Einblick – Beiträge zu Bundesrat und Föderalismus
25 Jahre Wiedervereinigung – das bedeutet auch: 25 Jahre – 16 Länder. Als die DDR am 3. Oktober 1990 der Bundesrepublik beitrat, kamen zugleich die „neuen“ Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen hinzu. Seitdem hat sich viel verändert. Nicht nur politisch – etwa im Bundesrat –, sondern vor allem auch gesellschaftlich. Beispiele sind die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien – und wie sie heute unser Leben prägen.
25 Jahre Wiedervereinigung – das bedeutet auch: 25 Jahre – 16 Länder. Als die DDR am 3. Oktober 1990 der Bundesrepublik beitrat, kamen zugleich die „neuen“ Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen hinzu. Seitdem hat sich viel verändert. Nicht nur politisch – etwa im Bundesrat –, sondern vor allem auch gesellschaftlich. Beispiele sind die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien – und wie sie heute unser Leben prägen.
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Rubrikentitel<br />
EINBLICK<br />
BEITRÄGE ZU BUNDESRAT UND FÖDERALISMUS<br />
25 Jahre<br />
16 Länder<br />
MIT DEM BUS DURCH<br />
DIE WENDEZEIT<br />
Seite 4<br />
BERNHARD VOGEL ÜBER DAS<br />
„ABENTEUER THÜRINGEN“<br />
Seite 12<br />
MUELLER-STAHL<br />
IM INTERVIEW<br />
Seite 30
02 | 03<br />
EINBLICK<br />
Inhalt<br />
04<br />
Mit dem Ikarus-Bus gen Westen<br />
Mauerfall <strong>und</strong> Wiedervereinigung<br />
10<br />
Aus elf werden 16<br />
Der <strong>B<strong>und</strong>esrat</strong> nach der Wende<br />
04<br />
Nach dem Mauerfall pendelten die<br />
Berliner über die ehemalige Grenze.<br />
Die Wendezeit aus Sicht eines Busfahrers.<br />
12<br />
Bernhard Vogel: „Thüringen war<br />
ein großes Abenteuer“<br />
„Wir sind ein Volk“ <strong>–</strong> eine Gesellschaft im Wandel<br />
18<br />
Zurück <strong>zu</strong> den Wurzeln<br />
Neue Lebenswelten<br />
24<br />
Total digital<br />
Deutschland 4.0<br />
Als Ministerpräsident amtierte<br />
Bernhard Vogel in West <strong>und</strong> Ost.<br />
Ein Rückblick.<br />
12<br />
28<br />
30<br />
Ost-Wirtschaft wächst stetig<br />
Die Entwicklung von 1991 bis 2014<br />
Mueller-Stahl: Ein Künstler-Leben<br />
Kultur verbindet<br />
36<br />
Die Ästhetik in allen Teilen<br />
Vorsprung durch Wissen<br />
40<br />
Was uns begeistert<br />
Deutschland privat<br />
46<br />
Buntes Land: Mehr als 16 Millionen<br />
B<strong>und</strong>esbürger haben familiäre Wurzeln<br />
im Ausland.<br />
46<br />
Ein Land <strong>–</strong> viele Facetten<br />
16 Länder im Herzen Europas<br />
50<br />
<strong>B<strong>und</strong>esrat</strong>spräsidenten seit 1990<br />
Chronik<br />
Das Magazin<br />
als E-Paper.
Inhalt/Editorial<br />
Impressum<br />
Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
25 Jahre Wiedervereinigung <strong>–</strong> das bedeutet auch: 25 Jahre <strong>–</strong> 16 Länder. Als<br />
die DDR am 3. Oktober 1990 der B<strong>und</strong>esrepublik beitrat, kamen <strong>zu</strong>gleich die<br />
„neuen“ Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-<br />
Anhalt <strong>und</strong> Thüringen hin<strong>zu</strong>. Seitdem hat sich viel verändert. Nicht nur politisch<br />
<strong>–</strong> etwa im <strong>B<strong>und</strong>esrat</strong> <strong>–</strong>, sondern vor allem auch gesellschaftlich. Beispiele<br />
sind die neuen Informations- <strong>und</strong> Kommunikationstechnologien <strong>–</strong> <strong>und</strong> wie sie<br />
heute unser Leben prägen.<br />
Die Entwicklung, die die Menschen in Deutschland-Ost <strong>und</strong> -West miterlebt<br />
haben, birgt viele Facetten. Einige von ihnen wollen wir in diesem Magazin<br />
beleuchten. „<strong>Einblick</strong>“ wirft nicht <strong>zu</strong>letzt einen Blick auf das Hier <strong>und</strong> Jetzt:<br />
Wie beurteilen Zeitzeugen im Jahr 2015 den Stand der deutschen Einheit? Wie<br />
haben sich unsere Interessen <strong>und</strong> unser Leben gegenüber 1990 verändert? Wo<br />
bestehen noch Unterschiede <strong>und</strong> was eint uns? Was prägt unser Land? Um<br />
Antworten auf diese <strong>und</strong> weitere Fragen <strong>zu</strong> finden, sprachen wir mit Zeitzeugen,<br />
Künstlern, Meinungsforschern <strong>und</strong> anderen Wissenschaftlern. Ein<br />
Anspruch auf Vollständigkeit besteht nicht. Aber das passt ja auch<br />
<strong>zu</strong>m Namen des Magazins: „<strong>Einblick</strong>“.<br />
Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen<br />
<strong>und</strong> Entdecken!<br />
Herausgeber:<br />
<strong>B<strong>und</strong>esrat</strong><br />
Presse, Öffentlichkeitsarbeit,<br />
Besucherdienst<br />
Leipziger Straße 3-4<br />
10117 Berlin<br />
E-Mail: oeffentlichkeitsarbeit@<br />
b<strong>und</strong>esrat.de<br />
Internet: www.b<strong>und</strong>esrat.de<br />
Gesamtleitung:<br />
Michael Tohermes (V.i.S.d.P.)<br />
Konzeption <strong>und</strong><br />
Redaktionsleitung:<br />
Christian Horn (AD HOC PR)<br />
horn@adhocpr.de<br />
Realisierung, Text <strong>und</strong><br />
Redaktion:<br />
AD HOC PR, Gütersloh:<br />
Elena Grawe, Ulla Rettig,<br />
Tobias Thiele<br />
Grafik-Design:<br />
AD HOC PR, Gütersloh:<br />
Lars Haberl, Martin Glatthor<br />
Produktion <strong>und</strong> Druck:<br />
Bitter & Loose GmbH, Greven<br />
Quelle <strong>zu</strong> Einwohner<strong>und</strong><br />
Flächenzahl<br />
der Länderschlaglichter:<br />
Statistische Ämter des B<strong>und</strong>es <strong>und</strong><br />
der Länder, Stichtag 31.12.2013<br />
(www.statistik-portal.de/statistikportal/de_jb01_jahrtab1.asp)<br />
Bildnachweise:<br />
Abberior Instruments GmbH (36);<br />
ARD (42); Stuart Armitt (45); <strong>B<strong>und</strong>esrat</strong><br />
(10,11, 50, 51); <strong>B<strong>und</strong>esrat</strong> |<br />
Bräuer (14, 15); BVG-Archiv (4/5);<br />
celine aktiv reisen/Kappest (16);<br />
courtesy Laden fuer Nichts (45);<br />
dpa (1, 2, 6, 42, 52); DFM/Triad<br />
(44); Rüdiger Dunker (22); fotolia/<br />
elfstudioart (18/19); fotolia/Jan<br />
Engel (16, 22, 34, 44); fotolia/<br />
everythingpossible (26); fotolia/<br />
Fotimmz (2, 46/47, 48); fotolia/Barbara<br />
Helgason (20); fotolia/Maridav<br />
(21); fotolia/Oleksiy Mark (42);<br />
fotolia/mbpicture (12/13); fotolia/<br />
Monkey Business (40/41); fotolia/<br />
Rido (43); fotolia/schulzfoto (3);<br />
fotolia/Syda Productions (43); fotolia/Olaf<br />
Wandruschka (43); Getty<br />
Images/Bernhard Lang (24/25);<br />
Lars Haberl (37, 38); Konrad-Adenauer-Stiftung<br />
(13); Manfred Pollert<br />
(49); Ulla Rettig (2, 7, 8, 34); Volker<br />
Skierka (30, 32, 3‚3); Visit Berlin/<br />
Tanja Koch (7); WDR (44)<br />
Sofern nicht anders angegeben,<br />
stammen die Bilder der Statements<br />
von den Zitatgebern selbst.
04 | 05<br />
EINBLICK<br />
MIT DEM IKARUS-BUS<br />
GEN WESTEN<br />
Vom Mauerfall bis <strong>zu</strong>m Beitritt der DDR <strong>zu</strong>r B<strong>und</strong>esrepublik<br />
Deutschland: Die Jahre 1989 <strong>und</strong> 1990 waren die ereignisreichsten<br />
in der jüngeren deutschen Geschichte. Busfahrer Heinz-Ulrich Junge<br />
aus Ostberlin erinnert sich an die turbulente Wendezeit.
Mauerfall <strong>und</strong> Wiedervereinigung
06 | 07<br />
EINBLICK<br />
Tausende Menschen feierten im November<br />
1989 den Fall der Berliner Mauer.<br />
Als Busfahrer Heinz-Ulrich Junge am<br />
9. November 1989 seinen Dienst auf<br />
dem Nachtbus im Ostberliner Stadtteil<br />
Köpenick antrat, da ahnte er noch<br />
nicht, dass in seiner Schicht die Berliner Mauer<br />
fallen würde.* Zwar hatte er abends im DDR-Fernsehen<br />
das Politbüro-Mitglied Günter Schabowski<br />
in der historischen Pressekonferenz nach einer<br />
Sit<strong>zu</strong>ng des Zentralkomitees der SED gesehen. Ein<br />
Journalist hatte gefragt, ab wann Inhaber eines<br />
DDR-Reisepasses in den Westen reisen dürften,<br />
<strong>und</strong> Schabowski hatte leicht irritiert in seinen<br />
Unterlagen geblättert <strong>und</strong> gesagt: „Nach meiner<br />
Kenntnis ist das sofort ... unverzüglich.“ Doch<br />
Heinz-Ulrich Junge ging es damals ähnlich wie<br />
vielen DDR-Bürgern. „Ich habe das gar nicht für<br />
voll genommen“, sagt der 70-Jährige heute. „Als gelernter<br />
DDR-Bürger dachte ich: Na gut, du musst<br />
Busfahrer meldeten sich freiwillig.<br />
Arbeiter, Abteilungsleiter<br />
<strong>und</strong> Direktoren arbeiteten<br />
mit ihnen die Nächte durch.“<br />
Thomas Rietig, Journalist<br />
<strong>zu</strong>m Amt gehen <strong>und</strong> einen Ausreiseantrag stellen.<br />
Das dauert.“ Außerdem rief ja die Pflicht. Also setzte<br />
er um 20.31 Uhr seinen Ikarus-Bus in Bewegung.<br />
Zwei St<strong>und</strong>en später hob sich der Schlagbaum am<br />
Grenzübergang Bornholmer Straße. Danach gab<br />
es kein Halten mehr. Tausende zog es in die Stadtmitte.<br />
Unterdessen w<strong>und</strong>erte sich Junge auf seiner<br />
einsamen Strecke am Müggelsee entlang, warum<br />
der Bus immer voller wurde. „Es war ja nur ein Ersatzbus<br />
für die Uferbahn <strong>–</strong> die Trasse der Straßenbahn<br />
wurde neu gebaut. Und um diese Zeit waren<br />
normalerweise nur ein paar Nachtschwärmer<br />
unterwegs.“ Also fragte er einen Volkspolizisten<br />
im Bus, was los sei. „Ja haben Sie das denn nicht<br />
gehört? Die Mauer ist offen.“<br />
VOM ANSTURM KALT ERWISCHT<br />
Nicht nur die Grenzsoldaten waren völlig überrumpelt,<br />
als immer mehr Menschen erwartungsvoll<br />
<strong>zu</strong>r Mauer drängten. Auch die beiden<br />
Berliner Verkehrsbetriebe <strong>–</strong> die BVG im Westen<br />
<strong>und</strong> die BVB im Osten <strong>–</strong> erwischte der plötzliche<br />
Ansturm kalt. Mittlerweile feierten Ost- <strong>und</strong><br />
Westberliner den Fall der Mauer am Brandenburger<br />
Tor. In der heutigen City-West brach zwischenzeitlich<br />
der Verkehr <strong>zu</strong>sammen. Auch die<br />
Straßen aus den DDR-Bezirken in Richtung Ostberlin<br />
füllten sich. „Für mich war es schwer, mit<br />
meinem Ikarus durch<strong>zu</strong>kommen“, erinnert sich<br />
Junge. „Das Adlergestell <strong>–</strong> ja, so heißt die Straße<br />
<strong>–</strong> wurde krachend voll. Alle Leute aus dem Umland<br />
warfen sich in ihre Pappen <strong>–</strong> so wurden die<br />
Trabbis genannt <strong>–</strong> <strong>und</strong> wollten sofort in die Stadt.“<br />
Der damals 45-Jährige ließ sich immerhin zwei
Mauerfall <strong>und</strong> Wiedervereinigung<br />
Tage Zeit, ehe er einen Ausflug nach Westberlin<br />
unternahm.<br />
Seit 1961 war Berlin durch die Mauer geteilt gewesen.<br />
Zentrale U- <strong>und</strong> S-Bahn-Verbindungen<br />
<strong>und</strong> andere Verkehrsadern in Berlin hatte die<br />
Mauer gekappt. Um einen Verkehrskollaps <strong>zu</strong><br />
verhindern, waren daher <strong>zu</strong>nächst vor allem<br />
Busse gefragt. Doch bevor neue Fahrpläne für<br />
ein wiedervereinigtes Berlin entstanden, ging es<br />
<strong>zu</strong>nächst darum, den Ansturm vor Ort sofort <strong>zu</strong><br />
bewältigen. Bei der BVG entfaltete sich eine hektische<br />
Aktivität, um Busse an bisher geschlossene<br />
Grenzübergänge <strong>zu</strong> bringen <strong>und</strong> aus ganz Westdeutschland<br />
„Solidaritätsbusse“ an<strong>zu</strong>fordern,<br />
einschließlich der Busfahrer. „Es fasziniert auch<br />
25 Jahre später noch, wie flexibel <strong>und</strong> unbürokratisch<br />
dieser große Betrieb buchstäblich über<br />
Nacht reagierte“, sagt der Journalist Thomas Rietig,<br />
der diese Zeit für die BVG aufgearbeitet hat.*<br />
„Busfahrer meldeten sich freiwillig, Arbeiter,<br />
Abteilungsleiter <strong>und</strong> Direktoren arbeiteten mit<br />
ihnen wochenlang die Nächte durch. Anstatt<br />
Anträge <strong>zu</strong> stellen, wurden spontan neue Linien<br />
eröffnet <strong>und</strong> befahren, <strong>und</strong> wie durch ein W<strong>und</strong>er<br />
gab es keine nennenswerten Unfälle. Auch<br />
die Zusammenarbeit mit der BVB klappte überraschend<br />
schnell.“<br />
GRENZÜBERGANG AM POTSDAMER PLATZ<br />
Aus dem Slogan „Wir sind das Volk!“ erwuchs<br />
noch vor Silvester 1989 die Forderung „Wir sind<br />
ein Volk!“ Schließlich wurde die erste freie Wahl<br />
einer DDR-Volkskammer von Mai auf den 18. März<br />
1990 vorverlegt. Mit 48,1 Prozent der Stimmen ging<br />
Als erster Busfahrer steuerte Heinz-Ulrich Junge<br />
1990 die Linie E 131 von Ost- nach Westberlin.<br />
damals die CDU-geführte „Allianz für Deutschland“<br />
als stärkste Kraft hervor.<br />
Am 12. April 1990, kurz vor Ostern, wurde Lothar<br />
de Maizière (CDU) neuer Ministerpräsident der<br />
DDR. Für Busfahrer Junge bleibt dieser Tag aus<br />
einem ganz anderen Gr<strong>und</strong> im Gedächtnis haften:<br />
Er durfte die erste grenzüberschreitende Buslinie<br />
E 131 befahren. „Sie sollte die Lücke in der<br />
U-Bahn-Linie 2 füllen, die mit dem Mauerbau<br />
unterbrochen worden war“, erinnert sich Junge.<br />
Der Bus verband die Mitte Berlins mit der Westberliner<br />
City. Junge: „Es war ein großartiges Gefühl,<br />
einfach dorthin fahren <strong>zu</strong> können. Und<br />
abends wurde ich im Fernsehen gezeigt.“<br />
Der Streckenverlauf der E 131 liest sich wie eine<br />
Beschreibung aus dem Reiseführer: „Start war am<br />
Pariser Platz, dort, wo heute das Hotel Adlon steht“,<br />
berichtet Junge. „Von dort ging es in die heutige<br />
Wilhelmstraße, rechts ab auf die Leipziger Straße,<br />
geradeaus am heutigen <strong>B<strong>und</strong>esrat</strong>sgebäude vorbei.<br />
»<br />
Ausflugstipps eines Köpenicker Urgesteins<br />
Es gibt viele Möglichkeiten, Berlin <strong>zu</strong> erk<strong>und</strong>en. Hier einige bewährte Tipps von<br />
Heinz-Ulrich Junge, der viel mit seinem Enkel auf Tour ist.<br />
• Radfahren auf dem Berliner Mauerweg: vom S-Bahnhof Adlershof aus am<br />
Teltowkanal entlang, parallel <strong>zu</strong>r A 113 bis <strong>zu</strong>m Hafen Britz-Ost. Junges Urteil:<br />
„Ein zehn Meter breiter Radweg, immer am Wasser entlang <strong>–</strong> w<strong>und</strong>erbar!“<br />
• BVG-Doppeldecker kostengünstig <strong>zu</strong>m Sightseeing nutzen. Tolle Aus- <strong>und</strong><br />
Einsichten bieten beispielsweise die Linien 100 <strong>und</strong> 200, der Schnellbus X10,<br />
die M85 (ab Hauptbahnhof) <strong>und</strong> die M46, „ wenn man oben <strong>und</strong> möglichst<br />
vorn sitzt“.<br />
• „Adventliche Lichterfahrt“ durch die weihnachtliche City West mit der M29<br />
ab U-Bahnhof Hermannplatz.
08 | 09<br />
EINBLICK<br />
Heute genießt es Rentner Junge, Berlin mit dem<br />
Rad <strong>und</strong> weiterhin per Bus <strong>zu</strong> erk<strong>und</strong>en.<br />
Gegenüber, wo heute die ‚Mall of Berlin‘ steht, war<br />
ein ziemlich großer Platz. Da konnten wir mit<br />
unserem 16 Meter langen Ikarus-Bussen wenden.<br />
Weiter ging es <strong>zu</strong>m Grenzübergang am Potsdamer<br />
Platz. Grenzbeamte stiegen ein <strong>und</strong> kontrollierten<br />
die Pässe. Dann fuhren wir über die Entlastungsstraße,<br />
die Potsdamer Brücke <strong>und</strong> die Potsdamer<br />
Straße bis <strong>zu</strong>m U-Bahnhof Kurfürstenstraße.<br />
Schluss war in der Jebensstraße am Zoologischen<br />
Garten. Da hatte man dann seine Haltezeit <strong>und</strong><br />
dort traf man auch viele Busfahrer von der BVG<br />
aus Westberlin.“<br />
EIN ECHTER FEIERTAG FÜR DIE FAMILIE<br />
Im Nachhinein mag die Wiedervereinigung<br />
wie eine logische Entwicklung wirken. Ohne<br />
Einverständnis der vier Siegermächte des Zweiten<br />
Weltkrieges wäre sie aber nicht <strong>zu</strong>stande<br />
gekommen. Im Februar 1990 sicherte Michail<br />
Gorbatschow, damals Generalsekretär des Zentralkomitees<br />
der Kommunistischen Partei der<br />
Sowjetunion, B<strong>und</strong>eskanzler Helmut Kohl <strong>zu</strong>,<br />
sich dem Leben der Deutschen in einem Staat<br />
nicht entgegen<strong>zu</strong>stellen. Die erste R<strong>und</strong>e der sogenannten<br />
Zwei-plus-Vier-Verhandlungen begann<br />
am 5. Mai 1990. Vier Monate später, am 12. September<br />
1990, wurde der offizielle „Vertrag über die abschließende<br />
Regelung in Be<strong>zu</strong>g auf Deutschland“<br />
unterzeichnet. Darin erklärten die Besat<strong>zu</strong>ngsmächte,<br />
dass sie auf ihre Rechte <strong>und</strong> Verantwortlichkeiten<br />
in Berlin <strong>und</strong> in ganz Deutschland<br />
verzichten; Rechte, die ihnen seit dem Zweiten<br />
Weltkrieg <strong>zu</strong>standen.<br />
Schon <strong>zu</strong>vor, am 21. Juni 1990, hatten Volkskammer<br />
<strong>und</strong> B<strong>und</strong>estag dem Staatsvertrag über eine<br />
Wirtschafts-, Währungs- <strong>und</strong> Sozialunion <strong>zu</strong>gestimmt.<br />
Nur einen Tag später folgte der <strong>B<strong>und</strong>esrat</strong>.<br />
Im Ergebnis wurde am 1. Juli die D-Mark als offizielles<br />
Zahlungsmittel in der DDR eingeführt. „Was<br />
waren wir damals froh, dass der Umtauschsatz<br />
bei 1:1 lag <strong>und</strong> wir unser schmales Gehalt nicht<br />
halbieren mussten“, erinnert sich Junge.<br />
Nun ging es darum, auch eine politische Einheit<br />
<strong>zu</strong> bilden. Am 23. August 1990 beschloss die Volkskammer,<br />
gemäß Artikel 23 des Gr<strong>und</strong>gesetzes der<br />
B<strong>und</strong>esrepublik bei<strong>zu</strong>treten. Sowohl die Volkskammer<br />
der DDR als auch der Deutsche B<strong>und</strong>estag<br />
stimmten am 20. September dem Einigungsvertrag<br />
<strong>zu</strong>. Tags darauf folgte der <strong>B<strong>und</strong>esrat</strong>, <strong>und</strong><br />
am 29. September 1990 trat der Einigungsvertrag<br />
in Kraft.<br />
Offiziell trat die DDR der B<strong>und</strong>esrepublik am<br />
3. Oktober bei. Zugleich erhielt das Gr<strong>und</strong>gesetz<br />
Gültigkeit in den neu gebildeten Ländern<br />
Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen,<br />
Sachsen-Anhalt <strong>und</strong> Thüringen sowie in Ostberlin.<br />
Da<strong>zu</strong> Busfahrer Junge: „Für meine Familie<br />
war das ein echter Feiertag.“<br />
Wenn man Heinz-Ulrich Junge heute fragt, warum<br />
er nach der Maueröffnung so gelassen blieb,<br />
dann sagt er: „Ich wusste, wie der Laden in der<br />
DDR läuft. Ich hatte ernsthafte Sorgen, dass sie die<br />
Grenzen wieder dichtmachen. Aber als sieben bis<br />
zehn Tage nach dem Fall der Mauer nichts passiert<br />
war, habe ich mir gesagt: Das war’s.“<br />
* Quelle: Thomas Rietig: „Mit Bus <strong>und</strong> Bahn durch die<br />
Mauer. Die BVG in der Zeit der Deutschen Vereinigung<br />
1990 <strong>–</strong> 1992“
Länderschlaglicht<br />
Mecklenburg-<br />
Vorpommern<br />
Lange Küstenlinien, mehr als 2.000<br />
Seen, die meisten Sonnentage in<br />
Deutschland <strong>–</strong> die Natur in Mecklenburg-Vorpommern<br />
ist weltweit<br />
einzigartig. Das merken auch die<br />
Touristen, die von Jahr <strong>zu</strong> Jahr zahlreicher<br />
werden. Aber „MeckPom“<br />
hat noch mehr <strong>zu</strong> bieten: Die Universitäten<br />
Greifswald <strong>und</strong> Rostock<br />
gehören <strong>zu</strong> den ältesten Hochschulen<br />
in Europa. Sie vereinen Tradition<br />
<strong>und</strong> Moderne, indem sie ihre<br />
Forschung auf wichtige Zukunftsfelder<br />
konzentrieren. Firmengründer<br />
<strong>und</strong> Start-ups finden hier also<br />
optimale Bedingungen vor. Außerdem<br />
leisten die Werften entlang der<br />
Ostseeküste Mecklenburg-Vorpommerns<br />
einen wichtigen Beitrag <strong>zu</strong>m<br />
Erfolg des deutschen Schiffbaus.<br />
Statistische Daten<br />
1,6 Millionen<br />
Einwohner<br />
1.945 km<br />
Küstenlänge<br />
23.212 km ²<br />
Fläche<br />
Schwerin<br />
Hauptstadt<br />
Meine Familie, die Natur, die Seeluft<br />
<strong>und</strong> Radfahren sind meine emotionalen<br />
Anker. In meinem Herz, in meinem Kopf<br />
<strong>und</strong> auch in meiner Mentalität sind große<br />
Stücke Heimat.“<br />
André Greipel, Profi-Straßenradrennsportler/Team Lotto Soudal<br />
Wussten Sie schon, ...<br />
... dass Mecklenburg-Vorpommern die<br />
Wiege der deutschen Kaufhäuser ist?<br />
Wertheim, Kaufhof (beide in Strals<strong>und</strong>)<br />
<strong>und</strong> Karstadt (Wismar) eröffneten ihre<br />
ersten Filialen zwischen 1875 <strong>und</strong><br />
1881 im heutigen Mecklenburg-Vorpommern<br />
<strong>und</strong> revolutionierten so die<br />
deutsche Einkaufskultur.<br />
Schleswig-Holstein<br />
Statistische Daten<br />
2,8 Millionen<br />
Einwohner<br />
Kiel<br />
Hauptstadt<br />
Jahrzehntelang war Schleswig-<br />
Holstein ein Zankapfel zwischen<br />
Dänemark <strong>und</strong> seinen deutschen<br />
Nachbarn, um den zwei Kriege geführt<br />
wurden. Erst 1920 wurde der<br />
Streit endgültig beigelegt. Heute<br />
ist Schleswig-Holstein Deutschlands<br />
Tor nach Skandinavien. Für<br />
die Menschen hat die früher umkämpfte<br />
Grenze ihre Bedeutung<br />
verloren: 60 Prozent der dänischen<br />
Haushalte kaufen regelmäßig in<br />
Grenzmärkten in Deutschland<br />
ein, Tausende pendeln jeden Tag<br />
zwischen den beiden Ländern<br />
<strong>zu</strong>r Arbeit. Bald werden beide Regionen<br />
noch enger <strong>zu</strong>sammenrücken:<br />
Ein über 17 Kilometer<br />
langer Tunnel soll in einigen Jahren<br />
den Fehmarnbelt queren <strong>und</strong><br />
Schleswig-Holstein mit der dänischen<br />
Insel Lolland verbinden.<br />
Ich brauche das Meer, die<br />
salzige Luft, die Watten<br />
<strong>und</strong> die Inseln. Und die<br />
Menschen, die von dieser<br />
Landschaft geprägt wurden.<br />
Schleswig-Holstein ist<br />
einzigartig <strong>–</strong> hier<br />
fühle ich mich<br />
geerdet!“<br />
Arved Fuchs,<br />
Polarforscher<br />
4.410 km ²<br />
Größe des Nationalparks<br />
Wattenmeer<br />
15.800 km ²<br />
Fläche<br />
Wussten Sie schon, ...<br />
... dass die Kieler Woche nach eigenen<br />
Angaben die größte Segelveranstaltung<br />
der Welt ist? Schon 1882 wurde<br />
die erste Regatta ausgetragen. Mittlerweile<br />
kommen in jedem Sommer<br />
mehr als 3.500 Segler <strong>und</strong> über drei<br />
Millionen Besucher.
