vom 25. Oktober 1996, Ä-2809 ff.).<br />
7.<strong>Schweigepflicht</strong> und Zeugnisverweigerungsrecht<br />
Die ärztliche <strong>Schweigepflicht</strong> und das Zeugnisverweigerungsrecht des Arztes<br />
sind zwar miteinander verknüpft, aber nicht identisch. Die maßgebliche Bestimmung<br />
für den Strafprozess ist § 53 StPO (Strafprozessordnung), für den<br />
Zivilprozess ist § 383 ZPO (Zivilprozessordnung) heranzuziehen.<br />
Die Reichweite der Bestimmungen ist bereits unterschiedlich. So haben Geistliche<br />
und Journalisten ein Zeugnisverweigerungsrecht, unterliegen jedoch nicht<br />
der <strong>Schweigepflicht</strong> im Sinne des § 203 StGB. Sozialarbeiter und Eheberater<br />
hingegen unterliegen der <strong>Schweigepflicht</strong> gem. § 203 StGB, jedoch steht ihnen<br />
kein Zeugnisverweigerungsrecht zur Seite.<br />
Der Arzt hat ein prozessuales Zeugnisverweigerungsrecht, auf das er sich berufen<br />
darf, aber nicht berufen muss. Im Zweifel wird sich der Arzt auf sein Zeugnisverweigerungsrecht<br />
berufen müssen, will er nicht Gefahr laufen, ein Geheimnis<br />
unbefugt zu offenbaren.<br />
Wenn der Patient den Arzt von der <strong>Schweigepflicht</strong> entbindet, dann ist der Arzt<br />
gem. § 53 Abs. 2 StPO verpflichtet, auszusagen. Der Arzt handelt dann auch<br />
nicht unbefugt.<br />
59
8.Einzelfragen<br />
8.1. <strong>Schweigepflicht</strong> des ärztlichen Gutachters<br />
Die ärztliche <strong>Schweigepflicht</strong> gilt grundsätzlich auch für den Gutachter.<br />
Hier soll die Tätigkeit des Gerichtssachverständigen und die Tätigkeit des privat<br />
beauftragten Sachverständigen getrennt erörtert werden.<br />
a) Gerichtssachverständiger<br />
Der Arzt wird als Gerichtssachverständiger nicht als Helfer des Kranken tätig,<br />
sondern als Helfer des Gerichtes. Der Arzt, der in dieser Funktion an die zu<br />
begutachtende Person herantritt, muss dies zu erkennen geben. Er darf die in<br />
dieser Funktion erhobenen Befunde im Gutachten nicht verschweigen, was<br />
einer der Gründe dafür ist, dass behandelnder Arzt und Gutachter nicht zusammenfallen<br />
sollten. Darüber hinaus werden dem Gutachter aufgrund des die ärztliche<br />
Behandlung kennzeichnenden Vertrauensverhältnisses objektive Aussagen<br />
erschwert (22).<br />
Baer weist bei der Erstellung psychiatrisch-psychologischer Gutachten darauf<br />
hin, dass der Proband bereits am Anfang der Exploration ausdrücklich darüber<br />
zu informieren sei, dass der Gutachter nicht der gewohnte Hausarzt ist, sondern<br />
alle Angaben, soweit sie für die Begutachtung von Bedeutung sind, mitgeschrieben<br />
werden und diese Angaben in dem schriftlich zu erstellende Gutachten wieder<br />
auftauchen (23).<br />
Gegenüber dem Gericht, das den Gutachter beauftragt hat, ist die <strong>Schweigepflicht</strong><br />
durchbrochen, sofern es sich um Erkenntnisse handelt, die der Sachverständige<br />
im Rahmen seines Gutachtenauftrages erlangt (24). Im Übrigen gilt sie<br />
auch für den Gerichtsgutachter gegenüber jedermann, es sei denn, es handelt<br />
