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Bologna - Deutscher Berufsverband für Tanzpädagogik

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BALLETT INTERN<br />

Herausgeber: <strong>Deutscher</strong> <strong>Berufsverband</strong> <strong>für</strong> <strong>Tanzpädagogik</strong> e. V. – Heft 75/29. Jahrgang – Nr. 4/August 2006<br />

Joséphine Baker<br />

zum 100. Geburtstag


Liebe Leser,<br />

wenn Ihnen die vierte Ausgabe von BALLETT INTERN vorliegt,<br />

wissen Sie inzwischen, dass die Herbstpause nicht weit sein<br />

kann. Der Oktober gehört allein dem »tanzjournal«, wir sind im<br />

Dezember wieder dabei.<br />

In unserer August-Ausgabe bringen wir Ihnen einerseits die schillernde<br />

Josephine Baker näher, die nicht nur als Tänzerin <strong>für</strong> Schlagzeilen<br />

sorgte; andererseits wollen wir uns einer recht anspruchvollen<br />

Thematik nähern: Die Hochschul-Reform, die unter dem<br />

Begriff »Vertrag von <strong>Bologna</strong>« durch Medien und Köpfe spukt,<br />

wollen wir auf die Auswirkungen auf eine tänzerische Berufsausbildung<br />

untersuchen. Das wird mit der vorliegenden Ausgabe vermutlich<br />

nicht erschöpfend behandelt sein, aber in den Blick und<br />

möglichst auch in die Diskussion soll der Tanz um <strong>Bologna</strong> rücken.<br />

Und welchem Schüler man welche Ausbildung empfiehlt, ist ja<br />

auch <strong>für</strong> Ballettschulen mit Vorausbildung von Belang.<br />

Einen schönen Sommer ohne Hitzerekorde wünscht Ihnen<br />

Dagmar Fischer<br />

! !<br />

W I C H T I G – T E R M I N Ä N D E R U N G<br />

<strong>Deutscher</strong> Tanzpreis 2007<br />

<strong>Deutscher</strong> Tanzpreis »Zukunft« 2007<br />

Mitgliederversammlung des DBfT<br />

Samstag, 27./28. April 2007<br />

BALLETT INTERN<br />

ist die Mitgliederzeitschrift des Deutschen <strong>Berufsverband</strong>es <strong>für</strong> <strong>Tanzpädagogik</strong> e. V. (DBfT) und liegt<br />

der Zeitschrift »tanzjournal« fünf Mal als Supplement bei. Beide Zeitschriften gehen den Mitgliedern<br />

des Verbandes kostenlos zu. Nichtmitglieder können BALLETT INTERN abonnieren: Deutschland<br />

€ 7,50, europäisches Ausland € 12,00 (jeweils inkl. Porto/Versand) je Ausgabe.<br />

Redaktion dieser Ausgabe: Ulrich Roehm (verantwortl.), Dagmar Fischer (dagmar.fischer@ballettintern.de)<br />

Autoren dieser Ausgabe: Dagmar Fischer (Hamburg), Brigitte Macher (Münster), Richard Merz<br />

(Zürich), Angela Reinhardt (Stuttgart), Ulrich Roehm (Essen), Sylvia Staude (Frankfurt), Melanie Suchy<br />

(Frankfurt), Jenny J. Veldhuis (Amsterdam)<br />

Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder des<br />

Herausgebers wieder. Der Nachdruck, auch auszugsweise, ist ohne ausdrückliche Genehmigung<br />

der Redaktion nicht gestattet. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und <strong>für</strong> Terminangaben wird<br />

keine Gewähr übernommen. Die Redaktion behält sich das Recht vor, Leserbriefe zu kürzen. Manuskripte<br />

gehen in das Eigentum der Redaktion über.<br />

Titelbild: Joséphine Baker (Die Abbildung wurde freundlicherweise<br />

vom Deutschen Tanzarchiv zur Verfügung gestellt.)<br />

Herausgeber:<br />

<strong>Deutscher</strong> <strong>Berufsverband</strong> <strong>für</strong> <strong>Tanzpädagogik</strong> e. V., (DBfT)<br />

Hollestraße 1, D–45127 Essen<br />

Tel.: +49(0)201 – 22 88 83<br />

Fax: +49(0)201 – 22 64 44<br />

Internet: www.dbft.de – www.ballett-intern.de<br />

Bankverbindung:<br />

<strong>Deutscher</strong> <strong>Berufsverband</strong> <strong>für</strong> <strong>Tanzpädagogik</strong> e. V.,<br />

Nationalbank Essen, Konto-Nr. 111627, BLZ 360 200<br />

30<br />

IBAN IBAN DE 95 3602 0030 0000 1116 27<br />

BIC NBAGDE3E<br />

Druck: Ulenspiegel GmbH, Besengaßl 4, D–<br />

82346 Andechs<br />

Gestaltung: Ulrich Roehm, Frank Münschke<br />

Realisation: Klartext Medienwerkstatt GmbH<br />

45329 Essen, Heßlerstraße 37 – www.klartext-medienwerkstatt.de<br />

+49(0)201 – 86 206-60 (Frank Münschke)<br />

Anzeigen und Beilagen: Gültige Preisliste: 1/05<br />

Nächste Ausgabe:<br />

Heft 5/2006 erscheint Anfang Dezember 2006<br />

Redaktionsschluss: 10. November 2006<br />

Anzeigenschluss: 18. November 2006<br />

Annahmeschluss Beilagen: 22. November 2006<br />

BALLETT INTERN<br />

Herausgeber: <strong>Deutscher</strong> <strong>Berufsverband</strong> <strong>für</strong> <strong>Tanzpädagogik</strong> e. V. – Heft 75/29. Jahrgang – Nr. 4/August 2006<br />

Joséphine Baker<br />

zum 100. Geburtstag<br />

BALLETT INTERN<br />

Heft 4/2006<br />

Ein boxendes Känguru, ein Stück Kaugummi<br />

Joséphine Baker zum 100. Geburtstag<br />

Von Sylvia Staude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2<br />

62-95834 – Operation Joséphine<br />

Das FBI und Joséphine Baker<br />

Von Dagmar Fischer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3<br />

Mögliche Veränderungen in der professionellen<br />

Tanzausbildung nach dem »<strong>Bologna</strong>«-Abkommen<br />

Tanzausbildung als Haus<br />

Renovierung des Daches ohne Überprüfung des Fundaments<br />

Von Jenny J. Veldhuis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4<br />

»<strong>Bologna</strong>« ist bald überall<br />

Da bleibt nur, aus der Reihe zu tanzen<br />

Von Dagmar Fischer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5<br />

Schwierige Entscheidungen<br />

Ein Tag bei den Aufnahmeprüfungen der John Cranko-Schule<br />

Von Angela Reinhardt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7<br />

Anerkennung des Tanzes in der Schweiz<br />

Von Jenny J. Veldhuis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8<br />

»Wissen in Bewegung« – Tanzkongress Deutschland<br />

Von Ulrich Roehm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9<br />

Wer plant schon die eigene Beerdigung?<br />

International Organization for the Transition of Professional Dancers<br />

Von Dagmar Fischer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10<br />

Triumph der Klassik<br />

Die John Cranko-Schule lädt sich Freunde ein<br />

Von Angela Reinhardt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12<br />

ZuKT ohne Zagen<br />

»Tanzmarathon 06« der<br />

Hochschule <strong>für</strong> Musik und Darstellende Kunst Frankfurt<br />

Von Melanie Suchy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13<br />

Wasser und Zeichen<br />

Die Gegenwart der Vergangenheit<br />

beim Tanzabend der Folkwang-Hochschule<br />

Von Melanie Suchy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14<br />

Hanky Panky mit Sylphiden in Netzstrümpfen<br />

Die Mannheimer Akademie des Tanzes beherrscht alle Stile<br />

Von Angela Reinhardt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15<br />

Ein langer Weg zum Erfolg<br />

Die Tanz Akademie Zürich<br />

Jenny J. Veldhuis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16<br />

Maler, Rehe und jede Menge Tänzer<br />

1. Norddeutsche Tanztage Worpswede<br />

Von Dagmar Fischer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18<br />

»Carmina Burana« in Berlin<br />

Viertes Tanzprojekt mit Royston Maldoom<br />

und den Berliner Philharmonikern<br />

Von Brigitte Macher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20<br />

Perfekt beim Partnern<br />

Vladimir Klos zum Sechzigsten<br />

Von Angela Reinhardt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21<br />

Entfesselter Maskensturm<br />

Ausstellung »Entfesselt« und Aufführung »Maskensturm«<br />

Von Dagmar Fischer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22<br />

Hilfe <strong>für</strong> eine sich selbst bedrohende Gattung<br />

Die Tagung der TaMeD in Stuttgart<br />

Von Richard Merz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24<br />

Kurz und Bündig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25<br />

Bücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25<br />

Ballett Intern 4/2006 1


Ein boxendes Känguru,<br />

ein Stück Kaugummi<br />

Joséphine Baker zum 100. Geburtstag<br />

Von Sylvia Staude<br />

Die großen Pariser Revuen der zwanziger Jahre waren so üppig<br />

wie statisch: Reihen von Tänzerinnen schritten Showtreppen hinab,<br />

fächerten sich auf, machten eine möglichst gute Figur, wippten<br />

mit ihren Federbüschen, stiegen wieder hinauf. Kollegen<br />

schoben ihre langen Schleppen so zurecht, dass keiner drüber<br />

fiel. Die Ausstattung war gigantisch, der Tanz bescheiden.<br />

Kein Wunder, dass eine 19-jährige Amerikanerin, die sich<br />

bewegte wie Quecksilber, zur Sensation wurde: Joséphine Baker.<br />

Ein paar rare alte Filmaufnahmen zeigen, wie sie Arme und<br />

Beine schlenkert, so flink und scheinbar knochenlos wie eine<br />

Comicfigur, dazu schneidet sie die wüstesten Grimassen, rollt<br />

die Augen, blinzelt ihrem Publikum zu, lächelt ein kaum vorstellbares<br />

Lächeln. Es ist, als habe das Leben plötzlich Einzug gehalten<br />

in eine Welt der Künstlichkeit.<br />

Das Leben kam aus St. Louis, Missouri und war die uneheliche<br />

Tochter einer schwarzen Wäscherin und eines weißen Vaters.<br />

Den Joséphine Baker mal zum Spanier machte, mal zum<br />

jüdischen fahrenden Händler, mal zum Musiker (es war wohl der<br />

Schlagzeuger Eddie Carson). Mit Herkunft und Alter fangen die<br />

Probleme also schon an, denn das Jahr 1906, inzwischen als<br />

Geburtsjahr der Baker akzeptiert, so dass man sie in diesem<br />

Jahr, am 3. Juni, zu ihrem 100. würdigt, ist nicht zweifelsfrei<br />

verbürgt. Die Urkunde ihrer Heirat mit William Baker im Jahr<br />

1921 gibt Joséphines Alter mit 19 an – entweder war sie tatsächlich<br />

so alt oder machte sich älter. Sie war nie eine besonders<br />

zuverlässige Berichterstatterin ihres Lebens.<br />

Das Tanzen scheint sie gelernt zu haben, als sie in einem<br />

Jazzclub kellnerte. Ihre Begabung, Bewegungen aufzunehmen<br />

und in einen sehr persönlichen Stil zu überführen, muss immens<br />

gewesen sein, denn von einer professionellen Ausbildung ist<br />

nichts überliefert. Bald reicht ihr Können, um sich als Chorus Girl<br />

durchzuschlagen in diversen Clubs und Theatern, auch am<br />

Broadway.<br />

Für den großen Erfolg aber musste Joséphine Baker die USA<br />

verlassen, wo ihre Hautfarbe ein Handicap war, und nach Paris<br />

kommen, in die Stadt, in der sich in den zwanziger Jahren tout<br />

le monde traf und niemand einen neuen Trend verpassen wollte,<br />

schon gar keine Revue Nègre im Théâtre des Champs-Elysées.<br />

Alle Kritiker waren da bei der Premiere am 2. Oktober 1925,<br />

nicht alle mochten, was sie sahen, aber die meisten spürten,<br />

dass etwas Außergewöhnliches passiert war. Einer beschrieb<br />

die Tänzerin wenig charmant, aber durchaus treffend als »Kreuzung<br />

zwischen einem boxenden Känguru, einem Stück Kaugummi<br />

und einem Radrennfahrer». Auch heute noch modern wirken<br />

die Schnelligkeit ihres Tanzes und der Stilmix, der aus überschießender<br />

Energie zu entstehen scheint. Joséphine Baker beginnt<br />

etwa mit Charleston-Bewegungen, stakst giraffenhaft, schüttelt<br />

den Po wie eine Rassel, lässt sich auf selbigen fallen, hoppelt auf<br />

ihm über die Bühne … mindestens genauso viel bildet sich indessen<br />

auf ihrem beweglichen Gesicht ab. Und: Sie lässt ihr Publikum<br />

nicht aus den Augen. Nie.<br />

Natürlich muss hier das so herrlich wippende Bananenröckchen<br />

erwähnt werden, an das sie später gar nicht mehr gern erinnert<br />

wurde, wie überhaupt an ihre weitgehend textilfreien Auftritte<br />

als »schwarze Venus». Aber Joséphine Baker wäre trotz all<br />

ihres Könnens nicht so berühmt geworden, hätte sie nicht auch<br />

die sexuellen Sehnsüchte einer Zeit bedient, die in den Kolonien<br />

eben auch das exotische (Liebes-)Abenteuer suchte. Sie war auf<br />

eine selbstverständliche Weise sexy, die an die andere große<br />

Jubilarin der gleichen Woche erinnert, an Marilyn Monroe. Beide<br />

waren mit Sicherheit klüger, als man ihnen zugestand.<br />

Eigentlich gelang es Joséphine Baker bereits nach einigen<br />

Jahren, das Bananenröckchen im Schrank zu lassen, aber die –<br />

vor allem gezeichneten – Bilder von ihr mit wulstigen Lippen,<br />

riesigen runden Augen, heraus gestrecktem, umkränztem Po, bestimmen<br />

bis heute die »Baker-Story». In Frankreich erinnert man<br />

sich vielleicht auch noch an die sehr passable Chansonsängerin,<br />

die in der Résistance Engagierte und mit Orden Ausgezeichnete,<br />

die Gründerin des ersten internationalen »Kinderdorfs».<br />

Aber außerhalb des Landes, das zu ihrer eigentlichen Heimat<br />

wurde, ist diese doch viel näher liegende Zeit – immerhin stand<br />

Joséphine Baker bis zu ihrem Tod im Jahr 1975 regelmäßig auf<br />

der Bühne – seltsam verblasst.<br />

Verdeckt werden vom Bananenrock-Image auch die Widersprüche,<br />

die sie in sich vereinte (zu denen sie zum Teil auch gezwungen<br />

war). So ist einerseits überliefert, dass sie gern kapriziös<br />

auftrat, andererseits während des Krieges äußerst diszipliniert<br />

und vor allem mutig Informationen sammelte und weiterleitete an<br />

den französischen Widerstand. Sie holte Kinder aus der Armut,<br />

indem sie sie adoptierte, sammelte sie andererseits ein bisschen<br />

wie Briefmarken: Jede Hautfarbe und jede Religion sollten in ihrer<br />

»Regenbogensippe« vertreten sein. Vor allem anderen aber<br />

2 Ballett Intern 4/2006


Zeitgenössische.Postkarten.zeigen.Joséphine.Baker.in.den.Pariser.»Folies.<br />

Bergère« .. Die. Abbildungen. wurden. freundlicherweise. vom. Deutschen.<br />

Tanzarchiv.in.Köln.zur.Verfügung.gestellt ..Das.kleine.Foto.zeigt.einen.Blick.<br />

in.die.aktuelle.Joséphine-Baker-Ausstellung .<br />

war sie der erste dunkelhäutige Superstar. Ein Star, der seinen<br />

Ruhm nutzte, um – auch an der Seite Martin Luther Kings – gegen<br />

die Rassentrennung einzutreten. Ohne Rücksicht auf die<br />

Nachteile, die ihr das bei ihren USA-Auftritten brachte.<br />

In ihrer Heimat konnte sie ihre Erfolge nicht wiederholen, man<br />

fand ihre Revue-Auftritte vulgär. Der Misserfolg muss sie bis zuletzt<br />

geschmerzt haben. So symbolisiert eine kleine Filmaufnahme ihr<br />

Leben vielleicht besser als alles andere: In der Ecke von etwas,<br />

das offenbar ein Boxring ist, kniet Joséphine Baker da, eine Kämpferin<br />

im langen silberfarbenen Kleid, und singt mit herzzerreißender<br />

Intensität »ihr« Lied: »J’ai deux amours/Mon pays et Paris».<br />

Sie liebe ihr Vaterland und sie liebe Paris. Am 12. April 1975<br />

hören die beiden Herzen in ihrer Brust zu schlagen auf. ■<br />

62-95834 –<br />

Operation Joséphine<br />

Das FBI und Joséphine Baker<br />

Von Dagmar Fischer<br />

Einige sahen in Joséphine Baker nur die erotische Dunkelhäutige,<br />

andere eine komische Ulknudel, eine dritte Gruppe<br />

nahm Impulse zur Frauenbefreiung von ihr auf. Thomas<br />

Thorausch vom Deutschen Tanzarchiv Köln fand noch andere<br />

Aspekte in der Biographie der Künstlerin, als er die Akten des<br />

FBI zu Gesicht bekam, er sagt: »Meine Grundidee <strong>für</strong> die<br />

Ausstellung war, aus Anlass des 100. Geburtstags keine –<br />

wie vielleicht erwartet – Glamour-Ausstellung über Joséphine<br />

Baker zu machen, sondern die Photographien, die man kennt,<br />

wie auch jene, die noch keiner gesehen hat, zu kombinieren<br />

mit einem ganz anderen »Blick von außen« auf Joséphine Baker.<br />

Diesen ganz anderen Blick hatte ich vor ca. zwei Jahren<br />

entdeckt: Die Akten des FBI mit all den Denunziationen, Spitzelberichten<br />

etc., deren veröffentlichte Form (mit Schwärzungen)<br />

mich fatalerweise an die Akten der Stasi erinnerten.»<br />

Beim Namen Joséphine Baker denkt jeder zuerst an das<br />

Bananenröckchen und die biegsame, schwarze Tänzerin.<br />

Was es jedoch hieß, in den zwanziger Jahren als schwarze(!)<br />

Frau(!) zum international erfolgreichen Superstar zu avancieren,<br />

ist heute nur noch schwer nachvollziehbar. Denn Erfolge<br />

und Popularität konnten ihr nicht Erlebnisse wie die folgenden<br />

ersparen: In einem Restaurant erklärt ein Gast an einem Nebentisch,<br />

er wolle nicht mit Niggern in einem Raum sitzen;<br />

schwarze Mitglieder ihrer Compagnie werden nicht in Hotels<br />

aufgenommen; nach einem Auftritt werden sie und ihre Gäste<br />

in dem Prominentenrestaurant »Stork Club« in New York demonstrativ<br />

nicht bedient.<br />

Aber Joséphine Baker wehrt sich. Sie protestiert gegen Diskriminierung<br />

und rassistische Äußerungen, und sie nutzt ihr<br />

Vermögen, um sich <strong>für</strong> die schwarze Bürgerrechtsbewegung<br />

in den USA zu engagieren.<br />

Mit solchem Engagement machte man sich in den fünfziger<br />

Jahren, in der berüchtigten McCarthy Ära, schnell verdächtig.<br />

Joséphine Baker gerät ins Visier des FBI, die US-amerikanische<br />

Bundespolizei sammelt Informationen jedweder Art<br />

über die Tänzerin und Sängerin, die kommunistischer Umtriebe<br />

verdächtigt wird. Ihre Akte trug die Nummer 62-95834<br />

und umfasst 359 Seiten – sie enthält Informationssammlungen<br />

von »special agents« des FBI ebenso wie Denunziationen<br />

durch Theaterbesucher oder Journalisten, Berichte von US-<br />

Konsularbeamten ebenso wie Einschätzungen über das Presseecho<br />

auf Gastspiele.<br />

Während ihre große Kinderliebe sich gut in den Medien<br />

vermarkten ließ, blieb ihre Rolle in der französischen Résistance,<br />

was natürlich auch in der Natur der Sache liegt, weniger<br />

bekannt. Die Ausstellung im Deutschen Tanzarchiv Köln<br />

zeigt endlich die andere, die unbekannte Joséphine Baker.<br />

»62-95834 – Operation Joséphine – das FBI und Joséphine<br />

Baker« in der Reihe »Die Kleine Ausstellung im Tanzmuseum«<br />

ist im Deutschen Tanzarchiv Köln / SK Stiftung Kultur<br />

noch bis 27. August 2006 zu sehen, geöffnet täglich außer<br />

mittwochs von 14 bis 19 Uhr. ■<br />

Ballett Intern 4/2006 3


Mögliche Veränderungen in der professionellen<br />

Tanzausbildung in Europa durch das »<strong>Bologna</strong>«-Abkommen<br />

Tanzausbildung als Haus<br />

Renovierung des Daches ohne<br />

Überprüfung des Fundaments<br />

Von Jenny J. Veldhuis<br />

Wenn man sich den »Vertrag von <strong>Bologna</strong>« und die sich daraus<br />

ergebenden Konsequenzen <strong>für</strong> die Tanzausbildung genauer ansieht,<br />

wird klar, dass der wichtigste Faktor der Tanzausbildung,<br />

die sogenannten Tanzfachschulen (Vocational Schools) übersehen<br />

worden ist sind. Man ist im übertragenen Sinn dabei, das<br />

Dach zu renovieren, ohne das Fundament wirklich überprüft zu<br />

haben.<br />

Die Ausbildung junger Tänzer unterscheidet sich von allen<br />

anderen Formen der Berufsausbildung, weil sie im Alter von ca.<br />

zehn Jahren beginnt und etwa sieben bis acht Jahre dauert.<br />

Das Instrument des Tänzers ist sein Körper, und inzwischen<br />

liegen mehr als 200 Jahre Erfahrung in diesem Ausbildungsbereich<br />

vor, die zeigen, dass die Ausbildung in jenen Zeitraum der<br />

Entwicklung eines heranwachsenden Menschen fallen muss, der<br />

gemeinhin als wichtigste Phase <strong>für</strong> die physische und geistige<br />