10 | 11<br />
EINBLICK<br />
2000 zog der <strong>B<strong>und</strong>esrat</strong> in seine neue Berliner<br />
Wirkungsstätte <strong>–</strong> hier ein Bild von 2015.<br />
Eng <strong>zu</strong>sammengerückt: Im alten Bonner<br />
Plenarsaal saßen nach der Wende die<br />
Vertreter von 16 statt von elf Ländern.<br />
Aus elf<br />
werden 16<br />
Die deutsche Wiedervereinigung ist untrennbar mit dem <strong>B<strong>und</strong>esrat</strong> <strong>und</strong> seiner<br />
Arbeit verb<strong>und</strong>en. Seit 1990 gestaltet <strong>und</strong> prägt das Gremium den politischen Alltag<br />
im geeinten Deutschland mit. Ein Meilenstein auf diesem Weg war seine Erweiterung<br />
von elf auf 16 Länder. Die rasche Integration von Brandenburg, Mecklenburg-<br />
Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen <strong>und</strong> Thüringen stellte zwar die damaligen<br />
Kräfteverhältnisse im <strong>B<strong>und</strong>esrat</strong> auf den Kopf, schuf aber gleichzeitig die Basis für das<br />
Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten.
Der <strong>B<strong>und</strong>esrat</strong> nach der Wende<br />
Genau ein Jahr nach dem Mauerfall,<br />
am 9. November 1990, tagte der <strong>B<strong>und</strong>esrat</strong><br />
<strong>zu</strong>m ersten Mal mit den Ministerpräsidenten<br />
aller 16 Länder<br />
<strong>–</strong> ausnahmsweise in Berlin <strong>und</strong> nicht in der<br />
damaligen B<strong>und</strong>eshauptstadt Bonn. Die Sit<strong>zu</strong>ng<br />
war nicht nur ein Höhepunkt des auch für die<br />
Länder turbulenten Jahres, sondern setzte auch<br />
die bisherigen, über vier Jahrzehnte eingespielten<br />
Regeln in diesem Gremium endgültig außer<br />
Kraft. So hatten die Länder in der „Bonner Republik“<br />
je nach Bevölkerungszahl drei bis fünf<br />
Stimmen auf sich vereinen können. Die Gesamtstimmenanzahl<br />
betrug 45, die absolute Mehrheit<br />
demnach 23. Damit verfügten die vier großen<br />
Länder Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Baden-Württemberg<br />
<strong>und</strong> Bayern <strong>zu</strong>sammen über<br />
eine Sperrminorität gegen Verfassungsänderungen<br />
<strong>–</strong> schließlich benötigen diese eine Zweidrittelmehrheit.<br />
Eine Integration der Ost-Länder in<br />
dieses System hätte das genau austarierte Gleichgewicht<br />
durcheinander gebracht.<br />
ABSOLUTE MEHRHEIT MIT 35 STIMMEN<br />
Nach teils hitzigen Diskussionen über die <strong>zu</strong>künftige<br />
Struktur des <strong>B<strong>und</strong>esrat</strong>es sah der Einigungsvertrag<br />
im November 1990 Folgendes<br />
vor: Die maximale Stimmenanzahl wurde auf<br />
sechs pro Land erhöht, <strong>und</strong> der <strong>B<strong>und</strong>esrat</strong> hatte<br />
fortan 68 Mitglieder <strong>–</strong> seit 1996 sind es sogar 69,<br />
weil Hessen durch ein Bevölkerungsplus eine<br />
Stimme hin<strong>zu</strong>gewonnen hatte. Die für <strong>B<strong>und</strong>esrat</strong>sbeschlüsse<br />
notwendige absolute Mehrheit<br />
liegt damit bei 35 Stimmen. Auch die Königsteiner<br />
Vereinbarung wurde geändert. Seit 1950 legte<br />
sie fest, dass die <strong>B<strong>und</strong>esrat</strong>spräsidentschaft jedes<br />
Jahr wechselt <strong>–</strong> angefangen beim bevölkerungsreichsten<br />
Land bis hin <strong>zu</strong>m Land mit den wenigsten<br />
Einwohnern.<br />
Demnach hätte eigentlich erst 1998 ein ostdeutscher<br />
Ministerpräsident Präsident des <strong>B<strong>und</strong>esrat</strong>es<br />
werden können. Durch eine Änderung der<br />
Reihenfolge konnte jedoch Alfred Gomolka, der<br />
Regierungschef von Mecklenburg-Vorpommern,<br />
am 8. November 1991 die Sit<strong>zu</strong>ng eröffnen. Er <strong>und</strong><br />
seine Amtskollegen aus Ostdeutschland setzten<br />
früh eigene Akzente <strong>und</strong> machten über Gesetzentwürfe<br />
<strong>und</strong> Anträge ihre Interessen deutlich.<br />
Ob Arbeitsmarktpolitik, Wohnungsmarkt oder<br />
Krankenversorgung: Im <strong>B<strong>und</strong>esrat</strong> herrscht seitdem<br />
eine noch größere Vielfalt. Die neuen Länder<br />
brachten eigene Perspektiven mit, die die<br />
Arbeit im Plenum zwar nicht vereinfachten, aber<br />
vor allem bereicherten.<br />
ENG ZUSAMMENGERÜCKT<br />
Bevor es jedoch soweit war, musste <strong>zu</strong>nächst<br />
ein viel profaneres Problem gelöst werden: Der<br />
Plenar saal im Bonner <strong>B<strong>und</strong>esrat</strong> war auf nur<br />
elf Länder ausgelegt. Die notwendige komplette<br />
Neubestuhlung führte da<strong>zu</strong>, dass die 16 Länder<br />
nicht nur politisch enger <strong>zu</strong>sammenrückten,<br />
sondern auch während der Sit<strong>zu</strong>ngen. Noch zehn<br />
Jahre lang tagte der <strong>B<strong>und</strong>esrat</strong> in Bonn, bevor der<br />
1996 gefasste Beschluss <strong>und</strong> der anschließende<br />
Um<strong>zu</strong>g nach Berlin im Jahr 2000 die beengte<br />
Raumsituation beendeten. Am 29. September<br />
begrüßte Präsident Kurt Biedenkopf die Mitglieder<br />
des neuen Hauses <strong>zu</strong> ihrer ersten Sit<strong>zu</strong>ng im<br />
ehemaligen Preußischen Herrenhaus, das seit<br />
1997 renoviert worden war. Nach der festlichen<br />
Einweihung blieb nur wenig Zeit für weitere<br />
Feierlichkeiten. Bereits in seiner ersten Sit<strong>zu</strong>ng<br />
absolvierte der <strong>B<strong>und</strong>esrat</strong> mit 91 Tagesordnungspunkten<br />
ein wahres Marathonprogramm.<br />
Die helle <strong>und</strong> luftige Fassade des neuen <strong>B<strong>und</strong>esrat</strong>ssitzes<br />
an der Leipziger Straße in Berlin
12 | 13<br />
EINBLICK<br />
„Thüringen war ein großes<br />
ABENTEUER“<br />
Ein halbes Jahrh<strong>und</strong>ert lang hat Dr. Bernhard Vogel (CDU) das politische<br />
Geschehen in der B<strong>und</strong>esrepublik mit geprägt: „<strong>Einblick</strong>“ sprach mit ihm sowie<br />
seinem ehemaligen persönlichen Referenten Gereon Lamers.<br />
Als einziger deutscher Politiker war Bernhard<br />
Vogel Ministerpräsident in zwei<br />
verschiedenen Ländern: von 1976 bis 1988<br />
in Rheinland-Pfalz <strong>und</strong> von Februar 1992<br />
bis Juni 2003 in Thüringen. Zusammen mit Gereon<br />
Lamers berichtet der 82-Jährige von Startschwierigkeiten<br />
im „jungen Land“ Thüringen, über die Unterschiede<br />
zwischen West <strong>und</strong> Ost <strong>und</strong> darüber, was<br />
das wiedervereinigte Deutschland heute ausmacht.<br />
Herr Dr. Vogel, wie wurden Sie als etablierter westdeutscher<br />
Politiker in Thüringen empfangen? Gab es Bedenken,<br />
dass ein „Wessi“ das Land regieren sollte?<br />
DR. VOGEL: Das alles geschah praktisch über Nacht<br />
<strong>und</strong> ohne Vorbereitungszeit. Weil ich auf Wunsch<br />
meiner Thüringer CDU-Parteifre<strong>und</strong>e nach Thüringen<br />
gegangen bin, wurde ich sehr fre<strong>und</strong>lich aufgenommen<br />
<strong>–</strong> als jemand, der in einer sehr schwierigen<br />
Situation helfen wollte. In all den Jahren habe ich<br />
auch persönlich nie den Vorwurf gehört, ich sei ja ein<br />
Westdeutscher.<br />
Als Sie in Erfurt eintrafen, kannten Sie kaum jemanden<br />
<strong>und</strong> mussten dennoch ein Kabinett bilden. Damals<br />
holten Sie Herrn Lamers als persönlichen Referenten<br />
<strong>zu</strong> sich <strong>–</strong> einen Rheinländer, den sie bereits kannten.<br />
Welche Startschwierigkeiten mussten Sie bewältigen?<br />
DR. VOGEL: Es gab nicht nur Schwierigkeiten: Es war<br />
ein Abenteuer, dessen Ausmaß ich Gott sei Dank<br />
nicht gekannt hatte <strong>–</strong> sonst wäre ich es vielleicht
„Wir sind ein Volk“ <strong>–</strong> eine Gesellschaft im Wandel<br />
Ein thüringisches Wahrzeichen:<br />
die Wartburg bei Eisenach<br />
nicht eingegangen. Thüringen glich damals <strong>–</strong> 1992<br />
<strong>–</strong> noch einem großen „Verbandplatz“, wo viel geheilt<br />
werden musste, war aber auch voller Ideen. Plötzlich<br />
war ich für ein Land verantwortlich, das es seit Jahrzehnten<br />
nicht mehr gegeben hatte. Denn die Länder<br />
in der DDR waren 1952 aufgelöst worden.<br />
etwas mit den alten Blockparteien <strong>zu</strong> tun hatten, die<br />
sich rein menschlich aber gar nicht so unangenehm<br />
anfühlten. Politisch gesehen war das je nach Ebene<br />
natürlich schwierig. Dann folgte eine Zeit so intensiver<br />
gemeinsamer Arbeit, dass eigentlich für solche<br />
Fragen niemand mehr Zeit hatte. »<br />
Wie haben Sie Ihren Mitarbeiterstab <strong>und</strong> Ihre<br />
Regierung <strong>zu</strong>sammengestellt?<br />
DR. VOGEL: Die Schwierigkeit bestand darin,<br />
dass ich nur fünf oder sechs Thüringer mit<br />
Namen kannte. Es ist ungewöhnlich, dass man<br />
Ministerpräsident in einem Land wird, in dem<br />
man die Leute nicht kennt. Von Anfang an lautete<br />
mein Prinzip: So viele Westdeutsche wie<br />
nötig, aber so viele Ostdeutsche wie möglich.<br />
LAMERS: Als Herr Dr. Vogel <strong>und</strong> ich in Thüringen<br />
waren, haben wir eine große Gemeinschaftlichkeit<br />
erlebt. Auch mir ist der „Wessi“-Vorwurf<br />
extrem selten begegnet. In meiner Anfangszeit<br />
gab es auch Strukturen, die durchaus noch<br />
Dr. Bernhard Vogel<br />
Der Ehrenvorsitzende der Konrad-<br />
Adenauer-Stiftung (KAS) wurde 1932<br />
in Göttingen geboren. Er war nicht<br />
nur Ministerpräsident in den Ländern<br />
Rheinland-Pfalz <strong>und</strong> Thüringen, sondern<br />
auch Präsident des <strong>B<strong>und</strong>esrat</strong>es,<br />
B<strong>und</strong>estagsabgeordneter, Präsident<br />
des Zentralkomitees der deutschen<br />
Katholiken <strong>und</strong> vieles mehr. Eine ausführliche<br />
Vita gibt es hier: www.kas.de.
14 | 15<br />
EINBLICK<br />
Auf mehreren Wanderungen <strong>–</strong> so auch auf dem<br />
Rennsteig <strong>–</strong> hat Dr. Vogel Thüringen erk<strong>und</strong>et.<br />
Herr Lamers, wie <strong>und</strong> wann sind Sie nach Erfurt<br />
gekommen?<br />
LAMERS: Im Mai 1991 mit einem Honorarvertrag<br />
der Konrad-Adenauer-Stiftung. Mit 27 Jahren kam<br />
ich als Studienabgänger nach Erfurt <strong>–</strong> <strong>und</strong> zwar<br />
<strong>zu</strong> den wilden Zeiten des Neuanfanges. Ich war<br />
<strong>zu</strong>m Beispiel offiziell jemandem in Leipzig untergeordnet.<br />
Der Weg von Leipzig nach Erfurt ist heute<br />
dank ICE ein Klacks, aber damals bedeutete das<br />
eine sehr erhebliche Entfernung. Das Motto lautete<br />
also „Mach mal“. Das klingt heute chaotisch, bot<br />
aber damals eine unglaubliche Chance, die auch<br />
viele andere aus meiner Generation erhalten<br />
haben.<br />
war. Nach Thüringen kam ich hingegen in einer<br />
Zeit, in der das Land noch gar nicht richtig wieder<br />
existierte. Zweiter Unterschied: In Rheinland-<br />
Pfalz berief ich ein Kabinett aus Leuten, die ich<br />
lange kannte <strong>und</strong> die in der Regel erfahrene<br />
Politiker waren. In Thüringen bestand die erste<br />
Vorausset<strong>zu</strong>ng darin, dass ein Kandidat mit dem<br />
alten System nichts <strong>zu</strong> tun hatte.<br />
LAMERS: Das ganze parlamentarische Verfahren,<br />
das in der B<strong>und</strong>esrepublik über Jahrzehnte eingeübt<br />
wurde, bedeutete für Thüringen absolutes<br />
Neuland.<br />
Wenn Sie heute <strong>zu</strong>rückschauen, wie bewerten Sie<br />
die politische <strong>und</strong> gesellschaftliche Entwicklung in<br />
Deutschland? Ist die Einheit tatsächlich auch <strong>zu</strong>stande<br />
gekommen?<br />
LAMERS: Das ist so eine 100.000-Dollar-Frage. Ich<br />
glaube, sie lässt sich tatsächlich nur in der Perspektive<br />
mehrerer Generationen beantworten.<br />
Eine kleine Minderheit ist mit der politischen Entwicklung<br />
in unserem Vaterland auch heute noch<br />
nicht einverstanden. Aber auch neuere Phänomene<br />
<strong>–</strong> ich nenne nur das Stichwort „Pegida“ <strong>–</strong> zeigen,<br />
dass das kein völlig <strong>zu</strong> vernachlässigender Impuls<br />
ist. Deswegen lautet mein persönliches Fazit: Ja,<br />
es gibt diese Einheit weit überwiegend. Aber sie<br />
bleibt nach wie vor eine Aufgabe, die sich auch<br />
noch in etlichen Jahren stellt.<br />
Herr Dr. Vogel, wie haben Sie „Ihr“ Land Thüringen<br />
kennengelernt?<br />
DR. VOGEL: Indem ich zehn dreitägige Fußwanderungen<br />
unternahm. 600 Kilometer durch<br />
Thüringen: Am Ende habe ich das Land besser<br />
gekannt als Rheinland-Pfalz <strong>–</strong> natürlich auch<br />
deshalb, weil Thüringen kompakter ist.<br />
Wenn Sie Ihre Zeit als Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz<br />
vergleichen mit der in Thüringen: Wie<br />
unterschiedlich gestaltete sich das Regieren?<br />
DR. VOGEL: Der gravierendste Unterschied bestand<br />
darin, dass ich Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz<br />
wurde, nachdem dieses nach dem<br />
Krieg neu entstandene Land schon lange etabliert<br />
Gereon Lamers (52) ist seit 1992 im Thüringer Staatsdienst.<br />
Er leitet das Referat „Sonderaufgaben, Historisches<br />
Erinnern <strong>und</strong> Gedenken, Internationales“ in<br />
der Verwaltung des Thüringer Landtags.