sich um offenkundige bzw. in öffentlicher Verhandlung erörterte Tatsachen.<br />
Darüber hinaus gilt die Durchbrechung der <strong>Schweigepflicht</strong> gegenüber dem<br />
Gericht nur für das Verfahren, welches Gegenstand des gerichtlichen Auftrages<br />
war, nicht jedoch für spätere andere Verfahren (25).<br />
b) Privatgutachter<br />
Die <strong>Schweigepflicht</strong> des privat beauftragten Sachverständigen ergibt sich aus<br />
dem mit dem Auftraggeber abgeschlossenem Vertrag. Sie stellt eine so genannte<br />
vertragliche Nebenpflicht dar. Gegenüber seinem Auftraggeber hat der Sachverständige<br />
naturgemäß nicht zu schweigen. Der Auftraggeber will zum Beispiel<br />
60
vom Arzt ein Gutachten, das ein gegebenenfalls fehlerhaftes oder unvollständiges<br />
Gerichtsgutachten erschüttern soll. Dieses Gutachten wird der Sachverständige<br />
seinem Auftraggeber zukommen lassen, seine Rechnung beifügen und im Übrigen<br />
gegenüber jedermann schweigen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Auftraggeber<br />
den Gutachter anweist, das in seinem Auftrag erstellte Gutachten einem<br />
Dritten, beispielsweise einer Versicherungsgesellschaft zukommen zu lassen.<br />
8.2.<strong>Schweigepflicht</strong> bei der Behandlung von Kindern u.Jugendlichen<br />
Auch Minderjährige haben ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse. Sofern<br />
der Minderjährige das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist grundsätzlich<br />
davon auszugehen, dass der Arzt die Eltern in vollem Umfang zu unterrichten<br />
hat (26).<br />
Ab dem vollendeten 14. Lebensjahr ist das Geheimhaltungsinteresse grundsätzlich<br />
zu akzeptieren.<br />
Selbstverständlich kann der Minderjährige den Arzt von der <strong>Schweigepflicht</strong><br />
entbinden. Der Minderjährige muss jedoch die erforderliche Urteils- und Einsichtsfähigkeit<br />
besitzen, ansonsten müssen die gesetzlichen Vertreter (regelmäßig<br />
die Sorgeberechtigten) den Arzt entbinden (27).<br />
Gerade bei der Behandlung von Kindern kann die bereits unter Ziff. 3 erörterte<br />
Notstandsproblematik gemäß § 34 StGB sowie die Frage des Vorliegens eines<br />
Drittgeheimnisses eine Rolle spielen. Bender erörtert folgendes Beispiel (27a):<br />
Bei der Untersuchung eines Kindes erfährt der Arzt, dass sein Vater es sexuell<br />
missbraucht hat. Die herrschende Meinung weist darauf hin, dass die <strong>Schweigepflicht</strong><br />
auch das Drittgeheimnis erfasst, also den Vater, der – da nicht selbst<br />
Patient – Dritter ist. Die Frage, ob der Arzt dennoch befugt ist, sich zu offenbaren<br />
setzt voraus, dass eine Notstandslage vorliegt. Davon ist dann auszugehen,<br />
wenn eine gegenwärtige Gefahr für Leib, Leben etc. vorliegt. Die kritische Frage<br />
ist die nach der gegenwärtigen Gefahr, denn liegen die Taten in der Vergangenheit<br />
und besteht keine Wiederholungsgefahr, dann entfällt auch die Rechtfertigungsmöglichkeit<br />
über § 34 StGB (27a).<br />
Bender weist darauf hin, dass eine gegenwärtige Gefahr dann bestehe, wenn ein<br />