Entwicklung gilt – damit später die technischen und künstlerischen<br />

Anforderungen an eine professionelle Tänzerlaufbahn erfüllt<br />

werden können.<br />

Eine Tänzerkarriere ist kurz. Die meisten führenden Tanzcompagnien<br />

in der Europäischen Union engagieren keine Tänzerinnen<br />

über 33 und keine männlichen Tänzer über 35 Jahre, von<br />

Ausnahmen abgesehen.<br />

Kein Tänzer oder Tanzpädagoge würde sich gegen die erstrebenswerte<br />

Weiterführung der Tanzausbildung auf Hochschulniveau<br />

aussprechen. Da die bedeutenden Compagnien jedoch<br />

ungern Nachwuchs-Tänzer engagieren, die jenseits der Altersgrenze<br />

von 18 bzw. 19 Jahren sind, macht es <strong>für</strong> die Studenten<br />

keinen Sinn, nach dieser abgeschlossenen Tanzfachausbildung<br />

ihre beginnende Tänzerlaufbahn zu riskieren zu Gunsten direkt<br />

anschließender weiterführender Studien. Genauso wenig interessiert<br />

es den Leiter einer Tanzcompagnie, ob der Bewerber einen<br />

Hochschulabschluss hat oder nicht. Es ist ausschließlich die<br />

künstlerische Qualität, die bei einer Audition zählt.<br />

Doch gerade wegen der Kürze der Tanzkarriere ist es erstrebenswert,<br />

die Möglichkeit/Qualifikation <strong>für</strong> ein Studium zu haben,<br />

um eventuell später weiter studieren zu können.<br />

Doch wie konnte es dazu kommen, die Tanzfachausbildungen<br />

in Europa zu übersehen?<br />

Sicher zunächst durch die Altersgruppe, denn <strong>für</strong> die Zehn-<br />

bis 18-Jährigen kommt aus Altersgründen ein Hochschulstudium<br />

nicht in Frage. Zweitens auch aufgrund der Tatsache, dass sich<br />

die Schulen <strong>für</strong> Tanzfachausbildung historisch gesehen aus privaten<br />

Institutionen entwickelt haben.<br />

In den vergangenen 60 Jahren haben einige der zahlreichen<br />

Schulreformen in verschiedenen Staaten Europas dazu geführt,<br />

dass diese privaten Institutionen – in Konservatorien umgewandelt<br />

– interpretiert wurden oder in eine dem Theater angeschlossene<br />

Ballettschule, teilweise mit direktem Anschluss an die jeweilige<br />

Tanzcompagnie. Da nun die Altersgruppe der Zehn- bis<br />

18-Jährigen in kein typisches Ausbildungsprofil passt und die<br />

Tanzausbildung auch nicht vergleichbar ist mit irgendeiner anderen<br />

beruflichen Ausbildung, teilt man die Ausbildung in zwei<br />

Abschnitte: In die sogenannte Vorausbildung, in der Grundlagen<br />

gelegt werden, und in die eigentliche Ausbildung der Primär-<br />

und Sekundarstufe.<br />

Natürlich kann man darüber streiten, ob es sinnvoll ist, sich<br />

über einen Zeitraum von mindestens sechs Jahren darauf vorzubereiten,<br />

ein Hochschulstudium von zwei Jahren folgen zu lassen,<br />

wobei die Regelstudienzeit ohnehin vier bzw. fünf Jahre<br />

beträgt.<br />

Aber was wird aus der Vorausbildung? Hier gibt es drei Möglichkeiten.<br />

1. Falls sie an eine Schule mit allgemein bildendem Unterricht<br />

angeschlossen ist, wird sie nur von den entsprechenden Autoritäten<br />

wahrgenommen, <strong>für</strong> die Tanzausbildung ist sie unerheblich,<br />

weil eine Vorausbildung nicht anerkannt wird.<br />

2. Wenn sie in ein Konservatorium integriert ist, verfügt sie entweder<br />

über ein separates und damit geringeres Budget oder<br />

wird privat finanziert.<br />

3. Und im Falle des Anschlusses einer kompletten Tanzfachausbildung<br />

an eine Tanzcompagnie oder ein Opernhaus, wird<br />

sie auch meist von privater Hand finanziert.<br />

Mit anderen Worten: Aus diesen verständlichen Gründen wird<br />

von offizieller Seite die Tanzausbildung der Zehn- bis 18-Jährigen<br />

weder wahrgenommen noch finanziert.<br />

Die bisherige Erfahrung hat hinreichend bewiesen, dass es<br />

ohne die sieben- bzw. achtjährige Ausbildung unmöglich ist, einen<br />

professionellen Tänzer auszubilden, der den heutigen hohen<br />

technischen und künstlerischen Anforderungen genügt. Das Gleiche<br />

gilt natürlich auch <strong>für</strong> zukünftige Tanzpädagogen, auch sie<br />

brauchen solide fachliche Grundlagen vor einem eventuellen<br />

Hochschulstudium. Und erst recht betrifft das die Choreographen<br />

von Morgen, die eine beachtliche Tänzerkarriere hinter sich haben<br />

sollten, bevor sie sich dem Studium der Choreographie widmen.<br />

Es ist daher von besonderer Bedeutung, dass das Europäische<br />

Parlament grundlegende Informationen erhält, die sowohl<br />

die notwendige Dauer, aber auch die besondere Struktur der<br />

Ausbildung zukünftiger Tänzer betrifft. Tanz ausschließlich als Angelegenheit<br />

von Hochschulen zu betrachten, ist irreführend und<br />

würde zu einer extrem falschen Schlussfolgerung führen, nachdem<br />

das <strong>Bologna</strong> Abkommen nach 2009 in Kraft treten soll,<br />

denn demnach würde die Ausbildung eines Tänzers vier Jahre<br />

dauern und im Alter von 18 Jahren beginnen!<br />

Im negativsten Fall führt das zu einer nicht überschaubaren<br />

großen Zahl von arbeitslosen Tänzern, denn keine Compagnie<br />

von hohem Niveau würde diese überalterten Tänzer engagieren.<br />

Es wäre daher sehr wichtig, in einer Studie zu belegen,<br />

dass die einzige Möglichkeit darin besteht, Tänzer auf hohem<br />

technischem und künstlerischem Standard auszubilden, wenn sie<br />

im Alter von etwa zehn Jahren beginnen und ihre Ausbildung<br />

mindestens sieben Jahre dauert. ■<br />

Text im Original: »Remoddeling the Roof without Investigating the<br />

Foundation», Jenny J. Veldhuis ©2003, Überarbeitung ©2005,<br />

Übersetzung aus dem Englischen: Dagmar Fischer<br />

4 Ballett Intern 4/2006


»<strong>Bologna</strong>« ist bald überall<br />

Da bleibt nur, aus der Reihe zu tanzen<br />

Von Dagmar Fischer<br />

»<strong>Bologna</strong>« ist seit geraumer Zeit mehr als eine italienische Stadt.<br />

Der Name wurde zum Synonym <strong>für</strong> die tiefgreifendste Veränderung<br />

in der Hochschul-Ausbildung, die je stattgefunden hat. Vor<br />

sieben Jahren trafen sich in <strong>Bologna</strong> 29 europäische Staaten mit<br />

dem Ziel, ihre Ausbildungssysteme aufeinander abzustimmen.<br />

Inzwischen sind es 45 Länder, im Jahr 2010 soll der Prozess<br />

abgeschlossen sein.<br />

Zur Zeit existieren Magister- und Diplom-Studiengänge<br />

noch parallel zu<br />

den beiden neuen Bachelor- und Master-Abschlüssen.<br />

Die Vorteile der nach<br />

US-amerikanischem Vorbild übernommenen<br />

Änderungen werden vor allem in<br />

zwei Punkten gesehen: In einer globalisierten<br />

Welt liegen sie <strong>für</strong> den jungen<br />

Europäer in der Vereinheitlichung, und<br />

schneller als bisher führen sie zu einem<br />

richtigen Abschluss. Denn <strong>für</strong> den Bachelor<br />

beträgt die Regelstudienzeit mindestens<br />

drei, höchstens vier Jahre, danach<br />

kann er also früher als bisher in<br />

die Berufstätigkeit gehen; falls sich ein<br />

Masterstudium anschließt, ist das nach<br />

mindestens einem Jahr bzw. höchstens<br />

zwei Jahren abgeschlossen. Das Masterstudium<br />

vertieft fachliche Kenntnisse,<br />

kann aber auch eine neue Studienrichtung<br />

einschlagen.<br />

Ein vereintes Europa braucht Studiengänge,<br />

die nicht an nationalen Grenzen<br />

Halt machen. So wird es internationale<br />

Scheine geben, die man im<br />

Studium erwirbt, sie heißen Credits und<br />

werden in den Staaten anerkannt, die<br />

sich dem System angeschlossen haben.<br />

Der Leistungspunkte-Katalog, nach dem<br />

Auslandsstudien bewertet werden, heißt<br />

ECTS, European Credit Transfer System.<br />

Aber: Nicht alle Bachelor- und Master-<br />

Studiengänge sind akkreditiert, d. h.<br />

von neutralen Gutachtern auf Mindeststandards<br />

nach internationalen Maßstäben<br />

geprüft und abgesegnet; <strong>für</strong> den<br />

Studierenden heißt das konkret, er muss<br />

prüfen, ob der Studiengang seiner<br />

Wahl bereits akkreditiert ist (siehe www.<br />

hrk-bologna.de)<br />

Gegner der Reform warnen vor dem Herabsetzen des Niveaus,<br />

denn mit dem Verkürzen der Regelstudienzeit wird eine<br />

Reduzierung in der Wissensvermittlung einhergehen, ob in der<br />

Qualität oder nur in der Quantität, darüber sind sich Be<strong>für</strong>worter<br />

und Skeptiker nicht einig. Die FAZ beispielsweise vermutet, dass<br />

sich der »<strong>Bologna</strong>-Prozeß der deutschen Hochschulen als Sparprogramm<br />

<strong>für</strong> Notzeiten« entlarvt (FAZ vom 2.5.2006).<br />

Die Mehrheit der Studenten, die sich in den vergangenen<br />

Jahren schon <strong>für</strong> einen Bachelor-Abschluss entschieden hat,<br />

hängte den Master-Studiengang an, weil dieser offensichtlich<br />

die Aussicht auf eine qualifizierte Arbeitsstelle verbessert. Doch<br />

wirklich aussagekräftige Zahlen liegen zum jetzigen Zeitpunkt<br />

über die Bachelor-Absolventen und ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt<br />

noch nicht vor. Und auch in Zukunft bleibt der Entschluss<br />

jedes einzelnen Studenten eine Entscheidung mit schwer<br />

zu kalkulierendem Ausgang, denn eine Studie dazu ist zwar in<br />

Auftrag gegeben, allerdings nur über einen kurzen Zeitraum:<br />

»Für eine Studie über drei oder vier Jahre fehlt uns das Geld«, so<br />

Michael Baurmann, Soziologie Professor in Düsseldorf (Süddeutsche<br />

Zeitung, Beilage Uni & Job vom 22./23.4.2006).<br />

Hochschulen und Fachschulen – auch die Tanzausbildung ist<br />

von der Umstrukturierung betroffen. Aber: Tanz muss eine Sonderposition<br />

innerhalb der Ausbildungsbereiche<br />

behalten bzw. eine solche<br />

bekommen, wenn die Tanzausbildung<br />

mit Blick auf die Änderungen durch den<br />

Vertrag von <strong>Bologna</strong> gemeint ist. Das<br />

scheinen die verantwortlichen Politiker<br />

nicht im Blick zu haben, Beispiel: Auf<br />

eine Anfrage von Jenny J. Veldhuis an<br />

Marianne Hildebrand (von der Europäischen<br />

Kommission) wurde eingestanden,<br />

dass es Sonderregelungen <strong>für</strong> bestimmte<br />

Bereiche gäbe, Tanz jedoch<br />

gehöre leider nicht dazu.<br />

Auf den Internet-Seiten der Europäischen<br />

Kommission ist unter »Ausbildung<br />

von Tänzern« http://ec.europa.eu/culture/portal/activities/dance/d_training_de.htm<br />

Folgendes zu finden:<br />

Durch das Programm Kultur 2000<br />

fördert die Union die Zusammenarbeit<br />

von Tanzschulen im Rahmen von gemeinsamen<br />

Projekten und Festivals, wie<br />

etwa »Le Ballet des Jeunes d‘Europe -<br />

Danse en Lubéron«, oder Projekte wie<br />

»DÉPARTS« bzw. »danceWEB Europe«,<br />

die sich auf den zeitgenössischen Tanz<br />

beziehen. Allerdings endet Kultur 2000<br />

im Jahr 2006, wie es ab 2007 weitergeht,<br />

kann man auf den Internet-Seiten<br />

noch nicht ablesen. Des weiteren bezieht<br />

sich »DÉPARTS« ausschließlich auf<br />

das Zentrum in Brüssel, »danceWEB<br />

Europe« vergibt nur Stipendien an bestimmte<br />

Personen.<br />

Die EU beschließt Gesetze <strong>für</strong> ein<br />

vereintes Europa, ist aber natürlich an-<br />

gewiesen auf Fach-Berater. Diese Funk-<br />

aus.FAZ.vom.30 ..Juni.2006<br />

tion wurde zum Beispiel ELIA übertragen,<br />

der Euroean League of the Institutes<br />

of the Arts. Die kurze Selbstdarstellung<br />

lautet: The European League of Institutes of the Arts, ELIA, founded<br />

in 1990, is an independent network of approximately 360<br />

Arts Education Institutes covering all the disciplines of the Arts –<br />

Dance, Design, Theatre, Fine Art, Music, Media Arts and Architecture<br />

– from 47 countries.<br />

ELIA allerdings ist eine Organisation, in die man sich per<br />

Mitgliedschaft einkaufen muss, d.h. <strong>für</strong> eine Jahresgebühr ab<br />

290 Euro (gestaffelt nach der Anzahl der Studenten bis 2625<br />

Euro) wird man in die Liste derer aufgenommen, die dann als<br />

Ballett Intern 4/2006 5


Länder ELIA-Informationen … … und die Realität, die nicht aufgeführt ist<br />

Italien: Florenz: Lorenze De›Medici Mailand: Ballettschule der Mailänder Scala<br />

Rom: Accademia Nazionale di Danza<br />

Groß-<br />

britannien:<br />

Liverpool: The Liverpool Institute<br />

of Performing Arts<br />

London: Laban School<br />

Nottingham: Nottingham Trend<br />

University<br />

Totnes: Dartington College of Arts<br />

existent in der Schulübersicht auftauchen. Das aber kann in keiner<br />

Weise repräsentativ Auskunft geben über die jeweilige tänzerische<br />

Situation in den europäischen Nationen. Wie in unserem<br />

Kasten gezeigt, ist die Lola Rogge Schule die einzige<br />

Einrichtung, die unter dem Suchstichwort Tanzausbildung in<br />

Deutschland auftaucht – von Hochschulen oder der Staatlichen<br />

Ballettschule Berlin, nur als Beispiel, ist keine Rede.<br />

Ähnlich verhält es sich, wenn man nach den Möglichkeiten<br />

forscht, in Österreich Tänzer zu werden, dort sind keine Angaben<br />

vorhanden, tatsächlich sind aber mindestens zwei Anlaufstellen<br />

zu nennen: Schule der Wiener Staatsoper und das Konservatorium<br />

in Wien.<br />

Vergleichbar unvollständig sind die Auskünfte über Italien und<br />

Frankreich, zwei »Ballett-Nationen«, weder die Ballettschule der<br />

Pariser Oper noch die Ballettschule der Mailänder Scala sind<br />

aufgeführt.<br />

Wenn man jedoch untersuchen würde, wo die Tänzer tatsächlich<br />

ausgebildet werden, die heute in europäischen Compagnien<br />

engagiert sind, könnte man eine Liste mit Schulen in Europa<br />

nennen – aber in der Europäischen Kultusministerkonferenz scheinen<br />

sie, vielleicht aufgrund falscher Beratung, weitgehend unbekannt<br />

zu sein.<br />

<strong>Bologna</strong> und die Reform des Hochschulsystems betrifft die<br />

Altersgruppe der ab 18-Jährigen, also Studienanfänger nach bestandenem<br />

Abitur – völlig anders der Werdegang eines Tänzers,<br />

der in diesem Alter fertig ausgebildet ist und in die aktive Berufslaufbahn<br />

einsteigt. <strong>Bologna</strong> bedeutet aber auch, jedem Abiturienten<br />

die Möglichkeit zu geben, ohne jede praktische tänzerische<br />

Vorbildung beispielsweise Choreographie an einer<br />

Hochschule zu studieren.<br />

Die tänzerischen Fachausbildungen, die keinen Hochschul-<br />

London: Royal Ballet School<br />

Frankreich: … (kein Eintrag) Paris: Ballettschule der Pariser Oper<br />

Deutschland: Hamburg: Lola Rogge Schule Berlin: Staatliche Ballettschule und Schule <strong>für</strong> Artistik<br />

Dresden: Palucca-Schule / Hochschule <strong>für</strong> Tanz<br />

Essen: Folkwang Hochschule<br />

Frankfurt am Main: Hochschule <strong>für</strong> Musik und Darstellende Kunst<br />

Hamburg: Ballettschule des Hamburg Ballett – Ballettzentrum John Neumeier<br />

Köln: Hochschule <strong>für</strong> Musik, Studiengang Tanz<br />

Mannheim: Hochschule f. Musik u. Darstellenden Künste/Akademie d. Tanzes<br />

München: Ballett-Akademie des Freistaates Bayern / Heinz-Bosl-Stiftung<br />

Stuttgart: John Cranko-Schule<br />

Kanada: Banff: The Banff Centre Toronto: National Ballett School<br />

Auf.der.Grundlage.einer.derartig.dürftigen.Informationsquelle.ist.es.verständlich,.dass.der.Tanz.in.Europa.von.den.europäischen.Kultusministern.übersehen.wurde .<br />

status haben, weil sie historisch gewachsen aus privaten Schulen<br />

entstanden sind, bleiben bei diesem Konzept unberücksichtigt,<br />

sie wurden größtenteils noch nicht einmal im Vorfeld zu den Arbeitstreffen<br />

von der EU eingeladen, da sie aus dem Raster fielen<br />

– denn das hieß Hochschule.<br />

Noch eine Besonderheit der Situation in Deutschland, die<br />

das Dilemma nicht besser macht. Die Ständige Konferenz der<br />

Kultusminister vereint die unterschiedlichen Anlaufstellen aller<br />

16 deutschen Bundesländer. Nur: Jedes Bundesland ist anders<br />

strukturiert, welche Anlaufstelle ist denn eigentlich zuständig<br />

<strong>für</strong> die Tanzausbildung? Ein Beispiel aus Hamburg: Die<br />

Behörde <strong>für</strong> Bildung und Sport, darunter fallen z. B. die staatlich<br />

anerkannten Berufsfachschulen wie Lola Rogge Schule<br />

und Erika Klütz Schule, aber auch die Technische Fachschule<br />

<strong>für</strong> Luftfahrttechnik. Die Behörde <strong>für</strong> Wissenschaft und Forschung<br />

jedoch ist zuständig <strong>für</strong> die Hochschulen – also auch<br />

<strong>für</strong> Tanz, wenn »<strong>Bologna</strong>« demnächst greift. Die Kulturbehörde<br />

allerdings betreut die Hamburgische Staatsoper und damit<br />

auch das Ballettzentrum John Neumeier, also die Ausbildungsstätte<br />

<strong>für</strong> Tänzer.<br />

In Baden-Württemberg sind es nur zwei Stellen, da<strong>für</strong> heißen<br />

sie Ministerium <strong>für</strong> Wissenschaft, Forschung und Kunst sowie Ministerium<br />