„Wir sind ein Volk“ <strong>–</strong> eine Gesellschaft im Wandel<br />
DR. VOGEL: Alles in allem ist die<br />
Einheit gelungen, auch wenn<br />
noch eine ganze Menge <strong>zu</strong> tun<br />
bleibt. Wir müssen berücksichtigen,<br />
dass Westdeutschland<br />
keine Einheit bildet <strong>und</strong> auch<br />
Ostdeutschland aus sehr unterschiedlichen<br />
Regionen besteht. „Den Westen“<br />
gibt es genauso wenig, wie es heute noch „den Osten“<br />
gibt. 35 Prozent der deutschen Bevölkerung<br />
sind <strong>zu</strong>dem nach 1980 geboren. Sie haben also die<br />
Wiedervereinigung nur als kleines Kind oder gar<br />
nicht erlebt. Diejenigen, die das alles bewusst erfahren<br />
haben, werden immer durch eine andere<br />
Welt geprägt sein. Es ist etwas anderes, ob man<br />
in den Jahren 1950 bis 1960 im Ruhrgebiet oder in<br />
Jena aufgewachsen ist. Und diese Unterschiedlichkeit<br />
sollte man auch nicht übertünchen, denn<br />
sie bereichert die B<strong>und</strong>esrepublik.<br />
Glauben Sie, dass sich nach der Wiedervereinigung<br />
die West-Länder verändert <strong>und</strong> da<strong>zu</strong>gelernt haben?<br />
DR. VOGEL: Ja! Am Anfang haben viele in den alten<br />
Ländern gemeint, im Osten müsse sich alles<br />
ändern <strong>und</strong> im Westen könne alles so bleiben. Das<br />
hat sich als Irrtum erwiesen, bis hin <strong>zu</strong>m <strong>B<strong>und</strong>esrat</strong>.<br />
16 sind halt mehr als elf. Das ist<br />
nicht nur eine Frage der Sitze. Sie<br />
konnten mit elf Ländern leichter in<br />
kurzer Zeit einen Konsens herstellen<br />
als mit 16. Aber das ist im B<strong>und</strong>estag<br />
nicht anders.<br />
Die Demokratie<br />
ist die beste,<br />
aber auch die<br />
mühsamste<br />
Staatsform.“<br />
Dr. Bernhard Vogel,<br />
ehemaliger Ministerpäsident<br />
Dinge aus einem bestimmten<br />
Blickwinkel betrachten. Historiker<br />
müssen dagegen das Gesamtbild<br />
im Auge haben.<br />
Sie weisen unermüdlich darauf<br />
hin, dass der Erfolg eines demokratischen<br />
Systems keine Selbstverständlichkeit ist.<br />
In Ihrem Buch „Mutige Bürger braucht das Land“<br />
fordern Sie nun da<strong>zu</strong> auf, sich stärker <strong>zu</strong> engagieren.<br />
Was genau meinen Sie damit?<br />
DR. VOGEL: Wir, die wir in der Nazizeit geboren<br />
wurden, wollten eine leistungs- <strong>und</strong> lebensfähige<br />
Demokratie <strong>und</strong> sind sehr dankbar, dass das alles<br />
in allem gelungen ist. Weil alte Leute gerne alles<br />
besser wissen, beklagen sie jetzt, dass die jungen<br />
Leute Demokratie für selbstverständlich nehmen.<br />
Obwohl wir doch eigentlich genau das wollten.<br />
Die heutige junge Generation hält die Demokratie<br />
allerdings in einem Ausmaß für selbstverständlich,<br />
wie sie es nicht ist. Deswegen müssen wir<br />
immer wieder darauf aufmerksam machen, dass<br />
Demokratie die beste, aber auch die mühsamste<br />
Staatsform ist. Man kann sie nicht einfach wie ein<br />
Konsumgut beziehen, sondern muss sich engagieren<br />
<strong>und</strong> mit anpacken.<br />
»<br />
Sie gehen häufig in Schulen <strong>und</strong> geben<br />
dort Ihre Erfahrungen weiter,<br />
demnächst auch im Rahmen des<br />
„Zeitzeugenprojektes“ der Hessischen<br />
Landesregierung*. Welche Rückmeldungen<br />
erhalten Sie dort?<br />
DR. VOGEL: Das ist unterschiedlich.<br />
Es hängt stark davon ab, wie sich die<br />
Lehrer auf die Begegnung vorbereitet<br />
haben. Im Übrigen ist es gut, dass<br />
es viele Zeitzeugen gibt, aber ich<br />
sage den Schülern immer: Zwischen<br />
Zeitzeugen <strong>und</strong> Historikern besteht<br />
eine Spannung, weil Zeitzeugen die<br />
Gespräch in seinem Büro (v.l.): Dr. Bernhard Vogel mit<br />
Gereon Lamers <strong>und</strong> „<strong>Einblick</strong>“-Redakteurin Ulla Rettig<br />
* www.grenzen-überwinden.de
16 | 17<br />
EINBLICK<br />
REISETAGEBUCH: ESELWANDERN IN DER UCKERMARK<br />
Eine tierische Therapie<br />
Wie groß ist Ihrer Meinung nach die Solidarität im<br />
vereinigten Deutschland?<br />
DR. VOGEL: Es gibt eine ungewöhnliche Vielzahl<br />
von Engagements. Viel mehr als <strong>zu</strong> unserer Zeit.<br />
Das bew<strong>und</strong>ere ich. Besonders die junge Generation<br />
kümmert sich viel häufiger um Dinge, um die<br />
wir uns nie gekümmert hätten. Vor Kurzem habe<br />
ich einen Studenten getroffen, der in Marburg die<br />
„Tafel“ organisiert für Leute, die nichts <strong>zu</strong> essen<br />
haben. Ein anderer gibt Kindern von Migranten<br />
Deutschunterricht. Die Sensibilität der jungen Generation<br />
ist also größer, merkwürdigerweise aber<br />
nur in bestimmten Themenbereichen. Wenn irgendwo<br />
in der Welt eine Katastrophe passiert, ist<br />
die Spendenbereitschaft in Deutschland überdurchschnittlich<br />
groß. Wenn aber in einer Gemeinde<br />
ein neuer Bürgermeister gewählt werden<br />
muss, interessieren sich plötzlich nur 30 Prozent<br />
dafür.<br />
Gibt es ein b<strong>und</strong>esdeutsches Wir-Gefühl?<br />
DR. VOGEL: Ja, selbstverständlich. Weil wir <strong>zu</strong>m<br />
ersten Mal in unserer Geschichte mit uns selbst<br />
im Reinen sind. Es gibt keine Grenze Deutschlands<br />
mehr, an der ein Nachbar einen Gebietsanspruch<br />
erhebt oder an der wir einen Gebietsanspruch<br />
erheben. Wir sind insgesamt mit unserer<br />
Staatsform <strong>zu</strong>frieden.<br />
Wie groß sind die Unterschiede zwischen den Ländern<br />
in Deutschland heute?<br />
DR. VOGEL: 1989 war die wirtschaftliche Situation<br />
in der ganzen DDR sehr ähnlich. Heute unterscheidet<br />
sich Mecklenburg-Vorpommern von<br />
Thüringen genau so stark wie Rheinland-Pfalz<br />
von Niedersachsen oder Schleswig-Holstein. Das<br />
ist auch ganz in Ordnung so <strong>–</strong> schon deshalb, weil<br />
die Traditionen, die Vorausset<strong>zu</strong>ngen ganz andere<br />
sind. Thüringen besitzt den Vorteil, in der Mitte<br />
Deutschlands <strong>und</strong> in der Mitte Europas <strong>zu</strong> liegen.<br />
Das trifft auf kein anderes Land in diesem Ausmaß<br />
<strong>zu</strong>.<br />
Eine Langfassung des Interviews finden Sie<br />
unter www.b<strong>und</strong>esrat.de/interview-vogel<br />
oder über diesen QR-Code:<br />
Juni in der brandenburgischen Uckermark: Links <strong>und</strong> rechts<br />
erstrecken sich Felder, auf denen Mohn, Kornblumen <strong>und</strong> wilde<br />
Kamille in voller Blüte stehen. Es ist ein Farbenmeer, durch das<br />
sich der Besucher dem Hof von Katrin van Zwoll in Suckow<br />
nähert. Nicht viele Menschen leben in dieser Gegend. Wer<br />
Abstand gewinnen will vom stressigen Alltag, der ist hier richtig<br />
<strong>–</strong> <strong>und</strong> wird Entspannung in den kommenden Tagen „auf die<br />
harte Tour“ lernen. Zumindest wenn er eine mehrtägige Eselwanderung<br />
bei Katrin van Zwoll, Chefin von „Celine Aktiv Reisen“,<br />
gebucht hat. Die Tiere tragen zwar das Gepäck des Wanderers,<br />
lassen sich aber weder drängen noch hetzen. Schieben <strong>und</strong> zerren<br />
helfen nicht. „Der Esel ist wie er ist“, sagt van Zwoll lachend.<br />
„Der lässt sich nicht ändern. Also müssen sich die Menschen<br />
anpassen. Und das fällt ihnen unterschiedlich schwer.“ Das junge<br />
Paar, das die 48-Jährige gerade mit zwei Tieren bekannt macht,<br />
ist noch optimistisch <strong>und</strong> hört sich an, was die frühere Geschäftsfrau<br />
aus Berlin <strong>zu</strong> sagen hat. „Esel sind ja vielschichtige Charaktere“,<br />
erklärt sie, <strong>und</strong> mit jedem sei anders um<strong>zu</strong>gehen. Deswegen<br />
stelle sie jedes Tier einzeln vor. „Die Olivia hier <strong>zu</strong>m Beispiel ist<br />
eine Diva. Die weiß, was sie will.“ Olivia wird in den kommenden<br />
drei Tagen der Leitesel des Paares sein, Esmeralda hingegen<br />
das Lasttier. Los geht es, runter vom Hof, den Weg entlang. Zehn<br />
Kilometer liegen an diesem Tag vor der kleinen Gruppe, bis <strong>zu</strong>r<br />
ersten Unterkunft. Doch schon nach 30 Minuten: Zwangspause.<br />
Esmeralda will grasen. Das Paar steht etwas hilflos daneben. Zu<br />
akzeptieren, dass es in diesem Moment nichts tun kann, fällt erst<br />
einmal schwer. „Die meisten brauchen r<strong>und</strong> eineinhalb Tage, bis<br />
sie sich daran gewöhnt haben“, so van Zwoll. Erst dann können<br />
sie entspannen <strong>und</strong> die Wanderung genießen. Die Inhaberin<br />
vergleicht das mit einer Therapie: „Die Esel klatschen einen erst<br />
einmal an die Wand <strong>–</strong> <strong>und</strong> bauen ihren neuen Esel-Führer dann<br />
Stück für Stück wieder auf.“
Länderschlaglicht<br />
Bremen<br />
Das Land Bremen war <strong>und</strong> ist seit<br />
Jahrh<strong>und</strong>erten eines von Deutschlands<br />
Toren <strong>zu</strong>r Welt. Davon zeugt<br />
in Bremerhaven das Deutsche<br />
Auswandererhaus. Es erinnert an<br />
die insgesamt 7,2 Millionen Auswanderer,<br />
die von Bremen aus ihr<br />
Glück in Amerika gesucht haben.<br />
Heute haben die Bremer kaum<br />
einen Gr<strong>und</strong>, in die neue Welt <strong>zu</strong><br />
ziehen <strong>–</strong> schließlich leben sie in<br />
einer pulsierenden <strong>und</strong> lebenswerten<br />
Hansestadt, die über eine<br />
Universität verfügt, welche laut einem<br />
aktuellen Ranking <strong>zu</strong> den 100<br />
besten jungen Unis weltweit zählt.<br />
Ein echtes Highlight ist die Bremer<br />
Altstadt mit dem Schnoorviertel,<br />
in dem die hanseatische Pracht<br />
auch heute noch lebendig wird.<br />
Statistische Daten<br />
0,66 Millionen<br />
Einwohner<br />
1622<br />
Baujahr des<br />
Vegesacker Hafens<br />
419 km ²<br />
Fläche<br />
1035<br />
Jahr des ersten<br />
Bremer Freimarkts<br />
Das kleinste B<strong>und</strong>esland bringt jahrh<strong>und</strong>ertealte<br />
Erfahrungen einer freien Stadt<br />
in den <strong>B<strong>und</strong>esrat</strong> ein. Wir wissen, dass<br />
es nur vorangeht, wenn man die Leute<br />
mitnimmt, ohne Rücksicht auf Herkunft<br />
<strong>und</strong> Religion.“<br />
Wussten Sie schon, ...<br />
... dass Bremen als eines der großen<br />
europäischen Zentren für die Luft<strong>und</strong><br />
Raumfahrtindustrie gilt? Mehr<br />
als 12.000 Beschäftigte bauen in 140<br />
Unternehmen <strong>und</strong> Einrichtungen u. a.<br />
Teile der Airbus-Flugzeuge <strong>und</strong> die<br />
Oberstufen der Ariane-Rakete.<br />
Henning Scherf, Bürgermeister <strong>und</strong> Präsident des Senats der<br />
Freien Hansestadt Bremen a.D.<br />
Hamburg<br />
Die „Hamburgensien“ zeugen noch<br />
heute vom Hamburger Streben<br />
nach Eigenständigkeit. Dabei handelt<br />
es sich um typisch hamburgische<br />
Lieder, Bilder <strong>und</strong> Speisen.<br />
Auch die Kaufmannstradition<br />
wurde stets hochgehalten. Die Speicherstadt<br />
mit ihren berühmten<br />
Lagerhäusern zeugt noch heute<br />
davon. Im Juli 2015 wurde sie sogar<br />
<strong>zu</strong>m Unesco-Weltkulturerbe<br />
ernannt. Früher war die Speicherstadt<br />
Teil des Freihafens. Dieser<br />
war bis <strong>zu</strong> seiner Auflösung 2012<br />
zollfreies Gebiet <strong>–</strong> ein wichtiger<br />
Gr<strong>und</strong>stein für die Erfolgsgeschichte<br />
der Hansestadt. Ein Teil dieses<br />
Areals ist der Kleine Grasbrook.<br />
Hier sollen bei einer erfolgreichen<br />
Bewerbung<br />
Spielstätten für<br />
die Olympischen<br />
Spiele 2024 entstehen.<br />
Wo, wenn nicht in Hamburg,<br />
kann man mitten in<br />
der Stadt segeln gehen, sich<br />
von Musicals verzaubern<br />
lassen, auf unzähligen<br />
Märkten bummeln <strong>und</strong> sich<br />
ganz <strong>und</strong> gar hanseatisch<br />
fühlen?“<br />
Eva Habermann, Schauspielerin<br />
Statistische Daten<br />
1,7 Millionen<br />
Einwohner<br />
755 km ²<br />
Fläche<br />
24 Meter<br />
Umfang der Zifferblätter<br />
am „Michel“<br />
145 Millionen<br />
Tonnen Seegüterumschlag<br />
Wussten Sie schon, ...<br />
… dass Hamburg die meisten Brücken<br />
Europas hat? Mit 2.500 Überführungen<br />
über Elbe, Alster <strong>und</strong> viele kleinere<br />
Flüsse hat die Hansestadt sogar<br />
mehr Brücken <strong>zu</strong> bieten als Amsterdam<br />
<strong>und</strong> Venedig <strong>zu</strong>sammen.
18 | 19<br />
EINBLICK<br />
Zurück <strong>zu</strong> den<br />
WURZE<br />
Deutschland 1990 <strong>und</strong> 2015 <strong>–</strong> ein Land <strong>und</strong> doch zwei ganz unterschiedliche<br />
Gesellschaften. Wir leben bewusster <strong>und</strong> ökologisch<br />
nachhaltiger als noch vor 25 Jahren. Neue Trends in Sachen Lifestyle<br />
<strong>und</strong> Ernährung bestimmen unser Leben. Wir suchen nach<br />
Entschleunigung statt Hektik. Doch unsere Gesellschaft steht auch<br />
vor Herausforderungen: So war beispielsweise der demografische<br />
Wandel <strong>zu</strong>r Wende in diesem Ausmaß noch nicht absehbar.
LN<br />
Neue Lebenswelten
20 | 21<br />
EINBLICK<br />
Erdbeeren, Tomaten, Kräuter: Noch sind<br />
von den Pflanzen in den grauen Plastiktöpfen<br />
nur grüne Setzlinge <strong>zu</strong> sehen.<br />
„Aber das wird schon noch“, sagt Katja. Die<br />
31-Jährige stammt aus Enger, einer Kleinstadt in<br />
Nordrhein-Westfalen. Ende vergangenen Jahres<br />
haben sie <strong>und</strong> ihr Mann die neue Wohnung bezogen<br />
<strong>–</strong> endlich eine mit Balkon. Zum ersten Mal<br />
baut sie hier nun selbst ein wenig Obst <strong>und</strong> Gemüse<br />
an. „Viel ist es ja nicht“, sagt sie, „aber ich habe<br />
Spaß daran. Und wenn es funktioniert, pflanzen<br />
wir nächstes Jahr noch ein bisschen mehr an.“<br />
URBAN GARDENING: ALLES GRÜN<br />
Ernte im Hochbeet: Immer mehr Menschen<br />
pflanzen selbst Obst <strong>und</strong> Gemüse an.<br />
Obst <strong>und</strong> Gemüse im Eigenanbau: Vor allem in der<br />
früheren DDR war das gang <strong>und</strong> gäbe. Später <strong>und</strong><br />
noch bis vor wenigen Jahren haftete dieser Art der<br />
Selbstversorgung dann ein Hauch von Spießigkeit<br />
an <strong>–</strong> doch jetzt lebt die Tradition wieder auf. Heute<br />
sind Katja <strong>und</strong> ihr Mann Teil einer Trendbewegung,<br />
die nicht zwingend das Beet im Garten des<br />
eigenen Einfamilienhauses bewirtschaftet. Auch<br />
auf den Brachflächen <strong>und</strong> Hochhausdächern der<br />
Großstädte entstehen Gemeinschaftsgärten, in<br />
denen jeder ein paar Quadratmeter pachten kann.<br />
Und selbst auf Grünstreifen am Straßenrand<br />
wachsen plötzlich Wildblumen. Wer sät, wird hoffentlich<br />
auch ernten <strong>–</strong> egal wo.<br />
Urban Gardening (Urbaner Gartenbau) ist der<br />
Überbegriff für diese Bewegung, bei der Menschen<br />
den freien Raum einer Großstadt in grüne<br />
Oasen verwandeln. Auch Schrebergärten <strong>und</strong><br />
Datschen gelten als eine Form dieses Trends <strong>–</strong> <strong>und</strong><br />
sind sicherlich ebenso gefragt wie das Hochbeet<br />
auf dem Dach. Der Tageszeitung „Die Welt“ <strong>zu</strong>folge<br />
stehen allein in Berlin 12.000 Menschen auf<br />
Wartelisten für einen Kleingarten, doch nur 3.000<br />
lassen pro Jahr ihren Mietvertrag auslaufen. Die<br />
Wartezeit ist entsprechend lang.<br />
Woher kommt diese Rückbesinnung, der Wunsch<br />
nach autarker Selbstversorgung? „Regro<strong>und</strong>ing“<br />
nennen unter anderen die Fachleute des Sozialforschungsinstituts<br />
Sinus Sociovision in Heidelberg<br />
dieses Phänomen, eine Rückbesinnung auf<br />
Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Heimat in einer immer hektischeren<br />
Welt. Das ist eine Erklärung. Jens Krüger,<br />
Managing Director beim Meinungsforschungsinstitut<br />
TNS Infratest <strong>und</strong> Mitverfasser des „Werte-Index“,<br />
hat noch eine andere: „Es handelt sich<br />
hierbei um etwas Neues“, sagt er, „von Technologie<br />
<strong>und</strong> Digitalisierung getrieben.“<br />
DIE MENSCHEN OPTIMIEREN SICH SELBST<br />
Der Trend <strong>zu</strong>m Gärtnern bildet nur einen Aspekt<br />
einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung. Wir<br />
Deutschen wollen es heute möglichst ges<strong>und</strong>,<br />
möglichst nachhaltig haben <strong>–</strong> das gab es so noch<br />
nie. Wer sein Obst <strong>und</strong> Gemüse nicht selber züchtet,<br />
legt immer stärker Wert auf biologischen Anbau<br />
<strong>und</strong> regionale Herkunft. Wir treiben Sport,<br />
begleitet <strong>und</strong> gecoacht durch Fitness-Uhren oder<br />
Apps auf unseren Smartphones. Wir testen neue<br />
Ernährungskonzepte wie Paläo oder Low Carb.<br />
Immer mehr Menschen leben vegetarisch oder<br />
vegan <strong>–</strong> oder reduzieren ihren Fleischkonsum er-
Neue Lebenswelten<br />
So hat der Osten den Westen inspiriert<br />
Kinderbetreuung: Zu DDR-Zeiten überstieg die<br />
Zahl der Kita-Plätze bei Weitem das Angebot in<br />
Westdeutschland. Was das quantitative Angebot<br />
angeht, hatten die östlichen Länder hier also Vorbildcharakter.<br />
Schulsystem: Das Abitur nach zwölf Jahren (G8),<br />
das derzeit in fast allen Ländern Usus ist, gab es<br />
schon in der DDR. Allerdings planen aktuell einige<br />
Länder, mittelfristig wieder <strong>zu</strong>m Abi nach 13 Jahren<br />
(G9) <strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>kehren.<br />
heblich. Zusammengefasst heißt das: Ges<strong>und</strong>heit<br />
<strong>und</strong> Nachhaltigkeit sind den Deutschen immer<br />
wichtiger geworden. Das zeigt auch der Werte-Index<br />
2014 von TNS Infratest: Zum ersten Mal steht<br />
„Ges<strong>und</strong>heit“ auf Platz eins der wichtigsten Werte<br />
<strong>und</strong> hat damit „Freiheit“ von der Spitze verdrängt.<br />
„Nachhaltigkeit“ auf Platz neun taucht <strong>zu</strong>m ersten<br />
Mal überhaupt in den Top Ten auf, <strong>und</strong> „Natur“ ist<br />
von Rang neun auf sechs geklettert.<br />
Jens Krüger vermutet hinter dieser Entwicklung<br />
zwei verschiedene Triebfedern <strong>–</strong> die eine eher<br />
emotional, die andere rational. „Zum einen gibt<br />
es einen starken Trend hin <strong>zu</strong> einem individualisierten<br />
Lebensstil“, erklärt er: Körperkult, ges<strong>und</strong>heitliche<br />
Erholung, ethisches Konsumieren <strong>und</strong><br />
Ernähren in dem Bewusstsein, „nicht auf Kosten<br />
anderer“ weiter wie bisher <strong>zu</strong> machen. Doch<br />
gleichzeitig sei den Menschen bewusst, dass sie<br />
in Sachen Ges<strong>und</strong>heit irgendwann nicht mehr<br />
so stark auf öffentliche Kassen setzen können,<br />
wie sie es heute tun. „Es geht hier also auch um<br />
Selbstoptimierung, darum, für sich selbst Verantwortung<br />
<strong>zu</strong> übernehmen“, so der Forscher. Damit<br />
reagiere die Gesellschaft auch auf den demografischen<br />
Wandel. „Wir müssen länger leisten, länger<br />
fit bleiben“, beschreibt Krüger. „Und wir sind uns<br />
bewusst, dass das soziale Sicherungssystem nicht<br />
mehr so funktioniert wie vor 20 Jahren.“<br />
Hauptsache fit <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>: Die Deutschen<br />
legen heute auf andere Dinge Wert als früher.<br />
WANDEL PRÄGT GESELLSCHAFT<br />
In der Tat stellt der demografische Wandel die<br />
große Herausforderung dar, vor der Deutschland<br />
heute steht. Geburtenrückgang <strong>und</strong> höhere Lebenserwartung:<br />
Die Bevölkerung nimmt ab, das<br />
Verhältnis von Alten <strong>und</strong> Jungen kehrt sich um.<br />
Heute ist jeder fünfte Einwohner älter als 65 Jahre<br />
<strong>–</strong> 2060 soll es jeder dritte sein.* Zwei Folgen von vielen:<br />
weniger Einzahler in die Renten- <strong>und</strong> Krankenkassen,<br />
weniger Fachkräfte <strong>–</strong> auch für die<br />
Pflege, die aufgr<strong>und</strong> des wachsenden Anteils der<br />
Hochbetagten immer stärker nachgefragt wird.<br />
Schon heute formt diese Entwicklung unsere Gesellschaft.<br />
Neue Wohn- <strong>und</strong> Arbeitsformen halten<br />
Ein<strong>zu</strong>g: Mehrgenerationenhäuser <strong>und</strong> Alten-WGs<br />
einerseits, berufliche Auszeit für pflegende Angehörige<br />
(Pflegezeit) oder Heimarbeit andererseits.<br />
Share Economy <strong>–</strong> die Wirtschaft des Teilens <strong>–</strong> gilt<br />
als eines der neuen Schlagworte unserer Zeit,<br />
Carsharing <strong>und</strong> Tauschnetzwerke im Internet<br />
sind dafür nur zwei Beispiele von vielen.<br />
Betrachtet man die regionale Verbreitung dieser<br />
neuen Entwicklungen, tut sich eine neue innerdeutsche<br />
Grenze auf <strong>–</strong> weniger zwischen Ost <strong>und</strong><br />
West als vielmehr zwischen Stadt <strong>und</strong> Land. Denn<br />
gerade ländliche Regionen sind deutlich stärker<br />
vom demografischen Wandel betroffen. Die Jungen<br />
zieht es in die Stadt. Folglich schrumpft die<br />
Bevölkerung auf dem Land schneller, während<br />
»
22 | 23<br />
EINBLICK<br />
der Altersdurchschnitt steigt. Es wird immer schwieriger,<br />
dort eine angemessene Versorgung mit Ärzten, öffentlichen<br />
Verkehrsmitteln oder auch Kultur- <strong>und</strong> Freizeiteinrichtungen<br />
dauerhaft sicher<strong>zu</strong>stellen.<br />
EINHEIT ERHÄLT NEUE DIMENSIONEN<br />
An dieser Stelle tritt die Grenze zwischen der alten B<strong>und</strong>esrepublik<br />
<strong>und</strong> der DDR dann doch wieder offen <strong>zu</strong>tage.<br />
Denn durch den Geburteneinbruch in den östlichen<br />
Ländern nach der Wende <strong>und</strong> den Weg<strong>zu</strong>g vieler junger<br />
Menschen in Richtung Westen liegt der Anteil derer, die<br />
65 Jahre oder älter sind, in Ostdeutschland bei 23 Prozent<br />
<strong>–</strong> drei Prozentpunkte höher als in Westdeutschland. Nur<br />
fast jeder Siebte ist hier jünger als 20 Jahre <strong>–</strong> im Westen ist<br />
es etwa jeder Fünfte.* Der Osten hat also schon heute deutlich<br />
stärker unter den Folgen des demografischen Wandels<br />
<strong>zu</strong> leiden <strong>–</strong> <strong>zu</strong>mindest im Durchschnitt. Denn es gibt<br />
auch Boomregionen: Städte wie Dresden, Weimar, Leipzig<br />
oder auch Berlin wachsen, während ländliche Regionen im<br />
Westen vor ganz ähnlichen Problemen stehen wie die im<br />
Osten. 25 Jahre nach der Wende geht es also weniger um die<br />
Einheit von Ost <strong>und</strong> West. Stadt <strong>und</strong> Land, Alt <strong>und</strong> Jung: Die<br />
deutsche Einheit hat heute neue Dimensionen.<br />
*Quelle: B<strong>und</strong>esinstitut für Bevölkerungsforschung:<br />
„Bevölkerungsentwicklung. Daten, Fakten, Trends <strong>zu</strong>m<br />
demografischen Wandel“ (2013).<br />
REISETAGEBUCH: DOKUMENTATIONSSTÄTTE REGIERUNGSBUNKER<br />
Das geheimste Bauwerk der Bonner Republik<br />
Der Alarm dringt durch Mark <strong>und</strong> Bein. Gelbe Warnleuchten blinken,<br />
als sich 25 Tonnen Stahlbeton zwischen uns <strong>und</strong> die Außenwelt<br />
schieben. Keine zehn Sek<strong>und</strong>en, dann ist der Spuk vorbei:<br />
Der einstige Regierungsbunker im Ahrtal bei Bonn <strong>–</strong> das geheimste<br />
Bauwerk in der Geschichte der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland<br />
<strong>–</strong> ist nun dicht, „atombombensicher“. Ein mulmiges Gefühl<br />
macht sich breit. Über uns an der sichersten Stelle 110 Meter<br />
Überdeckung: Schiefergestein, Erdreich, Bäume <strong>und</strong> Weinreben.<br />
Vor uns: ein schmaler Gang, von dem Räume abzweigen <strong>und</strong> der<br />
an einem Absperrgitter endet. Dahinter führt ein grauer Tunnel<br />
ins Dunkel des Ahrgebirges. Nichts für Menschen mit Platzangst.<br />
Heike Holl<strong>und</strong>er (Foto) wirkt völlig entspannt. Die Museumsleiterin<br />
in der Dokumentationsstätte Regierungsbunker <strong>und</strong> ihre<br />
Mitarbeiter haben seit der Eröffnung 2008 fast 600.000 Besucher<br />
durch die Anlage geführt. Träger ist der örtliche Heimatverein<br />
„Alt-Ahrweiler“. Von 17,3 Kilometern Bunker, die in zwei alten<br />
Eisenbahntunneln eingerichtet wurden, sind noch 203 Meter<br />
<strong>zu</strong>gänglich. Der Rest wurde laut Kabinettsbeschluss ab 2001<br />
<strong>zu</strong>rückgebaut. Ursprünglich hatte die NATO verlangt, dass<br />
Westdeutschland für den Krisenfall einen „Ausweichsitz der Verfassungsorgane<br />
der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland” bereithalten<br />
sollte. Mindestens 4,72 Milliarden D-Mark wurden in den Berg<br />
gesteckt. Dafür hätten dort ab 1965 bis <strong>zu</strong> 3.000 Menschen drei<br />
Wochen lang überleben können. Schließlich ging es im Drohszenario<br />
des „Kalten Krieges” darum, auch nach einem Erstschlag<br />
des Gegners handlungsfähig <strong>zu</strong> bleiben. Alle zwei Jahre simulierten<br />
Mitarbeiter ab 1966 den „Dritten Weltkrieg“: Wochenlang<br />
ließen sie sich einsperren in dem Labyrinth, das unter anderem<br />
aus 936 Schlafräumen, 897 Büro- <strong>und</strong> Konferenzräumen, Kommandozentralen,<br />
Kantinen, einem Friseursalon, Krankenstationen<br />
<strong>und</strong> einem Fernsehstudio bestand.<br />
Nun stehen wir selbst in einer Schaltzentrale. „Wie bei<br />
James Bond oder Raumschiff Enterprise“, findet ein Besucher.<br />
Im Nebenraum verblüfft eine himbeerrote Sitzgruppe<br />
für das Präsidialamt: Die Gattin eines B<strong>und</strong>espräsidenten<br />
mochte die schrillen Möbel ihrer Vorgängerin<br />
nicht. So landete die Einrichtung im Bunker.<br />
Nach anderthalb St<strong>und</strong>en treten wir aus dem zwölf Grad<br />
kalten Tunnel <strong>und</strong> freuen uns über das warme Sonnenlicht<br />
<strong>–</strong> <strong>und</strong> den Rotwein-Wanderweg, der praktischerweise<br />
direkt an der Dokumentationsstätte entlang führt ...<br />
www.dokumentationsstaette-regierungsbunker.eu<br />
* Für den Text hat unsere Mitarbeiterin Ulla Rettig<br />
den Regierungsbunker im Mai 2015 besucht.