Zustand gegeben sei, dessen Weiterentwicklung den Eintritt oder die Intensivierung<br />
eines Schadens ernstlich befürchten lasse, sofern keine Abhilfe erfolgt,<br />
wobei eine Wiederholungsgefahr nur dann ausreichend sei, wenn sie nicht nur<br />
abstrakt vorliegen würde. Darüber hinaus müsse die Offenbarung geeignet,<br />
erforderlich und verhältnismäßig sein. Die Offenbarung müsse ein angemesse-<br />
61
nes Mittel zur Abwehr der Gefahr sein, die dem Kind drohe. Der Arzt müsse im<br />
Einzelfall selbst prüfen, ob die Voraussetzungen des § 34 StGB vorliegen würden<br />
oder nicht (27a).<br />
Die Schwierigkeiten für den Arzt, die richtige Entscheidung zu treffen liegt auf der<br />
Hand. Die Vorsicht der oben genannten Ausführungen von Bender ist verständlich.<br />
Die <strong>Schweigepflicht</strong> ist ein hohes Rechtsgut, das nur ausnahmsweise durchbrochen<br />
werden darf, zumal die Anzeige nicht zwingend dem Schutzinteresse<br />
des Kindes am besten entsprechen muss. Bender weist auf das Problem, dass<br />
dringend behandlungsbedürftige Kinder möglicherweise nicht mehr behandelt<br />
würden, um eine mögliche Mitteilung oder Anzeige der Tat durch den Arzt zu<br />
vermeiden. Sie weist ferner darauf hin, dass hinreichende Verdachtsmomente<br />
vorliegen sollten, um den Täter sicher überführen zu können.<br />
8.3. <strong>Schweigepflicht</strong> des psychiatrisch tätigen Arztes<br />
Generell trifft den Arzt bei der Behandlung einer geistigen Erkrankung die gleiche<br />
<strong>Schweigepflicht</strong> wie bei der Behandlung anderer Krankheiten. In der<br />
Psychiatrie werden dem Arzt jedoch gewisse Grenzen der ärztlichen <strong>Schweigepflicht</strong><br />
zuerkannt. So ist es erlaubt bzw. sogar geboten, einen Dritten zu warnen,<br />
dem vom Patienten Gefahr droht (28).<br />
Zunächst ist dem Patienten jedoch die Gefährlichkeit seines Tuns vor Augen zu<br />
halten. Der Arzt soll dem Patienten selbiges untersagen. Erst dann, wenn der<br />
Kranke sich nicht an sein Verbot hält, darf der Arzt tätig werden (29), um der<br />
bestehenden Gefahr entgegenzuwirken. Der Arzt wird auch in solchen kritischen<br />
Fällen eine Güterabwägung vornehmen müssen. Die <strong>Schweigepflicht</strong><br />
und die drohende Gefahr für den Patienten selbst bzw. für Dritte sind miteinander<br />
abzuwägen.<br />
8.4. <strong>Schweigepflicht</strong> und elektronische Datenträger<br />
Gemäß § 10 der Berufsordnung bedürfen Aufzeichnungen auf elektronischen<br />
Datenträgern oder anderen Speichermedien besonderer Sicherungs- und Schutzmaßnahmen,<br />
um deren Veränderung, Vernichtung oder unrechtmäßige Verwendung<br />
zu verhindern.<br />
Oft ist es mit der Speicherung auf elektronische Datenträger nicht getan. Es<br />
stellt sich die Frage der Datenübermittlung. Auch die elektronische Datenübermittlung<br />
darf nur unter Beachtung der Vorschriften über die ärztliche Schweige-<br />
62
pflicht und des Datenschutzes erfolgen. Eine Datenübermittlung an Dritte<br />
bedarf also der Einwilligung des Patienten. Sie verlangt darüber hinaus besondere<br />
