Grundschule aktuell 113
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www.grundschulverband.de · Februar 2011 · D9607F<br />
<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong><br />
Zeitschrift des Grundschulverbandes · Heft <strong>113</strong><br />
Gut für wen und<br />
kompetent für was?<br />
Gute Aufgaben und Kompetenzorientierung
Liebe Mitglieder des Grundschulverbandes,<br />
die allgemeine Kostenentwicklung macht leider auch<br />
vor gemeinnützigen Vereinen nicht halt und belastet<br />
vor allem im Porto-, Material- und im Dienstleistungsbereich<br />
auch unseren Etat.<br />
Wir sind aber weiterhin bestrebt, nicht nur unsere Leistungen<br />
zu halten, sondern sie stetig zu steigern und<br />
ihre Qualität zu erhöhen. Wir haben die Ausstattung unserer<br />
Bücher attraktiver gemacht, ihnen auch öfter eine<br />
CD zusätzlich beigelegt, den jährlichen Gesamtumfang<br />
der Zeitschrift erweitert, die Öffentlichkeitsarbeit vorangetrieben<br />
und die Kommunikation auf der Homepage<br />
ausgebaut.<br />
Dies alles ist – selbst bei größten Einsparungsanstrengungen<br />
– mit den bisherigen Beiträgen, die wir drei Jahre<br />
konstant gehalten haben, nun nicht mehr zu leisten.<br />
Die Delegiertenversammlung hat daher auf ihrer Sitzung<br />
im Mai 2010 die Erhöhung der Mitgliederbeiträge<br />
wie folgt beschlossen:<br />
Mitgliedsbeitrag monatlich 5,50 € (bisher 4,49 €)<br />
ermäßigter Beitrag monatlich 3,25 € (bisher 2,75 €)<br />
für Arbeitslose, Studierende, Lehrantsanwärter/-innen<br />
und in der Elternzeit / bitte belegen<br />
Förderbeitrag mind. monatlich 3,25 €<br />
Fördermitglieder unterstützen die Ziele des Vereins, erhalten viermal<br />
jährlich die Mitgliederzeitschrift und <strong>aktuell</strong>e Informationen<br />
Die Beiträge werden als Jahresbeitrag (66,– € / ermäßigt:<br />
39,– €) abgebucht oder in Rechnung gestellt, sie<br />
können beim Finanzamt mit der Steuererklärung geltend<br />
gemacht werden.<br />
Von Mitgliedern aus dem Ausland werden wir künftig<br />
die Mehrkosten für das Auslandsporto von 12,– € einfordern<br />
müssen.<br />
Wir bitten Sie für diese sicher unpopuläre, aber leider<br />
auch unumgängliche Maßnahme um Verständnis und<br />
hoffen, dass Sie trotzdem in Treue zu unserer gemeinsamen<br />
Sache stehen, »die pädagogisch begründeten<br />
Ansprüche der Kinder dieser Schulstufe zu vertreten,<br />
die Grundschulpädagogik weiterzuentwickeln und die<br />
Stellung der <strong>Grundschule</strong> im öffentlichen Bildungswesen<br />
zu verbessern«. (Satzung des GSV, § 2,1).<br />
Wir wünschen Ihnen für das Jahr 2011 eine gute Gesundheit<br />
und viel Freude bei Ihrer Arbeit zur Verbesserung<br />
der <strong>Grundschule</strong><br />
Maresi Lassek<br />
Vorsitzende des Grundschulverbandes e. V.<br />
Pädagogische Leistungskultur:<br />
Materialien für den Schulalltag<br />
Band 118<br />
ISBN 978-3-930024-87-2<br />
Best.-Nr. 1076<br />
17,– € / f. Mitgl. 13,– €<br />
Band 121<br />
(5 Hefte im Schuber / mit CD)<br />
ISBN 978-3-930024-94-0<br />
Best.-Nr. 1079<br />
17,– € / f. Mitgl. 13,– €<br />
Band 124<br />
(5 Hefte im Schuber / mit CD)<br />
ISBN 978-3-930024-96-4<br />
Best.-Nr. 1082<br />
17,– € / f. Mitgl. 13,– €<br />
Band 119<br />
(5 Hefte im Schuber / mit CD)<br />
ISBN 978-3-930024-88-9<br />
Best.-Nr. 1077<br />
17,– € / f. Mitgl. 13,– €
Inhalt<br />
Editorial<br />
Tagebuch<br />
S. 2 Nach der <strong>Grundschule</strong> wird es ungerecht –<br />
wirklich erst danach? (M. Lassek)<br />
Thema: Gute Aufgaben und<br />
Kompetenzorientierung<br />
S. 3 Bildungs-Anspruch (U. Hecker)<br />
S. 7 »Gut« für wen und »kompetent« für was?<br />
(H. Brügelmann)<br />
Praxis: Gute Aufgaben und<br />
Kompetenzorientierung<br />
S. 13 Gute Aufgaben = Guter Mathematikunterricht?<br />
(R. Thielbeer)<br />
S. 17 Gute Aufgaben im Sachunterricht (B. Ederer)<br />
S. 21 Alles»Könner. Kompetenzen entwickeln<br />
(St. Kauder)<br />
S. 24 Philosophieren als »gute Aufgabe« für alle Kinder?<br />
(C. Schaffert)<br />
Ansichten und EInsichten<br />
S. 28 Auch Förderaufgaben müssen qualitätsvoll sein<br />
(H. Bartnitzky)<br />
Aktuell …<br />
S. 29 … aus dem Bundesvorstand<br />
… aus den Landesgruppen, u. a.<br />
S. 32 Berlin: Qualitätsoffensive?<br />
S. 33 Hessen: Auf dem Weg zur Inklusion<br />
S. 34 Niedersachsen: Weiterentwicklung der<br />
Schullandschaft<br />
S. 37 Saarland: grundschule zwanzigzwanzig<br />
Impressum<br />
GRUNDSCHULE AKTUELL, die Zeitschrift des Grundschulverbandes<br />
erscheint viertel jährlich und wird allen Mitgliedern zugestellt.<br />
Der Bezugspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Das einzelne Heft<br />
kostet 7,50 € (inkl. Versand); für Mitglieder und ab 10 Exemplaren 3,00 €.<br />
Verlag: Grundschulverband e. V., Niddastraße 52,<br />
60329 Frankfurt / Main, Tel. 0 69 / 77 60 06, Fax: 0 69 / 7 07 47 80,<br />
www.grundschulverband.de, info@grundschulverband.de<br />
Herausgeber: Der Vorstand des Grundschulverbandes<br />
in Zusammen arbeit mit Dr. Horst Bartnitzky<br />
Redaktion: Ulrich Hecker, Hülsdonker Str. 64, 47441 Moers,<br />
Tel. 0 28 41 / 2 17 14, ulrich.hecker@googlemail.com<br />
Fotos: Autorinnen und Autoren; Bert Butzke, Mülheim (Titel, S. 6);<br />
Simone Knorre, Siegen (S. 35)<br />
Zeichnung: Wilhelm Nüchter, Moers (S. 3)<br />
Herstellung: novuprint Agentur für Mediendesign, Werbung,<br />
Publikationen GmbH, Bödekerstr. 73, 30161 Hannover,<br />
Tel. 0511 / 9 61 69-11, Fax: 05 11 / 9 61 69-99, info@novuprint.de<br />
Anzeigen: Claudia Klinger, Verlagsgruppe Beltz,<br />
Tel. 0 62 01 / 6 00 73 86, Fax 0 62 01 / 6 00 73 93, c.klinger@beltz.de<br />
Druck: Beltz Druckpartner, 69502 Hemsbach<br />
ISSN 1860-8604 / Bestellnummer: 6048<br />
Beilagen: »Eine Welt in der Schule« als ständige Beilage<br />
»Gut« für wen? »Kompetent« für was?<br />
Diese Fragen wirft Hans Brügelmann in seinem Beitrag anhand<br />
von Beispielen aus dem Anfangsunterricht auf (S. 7ff.). Es sind<br />
die Kernfragen, wenn es um die Diskussion um »Bildungsstandards«,<br />
»Vergleichsarbeiten«, »kompetenzorientierten Unterricht«,<br />
»Gute Aufgaben« und »Aufgabenkultur« geht.<br />
Inzwischen hat die bildungspolitische und pädagogische Debatte<br />
um Bildungsstandards und Kompetenzorientierung das »verflixte<br />
siebte Jahr« hinter sich, und nach wie vor begegnen viele Lehrerinnen<br />
und Lehrer dieser Debatte und ihren schulpolitischen<br />
Folgerungen mit Skepsis, Vorbehalten und auch Verunsicherung<br />
hinsichtlich der Frage, wie »kompetenzorientierter Unterricht«<br />
zu gestalten ist und was es mit den »guten Aufgaben« denn nun<br />
auf sich hat. »Alter Wein in neuen Schläuchen«, »technokratisches<br />
Kontrollmodell« oder notwendige Schritte zur individuellen<br />
Förderung?<br />
Diskursmaschine?<br />
Skepsis und Vorbehalte sind durchaus nachzuvollziehen. Kürzlich<br />
hat der Publizist Wieland Elfferding zum bildungspolitischen<br />
Diskurs notiert: »Die deutschen Bildungsanstalten werden<br />
seit nunmehr einem halben Jahrzehnt mit bisher nicht absehbarem<br />
Ende durch eine alles erfassende Diskursmaschine gedreht,<br />
die mit Begriffen aus der Welt der Kompetenzen, Standards und<br />
Evaluation geölt ist. Wer nicht rechtzeitig von der Sprache der<br />
Lernziele auf die der Kompetenzen umschaltet, gerät früher oder<br />
später zwangsläufig ins Abseits« (»Der Freitag«, Nr. 1 v. 6. 1. 2011,<br />
S. 11).<br />
Mit diesem Heft wollen wir in diese Debatte eingreifen – gerade<br />
mit Beiträgen aus der Praxis. Denn der Fokus des Grundschulverbandes<br />
dabei sind die Bildungsansprüche von Grundschulkindern,<br />
für die wir uns engagieren.<br />
Kein Defizitblick, sondern Kompetenzorientierung<br />
Die Herbsttagung des Grundschulverbandes im November 2010<br />
in Schmitten war ein weiterer Schritt bei der Erarbeitung eines<br />
pädagogischen Förderkonzepts. Horst Bartnitzky fasst die Kernpunkte<br />
zusammen (S. 28 ff.). Durchaus passend zum Thema dieses<br />
Heftes, denn: »Auch Förderaufgaben müssen qualitätsvoll<br />
sein«: »Hier der Defizitblick, der das Kind als förderbedürftig<br />
erklärt, dort der Kompetenzblick, der das Kind in seinem bisherigen<br />
Können erkennt und Lernsituationen arrangiert, in denen<br />
es sein Können aktiviert und erweitert. Pädagogische Pathologie<br />
gegen eine Pädagogik der Ermutigung.«<br />
Dies schließlich rührt an den Kern der ganzen Debatte: »Fördern«<br />
ist ein zentraler didaktischer Begriff: Denn »guter« Unterricht<br />
ist nichts anderes, als Kinder in für sie förderliche Situationen<br />
zu bringen. Jedes Kind hat einen Anspruch auf individuelle<br />
Förderung nach Maßgabe seiner Entwicklung und seiner Möglichkeiten.<br />
Ulrich Hecker<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>113</strong> • Februar 2011<br />
1
Tagebuch<br />
Schulempfehlung<br />
Nach der <strong>Grundschule</strong> wird es ungerecht – wirklich erst danach?<br />
Maresi Lassek<br />
Mit der ersten, bundesweit repräsentativen Studie zum<br />
Übergang nach der <strong>Grundschule</strong> belegen Jürgen Baumert<br />
und seine Mitarbeiter, dass das Ende der Grundschulzeit<br />
den Beginn der sozialen Auslese markiert. Bekanntermaßen<br />
sind die Chancen von Kindern aus der Oberschicht<br />
bei gleicher Schulempfehlung ungleich höher als die anderer<br />
Kinder. Und – je mehr Freiheit Eltern bei der Schulwahl<br />
haben, desto deutlicher wachsen die sozialen Unterschiede.<br />
*<br />
Jedoch werden nicht erst am Ende der Grundschulzeit<br />
Weichen gestellt, denn Eltern steuern weit vor der Einschulung<br />
den Bildungsweg ihres Kindes. Nach der Wahl<br />
des richtigen Kindergartens bewegt sie die Wahl der richtigen<br />
<strong>Grundschule</strong>. Die Chance von Schülerinnen und<br />
Schülern bevorzugter <strong>Grundschule</strong>n, in weiterführenden<br />
Schulen angenommen zu werden (in der Regel in Gymnasien),<br />
lenkt Einschulungskinder an privilegierte Grundschulstandorte.<br />
Der erste Ausleseschritt erfolgt vor der<br />
Schulzeit.<br />
Die Selektion am Ende der vierten Klasse in verschiedenwertige<br />
Schulformen ist der zweite Schritt. Die Sekundarstufe<br />
I arbeitet institutionell bedingt der Entwicklung einer<br />
hohen Leistungsstreuung weiter zu, stellt Baumert fest.<br />
Je nach gewählter oder zugewiesener Schulform verlaufen<br />
die Leistungskurven der Schülerinnen und Schüler extrem<br />
unterschiedlich. Während Gymnasiasten in den Fächern<br />
Mathematik und Englisch kräftig dazulernen, verweilen<br />
Hauptschüler auf einem geringen Wissensniveau. Das<br />
gegliederte Schulsystem fördert eben nicht alle Schüler<br />
gleich gut.<br />
Die Debatte um Strukturveränderung führt nicht aus dem<br />
Dilemma, denn die Konstellationen in den Bundesländern<br />
sind vielfältig und die Länder entwerten wechselseitig ihre<br />
landesspezifischen Lösungen. Der Bildungsföderalismus<br />
verhindert eine gemeinsame Orientierung, die das Bildungswesen<br />
in die Zukunft steuern könnte. Es brauchte<br />
Konsens darüber, dass die Entwicklung zu einem inklusiven<br />
Bildungssystem die richtige Richtung ist.<br />
Zurzeit haben wir ein Reformstückwerk ohne verlässliche<br />
politische und damit pädagogische Orientierung.<br />
Die Sekundarstufe I wird in verschiedener Weise<br />
umgebaut. Zehn Bundesländer setzen zwischenzeitlich<br />
auf Zweigliedrigkeit und fassen neben dem Gymnasium<br />
in einer zweiten Säule die bisherigen Bildungsgänge zusammen.<br />
Sie nennen diese Säule Stadtteilschule (HH),<br />
Mittelschule (S) Oberschule (HB), Sekundarschule (B),<br />
Realschule Plus (RP) und Regelschule (TH). Die Gesamtschulen<br />
haben darin ihren Platz oder gehen in der zweiten<br />
Säule auf. Eigenständige Hauptschulen wird es bald<br />
nur noch in fünf westdeutschen Flächenländern geben.<br />
Mit der Umgestaltung in die Zweigliedrigkeit lenkt<br />
man von der Debatte um die Wirksamkeit des gemeinsamen<br />
Lernens ab. Aus »drei mach zwei« und das Verteilen<br />
in frühem Alter geht weiter. Stärkung erfahren die<br />
Gymnasien, denn beim Wettlauf um Schülerinnen und<br />
Schüler ist die zweite Säule eben auch zweite Wahl. Das<br />
Gymnasium wird konstant gut angewählt, da Eltern sich<br />
konservativ und misstrauisch gegenüber fundamentalen<br />
Veränderungen verhalten.<br />
Zwölf bis dreizehn Jahre dauert die Schulzeit, für die<br />
<strong>Grundschule</strong> bleibt es bei vier Jahren. Sie bildet die<br />
Grundstufe und ist die einzige Gemeinschaftsschule. Sie<br />
soll den Kindern eine gute Basis für lebenslanges Lernen<br />
vermitteln und muss gleichzeitig Startrampe für das gegliederte<br />
System der Sekundarstufe I sein. Spätestens in<br />
der 4. Klasse baut sich Druck auf: für die Kinder wegen<br />
der Gymnasialempfehlung, für die Eltern angesichts der<br />
Schulwahl, für die Lehrerinnen und Lehrer aufgrund der<br />
Erwartungshaltung der Eltern.<br />
Worum es eigentlich gehen müsste, ist die Anschlussfähigkeit<br />
zwischen der <strong>Grundschule</strong> und der Sekundarstufe,<br />
Anschlussfähigkeit für die Kinder und ihr Lernen,<br />
mit Blick auf Lernorganisation, aufbauende Lerninhalte<br />
und Lernmethoden. Schulempfehlung, Noten und Aufnahmeprüfungen<br />
dominieren jedoch das Geschehen und<br />
verhindern nicht die hohe Anzahl falscher Entscheidungen.<br />
Insbesondere Kinder aus benachteiligten Familienverhältnissen<br />
brauchen mehr Zeit und Unterstützung.<br />
Maresi Lassek,<br />
Vorsitzende des Grundschulverbandes<br />
* aus: Bundesministerium für Bildung und Forschung,<br />
Bildungsforschung Band 34, Bonn, Berlin Mai 2010<br />
2 GS <strong>aktuell</strong> <strong>113</strong> 112 • November Februar 2011 2010
Thema: Gute Aufgaben und Kompetenz orientierung<br />
Ulrich Hecker<br />
Bildungs-Anspruch: Was Kinder brauchen<br />
Anmerkungen zur Diskussion um Kompetenzorientierung und Aufgabenkultur<br />
Aktuelles Beispiel: Im Spätherbst 2010 stellte der Berliner Bildungssenator<br />
Prof. E. Jürgen Zöllner ein »Qualitätspaket« für die Berliner Schule vor. Erklärtes<br />
Ziel: Verbesserung der schulischen Qualität. Umgehend wurde Kritik an<br />
seinem »sehr eingeschränkten Qualitätsbegriff« laut. »<strong>Grundschule</strong>n«, so der<br />
Berliner Grundschulverband in seiner Stellungnahme, »brauchen mehr als die<br />
Vorgabe von Leistungsstandards, die Optimierung von Vergleichsarbeiten und<br />
regelmäßige Schulinspektionen.«<br />
Allein ein zunehmender datengestützter<br />
Vermessungsdruck und<br />
Zielvereinbarungen werden aus<br />
sogenannten leistungsschwachen Schulen<br />
noch keine leistungsstarken Schulen<br />
machen«, so die Berliner Kolleginnen<br />
und Kollegen weiter. Inzwischen hat die<br />
bildungspolitische und pädagogische<br />
Debatte um Bildungsstandards und<br />
Kompetenzorientierung das »verflixte<br />
siebte Jahr« hinter sich, und nach wie vor<br />
begegnen viele Lehrerinnen und Lehrer<br />
dieser Diskussion und ihren schulpolitischen<br />
Folgerungen mit Skepsis, Vorbehalten<br />
und auch Verunsicherung.<br />
»Der Wahn der Rangliste«?<br />
Seit Pisa gilt »Output-Steuerung« als<br />
zentrale schulpolitische Maßnahme:<br />
Sogenannte »Bildungsstandards« wurden<br />
definiert, die tatsächlich lediglich<br />
Fachleistungs-Standards für ausgewählte<br />
Bereiche weniger Fächer sind. Damit<br />
werden die messbaren Ergebnisse nun<br />
jährlich getestet. Dabei geht es um die<br />
Fachbereiche, die in den internationalen<br />
Schulleistungstests im Fokus stehen.<br />
Deshalb gibt es Bildungsstandards nur<br />
für Deutsch und Mathematik, und nur<br />
auf diese Fächer beziehen sich die jährlichen<br />
Vergleichsarbeiten. Alle anderen<br />
Fächer wie Sach unterricht, Kunst, Sport,<br />
Musik geraten ins Abseits der schulpolitischen<br />
und öffentlichen Aufmerksamkeit<br />
und drohen zu schulischen Nebensachen<br />
zu werden.<br />
Die Medien schenken den Ranglisten<br />
und Bepunktungsskalen regelmäßig<br />
hohe Aufmerksamkeit. Publizierte<br />
Rating-Skalen werden als Aussage über<br />
Bildungsniveaus missverstanden; ihnen<br />
wird eine Erklärungskraft angedichtet,<br />
die sie nicht besitzen. Auf die Schulen<br />
hat dies eher eine einengende, verunsichernde<br />
als eine ermutigende und herausfordernde<br />
Wirkung.<br />
Der Bildungsjournalist Karl-Heinz<br />
Heinemann schrieb dazu: »Das TÜV-<br />
Paradigma hat längst Einzug gehalten:<br />
Output-Steuerung, schlanke Lehrpläne,<br />
mehr Freiheit bei der Personaleinstellung,<br />
in etlichen Bundesländern hat<br />
die, in diesem Zusammenhang muss<br />
der Name nun mal fallen, Bertelsmann-<br />
Stiftung dafür gesorgt. Aber weniger<br />
Bürokratie? Jetzt sitzen nicht mehr<br />
bräsige Schulräte hinten im Klassenzimmer,<br />
sondern Qualitätsmanager,<br />
4Q-Inspektoren, und wie sie sonst noch<br />
heißen, huschen mit ihren Checklisten<br />
im Viertelstundentakt durch die Klassenzimmer<br />
(…) und im engmaschigen<br />
Netz von Selbst- und Fremdevaluationen,<br />
Schulinspektionen, Vergleichsund<br />
zentralen Abschlussarbeiten werden<br />
sie jeden erwischen, der da noch in<br />
einer Nische seine Sonderwege gehen<br />
will.« 1)<br />
»Pisa: Der Wahn der Rangliste« – so<br />
überschreibt der Wiener Philosoph<br />
Konrad Paul Liessmann ein Kapitel seines<br />
Buches »Theorie der Unbildung. Die<br />
Irrtümer der Wissensgesellschaft« und<br />
stellt fest: »Der Stand von Bildungspolitik<br />
heute ist durch einen einfachen Satz<br />
zu beschreiben: Sie erschöpft sich im<br />
Schielen auf die Ranglisten. (…) Alle relevanten<br />
und auch in der Öffentlichkeit<br />
heftig diskutierten bildungspolitischen<br />
Entscheidungen der letzten Jahre sind<br />
entweder durch einen schlechten Listenplatz<br />
motiviert oder geboren aus dem<br />
Wunsch, einen besseren Listenplatz zu<br />
erreichen. (...) Nicht einmal ein diffuser<br />
Bildungsbegriff, schon gar nicht ein gesellschaftspolitisches<br />
Konzept von Bildung<br />
zeichnet sich hinter gegenwärtiger<br />
Bildungspolitik ab, sondern diese lässt<br />
sich auf einen einzigen Satz reduzieren:<br />
Wo stehen wir?« 2)<br />
Von Anfang an sind die Ideen der<br />
Bewertung und des »Rankings« im<br />
Schulbereich nur im Zusammenhang<br />
betriebswirtschaftlichen Denkens zu<br />
sehen, das aus Schulen und Universitäten<br />
Unternehmen machen will,<br />
die an ihren »marktorientierten« Ergebnissen<br />
zu messen sind. Eltern und<br />
Schüler wurden dann auch schon als<br />
»Kunden« angesehen. »Output« ist ein<br />
betriebswirtschaftlicher Begriff: Der<br />
Produktionsprozess wird vom angestrebten<br />
Ergebnis her geplant und organisiert.<br />
Zuerst der Zweck, dann die<br />
dahin führenden Mittel. Dieses Bild ist<br />
für Bildungsprozesse ungeeignet, denn<br />
»die Qualität der Prozesse ist hier selbst<br />
bildungswirksam. Auf welche Weise<br />
Kinder etwas lernen ist zumindest so<br />
bedeutsam wie das, was sie lernen.« 3)<br />
Ein »Ranking« von Schulen – in ihrer<br />
großen Unterschiedlichkeit – anhand<br />
einzelner statistischer Kennziffern führt<br />
über die Wahrnehmung von Eltern<br />
schließlich dahin, dass sich soziale Unterschiede<br />
verschärfen. »Gute Schulen«<br />
bekommen Kinder mit mehr Chancen,<br />
»schlechte« werden weiter »zurückbleiben«.<br />
Ulrich Hecker<br />
Grundschulrektor in Moers, Stellv.<br />
Vorsitzender des Grundschulverbands,<br />
Redakteur »<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>«<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>113</strong> • Februar 2011<br />
3
Thema: Gute Aufgaben und Kompetenz orientierung<br />
Die Verbindung pädagogischer Arbeit<br />
mit einer »Mentalität des Gewinnens«<br />
kann vielen Kindern den Schulerfolg<br />
weiterhin vorenthalten. Damit<br />
werden derzeit schon stark ausgeprägte<br />
Bildungs-Ungerechtigkeiten weiter zugespitzt:<br />
Kinder an <strong>Grundschule</strong>n in<br />
»bildungsfernen« Milieus geraten noch<br />
mehr ins Hintertreffen. Das widerspricht<br />
der Idee inklusiver Pädagogik<br />
und befördert weitere Entsolidarisierung.<br />
4)<br />
Bleibt die Frage, ob der Druck, der von<br />
einem derartigen technokratischen<br />
Kontrollmodell ausgeht, die Qualitätsentwicklung<br />
von Schulen befördern<br />
kann. Detlef Träbert, Bundesvorsitzender<br />
der »Aktion Humane Schule«,<br />
warnt anhand von zwei Beispielen:<br />
●●<br />
Vergleichsarbeiten<br />
»Landauf, landab setzen Lehrkräfte<br />
alles daran, bei Vergleichsarbeiten gut<br />
abzuschneiden. Wochenlang werden<br />
Schulklassen auf die Anforderungen<br />
der Tests hin vorbereitet, anstatt kreative<br />
Lernprozesse anzuregen. Warum<br />
Lehrer das machen? Weil zumindest innerhalb<br />
der Schulöffentlichkeit die Klassenergebnisse<br />
verglichen werden. Auszeichnungen<br />
für Schulen mit besonders<br />
guten (Teil-) Ergebnissen beeinflussen<br />
ihr Ansehen bei der Elternschaft dann<br />
auch schulübergreifend.«<br />
●●<br />
Schulinspektion bzw. Qualitätsanalyse<br />
»Die Frage wäre einmal eine wissenschaftliche<br />
Untersuchung wert,<br />
wie viel kostbare Zeit Schulen dafür<br />
investieren, sich bei der externen Evaluierung<br />
durch Schulinspektoren in<br />
einem guten Licht zu präsentieren.<br />
Da werden Schul-Portfolios gestaltet<br />
und die vorgeschriebenen Konzepte<br />
im Schulprogramm aufbereitet, dass<br />
jeder Präsentationstrainer seine Freude<br />
hätte. Monatelang bereiten sich die<br />
Schulleitungen mit ihren Kollegien auf<br />
den Besuch der Kommission vor. Lehrkräfte<br />
üben ein, wie als gut bewertete<br />
Schulstunden auszusehen haben, nur<br />
um hinterher wieder zu ihren alten<br />
Mustern zurückzukehren.«<br />
Träbert resümiert: »Anstatt innovativ<br />
zu werden, Schule neu zu denken und<br />
zu gestalten, aus den Erfahrungen der<br />
anderen, erfolgreicheren Nationen zu<br />
lernen und Schulstrukturen ohne Tabu<br />
zu hinterfragen, hat man in Deutschland<br />
schlicht den Druck erhöht: Standards<br />
und Kontrolle sowie Konkurrenz<br />
sollten Schule besser machen.« 5)<br />
Wir brauchen eine gründliche Diskussion<br />
darüber, ob wir das in Deutschland<br />
wirklich wollen.<br />
»Bildungs-Standards«?<br />
Die bisher formulierten Bildungsstandards<br />
der Kultusministerkonferenz können<br />
die umfassende Bildungsaufgabe<br />
von Schule nicht erfassen. Die KMK-<br />
Standards weisen lediglich Leistungsstandards<br />
für einzelne Fächer aus. Solche<br />
Beschreibungen von operationalisierbaren<br />
Leistungsstandards können helfen,<br />
schulbezogene Erwartungen und stufenoder<br />
übergangsbezogene Qualifikationen<br />
zu klären. »Bildung« aber wird von<br />
diesen Standards nicht erfasst. Schon der<br />
Begriff »Bildungsstandard« legt die Vorstellung<br />
nahe, gebildete Menschen als<br />
»standardisierte« Menschen aufzufassen,<br />
wie ein Produkt am Ende einer Produktionskette.<br />
»Gebildet« wäre ein Mensch<br />
demnach, wenn er mathematische Aufgaben<br />
lösen kann, Fachbegriffe kennt,<br />
Texte verständig zu lesen vermag – wenn<br />
er also über Kompetenzen verfügt, die<br />
jeweils abprüfbar sind. So, als ob die<br />
Schule ihren »Output« (Kompetenzen)<br />
so produziert wie eine Fabrik ihre Produkte.<br />
Dieses Bild aber führt für Schule<br />
und ihre Lern- und Bildungsprozesse in<br />
die Irre. 6)<br />
Der gegenwärtige Gebrauch des Kompetenzbegriffs<br />
ist, wie Horst Bartnitzky<br />
resümiert, »durchaus schillernd: In<br />
der <strong>aktuell</strong>en Bildungsforschung, hier<br />
besonders deutlich in den didaktischen<br />
Festlegungen der internationalen und<br />
nationalen Leistungsuntersuchungen<br />
wie PISA, IGLU oder VERA, wird ein<br />
Kompetenzbegriff benutzt, der sich auf<br />
›Erträge des schulischen Unterrichts‹<br />
bezieht.« 7)<br />
In dieser Spur werden seit einigen Jahren<br />
Lehrpläne als »Kompetenzlehrpläne«<br />
neu gefasst. »Kompetenz« ist dabei<br />
zum bildungspolitischen Schlüsselwort<br />
geworden, das den politisch gewollten<br />
»Paradigmenwechsel« vom »Input-«<br />
zum »Output-System« markiert: Gemessen<br />
werden soll nur das Produkt.<br />
Mit dieser Art »Kompetenzorientierung«<br />
sind zahlreiche Erwartungen verbunden:<br />
●●<br />
Eine exakte Beschreibung dessen, was<br />
gelernt werden soll und gelernt wurde,<br />
●●<br />
eine Vereinheitlichung im Bildungssystem:<br />
Schülerinnen und Schüler an<br />
allen Schulen sollen zu gleichen Zeitpunkten<br />
über gleiche Kompetenzen<br />
verfügen – nur dann kann man mit<br />
zentralen Instrumenten Leistungsmessung<br />
betreiben,<br />
●●<br />
die Ergebnisse (»Leistungen«) von<br />
Schulen sollen unabhängig von Bundesland,<br />
Region, Einzugsbereich, aber<br />
auch von den Eigenheiten der konkreten<br />
Schule oder der bestimmten Lehrperson<br />
bestimmt werden.<br />
Um die »Qualität« solcher Produkte<br />
»objektiv« messen zu können, muss es<br />
4 GS <strong>aktuell</strong> <strong>113</strong> • Februar 2011
Thema: Gute Aufgaben und Kompetenz orientierung<br />
vorgegebene Kriterien geben, die umgekehrt<br />
zu einer Standardisierung des<br />
Produkts führen. Ohne kompetenzbezogene<br />
Lehrpläne ist also keine quantitative<br />
Statistik über dieserart »Bildungserfolge«<br />
möglich.<br />
Eine breite und tiefgreifende Diskussion<br />
darüber, was »Bildung« ist und sein soll,<br />
ist dringend geboten. Letztlich geht es<br />
dabei um die Frage des Menschenbildes:<br />
Ist Bildung mehr als das »Fit-gemacht-<br />
Werden« für die »Lern- und Arbeitswelt<br />
von morgen«? Selbst- und eigenständig<br />
werden Menschen doch erst, wenn<br />
sie nicht einfach für die Lern- und Arbeitswelt<br />
»fit gemacht« werden, sondern<br />
umgekehrt, wenn sie sich ihre Welt<br />
»fit machen«, also passend gestalten<br />
können. Diesen »Bildungs-Anspruch«<br />
müssen Pädagoginnen und Pädagogen<br />
bewahren – den Eigensinn der Pädagogik:<br />
Kinder darin unterstützen, in ihrer<br />
jeweiligen Welt aufzuwachsen und sich<br />
dabei zu bewahren.<br />
Nicht das »defizitäre Kind« ist dabei<br />
unser Bild vom Kind, sondern das<br />
Kind, das sich aktiv mit der Welt auseinandersetzt.<br />
Ihm müssen wir Zutrauen<br />
und Zuversicht zu den eigenen Fähigkeiten<br />
