Frank Heuberger/Mirko Schwärzel Europa-Nachrichten Nr. 7 ... - BBE
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<strong>Frank</strong> <strong>Heuberger</strong> /<strong>Mirko</strong> <strong>Schwärzel</strong> <strong>Europa</strong>-<strong>Nachrichten</strong> <strong>Nr</strong>. 7/2010<br />
Europäische Vernetzung der nationalen Zivilgesellschaften:<br />
European Network of National Civil Society Organisations ENNA<br />
Das Bundesnetzwer k Bürgerschaftliches Engagement (<strong>BBE</strong>) wurde Anfang des letzten<br />
Jahrzehnts aus der Erkenntnis heraus gegründet, dass sich die verschiedenen<br />
Akteure bürgerschaftlichen Engagements miteinander vernetzen müssen, um ihren<br />
Anliegen besseres Gehör zu verschaffen. Bürgerschaftliches Engagement ist ein<br />
Querschnittsthema und braucht bereichsübergreifenden Austausch.<br />
Die Gründung des <strong>BBE</strong> in Deutschland war aber kein Einzelfall in <strong>Europa</strong>. Über die<br />
vergangenen Jahre hinweg ist europaweit eine Tendenz zur Gründung nationaler<br />
Netzwerke der Zivilgesellschaft mit thematischem Querschnittscharakter zu beobachten.<br />
Im pluralistischen Assoziationswesen in Großbritannien haben sie sich bereits<br />
seit längerer Zeit etabliert, wie der National Council of Voluntary Organisations<br />
(NCVO) in England und seine Schwesterorganisationen SCVO in Schottland oder<br />
der Wales Council for Voluntary Actions. In Mittel- und Osteuropa hat die organisierte<br />
Zivilgesellschaft immer noch einen schweren Stand und kann sich nur durch bereichsübergreifende<br />
Unterstützungs- und Vernetzungsstrukturen entwickeln. Aber<br />
auch in den nordeuropäischen Wohlfahrtsstaaten sind diese Entwicklungen zu beobachten.<br />
Das Netzwerk ENNA (European Network of National Civil Society Associations) ist<br />
ein europäischer Zusammenschluss aus diesen nationalen bereichsübergreifenden<br />
zivilgesellschaftlichen Bündnissen, Netzwerken und Assoziationen aus derzeit 15<br />
europäischen Ländern sowie Partnerorganisationen aus Ländern, in denen (noch)<br />
keine bereichsübergreifende zivilgesellschaftliche Assoziation besteht: Ungarn,<br />
Schweden, Dänemark, Österreich, Niederlande und Türkei. Es ist eines der jüngsten<br />
Netzwerke der europäischen Zivilgesellschaft: Erst im März 2010 hat es sich im altehrwürdigen<br />
London Reform Club gegründet.<br />
Warum ein neues Net zwerk in Brüssel?<br />
Nicht unberechtigt ist die Frage, warum es ein neues Netzwerk in Brüssel braucht.<br />
Immerhin sind dort bereits Hunderte zivilgesellschaftliche Organisationen vertreten,<br />
so dass das Feld für Außenstehende kaum mehr zu überblicken ist. Trotzdem<br />
schließt ENNA eine wichtige Lücke: Es ist das einzige bereichsübergreifende Netzwerk<br />
der europäischen Zivilgesellschaft, das in seiner Mitgliederstruktur auch die na-
tionalstaatliche Ebene berei chsübergreifend umfasst. Die Zusammenarbeit nationaler<br />
Netzwerke der Zivilgesellschaft auf europäischer Ebene ist ein großer Gewinn und<br />
birgt enormes Potential. ENNA bietet eine in <strong>Europa</strong> einzigartige Plattform für einen<br />
strukturierter Erfahrungsaustausch über Kooperationsformen von Staat und Zivilgesellschaft<br />
in den einzelnen Mitgliedstaaten und die Erarbeitung von Vorschlägen zur<br />
Ausgestaltung des zivilen Dialogs. ENNA sieht sich dabei als Unterstützung und Ergänzung<br />
bestehender zivilgesellschaftlicher Strukturen und zivilgesellschaftlicher Interessenvertretung<br />
auf europäischer Ebene. Sein Mehrwert liegt in seinem Kommunikations-<br />
und Vermittlungspotential in die Mitgliedstaaten hinein.<br />
So ist der Entwicklungsprozess bisher schnell vorangeschritten: Auf dem ENNA-<br />
Gründungskongress in London (13.-15. März 2010) wurde zunächst ein Interim-<br />
