Bologna - Deutscher Berufsverband für Tanzpädagogik
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BALLETT INTERN<br />
Herausgeber: <strong>Deutscher</strong> <strong>Berufsverband</strong> <strong>für</strong> <strong>Tanzpädagogik</strong> e. V. – Heft 75/29. Jahrgang – Nr. 4/August 2006<br />
Joséphine Baker<br />
zum 100. Geburtstag
Liebe Leser,<br />
wenn Ihnen die vierte Ausgabe von BALLETT INTERN vorliegt,<br />
wissen Sie inzwischen, dass die Herbstpause nicht weit sein<br />
kann. Der Oktober gehört allein dem »tanzjournal«, wir sind im<br />
Dezember wieder dabei.<br />
In unserer August-Ausgabe bringen wir Ihnen einerseits die schillernde<br />
Josephine Baker näher, die nicht nur als Tänzerin <strong>für</strong> Schlagzeilen<br />
sorgte; andererseits wollen wir uns einer recht anspruchvollen<br />
Thematik nähern: Die Hochschul-Reform, die unter dem<br />
Begriff »Vertrag von <strong>Bologna</strong>« durch Medien und Köpfe spukt,<br />
wollen wir auf die Auswirkungen auf eine tänzerische Berufsausbildung<br />
untersuchen. Das wird mit der vorliegenden Ausgabe vermutlich<br />
nicht erschöpfend behandelt sein, aber in den Blick und<br />
möglichst auch in die Diskussion soll der Tanz um <strong>Bologna</strong> rücken.<br />
Und welchem Schüler man welche Ausbildung empfiehlt, ist ja<br />
auch <strong>für</strong> Ballettschulen mit Vorausbildung von Belang.<br />
Einen schönen Sommer ohne Hitzerekorde wünscht Ihnen<br />
Dagmar Fischer<br />
! !<br />
W I C H T I G – T E R M I N Ä N D E R U N G<br />
<strong>Deutscher</strong> Tanzpreis 2007<br />
<strong>Deutscher</strong> Tanzpreis »Zukunft« 2007<br />
Mitgliederversammlung des DBfT<br />
Samstag, 27./28. April 2007<br />
BALLETT INTERN<br />
ist die Mitgliederzeitschrift des Deutschen <strong>Berufsverband</strong>es <strong>für</strong> <strong>Tanzpädagogik</strong> e. V. (DBfT) und liegt<br />
der Zeitschrift »tanzjournal« fünf Mal als Supplement bei. Beide Zeitschriften gehen den Mitgliedern<br />
des Verbandes kostenlos zu. Nichtmitglieder können BALLETT INTERN abonnieren: Deutschland<br />
€ 7,50, europäisches Ausland € 12,00 (jeweils inkl. Porto/Versand) je Ausgabe.<br />
Redaktion dieser Ausgabe: Ulrich Roehm (verantwortl.), Dagmar Fischer (dagmar.fischer@ballettintern.de)<br />
Autoren dieser Ausgabe: Dagmar Fischer (Hamburg), Brigitte Macher (Münster), Richard Merz<br />
(Zürich), Angela Reinhardt (Stuttgart), Ulrich Roehm (Essen), Sylvia Staude (Frankfurt), Melanie Suchy<br />
(Frankfurt), Jenny J. Veldhuis (Amsterdam)<br />
Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder des<br />
Herausgebers wieder. Der Nachdruck, auch auszugsweise, ist ohne ausdrückliche Genehmigung<br />
der Redaktion nicht gestattet. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und <strong>für</strong> Terminangaben wird<br />
keine Gewähr übernommen. Die Redaktion behält sich das Recht vor, Leserbriefe zu kürzen. Manuskripte<br />
gehen in das Eigentum der Redaktion über.<br />
Titelbild: Joséphine Baker (Die Abbildung wurde freundlicherweise<br />
vom Deutschen Tanzarchiv zur Verfügung gestellt.)<br />
Herausgeber:<br />
<strong>Deutscher</strong> <strong>Berufsverband</strong> <strong>für</strong> <strong>Tanzpädagogik</strong> e. V., (DBfT)<br />
Hollestraße 1, D–45127 Essen<br />
Tel.: +49(0)201 – 22 88 83<br />
Fax: +49(0)201 – 22 64 44<br />
Internet: www.dbft.de – www.ballett-intern.de<br />
Bankverbindung:<br />
<strong>Deutscher</strong> <strong>Berufsverband</strong> <strong>für</strong> <strong>Tanzpädagogik</strong> e. V.,<br />
Nationalbank Essen, Konto-Nr. 111627, BLZ 360 200<br />
30<br />
IBAN IBAN DE 95 3602 0030 0000 1116 27<br />
BIC NBAGDE3E<br />
Druck: Ulenspiegel GmbH, Besengaßl 4, D–<br />
82346 Andechs<br />
Gestaltung: Ulrich Roehm, Frank Münschke<br />
Realisation: Klartext Medienwerkstatt GmbH<br />
45329 Essen, Heßlerstraße 37 – www.klartext-medienwerkstatt.de<br />
+49(0)201 – 86 206-60 (Frank Münschke)<br />
Anzeigen und Beilagen: Gültige Preisliste: 1/05<br />
Nächste Ausgabe:<br />
Heft 5/2006 erscheint Anfang Dezember 2006<br />
Redaktionsschluss: 10. November 2006<br />
Anzeigenschluss: 18. November 2006<br />
Annahmeschluss Beilagen: 22. November 2006<br />
BALLETT INTERN<br />
Herausgeber: <strong>Deutscher</strong> <strong>Berufsverband</strong> <strong>für</strong> <strong>Tanzpädagogik</strong> e. V. – Heft 75/29. Jahrgang – Nr. 4/August 2006<br />
Joséphine Baker<br />
zum 100. Geburtstag<br />
BALLETT INTERN<br />
Heft 4/2006<br />
Ein boxendes Känguru, ein Stück Kaugummi<br />
Joséphine Baker zum 100. Geburtstag<br />
Von Sylvia Staude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2<br />
62-95834 – Operation Joséphine<br />
Das FBI und Joséphine Baker<br />
Von Dagmar Fischer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3<br />
Mögliche Veränderungen in der professionellen<br />
Tanzausbildung nach dem »<strong>Bologna</strong>«-Abkommen<br />
Tanzausbildung als Haus<br />
Renovierung des Daches ohne Überprüfung des Fundaments<br />
Von Jenny J. Veldhuis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4<br />
»<strong>Bologna</strong>« ist bald überall<br />
Da bleibt nur, aus der Reihe zu tanzen<br />
Von Dagmar Fischer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5<br />
Schwierige Entscheidungen<br />
Ein Tag bei den Aufnahmeprüfungen der John Cranko-Schule<br />
Von Angela Reinhardt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7<br />
Anerkennung des Tanzes in der Schweiz<br />
Von Jenny J. Veldhuis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8<br />
»Wissen in Bewegung« – Tanzkongress Deutschland<br />
Von Ulrich Roehm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9<br />
Wer plant schon die eigene Beerdigung?<br />
International Organization for the Transition of Professional Dancers<br />
Von Dagmar Fischer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10<br />
Triumph der Klassik<br />
Die John Cranko-Schule lädt sich Freunde ein<br />
Von Angela Reinhardt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12<br />
ZuKT ohne Zagen<br />
»Tanzmarathon 06« der<br />
Hochschule <strong>für</strong> Musik und Darstellende Kunst Frankfurt<br />
Von Melanie Suchy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13<br />
Wasser und Zeichen<br />
Die Gegenwart der Vergangenheit<br />
beim Tanzabend der Folkwang-Hochschule<br />
Von Melanie Suchy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14<br />
Hanky Panky mit Sylphiden in Netzstrümpfen<br />
Die Mannheimer Akademie des Tanzes beherrscht alle Stile<br />
Von Angela Reinhardt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15<br />
Ein langer Weg zum Erfolg<br />
Die Tanz Akademie Zürich<br />
Jenny J. Veldhuis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16<br />
Maler, Rehe und jede Menge Tänzer<br />
1. Norddeutsche Tanztage Worpswede<br />
Von Dagmar Fischer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18<br />
»Carmina Burana« in Berlin<br />
Viertes Tanzprojekt mit Royston Maldoom<br />
und den Berliner Philharmonikern<br />
Von Brigitte Macher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20<br />
Perfekt beim Partnern<br />
Vladimir Klos zum Sechzigsten<br />
Von Angela Reinhardt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21<br />
Entfesselter Maskensturm<br />
Ausstellung »Entfesselt« und Aufführung »Maskensturm«<br />
Von Dagmar Fischer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22<br />
Hilfe <strong>für</strong> eine sich selbst bedrohende Gattung<br />
Die Tagung der TaMeD in Stuttgart<br />
Von Richard Merz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24<br />
Kurz und Bündig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25<br />
Bücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25<br />
Ballett Intern 4/2006 1
Ein boxendes Känguru,<br />
ein Stück Kaugummi<br />
Joséphine Baker zum 100. Geburtstag<br />
Von Sylvia Staude<br />
Die großen Pariser Revuen der zwanziger Jahre waren so üppig<br />
wie statisch: Reihen von Tänzerinnen schritten Showtreppen hinab,<br />
fächerten sich auf, machten eine möglichst gute Figur, wippten<br />
mit ihren Federbüschen, stiegen wieder hinauf. Kollegen<br />
schoben ihre langen Schleppen so zurecht, dass keiner drüber<br />
fiel. Die Ausstattung war gigantisch, der Tanz bescheiden.<br />
Kein Wunder, dass eine 19-jährige Amerikanerin, die sich<br />
bewegte wie Quecksilber, zur Sensation wurde: Joséphine Baker.<br />
Ein paar rare alte Filmaufnahmen zeigen, wie sie Arme und<br />
Beine schlenkert, so flink und scheinbar knochenlos wie eine<br />
Comicfigur, dazu schneidet sie die wüstesten Grimassen, rollt<br />
die Augen, blinzelt ihrem Publikum zu, lächelt ein kaum vorstellbares<br />
Lächeln. Es ist, als habe das Leben plötzlich Einzug gehalten<br />
in eine Welt der Künstlichkeit.<br />
Das Leben kam aus St. Louis, Missouri und war die uneheliche<br />
Tochter einer schwarzen Wäscherin und eines weißen Vaters.<br />
Den Joséphine Baker mal zum Spanier machte, mal zum<br />
jüdischen fahrenden Händler, mal zum Musiker (es war wohl der<br />
Schlagzeuger Eddie Carson). Mit Herkunft und Alter fangen die<br />
Probleme also schon an, denn das Jahr 1906, inzwischen als<br />
Geburtsjahr der Baker akzeptiert, so dass man sie in diesem<br />
Jahr, am 3. Juni, zu ihrem 100. würdigt, ist nicht zweifelsfrei<br />
verbürgt. Die Urkunde ihrer Heirat mit William Baker im Jahr<br />
1921 gibt Joséphines Alter mit 19 an – entweder war sie tatsächlich<br />
so alt oder machte sich älter. Sie war nie eine besonders<br />
zuverlässige Berichterstatterin ihres Lebens.<br />
Das Tanzen scheint sie gelernt zu haben, als sie in einem<br />
Jazzclub kellnerte. Ihre Begabung, Bewegungen aufzunehmen<br />
und in einen sehr persönlichen Stil zu überführen, muss immens<br />
gewesen sein, denn von einer professionellen Ausbildung ist<br />
nichts überliefert. Bald reicht ihr Können, um sich als Chorus Girl<br />
durchzuschlagen in diversen Clubs und Theatern, auch am<br />
Broadway.<br />
Für den großen Erfolg aber musste Joséphine Baker die USA<br />
verlassen, wo ihre Hautfarbe ein Handicap war, und nach Paris<br />
kommen, in die Stadt, in der sich in den zwanziger Jahren tout<br />
le monde traf und niemand einen neuen Trend verpassen wollte,<br />
schon gar keine Revue Nègre im Théâtre des Champs-Elysées.<br />
Alle Kritiker waren da bei der Premiere am 2. Oktober 1925,<br />
nicht alle mochten, was sie sahen, aber die meisten spürten,<br />
dass etwas Außergewöhnliches passiert war. Einer beschrieb<br />
die Tänzerin wenig charmant, aber durchaus treffend als »Kreuzung<br />
zwischen einem boxenden Känguru, einem Stück Kaugummi<br />
und einem Radrennfahrer». Auch heute noch modern wirken<br />
die Schnelligkeit ihres Tanzes und der Stilmix, der aus überschießender<br />
Energie zu entstehen scheint. Joséphine Baker beginnt<br />
etwa mit Charleston-Bewegungen, stakst giraffenhaft, schüttelt<br />
den Po wie eine Rassel, lässt sich auf selbigen fallen, hoppelt auf<br />
ihm über die Bühne … mindestens genauso viel bildet sich indessen<br />
auf ihrem beweglichen Gesicht ab. Und: Sie lässt ihr Publikum<br />
nicht aus den Augen. Nie.<br />
Natürlich muss hier das so herrlich wippende Bananenröckchen<br />
erwähnt werden, an das sie später gar nicht mehr gern erinnert<br />
wurde, wie überhaupt an ihre weitgehend textilfreien Auftritte<br />
als »schwarze Venus». Aber Joséphine Baker wäre trotz all<br />
ihres Könnens nicht so berühmt geworden, hätte sie nicht auch<br />
die sexuellen Sehnsüchte einer Zeit bedient, die in den Kolonien<br />
eben auch das exotische (Liebes-)Abenteuer suchte. Sie war auf<br />
eine selbstverständliche Weise sexy, die an die andere große<br />
Jubilarin der gleichen Woche erinnert, an Marilyn Monroe. Beide<br />
waren mit Sicherheit klüger, als man ihnen zugestand.<br />
Eigentlich gelang es Joséphine Baker bereits nach einigen<br />
Jahren, das Bananenröckchen im Schrank zu lassen, aber die –<br />
vor allem gezeichneten – Bilder von ihr mit wulstigen Lippen,<br />
riesigen runden Augen, heraus gestrecktem, umkränztem Po, bestimmen<br />
bis heute die »Baker-Story». In Frankreich erinnert man<br />
sich vielleicht auch noch an die sehr passable Chansonsängerin,<br />
die in der Résistance Engagierte und mit Orden Ausgezeichnete,<br />
die Gründerin des ersten internationalen »Kinderdorfs».<br />
Aber außerhalb des Landes, das zu ihrer eigentlichen Heimat<br />
wurde, ist diese doch viel näher liegende Zeit – immerhin stand<br />
Joséphine Baker bis zu ihrem Tod im Jahr 1975 regelmäßig auf<br />
der Bühne – seltsam verblasst.<br />
Verdeckt werden vom Bananenrock-Image auch die Widersprüche,<br />
die sie in sich vereinte (zu denen sie zum Teil auch gezwungen<br />
war). So ist einerseits überliefert, dass sie gern kapriziös<br />
auftrat, andererseits während des Krieges äußerst diszipliniert<br />
und vor allem mutig Informationen sammelte und weiterleitete an<br />
den französischen Widerstand. Sie holte Kinder aus der Armut,<br />
indem sie sie adoptierte, sammelte sie andererseits ein bisschen<br />
wie Briefmarken: Jede Hautfarbe und jede Religion sollten in ihrer<br />
»Regenbogensippe« vertreten sein. Vor allem anderen aber<br />
2 Ballett Intern 4/2006
Zeitgenössische.Postkarten.zeigen.Joséphine.Baker.in.den.Pariser.»Folies.<br />
Bergère« .. Die. Abbildungen. wurden. freundlicherweise. vom. Deutschen.<br />
Tanzarchiv.in.Köln.zur.Verfügung.gestellt ..Das.kleine.Foto.zeigt.einen.Blick.<br />
in.die.aktuelle.Joséphine-Baker-Ausstellung .<br />
war sie der erste dunkelhäutige Superstar. Ein Star, der seinen<br />
Ruhm nutzte, um – auch an der Seite Martin Luther Kings – gegen<br />
die Rassentrennung einzutreten. Ohne Rücksicht auf die<br />
Nachteile, die ihr das bei ihren USA-Auftritten brachte.<br />
In ihrer Heimat konnte sie ihre Erfolge nicht wiederholen, man<br />
fand ihre Revue-Auftritte vulgär. Der Misserfolg muss sie bis zuletzt<br />
geschmerzt haben. So symbolisiert eine kleine Filmaufnahme ihr<br />
Leben vielleicht besser als alles andere: In der Ecke von etwas,<br />
das offenbar ein Boxring ist, kniet Joséphine Baker da, eine Kämpferin<br />
im langen silberfarbenen Kleid, und singt mit herzzerreißender<br />
Intensität »ihr« Lied: »J’ai deux amours/Mon pays et Paris».<br />
Sie liebe ihr Vaterland und sie liebe Paris. Am 12. April 1975<br />
hören die beiden Herzen in ihrer Brust zu schlagen auf. ■<br />
62-95834 –<br />
Operation Joséphine<br />
Das FBI und Joséphine Baker<br />
Von Dagmar Fischer<br />
Einige sahen in Joséphine Baker nur die erotische Dunkelhäutige,<br />
andere eine komische Ulknudel, eine dritte Gruppe<br />
nahm Impulse zur Frauenbefreiung von ihr auf. Thomas<br />
Thorausch vom Deutschen Tanzarchiv Köln fand noch andere<br />
Aspekte in der Biographie der Künstlerin, als er die Akten des<br />
FBI zu Gesicht bekam, er sagt: »Meine Grundidee <strong>für</strong> die<br />
Ausstellung war, aus Anlass des 100. Geburtstags keine –<br />
wie vielleicht erwartet – Glamour-Ausstellung über Joséphine<br />
Baker zu machen, sondern die Photographien, die man kennt,<br />
wie auch jene, die noch keiner gesehen hat, zu kombinieren<br />
mit einem ganz anderen »Blick von außen« auf Joséphine Baker.<br />
Diesen ganz anderen Blick hatte ich vor ca. zwei Jahren<br />
entdeckt: Die Akten des FBI mit all den Denunziationen, Spitzelberichten<br />
etc., deren veröffentlichte Form (mit Schwärzungen)<br />
mich fatalerweise an die Akten der Stasi erinnerten.»<br />
Beim Namen Joséphine Baker denkt jeder zuerst an das<br />
Bananenröckchen und die biegsame, schwarze Tänzerin.<br />
Was es jedoch hieß, in den zwanziger Jahren als schwarze(!)<br />
Frau(!) zum international erfolgreichen Superstar zu avancieren,<br />
ist heute nur noch schwer nachvollziehbar. Denn Erfolge<br />
und Popularität konnten ihr nicht Erlebnisse wie die folgenden<br />
ersparen: In einem Restaurant erklärt ein Gast an einem Nebentisch,<br />
er wolle nicht mit Niggern in einem Raum sitzen;<br />
schwarze Mitglieder ihrer Compagnie werden nicht in Hotels<br />
aufgenommen; nach einem Auftritt werden sie und ihre Gäste<br />
in dem Prominentenrestaurant »Stork Club« in New York demonstrativ<br />
nicht bedient.<br />
Aber Joséphine Baker wehrt sich. Sie protestiert gegen Diskriminierung<br />
und rassistische Äußerungen, und sie nutzt ihr<br />
Vermögen, um sich <strong>für</strong> die schwarze Bürgerrechtsbewegung<br />
in den USA zu engagieren.<br />
Mit solchem Engagement machte man sich in den fünfziger<br />
Jahren, in der berüchtigten McCarthy Ära, schnell verdächtig.<br />
Joséphine Baker gerät ins Visier des FBI, die US-amerikanische<br />
Bundespolizei sammelt Informationen jedweder Art<br />
über die Tänzerin und Sängerin, die kommunistischer Umtriebe<br />
verdächtigt wird. Ihre Akte trug die Nummer 62-95834<br />
und umfasst 359 Seiten – sie enthält Informationssammlungen<br />
von »special agents« des FBI ebenso wie Denunziationen<br />
durch Theaterbesucher oder Journalisten, Berichte von US-<br />
Konsularbeamten ebenso wie Einschätzungen über das Presseecho<br />
auf Gastspiele.<br />
Während ihre große Kinderliebe sich gut in den Medien<br />
vermarkten ließ, blieb ihre Rolle in der französischen Résistance,<br />
was natürlich auch in der Natur der Sache liegt, weniger<br />
bekannt. Die Ausstellung im Deutschen Tanzarchiv Köln<br />
zeigt endlich die andere, die unbekannte Joséphine Baker.<br />
»62-95834 – Operation Joséphine – das FBI und Joséphine<br />
Baker« in der Reihe »Die Kleine Ausstellung im Tanzmuseum«<br />
ist im Deutschen Tanzarchiv Köln / SK Stiftung Kultur<br />