vermitteln und es die Erfahrung<br />
machen lassen, dass sich eigene Anstrengung<br />
lohnt.<br />
Bei einem daraus folgenden Verständnis<br />
von Unterricht sind Kompetenzen<br />
dann nicht erst »Erträge des<br />
Unterrichts«. Sie sind nicht nur Unterrichtsergebnisse,<br />
sondern bereits Ausgangspunkte<br />
von Unterricht. Denn, so<br />
Horst Bartnitzky, »Kinder besitzen zu<br />
jedem Zeitpunkt bereits Kompetenzen,<br />
die durch motivierende Aufgaben, Lernarrangements<br />
und Lernumgebungen<br />
aktiviert werden können. Während<br />
der Lernarbeit entwickeln Kinder ihre<br />
Kompetenzen weiter: Sie werden bestätigt,<br />
erweitert, ergänzt, neu strukturiert.<br />
Dies zeigt sich in den Arbeitsprozessen<br />
der Kinder ebenso wie in ihren Ergebnissen.«<br />
8)<br />
Um aber alle Kinder zu ermutigen,<br />
keines zurückzulassen oder zu beschämen,<br />
müssen verbindliche Anforderungen<br />
so definiert werden, dass tragfähige<br />
Grundlagen auch von allen Kindern<br />
erreicht werden können. Die Formulierung<br />
von Mindeststandards wäre der<br />
Ausweis einer pädagogischen Lern- und<br />
Leistungskultur.<br />
Solche richtigen Formulierungen<br />
Annemarie von der Groeben erinnert<br />
an einen bedeutsamen schulpolitischen<br />
Zusammenhang: »Die Einführung von<br />
Bildungsstandards in Deutschland wurde<br />
von einer Expertenkommission unter<br />
Leitung von Eckhardt Klieme vorbereitet.<br />
In diesem Gutachten<br />
wird ausdrücklich Anforderungsbereiche<br />
empfohlen, Mindeststandards<br />
und nicht Reproduzieren<br />
AB I<br />
Regelstandards einzuführen,<br />
weil diese AB II<br />
ein Denken in Gewinnern<br />
und Verlierern herstellen<br />
Zusammenhänge<br />
implizieren. Die Kultusminister<br />
haben die AB III<br />
Entwicklung solcher Verallgemeinern<br />
Mindeststandards in Reflektieren<br />
Aussicht gestellt und<br />
diese Aufgabe bisher nicht erfüllt.« 9)<br />
Dieses gewollte Versäumnis hat die<br />
Tür zu einer »Mentalität des Gewinnens«<br />
geöffnet. Zu fragen ist, ob flächendeckende<br />
Lernstandsmessungen<br />
wie VERA genau das brauchen – Gewinner<br />
und Verlierer.<br />
Dagegen setzt von Groeben die Alternative:<br />
»Die erwarteten Schülerleistungen<br />
werden auf der Basis von Mindeststandards<br />
festgelegt, ergänzt durch<br />
ein differenziertes Angebot erweiternder<br />
Aufgaben und Anforderungen zur<br />
Entwicklung individueller Leistungsprofile.<br />
Tests und Prüfungen beziehen<br />
sich auf diese Mindeststandards, sie erhalten<br />
darüber hinaus offene Aufgaben<br />
unterschiedlichen Schwierigkeitsgrads<br />
zum Nachweis individueller Leistungen.<br />
Die fachlichen Leistungsanforderungen<br />
werden nicht auf der Basis von<br />
Jahrgangsnormen, sondern von Entwicklungs-<br />
und Lernstufen festgelegt<br />
(systematische Progression des Lernens<br />
anstelle des durchschnittlichen Fortschreitens<br />
in Altersgruppen).« 10)<br />
»Aufgabenkultur«?<br />
Auch in offiziellen Materialien zur<br />
Kompetenzorientierung ist zu lesen:<br />
»Die vielen Facetten einer Kompetenz<br />
lassen sich nicht kurzfristig mit einer<br />
Unterrichtseinheit erwerben. Sie erfordern<br />
eine kontinuierliche und längerfristige<br />
Bearbeitung. (…) Im Sinne des<br />
kumulativen Lernens kommt dem kontinuierlichen<br />
Aufbau von Kompetenzen<br />
und der längerfristigen Planung der<br />
Ziele eine besondere Bedeutung zu.« 11) werden problematisch durch Modelle<br />
wie das im Kasten abgebildete, die<br />
dann auch noch zur Rückmeldung von<br />
VERA-Ergebnissen an Eltern genutzt<br />
werden (siehe Kasten) 12) :<br />
Bildungsstandards<br />
Grundwissen anwenden,<br />
bekannte Informationen wiedergeben,<br />
Routinen ausführen<br />
Erworbenes Wissen und<br />
bekannte Methoden miteinander<br />
verknüpfen, Zusammenhänge<br />
erkennen und nutzen<br />
Eigene Lösungsstrategien<br />
und entwickeln, Interpretationen<br />
und Beurteilungen einbringen<br />
Solche Modelle werden schnell zu<br />
Kategorien der Leistungsbewertung<br />
(VERA). Sie werden inzwischen sogar<br />
bis auf die Seiten von Schülerbüchern<br />
zur Klassifizierung von Aufgabenstellungen<br />
verwendet, z. T. auf<br />
ausdrückliche ministerielle Anweisung.<br />
»AB-I-Aufgaben« für die »Schwachen«,<br />
»AB-III-Aufgaben« für die »Guten«?<br />
Mit Aufgaben-Kultur hat ein solches<br />
technokratisches Verständnis nichts zu<br />
tun.<br />
Zu »guten Aufgaben« gehört zwingend<br />
eine anregende Lernumgebung im weitesten<br />
Sinn. Darauf verweisen didaktische<br />
Leitideen wie »Gesprächskultur«<br />
oder »Schreib- und Lesekultur«. Denn<br />
schulische Aufgaben werden zu »guten«<br />
Aufgaben erst in einer gestalteten<br />
Lernumgebung. Unterricht darf nicht<br />
verkürzt werden zur Abfolge von Aufgaben.<br />
In herausfordernden und förderlichen<br />
Lernumgebungen in Unterricht<br />
und Schule erweist sich zudem die Unterscheidung<br />
von Lern- und Leistungsaufgaben<br />
als künstlich.<br />
»Gute Aufgaben« haben für die Kinder<br />
motivierende Kraft, fordern ihre<br />
Kompetenzen heraus, erweitern sie und<br />
ermöglichen eine Bandbreite gültiger<br />
individueller Lösungen.<br />
»Aufgabenkultur«? Die Vorspiegelung<br />
der falschen Tatsache, die Ergebnisse<br />
der Vergleichsarbeiten gäben die<br />
tatsächlichen Leistungen der Kinder<br />
und der Schulen wieder, hat zur Folge,<br />
dass allzu oft schon die mit schlichten<br />
Aufgabenformaten konstruierten Tests<br />
vorgeben, was und wie in den Schulen<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>113</strong> • Februar 2011<br />
5
Thema: Gute Aufgaben und Kompetenz orientierung<br />
unterrichtet werden soll. Denn<br />
wo »Zahlen und Vergleichsdruck<br />
regieren, gelten schnell<br />
gleiche Anforderungen an alle<br />
und gleichmäßiges Fortschreiten<br />
im Unterrichtsstoff. Das<br />
Motto ›You teach what you<br />
test!‹ könnte jedoch der Rückkehr<br />
von Museumstücken einer<br />
überholten Vorstellung von<br />
Lehren, Lernen und vordemokratischer<br />
Pädagogik Tür und<br />
Tor öffnen.« 13)<br />
Bildungs-Anspruch!<br />
Es ist unbestritten, dass <strong>Grundschule</strong><br />
Reformbedarf hat, dass Schulen sich<br />
weiter entwickeln müssen. Beispiele<br />
sind die Sprach- und Lernförderung<br />
von Kindern anderer Muttersprache,<br />
die Inklusion von Kindern mit Lernund<br />
Lebensproblemen, anspruchsvolle<br />
didaktische Konzepte wie Methodenlernen,<br />
Freie Arbeit, kindgeleitete Lernwege<br />
und erzieherische Aufgaben.<br />
»Allen Kindern gerecht werden« – Mit<br />
diesem Motto seines Bundesgrundschulkongresses<br />
2009 hat der Grundschulverband<br />
den Zusammenhang von<br />
Schule und Gerechtigkeit bewusst in das<br />
Zentrum der bildungspolitischen und<br />
pädagogischen Debatte gestellt. Unter<br />
dem Deckmantel der Entwicklung von<br />
Schulqualität aber ist zunehmend ein<br />
technokratischer Umgang mit (Grund-)<br />
Schulen und mit Kindern Alltag geworden.<br />
Die Leistung der Schulen wird oft,<br />
gerade in Vergleichsstudien, verkürzt<br />
auf Ergebnisse in Fachtests. Wesentliche<br />
Leistungen gerade der <strong>Grundschule</strong>,<br />
z. B. zur Persönlichkeitsentwicklung<br />
der Kinder, zur Verminderung von Bildungsbenachteiligungen,<br />
zur Inklusion<br />
von Minderheiten, geraten in dieser engen<br />
Perspektive aus dem Blick.<br />
In seinem »Leitkonzept zeitgemäßer<br />
Grundschularbeit« hat der Grundschulverband<br />
umfassende Bildungsstandards<br />
vorgelegt und die fragwürdige Verengung<br />
auf Fachleistungsstandards vermieden.<br />
Die Bildungsstandards konkretisieren<br />
insgesamt ein Grundverständnis<br />
zeitgemäßer Primarschularbeit, das<br />
in dem Begriff »ermutigende Pädagogik«<br />
zusammengefasst werden kann. 14)<br />
Die Orientierung an solchen Standards<br />
bringt Qualitätsentwicklung nach vorn.<br />
In seinen »Acht Forderungen zur Bildungsgerechtigkeit«<br />
formuliert der<br />
Grundschulverband die Bildungsansprüche<br />
von Grundschulkindern.<br />
Zwei dieser Forderungen sind in<br />
unserem Zusammenhang besonders<br />
bedeutsam:<br />
●●Kinder brauchen ermutigende<br />
Zuwendung von Erwachsenen<br />
Für ihr geistiges, seelisches und<br />
soziales Wachsen brauchen Kinder<br />
Erwachsene, die sich ihnen respektvoll<br />
und ermutigend zuwenden,<br />
die sie durch Lernaufgaben<br />
herausfordern und ihnen helfen,<br />
sich Kompetenzen und Erkenntnisse<br />
möglichst selbstständig anzueignen.<br />
Sie brauchen Erwachsene,<br />
die mit ihnen Klasse und Schule als<br />
Ort gemeinsamen und mitverantwortlichen<br />
Lebens und Lernens gestalten.<br />
Alles, was diese pädagogische Qualität<br />
behindert, ist abzubauen. Lehrerbildung<br />
und Rahmensetzungen wie Klassengrößen,<br />
Lernzeiten, Schulstruktur<br />
müssen dazu beitragen, diese pädagogische<br />
Qualität zu erreichen und zu erhalten.<br />
●●<br />
Kinder brauchen besondere Unterstützungen<br />
Maßnahmen externer Evaluierung<br />
(Leistungstests, Schulinspektion) müssen<br />
zur Folge haben, dass Schulen, deren<br />
Kinder hinter den Bildungszielen<br />
zurückbleiben, besonders und gezielt<br />
unterstützt werden. Dies gilt insbesondere<br />
für Schulen mit hoher Zahl sogenannter<br />
Risikokinder.<br />
Diese Schulen brauchen zusätzliche<br />
Kräfte, sozialpädagogische Fachkräfte,<br />
einen höheren Materialansatz und begleitendes<br />
Coaching für das pädagogische<br />
Personal. 15)<br />
Anmerkungen<br />
(1) Karl-Heinz Heinemann, Replik auf<br />
Christian Füller , in: »Der Freitag«, 1. 9. 2009<br />
(2) Ließmann, Konrad Paul (2006): Theorie<br />
der Unbildung. Die Irrtümer der Wissensgesellschaft,<br />
Wien: Zsolnay, S. 75 (2010 als<br />
Taschenbuch bei Pieper erschienen)<br />
(3) Bartnitzky, Horst (2007): Wie Vergleichsarbeiten<br />
die Unterrichtskultur beschädigen<br />
– 5 Thesen und eine Hoffnung. In: »<strong>Grundschule</strong><br />
<strong>aktuell</strong>«, Heft 99, Frankfurt am Main:<br />
Grundschulverband, S. 3 f.<br />
(4) Vgl. dazu Röbe, Edeltraud (2010): Ein<br />
pädagogischer Leistungsbegriff als Bedingung<br />
für einen erfolgreichen Kompetenzerwerb<br />
in der <strong>Grundschule</strong>. Im Internet unter<br />
www.kphvie.ac.at/ fileadmin/Dateien_KPH/<br />
Kompetenzzentren/Grundschulpaedagogik/<br />
DV-Vortrag_Wien.pdf<br />
(5) Träbert, Detlef (2010): Druck machen<br />
– für mehr Menschlichkeit! In: »Humane<br />
Schule«, Mai-Heft 2010, S. 1 – 4.<br />
(6) Siehe dazu: Ladenthin, Volker (2010):<br />
Kompetenzorientierung als Indiz pädagogischer<br />
Orientierungslosigkeit. Im Internet<br />
unter http://www.bildung-wissen.eu/<br />
tagungen/Ladenthin-Kompetenzen_<br />
Koeln%202010-2.pdf<br />
(7) Bartnitzky, Horst (Neuauflage 2011):<br />
Sprachunterricht heute, Berlin: Cornelsen<br />
Scriptor, in Kap. 1, Abschnitt »Kompetenzbezug<br />
als didaktische Grundorientierung«.<br />
(8) Vgl. ebenda<br />
(9) von der Groeben, Annemarie (2010):<br />
Wir wollen Schule machen. Eine Streitschrift<br />
des Schulverbunds »Blick über den Zaun«,<br />
Opladen & Farmington Hills: Barbara<br />
Budrich, S. 36.<br />
(10) Ebenda<br />
(11) Ministerium für Schule und Weiterbildung<br />
NRW (2008): Handreichung:<br />
Kompetenzorientierung. Eine veränderte<br />
Sichtweise auf das Lehren und Lernen in<br />
der <strong>Grundschule</strong>, Frechen: Ritterbach<br />
(12) Ebenda<br />
(13) Röbe, Edeltraud, a. a. O.<br />
(14) Grundschulverband (2002): Bildungsansprüche<br />
von Grundschulkindern –<br />
Standards zeitgemäßer Grundschularbeit.<br />
Im Internet unter www.grundschulverband.<br />
de/bildungspolitik/bildungsstandards/<br />
tragfaehige-grundlagen/<br />
(15) Grundschulverband (2009): »Allen<br />
Kindern gerecht werden«. Acht Forderungen<br />
zur Bildungsgerechtigkeit. Im Internet unter<br />
www.grundschulverband.de/fileadmin/<br />
GSa_8-Forderungen_Web_90907.pdf<br />
6 GS <strong>aktuell</strong> <strong>113</strong> • Februar 2011
Thema: Gute Aufgaben und Kompetenz orientierung<br />
Hans Brügelmann<br />
Gute Aufgaben und Kompetenz orientierung:<br />
»gut« für wen und »kompetent« für was?<br />
Wie vereinbart habe ich euch<br />
hinten auf den Tisch einige Bücher gelegt, in denen<br />
ihr Herbstgedichte finden könnt. Sucht euch bis Ende der<br />
Woche ein Gedicht aus, das euch besonders gut gefällt. Schreibt<br />
am Computer auf, warum ihr es gewählt habt. Übt das Gedicht in der<br />
kommenden Woche, so dass ihr es uns am nächsten Freitag im Kreis<br />
vortragen könnt. Lernt es danach auswendig, so dass ihr<br />
es zum Erntedank in der Schulversammlung vortragen<br />
könnt.<br />
Ihr habt 10 Minuten.<br />
Schreibt möglichst viele Wörter, in denen<br />
hinter dem Selbstlaut zwei Mitlaute stehen.<br />
Überlegt mit eurem Nachbarn, was diese Wörter<br />
gemeinsam haben.<br />
Sucht in eurer letzten Geschichte<br />
drei bis sechs Wörter, die ihr falsch geschrieben habt,<br />
die ihr aber häufiger braucht. Nehmt die Karten in eure<br />
5-Fächer-Kartei und lasst euch jeden Tag zehn Wörter aus<br />
der Kartei in Partner arbeit diktieren.<br />
Sind das »gute« Aufgaben – und nach<br />
welchen Kriterien lässt sich das beurteilen?<br />
Die besten Aufgaben sind sicher<br />
die, die sich ein Kind selbst<br />
stellt: wenn es etwas aus Neugier<br />
erforscht, eine aufzuteilende Menge<br />
von Gegenständen berechnet, einen<br />
Brief schreibt. Ein solches persönliches<br />
Interesse ist der stärkste Motor des Lernens.<br />
Aber manche Kinder äußern und verfolgen<br />
von sich aus keine eigenen Ideen.<br />
Auch bringen nicht alle in die Schule<br />
die Motivation und die Fähigkeit mit,<br />
sich selbst Neues anzueignen. Während<br />
andere in ihren Familien positive<br />
Erfahrungen bei der Bewältigung von<br />
neuen Anforderungen machen, müssen<br />
sie im Unterricht erst wieder Mut fassen<br />
und zudem lernen, sich selbst zu organisieren.<br />
Darum gibt es Schule. Sie kann Fenster<br />
in unbekannte Welten eröffnen. 1)<br />
Zu ihren etablierten Aufgaben gehört,<br />
Allgemeinbildung zu ermöglichen.<br />
Entsprechende pädagogische Konzepte<br />
(z. B. von Heymann 1997) richten die<br />
Aufmerksamkeit auf zentrale Zielperspektiven,<br />
auf die im Unterricht zu achten<br />
ist. Der <strong>aktuell</strong>e Paradigmenwechsel<br />
von der Inhalts- zur Kompetenz-Orientierung<br />
kann diesen Blick schärfen.<br />
Der Anspruch, Erwerb von Wissen und<br />
Können zu ermöglichen, ist allerdings<br />
etwas anderes als die verbreitete Forderung,<br />
Unterricht müsse und könne das<br />
Erreichen bestimmter Lernziele sichern.<br />
Eine solche Output-Fixierung verkennt<br />
die Eigenlogik menschlicher Erfahrung.<br />
Die mit ihr geweckten Hoffnungen und<br />
die damit verknüpften Erwartungen an<br />
die Schule und an die einzelne Lehrperson<br />
sind illusionär.<br />
Denn eine rein instrumentelle Sicht<br />
von Unterricht greift zu kurz: Sie überschätzt<br />
die »Machbarkeit« von Lernen<br />
und sie übersieht die Nebenwirkungen<br />
eines technologischen Verständnisses<br />
von Unterricht (vgl. zur Relativierung<br />
des Anspruchs von Bildungsstandards<br />
und der mit ihnen verknüpften Kompetenztests<br />
den Kasten auf Seite 10).<br />
Eine der problematischsten Nebenwirkungen<br />
ist das Missverständnis (oder<br />
der Missbrauch …) von Prüfungsaufgaben<br />
als Lernaufgaben. Verlagsangebote<br />
wie »PISA fit« oder »VERA 3 – Übungsaufgaben<br />
mit Lösungen« nähren dieses<br />
Missverständnis bewusst. Die häufige<br />
Folge ist ein inhaltsloses Einschleifen<br />
von Aufgabenmustern, das vielleicht<br />
testwise macht, aber nicht dazu beiträgt,<br />
dass Kinder sich ein im Alltag belastbares<br />
Wissen und Können aneignen.<br />
Wenn wir nach »guten« Aufgaben<br />
suchen, müssen wir also unterscheiden:<br />
von den Lernaufgaben zunächst einmal<br />
die Prüfungsaufgaben. Zeitvorgaben<br />
sind bei letzteren oft unvermeidlich. Sie<br />
verringern aber die Bereitschaft zum<br />
eigenständigen Denken und Probieren.<br />
Beeinträchtigt wird diese auch durch<br />
die zunehmende Tendenz, die Durchführung<br />
und Auswertung von Aufgaben<br />
zu standardisieren, um eine höhere<br />
Vergleichbarkeit zu sichern, und das mit<br />
ihr verbundene Falsch-Richtig-Schema.<br />
Kompetenztests können Leistungssituationen<br />
zudem nur simulieren. Sie<br />
liefern Hinweise auf verfügbares Wissen<br />
und Können, erfassen diese aber nicht<br />
direkt. Schon die hohe Korrelation von<br />
Mathematik- und Lesetests bei PISA<br />
offenbart das Problem: Die sprachliche<br />
Darstellung der konstruierten Anwendungskontexte<br />
verlangt zusätzlich zu<br />
den fachlichen weitere Kompetenzen,<br />
deren (Nicht-)Vorhandensein erstere im<br />
Ergebnis überlagern.<br />
Begleitende Lernbeobachtungen erlauben<br />
eher als punktuelle Tests, die<br />
Entwicklung von Wissen und Können<br />
zu erfassen. Insofern betrifft Kompetenzorientierung<br />
noch ein weiteres<br />
Qualitätsmerkmal von Aufgaben: dass<br />
nicht nur die Kinder etwas über die Sache,<br />
sondern auch die Lehrer/innen etwas<br />
über die Kinder lernen sollten. Sind<br />
die Aufgaben klar auf bestimmte Leistungen<br />
hin orientiert, kann aus ihrer<br />
Bewältigung bzw. aus den Fehlern auf<br />
spezifische Schwierigkeiten geschlossen<br />
werden. Beobachtungsbögen wie in<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>113</strong> • Februar 2011<br />
7
Thema: Gute Aufgaben und Kompetenz orientierung<br />
Abb. 1 machen diese Zuordnung transparent<br />
und erleichtern damit die Dokumentation<br />
der individuellen Lernwege.<br />
Mit unserem Konzept der integrierten<br />
Beobachtungs- und Lernaufgaben (vgl.<br />
Brügelmann 2011) haben wir für den<br />
Schriftspracherwerb am Schulanfang<br />
versucht, diesen Ansatz systematisch<br />
zu konkretisieren. Analoge Ansätze<br />
finden sich für den Mathematikunterricht<br />
bei Sundermann / Selter (2005)<br />
im SINUS-Programm und für die<br />
anderen Fächer in den Beiträgen zur<br />
»Pädagogischen Leistungskultur« des<br />
Grundschulverband (vgl. Bartnitzky<br />
u. a. 2005 – 2007).<br />
Prüfungsaufgaben machen als Lernaufgaben<br />
nur insoweit Sinn, als sie dazu<br />
beitragen können, Testangst abzubauen<br />
und Schüler/innen auf typische Anforderungen<br />
vorzubereiten, so dass nicht<br />
äußere Bedingungen die Leistung beeinträchtigen.<br />
2) Je mehr von den Ergebnissen<br />
der Prüfung aber abhängt für<br />
Schüler/innen und ihre Lehrer/innen,<br />
desto mehr dominieren deren Muster<br />
auch den Stil des Unterrichts. Man kann<br />
dies im Gefolge von zentralen Prüfungen<br />
und Lernstandserhebungen tagtäglich<br />
erleben. Es ist schwer für Lehrer/<br />
innen, diesem Trend zu widerstehen.<br />
Umso wichtiger ist Klarheit darüber,<br />
durch welche Merkmale sich lernträchtige<br />
Aufgaben auszeichnen.<br />
Bei diesen werden gemeinhin drei<br />
Typen unterschieden, die ihrerseits unterschiedliche<br />
Anforderungen stellen: 3)<br />
Neues zu lernen (»Lernaufgaben« im<br />
engeren Sinn) verlangt andere Bedingungen,<br />
als Gelerntes zu automatisieren<br />
(»Übungsaufgaben«), und noch einmal<br />
anders sieht es aus, wenn im Unterricht<br />
Abb. 1: Beobachtungsbogen zum Stand von Teilleistungen<br />
erworbenes Wissen oder Können auf<br />
neue Situationen angewandt werden<br />
soll (»Transferaufgaben«).<br />
Hinter dieser Aufteilung steht ein<br />
Phasenmodell, dessen Gültigkeit davon<br />
abhängt, wie stark die Lernsituation aus<br />
dem Alltagskontext herausgelöst wird,<br />
so dass ein Transfer-Problem überhaupt<br />
erst entsteht. Dies muss nicht sein, wie<br />
die sog. Fermi-Aufgaben im Mathematikunterricht<br />
zeigen (s. das Beispiel<br />
in Abb. 2). Sie können vielfältige Fragen<br />
auslösen, die eng an die Alltagserfahrung<br />
angebunden sind, aber deren<br />
mathematische Modellierung und<br />
Verrechnung verlangen (s. Abb. 3). Das<br />
Abb. 2: Beispiel für eine Fermi-Aufgabe<br />
Abb. 3: Durch die Fermi-Aufgabe provozierte Fragen<br />
8 GS <strong>aktuell</strong> <strong>113</strong> • Februar 2011
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GRU_PK_2011
Thema: Gute Aufgaben und Kompetenz orientierung<br />
Lernen ist direkt in Anwendungskontexte<br />
eingebunden, so dass Transferprobleme<br />
erst gar nicht entstehen. Zudem<br />
ermöglicht die offene Form dieser<br />
Aufgabe eine Individualisierung »von<br />
unten«, indem die Kinder selbst den<br />
inhaltlichen Zugang und das Niveau<br />
der Bearbeitung wählen – ein wichtiges<br />
Kriterium für »gute« Lernaufgaben.<br />
Auch Übung kann in dieser Dimension<br />
unterschiedlich organisiert werden.<br />
Am einen Ende des Kontinuums<br />
steht die kontextfreie Wiederholung in<br />
eigens konstruierten Aufgaben (z. B.<br />
mit der 5-Fächer-Kartei, um das Lesen<br />
bzw. Schreiben von häufigen Wörtern<br />
zu automatisieren). Wenn Kinder sich<br />
andererseits nach eigenem Interesse<br />
Bücher für die freie Lesezeit suchen,<br />
kommt es zu einem beiläufigen »Üben<br />
im Gebrauch«, das in die Alltagshandlung<br />
eingebettet ist.<br />
Damit wird ein wichtiger Ertrag der<br />
Kompetenzdiskussion deutlich: Aufgaben<br />
sollten so gestaltet sein, dass die<br />
Handlungsfähigkeit im Alltag gestärkt<br />
wird. Ein zweiter Anspruch bezieht<br />
sich auf die didaktische Zurichtung<br />
der Aufgabe: Was können SchülerInnen<br />
nach Bearbeitung der Aufgabe<br />
besser als vorher? Es reicht eben nicht,<br />
dass sie »Spaß« an ihrer Bearbeitung<br />
haben. Motivation ist nur ein Aspekt<br />
guter Aufgaben. Nicht minder wichtig<br />
ist die Anforderung, dass die Aufgabe<br />
sinnvolle Erfahrungen ermöglicht. An<br />
solchen fachdidaktischen Begründungen<br />
mangelt es oft. Selbst oberflächlich<br />
gleiche Aufgaben können ganz unterschiedliche<br />
Leistungen erfordern –<br />
Abb. 4: Lesekrokodil<br />
und fördern. Nehmen wir das beliebte<br />
»Lesekrokodil« (s. Abb. 4). Traditionell<br />
wurde es als sog. »Synthese«-Aufgabe<br />
eingesetzt: »Benenn die Buchstaben<br />
und zieh die Laute zusammen!« Damit<br />
werden die Kinder in die Falle der<br />
Kunstlautung eines linearen Erlesens<br />
»von unten nach oben« gelockt. Sie<br />
entwickeln eine einseitige und damit<br />
Leistungsstandards und Kompetenztests<br />
Die Probleme mit den KMK-Standards lassen<br />
sich in fünf Thesen zusammenfassen:<br />
●●<br />
Es handelt sich um (Fach-)Leistungsstandards<br />
– nicht um Bildungsstandards.<br />
●●<br />
Sie beschränken sich auf die Zielebene<br />
(»Output«) – liefern keine Kriterien für die<br />
Qualität von Lehr-/Lernprozessen.<br />
●●<br />
Die Lernstandserhebungen reduzieren<br />
sie weiter auf das Testbare – statt den<br />
Unterricht pädagogisch anzuregen und<br />
herauszufordern.<br />
●●<br />
Die Auswertung orientiert sich einseitig<br />
an der sozial vergleichenden Bezugsnorm<br />
– statt dass die individuelle<br />
Leistungsentwicklung ausgewiesen und<br />
honoriert würde.<br />
●●<br />
Als Regelstandards errichten sie Selektionshürden<br />
– statt Anstrengungen<br />
zur optimalen Entfaltung der individuell<br />
unterschiedlichen Möglichkeiten zu fördern.<br />
Das Kernproblem aber ist die enge Anbindung<br />
der Standards an Tests, und deren<br />
Einsatz in einem Kontrollkontext, so<br />
dass sowohl LehrerInnen als auch SchülerInnen<br />
zu Täuschungsversuchen verleitet<br />
werden. Formulierungen wie das<br />
Versprechen einer Schulministerin an die<br />
Eltern der ViertklässlerInnen bei der Einführung<br />
von VERA »Jetzt wissen Sie, wo<br />
Ihr Kind wirklich steht!« suggerieren einen<br />
Autoritätsanspruch, dem Tests nicht<br />
gerecht werden können. Der berechtigte<br />
Widerstand von Lehrerinnen gegen eine<br />
solche Entmündigung kann dann leider<br />
auch dazu führen, dass sinnvolle Funktionen<br />
von Standards und Tests nicht mehr<br />
gesehen und ihr Einsatz ganz verweigert<br />
wird.<br />
Der inzwischen gängige Vorwurf fehlender<br />
Diagnosekompetenz (z. B. bei<br />
den Empfehlungen am Ende der Grundschulzeit)<br />
vereinfacht komplexe Wahrnehmungs-<br />
und Beurteilungsprozesse<br />
unzulässig. Wenn Lehrerurteil und Testergebnis<br />
differieren, wird fast selbstverständlich<br />
unterstellt, dass die Einschätzungen<br />
der PraktikerInnen falsch sind.<br />
Könnte es nicht auch umgekehrt sein,<br />
dass die<br />
●●<br />
nur punktuellen<br />
●●<br />
inhaltlich ausschnitthaften<br />
●●<br />
in der Aufgabenform künstlichen<br />
Tests in vielen Fällen irren?<br />
Dazu in Stichwortform einige Fragen (vgl.<br />
zum Folgenden Brügelmann 2008, wo<br />
auch die empirischen Befunde im Einzelnen<br />
nachgewiesen sind).<br />
Wie sicher ist die ökologische<br />
Validität von Tests?<br />
In unserer LUST-Studie mit dem Stolperwörter-Lesetest<br />
für GrundschülerInnen<br />
erreichen mehr als 10 Prozent der Handwerker<br />
in Meisterkursen nur das Durchschnittsniveau<br />
von ViertklässlerInnen;<br />
selbst von LehrerInnen in Fortbildungen<br />
lesen einige im Test nicht schneller und<br />
fehlerfreier als durchschnittliche ViertklässlerInnen.<br />
Was bedeuten solche Ergebnisse<br />
im Beruf erfolgreicher Erwachsener<br />
für die Relevanz von Ergebnissen<br />
in Leistungstests für Anforderungen in<br />
Alltagssituationen?<br />
Wie weit ist es her mit der prognostischen<br />
Vorhersagekraft von Tests?<br />
Von den 15-jährigen SchülerInnen, die<br />
bei PISA in Dänemark als »Illiterates« klassifiziert<br />
wurden, haben 20 Prozent den<br />
Sekundarschulabschluss erreicht; von<br />
denen, die in Kanada auf Stufe 1 oder darunter<br />
lagen, haben 62 Prozent den High-<br />
School-Abschluss gemacht. Selbst wenn<br />
man seine Zweifel an den Anforderungen<br />
in manchen Examina hat: Was bedeuten<br />
solche Befunde für die diagnostische<br />
Funktion von Lernstandserhebungen<br />
und zentralen Abschlussprüfungen?<br />
Wie verlässlich sind die in einzelnen<br />
Tests gewählten Indikatoren?<br />
In internationalen Lesestudien landen<br />
die USA in den letzten knapp 20 Jahren<br />
je nach Altersgruppe und Instrument im<br />
Vergleich mit denselben Ländern auf höheren,<br />