Länderschlaglicht<br />
Berlin<br />
Von der Frontstadt im Kalten<br />
Krieg <strong>zu</strong>r Hauptstadt des geeinten<br />
Deutschlands, <strong>zu</strong>m Sitz von Regierung<br />
<strong>und</strong> B<strong>und</strong>estag sowie <strong>–</strong> nach<br />
dem Um<strong>zu</strong>g 2000 <strong>–</strong> <strong>zu</strong>m Sitz des<br />
<strong>B<strong>und</strong>esrat</strong>es: Kaum eine Stadt hat<br />
sich in den vergangenen 25 Jahren<br />
so sehr gewandelt wie Berlin. Vom<br />
früheren Todesstreifen ist heute<br />
kaum noch etwas <strong>zu</strong> sehen, aber<br />
nicht nur die Ampelmännchen zeugen<br />
von vier Jahrzehnten Teilung.<br />
Die Berliner Kulturlandschaft erlebte<br />
durch die Vereinigung eine<br />
neue Blütezeit. Heute zieht sie jedes<br />
Jahr Zehntausende junge Menschen<br />
aus aller Welt an. Sie haben Berlin<br />
<strong>zu</strong> einer der kreativsten Städte<br />
Europas gemacht <strong>–</strong> <strong>und</strong> <strong>zu</strong> einer<br />
der vielfältigsten: Die Einwohner<br />
Berlins kommen aus mehr als<br />
180 Staaten.<br />
Statistische Daten<br />
3,4 Millionen<br />
Einwohner<br />
160 km<br />
Länge der Berliner<br />
Mauer <strong>zu</strong> DDR-Zeiten<br />
70 Millionen<br />
Zahl der pro Jahr verzehrten<br />
Currywürste<br />
892 km ²<br />
Fläche<br />
Berlin ist weit mehr als ‚nur‘ unsere<br />
Hauptstadt. Berlin ist Lebensgefühl,<br />
eine pulsierende Kulturmetropole,<br />
in der jeder seinen Platz findet.“<br />
Alexandra Neldel, Schauspielerin<br />
Wussten Sie schon, ...<br />
... dass Berliner Busfahrer jeden<br />
Tag mehrmals um die Welt fahren?<br />
Die r<strong>und</strong> 1.300 Busse der Berliner<br />
Verkehrsbetriebe (BVG) legen jeden<br />
Tag mehr als 300.000 Kilometer<br />
<strong>zu</strong>rück. Das entspricht siebeneinhalb<br />
Erdumr<strong>und</strong>ungen.<br />
Statistische Daten<br />
Brandenburg<br />
Auch wenn das Land Brandenburg<br />
erst etwa 25 Jahre alt ist, hat es die<br />
Geschichte Deutschlands über<br />
Jahrh<strong>und</strong>erte geprägt. Die Mark<br />
Brandenburg war der Kern des<br />
späteren Preußens, unter dessen<br />
Führung 1871 das Deutsche Reich<br />
entstand. Viele Schlösser zeugen<br />
noch heute von der Pracht der<br />
Hohenzollern-Dynastie <strong>–</strong> allen voran<br />
natürlich Schloss Sanssouci,<br />
die Sommerresidenz König Friedrichs<br />
des Großen. Natürlich ruhen<br />
sich die Brandenburger nicht auf<br />
alten Erfolgen aus: So ist etwa Potsdam<br />
ein führendes europäisches<br />
Zentrum für Biotechnologie. Über<br />
160 Unternehmen entwickeln hier<br />
neue Verfahren <strong>und</strong> Anwendungen<br />
für Medizin, Landwirtschaft<br />
<strong>und</strong> Industrie.<br />
Brandenburg <strong>–</strong> da denke<br />
ich an Innovation <strong>und</strong><br />
Tradition, Engagement <strong>und</strong><br />
Bodenständigkeit <strong>und</strong> an<br />
zauberhafte Motive für<br />
unsere Filmproduktionen.“<br />
Dr. Carl Woebcken,<br />
Vorstandsvorsitzender<br />
Studio Babelsberg AG<br />
2,4 Millionen<br />
Einwohner<br />
250 km<br />
Außengrenze <strong>zu</strong> Polen<br />
Potsdam<br />
Hauptstadt<br />
29.654 km ²<br />
Fläche<br />
Wussten Sie schon, ...<br />
… dass Brandenburg deutschlandweit<br />
führend beim Ausbau der erneuerbaren<br />
Energien ist? Das Land deckt<br />
knapp die Hälfte seines Nettostrombedarfes<br />
aus seinen mehr als 3.000<br />
Windkraftanlagen. Auch bei der Anlagenherstellung<br />
gehört Brandenburg<br />
<strong>zu</strong> den führenden Ländern.
24 | 25<br />
EINBLICK<br />
Total<br />
Fast jede Werbung für Internet <strong>und</strong> Telefonie hat es <strong>zu</strong>m<br />
Thema <strong>und</strong> ebenso fast jeder Medienbericht über die<br />
Kommunikation im Jahr 2015: Deutschland ist vernetzt<br />
<strong>–</strong> in allen Lebensbereichen. Nichts hat Gesellschaft,<br />
Wirtschaft <strong>und</strong> Politik in den vergangenen Jahren so<br />
stark verändert wie die fortschreitende Digitalisierung.<br />
Ein Ende ist nicht in Sicht.<br />
DIGITAL
Deutschland 4.0<br />
Im Jahr 1989 war Kommunikation noch anders.<br />
Von den Haushalten der früheren DDR hatte<br />
nicht einmal jeder fünfte ein Telefon, Ferngespräche<br />
klappten häufig nicht. Im Westen wiederum<br />
trat in den späten 1980er-Jahren die Telefonkarte<br />
ihren Sieges<strong>zu</strong>g an <strong>–</strong> <strong>und</strong> auch im Osten<br />
entwickelte sie sich nach der Wende <strong>zu</strong>m ständigen<br />
Begleiter im Portemonnaie. Heute können<br />
solche Karten nur noch Sammler begeistern. Und<br />
Telefonzellen in den Innenstädten haben längst<br />
Seltenheitswert. Beides wurde mehr oder weniger<br />
abgelöst: durch Handys, Smartphones, Tablets, das<br />
Internet. 77,2 Prozent der Deutschen gehen laut<br />
ARD-ZDF-Onlinestudie <strong>zu</strong>mindest gelegentlich<br />
online <strong>–</strong> im Jahr 2000 waren es gerade mal 28,6<br />
Prozent.<br />
All diese neuen Technologien bestimmen heute<br />
unser Leben. Jeder kann r<strong>und</strong> um die Uhr online<br />
sein, im Netz surfen <strong>und</strong> Nachrichten verschicken.<br />
In sozialen Netzwerken wie Facebook teilen<br />
die Nutzer ihren Fre<strong>und</strong>en mit, wo sie gerade<br />
sind <strong>und</strong> was sie gerade tun. Sie posten Bilder vom<br />
Abendessen oder teilen spannende Nachrichtenartikel<br />
innerhalb der Netzgemeinde. Die Menschen<br />
kommunizieren in Echtzeit, jederzeit <strong>und</strong><br />
überall.<br />
„Die Kommunikationsbreite <strong>und</strong> -intensität hat<br />
extrem <strong>zu</strong>genommen“, erklärt Dr. Bernhard Rohleder,<br />
Hauptgeschäftsführer des Branchenverbandes<br />
Bitkom. „Vor 25 Jahren kostete ein Telefonat<br />
nach Übersee Unsummen. Heute halten wir<br />
durch Bildtelefonie <strong>–</strong> <strong>zu</strong>m Teil kostenlos <strong>–</strong> übers<br />
Internet Kontakt mit den Verwandten in Australien.<br />
Das ist eine tolle Entwicklung.“<br />
WILLKOMMEN IN DER ALL-IP-WELT<br />
Doch die Kommunikation ist nur ein kleiner<br />
Aspekt von etwas viel Größerem <strong>–</strong> der Digitalisierung,<br />
die alle Lebensbereiche verändert. „Wir<br />
leben in einer Welt, in der alles ‚Internet wird‘“,<br />
sagt Rohleder. Er hat auch einen Namen dafür:<br />
„All-IP-Welt“ nennen Fachleute dieses Szenario,<br />
die Abkür<strong>zu</strong>ng „IP“ steht dabei für Internet-Protokoll.<br />
Alles wird digital, alles vernetzt sich, alles<br />
kommuniziert mit dem <strong>und</strong> über das Internet.<br />
„Pflege, Mobilität, Sicherheit, das Bildungssystem<br />
oder die Entbürokratisierung: Die Digitalisierung<br />
bietet große Chancen“, zählt der Bitkom-Chef auf.<br />
Stichwort Landflucht <strong>und</strong> demografischer Wandel:<br />
Der Entvölkerung des ländlichen Raums werde<br />
man nur dann begegnen können, wenn auch<br />
dort die Chancen der Digitalisierung genutzt<br />
werden. „Wir müssen virtuell das <strong>zu</strong> den Men- »
26 | 27<br />
EINBLICK<br />
schen bringen, was physisch nicht mehr vor Ort<br />
ist <strong>–</strong> etwa den Hausarzt.“ Denn gerade ländliche<br />
Regionen leiden unter dem Hausärztemangel.<br />
Mediziner, die in Rente gehen, finden nur schwer<br />
einen Nachfolger für ihre Praxis. Die Digitalisierung<br />
könne diese Entwicklung entschärfen<br />
<strong>–</strong> denn mittlerweile sei mehr möglich als die Online-Sprechst<strong>und</strong>e.<br />
Beispielsweise lasse sich die<br />
Zusammenstellung der Medikamente online an<br />
den jeweiligen Ges<strong>und</strong>heits<strong>zu</strong>stand des Patienten<br />
anpassen. „Man kann nicht alles ersetzen“, so Rohleder,<br />
„aber einiges.“<br />
Diese allumfassende Digitalisierung wird in der<br />
öffentlichen Diskussion gerne durch einen kleinen<br />
Zahlen-Zusatz auf einen Nenner gebracht:<br />
„4.0“. Industrie 4.0, Mobilität 4.0, Deutschland 4.0:<br />
Als erstes tauchte vor einigen Jahren der Begriff<br />
„Industrie 4.0“ auf. In der sogenannten „intelligenten<br />
Fabrik“ verschmelzen Produktions- mit<br />
IT-Technologien.<br />
Fachleute wie<br />
Rohleder drücken<br />
das so aus:<br />
„Es handelt sich<br />
um die Organisation<br />
von<br />
Onlinestudie <strong>zu</strong>mindest gelegentlich<br />
online. Im Jahr 2000 war es nur etwas Fertigungsprozessen<br />
über<br />
mehr als jeder vierte B<strong>und</strong>esbürger.<br />
Unternehmensgrenzen<br />
hinweg,<br />
voll automatisiert, mit dem Internet.“ In der Praxis<br />
merkt das System dann beispielsweise, wenn<br />
Bauteile fehlen <strong>und</strong> bestellt sie direkt online<br />
beim Hersteller <strong>–</strong> ohne dass der Mensch eingreifen<br />
muss. Oder eine neu produzierte Schraube<br />
erkennt selbst, dass sie noch einmal verzinkt werden<br />
muss. Rohleder: „Jedes Bauteil lässt sich genau<br />
identifizieren <strong>und</strong> erhält gleichzeitig die Fähigkeit<br />
<strong>zu</strong> kommunizieren.“<br />
77,2 %<br />
der Deutschen gehen laut ARD-ZDF-<br />
Natürlich bringt diese Entwicklung auch Risiken<br />
mit sich <strong>–</strong> gerade mit Blick auf den Missbrauch<br />
von Daten. In der digitalen Welt sei das die größte<br />
Herausforderung, so der Bitkom-Chef: „Wie sorge<br />
ich dafür, dass meine sensiblen Daten verwendet<br />
werden, um mir <strong>zu</strong> helfen, aber nicht missbraucht<br />
werden können?“, fragt er. Hier sei <strong>zu</strong>m einen der<br />
Gesetzgeber in der Pflicht. Zum anderen glaubt<br />
Rohleder an die digitalen Möglichkeiten: „Die Sicherheit,<br />
die wir in der virtuellen Welt erreichen<br />
können, geht deutlich über die in der analogen<br />
Welt hinaus“, sagt er. „Es gibt auch im realen Leben<br />
Einbrüche <strong>und</strong> Unfälle, <strong>und</strong> die Kommunikation<br />
per Brief <strong>und</strong> Fax ist ebenfalls alles andere als sicher.<br />
In dieser Hinsicht können wir in der virtuellen<br />
Welt deutlich mehr leisten. Die Frage ist, ob es<br />
genutzt wird <strong>–</strong> <strong>zu</strong>m Beispiel die Verschlüsselung<br />
von E-Mails.“<br />
DIGITALEN WANDEL GESTALTEN<br />
Ohne Zweifel: Die Digitalisierung hat das Land in<br />
den vergangenen 25 Jahren geprägt wie keine andere<br />
technologische Entwicklung. Und so dürfte<br />
es auch in Zukunft weitergehen. Rohleder wagt<br />
einen Blick in die technologische Kristallkugel:<br />
„In 25 Jahren reden wir vom ‚Smart Anything‘, bei<br />
dem alles, was uns umgibt, eine Intelligenz besitzt,<br />
kommunizieren kann <strong>und</strong> über das Internet<br />
miteinander vernetzt ist.“ Ob Befürworter oder<br />
Kritiker der Digitalisierung: Aufhalten lässt sich<br />
diese Entwicklung nicht. „Letztlich führt kein<br />
Weg daran vorbei“, so Rohleder. „Die Frage ist deswegen:<br />
Wie gestalten wir sie?“
Länderschlaglicht<br />
Sachsen-Anhalt<br />
Statistische Daten<br />
Ähnlich wie Rheinland-Pfalz war<br />
auch Sachsen-Anhalt ein Macht<strong>und</strong><br />
Kulturzentrum im Heiligen<br />
Römischen Reich Deutscher Nationen.<br />
Viele Bauwerke aus der damaligen<br />
Zeit, darunter die Dome<br />
in Magdeburg <strong>und</strong> Halberstadt,<br />
sind noch erhalten <strong>und</strong> machen<br />
Sachsen-Anhalt <strong>zu</strong>m Land mit der<br />
höchsten Dichte an Unesco-Weltkulturerben.<br />
Später wurde es Teil<br />
der preußischen Provinz Sachsen<br />
<strong>und</strong> entwickelte sich dank Landwirtschaft<br />
<strong>und</strong> Bergbau <strong>zu</strong> einem<br />
wichtigen Wirtschaftszentrum.<br />
Davon zeugen heute die Altstädte<br />
in vielen Orten, die mit beeindruckenden<br />
Fachwerkhäusern<br />
<strong>und</strong> Kirchen das Bild von Sachsen-<br />
Anhalt prägen.<br />
2,2 Millionen<br />
Einwohner<br />
1.141m<br />
Höhe des Brockens<br />
Magdeburg<br />
Hauptstadt<br />
20.452 km ²<br />
Fläche<br />
Die Menschen in Sachsen-Anhalt sind<br />
ideenreich <strong>und</strong> freiheitsbewusst. So<br />
unterschiedlich sie sein mögen, eines<br />
haben sie gemeinsam: Sie sind geradeheraus<br />
<strong>und</strong> haben ein großes Herz.“<br />
Wussten Sie schon, ...<br />
... dass die berühmte Hexe Bibi<br />
Blocksberg ihren Namen vom Brocken<br />
hat? Der höchste Berg Norddeutschlands<br />
wird auch „Blocksberg“ genannt.<br />
Hier sollen der Sage nach die Hexen<br />
jedes Jahr <strong>zu</strong>r Walpurgisnacht ein<br />
großes Fest veranstaltet haben.<br />
Hans-Dietrich Genscher, B<strong>und</strong>esminister a. D.<br />
Statistische Daten<br />
Niedersachsen<br />
Wattenmeer, Harz <strong>und</strong> Heide: Niedersachsen<br />
ist ein Land zwischen<br />
Bergen <strong>und</strong> Stränden <strong>und</strong> flächenmäßig<br />
das zweitgrößte Land (nach<br />
Bayern). Hier wird <strong>zu</strong>dem das reinste<br />
Hochdeutsch gesprochen <strong>–</strong> <strong>zu</strong>mindest<br />
in der Landeshauptstadt<br />
Hannover. Ansonsten leben überall<br />
in Niedersachsen auch „Platsnacker“<br />
<strong>und</strong> die sprechen „Plattdüütsch“.<br />
Niedersachsens Landwirtschaft ist<br />
äußerst erfolgreich <strong>und</strong> Marktführer<br />
in vielen Bereichen. Gleichzeitig<br />
ist das Land aber auch Sitz<br />
des größten Automobilherstellers<br />
Europas. In der Landeshauptstadt<br />
Hannover finden <strong>zu</strong>dem alljährlich<br />
große Messen statt, etwa die<br />
weltgrößte Computermesse Cebit.<br />
Liebenswerte<br />
Vielfalt:<br />
Von<br />
hochdeutschen<br />
Hannoveranern <strong>und</strong><br />
ihrer Hochkultur bis <strong>zu</strong> den<br />
Fehntjern in Ostfriesland,<br />
die so melancholisch sind<br />
<strong>und</strong> deren Witz dennoch so<br />
platt wie das Land ist.“<br />
Annie Heger, Autorin <strong>und</strong> Sängerin<br />
aus Ostfriesland<br />
7,8 Millionen<br />
Einwohner<br />
496.000 m²<br />
Überdachte Fläche des<br />
Messe geländes Hannover<br />
Hannover<br />
Hauptstadt<br />
47.614 km ²<br />
Fläche<br />
Wussten Sie schon, ...<br />
… dass in Niedersachsen das größte<br />
Schützenfest der Welt gefeiert wird?<br />
Es findet seit dem 15. Jahrh<strong>und</strong>ert in<br />
der ersten Juliwoche in der Landeshauptstadt<br />
Hannover statt <strong>–</strong> mehr als<br />
eine Million Besucher kommen jedes<br />
Jahr. Auch der Schützenmarsch mit<br />
mehr als 10.000 Teilnehmern <strong>und</strong> einer<br />
Länge von zwölf Kilometern toppt<br />
alle Rekorde.