noch bis 27. August 2006 zu sehen, geöffnet täglich außer<br />
mittwochs von 14 bis 19 Uhr. ■<br />
Ballett Intern 4/2006 3
Mögliche Veränderungen in der professionellen<br />
Tanzausbildung in Europa durch das »<strong>Bologna</strong>«-Abkommen<br />
Tanzausbildung als Haus<br />
Renovierung des Daches ohne<br />
Überprüfung des Fundaments<br />
Von Jenny J. Veldhuis<br />
Wenn man sich den »Vertrag von <strong>Bologna</strong>« und die sich daraus<br />
ergebenden Konsequenzen <strong>für</strong> die Tanzausbildung genauer ansieht,<br />
wird klar, dass der wichtigste Faktor der Tanzausbildung,<br />
die sogenannten Tanzfachschulen (Vocational Schools) übersehen<br />
worden ist sind. Man ist im übertragenen Sinn dabei, das<br />
Dach zu renovieren, ohne das Fundament wirklich überprüft zu<br />
haben.<br />
Die Ausbildung junger Tänzer unterscheidet sich von allen<br />
anderen Formen der Berufsausbildung, weil sie im Alter von ca.<br />
zehn Jahren beginnt und etwa sieben bis acht Jahre dauert.<br />
Das Instrument des Tänzers ist sein Körper, und inzwischen<br />
liegen mehr als 200 Jahre Erfahrung in diesem Ausbildungsbereich<br />
vor, die zeigen, dass die Ausbildung in jenen Zeitraum der<br />
Entwicklung eines heranwachsenden Menschen fallen muss, der<br />
gemeinhin als wichtigste Phase <strong>für</strong> die physische und geistige<br />
Entwicklung gilt – damit später die technischen und künstlerischen<br />
Anforderungen an eine professionelle Tänzerlaufbahn erfüllt<br />
werden können.<br />
Eine Tänzerkarriere ist kurz. Die meisten führenden Tanzcompagnien<br />
in der Europäischen Union engagieren keine Tänzerinnen<br />
über 33 und keine männlichen Tänzer über 35 Jahre, von<br />
Ausnahmen abgesehen.<br />
Kein Tänzer oder Tanzpädagoge würde sich gegen die erstrebenswerte<br />
Weiterführung der Tanzausbildung auf Hochschulniveau<br />
aussprechen. Da die bedeutenden Compagnien jedoch<br />
ungern Nachwuchs-Tänzer engagieren, die jenseits der Altersgrenze<br />
von 18 bzw. 19 Jahren sind, macht es <strong>für</strong> die Studenten<br />
keinen Sinn, nach dieser abgeschlossenen Tanzfachausbildung<br />
ihre beginnende Tänzerlaufbahn zu riskieren zu Gunsten direkt<br />
anschließender weiterführender Studien. Genauso wenig interessiert<br />
es den Leiter einer Tanzcompagnie, ob der Bewerber einen<br />
Hochschulabschluss hat oder nicht. Es ist ausschließlich die<br />
künstlerische Qualität, die bei einer Audition zählt.<br />
Doch gerade wegen der Kürze der Tanzkarriere ist es erstrebenswert,<br />
die Möglichkeit/Qualifikation <strong>für</strong> ein Studium zu haben,<br />
um eventuell später weiter studieren zu können.<br />
Doch wie konnte es dazu kommen, die Tanzfachausbildungen<br />
in Europa zu übersehen?<br />
Sicher zunächst durch die Altersgruppe, denn <strong>für</strong> die Zehn-<br />
bis 18-Jährigen kommt aus Altersgründen ein Hochschulstudium<br />
nicht in Frage. Zweitens auch aufgrund der Tatsache, dass sich<br />
die Schulen <strong>für</strong> Tanzfachausbildung historisch gesehen aus privaten<br />
Institutionen entwickelt haben.<br />
In den vergangenen 60 Jahren haben einige der zahlreichen<br />
Schulreformen in verschiedenen Staaten Europas dazu geführt,<br />
dass diese privaten Institutionen – in Konservatorien umgewandelt<br />
– interpretiert wurden oder in eine dem Theater angeschlossene<br />
Ballettschule, teilweise mit direktem Anschluss an die jeweilige<br />
Tanzcompagnie. Da nun die Altersgruppe der Zehn- bis<br />
18-Jährigen in kein typisches Ausbildungsprofil passt und die<br />
Tanzausbildung auch nicht vergleichbar ist mit irgendeiner anderen<br />
beruflichen Ausbildung, teilt man die Ausbildung in zwei<br />
Abschnitte: In die sogenannte Vorausbildung, in der Grundlagen<br />
gelegt werden, und in die eigentliche Ausbildung der Primär-<br />
und Sekundarstufe.<br />
Natürlich kann man darüber streiten, ob es sinnvoll ist, sich<br />
über einen Zeitraum von mindestens sechs Jahren darauf vorzubereiten,<br />
ein Hochschulstudium von zwei Jahren folgen zu lassen,<br />
wobei die Regelstudienzeit ohnehin vier bzw. fünf Jahre<br />
beträgt.<br />
Aber was wird aus der Vorausbildung? Hier gibt es drei Möglichkeiten.<br />
1. Falls sie an eine Schule mit allgemein bildendem Unterricht<br />
angeschlossen ist, wird sie nur von den entsprechenden Autoritäten<br />
wahrgenommen, <strong>für</strong> die Tanzausbildung ist sie unerheblich,<br />
weil eine Vorausbildung nicht anerkannt wird.<br />
2. Wenn sie in ein Konservatorium integriert ist, verfügt sie entweder<br />
über ein separates und damit geringeres Budget oder<br />
wird privat finanziert.<br />
3. Und im Falle des Anschlusses einer kompletten Tanzfachausbildung<br />
an eine Tanzcompagnie oder ein Opernhaus, wird<br />
sie auch meist von privater Hand finanziert.<br />
Mit anderen Worten: Aus diesen verständlichen Gründen wird<br />
von offizieller Seite die Tanzausbildung der Zehn- bis 18-Jährigen<br />
weder wahrgenommen noch finanziert.<br />
Die bisherige Erfahrung hat hinreichend bewiesen, dass es<br />
ohne die sieben- bzw. achtjährige Ausbildung unmöglich ist, einen<br />
professionellen Tänzer auszubilden, der den heutigen hohen<br />
technischen und künstlerischen Anforderungen genügt. Das Gleiche<br />
gilt natürlich auch <strong>für</strong> zukünftige Tanzpädagogen, auch sie<br />
brauchen solide fachliche Grundlagen vor einem eventuellen<br />
Hochschulstudium. Und erst recht betrifft das die Choreographen<br />
von Morgen, die eine beachtliche Tänzerkarriere hinter sich haben<br />
sollten, bevor sie sich dem Studium der Choreographie widmen.<br />
Es ist daher von besonderer Bedeutung, dass das Europäische<br />
Parlament grundlegende Informationen erhält, die sowohl<br />
die notwendige Dauer, aber auch die besondere Struktur der<br />
Ausbildung zukünftiger Tänzer betrifft. Tanz ausschließlich als Angelegenheit<br />
von Hochschulen zu betrachten, ist irreführend und<br />
würde zu einer extrem falschen Schlussfolgerung führen, nachdem<br />
das <strong>Bologna</strong> Abkommen nach 2009 in Kraft treten soll,<br />
denn demnach würde die Ausbildung eines Tänzers vier Jahre<br />
dauern und im Alter von 18 Jahren beginnen!<br />
Im negativsten Fall führt das zu einer nicht überschaubaren<br />
großen Zahl von arbeitslosen Tänzern, denn keine Compagnie<br />
von hohem Niveau würde diese überalterten Tänzer engagieren.<br />
Es wäre daher sehr wichtig, in einer Studie zu belegen,<br />
dass die einzige Möglichkeit darin besteht, Tänzer auf hohem<br />
technischem und künstlerischem Standard auszubilden, wenn sie<br />
im Alter von etwa zehn Jahren beginnen und ihre Ausbildung<br />
mindestens sieben Jahre dauert. ■<br />
Text im Original: »Remoddeling the Roof without Investigating the<br />
Foundation», Jenny J. Veldhuis ©2003, Überarbeitung ©2005,<br />
Übersetzung aus dem Englischen: Dagmar Fischer<br />
4 Ballett Intern 4/2006
»<strong>Bologna</strong>« ist bald überall<br />
Da bleibt nur, aus der Reihe zu tanzen<br />
Von Dagmar Fischer<br />
»<strong>Bologna</strong>« ist seit geraumer Zeit mehr als eine italienische Stadt.<br />
Der Name wurde zum Synonym <strong>für</strong> die tiefgreifendste Veränderung<br />
in der Hochschul-Ausbildung, die je stattgefunden hat. Vor<br />
sieben Jahren trafen sich in <strong>Bologna</strong> 29 europäische Staaten mit<br />
dem Ziel, ihre Ausbildungssysteme aufeinander abzustimmen.<br />
Inzwischen sind es 45 Länder, im Jahr 2010 soll der Prozess<br />
abgeschlossen sein.<br />
Zur Zeit existieren Magister- und Diplom-Studiengänge<br />
noch parallel zu<br />
den beiden neuen Bachelor- und Master-Abschlüssen.<br />
Die Vorteile der nach<br />
US-amerikanischem Vorbild übernommenen<br />
Änderungen werden vor allem in<br />
zwei Punkten gesehen: In einer globalisierten<br />
Welt liegen sie <strong>für</strong> den jungen<br />
Europäer in der Vereinheitlichung, und<br />
schneller als bisher führen sie zu einem<br />
richtigen Abschluss. Denn <strong>für</strong> den Bachelor<br />
beträgt die Regelstudienzeit mindestens<br />
drei, höchstens vier Jahre, danach<br />
kann er also früher als bisher in<br />
die Berufstätigkeit gehen; falls sich ein<br />
Masterstudium anschließt, ist das nach<br />
mindestens einem Jahr bzw. höchstens<br />
zwei Jahren abgeschlossen. Das Masterstudium<br />
vertieft fachliche Kenntnisse,<br />
kann aber auch eine neue Studienrichtung<br />
einschlagen.<br />
Ein vereintes Europa braucht Studiengänge,<br />
die nicht an nationalen Grenzen<br />
Halt machen. So wird es internationale<br />
Scheine geben, die man im<br />
Studium erwirbt, sie heißen Credits und<br />
werden in den Staaten anerkannt, die<br />
sich dem System angeschlossen haben.<br />
Der Leistungspunkte-Katalog, nach dem<br />
Auslandsstudien bewertet werden, heißt<br />
ECTS, European Credit Transfer System.<br />
Aber: Nicht alle Bachelor- und Master-<br />
Studiengänge sind akkreditiert, d. h.<br />
von neutralen Gutachtern auf Mindeststandards<br />
nach internationalen Maßstäben<br />
geprüft und abgesegnet; <strong>für</strong> den<br />
Studierenden heißt das konkret, er muss<br />
prüfen, ob der Studiengang seiner<br />
Wahl bereits akkreditiert ist (siehe www.<br />
hrk-bologna.de)<br />
Gegner der Reform warnen vor dem Herabsetzen des Niveaus,<br />
denn mit dem Verkürzen der Regelstudienzeit wird eine<br />
Reduzierung in der Wissensvermittlung einhergehen, ob in der<br />
Qualität oder nur in der Quantität, darüber sind sich Be<strong>für</strong>worter<br />
und Skeptiker nicht einig. Die FAZ beispielsweise vermutet, dass<br />
sich der »<strong>Bologna</strong>-Prozeß der deutschen Hochschulen als Sparprogramm<br />
<strong>für</strong> Notzeiten« entlarvt (FAZ vom 2.5.2006).<br />
Die Mehrheit der Studenten, die sich in den vergangenen<br />
Jahren schon <strong>für</strong> einen Bachelor-Abschluss entschieden hat,<br />
hängte den Master-Studiengang an, weil dieser offensichtlich<br />
die Aussicht auf eine qualifizierte Arbeitsstelle verbessert. Doch<br />
wirklich aussagekräftige Zahlen liegen zum jetzigen Zeitpunkt<br />
über die Bachelor-Absolventen und ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt<br />
noch nicht vor. Und auch in Zukunft bleibt der Entschluss<br />
jedes einzelnen Studenten eine Entscheidung mit schwer<br />
zu kalkulierendem Ausgang, denn eine Studie dazu ist zwar in<br />
Auftrag gegeben, allerdings nur über einen kurzen Zeitraum:<br />
»Für eine Studie über drei oder vier Jahre fehlt uns das Geld«, so<br />
Michael Baurmann, Soziologie Professor in Düsseldorf (Süddeutsche<br />
Zeitung, Beilage Uni & Job vom 22./23.4.2006).<br />
Hochschulen und Fachschulen – auch die Tanzausbildung ist<br />
von der Umstrukturierung betroffen. Aber: Tanz muss eine Sonderposition<br />
innerhalb der Ausbildungsbereiche<br />
behalten bzw. eine solche<br />
bekommen, wenn die Tanzausbildung<br />
mit Blick auf die Änderungen durch den<br />
Vertrag von <strong>Bologna</strong> gemeint ist. Das<br />
scheinen die verantwortlichen Politiker<br />
nicht im Blick zu haben, Beispiel: Auf<br />
eine Anfrage von Jenny J. Veldhuis an<br />
Marianne Hildebrand (von der Europäischen<br />
Kommission) wurde eingestanden,<br />
dass es Sonderregelungen <strong>für</strong> bestimmte<br />
Bereiche gäbe, Tanz jedoch<br />
gehöre leider nicht dazu.<br />
Auf den Internet-Seiten der Europäischen<br />
Kommission ist unter »Ausbildung<br />
von Tänzern« http://ec.europa.eu/culture/portal/activities/dance/d_training_de.htm<br />
Folgendes zu finden:<br />
Durch das Programm Kultur 2000<br />
fördert die Union die Zusammenarbeit<br />
von Tanzschulen im Rahmen von gemeinsamen<br />
Projekten und Festivals, wie<br />
etwa »Le Ballet des Jeunes d‘Europe -<br />
Danse en Lubéron«, oder Projekte wie<br />
»DÉPARTS« bzw. »danceWEB Europe«,<br />
die sich auf den zeitgenössischen Tanz<br />
beziehen. Allerdings endet Kultur 2000<br />
im Jahr 2006, wie es ab 2007 weitergeht,<br />
kann man auf den Internet-Seiten<br />
noch nicht ablesen. Des weiteren bezieht<br />
sich »DÉPARTS« ausschließlich auf<br />
das Zentrum in Brüssel, »danceWEB<br />
Europe« vergibt nur Stipendien an bestimmte<br />
Personen.<br />
Die EU beschließt Gesetze <strong>für</strong> ein<br />
vereintes Europa, ist aber natürlich an-<br />
gewiesen auf Fach-Berater. Diese Funk-<br />
aus.FAZ.vom.30 ..Juni.2006<br />
tion wurde zum Beispiel ELIA übertragen,<br />
der Euroean League of the Institutes<br />
of the Arts. Die kurze Selbstdarstellung<br />
lautet: The European League of Institutes of the Arts, ELIA, founded<br />
in 1990, is an independent network of approximately 360<br />
Arts Education Institutes covering all the disciplines of the Arts –<br />
Dance, Design, Theatre, Fine Art, Music, Media Arts and Architecture<br />
– from 47 countries.<br />
ELIA allerdings ist eine Organisation, in die man sich per<br />
Mitgliedschaft einkaufen muss, d.h. <strong>für</strong> eine Jahresgebühr ab<br />
290 Euro (gestaffelt nach der Anzahl der Studenten bis 2625<br />
Euro) wird man in die Liste derer aufgenommen, die dann als<br />
Ballett Intern 4/2006 5
Länder ELIA-Informationen … … und die Realität, die nicht aufgeführt ist<br />
Italien: Florenz: Lorenze De›Medici Mailand: Ballettschule der Mailänder Scala<br />
Rom: Accademia Nazionale di Danza<br />
Groß-<br />
britannien:<br />
Liverpool: The Liverpool Institute<br />
of Performing Arts<br />
London: Laban School<br />
Nottingham: Nottingham Trend<br />
University<br />
Totnes: Dartington College of Arts<br />
existent in der Schulübersicht auftauchen. Das aber kann in keiner<br />
Weise repräsentativ Auskunft geben über die jeweilige tänzerische<br />
Situation in den europäischen Nationen. Wie in unserem<br />
Kasten gezeigt, ist die Lola Rogge Schule die einzige<br />
Einrichtung, die unter dem Suchstichwort Tanzausbildung in<br />
Deutschland auftaucht – von Hochschulen oder der Staatlichen<br />
Ballettschule Berlin, nur als Beispiel, ist keine Rede.<br />
Ähnlich verhält es sich, wenn man nach den Möglichkeiten<br />
forscht, in Österreich Tänzer zu werden, dort sind keine Angaben<br />
vorhanden, tatsächlich sind aber mindestens zwei Anlaufstellen<br />
zu nennen: Schule der Wiener Staatsoper und das Konservatorium<br />
in Wien.<br />
Vergleichbar unvollständig sind die Auskünfte über Italien und<br />
Frankreich, zwei »Ballett-Nationen«, weder die Ballettschule der<br />
Pariser Oper noch die Ballettschule der Mailänder Scala sind<br />
aufgeführt.<br />
Wenn man jedoch untersuchen würde, wo die Tänzer tatsächlich<br />
ausgebildet werden, die heute in europäischen Compagnien<br />
engagiert sind, könnte man eine Liste mit Schulen in Europa<br />
nennen – aber in der Europäischen Kultusministerkonferenz scheinen<br />
sie, vielleicht aufgrund falscher Beratung, weitgehend unbekannt<br />
zu sein.<br />
<strong>Bologna</strong> und die Reform des Hochschulsystems betrifft die<br />
Altersgruppe der ab 18-Jährigen, also Studienanfänger nach bestandenem<br />
Abitur – völlig anders der Werdegang eines Tänzers,<br />
der in diesem Alter fertig ausgebildet ist und in die aktive Berufslaufbahn<br />
einsteigt. <strong>Bologna</strong> bedeutet aber auch, jedem Abiturienten<br />
die Möglichkeit zu geben, ohne jede praktische tänzerische<br />
Vorbildung beispielsweise Choreographie an einer<br />
Hochschule zu studieren.<br />
Die tänzerischen Fachausbildungen, die keinen Hochschul-<br />
London: Royal Ballet School<br />
Frankreich: … (kein Eintrag) Paris: Ballettschule der Pariser Oper<br />
Deutschland: Hamburg: Lola Rogge Schule Berlin: Staatliche Ballettschule und Schule <strong>für</strong> Artistik<br />
Dresden: Palucca-Schule / Hochschule <strong>für</strong> Tanz<br />
Essen: Folkwang Hochschule<br />
Frankfurt am Main: Hochschule <strong>für</strong> Musik und Darstellende Kunst<br />
Hamburg: Ballettschule des Hamburg Ballett – Ballettzentrum John Neumeier<br />
Köln: Hochschule <strong>für</strong> Musik, Studiengang Tanz<br />
Mannheim: Hochschule f. Musik u. Darstellenden Künste/Akademie d. Tanzes<br />
München: Ballett-Akademie des Freistaates Bayern / Heinz-Bosl-Stiftung<br />
Stuttgart: John Cranko-Schule<br />
Kanada: Banff: The Banff Centre Toronto: National Ballett School<br />
Auf.der.Grundlage.einer.derartig.dürftigen.Informationsquelle.ist.es.verständlich,.dass.der.Tanz.in.Europa.von.den.europäischen.Kultusministern.übersehen.wurde .<br />
status haben, weil sie historisch gewachsen aus privaten Schulen<br />
entstanden sind, bleiben bei diesem Konzept unberücksichtigt,<br />
sie wurden größtenteils noch nicht einmal im Vorfeld zu den Arbeitstreffen<br />
von der EU eingeladen, da sie aus dem Raster fielen<br />
– denn das hieß Hochschule.<br />
Noch eine Besonderheit der Situation in Deutschland, die<br />
das Dilemma nicht besser macht. Die Ständige Konferenz der<br />
Kultusminister vereint die unterschiedlichen Anlaufstellen aller<br />
16 deutschen Bundesländer. Nur: Jedes Bundesland ist anders<br />
strukturiert, welche Anlaufstelle ist denn eigentlich zuständig<br />
<strong>für</strong> die Tanzausbildung? Ein Beispiel aus Hamburg: Die<br />
Behörde <strong>für</strong> Bildung und Sport, darunter fallen z. B. die staatlich<br />
anerkannten Berufsfachschulen wie Lola Rogge Schule<br />
und Erika Klütz Schule, aber auch die Technische Fachschule<br />
<strong>für</strong> Luftfahrttechnik. Die Behörde <strong>für</strong> Wissenschaft und Forschung<br />
jedoch ist zuständig <strong>für</strong> die Hochschulen – also auch<br />
<strong>für</strong> Tanz, wenn »<strong>Bologna</strong>« demnächst greift. Die Kulturbehörde<br />