etwa gleichen oder niedrigeren<br />
Rangplätzen. Im US-internen National Assessment<br />
of Educational Progress (NAEP)<br />
sind die Leseleistungen über die letzten<br />
30 Jahre hinweg fast auf den Punkt genau<br />
konstant geblieben. Was bedeutet diese<br />
Differenz für die Reichweite von Testergebnissen<br />
– insbesondere als Grundlage<br />
für Qualitätsurteile über Schulsysteme –<br />
und Schulen?<br />
10 GS <strong>aktuell</strong> <strong>113</strong> • Februar 2011
Thema: Gute Aufgaben und Kompetenz orientierung<br />
Allgemeine Fragen an die<br />
Gestaltung von Aufgaben<br />
Bei der Gestaltung / Auswahl von Aufgaben für die<br />
Freiarbeit sind folgende Gesichtspunkte hilfreich:<br />
1. Motivationsqualität:<br />
Welche Merkmale der Aufgabe können Kinder<br />
motivieren, sich mit ihr zu befassen?<br />
2. Passung auf den individuellen<br />
Könnens- / Wissensstand:<br />
Welche spezifischen Kompetenzen setzt ein<br />
erfolgreicher Umgang mit der Aufgabe voraus?<br />
3. Relevanz für das beabsichtigte Ziel:<br />
Welche Erfahrungen sollen durch die Aufgabe<br />
ermöglicht werden?<br />
4. Klärung der Lösungswege:<br />
Welche Lösungswege sollen / können bei der<br />
Bearbeitung der Aufgabe gegangen werden?<br />
5. Sicherung selbstständigen Arbeitens:<br />
Ermöglicht die Gestaltung der Aufgabe,<br />
dass Kinder sie ohne fremde Hilfe bearbeiten?<br />
6. Geeignete Arbeitsformen:<br />
Sind erforderliche Hilfsmittel verfügbar und<br />
die erwarteten Sozialformen eingeführt?<br />
7. Überprüfbarkeit des Ergebnisses:<br />
Welche Möglichkeiten werden den Kindern<br />
zur selbständigen Ergebniskontrolle gegeben?<br />
(im Anschluss an: Potthoff 1990, S. 58 – 59, der<br />
entsprechende Kriterien für didaktische Materialien<br />
formuliert hat)<br />
Kriterien für die<br />
Gestaltung von Übungsaufgaben<br />
●●<br />
Informationsaufnahme ist noch nicht Lernen. Etwas Neues<br />
gelernt haben wir erst, wenn es uns auch noch später zur<br />
Verfügung steht.<br />
●●<br />
Aktives Erinnern ist effektiver als (passives) Wiederlesen oder<br />
Wiederhören.<br />
●●<br />
Erkennen von Sinn und Verbinden mit positiven Gefühlen<br />
erleichtern das dauerhafte Lernen.<br />
●●<br />
Automatisierung ist nur durch kognitiv kontrolliertes und<br />
häufiges Üben zu erreichen. Dies gilt gleichermaßen für das<br />
Erlernen eines Musikinstruments, sportlicher Bewegungsabläufe<br />
und für die Schule.<br />
●●<br />
Bedeutungshaltige Information wird schneller gelernt und<br />
besser behalten als von Kontexten befreite Information<br />
(z. B. sinnlose Silben).<br />
●●<br />
Beim Einprägen von Fakten (Einmaleins, Vokabeln,…) ist<br />
Überlernen sinnvoll, um einen schnellen Abruf zu ermöglichen.<br />
●●<br />
Beim Training komplexer Fertigkeiten (Musikinstrument,<br />
Hochsprung, Aufsatzschreiben) werden Experten benötigt, die<br />
durch die Analyse guter Beispiele und konkrete Verbesserungshilfen<br />
den Lernprozess effektiv gestalten.<br />
●●<br />
Verteiltes Üben ist i. d. R. sinnvoller als massiertes Üben.<br />
●●<br />
Schüler sollten erarbeitete Inhalte aktiv verarbeiten können<br />
und daher entsprechende Strategien kennen lernen.<br />
●●<br />
Übungen versprechen den größten Lernerfolg und höhere<br />
Lernfreude, wenn sie in ansteigendem (nicht in mittlerem)<br />
Schwierigkeitsgrad präsentiert werden.<br />
●●<br />
Üben ist umso erfolgversprechender, je schneller eine Rückmeldung<br />
über die Lösung und Hinweise zu möglichen Lösungswegen<br />
erfolgen.<br />
(aus: Wellenreuther 2004, S. 109 – 160, leicht redigiert)<br />
fehlerträchtige Lesestrategie. Erfolgreich<br />
kann Lesen nur werden, wenn es<br />
die Entschlüsselung der Buchstabenkette<br />
mit einer aktiven Sinnerwartung<br />
verknüpft (s. die Bilderzeile oben in<br />
Abb. 4). Eine kleine Umformulierung<br />
der Aufgabe wird dieser fachdidaktischen<br />
Pointierung gerecht: Nach dem<br />
Herausziehen eines jeden (weiteren)<br />
Buchstabens werden die Kinder gefragt:<br />
»Welches Wort kann das (jetzt<br />
noch) werden?«<br />
Seit Jahren gehören Memorys mit<br />
Schrift in unterschiedlichen Varianten<br />
zum Standardrepertoire des Anfangsunterrichts.<br />
Aber nicht immer ist den<br />
Lehrer/inne/n deutlich, was Kinder eigentlich<br />
lernen, wenn sie die eine oder<br />
die andere Form spielen. Welche Variante<br />
für welchen Entwicklungsstand<br />
angemessen ist, hängt nämlich von der<br />
konkreten Ausgestaltung des Spiels ab,<br />
wie die folgenden Beispiele zeigen (vgl.<br />
zu weiteren Varianten Brinkmann /<br />
Brügelmann 2010, S. 22):<br />
●●<br />
Das »gezinkte Memory« kann im<br />
Kindergarten oder am Schulanfang eingesetzt<br />
werden. Die Bilder liegen – wie<br />
üblich – verdeckt unten, auf der sichtbaren<br />
Oberfläche steht aber zusätzlich das<br />
entsprechende Schriftwort, möglichst<br />
in der Form von Minimalpaaren wie<br />
WAL/WALD oder KIRCHE/KIRSCHE.<br />
Schriftunkundige Kinder betrachten<br />
die Schrift als bloßes Ornament, sie<br />
spielen dieses Memory, ohne die Hilfe<br />
zu nutzen. Wenn sie anfangen, auf die<br />
Schrift zu achten, fallen sie zunächst oft<br />
auf ähnliche Wörter herein – und lernen<br />
dadurch, die Buchstabenfolge genau<br />
und vollständig abzutasten.<br />
●●<br />
Einen Schritt weiter – zur inneren<br />
Anschauung – führt die Variante, in<br />
der die Pärchen aus Schriftwörtern<br />
bestehen, die (statt der Bilder) auf der<br />
Unterseite der Karten stehen, also beim<br />
Spielen verdeckt sind. Um die passenden<br />
Karten zu finden, müssen die Kinder<br />
sich beim Aufdecken dann nicht nur<br />
den Ort, sondern auch die Buchstabenfolgen<br />
genau merken – vor allem, wenn<br />
es wieder Minimalpaare gibt. Lautung<br />
oder Bedeutung der Wörter sind dagegen<br />
noch irrelevant.<br />
●●<br />
Dies wird erst bedeutungsvoll in der<br />
noch anspruchsvolleren Spielform, wenn<br />
die verdeckten Pärchen aus je einem<br />
Schriftwort und dem dazu passenden<br />
Bild bestehen. Die Zuordnung von Wort<br />
zu Bild erfordert bereits ein bedeutungsorientiertes<br />
(Er-)Lesen des Wortes.<br />
Kompetenzorientierung verlangt also<br />
gerade bei Aufgaben, die in Spiele oder<br />
Anwendungskontexte eingebettet sind,<br />
dass man sich über mögliche Lernerträge<br />
(und ihren Wert) genau Rechenschaft<br />
ablegt.<br />
Das betrifft auch die fachübergreifenden<br />
Kompetenzen. Ist die Aufgabe so<br />
gestaltet, dass ein selbstständiges Arbeiten<br />
gefordert – aber auch ermöglicht<br />
wird? Wer Karteien oder andere Freiarbeitsmaterialien<br />
einsetzt, weiß, wie<br />
wichtig<br />
––<br />
eine klare Aufgabenstellung,<br />
––<br />
eingeführte Symbole und<br />
––<br />
vertraute Formate<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>113</strong> • Februar 2011<br />
11
Thema: Gute Aufgaben und Kompetenz orientierung<br />
Prof. Dr. Hans Brügelmann<br />
Professor für Grundschulpädagogik<br />
und -didaktik an der Universität Siegen.<br />
Im Grundschulverband Fachreferent<br />
für Qualitätsentwicklung<br />
sind, damit die inhaltlich-methodischen<br />
Anforderungen nicht durch technischorganisatorische<br />
Probleme überlagert<br />
werden (s. auch die Kriterien im Kasten<br />
auf Seite 11).<br />
Kompetenzorientierung hat also zwei<br />
Seiten: angezielte Erträge der Aufgabe,<br />
aber auch die Voraussetzungen zu ihrer<br />
Bewältigung – die wiederum Einfluss<br />
auf die möglichen Erträge haben.<br />
Insofern sind auch die Ergebnisse von<br />
Prüfungsaufgaben mehrdeutig. Anders<br />
gesagt: Dieselbe Lösung kann auf unterschiedliche<br />
Kompetenzen verweisen<br />
– je nachdem, ob sie von dem einzelnen<br />
Kind als verfügbares Wissen abgerufen,<br />
aus einem anderen Bereich transferiert<br />
oder als <strong>aktuell</strong>e Problemlösung situativ<br />
entwickelt worden ist. Der Aufgabenlösung<br />
als Produkt sieht man diese<br />
Unterschiede nicht ohne Weiteres an.<br />
Insofern sind Prüfungsaufgaben zu bevorzugen,<br />
die eine Dokumentation des<br />
Lösungswegs verlangen – wie z. B. die<br />
Nebenrechnungen bei der Bearbeitung<br />
einer Mathematikaufgabe oder die Entwürfe<br />
beim Verfassen von Texten. Und<br />
da, wo noch Diktate geschrieben werden,<br />
macht die anschließende Selbst-<br />
Korrektur mit Hilfe eines Wörterbuchs<br />
oder das Unterstreichen der richtigen<br />
Schreibweise von Wörtern, die falsch<br />
geschrieben waren, in der Musterlösung<br />
solche Denkprozesse transparent.<br />
Lernen bedeutet aber nicht nur Verstehen,<br />
sondern auch Behalten. Für Teilleistungen<br />
wie Buchstabenkenntnis oder<br />
Erkennen häufiger Wörter erfordert<br />
dies Automatisierung durch Wiederholung,<br />
damit sie sozusagen bewusst-los<br />
verfügbar sind und in der Folge Aufmerksamkeit<br />
für höhere Leistungen wie<br />
Textverständnis verfügbar wird. Bereits<br />
Odenbach (1963) hat auf der Basis<br />
psychologischer Erkenntnisse wichtige<br />
Kriterien für die Gestaltung von derartigen<br />
Übungsaufgaben formuliert. Eine<br />
<strong>aktuell</strong>e Zusammenfassung findet sich<br />
bei Wellenreuther (2004, S. 109 – 160),<br />
aus der ich die wichtigsten Punkte im<br />
Kasten auf Seite 11 übernommen habe.<br />
Sie machen typische Unterschiede zu<br />
den Lernaufgaben deutlich.<br />
Für deren Gestaltung halte ich abschließend<br />
folgende Kriterien als besonders<br />
wichtig fest (die auch in die<br />
Eingangsbeispiele eingegangen sind):<br />
––<br />
Aufgaben sollten Lernen möglichst<br />
»im Gebrauch« ermöglichen, also<br />
auch einen Sinn in sich tragen (»Alltagsrelevanz«),<br />
wie beispielsweise das<br />
freie Schreiben oder die Rezension<br />
von gelesenen Texten für andere;<br />
––<br />
ihr Lernpotenzial ist fachdidaktisch<br />
überzeugend zu begründen – als<br />
Lernchance, nicht deterministisch<br />
gedacht wie in den behavioristischen<br />
Lernziel-Konzepten der 1970er Jahre,<br />
und z. T. auch heute wieder in einer<br />
zu eng verstandenen Kompetenzorientierung;<br />
––<br />
die Aufgaben sollten so offen sein,<br />
dass Schüler mit verschiedenen Voraussetzungen<br />
Unterschiedliches lernen<br />
können;<br />
––<br />
ihre Bearbeitung soll nicht nur fachliche<br />
Leistungen, sondern auch<br />
Grundkompetenzen wie Selbstorganisation,<br />
Zusammenarbeit und Metareflexion<br />
fördern.<br />
Anmerkungen<br />
(1) Vgl. die eindrucksvollen Erinnerungen<br />
von Helmut und Loki Schmidt in DIE ZEIT<br />
(2008, S. 29, 32) und Schmidt (2005).<br />
(2) Vgl. Brinkmann (2011).<br />
(3) Zu den besonderen Anforderungen<br />
an Lernsoftware: Brinkmann u. a. (2003,<br />
S. 121– 123 und 124 – 130).<br />
Literatur<br />
Bartnitzky, H., u. a. (Hrsg.) (2005 / 2006 / 2007):<br />
Pädagogische Leistungskultur: Materialien<br />
für Klasse 1/2 und Klasse 3/4. Beiträge zur<br />
Reform der <strong>Grundschule</strong>, Bd. 119 / 121 / 124.<br />
Frankfurt a. M.: Grundschulverband.<br />
Brinkmann, E. (2010): Üben für den Ernstfall.<br />
Tipps und Tricks für das Schreiben von<br />
Diktaten. In: Grundschulzeitschrift, 24. Jg.,<br />
Nr. 235/236, S. 36 – 37.<br />
Brinkmann, E. / Brügelmann, H. (2010):<br />
Ideen-Kiste Schriftsprache 1 (mit didaktischer<br />
Einführung »Offenheit mit Sicherheit«).<br />
Hamburg: Verlag für pädagogische Medien<br />
(8. völlig neu bearb. Aufl.; 1. Aufl. 1993).<br />
Brinkmann, E. u. a. (Hrsg.) (2003): Selbstständiges<br />
Lernen und Individualisierung »von<br />
unten«. Alte und neue Medien als Herausforderung<br />
und Hilfe in der <strong>Grundschule</strong>.<br />
Arbeitsgruppe Primarstufe / FB 2 der Universität:<br />
57068 Siegen (2. Aufl. 2007).<br />
Brinkmann, E., u. a. (2008ff.): ABC-Lernlandschaft.<br />
Seelze: Lernbuch-Verlag / Friedrich.<br />
Brügelmann, H. (2008a): Fieber genau zu<br />
messen ist noch keine Diagnose, Fieber<br />
erfolgreich zu senken keine Therapie. Wie<br />
Leistungstests in ihren Leistungsmöglichkeiten<br />
durch PISA & Co überfordert werden.<br />
Beitrag zum Forum »Schule ist mehr als<br />
PISA – Zur Bedeutung reformpädagogischer<br />
Ansprüche an die schulische Bildung von<br />
heute« der ZEIT-Stiftung in Hamburg am<br />
6./7. März 2008.<br />
www.agprim.uni-siegen.de/printbrue/<br />
brue.08a.pisa_refpaed2.pdf<br />
Brügelmann, H. (2011): Individuell beobachten<br />
statt (bloß zu) testen. »Können«<br />
und »Wissen« erschließen sich erst unter<br />
der Oberfläche des Verhaltens. In: de Boer,<br />
H. / Reh, S. (Hrsg.) (2011): Beobachtung in<br />
der Schule – Beobachten lernen. Wiesbaden:<br />
VS Verlag für Sozialwissenschaften (in Vorb.).<br />
DIE ZEIT (2008): Helmut Schmidt.<br />
Würdigungen, Essays und Glückwünsche<br />
zum 90. Geburtstag. Zweiter Teil:<br />
Der Publizist und Privatmann.<br />
Beilage zu: Die Zeit v. 17. 12. 2008.<br />
Heymann, H. W. (Hrsg.) (1997): Allgemeinbildung<br />
und Fachunterricht. Hamburg:<br />
Bergmann + Helbig.<br />
Kaufmann, S. (2006): Fermi-Kartei. Materialkommentar.<br />
In: Grundschulzeitschrift, 20. Jg.<br />
2005, H. 191, 20 (Kartei als Einlage).<br />
Odenbach, K. (1963): Die Übung im Unterricht.<br />
Braunschweig: Westermann Taschenbuch<br />
S 1 (6. Aufl. 1974).<br />
Potthoff, W. (1990): Grundlage und Praxis der<br />
Freiarbeit. Freiburg: Reformpädagogischer<br />
Verlag Jörg Potthoff (3. Aufl.).<br />
Schmidt, L. (2005): Mein Leben für die<br />
Schule. Im Gespräch mit Reiner Lehberger.<br />
Hamburg: Hoffmann und Campe.<br />
Sundermann, B. / Selter, C. (2005): Mathematikleistungen<br />
feststellen, beurteilen und<br />
fördern. Beschreibung des Moduls 9 für das<br />
Projekt SINUS-Transfer <strong>Grundschule</strong><br />
www.sinus-grundschule-de / [Abruf: 13.1.06]<br />
Wellenreuther, M. (2004): Lehren und Lernen<br />
– aber wie? Empirisch-experimentelle<br />
Forschungen zum Lehren und Lernen im<br />
Unterricht. Baltmannsweiler: Schneider Verlag<br />
Hohengehren.<br />
12 GS <strong>aktuell</strong> <strong>113</strong> • Februar 2011
Praxis: Gute Aufgaben und Kompetenz orientierung<br />
Ralph Thielbeer<br />
Gute Aufgaben =<br />
guter Mathematikunterricht?<br />
Können Mathematikaufgaben dazu beitragen, Unterricht zu verändern? Welche<br />
Bedingungen benötigt ein zeitgemäßer Mathematikunterricht und welche<br />
Rolle spielt die Lehrkraft in diesem Gefüge? Mit diesen und ähnlichen Fragen<br />
beschäftigen sich die Experten nicht erst seit PISA und Co. Die Ergebnisse<br />
<strong>aktuell</strong>er Studien, wie PISA 2009, geben Anlass zu der Hoffnung, dass die<br />
seit langem geforderten Reformen des Mathematikunterrichts langsam Wirkung<br />
zeigen. Eigene Erfahrungen scheinen aber zu bestätigen, dass an vielen<br />
Schulen nach wie vor ein Mathematikbild vorherrscht, das einen traditionellen<br />
Mathematikunterricht bestärkt.<br />
Gekennzeichnet wird ein solcher<br />
Unterricht u. a. dadurch, dass<br />
mathematische Inhalte als logisch<br />
festgefügte Systeme von abgeklärten<br />
Begriffen, Regeln und Verfahren<br />
erscheinen, dass der Stoff Schritt für<br />
Schritt gelernt und portionsweise bis<br />
zur möglichst fehlerlosen Reproduktion<br />
geübt wird oder dass ein defizitorientiertes<br />
Verständnis von Fehlern die<br />
Angst vor eigenen Überlegungen verstärkt<br />
und die Schüler auf Reproduktion<br />
vorgegebener Musterlösungen zurückgreifen<br />
lässt (vgl. Wittmann 2003).<br />
Wozu diese Art von Mathematikunterricht<br />
führen kann, zeigen die foldenden<br />
Beispiele aus einer 4. Klasse:<br />
Da hier eine offene Aufgabenstellung<br />
Ausgangspunkt der Eigenaktivitäten<br />
der Schüler war und auf keine Musterlösungen<br />
oder im Vorfeld besprochene<br />
Arbeitswege zurückgegriffen werden<br />
konnte, tritt die spezifische mathematische<br />
Leistungsfähigkeit deutlich zu<br />
Tage. Ein Unterricht, der hauptsächlich<br />
auf formelles Rechnen ausgerichtet<br />
ist und beim Behandeln von Aufgaben<br />
z. B. durch imitierendes<br />
Üben, die Sequentierung nach<br />
Rechenoperationen oder die<br />
Verpflichtung zu festgelegten<br />
Bearbeitungsschritten das<br />
Nachdenken und Sinnstiften<br />
bei den Schülern verhindert,<br />
Schreibe eine Sachaufgabe, in der du verschiedene Größeneinheiten verwendest. Rechne sie.<br />
(Drei Vögel fliegen auf ein Baum die Vögel sind 15 cm groß. wie viel wiegen sie?<br />
Rechne: 10 cm + 5 cm = 15 cm. Antwort: Die drei Vögel wiegen 15 cm)<br />
Schreibe eine Sachaufgabe, in der du verschiedene Größeneinheiten verwendest. Rechne sie.<br />
(Ein Bauarbeiter grab 20 m tief aber der Chef sagt er soll 10 m machen.<br />
Der Kollege sagt er soll 8 m tief graben. Frage: Wie tief soll er graben?<br />
Rechnung: 20 m – 10 m – 8 m = 2 m. Antwort: Er soll 2 m tief graben.)<br />
kann bei den Betreffenden den Zugang<br />
zur Mathematik erschweren oder gar<br />
unmöglich machen (vgl. Winter 2003).<br />
Ein neues Bild von Mathematik<br />
und Kompetenzorientierung<br />
Mathematik wird heute verstanden als<br />
Wissenschaft von Mustern (s. Kasten).<br />
Mathematiklernen muss auf ein stufenübergreifendes<br />
Bild von der Frühförderung<br />
bis hin zur Lehrerbildung<br />
bezogen werden, wobei von Anfang an<br />
der Anwendungsaspekt und der »reine<br />
Aspekt« der Mathematik gleichberechtigt<br />
berücksichtigt werden müssen.<br />
Mathematik im pädagogischen Kontext<br />
soll zur Erschließung der Umwelt beitragen,<br />
was aber ohne »die Erforschung<br />
mathematischer Strukturen für sich<br />
Devlin (1998): »In den letzten zwanzig Jahren ist<br />
eine Definition [von Mathematik] aufgekommen,<br />
der wohl die meisten heutigen Mathematiker zustimmen<br />
würden: Mathematik ist die Wissenschaft<br />
von den Mustern. Der Mathematiker untersucht<br />
abstrakte »Muster« – Zahlenmuster, Formenmuster,<br />
Bewegungsmuster, Verhaltensmuster und so<br />
weiter. Solche Muster sind entweder wirkliche<br />
oder vorgestellte, sichtbare oder gedachte, statische<br />
oder dynamische, qualitative oder quantitative,<br />
auf Nutzen ausgerichtete oder bloß spielerischem<br />
Interesse entspringende. Sie können aus<br />
unserer Umgebung an uns herantreten oder aus<br />
den Tiefen des Raumes und der Zeit oder aus unserem<br />
eigenen Innern.«<br />
Als Muster werden also alle Sätze, Formeln und<br />
Algorithmen der Mathematik verstanden, ebenso<br />
die regelmäßige Wiederholung gleicher Formelemente,<br />
wissenschaftlich betrachtet jedes wiederholt<br />
zu beobachtende regelhafte Phänomen.<br />
Muster können demnach sein:<br />
●●<br />
Symmetrien von Gegenständen<br />
●●<br />
Anordnung von Flecken auf einem<br />
Leopardenfell<br />
●●<br />
Zahlenmuster<br />
●●<br />
Form- und Farbmuster<br />
●●<br />
der Satz: »Die Winkelsumme im Dreieck<br />
ist 180°«<br />
●●<br />
geometrische Muster<br />
● ● …<br />
(vgl. u. a.: Devlin 1998; Wittmann 2003; Walther /<br />
van den Heuvel-Panhuizen / Granzer / Köller 2007)<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>113</strong> • Februar 2011<br />
13
Praxis: Gute Aufgaben und Kompetenz orientierung<br />
selbst, jenseits unmittelbarer Wirklichkeitsbezüge«<br />
nicht gelingen kann (vgl.<br />
Wittmann 2003, S. 27).<br />
Mit der Einführung der Bildungsstandards<br />
für die <strong>Grundschule</strong> 2005 / 2006<br />
wurde die Qualitätsentwicklung des<br />
Mathematikunterrichts in allen Bundesländern<br />
erstmals an einem einheitlichen<br />
Maßstab ausgerichtet und auf Ebene der<br />
Lehrpläne eine deutliche Bewegung hin<br />
zu einer OutputOrientierung sichtbar. 1)<br />
Zentrales Anliegen der Bildungsstandards<br />
ist ein vernetztes, kumulatives,<br />
anschlussfähiges und auf Verstehen ausgerichtetes<br />
Lernen, bei dem den allgemeinen<br />
mathematischen Kompetenzen<br />
eine zentrale Rolle zukommt (vgl. Walther<br />
/ van den HeuvelPanhuizen / Granzer<br />
/ Köller 2007). Neu ist dabei die<br />
Bedeutung, die den allgemeinen oder<br />
prozessbezogenen Kompetenzen neben<br />
den inhaltsbezogenen zugesprochen<br />
wird. »Das Mathematiklernen in der<br />
<strong>Grundschule</strong> darf nicht auf die Aneignung<br />
von Kenntnissen und Fertigkeiten<br />
reduziert werden. Das Ziel ist die Entwicklung<br />
eines gesicherten Verständnisses<br />
mathematischer Inhalte. Die allgemeinen<br />
mathematischen Kompetenzen<br />
verdeutlichen, dass die Art und Weise<br />
der Auseinandersetzung mit mathematischen<br />
Fragen ein wesentlicher Teil der<br />
Entwicklung mathematischer Grundbildung<br />
ist (KMK 2005).« Die Entwicklung<br />
prozessbezogener Kompetenzen kann<br />
dabei nicht von heute auf morgen erfolgen,<br />
sondern ist eine systematisch in den<br />
täglichen Unterricht zu integrierende,<br />
langfristige Aufgabe. Sie entwickeln sich<br />
nur bei der aktiven Auseinandersetzung<br />
von Schülern mit mathematischen Situationen.<br />
Guter Mathematikunterricht – und<br />
damit der Lernerfolg aller Schüler –<br />
hängt von vielen Faktoren ab. Unter<br />
anderem von einer kompetenzorientierten<br />
Sichtweise auf die Ergebnisse<br />
der Kinder, entdeckendem Lernen<br />
als Leitprinzip des Unterrichts, einem<br />
produktiven Spannungsverhältnis von<br />
Offenheit und Zielorientierung oder<br />
einer individuellen und differenzierten<br />
Form der Leistungsfeststellung (s. auch<br />
Kasten zu Qualitätskriterien von Mathematikunterricht<br />
nach Blum). Dabei<br />
hängt im Mathematikunterricht, einem<br />
typischen Aufgabenfach, die Qualität<br />
in erheblichem Maße von der Art der<br />
Aufgaben ab. Die Aufgabenkultur ist ein<br />
Kriterien für die Qualität<br />
von Mathematikunterricht<br />
nach Blum u. a.:<br />
●●<br />
eine fachlich gehaltvolle<br />
Unterrichtsgestaltung<br />
●●<br />
die kognitive Aktivierung der<br />
Lernenden und<br />
●●<br />
eine effektive und schülerorientierte<br />
Unterrichtsführung<br />
(vgl. Blum u. a. 2005)<br />
zentrales Element in einem Unterricht,<br />
der neben den inhaltsbezogenen auch<br />
die Förderung der prozessbezogenen<br />
Kompetenzen in den Mittelpunkt stellt.<br />
Gute Aufgaben sind aber keine »pädagogischen<br />
Selbstläufer«, deren Güte<br />
ohne die Vorstellung unterrichtlicher<br />
Realisationsmöglichkeiten zu bewerten<br />
ist (vgl. Winter 2003). Der Umgang des<br />
Lehrers mit einer Aufgabe spielt eine<br />
maßgebliche Rolle, denn er entscheidet<br />
darüber, ob das in der Aufgabe steckende<br />
Potential für das Lernen nutzbar gemacht<br />
werden kann. 2)<br />
Gute Aufgaben<br />
Walther definiert gute Aufgaben als<br />
»Aufgaben, welche bei Schülern in Verbindung<br />
mit grundlegenden mathematischen<br />
Begriffen und Verfahren die<br />
Entwicklung prozessbezogener Kompetenzen<br />
unterstützen« (Walther, 2004,<br />
S. 10). Eine ähnliche Begriffsbestimmung<br />
findet man bei Ruwisch / Peter<br />
Koop (2003, S. 6):<br />
●●<br />
Als gute Aufgaben werden Problemaufgaben<br />
mit Herausforderungen jenseits<br />
einfacher Routine angesehen.<br />
●●<br />
Gute Aufgaben regen Einsichten in<br />
mathematische Strukturen und Gesetze<br />
an oder ermöglichen das Mathematisieren<br />
außermathematischer Situationen.<br />
●●<br />
Gute Aufgaben bieten ein reichhaltiges<br />
Potential für Frage- und Lösungsmöglichkeiten,<br />
für Diskussionen und Argumentationen,<br />
für Fortführungen und<br />
Variationen.<br />
Hier finden sich die prozessbezogenen<br />
Kompetenzen<br />
Problemlösen, mathematisches<br />
Darstellen, Modellieren, Kommunizieren<br />
und Argumentieren<br />
wieder. Sundermann / Selter<br />
(2006) bezeichnen die dargestellten<br />
Kriterien als Prozessbezug<br />
und haben die Informativität<br />
(Aufgaben, bei denen die<br />
Vorgehensweise für die Einschätzung<br />
der Leistung der Schüler relevant ist)<br />
und die O ff e n h e i t (Aufgaben, bei denen<br />
variable Ergebnisse bzw. Wahlmöglichkeiten<br />
bezüglich einzelner Teilaufgaben<br />
gegeben sind) als weitere mögliche Kriterien<br />
hinzugefügt.<br />
Zahlenmauern – ein kognitiv<br />
anregendes Aufgabenformat<br />
Nicht immer tritt das Potential einer<br />
Aufgabe durch die Aufgabenstellung<br />
explizit zu Tage. Hier hängt es von der<br />
Lehrkraft ab, ob die Aufgabe durch eigene<br />
Variationen zu einer guten Aufgabe<br />
wird und als Ausgangspunkt für weiterführende<br />
Beschäftigungen durch die<br />
Schüler dient. Folgende Zahlenmauern<br />
unterstützen »nur« die Festigung der<br />
Addition und der Subtraktion.<br />
Durch einfache Variation oder Erweiterung<br />
der Zahlenmauern ist es möglich,<br />
den Schülern neben dem Üben ihrer<br />
Rechenfertigkeiten prozessbezogene<br />
Tätigkeiten zu ermöglichen. Diese sind<br />
dabei keine trennscharf voneinander<br />
abzugrenzenden Bausteine. Im Gegenteil,<br />
die Bearbeitung guter Aufgaben<br />
spricht in der Regel verschiedene<br />
prozessbezogene Kompetenzen an. So<br />
könnte eine Öffnung der Aufgabenstellung<br />
vielfältige Eigenproduktionen der<br />
Kinder anregen (s. Abb. 1).<br />
Es werden die Leistungsmöglichkeiten<br />
der Kinder deutlich, die alle die Aufgabenstellung<br />
erfolgreich bewältigt haben.<br />
So sind für die Schüler ermutigende<br />
Rückmeldungen und für den Lehrer die<br />
Einschätzung der individuellen Schülerleistungen<br />
möglich, die Perspektiven für<br />
die weitere Entwicklung aufzeigen können.<br />
Um das Potential von Zahlenmauern<br />
als kognitiv anregendes Aufgabenformat<br />
weiter auszuschöpfen, könnten weitere<br />
Abb. 1: Schülerlösungen zur Aufgabe: »Schreibe<br />
deine eigene Zahlenmauer auf.« (Ende Klasse 1)<br />
14 GS <strong>aktuell</strong> <strong>113</strong> • Februar 2011
Praxis: Gute Aufgaben und Kompetenz orientierung<br />
Variationen in einer Lernumgebung zum<br />
Thema zusammengefasst werden, in der<br />
die Schüler dazu angeregt werden, sich<br />
prozessbezogen mit Zahlenmauern auseinanderzusetzen<br />
(s. Abb. 2). Wollring<br />
(2008) spricht bei einer Lernumgebung<br />
von einer Erweiterung des üblichen Begriffs<br />
Aufgabe, »im gewissen Sinne eine<br />
natürliche Erweiterung dessen, was man<br />
gemeinhin im Mathematikunterricht<br />
traditionell eine ›gute Aufgabe‹ nennt«.<br />
Eine Lernumgebung ist gewissermaßen<br />
eine flexible große Aufgabe, die aus einem<br />
Netzwerk kleinerer Aufgaben besteht, die<br />