28 | 29<br />
EINBLICK<br />
Bruttoinlandsprodukt der Länder (in Mrd. Euro)<br />
600<br />
500<br />
400<br />
300<br />
200<br />
100<br />
0<br />
Baden-Württemberg<br />
231<br />
438<br />
Bayern<br />
253<br />
522<br />
Berlin<br />
66<br />
117<br />
Brandenburg<br />
20<br />
62<br />
Bremen<br />
19<br />
30<br />
Hamburg<br />
60<br />
103<br />
Hessen<br />
145<br />
250<br />
Mecklenburg-Vorpommern<br />
14<br />
38<br />
Quelle: Statistisches B<strong>und</strong>esamt/Arbeitskreis „Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung der Länder“. Aufgr<strong>und</strong> der Revision 2014 der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung<br />
Ost-Wirtschaft wächst langsam,<br />
ABER STETIG<br />
Als die DDR 1990 den Beitritt <strong>zu</strong>r B<strong>und</strong>esrepublik beschloss, war allen klar,<br />
dass es ein langer Weg bis <strong>zu</strong>r vollständigen Wiedervereinigung werden würde.<br />
Vor allem aus ökonomischer Sicht, denn Ost <strong>und</strong> West brachten gänzlich andere<br />
Vorausset<strong>zu</strong>ngen mit. Auch 2015 treten hier noch die größten Unterschiede <strong>zu</strong>tage.<br />
Arbeitslosenquote der Länder (in Prozent)<br />
20<br />
15<br />
10<br />
5<br />
0<br />
Baden-Württemberg<br />
3,7<br />
4,4<br />
Bayern<br />
4,4<br />
4,3<br />
Berlin<br />
10,6<br />
13,2<br />
Brandenburg<br />
10,3<br />
10,5<br />
Bremen<br />
10,7<br />
12,2<br />
Hamburg<br />
8,7<br />
8,7<br />
Hessen<br />
5,1<br />
6,5<br />
Mecklenburg-Vorpommern<br />
12,5<br />
12,2<br />
Quelle: B<strong>und</strong>esagentur für Arbeit, Nürnberg
Die wirtschaftliche Entwicklung<br />
1991<br />
2014<br />
Niedersachsen<br />
140<br />
1991<br />
2014<br />
Niedersachsen<br />
8,1<br />
Nordrhein-Westfalen<br />
7,9<br />
Rheinland-Pfalz<br />
5,4<br />
Saarland<br />
8,6<br />
Sachsen<br />
9,1<br />
Sachsen-Anhalt<br />
10,3<br />
Schleswig-Holstein<br />
7,3<br />
Thüringen<br />
10,2<br />
254<br />
Nordrhein-Westfalen<br />
371<br />
Rheinland-Pfalz<br />
74<br />
Saarland<br />
21<br />
Sachsen<br />
36<br />
Sachsen-Anhalt<br />
20<br />
Schleswig-Holstein<br />
50<br />
Thüringen<br />
17<br />
Aufbau Ost“ lautet das Motto, unter dem das<br />
„<br />
wirtschaftliche Zusammenwachsen der beiden<br />
deutschen Staaten stand. Die DDR-Planwirtschaft<br />
lag 1990 am Boden. In den Jahren nach der<br />
Wende flossen Milliarden an Subventionen in die ostdeutschen<br />
Länder. Doch die Entwicklung verlief nicht einfach.<br />
Noch heute liegt die Arbeitslosenquote in Ostdeutschland<br />
teils deutlich über der im Westen, die Löhne sind niedriger,<br />
ebenso das Bruttoinlandsprodukt (BIP) (siehe Grafiken).<br />
Das sind die nackten Zahlen. Doch aus Sicht des<br />
Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln reicht<br />
dieser Blickwinkel nicht aus. „Wer die ökonomische Entwicklung<br />
in den neuen Ländern nur durch die BIP-Brille<br />
betrachtet, sieht nicht das ganze Bild“, teilte das Institut<br />
bei der Vorstellung seines neu entwickelten „IW-Einheitsindexes“<br />
anlässlich des 25. Jahrestags des Mauerfalls mit.<br />
„Es geht wirtschaftlich langsam, aber stetig bergauf.“<br />
Zwar betrage die Wirtschaftsleistung in Ostdeutschland,<br />
also das nominale BIP pro Einwohner, nur 67 Prozent des<br />
Westniveaus. Der „Einheitsindex“ sei jedoch sukzessive<br />
auf einen Wert von 74 Prozent des Durchschnitts der<br />
West-Länder geklettert. In ihn fließen neben der Wirtschaftsleistung<br />
auch Werte wie Produktivität, Kapitalstock,<br />
die Erwerbsbeteiligung oder die Quote bei Arbeitslosen<br />
<strong>und</strong> Selbstständigen ein. Und da hat Ostdeutschland<br />
insgesamt deutlich aufgeholt. Auch wenn große Euphorie<br />
vielleicht noch fehl am Platze ist: Der Aufbau Ost befindet<br />
sich auf einem guten Weg.<br />
7,2<br />
9,1<br />
6<br />
7,8<br />
9,9<br />
11,6<br />
7,6<br />
8,6<br />
128<br />
34<br />
109<br />
56<br />
84<br />
54<br />
625<br />
wird das BIP heute anders ermittelt als noch 1991 (vorerst rückwirkend bis 2000).
30 | 31<br />
EINBLICK<br />
Ein Künstler-Leben<br />
Schauspieler Armin Mueller-Stahl<br />
<strong>und</strong> seine Frau Gabriele leben heute<br />
in Deutschland <strong>und</strong> den USA.<br />
Kultur verbindet. Nach dem Fall der Berliner<br />
Mauer freuten sich die Menschen in beiden<br />
deutschen Staaten über eine gemeinsame<br />
Identität, die es auf politischer Ebene über<br />
Jahrzehnte nicht geben durfte.<br />
Das 84-jährige Multitalent in seinem Atelier.<br />
Hier malt, schreibt <strong>und</strong> musiziert er.<br />
Verbindend wirkten Sprache, Geschichte <strong>und</strong> Tradition.<br />
Doch auch die „Ost-West-Wanderung“ von<br />
Intellektuellen sowie Radio, Fernsehen <strong>und</strong> andere<br />
Medien hatten bereits während der Teilung<br />
für ein besseres Verständnis der „anderen Seite“ gesorgt.<br />
Dennoch gab es kulturelle Unterschiede. So sprach der<br />
Dramatiker Heiner Müller von einer „Qualität der Verlangsamung“<br />
im Osten. Man konnte sich einfach besser auf<br />
eine Sache konzentrieren. Nach der Wende erlebten viele<br />
Ostdeutsche auch einen „Kulturschock“ in der westlichen<br />
Konsumgesellschaft.<br />
Wie haben Künstler die „alten“ Zeiten <strong>und</strong> das wiedervereinigte<br />
Deutschland erlebt? Eine pauschale Antwort darauf<br />
gibt es nicht. „<strong>Einblick</strong>“ befragte da<strong>zu</strong> Armin Mueller-Stahl,<br />
einen Schauspieler von Weltrang, der sowohl durch seine<br />
künstlerische Vielseitigkeit auffällt als auch durch seine<br />
Erfahrungen in den verschiedenen politischen Systemen<br />
in Deutschland: Der 84-Jährige wurde zweimal für einen<br />
Oscar nominiert. Mit seinen Malereien, Lithografien <strong>und</strong><br />
Zeichnungen hat er sich seit 2001 <strong>zu</strong>sätzlich einen Namen<br />
gemacht. Er schrieb Bücher <strong>und</strong> wäre als studierter Musiker<br />
gern Dirigent geworden. Geboren im Dezember 1930 im<br />
ostpreußischen Tilsit, lebte er später in der DDR. Er brach<br />
mit dem System <strong>und</strong> siedelte 1979 in die B<strong>und</strong>esrepublik<br />
über. Nach der Wende zog es seine Frau Gabriele <strong>und</strong> ihn<br />
auch in die USA. Seither pendelt er zwischen dem wiedervereinigten<br />
Deutschland <strong>und</strong> Kalifornien.*
Kultur verbindet<br />
Herr Mueller-Stahl, sind Sie ein politischer Mensch?<br />
Armin Mueller-Stahl: Im Gr<strong>und</strong>e genommen bin<br />
ich ein unpolitischer Zeitgenosse. Aber ich lebe in<br />
einer Welt, die mich politisch hat werden lassen.<br />
Das war in der DDR so, <strong>und</strong> das ist auch heute der<br />
Fall. Mich interessieren die großen Zusammenhänge<br />
wie <strong>zu</strong>m Beispiel die Frage: Wird ein Krieg<br />
kommen? Es ist eine gefährliche Zeit. Ich hoffe,<br />
dass diesem Land das Schicksal vergönnt ist, noch<br />
einmal 70 Jahre ohne Krieg <strong>zu</strong> leben.<br />
Seit 2001, also seit der Arbeit an dem Dreiteiler „Die<br />
Manns <strong>–</strong> Ein Jahrh<strong>und</strong>ertroman“, halten Sie sich<br />
wieder länger in Deutschland auf als in den Jahren<br />
<strong>zu</strong>vor. Haben Ihnen die Dreharbeiten <strong>–</strong> unter anderem<br />
in Lübeck <strong>–</strong> <strong>und</strong> die Auseinanderset<strong>zu</strong>ng mit<br />
Ihrer Filmfigur Thomas Mann das Land wieder näher<br />
gebracht?<br />
Ich war Deutschland nie fern, auch wenn mir die<br />
ersten Jahre im Westen wie in einem Transitraum<br />
vorkamen. Die Beschäftigung mit dem Film <strong>und</strong><br />
Thomas Mann hat mich der Figur in all ihren<br />
Facetten angenähert <strong>–</strong> <strong>und</strong> seinem Bruder Heinrich,<br />
den ich sogar noch viel lieber gespielt hätte.<br />
Er war vielleicht sogar der Interessantere, weil der<br />
Politischere. Deutschland war mir bereits sehr<br />
vertraut mit all den Systemen, die ich erlebt habe,<br />
erleben musste <strong>und</strong> überleben durfte.<br />
Sie bezeichnen sich selbst als „freiwilligen Asylanten“.<br />
Was bedeutet in diesem Zusammenhang<br />
„Heimat“ für Sie?<br />
Heimat ist nicht unbedingt ein Ort, sondern das<br />
Empfinden von Geborgenheit, gepaart mit dem<br />
Gefühl: Da möchte man beschützen. Die Familie<br />
<strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>e bedeuten Heimat, aber auch die<br />
Landschaft, die Sprache, ja, schon auch Deutschland.<br />
Ihr Status als bekannter Schauspieler hat Sie <strong>zu</strong><br />
DDR-Zeiten vor dem Gefängnis bewahrt. Offenbar<br />
gab es aber mindestens eine „kaum verhohlene<br />
Morddrohung”, wie Sie in Ihren Erinnerungen<br />
schreiben. Was empfinden Sie, wenn Sie heute an<br />
jene Zeit <strong>zu</strong>rückdenken? Spielt das Thema Stasi<br />
noch eine Rolle für Sie?<br />
Heute nicht mehr. Nach der Wende waren meine<br />
Frau Gabi <strong>und</strong> ich nur bei Gesprächen in Amerika<br />
wirklich arglos. In unserem Haus an der Ostsee<br />
ertappte ich mich manchmal dabei, dass ich leise<br />
<strong>zu</strong> Gabi sprach. Inzwischen wissen wir: Es wird<br />
abgehört, gelauscht, getrickst, wo man geht <strong>und</strong><br />
steht.<br />
Wie wurde Ihrer Meinung nach die Kunst durch das<br />
Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten<br />
beeinflusst?<br />
Kunst unterliegt vielen Strömungen. Die Weltprobleme<br />
kommen ja auch auf Deutschland <strong>und</strong><br />
Europa <strong>zu</strong>, <strong>und</strong> es sind nicht nur die Flüchtlinge,<br />
die das Leben verändern. Kultur wird immer wieder<br />
durchgerührt.<br />
Was mir allerdings überhaupt nicht gefällt: Die<br />
Kunst ist <strong>zu</strong> einem Wirtschaftszweig geworden,<br />
in dem für manche Bilder viele Millionen gezahlt<br />
Für diesen Film hätte ich<br />
alle anderen weggeworfen.“<br />
werden. Ich möchte aber die Ehrlichkeit eines Bildes<br />
sehen: Ich möchte spüren, dass sich einer abgemüht<br />
hat, wirklich gemalt, daran gearbeitet hat.<br />
Oder wie Picasso sein geniales Talent zeigt oder<br />
Rembrandt.<br />
Gab es Künstler, die nach der Wende für die Annäherung<br />
von Ost <strong>und</strong> West wichtig waren?<br />
Das kann ich schwer beantworten. Die meisten<br />
Künstler aus der DDR waren <strong>zu</strong>nächst auf der<br />
Suche nach einer neuen Position im Leben. Sie<br />
versuchten, erst einmal Fuß <strong>zu</strong> fassen. Auch ich<br />
war schon in solch einer Situation <strong>und</strong> habe mich<br />
gefragt: Wo werde ich beschäftigt? Was du dann<br />
brauchst, sind Zufälle, sind Leute, die <strong>–</strong> wenn du<br />
begabt bist <strong>–</strong> an dich glauben, dich unterstützen,<br />
mitmachen. Das sind die Dinge, die in Gesamtdeutschland<br />
möglich wurden. In der DDR hat sich<br />
niemand für meine Bilder interessiert. Als Schauspieler<br />
mit meiner Malerei an<strong>zu</strong>kommen <strong>–</strong> die<br />
hätten mir einen Vogel gezeigt. Die Malerei wäre<br />
bis heute nur ein Steckenpferd geblieben.<br />
»
32 | 33<br />
EINBLICK<br />
Was bedeutet das fürs Theater?<br />
Es ist nicht mehr der Seismograf für kulturelle<br />
Entwicklungen in einem Lande. Der Zeitgeist spiegelt<br />
sich jetzt in Film <strong>und</strong> Fernsehen.<br />
Über 100 Gemälde, Grafiken <strong>und</strong> Zeichnungen<br />
zeigt die Ausstellung „Menschenbilder“.<br />
Sie haben an der Gedenkfeier für den verstorbenen<br />
Schriftsteller Günter Grass teilgenommen. Wie intensiv<br />
war ihr Kontakt <strong>zu</strong>m Nobelpreisträger?<br />
Nicht so eng. Heute tut es mir beinahe leid. Es hat<br />
sich einfach nicht ergeben. Es hatte mit den „Unkenrufen“<br />
<strong>zu</strong> tun: Das Drehbuch lag jahrelang<br />
auf meinem Tisch, <strong>und</strong> es hat mir nicht gefallen.<br />
Das habe ich auch gesagt. Es war eins <strong>zu</strong> eins mit<br />
dem Roman. Ich hatte einen Autor empfohlen,<br />
der das Drehbuch von Grass wegschreiben sollte.<br />
Man konnte ja später wieder <strong>zu</strong> ihm hinarbeiten.<br />
So entstanden zwei Bücher. Eins gefiel Grass, aber<br />
mir nicht, <strong>und</strong> umgekehrt. Wir sind also nicht <strong>zu</strong>sammengekommen,<br />
was den Film angeht.<br />
Welche Entwicklungen im kulturellen Bereich in<br />
Deutschland sehen Sie positiv, welche eher negativ?<br />
Gr<strong>und</strong>sätzlich darf es nicht immer nur um das<br />
Wirtschaftliche gehen. Nehmen wir die Musik:<br />
Die Verantwortlichen müssen <strong>zu</strong>r Kenntnis nehmen,<br />
dass großartige Musiker aus der ganzen<br />
Welt nach Deutschland kommen. Sie müssen also<br />
einen Weg finden, dass erstklassige Musiker nicht<br />
auf der Straße landen, sondern in Orchestern aufgehoben<br />
werden.<br />
Leider werden Ensembles aufgelöst. Und da sind<br />
wir beim Thema Umstrukturierung der Kunst<br />
durchs Fernsehen, durchs Internet: Die Möglichkeit,<br />
Kunst <strong>zu</strong> sehen <strong>und</strong> <strong>zu</strong> hören, wo man geht<br />
<strong>und</strong> steht, hält die Leute davon ab, Kunst im Original<br />
<strong>zu</strong> genießen: im Theater, im Konzert. Die<br />
Medien entfernen uns also auch von der direkten<br />
Aufnahme der Kunst.<br />
Kritiker haben infrage gestellt, das es zeitgemäß sei,<br />
einen Film wie die „Buddenbrooks“ <strong>zu</strong> drehen. Das<br />
hat Sie sehr geärgert.<br />
Aus einem triftigen Gr<strong>und</strong>: Es ist wichtig, dass wir<br />
immer wieder in die Vergangenheit blicken, denn<br />
teilweise hatte die Kunst früher mehr <strong>zu</strong> sagen als<br />
heute. Immer wenn wir jetzt künstlerisch tätig<br />
sind, stehen wir doch mit einem Bein in der Vergangenheit.<br />
Mit beiden Beinen gleichzeitig vorwärts<br />
gehen <strong>–</strong> das geht nicht.<br />
Wenn Sie die USA <strong>und</strong> Deutschland vergleichen: Wo<br />
herrschen für Künstler die besseren Arbeitsbedingungen?<br />
Für die Film-Schauspielerei sicherlich in den USA.<br />
Am Theater ist es dort hingegen eine Katastrophe,<br />
es sei denn, man spielt am Broadway <strong>und</strong> hat gute<br />
Verträge. Dann kann man auch sein Auskommen<br />
haben, aber ich weiß nicht, ob das so gut läuft wie<br />
in Deutschland, wo Ensembles noch gepflegt werden.<br />
Nun, das geschieht auch immer weniger.<br />
Welche Ihrer eigenen Arbeiten bedeuten Ihnen persönlich<br />
am meisten?<br />
An manchen Produktionen habe ich gehangen,<br />
während ich an ihnen arbeitete. Danach waren<br />
sie wieder vergessen. Selten habe ich Filme noch<br />
einmal angeschaut. „In the Presence of Mine Enemies“<br />
(1997) soll ein w<strong>und</strong>erbarer Film sein, wie<br />
ich hörte. Gesehen habe ich ihn nie.<br />
Welcher Film hätte Sie wirklich gereizt?<br />
In meinem ganzen Leben habe ich in keinem Film<br />
mitgespielt, der mich so gepackt hätte wie „Die<br />
Kinder des Olymp“ von Marcel Carné aus dem<br />
Jahre 1945 oder „Die besten Jahre unseres Lebens“,<br />
bei dem William Wyler 1946 Regie führte. Das<br />
waren Filme, die ich drei- bis fünfmal hintereinander<br />
gesehen habe. Der französische Regisseur<br />
François Truffaut sah das auch so. Ich hätte auf<br />
alle Filme gerne verzichtet, hätte ich nur diesen<br />
einen gemacht. „Kinder des Olymp“: Frédéric Le-
Kultur verbindet<br />
maître hätte ich gerne gespielt <strong>und</strong><br />
noch mehr den Baptiste Debureau,<br />
den Jean-Louis Barrault verkörperte.<br />
Den hätte ich für mein Leben<br />
gern gespielt <strong>und</strong> alles andere<br />
weggeworfen.<br />
Sie sprechen davon, manchmal<br />
„Flugmomente“ <strong>zu</strong> erleben. Was bedeutet<br />
das?<br />
Vor allem beim Malen genießt Armin<br />
Mueller-Stahl seine „Flugmomente“.<br />
Flugmomente erlebe ich ganz selten.<br />
Am ehesten noch beim Malen,<br />
wenn ich etwas verarbeiten<br />
kann, das mich beschäftigt. Die<br />
Reaktor-Katastrophe in Fukushima, das Attentat<br />
auf das World Trade Centre in New York, neulich<br />
das Kentern eines Schiffes auf dem Jangtse <strong>–</strong> diese<br />
me Sprache in Europa einführte, so wie damals<br />
in Amerika. Sprache ist das A <strong>und</strong> O. Sonst gibt es<br />
immer diese kleinen National-Denkereien.<br />
Bilder sind quasi aus dem Pinsel geflossen. Die<br />
kannst du nicht als Schauspieler loswerden, denn Blicken wir noch einmal <strong>zu</strong>rück: Als die Berliner<br />
Mauer fiel, was haben Sie damals für Deutschland<br />
erhofft <strong>und</strong> was ist aus Ihren Hoffnungen geworden?<br />
Gehofft habe ich, dass ein großes demokratisches<br />
Deutschland entsteht, dass es Frieden, Freiheit<br />
<strong>und</strong> Brüderlichkeit gibt. Natürlich wusste ich,<br />
dass das alles nicht gleich eintreten würde. Die<br />
Menschheit war mir insoweit bekannt, als dass<br />
da befindest du dich im Korsett eines Textes. Aber<br />
in der Malerei <strong>und</strong> der Zeichnung schon. Mehr als<br />
beim Schreiben, denn das verlangt <strong>zu</strong>mindest Erklärungen.<br />
ich nicht mehr die allerbeste Meinung von ihr<br />
hatte. Ich wusste also: Es wird Querelen geben,<br />
Kompetenzrangeleien, Arroganz.<br />
So glauben einige aus dem Westen Deutschlands<br />
immer noch, es besser <strong>zu</strong> wissen als die Menschen<br />
Von den „Flugmonenten“ <strong>zu</strong>r Freiheit …<br />
Dass die alten Grenzen in Deutschland verschw<strong>und</strong>en<br />
sind, das ist Freiheit. Darüber freue<br />
ich mich wie ein Kind. Diejenigen, die Grenzen<br />
immer nur als solche erlebt <strong>und</strong> mit einem<br />
schlechten Gewissen passiert haben <strong>–</strong> denn man<br />
hatte doch mal eine Zeitung dabei oder Schokolade<br />
<strong>–</strong> diese Menschen genießen es sehr, keinen<br />
in der ehemaligen DDR. Sie sind nun sehr überrascht,<br />
dass an der Spitze der Regierung eine B<strong>und</strong>eskanzlerin<br />
aus der Uckermark steht <strong>und</strong> dass<br />
der B<strong>und</strong>espräsident aus Rostock kommt.<br />
Das alles zeigt: Wir sind auf dem Wege dahin,<br />
irgendwann das <strong>zu</strong> werden, was wir uns erträumt<br />
hatten 1990, aber wir sind eben immer noch auf<br />
dem Weg.<br />
Ausweis mehr vorzeigen <strong>zu</strong> müssen, reisen <strong>und</strong><br />
lesen <strong>zu</strong> können, was man will, die gleiche Währung<br />
<strong>zu</strong> nutzen. Deshalb spielt der Euro für mich<br />
eine wichtige Rolle: Er verbindet die Menschen.<br />
*ausführlicher Lebenslauf in:<br />
„Armin Mueller-Stahl. Die Biographie“<br />
von Volker Skierka, erscheint im Herbst 2015.<br />
Ich fände es auch gut, wenn man eine gemeinsa-<br />
Wir sind auf dem Weg dahin,<br />
irgendwann das <strong>zu</strong> werden, was<br />
wir uns erträumt hatten.“
34 | 35 EINBLICK<br />
REISETAGEBUCH: HELGA WEYHE<br />
Deutschlands älteste Buchhändlerin<br />
„749 Lexington Avenue“. Das Straßenschild hängt nicht in New<br />
York, sondern an einem 135 Jahre alten Holzregal der „Buchhandlung<br />
H. Weyhe“ in Salzwedel. Es riecht nach Fußbodenöl.<br />
Die breiten Holzdielen knarzen, wenn man von den Kinderbüchern<br />
<strong>zu</strong>r Belletristik hinübergeht. Im Hinterzimmer sitzt Helga<br />
Weyhe an ihrem Computer. „Das ist schon mein zweiter“, sagt sie.<br />
„Den ersten hat mir nach der Wende der Börsenverein des Deutschen<br />
Buchhandels geschenkt.“ Bestellungen gibt sie sofort ein,<br />
damit das Buch am nächsten Tag ankommt: „Schnelle Lieferung<br />
hat eine lange Tradition im Buchhandel“, sagt sie. „Das war schon<br />
in den 30er-Jahren so.“<br />
Mit 92 Jahren ist Helga Weyhe Deutschlands älteste Buchhändlerin.<br />
Den Laden führt sie in dritter Generation; mit Freude <strong>und</strong> Disziplin,<br />
an sechs Tagen pro Woche <strong>und</strong> mit einer fast grenzenlosen<br />
Leidenschaft für Bücher. Nur Krimis <strong>und</strong> Bestseller-Stapel findet<br />
man bei ihr nicht. „Ich bemühe mich, das vorrätig <strong>zu</strong> haben, was<br />
es woanders nicht gibt“, sagt sie.<br />
Die burschikose kleine Frau ist viel herumgekommen. Sie hat in<br />
Breslau, Königsberg <strong>und</strong> Wien studiert, Deutsch <strong>und</strong> Geschichte.<br />
Und wären nicht Krieg <strong>und</strong> Mauerbau gewesen, dann wäre Helga<br />
Weyhe nach New York gezogen. Denn in besagter Lexington<br />
Avenue besaß ihr Onkel Erhard die „Weyhe Art Books“. „Er<br />
war ein hervorragender Antiquar <strong>und</strong> hat viele junge Künstler<br />
gefördert“, erinnert sie sich. Doch alles kam anders. 1944 musste<br />
sie ihr Studium abbrechen <strong>und</strong> in die Altmark <strong>zu</strong>rückkehren. Sie<br />
arbeitete in der Buchhandlung ihres Vaters. 1965 übernahm sie<br />
das Geschäft ganz.<br />
Als private Buchhändlerin hatte Helga Weyhe es<br />
nicht leicht in der DDR. Volkseigene Betriebe wurden<br />
bevor<strong>zu</strong>gt, etwa wenn es um Lizenzausgaben<br />
ging. Wie sie das fand? „Man war sauer. Man hat<br />
sich nie daran gewöhnt, aber man musste damit<br />
leben.“<br />
Nach der Wiedervereinigung stand ihr Geschäft<br />
vor einer ganz an deren Herausforderung. Es ging<br />
darum, aus dem Überangebot das Beste für die<br />
eigene Stammk<strong>und</strong>schaft <strong>zu</strong> filtern. Wie ihr das<br />
gelang? „Ich habe richtig nette Buchhändler in<br />
Lüneburg <strong>und</strong> in Lüchow kennengelernt. Die rieten<br />
mir: ‚Suchen Sie sich ganz besondere Verlage.‘ Und<br />
ich lerne bis heute von den K<strong>und</strong>en.“<br />
Am häufigsten erklingt die Türglocke am Wochenende,<br />
wenn Touristen die Stadt im Nordwesten Sachsen-Anhalts<br />
besuchen. „Manche von ihnen kommen<br />
immer wieder her“, freut sich die Buchhändlerin.<br />
„Dann heißt es: ‚Jetzt gehen wir <strong>zu</strong> Weyhes‘.“<br />
* Für den Text hat unsere Mitarbeiterin Ulla Rettig<br />
die Buchhandlung von Frau Weyhe im Mai 2015<br />
besucht.