allerdings betreut die Hamburgische Staatsoper und damit<br />
auch das Ballettzentrum John Neumeier, also die Ausbildungsstätte<br />
<strong>für</strong> Tänzer.<br />
In Baden-Württemberg sind es nur zwei Stellen, da<strong>für</strong> heißen<br />
sie Ministerium <strong>für</strong> Wissenschaft, Forschung und Kunst sowie Ministerium<br />
<strong>für</strong> Kultur, Jugend und Sport. Ob es nun Ministerium,<br />
Behörde oder, wie in Berlin, Senatsverwaltung heißt, die Bereiche<br />
und Ressorts hat jedes Land unterschiedlich aufgeteilt.<br />
Viele haben unterschiedliche Adressen, d. h. sie sind nicht in<br />
einem Haus untergebracht, was die Kommunikation oder sogar<br />
Kooperation nicht fördert.<br />
Die Staatliche Ballettschule Berlin wird ab nächstem Schuljahr<br />
auf Masterstudiengang umstellen, wir werden über die Veränderungen<br />
berichten. ■<br />
6 Ballett Intern 4/2006
Schwierige<br />
Entscheidungen<br />
Ein Tag bei den Aufnahmeprüfungen<br />
der John Cranko-Schule<br />
Von Angela Reinhardt<br />
Meist ist die John Cranko-Schule der Ort, wo Träume wahr werden<br />
– viele der Studenten wie Alicia Amatriain, Friedemann Vogel<br />
oder Mikhail Kaniskin sind heute Stars des Stuttgarter Balletts.<br />
Und Schuldirektor Tadeusz Matacz ist stolz darauf, dass auch in<br />
diesem Jahr wieder sämtliche Absolventen der Abschlussklasse<br />
eine Anstellung bekommen haben. An diesem Samstag im Frühjahr<br />
2006 aber ist die John Cranko-Schule der Ort, wo Träume<br />
zerplatzen. 97 Träume, genauer gesagt – denn von den 110<br />
Kindern und Jugendlichen, die zu diesem Termin hier vortanzen,<br />
werden am Ende nur 13 in die John Cranko-Schule aufgenommen.<br />
Fast einhundert junge Menschen haben den Weg nach<br />
Stuttgart vergebens gemacht, und einem großen Teil davon hätten<br />
es bereits ihre Ballettlehrer zu Hause sagen müssen. Die Aufnahmeprüfung<br />
an einer der wenigen staatlichen Ballettakademien<br />
Deutschlands ist der heikle Punkt, an dem die kindliche Lust<br />
am Tanzen auf knallharte Berufsanforderungen trifft. Hier legen<br />
sich Kinder in einem Alter auf ihren späteren Beruf fest, in dem<br />
ihre Altersgenossen noch sorglos ihren Hobbys nachgehen.<br />
Die Prüfungen gehen von neun Uhr morgens bis abends um<br />
sechs nahtlos durch, unterbrochen nur von einer Mittagspause.<br />
Bis zum Alter von 15 Jahren werden Mädchen und Jungen gemeinsam<br />
geprüft, ab 16 tanzen sie in getrennten Klassen vor. An<br />
einem langen Tisch im Ballettsaal sitzen acht Lehrer, Direktor<br />
Matacz und Reid Anderson, der Intendant des Stuttgarter Balletts;<br />
jede Klasse ist eine halbe Stunde bis vierzig Minuten im<br />
Ballettsaal. Bei den Kindern zwischen acht und elf Jahren prüfen<br />
zwei Lehrerinnen vor allem die körperlichen Voraussetzungen:<br />
das Auswärts, das Strecken der Beine, die Dehnbarkeit, Füße,<br />
Hüfte und Rücken. Jedes Kind wird einzeln geprüft, dann folgen<br />
ein paar gemeinsame Übungen. Die älteren Kandidaten arbeiten<br />
zuerst an der Stange, dann kommen gemeinsame Exercices<br />
in der Mitte, einige Sprünge und Drehungen müssen nacheinander<br />
alleine vorgeführt werden. Nicht einmal bei der Aufnahme in<br />
die erste Akademieklasse werden hochvirtuose Leistungen verlangt,<br />
da<strong>für</strong> aber saubere Basisübungen.<br />
Die Entscheidungen fallen auf ganz unterschiedliche Weise:<br />
Es kann vorkommen, dass sich sofort alle einig sind, dann sagt<br />
Tadeusz Matacz drei Startnummern in die Runde und alles nickt,<br />
ein anderes Mal aber wird lange diskutiert, oder zwei Kandidaten<br />
werden in die nächste Altersstufe gebeten, um sie ein<br />
weiteres Mal anzuschauen. Bei einem anderen Kind wird beschlossen,<br />
die Eltern auf das medizinische Problem ihrer Tochter<br />
hinzuweisen und sie »mit großem Fragezeichen« zu akzeptieren.<br />
Jeder aufgenommene Schüler wird von der Tanzmedizinerin Dr.<br />
Elisabeth Exner-Grave ärztlich untersucht – eine freiwillige Ein-<br />
! !<br />
W I C H T I G – T E R M I N Ä N D E R U N G<br />
<strong>Deutscher</strong> Tanzpreis 2007<br />
<strong>Deutscher</strong> Tanzpreis »Zukunft« 2007<br />
Mitgliederversammlung des DBfT<br />
Samstag, 27./28. April 2007<br />
Schüler. der. Klasse. 5. in. »Etuden«,. eine. Choreographie. von. Lehrern. der.<br />
John.Cranko-Schule .. (Foto:.Verena.Fischer)<br />
richtung der John Cranko-Schule, die es nicht an allen Ballettakademien<br />
gibt. Sie schaut bei allen Prüfungsklassen zu, wird von<br />
der Jury um Rat gefragt und ist auch dann sofort zur Stelle, wenn<br />
jemandem vor lauter Aufregung schlecht wird.<br />
Während die jüngeren Kinder die Aufnahmeprüfung eher locker<br />
nehmen, gibt es bei den Teenagern ab 13, 14 Jahren einige<br />
verbissene oder auch völlig entsetzte Gesichter. Manche von<br />
ihnen realisieren angesichts der Konkurrenz schmerzhaft, dass sie<br />
nicht den Hauch einer Chance haben, dass sie zu unbeweglich,<br />
zu dick oder einfach zu schlecht sind. Das führt zu unterschiedlichen<br />
Reaktionen, vor allem bei den jungen Mädchen – manche<br />
versteckt sich mit hochrotem Kopf hinter den Mitbewerbern, andere<br />
sehen so verstört aus, dass sie einem leid tun. Die Aufnahmeprüfung<br />
einer Ballettakademie ist keine Audition wie bei<br />
»Deutschland sucht den Superstar«: Man kann hier nicht sein Bestes<br />
zeigen, sondern alle müssen das Gleiche machen.<br />
In der Klasse der 14- und 15-Jährigen schaffen viele, viel zu<br />
viele, nicht einmal eine einfache Drehung ohne Nachfassen oder<br />
Wackeln; einige wissen nicht, wie ein Assemblé geht. Das führt<br />
zu resignierten, sorgenvollen Mienen bei den Lehrern, nur einmal<br />
sagt Matacz mit leichtem Vorwurf in der Stimme: »Das müsstet ihr<br />
in dem Alter eigentlich können!« Noch bei den 16-Jährigen ist ein<br />
Mädchen dabei, das an der Stange keine 90-Grad-Arabesque<br />
schafft. Mit welchen Hoffnungen bewirbt sie sich an einer Berufsfachschule?<br />
Welcher Ballettlehrer ist so verantwortungslos, sie<br />
dorthin zu schicken und ihr dieses frustrierende Erlebnis zuzumuten?<br />
Natürlich ist es schwer, sich selbst einzuschätzen, wenn man<br />
in der Ballettschule zu Hause immer die Beste war. Natürlich sind<br />
nicht immer die Ballettschullehrer schuld, es gibt auch Schüler, die<br />
gegen jede Beratung resistent sind und denen es (angeblich)<br />
ganz egal ist, ob sie genommen werden: »Ich wollte die Aufnahmeprüfung<br />
einfach nur mitmachen, um mich besser einschätzen<br />
zu können« , liest man im Internet-Forum tanznetz.de, wo sich<br />
Schüler über ihre Erlebnisse bei den Auditions austauschen. Für<br />
die Auswahlkommission ist es oft mühsam, zwischen diesen »Erlebnistouristen«<br />
und den Kindern, die von ihren Ballettlehrern<br />
überschätzt wurden, die paar wenigen Schüler überhaupt noch<br />
zu sehen, die vielleicht gut genug wären.<br />
Viele Schüler und Eltern wissen einfach nicht, wie hoch die<br />
Anforderungen einer Ballettakademie sind und beklagen sich hinterher<br />
über das grausame Auswahlverfahren. Wenn zum Beispiel<br />
eine Neunjährige, die während der Prüfung hochbeweglich und<br />
sehr begabt aussah, aufgrund ihrer Zehen nicht genommen wird,<br />
die <strong>für</strong> den Spitzentanz zu schwach sind, dann kann eine solche<br />
Ablehnung unter Umständen zum Vorwurf führen, die Schule hätte<br />
»nur Menschenmaterial gesucht« . Dass aber offensichtlich nicht<br />
einmal alteingesessene Ballettschulen oder ein renommiertes Tanz-<br />
Ballett Intern 4/2006 7
gymnasium in der Lage sind, ihre Schüler richtig zu beraten, schockiert<br />
Schuldirektor Matacz immer wieder. Er hält es <strong>für</strong> verantwortungslos,<br />
Schüler bei sich aufzunehmen, die später keine Aussicht<br />
auf eine Anstellung haben. Er plädiert auch da<strong>für</strong>, es ihnen und<br />
ihren Eltern so früh wie möglich zu sagen, damit sie sich nicht<br />
jahrelang falsche Hoffnungen machen. Der Tänzerberuf wird immer<br />
anspruchsvoller, gleichzeitig gibt es <strong>für</strong> die rund 100 Absolventen<br />
pro Jahr in Deutschland immer weniger Jobs, weil die Ballett-<br />
und Tanz-Compagnien immer wieder verkleinert oder gar<br />
geschlossen werden. Eine Auslese bei den Aufnahmeprüfungen,<br />
so elitär und hart sie auch wirken mag, ist unvermeidlich.<br />
Falls die Pädagogen der privaten Ballettschulen nicht sicher<br />
sind, ob sie Schüler zu einer Aufnahmeprüfung schicken sollen,<br />
dann gibt es ein Angebot zu einer »Berufsberatenden Eignungsprüfung<br />
<strong>für</strong> Tanz« , die gemeinsam von der ZBF, der Zentralen<br />
Bühnen-, Fernseh- und Filmvermittlung, der Genossenschaft <strong>Deutscher</strong><br />
Bühnenangehöriger und dem Deutschen <strong>Berufsverband</strong> <strong>für</strong><br />
<strong>Tanzpädagogik</strong> initiiert wurde. Diese Prüfung wird in zentralen<br />
Städten Deutschlands <strong>für</strong> Schüler ab ca. zehn Jahren angeboten,<br />
alle Altersstufen sind willkommen. Annette Vladar, die bei der<br />
ZBF <strong>für</strong> den Bühnentanz zuständig ist, schreibt da<strong>für</strong> jedesmal<br />
800 private Ballettschulen an – und ist entsetzt über die geringe<br />
Resonanz: »Die privaten Schulen denken, sie könnten es selbst<br />
besser beurteilen, oder sie wollen ihre Spitzenschüler nicht von<br />
irgendwelchen anderen Leuten beurteilen lassen, sondern direkt<br />
von den Profis.« Dabei wird natürlich auch die Eignungsprüfung<br />
von Profis durchgeführt, zuletzt von Günter Pick (Annette Vladars<br />
Vorgänger bei der ZBF), von Hans Herdlein und von Ulrich Roehm.<br />
Bei der letzten Eignungsprüfung konnte man über 90 % der<br />
Schüler davon abhalten, sich an einer Akademie zu bewerben.<br />
Den Kindern wurde die Enttäuschung erspart, den Eltern die Kosten<br />
<strong>für</strong>s Herumfahren, den Akademien zusätzlicher Stress bei<br />
den Prüfungen. Nur leider werden die ZBF-Eignungsprüfungen<br />
viel zu wenig in Anspruch genommen.<br />
Der Stuttgarter Schuldirektor Tadeusz Matacz sieht beim Kampf<br />
um die wenigen guten Schüler (und dazu scheint die professionelle<br />
Tänzerausbildung mangels Nachwuchses immer stärker zu<br />
werden) aber auch das gegenteilige Problem mit den privaten<br />
Schulen, das falsche Festhalten an den wirklich guten Kindern:<br />
»Wichtig ist auch, dass die Ballettschulen ihre guten Schüler loslassen<br />
und weiterschicken!« Er appelliert an das Verantwortungs<br />
bewusstsein der Tanzpädagogen, die richtigen Entscheidungen<br />
<strong>für</strong> die Kinder zu treffen – und nicht <strong>für</strong> ihre Schule.<br />
Die Daten der Berufsberatenden Eignungsprüfung <strong>für</strong> Tanz<br />
können bei Annette Vladar erfragt werden, Kontakt über Telefon<br />
0221-55403-211 oder koeln-zav.ballett@arbeitsagentur.de<br />
Seit 30 Jahren in Nordrhein-Westfalen<br />
Zwei Ballettschulen<br />
mit.je.100.qm.Ballettsaal,.<br />
einem.solidem.Kundenstamm..<br />
und.großem.Kostümfundus.sind.<br />
aus.privaten.Gründen.zu.verkaufen .<br />
Interessenten.wenden.sich.bitte.unter.Chiffre.01-4-2006.<br />
an.den.Deutschen.<strong>Berufsverband</strong>.<strong>für</strong>.<strong>Tanzpädagogik</strong>.e .V ..<br />
Hollestr ..1e.–.45127.Essen<br />
Anerkennung des<br />
Tanzes in der Schweiz<br />
Von Jenny J. Veldhuis<br />
Am 10. Juni fand in Bern eine Versammlung der verschiedenen<br />
Tanzverbände zum Thema Anerkennung des Tanzes statt. Es gibt<br />
in der Schweiz ca. 14 Verbände, die sich um den Tanz kümmern.<br />
Organisator der Versammlung war der Dachverband »Danse<br />
Suisse«, anwesend waren die Organisatoren des Schweizer<br />
Ballettlehrer Verbands (SBLV), der Schweizer Verband der Tänzer<br />
und Choreographen (SVTC), der Schweizer Verband zur beruflichen<br />
Neuorientierung professioneller Tänzer (NPT) und der<br />
Schweizerische <strong>Berufsverband</strong> <strong>für</strong> Tanz und Gymnastik (SBTG).<br />
Beim Ziel der Berufsanerkennung sind sich die Vertreter der<br />
Fachverbände, des Projekts Tanz, der Hochschule <strong>für</strong> Musik und<br />
Theater, Zürich, der Bildungsdirektionen der Kantone Zürich und<br />
Waadt und des Bundesamtes <strong>für</strong> Berufsbildung und Technologie<br />
einig; eine gesamtschweizerisch angeglichene Ausbildungsstruktur<br />
<strong>für</strong> angehende Bühnentänzer und Tänzerinnen soll eingerichtet<br />
werden, die auf folgenden Stufen zu anerkannten Abschlüssen<br />
führt:<br />
a. Berufsausbildung mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis und<br />
Berufsmatura (berufliche Grundausbildung)<br />
b. Studium auf Bachelor-Stufe mit Abschluss Bachelor of Arts<br />
(BA) im Tanz<br />
Das Modell sieht vor, dass die Kantone Zürich und Waadt je<br />
eine Berufsausbildung inklusive Berufsmatura auf Stufe Sekundar II<br />
und je einen BA auf einer Fachhochschule anbieten.<br />
»Danse Suisse« erklärte sich schon im Juni 2005 bereit, als<br />
sogenannte Organisation der Arbeitswelt bei der Ausarbeitung<br />
der Bildungsverordnung <strong>für</strong> die dreijährige Berufsausbildung die<br />
Federführung zu übernehmen. »Danse Suisse« wird <strong>für</strong> diese Arbeit<br />
vom Bundesamt <strong>für</strong> Berufsbildung und Technologie finanziell<br />
unterstützt.<br />
Es wurden Fachpersonen zur Bildung einer Kommission, die<br />
<strong>für</strong> die Entwicklung und Umsetzung der Berufslehre verantwortlich<br />
sein wird, eingeladen. Nebenbei wurde eine unabhängige<br />
Arbeitsgruppe zur Ausarbeitung eines neuen Konzepts gegründet.<br />
Diese neue Struktur soll im Juni 2007 in Kraft treten.<br />
Zur Unterstützung war Ulrich Roehm eingeladen, er sollte<br />
über das Ergebnis der am 12. März 2006 in Berlin gegründeten<br />
»Ständigen Konferenz Tanz / SKT« informieren.<br />
Es gab einige interessante Unterschiede, z. B. die ziemlich<br />
große Zahl der sehr aktiven Berufsverbände in der Schweiz im<br />
Gegensatz zu Deutschland, sowie die Zusage einer finanziellen<br />
Unterstützung dieses Projektes.<br />
Weil auch in der Schweiz der »Vertrag von <strong>Bologna</strong>« schon<br />
viele Fragezeichen aufgeworfen hat, wird es interessant sein,<br />
den Verlauf des Projekts im Auge zu behalten.<br />
Dass eine Anerkennung des Tänzerberufs äußerst wichtig ist,<br />
ist klar. Es ist nur zu hoffen, dass die Tänzer sich nicht zu Kompromissen<br />
bereit erklären.<br />
Man kann nur wünschen: »Wenn schon Anerkennung, dann<br />
auch richtige Anerkennung«.<br />
Für weitere Informationen: www.dansesuisse.ch<br />
8 Ballett Intern 4/2006
»Wissen in Bewegung«<br />
Von Ulrich Roehm<br />
Meines »Wissens« hat kein anderes Thema mehr »Bewegung« in<br />
die Nachfolge der Tanzkonferenz gebracht als dieses: »Tanzausbildung<br />
Deutschland – Dance Education in Germany, Staatliche<br />
Tanzhochschulen«. Hier wurde doch wohl – bewusst oder<br />
unbewusst – ein sehr sensibler Punkt berührt.<br />
In Ballett Intern 3/06 auf Seite 7 finden wir eine erste schriftliche<br />
Reaktion, telefonisch und mündlich sind zahlreiche weitere<br />
eingegangen. Die Pressevertretung der Organisation des Tanzkongresses<br />
bat uns um die Publizierung der Gegendarstellung<br />
Ingo Diehls, der wir an dieser Stelle gerne nachkommen.<br />
Leserbrief<br />
bzgl. »Rückmeldungen von Kongressteilnehmern»<br />
»Tanzplan Deutschland« ist ein auf fünf Jahre angelegtes<br />
Förderprojekt der Kulturstiftung des Bundes, das durch die<br />
Unterstützung zukunftsweisender Initiativen auf regionaler<br />
und nationaler Ebene die strukturellen Bedingungen <strong>für</strong> den<br />
Tanz in Deutschland nachhaltig stärken will.<br />
Neben »Tanzplan vor Ort« ist das Ziel von »Tanzplan<br />
Deutschland« im Bereich »Ausbildungsprojekte», innovative<br />
Entwicklungen im Ausbildungsbereich zu fördern. Hierbei<br />
handelt es sich um einen Prozess, der gemeinsam mit den<br />
Akteuren über die nächsten fünf Jahre entwickelt wird und<br />
zu unterschiedlichen Zeitpunkten in die Ausbildung von<br />
Tänzer/innen, Pädagog/innen und Choreograf/innen<br />
hineinwirkt. In einem ersten Schritt wurde von »Tanzplan<br />
Ausbildungsprojekte« ein Treffen der nationalen Tanzhochschulen<br />
initiiert, das vor dem Tanzkongress in Berlin stattfand.<br />
In Vorbereitung auf das erste Zusammentreffen dieser Arbeitsgruppe<br />
wurden von mir alle Institutionen mit Hochschulstatus<br />
– unabhängig von Ihrer Ausrichtung – besucht.<br />
Neben Hospitationen und Vorstellungsbesuchen fanden<br />
Gespräche zu Fragen der Tanzausbildung mit den Professor/innen<br />
und Dozent/innen folgender Institutionen statt:<br />
Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz Berlin; Palucca<br />
Schule Dresden – Hochschule <strong>für</strong> Tanz; Folkwang Hochschule,<br />
Fachbereich 3, Essen; Hochschule <strong>für</strong> Musik und<br />
darstellende Künste Frankfurt; Hochschule <strong>für</strong> Musik, Abteilung<br />
Tanz /Köln; Staatliche Hochschule <strong>für</strong> Musik und darstellende<br />
Künste, Akademie des Tanzes /Mannheim und<br />
Ballett Akademie München Heinz-Bosl-Stiftung.<br />
WISSEN IN BEWEGUNG<br />
Vor dem Hintergrund der Umstrukturierung der Tanzhochschulen<br />
von Diplom- zu Bachelor und Masterabschlüssen<br />
zeichnete sich gemeinsamer Handlungsbedarf ab, der zu<br />
einer ersten Diskussionsrunde mit dem Thema »Bachelor<br />
und Master als Chance?« führte. Folgende Hochschulvertreter<br />
nahmen daran teil: Prof. Lutz Förster und Roman Arndt<br />