durch bestimmte Leitgedanken zusammengebunden<br />
sind und eine Arbeitssituation<br />
als Ganzes beschreiben, die aktiv<br />
entdeckendes und soziales Lernen ermöglichen<br />
und unterstützen.<br />
Rituale – Die »Knobelei der Woche«<br />
Die Faszination der Mathematik zeigt<br />
sich für die Kinder besonders, wenn<br />
sie Gesetzmäßigkeiten, Rechenvorteile<br />
und Regeln entdecken können. Um eine<br />
frühzeitige Auseinandersetzung mit<br />
solchen Problemen und Arbeitsweisen<br />
anzuregen, sollten regelmäßig gute Aufgaben<br />
eingesetzt werden. In bestimmten<br />
Ritualen, wie z. B. der »Knobelei der<br />
Woche«, können über den Unterricht<br />
hinaus das Ausformulieren von Gedanken,<br />
das Darstellen von Lösungswegen<br />
oder die Zusammenarbeit mit einem<br />
Partner – alles notwendige Voraussetzungen<br />
für selbstständiges Problemlösen<br />
– angebahnt werden. Daneben<br />
lassen sich auch hier Einblicke in individuelle<br />
Leistungsstände bekommen. Die<br />
Knobeleien (s. Abb. 3a, b) werden den<br />
Kindern am Anfang der Woche ausgeteilt<br />
und können bis zum Ende derselben<br />
Woche abgegeben werden. Nach der<br />
Kontrolle durch den Lehrer werden die<br />
Aufgaben am nächsten Wochenbeginn,<br />
zusammen mit einer neuen Aufgabe,<br />
zurückgegeben und bei Bedarf im Unterricht<br />
besprochen. Ergeben sich größere<br />
Probleme oder außergewöhnliche<br />
Lösungsvorschläge, werden diese auch<br />
im Unterricht thematisiert und z. B. für<br />
<br />
<br />
<br />
WeitereAufgabenfüreineLernumgebungzuZahlenmauern<br />
WeitereAufgabenfüreineLernumgebungzuZahlenmauern<br />
• FindemöglichstvieleZahlenmauernmitdergleichenZielzahl.<br />
• FindemöglichstvieleZahlenmauernmitdergleichenZielzahl.<br />
!<br />
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<br />
• BauenurausdiesenSteineneineZahlenmauer.WelchenStein<br />
• BauenurausdiesenSteineneineZahlenmauer.WelchenStein<br />
musstduganzobenalsZielsteinindieMauerlegen?Begründe.<br />
musstduganzobenalsZielsteinindieMauerlegen?Begründe.<br />
<br />
10<br />
2<br />
7<br />
10<br />
2<br />
5<br />
1<br />
3<br />
7<br />
5<br />
1<br />
3<br />
<br />
EsgibtnocheinezweiteMöglichkeit,dieSteineanzuordnen.<br />
EsgibtnocheinezweiteMöglichkeit,dieSteineanzuordnen.<br />
Findestdusie?<br />
Findestdusie?<br />
• AuchbeidieserZahlenmauerwirdauszweiNachbarsteinender<br />
• AuchbeidieserZahlenmauerwirdauszweiNachbarsteinender<br />
darüberliegendeSteinberechnet.FindetihrdieRegel?Berechnet<br />
darüberliegendeSteinberechnet.FindetihrdieRegel?Berechnet<br />
denZielstein. Erklärt,wieihrzueuremErgebnis<br />
denZielstein. Erklärt,wieihrzueuremErgebnis<br />
6 10 gekommenseid.<br />
6 10 gekommenseid.<br />
<br />
4 8 12<br />
<br />
4 8 12<br />
• SetztalsGrundsteinenurgeradeoderungeradeZahlenein.<br />
• SetztalsGrundsteinenurgeradeoderungeradeZahlenein.<br />
BerechneteureZahlenmauern.Wasfällteuchauf?Begründe.<br />
BerechneteureZahlenmauern.Wasfällteuchauf?Begründe.<br />
• KannstdudieseMauervervollständigen?Dukannstinleeren<br />
• KannstdudieseMauervervollständigen?Dukannstinleeren<br />
Zahlenmauernprobieren.<br />
Zahlenmauernprobieren.<br />
HastdueineLösunggefunden?<br />
30 HastdueineLösunggefunden?<br />
30<br />
Wennja,wiebistduzudeinerLösung<br />
Wennja,wiebistduzudeinerLösung<br />
<br />
gekommen?Wennnein,warumkanneskeine<br />
5 10 gekommen?Wennnein,warumkanneskeine<br />
5 10 geben?ErkläredeineÜberlegungen.<br />
geben?ErkläredeineÜberlegungen.<br />
• BerechnedieseZahlenmauer.<br />
• BerechnedieseZahlenmauer.<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
10 4<br />
<br />
10 4<br />
<br />
5 2 2<br />
5 2 2<br />
eine weitere Bearbeitung in »Forschergruppen«<br />
oder eine Präsentation durch<br />
die betreffenden Schüler genutzt.<br />
Problemhaltige Denkaufgaben –<br />
das jahrgangsgemischte Förderband<br />
Gute Aufgaben bieten sich auch für die<br />
Bearbeitung in leistungsgemischten<br />
Schülergruppen, z. B. in der Jahrgangsmischung,<br />
an. Im Rahmen eines Förderbandes,<br />
in dem Schüler der 3. und 4.<br />
Klassen in Kleingruppen gemeinsam an<br />
bestimmten mathematischen Themen<br />
arbeiten, zeigt sich der Wert solcher Aufgaben<br />
für den Mathematikunterricht.<br />
Die Leistungsstarken, nicht immer die<br />
Viertklässler, profitieren sicher eher von<br />
Leistungsanreiz und Leistungsbestätigung<br />
in diesen Stunden, dennoch lassen<br />
sich auch die schwächeren Schüler mitziehen<br />
und anregen, sich mit problemhaltigen<br />
Aufgaben zu beschäftigen. Die<br />
behandelten Aufgaben, die dem Buch<br />
»42 Denk und Textaufgaben« von Renate<br />
Rasch entnommen sind, haben trotz<br />
Abb. 2: Aufgabenbeispiele für eine Lernumgebung<br />
zu Zahlenmauern<br />
Abb. 3a, b: Beispiel für eine Aufgabe und eine Schülerlösung<br />
zur »Knobelei der Woche« (Klasse 2)<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>113</strong> • Februar 2011<br />
15
Praxis: Gute Aufgaben und Kompetenz orientierung<br />
Abb. 4: Schülerlösung zum Förderband<br />
Kl. 3/4<br />
ihrer Unterschiedlichkeit hinsichtlich<br />
der Lösungsanforderung gemein, dass<br />
sie auf kein bekanntes Grundmodell<br />
des Rechnens zurückzuführen sind und<br />
durch »probierendes Lösen« bearbeitet<br />
werden (vgl. Abb. 4 sowie Rasch 2004).<br />
Um die Selbstständigkeit der Schüler bei<br />
dieser Denk und Lösungsart zu fördern,<br />
müssen einige Bedingungen im Unterricht<br />
erfüllt sein (vgl. Rasch 2003):<br />
●●<br />
ein fester, stets wiederkehrender organisatorischer<br />
Rahmen gibt den Schülern<br />
Sicherheit und Orientierung beim<br />
(Problem)Lösen<br />
●●<br />
das Bearbeiten der Aufgaben liegt in<br />
der Hand der Kinder, die Lehrkraft sollte<br />
sich weitestgehend zurücknehmen<br />
●●<br />
die Unterrichtsorganisation sollte so<br />
erfolgen, dass die Sprache als Denkwerkzeug<br />
und Ausdrucksmittel sich im<br />
Mündlichen und Schriftlichen frei entfalten<br />
und weiterentwickeln kann<br />
●●<br />
die Wertung der Lösungen und Lösungswege<br />
sollte unter kompetenzorientierter<br />
Sichtweise erfolgen, um die<br />
Entdeckung der »eigenen Lösungskräfte«<br />
(Rasch) nicht zu verhindern<br />
Fazit<br />
Ralph Thielbeer<br />
tätig als Grundschullehrer in Magdeburg<br />
und in der Lehrerbildung als<br />
Fachmoderator für Mathematik.<br />
Guter Mathematikunterricht bedarf guter<br />
Aufgaben, aber erst der Umgang der<br />
Lehrkraft mit diesen Aufgaben entscheidet<br />
über die Qualität des Unterrichts. Die<br />
Weiterentwicklung der Aufgabenkultur<br />
ist ein Ansatzpunkt bei der Entwicklung<br />
eines zeitgemäßen Mathematikunterrichts.<br />
Gute Aufgaben sind dafür die<br />
Grundlage. Sie fördern gleichermaßen<br />
inhalts wie prozessbezogene Kompetenzen.<br />
Sie öffnen sich den individuellen<br />
Leistungsvoraussetzungen der Schüler<br />
und regen so zu einer eigenständigen<br />
Auseinandersetzung abseits von erlernten<br />
Routinen an. Sie motivieren durch<br />
das wachsende Vertrauen, dass die<br />
Schüler im Laufe der Zeit in ihre eigenen<br />
Fähigkeiten entwickeln und geben<br />
Einblick in deren Leistungsentwicklung.<br />
Wegen der Vielfalt möglicher Lösungswege<br />
und sogar möglicher Lösungen erscheinen<br />
solche Aufgaben für Lehrkräfte<br />
aber oft bedrohlich, »da man nicht mehr<br />
die richtigen Lösungen abhaken und<br />
die falschen durch ein f. kennzeichnen<br />
kann. Auf den zweiten Blick wird deutlich,<br />
dass Unterricht nur in dieser Form<br />
einerseits die Kinder ernst nimmt und<br />
andererseits ein stimmiges und modernes<br />
Bild dessen vermittelt, was Mathematik<br />
ist« (Steinweg 2006, S. 11) – eine<br />
lebendige Tätigkeit.<br />
Anmerkungen<br />
(1) Zur Kritik der OutputFixierung siehe Brügelmann<br />
in diesem Heft, S. 7 – 12.<br />
(2) Im deutschsprachigen Raum wurde der<br />
Zusammenhang kognitiv aktivierenden<br />
Mathematikunterrichts und der Entwicklung<br />
der mathematischen Kompetenz von Schülern<br />
für die Sekundarstufe I (für die <strong>Grundschule</strong><br />
liegen noch keine Untersuchungen vor) in der<br />
COACTIVStudie (Cognitive Activation in<br />
the Classroom: The Orchestration of Learning<br />
Opportunities for the Enhancement of Insightful<br />
Learning in Mathematics; Professionswissen von<br />
Lehrkräften, kognitiv aktivierender Mathematikunterricht<br />
und die Entwicklung mathematischer<br />
Kompetenz) untersucht. Als ein Ergebnis stellte<br />
sich eine sehr niedrige Ausprägung des durch die<br />
Aufgaben vermittelten kognitiven Aktivierungspotentials<br />
im deutschen Mathematikunterricht<br />
heraus, woraus gefolgert werden kann, dass die<br />
Möglichkeit, alle Schüler möglichst umfassend<br />
über qualitätsvolle Aufgaben zu fördern, nur<br />
unzureichend genutzt wird. Auch wurde nachgewiesen,<br />
dass Schulklassen, in denen Aufgaben<br />
mit relativ höherem kognitivem Poten tial gestellt<br />
wurden, bei Kontrolle nach einem Jahr deutlich<br />
bessere Leistungen aufwiesen (vgl. Jordan u. a.,<br />
2008, S. 102 f).<br />
Literatur<br />
Bartnitzky, H. u. a. (Hrsg.) (2009): Kursbuch<br />
<strong>Grundschule</strong>. Frankfurt am Main: Grundschulverband<br />
– Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong> e. V.<br />
Blum, W. u. a. (2005): Zur Rolle von Bildungsstandards<br />
für die Qualitätsentwicklung im<br />
Mathematikunterricht. Zentralblatt für Didaktik<br />
der Mathematik, 37 (4), S. 267 – 274.<br />
Baum, M. / Wielpütz, H. (Hrsg.) (2003): Mathematik<br />
in der <strong>Grundschule</strong> – Ein Arbeitsbuch.<br />
SeelzeVelber: Kallmeyer.<br />
Devlin, K. (1998): Muster der Mathematik.<br />
Heidelberg: Spektrum.<br />
Jordan, A. u. a. (2008): Aufgaben im COACTIV<br />
Projekt: Zeugnisse des kognitiven Aktivierungspotenzials<br />
im deutschen Mathematikunterricht.<br />
In: Journal für Mathematik Didaktik. Jg. 29 (2)<br />
Wiesbaden: Vieweg und Teubner.<br />
KMK (2005): Bildungsstandards im Fach Mathematik<br />
für den Primarbereich. Neuwied: Wolters<br />
Kluwer & Luchterhand.<br />
Rasch, R. (2003): 42 Denk und Sachaufgaben.<br />
Wie Kinder mathematische Aufgaben lösen und<br />
diskutieren. SeelzeVelber: Kallmeyer.<br />
Rasch, R. (2004): Problemhaltige Textaufgaben.<br />
In: Scherer, P. / Bönig, D. (Hrsg.) (2004): Mathematik<br />
für Kinder – Mathematik von Kindern.<br />
Ruwisch, S. / Peter-Koop, A. (Hrsg.) (2003): Gute<br />
Aufgaben im Mathematikunterricht der <strong>Grundschule</strong>.<br />
Offenburg: Mildenberger.<br />
Scherer, P. / Bönig, D. (Hrsg.) (2004): Mathematik<br />
für Kinder – Mathematik von Kindern. Frankfurt<br />
am Main: Grundschulverband – Arbeitskreis<br />
<strong>Grundschule</strong> e. V.<br />
Steinweg, A. (2006): Gute Aufgaben. Kompetenzen<br />
für die Aufgabenauswahl und Beurteilung im<br />
Mathematikunterricht entwickeln. In: Grundschulmagazin<br />
2/06, S. 8 – 11.<br />
Sundermann, B. / Selter, C. (2006): Beurteilen<br />
und Fördern im Mathematikunterricht. Berlin:<br />
Cornelsen.<br />
Walther, G. (2004): Mathematik Modul G1:<br />
Gute und andere Aufgaben. SINUSTransfer<br />
<strong>Grundschule</strong>. Kiel: IPN.<br />
Walther, G. / van den Heuvel-Panhuizen, M. /<br />
Granzer, D. / Köller, O. (2007): Bildungsstandards<br />
für die <strong>Grundschule</strong>: Mathematik konkret.<br />
Berlin: Cornelsen.<br />
Winter, H. (1987): Mathematik entdecken.<br />
Neue Ansätze für den Unterricht in der Schule.<br />
Frankfurt am Main: Cornelsen.<br />
Winter, H. (2003): Gute Aufgaben für das Sachrechnen.<br />
In: Baum, M. / Wielpütz, H. (Hrsg.)<br />
(2003): Mathematik in der <strong>Grundschule</strong> –<br />
Ein Arbeitsbuch.<br />
Wittmann, E. C. (2003): Was ist Mathematik und<br />
welche pädagogische Bedeutung hat das wohlverstandene<br />
Fach auch für den Mathematikunterricht<br />
der <strong>Grundschule</strong>? In: Baum, M. / Wielpütz,<br />
H. (Hrsg.) (2003): Mathematik in der <strong>Grundschule</strong><br />
– Ein Arbeitsbuch.<br />
Wollring, B. (2008): Zur Kennzeichnung von<br />
Lernumgebungen für den Mathematikunterricht<br />
in der <strong>Grundschule</strong>. In: Kasseler Forschungsgruppe<br />
(Hrsg.): Lernumgebungen auf dem Prüfstand.<br />
Zwischenergebnisse aus den Forschungsprojekten.<br />
Kassel: kassel university press.<br />
www.pikas.uni-dortmund.de<br />
www.sinus-grundschule.de<br />
16 GS <strong>aktuell</strong> <strong>113</strong> • Februar 2011
Praxis: Gute Aufgaben und Kompetenz orientierung<br />
Bianca Ederer<br />
Gute Aufgaben im Sachunterricht 1)<br />
Was sind »gute Aufgaben« zum Lernen<br />
und wie kommt man überhaupt zu<br />
diesen Aufgaben?<br />
Gute Aufgaben« im Sachunterricht<br />
zeichnen sich häufig durch<br />
einen hohen Anteil an natürlicher<br />
Differenzierung aus. Sie ermöglichen<br />
eine Öffnung der Lernwege sowie<br />
des Bearbeitungs niveaus und sind offen<br />
für vielfältige Konstruktionen. Sie<br />
sind gekennzeichnet durch einen hohen<br />
Echtheitscharakter (vgl. Brügelmann<br />
2011, in diesem Heft S. 7 – 12) im Sinne<br />
einer stark herausfordernden Aufgabe.<br />
Möglichkeiten zum sozialen Lernen in<br />
einer sicheren Lernatmosphäre durch<br />
gemeinsames Planen, Absprechen, Helfen<br />
und gegenseitiges Unterstützen werden<br />
dabei ebenfalls freigesetzt. Gelingt<br />
es noch, dadurch breites Interesse der<br />
Schülerinnen und Schüler anzusprechen,<br />
ist zusätzliche Motivation kaum<br />
mehr notwendig. Fächerübergreifende<br />
Aspekte wie sie bei der Verwendung der<br />
Didaktischen Netze von Kahlert (2009)<br />
entstehen, bereichern dabei die Planungen.<br />
Als Ideengenerator dienen sie<br />
dem Aufspüren herausfordernder »guter<br />
Aufgaben« mit hohem Anspruchsniveau.<br />
Außerdem bieten diese Aufgaben autonome<br />
Lernprozesse, die selbstständig<br />
oder mit anderen gemeinsam in einem<br />
Ideen für<br />
herausfordernde Aufgaben<br />
●●<br />
●●<br />
●●<br />
●●<br />
●●<br />
●●<br />
●●<br />
●●<br />
●●<br />
● ●<br />
Prinzip »Weißes Blatt Papier«:<br />
Bücher, Hefte, Schatzkisten erstellen<br />
Portfolios zusammenstellen<br />
Lernfeste planen<br />
Ausstellungen organisieren<br />
Externe miteinbeziehen<br />
(Eltern, Experten, andere Schüler)<br />
Jahrgangsmischung nutzen<br />
(Lernen durch Lehren)<br />
Führungen, Stadtführer erfinden und<br />
präsentieren<br />
Theaterstücke selber schreiben zu<br />
Sachthemen<br />
Gemeinsame Exkursionen und<br />
Ausflüge planen und durchführen<br />
…<br />
zuversichtlichen Rahmen einer Lerngemeinschaft<br />
kontrolliert werden können,<br />
wie es Deci und Ryan (1993) in ihrer<br />
Selbstbestimmungstheorie empfehlen.<br />
Die Lehrkraft kann anfangs ihre eigenen<br />
Ideen zur Diskussion stellen. Das<br />
bietet viel Offenheit gegenüber Beiträgen<br />
der Kinder. Deren Partizipation<br />
bereichert die grundsätzlichen Ideen<br />
(siehe Kasten) und bringt Kinder und<br />
Aufgabe nahe zusammen. Nach und<br />
nach bringen sie immer mehr eigene<br />
Ideen zur Planung ein. Die Initiative<br />
geht dann mehr und mehr von den Kindern<br />
aus.<br />
Zur »guten Aufgabe« kommt also ein<br />
ganzes Bündel an weiteren Voraussetzungen<br />
in einer pädagogischen Lernund<br />
Leistungskultur (vgl. Bartnitzky<br />
2005, 2006, 2007) hinzu:<br />
●●<br />
Vorbereitete und unterstützende<br />
Lernumgebung<br />
●●<br />
Vertrauensvolle Lernatmosphäre<br />
●●<br />
Partizipative Strukturen<br />
●●<br />
Metakommunikation über Lernprozesse<br />
●●<br />
Gemeinsame Sicherung der Erkenntnisse<br />
im Kreis oder der Versammlung<br />
●●<br />
Kompetenzen auf Schülerseite, um<br />
die gute Aufgabe überhaupt bewältigen<br />
zu können (vgl. Giest 2009, S. 5)<br />
●●<br />
Möglichkeiten zur aktiven Umarbeitung<br />
des Wissens im Sinne des Conceptual<br />
Change (vgl. Max 1995, S. 87)<br />
●●<br />
LehrerIn als Lernbegleiter<br />
●●<br />
Fachliche Sicherheit der LehrerIn<br />
Bei ihrer Bearbeitung bietet sich für<br />
die Lehrkraft die Gelegenheit, verschiedenste<br />
Beobachtungen machen zu können,<br />
darauf aufbauend Feed-Back und<br />
so z. B. bei anstehenden Übertrittsberatungen<br />
fundierter Auskunft geben zu<br />
können.<br />
Im Folgenden möchte ich an verschiedenen<br />
Beispielen aufzeigen, wie »gute<br />
Aufgaben« im Sachunterricht aussehen<br />
könnten und wie die Lehrkraft die Kinder<br />
bei der Bearbeitung unterstützen kann.<br />
Arbeit an einem Heimatbuch<br />
Bei der Arbeit mit der Ortsgeschichte<br />
entstand die Idee, dass jedes Kind sein<br />
Abb. 1: Kinder aus einer jahrgangsgemischten<br />
Klasse 3/4 führen ihre<br />
Klassenkameraden und Eltern<br />
Abb. 2: Lernumgebung zur Arbeit mit<br />
dem Heimatbuch<br />
eigenes Heimatbuch verfassen könnte.<br />
Nach dem Grundprinzip des weißen<br />
Blattes Papier (vgl. Peschel 2002a,<br />
S. 121ff) erhielt jedes Kind edles Papier,<br />
um sein eigenes Heimatbuch zu gestalten<br />
(siehe Kasten auf S. 18). Jedes Kind<br />
kam daher zu Ergebnissen, die dem<br />
vorher definierten Minimalniveau an<br />
der Wandzeitung mindestens entsprachen.<br />
Offen war diese Aufgabe für eigene<br />
Erforschungen im Museum, zu Hause<br />
oder in der Schule. Eine umgebende<br />
Unterrichtseinheit sicherte gemeinsame<br />
und individuelle Lernergebnisse. Um<br />
die erworbenen Kenntnisse noch weiter<br />
zu vertiefen, planten die Kinder noch<br />
eine Stadtführung für die Eltern und<br />
ein Expertenteam aus Tourismuschef,<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>113</strong> • Februar 2011<br />
17
Praxis: Gute Aufgaben und Kompetenz orientierung<br />
Unterrichtssequenz zur Regionalgeschichte 4. Klasse:<br />
Mein Heimatbuch<br />
01<br />
02<br />
03<br />
04<br />
05<br />
06/<br />
07/<br />
08<br />
09/<br />
10<br />
11<br />
12<br />
Vorwissen – Aktivierungsphase<br />
Vorwissen aktivieren; Struktur erarbeiten, Fragen generieren<br />
(Fragen plakate)<br />
Forscherauftrag: Geschichte erforschen: geleiteter Fragebogen an Eltern /<br />
Großeltern<br />
Information – Verknüpfung mit dem Vorwissen – positive Erlebnisse<br />
Unterrichtsgang: Historische Stadtführung durch den Leiter des<br />
Tourismusbüros Herrn Herbrich;<br />
Dokumentation<br />
●●<br />
Gespräche auf Block (Stichworte) und<br />
●●<br />
Orte über Fotografenteam<br />
Forscherauftrag: Das finde ich besonders interessant / Das habe ich mir<br />
besonders gemerkt<br />
Systematisierung der Wissensteile – Klären der Beurteilungskriterien<br />
– offene Aufgabe – Könnenserfahrung ermöglichen –<br />
Unterstützung klären<br />
Ein Geschichtsfries für Waldmünchen (Struktur des Heimatbuches<br />
erarbeiten in einer Wandzeitung, z. B. Gründung der Stadt, Burg und<br />
Schloss Waldmünchen, Stadtmauer und -tore, Trenck der Pandur,<br />
Chateaubriand, Waldmünchen während dem 2. Weltkrieg, Grenzöffnung)<br />
●●<br />
●●<br />
Vorstellung Musterexemplar Heimatbuch<br />
Klären der Bedingungen/Erwartungen<br />
Lernarrangement einführen – Könnenserfahrungen ermöglichen –<br />
offene Aufgaben – Autonomie<br />
Einführung in die<br />
●●<br />
Benutzung der Heimatkartei mit Bildern und Quellentexten<br />
●●<br />
Legekarten mit Bildern, Hinweisen, vorgefertigten Satzstrukturen<br />
und weiteren Informationen<br />
Mobilisierung von eigenen Fragen – Artikulationsphase<br />
Erweitern der Fragenplakate an der Wandzeitung<br />
Selbständigkeit – Wissen konstruieren – Fixpunkte als Sicherung<br />
– Lehrer als Begleiter – Herausforderungsphase – Kokonstruktion –<br />
Dokumentation Heimatbuch (Lern-Portfolio)<br />
Arbeit an den Heimatbüchern und Fixpunkte zu folgenden Themen:<br />
●●<br />
Gründungsexperten berichten<br />
●●<br />
Burgexperten berichten<br />
●●<br />
Trenckspezialisten berichten<br />
Forscherblätter dazu:<br />
●●<br />
Das weiß ich schon auswendig über die Gründung Waldmünchens<br />
●●<br />
Das weiß ich schon auswendig über die Burg<br />
Umarbeitungsphase – tiefere Verarbeitung des Wissens –<br />
Präsentation – Könnenserfahrungen – sicherer sozialer Raum –<br />
Integration – Argumentationsphase<br />
Planung der historischen Stadtführung für die Eltern;<br />
So kann ich einen Vortrag noch interessanter gestalten<br />
Umarbeitung des Heimatbuches und des Wissens in eine historische<br />
Stadtführung – Gruppenarbeiten<br />
Erlebnisse – Bildungserfahrungen – Wertschätzung – Autonomie –<br />
Weiterführungsphase<br />
Historische Stadtführung in Waldmünchen für die Eltern am Abend,<br />
Presse und Urkunden<br />
Lernprozess reflektieren – Methodenbildung – Lernzuwachs –<br />
Feed back<br />
Reflexion und freiwillige Leistungskontrolle<br />
Schriftliche Verknüpfung von Beobachtungen während freien Phasen –<br />
Lernerfolg – Noten – Lerntipps für die Zukunft<br />
Abb. 3: Sicherung des Wissens zur Heimatgeschichte<br />
Abb. 4: Differenzierte Rückmeldung über<br />
den Lernprozess und das Lernergebnis bei<br />
der Arbeit am Heimatbuch<br />
18 GS <strong>aktuell</strong> <strong>113</strong> • Februar 2011
Praxis: Gute Aufgaben und Kompetenz orientierung<br />
Gute Internet-Seiten für Kinder<br />
www.blinde-kuh.de<br />
www.fragfinn.de/<br />
www.kindernetz.de/suche/<br />
www.die-geobine.de/<br />
www.kindernetz.de/oli/tierlexikon/<br />
www.hanisauland.de/<br />
Abb. 5<br />
Bürgermeister und Schulleiter. Hier<br />
fanden die Lernleistungen der Kinder<br />
Anerkennung durch eine Urkunde. In<br />
jahrgangsgemischten Klassen können<br />
zum Beispiel hervorragend alters-, leistungs-<br />
oder interessendifferenziert einzelne<br />
Gruppen diese Führung im Sinne<br />
von Lernen durch Lehren planen.<br />
In einer freiwilligen Probe konnten<br />
sie außerdem ihr Wissen testen. Ich,<br />
als ihre Lehrerin, konnte sie bei ihrer<br />
selbstständigen Arbeit beobachten<br />
(s. Abb. 4). Dies diente der differenzierten<br />
Rückmeldung und gab Anlass, über<br />
Leistung mit Kind und Eltern ins Gespräch<br />
zu kommen.<br />
Referate zu Ländern der Welt<br />
Beim Thema »Wir in der Welt« bietet es<br />
sich an, mit den Kindern Lernfeste oder<br />
Plakat-Ausstellungen zu einzelnen Ländern<br />
zu planen. In Gruppen oder alleine<br />
bearbeiten sie ein Land in seiner vollen<br />
Breite. Gemeinsam können in einer<br />
Mind Map wichtige Oberpunkte fest<br />
Abb. 6: Plakat zum Thema Alaska,<br />
während der Länderzeit von 2 Kindern<br />
im Team erstellt<br />
gehalten werden, die es genauer zu betrachten<br />
gilt. Vorkenntnisse sind hierbei<br />
vor allem im Bereich der Lesestrategien<br />
notwendig. Denn hier müssen Abschnitten<br />
Oberbegriffe zugeordnet, ergänzend<br />
weitere Texte oder Bücher gelesen, Informationen<br />
gesammelt und z. B. in Mind<br />
Maps festgehalten werden. Danach werden<br />
die Informationen zu neuen Texten<br />
verbunden und auf Plakaten präsentiert.<br />
Für die Lernumgebung sind hier Sachlesekisten<br />
(vgl. Peschel 2002b, S. 216f)<br />
ebenso wie Internet-Zugang und die<br />
Kompetenz, Informationen gezielt mit<br />
Kindersuchmaschinen (siehe Abb. 5) zu<br />
finden und auszuwerten, von besonderer<br />
Bedeutung. Fächerübergreifend bietet<br />
sich hier die Möglichkeit, Richtig schreiben,<br />
Texte verfassen und Gespräche<br />
führen bei der Erarbeitung integrierend<br />
im Gebrauch zu üben.<br />
Kommt dann noch die Vorstellung<br />
in Form von Referaten auf einem Lernfest<br />
mit den Eltern z. B. am Abend dazu,<br />
müssen auch hierzu Kompetenzen erworben<br />
und weiterentwickelt werden. 2)<br />
Durch die Feier der Lernleistung erhalten<br />
die Kinder auch von anderer Seite<br />
Würdigung, was wiederum eine »gute<br />
Aufgabe« meiner Meinung nach auszeichnet.<br />
Gelenkte Portfolio- Arbeit<br />
am Thema Müll<br />
Zum Thema Müll bot es sich in unserer<br />
Landschule an, ein sehr ausführliches<br />
gelenktes Portfolio anzulegen, für<br />
das schon viele Methoden gut geschult<br />
sein müssen, um diese herausfordernde<br />
Aufgabe bewältigen zu können (siehe<br />
Kasten). Hierbei übernahmen Expertenkinder<br />
die Kontrolle der Lernergebnisse,<br />
was wiederum einen wichtigen<br />
Faktor von »guten Aufgaben« darstellt,<br />
wie oben gezeigt wurde. Die Lehrerin<br />
stellte an den Schluss eine ausführliche<br />
Rückmeldung der Ergebnisse und<br />
Herausfordernde Aufgaben im Müll-Portfolio<br />
1. Besorge dir in der Gemeinde Informationen zum Müll.<br />
2. Gestalte dein eigenes Abfall-Mind-Map. Das fällt mir alles zum Müll ein:<br />
3. Deine eigene Idee:<br />
4. Wer produziert alles Müll? Befrage drei verschiedene Personen.<br />
Erstelle eine Stichwortliste.<br />
5. Welche Abfälle kennst du? Sortiere alle Dinge nach Oberbegriffen.<br />
6. Schreibe eine Woche lang auf, was bei dir zu Hause an Abfall anfällt.<br />
Erstelle eine Tabelle und notiere in einer Strichliste die Mengen.<br />
7. Welchen Abfall produzierst du selbst in einer Woche? Gibt es etwas, was du<br />
vermeiden könntest? Schreibe einen Bericht.<br />
8. Wie funktioniert das mit der Müllabfuhr bei uns? Zeichne eine Skizze dazu.<br />
Beginne mit dem Abfall bei dir zu Hause und beschreibe den Weg bis zur Müllhalde<br />
oder Müllverbrennungsanlage. Tipp: Befrage einen Erwachsenen oder<br />
schaue im HSU-Buch nach.<br />
Gibt es bei dir einen Plan für die Müllabfuhr?<br />
9. Wie geht das bei euch mit dem Müll, der in den Wertstoffhof gehört?<br />
Zeichne alle Behälter auf und beschrifte sie. Begleite deine Eltern zum<br />
Wertstoffhof und schreibe einen Bericht.<br />
10. Was ist Recycling-Papier? Schreibe deine Meinung dazu auf.<br />
Kannst du selbst welches herstellen?<br />
11. Sammle Ideen, wie wir sorgsam mit unseren Dingen umgehen können.<br />
Befrage 5 verschiedene Personen. Entwirf Regeln zum guten Umgang mit<br />
unseren Wertstoffen.<br />
12. Wer ist für die Müllabfuhr zuständig? Wer bezahlt für den ganzen Aufwand?<br />
Frage Experten.<br />
13. Verpackungs-Forscher<br />
Gehe in einen Supermarkt und erforsche verschiedene Verpackungen –<br />
vor allem Kinderwaren. Welche Artikel produzieren am meisten Abfall?<br />
Was für eine Abfallart ist das dann? Ist der Abfall gut zu recyceln?<br />
Erstelle eine Liste.<br />
14. Schreibe einen Brief an eine Verpackungsfabrik. Erkläre deine Ideen oder<br />
Wünsche für neue Verpackungen. Nenne Beispiele und begründe.<br />
15. In ärmeren Ländern gestalten Kinder mit dem Abfall Spielzeuge oder<br />
