Grundschule aktuell 116
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www.grundschulverband.de · November 2011 · D9607F<br />
<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong><br />
Zeitschrift des Grundschulverbandes · Heft <strong>116</strong><br />
Zugriff oder Zutrauen?<br />
Wie das Bild von Kindern<br />
den Umgang mit ihnen bestimmt
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und ermöglichen so eine individuelle Förderung für jedes Kind.<br />
Geplante Themen 2012:<br />
– Heimat · Musik · Kultur<br />
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– Richtig schreiben<br />
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– Technik<br />
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erscheint 6 x jährlich.<br />
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Studierende/Referendare: 39,00 €<br />
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Alle Preisangaben zzgl. Versandkosten.<br />
Stand: 01.01.2011<br />
Preisänderungen und Irrtümer<br />
vorbehalten<br />
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Telefon: 0531-708-8631<br />
Telefax: 0531-708-617<br />
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Bildungsmedien Service GmbH<br />
Zeitschriftenvertrieb<br />
Postfach 3320<br />
38023 Braunschweig<br />
Foto: zorani, www.istockphoto.com
Inhalt<br />
Editorial<br />
Tagebuch<br />
S. 2 Hilfe, die allen nützt (F. Berth)<br />
Keine Zeit für Pädagogik?<br />
S. 3 Liebe Marie, … (H. Sußebach)<br />
Frühe Aussonderung oder inklusive Schule?<br />
S. 9 Kinder mit »Lernbehinderung« (B. Schumann)<br />
S. 12 Ein Traum / Die Schubladen (N. Simon)<br />
Kinder: Lernautomaten oder<br />
selbstbewusste Lerner?<br />
S. 14 Von wegen: einfach und passgenau!<br />
(H. Bartnitzky)<br />
S. 18 Leseförderung: Mit W-Fragen informierend lesen<br />
Didaktisches Brauchtum oder Orientierung<br />
an Kindern heute?<br />
S. 20 Buchstabensalat. Verwirrungen und Verirrungen<br />
um die »Schreibschrift« (U. Hecker)<br />
S. 24 Einfach schreiben. Einblicke in das<br />
Schreibenlernen mit der Grundschrift<br />
(N. Stolz, M. Kleine-Tebbe, B. van der Donk)<br />
Aktuell …<br />
… aus dem Bundesvorstand<br />
S. 28 VERA im Gespräch<br />
Bundesgeschäftsstelle neu aufgestellt<br />
… aus den Landesgruppen, u. a.<br />
S. 30 Berlin: Rechtschreibung – Voll peinlich!<br />
S. 32 Hamburg: Alle <strong>Grundschule</strong>n werden<br />
Ganztagsschulen<br />
S. 33 Sachsen-Anhalt: Wege zum gemeinsamen<br />
Unterricht<br />
Impressum<br />
GRUNDSCHULE AKTUELL, die Zeitschrift des Grundschulverbandes<br />
erscheint viertel jährlich und wird allen Mitgliedern zugestellt.<br />
Der Bezugspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Das einzelne Heft<br />
kostet 7,50 € (inkl. Versand); für Mitglieder und ab 10 Exemplaren 3,00 €.<br />
Verlag: Grundschulverband e. V., Niddastraße 52,<br />
60329 Frankfurt / Main, Tel. 0 69 / 77 60 06, Fax: 0 69 / 7 07 47 80,<br />
www.grundschulverband.de, info@grundschulverband.de<br />
Herausgeber: Der Vorstand des Grundschulverbandes<br />
in Zusammen arbeit mit Dr. Horst Bartnitzky<br />
Redaktion: Ulrich Hecker, Hülsdonker Str. 64, 47441 Moers,<br />