<strong>für</strong> Kultur, Jugend und Sport. Ob es nun Ministerium,<br />

Behörde oder, wie in Berlin, Senatsverwaltung heißt, die Bereiche<br />

und Ressorts hat jedes Land unterschiedlich aufgeteilt.<br />

Viele haben unterschiedliche Adressen, d. h. sie sind nicht in<br />

einem Haus untergebracht, was die Kommunikation oder sogar<br />

Kooperation nicht fördert.<br />

Die Staatliche Ballettschule Berlin wird ab nächstem Schuljahr<br />

auf Masterstudiengang umstellen, wir werden über die Veränderungen<br />

berichten. ■<br />

6 Ballett Intern 4/2006


Schwierige<br />

Entscheidungen<br />

Ein Tag bei den Aufnahmeprüfungen<br />

der John Cranko-Schule<br />

Von Angela Reinhardt<br />

Meist ist die John Cranko-Schule der Ort, wo Träume wahr werden<br />

– viele der Studenten wie Alicia Amatriain, Friedemann Vogel<br />

oder Mikhail Kaniskin sind heute Stars des Stuttgarter Balletts.<br />

Und Schuldirektor Tadeusz Matacz ist stolz darauf, dass auch in<br />

diesem Jahr wieder sämtliche Absolventen der Abschlussklasse<br />

eine Anstellung bekommen haben. An diesem Samstag im Frühjahr<br />

2006 aber ist die John Cranko-Schule der Ort, wo Träume<br />

zerplatzen. 97 Träume, genauer gesagt – denn von den 110<br />

Kindern und Jugendlichen, die zu diesem Termin hier vortanzen,<br />

werden am Ende nur 13 in die John Cranko-Schule aufgenommen.<br />

Fast einhundert junge Menschen haben den Weg nach<br />

Stuttgart vergebens gemacht, und einem großen Teil davon hätten<br />

es bereits ihre Ballettlehrer zu Hause sagen müssen. Die Aufnahmeprüfung<br />

an einer der wenigen staatlichen Ballettakademien<br />

Deutschlands ist der heikle Punkt, an dem die kindliche Lust<br />

am Tanzen auf knallharte Berufsanforderungen trifft. Hier legen<br />

sich Kinder in einem Alter auf ihren späteren Beruf fest, in dem<br />

ihre Altersgenossen noch sorglos ihren Hobbys nachgehen.<br />

Die Prüfungen gehen von neun Uhr morgens bis abends um<br />

sechs nahtlos durch, unterbrochen nur von einer Mittagspause.<br />

Bis zum Alter von 15 Jahren werden Mädchen und Jungen gemeinsam<br />

geprüft, ab 16 tanzen sie in getrennten Klassen vor. An<br />

einem langen Tisch im Ballettsaal sitzen acht Lehrer, Direktor<br />

Matacz und Reid Anderson, der Intendant des Stuttgarter Balletts;<br />

jede Klasse ist eine halbe Stunde bis vierzig Minuten im<br />

Ballettsaal. Bei den Kindern zwischen acht und elf Jahren prüfen<br />

zwei Lehrerinnen vor allem die körperlichen Voraussetzungen:<br />

das Auswärts, das Strecken der Beine, die Dehnbarkeit, Füße,<br />

Hüfte und Rücken. Jedes Kind wird einzeln geprüft, dann folgen<br />

ein paar gemeinsame Übungen. Die älteren Kandidaten arbeiten<br />

zuerst an der Stange, dann kommen gemeinsame Exercices<br />

in der Mitte, einige Sprünge und Drehungen müssen nacheinander<br />

alleine vorgeführt werden. Nicht einmal bei der Aufnahme in<br />

die erste Akademieklasse werden hochvirtuose Leistungen verlangt,<br />

da<strong>für</strong> aber saubere Basisübungen.<br />

Die Entscheidungen fallen auf ganz unterschiedliche Weise:<br />

Es kann vorkommen, dass sich sofort alle einig sind, dann sagt<br />

Tadeusz Matacz drei Startnummern in die Runde und alles nickt,<br />

ein anderes Mal aber wird lange diskutiert, oder zwei Kandidaten<br />

werden in die nächste Altersstufe gebeten, um sie ein<br />

weiteres Mal anzuschauen. Bei einem anderen Kind wird beschlossen,<br />

die Eltern auf das medizinische Problem ihrer Tochter<br />

hinzuweisen und sie »mit großem Fragezeichen« zu akzeptieren.<br />

Jeder aufgenommene Schüler wird von der Tanzmedizinerin Dr.<br />

Elisabeth Exner-Grave ärztlich untersucht – eine freiwillige Ein-<br />

! !<br />

W I C H T I G – T E R M I N Ä N D E R U N G<br />

<strong>Deutscher</strong> Tanzpreis 2007<br />

<strong>Deutscher</strong> Tanzpreis »Zukunft« 2007<br />

Mitgliederversammlung des DBfT<br />

Samstag, 27./28. April 2007<br />

Schüler. der. Klasse. 5. in. »Etuden«,. eine. Choreographie. von. Lehrern. der.<br />

John.Cranko-Schule .. (Foto:.Verena.Fischer)<br />

richtung der John Cranko-Schule, die es nicht an allen Ballettakademien<br />

gibt. Sie schaut bei allen Prüfungsklassen zu, wird von<br />

der Jury um Rat gefragt und ist auch dann sofort zur Stelle, wenn<br />

jemandem vor lauter Aufregung schlecht wird.<br />

Während die jüngeren Kinder die Aufnahmeprüfung eher locker<br />

nehmen, gibt es bei den Teenagern ab 13, 14 Jahren einige<br />

verbissene oder auch völlig entsetzte Gesichter. Manche von<br />

ihnen realisieren angesichts der Konkurrenz schmerzhaft, dass sie<br />

nicht den Hauch einer Chance haben, dass sie zu unbeweglich,<br />

zu dick oder einfach zu schlecht sind. Das führt zu unterschiedlichen<br />

Reaktionen, vor allem bei den jungen Mädchen – manche<br />

versteckt sich mit hochrotem Kopf hinter den Mitbewerbern, andere<br />

sehen so verstört aus, dass sie einem leid tun. Die Aufnahmeprüfung<br />

einer Ballettakademie ist keine Audition wie bei<br />

»Deutschland sucht den Superstar«: Man kann hier nicht sein Bestes<br />

zeigen, sondern alle müssen das Gleiche machen.<br />

In der Klasse der 14- und 15-Jährigen schaffen viele, viel zu<br />

viele, nicht einmal eine einfache Drehung ohne Nachfassen oder<br />

Wackeln; einige wissen nicht, wie ein Assemblé geht. Das führt<br />

zu resignierten, sorgenvollen Mienen bei den Lehrern, nur einmal<br />

sagt Matacz mit leichtem Vorwurf in der Stimme: »Das müsstet ihr<br />

in dem Alter eigentlich können!« Noch bei den 16-Jährigen ist ein<br />

Mädchen dabei, das an der Stange keine 90-Grad-Arabesque<br />

schafft. Mit welchen Hoffnungen bewirbt sie sich an einer Berufsfachschule?<br />

Welcher Ballettlehrer ist so verantwortungslos, sie<br />

dorthin zu schicken und ihr dieses frustrierende Erlebnis zuzumuten?<br />

Natürlich ist es schwer, sich selbst einzuschätzen, wenn man<br />

in der Ballettschule zu Hause immer die Beste war. Natürlich sind<br />

nicht immer die Ballettschullehrer schuld, es gibt auch Schüler, die<br />

gegen jede Beratung resistent sind und denen es (angeblich)<br />

ganz egal ist, ob sie genommen werden: »Ich wollte die Aufnahmeprüfung<br />

einfach nur mitmachen, um mich besser einschätzen<br />

zu können« , liest man im Internet-Forum tanznetz.de, wo sich<br />

Schüler über ihre Erlebnisse bei den Auditions austauschen. Für<br />

die Auswahlkommission ist es oft mühsam, zwischen diesen »Erlebnistouristen«<br />

und den Kindern, die von ihren Ballettlehrern<br />

überschätzt wurden, die paar wenigen Schüler überhaupt noch<br />

zu sehen, die vielleicht gut genug wären.<br />

Viele Schüler und Eltern wissen einfach nicht, wie hoch die<br />

Anforderungen einer Ballettakademie sind und beklagen sich hinterher<br />

über das grausame Auswahlverfahren. Wenn zum Beispiel<br />

eine Neunjährige, die während der Prüfung hochbeweglich und<br />

sehr begabt aussah, aufgrund ihrer Zehen nicht genommen wird,<br />

die <strong>für</strong> den Spitzentanz zu schwach sind, dann kann eine solche<br />

Ablehnung unter Umständen zum Vorwurf führen, die Schule hätte<br />

»nur Menschenmaterial gesucht« . Dass aber offensichtlich nicht<br />

einmal alteingesessene Ballettschulen oder ein renommiertes Tanz-<br />

Ballett Intern 4/2006 7


gymnasium in der Lage sind, ihre Schüler richtig zu beraten, schockiert<br />

Schuldirektor Matacz immer wieder. Er hält es <strong>für</strong> verantwortungslos,<br />

Schüler bei sich aufzunehmen, die später keine Aussicht<br />

auf eine Anstellung haben. Er plädiert auch da<strong>für</strong>, es ihnen und<br />

ihren Eltern so früh wie möglich zu sagen, damit sie sich nicht<br />

jahrelang falsche Hoffnungen machen. Der Tänzerberuf wird immer<br />

anspruchsvoller, gleichzeitig gibt es <strong>für</strong> die rund 100 Absolventen<br />

pro Jahr in Deutschland immer weniger Jobs, weil die Ballett-<br />

und Tanz-Compagnien immer wieder verkleinert oder gar<br />

geschlossen werden. Eine Auslese bei den Aufnahmeprüfungen,<br />

so elitär und hart sie auch wirken mag, ist unvermeidlich.<br />

Falls die Pädagogen der privaten Ballettschulen nicht sicher<br />

sind, ob sie Schüler zu einer Aufnahmeprüfung schicken sollen,<br />

dann gibt es ein Angebot zu einer »Berufsberatenden Eignungsprüfung<br />

<strong>für</strong> Tanz« , die gemeinsam von der ZBF, der Zentralen<br />

Bühnen-, Fernseh- und Filmvermittlung, der Genossenschaft <strong>Deutscher</strong><br />

Bühnenangehöriger und dem Deutschen <strong>Berufsverband</strong> <strong>für</strong><br />

<strong>Tanzpädagogik</strong> initiiert wurde. Diese Prüfung wird in zentralen<br />

Städten Deutschlands <strong>für</strong> Schüler ab ca. zehn Jahren angeboten,<br />

alle Altersstufen sind willkommen. Annette Vladar, die bei der<br />

ZBF <strong>für</strong> den Bühnentanz zuständig ist, schreibt da<strong>für</strong> jedesmal<br />

800 private Ballettschulen an – und ist entsetzt über die geringe<br />

Resonanz: »Die privaten Schulen denken, sie könnten es selbst<br />

besser beurteilen, oder sie wollen ihre Spitzenschüler nicht von<br />

irgendwelchen anderen Leuten beurteilen lassen, sondern direkt<br />

von den Profis.« Dabei wird natürlich auch die Eignungsprüfung<br />

von Profis durchgeführt, zuletzt von Günter Pick (Annette Vladars<br />

Vorgänger bei der ZBF), von Hans Herdlein und von Ulrich Roehm.<br />

Bei der letzten Eignungsprüfung konnte man über 90 % der<br />

Schüler davon abhalten, sich an einer Akademie zu bewerben.<br />

Den Kindern wurde die Enttäuschung erspart, den Eltern die Kosten<br />

<strong>für</strong>s Herumfahren, den Akademien zusätzlicher Stress bei<br />

den Prüfungen. Nur leider werden die ZBF-Eignungsprüfungen<br />

viel zu wenig in Anspruch genommen.<br />

Der Stuttgarter Schuldirektor Tadeusz Matacz sieht beim Kampf<br />

um die wenigen guten Schüler (und dazu scheint die professionelle<br />

Tänzerausbildung mangels Nachwuchses immer stärker zu<br />

werden) aber auch das gegenteilige Problem mit den privaten<br />

Schulen, das falsche Festhalten an den wirklich guten Kindern:<br />

»Wichtig ist auch, dass die Ballettschulen ihre guten Schüler loslassen<br />

und weiterschicken!« Er appelliert an das Verantwortungs<br />

bewusstsein der Tanzpädagogen, die richtigen Entscheidungen<br />

<strong>für</strong> die Kinder zu treffen – und nicht <strong>für</strong> ihre Schule.<br />

Die Daten der Berufsberatenden Eignungsprüfung <strong>für</strong> Tanz<br />

können bei Annette Vladar erfragt werden, Kontakt über Telefon<br />

0221-55403-211 oder koeln-zav.ballett@arbeitsagentur.de<br />

Seit 30 Jahren in Nordrhein-Westfalen<br />

Zwei Ballettschulen<br />

mit.je.100.qm.Ballettsaal,.<br />

einem.solidem.Kundenstamm..<br />

und.großem.Kostümfundus.sind.<br />

aus.privaten.Gründen.zu.verkaufen .<br />

Interessenten.wenden.sich.bitte.unter.Chiffre.01-4-2006.<br />

an.den.Deutschen.<strong>Berufsverband</strong>.<strong>für</strong>.<strong>Tanzpädagogik</strong>.e .V ..<br />

Hollestr ..1e.–.45127.Essen<br />

Anerkennung des<br />

Tanzes in der Schweiz<br />

Von Jenny J. Veldhuis<br />

Am 10. Juni fand in Bern eine Versammlung der verschiedenen<br />

Tanzverbände zum Thema Anerkennung des Tanzes statt. Es gibt<br />

in der Schweiz ca. 14 Verbände, die sich um den Tanz kümmern.<br />

Organisator der Versammlung war der Dachverband »Danse<br />

Suisse«, anwesend waren die Organisatoren des Schweizer<br />

Ballettlehrer Verbands (SBLV), der Schweizer Verband der Tänzer<br />

und Choreographen (SVTC), der Schweizer Verband zur beruflichen<br />

Neuorientierung professioneller Tänzer (NPT) und der<br />

Schweizerische <strong>Berufsverband</strong> <strong>für</strong> Tanz und Gymnastik (SBTG).<br />

Beim Ziel der Berufsanerkennung sind sich die Vertreter der<br />

Fachverbände, des Projekts Tanz, der Hochschule <strong>für</strong> Musik und<br />

Theater, Zürich, der Bildungsdirektionen der Kantone Zürich und<br />

Waadt und des Bundesamtes <strong>für</strong> Berufsbildung und Technologie<br />

einig; eine gesamtschweizerisch angeglichene Ausbildungsstruktur<br />

<strong>für</strong> angehende Bühnentänzer und Tänzerinnen soll eingerichtet<br />

werden, die auf folgenden Stufen zu anerkannten Abschlüssen<br />

führt:<br />

a. Berufsausbildung mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis und<br />

Berufsmatura (berufliche Grundausbildung)<br />

b. Studium auf Bachelor-Stufe mit Abschluss Bachelor of Arts<br />

(BA) im Tanz<br />

Das Modell sieht vor, dass die Kantone Zürich und Waadt je<br />

eine Berufsausbildung inklusive Berufsmatura auf Stufe Sekundar II<br />

und je einen BA auf einer Fachhochschule anbieten.<br />

»Danse Suisse« erklärte sich schon im Juni 2005 bereit, als<br />

sogenannte Organisation der Arbeitswelt bei der Ausarbeitung<br />

der Bildungsverordnung <strong>für</strong> die dreijährige Berufsausbildung die<br />

Federführung zu übernehmen. »Danse Suisse« wird <strong>für</strong> diese Arbeit<br />

vom Bundesamt <strong>für</strong> Berufsbildung und Technologie finanziell<br />

unterstützt.<br />

Es wurden Fachpersonen zur Bildung einer Kommission, die<br />

<strong>für</strong> die Entwicklung und Umsetzung der Berufslehre verantwortlich<br />

sein wird, eingeladen. Nebenbei wurde eine unabhängige<br />

Arbeitsgruppe zur Ausarbeitung eines neuen Konzepts gegründet.<br />

Diese neue Struktur soll im Juni 2007 in Kraft treten.<br />

Zur Unterstützung war Ulrich Roehm eingeladen, er sollte<br />

über das Ergebnis der am 12. März 2006 in Berlin gegründeten<br />

»Ständigen Konferenz Tanz / SKT« informieren.<br />

Es gab einige interessante Unterschiede, z. B. die ziemlich<br />

große Zahl der sehr aktiven Berufsverbände in der Schweiz im<br />

Gegensatz zu Deutschland, sowie die Zusage einer finanziellen<br />

Unterstützung dieses Projektes.<br />

Weil auch in der Schweiz der »Vertrag von <strong>Bologna</strong>« schon<br />

viele Fragezeichen aufgeworfen hat, wird es interessant sein,<br />

den Verlauf des Projekts im Auge zu behalten.<br />

Dass eine Anerkennung des Tänzerberufs äußerst wichtig ist,<br />

ist klar. Es ist nur zu hoffen, dass die Tänzer sich nicht zu Kompromissen<br />

bereit erklären.<br />

Man kann nur wünschen: »Wenn schon Anerkennung, dann<br />

auch richtige Anerkennung«.<br />

Für weitere Informationen: www.dansesuisse.ch<br />

8 Ballett Intern 4/2006


»Wissen in Bewegung«<br />

Von Ulrich Roehm<br />

Meines »Wissens« hat kein anderes Thema mehr »Bewegung« in<br />

die Nachfolge der Tanzkonferenz gebracht als dieses: »Tanzausbildung<br />

Deutschland – Dance Education in Germany, Staatliche<br />

Tanzhochschulen«. Hier wurde doch wohl – bewusst oder<br />

unbewusst – ein sehr sensibler Punkt berührt.<br />

In Ballett Intern 3/06 auf Seite 7 finden wir eine erste schriftliche<br />

Reaktion, telefonisch und mündlich sind zahlreiche weitere<br />

eingegangen. Die Pressevertretung der Organisation des Tanzkongresses<br />

bat uns um die Publizierung der Gegendarstellung<br />

Ingo Diehls, der wir an dieser Stelle gerne nachkommen.<br />

Leserbrief<br />

bzgl. »Rückmeldungen von Kongressteilnehmern»<br />

»Tanzplan Deutschland« ist ein auf fünf Jahre angelegtes<br />

Förderprojekt der Kulturstiftung des Bundes, das durch die<br />

Unterstützung zukunftsweisender Initiativen auf regionaler<br />

und nationaler Ebene die strukturellen Bedingungen <strong>für</strong> den<br />

Tanz in Deutschland nachhaltig stärken will.<br />

Neben »Tanzplan vor Ort« ist das Ziel von »Tanzplan<br />

Deutschland« im Bereich »Ausbildungsprojekte», innovative<br />

Entwicklungen im Ausbildungsbereich zu fördern. Hierbei<br />

handelt es sich um einen Prozess, der gemeinsam mit den<br />

Akteuren über die nächsten fünf Jahre entwickelt wird und<br />

zu unterschiedlichen Zeitpunkten in die Ausbildung von<br />

Tänzer/innen, Pädagog/innen und Choreograf/innen<br />

hineinwirkt. In einem ersten Schritt wurde von »Tanzplan<br />

Ausbildungsprojekte« ein Treffen der nationalen Tanzhochschulen<br />

initiiert, das vor dem Tanzkongress in Berlin stattfand.<br />

In Vorbereitung auf das erste Zusammentreffen dieser Arbeitsgruppe<br />

wurden von mir alle Institutionen mit Hochschulstatus<br />

– unabhängig von Ihrer Ausrichtung – besucht.<br />

Neben Hospitationen und Vorstellungsbesuchen fanden<br />

Gespräche zu Fragen der Tanzausbildung mit den Professor/innen<br />

und Dozent/innen folgender Institutionen statt:<br />

Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz Berlin; Palucca<br />

Schule Dresden – Hochschule <strong>für</strong> Tanz; Folkwang Hochschule,<br />

Fachbereich 3, Essen; Hochschule <strong>für</strong> Musik und<br />

darstellende Künste Frankfurt; Hochschule <strong>für</strong> Musik, Abteilung<br />

Tanz /Köln; Staatliche Hochschule <strong>für</strong> Musik und darstellende<br />