Formen der Datensicherheit. Darauf wurde bereits in der Literatur 1997<br />
hingewiesen mit dem besonderen Vermerk, dass in digitalen Netzen Manipulationen,<br />
unbefugte Kenntnisnahmen und Fehler während des Transports nicht<br />
ausgeschlossen werden können.<br />
Vor dem nicht verschlüsselten Versenden von E-Mails/digitalen Röntgenbildern<br />
– dies gilt erst recht, wenn die vorherige Einwilligung des Patienten nicht<br />
eingeholt wurde – muss dringend gewarnt werden. Es mag zwar bezweifelt werden,<br />
ob das unverschlüsselte Versenden von E-Mails eine Berufsrechtsverletzung<br />
oder gar eine Straftat darstellt (29a). Es stellt sich jedoch die Frage, ob der<br />
Arzt nicht verpflichtet ist, den Patienten über die Folgen des Versendens nicht<br />
verschlüsselter E-Mails aufzuklären und dessen Einwilligung einzuholen. Ebenso<br />
wenig sollte sich der Arzt auf einen Streit einlassen, der das Verhältnis einer<br />
etwaigen Verletzung der <strong>Schweigepflicht</strong> zur Verletzung datenschutzrechtlicher<br />
Vorschriften berührt, denn nach Auffassung von Hanika gelten ärztliche<br />
<strong>Schweigepflicht</strong> und Datenschutzrecht parallel (29b).<br />
8.5. <strong>Schweigepflicht</strong> und Informationsanspruch des Patienten<br />
Die ärztliche <strong>Schweigepflicht</strong> gilt nicht im Verhältnis zum eigenen Patienten.<br />
Folglich ist auch ein Recht des Patienten auf Einsicht in die Krankenunterlagen<br />
und auf Herausgabe von Kopien zu bejahen.<br />
Ein berechtigtes Interesse ist bereits beim Behandlerwechsel anzunehmen bzw.<br />
bei der Prüfung von Ansprüchen wegen möglicher Fehlbehandlung.<br />
Der Bundesgerichtshof hat das Einsichtsrecht auf Aufzeichnungen über objektiv<br />
physische Befunde und Berichte über Behandlungsmaßnahmen beschränkt.<br />
Subjektive Wertungen des Arztes und die Wiedergabe persönlicher Eindrücke<br />
sollen nicht dazu gehören (30).<br />
Sofern keine schutzwürdigen Interessen des Patienten, des Arztes oder Dritter<br />
im Raum stehen, hat auch ein psychiatrischer Patient Einsicht in die Krankenunterlagen<br />
(31). Auch in den Empfehlungen der Bundesärztekammer wird<br />
unter Ziff. 5 auf diese Problematik hingewiesen, da in diese Aufzeichnungen<br />
die Persönlichkeit des Arztes ebenso wie dritter Personen umfassender einfließen<br />
und spezifische therapeutische Risiken aus einer Rekonstruktion verarbeiteter<br />
Problemfelder für den Patienten entstehen könnten.<br />
63
8.6. Postmortale <strong>Schweigepflicht</strong><br />
Der Arzt ist auch nach dem Tod des Patienten zur Verschwiegenheit verpflichtet.<br />
Nur der Patient selbst kann den Arzt von seiner <strong>Schweigepflicht</strong> entbinden,<br />
seine Angehörigen oder Erben können es nicht. Eine Ausnahme von diesem<br />
Grundsatz wird für die Erben gemacht, wenn es um die Durchsetzung von überwiegend<br />
vermögensrechtlichen Ansprüchen in Versorgungs-, Versicherungsund<br />
Rentenfragen geht oder sofern es um die Einsicht in die Krankenunterlagen<br />
geht, wenn Schadenersatzansprüche gegen den Arzt oder das Krankenhaus<br />