Tel. 0 28 41 / 2 17 14, ulrich.hecker@googlemail.com<br />
Fotos: Autorinnen und Autoren; Bert Butzke, Mülheim (Titel,<br />
S. 3 – 8, 22)<br />
Zeichnung: Wilhelm Nüchter, Moers (S. 12)<br />
Herstellung: novuprint Agentur für Mediendesign, Werbung,<br />
Publikationen GmbH, Bödekerstr. 73, 30161 Hannover,<br />
Tel. 0511 / 9 61 69-11, Fax: 05 11 / 9 61 69-99, info@novuprint.de<br />
Anzeigen: Claudia Klinger, Verlagsgruppe Beltz,<br />
Tel. 0 62 01 / 6 00 73 86, Fax 0 62 01 / 6 00 73 93, c.klinger@beltz.de<br />
Druck: Beltz Druckpartner, 69502 Hemsbach<br />
ISSN 1860-8604 / Bestellnummer: 6051<br />
Beilagen: »Eine Welt in der Schule« und GrundschulEltern<br />
als ständige Beilage bzw. Einhefter<br />
Zugriff oder Zutrauen?<br />
Was wollen wir? Den »Zugriff« auf Kinder, auf ihre Lebens- und<br />
Lerngeschichte(n)? Den »Zugriff« auf vermessene »Lerndaten«<br />
statt des wert-schätzenden Blicks auf Lernprozesse und -ergebnisse?<br />
Zugriff also letztlich auf »das Recht des Kindes auf den<br />
heutigen Tag« (Janusz Korczak) – Oder haben Politik und Administration,<br />
haben Eltern, Erzieher/innen, Lehrer/innen Zutrauen<br />
zu Kindern? Haben wir das Vertrauen des Kinderarztes<br />
Remo H. Largo: »Jedes Kind will lernen«? Und engagieren wir<br />
uns dafür, dass die große Aufgabe, jedes Kind so anzunehmen,<br />
wie es ist, sowie seine Individualität und Persönlichkeit von klein<br />
auf zu respektieren, tatsächlich Allgemeingut wird?<br />
Wie der Blick auf Kinder (und Jugendliche) den Umgang mit ihnen<br />
bestimmt – das ist Thema dieses Heftes. Wir haben diesmal<br />
auf die gewohnte Strukturierung verzichtet, um Zusammenhänge<br />
deutlicher machen zu können, und entfalten die Ausgangsfrage<br />
in vier Aspekten:<br />
1.: Keine Zeit für Pädagogik?<br />
»Schule« leitet sich ab vom griechischen Wort für »Muße«. Wie<br />
wenig Zeit – Bildungs-Zeit! – aber geben Politik und Administration<br />
Kindern und Jugendlichen zum Lernen heute? Henning<br />
Sußebach hat in der ZEIT einen vieldiskutierten Brief an seine<br />
Tochter veröffentlicht. Wir freuen uns, diesen Beitrag in einer<br />
vom Autor bearbeiteten Fassung zur Diskussion stellen zu können.<br />
S. 3 ff.<br />
2.: Frühe Aussonderung oder inklusive Schule?<br />
Die »Behindertenrechtskonvention« der Vereinten Nationen ist<br />
seit 2009 gültiges Recht in Deutschland. Damit ist ein Schulsystem<br />
in Frage gestellt, das Kinder mit und ohne »bescheinigte Behinderung«<br />
in »Förder-« und »Regelschulen« separiert. Im Kern<br />
geht es darum, wie Bildung und Lernen in allen Bildungsbereichen<br />
»inklusiv« gedacht und verwirklicht werden kann. Dem<br />
widerspricht z. B. der Umgang mit der »deutschen Spezies der<br />
Lernbehinderten« markant, meint Brigitte Schumann. S. 9 ff.<br />
3.: Lernautomaten oder selbstbewusste Lerner?<br />
Horst Bartnitzky geht von einem »Internet-basierten« Zugriff<br />
auf Kinder aus und zeigt, dass »Förderung« eine anspruchsvolle<br />
didaktische Aufgabe ist, die nur erfolgreich sein kann, wenn sie<br />
Kinder mit einbezieht. S. 14 ff.<br />
4.: Didaktisches Brauchtum oder Orientierung an Kindern heute?<br />