(Essen), Prof. Paul Melis und Prof. Vera Sander (Köln), Prof.<br />
Dieter Heitkamp und Prof. Mark Spradling (Frankfurt), Eva-<br />
Maria Hoerster, Prof. Rhys Martin und Hon. Prof. Ingo Reulecke<br />
(Berlin) sowie Jason Beechey und Prof. Anke Glasow<br />
(Dresden).<br />
Auf dem Podium im Rahmen des Tanzkongresses waren<br />
die teilnehmenden Hochschulen der Arbeitsgruppe jeweils<br />
mit einer Person vertreten.<br />
Die Fachhochschulen in Berlin (Stattliche Ballettschule Berlin<br />
und Schule <strong>für</strong> Artistik), Hamburg (Ballettschule Hamburg<br />
/ Ballett John Neumeier) und Stuttgart (John Cranko-<br />
Schule) waren auf Grund der Thematik in diese ersten<br />
Treffen nicht miteinbezogen.<br />
Aufgrund der positiven Resonanz und dem großen Engagement<br />
der teilnehmenden Hochschulen werden die Treffen<br />
der Arbeitsgruppe fortgeführt.<br />
Ich freue mich über direkte Rückmeldungen und lade die<br />
Kritiker gerne zu gemeinsamen Gesprächen ein.<br />
Ingo Diehl Berlin, im Juni 2006<br />
Von der Lola Rogge Schule Hamburg erhielten wir ebenfalls ein<br />
Schreiben – es ist einiges, mit oder ohne »Wissen», in »Bewegung«<br />
gekommen, das dringend der Klärung bedarf!<br />
Leserbrief<br />
An die Redaktion von »Ballett Intern«<br />
Ich bitte um Aufklärung in folgender Sache:<br />
Der diesjährige Tanzkongress in Berlin hatte auch die Thematik<br />
»Tanzausbildung« auf dem Programm. Die Lola Rogge<br />
Schule, Hamburg, war als staatlich anerkannte Berufsfachschule<br />
<strong>für</strong> Tanz und Tänzerische Gymnastik zu diesem<br />
bundesweiten Kongress nicht offiziell eingeladen. Da ich<br />
leider wegen unserer Aufnahmeprüfung am 24.4. nicht in<br />
Berlin sein konnte, bat ich Frau Katja Borsdorf, die u.a.<br />
Absolventin der Lola Rogge Schule ist und langjährige<br />
Tanzpädagogin an unserer Schule war, mich in Berlin zu<br />
vertreten. Sie fragte Frau Hortensia Völckers, warum unsere<br />
Schule nicht eingeladen worden sei und erhielt die Antwort,<br />
der Deutsche Verband <strong>für</strong> <strong>Tanzpädagogik</strong> sei wegen<br />
entsprechender Einladungen angefragt gewesen, hätte<br />
Ballett Intern 4/2006 9
aber nichts von sich hören lassen.<br />
Meine Frage ist nun: Wie konnte das passieren? Wer<br />
kennt die Hintergründe und den Sachverhalt und kann sich<br />
da<strong>für</strong> einsetzen, dass alle Tanzausbildungsstätten in<br />
Deutschland in Zukunft einbezogen werden? Eigentlich<br />
doch der Verband???<br />
Mit Dank im Voraus und freundlichen Grüßen,<br />
Christiane Meyer-Rogge-Turner, Schulleiterin<br />
Hierzu einige Worte in eigener Sache. Eine offensichtliche Fehl-<br />
Information muss zunächst richtig gestellt werden: Weder der<br />
Deutsche <strong>Berufsverband</strong> <strong>für</strong> <strong>Tanzpädagogik</strong> e.V. noch der Erste<br />
Vorsitzende Ulrich Roehm wurden in irgendeiner Form in die Planungen<br />
oder gar Entscheidungen der Verantwortlichen des Tanzkongresses<br />
einbezogen (hier scheint Frau Völckers nicht exakt<br />
informiert worden zu sein), weder die Veranstaltung betreffend<br />
»Tanzausbildung Deutschland – Dance Education in Germany«<br />
(Samstag, 22. April, 15.00 Uhr) noch anlässlich irgendeines<br />
anderen Programmpunktes des Kongresses, es gab keine Kontakte,<br />
abgesehen von einer größeren, allgemeinen »Brainstorming«-Zusammenkunft<br />
im Herbst 2004. (Obwohl sich dies im<br />
Sinne einer Zusammenarbeit im Bereich <strong>Tanzpädagogik</strong> sicher<br />
angeboten hätte.)<br />
Bei der Organisation der Runde »Tanzausbildung Deutschland<br />
– Dance Education in Germany« ist wohl bedauerlicherweise<br />
Einiges nicht bedacht worden. Durch die zeitgleich anberaumte<br />
Sitzung der Bundesdeutschen Ballett- & Tanztheaterdirektoren<br />
Konferenz (BBTK) waren Ballettdirektoren, die gleichzeitig<br />
Schulleiter sind, von vornherein nicht in der Lage, daran<br />
teilzunehmen: Birgit Keil, John Neumeier, Gregor Seyffert …<br />
Seit mehr als zwanzig Jahren bemüht sich die Tanzszene in<br />
Deutschland um Einigkeit. Am 12. März 2006 wurde in Berlin<br />
endlich die »Ständige Konferenz Tanz / SKT« gegründet, die sich<br />
im Rahmen des Tanzkongresses erstmalig öffentlich vorstellte.<br />
Warum wurden dann in der Veranstaltung zur »Tanzausbildung<br />
Deutschland – Dance Education in Germany», und sei es<br />
aus formalen Gründen, während der Tage der Einheit des Tanzkongresses<br />
neue Gräben aufgerissen?<br />
Es ist doch niemandem, weder in der Politik noch in der Tanzszene,<br />
verständlich zu machen, warum zu solch einem »gesamtdeutschen«<br />
Treffen des Tanzes bzw. der Tanzausbildung nur die<br />
Institute mit Hochschul-Status eingeladen werden – und Institute wie<br />
die Ballettschule des Hamburg Ballett / John Neumeier, die Staatliche<br />
Ballettschule Berlin, die John Cranko-Schule, die Lola Rogge<br />
Schule (die einen erheblichen Teil unseres Pädagogen-Nachwuchses<br />
in Deutschland ausbildet), bleiben wegen eines etwas<br />
anderen juristischen Status’ als »Aschenputtel« vor der Tür …<br />
Und es wird verständlicherweise immer wieder gefragt, welcher<br />
Status die Vertreterin des »tanzplan vor ort« Berlin als Teilnehmerin<br />
in dieser die <strong>Tanzpädagogik</strong> in Deutschland repräsentierenden<br />
Runde qualifizierte.<br />
Aus diversen Zuschriften und vielen mündlichen Rückmeldungen<br />
ergibt sich, dass es <strong>für</strong> die verantwortlichen Entscheidungsträger<br />
dieser tanzpädagogischen Runde noch Einiges an<br />
Fragen zu klären gibt im Sinne der erstrebten Einheit des<br />
Tanzes!<br />
Der Stein ist ins Wasser gefallen, es gibt »Bewegung», diese<br />
sollte in ein zweifelsfreies »Wissen« münden!<br />
Wir stehen <strong>für</strong> eine weitere Diskussionen mit unserer der <strong>Tanzpädagogik</strong><br />
verpflichteten Zeitschrift gerne als Forum zur Verfügung.<br />
■<br />
Wer plant schon die<br />
eigene Beerdigung?<br />
International Organization for the<br />
Transition of Professional Dancers<br />
Von Dagmar Fischer<br />
Heute tanz’ ich, morgen prob’ ich, und übermorgen. ..? Holt<br />
mich vielleicht eine Verletzung ein, die das Ende bedeuten<br />
könnte. Aber bloß nicht daran denken. Die viel beschworene<br />
Flüchtigkeit, die der Tanzkunst eigen ist, birgt nicht nur Vergänglichkeit,<br />
sondern wirkt sich auch auf die Zukunft aus. Es gibt<br />
nämlich kaum einen Tänzer, der sich mit der Zeit NACH dem<br />
Tanzen beschäftigen will. »Die Zeit nach der aktiven Tänzerlaufbahn<br />
mag niemand so recht planen», sagt Paul Bronkhorst, seit<br />
fünf Jahren Präsident der IOTPD. »Es ist ähnlich unerfreulich, wie<br />
eine Versicherung <strong>für</strong> die eigene Beerdigung abzuschließen,«<br />
sagt der Niederländer, »und wer plant die schon gern?« Trotzdem<br />
wird er kommen, der Tag des letzten Auftritts, und was<br />
kommt danach? Da die Tänzer selbst sich dieser Frage viel zu<br />
selten stellen, hat es die International Organization for the Transition<br />
of Professional Dancers, die IOTPD, übernommen, Perspektiven<br />
zu ermöglichen.<br />
Transition meint nicht das Verschwinden vom »Markt« durch<br />
Heirat oder Erbschaft, sondern den Wechsel in einen anderen<br />
Beruf, der den ehemaligen Tänzer weiterhin ernährt. Da das<br />
meist noch vor der Lebensmitte ansteht, ist eine wohl überlegte<br />
Entscheidung vonnöten, die noch einige Jahre den Unterhalt sichern<br />
sollte. Großbritannien erkannte als erste Nation Handlungsbedarf<br />
auf diesem Gebiet, schon 1973 wurde eine Organisation<br />
gegründet, die sich als »Dancers’ Resettlement Fund«<br />
dem Problem annahm, sofern es Tänzer der großen englischen<br />
Compagnien betraf; in den achtziger Jahren kam der »Independent<br />
Dancers Trust« <strong>für</strong> Tänzer der freien Szene hinzu. Heute sind<br />
beide Zweige in der Dachorganisation »Dancers’ Career Development«<br />
mit Sitz in London zusammengefasst.<br />
Kanada und die USA riefen vergleichbare Initiativen 1985<br />
ins Leben, ein Jahr später folgten die Niederlande. Gründungen<br />
in anderen Ländern stehen bis heute noch aus, Frankreich und<br />
Australien machen allerdings konkrete Schritte in diese Richtung,<br />
und auch in Deutschland engagieren sich unter der Federführung<br />
von Sabrina Sadowska (Stellvertretende Leiterin des Balletts Vorpommern)<br />
einige Tanzverantwortliche inzwischen <strong>für</strong> die Gründung<br />
einer Organisation hierzulande.<br />
Wegen der extremen Kürze, die der Tänzerberuf nur ausgeübt<br />
werden kann, ist eine Umschulung in relativ jungen Jahren vorprogrammiert,<br />
diese Situation stellt sich so in keinem anderen Beruf.<br />
Die IOTPD begann 1995 ihre Arbeit mit gleicher Zielsetzung,<br />
aber internationaler Reichweite, denn ganz offenkundig machen<br />
weder die Tänzer noch die Probleme vor nationalen Grenzen<br />
halt; Philippe Braunschweig – ehemals Präsident des Prix de<br />
Lausanne – ist dieser Anfang zu danken. Denn ohne grenzüberschreitende<br />
Vereinbarungen können nur solche Tänzer in den<br />
Genuss von Beratung und finanzieller Unterstützung kommen, die<br />
ausschließlich in einem Land gearbeitet und dort auch eingezahlt<br />
haben. Ein Beispiel aus den Niederlanden: Leistungen kommen<br />
nur dem zu Gute, der als frei arbeitender Tänzer selbst 4 % seines<br />
Einkommens zahlt; ein angestellter Tänzer muss 1,5 % aufbringen,<br />
während die Compagnie 2,5 % übernimmt. Nachdem fünf<br />
Jahre lang eingezahlt wurde, hat ein Tänzer Anspruch auf ein<br />
10 Ballett Intern 4/2006
Studium bzw. eine Umschulung, erst nach zehn Jahren erwirbt ein<br />
Beitragszahler auch Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt.<br />
Wohlgemerkt gelten diese Vereinbarungen nur, wenn die Karriere<br />
innerhalb nationaler Grenzen verläuft. Welche Chancen aber<br />
hat ein Tänzer, der aus Ungarn stammt, vier Jahre in England<br />
tanzte und dann in ein Engagement nach Deutschland wechselt?<br />
»Daran werden wir auf unserem nächsten Kongress im kommenden<br />
Jahr arbeiten«, versichert Paul Bronkhorst. Denn ein Tänzer,<br />
der sowohl die Ausbildung als auch seine gesamte Laufbahn in<br />
einem Staat verbringt, ist heutzutage die Ausnahme, ein Nomaden-Dasein<br />
ist gerade in der Tanzbranche die Regel. Und so wird<br />
sich das IOTPD-Treffen 2007 vorrangig der Lösung dieser Aufgabe<br />
widmen, aber auch daran arbeiten, wie man die größtmögliche,<br />
individuelle Hilfestellung geben kann, denn die Vorstellungen,<br />
welcher Beruf nach dem Tanzen folgen könnte, sind weit<br />
gefächert.<br />
Aus seiner Erfahrung als persönlicher Berater in den Niederlanden<br />
kann Paul Bronkhorst von sehr unterschiedlichen zweiten<br />
Karriereanläufen berichten: Ein Ex-Tänzer fliegt inzwischen als<br />
Helikopter-Pilot durch Australien, ein anderer wurde nach vierjährigem<br />
Jura-Studium ein äußerst erfolgreicher holländischer Anwalt.<br />
Zwölf bis 15 Tänzer pro Jahr suchen Rat und konkrete Hilfe<br />
bei der Organisation in Den Haag. »Natürlich kennen immer<br />
noch viel zu wenige von den ca. 500 niederländischen Tänzern<br />
unsere Anlaufstelle. Aber wenn sie den Weg erst einmal gefunden<br />
haben, steht ihn oftmals nur noch das zu geringe Vertrauen<br />
in ihre intellektuellen Fähigkeiten im Wege,« konstatiert Paul<br />
Bronkhorst. »Andererseits haben wir eine hohe Erfolgsquote, von<br />
den umgeschulten Tänzern kommen 80 % innerhalb des ersten<br />
Jahres im neuen Beruf unter. Denn einige Qualifikationen aus<br />
dem ersten Berufsleben zeichnen sie auch im nächsten aus: Tänzer<br />
sind diszipliniert, ehrgeizig, arbeiten meist hochmotiviert und<br />
sind bereit, sich neue Fähigkeiten anzueignen.« Durchschnittlich<br />
kostet die Umschulung eines Tänzers ca. 85.000 Euro, bei der<br />
Finanzierung wird selbstverständlich auch die Zusammenarbeit<br />
mit Arbeitsagenturen gesucht, die im Schnitt 70 % des letzen<br />
Einkommens als Übergang gewähren, allerdings nur <strong>für</strong> ein Jahr;<br />
braucht die neue Qualifikation einen längeren Zeitraum, übernimmt<br />
ihn die jeweilige nationale Organisation. Die IOTPD hingegen<br />
finanziert sich aus Mitgliedschaften: Private Personen<br />
können <strong>für</strong> 75 Dollar jährlich Mitglied werden, das »Hamburg<br />
Ballett« als Compagnie beispielsweise zahlt 275 Dollar im Jahr<br />
(dem Beispiel könnten andere folgen) – und signalisiert damit<br />
auch die Notwendigkeit, dass die Zeit nach der aktiven Tanzlaufbahn<br />
nicht früh genug ins Auge gefasst werden kann. Dazu<br />
noch einmal Paul Bronkhorst in seiner Eigenschaft als Präsident<br />
Paul.Bronkhorst.. (Foto:.Robert.Benschop)<br />
des IOTPD: »Auch das ist ein erklärtes Ziel: Ein Bewusstsein in<br />
der Öffentlichkeit zu verankern, dass Tänzer rechtzeitig die ‚Zeit<br />
danach’ planen müssen. Erst recht, wenn sie keine weitere persönliche<br />
Vorliebe haben und der zweite Beruf quasi erst gefunden<br />
werden muss. Diese Findung ist nicht selten ein Prozess, der<br />
viele Gespräche über einen längeren Zeitraum braucht.«<br />
Auch die IOTPD ist der Auffassung, dass kein Tänzer übergangslos<br />
ins Unterrichten von Tanz wechseln sollte (s. »<strong>Bologna</strong>«),<br />
ohne sich das nötige pädagogische Know-how angeeignet zu<br />
haben. Denn obwohl sich die <strong>Tanzpädagogik</strong> vielleicht auf den<br />
ersten Blick als naheliegendste Fortführung des bisherigen Berufsfeldes<br />
anzubieten scheint, ist <strong>für</strong> das Unterrichten von Tanz, auf<br />
welchem Niveau auch immer, ebenso eine Umschulung notwendig,<br />
die das entsprechende Handwerkszeug vermittelt, wie <strong>für</strong><br />
den angehenden Piloten und den zukünftigen Rechtsanwalt, die<br />
allesamt im »ersten Leben« Tänzer waren. ■<br />
Weitere Informationen: www.iotpd.org (hier sind auch weitere<br />
Links zu verwandten Webseiten zu finden).<br />
In den Niederlanden: Stichting Omscholingsregeling Dansers<br />
(SOD), P.O. Box 85806, 2508 CM The Hague (Netherlands),<br />
Tel. +31(0)7030656 78, www.socialeregelingen.nl<br />
Eine nationale Zweigstelle<br />
der IOTPD <strong>für</strong> Deutschland?<br />
Von Dagmar Fischer<br />
Schon in den neunziger Jahren hatten Ulrike Schmidt, Betriebsdirektorin<br />
des Hamburg Ballett, mit Ulrich Roehm und<br />
Günter Pick erste Schritte zur Gründung einer deutschen Dependance<br />
der IOTPD (International Organization for the<br />
Transition of Professional Dancers) unternommen, einer nationalen<br />
Anlaufstelle <strong>für</strong> die Umschulung von Tänzern in Deutschland.<br />
Damals entschied man sich dagegen, denn die Künstlersozialkasse<br />
– eine einmalige Einrichtung weltweit – deckt<br />
<strong>für</strong> selbständig Arbeitende, also auch <strong>für</strong> Freie aus der Tanzszene,<br />
den entsprechenden Bereich ab. Angestellte Tänzer<br />
wiederum, die ja sozial versichert gearbeitet haben, brauchen<br />
theoretisch nur zur Arbeitsagentur zu gehen, so Günter<br />
Pick, ehemaliger Tänzer und Ballettdirektor, der bis vor<br />
kurzem, nach seiner erfolgreichen Transition noch <strong>für</strong> die ZBF<br />
tätig war. »Wer nicht mehr vermittelbar ist, wie ein verletzter<br />
oder zu alter Tänzer, hat Anrecht auf eine Umschulung, um<br />
wieder ins Arbeitsleben integrierbar zu sein.« Soweit die Theorie.<br />
Und noch 2005 war das wohl auch nicht wirklich problematisch.<br />
Doch seit dem 1. Januar 2006 ist es laut Günter Pick<br />
wesentlich schwieriger, eine Umschulung genehmigt zu bekommen,<br />
was durchaus in Zusammenhang mit Hartz IV gesehen<br />
werden kann. Inzwischen ist es ja schon so, dass der<br />
Staat sogar durchschnittlich gut Verdienende drängt, sich zusätzlich<br />
privat finanziell abzusichern, da Renten, egal ob früher<br />
oder später ausbezahlt, nicht mehr reichen. Für die oftmals<br />
gering verdienenden »Freien« kommt erschwerend hinzu, dass<br />
sie entsprechend wenig einzahlen können, das Eingezahlte<br />
aber immer in Relation zur möglichen späteren Auszahlung<br />
steht.Unter den sich jüngst verschlechternden Bedingungen<br />
ist es also durchaus wieder sinnvoll, über eine deutsche Dependance<br />
der IOTPD nachzudenken. ■<br />
Ballett Intern 4/2006 11
Triumph der Klassik<br />
Die John Cranko-Schule lädt sich Freunde ein<br />
Von Angela Reinhardt<br />
»Zurück zur Klassik!« – der Stuttgarter Schuldirektor Tadeusz<br />
Matacz scheint den Ballett-Trend in den deutschen Theatern wie<br />
Karlsruhe oder Hannover vernommen zu haben. Das Programm<br />
von »John Cranko-Schule & Friends II« (Teil I hatte im Februar<br />
stattgefunden) bestand bis auf ein Werk nur aus klassischem Spitzentanz.<br />
Als exzellentes, homogenes Ensemble zeigte sich dabei<br />
das große Mädchen-Corps der drei oberen Klassen in der<br />
»Glasunov Suite« des früheren japanischen Tänzerstars Hideo<br />
Fukagawa, choreographiert im reinsten Petipa-Stil mit ein paar<br />
Balanchine-Tönungen. Strahlend und mühelos reihten acht Solistinnen<br />
Schwierigkeit an Schwierigkeit; inmitten der großartigen<br />
Ensembleleistung glänzte vor allem Rachele Buriassi, die nächstes<br />
Jahr in die Stuttgarter Compagnie übernommen wird – vom<br />
Typ her eher eine Kitri als eine Giselle, zeigte sie bombensichere<br />
Balancen und feine Phrasierungen.<br />
Statt vieler kurzer Stücke der einzelnen Altersstufen hatten sieben<br />
Pädagogen der Schule ein großes Werk <strong>für</strong> all ihre Schüler<br />
von den acht- bis zu den 16-Jährigen choreographiert. In einfachen<br />