SprecherInnenteam (Steering Group) gewählt. <strong>Frank</strong> <strong>Heuberger</strong> vertritt darin das<br />
<strong>BBE</strong>. Seit April 2010 unterstützt die Europäische Kommission ENNA mit einem jährlichen<br />
Betriebsmittelzuschuss, der es erlaubt eine Geschäftsstelle in Brüssel zu unterhalten.<br />
Diese Zuwendung ermöglicht einen Ausbau und eine Verstetigung der Zusammenarbeit.<br />
Ziele von ENNA: Advocacy und Capacity Building<br />
Ziele und Arbeitsprogramm des Netzwerks wurden auf einem Kongress in Warschau<br />
im November 2009 vereinbart. ENNA setzt sich zur Aufgabe, in einem bereichsübergreifenden<br />
Austausch für die Entwicklung und Unterstützung der europäischen Zivilgesellschaft<br />
eine starke Stimme zu sein. Dabei geht es zum einen um eine Anwaltsfunktion<br />
für zivilgesellschaftliche Belange (Advocacy), für die ein übergreifendes Interesse<br />
besteht � so bei Fragen der politischen Beteiligung, in der Unterstützung und<br />
Förderung des bürgerschaftlichen Engagements, im Gemeinnützigkeitsrecht, bei<br />
Entbürokratisierungs- und Zuwendungsfragen. Zum anderen aber geht es auch um<br />
gegenseitige Unterstützung und das Voneinander-Lernen (Capacity Building). ENNA<br />
sieht sich als Informations- und Vermittlungsdrehscheibe zu Fragen der Good Governance<br />
und Stärkung der Zivilgesellschaft.<br />
Das erste Projekt von ENNA ist das europäische Mentoring-Projekt »Participation for<br />
Change«. Es geht dabei um den Austausch von Erfahrungen, Praktiken, Verfahren<br />
und Kompetenzen im Management, der Öffentlichkeitsarbeit und der Interessenvertretung<br />
von gemeinnützigen Organisationen. Auf einem ersten Seminar in Berlin rund<br />
um den 9. Mai 2010 kamen 20 ehrenamtliche Mentoren zusammen, um eine öffentlichen<br />
Online-Konferenz am 9. Juni 2010 zu den drei Themenbereichen vorzubereiten.<br />
Der Online-Konferenz folgte ein Online-Mentoringprozess über ein interaktives Internetportal,<br />
das auch als Vernetzungsplattform zur Verfügung und jedem Interessierten<br />
offen steht (www.participation-for-change.org). Eine Abschlusstagung wird im Dezember<br />
2010 in Tallinn stattfinden.<br />
2
Agenda und zukünftige Vorhaben<br />
Zusammenfassen lassen sich die Vorhaben von ENNA, indem man den Blick auf Artikel<br />
11 des Lissabon-Vertrags richtet. Öffentlichkeit erfuhr er in letzter Zeit wegen<br />
seines Absatzes 4, der die Möglichkeit einer Europäischen Bürgerinitiative (EBI) eröffnet.<br />
Für die Beteiligung der Zivilgesellschaft am europäischen Entscheidungsprozess<br />
ist dies sicherlich ein wichtiger Fortschritt: Eine EBI schafft europäische Öffentlichkeit<br />
und vernetzt zivilgesellschaftliche Akteure europaweit zu bestimmten Fragestellungen.<br />
Es bleibt aber abzuwarten, welche Wirkungen eine Europäische Bürgerinitiative<br />
erzielen kann. Sie wird in ihrer jetzigen Form wohl maximal eine Agenda-<br />
Setting-Funktion einnehmen können.<br />
Bisher zu Unrecht wenig beachtet sind jedoch die vorhergehenden Absätze des Artikels<br />
11. Sie beschreiben Elemente partizipativer Demokratie, die zwar noch in Instrumente<br />
umgesetzt werden müssen, für die Beteiligungsmöglichkeiten der Zivilgesellschaft<br />
jedoch größeres Potential besitzen als das Instrument der EBI:<br />
�- Die Organe geben den Bürgerinnen und Bürgern und den repräsentativen Verbänden<br />
in geeigneter Weise die Möglichkeit, ihre Ansichten in allen Bereichen des Handelns<br />
der Union öffentlich bekannt zu geben und auszutauschen.<br />
- Die Organe pflegen einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog mit den<br />
repräsentativen Verbänden und der Zivilgesellschaft.<br />
- Um die Kohärenz und die Transparenz des Handelns der Union zu gewährleisten,<br />