Am Beispiel der aufgeregten Debatte um »Schreibschrift –<br />
Druckschrift – Grundschrift«, bei der es ja um ein Kindern<br />
bekömmliches Schreibenlernen geht, wird immer wieder eine<br />
grundsätzliche Frage deutlich: Soll am überkommenen »didaktischen<br />
Brauchtum« festgehalten werden oder müssen sich<br />
(Grund-)Schule und (Schreib-)Unterricht an »Kindern heute«<br />
orientieren? Für den Grundschulverband ist die Entscheidung<br />
klar: Er vertritt die Bildungs-Ansprüche von Grundschulkindern.<br />
S. 20 ff.<br />
Ulrich Hecker<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011<br />
1
Tagebuch<br />
Hilfe, die allen nützt<br />
Felix Berth<br />
Vielleicht sollte man Grundschullehrern nichts von diesem<br />
Experiment erzählen. Es begann im Jahr 1962 in der<br />
US-Kleinstadt Ypsilanti. 58 Jungen und Mädchen durften<br />
zwei Jahre lang einen Halbtags-Kindergarten besuchen.<br />
Diese »Perry Preschool« war ambitioniert, weil dort akademisch<br />
ausgebildete Lehrer den Kindern aus armen Familien<br />
einen guten Start ermöglichten. Doch spektakulär<br />
schien sie nicht zu sein.<br />
Im Jahr 2011 reist ein Nobelpreisträger um die Welt und<br />
verkündet, dass die Intervention von Ypsilanti lohnender<br />
sei als jede andere Sozialpolitik: »Die Perry Preschool hatte<br />
ungeheure Vorteile – sie war hilfreich für die Kinder und<br />
extrem lohnend für Staat und Gesellschaft«, sagt James<br />
Heckman, Professor für Ökonomie aus Chicago, und die<br />
Zeitschrift Science stimmt im August 2011 in einem ganzen<br />
Heft das Lob der frühen Bildung an.<br />
Wer den deutschen Grundschullehrern solche Ergebnisse<br />
nahebringen will, geht drei Risiken ein. Das erste ist, für<br />
naiv gehalten zu werden: »Riesige Erfolge wegen ein bisschen<br />
Kindergarten? Wahrscheinlich wieder eine Studie,<br />
bei der so lange gerechnet wurde, bis das Ergebnis gepasst<br />
hat«, könnte eine ungläubige Reaktion lauten.<br />
Doch die Erfolgsbilanz von Ypsilanti zählt zum Robustesten,<br />
was die Sozialwissenschaft je geliefert hat. Es gab neben<br />
den 58 Kindern in der »Preschool« eine gleich große Gruppe<br />
von Kindern, die aus dem gleichen Milieu stammten, aber<br />
nicht in der Kita gefördert wurden. Und deshalb können<br />
Wissenschaftler heute, Jahrzehnte später, vergleichen: Wie<br />
entwickelten sich die Kinder aus der Preschool? Und was<br />
wurde aus denen in der Kontrollgruppe? Die Unterschiede<br />
sind enorm. Zum Beispiel bei den Einkommen, zum Beispiel<br />
auch bei der Kriminalität: ein Drittel weniger Eigentumsdelikte<br />
in der Experimentalgruppe, ein Drittel weniger<br />
Gewaltverbrechen und halb so viele Morde. Eindeutig ein<br />
Erfolg der Preschool – denn wie wären die Unterschiede<br />
sonst zu erklären?<br />
Das zweite Risiko ist die Förderung von pädagogischem<br />
Defätismus: »Wenn die wichtigsten Dinge schon bei den<br />
Dreijährigen entschieden werden – muss ich mich da überhaupt<br />
anstrengen?«, könnte eine Grundschullehrerin fragen.<br />
Und sie könnte sich bestätigt fühlen, wenn sie am ersten<br />
Schultag zu wissen glaubt, wer aus ihrer Klasse nach vier<br />
oder sechs Jahren auf ein Gymnasium geht und wer nicht.<br />