schwarzweißen Trikots zu Ausschnitten aus Knudage Riisagers<br />
Orchesterbearbeitung der Klavieretüden von Carl Czerny<br />
getanzt, ist »Etuden« natürlich von Harold Landers »Etudes«<br />
inspiriert – dieser hochvirtuose Klassiker aus dem Jahr 1948 reiht<br />
die technischen Schwierigkeiten einer Übungsstunde zu einem<br />
fast einstündigen Ballett aneinander. Hier waren es nur zwanzig<br />
Minuten, aber was <strong>für</strong> ein Defilée der hehren Danse d’école!<br />
Nach dem stolzen Lächeln über die Allerkleinsten, die ihre einfachen<br />
Grundübungen so ernsthaft und hingebungsvoll absolvierten,<br />
blieb so manchem Zuschauer der Mund offen angesichts<br />
der blitzsauberen Linien, der bei aller Präzision so ungezwungenen<br />
Leichtigkeit der siebzig Schüler. Und angesichts eines 14jährigen<br />
Japaners, der seine Double Tours perfekter landete als<br />
mancher Erste Solist.<br />
Die »Friends« aus dem Titel standen in diesem Fall <strong>für</strong> ein gemeinsames<br />
Projekt mit drei großen internationalen Schulen: der<br />
kanadischen National Ballet School, der Londoner Royal Ballet<br />
School und der Ballettschule des Hamburger Balletts. Gemein-<br />
»Glasunov.Suite«,.Choreographie:.Hideo.Fukagawa .. (Foto:.Verena.Fischer)<br />
Rachele.Buriassi.und.Clément.Bugnon.in.»Vier.letzte.Lieder«,.Choreographie:.Rudi.van.Dantzig<br />
.. (Foto:.Verena.Fischer)<br />
sam tanzten vier Paare die »Vier letzten Lieder« des heute 72jährigen<br />
Rudi van Dantzig, der ja schon länger nicht mehr choreographiert.<br />
Das Ballett entstand 1977, als die Erben von<br />
Richard Strauss offensichtlich noch nichts gegen die Verwendung<br />
seiner Musik <strong>für</strong> den Tanz einzuwenden hatten. Jedes Lied wird<br />
zu einem Pas de deux, ein sanfter Todesengel nimmt jeweils die<br />
Frau mit sich. Die Choreographie wirkt heute seltsam fahrig – auf<br />
die weiten, elegischen Bögen der Strauss-Musik setzt van Dantzig<br />
viele hektische Schritte, die unermüdliche Betriebsamkeit legt<br />
sich erst im letzten Lied. Aus Kanada beeindruckten der sprungstarke<br />
Reid Colton und Brock Hayhoe als blonder Tod, aus London<br />
die seidenweich fließende Moe Nieda; Stuttgart war mit<br />
Rachele Buriassi und dem zuverlässigen Arman Zazyan vertreten,<br />
der zwar die John Cranko-Schule besucht hat, aber schon<br />
seit zwei Jahren in der Stuttgarter Compagnie tanzt. So ganz<br />
ohne Erklärung wirkte es etwas merkwürdig, dass man ihn den<br />
immerhin sieben männlichen Absolventen der Abschlussklasse<br />
vorzog.<br />
Acht Herren der Akademieklassen tobten sich da<strong>für</strong> mal wieder<br />
im Rausschmeißer »Troy Game« von Robert North aus, ließen<br />
ihre Muskeln spielen und flirteten ganz unverschämt mit dem<br />
Publikum – wenn auch die exakte Motivierung manch witziger<br />
Pointe dabei unterging. Eines aber gab es in<br />
dieser Matineevorstellung nie zu sehen: Zögern,<br />
Bühnenangst, eine entgleisende Mimik.<br />
Die Schüler waren optimal vorbereitet, sie tanzten<br />
souverän und entspannt. Ob es später <strong>für</strong><br />
eine Weltklasse-Compagnie reichen wird oder<br />
ob sie in einem der vielen deutschen Stadttheater<br />
tanzen: Die Absolventen der John Cranko-<br />
Schule sind zuversichtliche, wagemutige Künstler,<br />
die ihren Beruf und die Bühne lieben.<br />
Schuldirektor Tadeusz Matacz hat sich längst<br />
als absoluter Glücksgriff erwiesen. Dass ausgerechnet<br />
Stuttgart und das Land Baden-Württemberg<br />
die zehn Millionen Euro <strong>für</strong> die dringend<br />
erforderliche Erweiterung des veralteten Schulgebäudes<br />
nicht aufbringen können – einen<br />
Bruchteil dessen, was Dresden, Berlin oder<br />
München <strong>für</strong> die Renovierung ihrer Akademien<br />
bereitgestellt haben –, das ist langsam keine<br />
Blamage mehr, sondern eine Schande. ■<br />
12 Ballett Intern 4/2006
ZuKT ohne Zagen<br />
»Tanzmarathon 06« der Hochschule <strong>für</strong><br />
Musik und Darstellende Kunst Frankfurt<br />
Von Melanie Suchy<br />
Die Abkürzung ZuKT steht zwar <strong>für</strong> »Zeitgenössischen und Klassischen<br />
Tanz« und den so benannten Ausbildungsbereich in der<br />
Frankfurter Hochschule. Aber ihr fehlt auch nicht viel zur »Zukunft».<br />
Auch <strong>für</strong> den zukünftigen Tanz muss man ausbilden. Und<br />
so sind die Frankfurter jetzt schon dabei, die Diplom-Ausbildung<br />
umzuwandeln in Richtung Bachelor-Studiengang. Im Herbst<br />
2006 soll es losgehen. Das Leitungsteam der Abteilung um Prof.<br />
Dieter Heitkamp begreift die vom <strong>Bologna</strong>-Prozess angestoßene<br />
Umstellung als Chance, die Struktur und die Inhalte der vierjährigen<br />
Ausbildung zu verbessern. So wird man unter anderem<br />
den Studierenden mehr Theorie und Wissenschaft vermitteln,<br />
und sie werden sich im dritten Ausbildungsjahr spezialisieren<br />
können auf »klassisch« oder mehr »zeitgenössisch« mit entsprechenden<br />
zusätzlichen Lehrangeboten von Technik-Labs bis Stimmbildung.<br />
Dass sich schon die bisherige Ausbildung sehen lassen kann,<br />
zeigte wieder der sommerliche »Tanzmarathon« in der Hochschule,<br />
eines von drei jährlichen ZuKT-Aufführungsprogrammen. Schon<br />
die Zweitsemester liefen mit beim Marathon, und die Achtsemester,<br />
kurz vor ihrem Abschluss, zeigten sich bereit und fähig <strong>für</strong> ihre<br />
eigene Zukunft im Tanz. In einigen Stücken mischten sich die<br />
Jahrgänge oder kamen gar, beim von Prof. Susanne Noodt choreographierten,<br />
diesmal spanisch inspirierten Folklore-Tanz, alle<br />
zusammen. Das zeigt eine innere Durchlässigkeit, die Begabungen<br />
fördert und die bei der großen Spannbreite zwischen<br />
K und Z in der relativ kleinen Hochschule auch nahe liegt.<br />
Kristalline Formen, elegante Girlanden und kecke Knicke aus<br />
Balanchine-Choreographien, neoklassisch auch das Duo von<br />
Prof. Marc Spradling, ein humorvoller<br />
erster Satz aus Jirˇí Kyliáns<br />
»Stamping Ground«, der die Tänzer<br />
aussehen lässt wie eine Mischung<br />
aus Schlagzeuger, Trommel<br />
und dem sprechenden Abstand<br />
zwischen den Tönen; ein fröhliches<br />
Gewusel mit multifunktionalen Plastiksäcken,<br />
synchron getanzten<br />
New-Dance-Einlagen und choreographiertenContact-Improvisations-Begegnungen<br />
in »Bagages«<br />
von Dieter Heitkamp, einem der<br />
Stücke, an der auch die Studierenden<br />
ihren kreativen Anteil hatten.<br />
Der ehemalige Forsythe-Tänzer<br />
Alan Barnes steuerte ein etwas<br />
prätentiöses »4Tease« bei, wo sich<br />
in einer schwülen Atmosphäre etwas<br />
anzustauen scheint, das sich<br />
nie entlädt. Auch Marguerite Donlon,<br />
wiederholt zu Gast in Frankfurt,<br />
will es in »EROS REMIX« und<br />
»Chocolate – bitter sweet« erotisch<br />
prickeln lassen, bei ihr ziehen die<br />
Glieder aus dem Körper, biegt sich<br />
die Hüfte weit aus der Mitte und<br />
Hände berühren Haut, klatschen, gleiten, streicheln. Die Choreographien<br />
und sogar ihre Teile sind unterschiedlicher Qualität,<br />
aber sie stehen ja auch als Werke nicht im Mittelpunkt des<br />
Abends.<br />
In den drei Mal vier Stücken des imposanten Programms gibt<br />
es immer wieder Bilder, Szenen, in denen die Tänzer auf besondere<br />
Weise sichtbar werden und über die Form hinaus in einen<br />
weiteren Raum zu weisen scheinen. Das tänzerische Können<br />
wird dann »unsichtbar», und der Ausdruck kann atmen. Etwa bei<br />
Katharina Wiedenhofer, die in Balanchines »Concerto Barocco«<br />
mit ihrem Solo wie eine Königin, sehr erwachsen und kraftvoll,<br />
den Raum füllt, und Ekaterina Cheraneva, die als Zweitsemester<br />
schon den richtigen Forsythe-Ton, »nichts hält mich auf», trifft. Nur<br />
die Erotik oder etwas wie ein saftiges Körpergefühl vermisst man<br />
bei einigen, die so gut und souverän in allen Stilen geworden<br />
sind, darunter Adam Dembczynski, Xianghui Zeng, Li Tan. Bei<br />
Carla Pulvermacher und Monica Moranelli sieht man, dass so<br />
etwas nicht schmalzig ist, sondern wie ein feines furchtloses Lächeln.<br />
Und Norbert Pape zeigt, nicht nur in seinem eigenen Solo<br />
vom Mai dieses Jahres, sondern auch in Paarkombinationen, mit<br />
Frau oder Mann, wie dringlich, vielseitig und letztlich unbeantwortet<br />
die erotische Frage auf der Bühne ist.<br />
Irritation im besten Sinne brachten auch zwei dunkle Stücke.<br />
Eines von Forsythe, aus »Enemy in the Figure« von 1989, wo<br />
man unsichtbare Dämonen als Gegner ahnt und ein fast asiatischer<br />
Kampfgeist aus Lockerheit und konzentrierter Anspannung<br />
tausend Richtungswechsel ermöglicht. Das andere, »aller simple«<br />
von Toula Limnaios aus Berlin, erzählt mit philosophischer<br />
Gelassenheit von der Brüchigkeit des Seins und des gesellschaftlichen<br />
Miteinanders – in tausend Arten des Zu-Boden-Gehens.<br />
Darunter diese: Männer sitzen und halten je eine stehende Frau<br />
am Knöchel. Sie kippt langsam und gerade zur Seite, landet<br />
gebremst. Nur eine einzige fällt ohne Halt, einsam, hart auf den<br />
Boden. Dass das geht, immer wieder fallen und aufstehen, das<br />
beweist so wunderbar der Tanz. ■<br />
links:.Katarina.Wiedenhofer.in.»Enemy.Variations«.,.Choreographie:.William.Forsythe<br />
rechts:.Friederike.Mauß.und.Ekaterina.Cheraneva.in.»Bagages«.,.Choreographie:.Dieter.Heitkamp<br />
. (Fotos:.Dietmar.Janeck)<br />
Ballett Intern 4/2006 13
Wasser und Zeichen<br />
Die Gegenwart der Vergangenheit beim<br />
Tanzabend der Folkwang-Hochschule<br />
Von Melanie Suchy<br />
Wie zur Mahnung in diesem hellen Sommer kam die Sonne hier<br />
nicht vor: Der Studiengang Tanz der Folkwang-Hochschule<br />
zeigte vor vier Mal ausverkaufter Neuer Aula drei neue Choreographien<br />
vom Folkwang-Absolventen Stephan Brinkmann, von<br />
der Professorin Malou Airaudo und von Susanne Linke. Bei den<br />
beiden ersten regnete es sogar aus den Lautsprechern, akustische<br />
Melancholie.<br />
Malou Airaudo nennt »Windschatten« eine »Hommage an<br />
Jyudz – Kuo-Chu Wu». Der kürzlich verstorbene Choreograph,<br />
der nach seinem Studium in Essen-Werden Ballettdirektor in Kassel<br />
wurde und als Nachfolger von Lin Hwai-Min <strong>für</strong> das weltbekannte<br />
Cloud Gate Dance Theatre im Gespräch war, wurde nur<br />
35 Jahre alt. Das Gedenken von noch jüngeren Tänzern verkörpern<br />
zu lassen, ist riskant, und es wirkt auch durch den pathetischen<br />
Grundton zuweilen etwas unpassend. Sechzehn Tänzerinnen<br />
und Tänzer des dritten Jahrgangs sind mit großem Ernst<br />
dabei in einer Choreographie, die den Einzelnen eher zurücktreten<br />
lässt und die Gruppe über die Bühne bewegt, geschlossen,<br />
aufgebrochen. In allem scheint das Meer zu wogen – wer im<br />
oben.links:.»Windschatten«,.Choreographie:.Malou.Airaudo<br />
oben.rechts:.»Fragmente.–.Skizzen«,.Choreographie.Susanne.Linke<br />
unten:.»Are.you.going.with.me«,.Choreographie:.Stephan.Brinkmann<br />
. (fotos:.Georg.Schreiber)<br />
Windschatten segelt, ist nicht allein. Die Frauen, die zu Beginn<br />
die Arme vor der nackten Brust kreuzen beim Tanzen, wirken in<br />
ihren langen Röcken unbeholfen wie Schiffchen ohne Segel.<br />
Arme, Ärmel, Stabilität entfalten sich später. Wellenschwung<br />
fährt durch Körper und Arme, er scheint auch die ganze Gruppe<br />
oder Teile nach vorn an die Rampe zu treiben, vor und zurück,<br />
so ein Meer hat kein Ende. Zwischen diesen Bildern ewiger<br />
Wiederkehr die leise Geschichte eines Einzelnen, der ins Licht<br />
tritt, hoch schaut, plötzlich am Boden liegt – die anderen strecken<br />
leere Hände vor, heben Hände vor den Mund – und einem<br />
zweiten, der sich trauernd um ihn kümmert und ihn aufhebt. Leider<br />
lässt die Choreographie die Tänzer etwas zu brav wirken.<br />
Stephan Brinkmann zeigt in »Are you going with me« dagegen<br />
große Dynamik und Vielfalt an Bewegungen. Frauen werden<br />
eben mal leicht auf die Schulter genommen, man lehnt sich<br />
aneinander, strebt voneinander weg, rollt, zieht, rennt, lustvolllebendige<br />
spielerische Begegnungen. Wie den zweiundzwanzig<br />
jungen Tänzern des zweiten Jahrgangs in ihre eigene Stimmung<br />
geflochten, ohne theatralische Klischees. Bei plätscherndem<br />
Wasser und Tom-Waits-Blues wird die Atmosphäre nervöser,<br />
eine letzte Umarmung, aus der, dutzendfach, einer wie tot zu<br />
Boden gleitet. Erinnerung, ach, die Liebe entgleitet. Wenig überraschend<br />
und leider wieder so trübsinnig.<br />
Umso überraschender und mehrdimensional das letzte Stück<br />
des Abends von Susanne Linke, Gastprofessorin im Sommersemester<br />
2006. »Fragmente – Skizzen« ist von Fotos mit Mary<br />
Wigman und Skizzen von Dore Hoyer inspiriert. Gemessener<br />
Anfang: Ein Solist, mit Bart und Rockhose wie ein Geistlicher,<br />
baut, sehr akkurat, sich selbst wie ein Bild oder Zeichen auf,<br />
immer deutlich nach vorn hin präsentiert, Unterarm angewinkelt,<br />
Knie geknickt, das andere gestreckt und darüber ein gerader<br />
Arm. Und noch mehr aus einem Repertoire, das fremd wirkt, wie<br />
auf alten Ton geritzt. Eine Art Prophet mit unbekannter oder uralter<br />
Sprache? Während die anderen fünfzehn des vierten Jahrgangs,<br />
ebenso in weiten schwarzen Wickelhosen, sich nicht<br />
sehr beeindrucken lassen. Sie gehen, drehen sich, zucken, liegen,<br />
abwartend auf den Ellbogen gestützt, auf dem Boden oder<br />
recken beide Arme oder eine Faust zum Himmel. Das verströmt<br />
eine rätselhafte Sinnhaftigkeit, und ein feiner Witz ist um den<br />
Mönch mit seinen Buchstaben, die sich wiederholen, variieren<br />
oder auch umkippen. Die übrigen Figuren gewinnen mit der Zeit<br />
an Tempo, Kraft und fragmentierter Bewegung, Freiheit vielleicht.<br />
Archaik, strenge Form, verbindet sich mit etwas sehr Modernem.<br />
Der Wechsel zwischen lauerndem Stillstand im sehr tiefen Plié<br />
und sehr schnellen Bewegungen hat sogar Kampfkunstqualität.<br />
Dem Stück und seinen großartigen Tänzern wünschte man noch<br />
sehr viele Aufführungen. ■<br />
14 Ballett Intern 4/2006
Hanky Panky<br />
mit Sylphiden in<br />
Netzstrümpfen<br />
Die Mannheimer Akademie<br />
des Tanzes beherrscht alle Stile<br />
Von Angela Reinhardt<br />
Anders als bei vielen Hochschulen zur Zeit üblich, wollte sich die<br />
Akademie des Tanzes bei ihrer Schulaufführung nicht auf wenige<br />
große Werke und damit auf eine Auswahl aus dem gelernten<br />
Repertoire beschränken. Beim alljährlichen Gastspiel der Mannheimer<br />
im Stuttgarter Züblin-Haus präsentierte Direktorin Birgit<br />
Keil ihre Akademieklassen in Ausschnitten aus allen Stilarten:<br />
Klassik, Folklore, Jazz und Modern.<br />
Wiederum fiel dabei auf, wie viel Wert in Mannheim auf die<br />
Ports de bras’ gelegt wird – in Ausschnitten aus Fokines »Les<br />
Sylphides« zeigten die vier Solistinnen nicht nur Stilsicherheit und<br />
saubere Fußarbeit, sondern sie charakterisierten die ätherischen<br />
Luftgeister vor allem durch ihre zarten Arme und Hände. Elisiane<br />
Büchele wiederholte den hervorragenden Eindruck im »Dornröschen«-Pas-de-deux,<br />
wenngleich ihr hier ein wenig die Frische,<br />
das Strahlen der glücklichen Prinzessin fehlte. Yi Han war ihr ein<br />
sicherer Partner (die drei »Fische« glückten mühelos), er zeigte<br />
gelungene Sprünge und eine schöne Manège, nur leider verriet<br />
seine Mimik wenig außer großer Nervosität.<br />
Keils Stellvertreterin Rosemary Helliwell hatte ein virtuoses,<br />
schwungvolles Mädchen-Solo und einen empfindsamen Pas de<br />
deux zu einer Mozart-Ariette choreographiert. Mit dem 27-jährigen<br />
Italiener David Nicolas Russo scheint Birgit Keil wieder einen<br />
hoffnungsvollen jungen Choreographen entdeckt zu haben.<br />
Sein Solo »ERstaunt« <strong>für</strong> den schmalen, drahtigen Yao Xuan Mei<br />
und die Ensemblechoreographie »Æternum« bewiesen Sinn <strong>für</strong><br />
die Struktur und Dynamik eines Stücks. Russo choreographiert<br />
ausdrucksvoll und hat augenscheinlich auch intensiv mit den Tänzern<br />
gearbeitet; vielleicht greift er mit den Bezügen auf Kant und<br />
Dante rein philosophisch etwas hoch, aber andererseits lassen<br />
seine Choreographien einen festen künstlerischen Willen erkennen,<br />
ohne Herumtändeln oder ideenloses Nur-Arrangieren.<br />
Yao.Xuan.Mei.in.der.Choreographie.»ERstaunt«.von.dem.erst.27-jährigen.<br />
David.Nicolas.Russo<br />
Einen.Ausschnitt.aus.Fokines.»Les.Sylphides«<br />
Wie viel Spaß die Ausbildung in den Charaktertänzen machen<br />
kann, führten vier Paare in einer Berjoska und einer Troika von<br />
Peter Vondruska vor – waren sie in ersterer noch auf Sicherheit<br />
bedacht, zündete in der zweiten dann das russische Feuer, und<br />
sie warfen sich voll Übermut in die artistischen Einlagen. Auch<br />
der Flamenco »Caña« von Christine Neumeyer glühte nur so vor<br />
spanischem Stolz. Der Knüller des Abends und eine brillante<br />
Idee war die Showtanz-Choreographie »Hanky Panky« zum<br />
gleichnamigen Madonna-Song, von Rosemary Néri-Calheiros<br />
<strong>für</strong> vier langbeinige Girls und zwei verführerische Boys entworfen.<br />
Obwohl es das diametrale Gegenteil zu den Sylphiden<br />
war, die die Mädchen anfangs getanzt hatten, hatten sie größten<br />
Spaß an ihrem Auftritt im Bob-Fosse-Stil und trafen sowohl die<br />
Schnelligkeit wie auch den exaltierten, sinnlichen Stil des Broadway.<br />
Dem tollen Rai Kirchner wollte man danach spontan die<br />
Starkarriere im Showtanz oder beim Musical nahe legen, so<br />