durchgesetzt werden sollen (32).<br />
Sobald der Intimbereich des Patienten betroffen ist, hat der Arzt zu schweigen,<br />
es sei denn, der Patient hat den Arzt von der <strong>Schweigepflicht</strong> entbunden. Dies<br />
kann ausdrücklich oder durch schlüssiges Verhalten gegenüber dem Arzt<br />
geschehen, aber auch gegenüber einem Dritten. So kann der Erblasser einen<br />
Angehörigen ermächtigen, den Arzt zu entbinden. Liegt eine ausdrückliche<br />
oder stillschweigende Entbindung von der <strong>Schweigepflicht</strong> vor, die der Patient<br />
noch zu Lebzeiten abgegeben hat, so muss der Arzt aussagen. Umgekehrt darf<br />
sich der Arzt nicht auf den mutmaßlichen Willen des Patienten berufen, wenn er<br />
von dem später verstorbenen Patienten auf seine <strong>Schweigepflicht</strong> ausdrücklich<br />
oder konkludent (stillschweigend) hingewiesen wurde.<br />
In den wohl meisten Fällen wird es an einer Erklärung fehlen. Die höchstrichterliche<br />
Rechtsprechung verpflichtet den Arzt zur Aussage, wenn dies dem mutmaßlichen<br />
Willen des Patienten entspricht. Zum Intimbereich jedes Menschen<br />
gehört auch die Frage der Testierfähigkeit, so dass der Arzt bei seiner Entscheidung<br />
durch sein Standesethos einerseits und die Interessen des Erblassers<br />
andererseits zu einer gewissenhaften Prüfung verpflichtet ist, wobei ihm ein<br />
Entscheidungsspielraum bleibt, der durch die Gerichte nur eingeschränkt nachprüfbar<br />
ist.<br />
In der Literatur wird von einer Vermutungsregel gesprochen, wonach es dem<br />
Interesse des Verstorbenen entspricht, Zweifel über seine Geschäfts- und Testierfähigkeit<br />
auszuräumen (33). In diese Richtung weist auch eine Entscheidung<br />
des Bundesgerichtshofes (34). Danach könne nicht unterstellt werden, dass der<br />
Erblasser seinen die Testierfähigkeit ausschließenden Zustand vor dem Nachlassgericht<br />
hätte verbergen wollen. Das Interesse eines Testierunfähigen sei<br />
vielmehr darauf gerichtet, dass der Mangel offenbar und der Streit unter den<br />
Erbprätendenten möglichst bald beendet werde.<br />
64
8.7. <strong>Schweigepflicht</strong> und Praxisveräußerung<br />
Der Bundesgerichtshof verlangt vom Praxisveräußerer vor Weitergabe der Patientendokumentation<br />
an einen Nachfolger die Einholung der Zustimmung des<br />
Patienten (35).<br />
Insbesondere wird ein ganzer Übergabe-/Übernahmevertrag nichtig, wenn sich<br />
der Verkäufer zur Übertragung der Patientenkartei an den Käufer ohne Einwilligung<br />
der Patienten verpflichtet. Brauchbare Hinweise für die Vertragsgestaltung<br />
sind in den „Münchner Empfehlungen zur Wahrung der ärztlichen <strong>Schweigepflicht</strong><br />
bei Veräußerung einer Arztpraxis“ nachzulesen, abzufragen bei der<br />
Ärztekammer, veröffentlicht in MedR 1992, 207 ff.<br />
8.8. <strong>Schweigepflicht</strong> gegenüber der Gesetzlichen Krankenversicherung<br />
und Privaten Krankenversicherung sowie gewerblichen<br />
Verrechnungsstellen<br />
a) Gesetzliche Krankenversicherung<br />