Künste, Akademie des Tanzes /Mannheim und<br />

Ballett Akademie München Heinz-Bosl-Stiftung.<br />

WISSEN IN BEWEGUNG<br />

Vor dem Hintergrund der Umstrukturierung der Tanzhochschulen<br />

von Diplom- zu Bachelor und Masterabschlüssen<br />

zeichnete sich gemeinsamer Handlungsbedarf ab, der zu<br />

einer ersten Diskussionsrunde mit dem Thema »Bachelor<br />

und Master als Chance?« führte. Folgende Hochschulvertreter<br />

nahmen daran teil: Prof. Lutz Förster und Roman Arndt<br />

(Essen), Prof. Paul Melis und Prof. Vera Sander (Köln), Prof.<br />

Dieter Heitkamp und Prof. Mark Spradling (Frankfurt), Eva-<br />

Maria Hoerster, Prof. Rhys Martin und Hon. Prof. Ingo Reulecke<br />

(Berlin) sowie Jason Beechey und Prof. Anke Glasow<br />

(Dresden).<br />

Auf dem Podium im Rahmen des Tanzkongresses waren<br />

die teilnehmenden Hochschulen der Arbeitsgruppe jeweils<br />

mit einer Person vertreten.<br />

Die Fachhochschulen in Berlin (Stattliche Ballettschule Berlin<br />

und Schule <strong>für</strong> Artistik), Hamburg (Ballettschule Hamburg<br />

/ Ballett John Neumeier) und Stuttgart (John Cranko-<br />

Schule) waren auf Grund der Thematik in diese ersten<br />

Treffen nicht miteinbezogen.<br />

Aufgrund der positiven Resonanz und dem großen Engagement<br />

der teilnehmenden Hochschulen werden die Treffen<br />

der Arbeitsgruppe fortgeführt.<br />

Ich freue mich über direkte Rückmeldungen und lade die<br />

Kritiker gerne zu gemeinsamen Gesprächen ein.<br />

Ingo Diehl Berlin, im Juni 2006<br />

Von der Lola Rogge Schule Hamburg erhielten wir ebenfalls ein<br />

Schreiben – es ist einiges, mit oder ohne »Wissen», in »Bewegung«<br />

gekommen, das dringend der Klärung bedarf!<br />

Leserbrief<br />

An die Redaktion von »Ballett Intern«<br />

Ich bitte um Aufklärung in folgender Sache:<br />

Der diesjährige Tanzkongress in Berlin hatte auch die Thematik<br />

»Tanzausbildung« auf dem Programm. Die Lola Rogge<br />

Schule, Hamburg, war als staatlich anerkannte Berufsfachschule<br />

<strong>für</strong> Tanz und Tänzerische Gymnastik zu diesem<br />

bundesweiten Kongress nicht offiziell eingeladen. Da ich<br />

leider wegen unserer Aufnahmeprüfung am 24.4. nicht in<br />

Berlin sein konnte, bat ich Frau Katja Borsdorf, die u.a.<br />

Absolventin der Lola Rogge Schule ist und langjährige<br />

Tanzpädagogin an unserer Schule war, mich in Berlin zu<br />

vertreten. Sie fragte Frau Hortensia Völckers, warum unsere<br />

Schule nicht eingeladen worden sei und erhielt die Antwort,<br />

der Deutsche Verband <strong>für</strong> <strong>Tanzpädagogik</strong> sei wegen<br />

entsprechender Einladungen angefragt gewesen, hätte<br />

Ballett Intern 4/2006 9


aber nichts von sich hören lassen.<br />

Meine Frage ist nun: Wie konnte das passieren? Wer<br />

kennt die Hintergründe und den Sachverhalt und kann sich<br />

da<strong>für</strong> einsetzen, dass alle Tanzausbildungsstätten in<br />

Deutschland in Zukunft einbezogen werden? Eigentlich<br />

doch der Verband???<br />

Mit Dank im Voraus und freundlichen Grüßen,<br />

Christiane Meyer-Rogge-Turner, Schulleiterin<br />

Hierzu einige Worte in eigener Sache. Eine offensichtliche Fehl-<br />

Information muss zunächst richtig gestellt werden: Weder der<br />

Deutsche <strong>Berufsverband</strong> <strong>für</strong> <strong>Tanzpädagogik</strong> e.V. noch der Erste<br />

Vorsitzende Ulrich Roehm wurden in irgendeiner Form in die Planungen<br />

oder gar Entscheidungen der Verantwortlichen des Tanzkongresses<br />

einbezogen (hier scheint Frau Völckers nicht exakt<br />

informiert worden zu sein), weder die Veranstaltung betreffend<br />

»Tanzausbildung Deutschland – Dance Education in Germany«<br />

(Samstag, 22. April, 15.00 Uhr) noch anlässlich irgendeines<br />

anderen Programmpunktes des Kongresses, es gab keine Kontakte,<br />

abgesehen von einer größeren, allgemeinen »Brainstorming«-Zusammenkunft<br />

im Herbst 2004. (Obwohl sich dies im<br />

Sinne einer Zusammenarbeit im Bereich <strong>Tanzpädagogik</strong> sicher<br />

angeboten hätte.)<br />

Bei der Organisation der Runde »Tanzausbildung Deutschland<br />

– Dance Education in Germany« ist wohl bedauerlicherweise<br />

Einiges nicht bedacht worden. Durch die zeitgleich anberaumte<br />

Sitzung der Bundesdeutschen Ballett- & Tanztheaterdirektoren<br />

Konferenz (BBTK) waren Ballettdirektoren, die gleichzeitig<br />

Schulleiter sind, von vornherein nicht in der Lage, daran<br />

teilzunehmen: Birgit Keil, John Neumeier, Gregor Seyffert …<br />

Seit mehr als zwanzig Jahren bemüht sich die Tanzszene in<br />

Deutschland um Einigkeit. Am 12. März 2006 wurde in Berlin<br />

endlich die »Ständige Konferenz Tanz / SKT« gegründet, die sich<br />

im Rahmen des Tanzkongresses erstmalig öffentlich vorstellte.<br />

Warum wurden dann in der Veranstaltung zur »Tanzausbildung<br />

Deutschland – Dance Education in Germany», und sei es<br />

aus formalen Gründen, während der Tage der Einheit des Tanzkongresses<br />

neue Gräben aufgerissen?<br />

Es ist doch niemandem, weder in der Politik noch in der Tanzszene,<br />

verständlich zu machen, warum zu solch einem »gesamtdeutschen«<br />

Treffen des Tanzes bzw. der Tanzausbildung nur die<br />

Institute mit Hochschul-Status eingeladen werden – und Institute wie<br />

die Ballettschule des Hamburg Ballett / John Neumeier, die Staatliche<br />

Ballettschule Berlin, die John Cranko-Schule, die Lola Rogge<br />

Schule (die einen erheblichen Teil unseres Pädagogen-Nachwuchses<br />

in Deutschland ausbildet), bleiben wegen eines etwas<br />

anderen juristischen Status’ als »Aschenputtel« vor der Tür …<br />

Und es wird verständlicherweise immer wieder gefragt, welcher<br />

Status die Vertreterin des »tanzplan vor ort« Berlin als Teilnehmerin<br />

in dieser die <strong>Tanzpädagogik</strong> in Deutschland repräsentierenden<br />

Runde qualifizierte.<br />

Aus diversen Zuschriften und vielen mündlichen Rückmeldungen<br />

ergibt sich, dass es <strong>für</strong> die verantwortlichen Entscheidungsträger<br />

dieser tanzpädagogischen Runde noch Einiges an<br />

Fragen zu klären gibt im Sinne der erstrebten Einheit des<br />

Tanzes!<br />

Der Stein ist ins Wasser gefallen, es gibt »Bewegung», diese<br />

sollte in ein zweifelsfreies »Wissen« münden!<br />

Wir stehen <strong>für</strong> eine weitere Diskussionen mit unserer der <strong>Tanzpädagogik</strong><br />

verpflichteten Zeitschrift gerne als Forum zur Verfügung.<br />

■<br />

Wer plant schon die<br />

eigene Beerdigung?<br />

International Organization for the<br />

Transition of Professional Dancers<br />

Von Dagmar Fischer<br />

Heute tanz’ ich, morgen prob’ ich, und übermorgen. ..? Holt<br />

mich vielleicht eine Verletzung ein, die das Ende bedeuten<br />

könnte. Aber bloß nicht daran denken. Die viel beschworene<br />

Flüchtigkeit, die der Tanzkunst eigen ist, birgt nicht nur Vergänglichkeit,<br />

sondern wirkt sich auch auf die Zukunft aus. Es gibt<br />

nämlich kaum einen Tänzer, der sich mit der Zeit NACH dem<br />

Tanzen beschäftigen will. »Die Zeit nach der aktiven Tänzerlaufbahn<br />

mag niemand so recht planen», sagt Paul Bronkhorst, seit<br />

fünf Jahren Präsident der IOTPD. »Es ist ähnlich unerfreulich, wie<br />

eine Versicherung <strong>für</strong> die eigene Beerdigung abzuschließen,«<br />

sagt der Niederländer, »und wer plant die schon gern?« Trotzdem<br />

wird er kommen, der Tag des letzten Auftritts, und was<br />

kommt danach? Da die Tänzer selbst sich dieser Frage viel zu<br />

selten stellen, hat es die International Organization for the Transition<br />

of Professional Dancers, die IOTPD, übernommen, Perspektiven<br />

zu ermöglichen.<br />

Transition meint nicht das Verschwinden vom »Markt« durch<br />

Heirat oder Erbschaft, sondern den Wechsel in einen anderen<br />

Beruf, der den ehemaligen Tänzer weiterhin ernährt. Da das<br />

meist noch vor der Lebensmitte ansteht, ist eine wohl überlegte<br />

Entscheidung vonnöten, die noch einige Jahre den Unterhalt sichern<br />

sollte. Großbritannien erkannte als erste Nation Handlungsbedarf<br />

auf diesem Gebiet, schon 1973 wurde eine Organisation<br />

gegründet, die sich als »Dancers’ Resettlement Fund«<br />

dem Problem annahm, sofern es Tänzer der großen englischen<br />

Compagnien betraf; in den achtziger Jahren kam der »Independent<br />

Dancers Trust« <strong>für</strong> Tänzer der freien Szene hinzu. Heute sind<br />

beide Zweige in der Dachorganisation »Dancers’ Career Development«<br />

mit Sitz in London zusammengefasst.<br />

Kanada und die USA riefen vergleichbare Initiativen 1985<br />

ins Leben, ein Jahr später folgten die Niederlande. Gründungen<br />

in anderen Ländern stehen bis heute noch aus, Frankreich und<br />

Australien machen allerdings konkrete Schritte in diese Richtung,<br />

und auch in Deutschland engagieren sich unter der Federführung<br />

von Sabrina Sadowska (Stellvertretende Leiterin des Balletts Vorpommern)<br />

einige Tanzverantwortliche inzwischen <strong>für</strong> die Gründung<br />

einer Organisation hierzulande.<br />

Wegen der extremen Kürze, die der Tänzerberuf nur ausgeübt<br />

werden kann, ist eine Umschulung in relativ jungen Jahren vorprogrammiert,<br />

diese Situation stellt sich so in keinem anderen Beruf.<br />

Die IOTPD begann 1995 ihre Arbeit mit gleicher Zielsetzung,<br />

aber internationaler Reichweite, denn ganz offenkundig machen<br />

weder die Tänzer noch die Probleme vor nationalen Grenzen<br />

halt; Philippe Braunschweig – ehemals Präsident des Prix de<br />

Lausanne – ist dieser Anfang zu danken. Denn ohne grenzüberschreitende<br />

Vereinbarungen können nur solche Tänzer in den<br />

Genuss von Beratung und finanzieller Unterstützung kommen, die<br />

ausschließlich in einem Land gearbeitet und dort auch eingezahlt<br />

haben. Ein Beispiel aus den Niederlanden: Leistungen kommen<br />

nur dem zu Gute, der als frei arbeitender Tänzer selbst 4 % seines<br />

Einkommens zahlt; ein angestellter Tänzer muss 1,5 % aufbringen,<br />

während die Compagnie 2,5 % übernimmt. Nachdem fünf<br />

Jahre lang eingezahlt wurde, hat ein Tänzer Anspruch auf ein<br />

10 Ballett Intern 4/2006


Studium bzw. eine Umschulung, erst nach zehn Jahren erwirbt ein<br />

Beitragszahler auch Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt.<br />

Wohlgemerkt gelten diese Vereinbarungen nur, wenn die Karriere<br />

innerhalb nationaler Grenzen verläuft. Welche Chancen aber<br />

hat ein Tänzer, der aus Ungarn stammt, vier Jahre in England<br />

tanzte und dann in ein Engagement nach Deutschland wechselt?<br />

»Daran werden wir auf unserem nächsten Kongress im kommenden<br />

Jahr arbeiten«, versichert Paul Bronkhorst. Denn ein Tänzer,<br />

der sowohl die Ausbildung als auch seine gesamte Laufbahn in<br />

einem Staat verbringt, ist heutzutage die Ausnahme, ein Nomaden-Dasein<br />

ist gerade in der Tanzbranche die Regel. Und so wird<br />

sich das IOTPD-Treffen 2007 vorrangig der Lösung dieser Aufgabe<br />

widmen, aber auch daran arbeiten, wie man die größtmögliche,<br />

individuelle Hilfestellung geben kann, denn die Vorstellungen,<br />

welcher Beruf nach dem Tanzen folgen könnte, sind weit<br />

gefächert.<br />

Aus seiner Erfahrung als persönlicher Berater in den Niederlanden<br />

kann Paul Bronkhorst von sehr unterschiedlichen zweiten<br />

Karriereanläufen berichten: Ein Ex-Tänzer fliegt inzwischen als<br />

Helikopter-Pilot durch Australien, ein anderer wurde nach vierjährigem<br />

Jura-Studium ein äußerst erfolgreicher holländischer Anwalt.<br />

Zwölf bis 15 Tänzer pro Jahr suchen Rat und konkrete Hilfe<br />

bei der Organisation in Den Haag. »Natürlich kennen immer<br />

noch viel zu wenige von den ca. 500 niederländischen Tänzern<br />

unsere Anlaufstelle. Aber wenn sie den Weg erst einmal gefunden<br />

haben, steht ihn oftmals nur noch das zu geringe Vertrauen<br />

in ihre intellektuellen Fähigkeiten im Wege,« konstatiert Paul<br />

Bronkhorst. »Andererseits haben wir eine hohe Erfolgsquote, von<br />

den umgeschulten Tänzern kommen 80 % innerhalb des ersten<br />

Jahres im neuen Beruf unter. Denn einige Qualifikationen aus<br />

dem ersten Berufsleben zeichnen sie auch im nächsten aus: Tänzer<br />

sind diszipliniert, ehrgeizig, arbeiten meist hochmotiviert und<br />

sind bereit, sich neue Fähigkeiten anzueignen.« Durchschnittlich<br />

kostet die Umschulung eines Tänzers ca. 85.000 Euro, bei der<br />

Finanzierung wird selbstverständlich auch die Zusammenarbeit<br />

mit Arbeitsagenturen gesucht, die im Schnitt 70 % des letzen<br />

Einkommens als Übergang gewähren, allerdings nur <strong>für</strong> ein Jahr;<br />

braucht die neue Qualifikation einen längeren Zeitraum, übernimmt<br />

ihn die jeweilige nationale Organisation. Die IOTPD hingegen<br />

finanziert sich aus Mitgliedschaften: Private Personen<br />

können <strong>für</strong> 75 Dollar jährlich Mitglied werden, das »Hamburg<br />

Ballett« als Compagnie beispielsweise zahlt 275 Dollar im Jahr<br />

(dem Beispiel könnten andere folgen) – und signalisiert damit<br />

auch die Notwendigkeit, dass die Zeit nach der aktiven Tanzlaufbahn<br />

nicht früh genug ins Auge gefasst werden kann. Dazu<br />

noch einmal Paul Bronkhorst in seiner Eigenschaft als Präsident<br />

Paul.Bronkhorst.. (Foto:.Robert.Benschop)<br />

des IOTPD: »Auch das ist ein erklärtes Ziel: Ein Bewusstsein in<br />

der Öffentlichkeit zu verankern, dass Tänzer rechtzeitig die ‚Zeit<br />

danach’ planen müssen. Erst recht, wenn sie keine weitere persönliche<br />

Vorliebe haben und der zweite Beruf quasi erst gefunden<br />

werden muss. Diese Findung ist nicht selten ein Prozess, der<br />

viele Gespräche über einen längeren Zeitraum braucht.«<br />

Auch die IOTPD ist der Auffassung, dass kein Tänzer übergangslos<br />

ins Unterrichten von Tanz wechseln sollte (s. »<strong>Bologna</strong>«),<br />

ohne sich das nötige pädagogische Know-how angeeignet zu<br />

haben. Denn obwohl sich die <strong>Tanzpädagogik</strong> vielleicht auf den<br />

ersten Blick als naheliegendste Fortführung des bisherigen Berufsfeldes<br />

anzubieten scheint, ist <strong>für</strong> das Unterrichten von Tanz, auf<br />

welchem Niveau auch immer, ebenso eine Umschulung notwendig,<br />

die das entsprechende Handwerkszeug vermittelt, wie <strong>für</strong><br />

den angehenden Piloten und den zukünftigen Rechtsanwalt, die<br />

allesamt im »ersten Leben« Tänzer waren. ■<br />

Weitere Informationen: www.iotpd.org (hier sind auch weitere<br />

Links zu verwandten Webseiten zu finden).<br />

In den Niederlanden: Stichting Omscholingsregeling Dansers<br />

(SOD), P.O. Box 85806, 2508 CM The Hague (Netherlands),<br />

Tel. +31(0)7030656 78, www.socialeregelingen.nl<br />

Eine nationale Zweigstelle<br />

der IOTPD <strong>für</strong> Deutschland?<br />

Von Dagmar Fischer<br />

Schon in den neunziger Jahren hatten Ulrike Schmidt, Betriebsdirektorin<br />

des Hamburg Ballett, mit Ulrich Roehm und<br />

Günter Pick erste Schritte zur Gründung einer deutschen Dependance<br />

der IOTPD (International Organization for the<br />

Transition of Professional Dancers) unternommen, einer nationalen<br />

Anlaufstelle <strong>für</strong> die Umschulung von Tänzern in Deutschland.<br />

Damals entschied man sich dagegen, denn die Künstlersozialkasse<br />

– eine einmalige Einrichtung weltweit – deckt<br />

<strong>für</strong> selbständig Arbeitende, also auch <strong>für</strong> Freie aus der Tanzszene,<br />

den entsprechenden Bereich ab. Angestellte Tänzer<br />

wiederum, die ja sozial versichert gearbeitet haben, brauchen<br />

theoretisch nur zur Arbeitsagentur zu gehen, so Günter<br />

Pick, ehemaliger Tänzer und Ballettdirektor, der bis vor<br />

kurzem, nach seiner erfolgreichen Transition noch <strong>für</strong> die ZBF<br />

tätig war. »Wer nicht mehr vermittelbar ist, wie ein verletzter<br />

oder zu alter Tänzer, hat Anrecht auf eine Umschulung, um<br />

wieder ins Arbeitsleben integrierbar zu sein.« Soweit die Theorie.<br />

Und noch 2005 war das wohl auch nicht wirklich problematisch.<br />

Doch seit dem 1. Januar 2006 ist es laut Günter Pick<br />

wesentlich schwieriger, eine Umschulung genehmigt zu bekommen,<br />

was durchaus in Zusammenhang mit Hartz IV gesehen<br />

werden kann. Inzwischen ist es ja schon so, dass der<br />

Staat sogar durchschnittlich gut Verdienende drängt, sich zusätzlich<br />

privat finanziell abzusichern, da Renten, egal ob früher<br />

oder später ausbezahlt, nicht mehr reichen. Für die oftmals<br />

gering verdienenden »Freien« kommt erschwerend hinzu, dass<br />

sie entsprechend wenig einzahlen können, das Eingezahlte<br />

aber immer in Relation zur möglichen späteren Auszahlung<br />

steht.Unter den sich jüngst verschlechternden Bedingungen<br />

ist es also durchaus wieder sinnvoll, über eine deutsche Dependance<br />

der IOTPD nachzudenken. ■<br />

Ballett Intern 4/2006 11


Triumph der Klassik<br />

Die John Cranko-Schule lädt sich Freunde ein<br />

Von Angela Reinhardt<br />

»Zurück zur Klassik!« – der Stuttgarter Schuldirektor Tadeusz<br />

Matacz scheint den Ballett-Trend in den deutschen Theatern wie<br />

Karlsruhe oder Hannover vernommen zu haben. Das Programm<br />

von »John Cranko-Schule & Friends II« (Teil I hatte im Februar<br />

stattgefunden) bestand bis auf ein Werk nur aus klassischem Spitzentanz.<br />

Als exzellentes, homogenes Ensemble zeigte sich dabei<br />

das große Mädchen-Corps der drei oberen Klassen in der<br />

»Glasunov Suite« des früheren japanischen Tänzerstars Hideo<br />

Fukagawa, choreographiert im reinsten Petipa-Stil mit ein paar<br />

Balanchine-Tönungen. Strahlend und mühelos reihten acht Solistinnen<br />

Schwierigkeit an Schwierigkeit; inmitten der großartigen<br />

Ensembleleistung glänzte vor allem Rachele Buriassi, die nächstes<br />

Jahr in die Stuttgarter Compagnie übernommen wird – vom<br />

Typ her eher eine Kitri als eine Giselle, zeigte sie bombensichere<br />

Balancen und feine Phrasierungen.<br />

Statt vieler kurzer Stücke der einzelnen Altersstufen hatten sieben<br />

Pädagogen der Schule ein großes Werk <strong>für</strong> all ihre Schüler<br />

von den acht- bis zu den 16-Jährigen choreographiert. In einfachen<br />

schwarzweißen Trikots zu Ausschnitten aus Knudage Riisagers<br />

Orchesterbearbeitung der Klavieretüden von Carl Czerny<br />

getanzt, ist »Etuden« natürlich von Harold Landers »Etudes«<br />

inspiriert – dieser hochvirtuose Klassiker aus dem Jahr 1948 reiht<br />

die technischen Schwierigkeiten einer Übungsstunde zu einem<br />

fast einstündigen Ballett aneinander. Hier waren es nur zwanzig<br />

Minuten, aber was <strong>für</strong> ein Defilée der hehren Danse d’école!<br />

Nach dem stolzen Lächeln über die Allerkleinsten, die ihre einfachen<br />

Grundübungen so ernsthaft und hingebungsvoll absolvierten,<br />

blieb so manchem Zuschauer der Mund offen angesichts<br />

der blitzsauberen Linien, der bei aller Präzision so ungezwungenen<br />

Leichtigkeit der siebzig Schüler. Und angesichts eines 14jährigen<br />

Japaners, der seine Double Tours perfekter landete als<br />

mancher Erste Solist.<br />

Die »Friends« aus dem Titel standen in diesem Fall <strong>für</strong> ein gemeinsames<br />