Doch das wäre die falsche Schlussfolgerung. Natürlich<br />
ist nicht jedes Leben beim Schulstart vollständig determiniert<br />
– manchmal kriegen selbst Kinder aus schwierigsten<br />
Verhältnissen die Kurve; die Resilienzforschung<br />
hat dafür etliche Belege gesammelt. Zwar stimmt es, dass<br />
wichtige Weichenstellungen bei Sechsjährigen bereits<br />
geschehen sind, wie die Entwicklungspsychologen und<br />
Hirnforscher in den letzten Jahren eindrucksvoll gezeigt<br />
haben. Dennoch ist die Arbeit in den ersten Schulklassen<br />
nicht unwichtig: Sie ist ein zentraler Teil der Bildungskarriere<br />
eines Menschen – bloß eben nicht ihr Beginn.<br />
Das dritte Risiko schließlich ist, dass nun die wohlhabende<br />
Mittelschicht für ihre Kinder eine Förderung wie<br />
in der Perry Preschool verlangt: »Dieses Experiment zeigt<br />
doch, dass sich jeder Euro lohnt, den der Staat für unsere<br />
Kinder ausgibt«, hört man diese Eltern argumentieren.<br />
Bloß: Das zeigt dieses Experiment nicht.<br />
Die Versuche in den USA – in Ypsilanti wie in einigen<br />
anderen Städten – waren Versuche mit Kindern in miserablen<br />
Verhältnissen. Die Kinder lebten meist bei alleinerziehenden<br />
Müttern, die wenig Geld und schlechte Ausbildungen<br />
hatten. Die Väter waren oft abgehauen oder<br />
saßen im Gefängnis. Nur bei diesen Kindern konnte die<br />
Kita so erstaunlich wirkungsvoll sein, denn die Kinder<br />
bekamen dort etwas, was ihnen zu Hause versagt blieb:<br />
Unterstützung.<br />
Wer diese Experimente zur Kenntnis nimmt, erkennt,<br />
dass unsere Bildungspolitik umsteuern muss. Die Kinder<br />
aus den schwierigsten Familien brauchen die beste<br />
Unterstützung – das ist die wichtigste Maxime für die<br />
nächsten Jahre. Wer ihr folgen will, muss in den Kitas<br />
der Armutsquartiere beginnen und in den <strong>Grundschule</strong>n<br />
dort weitermachen. Das bricht zwar mit der Tradition des<br />
deutschen Wohlfahrtsstaates, der stets alle gleich behandeln<br />
will. Doch es ist Zeit für diesen Bruch.<br />
Felix Berth ist Redakteur der Süddeutschen Zeitung und<br />
schreibt über Gesellschaftspolitik.<br />
Felix Berth erhielt für seine Analysen<br />
der deutschen Familienpolitik<br />
mehrere Journalistenpreise.<br />
Gerade erschienen ist sein Buch<br />
»Die Verschwendung der Kindheit.<br />
Wie Deutschland seinen Wohlstand verschleudert«,<br />
Beltz 2011. Darin beschreibt er,<br />
wie frühe Bildung den Prozess der<br />
Verarmung und gesellschaftlichen<br />
Spaltung in Deutschland stoppen kann.<br />
2 GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011
Keine Zeit für Pädagogik?<br />
Henning Sußebach<br />
Schule im Zeitalter der Beschleunigung<br />
Liebe Marie, …<br />
… erinnerst Du Dich noch an den Tag,<br />
an dem wir das letzte Mal im Kino<br />
waren? An diesen Tierfilm, den Du<br />
so gerne sehen wolltest? Wie hieß der<br />
bloß noch? Ich glaube, Tiger, Bären<br />
und Vulkane, aber sicher bin ich mir<br />
nicht. Denn unser Ausflug liegt schon<br />
ein paar Monate zurück. Wir sind alle<br />
zusammen mit dem Auto in die Stadt<br />
gefahren: Mama, Henri, Du und ich. Es<br />