Bereits mit der Aushändigung der Chip-Karte gibt der Patient zu erkennen, dass<br />
er mit der Weitergabe aller für die Feststellung der Leistungspflicht der Krankenkasse<br />
erforderlichen Tatsachen einverstanden ist (§ 60 SGB I). Die Offenbarung<br />
muss sich allerdings auf das Notwendige beschränken. Die Vorlage vollständiger<br />
ärztlicher Aufzeichnungen wird als unzulässig angesehen (36).<br />
b) Private Krankenversicherung<br />
Bei Anfragen von privaten Krankenversicherungen, aber auch privaten Unfallversicherungen<br />
und privaten Lebensversicherungen ist Zurückhaltung geboten,<br />
da die mit Abschluss des Versicherungsvertrages vom Patienten unterschriebene<br />
generelle Entbindung von der <strong>Schweigepflicht</strong> rechtlich als unwirksam<br />
angesehen wird. Sicherheitshalber sollte der Arzt sich vom Patienten von der<br />
<strong>Schweigepflicht</strong> entbinden lassen bzw. erforderliche Auskünfte direkt dem Patienten<br />
zukommen lassen. Es ist dann Sache des Patienten, die erbetene ärztliche<br />
Auskunft weiterzuleiten oder dies zu unterlassen.<br />
c) Gewerbliche Verrechnungsstellen<br />
Die Abtretung einer ärztlichen Honorarforderung an eine gewerbliche Verrechnungsstelle,<br />
die zum Zweck der Rechnungserstellung und Einziehung erfolgt,<br />
verletzt die ärztliche <strong>Schweigepflicht</strong>, wenn der Patient der damit verbundenen<br />
65
Weitergabe seiner Abrechnungsunterlagen nicht zugestimmt hat. Ein wirksames<br />
Einverständnis setzt voraus, dass der Patient über die Forderungsabtretung unterrichtet<br />
wurde. Die Mitteilung an den Patienten, Patientendaten würden zur Abwicklung<br />
der Patientenrechnungen weitergegeben, ist nicht ausreichend (36a).<br />
8.9. <strong>Schweigepflicht</strong> unter Ärzten<br />
Es ist darauf zu achten, dass vom Grundsatz her die <strong>Schweigepflicht</strong> auch unter<br />
Ärzten besteht. Davon zu trennen ist von vornherein die Behandlung in einem<br />
Krankenhausteam oder innerhalb einer Gemeinschaftspraxis, wo von einem<br />
stillschweigenden Einverständnis des Patienten auszugehen ist (37).<br />
Auch bei einer Weiter- und Nachbehandlung des Patienten durch einen anderen<br />
Arzt ist die <strong>Schweigepflicht</strong> gelockert bzw. aufgehoben (38). Der Arzt wird in<br />
der Regel zumindest von einer stillschweigenden Einwilligung ausgehen<br />
können.<br />
Holt der Patient, der bei einem Arzt in Behandlung ist, bei einem anderen Arzt<br />
eine Zweitmeinung ein, so ist im Zweifelsfall davon auszugehen, dass der Patient<br />
gerade nicht daran interessiert ist, dass sich die Ärzte untereinander austauschen.<br />
Es liegt auch kein Fall der Vor- und Nachbehandlung vor, so dass die<br />
<strong>Schweigepflicht</strong> zu beachten ist.<br />
9.Zusammenfassung<br />
Die ärztliche <strong>Schweigepflicht</strong> ist ein stets aktuelles Thema, das der Ärztin/dem<br />
Arzt im konkreten Fall schwierige Entscheidungen abverlangen kann. Niemand<br />
kann der Ärztin/dem Arzt die manchmal mit dem ärztlichen Gewissen schwer<br />