Projekt mit drei großen internationalen Schulen: der<br />

kanadischen National Ballet School, der Londoner Royal Ballet<br />

School und der Ballettschule des Hamburger Balletts. Gemein-<br />

»Glasunov.Suite«,.Choreographie:.Hideo.Fukagawa .. (Foto:.Verena.Fischer)<br />

Rachele.Buriassi.und.Clément.Bugnon.in.»Vier.letzte.Lieder«,.Choreographie:.Rudi.van.Dantzig<br />

.. (Foto:.Verena.Fischer)<br />

sam tanzten vier Paare die »Vier letzten Lieder« des heute 72jährigen<br />

Rudi van Dantzig, der ja schon länger nicht mehr choreographiert.<br />

Das Ballett entstand 1977, als die Erben von<br />

Richard Strauss offensichtlich noch nichts gegen die Verwendung<br />

seiner Musik <strong>für</strong> den Tanz einzuwenden hatten. Jedes Lied wird<br />

zu einem Pas de deux, ein sanfter Todesengel nimmt jeweils die<br />

Frau mit sich. Die Choreographie wirkt heute seltsam fahrig – auf<br />

die weiten, elegischen Bögen der Strauss-Musik setzt van Dantzig<br />

viele hektische Schritte, die unermüdliche Betriebsamkeit legt<br />

sich erst im letzten Lied. Aus Kanada beeindruckten der sprungstarke<br />

Reid Colton und Brock Hayhoe als blonder Tod, aus London<br />

die seidenweich fließende Moe Nieda; Stuttgart war mit<br />

Rachele Buriassi und dem zuverlässigen Arman Zazyan vertreten,<br />

der zwar die John Cranko-Schule besucht hat, aber schon<br />

seit zwei Jahren in der Stuttgarter Compagnie tanzt. So ganz<br />

ohne Erklärung wirkte es etwas merkwürdig, dass man ihn den<br />

immerhin sieben männlichen Absolventen der Abschlussklasse<br />

vorzog.<br />

Acht Herren der Akademieklassen tobten sich da<strong>für</strong> mal wieder<br />

im Rausschmeißer »Troy Game« von Robert North aus, ließen<br />

ihre Muskeln spielen und flirteten ganz unverschämt mit dem<br />

Publikum – wenn auch die exakte Motivierung manch witziger<br />

Pointe dabei unterging. Eines aber gab es in<br />

dieser Matineevorstellung nie zu sehen: Zögern,<br />

Bühnenangst, eine entgleisende Mimik.<br />

Die Schüler waren optimal vorbereitet, sie tanzten<br />

souverän und entspannt. Ob es später <strong>für</strong><br />

eine Weltklasse-Compagnie reichen wird oder<br />

ob sie in einem der vielen deutschen Stadttheater<br />

tanzen: Die Absolventen der John Cranko-<br />

Schule sind zuversichtliche, wagemutige Künstler,<br />

die ihren Beruf und die Bühne lieben.<br />

Schuldirektor Tadeusz Matacz hat sich längst<br />

als absoluter Glücksgriff erwiesen. Dass ausgerechnet<br />

Stuttgart und das Land Baden-Württemberg<br />

die zehn Millionen Euro <strong>für</strong> die dringend<br />

erforderliche Erweiterung des veralteten Schulgebäudes<br />

nicht aufbringen können – einen<br />

Bruchteil dessen, was Dresden, Berlin oder<br />

München <strong>für</strong> die Renovierung ihrer Akademien<br />

bereitgestellt haben –, das ist langsam keine<br />

Blamage mehr, sondern eine Schande. ■<br />

12 Ballett Intern 4/2006


ZuKT ohne Zagen<br />

»Tanzmarathon 06« der Hochschule <strong>für</strong><br />

Musik und Darstellende Kunst Frankfurt<br />

Von Melanie Suchy<br />

Die Abkürzung ZuKT steht zwar <strong>für</strong> »Zeitgenössischen und Klassischen<br />

Tanz« und den so benannten Ausbildungsbereich in der<br />

Frankfurter Hochschule. Aber ihr fehlt auch nicht viel zur »Zukunft».<br />

Auch <strong>für</strong> den zukünftigen Tanz muss man ausbilden. Und<br />

so sind die Frankfurter jetzt schon dabei, die Diplom-Ausbildung<br />

umzuwandeln in Richtung Bachelor-Studiengang. Im Herbst<br />

2006 soll es losgehen. Das Leitungsteam der Abteilung um Prof.<br />

Dieter Heitkamp begreift die vom <strong>Bologna</strong>-Prozess angestoßene<br />

Umstellung als Chance, die Struktur und die Inhalte der vierjährigen<br />

Ausbildung zu verbessern. So wird man unter anderem<br />

den Studierenden mehr Theorie und Wissenschaft vermitteln,<br />

und sie werden sich im dritten Ausbildungsjahr spezialisieren<br />

können auf »klassisch« oder mehr »zeitgenössisch« mit entsprechenden<br />

zusätzlichen Lehrangeboten von Technik-Labs bis Stimmbildung.<br />

Dass sich schon die bisherige Ausbildung sehen lassen kann,<br />

zeigte wieder der sommerliche »Tanzmarathon« in der Hochschule,<br />

eines von drei jährlichen ZuKT-Aufführungsprogrammen. Schon<br />

die Zweitsemester liefen mit beim Marathon, und die Achtsemester,<br />

kurz vor ihrem Abschluss, zeigten sich bereit und fähig <strong>für</strong> ihre<br />

eigene Zukunft im Tanz. In einigen Stücken mischten sich die<br />

Jahrgänge oder kamen gar, beim von Prof. Susanne Noodt choreographierten,<br />

diesmal spanisch inspirierten Folklore-Tanz, alle<br />

zusammen. Das zeigt eine innere Durchlässigkeit, die Begabungen<br />

fördert und die bei der großen Spannbreite zwischen<br />

K und Z in der relativ kleinen Hochschule auch nahe liegt.<br />

Kristalline Formen, elegante Girlanden und kecke Knicke aus<br />

Balanchine-Choreographien, neoklassisch auch das Duo von<br />

Prof. Marc Spradling, ein humorvoller<br />

erster Satz aus Jirˇí Kyliáns<br />

»Stamping Ground«, der die Tänzer<br />

aussehen lässt wie eine Mischung<br />

aus Schlagzeuger, Trommel<br />

und dem sprechenden Abstand<br />

zwischen den Tönen; ein fröhliches<br />

Gewusel mit multifunktionalen Plastiksäcken,<br />

synchron getanzten<br />

New-Dance-Einlagen und choreographiertenContact-Improvisations-Begegnungen<br />

in »Bagages«<br />

von Dieter Heitkamp, einem der<br />

Stücke, an der auch die Studierenden<br />

ihren kreativen Anteil hatten.<br />

Der ehemalige Forsythe-Tänzer<br />

Alan Barnes steuerte ein etwas<br />

prätentiöses »4Tease« bei, wo sich<br />

in einer schwülen Atmosphäre etwas<br />

anzustauen scheint, das sich<br />

nie entlädt. Auch Marguerite Donlon,<br />

wiederholt zu Gast in Frankfurt,<br />

will es in »EROS REMIX« und<br />

»Chocolate – bitter sweet« erotisch<br />

prickeln lassen, bei ihr ziehen die<br />

Glieder aus dem Körper, biegt sich<br />

die Hüfte weit aus der Mitte und<br />

Hände berühren Haut, klatschen, gleiten, streicheln. Die Choreographien<br />

und sogar ihre Teile sind unterschiedlicher Qualität,<br />

aber sie stehen ja auch als Werke nicht im Mittelpunkt des<br />

Abends.<br />

In den drei Mal vier Stücken des imposanten Programms gibt<br />

es immer wieder Bilder, Szenen, in denen die Tänzer auf besondere<br />

Weise sichtbar werden und über die Form hinaus in einen<br />

weiteren Raum zu weisen scheinen. Das tänzerische Können<br />

wird dann »unsichtbar», und der Ausdruck kann atmen. Etwa bei<br />

Katharina Wiedenhofer, die in Balanchines »Concerto Barocco«<br />

mit ihrem Solo wie eine Königin, sehr erwachsen und kraftvoll,<br />

den Raum füllt, und Ekaterina Cheraneva, die als Zweitsemester<br />

schon den richtigen Forsythe-Ton, »nichts hält mich auf», trifft. Nur<br />

die Erotik oder etwas wie ein saftiges Körpergefühl vermisst man<br />

bei einigen, die so gut und souverän in allen Stilen geworden<br />

sind, darunter Adam Dembczynski, Xianghui Zeng, Li Tan. Bei<br />

Carla Pulvermacher und Monica Moranelli sieht man, dass so<br />

etwas nicht schmalzig ist, sondern wie ein feines furchtloses Lächeln.<br />

Und Norbert Pape zeigt, nicht nur in seinem eigenen Solo<br />

vom Mai dieses Jahres, sondern auch in Paarkombinationen, mit<br />

Frau oder Mann, wie dringlich, vielseitig und letztlich unbeantwortet<br />

die erotische Frage auf der Bühne ist.<br />

Irritation im besten Sinne brachten auch zwei dunkle Stücke.<br />

Eines von Forsythe, aus »Enemy in the Figure« von 1989, wo<br />

man unsichtbare Dämonen als Gegner ahnt und ein fast asiatischer<br />

Kampfgeist aus Lockerheit und konzentrierter Anspannung<br />

tausend Richtungswechsel ermöglicht. Das andere, »aller simple«<br />

von Toula Limnaios aus Berlin, erzählt mit philosophischer<br />

Gelassenheit von der Brüchigkeit des Seins und des gesellschaftlichen<br />

Miteinanders – in tausend Arten des Zu-Boden-Gehens.<br />

Darunter diese: Männer sitzen und halten je eine stehende Frau<br />

am Knöchel. Sie kippt langsam und gerade zur Seite, landet<br />

gebremst. Nur eine einzige fällt ohne Halt, einsam, hart auf den<br />

Boden. Dass das geht, immer wieder fallen und aufstehen, das<br />

beweist so wunderbar der Tanz. ■<br />

links:.Katarina.Wiedenhofer.in.»Enemy.Variations«.,.Choreographie:.William.Forsythe<br />

rechts:.Friederike.Mauß.und.Ekaterina.Cheraneva.in.»Bagages«.,.Choreographie:.Dieter.Heitkamp<br />

. (Fotos:.Dietmar.Janeck)<br />

Ballett Intern 4/2006 13


Wasser und Zeichen<br />

Die Gegenwart der Vergangenheit beim<br />

Tanzabend der Folkwang-Hochschule<br />

Von Melanie Suchy<br />

Wie zur Mahnung in diesem hellen Sommer kam die Sonne hier<br />

nicht vor: Der Studiengang Tanz der Folkwang-Hochschule<br />

zeigte vor vier Mal ausverkaufter Neuer Aula drei neue Choreographien<br />

vom Folkwang-Absolventen Stephan Brinkmann, von<br />

der Professorin Malou Airaudo und von Susanne Linke. Bei den<br />

beiden ersten regnete es sogar aus den Lautsprechern, akustische<br />

Melancholie.<br />

Malou Airaudo nennt »Windschatten« eine »Hommage an<br />

Jyudz – Kuo-Chu Wu». Der kürzlich verstorbene Choreograph,<br />

der nach seinem Studium in Essen-Werden Ballettdirektor in Kassel<br />

wurde und als Nachfolger von Lin Hwai-Min <strong>für</strong> das weltbekannte<br />

Cloud Gate Dance Theatre im Gespräch war, wurde nur<br />

35 Jahre alt. Das Gedenken von noch jüngeren Tänzern verkörpern<br />

zu lassen, ist riskant, und es wirkt auch durch den pathetischen<br />

Grundton zuweilen etwas unpassend. Sechzehn Tänzerinnen<br />

und Tänzer des dritten Jahrgangs sind mit großem Ernst<br />

dabei in einer Choreographie, die den Einzelnen eher zurücktreten<br />

lässt und die Gruppe über die Bühne bewegt, geschlossen,<br />

aufgebrochen. In allem scheint das Meer zu wogen – wer im<br />

oben.links:.»Windschatten«,.Choreographie:.Malou.Airaudo<br />

oben.rechts:.»Fragmente.–.Skizzen«,.Choreographie.Susanne.Linke<br />

unten:.»Are.you.going.with.me«,.Choreographie:.Stephan.Brinkmann<br />

. (fotos:.Georg.Schreiber)<br />

Windschatten segelt, ist nicht allein. Die Frauen, die zu Beginn<br />

die Arme vor der nackten Brust kreuzen beim Tanzen, wirken in<br />

ihren langen Röcken unbeholfen wie Schiffchen ohne Segel.<br />

Arme, Ärmel, Stabilität entfalten sich später. Wellenschwung<br />

fährt durch Körper und Arme, er scheint auch die ganze Gruppe<br />

oder Teile nach vorn an die Rampe zu treiben, vor und zurück,<br />

so ein Meer hat kein Ende. Zwischen diesen Bildern ewiger<br />

Wiederkehr die leise Geschichte eines Einzelnen, der ins Licht<br />

tritt, hoch schaut, plötzlich am Boden liegt – die anderen strecken<br />

leere Hände vor, heben Hände vor den Mund – und einem<br />

zweiten, der sich trauernd um ihn kümmert und ihn aufhebt. Leider<br />

lässt die Choreographie die Tänzer etwas zu brav wirken.<br />

Stephan Brinkmann zeigt in »Are you going with me« dagegen<br />

große Dynamik und Vielfalt an Bewegungen. Frauen werden<br />

eben mal leicht auf die Schulter genommen, man lehnt sich<br />

aneinander, strebt voneinander weg, rollt, zieht, rennt, lustvolllebendige<br />

spielerische Begegnungen. Wie den zweiundzwanzig<br />

jungen Tänzern des zweiten Jahrgangs in ihre eigene Stimmung<br />

geflochten, ohne theatralische Klischees. Bei plätscherndem<br />

Wasser und Tom-Waits-Blues wird die Atmosphäre nervöser,<br />

eine letzte Umarmung, aus der, dutzendfach, einer wie tot zu<br />

Boden gleitet. Erinnerung, ach, die Liebe entgleitet. Wenig überraschend<br />

und leider wieder so trübsinnig.<br />

Umso überraschender und mehrdimensional das letzte Stück<br />

des Abends von Susanne Linke, Gastprofessorin im Sommersemester<br />

2006. »Fragmente – Skizzen« ist von Fotos mit Mary<br />

Wigman und Skizzen von Dore Hoyer inspiriert. Gemessener<br />

Anfang: Ein Solist, mit Bart und Rockhose wie ein Geistlicher,<br />

baut, sehr akkurat, sich selbst wie ein Bild oder Zeichen auf,<br />

immer deutlich nach vorn hin präsentiert, Unterarm angewinkelt,<br />

Knie geknickt, das andere gestreckt und darüber ein gerader<br />

Arm. Und noch mehr aus einem Repertoire, das fremd wirkt, wie<br />

auf alten Ton geritzt. Eine Art Prophet mit unbekannter oder uralter<br />

Sprache? Während die anderen fünfzehn des vierten Jahrgangs,<br />

ebenso in weiten schwarzen Wickelhosen, sich nicht<br />

sehr beeindrucken lassen. Sie gehen, drehen sich, zucken, liegen,<br />

abwartend auf den Ellbogen gestützt, auf dem Boden oder<br />

recken beide Arme oder eine Faust zum Himmel. Das verströmt<br />

eine rätselhafte Sinnhaftigkeit, und ein feiner Witz ist um den<br />

Mönch mit seinen Buchstaben, die sich wiederholen, variieren<br />

oder auch umkippen. Die übrigen Figuren gewinnen mit der Zeit<br />

an Tempo, Kraft und fragmentierter Bewegung, Freiheit vielleicht.<br />

Archaik, strenge Form, verbindet sich mit etwas sehr Modernem.<br />

Der Wechsel zwischen lauerndem Stillstand im sehr tiefen Plié<br />

und sehr schnellen Bewegungen hat sogar Kampfkunstqualität.<br />

Dem Stück und seinen großartigen Tänzern wünschte man noch<br />

sehr viele Aufführungen. ■<br />

14 Ballett Intern 4/2006


Hanky Panky<br />

mit Sylphiden in<br />

Netzstrümpfen<br />

Die Mannheimer Akademie<br />

des Tanzes beherrscht alle Stile<br />

Von Angela Reinhardt<br />

Anders als bei vielen Hochschulen zur Zeit üblich, wollte sich die<br />

Akademie des Tanzes bei ihrer Schulaufführung nicht auf wenige<br />

große Werke und damit auf eine Auswahl aus dem gelernten<br />

Repertoire beschränken. Beim alljährlichen Gastspiel der Mannheimer<br />

im Stuttgarter Züblin-Haus präsentierte Direktorin Birgit<br />

Keil ihre Akademieklassen in Ausschnitten aus allen Stilarten:<br />

Klassik, Folklore, Jazz und Modern.<br />

Wiederum fiel dabei auf, wie viel Wert in Mannheim auf die<br />

Ports de bras’ gelegt wird – in Ausschnitten aus Fokines »Les<br />

Sylphides« zeigten die vier Solistinnen nicht nur Stilsicherheit und<br />

saubere Fußarbeit, sondern sie charakterisierten die ätherischen<br />

Luftgeister vor allem durch ihre zarten Arme und Hände. Elisiane<br />

Büchele wiederholte den hervorragenden Eindruck im »Dornröschen«-Pas-de-deux,<br />

wenngleich ihr hier ein wenig die Frische,<br />

das Strahlen der glücklichen Prinzessin fehlte. Yi Han war ihr ein<br />

sicherer Partner (die drei »Fische« glückten mühelos), er zeigte<br />

gelungene Sprünge und eine schöne Manège, nur leider verriet<br />

seine Mimik wenig außer großer Nervosität.<br />

Keils Stellvertreterin Rosemary Helliwell hatte ein virtuoses,<br />

schwungvolles Mädchen-Solo und einen empfindsamen Pas de<br />

deux zu einer Mozart-Ariette choreographiert. Mit dem 27-jährigen<br />

Italiener David Nicolas Russo scheint Birgit Keil wieder einen<br />

hoffnungsvollen jungen Choreographen entdeckt zu haben.<br />

Sein Solo »ERstaunt« <strong>für</strong> den schmalen, drahtigen Yao Xuan Mei<br />

und die Ensemblechoreographie »Æternum« bewiesen Sinn <strong>für</strong><br />

die Struktur und Dynamik eines Stücks. Russo choreographiert<br />

ausdrucksvoll und hat augenscheinlich auch intensiv mit den Tänzern<br />

gearbeitet; vielleicht greift er mit den Bezügen auf Kant und<br />

Dante rein philosophisch etwas hoch, aber andererseits lassen<br />

seine Choreographien einen festen künstlerischen Willen erkennen,<br />

ohne Herumtändeln oder ideenloses Nur-Arrangieren.<br />

Yao.Xuan.Mei.in.der.Choreographie.»ERstaunt«.von.dem.erst.27-jährigen.<br />

David.Nicolas.Russo<br />

Einen.Ausschnitt.aus.Fokines.»Les.Sylphides«<br />

Wie viel Spaß die Ausbildung in den Charaktertänzen machen<br />

kann, führten vier Paare in einer Berjoska und einer Troika von<br />

Peter Vondruska vor – waren sie in ersterer noch auf Sicherheit<br />

bedacht, zündete in der zweiten dann das russische Feuer, und<br />

sie warfen sich voll Übermut in die artistischen Einlagen. Auch<br />

der Flamenco »Caña« von Christine Neumeyer glühte nur so vor<br />

spanischem Stolz. Der Knüller des Abends und eine brillante<br />

Idee war die Showtanz-Choreographie »Hanky Panky« zum<br />

gleichnamigen Madonna-Song, von Rosemary Néri-Calheiros<br />

<strong>für</strong> vier langbeinige Girls und zwei verführerische Boys entworfen.<br />