Länderschlaglicht<br />
Nordrhein-Westfalen<br />
Statistische Daten<br />
Nordrhein-Westfalen war jahrzehntelang<br />
von Kohle <strong>und</strong> Stahl<br />
geprägt. Nach dem Niedergang<br />
der Montanindustrie musste sich<br />
das Land neu erfinden <strong>–</strong> <strong>und</strong> tat<br />
das mit Erfolg. In den 1960er- <strong>und</strong><br />
1970er-Jahren entstanden zahlreiche<br />
Universitäten <strong>und</strong> Hochschulen,<br />
die vor allem in den Ingenieur-<br />
<strong>und</strong> Naturwissenschaften<br />
führend sind. Das Forschungszentrum<br />
Jülich gehört mit mehr<br />
als 5.000 Mitarbeitern gar <strong>zu</strong> den<br />
größten Forschungseinrichtungen<br />
Europas. Davon profitieren auch<br />
die vielen oft mittelständischen<br />
Industrieunternehmen, die in<br />
Nordrhein-Westfalen immer noch<br />
eine wichtige Rolle spielen: Jeder<br />
fünfte Beschäftigte im Maschinenbau<br />
arbeitet in NRW.<br />
17,6 Millionen<br />
Einwohner<br />
22%<br />
Anteil am BIP<br />
Deutschlands<br />
Düsseldorf<br />
Hauptstadt<br />
34.110 km ²<br />
Fläche<br />
Warum NRW? Weil es zwischen …<br />
liegt? Nein. Weil es als einziges …?<br />
Auch nicht. Wegen der Sehenswürdigkeiten?<br />
Welches Land hat die nicht?<br />
Egal, Liebe muss man nicht erklären!“<br />
Dr. Ludger Stratmann, Kabarettist<br />
Wussten Sie schon, ...<br />
... dass vier der bislang elf B<strong>und</strong>espräsidenten<br />
im heutigen Nordrhein-Westfalen<br />
geboren wurden? Heinrich Lübke,<br />
Gustav Heinemann, Walter Scheel<br />
<strong>und</strong> Johannes Rau begannen ihre<br />
Karrieren als Abgeordnete im Landtag<br />
von Nordrhein-Westfalen.<br />
Statistische Daten<br />
Rheinland-Pfalz<br />
Manchmal wirkt die Reise durch<br />
Rheinland-Pfalz fast wie ein Ausflug<br />
ins Märchenland: Über 400<br />
<strong>zu</strong>m Teil vollständig erhaltene<br />
Burgen <strong>und</strong> Schlösser zeugen<br />
auch heute noch von der mittelalterlichen<br />
Pracht des Landes im<br />
Südwesten der Republik. Und das<br />
in einem malerischen Umfeld:<br />
Die Burgen liegen eingebettet in<br />
eine einmalige Naturlandschaft:<br />
42 Prozent der rheinland-pfälzischen<br />
Fläche gehören dem Wald <strong>–</strong><br />
so viel hat sonst nur noch Hessen.<br />
Auch wirtschaftlich spielt die Natur<br />
eine wichtige Rolle: Etwa zwei<br />
Drittel der gesamten deutschen<br />
Weinproduktion <strong>–</strong> also r<strong>und</strong> 6,5<br />
Millionen Hektoliter <strong>–</strong> entfallen<br />
auf Rheinland-Pfalz.<br />
Rheinland-Pfalz <strong>–</strong> für mich die vielleicht leckerste<br />
Nussecke der Welt! Stets bescheiden, herzlich<br />
<strong>und</strong> da<strong>zu</strong> noch die beste Weinregion des<br />
Universums. Riesling Unser!<br />
Guildo Horn, Sänger <strong>und</strong> Schauspieler<br />
4 Millionen<br />
Einwohner<br />
Mainz<br />
Hauptstadt<br />
640 km 2<br />
Weinanbaufläche<br />
19.854 km ²<br />
Fläche<br />
Wussten Sie schon, ...<br />
… dass die Ländereien vieler einflussreicher<br />
Adelsgeschlechter <strong>–</strong> darunter<br />
die Karolinger <strong>und</strong> die Staufer <strong>–</strong> im<br />
heutigen Rheinland-Pfalz lagen? Als<br />
„Pfalzgrafen bei Rhein“ bestimmten<br />
sie die Geschicke des Heiligen<br />
Römischen Reiches entscheidend mit<br />
<strong>–</strong> <strong>und</strong> waren Jahrh<strong>und</strong>erte später die<br />
Taufpaten für das Land.
36 | 37<br />
EINBLICK<br />
So verschieden kann ein Zellkern aussehen: links der Blick durch ein konventionelles,<br />
rechts durch ein superscharfes Mikroskop. Die kleinen Punkte <strong>–</strong> Poren <strong>und</strong><br />
Moleküle <strong>–</strong> sind klar erkennbar. Um diese optische Trennung <strong>zu</strong> erreichen, hat<br />
Stefan Hell nicht wie bisher einfach nur das Licht fokussiert. Stattdessen werden<br />
die Objekte mithilfe ihrer Molekül<strong>zu</strong>stände getrennt. Diese Technik wird heute<br />
unter anderem in der Biologie <strong>und</strong> der Medizin angewandt.<br />
Die Ästhetik<br />
in allen Teilen<br />
Die deutsche Wirtschaft gilt als stark <strong>und</strong> innovativ. Im Auto- <strong>und</strong><br />
Maschinenbau spielt sie weltweit ganz vorne mit, die Unternehmen treiben<br />
Themen wie die Industrie 4.0 entschlossen voran. Die Gr<strong>und</strong>steine dafür<br />
legt die Forschung. Doch wie ist es um diese bestellt? „<strong>Einblick</strong>“ sprach<br />
mit einem, der es wissen muss: dem Göttinger Physiker <strong>und</strong> Chemie-<br />
Nobelpreisträger Prof. Dr. Stefan Hell.
Vorsprung durch Wissen<br />
Die Tradition der Forschung in Deutschland<br />
reicht viele h<strong>und</strong>ert Jahre <strong>zu</strong>rück.<br />
Schon im 19. <strong>und</strong> frühen 20. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
wurden die ersten reinen Forschungsinstitute<br />
gegründet. Seit 1949 entwickelten<br />
sich in der B<strong>und</strong>esrepublik <strong>und</strong> der DDR zwei<br />
unterschiedliche Systeme. Das ist mittlerweile<br />
passé. Der Blick eines Insiders auf die gesamtdeutsche<br />
Forschungslandschaft, der die Wende als<br />
„Gewinn für die Wissenschaft“ bezeichnet.<br />
Im Gespräch: Der Physiker Stefan Hell<br />
erhielt 2014 den Chemie-Nobelpreis.<br />
Herr Prof. Dr. Hell, Sie arbeiten seit Jahrzehnten in<br />
der Forschung. Warum brennen Sie so für die Wissenschaft?<br />
PROF. HELL: Ich war schon als Kind sehr wissbegierig<br />
<strong>und</strong> wollte die Welt verstehen. Wirklich<br />
Wissenschaftler <strong>zu</strong> werden, war natürlich nicht<br />
planbar, aber es hat geklappt <strong>–</strong> <strong>und</strong> dann war<br />
es eine tolle Erfahrung, <strong>zu</strong> lernen, wie die Welt<br />
funktioniert. Wenn man das versteht, erkennt<br />
man auch, welche Ästhetik dahinter steckt.<br />
Wir haben für dieses Kapitel forsch die Rubrik „Vorsprung<br />
durch Wissen“ gewählt. Würden Sie dem mit<br />
Blick auf Deutschland <strong>zu</strong>stimmen?<br />
Historisch gesehen hatten Deutschland <strong>und</strong> auch<br />
Westeuropa über viele Jahrh<strong>und</strong>erte tatsächlich<br />
einen Vorsprung gegenüber dem Rest der Welt.<br />
Sie haben die Welt maßgeblich<br />
mitbestimmt. Und auch heute<br />
haben wir hier<strong>zu</strong>lande eine sehr<br />
gute Schicht von Wissenschaftlern,<br />
von Spitzenwissenschaftlern.<br />
Zunehmend treten aber<br />
auch andere Länder ins Rampenlicht<br />
<strong>–</strong> <strong>zu</strong>m Beispiel China<br />
oder Indien. Interessant finde<br />
ich, dass Stärke in der Wissenschaft<br />
stark mit der wirtschaftlichen Stärke eines<br />
Landes korreliert.<br />
Damit haben Sie unsere nächste Frage schon vorweg<br />
genommen: Welche Rolle spielt die Forschung für die<br />
Wirtschaft?<br />
Eine große! Als konkretes Beispiel könnte ich Ihnen<br />
meine eigene Entdeckung der superscharfen<br />
Mikroskopie nennen. Der daraus folgende Wissensvorsprung<br />
hat da<strong>zu</strong> geführt, dass deutsche<br />
Firmen hier einen technischen Vorsprung gegenüber<br />
anderen halten: Die ersten kommerziellen<br />
superscharfen Mikroskope kamen aus Deutschland.<br />
Andersherum können Sie in Bereiche schauen,<br />
in denen keine Forschung betrieben wird: Da<br />
hapert es wirtschaftlich. Die Industrie wird in<br />
Zukunft <strong>zu</strong>dem noch stärker als heute auf top<br />
ausgebildete Leute angewiesen<br />
sein, die in der Forschung gearbeitet<br />
haben <strong>und</strong> dieses Wissen<br />
mitnehmen.<br />
Stärke in der<br />
Wissenschaft<br />
korreliert stark<br />
mit wirtschaftlicher<br />
Stärke.“<br />
Nun wird in Deutschland die<br />
Situation in der Forschung oft<br />
kritisiert. Unter anderem werden<br />
die vielen Zeitverträge bemängelt.<br />
Zu Recht? »
38 | 39<br />
EINBLICK<br />
Blindtext Head<br />
line Stefan Hell<br />
1962 in Rumänien geboren, zog<br />
Stefan Hell als 15-Jähriger mit<br />
seiner Familie nach Deutschland.<br />
Er studierte Physik in<br />
Heidelberg, promovierte dort.<br />
Es folgen Stationen in Finnland<br />
<strong>und</strong> Großbritannien. Seit 1997<br />
arbeitet er am Max-Planck-Institut<br />
für biophysikalische Chemie<br />
in Göttingen, dessen Direktor er<br />
heute ist. Den Nobelpreis erhielt<br />
er 2014 für die Entdeckung<br />
der hochauflösenden Fluoreszenz-Mikroskopie,<br />
für die er sich<br />
der Chemie bediente. 100 Jahre<br />
lang galt es als gesetzt, dass<br />
Lichtmikroskope keine Objekte<br />
scharf abbilden können, die<br />
kleiner als die Hälfte der Lichtwellenlänge<br />
sind. Stefan Hell<br />
bewies, dass dem nicht so ist.<br />
Das muss man differenzierter betrachten.<br />
Man kann schlechte Bedingungen<br />
nicht mit Zeitverträgen<br />
gleichsetzen. Um die besten Leute<br />
<strong>zu</strong> halten, braucht es natürlich<br />
eine soziale Absicherung. Aber<br />
das muss nicht immer gleich die<br />
Daueranstellung sein. Wären alle<br />
Verträge unbefristet, gäbe es keinen<br />
Platz für die Jungen. Deswegen<br />
muss das Gros der wissenschaftlichen<br />
Stellen flexibel bleiben <strong>–</strong> man<br />
muss jungen Talenten die Chance<br />
geben können, sich <strong>zu</strong> beweisen.<br />
Diese müssen wiederum bereit<br />
sein, das „Abenteuer Forschung“ <strong>zu</strong><br />
wagen. Wir wollen Leute, die für<br />
die Forschung brennen <strong>–</strong> <strong>und</strong> nicht<br />
die, die das mit einem sicheren Job<br />
gleichsetzen.<br />
Was müsste denn aus Ihrer Sicht<br />
in Sachen Bildungspolitik für den<br />
Nachwuchs getan werden?<br />
Ich halte es für wichtig, Talenten<br />
die Chance <strong>zu</strong> geben, zügig durchs<br />
Schulsystem <strong>zu</strong> gehen. Man muss<br />
den Mut haben an<strong>zu</strong>erkennen,<br />
dass Leute unterschiedlich sind.<br />
Nur so kann man ihnen gerecht<br />
werden. Natürlich sollten auch<br />
die MINT-Fächer (Mathematik, Informatik,<br />
Naturwissenschaft, Technik,<br />
Anm. der Red.) eine große Rolle<br />
spielen, mehr als bisher. Denn<br />
auch heute baut unser Wohlstand<br />
auf unserem über Jahrzehnte akkumulierten<br />
Wissen auf.<br />
Kritik gibt es oft auch an der Finanzierung<br />
der Forschung. Wie sehen Sie<br />
das?<br />
Bei uns in der Max-Planck-Gesellschaft<br />
bestimmt ein Verein aus<br />
r<strong>und</strong> 250 wissenschaftlichen Mitgliedern,<br />
woran geforscht wird <strong>–</strong> so<br />
können wir unsere Mittel gut einteilen.<br />
An Hochschulen haben es<br />
die Kollegen viel, viel schwerer. Es<br />
gibt oft lange bürokratische Prozesse.<br />
Und dass die Universitäten<br />
unterfinanziert sind, ist bekannt.<br />
Werfen wir einmal einen Blick <strong>zu</strong>rück:<br />
Zur Wende waren Sie Doktorand.<br />
Hat sich die Forschungslandschaft<br />
seitdem verändert?<br />
Sie hat sich <strong>zu</strong>m Positiven<br />
verändert! Die<br />
Max-Planck-Gesellschaft<br />
beispielsweise<br />
hat sich durch die<br />
Gründung neuer Institute<br />
vergrößert, ist<br />
innovativer geworden.<br />
Ich glaube, dass<br />
die Wende ein großer<br />
Gewinn für die<br />
Wissenschaft war. Es<br />
gab in Ostdeutschland ja auch sehr<br />
gute Forschungsgruppen, <strong>zu</strong>m Beispiel<br />
in Jena. Die waren in der Optik<br />
weit vorn. Aber letztlich stellt eine<br />
„politische Glocke“ wie die der DDR<br />
ein Problem für die Forschung dar.<br />
Und auch dort zeigte sich, dass Forschung<br />
<strong>und</strong> wirtschaftliche Stärke<br />
stark korrelieren. Das kommunistische<br />
System war ein System, das<br />
schon aufgr<strong>und</strong> der Art <strong>und</strong> Weise,<br />
wie es organisiert war, wirtschaftlich<br />
schwächer war. Das hat sich<br />
auf die Forschung ausgewirkt.<br />
Sie sprechen da auch aus persön-<br />
licher Erfahrung ...<br />
Ja, ich bin hinter dem „Eisernen<br />
Vorhang“ in Rumänien geboren.<br />
Mit 15 Jahren hatte ich dann das<br />
Glück, legal mit meinen Eltern auswandern<br />
<strong>zu</strong> dürfen <strong>–</strong> für mich war<br />
das eine Befreiung. Mir war schon<br />
damals klar: „Wenn ich hier bleibe,<br />
werde ich nie richtig forschen<br />
können.“ Übrigens: In Deutschland<br />
hatte ich dann erlebt, dass das Land<br />
durchlässig nach oben ist <strong>–</strong> egal,<br />
was oft behauptet wird. Natürlich<br />
gibt es Barrieren. Aber wer bereit<br />
ist, etwas <strong>zu</strong> leisten, bekommt auch<br />
eine Chance.<br />
Stefan Hell vor einem Monitor,<br />
der Nervenzellen-Proteine<br />
zeigt <strong>–</strong> aufgenommen mit einem<br />
hochauflösenden Mikroskop.
Länderschlaglicht<br />
Hessen<br />
Hessens wirtschaftliches Zentrum<br />
liegt unbestritten in Frankfurt am<br />
Main, schließlich steht dort der<br />
größte Flughafen <strong>und</strong> die zweitgrößte<br />
Messe Deutschlands. Viele<br />
wichtige Finanzinstitutionen, darunter<br />
B<strong>und</strong>esbank <strong>und</strong> Europäische<br />
Zentralbank, haben hier ihren<br />
Sitz. Auch abseits von „Mainhattan“<br />
hat Hessen viel <strong>zu</strong> bieten. Auf dem<br />
Gebiet des heutigen Landes existierten<br />
über Jahrh<strong>und</strong>erte hinweg<br />
verschiedene Grafschaften <strong>und</strong><br />
Provinzen. Daher haben sich Städte<br />
wie Kassel, Marburg, Gießen <strong>und</strong><br />
Fulda <strong>zu</strong> regionalen Zentren entwickelt.<br />
Davon zeugt <strong>zu</strong>m Beispiel<br />
der Kasseler Bergpark Wilhelmshöhe,<br />
dessen gigantische Herkules-Statue<br />
<strong>zu</strong>m Weltkulturerbe der<br />
Unesco zählt.<br />
Statistische Daten<br />
6 Millionen<br />
Einwohner<br />
60 Millionen<br />
Passagiere am<br />
Flughafen Frankfurt 2014<br />
21.115 km ²<br />
Fläche<br />
Wiesbaden<br />
Hauptstadt<br />
Hessen ist erfolgreich, weil die Verantwortlichen<br />
in den Kommunen <strong>und</strong> Landespolitiker<br />
immer dann an einem Strang<br />
ziehen, wenn es darauf ankommt <strong>–</strong> <strong>zu</strong>m<br />
Wohle des ganzen Landes.“<br />
Wussten Sie schon, ...<br />
... dass Hessen ein eigenes chemisches<br />
Element hat? Forscher der<br />
Gesellschaft für Schwerionenforschung<br />
(GSI) in Darmstadt erschufen<br />
Hassium am 14. März 1984 durch die<br />
Verschmel<strong>zu</strong>ng von Blei <strong>und</strong> Eisen.<br />
Petra Roth, ehemalige Oberbürgermeisterin von Frankfurt/Main<br />
Thüringen<br />
Im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert war das heutige<br />
Thüringen der kulturelle Mittelpunkt<br />
Deutschlands. Goethe, Schiller<br />
<strong>und</strong> viele andere wirkten hier<br />
<strong>und</strong> begründeten die Weimarer<br />
Klassik. Da verw<strong>und</strong>ert es kaum,<br />
dass auch der erste Duden 1872 in<br />
Schleiz erschien. Nach dem Ersten<br />
Weltkrieg stand das Land erneut<br />
im Fokus: 1919 erarbeitete die Nationalversammlung<br />
in Weimar eine<br />
neue Verfassung. Die erste deutsche<br />
Demokratie wird daher heute auch<br />
Weimarer Republik genannt. Im 20.<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert entwickelte sich Jena,<br />
die Wirkungsstätte von Carl Zeiss,<br />
<strong>zu</strong> einem Zentrum der optischen<br />
Industrie. Nicht umsonst steht dort<br />
seit 1926 das heute dienst älteste Planetarium<br />
der Welt.<br />
Ich liebe die<br />
Offenheit<br />
<strong>und</strong> Wärme<br />
der Thüringer.<br />
Nach vielen Monaten unterwegs<br />
kehre ich immer gerne<br />
nach Hause <strong>zu</strong>rück <strong>und</strong> genieße<br />
die Schönheit meiner<br />
Stadt Erfurt.“<br />
G<strong>und</strong>a Niemann-Stirnemann,<br />
Olympiasiegerin im Eisschnelllauf<br />
Statistische Daten<br />
2,2 Millionen<br />
Einwohner<br />
16.173 km ²<br />
Fläche<br />
Erfurt<br />
Hauptstadt<br />
176 Meter<br />
Tiefe des Brunnens auf<br />
dem Kyffhäuser<br />
Wussten Sie schon, ...<br />
… dass die berühmte Thüringer<br />
Rostbratwurst über 400 Jahre alt ist?<br />
Das älteste Rezept stammt vom<br />
2. Juli 1613. Es befindet sich heute im<br />
Staatsarchiv Weimar. Erstmals erwähnt<br />
wurde sie sogar schon 1404 <strong>–</strong> die<br />
Zubereitung blieb offenbar lange ein<br />
Geheimnis.