Musikinstrumente. Erfinde selbst ein Produkt.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>113</strong> • Februar 2011<br />
19
Praxis: Gute Aufgaben und Kompetenz orientierung<br />
machte so die Erfahrungen für weitere<br />
Arbeiten nutzbar.<br />
Theaterstück zur<br />
Erkundung des Weltalls<br />
Nach einem spannenden Bericht über<br />
einen Besuch des Films »Das Geheimnis<br />
der Papierrakete« im Planetarium<br />
Hamburg entstand die Idee bei den<br />
Kindern, ob es nicht möglich wäre,<br />
auch so ein Theaterstück zum Weltall<br />
zu erfinden. Gemeinsam wurde das<br />
Vorhaben diskutiert und angefangen<br />
zu planen. Dazu mussten vielfältige<br />
Informationen gesammelt, gesichtet<br />
und sortiert werden. Ein Text in Dialogform<br />
musste verfasst und umgesetzt<br />
werden. Requisiten – alle Planeten und<br />
weitere Himmels-Utensilien sowie eine<br />
Rakete – mussten detailgetreu künstlerisch<br />
hergestellt, Experimente z. B. zur<br />
Verdeutlichung der Entstehung von<br />
Kratern ersonnen und an der sprachlichen<br />
und körperlichen Ausdrucksweise<br />
gearbeitet werden. Die Vorführung<br />
vor den anderen SchülerInnen der<br />
Schule stellte den Echtheitscharakter<br />
her.<br />
Schlussbemerkungen<br />
Bianca Ederer<br />
ist Lehrerin an der <strong>Grundschule</strong><br />
Rötz, Lehrerin für besondere Aufgaben<br />
an der Universität Regensburg,<br />
Lehrstuhl für Grundschulpädagogik<br />
und -didaktik und seit 2000<br />
im Vorstand der Landesgruppe<br />
Bayern des Grundschulverbandes.<br />
Anmerkungen<br />
(1) Aufgaben können nach Rieck (2005, S. 3)<br />
in Aufgaben zum Lernen und Aufgaben zum<br />
Prüfen unterteilt werden. In diesem Beitrag<br />
möchte ich mich auf Aufgaben zum Lernen<br />
konzentrieren. Zur Thematik Lernbegleitung<br />
und Aufgaben zum Prüfen finden Sie weitere<br />
Hinweise bei Schönknecht / Ederer / Klenk<br />
2006 oder bei Schönknecht / Hartinger 2010.<br />
Im naturwissenschaftlichen Bereich verweise<br />
ich auf das Projekt Sinus <strong>Grundschule</strong>. Dort<br />
wurden vermehrt Beispiele publiziert.<br />
(2) siehe weiterführend Schönknecht / Klenk<br />
2005<br />
Literatur<br />
Bartnitzky, H. u. a. (Hrsg.) (2005): Pädagogische<br />
Leistungskultur: Materialien für Klasse<br />
1/2. Beiträge zur Reform der <strong>Grundschule</strong>,<br />
Bd. 119. Frankfurt a. M.: Grundschulverband.<br />
Bartnitzky, H. u. a. (Hrsg.) (2006): Pädagogische<br />
Leistungskultur: Materialien für Klasse<br />
3/4. Beiträge zur Reform der <strong>Grundschule</strong>,<br />
Bd. 121. Frankfurt a. M.: Grundschulverband.<br />
Bartnitzky, H. u. a. (Hrsg.) (2007): Pädagogische<br />
Leistungskultur. Ästhetik, Sport, Englisch,<br />
Arbeits-/Sozialverhalten. Beiträge zur<br />
Reform der <strong>Grundschule</strong>. Bd. 124. Frankfurt<br />
a. M.: Grundschulverband.<br />
In der gemeinsamen Arbeit mit den<br />
Schülerinnen und Schülern ist es über<br />
die »gute Aufgabe« hinaus aber auch<br />
von Bedeutung, das Vorgehen auf der<br />
Metaebene aus der einzelnen Situation<br />
herauszulösen und z. B. sogenannte<br />
Forschermethoden zu generieren. So<br />
werden diese für eigene Forschungsvorhaben<br />
nutzbar und »Tiefenstrukturen«<br />
(Giest 2009, S. 5) geschaffen. »Dies ist<br />
eine wichtige Voraussetzung dafür, dass<br />
angeeignetes Wissen angewandt, d. h.<br />
zur Bewältigung von großen Klassen<br />
von Anforderungen verwendet werden<br />
kann. […] Diese grundlegende<br />
Fähigkeit oder<br />
Leistungsdisposition<br />
wird als Kompetenz<br />
bezeichnet« (ebd.). In<br />
freien Zeiten, zu Hause<br />
oder in freien Forscherzeiten<br />
können die<br />
Kinder kompetent und<br />
strukturiert eigenen<br />
Bartnitzky, H. / Speck-Hamdan, A. (Hrsg.)<br />
(2004): Leistungen der Kinder wahrnehmen,<br />
würdigen, fördern. Bd. 118. Frankfurt a. M.:<br />
Grundschulverband.<br />
Brügelmann, H. (2011): Gute Aufgaben und<br />
Kompetenzorientierung: »gut« für wen und<br />
»kompetent« für was? In: <strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>,<br />
H. <strong>113</strong>, S. 7 – 12.<br />
Deci, E. / Ryan. R. (1993): Die Selbstbestimmungstheorie<br />
der Motivation und ihre<br />
Bedeutung für die Pädagogik. In: Zeitschrift<br />
für Pädagogik, H.2, S. 224 – 238.<br />
Giest, H. (2009): Bildungsstandards und<br />
Kompetenzen im Sachunterricht. In: Grundschulunterricht,<br />
Sachunterricht, H. 4, S. 4 – 7.<br />
Kahlert, J. (2009): Sachunterricht planen und<br />
durchführen – didaktische Netze knüpfen.<br />
In: Der Sachunterricht und seine Didaktik.<br />
3. Auflage. Bad Heilbrunn: Verlag Julius<br />
Klinkhardt. S. 200 – 260.<br />
Max, Ch. (1997): Verstehen heißt Verändern.<br />
Conceptual Change als didaktisches Prinzip<br />
des Sachunterrichts. In: Meier, R. / Unglaube,<br />
H. / Faust-Siehl, G. (Hrsg.): Sachunterricht in<br />
der <strong>Grundschule</strong>. Frankfurt a. M.: Grundschulverband,<br />
S. 62 – 89.<br />
Peschel, F. (2002): Offener Unterricht. Idee,<br />
Realität, Perspektive und ein praxiserprobtes<br />
Ideen und Fragestellungen nachgehen<br />
(vgl. Peschel 2002b).<br />
Das Zeitproblem stellt sich dennoch<br />
an jeder Stelle dieser Überlegungen.<br />
Aus anderen Fächern werden Stunden<br />
aufgrund der fächerübergreifenden<br />
Schwerpunkte miteinbezogen und Inhalte<br />
hier im Gebrauch kompetenzorientiert<br />
geübt. Nur wenige Themen<br />
exemplarisch durchzuarbeiten und an<br />
der Bearbeitung dieser guten Aufgaben<br />
Kompetenzen aufzubauen ist eine weitere<br />
Strategie, um das Zeitproblem zu<br />
lösen. Häufig werden durch dieses Vorgehen<br />
viele Lehrplanvorgaben erfüllt.<br />
Bereits vorhandene Unterrichtsplanungen<br />
und -materialien nach »altem« Muster<br />
dienen stets als Basis zur Planung der<br />
Lernumgebung passend zu den »guten<br />
Aufgaben« und bereichern diese Arbeit.<br />
Zudem bestätigt das Feed-Back der Eltern<br />
und der weiterführenden Schulen den<br />
selbstständigen und kompetenten Umgang<br />
mit Informationen der so unterrichteten<br />
Kinder. Diese hatten verschiedenste<br />
Gelegenheiten, vielfältigste Kompetenzen<br />
als «gebündelte komplexe Zusammenhänge«<br />
(Schreier 2008, S. 2) anzuwenden<br />
und dabei weiterzuentwickeln. Dadurch<br />
hatten die Kinder im geschützten Rahmen<br />
der Lerngemeinschaft die Möglichkeit,<br />
aus ihrem Wissen auch tatsächlich<br />
Können erwachsen zu lassen.<br />
Konzept zur Diskussion. Teil II: Fachdidaktische<br />
Überlegungen. Baltmannsweiler:<br />
Schneider Verlag.<br />
Rieck, K. unter Mitarbeit von Friege, G. / Hoffmann,<br />
D. (2005): Modul G1: Gute Aufgaben.<br />
Sinus Transfer <strong>Grundschule</strong>. Naturwissenschaften.<br />
http://sinus-transfer-grundschule.<br />
de/fileadmin/Materialien/NaWi_Modul_G_<br />
1_050905_sw.pdf Ausdruck vom 27.12.2010.<br />
Schönknecht, G. / Ederer, B. / Klenk, G. (2006):<br />
Sachunterricht. In: Bartnitzky, H., u. a.<br />
(Hrsg.): Pädagogische Leistungskultur:<br />
Materialien für Klasse 3/4. Beiträge zur<br />
Reform der <strong>Grundschule</strong>, Bd. 121. Frankfurt<br />
a. M.: Grundschulverband.<br />
Schönknecht, G. / Hartinger, A. (2010): Modul<br />
G9: Lernen begleiten – Lernergebnisse<br />
beurteilen. Sinus Transfer <strong>Grundschule</strong>.<br />
Naturwissenschaften. Überarbeitete Fassung.<br />
http://www.sinus-an-grundschulen.de/<br />
fileadmin/uploads/Material_aus_STG/NaWi-<br />
Module/N9.pdf Ausdruck vom 27.12. 2010.<br />
Schönknecht, G. / Klenk, G. (2005): Sachunterricht.<br />
In: Bartnitzky, H. u. a. (Hrsg.): Pädagogische<br />
Leistungskultur: Materialien für Klasse<br />
1/2. Beiträge zur Reform der <strong>Grundschule</strong>,<br />
Bd. 119. Frankfurt a. M.: Grundschulverband.<br />
www.sinus-transfer-grundschule.de<br />
20 GS <strong>aktuell</strong> <strong>113</strong> • Februar 2011
Praxis: Gute Aufgaben und Kompetenz orientierung<br />
Stefan Kauder<br />
Alles»Könner:<br />
Kompetenzen entwickeln<br />
Die Kolleginnen und Kollegen der Ganztagsgrundschule Appelhoff haben sich<br />
2008 mit 53 anderen Hamburger Schulen auf den Weg begeben, ihren Unterricht<br />
kompetenzorientierter und individualisierter zu gestalten. Die bisher gegebenen<br />
Berichtszeugnisse in den Jahrgängen 1, 2 und Ziffernzeugnisse in den<br />
Jahrgängen 3, 4 werden an der Schule Appelhoff abgeschafft.<br />
An ihre Stelle treten halbjährlich<br />
geführte Lernentwicklungsgespräche<br />
zwischen den Lehrerinnen<br />
und Lehrern des Klassenteams<br />
und den Kindern mit ihren Eltern. Am<br />
Ende des Lernentwicklungsgespräches<br />
werden Zielvereinbarungen getroffen<br />
und dokumentiert. Die Ziele werden<br />
von den Kindern vorgeschlagen und gemeinsam<br />
besprochen. Meist kleben die<br />
Kinder sich die Ziele an ihren Arbeitsplatz.<br />
Dann sind sie immer präsent.<br />
Zum Beispiel: »Ich möchte mich mehr<br />
im Klassenrat einbringen und häufiger<br />
etwas von mir erzählen.«<br />
Grundlage für die Lernentwicklungsgespräche<br />
bilden Kompetenzraster, die<br />
das Kollegium in Jahrgangs- und Fachkonferenzen<br />
erarbeitet haben.<br />
Der Unterricht wird jetzt gemeinsam<br />
in den Jahrgangskonferenzen geplant.<br />
Immer für ca. 8 Wochen. Arbeitsteilig<br />
wird vorgegangen. »Du bereitest zum<br />
Deutschthema die Werkstattaufgaben<br />
vor, ich übernehme Musik …« Teamarbeit!<br />
Da heißt es Abschied nehmen<br />
von gewohnten Arbeitsweisen. Nicht<br />
immer einfach, aber – wir sind auf dem<br />
Weg! Es werden neue Lernarrangements<br />
ausprobiert, kurz evaluiert und<br />
mit Kolleginnen und Kollegen anderer<br />
Schulversuchschulen rückgekoppelt.<br />
Welche Aufgabenformate sind geeignet,<br />
um Kompetenzen bei den Schülerinnen<br />
und Schülern zu entwickeln?<br />
Welche Kompetenzen werden vermutlich<br />
entwickelt?<br />
Kompetenzorientierung<br />
im Kunstunterricht<br />
Ein Beispiel aus dem Kunstunterricht.<br />
Die Kompetenzraster sind inhaltlich<br />
an die Hamburger Bildungspläne angelehnt,<br />
von der Fachkonferenz Kunst<br />
der Schule Appelhoff auf einer Pädagogischen<br />
Jahreskonferenz erarbeitet. Sie<br />
geben eine grobe Orientierung darüber,<br />
welche Kompetenzen uns für das Curriculum<br />
der Schule wichtig sind.<br />
Durch welche Inhalte und Aufgabenformate<br />
werden welche Kompetenzen<br />
bei den Schülerinnen und Schülern ausgebildet?<br />
Im Kompetenzraster für die Klassen<br />
1 und 2 haben wir für den Bereich »Arbeitsaufträge«<br />
als höchste Kompetenzstufe:<br />
»Du entwickelst eigene Ideen und<br />
setzt diese um. (4 Sonnen)« formuliert.<br />
Mit welchen Aufgaben können die<br />
Kinder diese Kompetenz »trainieren«?<br />
Hier ein Beispiel aus dem Kunstunterricht<br />
einer zweiten Klasse. Es geht<br />
bei dieser Aufgabe darum, Problemlösungsstrategien<br />
zu entwickeln. Es gibt<br />
verschiedenste Lösungsmöglichkeiten.<br />
Die Aufgabe ist so angelegt, dass während<br />
des Schaffensprozesses neu entdeckte<br />
Lösungsstrategien immer wieder<br />
einfließen können, die Kinder sich ausprobieren<br />
können. Durch kooperative<br />
Lernformen wird das Handlungsspektrum<br />
erweitert.<br />
Arbeitsauftrag<br />
1. Suche dir einen Partner.<br />
2. Nehmt euch ein weißes Blatt. (A4)<br />
3. Sucht euch zwei Punkte im Raum.<br />
4. Verbindet Sie!<br />
5. Nehmt euch dazu die Arbeitsmittel,<br />
die ihr braucht!<br />
Problemlösungsstrategien entwickeln<br />
Freitag in der 2a – Kunstunterricht! Die<br />
Klasse hat sich in der Kunstwerkstatt<br />
eingefunden – Es kann losgehen!<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>113</strong> • Februar 2011<br />
21
Praxis: Gute Aufgaben und Kompetenz orientierung<br />
Was liegt heute an? Ich formuliere<br />
den Arbeitsauftrag. Fangt an!<br />
Ein Partner ist zügig gefunden. Besprechung!<br />
Rebecca: »Ich habe schon<br />
eine Idee!« Sie nimmt sich eine Schere<br />
und schneidet das Papier in Streifen.<br />
Ihre Partnerin holt einen Klebestift aus<br />
dem Regal. Schnell entsteht eine lange<br />
Papierschlange.<br />
Andere Kinder besprechen sich noch.<br />
Alexander: »Wir dürfen das Papier<br />
nicht zu dünn schneiden, sonst kann es<br />
reißen.«<br />
Zwei andere Kinder sind dabei, das<br />
Blatt schneckenartig zu schneiden, von<br />
außen nach innen. Samuel: »Klebe,<br />
brauchen wir nicht!«<br />
Ein Paar klebt seine Papierstreifen<br />
mit Tesafilm zusammen. »Das hält besser!«<br />
Zwei andere Kinder haben sich<br />
einen »Tacker« geholt. Während einer<br />
schneidet, tackert der andere die Papierstreifen<br />
zusammen.<br />
Die ersten Verbindungen im Raum<br />
entstehen. Vom Materialschrank zur<br />
Tafel. Vom Bildertrockner zu einem Arbeitstisch<br />
… Festgehalten durch Steine,<br />
die die Kinder für ein anderes Projekt<br />
gesammelt hatten. Evren: »Die Federtasche<br />
ist zu leicht, das hält nicht, habe<br />
ich gerade ausprobiert.« Andere sind<br />
dabei, die entstandene Papierschlange<br />
um zwei Stühle zu knoten. Eine Papierschlange<br />
reißt. Julia: »Die Klebe hält<br />
nicht!« Schnell wird die gerissene Stelle<br />
zusammengetackert. »Das geht besser!«<br />
Der Raum verändert sich.<br />
Charles: »Oh, ist das lang! Das geht<br />
aber noch länger. Dürfen wir unsere<br />
Papierschlangen verbinden?« »Ja, wenn<br />
Stefan Kauder<br />
Leiter der Integrativen Ganztags schule<br />
Appelhoff in Hamburg; Mitglied im<br />
Projektteam, das den Hamburger<br />
Schulversuch Alles»Könner steuert;<br />
unterrichtet seit 1996 Kunst in <strong>Grundschule</strong>n.<br />
ihr zwei ein anderes Paar findet, das das<br />
auch will.«<br />
Zu viert wird sich beraten. Natürlich<br />
wollen vier Jungs die längste Papierschlange<br />
haben. Sie wird diagonal<br />
durch den Raum gespannt und mit Tesafilm<br />
an den Tischen befestigt. Andere<br />
Paare schließen sich auch zusammen.<br />
Bei den Jungen ist ein Wettkampf ausgebrochen.<br />
Die Kunstwerkstatt ist von Papierschlangen<br />
durchzogen. Niclas: »Sieht<br />
das schön aus.« Jovana: »Wie in einem<br />
Spinnennetz!«<br />
Wir treffen uns zur gemeinsamen<br />
Reflexion im Kreis. Die verschiedenen<br />
Strategien, die die Kinder entwickelt<br />
haben, werden gemeinsam besprochen.<br />
Es gibt kein Richtig oder Falsch. Die<br />
Kinder hören interessiert zu, welche<br />
Lösungen andere gefunden haben. Dabei<br />
bilden sich viele eine Meinung über<br />
vermeintliche Vor- und Nachteile der<br />
gefundenen Lösungen.<br />
Nicht alle Kinder hatten sofort eigene<br />
Ideen und konnten diese umsetzen<br />
(höchste Kompetenzstufe – Arbeitsaufträge).<br />
Aber durch die Anlage des<br />
Aufgabenformats konnten alle Kinder<br />
arbeiten und waren motiviert, nach Lösungen<br />
zu suchen.<br />
»Was passiert jetzt mit den Streifen?«<br />
»Die packen wir in eine große Kiste und<br />
überlegen das nächste Mal gemeinsam,<br />
was wir daraus machen könnten.«<br />
Der Schulversuch:<br />
53 Hamburger Schulen<br />
begeben sich auf einen Weg<br />
Der Titel des Hamburger Schulversuches<br />
erscheint manchem beim ersten<br />
Hören etwas vermessen. »Ihre Schule ist<br />
also eine Alles»Könner-Schule. Aha!«<br />
Die Betonung liegt aber auf Könner<br />
und es geht darum, einen anderen<br />
Blick auf die Schülerinnen und Schüler<br />
zu richten. Jedes Kind kann etwas<br />
– alle Kinder sind Könner. Mit dem<br />
Schuljahr 2008/2009 starten 53 Hamburger<br />
Schulen, davon 28 <strong>Grundschule</strong>n.<br />
Ziel des Schulversuches ist es, eine<br />
Lernkultur zu entwickeln, die durch<br />
Kompetenz orientierung, die Förderung<br />
individueller Lernprozesse, kooperative<br />
Lernformen und lernförderliche Rückmeldesysteme<br />
gekennzeichnet ist. Die<br />
Schulen arbeiten in einer komplexen<br />
Projektstruktur, sind untereinander vernetzt<br />
und werden wissenschaftlich begleitet.<br />
22 GS <strong>aktuell</strong> <strong>113</strong> • Februar 2011
Kompetenzraster Kunst Klasse 1<br />
Kompetenzen ☼ ☼☼ ☼☼☼ ☼☼☼☼<br />
Umgang mit<br />
Arbeitsmaterialien<br />
Du kennst die<br />
Arbeitsmaterialien.<br />
Du kannst die<br />
Arbeitsmaterialien<br />
benennen.<br />
Du kannst mit Schere<br />
und Kleber umgehen.<br />
Du kannst mit allen<br />
Arbeitsmaterialien<br />
umgehen.<br />
Arbeitsaufträge<br />
Du fragst nach,<br />
wenn du etwas nicht<br />
verstanden hast.<br />
Du verstehst die<br />
Arbeitsaufträge und<br />
holst dir Hilfe.<br />
Du setzt<br />
Arbeitsaufträge<br />
selbstständig um.<br />
Du entwickelst<br />
eigene Ideen und<br />
setzt diese um.<br />
Farben<br />
Du kennst die<br />
Grundfarben Rot,<br />
Blau, Gelb.<br />
Du kannst Grund- oder<br />
Mischfarben benennen.<br />
Du kannst Grund- und<br />
Mischfarben benennen.<br />
Du kannst die<br />
Mischfarben mischen.<br />
Kompetenzraster Klasse 2 Kunst<br />
Kompetenzraster Kunst Klasse 2<br />
☼ ☼☼ ☼☼☼ ☼☼☼☼<br />
Umgang mit<br />
Arbeitsmaterialien<br />
Du kannst die<br />
Arbeitsmaterialien<br />
benennen.<br />
Du kannst mit<br />
Schere und Kleber<br />
umgehen.<br />
Du kannst mit allen<br />
Arbeitsmaterialien<br />
umgehen.<br />
Du wählst<br />
selbstständig die<br />
Arbeitsmaterialien<br />
die du brauchst.<br />
Arbeitsaufträge<br />
Du verstehst die<br />
Arbeitsaufträge<br />
und holst dir<br />
Hilfe.<br />
Du setzt<br />
Arbeitsaufträge<br />
selbstständig um.<br />
Du entwickelst<br />
eigene Ideen.<br />
Du entwickelst<br />
eigene Ideen und<br />
setzt diese um.<br />
Farben<br />
Du kannst Grundoder<br />
Mischfarben<br />
benennen.<br />
Du kannst Grundund<br />
Mischfarben<br />
benennen.<br />
Du kannst die<br />
Mischfarben<br />
mischen.<br />
Du setzt Farben als<br />
Ausdrucksmittel<br />
ein.<br />
Kunstwerke/Schülerarbeiten Du schaust eigene<br />
und fremde Bilder<br />
aufmerksam an.<br />
Du kannst über<br />
Kunstwerke<br />
sprechen.<br />
Du kannst<br />
Ähnlichkeiten und<br />
Unterscheide bei<br />
Kunstwerken zeigen.<br />
Du kannst über<br />
Ähnlichkeiten und<br />
Unterschiede bei<br />
Kunstwerken<br />
sprechen.<br />
Kompetenzraster Kunst Klasse 3 / 4<br />
☼ ☼☼ ☼☼☼ ☼☼☼☼<br />
Umgang mit<br />
Arbeitsmaterialien<br />
Du kannst die<br />
Arbeitsmaterialien<br />
benennen.<br />
Du kannst mit<br />
verschiedenen<br />
Schneidewerkzeugen<br />
und Klebern umgehen.<br />
Du kannst mit allen<br />
Arbeitsmaterialien<br />
umgehen.<br />
Du wählst<br />
selbstständig die<br />
Arbeitsmaterialien,<br />
die du brauchst.<br />
Arbeitsaufträge<br />
Du verstehst die<br />
Arbeitsaufträge<br />
und holst dir<br />
Hilfe.<br />
Du setzt<br />
Arbeitsaufträge<br />
selbstständig um.<br />
Du entwickelst<br />
eigene Ideen.<br />
Du entwickelst<br />
eigene Ideen und<br />
setzt diese<br />
fachgerecht um.<br />
Farben/Farbwirkung<br />
Du kannst<br />
Mischfarben<br />
mischen.<br />
Du kannst den<br />
sechsteiligen<br />
Farbkreis erklären.<br />
Du kannst<br />
Farbwirkungen<br />
gestalterisch<br />
anwenden.<br />
Du kennst die<br />
Wirkung von Farben<br />
und setzt diese<br />
gestalterisch um.<br />
Kunstwerke/<br />
Schülerarbeiten<br />
Du kannst über<br />
Kunstwerke<br />
sprechen.<br />
Du kannst<br />
Ähnlichkeiten und<br />
Unterschiede bei<br />
Kunstwerken zeigen.<br />
Du kannst über<br />
Ähnlichkeiten und<br />
Unterschiede bei<br />
Kunstwerken<br />
sprechen.<br />
Du kennst<br />
Kunstwerke und<br />
Informationen über<br />
verschiedene<br />
Künstler.<br />
Präsentation/Reflexion Du gehst mit<br />
deinen und den<br />
Ergebnissen<br />
anderer<br />
respektvoll um.<br />
Du traust dich vor<br />
anderen zu sprechen.<br />
Du kannst eigene<br />
Ergebnisse allein<br />
oder in der Gruppe<br />
präsentieren.<br />
Du kannst Kritik<br />
als hilfreich<br />
annehmen und setzt<br />
diese in deinen<br />
weiteren Arbeiten<br />
um.<br />
Kompetenzraster Klasse 3/4 Kunst
Praxis: Gute Aufgaben und Kompetenz orientierung<br />
Cornelia Schaffert<br />
Philosophieren als »gute Aufgabe«<br />
für alle Kinder in der <strong>Grundschule</strong>?<br />
Die »Liebe zur Weisheit« als Unterrichtsprinzip in heterogenen Lerngruppen<br />
Eine Kollegin meinte, dass das Philosophieren in der <strong>Grundschule</strong> doch nur<br />
etwas für Hochbegabte sei. Ist das so? Ausgehend davon, dass das Fragen stellen<br />
an Dinge, Phänomene und Vorgänge für alle Kinder ein Ausgangspunkt des<br />
Lernens sein kann soll im Folgenden dargestellt werden, inwieweit das Philosophieren<br />
eine gute Aufgabe für alle Kinder sein kann und Bildungsstandards und<br />
Kompetenzorientierung gerecht wird.<br />
Franz Weinert definiert schon 2001<br />
Kompetenz als »… die bei Individuen<br />
verfügbaren oder durch sie<br />
erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und<br />
Fertigkeiten, um bestimmte Probleme<br />
zu lösen, sowie die damit verbundenen<br />
motivationalen, volitionalen und sozialen<br />
Bereitschaften und Fähigkeiten,<br />
um die Problemlösungen in variablen<br />
Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll<br />
nutzen zu können« 1) .<br />
Anforderungen an gute Aufgaben<br />
werden jedenfalls nicht nur fachspezifisch<br />
genannt.<br />
Die Bildungsstandards der KMK unterscheiden<br />
drei Dimensionen: neben<br />
den inhaltlichen Kompetenzen sind<br />
prozessbezogene Kompetenzen (z.B.<br />
Problemlösen, Argumentieren, Kommunizieren,<br />
Modellieren, Darstellen)<br />
und die Anforderungsbereiche (kognitiver<br />
Anspruch an die Schülertätigkeit,<br />
z.B. Reproduzieren, Zusammenhänge<br />
herstellen, Verallgemeinern und Reflexion)<br />
genannt.<br />
In vielen Handreichungen, zum Beispiel<br />
in der des Ministeriums von NRW<br />
zur Kompetenzorientierung, sind Kriterien<br />
für Lernaufgaben aufgelistet. Dort<br />
heißt es auch, dass »… Fehler im Lernprozess<br />
zugelassen und eigene Lösungswege<br />
beschritten werden können …« 2)<br />
sollen. Damit der Prozess des Lernens<br />
in den Vordergrund rückt, sollten auch<br />
sogenannte »inhaltlich offene Lernangebote«<br />
genutzt werden.<br />
Themen, welche meist mit der Methode<br />
des Philosophierens in Verbindung<br />
gebracht werden, sind Streitschlichtung,<br />
Angst, Schuld – Themen aus dem Leben<br />
in der (Schul-) Gemeinschaft, des Zwischenmenschlichen.<br />
Dabei geht es oft<br />
um Verhalten und Gefühle, um die Bedeutung<br />
von Grundwerten wie Freiheit,<br />
Gerechtigkeit, Menschenwürde und Toleranz,<br />
um Wertekonflikte, Wertklärung<br />
und Wertekonsens. Philosophieren wird<br />
demnach als Methode zum Ethik-/Religionsunterricht<br />
und zur Werteerziehung<br />
genutzt. Bei solchen Themen ist es sehr<br />
einfach zu verdeutlichen, dass es Lernziele<br />
gibt, für die ein Lerneffekt nicht von<br />
jetzt auf nachher messbar ist.<br />
Aber es geht beim Philosophieren um<br />
die Welt als Ganzes, um alle Dinge die<br />
uns umgeben, eben darum, diese ganze<br />
Welt fragwürdig zu machen, auch<br />
um Wissen und Überzeugungen. »Wer<br />
wahrhaft weise ist, weiß wie Sokrates,<br />
dass er nicht weiß.« Die Aussage wird<br />
Platon (ca. 427 – 348 v. Christus) zugeschrieben.<br />
3) Philosophie – die "Liebe<br />
zur Weisheit« – ermöglicht es, die Welt<br />
mit Neugier und Wachsamkeit zu betrachten.<br />
Dies fordert eine Haltung des<br />
Hinterfragens und der Möglichkeit des<br />
Darstellens von Unbegreiflichem.<br />
Können alle Kinder philosophieren?<br />
Schon sehr früh haben Kinder eine<br />
Meinung, auch zum Sein der Welt und<br />
unterhalten sich miteinander darüber.<br />
Sie begleiten ihre Handlungen sprachlich,<br />
nutzen dabei die Wörter und Erklärungsstrategien,<br />
die sie in diesem<br />
Moment kennen. Nicht immer sind sie<br />
für Erwachsene verständlich. Mit ihren<br />
Gesprächen und Erklärungen zeigen sie<br />
immer auch ihre Vorerfahrungen, ihr<br />
Wissen, ihr Differenzierungsvermögen<br />
und ihr Sprachvermögen.<br />
Das Philosophieren wird deswegen<br />
auch als ein Unterrichtsprinzip für den<br />
Sachunterricht gesehen, »… es geht<br />
um neue, andere Zugänge zu den herkömmlichen<br />
Gegenständen des Sachunterrichts«<br />
4) .<br />
Es geht hier also nicht darum, philosophiegeschichtliches<br />
Wissen oder klassische<br />
philosophische Themen kindgerecht<br />
aufzubereiten. Philosophieren ist<br />
Selbstzweck, gemeinsames Nachdenken,<br />
welches immer wechselseitig Verstehen<br />
sucht, ist Dialog, und auch der<br />
Prozess des Verstehens wird zum Gegenstand<br />
des Nachdenkens gemacht.<br />
Das dialogische Gespräch ist rational<br />
und reflexiv. Können das alle Kinder?<br />
Rieke Bitter forschte zur Frage nach<br />
den Vorstellungen von Vorschulkindern<br />
zum Lebendigen auch danach, wie<br />
Kinder argumentieren, wenn ihre Erklärungen<br />
ausgereizt sind und in einem<br />
fragwürdigen Zusammenhang nicht<br />
mehr genügen. 5) Denn das Philosophieren<br />
ermöglicht nicht nur das Äußern<br />
von Wissen, sondern auch das Offenbaren<br />
von Denkstrukturen. Sie stellte unter<br />
anderem fest, dass einige Kinder ihre<br />
Entscheidungen nicht mit Vergleichsmerkmalen,<br />
sondern nur tautologisch<br />
begründen (»es ist so, weil das so ist«).<br />
Sie erklärt dies damit, dass den Kindern<br />
fachliche Merkmale fehlen. Aussagen<br />
werden dann nicht weiter spezifiziert,<br />
sondern vielmehr als fixe Grundlagen<br />
angenommen. Ist das weitere Hinterfragen<br />
für einige Kinder unnötig, endet<br />
das Gespräch dann oft sehr schnell.<br />
Dies wird häufig als eine entwicklungspsychologische<br />
Unzulänglichkeit<br />
der Kinder für das Philosophieren abgetan,<br />
anstelle genau hier einen gelungenen<br />
Ausgangspunkt zur Weiterentwicklung<br />
der Sprach- und Denkfähigkeiten<br />
zu sehen. Wie kann das gelingen?<br />
Was braucht es, um weiter<br />
im Gespräch zu bleiben?<br />
Besonders hilfreich ist es, wenn die<br />
Kinder sehr unterschiedliche Vorstel<br />
24 GS <strong>aktuell</strong> <strong>113</strong> • Februar 2011
Praxis: Gute Aufgaben und Kompetenz orientierung<br />
lungen haben und gerade diese Unterschiedlichkeiten<br />
im Gespräch aufgegriffen<br />
werden. Dazu ist es günstig, in<br />
heterogenen Lerngruppen zu agieren<br />
und entsprechend Zeit einzuplanen für<br />
die Äußerung jeder einzelnen Vorstellung.<br />
Für die Bereitschaft zur Ausdifferenzierung<br />