unglaublich viel Rhythmus hat er im Blut. Bei den Herren bestach<br />
auch Johann Hebert durch sichere Hebungen, er ist außerdem<br />
ein exzellenter Flamenco-Tänzer inklusive flammender Augen.<br />
Mit seiner großen Ausdruckskraft könnte man sich ihn zum Beispiel<br />
gut bei Martin Schläpfer in Mainz vorstellen. Bei den Mädchen<br />
gefielen neben den Brasilianerinnen Elisiane Büchele und<br />
Bruna Andrade die beiden Australierinnen Blythe Newman und<br />
Christina Langton. ■<br />
Ralph.Freys.Choreographie.»Zu.Zweit«<br />
. (Fotos:.Akademie.des.Tanzes,.Mannheim)<br />
Ballett Intern 4/2006 15
Ein langer Weg zum Erfolg<br />
Die Tanz Akademie Zürich<br />
Von Jenny J. Veldhuis<br />
Unter diesem Namen hat <strong>für</strong> die ehemalige Schweizer Ballettberufsschule<br />
eine neue Ära angefangen. Die Schule besteht zwar<br />
schon zwanzig Jahre, sie hat aber eine ziemlich abwechslungsreiche<br />
Zeit hinter sich. Abwechslungsreich in jeder Hinsicht.<br />
Schon Ende der siebziger Jahre entstand die Idee, ein Ausbildungsinstitut<br />
<strong>für</strong> Tanz in der Schweiz zu gründen. Eine Gruppe<br />
engagierter Leute des Schweizerischen Dachverbandes <strong>für</strong> Tanz,<br />
zusammen mit Migros und Vertretern des Ballettlehrerverbandes,<br />
damals unter der Direktion von Prof. Drehse vom Opernhaus in<br />
Zürich, setzten sich zusammen, um ein Projekt zu entwickeln. Es<br />
sollte nicht nur eine Tanzfachausbildung werden, sondern nach<br />
dem Vorbild renommierter internationaler Institute, auch die Allgemeine<br />
Schulbildung mit Schulabschlüssen einbeziehen. Außerdem<br />
sollte ein Internat dazu gehören.<br />
Schon wegen des beachtlichen, da<strong>für</strong> notwendigen Budgets<br />
konnte man die Politiker nicht wirklich überzeugen. Die Verhandlungen<br />
wurden hinaus geschoben und kamen schließlich zum<br />
Stillstand. Dann brachte Malou Fenaroli Leclerc, zur Zeit Solistin<br />
beim Schweizer Kammer Ballett in Basel, heute Künstlerische Leiterin<br />
der Cinevox Junior Company, die Idee vom sogenannten<br />
»Infrastructure Sharing« ins Spiel.<br />
Zu dieser Zeit wurde gerade die alte Mühle »Tiefenbrunnen«<br />
in Zürich umgebaut. Der Kern der Idee war, die Infrastruktur, die<br />
zur Erschließung ohnehin geplant war, mit anderen Interessenten<br />
zu teilen. Weil aber die lokalen Ballettschulen nicht unbedingt<br />
begeistert waren, kam der Vertrag mit einem Fitness-Studio als<br />
Partner zustande.<br />
Die Politiker konnte man erst zu einem anderen Zeitpunkt zu<br />
überzeugen.<br />
Dabei waren drei Punkte sehr wichtig:<br />
a. Die gesamte Tanzszene der Schweiz sollte hinter diesem Projekt<br />
stehen.<br />
b. Eine Persönlichkeit von internationalem Rang und Namen<br />
müsste die Schule leiten.<br />
c. Ein Bedürfnisnachweis müsste erbracht werden.<br />
So wurde am 7. April 1986 die Ballettberufsschul-AG, Zürich<br />
gegründet, Gründungsmitglieder waren Malou Fenaroli, Hans<br />
W. Schmidig und Bruno Frölig.<br />
Migros machte jedoch zur Bedingung, dass dieses Projekt<br />
einen nationalen Charakter haben sollte, und so wurde die Schule<br />
am 31. Oktober 1990 in eine Stiftung mit dem Namen<br />
»Schweizerische Ballettberufsschule« umbenannt. Dem Stiftungsrat<br />
gehörten die drei ursprünglichen Gründer an, dazu kamen<br />
Philippe Braunschweig, Heinz Spoerli, Ursula Mürkens und Dieter<br />
Reich. Als erste Schulleiterin konnte man Anne Woolliams <strong>für</strong><br />
das Projekt gewinnen. Sie hatte schon große Erfahrung mit der<br />
Gründung der Cranko-Schule in Stuttgart und der Leitung der<br />
Australian Ballet School. Sie begann 1987, weil sich jedoch<br />
das Projekt nicht nach ihren Wünschen entwickelte, verließ sie<br />
Zürich bereits zwei Jahre später wieder. Ljuba und Pierre Dobrievitch<br />
übernahmen die Leitung 1989, traten aber 1994 in den<br />
Ruhestand. Denise Welter führte ab 1995 die Schule, zusammen<br />
mit Heinz Spoerli als künstlerischem Leiter und Charles Gebhard<br />
als Stiftungspräsidenten im Hintergrund. Die Schule befand<br />
sich inzwischen tief in den roten Zahlen. Maßnahmen zu deren<br />
Reduzierung mussten also ergriffen werden.<br />
Als Heinz Spoerli im Jahr 2000 Alex Ursuliak in die Schweiz<br />
holte, kam Ricardo Duse mit, man konnte nur hoffen, dass es<br />
jetzt aufwärts gehen würde.<br />
Die Schule brauchte nicht nur eine erfahrene Leitung, die einzige<br />
Überlebenschance bestand in der Integration in die Hochschule<br />
<strong>für</strong> Musik und Theater. Diese Integration wurde unterstützt<br />
von Charles Gebhard, heute Präsident des Prix de Lausanne.<br />
Am 13. Februar 2001 wurde die Schule dann auch offiziell<br />
in die Hochschule <strong>für</strong> Musik und Theater aufgenommen, als eigenständiges<br />
»Departement Tanz«. Damit war zwar die Struktur<br />
gerettet, nicht aber die Leitung der Schule, denn auch Ursuliak<br />
verließ die Schweiz 2002.<br />
Bis eine neue Leitung gefunden war, übernahm Ricardo Duse<br />
sie stellvertretend. Und wie bei so manchen Problemen, kam<br />
auch hier die Lösung ganz unerwartet. Man konnte Oliver Matz,<br />
Kammertänzer der Berliner Staatsoper, und seine Partnerin Steffi<br />
Scherzer gewinnen, sich <strong>für</strong> die Schule ab 2004 einzusetzen.<br />
Beide wurden an der Staatlichen Ballettschule Berlin ausgebildet,<br />
die es ihnen ermöglichte, eine internationale Tanzkarriere<br />
aufzubauen, dort lernten sie auch die einzig richtige Struktur einer<br />
Ballett-Ausbildung kennen. Sehr wichtig ist es beiden, auch<br />
in Zürich eine integrierte Ausbildung von Tanz und Allgemeiner<br />
Bildung zu erreichen.<br />
Neben hochkarätigem Tanzunterricht liegt ihnen das Wohlbefinden<br />
der Schüler sehr am Herzen. Dazu sollte eine ausgewogene<br />
Balance zwischen künstlerischer und menschlicher<br />
Entwicklung angestrebt werden. Neben der Vermittlung von<br />
Tanztechnik wollen sie die Schüler zu selbständig denkenden<br />
Individuen zu erziehen, damit sie sich in der heutigen, nicht<br />
unbedingt einfachen Tanzwelt eine Karriere aufbauen können.<br />
16 Ballett Intern 4/2006
Wer anno 2006 die Schule besucht, wird erstaunt sein, was<br />
sich innerhalb dieser kurzen Zeit entwickelt hat. Man bemerkt sofort,<br />
Schüler und Dozenten arbeiten in einer angenehmen Atmosphäre.<br />
Die Schüler brauchen nicht herausgefordert zu werden,<br />
denn sie arbeiten, weil sie es gerne tun. Der Kontakt zwischen<br />
Dozenten und Schülern ist sehr positiv, und keiner <strong>für</strong>chtet sich<br />
davor, einen Dozenten oder auch einen Gast anzusprechen.<br />
Auch wenn die Rahmenbedingungen momentan nicht unbedingt<br />
ideal sind, (es gibt kein Internat, keinen Aufenthaltsraum,<br />
keine Kantine) sie finden sich damit ab, weil der Tanz ihnen<br />
wichtig ist.<br />
Die lange Hin- und Rückreise, das Hin- und Herrennen zwischen<br />
Schule und Tanz verlangt ihnen viel ab. Dies sind dann<br />
auch die wichtigen Probleme, die Matz und Scherzer innerhalb<br />
kurzer Zeit bestens zu lösen hoffen.<br />
Dass man sich die Räume mit einem Fitness-Studio teilen muss,<br />
ist an sich nicht schlimm, aber die ständigen Abstimmungen sind<br />
aufwändig. Der wirklich große Schritt in die Zukunft ist der Einzug<br />
in ein speziell <strong>für</strong> die Hochschule umgebautes Gebäude.<br />
Es handelt sich dabei um eine ehemalige Molkerei, ein sehr<br />
großes Gebäude, in dem man zehn Ballettsäle, eine Kantine,<br />
Aufenthaltsräume, Garderoben usw. zur Verfügung haben wird.<br />
In Kürze alles, was man sich wünschen kann. Damit man sich<br />
jedoch unterscheidet von den Gebieten Musik und Theater, hat<br />
Oliver Matz darauf bestanden, der Tanzausbildung innerhalb<br />
der Hochschule einen eigenen Namen zu geben. Ab diesem<br />
Jahr heißt sie denn auch »Tanz Akademie Zürich« (TAZ).<br />
Bis man in die neue Hochschule einziehen kann, hat man<br />
eine Zwischenlösung gefunden.<br />
Ab nächstem September hat man vier große Ballettsäle, einen<br />
Aufenthaltsraum und eine Kantine zur Verfügung im Media Campus<br />
in Zürich-Altstätten. Die Schule zählt im Augenblick 60 Schüler,<br />
zehn Dozenten und sechs Pianisten. Mehr als 80 Schüler<br />
möchte man eigentlich gar nicht, sonst leidet die individuelle<br />
Zuwendung im Unterricht.<br />
Die Schule beginnt mit Vorbereitungsklassen <strong>für</strong> die Altersstufe<br />
zwischen neun und elf Jahren. Dann folgt das Grundstudium der<br />
12- bis 15-Jährigen und schließlich das Hauptstudium <strong>für</strong> die<br />
15- bis 19-Jährigen, es wird abgeschlossen mit dem Kantonal<br />
anerkannten »Diplom <strong>für</strong> Bühnentanz«.<br />
Man untersucht momentan, ob dieses Diplom in der Zukunft<br />
einem »Bachelor of Arts« vergleichbar gemacht werden kann.<br />
Das Studium ist nicht schulgeldfrei. Es gibt aber viele Möglichkeiten,<br />
ein Stipendium zu erhalten, wie z. B. das Migros-Tanzstipendium.<br />
Jährlich wird entschieden, wer weiter studieren kann<br />
und ob ein anderer Weg <strong>für</strong> einen Schüler eventuell sinnvoller<br />
ist.<br />
Am Ende meines Besuchs hatte ich Gelegenheit, die jährliche<br />
Schulvorstellung »Fußspuren« zu sehen. Professor Daniel Fucter,<br />
Rektor der Hochschule <strong>für</strong> Musik und Tanz, gab in seiner Eröffnungsrede<br />
einen kurzen Rückblick auf die 20 Jahre der Schweizer<br />
Berufsballettschule.<br />
Er dankte der anwesenden Gründerin, Malou Fenaroli, mit<br />
einem Blumenstrauß <strong>für</strong> ihre Initiative. Oliver Matz erweiterte diese<br />
Danksagung und erklärte den neuen Namen der Schule: TAZ.<br />
Auch konnte er stolz mitteilen, dass sich von den acht Abiturienten<br />
sechs auf einen Vertrag freuen können in Compagnien, u.a.<br />
in Zürich, Prag, Essen und Kiel.<br />
Das Programm zeigte ein sorgfältiges Gleichgewicht zwischen<br />
Klassischem und Modernem Tanz. Ein lupenrein getanztes<br />
Pas de Deux aus »Dornröschen«, getanzt von einer 17-jährigen<br />
Schülerin und einem 18-jährigen Schüler, eröffnete das Programm.<br />
Ein nicht nur tänzerisch perfektes, sondern vor allem sehr<br />
musikalisch getanztes Solo aus »La Fille Mal Gardée«, getanzt<br />
von einem noch nicht einmal 16-jährigen Schüler, der die Zuschauer<br />
sehr rührte. Die Jungens zeigten sich sehr stark und voller<br />
Energie in »Keith« von Birgit Scherzer, während die Mädchen im<br />
humorvollen »How come, You Don’t Call Me«? von Kelvin Hardy<br />
tanzten. Neben verschiedenen klassischen und modernen Variationen<br />
ging das Programm zu Ende mit einem speziell <strong>für</strong> diese<br />
Vorstellung von Ricardo Duse choreographiertem Ballett <strong>für</strong> alle<br />
Schüler, »Les Petits Riens«.<br />
Obwohl auch die Schweizer Schule dem globalen »Studenten-Tourismus«<br />
nicht entkommen kann, gibt es heute mehrere<br />
tanzbegabte Schweizer unter den Schülern.<br />
Wer, speziell nach der Vorstellung, noch fragt: «Können die<br />
Schweizer eigentlich tanzen und in der Schweiz ausgebildet<br />
werden?«, braucht nur die Zürcher Schule im Auge zu behalten.<br />
Sie wird es schaffen, und sie ist es wert, dass man sie allseits<br />
unterstützt. ■<br />
Ballett Intern 4/2006 17
Maler, Rehe und<br />
jede Menge Tänzer<br />
Erste Norddeutsche Tanztage<br />
in Worpswede 25. bis 28.5.2006<br />
Von Dagmar Fischer<br />
War das denn nötig, noch ein neues Seminar-Tanztreffen ins Leben<br />
zu rufen? Ja, unbedingt! Denn erstens gibt es weit und breit<br />
kein Angebot im norddeutschen Raum (jenes in Salzau existiert<br />
nicht mehr), und zweitens gab der enorme Andrang an Teilnehmern<br />
dem Pilotprojekt mehr als recht. Für alle Interessierten mit<br />
Wohnort südlich von Dortmund ist zwar Bregenz die bewährte<br />
Anlaufstelle. Aber <strong>für</strong> die Bremer, Münsteraner und Hamburger<br />
ist das einfach zu weit weg. Also machten sich Ursula Neuhaus<br />
und Ulrich Roehm mit dem Finger auf der Landkarte auf die Suche<br />
nach einem geeigneten Standort. Und wurden in Worpswede<br />
fündig. Dort war alles, was den engagierten Pädagogen <strong>für</strong><br />
die konzentrierte Fortbildung von Kindern und Jugendlichen vorschwebte:<br />
Eine Jugendherberge, mehrere Hallen in gutem Zustand,<br />
eine attraktive Umgebung <strong>für</strong> die Freizeitgestaltung – und<br />
bei Worpswede kam die Vergangenheit als Künstler-Treffpunkt<br />
noch bedeutungsvoll hinzu.<br />
Doch auch das reichte der verantwortungsvollen Ursula Neuhaus<br />
nicht, die sich seit Jahren im Deutschen <strong>Berufsverband</strong> <strong>für</strong><br />
<strong>Tanzpädagogik</strong> <strong>für</strong> den Nachwuchs stark macht. »Dass die Jungen<br />
und Mädchen ein paar Tage tolle, neue Tanzideen kennen<br />
lernen, war mir nicht genug. Sie sollten sich unter ihresgleichen<br />
wirklich wohl fühlen, Kontakte knüpfen können, rundherum neue<br />
Erfahrungen machen. Und die Eltern sollten uns ihre Kinder gerne<br />
und mit gutem Gewissen <strong>für</strong> vier Tage anvertrauen – ohne<br />
sich Sorgen zu machen, was in der unterrichtsfreien Zeit alles<br />
passieren könnte.« Für diese Zeit hatte Ursula Neuhaus vier erfahrene<br />
Betreuer engagiert, die allen zur Verfügung standen. Sie<br />
machten nicht nur abwechslungsreiche Angebote von Basteln<br />
über Schwimmen bis Kanufahren, sondern hatten auch jederzeit<br />
ein offenes Ohr, trösteten und halfen – mehr oder weniger rund<br />
um die Uhr. Nur die geplante Nachtwanderung fiel ins (Regen-)Wasser,<br />
einer der Unterschiede zu Bregenz ist halt das<br />
Wetter und der frühe Zeitpunkt im Mai.<br />
Apropos früh: Die Frühaufsteher unter den Dozenten des<br />
Teams konnte man beim Joggen im Morgennebel ausmachen.<br />
Das berühmte Künstlerdorf Worpswede liegt malerisch im flachen,<br />
norddeutschen Land, im Frühling hängt es prall voller Blüten,<br />
duftet und hat am Morgen eine unvergleichliche Stimmung.<br />
Und mit etwas Glück begegnet man Rehen am Ortsrand.<br />
Das Besondere an den Kursen war, dass man sie nur im Paket<br />
buchen konnte. Pädagogisch besonders wertvoll deshalb, weil<br />
die Dreier-Kombination der Fächer »Ballett-Freier Tanz-Folklore«<br />
zwangsläufig alles schult, was der junge Mensch so braucht. Für<br />
die Älteren bzw. Fortgeschrittenen war das Bündel mit »Ballett-<br />
Spitzentanz-Tanztheater« geschnürt. Jazztanz und Musical konnte<br />
jede Alterstufe zusätzlich wählen.<br />
Chesse Rijst traf beim Musicaltanz genau den richtigen Ton –<br />
vor vielen müden Gesichtern um 8.30 Uhr kein leichtes Unterfangen.<br />
Doch mit der »West Side Story« motivierte er die über 40<br />
Teilnehmer, ließ sie kämpfen, Rivalitäten zeigen, auch wenn Tanzen<br />
mal in Rempeln überging. Die Großen trafen eher den Ausdruck,<br />
da<strong>für</strong> hatten die Kleinen den Text der Folge sicher, wenn<br />
Sharks und Jets (nur scheinbar feindlich) gegeneinander antraten.<br />
»Ihr lügt! Und ich hasse Lügen. Aber ich liebe Diskussion, so<br />
talk to me!« Klare Anweisungen, hinter denen sich anspruchsvolle<br />
Herausforderungen verbargen – Annie Rogers konnte man<br />
18 Ballett Intern 4/2006
nicht missverstehen. Wenn die Körper logen, weil sie nur so<br />
taten als ob, dann sah sie das sofort, folglich wollte die Pädagogin<br />
wissen, woran es denn läge, wenn’s nicht klappt. In einem<br />
solchen Fall brach sie eine Trainingsfolge unter Umständen bis<br />
zu sechs Mal ab, weil es wenig Sinn macht, falsche Bewegungen<br />
einzuüben. Ihr klassisches Training ist hart, präzise sind<br />
ihre Angaben, und häufig fiel das Wort Gesundheit: Annies Augen<br />
entging nicht die kleinste Fehlbelastung, und sie achtete<br />
darauf, dass sich niemand Schaden zufügte.<br />
Hannah Gentle schaffte, wovon andere weiterhin nur träumen:<br />
Jugendliche <strong>für</strong> Folklore zu begeistern. Mit Teenagern legte<br />
sie eine Tarantella hin, die beachtlich war. Typisch im Stil, abwechslungsreich<br />
im Raum, altersgerecht im Niveau – und allen<br />
schien es auch noch Spaß zu machen! Um die rhythmische Präzision<br />
schon bei den Jüngeren zu erreichen, baute sie in ihren<br />
Unterricht immer wieder Phasen ein, in denen alle vorm Klavier<br />
saßen und sich mit dem Pianisten »unterhielten»: Phrasen von<br />
acht Zeiten mussten durch Klatschen nachgeahmt, aber durchaus<br />
auch selbst erfunden werden, damit andere sie wiederholen<br />
konnten. Solche Übungen schulten enorm das Ohr und die<br />
Wahrnehmung <strong>für</strong> Metrum, Rhythmus und Phrasierung – und war<br />
doch ein Spiel <strong>für</strong> die Kinder.<br />
Begrüßung, Besäufnis, Streit, Schlägerei – die Rede ist nicht<br />
vom Fehlverhalten einiger Teilnehmer, sondern vom Tanztheater,<br />
das Günther Rebel mit den Fortgeschrittenen einstudierte. Eine<br />
von Breakdance durchzogene Partyszenerie zu Musik von Rossini<br />
stellte er auf die Beine, und das Ergebnis war ebenso verblüffend<br />
wie unterhaltsam. Dass der ehemalige Tänzer zunächst und<br />
unbeirrt an der Qualität einer Bewegung arbeitet, dann erst deren<br />
Dauer und Platzierung im Raum festlegt, machte sich auch<br />
schon bei den Jüngeren bezahlt, die sich allesamt in schleichende<br />
Panther verwandelten: geschmeidiges Schreiten, Fauchen,<br />
Kratzen und plötzliches Hochschnellen, und sogar der<br />
Stolz trotz Gefangenschaft ist erkennbar – es handelte sich nämlich<br />
um eine Raubkatze hinter Gittern.<br />
»Warum soll eigentlich ich immer die Lehrerin sein? Wer ist<br />
jetzt mal Lehrerin?« Da sich drei Kinder meldeten, teilte Ulla<br />