40 | 41<br />
EINBLICK<br />
Was uns<br />
BEGEISTERT
Deutschland privat<br />
Es gibt Dinge, die verbinden ganz<br />
Deutschland: das Fernsehen etwa,<br />
das in Ost <strong>und</strong> West gleichermaßen<br />
beliebt ist. Und natürlich der Fußball.<br />
Doch es existieren im Freizeitverhalten<br />
immer noch Unterschiede <strong>–</strong> auch<br />
25 Jahre nach der Wende. Ein Blick<br />
auf das Privatleben der Republik.<br />
Sonntagabend, 20.15 Uhr: In der Kneipe<br />
wird es still. Die Gäste haben es sich bequem<br />
gemacht <strong>–</strong> auf Holzstühlen, Bänken<br />
oder knautschigen Cocktailsesseln. Aus<br />
dem Fernseher erklingt eine Melodie, die Millionen<br />
Deutsche mindestens genauso gut kennen<br />
wie die der Tagesschau: das charakteristische<br />
Intro des „Tatorts“, unverändert seit der Erstausstrahlung<br />
1970.<br />
DAS „TATORT“-RITUAL<br />
Diese Kneipe könnte ebenso gut in Berlin wie in<br />
Düsseldorf, Leipzig, München oder anderswo liegen.<br />
Egal, ob in West oder Ost: Der „Tatort“ ist so<br />
beliebt wie nie. Geschaut wird dabei nicht nur<br />
auf dem eigenen Sofa. Quer durch die Gaststätten<br />
<strong>und</strong> Cafés der Republik treffen sich Fans des Traditionskrimis<br />
<strong>zu</strong>m „Rudelgucken“ <strong>–</strong> <strong>und</strong> rätseln<br />
gemeinsam, wer dieses Mal der Mörder ist. Der<br />
sonntägliche Krimi ist ein Ritual für Millionen<br />
Menschen. Nach einem Knick in den 1990er-Jahren<br />
erzielt die Reihe nun wieder regelmäßig neue<br />
Rekordwerte. Zuletzt im Herbst 2014: Ganze 13,13<br />
Millionen Menschen sahen damals die Münsteraner<br />
Folge „Mord ist die beste Medizin“ mit dem beliebten<br />
Ermittlerpaar Thiel <strong>und</strong> Boerne <strong>–</strong> so viele<br />
wie noch nie seit der Jahrtausendwende.<br />
Der „Tatort“ ist ein Paradebeispiel für gesamtdeutsche<br />
Fernsehunterhaltung. Das war nicht<br />
immer so. Ursprünglich war er ein rein westdeutsches<br />
Phänomen. Erst nach der Wende gingen die »
42 | 43<br />
EINBLICK<br />
Wetten dass..?, 1985-2014, 9,27 Mio. Zuschauer<br />
bei der letzten Sendung<br />
Tatort, seit 1970.<br />
Zuschauerrekord: 15,86 Mio., Juli 1992<br />
Polzeiruf 110, seit 1971 im DDR-Fernsehen,<br />
nach der Wende in der ARD.<br />
Höchste Quote überhaupt:<br />
69,8 Prozent (Dezember 1976).<br />
Sportschau, seit 1961. In der Saison 2014/2015<br />
im Schnitt 2,1 Mio. Zuschauer.<br />
Unser Sandmännchen, seit<br />
1959 im DDR-Fernsehen, nach<br />
der Wende bei der ARD. Beliebt<br />
bei den Drei- bis 13-Jährigen<br />
(Top-Zuschauerwert im KiKa<br />
2014: 0,74 Mio.)<br />
Deutschland <strong>–</strong> Fernsehland: eine<br />
Auswahl beliebter TV-Formate<br />
<strong>und</strong> jungen Erwachsenen<br />
angeglichen. „Etwa beim hat das Internet das Fernsehen<br />
TV-Ermittler auch Reiseverhalten“, erklärt Prof. Dr. von Platz eins verdrängt, außerdem<br />
in Ostdeutschland auf Mörderjagd: in<br />
Leipzig, Weimar oder Dresden <strong>zu</strong>m<br />
Beispiel. Heute fasziniert er Menschen<br />
b<strong>und</strong>esweit. Umgekehrt gilt das<br />
auch für den „Polizeiruf 110“. Der Publikumsliebling<br />
Ulrich Reinhardt, wissenschaftlicher<br />
Leiter der Stiftung. „1991 bestanden<br />
noch große Unterschiede in Be<strong>zu</strong>g<br />
auf Reisedauer, -kosten <strong>und</strong> auch -ziele.<br />
Mittlerweile haben sich Ost- <strong>und</strong><br />
nutzen sie soziale Medien deutlich<br />
häufiger als ältere B<strong>und</strong>esbürger: 79<br />
Prozent der 14- bis 17-Jährigen sowie<br />
84 Prozent der jungen Erwachsenen<br />
(18 bis 24 Jahre) loggen sich mindestens<br />
der<br />
einmal pro Woche<br />
DDR eroberte nach<br />
bei Facebook <strong>und</strong><br />
der Wende auch die Im Reiseverhalten haben sich Ost <strong>und</strong> Co. ein. Bezogen auf<br />
Herzen der West-<br />
West stark angenähert.“<br />
die Gesamtbevölkerung<br />
Zuschauer.<br />
Apropos Fernsehen:<br />
Bei keiner anderen<br />
Prof. Ulrich Reinhardt, wissenschaftlicher Leiter der Stiftung für Zukunftsfragen<br />
tun das nur 39<br />
Prozent.<br />
Ost <strong>und</strong> West: In<br />
Freizeitbeschäftigung sind die Deutschen<br />
derart vereint. Dem jährlich<br />
Westdeutschland in diesen Punkten<br />
jedoch stark angenähert.“<br />
einigen Bereichen fallen die Unterschiede<br />
jedoch immer noch deutlich<br />
erscheinenden Freizeitmonitor der<br />
aus. So treiben mehr Westdeutsche<br />
Stiftung für Zukunftsfragen <strong>zu</strong>folge<br />
schalteten 2014 ganze 97 Prozent in<br />
West- <strong>und</strong> 96 Prozent in Ostdeutschland<br />
regelmäßig das TV-Gerät ein <strong>–</strong><br />
damit liegt Fernsehen seit mittlerweile<br />
25 Jahren unangefochten auf Platz<br />
eins der liebsten Freizeitaktivitäten<br />
der Deutschen.<br />
Auch insgesamt hat sich das Freizeitverhalten<br />
in Ost <strong>und</strong> West weiter<br />
MEDIEN BESTIMMEN FREIZEIT<br />
Auch die Top 10 der beliebtesten Aktivitäten<br />
liest sich in Ost wie West ähnlich:<br />
Die Mediennut<strong>zu</strong>ng dominiert<br />
die Rangliste, egal, ob Fernsehen, Radio,<br />
Internet oder das Lesen von Zeitungen<br />
<strong>und</strong> Zeitschriften. Die größten<br />
Unterschiede lassen sich vor allem am<br />
Alter festmachen: Bei Jugendlichen<br />
mindestens einmal pro Woche Sport<br />
(38 Prozent) als Ostdeutsche (27 Prozent),<br />
<strong>und</strong> sie tun mehr für die eigene<br />
Ges<strong>und</strong>heit (45 gegenüber 38 Prozent).<br />
In den östlichen Ländern wiederum<br />
pflegen fast zwei von drei Bürgern<br />
regelmäßig den klassischen Kaffeeklatsch,<br />
im Westen tut das nur jeder<br />
zweite. Zudem arbeiten sie lieber im<br />
eigenen Garten (Ost: 38; West: 28 Pro-
Deutschland privat<br />
Im Schnitt treiben 36 Prozent aller Deutschen<br />
mindestens einmal pro Woche Sport.<br />
zent). Der Gr<strong>und</strong>: „Bei der Freizeitgestaltung<br />
spielen auch soziodemografische Merkmale<br />
wie Einkommen <strong>und</strong> Alter eine sehr wichtige<br />
Rolle“, so Reinhardt. „In Ostdeutschland ist das<br />
Durchschnittsalter der Bevölkerung höher,<br />
das Einkommen niedriger <strong>und</strong> es gibt mehr<br />
ländliche Strukturen. So wird in den neuen<br />
Ländern häufiger ein Mittagsschlaf gehalten,<br />
man widmet sich eher der Gartenarbeit oder<br />
trinkt mal in Ruhe einen Kaffee.“<br />
DER RÜCKZUG INS PRIVATE<br />
Mit seiner Liebe fürs Grüne liegt der Osten indes<br />
voll im Trend. Seit dem Ende der 1990er-Jahre<br />
zieht es die Deutschen generell wieder mehr<br />
in die Natur <strong>und</strong> in den Garten. Dem Freizeitmonitor<br />
2014 <strong>zu</strong>folge steht die Arbeit im Beet<br />
bei den beliebtesten außerhäuslichen Aktivitäten<br />
auf Platz drei. Der Statistikdienstleister<br />
Zu Hause ist es offenbar am gemütlichsten:<br />
Der Großteil der Bürger bleibt am liebsten daheim.<br />
Statista sieht das Gärtnern sogar auf Platz eins<br />
(siehe auch die Seiten 18<strong>–</strong>22).<br />
Dieses Phänomen passt <strong>zu</strong>r gesamtgesellschaftlichen<br />
Entwicklung seit der Jahrtausendwende.<br />
Das Stichwort lautet „cocooning“<br />
<strong>–</strong> Rück<strong>zu</strong>g ins Private <strong>und</strong> Aufwertung des eigenen<br />
Zuhauses. Die Verfasser der Duden-Ausgabe<br />
„Deutschland <strong>–</strong> Alles, was man wissen<br />
muss“ bezeichnen diesen Trend als Gegenpol<br />
<strong>zu</strong> einer Welt, die <strong>zu</strong>nehmend als abstrakt <strong>und</strong><br />
anonymisiert empf<strong>und</strong>en wird. Dies spiegelt<br />
sich auch in den Zahlen wider: Laut Freizeitmonitor<br />
2014 halten sich die B<strong>und</strong>esdeutschen<br />
in ihren freien St<strong>und</strong>en am liebsten <strong>zu</strong> Hau-<br />
Wohin wir am liebsten reisen<br />
In seiner Freizeit bleibt der Durchschnittsbürger am liebsten in den eigenen vier Wänden<br />
<strong>–</strong> <strong>und</strong> im Urlaub gerne in der Heimat. Für gut ein Drittel der Deutschen ist das eigene Land<br />
Reiseziel Nummer eins: 37 Prozent verbringen hier ihren Haupturlaub. Neu ist diese Heimatverb<strong>und</strong>enheit<br />
jedoch nicht: 1992, kurz nach der Wiedervereinigung, buchten 41 Prozent der<br />
West- <strong>und</strong> sogar 67 Prozent der Ostdeutschen einen Inlandsurlaub.<br />
2014 schlug der Norden erstmals den Süden: Die Ostseestrände Mecklenburg-Vorpommerns<br />
<strong>und</strong> Schleswig-Holsteins zogen <strong>zu</strong>m ersten Mal mehr Touristen an als Ziele in Bayern.<br />
Im Ausland steht Spanien unangefochten an der Spitze der Urlaubsziele.<br />
Quelle: BAT-Stiftung für Zukunftsfragen, 31. Deutsche Tourismusanalyse 2015
44 | 45<br />
EINBLICK<br />
se auf. Betrachtet man die vergangenen 20 Jahre,<br />
dann zählt das Treffen mit Fre<strong>und</strong>en <strong>zu</strong> den größten<br />
Verlierern bei den wöchentlichen Freizeitaktivitäten:<br />
Traf sich 1994 noch jeder Dritte regelmäßig<br />
mit Fre<strong>und</strong>en, war es 2014 nur noch gut jeder<br />
Sechste. Dem steht entgegen, dass eigentlich zwei<br />
Drittel der Deutschen gerne wieder mehr Zeit mit<br />
ihren Fre<strong>und</strong>en verbringen würden.<br />
Dieser Wunsch ließe sich durchaus mit der Lieblingsbeschäftigung<br />
Fernsehen vereinbaren <strong>–</strong> nicht<br />
nur beim gemeinsamen „Tatort“-Schauen. Auch<br />
der Fußball vereint die Menschen in der B<strong>und</strong>esrepublik.<br />
Als die Nationalelf unter Franz Beckenbauer<br />
1990 <strong>–</strong> wenige Monate vor der Wiedervereinigung<br />
<strong>–</strong> Weltmeister wurde, feierten die Menschen<br />
in West <strong>und</strong> Ost die Titelgewinner. Und das, obwohl<br />
das Team nur aus westdeutschen Spielern bestand.<br />
Sei es der Gewinn der Europameisterschaft<br />
1996 oder die Heim-WM 2006, bei der Deutschland<br />
das Halbfinale verlor: Das Land <strong>und</strong> seine Menschen<br />
feierten in den Stadien, beim Public Viewing<br />
<strong>–</strong> oder <strong>zu</strong> Hause vor dem eigenen Fernseher. Ganze<br />
34,57 Millionen Menschen verfolgten im Juli 2014<br />
das WM-Finale zwischen Deutschland <strong>und</strong> Argentinien<br />
im TV. Damit war diese Ausstrahlung die<br />
am meisten gesehene Fernsehsendung der vergangenen<br />
25 Jahre. Egal, ob Fußball-Muffel oder Fan: Es<br />
stimmt eben doch, dass Fußball begeistert.<br />
Ein schrulliges Duo: die Münsteraner<br />
„Tatort“-Ermittler Thiel (r., Axel Prahl)<br />
<strong>und</strong> Boerne (Jan Josef Liefers)<br />
REISETAGEBUCH NRW<br />
„Wir sind Fußball!“<br />
Heute erklimme ich den deutschen „Fußball-Olymp“. Wie das<br />
geht? Einfach aus dem Dortm<strong>und</strong>er Hauptbahnhof heraustreten<br />
<strong>und</strong> den Königswall überqueren <strong>–</strong> schon steht man vor<br />
dem Deutschen Fußballmuseum. Übersehen lässt sich der 7.700<br />
Quadratmeter-Neubau ohnehin nicht. Seine glitzernde Fassade<br />
aus Glas <strong>und</strong> Metall wird gerade virtuell bespielt mit Fußbällen,<br />
Leuchtschriften <strong>und</strong> News aus dem aktuellen Fußballgeschehen<br />
<strong>–</strong> probehalber: Bis <strong>zu</strong>r großen Eröffnung am 25. Oktober 2015<br />
muss alles klappen.<br />
Die Türen des Foyers sind weit geöffnet: Gleich soll jener Mannschaftsbus<br />
hineinrollen, mit dem sich die deutsche Nationalelf<br />
2014 in Berlin feiern ließ. Museumsgäste dürfen sich darin selbst<br />
wie Helden fühlen. Insgesamt werden in der ersten Dauerausstellung<br />
über die Geschichte des deutschen Fußballs r<strong>und</strong> 1.600<br />
Ausstellungsstücke gezeigt: Bälle, Trikots, viel Überraschendes<br />
<strong>und</strong> in einer „Schatzkammer“ die WM-Pokale. „Die DFB-Zentrale<br />
wurde praktisch leergeräumt“, sagt Museumsdirektor Manuel<br />
Neukirchner schmunzelnd. Außerdem wird es viele multimediale<br />
Mitmachstationen geben. Manches funktioniert schon. So kann<br />
ich in einer Sprecherkabine mein klägliches Talent als B<strong>und</strong>esliga-Kommentatorin<br />
testen. Zum Schluss führt ein Treppenaufgang<br />
nach draußen, der an eine Stadion-Tribüne erinnert. Ein<br />
letzter Blick <strong>zu</strong>rück auf das Spielfeld in der „Multifunktionsarena“.<br />
Was bleibt: Vorfreude <strong>und</strong> die feste Absicht, auch <strong>zu</strong>r Sonderausstellung<br />
über die Wiedervereinigung der beiden deutschen Fußballverbände<br />
im Zuge der deutschen Einheit wieder<strong>zu</strong>kommen.<br />
www.fussballmuseum.de<br />
*Für den Text hat unsere Mitarbeiterin Ulla Rettig<br />
das Museum noch vor seiner Eröffnung besucht.
Länderschlaglicht<br />
Bayern<br />
In kaum einem Land treffen Tradition<br />
<strong>und</strong> Moderne so sehr aufeinander<br />
wie in Bayern. Auf der<br />
einen Seite sind die bayerische<br />
Tracht <strong>und</strong> die Volksmusik nicht<br />
aus dem öffentlichen Leben weg<strong>zu</strong>denken.<br />
Gleichzeitig hat sich<br />
Bayern in den vergangenen Jahrzehnten<br />
von einem eher agrarisch<br />
geprägten Land <strong>zu</strong> einem Zentrum<br />
der Hochtechnologie entwickelt:<br />
Viele bedeutende Unternehmen,<br />
vor allem aus der Automobil-,<br />
Chemie- <strong>und</strong> IT-Branche, haben<br />
ihre Hauptsitze zwischen Franken<br />
<strong>und</strong> den Alpen. Die Universitäten<br />
belegen seit Jahren Top-Plätze<br />
in diversen Hochschulrankings.<br />
Bayern beweist, dass regionale<br />
Identität <strong>und</strong> globaler Erfolg kein<br />
Widerspruch sind.<br />
Was mich immer wieder nach Bayern<br />
<strong>zu</strong>rückzieht: diese unglaublich schöne<br />
Kombination aus Kultur, Lebensstil <strong>und</strong><br />
Lebensqualität, unversehrter Natur <strong>und</strong><br />
lebendiger Tradition.“<br />
Michael Hofstetter, Dirigent<br />
Statistische Daten<br />
12,6 Millionen<br />
Einwohner<br />
München<br />
Hauptstadt<br />
1.350<br />
Museen<br />
70.550 km ²<br />
Fläche<br />
Wussten Sie schon, ...<br />
... dass das Oktoberfest das größte<br />
Volksfest der Welt ist? Jedes Jahr<br />
im Spätsommer besuchen mehr als<br />
sechs Millionen Gäste die Münchener<br />
Theresienwiese, auch um sich die<br />
traditionelle Maß Bier <strong>zu</strong> gönnen. Die<br />
erste „Wiesn“ fand übrigens 1810<br />
statt. Anlass war die Hochzeit des<br />
bayerischen Kronprinzen Ludwig mit<br />
Prinzessin Therese.<br />
Statistische Daten<br />
Sachsen<br />
Die Montagsdemonstrationen in<br />
Leipzig läuteten 1989 das Ende der<br />
DDR ein <strong>und</strong> ebneten den Weg <strong>zu</strong>r<br />
deutschen Wiedervereinigung.<br />
Sachsen stand wie alle östlichen<br />
Länder nach 1990 vor vielen Herausforderungen.<br />
Diese sind heute<br />
<strong>zu</strong>m großen Teil überw<strong>und</strong>en,<br />
auch dank der gezielten Förderung<br />
von Zukunftsbranchen. Das „Silicon<br />
Saxony“ zwischen Dresden <strong>und</strong><br />
Chemnitz ist Europas größter Mikroelektronikstandort<br />
<strong>und</strong> ein Zentrum<br />
der Photovoltaikindustrie.<br />
Etwa 300 Firmen werden von zahlreichen<br />
Forschungseinrichtungen,<br />
unter anderem von der Fraunhofer-Gesellschaft,<br />
unterstützt. IT hat<br />
in der Region übrigens Tradition:<br />
Der Robotron 3000, erster Großrechner<br />
der DDR, wurde in Chemnitz<br />
gefertigt.<br />
Als Kind war ich oft bei<br />
meiner Großmutter in<br />
Leipzig. Ich wurde größer,<br />
die Stadt kleiner. Jetzt<br />
wächst sie wieder. Vielleicht<br />
ist sie bald wieder so<br />
groß, wie sie<br />
mir früher<br />
vorkam.“<br />
Paule Hammer,<br />
Maler<br />
4 Millionen<br />
Einwohner<br />
541<br />
Punkte in der<br />
naturwissenschaftlichen<br />
Pisa-E-Studie<br />
Dresden<br />
Hauptstadt<br />
18.420 km ²<br />
Fläche<br />
Wussten Sie schon, ...<br />
… dass die Porzellanmanufaktur<br />
Meißen die älteste in Europa ist? Seit<br />
1710 werden im Herzen Sachsens die<br />
edlen Geschirre, Figuren <strong>und</strong> Dekorationen<br />
gefertigt. Zunächst kannten<br />
nur wenige Mitarbeiter den genauen<br />
Herstellungsprozess. Erst ein „Verrat“<br />
führte 1718 <strong>zu</strong>r Gründung der Wiener<br />
Porzellanmanufaktur <strong>und</strong> damit <strong>zu</strong>r<br />
ersten Konkurrenz.
46 | 47<br />
EINBLICK<br />
Ein Land <strong>–</strong><br />
viele Facetten<br />
Deutschlands Gesellschaft wird immer bunter.* Seit 1955, als die B<strong>und</strong>esrepublik<br />
das erste „Gastarbeiter-Abkommen“ mit Italien unterzeichnete, hat sich Deutschland<br />
<strong>zu</strong> einem Land entwickelt, in dem inzwischen mehr als 16 Millionen Menschen mit<br />
familiären Wurzeln in 190 Ländern ihre Heimat gef<strong>und</strong>en haben.<br />
Innerhalb Europas wird Deutschland<br />
als wichtige Kraft wahrgenommen. Es<br />
genießt aber auch in China sehr hohes<br />
Ansehen sowohl auf politischer als auch<br />
auf wirtschaftlicher Ebene.“<br />
Sebastian Strumann (28),<br />
hat drei Jahre in China Politikwissenschaft<br />
studiert <strong>und</strong> gearbeitet<br />
* „Immer bunter. Einwanderungsland Deutschland“: So lautete auch der Titel einer Ausstellung<br />
im Haus der Geschichte der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland in Bonn.