Obwohl es das diametrale Gegenteil zu den Sylphiden<br />

war, die die Mädchen anfangs getanzt hatten, hatten sie größten<br />

Spaß an ihrem Auftritt im Bob-Fosse-Stil und trafen sowohl die<br />

Schnelligkeit wie auch den exaltierten, sinnlichen Stil des Broadway.<br />

Dem tollen Rai Kirchner wollte man danach spontan die<br />

Starkarriere im Showtanz oder beim Musical nahe legen, so<br />

unglaublich viel Rhythmus hat er im Blut. Bei den Herren bestach<br />

auch Johann Hebert durch sichere Hebungen, er ist außerdem<br />

ein exzellenter Flamenco-Tänzer inklusive flammender Augen.<br />

Mit seiner großen Ausdruckskraft könnte man sich ihn zum Beispiel<br />

gut bei Martin Schläpfer in Mainz vorstellen. Bei den Mädchen<br />

gefielen neben den Brasilianerinnen Elisiane Büchele und<br />

Bruna Andrade die beiden Australierinnen Blythe Newman und<br />

Christina Langton. ■<br />

Ralph.Freys.Choreographie.»Zu.Zweit«<br />

. (Fotos:.Akademie.des.Tanzes,.Mannheim)<br />

Ballett Intern 4/2006 15


Ein langer Weg zum Erfolg<br />

Die Tanz Akademie Zürich<br />

Von Jenny J. Veldhuis<br />

Unter diesem Namen hat <strong>für</strong> die ehemalige Schweizer Ballettberufsschule<br />

eine neue Ära angefangen. Die Schule besteht zwar<br />

schon zwanzig Jahre, sie hat aber eine ziemlich abwechslungsreiche<br />

Zeit hinter sich. Abwechslungsreich in jeder Hinsicht.<br />

Schon Ende der siebziger Jahre entstand die Idee, ein Ausbildungsinstitut<br />

<strong>für</strong> Tanz in der Schweiz zu gründen. Eine Gruppe<br />

engagierter Leute des Schweizerischen Dachverbandes <strong>für</strong> Tanz,<br />

zusammen mit Migros und Vertretern des Ballettlehrerverbandes,<br />

damals unter der Direktion von Prof. Drehse vom Opernhaus in<br />

Zürich, setzten sich zusammen, um ein Projekt zu entwickeln. Es<br />

sollte nicht nur eine Tanzfachausbildung werden, sondern nach<br />

dem Vorbild renommierter internationaler Institute, auch die Allgemeine<br />

Schulbildung mit Schulabschlüssen einbeziehen. Außerdem<br />

sollte ein Internat dazu gehören.<br />

Schon wegen des beachtlichen, da<strong>für</strong> notwendigen Budgets<br />

konnte man die Politiker nicht wirklich überzeugen. Die Verhandlungen<br />

wurden hinaus geschoben und kamen schließlich zum<br />

Stillstand. Dann brachte Malou Fenaroli Leclerc, zur Zeit Solistin<br />

beim Schweizer Kammer Ballett in Basel, heute Künstlerische Leiterin<br />

der Cinevox Junior Company, die Idee vom sogenannten<br />

»Infrastructure Sharing« ins Spiel.<br />

Zu dieser Zeit wurde gerade die alte Mühle »Tiefenbrunnen«<br />

in Zürich umgebaut. Der Kern der Idee war, die Infrastruktur, die<br />

zur Erschließung ohnehin geplant war, mit anderen Interessenten<br />

zu teilen. Weil aber die lokalen Ballettschulen nicht unbedingt<br />

begeistert waren, kam der Vertrag mit einem Fitness-Studio als<br />

Partner zustande.<br />

Die Politiker konnte man erst zu einem anderen Zeitpunkt zu<br />

überzeugen.<br />

Dabei waren drei Punkte sehr wichtig:<br />

a. Die gesamte Tanzszene der Schweiz sollte hinter diesem Projekt<br />

stehen.<br />

b. Eine Persönlichkeit von internationalem Rang und Namen<br />

müsste die Schule leiten.<br />

c. Ein Bedürfnisnachweis müsste erbracht werden.<br />

So wurde am 7. April 1986 die Ballettberufsschul-AG, Zürich<br />

gegründet, Gründungsmitglieder waren Malou Fenaroli, Hans<br />

W. Schmidig und Bruno Frölig.<br />

Migros machte jedoch zur Bedingung, dass dieses Projekt<br />

einen nationalen Charakter haben sollte, und so wurde die Schule<br />

am 31. Oktober 1990 in eine Stiftung mit dem Namen<br />

»Schweizerische Ballettberufsschule« umbenannt. Dem Stiftungsrat<br />

gehörten die drei ursprünglichen Gründer an, dazu kamen<br />

Philippe Braunschweig, Heinz Spoerli, Ursula Mürkens und Dieter<br />

Reich. Als erste Schulleiterin konnte man Anne Woolliams <strong>für</strong><br />

das Projekt gewinnen. Sie hatte schon große Erfahrung mit der<br />

Gründung der Cranko-Schule in Stuttgart und der Leitung der<br />

Australian Ballet School. Sie begann 1987, weil sich jedoch<br />

das Projekt nicht nach ihren Wünschen entwickelte, verließ sie<br />

Zürich bereits zwei Jahre später wieder. Ljuba und Pierre Dobrievitch<br />

übernahmen die Leitung 1989, traten aber 1994 in den<br />

Ruhestand. Denise Welter führte ab 1995 die Schule, zusammen<br />

mit Heinz Spoerli als künstlerischem Leiter und Charles Gebhard<br />

als Stiftungspräsidenten im Hintergrund. Die Schule befand<br />

sich inzwischen tief in den roten Zahlen. Maßnahmen zu deren<br />

Reduzierung mussten also ergriffen werden.<br />

Als Heinz Spoerli im Jahr 2000 Alex Ursuliak in die Schweiz<br />

holte, kam Ricardo Duse mit, man konnte nur hoffen, dass es<br />

jetzt aufwärts gehen würde.<br />

Die Schule brauchte nicht nur eine erfahrene Leitung, die einzige<br />

Überlebenschance bestand in der Integration in die Hochschule<br />

<strong>für</strong> Musik und Theater. Diese Integration wurde unterstützt<br />

von Charles Gebhard, heute Präsident des Prix de Lausanne.<br />

Am 13. Februar 2001 wurde die Schule dann auch offiziell<br />

in die Hochschule <strong>für</strong> Musik und Theater aufgenommen, als eigenständiges<br />

»Departement Tanz«. Damit war zwar die Struktur<br />

gerettet, nicht aber die Leitung der Schule, denn auch Ursuliak<br />

verließ die Schweiz 2002.<br />

Bis eine neue Leitung gefunden war, übernahm Ricardo Duse<br />

sie stellvertretend. Und wie bei so manchen Problemen, kam<br />

auch hier die Lösung ganz unerwartet. Man konnte Oliver Matz,<br />

Kammertänzer der Berliner Staatsoper, und seine Partnerin Steffi<br />

Scherzer gewinnen, sich <strong>für</strong> die Schule ab 2004 einzusetzen.<br />

Beide wurden an der Staatlichen Ballettschule Berlin ausgebildet,<br />

die es ihnen ermöglichte, eine internationale Tanzkarriere<br />

aufzubauen, dort lernten sie auch die einzig richtige Struktur einer<br />

Ballett-Ausbildung kennen. Sehr wichtig ist es beiden, auch<br />

in Zürich eine integrierte Ausbildung von Tanz und Allgemeiner<br />

Bildung zu erreichen.<br />

Neben hochkarätigem Tanzunterricht liegt ihnen das Wohlbefinden<br />

der Schüler sehr am Herzen. Dazu sollte eine ausgewogene<br />

Balance zwischen künstlerischer und menschlicher<br />

Entwicklung angestrebt werden. Neben der Vermittlung von<br />

Tanztechnik wollen sie die Schüler zu selbständig denkenden<br />

Individuen zu erziehen, damit sie sich in der heutigen, nicht<br />

unbedingt einfachen Tanzwelt eine Karriere aufbauen können.<br />

16 Ballett Intern 4/2006


Wer anno 2006 die Schule besucht, wird erstaunt sein, was<br />

sich innerhalb dieser kurzen Zeit entwickelt hat. Man bemerkt sofort,<br />

Schüler und Dozenten arbeiten in einer angenehmen Atmosphäre.<br />

Die Schüler brauchen nicht herausgefordert zu werden,<br />

denn sie arbeiten, weil sie es gerne tun. Der Kontakt zwischen<br />

Dozenten und Schülern ist sehr positiv, und keiner <strong>für</strong>chtet sich<br />

davor, einen Dozenten oder auch einen Gast anzusprechen.<br />

Auch wenn die Rahmenbedingungen momentan nicht unbedingt<br />

ideal sind, (es gibt kein Internat, keinen Aufenthaltsraum,<br />

keine Kantine) sie finden sich damit ab, weil der Tanz ihnen<br />

wichtig ist.<br />

Die lange Hin- und Rückreise, das Hin- und Herrennen zwischen<br />

Schule und Tanz verlangt ihnen viel ab. Dies sind dann<br />

auch die wichtigen Probleme, die Matz und Scherzer innerhalb<br />

kurzer Zeit bestens zu lösen hoffen.<br />

Dass man sich die Räume mit einem Fitness-Studio teilen muss,<br />

ist an sich nicht schlimm, aber die ständigen Abstimmungen sind<br />

aufwändig. Der wirklich große Schritt in die Zukunft ist der Einzug<br />

in ein speziell <strong>für</strong> die Hochschule umgebautes Gebäude.<br />

Es handelt sich dabei um eine ehemalige Molkerei, ein sehr<br />

großes Gebäude, in dem man zehn Ballettsäle, eine Kantine,<br />

Aufenthaltsräume, Garderoben usw. zur Verfügung haben wird.<br />

In Kürze alles, was man sich wünschen kann. Damit man sich<br />

jedoch unterscheidet von den Gebieten Musik und Theater, hat<br />

Oliver Matz darauf bestanden, der Tanzausbildung innerhalb<br />

der Hochschule einen eigenen Namen zu geben. Ab diesem<br />

Jahr heißt sie denn auch »Tanz Akademie Zürich« (TAZ).<br />

Bis man in die neue Hochschule einziehen kann, hat man<br />

eine Zwischenlösung gefunden.<br />

Ab nächstem September hat man vier große Ballettsäle, einen<br />

Aufenthaltsraum und eine Kantine zur Verfügung im Media Campus<br />

in Zürich-Altstätten. Die Schule zählt im Augenblick 60 Schüler,<br />

zehn Dozenten und sechs Pianisten. Mehr als 80 Schüler<br />

möchte man eigentlich gar nicht, sonst leidet die individuelle<br />

Zuwendung im Unterricht.<br />

Die Schule beginnt mit Vorbereitungsklassen <strong>für</strong> die Altersstufe<br />

zwischen neun und elf Jahren. Dann folgt das Grundstudium der<br />

12- bis 15-Jährigen und schließlich das Hauptstudium <strong>für</strong> die<br />

15- bis 19-Jährigen, es wird abgeschlossen mit dem Kantonal<br />

anerkannten »Diplom <strong>für</strong> Bühnentanz«.<br />

Man untersucht momentan, ob dieses Diplom in der Zukunft<br />

einem »Bachelor of Arts« vergleichbar gemacht werden kann.<br />

Das Studium ist nicht schulgeldfrei. Es gibt aber viele Möglichkeiten,<br />

ein Stipendium zu erhalten, wie z. B. das Migros-Tanzstipendium.<br />

Jährlich wird entschieden, wer weiter studieren kann<br />

und ob ein anderer Weg <strong>für</strong> einen Schüler eventuell sinnvoller<br />

ist.<br />

Am Ende meines Besuchs hatte ich Gelegenheit, die jährliche<br />

Schulvorstellung »Fußspuren« zu sehen. Professor Daniel Fucter,<br />

Rektor der Hochschule <strong>für</strong> Musik und Tanz, gab in seiner Eröffnungsrede<br />

einen kurzen Rückblick auf die 20 Jahre der Schweizer<br />

Berufsballettschule.<br />

Er dankte der anwesenden Gründerin, Malou Fenaroli, mit<br />

einem Blumenstrauß <strong>für</strong> ihre Initiative. Oliver Matz erweiterte diese<br />

Danksagung und erklärte den neuen Namen der Schule: TAZ.<br />

Auch konnte er stolz mitteilen, dass sich von den acht Abiturienten<br />

sechs auf einen Vertrag freuen können in Compagnien, u.a.<br />

in Zürich, Prag, Essen und Kiel.<br />

Das Programm zeigte ein sorgfältiges Gleichgewicht zwischen<br />

Klassischem und Modernem Tanz. Ein lupenrein getanztes<br />

Pas de Deux aus »Dornröschen«, getanzt von einer 17-jährigen<br />

Schülerin und einem 18-jährigen Schüler, eröffnete das Programm.<br />

Ein nicht nur tänzerisch perfektes, sondern vor allem sehr<br />

musikalisch getanztes Solo aus »La Fille Mal Gardée«, getanzt<br />

von einem noch nicht einmal 16-jährigen Schüler, der die Zuschauer<br />

sehr rührte. Die Jungens zeigten sich sehr stark und voller<br />

Energie in »Keith« von Birgit Scherzer, während die Mädchen im<br />

humorvollen »How come, You Don’t Call Me«? von Kelvin Hardy<br />

tanzten. Neben verschiedenen klassischen und modernen Variationen<br />

ging das Programm zu Ende mit einem speziell <strong>für</strong> diese<br />

Vorstellung von Ricardo Duse choreographiertem Ballett <strong>für</strong> alle<br />

Schüler, »Les Petits Riens«.<br />

Obwohl auch die Schweizer Schule dem globalen »Studenten-Tourismus«<br />

nicht entkommen kann, gibt es heute mehrere<br />

tanzbegabte Schweizer unter den Schülern.<br />

Wer, speziell nach der Vorstellung, noch fragt: «Können die<br />

Schweizer eigentlich tanzen und in der Schweiz ausgebildet<br />

werden?«, braucht nur die Zürcher Schule im Auge zu behalten.<br />

Sie wird es schaffen, und sie ist es wert, dass man sie allseits<br />

unterstützt. ■<br />

Ballett Intern 4/2006 17


Maler, Rehe und<br />

jede Menge Tänzer<br />

Erste Norddeutsche Tanztage<br />

in Worpswede 25. bis 28.5.2006<br />

Von Dagmar Fischer<br />

War das denn nötig, noch ein neues Seminar-Tanztreffen ins Leben<br />

zu rufen? Ja, unbedingt! Denn erstens gibt es weit und breit<br />

kein Angebot im norddeutschen Raum (jenes in Salzau existiert<br />

nicht mehr), und zweitens gab der enorme Andrang an Teilnehmern<br />

dem Pilotprojekt mehr als recht. Für alle Interessierten mit<br />

Wohnort südlich von Dortmund ist zwar Bregenz die bewährte<br />

Anlaufstelle. Aber <strong>für</strong> die Bremer, Münsteraner und Hamburger<br />

ist das einfach zu weit weg. Also machten sich Ursula Neuhaus<br />

und Ulrich Roehm mit dem Finger auf der Landkarte auf die Suche<br />

nach einem geeigneten Standort. Und wurden in Worpswede<br />

fündig. Dort war alles, was den engagierten Pädagogen <strong>für</strong><br />

die konzentrierte Fortbildung von Kindern und Jugendlichen vorschwebte:<br />

Eine Jugendherberge, mehrere Hallen in gutem Zustand,<br />

eine attraktive Umgebung <strong>für</strong> die Freizeitgestaltung – und<br />

bei Worpswede kam die Vergangenheit als Künstler-Treffpunkt<br />

noch bedeutungsvoll hinzu.<br />

Doch auch das reichte der verantwortungsvollen Ursula Neuhaus<br />

nicht, die sich seit Jahren im Deutschen <strong>Berufsverband</strong> <strong>für</strong><br />

<strong>Tanzpädagogik</strong> <strong>für</strong> den Nachwuchs stark macht. »Dass die Jungen<br />

und Mädchen ein paar Tage tolle, neue Tanzideen kennen<br />

lernen, war mir nicht genug. Sie sollten sich unter ihresgleichen<br />

wirklich wohl fühlen, Kontakte knüpfen können, rundherum neue<br />

Erfahrungen machen. Und die Eltern sollten uns ihre Kinder gerne<br />

und mit gutem Gewissen <strong>für</strong> vier Tage anvertrauen – ohne<br />

sich Sorgen zu machen, was in der unterrichtsfreien Zeit alles<br />

passieren könnte.« Für diese Zeit hatte Ursula Neuhaus vier erfahrene<br />

Betreuer engagiert, die allen zur Verfügung standen. Sie<br />

machten nicht nur abwechslungsreiche Angebote von Basteln<br />

über Schwimmen bis Kanufahren, sondern hatten auch jederzeit<br />

ein offenes Ohr, trösteten und halfen – mehr oder weniger rund<br />

um die Uhr. Nur die geplante Nachtwanderung fiel ins (Regen-)Wasser,<br />

einer der Unterschiede zu Bregenz ist halt das<br />

Wetter und der frühe Zeitpunkt im Mai.<br />

Apropos früh: Die Frühaufsteher unter den Dozenten des<br />

Teams konnte man beim Joggen im Morgennebel ausmachen.<br />

Das berühmte Künstlerdorf Worpswede liegt malerisch im flachen,<br />

norddeutschen Land, im Frühling hängt es prall voller Blüten,<br />

duftet und hat am Morgen eine unvergleichliche Stimmung.<br />

Und mit etwas Glück begegnet man Rehen am Ortsrand.<br />

Das Besondere an den Kursen war, dass man sie nur im Paket<br />

buchen konnte. Pädagogisch besonders wertvoll deshalb, weil<br />

die Dreier-Kombination der Fächer »Ballett-Freier Tanz-Folklore«<br />

zwangsläufig alles schult, was der junge Mensch so braucht. Für<br />

die Älteren bzw. Fortgeschrittenen war das Bündel mit »Ballett-<br />

Spitzentanz-Tanztheater« geschnürt. Jazztanz und Musical konnte<br />

jede Alterstufe zusätzlich wählen.<br />

Chesse Rijst traf beim Musicaltanz genau den richtigen Ton –<br />

vor vielen müden Gesichtern um 8.30 Uhr kein leichtes Unterfangen.<br />

Doch mit der »West Side Story« motivierte er die über 40<br />

Teilnehmer, ließ sie kämpfen, Rivalitäten zeigen, auch wenn Tanzen<br />

mal in Rempeln überging. Die Großen trafen eher den Ausdruck,<br />

da<strong>für</strong> hatten die Kleinen den Text der Folge sicher, wenn<br />

Sharks und Jets (nur scheinbar feindlich) gegeneinander antraten.<br />

»Ihr lügt! Und ich hasse Lügen. Aber ich liebe Diskussion, so<br />

talk to me!« Klare Anweisungen, hinter denen sich anspruchsvolle<br />

Herausforderungen verbargen – Annie Rogers konnte man<br />

18 Ballett Intern 4/2006


nicht missverstehen. Wenn die Körper logen, weil sie nur so<br />

taten als ob, dann sah sie das sofort, folglich wollte die Pädagogin<br />

wissen, woran es denn läge, wenn’s nicht klappt. In einem<br />

solchen Fall brach sie eine Trainingsfolge unter Umständen bis<br />

zu sechs Mal ab, weil es wenig Sinn macht, falsche Bewegungen<br />

einzuüben. Ihr klassisches Training ist hart, präzise sind<br />

ihre Angaben, und häufig fiel das Wort Gesundheit: Annies Augen<br />

entging nicht die kleinste Fehlbelastung, und sie achtete<br />

darauf, dass sich niemand Schaden zufügte.<br />

Hannah Gentle schaffte, wovon andere weiterhin nur träumen:<br />

Jugendliche <strong>für</strong> Folklore zu begeistern. Mit Teenagern legte<br />

sie eine Tarantella hin, die beachtlich war. Typisch im Stil, abwechslungsreich<br />

im Raum, altersgerecht im Niveau – und allen<br />

schien es auch noch Spaß zu machen! Um die rhythmische Präzision<br />

schon bei den Jüngeren zu erreichen, baute sie in ihren<br />

Unterricht immer wieder Phasen ein, in denen alle vorm Klavier<br />

saßen und sich mit dem Pianisten »unterhielten»: Phrasen von<br />

acht Zeiten mussten durch Klatschen nachgeahmt, aber durchaus<br />

auch selbst erfunden werden, damit andere sie wiederholen<br />

konnten. Solche Übungen schulten enorm das Ohr und die<br />

Wahrnehmung <strong>für</strong> Metrum, Rhythmus und Phrasierung – und war<br />

doch ein Spiel <strong>für</strong> die Kinder.<br />

Begrüßung, Besäufnis, Streit, Schlägerei – die Rede ist nicht<br />

vom Fehlverhalten einiger Teilnehmer, sondern vom Tanztheater,<br />

das Günther Rebel mit den Fortgeschrittenen einstudierte. Eine<br />

von Breakdance durchzogene Partyszenerie zu Musik von Rossini<br />

stellte er auf die Beine, und das Ergebnis war ebenso verblüffend<br />

wie unterhaltsam. Dass der ehemalige Tänzer zunächst und<br />

unbeirrt an der Qualität einer Bewegung arbeitet, dann erst deren<br />

Dauer und Platzierung im Raum festlegt, machte sich auch<br />

schon bei den Jüngeren bezahlt, die sich allesamt in schleichende<br />

Panther verwandelten: geschmeidiges Schreiten, Fauchen,<br />

Kratzen und plötzliches Hochschnellen, und sogar der<br />

Stolz trotz Gefangenschaft ist erkennbar – es handelte sich nämlich<br />

um eine Raubkatze hinter Gittern.<br />

»Warum soll eigentlich ich immer die Lehrerin sein? Wer ist<br />

jetzt mal Lehrerin?« Da sich drei Kinder meldeten, teilte Ulla<br />

Wenzel die große in drei Klein-Gruppen ein, so kam jedes mutige<br />

Kind zu seinem Recht. Die Pädagogin ist inzwischen eine<br />

Instanz in Deutschland, wenn es um Methodik und Didaktik im<br />

Kindertanz geht, bekannt und beliebt <strong>für</strong> ihre unkonventionelle,<br />

aber immer warmherzige Art. Dass es ihr ausschließlich um die<br />

Kinder geht, um deren persönliche Erfolgserlebnisse, dass sie<br />

die individuelle Entwicklung fördert und kein Kind an einem übergeordneten<br />

Ziel wie »Das solltest du in deinem Alter aber können«<br />

misst, macht Ulla Wenzels Unterricht in Freiem Tanz aus.<br />

Ob bei den Jüngsten ab acht Jahren oder vor pubertierenden<br />

Teenagern, sie findet die passende, liebevoller Anrede, die trotzdem<br />

klar erkennen lässt, dass sie ihre Schüler ernst und durchaus<br />

in die Pflicht nimmt.<br />

Bei einer Aufführung am vierten und letzten der Tanztage<br />

zeigten alle Gruppen ihre Ergebnisse, vor kritischem und dennoch<br />

wohlwollendem Publikum.<br />

Nun ist der Norden nicht mehr verwaist, denn im kommenden<br />

Jahr wird es die Zweiten Norddeutschen Tanztage in Worpswede<br />

geben, so viel ist sicher. ■<br />

Hannah.Gentle.(o .li .).unterrichtet.Folkloretanz;.Günther.Rebel.(o .re .).vermittelt.Tanztheater,.Chesse.Rijst.(u<br />