war Sonntag – und wir beide saßen mit<br />
Karteikarten auf der Rückbank und haben<br />
gelernt. Wie viel ist 17 2 ? Wie viel 5 6 ?<br />
Wie viel 2 8 ? Auf dem Weg nach Hause<br />
dann noch mal: 2 7 = 128, 18 2 = 324, 5 6 =<br />
15625. Und noch mal. Und zur Sicherheit<br />
gleich noch mal.<br />
Wir hätten so viel Sinnvolleres tun<br />
können auf unserem Heimweg! Den<br />
Bildern der Bären nachhängen und<br />
Bonbons lutschen zum Beispiel. In dem<br />
Zauber verweilen, den jeder kennt, der<br />
aus dem Kinodunkel ins Licht tritt –<br />
als laufe man erwachend durch einen<br />
Traum. Aber noch nicht mal an einem<br />
Sonntag ist es mir gelungen, Dich das<br />
Kind sein zu lassen, das Du sein solltest<br />
mit zehn Jahren.<br />
Bitte mach mir diesen Mist nicht<br />
nach, wenn Du erwachsen bist, Marie!<br />
Du merkst schon: Der Brief, den<br />
ich Dir schreibe, ist eine verzwickte<br />
Angelegenheit. Du<br />
wirst ihn genau lesen müssen, damit Du<br />
alles verstehst. Und dass Du verstehst,<br />
ist wichtig: Denn es geht um Dein Leben<br />
und um das, was wir Erwachsenen<br />
daraus machen.<br />
Ich werde Dir von Schülern berichten,<br />
die krank werden vom dauernden<br />
Üben. Von Bildungsexperten, die Euch<br />
vorm Lernen warnen. Und von Eltern,<br />
die ihre Kinder trotzdem nicht in Ruhe<br />
lassen. Von Zeile zu Zeile werde ich wütender<br />
werden – weil ich wütend bin auf<br />
mich und auf ein Land, das Euch alle zu<br />
Strebern macht.<br />
Ich schreibe diesen Brief in der Zeitung,<br />
weil es noch 275.000 andere<br />
Fünftklässler in Deutschland gibt, die<br />
ein Gymnasium besuchen wie Du. Die<br />
gerade wie Du für die letzten Arbeiten<br />
vor den Zeugnissen büffeln. Und die wie<br />
Du trotzdem nur mit halbem Ohr diese<br />
rätselhaften Wörter hören: » Turbo-Abi«,<br />
»Schulzeitverkürzung«, »G8«.<br />
In diesem Brief, Marie, möchte ich<br />
Dir und Tausenden anderer Schulkinder<br />
etwas verraten. Es gibt da ein<br />
paar Geheimnisse, von denen Ihr nichts<br />
ahnt, denn jedes Kind nimmt die Welt<br />
ja erst einmal als gegeben hin.<br />
Stopp, das war zu kompliziert! Ich<br />
meine: Ein Kind hält sein Leben, so<br />
wie es ist, für ganz normal. Woher soll<br />
es wissen, dass alles auch anders sein<br />
könnte? Oder wie die Erwachsenen gelebt<br />
haben, als die noch klein waren?<br />
Dieses Hinnehmen ist schön, weil Ihr<br />
nicht so viel grübeln müsst: »Was wäre,<br />
wenn …?« Aber es macht Euch auch<br />
da fügsam, wo Auflehnung angebracht<br />
wäre.<br />
Du hast jeden Tag sieben Stunden<br />
Schule und weißt nicht, dass ich als<br />
Kind niemals täglich sieben Stunden<br />
hatte, in keinem einzigen Schuljahr.<br />
Dass ich nachmittags allenfalls vor dem<br />
Abitur so viel gelernt habe wie Du jetzt<br />
in der fünften Klasse, und niemals auf<br />
dem Weg ins Kino. Und dass ich heute<br />
manchmal so tue, als müsste ich noch<br />
arbeiten, wenn ich abends nach Hause<br />
komme und sehe, wie Du über Grammatik-Arbeitsblättern<br />
sitzt: Kreuze die<br />
richtigen Aussagen an! Der Genus ist<br />
das grammatische Geschlecht eines Nomens<br />