unterschiedlicher Aussagen<br />
haben jedoch Kinder wie Lehrende selten<br />
die nötige Ausdauer. Kindern fehlt<br />
aber auch oft das Bewusstsein für die<br />
Äußerung von Nichtwissen, wird doch<br />
oft gerade nur das Wissen abgefragt<br />
und belohnt. In Gesprächen zwischen<br />
Kindern und Erwachsenen verführt<br />
die Frage nach dem Warum häufig<br />
dazu, lexikonartig Fachwissen zu vermitteln.<br />
Im Sinne von Weinert liegt es demnach<br />
zunächst an der motivationalen,<br />
volitionalen und sozialen Bereitschaft<br />
von LehrerInnen, das Philosophieren<br />
als eine gute Aufgabe für alle Kinder<br />
anzuerkennen und in variablen Situationen<br />
mit hohem selbstgesteuertem<br />
Handlungsanteil erfolgreich und verantwortungsvoll<br />
als Unterrichtsprinzip<br />
und als Zugangsweise zu nutzen.<br />
Notwendige Fähigkeiten von LehrerInnen<br />
werden in der Fachliteratur mit<br />
konkreten Beispielen genannt. Hier<br />
sollen nur einige ausgewählte bedacht<br />
werden.<br />
Markus Rehm hat ein Kompetenzmodell<br />
zum Verstehen von Phänomenen<br />
und naturwissenschaftlichen Begriffen<br />
für die Unterrichtsforschung<br />
entwickelt.<br />
●●<br />
Fragwürdigkeit erkennen,<br />
●●<br />
Beziehung aufbauen,<br />
●●<br />
Sinn erfahren in Zusammenhängen,<br />
●●<br />
Verstehen.<br />
Diese Darstellung ist sehr verkürzt.<br />
Mehr siehe bei Markus Rehm (2006):<br />
Allgemeine naturwissenschaftliche Bildung<br />
– Entwicklung eines vom Verstehen<br />
ausgehenden Kompetenzmodells.<br />
Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften,<br />
S.23 – 44.<br />
Er geht davon aus, dass die Stufen<br />
drei und vier zunehmend verschüttet<br />
gehen, da die Lernenden nicht als sinnlich<br />
handelnde und verstehende Subjekte,<br />
sondern hauptsächlich als Rezipienten<br />
von Fachwissen betrachtet werden.<br />
Markus Rehm zeigte auf, dass jede<br />
noch so gute Phänomenpräsentation<br />
nicht zur Begriffsbildung führen kann,<br />
wenn nicht zuvor bei den Lernenden ein<br />
Lernsinn entwickelt wurde…« 6)<br />
Dass nicht alleine die Aktion des Experimentierens<br />
zu einer »bildenden Erfahrung«<br />
führt zeigt Jörg Ramseger 7)<br />
mit Bezügen zur <strong>aktuell</strong>en Forschungslage<br />
auf. Er nennt unter vielen anderen<br />
Bedingungen für eine gelungene naturwissenschaftliche<br />
Bildung einen kreisförmigen<br />
Prozess, den Kinder erleben<br />
können sollten:<br />
––<br />
Eine Frage an die Natur stellen<br />
––<br />
Ideen und Vermutungen äußern<br />
––<br />
Versuche im Team durchführen<br />
––<br />
genau beobachten<br />
––<br />
alles aufschreiben<br />
––<br />
Befunde gemeinsam dokumentieren<br />
––<br />
Befunde gemeinsam erörtern<br />
––<br />
erneut Fragen stellen …<br />
Was brauchen Kinder, um einen<br />
Lernsinn entwickeln zu können?<br />
Was brauchen sie, um eine Bedeutung<br />
für ihr Leben zu erfahren und von sich<br />
aus fragend im Gespräch zu bleiben?<br />
Für Ekkehard Martens ist das Philosophieren<br />
als gemeinsames Nachdenken<br />
über etwas ein Prozess zur Entfaltung<br />
des Bewusstseins. Er formuliert ein<br />
5-Finger-Modell 8) . Dabei geht es um<br />
die Bereitstellung von Impuls gebenden<br />
Fragen. Dies können Sachfragen<br />
um Wissen und Überzeugungen und<br />
Modellvorstellungen sein (Was können<br />
Pflanzen? Was können Tiere?), genauso<br />
wie offene Fragen, auf die es keine eindeutigen<br />
Antworten gibt, die eher auf<br />
Sinndeutungen abzielen (Warum ist das<br />
Ernten von Salat erlaubt?) neben Fragen,<br />
die eine Metaebene betrachten (»Was<br />
ist das eigentlich, was ich da tue, wenn<br />
ich ein Terrarium herstelle? Was will<br />
ich denn damit?«). Es geht um Beschreibung,<br />
Vergleiche, Gedankenexperimente,<br />
Begriffsunterscheidungen, Deutungsmuster,<br />
Argumentationsfiguren,<br />
Metaphern, kontroverse Positionen.<br />
Martens nennt fünf verschiedene gemeinsame<br />
Reflexionshandlungen:<br />
1. beobachten und möglichst differenziert<br />
beschreiben (Phänomenologie).<br />
2. begrifflich wie argumentativ prüfen<br />
(Analyse).<br />
3. sich einander widersprechen, über<br />
Behauptungen streiten (Dialektik).<br />
4. unterschiedliche Sichtweisen vom jeweiligen<br />
Standpunkt aus und als vorläufiges<br />
Wissen verstehen (Hermeneutik).<br />
5. phantasieren und sinnieren darüber,<br />
wie man etwas auch ganz anders verstehen<br />
könnte (Spekulation).<br />
Er unterscheidet drei Schwerpunkte,<br />
die sich im fortschreitenden Prozess<br />
des Philosophierens mehr oder weniger<br />
ausgeprägt ausbilden können:<br />
1. Sich-Wundern (Gedankenexperimente<br />
und Vorstellungskraft, phantasieren<br />
und sinnieren).<br />
2. Dialog-Handeln (begründen, nachfragen,<br />
zweifeln, Schlüsse ziehen, prüfen,<br />
unterscheiden, bestreiten und zustimmen,<br />
jemanden und sich selber in<br />
seinen Sichtweisen verstehen, einander<br />
widersprechen und miteinander über<br />
Behauptungen streiten, kontroverse Positionen<br />
suchen).<br />
3. Begriffs-Bildung (etwas genau beobachten,<br />
möglichst differenziert beschreiben,<br />
benennen, was jemand anderes<br />
sagt nochmals selbst begrifflich und<br />
ar-gumentativ überprüfen, es geht um<br />
Deutungsmuster, Metaphern, Vergleiche<br />
und Begriffsunterscheidungen).<br />
»Meinst du, die da Zähne hat?« fragt<br />
A., als er mit N. ein Terrarium für eine<br />
Schneckensammlung mit Blättern<br />
befüllt.<br />
N: »Wenn die Hunger hat muss die<br />
doch beißen in Salat oder so.«<br />
Nachfrage der Lehrerin: »Wie kommst<br />
du darauf?«<br />
N: »Die knabbert die Salat ab, meine<br />
Mama schimpf.«<br />
A: »Aber die muss doch auch überleben,<br />
die is doch ein Lebensdings.«<br />
L: »Kannst Du das genauer erklären?«<br />
A: »Die muss essen um zu leben.«<br />
N: »Alle Salat muss doch auch<br />
wachsen.«<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>113</strong> • Februar 2011<br />
25
Praxis: Gute Aufgaben und Kompetenz orientierung<br />
Bei einer projektorientierten Lernsituation<br />
zur Lesekompetenz in einer<br />
jahrgangsübergreifend arbeitenden<br />
Lerngruppe (1/2/3) wurde auch der<br />
KrabbeltierKoffer 9) genutzt. Einige Kinder<br />
wollten Schnecken beobachten.<br />
Hier gäbe es die Möglichkeit, nach<br />
der Fortbewegung zu fragen, die Unterscheidung<br />
zu Insekten zu nutzen. Es<br />
könnten aber auch die Vermutungen<br />
der Kinder über das Vorhandensein von<br />
Zähnen gesammelt werden und in einem<br />
weiteren Schritt erarbeitet werden,<br />
was man alles tun kann, um die Frage<br />
selbst zu beantworten. Auch kann weiter<br />
darüber ein Austausch stattfinden,<br />
was Zähne sind, wie sie aussehen, es<br />
können Vergleiche und Begriffsunterscheidungen<br />
gelingen.<br />
Aber auch ein Gedankenexperiment<br />
wäre möglich zur Frage «Wie wäre es,<br />
wenn der Salat sich nicht essen ließe?«<br />
Dabei könnte eine gemeinsame Verständigung<br />
über die Begriffe »Lebendig«<br />
und »Nicht-Lebendig« durch das<br />
Benennen von Unterschieden Ziel sein.<br />
Wie gelingt es, die verschiedenen<br />
Möglichkeiten, das unterschiedliche<br />
Anliegen der Kinder im Sinne eines<br />
Literacy-Konzepts zu begleiten, bei<br />
dem Weltverständnis als Fähigkeit,<br />
die Welt auf unterschiedliche Weise<br />
»lesen« zu können, gesehen wird?<br />
Der mangelnden Ausdauer von Kindern<br />
entgegen kommend eignen sich<br />
nach Bitter besonders Unterrichtsvorhaben<br />
mit hohem selbstgesteuertem<br />
Handlungsanteil: »So regte während<br />
der Intervention die gemeinsame Pflege<br />
der Schnecken und Löwenzahnpflanzen<br />
den Austausch der Kinder über<br />
Gemeinsamkeiten ebenso an wie das<br />
Mikroskopieren und Untersuchen der<br />
Lebewesen im Vergleich zu Steinen.« 10)<br />
Ramseger weist unter anderem auf<br />
die Notwendigkeit einer meta-kognitiven<br />
Reflexion hin. »Der Unterricht<br />
sollte demnach bereits in seiner Struktur<br />
so gestaltet sein, dass er eine Kombination<br />
von eigenaktivem Erproben<br />
und Experimentieren und systematischem<br />
gemeinsamen Nachdenken über<br />
den Sachverhalt darstellt – »sustained<br />
shared thinking« wie die Amerikaner<br />
es nennen.« 11)<br />
Können alle Kinder miteinander<br />
philosophieren?<br />
In Lernumgebungen, in denen Kinder<br />
auch selbstständig mit Hilfe von Gegenständen,<br />
Fotos, Filmen, Bildern, Sprichwörtern,<br />
Rätseln u. a. untereinander ins<br />
Gespräch kommen, können alle Kinder<br />
innerhalb ihrer Ausdrucksformen miteinander<br />
gemeinsam nachdenken und<br />
auch philosophieren. Die Kompetenzen<br />
von LehrerInnen zeigen sich, wenn<br />
sie verbale und nonverbale Impulse, in<br />
der Kinder ihre persönliche Verwunderung,<br />
ihre Fragen und Erklärungen<br />
zeigen, immer wieder aufgreifen und<br />
begleiten, ohne gleich richtige Antworten<br />
zu erwarten. Es geht darum, das<br />
»Nichtwissen« zu entdecken und dieses<br />
Cornelia Schaffert<br />
Sonderschullehrerin in jahrgangsgemischten<br />
Klassen (1/2/3) an einer<br />
<strong>Grundschule</strong>, zudem abgeordnet<br />
zur Sprachberatung in der Kita und<br />
zur Mitarbeit im ProMint Kolleg der<br />
Humboldt-Universität in Berlin.<br />
in eine Suche nach Lösungsprozessen<br />
umzuwandeln.<br />
LehrerInnen können Kinder in ihrem<br />
Tun sprachlich im Sinne von scaffolding<br />
begleiten, Modell sein. Die Kunst,<br />
Kinder zu persönlichen Äußerungen zu<br />
ermuntern, »… nennt man in der englischen<br />
Sprachdidaktik »scaffolding«.<br />
Eine adäquate deutsche Übersetzung ist<br />
schwierig – »Einrüstung« oder »Gerüstbau«<br />
klingen wenig passend und eher<br />
abschreckend. Ich schlage vor, von aufbauender<br />
Sprachförderung zu sprechen<br />
oder den englischen Ausdruck beizubehalten.«<br />
12)<br />
Hilfreich dazu sind Gesprächsrituale,<br />
das Nutzen von Blitzlicht, Sprechstein<br />
und immer wiederkehrender Zeiten für<br />
Kreisgespräche, Austausch-, Auswertungs-<br />
oder Präsentationsrunden. Dabei<br />
können Fragen, Aussagen und Er<br />
M: Ob die sich wohl fühlt da drinne?<br />
B: Habs viel grün rein.<br />
M: Aber die Luft hier und das Licht …<br />
B: Die Sonne is auch hell.<br />
L: Ihr macht euch Gedanken über das Leben eurer Schnecke?<br />
M: hm<br />
B: wie wir es gemütlich machen können<br />
L: Warum braucht ihr das Terrarium?<br />
B: Is ja nur für kurz, genauer gucken, …näher dran sein können,<br />
nur für jetzt …<br />
L: Gibt es noch andere Möglichkeiten?<br />
M: naja draußen<br />
B: da is sie so schnell weg<br />
M: nachher kommt sie aber wieder raus …<br />
B: ja, das machst du dann<br />
26 GS <strong>aktuell</strong> <strong>113</strong> • Februar 2011
Praxis: Gute Aufgaben und Kompetenz orientierung<br />
klärungen der Kinder stichpunktartig<br />
auf Karten notiert werden. Diese visualisieren<br />
das gemeinsame Nachdenken,<br />
wenn sie an die Tafel angeheftet werden.<br />
Sie können in folgenden Gesprächsrunden<br />
gemeinsam geordnet und immer<br />
wieder auch umgeordnet werden, zum<br />
Beispiel in »richtig«, »falsch« und »noch<br />
offen«.<br />
Das Philosophieren mit Kindern Unterstützendes<br />
Material bietet zum Beispiel<br />
Kerstin Michalik 13) ganz konkret.<br />
Sie nennt unter anderem eine Fülle<br />
von hilfreichen Gesprächsimpulsen zur<br />
Intensivierung der inhaltlichen Auseinandersetzung<br />
(Nachfragen, Begründen,<br />
Diskutieren, Konsequenzen durchspielen,<br />
Zusammenfassung) und zur Anregung<br />
des Miteinander Redens.<br />
»Wenn Menschen lernen sich in<br />
Sprache zu bewegen, lernen sie unweigerlich<br />
sich in einem Netz unterschiedlicher,<br />
auslegungsbedürftiger Symbole<br />
zu bewegen. Elementares Philosophieren<br />
hebt darauf ab, unser symbolisch<br />
vermitteltes Verstehen von Wirklichkeit<br />
immer gründlicher und genauer<br />
zu verstehen.« 14)<br />
Die Kompetenzen von Kindern zur<br />
Begriffsbildung und zum Verstehen<br />
können sich während des Philosophierens<br />
zeigen und entwickeln, indem in<br />
den dialogischen Gesprächen immer<br />
wieder neu eigene Lösungswege gesucht<br />
werden und so gemeinsam eine Beziehung<br />
zwischen der eigenen Person und<br />
den Phänomenen in der Welt erlebbar<br />
wird.<br />
MAIK: also bäume wachsen ja auch nicht wenn sie ganz groß sind (.) also<br />
ERZIEHERIN: wie, die wachsen nicht?<br />
THOMAS, ANNA: dooch die wachsen ((Maik »klatscht« sich mit der offenen<br />
Hand an die Stirn und schließt die Augen))<br />
JAN: klar wachsen die das sind doch lebewesen<br />
GRIT: das sind keine lebewesen bäume leben gar nicht<br />
THOMAS: dooch<br />
ANNA: bäume leben<br />
JAN: die leben<br />
MAIK: aber die gehen ja nicht<br />
JAN: aber sie sind lebewesen<br />
GRIT: NEEINN das sind doch keine tiere die gehen 15)<br />
»Philosophieren bedeutet, immer<br />
wieder die Sicherheit des Wissens anzuzweifeln<br />
und zu verstehen, dass hinter<br />
vermeintlichen Tatsachen sich oft eine<br />
zweite, eine dritte, eine andere Wahrheit<br />
finden lässt.« 16)<br />
Kompetenzmodelle beschreiben das<br />
Lernen in einem Prozess. Mit allen Kindern<br />
philosophieren ist anspruchsvoll,<br />
es setzt die Bereitschaft aller voraus, das<br />
Fragen und das gemeinsam nach <strong>aktuell</strong><br />
gültigen Antworten zu suchen in den<br />
Fokus zu stellen. Es braucht fachkundige<br />
Begleitung in Unterrichtsarrangements,<br />
in denen es gelingt, »…sich<br />
gleichzeitig mit Kindern im Denken zu<br />
orientieren, sich auf bestimmte Art und<br />
Weise mit Kindern im Denken zu orientieren<br />
und sich durch Kinder im Denken<br />
zu orientieren.« 17)<br />
Anmerkungen<br />
(1) Weinert (2001): Vergleichende Leistungsmessung<br />
in Schulen – eine umstrittene<br />
Selbstverständlichkeit. In: Weinert (Hg.):<br />
Leistungsmessungen in Schulen. Weinheim,<br />
S. 17 – 31, S. 27<br />
(2) Ministerium für Schule und Weiterbildung<br />
des Landes NRW (2008): Kompetenzorientierung<br />
– Eine veränderte Sichtweise<br />
auf Lehren und Lernen in der <strong>Grundschule</strong>.<br />
Handreichung, S. 13<br />
(3) siehe PLATON: Apologie des Sokrates;<br />
Übersetzung und Kommentar von Ernst<br />
Heitsch. Göttingen 2002<br />
(4) Michalik (2005): Philosophieren über<br />
Mensch und Natur im Sachunterricht. In:<br />
Hößle, Michalik (Hrsg.): Philosophieren mit<br />
Kindern und Jugendlichen. Didaktische und<br />
methodische Grundlagen des Philosophierens.<br />
Baltmannsweiler, S. 13 – 23, S. 16<br />
(5) Bitter (2010): Dogmen vom Lebendigen.<br />
Philosophieren mit Kindern im Sachunterricht.<br />
In: www.widerstreit-sachunterricht.de,<br />
Nr. 15, Oktober 2010<br />
(6) Aeschlimann, Buck, Hugo, Østergaard,<br />
Rehm, Rittersbacher (2008): Phänomenologische<br />
Naturwissenschaftsdidaktik: Der<br />
Lernweg und der Lehrweg von den Phänomenen<br />
zum Begriff. In: Höttecke, Dietmar (Hg.):<br />
Kompetenzen, Kompetenzmodelle, Kompetenzentwicklung.<br />
Berlin, S. 179 – 181, S. 181<br />
(7) Ramseger (2010): Was heißt »naturwissenschaftliche<br />
Bildung« im Kindesalter? Eine<br />
kritisch konstruktive Sichtung von Naturwissenschaftsangeboten<br />
für den Elementar- und<br />
Primarbereich. Vortrag MINT-Fachtagung<br />
Rostock 20. Sept. 2010<br />
(8) Martens (1990): Sich im Denken orientieren.<br />
Philosophische Anfangsschritte mit<br />
Kindern, Hannover<br />
(9) Hoppe, Janzen: Der Krabbeltier Koffer.<br />
In Grundschulunterricht Deutsch, 2/2010,<br />
S. 16 – 20<br />
(10) Bitter (2010): S. 6<br />
(11) Ramseger (2010): S. 8<br />
(12) Roth (2007): Scaffolding – ein Ansatz<br />
zur aufbauenden Sprachförderung. In:<br />
Sprachförderung in Köln. mehrsprachig vom<br />
Kindergarten bis ins Berufsleben, Newsletter<br />
Februar 2007, S. 33 – 35, S. 33<br />
(13) Michalik (2010): Methoden des Philosophierens<br />
mit Kindern. In: Grundschulunterricht<br />
Sachunterricht, 1/2010, S. 39 – 47<br />
(14) Wehner (2009): »Pädagogik vom Kinder<br />
aus« – Versuch einer kinderphilosophischen<br />
Reinterpretation einer pädagogischen Formel.<br />
In: www.widerstreit-sachunterrricht.de,<br />
Ausgabe 12/März 2009, S. 7<br />
(15) Rieke Bitter (2010): S. 6<br />
(16) Zoller-Morf (1998): Philosophische Reise<br />
– Unterwegs mit Kindern auf der Suche nach<br />
Lebensfreude und Sinn, Zürich, S. 11<br />
(17) Wehner (2009): S. 7<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>113</strong> • Februar 2011<br />
27
Ansichten Praxis: Gute und Aufgaben Einsichten und Kompetenz orientierung<br />
Horst Bartnitzky<br />
Auch Förderaufgaben<br />
müssen qualitätsvoll sein<br />
»Wir brauchen den Blickwechsel: weg vom Blick auf die Defizite hin zum Blick<br />
auf die Kompetenzen der Kinder.« So lautete das Fazit eines Beitrages bei der<br />
letzten Herbsttagung des Grundschulverbandes im Taunus, als es um Förderkonzepte<br />
ging. Ein Teilnehmer widersprach: »Wir müssen uns auch die Defizite<br />
klar machen. Denn das ist doch der Sinn von Förderung: die Defizite aufzuarbeiten.«<br />
Eine Teilnehmerin hielt dagegen: »Wir sollten immer sehen, welche<br />
Kompetenzen ein Kind bereits hat. Von diesen Kompetenzen aus entwickelt es<br />
sich dann mit unserer Hilfe weiter.«<br />
Wie war das noch mit dem<br />
zum Teil gefüllten Glas: Ist<br />
es halb leer oder ist es halb<br />
voll? Objektiv liegt der gleiche Sachverhalt<br />
zu Grunde. Aber die Einstellung<br />
des Betrachters ist eine andere: hier die<br />
pessimistische, dort die optimistische<br />
Sicht.<br />
Pädagogisch gewendet: Hier der Defizitblick,<br />
der das Kind als förderbedürftig<br />
erklärt, dort der Kompetenzblick,<br />
der das Kind in seinem bisherigen Können<br />
erkennt und Lernsituationen arrangiert,<br />
in denen es sein Können aktiviert<br />
und erweitert. Pädagogische Pathologie<br />
gegen eine Pädagogik der Ermutigung.<br />
Qualitätsmerkmale<br />
für Förderaufgaben<br />
Förderung in einer Pädagogik der Ermutigung<br />
– eine Projektgruppe des<br />
Grundschulverbandes hat den Auftrag,<br />
dazu didaktische Anregungen zu erarbeiten.<br />
Das Arbeitsthema kennzeichnet<br />
schon die Blickrichtung: »Individuell<br />
fördern – Kompetenzen stärken« (siehe:<br />
<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong> 2010, H. 109). Bei<br />
der Suche nach qualitätsvollen Aufgaben<br />
für die Förderung verständigte sich<br />
die Projektgruppe auf drei Qualitätsmerkmale,<br />
die sie »didaktische Leitideen<br />
zur Förderung« nennt.<br />
Förderaufgaben müssen sein:<br />
●●<br />
beziehungsreich und verstehensorientiert.<br />
Es ist ein Irrtum alter Hilfsschulpädagogik,<br />
der sich bis heute gehalten hat:<br />
dass nämlich leistungsschwächeren<br />
Kindern nur kleinste Lernportionen zu<br />
verabreichen sind. Also werden komplexere<br />
Fähigkeiten in kleinste Teilfähigkeiten<br />
zerlegt, möglichst mundgerecht<br />
gemacht und vorgekaut. Da wird zuerst<br />
das M gelernt, dann das A, daraus<br />
MAMA synthetisiert, oder es werden<br />
(ein <strong>aktuell</strong>er Trend) zuerst Silben zu<br />
lesen gelernt. Verstehensorientiert heißt<br />
aber: Einsicht in Struktur und Funktion<br />
von Schrift erkennen – nicht als spätes<br />
Ergebnis, sondern von Anfang an. Beziehungsreich<br />
bedeutet, Beziehungen<br />
herstellen zwischen Lauten und Buchstaben,<br />
zwischen Geschriebenem und<br />
Gesprochenem, zwischen mir und dem<br />
Text.<br />
●●<br />
diagnosegeleitet und differenziert.<br />
Ein Teil der <strong>aktuell</strong>en Bildungsforschung,<br />
wie sie z. B. für die Vergleichsarbeiten<br />
verantwortlich ist, trennt Lernsituationen<br />
von Leistungssituationen.<br />
Lernsituationen charakterisierten den<br />
Unterricht, dabei dürften auch Fehler<br />
gemacht werden; Leistungssituationen<br />
seien dagegen Lernkontrollen, deren<br />
Sinn es gerade sei, möglichst fehlerfrei<br />
zu arbeiten (z. B. Köster 2010).<br />
Didaktisch ist dies ein verhängnisvoller<br />
Irrtum, denn Lernsituationen<br />
sind qua Definition immer auch Leistungssituationen<br />
und Fehler können<br />
ein wichtiger Hinweis auf Lernstrategien<br />
und Denkweisen sein. Wer statt Opa<br />
Oper schreibt, hat das Rechtschreibmuster<br />
–er erkannt und verinnerlicht<br />
und wendet es hier übergeneralisiert an.<br />
Was denn anderes als eine Leistung ist<br />
das? Diagnosegeleitet bedeutet deshalb<br />
genau dies: in den Lernsituationen immer<br />
auch die Leistung zu erfassen und<br />
zu würdigen. Die Königswege dazu sind<br />
nicht Tests, sondern die Beobachtung<br />
Dr. Horst Bartnitzky<br />
Grundschulpädagoge, Autor von<br />
Schul- und Fach büchern, Ehren -<br />
mitglied des Grundschulverbandes<br />
der Lern- und Arbeitsprozesse und die<br />
Würdigung der Lerndokumente der<br />
Kinder, wie sie z. B. im Instrument des<br />
Portfolios eine Möglichkeit gefunden<br />
hat. Dass hierbei differenziert betrachtet<br />
und unterstützt wird, ist dabei inklusiv.<br />
(Zur Pädagogischen Leistungskultur<br />
siehe z. B. Bartnitzky / Speck-Hamdan<br />
2004.)<br />
●●<br />
kommunikativ und kooperativ.<br />
Zwar ist der Lernprozess individuell,<br />
aber in sozial-interaktive Prozesse eingebunden.<br />
Vereinzelung der Kinder im<br />
Lernen, wie dies bei falsch verstandener<br />
Individualisierung praktiziert wird,<br />
nimmt den Kindern wesentliche Lernchancen.<br />
Anfangsunterricht, Deutsch,<br />
Lesen – vier Beispiele<br />
An vier Beispielen von Förderideen sollen<br />
qualitätsvolle Möglichkeiten vorgestellt<br />
werden. Es sind Beispiele aus dem<br />
Bereich Anfangsunterricht Deutsch<br />
und hier zu einer kritischen Stelle im<br />
Lernprozess, die für viele Kinder eine<br />
Hürde zum weiterführenden Lesen darstellt:<br />
das selbstständige Lesen von Texten.<br />
Illustriert werden sie mit Folien aus<br />
einer Power-Point-Präsentation, die in<br />
der eingangs erwähnten Herbsttagung<br />
des Grundschulverbandes verwendet<br />
wurde.<br />
28 GS <strong>aktuell</strong> <strong>113</strong> • Februar 2011
Praxis: Gute Aufgaben und Ansichten Kompetenz und orientierung<br />
Einsichten<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Förderidee:<br />
Rich,g oder falsch: Sätze inhaltlich beurteilen<br />
S,mmt der Satz oder nicht?<br />
Kinder begründen mündlich<br />
Kinder erstellen Fragebögen zum Interessengebiet / zum<br />
Thema<br />
Kinder erstellen Fragebogen zu einem Text.<br />
Die Informationsentnahme wird zwingend, wenn der Satz<br />
auf seine Richtigkeit überprüft werden soll: Stimmt der Satz<br />
oder stimmt er nicht?<br />
Mündlich können die Kinder ihre Entscheidung begründen<br />
und im Zweifelsfall auch miteinander diskutieren. Entsprechende<br />
Fragebogen lassen sich für jedes Leseniveau herstellen.<br />
Hier ein Beispiel mit einfachem Schwierigkeitsgrad:<br />
Ich esse gerne Tomaten.<br />
Ich esse gerne Salami.<br />
Ich esse gerne Autos.<br />
ja<br />
nein<br />
Die Kinder können selber zu jedem Text, den sie gelesen haben,<br />
einen Fragebogen herstellen. Entsprechende Formulare<br />
sollten bereitliegen. Sie arbeiten dabei intensiv verstehensorientiert<br />
mit dem Text und dokumentieren ihr Leseverständnis.<br />
Den Text können die Kinder vorlesen und dann die<br />
Fragebögen verteilen. Oder die Texte liegen mit den Fragebögen<br />
aus. Wer den Bogen erstellt hat, ist Experte für diesen<br />
Text.<br />
Lesen und Fragebogen erstellen können wirkungsvoll partnerschaftlich<br />
geleistet werden.<br />
<br />
16<br />
Eine Bedingung für gelingende Förderung ist das eigenständige<br />
Lesen der Kinder: Hier zu motivieren, Lesen als Gewinn<br />
erfahren zu lassen, ist zentrale Förderaufgabe in der Entwicklung<br />
einer Lese-Schreib-Kultur (Grundschulverband 2006).<br />
Dazu sind mehrere Faktoren hilfreich:<br />
––<br />
Die Kinder brauchen Lesestoff, der ihr Interesse trifft – seien<br />
es Tiere, Dinosaurier, witzige Geschichten oder Bild-<br />
Text-Kombinationen zu einer Fernsehserie. Natürlich<br />
muss der Anspruch des Textes der Lesefähigkeit entsprechen.<br />
Wenn die Schule keine Bücherei hat, kann die Ortsbibliothek<br />
helfen.<br />
––<br />
Die Kinder brauchen Lesezeiten und Leseplätze zum freien<br />
Lesen in der Schule. Beim Ganztag ergeben sich mehr<br />
Möglichkeiten als bei der Viertel- bis Halbtagsschule.<br />
––<br />
Die Kinder brauchen oft Lesepartner: andere Kinder, mit<br />
denen sie sich über Gelesenes austauschen können, auch<br />
Lesepaten, z. B. aus 4. Klassen, verwandte Erwachsene oder<br />
ehrenamtliche Helfer.<br />
––<br />
Die Kinder können über ihre Lektüren ein Lesetagebuch<br />
führen: Sie schreiben zuerst nur die Titel auf, sie können<br />
dazu malen oder etwas schreiben. Individuell kann das Tagebuch<br />
dann erweitert werden: Autor/in, Titel, zum Inhalt,<br />
eigene Meinung. Später können andere Möglichkeiten hinzukommen:<br />
eine Stelle, die besonders witzig / spannend /<br />
wichtig ist, ein Brief an eine Person im Text, Überlegungen,<br />
wie die Geschichte weitergehen kann …<br />
An diesem Beispiel wird noch etwas sichtbar: Es ist gar keine<br />
Aufgabe und damit auch keine »gute Aufgabe«, sondern<br />
es sind anregende Lernsituationen, die durch die gestaltete<br />
Lernumgebung möglich werden. Solche Lernumgebung und<br />
Lernsituationen sind aber die Voraussetzung und Grundlage<br />
dafür, dass Aufgaben gute Aufgaben werden können. Die<br />
derzeitige Rede von »guten Aufgaben« als Weg zu mehr Qualität<br />
greift deshalb zu kurz.<br />
Förderidee:<br />
Lesefeld erweitern: über die Zeile lesen<br />
Zeilensprung in Sinnabschni:en:<br />
Eine Maus hat vier kleine Beine<br />
und kann damit schnell laufen.<br />
Willkürlicher Zeilensprung (hier: Fla:ersatz):<br />
Eine Maus hat vier kleine Beine und kann<br />
damit schnell laufen. Sie hat kleine …<br />
Methode (Tipp): Über die Zeile lesen<br />
• Suche den Punkt.<br />
• Mache am Punkt einen farbigen Strich.<br />
• Wenn der Satz über zwei Zeilen geht,<br />
dann unterstreiche die letzen Wörter der oberen Zeile<br />
und die ersten Wörter der nächsten Zeile mit derselben Farbe.<br />
Texte für Leseanfänger sind oft im Flattersatz gedruckt, bei<br />
dem die Zeilen unterschiedlich lang sind. Oft entsprechen<br />
die Zeilen Sinnabschnitten, was das Erlesen für die Kinder<br />