zu vereinbarende Entscheidung abnehmen. Es ist stets zu beachten, dass die<br />
wirklich schwierigen Fälle durch Interessenkonflikte gekennzeichnet sind und<br />
der Arzt Gefahr läuft, „zwischen die Stühle“ zu geraten. So steht zum Beispiel<br />
das verständliche Interesse der Strafverfolgungsbehörden auf der einen Seite.<br />
Auf der anderen Seite steht der Patient, der ein rechtlich geschütztes Interesse<br />
daran hat, dass sich der Arzt auch an seine Verschwiegenheitspflicht hält. Nicht<br />
zuletzt können die Interessen Dritter eine Rolle spielen, zum Beispiel von Kindern<br />
oder dem Ehepartner/Lebensgefährten des Patienten.<br />
Unter Ziff. 3 wurde ein Urteil des OLG Frankfurt a. M. vorgestellt, welches die<br />
Aids-Problematik zum Gegenstand hat. Hier stellt sich spiegelbildlich die<br />
Frage, ob nicht auch der Patient eine Offenbarungspflicht gegenüber dem Arzt<br />
66
hat, wenn er weiß, dass er an Aids erkrankt ist. Heberer und Mößbauer bejahen<br />
eine Offenbarungspflicht des Patienten gegenüber dem Arzt ausdrücklich und<br />
weisen darauf hin, dass auch der Arzt darauf vertrauen können muss, dass er<br />
darauf hingewiesen wird, wenn er sich gegen Ansteckung schützen muss, um<br />
seinen Beruf ausüben zu können (39).<br />
Dieser Leitfaden kann nur grundsätzliche Fragestellungen ansprechen. Er soll<br />
eine Art Hilfestellung sein bei der Beantwortung der nicht selten komplizierten<br />
Fragestellungen um die ärztliche <strong>Schweigepflicht</strong>.<br />
Literatur<br />
(1) Schlund, Handbuch des Arztrechtes, Verlag C.H. Beck 2002, S. 504,<br />
Rdnr. 4<br />
(2) Rieger, Lexikon des Arztrechts, 2. Auflage, C. F. Müller, Stichwort<br />
„<strong>Schweigepflicht</strong>“, S. 1, Rdnr. 2<br />
(3) Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 2. Auflage, C. F. Müller,<br />
S. 355, Rdnr. 360 a<br />
(4) BGH, Urteil vom 22.12.1999, NJW 2000, 1426 sowie MedR 2000, 426<br />
(5) Tröndle/Fischer, Strafgesetzbuch, 51. Auflage, Verlag C. H. Beck 2003,<br />
1263, Rdnr. 3<br />
(6) Rieger, a. a. O., S. 6, Rdnr. 14<br />
(7) Ulsenheimer, Handbuch des Arztrechts, S. 508, Rdnr. 6<br />
(8) Ulsenheimer, Handbuch des Arztrechts, S. 509, Rdnr. 7<br />
(9) Lenckner, in Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, Kommentar, 26. Auflage,<br />
C. H. Beck, S. 1627, Rdnr. 14<br />
(10) Schlund, Handbuch des Arztrechts, S. 525, Rdnr. 1<br />
(11) Rieger, a. a. O., S. 25, Rdnr. 53<br />
(12) Lenckner, a. a. O., S. 1632, Rdnr. 24 b<br />
(13) Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, S. 366, Rdnr. 375<br />
(14) Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, S. 367, Rdnr. 376<br />
(14a) OLG Frankfurt a. M., NJW 2000, 876<br />
(15) Lenckner, a. a. O., S. 1636, Rdnr. 32<br />
(16) Lippert, Kommentar zur Musterberufsordnung der Deutschen Ärzte<br />
(MBO), Springer Verlag, 2. Auflage, S. 61, Rdnr. 1<br />
(17) Lippert, a. a. O., S. 63, Rdnr. 5<br />
(18) Rieger, a. a. O., S. 58, Rdnr. 125<br />
(18a) Bender, MedR 2002, 626<br />
67
(19) Schlund, Handbuch des Arztrechts, S. 540, Rdnr. 19<br />