/ Nomen können im Singular und<br />
im Plural auftreten. Dies nennt man<br />
den Kasus des Nomens / Der Numerus<br />
»Wir Erwachsenen haben Euch ein Jahr Eurer Kindheit<br />
gestohlen. Aus Eile und Angst. Aber wer hat uns eingeredet,<br />
dass ein beschleunigtes Leben ein gelingendes Leben ist?«<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011<br />
3
Keine Zeit für Pädagogik?<br />
Henning Sußebach<br />
Henning Sußebach, 39, ist Vater zweier<br />
Kinder und Redakteur der Wochenzeitung<br />
DIE ZEIT. Sein offener Brief an die<br />
eigene Tochter erschien im Mai 2011<br />
und löste bundesweit Debatten um die<br />
gymnasiale Schulzeitverkürzung aus.<br />
Wir veröffentlichen eine vom Autor<br />
für unsere Zeitschrift leicht gekürzte<br />
Fassung.<br />
ist der Fall, in dem ein Nomen steht /<br />
Man kann Präpositionen steigern / Der<br />
bestimmte Artikel gibt im Nominativ<br />
Singular das grammatische Geschlecht<br />
eines Nomens an / Der Imperativ gehört<br />
zu den finiten Verbformen / Präsens wird<br />
benutzt, wenn man über etwas sagen<br />
kann: Es war gestern so, ist heute so und<br />
wird auch morgen so sein / Das Partizip I<br />
gehört zu den infiniten Verbformen /<br />
Verben kann man deklinieren. Ich hefte<br />
dann Rechnungen ab, schreibe E-Mails<br />
und sortiere Zeugs. Ich will nicht freihaben,<br />
solange Du noch arbeitest. Ist<br />
das nicht verrückt? Irgendjemand hat<br />
die Welt verdreht! Nur wer?<br />
Weißt Du: Das alles ist nicht einfach<br />
so passiert. Die freie Zeit ist nicht einfach<br />
so verschwunden. Wir Erwachsenen<br />
haben Euch ein Jahr Eurer Kindheit<br />
gestohlen. Aus Eile und Angst.<br />
Wie soll ich Dir das erklären?<br />
Ich versuche es mal so: Unser Leben<br />
ist voller Reichtum und Mangel zugleich.<br />
Es gibt so viel Essen, dass wir die<br />
Reste wegwerfen. Doch was uns fehlt,<br />
ist Zeit. Jedenfalls glauben wir das.<br />
Wir Erwachsenen schauen selten im<br />
Kühlschrank nach, ob noch Käse oder<br />
Wurst da ist – aber wir gucken ständig<br />
auf die Uhr. Wir klagen dauernd über<br />
»Stress« – doch wenn wir nichts zu tun<br />
haben, fühlen wir uns nutzlos. Wir sind<br />
genervt, wenn der Chef uns auch am<br />
Wochenende anruft – aber eifersüchtig,<br />
wenn ein anderer Kollege mehr Anrufe<br />
bekommt. Unsere Computer sind voller<br />
Updates und Reminder, unsere Köpfe<br />
können Wichtiges von Drängendem<br />
nicht mehr unterscheiden – und den<br />
Sonntag nicht vom Montag. Das ist die<br />
Hast, die ich meine. Deine Großeltern<br />
haben seit 40 Jahren dieselbe Telefonnummer,<br />
wir haben unsere seit Deiner<br />
Geburt zweimal gewechselt – und noch<br />
zwei Handynummern dazu gekriegt, damit<br />
wir immer erreichbar sind. Ein Brief<br />
war früher Tage unterwegs, eine Mail ist<br />
heute augenblicklich da. Die ganze Welt<br />
ist in einen Wettlauf geraten, den wir Erwachsenen<br />
»Globalisierung« nennen.<br />
Irgendwann haben wir Deutschen gemerkt,<br />
dass die Kinder in anderen Ländern<br />
noch schneller lernen als unsere.<br />
Dass sie in China früher damit anfangen<br />
und in Amerika früher damit aufhören.<br />