erleichtert. Häufig aber, besonders auch bei Kinderbüchern<br />
für die erste Lesestufe, endet die Zeile willkürlich im Satz.<br />
Bei allen Texten, bei denen die Zeilen willkürlich die Sätze<br />
teilen, müssen die Kinder zeilenübergreifend lesen, um den<br />
15<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>113</strong> • Februar 2011<br />
29
Ansichten Praxis: Gute und Aufgaben Einsichten und Kompetenz orientierung<br />
Textsinn herzustellen. Das ist eine Schwierigkeit für viele<br />
Kinder, die dann eine Zeile bis zum Ende lesen und dann bei<br />
der nächsten Zeile neu ansetzen. Der inhaltliche Zusammenhang<br />
geht dadurch verloren. Dem wirkt eine Methode entgegen,<br />
die hilft, zeilenübergreifend zu lesen.<br />
Die Methode kann mit den Kindern an geeigneten Texten<br />
ausprobiert werden. Dann wird partnerschaftlich weiter geübt:<br />
Die Partner markieren gemeinsam den Text, lesen halblaut gemeinsam<br />
auf den Punkt zu. Die Aufgabe heißt: Nicht am Zeilenende<br />
eine Pause machen, sondern auf den Punkt zu lesen.<br />
Danach lesen die Kinder sich gegenseitig halblaut den Text<br />
vor und besprechen, wie das Satzlesen gelungen ist. Mit dieser<br />
Methode können die Kinder auch das Vorlesen von Texten<br />
üben.<br />
Förderidee:<br />
Sätze genau lesen: Schlüsselwörter<br />
Das Auffinden von Schlüsselwörtern ist eine Methode der<br />
Text erschließung. Sie entwickelt ihre didaktische Qualität aber<br />
erst, wenn sie für die Kinder plausibel und praktikabel ist:<br />
●●<br />
Der Text muss auf das Interesse der Kinder stoßen. Zum<br />
Beispiel können beim Unterrichtsthema Tiere verschiedene<br />
kürzere lexikonartige Texte vorliegen, aus denen die Kinder<br />
aussuchen, z. B. den Kaninchentext oben.<br />
●●<br />
Das informierende Lesen sollte ein Ziel haben. Hier im<br />
Beispiel ist es der Sachvortrag: sich mit dem Text schlau machen,<br />
Schlüsselwörter markieren und herausschreiben und<br />
mit ihnen den Inhalt des Textes wiedergeben. Die Schlüsselwörter<br />
fungieren als Gedächtnishilfe.<br />
●●<br />
Für viele Kinder ist zunächst alles im Text wichtig. Deshalb<br />
wird als Vorgabe die Zahl der Schlüsselwörter begrenzt, hier<br />
sind es fünf. Dabei gibt es übrigens nicht die eindeutige<br />
Lösung.<br />
Beim nebenstehenden Beispiel werden die fünf Schlüsselwörter<br />
auf der rechten Seite notiert; das Blatt wird in der<br />
Mitte so gefaltet, dass nur noch die Wörter sichtbar sind, mit<br />
18<br />
deren Hilfe der Inhalt dem Partner, der Gruppe, der Klasse<br />
vorgetragen wird. Die Hörer können dann einschätzen und<br />
rückmelden, ob sie den Inhalt gut verstanden haben.<br />
Die Methode kann in den folgenden Schuljahren auch bei<br />
längeren Texten verwendet werden. Dann können die Kinder<br />
z. B. zuerst alle wichtigen Wörter im Text markieren und<br />
in einem zweiten Schritt aus den markierten Wörtern 5 bis<br />
8 Wörter auf Karteikärtchen schreiben und damit den Inhalt<br />
referieren.<br />
Die vier vorgestellten Beispiele erfüllen<br />
die drei Qualitätsmerk male<br />
für Förderaufgaben. Sie sind:<br />
beziehungsreich und verstehensorientiert:<br />
Sie üben einzelne Aspekte der<br />
Lesekompetenz, vermeiden aber die<br />
Isolierung von Teilfähigkeiten. Die Formate<br />
sind immer auf sinnkonstruierendes<br />
und verstehendes Lesen bezogen.<br />
Sie nutzen zudem das Lesen für weitere<br />
Aktivitäten: für geselliges Lesen und<br />
Austauschen von Leseerfahrungen, für<br />
Quizbögen, für Vorträge.<br />
diagnosegeleitet und differenziert: Die<br />
Förderformate ermöglichen unterschiedliche<br />
Niveaus der Aufgaben und<br />
der Aufgabenbearbeitung. Die Arbeitsergebnisse<br />
der Kinder belegen ihren<br />
Entwicklungsstand.<br />
kommunikativ und kooperativ: Die<br />
Förderformate ermöglichen oder er<br />
fordern kooperatives Arbeiten. Bei der<br />
Aufgaben erledigung entstehen kommunikative<br />
Situationen, wenn Leseerfahrungen<br />
ausgetauscht werden, wenn<br />
Antworten begründet werden, wenn<br />
Vorträge gehalten und auf ihre inhaltliche<br />
Vollständigkeit von anderen Kindern<br />
begutachtet werden.<br />
Die Projektgruppe des Grundschulverbandes<br />
»Individuell fördern – Kompetenzen<br />
stärken« erarbeitet zurzeit<br />
Förderideen für den Übergang vom Elementarbereich<br />
in die <strong>Grundschule</strong> und<br />
für die Eingangsstufe zu den Fächern<br />
Deutsch, Mathematik und Deutsch als<br />
Zweitsprache. Die Materialien werden<br />
als Mitgliederband vermutlich im Frühjahr<br />
2012 erscheinen. Im Anschluss<br />
werden Materialien für die Jahrgangsstufen<br />
ab Klasse 3 erarbeitet.<br />
Literatur<br />
Bartnitzky, Horst / Speck-Hamdan, Angelika<br />
(Hrsg.) (2004): Leistungen der Kinder wahrnehmen<br />
– würdigen – fördern.<br />
Frankfurt a. M.: Grundschulverband.<br />
Dazu die Folgebände mit Materialien für alle<br />
Fächer der <strong>Grundschule</strong>:<br />
Bartnitzky, Horst u. a. (Hrsg.): Pädagogische<br />
Leistungskultur 2005, 2006, 2007.<br />
Frankfurt a. M.: Grundschulverband.<br />
<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong> (2010): Individuell<br />
fördern – Kompetenzen stärken. Heft 109,<br />
Februar.<br />
Grundschulverband (Hrsg.) (2006): Lesekompetenz.<br />
Ein Lese- und Arbeitsbuch des<br />
Grundschulverbandes. Frankfurt a. M.<br />
Köster, Juliane: Aufgabentypen für Erfolgskontrollen<br />
und Leistungsmessung im<br />
Literaturunterricht. In: Winfried Ulrich<br />
(Hrsg.): Deutschunterricht in Theorie und<br />
Praxis Band 11/3. Baltmannsweiler:<br />
Schneider Hohengehren.<br />
30 GS <strong>aktuell</strong> <strong>113</strong> • Februar 2011
<strong>aktuell</strong> … aus dem Bundesvorstand<br />
Grundschulverband zum »Bildungspaket«<br />
Zu den Verhandlungen und Diskussionen<br />
zum Gesetzentwurf zur Hartz-IV-Reform<br />
hat die Delegiertenversammlung des<br />
Grundschulverbands Stellung genommen.<br />
Die Erklärung wurde in einer<br />
Pressemitteilung veröffentlicht.<br />
Hier der Wortlaut:<br />
»Der Grundschulverband begrüßt<br />
grundsätzlich die Anstrengungen der<br />
Bundesregierung zum Abbau von<br />
Bildungsungerechtigkeit, wie sie im<br />
Gesetzentwurf eines ›Gesetzes zur<br />
Ermittlung von Regelbedarfen und zur<br />
Änderung des Zweiten und Zwölften<br />
Buches Sozialgesetzbuch‹ zu erkennen<br />
sind. Allerdings hält er die vorgeschlagenen<br />
Maßnahmen für nicht ausreichend<br />
und für nicht zielführend.<br />
Es ist wichtig, dass alle Kinder adäquate<br />
Unterstützung auf ihren Bildungswegen<br />
erhalten. Für die Erreichung der schulischen<br />
Lernziele sind aber die Schulen,<br />
nicht private Nachhilfeanbieter verantwortlich.<br />
Lernförderung muss in den<br />
Schulen stattfinden. Gerade Brennpunktschulen<br />
müssen in den Stand versetzt<br />
werden, besondere Unterstützungsangebote<br />
für ihre Schülerinnen und Schüler<br />
vorzuhalten. Die Mittelzuweisung an<br />
Schulen muss Benachteiligungen ausgleichen<br />
können.<br />
Die Idee der direkten Förderung von<br />
Aktivitäten, die Kindern die vom Bundesverfassungsgericht<br />
geforderte Teilhabe<br />
am sozialen und kulturellen Leben<br />
ermöglichen, ist grundsätzlich richtig.<br />
Dafür ist Familien jedoch gezielte Unterstützung<br />
anzubieten. Lehrkräfte und<br />
pädagogische Teams an Schulen kennen<br />
die kulturellen Angebote der Region. Sie<br />
kennen auch die Kinder, ihre Potenziale<br />
und haben Einblick in die Familien. Daher<br />
gehört auch die Beratung über passende<br />
Angebote und deren Vermittlung zur<br />
Aufgabe von Schule.<br />
Diese zusätzlichen Aufgaben lassen sich<br />
bei der chronischen Unterfinanzierung<br />
insbesondere der <strong>Grundschule</strong>n aber<br />
nicht zum Nulltarif leisten.<br />
Bildungsgerechtigkeit lässt sich nach<br />
Auffassung des Grundschulverbandes nur<br />
durch gezielte und die Qualität steigernde<br />
Investitionen in die vorhandenen<br />
Bildungsinstitutionen erreichen.«<br />
Jubiläum von Rolf Kielblock<br />
verbesserte endlich die<br />
Arbeitsbedingungen der<br />
Geschäftsstelle.<br />
Vier Vorsitzende konnten<br />
sich in den vergangenen<br />
25 Jahren auf die fundierte<br />
und vielseitige Arbeit von<br />
Rolf Kielblock stützen. Sein<br />
weites Aufgabenspektrum<br />
Am 1. Januar 2011 konnte Rolf Kielblock<br />
auf 25 Jahre hauptamtliche Tätigkeit für<br />
den Grundschulverband zurückblicken.<br />
Er verantwortete die Arbeit der Geschäftsstelle<br />
in der Frankfurter Schloßstraße,<br />
als der Verband viele Jahre Gast in den<br />
Räumen des Deutschen Instituts für<br />
Internationale Pädagogische Forschung<br />
war.<br />
Das Provisorium mit dem Charme eines<br />
Lagerraums entwickelte sich durch seinen<br />
Einsatz in ein Büro, das den Mitgliederzuwachs<br />
der 1990er Jahre erfolgreich<br />
bewältigen konnte. Der Umzug in die<br />
neuen hellen Räume in der Niddastraße<br />
umfasst verwaltungstechnische<br />
und pädagogische Inhalte wie<br />
die Mitglieder- und Finanzverwaltung,<br />
die Öffentlichkeitsarbeit, die Vor- und<br />
Nachbereitung von Sitzungen und<br />
Tagungen und vieles mehr.<br />
Ein besonderes Schmankerl<br />
sind die wöchentlichen<br />
Presseschauen, bei denen<br />
Rolf Kielblock so manchen<br />
politischen Akteur nicht<br />
ohne scharfsinnigen Kommentar<br />
durchkommen lässt.<br />
Der Vorstand dankt Rolf<br />
Kielblock im Namen der<br />
Delegierten, Fachreferate<br />
und Mitglieder für seine langjährige<br />
engagierte Arbeit für den Grundschulverband<br />
und die ausgesprochen kooperative<br />
Zusammenarbeit sehr herzlich.<br />
Maresi Lassek, Vorsitzende<br />
<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
Baden-Württemberg<br />
Vorsitzende: Erika Brinkmann,<br />
erika.brinkmann@ph-gmuend.de; www.gsv-bw.de<br />
Bayern<br />
Vorsitzende: Dr. Gudrun Schönknecht, Pfirsichweg 37b,<br />
86169 Augsburg; www.grundschulverband-bayern.de<br />
Aufruf an alle Mitglieder<br />
der Landesgruppe!<br />
Gerne würde der Landesgruppenvorstand<br />
mit seinen<br />
Mitgliedern in engeren<br />
Kontakt treten. Dabei erweist<br />
sich der Postversand als zu<br />
langdauernd und gleichzeitig<br />
auch als zu kostenintensiv.<br />
Wir verfügen allerdings über<br />
die Möglichkeit, per Mail<br />
schnell und effektiv zu<br />
kommunizieren. Dafür wäre<br />
es hilfreich, über die Mail-<br />
Adressen unserer Mitglieder<br />
zu verfügen. Einige haben<br />
wir, die meisten jedoch nicht.<br />
Wir bitten Sie auf diesem<br />
Wege nun, uns ihre Mail-<br />
Adresse zukommen zu lassen!<br />
Bitte unterstützen Sie die<br />
Landesgruppe, lassen Sie uns<br />
Ihre Mailadresse zukommen.<br />
für die Landesgruppe:<br />
Edgar Bohn<br />
Liebe Mitglieder des<br />
Grundschulverbands,<br />
1) Schon jetzt möchten wir<br />
Sie über unsere nächste<br />
Veranstaltung informieren:<br />
Grundschultag 2011<br />
»Die <strong>Grundschule</strong> weiterentwickeln<br />
– Allen Kindern<br />
gerecht werden« am<br />
16. November 2011<br />
(Buß- und Bettag)<br />
an der <strong>Grundschule</strong> Buchloe<br />
Wir würden uns über Ihre<br />
Teilnahme sehr freuen.<br />
2) Für stets <strong>aktuell</strong>e Informationen<br />
bitten wir Sie dringend<br />
um folgende Angaben:<br />
Name, Vorname, Adresse und<br />
E-Mail-Adresse per Mail an:<br />
Petra.Hiebl@ku-eichstaett.de<br />
Betreff: Grundschulverband<br />
– Mailadresse<br />
3) Wichtig: Sollten Sie an Ihrer<br />
Schule oder in Ihrer Klasse die<br />
Grundschrift ausprobieren,<br />
teilen Sie uns das bitte auch<br />
mit:<br />
Petra.Hiebl@ku-eichstaett.de<br />
Betreff: Grundschrift<br />
Mit freundlichen Grüßen,<br />
Petra Hiebl und<br />
Ihre Landesgruppe Bayern<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>113</strong> • Februar 2011<br />
31
<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
Berlin<br />
Kontakt: Inge Hirschmann, Babelsberger Straße 45, 10715 Berlin, info@gsv-berlin.de<br />
www.gsv-berlin.de<br />
Eine Qualitätsoffensive für<br />
Berliner Schulen<br />
Im November wurde in Berlin<br />
ein Qualitätspaket zur<br />
Verbesserung der Berliner<br />
Schule öffentlich vorgestellt.<br />
Unser Schulsenator Jürgen<br />
Zöllner spricht von einem<br />
»Dreiklang« aus Hilfen,<br />
Vorgaben und einer Transparenz,<br />
mit dem insbesondere<br />
Druck auf das schwächste<br />
Fünftel der Schulen in Berlin<br />
gemacht werden soll. Im<br />
Fokus sind die Schulen, die<br />
nur schwache Ergebnisse bei<br />
den Vergleichsarbeiten und<br />
den Schulinspektionen<br />
vorweisen. Vor allem die<br />
Veröffentlichungspflicht<br />
– die Ergebnisse aller<br />
zentralen Prüfungen und<br />
Schulinspektionsberichte<br />
sollen veröffentlicht werden<br />
– stößt auf Kritik. Experten –<br />
und eben auch eine eigens<br />
zur Qualitätssteigerung<br />
eingesetzte Arbeitsgruppe in<br />
der Senatsverwaltung – rieten<br />
von einem öffentlichen<br />
Ranking ab.<br />
U. a. sollen aber auch<br />
SchülerInnen mehr Wertschätzung<br />
erfahren, die es<br />
unter schwierigen Rahmenbedingungen<br />
schaffen, ihre<br />
Leistungen zu verbessern.<br />
Zur Finanzierung von z. B.<br />
Eintrittskarten für Sportereignisse,<br />
Kino oder Tierpark<br />
(geschätztes Budget<br />
300.000 Euro) muss allerdings<br />
noch ein Bündnis »Stark in<br />
der Schule« ins Leben<br />
gerufen werden. Als Beitrag<br />
zu einer neuen Kultur der<br />
Anerkennung soll auch ein<br />
jährlicher offizieller Empfang<br />
aller neu ernannten SchulleiterInnen<br />
und LehrerInnen<br />
beitragen.<br />
Mit Spannung hat der<br />
Grundschulverband das<br />
»Qualitätspaket« für die<br />
Berliner Schule erwartet.<br />
Nach der Veröffentlichung<br />
mussten wir aber feststellen,<br />
dass diesem Paket ein sehr<br />
eingeschränkter Qualitätsbegriff<br />
zugrunde liegt. Aus der<br />
Sicht des Grundschulverbandes<br />
brauchen die <strong>Grundschule</strong>n<br />
mehr als die Vorgabe von<br />
Leistungsstandards, die<br />
Opti mierung der Vergleichsarbeiten<br />
in der Klassenstufe<br />
3, regelmäßige Schulinspektionen<br />
und Druck auf<br />
LehrerInnen und SchulleiterInnen.<br />
Den Befürwortern<br />
eines solchen Qualitätspakets<br />
fehlt aus unserer Sicht die<br />
Erkenntnis, dass schulische<br />
Qualität selbstverständlich<br />
auch vom Input, wie der<br />
Lehrerausstattung und der<br />
räumlichen und sächlichen<br />
Ausstattung, aber auch von<br />
den Unterstützungssystemen<br />
in der Einzelschule und rund<br />
um die Schulen herum<br />
– genannt seien an dieser<br />
Stelle nur Fortbildungs- und<br />
Beratungsangebote –<br />
abhängt. Hier muss endlich<br />
auch die Qualität der Steuerung<br />
des Gesamtsystems<br />
genauer beleuchtet werden.<br />
Unser Bildungssenator<br />
wünscht sich eine breite<br />
Diskussion im Wahljahr 2011.<br />
Der Bezirkselternausschuss<br />
eines Berliner Bezirks kam<br />
diesem Wunsch bereits im<br />
Dezember nach und gestaltete<br />
wieder einen Adventskalender<br />
der ganz besonderen<br />
Art: An jedem Tag im Advent<br />
erhielten der Schulsenator<br />
(und sehr viele andere<br />
interessierte Leser) täglich<br />
per Mail einen Brief von den<br />
GesamtelternvertreterInnen<br />
vieler Schulen der Stadt.<br />
Hinter den »Türchen« im<br />
Adventskalender verbargen<br />
sich unbenutzbare Sporthallen,<br />
defekte Heizungsanlagen,<br />
stinkende Toiletten,<br />
undichte Dächer und zugige<br />
Fenster sowie Klagen über<br />
Lehrermangel und Unterrichtsausfall.<br />
Auf nichts anderes wollte der<br />
Grundschulverband mit<br />
seiner Stellungnahme zum<br />
Qualitätspaket aufmerksam<br />
machen: Wer eine Qualitätsoffensive<br />
verspricht, wird sich<br />
auch mit den Rahmenbedingungen,<br />
also auch mit dem<br />
Input, unter denen Kinder in<br />
dieser Stadt lernen sollen,<br />
beschäftigen müssen.<br />
Noch eine Bitte an alle Berliner<br />
Leser in eigener Sache:<br />
Haben Sie uns ihre <strong>aktuell</strong>e<br />
Mailadresse schon mitgeteilt?<br />
Falls nicht, bitte senden Sie<br />
sie uns. Wir könnten so sehr<br />
viel leichter mit Ihnen direkt in<br />
Kontakt kommen. Danke.<br />
Hamburg<br />
Vorsitzende: Susanne Peters, Güntherstraße 10, 22087 Hamburg, susanne.peters@gsvhh.de<br />
www.gsvhh.de<br />
Blick nach vorne!<br />
Als Folge des Volksentscheides<br />
gegen längeres gemeinsames<br />
Lernen in der Primarschule<br />
galt es zunächst in<br />
allen mit Schule befassten<br />
Institutionen »Scherben<br />
zusammen zu kehren« und<br />
einen Neuanfang unter<br />
veränderten Vorgaben zu<br />
gestalten. Der Bruch der<br />
Koalition im November<br />
brachte weitere Verunsicherungen<br />
bis hin zum Stillstand<br />
in das Hamburger Schulleben.<br />
Dennoch lässt sich die<br />
Landesgruppe nicht beirren<br />
und blickt nach vorne. Auch<br />
wenn Noten bereits wieder<br />
ab Klasse 3 von den Eltern<br />
eingefordert werden können<br />
und ab Klasse 4 verbindlich<br />
zu erteilen sind, möchten wir<br />
Hamburger Lehrerinnen und<br />
Lehrern, speziell aus den<br />
<strong>Grundschule</strong>n, alternative<br />
Formen der Leistungsbewertung<br />
nahe bringen. Im April<br />
wird von der Landesgruppe<br />
ein Seminar veranstaltet, auf<br />
dem Professor Hans Brügelmann<br />
die Teilnehmer in<br />
einem Eingangsreferat darauf<br />
einstimmen wird, was<br />
Schülerleistung eigentlich ist.<br />
Im weiteren Verlauf der<br />
Veranstaltung dreht sich in<br />
Workshops und auf einem<br />
Marktplatz mit best practice<br />
Beispielen alles darum,<br />
welche Formen man in<br />
Hamburg bereits anwendet,<br />
um Schülerleistungen zu<br />
beobachten, zu würdigen, zu<br />
dokumentieren und zurückzumelden.<br />
Gespannt sind wir<br />
dabei vor allem auf die<br />
Ergebnisse und Erfahrungen<br />
aus Schulen, die an dem<br />
Schulversuch »Alleskönner«<br />
teilnehmen, in dem sich<br />
54 Schulen auf den Weg<br />
gemacht haben, Leistungen<br />
kompetenzorientiert zu<br />
beschreiben.<br />
Die Landesgruppe möchte<br />
mit dieser Veranstaltung<br />
einen weiteren Schritt in die<br />
Richtung tun, Politiker und<br />
Eltern von der Unsinnigkeit<br />
der Noten zur Leistungsrückmeldung<br />
und Bewertung,<br />
zumindest in der <strong>Grundschule</strong>,<br />
zu überzeugen. Vor allem<br />
aber sollen Lehrerinnen und<br />
Lehrer darin unterstützt und<br />
bestärkt werden, alternative<br />
Rückmeldeformate einzusetzen.<br />
für die Landesgruppe:<br />
Marion Lindner<br />
9. April 2011<br />
»Alternative<br />
Leistungs bewertung«<br />
10 bis ca. 14 Uhr<br />
in der Wichern Schule,<br />
Horner Weg 164,<br />
22111 Hamburg<br />
32 GS <strong>aktuell</strong> <strong>113</strong> • Februar 2011
<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
Brandenburg<br />
Vorsitzende: Denise Sommer, Weinbergweg 21, 15834 Rangsdorf<br />
www.gsv-brandenburg.de<br />
Qualitätspaket<br />
und wie weiter?<br />
Die Ländervergleichsstudie<br />
2010, die für die Neuntklässler<br />
in den Bereichen Deutsch<br />
und Englisch unbefriedigende<br />
Ergebnisse erbrachte,<br />
führte im Land Brandenburg<br />
zu vielfältigen Diskussionen<br />
hinsichtlich der Fragen, wie<br />
Lernprozesse und Leistungen<br />
zu verbessern seien. Anfang<br />
Dezember 2010 wurde nun<br />
ein sogenanntes Qualitätspaket<br />
als Reaktion auf die<br />
Ergebnisse des Ländervergleichs<br />
durch das Bildungsministerium<br />
vorgestellt.<br />
Dieses enthält vor allem<br />
Maßnahmen zur Fortbildung<br />
und Beratung von Schulen,<br />
zur Stärkung von Basiskompetenzen<br />
in Deutsch, Englisch<br />
und Mathematik und zur<br />
Überprüfung der Standards.<br />
Viele der Maßnahmen<br />
beginnen bzw. zielen auf die<br />
<strong>Grundschule</strong>. Einerseits ist<br />
das verständlich, da hier der<br />
Auftrag für grundlegende<br />
Bildung liegt, andererseits<br />
wird diese Blickrichtung<br />
nicht ausreichend begründet,<br />
um die Grundschullehrkräfte<br />
nachvollziehbar zu<br />
motivieren und die Eigenverantwortlichkeiten<br />
der<br />
Schulen für ihre individuelle<br />
Unterrichtsentwicklung zu<br />
stärken. Maßnahmen und<br />
Rahmen sind so festgelegt,<br />
dass sie noch in diesem<br />
Schuljahr oder dem nachfolgenden<br />
umgesetzt werden<br />
sollen.<br />
So wird bereits daran<br />
gearbeitet, das Beratungsund<br />
Unterstützungssystem<br />
(BUSS) so umzugestalten,<br />
dass Fortbildungs- und<br />
Beratungsangebote sich<br />
stärker an die Schulen und<br />
damit an gesamte Kollegien,<br />
Fachkonferenzen und<br />
Schulgruppen (Netzwerke)<br />
richten können. Damit wird<br />
sich auch die Arbeit der<br />
bisher für die <strong>Grundschule</strong><br />
zuständigen FachberaterInnen<br />
ändern.<br />
Zur Stärkung von Basiskompetenzen<br />
sollen u. a. solche<br />
Maßnahmen beitragen wie<br />
die Ausweisung eines<br />
verbindlichen Grundwortschatzes<br />
für Deutsch für die<br />
Klassen 1 bis 4, die Entwicklung<br />
von Lektüreempfehlungen<br />
zu <strong>aktuell</strong>en Kinder- und<br />
Jugendbüchern (insbesondere<br />
für die Klassen 3 und 8)<br />
und dazu die Bereitstellung<br />
didaktischer Materialien, die<br />
Erhöhung der Stundentafel<br />
für die Jahrgangsstufen 1<br />
und 2 um jeweils eine Stunde<br />
sowie die Einführung<br />
verpflichtender zentraler<br />
Orientierungsarbeiten am<br />
Ende der Jahrgangsstufen 2<br />
und 4 und einer freiwilligen<br />
Vergleichsarbeit (VERA 6) in<br />
den <strong>Grundschule</strong>n. Die<br />
erhöhte Stundenzahl für den<br />
Anfangsunterricht wird durch<br />
eine Umschichtung aus den<br />
oberen Grundschulklassen<br />
»kostenneutral« ermöglicht.<br />
Leider enthält das Qualitätspaket<br />
keine zusätzlichen<br />
Lehrerstunden zur Verhinderung<br />
von Unterrichtsausfall<br />
und zur Absicherung von<br />
Teilungs- und Förderunterricht.<br />
Kompetenzorientierte<br />
Aufgaben für die Unterrichtsarbeit<br />
der Lehrkräfte sollen<br />
internetgestützt zur Verfügung<br />
gestellt werden, damit<br />
diese in der Praxis unmittelbar<br />
eingesetzt werden<br />
können oder Anregungen für<br />
die Entwicklung eigener<br />
Aufgaben geben.<br />
Inwiefern alle diese Maßnahmen<br />
als Unterstützung oder<br />
als enge Festlegung »von<br />
oben« empfunden werden,<br />
wird davon abhängen, ob<br />
Grundschullehrkräfte<br />
wertgeschätzt werden als<br />
Expertinnen für das tägliche<br />
Lernen und die vielfältige<br />
Arbeit mit Kindern. Das<br />
bedarf der Gestaltungsfreiräume,<br />
braucht Kontinuität<br />
und einen angemessenen<br />
Personaleinsatz in der<br />
<strong>Grundschule</strong>.<br />
für die Landesgruppe:<br />
Dr. Elvira Waldmann<br />
Hessen<br />
Anschrift: Ilse Marie Krauth, Steigerwaldweg 3, 63456 Hanau, ikrauth@gsv-hessen.de<br />
www.gsv-hessen.de<br />
Hessen auf dem Weg<br />
zur Inklusion<br />
Hessen bekennt sich zur<br />
UN-Behindertenrechtskonvention.<br />
Damit haben<br />
Kinder und Jugendliche mit<br />
Behinderungen das Recht auf<br />
Bildung an Regelschulen,<br />
gemeinsam mit Nichtbehinderten,<br />
wohnortnah.<br />
Das ist gut so, entspricht es<br />
doch den Forderungen des<br />
Grundschulverbandes nach<br />
einer Schule ohne Auslese, in<br />
der Heterogenität gewollt ist<br />
und als Bereicherung für alle<br />
angesehen wird.<br />
Gleichzeitig bedeutet es aber<br />
auch eine gewaltige Herausforderung<br />
für die Schulen.<br />
Berechtigte Bedenken und<br />
viele Fragen sind vorab zu<br />
klären, unter anderem auch<br />
die nach den »angemessenen<br />
Vorkehrungen«. Hessen<br />
hat sich auf den Weg zur<br />
Umsetzung gemacht.<br />
Ein konkreter Schritt wurde<br />
Anfang Oktober in Butzbach<br />
unternommen, als das<br />
Hessische Ministerium für<br />
Arbeit, Familie und Gesundheit<br />
und das Hessische<br />
Kultusministerium gemeinsam<br />
Interessensvertretungen<br />
und Verbände eingeladen<br />
hatten, um die Einberufung<br />
einer landesweiten Arbeitsgruppe<br />
zur Umsetzung der<br />
BRK zu initiieren.<br />
Zu den Bereichen<br />
●●<br />
Bildung<br />
●●<br />
Zugänglichkeit<br />
●●<br />
Arbeit und Beschäftigung<br />
wurden Themen gesammelt,<br />
die in den Hessischen<br />
Aktionsplan einfließen<br />
sollen.<br />
Einen straffen Zeitplan gibt<br />
es auch.<br />
Inzwischen wurden die<br />
12 Mitglieder des Arbeitsausschusses<br />
benannt. Weder<br />
<strong>Grundschule</strong> noch weiterführende<br />
Schulen sind vertreten.<br />
Die berechtigte Forderung<br />
der Betroffenen »Nicht über<br />
uns ohne uns« war offensichtlich<br />
Grundlage der<br />
Auswahl. Das ist durchaus<br />
nachvollziehbar.<br />
Das sollte aber auch für<br />
Lehrerinnen und Lehrer<br />
gelten. Wenn es um die<br />
erfolgreiche Umsetzung von<br />
Inklusion geht, sind sie in<br />
höchstem Maße betroffen.<br />
Sie müssen auf jeden Fall mit<br />
einbezogen werden, ihre<br />
– ebenfalls berechtigten –<br />
Fragen und Forderungen<br />
müssen von Anfang an<br />
berücksichtigt und ernst<br />
genommen werden.<br />
Es wäre gut, die beiden<br />
Ministerien würden sie als<br />
Partner und nicht nur als<br />
»ausführende Systeme«<br />
sehen.<br />
für die Landesgruppe:<br />
Ilse Marie Krauth<br />
Wichtige Veranstaltung<br />
Fachtagung<br />
»Inklusion –<br />
So kann es gehen!«<br />
Chancen, Risiken, Herausforderungen<br />
Samstag, 14. Mai 2011,<br />
9.30 – 17 Uhr<br />
Gesamtschule Gießen Ost<br />
Veranstalter: BDH, GGG, dgs,<br />
vds, GSV Landesgruppe<br />
Hessen<br />
Auskunft: Ilse Marie Krauth<br />
ikrauth@gsv-hessen.de<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>113</strong> • Februar 2011<br />
33
<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
Mecklenburg-Vorpommern<br />
Vorsitzender: Ralph Grote, Hasengang 3, 17309 Pasewalk, ralphgrote@aol.com<br />
Einführung der integrativen<br />
und präventiven<br />
<strong>Grundschule</strong> –<br />
viele offene Fragen<br />
Zum kommenden Schuljahr<br />
soll die integrative und<br />
präventive <strong>Grundschule</strong> im<br />
Bereich des Staatlichen<br />
Schulamtes Greifswald<br />
eingeführt werden. Hier<br />
sollen die Erfahrungen aus<br />
dem Modellprojekt einfließen,<br />