(19a) Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 5. Auflage, Springerverlag, S. 305,<br />
Rdnr. 462.<br />
(20) Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 5. Auflage, Springerverlag, S. 304,<br />
Rdnr. 459<br />
(21) Schlund, Handbuch des Arztrechts, S. 541, Rdnr. 25<br />
(22) Franzki, Praxishandbuch Sachverständigenrecht, 3. Auflage, Verlag C. H.<br />
Beck, S. 251, Rndr. 21<br />
(23) Baer, Praxishandbuch Sachverständigenrecht, S. 876, Rdnr. 56<br />
(24) Franzki, a. a. O., S. 850, Rdnr. 52<br />
(25) Franzki, a. a. O., S. 850, Rdnr. 54<br />
(26) Rieger, a. a. O., S. 5, Rdnr. 14<br />
(27) Rieger, a. a. O., S. 19, Rdnr. 42<br />
(27a) Bender, a. a. O., S. 628<br />
(28) Deutsch, Spickhoff, a. a. O., S. 412, Rdnr. 595<br />
(29) siehe (28)<br />
(29a) Härting, NJW 2005, 1248 ff.<br />
(29b) Hanika, in Rieger, Lexikon des Arztrechts, Stichwort Datenschutz, S. 9<br />
(30) Martis/Winkhart, <strong>Arzthaftung</strong>srecht aktuell, Fallgruppenkommentar,<br />
Verlag Dr. Otto Schmidt, S. 271<br />
(31) BGH VersR 1984, 1171 und BGH VersR 1989, 252<br />
(32) Bartsch, NJW 2001, 862<br />
(33) Hülsmann, ZEV 1999, 91 ff.<br />
(34) BGH, NJW 1984, 2893 ff.<br />
(35) BGH, NJW 1992, 737<br />
(36) Schlund, Handbuch des Arztrechts, S. 529, Rdnr. 29<br />
(36a) Wasserburg, NStZ 2003, 353 ff. unter Bezugnahme auf OLG Karlsruhe,<br />
Urteil vom 15.10.1997, 13 U 8/96.<br />
(37) Schlund, Handbuch des Arztrechts, S. 525, Rdnr. 1<br />
(38) Schlund, Handbuch des Arztrechts, S. 525, Rdnr. 2<br />
(39) Heberer, Mößbauer, MedR 2004, 138<br />
68
Orientierungsplan<br />
Die <strong>Sächsische</strong> Landesärztekammer finden Sie im „Carolapark“ in Dresden-Alberstadt, Schützenhöhe 16, 01099 Dresden,<br />
Telefon (03 51) 82 67-0.<br />
Wenn Sie von der Autobahn kommen, nutzen Sie bitte die Anschlußstelle 81a „Dresden-Hellerau“, Richtung „Zentrum“. An<br />
der BP Tankstelle auf der Radeburger Straße biegen Sie links ab und können dann den Wegweisern „Hauptzollamt“/„Carolapark“<br />
folgen.<br />
Aus Richtung Stadt können Sie ab Kreuzung Königsbrücker Straße/Stauffenbergallee den Wegweisern „Hauptzollamt“/„Carolapark“<br />
folgen.<br />
Die Anbindung des gesamten Areals „Carolapark“ an den öffentlichen Personennahverkehr befindet sich im Ausbau.<br />
Wir empfehlen Ihnen folgende Verbindungen:<br />
Sie kommen vom Hauptbahnhof:<br />
Straßenbahnlinie 7 (Richtung Weixdorf) bis Haltestelle Stauffenbergallee, dann Fußweg wie unten beschrieben.<br />
Sie kommen vom Bahnhof Neustadt:<br />
Straßenbahnlinien 3 (Richtung Plauen) oder 6 (Richtung Niedersedlitz) oder 11 (Richtung Bühlau), jeweils eine Haltestelle bis<br />
Albertplatz, dort umsteigen in Linie 7 (Richtung Weixdorf) oder 8 (Richtung Hellerau) bis Haltestelle Stauffenbergallee, dann<br />
Fußweg wie unten beschrieben.<br />
Fußweg von Haltestelle Stauffenbergallee:<br />
Von der Haltestelle sind zunächst auf der Stauffenbergallee in westlicher Richtung ca. 500 m bis zum Eingang der Polizei<br />
zurückzulegen. Sie gehen durch das Steintor hindurch, weiter über den Treppenaufgang und dann noch ca. 100 m bis zum<br />
Kammergebäude.