Und gleich arbeiten. Da hat uns<br />
die Angst gepackt. Wir haben uns nicht<br />
gefragt, ob es klug ist, zu lernen wie die<br />
Chinesen. Wir haben nur gedacht: Bevor<br />
die uns einholen, beeilen wir uns<br />
auch.<br />
Es gibt zu wenige Kinder und zu viele<br />
Alte.<br />
Schon 1993 (als uns die Chinesen<br />
noch egal waren und es keine<br />
Schulvergleiche gab) passierte es:<br />
Da empfahlen die Finanzminister aller<br />
deutschen Bundesländer, Euch ein<br />
Schuljahr wegzunehmen. Nicht die<br />
Kultus minister, die sich um die Schulen<br />
kümmern! Sondern die Politiker, die<br />
aufs Geld aufpassen, die Zahlen statt<br />
Menschen sehen und deshalb wissen:<br />
Jeder Gymnasiast kostet 5000 Euro im<br />
Jahr. Geld für die Lehrer, den Hausmeister,<br />
die Tafeln und Turnmatten. Allein<br />
an Dir und Deinen 27 Klassenkameraden<br />
konnten sie also 140.000 Euro<br />
sparen.<br />
Deshalb wurde Euch ein Jahr aus der<br />
Schulzeit gestrichen – aus dem Lernstoff<br />
aber strich man nur wenig. Ihr sollt auf<br />
dem Gymnasium in acht Jahren begreifen,<br />
wofür Eure Eltern noch neun Jahre<br />
Zeit hatten. Unseren Mangel an Zeit –<br />
wir haben ihn zu Eurem gemacht.<br />
Deshalb hast Du jetzt eine 40-Stunden-Woche<br />
voller Unterricht und Hausaufgaben.<br />
Deshalb telefonierst Du die<br />
halbe Klassenliste rauf und runter, bis<br />
Du jemanden zum Spielen findest. Alle<br />
sind beschäftigt.<br />
So kommt ein kleiner Raub an Freizeit<br />
und Freiheit zum anderen, jeder für<br />
sich kaum der Rede wert. Aber wenn<br />
man alle zusammenrechnet, in jeder<br />
Familie zwischen Nordsee und Alpen,<br />
kommt eine große Statistik der Überforderung<br />
dabei heraus: Ein Viertel aller<br />
Gymnasiastinnen klagt regelmäßig<br />
über Kopfweh, das hat die Krankenkasse<br />
DAK herausgefunden. Kinder sagen<br />
ihre Teilnahme an Geburtstagsfeiern ab.<br />
Sie treten aus Sportvereinen und Chören<br />
aus. In Schleswig-Holstein, unserem<br />
Bundesland, sind die Teilnehmerzahlen<br />
bei »Jugend forscht« eingebrochen, dabei<br />
wollte Deutschland doch möglichst<br />
schnell möglichst viele möglichst junge<br />
Ingenieure. In Baden-Württemberg hat<br />
sich die Zahl der Fünft- und Sechstklässler,<br />
die nachmittags in Nachhilfe-<br />
Instituten nachsitzen, fast verdreifacht.<br />
Sie haben plötzlich das Gefühl, nicht<br />
gut genug zu sein – obwohl sie gar nicht<br />
schlechter geworden sind! Drei Milliarden<br />
Euro investieren nervöse Eltern<br />
jedes Jahr in die Nachhilfe, 20 Prozent<br />
von ihnen mehr als 200 Euro im Monat.<br />
Das sind 2400 Euro im Jahr. Fast<br />
so viel, wie die Finanzminister an Euch<br />
gespart haben. Das macht den Reichen<br />
nichts aus, aber den Armen umso mehr.<br />
In Internetforen werden »Pillen fürs<br />
Abi« empfohlen: Ampakin – eigentlich<br />
für alte Leute mit Alzheimer – für mehr<br />
Gehirnleistung. Fluoxetin – eigentlich<br />
gegen Depressionen – für mehr Leistungsbereitschaft.<br />
Metroprolol – eigentlich<br />
gegen Bluthochdruck – für weniger<br />
Prüfungsangst. Und an Deinem Gymnasium<br />
hat eine »Wirtschaftspsychologin«<br />