welches unter wissenschaftlicher<br />
Leitung des<br />
Institutes für Sonderpädagogik<br />
Rostock in diesem<br />
Schuljahr auf der Insel Rügen<br />
durchgeführt wird.<br />
Um die Umsetzung zum<br />
neuen Schuljahr vorzubereiten,<br />
wurden von Seiten des<br />
Bildungsministeriums und<br />
des Staatlichen Schulamtes<br />
Greifswald Regionalkonferenzen<br />
abgehalten, um eine<br />
Phase der Akzeptanzbildung<br />
bei den Kollegen zu erreichen.<br />
Unbestritten ist die Einsicht<br />
in die Notwendigkeit dieses<br />
Vorhabens, denn »früh<br />
fördern – statt später zu reparieren«<br />
ist wohl Anliegen aller<br />
an Bildung Beteiligter.<br />
Die Umsetzung erfolgt durch<br />
die Anwendung des RTI<br />
(Response to Intervention)-<br />
Konzeptes. Dadurch gelingt<br />
es Schulen Lernfortschritte<br />
zu beobachten und zu<br />
dokumentieren, hinsichtlich<br />
des Lernerfolges gefährdete<br />
Kinder frühzeitig zu identifizieren<br />
und Kinder mit<br />
evidenzbasierten Interventionen<br />
zu fördern.<br />
Um die wohnortnahe,<br />
gemeinsame Beschulung<br />
aller Kinder umzusetzen,<br />
kommen auf alle Beteiligten<br />
enorme Aufgaben zu. Für die<br />
Schulträger bedeutet dies<br />
einen enormen finanziellen<br />
Mehraufwand, denn es<br />
müssen z. B. komplett neue<br />
einheitliche Unterrichtsmaterialien<br />
für die ersten Klassen<br />
in Deutsch und Mathematik<br />
angeschafft werden. Das<br />
Bildungsministerium favorisiert<br />
nur ein Lehrwerk,<br />
welches bisher in den<br />
Schulen kaum eine Rolle<br />
spielte und lässt bis zum<br />
jetzigen Zeitpunkt keine<br />
Alternativen zu.<br />
Personelle Ressourcen für<br />
sonderpädagogische<br />
Förderung kommen aus den<br />
Förderschulen. Nur reichen<br />
diese aus, um eine Unterstützung<br />
für die bestehenden<br />
<strong>Grundschule</strong>n zu gewährleisten?<br />
Angedacht ist eine<br />
Fortbildung für die zukünftigen<br />
Klassenlehrer der ersten<br />
Klassen und die Schulleiter.<br />
Diese findet z. T. parallel zur<br />
Unterrichtsarbeit statt. An<br />
vielen Schulen bedeutet dies<br />
Unterrichtsausfall, bzw.<br />
Zusammenlegung von<br />
Klassen zu Lasten der Kinder<br />
und Kollegen. Die größten<br />
Aufgaben haben die Kollegen<br />
zu bewältigen. So muss<br />
die Unterrichtsqualität stetig<br />
weiter entwickelt und ein<br />
differenzierter, offener<br />
Unterricht mit kooperativen<br />
Lernformen geleistet werden.<br />
Teamteaching, kollegiale<br />
Gruppenvision und Beratung<br />
sind von zentraler Bedeutung.<br />
Ein besserer Umgang<br />
mit Lern- und Verhaltensproblemen<br />
wird ebenso<br />
erwartet wie eine Leistungsbewertung<br />
und Diagnostik<br />
durch eine Vielzahl von Tests.<br />
Dies obliegt in erster Linie<br />
dem Klassenlehrer bei einer<br />
Unterrichtsverpflichtung von<br />
27,5 h.<br />
für die Landesgruppe:<br />
Manuela Bölk<br />
Niedersachsen<br />
Kontakt: www.gsv-nds.de<br />
Kultusministerium stellt<br />
10 Eckpunkte für die<br />
Weiterentwicklung der<br />
Schullandschaft vor<br />
Kurz und bündig fassen die<br />
zehn Eckpunkte, die der<br />
Kultusminister Dr. Bernd<br />
Althusmann Ende November<br />
2010 vorstellte, zusammen,<br />
wie die »qualitative Weiterentwicklung<br />
der Schullandschaft<br />
in Niedersachsen«<br />
aussehen soll. In dem Papier<br />
des Kultusministeriums<br />
werden folgende zehn<br />
Punkte aufgeführt:<br />
1. Klassenfrequenzen,<br />
2. Ganztagsschulen,<br />
3. Frühkindliche Bildung,<br />
4. Schulleiterentlastung,<br />
5. Schulen entlasten, mehr<br />
Zeit für Unterricht, 6. Instrumente<br />
der Qualitätsentwicklung,<br />
7. Inklusion, 8. Integration,<br />
9. Bildungsregionen<br />
ausweiten und 10. Ausbildungsreife.<br />
Nicht alle Punkte<br />
haben <strong>Grundschule</strong>n im<br />
Blick, so wird beispielsweise<br />
bei der Klassenfrequenz<br />
lediglich die Sekundarstufe<br />
hervorgehoben.<br />
Inklusion in niedersächsischen<br />
<strong>Grundschule</strong>n<br />
ab 2012/13<br />
»Zum Schuljahr 2012/13<br />
werden unsere <strong>Grundschule</strong>n<br />
mit der Umsetzung der<br />
Inklusion beginnen.« Die<br />
Aussage des Kultusministers<br />
Dr. Althusmann zeigt den<br />
Weg auf, der in Niedersachsen<br />
gegangen werden soll.<br />
Das meint aber nicht, dass<br />
alle Kinder ab dann in eine<br />
Schule gehen: »Inklusive<br />
Beschulung bedeutet nicht,<br />
dass es nur eine Lösung gibt,<br />
sondern individuelle Lösungen<br />
für jedes einzelne Kind.«<br />
Vielmehr betont das Ministerium:<br />
»Manche Kinder<br />
profitieren von einer integrativen<br />
Beschulung, für andere<br />
bieten spezielle Förderschulen<br />
die besseren Möglichkeiten.«<br />
Die Äußerungen über<br />
die zukünftigen inklusiven<br />
<strong>Grundschule</strong>n bleiben<br />
ansonsten recht allgemein:<br />
Wird es Ressourcen für die<br />
einzelnen geben, damit die<br />
Lehrenden sich fortbilden<br />
können? Wie wird die<br />
personelle Ausstattung sein?<br />
Die noch allgemein lautende<br />
Antwort hierzu: »Ein erfolgreicher<br />
Prozess der Umsetzung<br />
der UN-Konvention ist<br />
nur gegeben, wenn Lehrkräfte<br />
und Schulträger gleichermaßen<br />
vorbereitet und auch<br />
die finanziellen Rahmenbedingungen<br />
ausreichend<br />
berücksichtigt sind.«<br />
Eine Entscheidung, wie das<br />
dann konkret aussehen wird,<br />
welche Mittel wer bekommt<br />
bzw. nicht bekommt, wird im<br />
Laufe des Jahres fallen. Ein<br />
Entwurf zur Änderung des<br />
NSchG wird in den nächsten<br />
Monaten vorgelegt, um mit<br />
dem Umsetzungsprozess der<br />
UN-Konvention zu beginnen.<br />
Daher ist das Jahr 2011 für<br />
alle <strong>Grundschule</strong>n in Niedersachsen<br />
in Bezug auf Inklusion<br />
sehr bedeutsam!<br />
Jahrgangsgemischte<br />
Schuleingangsstufe<br />
Seit dem Jahr 2004 ist im<br />
Niedersächsischen Schulgesetz<br />
verankert, dass Grund-<br />
34 GS <strong>aktuell</strong> <strong>113</strong> • Februar 2011
<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
Nordrhein-Westfalen<br />
Vorsitzende: Gisela Cappel, Habichtstr. 1d,<br />
58285 Gevelsberg; www.grundschulverband-nrw.de<br />
Mitgliederversammlung<br />
der Landesgruppe NRW<br />
Am 30. 10. 2010 fand die<br />
Mitgliederversammlung des<br />
Grundschulverbandes NRW<br />
statt. Die Teilnehmer und<br />
Teilnehmerinnen trafen sich<br />
in der neu erbauten Libellenschule<br />
in Dortmund und<br />
konnten sich so gleichzeitig<br />
über das Konzept dieser<br />
Schule als Stadtteilschule<br />
informieren. Bei einem<br />
Rundgang durch das Gebäude<br />
wurde wieder einmal<br />
deutlich, wie wichtig auch<br />
die äußeren Rahmenbedingungen<br />
für eine erfolgreiche<br />
Schul- und Unterrichtsentwicklung<br />
vor Ort sind. Die<br />
Ausführungen der Schulleiterin<br />
Christiane Mika zeigten<br />
überzeugend auf, wie<br />
konzeptionelle Fragen durch<br />
eine kindgerechte Raumgestaltung<br />
im Schulalltag<br />
realisiert werden können –<br />
angefangen von den integrierten<br />
Garderoben in den<br />
Klassen, großzügigen Fluren<br />
mit Platz für verschiedene<br />
Aktivitäten bis hin zu gut<br />
eingerichteten Fachräumen<br />
für Musik, Bewegung und<br />
Computerarbeit und eine<br />
gut ausgestattete OGS. Nach<br />
dieser gelungenen Einstimmung<br />
standen im Mittelpunkt<br />
der weiteren Arbeit<br />
Fragen nach der neuen<br />
Lehrerausbildung in NRW<br />
und den schulpolitischen<br />
Plänen der rot-grünen<br />
Landesregierung. Nach<br />
einem sehr informativen<br />
Überblick von Frau Koltermann<br />
(Praktikumsbeauftragte<br />
der Universität Dortmund)<br />
kreiste die Diskussion<br />
insbesondere um die<br />
Gestaltung der Schnittstelle<br />
zwischen Schule und<br />
Universität und um die Frage,<br />
wie Schulen mit den vorgesehenen<br />
unterschiedlichen<br />
Praktika der Studierenden<br />
umgehen können. Die<br />
Anwesenden machten<br />
jedoch deutlich, dass sie von<br />
der neuen Landesregierung<br />
die konsequente Realisierung<br />
der angekündigten Reformvorhaben<br />
im Bereich der<br />
<strong>Grundschule</strong> erwarten.<br />
Aktuell ist durch die Abschaffung<br />
der Kopfnoten und des<br />
Prognoseunterrichts noch in<br />
diesem Schulhalbjahr ein<br />
Der neu gewählte Vorstand der Landesgruppe NRW (v. l. n. r.):<br />
Christiane Mika, Brigitte Schenzer, Axel Backhaus, Rosemarie<br />
Möhle-Buschmeyer, Susanne Wessels, Gisela Cappel, Baldur Bertling,<br />
Gisela Gravelaar, Beate Schweitzer und Ute Rohrlack (nicht im Bild).<br />
wichtiger Schritt in die<br />
richtige Richtung getan<br />
wurden! Die Neuwahlen des<br />
Vorstandes der Landesgruppe<br />
führten zu einigen<br />
Änderungen: Zunächst galt<br />
ein herzlicher Dank Helga<br />
Poensgen, die aus dem<br />
Vorstand ausscheidet und<br />
die die Arbeit im Vorstand<br />
stets mit viel Engagement<br />
und Kompetenz unterstützt<br />
hat. Als neu gewählte<br />
Mitglieder bereichern nun<br />
die Arbeit Brigitte Schenzer,<br />
Susanne Wessels und Axel<br />
Backhaus.<br />
Fortbildung für<br />
Schul leitungen<br />
zusammen mit der Päd.<br />
Akademie der GEE am<br />
28./29. Januar, 1./2. April,<br />
30.Sept./1. Oktober und<br />
9./10. Dezember 2011 in<br />
Düsseldorf (FFFZ)<br />
Mehr Informationen dazu<br />
und zu anderen Themen auf<br />
www.grundschulverbandnrw.de<br />
für die Landesgruppe:<br />
Beate Schweitzer<br />
schulen den 1. und 2. Schuljahrgang<br />
als pädagogische<br />
Einheit führen können.<br />
Trotzdem haben bislang erst<br />
rund 100 Schulen von rund<br />
1800 <strong>Grundschule</strong>n diese<br />
Veränderung vorgenommen.<br />
Das ist keine große Zahl für<br />
das viertgrößte Bundesland.<br />
Der Minister spricht sich<br />
gegen diesen seit Jahren<br />
anhaltenden Trend aus:<br />
»Ich würde mich freuen,<br />
wenn sich in den nächsten<br />
Jahren viele <strong>Grundschule</strong>n<br />
für die Einführung der<br />
jahrgangs gemischten<br />
Eingangsstufe entscheiden.«<br />
Warum die Schulen keine<br />
Jahrgangsmischung befürworten,<br />
d. h. nur wenige<br />
Schulen diese bislang<br />
einführten, wird leider vom<br />
Ministerium nicht analysiert.<br />
Stattdessen gibt es freundliche<br />
Appelle.<br />
Die neue Oberschule –<br />
eine neue Schulform?<br />
»Es hat sich gezeigt, dass wir<br />
mit der Oberschule die<br />
richtige Antwort auf die<br />
künftigen Herausforderungen<br />
an unser Schulwesen<br />
gefunden haben«, so unterstrich<br />
Kultusminister<br />
Dr. Althusmann die Entscheidung<br />
für diese neue Schulform.<br />
Wie das die Schullandschaft<br />
in Zukunft verändern<br />
wird, ist noch offen, auch<br />
wenn in den erläuternden<br />
Texten des Ministeriums<br />
diese Schule schon als<br />
»Erfolgsmodell« gehandelt<br />
wird. Fakt ist, dass auf Antrag<br />
des Schulträgers die Oberschule<br />
ab Schuljahresbeginn<br />
2011/2012 beantragt werden<br />
kann. Die Oberschule kann in<br />
zwei Organisationsformen<br />
eingerichtet werden: ohne<br />
gymnasiales Angebot oder<br />
mit gymnasialem Angebot.<br />
Einfacher einzurichten ist<br />
ohne Zweifel die ohne<br />
gymnasiales Angebot: Denn<br />
die Oberschule ohne gymnasiales<br />
Angebot muss nur<br />
mindestens zweizügig sein,<br />
wohingegen die Oberschule<br />
mit gymnasialem Angebot<br />
mindestens dreizügig sein<br />
muss. Dass keine grundsätzlichen<br />
Veränderungen<br />
kommen werden, zeigt die<br />
Parallelität, die zukünftig die<br />
Schullandschaft ausmachen<br />
wird: Die Oberschule kann<br />
künftig anstelle von Hauptschulen,<br />
Realschulen,<br />
Haupt- und Realschulen und<br />
Kooperativen Gesamtschulen<br />
geführt werden (die Einrichtung<br />
ist nur auf Antrag des<br />
Schulträgers möglich). Eine<br />
Veränderung wäre aber<br />
möglich, denn die Oberschule<br />
kann neben dem Gymnasium<br />
als alleinige Schulform<br />
geführt werden. Fakt aber ist<br />
auch: Festgeschrieben<br />
wurde, dass für jeden Schüler<br />
ein Gymnasium unter<br />
zumutbaren Bedingungen<br />
erreichbar bleiben muss.<br />
Und auch: »Das gymnasiale<br />
Angebot an einer Oberschule<br />
kann nur mit Zustimmung<br />
des für das Gymnasium<br />
zuständigen Schulträgers<br />
eingerichtet werden.«<br />
für die Landesgruppe:<br />
Dr. Eva Gläser<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>113</strong> • Februar 2011<br />
35
<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
Rheinland-Pfalz<br />
Anschrift: Werner Lang, Am Wingertsberg 8, 67756 Hinzweiler<br />
www.wl-lang.de<br />
Freiräume für Schulen<br />
In einem sehr konstruktiven<br />
Gespräch tauschten sich<br />
Mitglieder des Landesvorstandes<br />
im Ministerium über<br />
zentrale Punkte der Grundschulordnung<br />
und deren<br />
Umsetzung in Schule und<br />
Unterricht aus. Dabei wurde<br />
seitens des Ministeriums u. a.<br />
nachdrücklich darauf<br />
hingewiesen, dass den<br />
Schulen bewusst große<br />
Freiräume eingeräumt<br />
worden sind, die konstruktiv<br />
auf vielfältige Art und Weise<br />
genutzt werden können bzw.<br />
sollen.<br />
Am 14. 12. 2010 hatte der<br />
Vorstand der Landesgruppe<br />
Gelegenheit, in Mainz mit<br />
dem Arbeitskreis der SPD-<br />
Landtagsfraktion »Bildung<br />
und Jugend« <strong>aktuell</strong>e<br />
bildungspolitische Fragen zu<br />
diskutieren.<br />
Die Landesgruppe RLP will<br />
im ersten Halbjahr 2011 in<br />
mehreren regionalen<br />
Fortbildungen dazu Anregungen<br />
geben und praxisorientiert<br />
aufzeigen, wie sich<br />
Kollegien auf der Grundlage<br />
der Grundschulordnung auf<br />
den Weg zu einer Pädagogischen<br />
Leistungskultur<br />
begeben können.<br />
Die Veranstaltungen, die<br />
noch nicht terminiert sind,<br />
werden ab März in der Regel<br />
nachmittags an den Studienseminaren<br />
für GHS in<br />
Rheinland-Pfalz stattfinden.<br />
Die Einladungen werden per<br />
Mail an die Schulen gehen<br />
bzw. sind auf der Homepage<br />
www.wl-lang.de (Grundschulverband)<br />
zu finden.<br />
für die Landesgruppe:<br />
Werner Lang<br />
Sachsen-Anhalt<br />
Kontakt: Petra Uhlig, Richard-Wagner-Str. 29, 06114 Halle<br />
petra.katrin.uhlig@googlemail.com; www.gsv-lsa.de<br />
Positiver Jahresrückblick<br />
2010<br />
Mit Einführung der Flexiblen<br />
Schuleingangsphase (SEP) an<br />
Sachsen-Anhalts <strong>Grundschule</strong>n<br />
ergab sich für das Jahr<br />
2010 ein wesentlicher<br />
inhaltlicher Schwerpunkt für<br />
die Aktivitäten der Landesgruppe.<br />
Auf enormes<br />
Interesse stieß die vom<br />
Grundschulverband mehrfach<br />
angebotene Fortbildung<br />
»SEP – konkret«, die den<br />
Kolleginnen und Kollegen<br />
praktische Tipps und Hilfen<br />
zur Umsetzung der Schuleingangsphase<br />
und der Jahrgangsmischung<br />
gab. Die<br />
Vorträge, die sich inhaltlich<br />
an den Fächern Mathematik<br />
und Deutsch orientierten,<br />
wurden durch einen Erfahrungsbericht<br />
engagierter<br />
Kolleginnen und Kollegen<br />
ergänzt, die seit Jahren die<br />
Flexible Schuleingangsphase<br />
an ihren Schulen erfolgreich<br />
umgesetzt haben. Anschließend<br />
stellten sich Vertreter<br />
der Schulen, des Grundschulverbandes<br />
und der zuständige<br />
Referatsleiter des Kultusministeriums,<br />
Dr. Bernd<br />
Küster, den kritischen Fragen<br />
der Teilnehmer.<br />
Hoffnungsvoller Ausblick<br />
2011: Grundschultag 2011<br />
Neben der sinnvollen<br />
Ausgestaltung der SEP steht<br />
Sachsen-Anhalt auch vor der<br />
Herausforderung des<br />
Gemeinsamen Unterrichts<br />
(GU) aller Schüler an den<br />
<strong>Grundschule</strong>n. Die Landesgruppe<br />
des Grundschulverbandes<br />
nimmt dies zum<br />
Anlass, den Grundschultag<br />
2011 unter das Motto: »Viele<br />
Kinder – eine Schule?! Wege<br />
zum individuellen Lernen« zu<br />
stellen. Dazu ist es gelungen,<br />
die beteiligten Partner VdS,<br />
die Martin-Luther-Universität<br />
Halle / Wittenberg und die<br />
GEW als Mitveranstalter ins<br />
Boot zu holen. Gemeinsam<br />
mit den Lehrkräften sollen<br />
Chancen und Wege im<br />
Umgang mit den ganz<br />
unterschiedlichen Lernwegen<br />
von Kindern gesucht<br />
und gefunden werden.<br />
Prof. Dr. Henning Scheich<br />
vom Leibniz-Institut für<br />
Neurobiologie Magdeburg<br />
beleuchtet das Thema aus<br />
einer übergeordneten<br />
Perspektive mit einem<br />
Vortrag zum Thema: Warum<br />
ist lernen individuell verschieden?<br />
Anschließend sind<br />
zahlreiche Workshops im<br />
Angebot, die sich aus ganz<br />
unterschiedlichen Blickwinkeln<br />
mit dem Thema GU<br />
beschäftigen. Eine Podiumsdiskussion<br />
zum Thema, zu<br />
der sich auch Kultusministerin<br />
Prof. Dr. Wolff angekündigt<br />
hat, rundet die Veranstaltung<br />
ab.<br />
für die Landesgruppe:<br />
Ralph Thielbeer<br />
Samstag, 14. Mai 2011<br />
Grundschultag 2011<br />
»Viele Kinder – eine Schule?!<br />
Wege zum individuellen<br />
Lernen«<br />
Franckesche Stiftungen<br />
Halle/Saale<br />
Kontakt / Anmeldung:<br />
www.gsv-lsa.de<br />
36 GS <strong>aktuell</strong> <strong>113</strong> • Februar 2011
<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
Saarland<br />
Vorsitzende: Lilo Groll, Holbeinstr. 11, 66128 Saarbrücken, lagroll@t-online.de<br />
grundschule<br />
zwanzigzwanzig<br />
Sich offen austauschen,<br />
voneinander lernen, sich<br />
gegenseitig stützen und<br />
<strong>Grundschule</strong> gemeinsam<br />
weiterdenken – das sind<br />
zentrale Leitgedanken, die<br />
die Intention dieser neuen<br />
Veranstaltungsreihe skizzieren.<br />
Schulleiterinnen und<br />
Schulleiter von <strong>Grundschule</strong>n<br />
sind eingeladen, im Kreis<br />
von Kolleginnen und Kollegen<br />
Herausforderungen der<br />
täglichen Arbeit in den Blick<br />
zu nehmen und gemeinsam<br />
lösungsorientiert Perspektiven<br />
zu entwickeln. Praxisnähe<br />
und Entlastungen im<br />
beruflichen Alltag sind dabei<br />
wichtige »Leitplanken« in der<br />
Diskussion. Geplant ist, dass<br />
diese Veranstaltung, die auf<br />
Wunsch von Schulleiterinnen<br />
und Schulleitern und in<br />
Kooperation mit dem Institut<br />
für Lehrerfort- und -weiterbildung<br />
und dem SLLV angeboten<br />
wird, jeweils im Herbst<br />
und Frühjahr stattfindet.<br />
Die erste Veranstaltung am<br />
11. November in der Villa Lessing<br />
in Saarbrücken nannte<br />
als Themen: »<strong>Grundschule</strong><br />
heute: eine Bestandsaufnahme«<br />
und die Diskussion über<br />
»Ändern, um zu optimieren«.<br />
Sie zeigte überdeutlich, wie<br />
stark die Schulleiterinnen<br />
und Schulleiter in die Schulentwicklung<br />
eingebunden<br />
sind, sie jedoch kaum die<br />
Möglichkeiten haben,<br />
langfristig zu planen.<br />
Zu viele Maßnahmen sind<br />
ad hoc durchzuführen und<br />
werden nach Regierungswechsel<br />
teilweise wieder in<br />
Frage gestellt. Finanzmittel<br />
werden dann je nach eigener<br />
Priorität in der Schulentwicklung<br />
zum Nachteil laufender<br />
Projekte einfach umgeschichtet.<br />
Besonders beklagten<br />
die Schulleiterinnen und<br />
Schulleiter ihre Arbeitsbedingungen,<br />
d. h. die zu hohe<br />
Unterrichtsverpflichtung von<br />
ca. 21 Unterrichtswochenstunden.<br />
Leitungszeit würde<br />
kaum gewürdigt.<br />
Im Eingangsreferat gab Lilo<br />
Groll einen geschichtlichen<br />
Überblick über die <strong>Grundschule</strong><br />
seit ihrer Gründung im<br />
Jahre 1919 in der Weimarer<br />
Republik bis heute und zeigte<br />
auf, wie stark auch die <strong>Grundschule</strong><br />
von gesellschaftlichen<br />
Gegebenheiten, schichtenspezifischen<br />
Interessen, von<br />
sich wechselnden wissenschaftlichen<br />
Erkenntnissen,<br />
von Image-Fragen und haushaltstechnischen<br />
Vorgaben<br />
und sogar globalem Denken<br />
abhängig ist. Und dass selbst<br />
Entscheidungen, die vor<br />
mehr als 90 Jahren getroffen<br />
wurden, bis heute nachwirken,<br />
wie z. B. die Dauer der<br />
Grundschulzeit. Es ist daher<br />
die Frage zu stellen, wie die<br />
<strong>Grundschule</strong> als »Lern- und<br />
Erfahrungsort« und auch als<br />
Arbeitsplatz der Lehrerinnen<br />
und Lehrer im Jahre 2020<br />
auszusehen hat und welche<br />
Weichen heute gestellt<br />
werden müssen, damit die<br />
gewünschten Ziele in 10 Jahren<br />
erreicht werden können.<br />
Also: eine längerfristige, am<br />
Kinde orientierte Planung<br />
– ohne den Arbeitsplatz<br />
für die Lehrkräfte aus den<br />
Augen zu verlieren – versus<br />
Ad-hoc-Entscheidungen, je<br />
nach politischem Kalkül oder<br />
finanziellen Ressourcen.<br />
Die Teilnehmerinnen und<br />
Teilnehmer einigten sich<br />
auf die Umsetzung der<br />
UN-Behindertenkonvention<br />
und die »inklusive Bildung«<br />
als Themenschwerpunkte<br />
für die nächste Tagung am<br />
22. März 2011.<br />
Aktionsplan zur Umsetzung<br />
der UN-Behindertenkonvention<br />
In Anlehnung an das Land<br />
Rheinland-Pfalz ist im<br />
Saarland ein Aktionsplan<br />
zur Umsetzung der UN-<br />
Konvention für die Rechte<br />
behinderter Menschen, die<br />
am 24. 2. 2009 in Deutschland<br />
ratifiziert wurden, in Arbeit.<br />
Der in Arbeitsgruppen und<br />
von einer Lenkungsgruppe<br />
erarbeitete Aktionsplan<br />
wurde im vielköpfigen Beirat,<br />
dem auch die Vorsitzende<br />
der Landesgruppe Saarland<br />
des Grundschulverbandes<br />
angehört, intensiv diskutiert<br />
und soll am 3. Februar 2011<br />
im Rahmen eines Impulskongresses<br />
einer breiteren<br />
Öffentlichkeit vorgestellt<br />
werden. Dieser Kongress, zu<br />
dem auch eine Einladung<br />
an die Vorsitzende der<br />
Landesgruppe des Grundschulverbandes<br />
erging, wird<br />
vom Ministerium für Arbeit,<br />
Familie, Prävention, Soziales<br />
und Sport zusammen mit<br />
dem Otto-Blume-Institut<br />
für Sozialforschung und<br />
Gesellschaftspolitik e. V. (ISG)<br />
durchgeführt.<br />
Der Aktionsplan des Bildungsministeriums<br />
gibt als<br />
Handlungsfelder die »Inklusion«<br />
in Kindertageseinrichtungen,<br />
in Schule und der<br />
Lehrerausbildung an. Der<br />
Grundschulverband bemängelte<br />
zum einen, dass sich<br />
der Aktionsplan im Rahmen<br />
der inklusiven Bildung zwar<br />
mit einer in einem Stufen<br />
plan festgelegten besseren<br />
Unterstützung von Kindern<br />
mit sonderpädagogischem<br />
Förderbedarf befasst, den<br />
Gedanken der inklusiven<br />
Bildung aber nicht auf alle<br />
Kinder lenkt (z. B. auch<br />
hoch begabte) im Sinne der<br />
pädagogischen Zielsetzung<br />
»Allen Kindern gerecht<br />
werden«. Zum anderen wies<br />
der Grundschulverband<br />
mehrfach darauf hin, dass<br />
zur Umsetzung der geplanten<br />
Maßnahmen dringend<br />
kleinere Klassen, ein zeitweises<br />
Zwei-Pädagogen-System<br />
zusammen mit Sonderschullehrkräften<br />
sowie eine<br />
intensive Lehrerfort- und<br />
-weiterbildung gehören.<br />
Über 37 % aller Kinder und<br />
Jugendlichen mit sonderpädagogischem<br />
Förderbedarf<br />
besuchen im Saarland<br />
Regelschulen aller Schulformen<br />
einschließlich der<br />
Berufsschulen. Allerdings hält<br />
die Qualität der integrativen<br />
Unterrichtung nicht mit dem<br />
Ausbau Schritt, wenn man<br />
bedenkt, dass die Unterstützung<br />
durch einen Sonderschullehrer<br />
mit zwei Stunden<br />
pro Woche für ein lernbehindertes<br />
Kind bei weitem<br />
nicht ausreicht. Hier besteht<br />
dringender Handlungsbedarf,<br />
was allerdings durch<br />
den Mangel an Sonderschullehrkräften<br />
erschwert wird.<br />
»<strong>Grundschule</strong><br />
zwanzigzwanzig«<br />
3. Februar, 15 Uhr<br />
Villa Lessing, Saarbrücken
<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong><br />
Grundschulverband e. V.<br />
Niddastraße 52 · 60329 Frankfurt / Main<br />
Tel. 069 776006 · Fax 069 7074780<br />
info@grundschulverband.de<br />
www.grundschulverband.de<br />
Postvertriebsstück · Entgelt bezahlt DP AG<br />
D 9607 F · ISSN 18608604<br />
Versandadresse<br />
Die Bände des Jahres 2010<br />
ISBN 9783941649002 | Best.Nr. 1086 | 19,50 € / f. Mitgl. 13,– €<br />
ISBN 9783941649019 | Best.Nr. 1087 | 19,50 € / f. Mitgl. 13,– €<br />
»Bildungsgerechtigkeit« hatte der Grundschul <br />
verband zum Thema seines Bundesgrundschulkongresses<br />
2009 gemacht und es zum zentralen<br />
bildungspolitischen wie schulpädagogischen<br />
Auftrag der nächsten zehn Jahre erklärt:<br />
»Allen Kindern gerecht werden« – das ist der<br />
unverzichtbare pädagogische Anspruch und die<br />
große Herausforderung für alle Ebenen, die für<br />
die (Grund)Schule Verantwortung tragen.<br />
Jede Verantwortungsebene ist in der Pflicht, in<br />
ihrem Entscheidungsfeld eine Schule zu schaffen<br />
und zu gestalten, die allen Kindern gerecht wird.<br />
Um dies zu verdeutlichen, sind in diesem Band<br />
Beiträge versammelt, die zu den drei Verantwortungsebenen<br />
– Politik und Verwaltung<br />
– Schule systemisch<br />
– Unterricht<br />
die Aufgabe konkretisieren und Wege zu mehr<br />
Bildungsgerechtigkeit aufzeigen.<br />
»Kinder in Gesellschaft«, so heißt der Titel dieses<br />
Bandes und das aus folgenden Gründen:<br />
● Kinder befinden sich in der Grundschulklasse<br />
in Gesellschaft anderer Kinder, und diese Gleichaltrigenbeziehungen<br />
bestimmen das Befinden<br />
und das Handeln der Kinder ganz wesentlich mit.<br />
● Kinder sind Mitglieder der Gesellschaft;<br />
dies zeigen viele der Beiträge in diesem Band.<br />
Gesellschaftliche Entwicklungen und gesellschaftliche<br />
Anforderungen beeinflussen das<br />
Leben der Kinder und den Alltag der <strong>Grundschule</strong>.<br />
Zudem wünschen sich Kinder, in der Gesellschaft<br />
und der gesellschaftlichen Institution »<strong>Grundschule</strong>«<br />
mitbestimmen zu dürfen.<br />
● In diesem Band wird zudem immer wieder<br />
auf Ergebnisse der sozialwissenschaftlichen<br />
Kindheitsforschung verwiesen, die Kinder als<br />
gesellschaftliche Akteure untersucht und zudem<br />
die generationale Ordnung in den Blick nimmt.<br />
Ergebnisse dieser Forschung wurden im grundschulpädagogischen<br />
Diskurs oft etwas einseitig<br />
aufgenommen. Dieser Band soll deshalb auch<br />
dazu beitragen, die Forschungsergebnisse der<br />
sozialwissenschaftlichen Kindheitsforschung<br />
differenzierter zu begreifen.