16 Länder im Herzen Europas<br />
Für einige Italiener ist Deutschland das Land der Arbeit, der<br />
Gründlichkeit, Ernsthaftigkeit <strong>und</strong> Ehrlichkeit. Viele Italiener<br />
arbeiten in der Gastronomie <strong>und</strong> sind <strong>zu</strong>frieden, da sie von den<br />
Deutschen geschätzt werden. Andere meinen hingegen, dass es<br />
wegen des kalten Wetters <strong>zu</strong> schwierig ist, dort <strong>zu</strong> leben.“<br />
Gianfiore Laurino (27), Student in Trient (Italien).<br />
Er verbrachte ein Semester als Erasmus-Stipendiat in Tübingen.<br />
Im Ausland gilt Deutschland sogar als das beliebteste<br />
Land der Erde. Das hat 2014 eine internationale<br />
Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung<br />
(GfK) ergeben. Anteil an dem<br />
Ergebnis hatte auch eine sportliche Spitzenleistung:<br />
der Sieg bei der Fußball-Weltmeisterschaft.<br />
Weitere Gründe werden in Deutschlands<br />
führender Rolle in Europa <strong>und</strong> seiner starken<br />
Wirtschaft gesehen. In den Kategorien „Investitionsklima“<br />
<strong>und</strong> „soziale Gleichheit“ steht die B<strong>und</strong>esrepublik<br />
besonders gut dar.<br />
Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> verw<strong>und</strong>ert es nicht,<br />
dass der vergleichsweise intakte Arbeitsmarkt<br />
immer mehr Menschen anzieht. Bereits 2012<br />
sorgte die Nachricht der Organisation für wirtschaftliche<br />
Zusammenarbeit <strong>und</strong> Entwicklung<br />
(OECD) für Schlagzeilen, dass Deutschland als<br />
zweitbeliebtestes Ziel für Zuwanderer gilt, gleich<br />
hinter den USA. Angesichts niedriger Geburtenzahlen<br />
<strong>und</strong> des Fachkräftemangels kommt diese<br />
Entwicklung dem Land <strong>zu</strong>gute.<br />
Nur: Wie werden Zuwanderer in Deutschland<br />
empfangen? Die Antwort fällt differenziert aus:<br />
Wenn es um den Zu<strong>zu</strong>g von Arbeitskräften geht,<br />
ist Deutschland offenbar <strong>zu</strong> einem Vorreiter für<br />
moderne Migrationspolitik geworden. Das hat<br />
das Jahresgutachten des Sachverständigenrats<br />
deutscher Stiftungen für Integration <strong>und</strong> Migration<br />
(SVR) ergeben, welches die Vorsitzende Prof.<br />
Dr. Christine Langenfeld 2015 vorstellte. „Deutschland<br />
reiht sich im internationalen Vergleich in<br />
die Riege fortschrittlicher Einwanderungsländer<br />
ein“, lobte sie. Eine erfolgreiche Migrations- <strong>und</strong><br />
Integrationspolitik umfasse aber weit mehr als<br />
nur liberale Gesetze. „Deutschland muss sich international,<br />
aber auch nach innen noch sehr viel<br />
stärker <strong>und</strong> glaubwürdig als Einwanderungsland<br />
definieren <strong>und</strong> positionieren“, so Langenfeld.<br />
Während sich in der Arbeitsmarktpolitik,<br />
die weitgehend in nationaler Hand liegt, ein rapider<br />
Politikwechsel vollzogen habe, bestehen<br />
nach Einschät<strong>zu</strong>ng des SVR in der Flüchtlings<strong>und</strong><br />
Asylpolitik <strong>–</strong> vor allen Dingen auf der europäischen<br />
Ebene <strong>–</strong> schwerwiegende Defizite. Diese<br />
müssten dringend angegangen werden.<br />
Für jene Bereiche, die auf innerstaatlicher Ebene<br />
entschieden werden, hat sich für Flüchtlinge<br />
aber auch einiges getan. Da<strong>zu</strong> zählt <strong>zu</strong>m Beispiel<br />
die Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes,<br />
der der <strong>B<strong>und</strong>esrat</strong> im November 2014 <strong>zu</strong>gestimmt<br />
hat. In der Folge stiegen die Leistungssätze deutlich<br />
an. Außerdem sank die Wartezeit bis <strong>zu</strong>m Anspruch<br />
auf Leistungen analog <strong>zu</strong>r Sozialhilfe von<br />
48 auf 15 Monate. Als weitere wichtige Maßnahme<br />
ist auch die Aufhebung der Residenzpflicht für<br />
Asylsuchende <strong>und</strong> geduldete Ausländer an<strong>zu</strong>sehen.<br />
Diese entfällt, wenn sich der Asylsuchende<br />
bereits drei Monate in Deutschland aufhält. Der<br />
<strong>B<strong>und</strong>esrat</strong> billigte diese Regelung im Dezember<br />
letzten Jahres.<br />
VOLKER BOUFFIER NIMMT<br />
GESELLSCHAFT IN DIE PFLICHT<br />
Anschläge auf Asylbewerberheime <strong>und</strong> die Diskriminierung<br />
von Migranten zeigen jedoch: Es »
48 | 49<br />
EINBLICK<br />
Deutschland ist eine<br />
offene, tolerante<br />
Migrationsgesellschaft.<br />
Zuwanderung<br />
wird jedoch<br />
meiner Meinung<br />
nach vorrangig<br />
als Konfliktthema<br />
behandelt. Vielmehr<br />
sollten die Chancen<br />
<strong>und</strong> Potenziale erkannt<br />
<strong>und</strong> gefördert<br />
werden.“<br />
Rahime Algan (35),<br />
arbeitet in der Kommunikation<br />
des Verbandes Deutscher<br />
Verkehrsunternehmen in Berlin.<br />
In Deutschland geboren, hat sie<br />
familiäre Wurzeln in der Türkei.<br />
gibt noch manches <strong>zu</strong> tun <strong>zu</strong>gunsten einer<br />
Willkommenskultur, <strong>zu</strong>mal immer<br />
mehr Flüchtlinge nach Deutschland strömen.<br />
So stellten im ersten Quartal 2015<br />
nach Angaben der EU-Statistikbehörde<br />
Eurostat 73.100 Asylbewerber einen Antrag<br />
auf Anerkennung in Deutschland.<br />
Das entsprach etwa 40 Prozent aller Asylbewerber<br />
in der EU (insgesamt 185.000<br />
Menschen).<br />
<strong>B<strong>und</strong>esrat</strong>spräsident Volker Bouffier trat<br />
in seiner Rede am 19. Dezember 2014 im<br />
Plenarsaal der Länderkammer Fremdenfeindlichkeit<br />
klar entgegen <strong>und</strong> warb für<br />
sachliche Aufklärung: „In etlichen Städten<br />
Deutschlands gehen derzeit Bürger<br />
auf die Straße <strong>und</strong> demonstrieren gegen<br />
die angebliche Islamisierung Deutschlands<br />
<strong>und</strong> Europas. Was sich da vermeintlich,<br />
praktisch aus dem Nichts, plötzlich<br />
zeigt, dürfen wir nicht ignorieren. Neben<br />
unterschiedlichen Rechtsextremen,<br />
Ewiggestrigen, Menschen, die politisch<br />
<strong>und</strong> gesellschaftlich häufig nicht mehr<br />
von uns erreicht werden, zeigen sich dort<br />
auch viele sogenannte normale Bürger,<br />
Menschen, die Angst haben um die Zukunft,<br />
Ängste, die nach meiner festen<br />
Überzeugung unbegründet sind.“ Bouffier<br />
baut bei der Lösung des Problems auf<br />
die Zivilgesellschaft: „So etwas dürfen wir<br />
nicht ignorieren, aber auch nicht dämonisieren.<br />
Es ist die Pflicht aller gesellschaftlichen<br />
Gruppen, nicht nur der Parteien,<br />
diese Themen auf<strong>zu</strong>nehmen, eine klare<br />
Position <strong>zu</strong> beziehen, Widerstand <strong>zu</strong> zeigen,<br />
sachlich auf<strong>zu</strong>klären <strong>und</strong> das Gespräch<br />
<strong>zu</strong> suchen.“<br />
STEPHAN WEIL WIRBT IM AUSLAND<br />
FÜR FÖDERALISMUS<br />
Während das Thema Integration im Ausland<br />
teilweise eher kritisch gesehen wird,<br />
gelten viele politische Errungenschaften<br />
des wiedervereinigten Deutschlands als<br />
vorbildlich. Das trifft unter anderem auf<br />
den <strong>Föderalismus</strong> <strong>zu</strong>. Angesichts regionaler<br />
Autonomiebestrebungen wie in Südtirol,<br />
Schottland, dem Baskenland oder<br />
Katalonien setzen viele Länder verstärkt<br />
auf föderale Strukturen.<br />
Die historischen Hintergründe, die in<br />
Deutschland <strong>zu</strong>r Einführung des <strong>Föderalismus</strong><br />
führten, <strong>und</strong> zwei zentrale Vorzüge<br />
dieses Systems hat der niedersächsische<br />
Ministerpräsident Stephan Weil<br />
anschaulich beschrieben. Im September<br />
2014 gab er in seiner damaligen Funktion<br />
als <strong>B<strong>und</strong>esrat</strong>spräsident der italienischen<br />
Presse ein Interview: „Deutschland hat<br />
mit dem <strong>Föderalismus</strong> <strong>und</strong> der Einrichtung<br />
des <strong>B<strong>und</strong>esrat</strong>es gute Erfahrungen<br />
gemacht“, sagte er. „Dieser besondere<br />
Staatsaufbau ist Konsequenz aus der<br />
Zeit des Nationalsozialismus, als ganz<br />
Deutschland von einer Zentralregierung<br />
aus Berlin regiert wurde. Aus den damaligen<br />
schrecklichen Erfahrungen hat man<br />
die Schlussfolgerung gezogen, Verantwortung<br />
<strong>und</strong> Macht im Staat <strong>zu</strong> verteilen.“<br />
Dies sei einer der wichtigsten Vorteile des<br />
föderalen Systems: „Wenn Macht verteilt<br />
ist, kann sie nicht so leicht missbraucht<br />
werden.“ Hin<strong>zu</strong> komme der „inhaltlich<br />
große Vorteil, dass die Länder ihre Sichtweisen<br />
<strong>und</strong> spezifischen Kompetenzen in<br />
das Gesetzgebungsverfahren einbringen<br />
können.“ In Deutschland muss in circa<br />
40 Prozent aller B<strong>und</strong>esgesetzgebungsverfahren<br />
der <strong>B<strong>und</strong>esrat</strong> <strong>zu</strong>stimmen.<br />
Weil zeigte sich dessen bewusst, dass<br />
der <strong>Föderalismus</strong> in Deutschland auch<br />
Schwächen hat: „Die Regelung des Gr<strong>und</strong>gesetzes<br />
<strong>zu</strong>m Stimmgewicht der einzelnen<br />
B<strong>und</strong>esländer stellt in der Tat einen<br />
Kompromiss zwischen der Forderung<br />
nach Gleichbehandlung der Länder <strong>und</strong><br />
dem demokratischen Ideal einer arithmetisch<br />
exakten Repräsentation der Bevölkerung<br />
dar. Sie war <strong>und</strong> ist immer wieder<br />
Gegenstand der staatsrechtlichen <strong>und</strong><br />
politischen Diskussion, weil sie aufgr<strong>und</strong><br />
der Mindestzahl an Stimmen die kleineren<br />
Länder etwas begünstigt.“
Länderschlaglicht<br />
Baden-<br />
Württemberg<br />
„Wir können alles. Außer Hochdeutsch.“<br />
Mit diesem ironischen<br />
Bekenntnis wirbt Baden-Württemberg<br />
seit mehr als 15 Jahren.<br />
Das Land gehört schließlich <strong>zu</strong><br />
den stärksten Wirtschaftsregionen<br />
Europas <strong>–</strong> <strong>und</strong> das nicht erst<br />
seit gestern: Carl Benz baute 1886<br />
im heutigen Baden-Württemberg<br />
das erste Automobil. Auch heute<br />
ist das Land ein wichtiges Zentrum<br />
der Automobilindustrie.<br />
Viele Hersteller <strong>und</strong> Zulieferer haben<br />
hier ihren Hauptsitz. Weitere<br />
wichtige Industriezweige sind die<br />
Maschinenbau- <strong>und</strong> die Metallbranche.<br />
Bemerkenswert ist, dass<br />
Baden-Württemberg über fünf<br />
Prozent der Wirtschaftskraft in<br />
Forschung <strong>und</strong> Entwicklung investiert<br />
<strong>–</strong> das ist mit Abstand deutscher<br />
Spitzenwert.<br />
Ich freue mich immer, wenn ich den badischen<br />
Dialekt höre. „Oin Bolle Eis“ ist eben<br />
etwas Besonderes. Es erinnert mich an<br />
meine Kindheit in Karlsruhe <strong>und</strong> meine<br />
musikalischen Anfänge in Heidelberg.“<br />
Christina Lux, Musikerin<br />
Statistische Daten<br />
10,6 Millionen<br />
Einwohner<br />
11,9%<br />
Sparquote<br />
Stuttgart<br />
Hauptstadt<br />
35.751 km ²<br />
Fläche<br />
Wussten Sie schon, ...<br />
... dass Baden-Württemberg ursprünglich<br />
aus drei Ländern bestand? Erst<br />
1952 vereinigten sich Baden, Württemberg-Hohenzollern<br />
<strong>und</strong> Württemberg-Baden<br />
nach Volksabstimmungen<br />
<strong>zu</strong>m heutigen Südweststaat.<br />
Baden-Württemberg ist damit das<br />
einzige Land, das aus einer Fusion<br />
hervorging.<br />
Saarland<br />
Das Saarland ist das kleinste Flächenland<br />
der Republik <strong>–</strong> dafür<br />
aber das einzige, das je an den<br />
Olympischen Spielen (1952) teilnahm.<br />
Nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
gehörte das Saarland als<br />
französisches Protektorat nicht<br />
<strong>zu</strong>m neuen westdeutschen Staat.<br />
Erst nach einer Volksabstimmung<br />
wurde es <strong>zu</strong>m Jahresbeginn 1957<br />
als letztes der damals zehn Länder<br />
(ohne Westberlin) Teil der jungen<br />
B<strong>und</strong>esrepublik. Diese „kleine<br />
Wiedervereinigung“ galt damals<br />
als Vorbild für die lange erhoffte<br />
deutsche Einheit. Wirtschaftlich<br />
vollzieht das Saarland nach jahrelangen<br />
Krisen der Montanindus-<br />
trie erfolgreich den Strukturwandel.<br />
Günstige Lebenshaltungs- <strong>und</strong><br />
Wohnkosten sorgen für die höchste<br />
Dichte an Wohneigentum<br />
in Deutschland.<br />
Saarland<br />
ist Saarland.<br />
Über<br />
der Saarschleife<br />
sitzen,<br />
Kärschtcher <strong>und</strong> Lyoner<br />
essen <strong>und</strong> wissen, dass es<br />
am Horizont weiter geht<br />
… Heimat ist da, wo die<br />
Seele sich wohl fühlt.“<br />
Gerd Dudenhöffer,<br />
Kabarettist <strong>und</strong> Schriftsteller<br />
Statistische Daten<br />
0,99 Millionen<br />
Einwohner<br />
Saarbrücken<br />
Hauptstadt<br />
2.569 km ²<br />
Fläche<br />
63,7%<br />
Wohneigentumsquote<br />
Wussten Sie schon, ...<br />
… dass Französisch im Saarland seit<br />
2014 offizielle „Zweite Verkehrs- <strong>und</strong><br />
Umgangssprache“ ist? Das bedeutet,<br />
dass öffentliche Mitteilungen <strong>und</strong><br />
Beschilderungen zweisprachig sein<br />
müssen. Saarländische Schüler lernen<br />
außerdem als erste Fremdsprache<br />
Französisch statt Englisch. Das Saarland<br />
soll so <strong>zu</strong> einem Ort der Begegnung<br />
von Franzosen <strong>und</strong> Deutschen werden.
50 | 51<br />
EINBLICK<br />
BUNDESRATSPRÄSIDENTEN<br />
SEIT DER WIEDERVEREINIGUNG<br />
11/1990 <strong>–</strong> 10/1991<br />
DR. HENNING VOSCHERAU<br />
Hamburg<br />
„Zum ersten Mal (...) sind die Ministerpräsidenten<br />
(...) aller deutschen Länder<br />
in der Lage, vereint <strong>zu</strong> handeln.“<br />
11/1996 <strong>–</strong> 10/1997<br />
ERWIN TEUFEL<br />
Baden-Württemberg<br />
„Die Länder wurden <strong>zu</strong>m Scharnier<br />
der deutschen Einheit.“<br />
11/1991 <strong>–</strong> 03/1992<br />
DR. ALFRED GOMOLKA<br />
Mecklenburg-Vorpommern<br />
„Wir kommen (...) auch als Kinder einer<br />
friedlichen Revolution hierher.“<br />
05/1992 <strong>–</strong> 10/1992<br />
DR. BERNDT SEITE<br />
Mecklenburg-Vorpommern<br />
„Unsere Hauptaufgabe bleibt es, nach<br />
(...) der staatlichen Einheit nun die innere<br />
Einheit unseres Volkes her<strong>zu</strong>stellen.“<br />
11/1997 <strong>–</strong> 10/1998<br />
GERHARD SCHRÖDER<br />
Niedersachsen<br />
„Ich denke, es ist richtig <strong>zu</strong> sagen:<br />
Die Deutschen haben sich vereint, noch<br />
bevor Deutschland vereinigt wurde.“*<br />
*9.11.1999 als Kanzler vor dem Deutschen B<strong>und</strong>estag<br />
11/1998 <strong>–</strong> 04/1999<br />
HANS EICHEL<br />
Hessen<br />
„<strong>Föderalismus</strong> <strong>und</strong> Vielfalt gehören<br />
untrennbar <strong>zu</strong>sammen.“<br />
11/1992 <strong>–</strong> 10/1993<br />
OSKAR LAFONTAINE<br />
Saarland<br />
„(…) dieser Tag der Deutschen Einheit<br />
[ist] <strong>zu</strong>gleich ein Tag unserer gemeinsamen<br />
europäischen Zukunft (…).“<br />
11/1993 <strong>–</strong> 10/1994<br />
KLAUS WEDEMEIER<br />
Bremen<br />
„Das heutige Deutschland ist mehr als<br />
die Summe seiner beiden Teile (...).“<br />
11/1994 <strong>–</strong> 10/1995<br />
DR. H.C. JOHANNES RAU<br />
Nordrhein-Westfalen<br />
„Die staatliche Einheit hat nicht die von<br />
manchen befürchtete Schwächung des<br />
<strong>Föderalismus</strong> gebracht.“<br />
11/1995 <strong>–</strong> 10/1996<br />
DR. EDMUND STOIBER<br />
Bayern<br />
„Auch nach der Wiedervereinigung<br />
haben die Länder unser größer<br />
gewordenes Vaterland mitgestaltet.“*<br />
*27.9.1996: Abstimmung über den <strong>B<strong>und</strong>esrat</strong>ssitz<br />
04/1999 <strong>–</strong> 10/1999<br />
ROLAND KOCH<br />
Hessen<br />
„Bürgerinnen <strong>und</strong> Bürger der (...) DDR<br />
strebten nach dieser Bonner Republik,<br />
als sie riefen: ‚Wir sind ein Volk‘.“*<br />
*1.7.1999 <strong>zu</strong>r Eidesleistung des B<strong>und</strong>espräsidenten<br />
11/1999 <strong>–</strong> 10/2000<br />
PROF. DR. KURT BIEDENKOPF<br />
Sachsen<br />
„Der Um<strong>zu</strong>g des <strong>B<strong>und</strong>esrat</strong>es [nach<br />
Berlin] ist Ausdruck der vollzogenen<br />
deutschen Einheit (...).“<br />
11/2000 <strong>–</strong> 10/2001<br />
KURT BECK<br />
Rheinland-Pfalz<br />
„Der <strong>Föderalismus</strong> <strong>und</strong> seine (...) Organisation<br />
haben sich über alle Veränderungen (...) <strong>–</strong><br />
darunter der glückliche Umstand der<br />
deutschen Einheit <strong>–</strong> bewährt.“<br />
11/2001 <strong>–</strong> 10/2002<br />
KLAUS WOWEREIT<br />
Berlin<br />
„Es bleibt die Aufgabe, gleichwertige<br />
Lebensverhältnisse in allen Teilen der<br />
Republik her<strong>zu</strong>stellen.“
Chronik<br />
27 <strong>B<strong>und</strong>esrat</strong>spräsidenten in 25 Jahren: Welche Politiker dem Verfassungsorgan seit der Wiedervereinigung<br />
vorstanden <strong>und</strong> was sie über deutsche Einheit <strong>und</strong> <strong>Föderalismus</strong> sagten, zeigt diese<br />
Doppelseite. Sofern nicht anders angegeben, stammen die Zitate aus den Antrittsreden oder aus<br />
Ansprachen während der letzten Sit<strong>zu</strong>ng der jeweiligen Amtszeit.<br />
11/2002 <strong>–</strong> 10/2003<br />
PROF. DR.<br />
WOLFGANG BÖHMER<br />
Sachsen-Anhalt<br />
„Die Entwicklung des Einigungsprozesses<br />
war der Beweis für die Überlegenheit<br />
föderaler Strukturen.“<br />
11/2003 <strong>–</strong> 10/2004<br />
DIETER ALTHAUS<br />
Thüringen<br />
„Für mich ist heute ein Tag, um sich in<br />
Dankbarkeit daran <strong>zu</strong> erinnern, dass wir<br />
es sein dürfen, die die Chance haben, die<br />
Einheit Deutschlands <strong>zu</strong> gestalten (…).“<br />
11/2004 <strong>–</strong> 10/2005<br />
MATTHIAS PLATZECK<br />
Brandenburg<br />
„Der solidarische Zusammenhalt<br />
war <strong>und</strong> ist auch die Klammer für<br />
das Zusammenwachsen beider Teile<br />
Deutschlands (…).“<br />
11/2005 <strong>–</strong> 10/2006<br />
PETER HARRY CARSTENSEN<br />
Schleswig-Holstein<br />
„In den ostdeutschen Ländern ist <strong>–</strong> bei<br />
allen Aufgaben, die noch <strong>zu</strong> lösen sind<br />
(…) <strong>–</strong> Gewaltiges auf den Weg gebracht<br />
worden.“<br />
11/2006 <strong>–</strong> 10/2007<br />
DR. HARALD RINGSTORFF<br />
Mecklenburg-Vorpommern<br />
„Vom Ausland her betrachtet ist die<br />
deutsche Einigung schon heute eine<br />
Erfolgsgeschichte.“<br />
11/2007 <strong>–</strong> 10/2008<br />
OLE VON BEUST<br />
Hamburg<br />
„Gerade wir in Hamburg fühlen<br />
uns Mecklenburg-Vorpommern eng<br />
verb<strong>und</strong>en (…). Gemeinsam haben wir<br />
damals den Mauerfall bejubelt.“<br />
11/2009 <strong>–</strong> 10/2010<br />
JENS BÖHRNSEN<br />
Bremen<br />
„Mit der Einheit sind wir auch nach<br />
20 Jahren noch nicht ganz am Ziel,<br />
aber schon sehr weit.“<br />
11/2010 <strong>–</strong> 10/2011<br />
HANNELORE KRAFT<br />
Nordrhein-Westfalen<br />
„Der Freiheitswille der Menschen hatte<br />
gesiegt <strong>und</strong> die Mauer der Unfreiheit<br />
buchstäblich niedergerissen.“*<br />
*3.10.2011 <strong>zu</strong>m Bürgerfest, Tag der Deutschen Einheit<br />
11/2011 <strong>–</strong> 10/2012<br />
HORST SEEHOFER<br />
Bayern<br />
„Erst das offene Aufbegehren gegen das<br />
Regime der SED hat den Weg <strong>zu</strong>r Einheit<br />
in Freiheit geebnet.“*<br />
*3.10.2012 <strong>zu</strong>m Bürgerfest, Tag der Deutschen Einheit<br />
11/2012 <strong>–</strong> 10/2013<br />
WINFRIED KRETSCHMANN<br />
Baden-Württemberg<br />
„Was die 48er (…) nicht geschafft haben,<br />
ist gut 140 Jahre später durch den Anstoß<br />
der 89er im Osten gelungen.“<br />
*3.10.2013 <strong>zu</strong>m Bürgerfest, Tag der Deutschen Einheit<br />
11/2013 <strong>–</strong> 10/2014<br />
STEPHAN WEIL<br />
Niedersachsen<br />
„Die deutsche Einheit ist <strong>zu</strong> einem guten<br />
Stück vorangekommen (…).“*<br />
*31.10.2013 in einem Interview <strong>zu</strong>m Amtsantritt<br />
SEIT 11/2014<br />
VOLKER BOUFFIER<br />
Hessen<br />
„Noch 25 Jahre danach ist es aus meiner<br />
Sicht eine historische Sensation, dass<br />
es (...) gelungen ist, ein Jahrh<strong>und</strong>ert der<br />
Kriege friedlich <strong>zu</strong> überwinden.“<br />
11/2008 <strong>–</strong> 10/2009<br />
PETER MÜLLER<br />
Saarland<br />
„So ist sicherlich auch die Wiedervereinigung<br />
(...) der bedeutendste Einschnitt<br />
in der Geschichte dieses Hauses.“*<br />
*18.9.2009 <strong>zu</strong>m 60. Jahrestag der Konstituierung<br />
des <strong>B<strong>und</strong>esrat</strong>es
EINBLICK<br />
BEITRÄGE ZU BUNDESRAT UND FÖDERALISMUS