führt die Europäische Kommission umfangreiche Anhörungen der Betroffenen durch.�<br />
Zur Umsetzung fordert ENNA zusammen mit anderen europäischen Netzwerken die<br />
Vereinbarung eines übergreifenden Rahmens der Zusammenarbeit zwischen Organisationen<br />
der Zivilgesellschaft und den Institutionen der Europäischen Union. Dieser<br />
muss weiterreichend sein als die derzeitigen Mindeststandards für die Konsultation,<br />
um eine bessere Partnerschaft zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten,<br />
und sich auf die Bereiche Konsultation und Partizipation, Good Governance,<br />
Funding und bürgerschaftliches Engagement beziehen. Dafür müssen z.B. die<br />
Grundsätze weiterentwickelt werden, die bereits vom Ausschuss für konstitutionelle<br />
Fragen des Europäischen Parlamentes im Bericht über die Perspektiven für den<br />
Ausbau des zivilen Dialogs nach dem Vertrag von Lissabon (2008/2067/INI)) formuliert<br />
wurden, insbesondere in Bezug darauf, �in einer Interinstitutionellen Vereinbarung<br />
verbindliche Leitlinien für die Benennung von zivilgesellschaftlichen Vertretern<br />
sowie Methoden für die Ausgestaltung von Konsultationen und ihre Finanzierung zu<br />
beschließen� sowie die �nationalen, regionalen und lokalen Stellen in den Mitgliedstaaten<br />
zur Förderung des zivilen Dialogs� aufzurufen.<br />
Von der Konferenz der NGOs beim <strong>Europa</strong>rat wurde 2009 der Code of Good Practi ce<br />
for Civil Participation entwickelt. Er bietet einen europaweiten Analyserahmen für<br />
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Bürgerbeteiligung an politischen Entscheidungspr ozessen auf lokaler, regionaler, nationaler<br />
und europäischer Ebene. ENNA arbeitet derzeit daran, mittels dieses Codes<br />
eine Übersicht über politische Beteiligungschancen i n den EU-Mitgliedstaaten zu erstellen.<br />
Ausblick<br />
ENNA befindet sich noch in der Gründungsphase. Sein Potential und möglicher Einfluss<br />
kann noch kaum vorhergesagt werden. Es wird darauf ankommen, wie die<br />
durchaus unterschiedlichen Mitgliedsorganisationen den Mehrwert der transnationalen<br />
Kooperation wertschätzen und ausbauen. Rolle und Funktion des Bundesnetzwerks<br />
in Deutschland sind nicht dieselben wie die des National Councils in England<br />
oder der Conférence Permanente des Coordinations Associativs in <strong>Frank</strong>reich. Alle<br />
Mitglieder von ENNA haben eine spezifische Gründungs- und Entwicklungsgeschichte,<br />
die auf unterschiedlichen nationalen zivilgesellschaftlichen Traditionslinien beruht.<br />
So schwierig sich ein Dialog daher anfangs auch gestalten mag, so faszinierend ist<br />
er auch. Die ENNA-Mitglieder haben über die vergangenen Monate hinweg ihre nationalen<br />
zivilgesellschaftliche Beteiligungsformate und �strukturen zusammengetragen<br />
und in einem Papier �Impact for Change� veröffentlicht. Es ist dabei eine informative<br />
Übersicht entstanden, die sehr eindrucksvoll die Unterschiede aber auch die übergreifenden<br />
Gemeinsamkeiten deutlich macht. Nicht zuletzt finden sich dort viele, viele<br />
Anregungen zum gegenseitigen Ler nen.<br />
Dr. <strong>Frank</strong> <strong>Heuberger</strong> ist Leiter der Leitstelle Bürgergesellschaft und Ehrenamt in der<br />
Staatskanzlei Rheinland-Pfalz und <strong>Europa</strong>beauftragter des <strong>BBE</strong>-Sprecherrats. Seit<br />
März 2010 ist er Mitglied der Steuerungsgruppe von ENNA.<br />
<strong>Mirko</strong> <strong>Schwärzel</strong> arbeitet als wissenschaftlicher Referent Bundesnetzwerk im Bürgerschaftliches<br />
Engagement (<strong>BBE</strong>) und leitet dort das Informations- und Vernetzungsprojekt<br />
�<strong>BBE</strong> für <strong>Europa</strong>�.<br />
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