.li .).erarbeitet.ein.Stück.aus.dem.Musical.<br />

„West.Side.Story“,.und.Ulla.Wenzel.(u .Mi .,.re .).arbeitet.im.Freien.Tanz.mit.<br />

Kindern.jeglichen.Alters,.in.Worpswede.mussten.sie.mindesten.acht.Jahre.<br />

alt.sein .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (Fotos:.Lea.Fischer)<br />

Ballett Intern 4/2006 19


»Carmina Burana«<br />

in Berlin<br />

Viertes Tanzprojekt mit Royston Maldoom<br />

und den Berliner Philharmonikern<br />

Von Brigitte Macher<br />

Im Gegensatz zu den bisherigen Tanzprojekten mit den Berliner<br />

Philharmonikern (Strawinskys »Frühlingsopfer« 2003, Ravels<br />

»Daphnis und Chloe« 2004, Strawinskys »Feuervogel« 2005)<br />

erzählt »Carmina Burana« keine Geschichte, sondern schildert<br />

das Leben mit seinen Freuden und Leiden, die zufällige Bestimmtheit<br />

des Menschen durch das Schicksal. Glücksgöttin Fortuna<br />

dreht gleichgültig das Schicksalsrad. Weh dem, den das Glück<br />

verlässt, wie den armen König auf einem mittelalterlichen Fresko<br />

einer westfälischen Dorfkirche. Die Krone ist ihm vom Haupt gefallen.<br />

Ihm gegenüber der glückliche König auf der Höhe seiner<br />

Macht. Ein Knabe klammert sich an das Rad, Fortuna anstarrend<br />

und alles von ihr erwartend. Der Tor! Er sollte sich lieber der<br />

Fürsprache der Heiligen anvertrauen, als der gnadenlosen Fortuna<br />

– so die christliche Mahnung.<br />

Das Bild könnte auch jene mittelalterliche Handschrift aus<br />

dem Kloster Benediktbeuren illustrieren, die Carl Orff zu seinem<br />

bekanntesten und berühmtesten Werk inspirierte, und die zu<br />

den populärsten klassischen Musikstücken zählt. Seit seiner Uraufführung<br />

1937 in Frankfurt wurde es sowohl in Deutschland<br />

(Mary Wigman 1943) wie in Europa, speziell aber auch in<br />

den USA von namhaften Choreographen als Ballett gestaltet. Sir<br />

Simon Rattle, Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, hatte<br />

Orffs Werk <strong>für</strong> das diesjährige Education Project ausgewählt.<br />

Die Choreographie <strong>für</strong> die Aufführungen am 13. und 14. Mai<br />

2006 stammte wiederum von dem bekannten britischen Choreographen<br />

und Tanzpädagogen Royston Maldoom, der seit 30<br />

Jahren weltweit mit Jugendlichen, häufig in sozialen Brennpunkten,<br />

arbeitet. Maldoom griff dabei auf seine früheren Choreographien<br />

der »Carmina Burana« zurück. Er selbst leitete Proben<br />

und Aufführung, unterstützt von den deutschen Tanzpädagogen<br />

Volker Eisenach und Anja Müller. Die Berliner Philharmoniker<br />

spielten unter Sir Simon Rattle, 200 Berliner Schülerinnen und<br />

Schüler tanzten, 170 Schulkinder sangen, unterstützt vom Berliner<br />

Rundfunkchor (Leitung Simon Halsey). An zwei Abenden<br />

! !<br />

W I C H T I G – T E R M I N Ä N D E R U N G<br />

<strong>Deutscher</strong> Tanzpreis 2007<br />

<strong>Deutscher</strong> Tanzpreis »Zukunft« 2007<br />

Mitgliederversammlung des DBfT<br />

Samstag, 27./28. April 2007<br />

feierten je 3000 Zuschauer die Akteure, unter ihnen eine Gruppe<br />

von Senioren und zwei semiprofessionelle Tanzcompagnien.<br />

»Bild und Wort überfielen mich», sagte Carl Orff nach der<br />

ersten Beschäftigung mit dem von Mönchen und Studenten verfassten<br />

lateinischen, altfranzösischen und mittelhochdeutschen<br />

Texten, und er traf dabei eine sorgfältige Auswahl. Klang und<br />

Text überfallen auch heute den Gleichgültigsten, der diese Musik<br />

zum ersten Mal hört und jedes Mal neu von ihr gepackt wird. Da<br />

haben es die Tänzer nicht leicht, die Dominanz der rauschhaften<br />

Klänge, der betörenden Melodien zu durchbrechen. Doch kommt<br />

dem Tanz die besondere Funktion zu, die kaum verständlichen<br />

Texte in lebendige Bilder umzusetzen, die im Gedächtnis haften:<br />

ineinander wogende Massen, die unablässig von den Seiten<br />

nachdrängen, sich Fortuna entgegen werfen, Verzweifelte, Mühselige<br />

und Beladene. Über allen kreist eine blutrote Fahne, das<br />

Rad der Fortuna als Verhängnis? Kreisend in bedrohlichen Ostinati,<br />

hämmernd im Rhythmus jagt und bedrängt die Musik die<br />

Tänzer. »Oh Fortuna! Wie der Mond so veränderlich, wächst du<br />

immer oder schwindest. Rad, du rollendes! Schlimm dein Wesen,<br />

dein Glück nichtig, immer im Zergehen«. Auch die Tänzer kreisen,<br />

formieren sich zum Rad, finden sich im Reigen. Die Mädchen<br />

kokettieren, locken die zunächst schüchternen Jungen aus<br />

der Reserve. »Sie tanzen graziös, wenn es gelungen ist, die Blockaden<br />

zu beseitigen«, sagt der Zauberer Royston Maldoom,<br />

dem dies bei der »Carmina Burana« besonders gut gelingt.<br />

Szenisch passiert viel, spontan, natürlich, unroutiniert. Das<br />

macht den Charme der jungen Tänzer aus. Die besonders intensive<br />

Wirkung der Choreographie erklärt Volker Eisenach aus der<br />

musikalischen Gliederung der Komposition in zahlreiche kleine<br />

Musikstücke. Das Werk besteht aus drei Teilen. Im ersten schildert<br />

der Text das Erwachen der Natur. Der Frühling schenkt neuen<br />

Mut und der Jugend die Verheißung der Liebe. Der zweite Teil »In<br />

Taberna« führt die groben, sinnlichen Freuden vor. Aber wie bewegt<br />

sich ein Betrunkener, wie tanzt ein Mönch? Da kann sich<br />

die Phantasie entfalten. Und der arme kleine Schwan, der von<br />

den Zechern verspeist wird, er mahnt Vergänglichkeit und Flüchtigkeit<br />

der Schönheit an, ein Vanitas-Motiv. Der dritte Teil gilt der<br />

Verherrlichung der Liebe in all ihren Facetten. Schmelzende Melodien,<br />

lyrische Passagen geben Gelegenheit, solistisch hervorragende<br />

Leistung zu zeigen, wie jene von den Mitgliedern der<br />

»Faster-Than-Light-Dance-Company«.<br />

Umrahmt werden die drei »magischen Bilder« von resignativer<br />

Anklage. »Wie den Wackeren das Schicksal hinstreckt, alle<br />

klagt mit mir», skandieren die Chöre zu Beginn und am Ende.<br />

Doch dem setzt der Choreograph Royston Maldoom sein pädagogisches<br />

Credo entgegen: »Trefft selbst die Entscheidung, ob<br />

das Schicksal euch bestimmen soll, oder ob ihr nicht lieber das<br />

Schicksal, euer ganz persönliches Schicksal, bewusst in die<br />

Hand nehmen wollt». Auch Carl Orff glaubte an das schöpferische<br />

Potenzial des Menschen und wollte ihm helfen, es musika-<br />

20 Ballett Intern 4/2006


lisch zu entfalten. Das verbindet den Komponisten mit dem Choreographen<br />

über ein halbes Jahrhundert hinweg.<br />

1996 hatte Royston Maldoom die »Carmina Burana« mit<br />

Straßenkindern in Äthiopien einstudiert. Seine Arbeit in den Problemvierteln<br />

Berlins, welche die musikalischen Education Projects<br />

der Berliner Philharmoniker ergänzt, zeigt Erfolg. Ein wachsender<br />

Prozentsatz der Teilnehmer möchte im nächsten Jahr wieder<br />

mit dabei sein. Ungefähr 50% bringen also Tanzerfahrung mit.<br />

Manche, die es ernst meinen, können in der »Faster-Than-Light-<br />

Dance-Company» 1 und der »TanzTangente» 2 regelmäßig und<br />

kostenlos weiter tanzen und auch eine Tanzkarriere vorbereiten.<br />

Was aber alle mitnehmen, ist die Erfahrung von Tanz und Musik<br />

als Bereicherung ihres ganzen Lebens. Das Glück, das daraus<br />

erwächst, kann Fortuna nicht beeinflussen. ■<br />

1 Die Faster-Than-Light-Dance-Company ist eine erfolgreiche<br />

Tanzgruppe auf dem Gebiet des Jugendtanzes. Geleitet wird<br />

sie seit 1994 von Volker Eisenach, der in seiner choreographischen<br />

Arbeit an den integrativen Ansatz seines Lehrers<br />

Royston Maldoom anknüpft. Ein Merkmal aller Projekte von FTL<br />

ist die Arbeit mit Tänzern unterschiedlicher Leistungsniveaus<br />

(Amateur- und Profitänzer, Anfänger und Fortgeschrittene). Die<br />

Company wurde 1992 gegründet und hat seitdem jährlich<br />

zwei bis vier Produktionen der Öffentlichkeit vorgestellt.<br />

Faster-Than-Light-Dance-Company<br />

Volker Eisenach, Senftenberger Ring 78, 13435 Berlin<br />

Telefon: +49(0)30 4022172, Fax: +49(0)30 4569157<br />

info@ftl-online.com. www.ftl-online.com<br />

2 tanztangente ist eine Schule <strong>für</strong> Erwachsene und Kinder<br />

sowie ein Fortbildungszentrum <strong>für</strong> Lehrer und eine Studiobühne<br />

<strong>für</strong> Choreographen des Zeitgenössischen Tanzes. Sie ist<br />

seit 25 Jahren in Berlin ansässig,<br />

Tanz Tangente – Studio <strong>für</strong> modernen Tanz GmbH<br />

Kuhligkshofstraße 4 (im Steglitzer Kreisel), 12165 Berlin<br />

Telefon +49(0)30 7929124, Fax +49(0)30 7923633<br />

info@tanztangente.de, www.tanztangente.de<br />

Prof ..Vladimir.Klos.(rechts).–.das.<br />

Bild.zeigt.ihn.mit.Prof ..Dr ..Lothar.<br />

Späth. und. Prof .. Birgit. Keil. (Foto:.<br />

Archiv.Tanzstiftung.Birgit.Keil)<br />

Perfekt beim Partnern<br />

Vladimir Klos zum Sechzigsten<br />

Von Angela Reinhardt<br />

Wenn man von jemand das perfekte Partnern lernen kann, dann<br />

von ihm: Vladimir Klos ließ seine Ballerinen schweben und wie<br />

auf Wolken wieder landen, sicherer als bei ihm konnte sich eine<br />

Tänzerin nicht fühlen. Fast dreißig Jahre lang war der große, gut<br />

aussehende Tscheche der ständige Tanzpartner von Birgit Keil in<br />

Stuttgart und auf zahlreichen Gastspielreisen, heute steht er ihr<br />

als Professor in Mannheim und als künstlerischer Berater der Ballettdirektion<br />

in Karlsruhe zur Seite.<br />

Ausgebildet wurde er am Konservatorium und am Nationaltheater<br />

seiner Heimatstadt Prag, wo er dann kurz Mitglied des<br />

Prager Studio-Balletts war, bevor er 1968 mit 22 Jahren nach<br />

Stuttgart kam. 1973 wurde er zum Solisten ernannt. Von Anfang<br />

an tanzte Klos in Stuttgart mit Birgit Keil, in allen Handlungsballetten<br />

waren sie ein festes Paar, und auch ihre Karrieren beendeten<br />

sie Mitte der neunziger Jahre im Grunde gemeinsam. Klos<br />

tanzte die klassischen Prinzenrollen und war bei seinen Porträts<br />

der Cranko-Helden Romeo, Petrucchio und Onegin immer darauf<br />

bedacht, die Charaktere menschlich erscheinen zu lassen,<br />

ihr Handeln bis ins Letzte begreiflich zu machen. Er kreierte zahlreiche<br />

Rollen in Stuttgart, so in Jiri Kyliáns »Rückkehr ins fremde<br />

Land« oder in Glen Tetleys »Voluntaries». John Neumeier schuf<br />

zwei besonders schöne Parts <strong>für</strong> ihn, die bis heute von seiner<br />

Charakterisierung geprägt sind: den sorglosen Gaston in<br />

»Die Kameliendame« und den unbeholfenen, fast groben und<br />

doch so verletzlichen Mitch in »Endstation Sehnsucht». Sein Können<br />

als Schauspieler und eine wunderbare Selbstironie bewies<br />

Vladimir Klos auch als eitler russischer Ballerino in der Musicalproduktion<br />

»On Your Toes« sowie in Hans van Manens »Sonntag«<br />

mit Marcia Haydée.<br />

Nachdem er schon in seiner Zeit als Tänzer immer wieder<br />

pädagogisch tätig war, wurde Klos 1997 als Dozent und 2000<br />

als Professor an die Akademie des Tanzes in Mannheim berufen,<br />

wo er natürlich auch Pas de deux unterrichtet. Und selbstverständlich<br />

steht er Birgit Keil in Karlsruhe zur Seite, als künstlerischer<br />

Berater der Ballettcompagnie und neuerdings auch als<br />

Kostüm- und Bühnenbildner – <strong>für</strong> ein Spektrum von Klassik bis<br />

Moderne, wie früher als Tänzer. Am 1. Juli 2006 feierte Vladimir<br />

Klos, der noch immer in Stuttgart wohnt, seinen sechzigsten Geburtstag.<br />

■<br />

Ballett Intern 4/2006 21


Entfesselter Maskensturm<br />

Ausstellung »Entfesselt« und Aufführung<br />

»Maskensturm« spielen sich zu<br />

Von Dagmar Fischer<br />

Sie heißen »Toboggan«, »Springvieh« und »Bibo«, und sie waren<br />

die Stars der Ausstellung »Entfesselt – Expressionismus in<br />

Hamburg um 1920«. Von Februar bis Juni 2006 war die sensationelle<br />

Schau im Hamburger Museum <strong>für</strong> Kunst und Gewerbe<br />

zu bewundern. Bibo und seine Freunde sind mit Namen versehene<br />

Ganzkörpermasken, Jahrzehnte lang hatten sie in Kisten<br />

auf einem der zahlreichen Dachböden des Museums unbeachtet<br />

geschlummert, um erst 1988 per Zufall wiederentdeckt zu<br />

werden. Eine kleine Präsentation erfolgte gleich 1989, eine<br />

weitere 1996. Doch erst jetzt, im Jahr 2006, wurden alle damals<br />

gefertigten Figuren des Künstlerpaares Lavinia Schulz und<br />

Walter Holdt in restauriertem Zustand präsentiert. Und in nachgebauten<br />

Zweitkostümen wurde sogar versucht, die Tänze von<br />

damals zu rekonstruieren – aber das ist ja bekanntlich ein Kapitel<br />

<strong>für</strong> sich.<br />

Welche materiellen Möglichkeiten hat wohl ein Künstlerpaar,<br />

das kaum genug zu essen hat, aber unbedingt aufwendige Masken<br />

herstellen will, die den gesamten menschlichen Körper verkleiden?<br />

»Bibo« beispielsweise besteht aus Sackleinen, Paketband,<br />

Draht, Wolle, Wachs, Holz und Schnallen. Das sagt<br />

jedoch im Grunde wenig: »Bibo« ist ein liebenswerter Kerl mit<br />

knallroter, spitzer Nase, abstehenden Haaren, einem groben<br />

Körper und riesigen Füßen.<br />

Bis zu seinem gewaltsamen Tod 1924 stellte das Ehepaar<br />

unter schwierigsten Bedingungen insgesamt 16 solcher Vollmasken<br />

her, mit ihnen traten sie zu den legendären Hamburger<br />

Künstlerfesten auf – sie lehnten es jedoch ab, Geld <strong>für</strong> ihre Kunst<br />

zu verlangen.<br />

Lavinia Schulz und der wenige Jahre jüngere Walter Holdt<br />

hatten sich nicht gesucht, aber in Lothar Schreyers Theatergruppe<br />

gefunden. Schreyer leitete ab 1918 in Hamburg die »Sturmbühne«,<br />

schon von ihm stammte die Einstellung: »Jedes Schaffen<br />

von Kunstwerken ist unvereinbar mit einer Arbeit um des Geschäftes<br />

willen.« In Aufzeichnungen von Lavinia Schulz ist nachzulesen,<br />

wie sie ihre Aufgabe verstand: »Kunst ist schwer und<br />

soll anstrengen, sonst taugt sie nichts.« Und: »Ich will die Sorge!«<br />

Die bekam sie. Nicht nur in Form des unermüdlichen, aber<br />

vergeblich um Anerkennung ringenden Kunstschaffens, das<br />

nichts zum Lebensunterhalt beitrug. Auch eine unkünstlerische Arbeit<br />

– Walter Holdt stammte aus eine Kaufmannsfamilie – war<br />

ihrer Lebensauffassung nach inakzeptabel. Und vom sporadischen<br />

Lob der Presse ist noch niemand satt geworden. Als<br />

1923 der gemeinsame Sohn Hans Heinz geboren wurde, änderte<br />

sich das Leben radikal: Weniger Zeit <strong>für</strong> die Kunst, da<strong>für</strong><br />

mehr Existenznöte, eine unzufriedene Künstlerin als Mutter, die<br />

den Mann aus dem Haus grault, so dass noch weniger Zeit <strong>für</strong><br />

die gemeinsame künstlerische Arbeit bleibt. Auch Eifersucht soll<br />

eine Rolle gespielt haben, als Lavinia Schulz ihren vermutlich<br />

schlafenden Mann Walter Holdt im Juni 1924 erschießt und<br />

danach die Waffe gegen sich selbst richtet. Der knapp einjährige<br />

Sohn überlebt.<br />

In der damaligen Künstlerszene war das Paar Schulz/Holdt<br />

eine durchaus geachtete Größe, er war wahrscheinlich der bessere<br />

Tänzer, sie die begnadete Schneiderin. Das Herzstück der<br />

Ausstellung sind die Masken und Skizzen des Künstlerpaares,<br />

doch eingebunden sind sie in die expressionistische Strömung,<br />

die damals in Hamburg wie überall jede Kunstrichtung erfasste:<br />

Theater, Malerei, Literatur und Bildhauerei, ja sogar ein Raum mit<br />

typischen Möbeln und Stoffmustern konnte eingerichtet werden.<br />

Zeitlich schlug die Ausstellung den Bogen vom verheerenden<br />

Erlebnis des Ersten Weltkriegs bis zum Beginn der Nazizeit. Neben<br />

den zahlreichen Exponaten dokumentierten Filme die komplexe<br />

Entwicklung, sie halfen sehr, die politischen und gesellschaftlichen<br />

Veränderungen mit den Ereignissen in der Hamburger<br />

Kunstszene in Zusammenhang zu bringen.<br />

Natürlich dominierte auch in der Hansestadt zu jener Zeit die<br />

neue Generation der Ausdruckstänzer, der sich zum Beispiel die<br />

überregional bekannten Geschwister Gertrud und Ursula Falke<br />

früh anschlossen, auch Rudolf von Laban gründete seine Schule<br />

hier schon 1922. Insofern hatten es jene außerhalb dieses<br />

22 Ballett Intern 4/2006


Impressionen.von.der.Ausstellung.»Entfesselt«:.Von.links.nach.rechts.tanzen.<br />

hier.„Bibo“,.„Zwei.Insektentänzer“,.die.gespenstergleiche.„Sie“,.„Toboggan.Frau“.und.„Toboggan.Mann“.sowie.die.„Kleine.Technik“,.die.durch.<br />