Wenzel die große in drei Klein-Gruppen ein, so kam jedes mutige<br />
Kind zu seinem Recht. Die Pädagogin ist inzwischen eine<br />
Instanz in Deutschland, wenn es um Methodik und Didaktik im<br />
Kindertanz geht, bekannt und beliebt <strong>für</strong> ihre unkonventionelle,<br />
aber immer warmherzige Art. Dass es ihr ausschließlich um die<br />
Kinder geht, um deren persönliche Erfolgserlebnisse, dass sie<br />
die individuelle Entwicklung fördert und kein Kind an einem übergeordneten<br />
Ziel wie »Das solltest du in deinem Alter aber können«<br />
misst, macht Ulla Wenzels Unterricht in Freiem Tanz aus.<br />
Ob bei den Jüngsten ab acht Jahren oder vor pubertierenden<br />
Teenagern, sie findet die passende, liebevoller Anrede, die trotzdem<br />
klar erkennen lässt, dass sie ihre Schüler ernst und durchaus<br />
in die Pflicht nimmt.<br />
Bei einer Aufführung am vierten und letzten der Tanztage<br />
zeigten alle Gruppen ihre Ergebnisse, vor kritischem und dennoch<br />
wohlwollendem Publikum.<br />
Nun ist der Norden nicht mehr verwaist, denn im kommenden<br />
Jahr wird es die Zweiten Norddeutschen Tanztage in Worpswede<br />
geben, so viel ist sicher. ■<br />
Hannah.Gentle.(o .li .).unterrichtet.Folkloretanz;.Günther.Rebel.(o .re .).vermittelt.Tanztheater,.Chesse.Rijst.(u<br />
.li .).erarbeitet.ein.Stück.aus.dem.Musical.<br />
„West.Side.Story“,.und.Ulla.Wenzel.(u .Mi .,.re .).arbeitet.im.Freien.Tanz.mit.<br />
Kindern.jeglichen.Alters,.in.Worpswede.mussten.sie.mindesten.acht.Jahre.<br />
alt.sein .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (Fotos:.Lea.Fischer)<br />
Ballett Intern 4/2006 19
»Carmina Burana«<br />
in Berlin<br />
Viertes Tanzprojekt mit Royston Maldoom<br />
und den Berliner Philharmonikern<br />
Von Brigitte Macher<br />
Im Gegensatz zu den bisherigen Tanzprojekten mit den Berliner<br />
Philharmonikern (Strawinskys »Frühlingsopfer« 2003, Ravels<br />
»Daphnis und Chloe« 2004, Strawinskys »Feuervogel« 2005)<br />
erzählt »Carmina Burana« keine Geschichte, sondern schildert<br />
das Leben mit seinen Freuden und Leiden, die zufällige Bestimmtheit<br />
des Menschen durch das Schicksal. Glücksgöttin Fortuna<br />
dreht gleichgültig das Schicksalsrad. Weh dem, den das Glück<br />
verlässt, wie den armen König auf einem mittelalterlichen Fresko<br />
einer westfälischen Dorfkirche. Die Krone ist ihm vom Haupt gefallen.<br />
Ihm gegenüber der glückliche König auf der Höhe seiner<br />
Macht. Ein Knabe klammert sich an das Rad, Fortuna anstarrend<br />
und alles von ihr erwartend. Der Tor! Er sollte sich lieber der<br />
Fürsprache der Heiligen anvertrauen, als der gnadenlosen Fortuna<br />
– so die christliche Mahnung.<br />
Das Bild könnte auch jene mittelalterliche Handschrift aus<br />
dem Kloster Benediktbeuren illustrieren, die Carl Orff zu seinem<br />
bekanntesten und berühmtesten Werk inspirierte, und die zu<br />
den populärsten klassischen Musikstücken zählt. Seit seiner Uraufführung<br />
1937 in Frankfurt wurde es sowohl in Deutschland<br />
(Mary Wigman 1943) wie in Europa, speziell aber auch in<br />
den USA von namhaften Choreographen als Ballett gestaltet. Sir<br />
Simon Rattle, Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, hatte<br />
Orffs Werk <strong>für</strong> das diesjährige Education Project ausgewählt.<br />
Die Choreographie <strong>für</strong> die Aufführungen am 13. und 14. Mai<br />
2006 stammte wiederum von dem bekannten britischen Choreographen<br />
und Tanzpädagogen Royston Maldoom, der seit 30<br />
Jahren weltweit mit Jugendlichen, häufig in sozialen Brennpunkten,<br />
arbeitet. Maldoom griff dabei auf seine früheren Choreographien<br />
der »Carmina Burana« zurück. Er selbst leitete Proben<br />
und Aufführung, unterstützt von den deutschen Tanzpädagogen<br />
Volker Eisenach und Anja Müller. Die Berliner Philharmoniker<br />
spielten unter Sir Simon Rattle, 200 Berliner Schülerinnen und<br />
Schüler tanzten, 170 Schulkinder sangen, unterstützt vom Berliner<br />
Rundfunkchor (Leitung Simon Halsey). An zwei Abenden<br />
! !<br />
W I C H T I G – T E R M I N Ä N D E R U N G<br />
<strong>Deutscher</strong> Tanzpreis 2007<br />
<strong>Deutscher</strong> Tanzpreis »Zukunft« 2007<br />
Mitgliederversammlung des DBfT<br />
Samstag, 27./28. April 2007<br />
feierten je 3000 Zuschauer die Akteure, unter ihnen eine Gruppe<br />
von Senioren und zwei semiprofessionelle Tanzcompagnien.<br />
»Bild und Wort überfielen mich», sagte Carl Orff nach der<br />
ersten Beschäftigung mit dem von Mönchen und Studenten verfassten<br />
lateinischen, altfranzösischen und mittelhochdeutschen<br />
Texten, und er traf dabei eine sorgfältige Auswahl. Klang und<br />
Text überfallen auch heute den Gleichgültigsten, der diese Musik<br />
zum ersten Mal hört und jedes Mal neu von ihr gepackt wird. Da<br />
haben es die Tänzer nicht leicht, die Dominanz der rauschhaften<br />
Klänge, der betörenden Melodien zu durchbrechen. Doch kommt<br />
dem Tanz die besondere Funktion zu, die kaum verständlichen<br />
Texte in lebendige Bilder umzusetzen, die im Gedächtnis haften:<br />
ineinander wogende Massen, die unablässig von den Seiten<br />
nachdrängen, sich Fortuna entgegen werfen, Verzweifelte, Mühselige<br />
und Beladene. Über allen kreist eine blutrote Fahne, das<br />
Rad der Fortuna als Verhängnis? Kreisend in bedrohlichen Ostinati,<br />
hämmernd im Rhythmus jagt und bedrängt die Musik die<br />
Tänzer. »Oh Fortuna! Wie der Mond so veränderlich, wächst du<br />
immer oder schwindest. Rad, du rollendes! Schlimm dein Wesen,<br />
dein Glück nichtig, immer im Zergehen«. Auch die Tänzer kreisen,<br />
formieren sich zum Rad, finden sich im Reigen. Die Mädchen<br />
kokettieren, locken die zunächst schüchternen Jungen aus<br />
der Reserve. »Sie tanzen graziös, wenn es gelungen ist, die Blockaden<br />
zu beseitigen«, sagt der Zauberer Royston Maldoom,<br />
dem dies bei der »Carmina Burana« besonders gut gelingt.<br />
Szenisch passiert viel, spontan, natürlich, unroutiniert. Das<br />
macht den Charme der jungen Tänzer aus. Die besonders intensive<br />
Wirkung der Choreographie erklärt Volker Eisenach aus der<br />
musikalischen Gliederung der Komposition in zahlreiche kleine<br />
Musikstücke. Das Werk besteht aus drei Teilen. Im ersten schildert<br />
der Text das Erwachen der Natur. Der Frühling schenkt neuen<br />
Mut und der Jugend die Verheißung der Liebe. Der zweite Teil »In<br />
Taberna« führt die groben, sinnlichen Freuden vor. Aber wie bewegt<br />
sich ein Betrunkener, wie tanzt ein Mönch? Da kann sich<br />
die Phantasie entfalten. Und der arme kleine Schwan, der von<br />
den Zechern verspeist wird, er mahnt Vergänglichkeit und Flüchtigkeit<br />
der Schönheit an, ein Vanitas-Motiv. Der dritte Teil gilt der<br />
Verherrlichung der Liebe in all ihren Facetten. Schmelzende Melodien,<br />
lyrische Passagen geben Gelegenheit, solistisch hervorragende<br />
Leistung zu zeigen, wie jene von den Mitgliedern der<br />
»Faster-Than-Light-Dance-Company«.<br />
Umrahmt werden die drei »magischen Bilder« von resignativer<br />
Anklage. »Wie den Wackeren das Schicksal hinstreckt, alle<br />
klagt mit mir», skandieren die Chöre zu Beginn und am Ende.<br />
Doch dem setzt der Choreograph Royston Maldoom sein pädagogisches<br />
Credo entgegen: »Trefft selbst die Entscheidung, ob<br />
das Schicksal euch bestimmen soll, oder ob ihr nicht lieber das<br />
Schicksal, euer ganz persönliches Schicksal, bewusst in die<br />
Hand nehmen wollt». Auch Carl Orff glaubte an das schöpferische<br />
Potenzial des Menschen und wollte ihm helfen, es musika-<br />
20 Ballett Intern 4/2006
lisch zu entfalten. Das verbindet den Komponisten mit dem Choreographen<br />
über ein halbes Jahrhundert hinweg.<br />
1996 hatte Royston Maldoom die »Carmina Burana« mit<br />
Straßenkindern in Äthiopien einstudiert. Seine Arbeit in den Problemvierteln<br />
Berlins, welche die musikalischen Education Projects<br />
der Berliner Philharmoniker ergänzt, zeigt Erfolg. Ein wachsender<br />
Prozentsatz der Teilnehmer möchte im nächsten Jahr wieder<br />
mit dabei sein. Ungefähr 50% bringen also Tanzerfahrung mit.<br />
Manche, die es ernst meinen, können in der »Faster-Than-Light-<br />
Dance-Company» 1 und der »TanzTangente» 2 regelmäßig und<br />
kostenlos weiter tanzen und auch eine Tanzkarriere vorbereiten.<br />
Was aber alle mitnehmen, ist die Erfahrung von Tanz und Musik<br />
als Bereicherung ihres ganzen Lebens. Das Glück, das daraus<br />
erwächst, kann Fortuna nicht beeinflussen. ■<br />
1 Die Faster-Than-Light-Dance-Company ist eine erfolgreiche<br />
Tanzgruppe auf dem Gebiet des Jugendtanzes. Geleitet wird<br />
sie seit 1994 von Volker Eisenach, der in seiner choreographischen<br />
Arbeit an den integrativen Ansatz seines Lehrers<br />
Royston Maldoom anknüpft. Ein Merkmal aller Projekte von FTL<br />
ist die Arbeit mit Tänzern unterschiedlicher Leistungsniveaus<br />
(Amateur- und Profitänzer, Anfänger und Fortgeschrittene). Die<br />
Company wurde 1992 gegründet und hat seitdem jährlich<br />
zwei bis vier Produktionen der Öffentlichkeit vorgestellt.<br />
Faster-Than-Light-Dance-Company<br />
Volker Eisenach, Senftenberger Ring 78, 13435 Berlin<br />
Telefon: +49(0)30 4022172, Fax: +49(0)30 4569157<br />
info@ftl-online.com. www.ftl-online.com<br />
2 tanztangente ist eine Schule <strong>für</strong> Erwachsene und Kinder<br />
sowie ein Fortbildungszentrum <strong>für</strong> Lehrer und eine Studiobühne<br />
<strong>für</strong> Choreographen des Zeitgenössischen Tanzes. Sie ist<br />
seit 25 Jahren in Berlin ansässig,<br />
Tanz Tangente – Studio <strong>für</strong> modernen Tanz GmbH<br />
Kuhligkshofstraße 4 (im Steglitzer Kreisel), 12165 Berlin<br />
Telefon +49(0)30 7929124, Fax +49(0)30 7923633<br />
info@tanztangente.de, www.tanztangente.de<br />
Prof ..Vladimir.Klos.(rechts).–.das.<br />
Bild.zeigt.ihn.mit.Prof ..Dr ..Lothar.<br />
Späth. und. Prof .. Birgit. Keil. (Foto:.<br />
Archiv.Tanzstiftung.Birgit.Keil)<br />
Perfekt beim Partnern<br />
Vladimir Klos zum Sechzigsten<br />
Von Angela Reinhardt<br />
Wenn man von jemand das perfekte Partnern lernen kann, dann<br />
von ihm: Vladimir Klos ließ seine Ballerinen schweben und wie<br />
auf Wolken wieder landen, sicherer als bei ihm konnte sich eine<br />
Tänzerin nicht fühlen. Fast dreißig Jahre lang war der große, gut<br />
aussehende Tscheche der ständige Tanzpartner von Birgit Keil in<br />
Stuttgart und auf zahlreichen Gastspielreisen, heute steht er ihr<br />
als Professor in Mannheim und als künstlerischer Berater der Ballettdirektion<br />
in Karlsruhe zur Seite.<br />
Ausgebildet wurde er am Konservatorium und am Nationaltheater<br />
seiner Heimatstadt Prag, wo er dann kurz Mitglied des<br />
Prager Studio-Balletts war, bevor er 1968 mit 22 Jahren nach<br />
Stuttgart kam. 1973 wurde er zum Solisten ernannt. Von Anfang<br />
an tanzte Klos in Stuttgart mit Birgit Keil, in allen Handlungsballetten<br />
waren sie ein festes Paar, und auch ihre Karrieren beendeten<br />
sie Mitte der neunziger Jahre im Grunde gemeinsam. Klos<br />
tanzte die klassischen Prinzenrollen und war bei seinen Porträts<br />
der Cranko-Helden Romeo, Petrucchio und Onegin immer darauf<br />
bedacht, die Charaktere menschlich erscheinen zu lassen,<br />
ihr Handeln bis ins Letzte begreiflich zu machen. Er kreierte zahlreiche<br />
Rollen in Stuttgart, so in Jiri Kyliáns »Rückkehr ins fremde<br />
Land« oder in Glen Tetleys »Voluntaries». John Neumeier schuf<br />
zwei besonders schöne Parts <strong>für</strong> ihn, die bis heute von seiner<br />
Charakterisierung geprägt sind: den sorglosen Gaston in<br />
»Die Kameliendame« und den unbeholfenen, fast groben und<br />
doch so verletzlichen Mitch in »Endstation Sehnsucht». Sein Können<br />
als Schauspieler und eine wunderbare Selbstironie bewies<br />
Vladimir Klos auch als eitler russischer Ballerino in der Musicalproduktion<br />
»On Your Toes« sowie in Hans van Manens »Sonntag«<br />
mit Marcia Haydée.<br />
Nachdem er schon in seiner Zeit als Tänzer immer wieder<br />
pädagogisch tätig war, wurde Klos 1997 als Dozent und 2000<br />
als Professor an die Akademie des Tanzes in Mannheim berufen,<br />
wo er natürlich auch Pas de deux unterrichtet. Und selbstverständlich<br />
steht er Birgit Keil in Karlsruhe zur Seite, als künstlerischer<br />
Berater der Ballettcompagnie und neuerdings auch als<br />
Kostüm- und Bühnenbildner – <strong>für</strong> ein Spektrum von Klassik bis<br />
Moderne, wie früher als Tänzer. Am 1. Juli 2006 feierte Vladimir<br />
Klos, der noch immer in Stuttgart wohnt, seinen sechzigsten Geburtstag.<br />
■<br />
Ballett Intern 4/2006 21
Entfesselter Maskensturm<br />
Ausstellung »Entfesselt« und Aufführung<br />
»Maskensturm« spielen sich zu<br />
Von Dagmar Fischer<br />
Sie heißen »Toboggan«, »Springvieh« und »Bibo«, und sie waren<br />
die Stars der Ausstellung »Entfesselt – Expressionismus in<br />
Hamburg um 1920«. Von Februar bis Juni 2006 war die sensationelle<br />
Schau im Hamburger Museum <strong>für</strong> Kunst und Gewerbe<br />
zu bewundern. Bibo und seine Freunde sind mit Namen versehene<br />
Ganzkörpermasken, Jahrzehnte lang hatten sie in Kisten<br />
auf einem der zahlreichen Dachböden des Museums unbeachtet<br />
geschlummert, um erst 1988 per Zufall wiederentdeckt zu<br />
werden. Eine kleine Präsentation erfolgte gleich 1989, eine<br />
weitere 1996. Doch erst jetzt, im Jahr 2006, wurden alle damals<br />
gefertigten Figuren des Künstlerpaares Lavinia Schulz und<br />
Walter Holdt in restauriertem Zustand präsentiert. Und in nachgebauten<br />
Zweitkostümen wurde sogar versucht, die Tänze von<br />
damals zu rekonstruieren – aber das ist ja bekanntlich ein Kapitel<br />
<strong>für</strong> sich.<br />
Welche materiellen Möglichkeiten hat wohl ein Künstlerpaar,<br />
das kaum genug zu essen hat, aber unbedingt aufwendige Masken<br />
herstellen will, die den gesamten menschlichen Körper verkleiden?<br />
»Bibo« beispielsweise besteht aus Sackleinen, Paketband,<br />
Draht, Wolle, Wachs, Holz und Schnallen. Das sagt<br />
jedoch im Grunde wenig: »Bibo« ist ein liebenswerter Kerl mit<br />
knallroter, spitzer Nase, abstehenden Haaren, einem groben<br />
Körper und riesigen Füßen.<br />
Bis zu seinem gewaltsamen Tod 1924 stellte das Ehepaar<br />
unter schwierigsten Bedingungen insgesamt 16 solcher Vollmasken<br />
her, mit ihnen traten sie zu den legendären Hamburger<br />
Künstlerfesten auf – sie lehnten es jedoch ab, Geld <strong>für</strong> ihre Kunst<br />
zu verlangen.<br />
Lavinia Schulz und der wenige Jahre jüngere Walter Holdt<br />
hatten sich nicht gesucht, aber in Lothar Schreyers Theatergruppe<br />
gefunden. Schreyer leitete ab 1918 in Hamburg die »Sturmbühne«,<br />
schon von ihm stammte die Einstellung: »Jedes Schaffen<br />
von Kunstwerken ist unvereinbar mit einer Arbeit um des Geschäftes<br />
willen.« In Aufzeichnungen von Lavinia Schulz ist nachzulesen,<br />
wie sie ihre Aufgabe verstand: »Kunst ist schwer und<br />
soll anstrengen, sonst taugt sie nichts.« Und: »Ich will die Sorge!«<br />
Die bekam sie. Nicht nur in Form des unermüdlichen, aber<br />
vergeblich um Anerkennung ringenden Kunstschaffens, das<br />
nichts zum Lebensunterhalt beitrug. Auch eine unkünstlerische Arbeit<br />
– Walter Holdt stammte aus eine Kaufmannsfamilie – war<br />
ihrer Lebensauffassung nach inakzeptabel. Und vom sporadischen<br />
Lob der Presse ist noch niemand satt geworden. Als<br />
1923 der gemeinsame Sohn Hans Heinz geboren wurde, änderte<br />
sich das Leben radikal: Weniger Zeit <strong>für</strong> die Kunst, da<strong>für</strong><br />
mehr Existenznöte, eine unzufriedene Künstlerin als Mutter, die<br />
den Mann aus dem Haus grault, so dass noch weniger Zeit <strong>für</strong><br />
die gemeinsame künstlerische Arbeit bleibt. Auch Eifersucht soll<br />
eine Rolle gespielt haben, als Lavinia Schulz ihren vermutlich<br />
schlafenden Mann Walter Holdt im Juni 1924 erschießt und<br />
danach die Waffe gegen sich selbst richtet. Der knapp einjährige<br />
Sohn überlebt.<br />
In der damaligen Künstlerszene war das Paar Schulz/Holdt<br />
eine durchaus geachtete Größe, er war wahrscheinlich der bessere<br />
Tänzer, sie die begnadete Schneiderin. Das Herzstück der<br />
Ausstellung sind die Masken und Skizzen des Künstlerpaares,<br />
doch eingebunden sind sie in die expressionistische Strömung,<br />
die damals in Hamburg wie überall jede Kunstrichtung erfasste:<br />
Theater, Malerei, Literatur und Bildhauerei, ja sogar ein Raum mit<br />
typischen Möbeln und Stoffmustern konnte eingerichtet werden.<br />
Zeitlich schlug die Ausstellung den Bogen vom verheerenden<br />
Erlebnis des Ersten Weltkriegs bis zum Beginn der Nazizeit. Neben<br />
den zahlreichen Exponaten dokumentierten Filme die komplexe<br />
Entwicklung, sie halfen sehr, die politischen und gesellschaftlichen<br />
Veränderungen mit den Ereignissen in der Hamburger<br />
Kunstszene in Zusammenhang zu bringen.<br />
Natürlich dominierte auch in der Hansestadt zu jener Zeit die<br />
neue Generation der Ausdruckstänzer, der sich zum Beispiel die<br />
überregional bekannten Geschwister Gertrud und Ursula Falke<br />
früh anschlossen, auch Rudolf von Laban gründete seine Schule<br />
hier schon 1922. Insofern hatten es jene außerhalb dieses<br />
22 Ballett Intern 4/2006
Impressionen.von.der.Ausstellung.»Entfesselt«:.Von.links.nach.rechts.tanzen.<br />
hier.„Bibo“,.„Zwei.Insektentänzer“,.die.gespenstergleiche.„Sie“,.„Toboggan.Frau“.und.„Toboggan.Mann“.sowie.die.„Kleine.Technik“,.die.durch.<br />
Alltagsfundstücke.wie.Garnröllchen.behängt.ist.und.einen.Kerzenständer.<br />
als.Auge.hat .. (Fotos:.Lea.Fischer)<br />