Alltagsfundstücke.wie.Garnröllchen.behängt.ist.und.einen.Kerzenständer.<br />

als.Auge.hat .. (Fotos:.Lea.Fischer)<br />

Mainstreams schwieriger, Oskar Schlemmer, der »Das Triadische<br />

Ballett« 1922 schuf, verteidigte diese andere Kunstauffassung,<br />

der auch Schulz und Holdt zugerechnet werden können:<br />

»Warum Ballett? das doch, wie man sagt, tot ist oder<br />

stirbt? Weil die Hochblüte der Ballettkunst allerdings längst vorüber,<br />

das alte höfische Ballett allerdings tot ist, aber die völlig<br />

veränderten Voraussetzungen, die in unserer Zeit beschlossen<br />

liegen, sehr wohl an eine Erneuerung dieser besonderen Kunstform<br />

Ballett glauben lassen können: Weil in heutiger Zeit der<br />

rhythmischen Gymnastik, der daraus entwickelten Bewegungschöre<br />

und der vielbegangenen Wege zu Kraft und Schönheit<br />

wohl erlaubt ist, an die andere Seite, den Gegenpol zu<br />

erinnern: an den einmal sehr volkstümlich gewesenen bunten<br />

Mummenschanz, an den theatralischen Kostümtanz und demgemäß<br />

an ein in neuem Sinn zum Leben zu erweckendes Ballett.<br />

Weil die Lust am bunten Spiel, an der Verkleidung, Vermummung,<br />

Verstellung, Künstlichkeit zu den unausrottbaren menschlichen<br />

Eigentümlichkeiten gehört, ebenso wie der Sinn <strong>für</strong> das<br />

Festliche, <strong>für</strong> den Augenschmaus und den farbigen Abglanz<br />

dieses Lebens.« (Zitat aus: Oskar Schlemmer, Briefe und Tagebücher<br />

– Eintrag vom 5. Juli 1926, herausgegeben von Tut Schlemmer,<br />

Stuttgart 1977. Oskar Schlemmer arbeitete bis 1933 am<br />

Bauhaus, auch Lothar Schreyer, Lehrer von Lavinia Schulz, wurde<br />

an die berühmte Kunstschule berufen.)<br />

Der »Maskensturm« fegte an drei Abenden über die Bühne<br />

der Hochschule <strong>für</strong> Theater und Musik Hamburg. Studenten hatten<br />

sich an das Projekt der Rekonstruktion gemacht. Nur zu wenigen<br />

der in den zwanziger Jahren aufgeführten Tänzen war die<br />

Musikbegleitung bekannt, noch dünner war die Quellenlage in<br />

Bezug auf das Bewegungsmaterial. Erschwerend hinzu kam,<br />

dass Kostüme auch unter verschiedenen Namen auf unterschiedlichen<br />

Festen aufgetaucht sind. Zwar geben Name (»Springvieh«)<br />

und Beschaffenheit (in den schweren, blauen Ritter »Skir-<br />

nir« konnte man nur im Liegen schlüpfen) auch Hinweise auf<br />

Bewegungen bzw. schließen andere aus. Doch zeigte der<br />

»Maskensturm« nicht nur, wie ein Tanz des »Toboggan« vielleicht<br />

hätte aussehen können, er gestaltete auch sehenden Auges neu<br />

und ergänzte die darstellerische Präsentation um projizierte Texte<br />

von Lavinia Schulz, die manchmal mehr Einblick in die Arbeit<br />

gaben als die bewegten Kostüme, in denen heutige Studenten<br />

steckten. Das Masken-Paar »Mann und tote Frau« ist vielleicht<br />

sogar wirkungsvoller als ruhendes Kunstwerk im Museum als in<br />

Aktion, denn vor Publikum soll es ausschließlich ein unentwegtes<br />

Fallen und Wiederaufstehen der Frau vor dem unbeweglichen<br />

da stehenden Mann gewesen sein. Die beiden Kostüme sind,<br />

wie die meisten anderen auch, auf die Körpergrößen von Schulz<br />

und Holdt zugeschnitten – das tragische Ende der Beziehung<br />

kennend, bekommt die verzweifelt sich abmühende Frau eine<br />

zusätzliche Dimension.<br />

»Entfesselt« war nicht nur die Phantasie der Künstler des Expressionismus,<br />

sondern noch andere Kräfte in Deutschland. Die<br />

Ausstellung und die begleitenden Rekonstruktions-Abende »Maskensturm«<br />

sowie Vorträge eröffneten ein tieferes Verständnis <strong>für</strong><br />

diesen wild bewegten Zeitabschnitt.<br />

Literatur<br />

Entfesselt, Expressionismus in Hamburg um 1920, herausgegeben<br />

vom Museum <strong>für</strong> Kunst und Gewerbe Hamburg, 2006, anlässlich<br />

der gleichnamigen Ausstellung<br />

Deutsches Tanzarchiv Köln, Athina Chadzis, Die expressionistischen<br />

Maskentänzer Lavinia Schulz und Walter Holdt, Frankfurt/Main<br />

1998<br />

! !<br />

W I C H T I G – T E R M I N Ä N D E R U N G<br />

<strong>Deutscher</strong> Tanzpreis 2007<br />

<strong>Deutscher</strong> Tanzpreis »Zukunft« 2007<br />

Mitgliederversammlung des DBfT<br />

Samstag, 27./28. April 2007<br />

Ballett Intern 4/2006 23


Ta Med<br />

Hilfe <strong>für</strong> eine sich selbst<br />

bedrohende Gattung<br />

Die Tagung der TaMeD,<br />

Tanz Medizin Deutschland, in Stuttgart<br />

Von Richard Merz<br />

Wiederum kamen viele Tanzinteressierte zum Symposium von<br />

TaMeD, diesmal nach Stuttgart. Einerseits ist es hocherfreulich,<br />

dass die Sorge um die Gesundheit der Tanzenden<br />

so weit verbreitet ist, andererseits ist es betrüblich,<br />

dass angesichts der im Grunde unverantwortbaren<br />

Häufigkeit von berufsbedingten Unfällen in der<br />

Tanzszene die Tanzmedizin zu einer so unabdingbaren<br />

Notwendigkeit in diesem Kunstbereich geworden<br />

ist.<br />

Medizin ist <strong>für</strong> TaMeD ein sehr weit gefasster<br />

Begriff. Nicht nur die Schulmedizin wird dazu gerechnet.<br />

Auch viele bewegungstherapeutische Verfahren<br />

werden einbezogen, ebenso wie anatomiegerechte<br />

und damit die Gesundheit schonende<br />

praktische Tanzausübung. Und auch Themen und<br />

Methoden aus psychisch-geistigen Bereichen kommen<br />

zur Sprache, so dass bei TaMeD praktisch<br />

sichtbar der Versuch zu einer umfassend ganzheitlichen<br />

Medizin gewagt wird.<br />

Entsprechend vielfältig war das von Elisabeth<br />

Exner-Grave, Richard Gilmore und Liane Simmel<br />

zusammengestellte Programm der diesjährigen Veranstaltung,<br />

die unter dem Titel »Rückgrat zeigen.<br />

Die Wirbelsäule aus tanzmedizinischer Sicht« vom<br />

26. bis 28. Mai in verschiedenen Räumen des<br />

Württembergischen Staatstheaters stattfand.<br />

Einundzwanzig Vorträge, fünfundzwanzig Workshops<br />

und drei Arbeitskreise wurden angeboten,<br />

von zweiundvierzig Fachleuten aus Tanzmedizin und Sportmedizin,<br />

Orthopädie und Rheumatologie, Akupunktur und Homöopathie,<br />

Psychologie und Physiotherapie, Tanzwissenschaft und<br />

<strong>Tanzpädagogik</strong>, Bewegungstherapien verschiedener Provenienz<br />

wie Feldenkrais, Pilates, Alexander, Spiraldynamik.<br />

Von Vortragenden und Zuhörenden erforderte das Symposium<br />

konzentrierte Aufmerksamkeit. Die Redezeit <strong>für</strong> einen Vortrag betrug<br />

zwanzig Minuten. Und aus der Mitte der ersten Zuhörerreihe<br />

wurde freundlich unerbittlich darüber gewacht, dass die Redezeit<br />

streng eingehalten wurde. Das garantierte fast<br />

ausnahmslos eine große, manchmal fast zu gedrängte Informationsdichte<br />

und ließ in der pausenlosen Folge von Vorträgen innerhalb<br />

eines Blockes fast keine Diskussion zu.<br />

Doch waren es in sehr vielen Fällen die Vortragenden, die<br />

auch einen Workshop oder eine Arbeitsgruppe leiteten. Und<br />

hier, bei meist beschränkter Zahl der Teilnehmenden und einer<br />

Dauer von fünfundsiebzig oder gar neunzig Minuten, ergab sich<br />

in den meisten Fällen Zeit und Gelegenheit <strong>für</strong> Fragen und Vertiefung.<br />

In diesen Workshops wurden Erkenntnisse erarbeitet, aber<br />

auch praktische, oft sehr intensive und anregend schweißtreibende<br />

Bewegungsarbeit geleistet.<br />

Dem Thema des Symposiums entsprechend wurden vor allem<br />

– aber nicht ausschließlich – verschiedenste Aspekte aus dem<br />

Bereich der Wirbelsäule dargestellt, von ihrer allgemeinen Entwicklung<br />

im Kindesalter bis zu tanzspezifischen Belastungen und<br />

Problemen sowie verschiedensten Ansätzen zu deren Lösung<br />

oder mindestens Entlastung. Die Materie wurde als belegt gesicherte<br />

Erkenntnis präsentiert, wie etwa »Der Quadratus lumborum<br />

Muskel – versteckter Stärker des Rückgrats», immer wieder<br />

aber auch als offene Frage, wie etwa »Der gerade Rücken –<br />

eine intelligente Entwicklung im Tanz?« oder »Tanzen mit Skoliose:<br />

Rückgrat stärkend oder Rückgrat schädigend?».<br />

Rund hundertunddreißig Menschen hatten sich in Stuttgart zusammengefunden,<br />

um am Symposium teilzunehmen, die Mehrzahl<br />

aus dem Bereich des praktischen Tanzens in Performance<br />

und Unterricht, aber auch viele aus dem im Sinne von TaMeD<br />

weit gefassten Bereich der Medizin. Voraussetzung<br />

und Garant <strong>für</strong> ein so durchgehendes Gelingen war<br />

wiederum eine bis in alle Einzelheiten vorbildlich<br />

durchdachte und durchgeführte Organisation, die<br />

nach der einjährigen Vorbereitungszeit von den Verantwortlichen<br />

drei Tage pausenloser Präsenz und<br />

Hilfs- und Auskunftsbereitschaft erforderte, die auch<br />

bis zuletzt immer heiter und freundlich entgegenkommend<br />

gewährleistet war. Und neben der Fülle der<br />

geistigen Nahrung war auch <strong>für</strong> eine in Preis und<br />

Qualität angemessene Verpflegung gesorgt. Und<br />

auch <strong>für</strong> ein Abendprogramm, in dem »Der Sandmann«<br />

des Stuttgarter Balletts und eine »Get Together<br />

Party« <strong>für</strong> »alle Teilnehmer des Symposiums<br />

im größten Ballettsaal des Stuttgarter Ballettes« angeboten<br />

wurde.<br />

Seit der Gründung vor bald zehn Jahren ist<br />

TaMeD zu einer wesentlichen Institution im und <strong>für</strong><br />

den Tanz geworden. Sie wird auch von den politisch<br />

und kulturell »Mächtigen« nicht nur wahr, sondern<br />

auch ernst genommen. Das zeigt sich sowohl<br />

in geistiger wie auch in praktischer Unterstützung<br />

von dieser Seite her. So fehlte im Programmheft nicht<br />

eine Grußadresse von Dr. Monika Stoll MdL, Ministerin<br />

<strong>für</strong> Arbeit und Soziales in Baden-Württemberg,<br />

und von Reid Anderson, dem Intendanten des Stuttgarter<br />

Balletts, sowie von Hans Tränkle, dem Geschäftsführenden<br />

Intendanten der Staatstheater Stuttgart, welche die notwendige<br />

große Zahl von Räumen <strong>für</strong> die Durchführung des<br />

Symposiums zur Verfügung stellten.<br />

Schon bevor die Stuttgarter Tage begonnen hatten, waren<br />

bereits die Vorarbeiten <strong>für</strong> das nächste Symposium geleistet worden,<br />

denn Titel und Ort der Veranstaltung konnten dort bekannt<br />

gegeben werden. Das IX. Symposium findet vom 18. bis zum<br />

20. Mai im nahe gelegenen Ausland statt, in Basel nämlich, und<br />

soll sich mit dem Thema »Nervensache Tanz« befassen. Der Titel<br />

erscheint auch auf französisch: »La danse: une affaire de nerfs»,<br />

denn, um der Sprachensituation in der Schweiz Rechnung zu<br />

tragen, soll die ganze Veranstaltung zweisprachig durchgeführt<br />

werden. Alle Achtung!<br />

TaMeD möchte auch in Basel ein reichhaltiges Programm präsentieren,<br />

mit »medizinischen, wissenschaftlichen und pädagogischen<br />

Arbeiten, deren Ziel es ist, Prävention, Therapie und<br />

Training der Tänzer zu verbessern». Wer immer interessiert und<br />

qualifiziert ist, einen solchen Beitrag zu leisten, kann Vorschläge<br />

<strong>für</strong> Posterpräsentationen, Vorträge, Workshops und Arbeitskreise<br />

bis zum 1. August 2006 bei TaMeD einreichen. Detaillierte Angaben<br />

finden sich unter www.tamed.de. ■<br />

24 Ballett Intern 4/2006


Bei der jährlichen Kritikerumfrage<br />

der Zeitschrift »theater pur« ist in<br />

diesem Jahr Pina Bauschs Tanztheater<br />

Wuppertal zur besten Tanzcompagnie<br />

gewählt worden. Zu den<br />

weiteren Nominierungen der fünf<br />

Tanzkritiker zählten u.a. Azusa<br />

Seyama (Beste Tänzerin), Rainer<br />

Behr und Dominique Mercy (Bester<br />

Tänzer), »Vollmond« (Bestes Stück<br />

und beste Choreographie). »Voll-<br />

»Rough. Cut«. –. Ein. Stück. von. mond», die diesjährige Urauffüh-<br />

Pina. Bausch. mit. der. Tänzerin:. rung, wird in Wuppertal wieder<br />

Regina.Advento.<br />

vom 28. September bis 1. Oktober<br />

(Foto:.Ursula.Kaufmann) 2006 zu sehen sein.<br />

Fünf Jahre lang hat die Hamburger Filmemacherin Katharina Otto-<br />

Bernstein den Bühnenregisseur Robert Wilson – der im Oktober<br />

2006 seinen 65. Geburtstag feiert – <strong>für</strong> ihren Film mit der Kamera<br />

begleitet. Entstanden ist das Portrait eines Künstlers, der als<br />

schüchterner Außenseiter in Texas aufwuchs und später mit seinen<br />

bahnbrechenden Inszenierungen die Theaterwelt veränderte. Neben<br />

Wilson selbst kommen Zeitzeugen, Kollegen und Weggefährten<br />

im Film »Absolute Wilson« zu Wort, so z. B. der Musiker<br />

David Byrne, die Publizistin Susan Sontag, der Komponist Philip<br />

Glass, die Opernsängerin Jessye Norman und der ehemalige Intendant<br />

der Pariser Oper, Charles Fabius. Mit Werken wie »Einstein<br />

on the Beach« oder dem sehr tänzerischen »Black Rider«<br />

schrieb Wilson Theatergeschichte, durch seine Arbeit mit Lernbehinderten<br />

machte er, der selbst unter einer Sprachbehinderung litt,<br />

sich international einen Namen. Kinostart ist der 12.10.06,<br />

Moira Shearer starb am 31. Januar 2006 in Oxford, kurz nach<br />

ihrem 80. Geburtstag. Die gebürtige Schottin wurde durch den<br />

Film »Die roten Schule« 1948 weltbekannt, zur Rolle der Victoria<br />

Page hatte man die Tänzerin allerdings erst überreden müssen.<br />

Nach ihrer Tanzausbildung wurde sie beim Sadler’s Wells Ballet<br />

engagiert, dem späteren Royal Ballet. Sie tanzte in Choreographien<br />

von Ashton, Helpmann, de Valois und Massine, drehte bis<br />

1960 nach dem enormen Kinoerfolg auch weitere Filme. Die<br />

vierfache Mutter zog sich Anfang der sechziger Jahre ins Privatleben<br />

zurück, schrieb nur noch Kolumnen <strong>für</strong> den »Daily Telegraph«<br />

und hielt Vorträge und Lesungen zum Thema Ballett.<br />

Am 19. Juni 2006 wäre Gerhard Bohner 70 Jahre alt geworden.<br />

Der klassisch ausgebildete Tänzer kam über Engagements<br />

in Mannheim und Frankfurt 1961 an die Deutsche Oper Berlin,<br />

wo er zehn Jahre vor allem im Charakterfach tanzte. 1964 begann<br />

er mit eigenen Choreographien, 1972 löste er sich bewusst<br />

aus dem Theaterbetrieb: Er ging mit einer kleinen Gruppe<br />

Gleichgesinnter nach Darmstadt um zu zeigen, dass Tänzer<br />

mehr können, als Balletteinlagen in Operninszenierungen liefern.<br />

Das Tanztheater Darmstadt leitete er bis 1975, von 1978 bis<br />

1981 übernahm er zusammen mit Reinhild Hoffmann das Bremer<br />

Ballett. Als freier Choreograph hatte er es in der Folgezeit<br />

schwer, mit »Abstrakten Tänzen« und den Rekonstruktionen der<br />

Bauhaustänze machte er die Öffentlichkeit noch einmal auf sich<br />

aufmerksam. Gerhard Bohner starb 1992.<br />

Der Film »Rhythm is it!« machte Royston Maldoom international<br />

bekannt. Doch auf das, was er damals in Berlin mit Kindern und<br />

Jugendlichen auf die Beine stellte, möchte der britische Choreograph<br />

nicht reduziert werden. »Community Dance« heißt sein<br />

Arbeitsfeld, und eine Community meint Junge und Alte, Gesunde<br />

und Kranke, vom Leben Beschenkte und auch Benachteiligte. Im<br />

jüngsten Projekt »Can Do Can Dance« wird Royston Maldoom in<br />

Hamburg mit vier erfahrenen Kollegen fünf verschiedene Gruppen<br />

unterrichten: Senioren, Grundschüler, Menschen mit Behinderung,<br />

junge Migrantinnen und männliche Jugendliche ohne<br />

Schulabschluss; die Proben beginnen am 24.8., über drei Wochen<br />

hinweg wird täglich mehrere Stunde getanzt, und am Ende<br />

des Prozesses wird Royston Maldoom alle fünf Gruppen <strong>für</strong> eine<br />

Aufführung zusammenführen, die im September im Hamburger<br />

Schauspielhaus gezeigt wird.<br />

Von Anfang bis Ende in Englisch,<br />

und doch <strong>für</strong> Danceteachers sicher<br />

hochinteressant, ist das soeben<br />

erschienene Buch »Anne<br />

Woolliams – Method of Classical<br />

Ballet«. Anne Woolliams war an<br />

John Crankos Seite, als er das<br />

Stuttgarter Ballett aufbaute, und<br />

sie wurde zur prägenden Pädagogin<br />

nicht nur in seiner Stuttgarter<br />

Schule, sondern auch in Melbourne<br />

und in Zürich. Die 300<br />

Seiten starke Veröffentlichung gibt<br />

einmalige Einblicke in das Lehrsystem<br />

von Anne Woolliams, im<br />

Grunde steckt eine ganze Tänzerausbildung darin, denn der<br />

Aufbau eines Trainingsprogramms über den Zeitraum von neun<br />

Jahren ist beschrieben. Anne Woolliams war bis zu ihrem Tod im<br />

Jahre 1999 Mitglied im Deutschen <strong>Berufsverband</strong> <strong>für</strong> <strong>Tanzpädagogik</strong>.<br />

Anne Woolliams, Method of Classical Ballet, (in engl. Sprache),<br />

ISBN 3-935456-11-5, München 2006, 48 Euro<br />

Professionelles Tanzen ist nicht gesundheitsschädigend, wenn<br />

die körperlichen Voraussetzungen beachtet werden. Das ist die<br />

grundsätzliche Aussage in der 3., vollständig überarbeiteten und<br />

erweiterten Auflage des Buches von Dr. med. Josef Huwyler,<br />

dem Züricher Facharzt <strong>für</strong> Orthopädie FMH und Ballettspezialist.<br />

Dieses grundlegende Lehrbuch der Anatomie und Sportmedizin<br />

ist aus der jahrzehntelangen Arbeit des Autors mit Tänzern hervorgegangen.<br />

Es vermittelt Tanzpädagogen, professionellen<br />

Tänzern und Tanzschülern praktisch nutzbare Kenntnisse über<br />

ihren Körper, die direkten Bezug zu ihrer Arbeit haben. Der verständliche<br />

und ausführliche Text wird durch zahlreiche Abbildungen<br />

veranschaulicht. Das Buch dient aber auch dem Arzt als<br />

Leitfaden <strong>für</strong> seine Lehrtätigkeit an Ballettschulen. Ein umfangreiches<br />

Literaturverzeichnis bietet die Möglichkeit zu weiteren<br />

Informationen.<br />

Josef Huwyler, Tanzmedizin – Anatomische Grundlagen und<br />

gesunde Bewegung, 190 S., zahlr. Abb., broschiert, Bern u.a.<br />

2004, ISBN 3-456-84134-5, 34,95 Euro<br />

Ballett Intern 4/2006 25


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