Mainstreams schwieriger, Oskar Schlemmer, der »Das Triadische<br />
Ballett« 1922 schuf, verteidigte diese andere Kunstauffassung,<br />
der auch Schulz und Holdt zugerechnet werden können:<br />
»Warum Ballett? das doch, wie man sagt, tot ist oder<br />
stirbt? Weil die Hochblüte der Ballettkunst allerdings längst vorüber,<br />
das alte höfische Ballett allerdings tot ist, aber die völlig<br />
veränderten Voraussetzungen, die in unserer Zeit beschlossen<br />
liegen, sehr wohl an eine Erneuerung dieser besonderen Kunstform<br />
Ballett glauben lassen können: Weil in heutiger Zeit der<br />
rhythmischen Gymnastik, der daraus entwickelten Bewegungschöre<br />
und der vielbegangenen Wege zu Kraft und Schönheit<br />
wohl erlaubt ist, an die andere Seite, den Gegenpol zu<br />
erinnern: an den einmal sehr volkstümlich gewesenen bunten<br />
Mummenschanz, an den theatralischen Kostümtanz und demgemäß<br />
an ein in neuem Sinn zum Leben zu erweckendes Ballett.<br />
Weil die Lust am bunten Spiel, an der Verkleidung, Vermummung,<br />
Verstellung, Künstlichkeit zu den unausrottbaren menschlichen<br />
Eigentümlichkeiten gehört, ebenso wie der Sinn <strong>für</strong> das<br />
Festliche, <strong>für</strong> den Augenschmaus und den farbigen Abglanz<br />
dieses Lebens.« (Zitat aus: Oskar Schlemmer, Briefe und Tagebücher<br />
– Eintrag vom 5. Juli 1926, herausgegeben von Tut Schlemmer,<br />
Stuttgart 1977. Oskar Schlemmer arbeitete bis 1933 am<br />
Bauhaus, auch Lothar Schreyer, Lehrer von Lavinia Schulz, wurde<br />
an die berühmte Kunstschule berufen.)<br />
Der »Maskensturm« fegte an drei Abenden über die Bühne<br />
der Hochschule <strong>für</strong> Theater und Musik Hamburg. Studenten hatten<br />
sich an das Projekt der Rekonstruktion gemacht. Nur zu wenigen<br />
der in den zwanziger Jahren aufgeführten Tänzen war die<br />
Musikbegleitung bekannt, noch dünner war die Quellenlage in<br />
Bezug auf das Bewegungsmaterial. Erschwerend hinzu kam,<br />
dass Kostüme auch unter verschiedenen Namen auf unterschiedlichen<br />
Festen aufgetaucht sind. Zwar geben Name (»Springvieh«)<br />
und Beschaffenheit (in den schweren, blauen Ritter »Skir-<br />
nir« konnte man nur im Liegen schlüpfen) auch Hinweise auf<br />
Bewegungen bzw. schließen andere aus. Doch zeigte der<br />
»Maskensturm« nicht nur, wie ein Tanz des »Toboggan« vielleicht<br />
hätte aussehen können, er gestaltete auch sehenden Auges neu<br />
und ergänzte die darstellerische Präsentation um projizierte Texte<br />
von Lavinia Schulz, die manchmal mehr Einblick in die Arbeit<br />
gaben als die bewegten Kostüme, in denen heutige Studenten<br />
steckten. Das Masken-Paar »Mann und tote Frau« ist vielleicht<br />
sogar wirkungsvoller als ruhendes Kunstwerk im Museum als in<br />
Aktion, denn vor Publikum soll es ausschließlich ein unentwegtes<br />
Fallen und Wiederaufstehen der Frau vor dem unbeweglichen<br />
da stehenden Mann gewesen sein. Die beiden Kostüme sind,<br />
wie die meisten anderen auch, auf die Körpergrößen von Schulz<br />
und Holdt zugeschnitten – das tragische Ende der Beziehung<br />
kennend, bekommt die verzweifelt sich abmühende Frau eine<br />
zusätzliche Dimension.<br />
»Entfesselt« war nicht nur die Phantasie der Künstler des Expressionismus,<br />
sondern noch andere Kräfte in Deutschland. Die<br />
Ausstellung und die begleitenden Rekonstruktions-Abende »Maskensturm«<br />
sowie Vorträge eröffneten ein tieferes Verständnis <strong>für</strong><br />
diesen wild bewegten Zeitabschnitt.<br />
Literatur<br />
Entfesselt, Expressionismus in Hamburg um 1920, herausgegeben<br />
vom Museum <strong>für</strong> Kunst und Gewerbe Hamburg, 2006, anlässlich<br />
der gleichnamigen Ausstellung<br />
Deutsches Tanzarchiv Köln, Athina Chadzis, Die expressionistischen<br />
Maskentänzer Lavinia Schulz und Walter Holdt, Frankfurt/Main<br />
1998<br />
! !<br />
W I C H T I G – T E R M I N Ä N D E R U N G<br />
<strong>Deutscher</strong> Tanzpreis 2007<br />
<strong>Deutscher</strong> Tanzpreis »Zukunft« 2007<br />
Mitgliederversammlung des DBfT<br />
Samstag, 27./28. April 2007<br />
Ballett Intern 4/2006 23
Ta Med<br />
Hilfe <strong>für</strong> eine sich selbst<br />
bedrohende Gattung<br />
Die Tagung der TaMeD,<br />
Tanz Medizin Deutschland, in Stuttgart<br />
Von Richard Merz<br />
Wiederum kamen viele Tanzinteressierte zum Symposium von<br />
TaMeD, diesmal nach Stuttgart. Einerseits ist es hocherfreulich,<br />
dass die Sorge um die Gesundheit der Tanzenden<br />
so weit verbreitet ist, andererseits ist es betrüblich,<br />
dass angesichts der im Grunde unverantwortbaren<br />
Häufigkeit von berufsbedingten Unfällen in der<br />
Tanzszene die Tanzmedizin zu einer so unabdingbaren<br />
Notwendigkeit in diesem Kunstbereich geworden<br />
ist.<br />
Medizin ist <strong>für</strong> TaMeD ein sehr weit gefasster<br />
Begriff. Nicht nur die Schulmedizin wird dazu gerechnet.<br />
Auch viele bewegungstherapeutische Verfahren<br />
werden einbezogen, ebenso wie anatomiegerechte<br />
und damit die Gesundheit schonende<br />
praktische Tanzausübung. Und auch Themen und<br />
Methoden aus psychisch-geistigen Bereichen kommen<br />
zur Sprache, so dass bei TaMeD praktisch<br />
sichtbar der Versuch zu einer umfassend ganzheitlichen<br />
Medizin gewagt wird.<br />
Entsprechend vielfältig war das von Elisabeth<br />
Exner-Grave, Richard Gilmore und Liane Simmel<br />
zusammengestellte Programm der diesjährigen Veranstaltung,<br />
die unter dem Titel »Rückgrat zeigen.<br />
Die Wirbelsäule aus tanzmedizinischer Sicht« vom<br />
26. bis 28. Mai in verschiedenen Räumen des<br />
Württembergischen Staatstheaters stattfand.<br />
Einundzwanzig Vorträge, fünfundzwanzig Workshops<br />
und drei Arbeitskreise wurden angeboten,<br />
von zweiundvierzig Fachleuten aus Tanzmedizin und Sportmedizin,<br />
Orthopädie und Rheumatologie, Akupunktur und Homöopathie,<br />
Psychologie und Physiotherapie, Tanzwissenschaft und<br />
<strong>Tanzpädagogik</strong>, Bewegungstherapien verschiedener Provenienz<br />
wie Feldenkrais, Pilates, Alexander, Spiraldynamik.<br />
Von Vortragenden und Zuhörenden erforderte das Symposium<br />
konzentrierte Aufmerksamkeit. Die Redezeit <strong>für</strong> einen Vortrag betrug<br />
zwanzig Minuten. Und aus der Mitte der ersten Zuhörerreihe<br />
wurde freundlich unerbittlich darüber gewacht, dass die Redezeit<br />
streng eingehalten wurde. Das garantierte fast<br />
ausnahmslos eine große, manchmal fast zu gedrängte Informationsdichte<br />
und ließ in der pausenlosen Folge von Vorträgen innerhalb<br />
eines Blockes fast keine Diskussion zu.<br />
Doch waren es in sehr vielen Fällen die Vortragenden, die<br />
auch einen Workshop oder eine Arbeitsgruppe leiteten. Und<br />
hier, bei meist beschränkter Zahl der Teilnehmenden und einer<br />
Dauer von fünfundsiebzig oder gar neunzig Minuten, ergab sich<br />
in den meisten Fällen Zeit und Gelegenheit <strong>für</strong> Fragen und Vertiefung.<br />
In diesen Workshops wurden Erkenntnisse erarbeitet, aber<br />
auch praktische, oft sehr intensive und anregend schweißtreibende<br />
Bewegungsarbeit geleistet.<br />
Dem Thema des Symposiums entsprechend wurden vor allem<br />
– aber nicht ausschließlich – verschiedenste Aspekte aus dem<br />
Bereich der Wirbelsäule dargestellt, von ihrer allgemeinen Entwicklung<br />
im Kindesalter bis zu tanzspezifischen Belastungen und<br />
Problemen sowie verschiedensten Ansätzen zu deren Lösung<br />
oder mindestens Entlastung. Die Materie wurde als belegt gesicherte<br />
Erkenntnis präsentiert, wie etwa »Der Quadratus lumborum<br />
Muskel – versteckter Stärker des Rückgrats», immer wieder<br />
aber auch als offene Frage, wie etwa »Der gerade Rücken –<br />
eine intelligente Entwicklung im Tanz?« oder »Tanzen mit Skoliose:<br />
Rückgrat stärkend oder Rückgrat schädigend?».<br />
Rund hundertunddreißig Menschen hatten sich in Stuttgart zusammengefunden,<br />
um am Symposium teilzunehmen, die Mehrzahl<br />
aus dem Bereich des praktischen Tanzens in Performance<br />
und Unterricht, aber auch viele aus dem im Sinne von TaMeD<br />
weit gefassten Bereich der Medizin. Voraussetzung<br />
und Garant <strong>für</strong> ein so durchgehendes Gelingen war<br />
wiederum eine bis in alle Einzelheiten vorbildlich<br />
durchdachte und durchgeführte Organisation, die<br />
nach der einjährigen Vorbereitungszeit von den Verantwortlichen<br />
drei Tage pausenloser Präsenz und<br />
Hilfs- und Auskunftsbereitschaft erforderte, die auch<br />
bis zuletzt immer heiter und freundlich entgegenkommend<br />
gewährleistet war. Und neben der Fülle der<br />
geistigen Nahrung war auch <strong>für</strong> eine in Preis und<br />
Qualität angemessene Verpflegung gesorgt. Und<br />
auch <strong>für</strong> ein Abendprogramm, in dem »Der Sandmann«<br />
des Stuttgarter Balletts und eine »Get Together<br />
Party« <strong>für</strong> »alle Teilnehmer des Symposiums<br />
im größten Ballettsaal des Stuttgarter Ballettes« angeboten<br />
wurde.<br />
Seit der Gründung vor bald zehn Jahren ist<br />
TaMeD zu einer wesentlichen Institution im und <strong>für</strong><br />
den Tanz geworden. Sie wird auch von den politisch<br />
und kulturell »Mächtigen« nicht nur wahr, sondern<br />
auch ernst genommen. Das zeigt sich sowohl<br />
in geistiger wie auch in praktischer Unterstützung<br />
von dieser Seite her. So fehlte im Programmheft nicht<br />
eine Grußadresse von Dr. Monika Stoll MdL, Ministerin<br />
<strong>für</strong> Arbeit und Soziales in Baden-Württemberg,<br />
und von Reid Anderson, dem Intendanten des Stuttgarter<br />
Balletts, sowie von Hans Tränkle, dem Geschäftsführenden<br />
Intendanten der Staatstheater Stuttgart, welche die notwendige<br />
große Zahl von Räumen <strong>für</strong> die Durchführung des<br />
Symposiums zur Verfügung stellten.<br />
Schon bevor die Stuttgarter Tage begonnen hatten, waren<br />
bereits die Vorarbeiten <strong>für</strong> das nächste Symposium geleistet worden,<br />
denn Titel und Ort der Veranstaltung konnten dort bekannt<br />
gegeben werden. Das IX. Symposium findet vom 18. bis zum<br />
20. Mai im nahe gelegenen Ausland statt, in Basel nämlich, und<br />
soll sich mit dem Thema »Nervensache Tanz« befassen. Der Titel<br />
erscheint auch auf französisch: »La danse: une affaire de nerfs»,<br />
denn, um der Sprachensituation in der Schweiz Rechnung zu<br />
tragen, soll die ganze Veranstaltung zweisprachig durchgeführt<br />
werden. Alle Achtung!<br />
TaMeD möchte auch in Basel ein reichhaltiges Programm präsentieren,<br />
mit »medizinischen, wissenschaftlichen und pädagogischen<br />
Arbeiten, deren Ziel es ist, Prävention, Therapie und<br />
Training der Tänzer zu verbessern». Wer immer interessiert und<br />
qualifiziert ist, einen solchen Beitrag zu leisten, kann Vorschläge<br />
<strong>für</strong> Posterpräsentationen, Vorträge, Workshops und Arbeitskreise<br />
bis zum 1. August 2006 bei TaMeD einreichen. Detaillierte Angaben<br />
finden sich unter www.tamed.de. ■<br />
24 Ballett Intern 4/2006
Bei der jährlichen Kritikerumfrage<br />
der Zeitschrift »theater pur« ist in<br />
diesem Jahr Pina Bauschs Tanztheater<br />
Wuppertal zur besten Tanzcompagnie<br />
gewählt worden. Zu den<br />
weiteren Nominierungen der fünf<br />
Tanzkritiker zählten u.a. Azusa<br />
Seyama (Beste Tänzerin), Rainer<br />
Behr und Dominique Mercy (Bester<br />
Tänzer), »Vollmond« (Bestes Stück<br />
und beste Choreographie). »Voll-<br />
»Rough. Cut«. –. Ein. Stück. von. mond», die diesjährige Urauffüh-<br />
Pina. Bausch. mit. der. Tänzerin:. rung, wird in Wuppertal wieder<br />
Regina.Advento.<br />
vom 28. September bis 1. Oktober<br />
(Foto:.Ursula.Kaufmann) 2006 zu sehen sein.<br />
Fünf Jahre lang hat die Hamburger Filmemacherin Katharina Otto-<br />
Bernstein den Bühnenregisseur Robert Wilson – der im Oktober<br />
2006 seinen 65. Geburtstag feiert – <strong>für</strong> ihren Film mit der Kamera<br />
begleitet. Entstanden ist das Portrait eines Künstlers, der als<br />
schüchterner Außenseiter in Texas aufwuchs und später mit seinen<br />
bahnbrechenden Inszenierungen die Theaterwelt veränderte. Neben<br />
Wilson selbst kommen Zeitzeugen, Kollegen und Weggefährten<br />
im Film »Absolute Wilson« zu Wort, so z. B. der Musiker<br />
David Byrne, die Publizistin Susan Sontag, der Komponist Philip<br />
Glass, die Opernsängerin Jessye Norman und der ehemalige Intendant<br />
der Pariser Oper, Charles Fabius. Mit Werken wie »Einstein<br />
on the Beach« oder dem sehr tänzerischen »Black Rider«<br />
schrieb Wilson Theatergeschichte, durch seine Arbeit mit Lernbehinderten<br />
machte er, der selbst unter einer Sprachbehinderung litt,<br />
sich international einen Namen. Kinostart ist der 12.10.06,<br />
Moira Shearer starb am 31. Januar 2006 in Oxford, kurz nach<br />
ihrem 80. Geburtstag. Die gebürtige Schottin wurde durch den<br />
Film »Die roten Schule« 1948 weltbekannt, zur Rolle der Victoria<br />
Page hatte man die Tänzerin allerdings erst überreden müssen.<br />
Nach ihrer Tanzausbildung wurde sie beim Sadler’s Wells Ballet<br />
engagiert, dem späteren Royal Ballet. Sie tanzte in Choreographien<br />
von Ashton, Helpmann, de Valois und Massine, drehte bis<br />
1960 nach dem enormen Kinoerfolg auch weitere Filme. Die<br />
vierfache Mutter zog sich Anfang der sechziger Jahre ins Privatleben<br />
zurück, schrieb nur noch Kolumnen <strong>für</strong> den »Daily Telegraph«<br />
und hielt Vorträge und Lesungen zum Thema Ballett.<br />
Am 19. Juni 2006 wäre Gerhard Bohner 70 Jahre alt geworden.<br />
Der klassisch ausgebildete Tänzer kam über Engagements<br />
in Mannheim und Frankfurt 1961 an die Deutsche Oper Berlin,<br />
wo er zehn Jahre vor allem im Charakterfach tanzte. 1964 begann<br />
er mit eigenen Choreographien, 1972 löste er sich bewusst<br />
aus dem Theaterbetrieb: Er ging mit einer kleinen Gruppe<br />
Gleichgesinnter nach Darmstadt um zu zeigen, dass Tänzer<br />
mehr können, als Balletteinlagen in Operninszenierungen liefern.<br />
Das Tanztheater Darmstadt leitete er bis 1975, von 1978 bis<br />
1981 übernahm er zusammen mit Reinhild Hoffmann das Bremer<br />
Ballett. Als freier Choreograph hatte er es in der Folgezeit<br />
schwer, mit »Abstrakten Tänzen« und den Rekonstruktionen der<br />
Bauhaustänze machte er die Öffentlichkeit noch einmal auf sich<br />
aufmerksam. Gerhard Bohner starb 1992.<br />
Der Film »Rhythm is it!« machte Royston Maldoom international<br />
bekannt. Doch auf das, was er damals in Berlin mit Kindern und<br />
Jugendlichen auf die Beine stellte, möchte der britische Choreograph<br />
nicht reduziert werden. »Community Dance« heißt sein<br />
Arbeitsfeld, und eine Community meint Junge und Alte, Gesunde<br />
und Kranke, vom Leben Beschenkte und auch Benachteiligte. Im<br />
jüngsten Projekt »Can Do Can Dance« wird Royston Maldoom in<br />
Hamburg mit vier erfahrenen Kollegen fünf verschiedene Gruppen<br />
unterrichten: Senioren, Grundschüler, Menschen mit Behinderung,<br />
junge Migrantinnen und männliche Jugendliche ohne<br />
Schulabschluss; die Proben beginnen am 24.8., über drei Wochen<br />
hinweg wird täglich mehrere Stunde getanzt, und am Ende<br />
des Prozesses wird Royston Maldoom alle fünf Gruppen <strong>für</strong> eine<br />
Aufführung zusammenführen, die im September im Hamburger<br />
Schauspielhaus gezeigt wird.<br />
Von Anfang bis Ende in Englisch,<br />
und doch <strong>für</strong> Danceteachers sicher<br />
hochinteressant, ist das soeben<br />
erschienene Buch »Anne<br />
Woolliams – Method of Classical<br />
Ballet«. Anne Woolliams war an<br />
John Crankos Seite, als er das<br />
Stuttgarter Ballett aufbaute, und<br />
sie wurde zur prägenden Pädagogin<br />
nicht nur in seiner Stuttgarter<br />
Schule, sondern auch in Melbourne<br />
und in Zürich. Die 300<br />
Seiten starke Veröffentlichung gibt<br />
einmalige Einblicke in das Lehrsystem<br />
von Anne Woolliams, im<br />
Grunde steckt eine ganze Tänzerausbildung darin, denn der<br />
Aufbau eines Trainingsprogramms über den Zeitraum von neun<br />
Jahren ist beschrieben. Anne Woolliams war bis zu ihrem Tod im<br />
Jahre 1999 Mitglied im Deutschen <strong>Berufsverband</strong> <strong>für</strong> <strong>Tanzpädagogik</strong>.<br />
Anne Woolliams, Method of Classical Ballet, (in engl. Sprache),<br />
ISBN 3-935456-11-5, München 2006, 48 Euro<br />
Professionelles Tanzen ist nicht gesundheitsschädigend, wenn<br />
die körperlichen Voraussetzungen beachtet werden. Das ist die<br />
grundsätzliche Aussage in der 3., vollständig überarbeiteten und<br />
erweiterten Auflage des Buches von Dr. med. Josef Huwyler,<br />
dem Züricher Facharzt <strong>für</strong> Orthopädie FMH und Ballettspezialist.<br />
Dieses grundlegende Lehrbuch der Anatomie und Sportmedizin<br />
ist aus der jahrzehntelangen Arbeit des Autors mit Tänzern hervorgegangen.<br />
Es vermittelt Tanzpädagogen, professionellen<br />
Tänzern und Tanzschülern praktisch nutzbare Kenntnisse über<br />
ihren Körper, die direkten Bezug zu ihrer Arbeit haben. Der verständliche<br />
und ausführliche Text wird durch zahlreiche Abbildungen<br />
veranschaulicht. Das Buch dient aber auch dem Arzt als<br />
Leitfaden <strong>für</strong> seine Lehrtätigkeit an Ballettschulen. Ein umfangreiches<br />
Literaturverzeichnis bietet die Möglichkeit zu weiteren<br />
Informationen.<br />
Josef Huwyler, Tanzmedizin – Anatomische Grundlagen und<br />
gesunde Bewegung, 190 S., zahlr. Abb., broschiert, Bern u.a.<br />
2004, ISBN 3-456-84134-5, 34,95 Euro<br />
Ballett Intern 4/2006 25
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