uns Eltern vor einigen Tagen<br />
erklärt, woran wir bei Euch einen Burnout<br />
erkennen. Das bedeutet, dass manche<br />
Kinder jetzt schon ausgebrannt sind<br />
– wie überarbeitete Erwachsene.<br />
Ich habe einen Professor für Soziologie<br />
angerufen. Soziologen erforschen,<br />
warum die Gesellschaft so<br />
ist, wie sie ist. Warum wir so leben, wie<br />
wir leben. Der Professor heißt Hartmut<br />
Rosa und ist 45 Jahre alt, hat aber noch<br />
nicht vergessen, wie es ist, ein Kind zu<br />
sein. Deshalb hat er etwas geschafft, was<br />
Professoren selten schaffen: Er hat ein<br />
Buch geschrieben, das auch normale<br />
Menschen lesen können. Es heißt Beschleunigung<br />
und handelt von unserer<br />
täglichen Raserei.<br />
Hartmut Rosa sagt, er macht sich Sorgen,<br />
weil Eure Kindheit so »vernutzt«<br />
ist. Dass alles einen Zweck hat, einen<br />
Sinn erfüllen muss. Dass wir Euch so-<br />
4 GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011
Keine Zeit für Pädagogik?<br />
»Ein Kind soll im Jetzt leben<br />
und nicht dauernd<br />
ans Morgen denken.«<br />
gar dann, wenn wir Euch Gutes tun<br />
wollen, bloß wieder auf ein Leben als<br />
Erwachsene vorbereiten. »Es ist wichtig,<br />
körperlich fit zu sein und musikalisch,<br />
gesund zu essen, Freunde zu haben –<br />
und sich entspannen zu können!«, sagt<br />
er. Hartmut Rosa will, dass wir Erwachsenen<br />
Euch endlich in Ruhe lassen. Ein<br />
Kind soll im Jetzt leben und nicht dauernd<br />
ans Morgen denken. Ein Kind soll<br />
ganz bei sich sein dürfen, nicht für andere<br />
da sein müssen. Ein Kind soll die<br />
Muße haben, mit etwas zusammen zu<br />
wachsen. Das kann ein Baum sein, eine<br />
Straße, ein Fußballplatz, ein Tier.<br />
Vor allem fordert Hartmut Rosa: Ihr<br />
Kinder müsst Euch wieder langweilen<br />
dürfen. Denn irgendwann wird aus<br />
Langeweile Bewegung, ein Stromern<br />
und Streunen, das ziellos ist und doch<br />
an tausend Orte führt. Den schönsten<br />
Augenblicken der Kindheit geht die<br />
Langeweile voraus. Wer Langeweile<br />
hat, kommt auf die verrücktesten Ideen.<br />
»Die allermeisten Menschen würden im<br />
Rückblick doch sagen: Die endlos langen<br />
Sonntagnachmittage, an denen eigentlich<br />
nichts passierte, waren die Momente,<br />
in denen ich meine Seele spürte.<br />
In denen ich lernte, mich selber zu ertragen.«<br />
So sagt es Hartmut Rosa.<br />
Ganz sicher ist der Rückblick in die<br />
eigene Kindheit weichgezeichnet von<br />
Gefühlsduselei. Aber ich kann nur von<br />
meiner Kindheit erzählen: Ich bin groß<br />
geworden in einer Welt, in der es nicht<br />
pausenlos piepte und ploppte, niemand<br />
twitterte und livetickerte, in der Computer<br />
dick und braun waren wie Brotkästen<br />
und nur bei pickligen Stubenhockern<br />
in verdunkelten Kinderzimmern<br />
standen. Wenn ich mit jemandem spielen<br />
wollte, habe ich keine Klassenliste<br />
abtelefoniert, sondern beim Nachbarn<br />
geklingelt und gefragt: »Kommt der<br />
Christian raus?«<br />
Als Fünftklässler habe ich endlose<br />
Nachmittage in der festen Überzeugung<br />
verbracht, der berühmte Fußballspieler<br />
Karl-Heinz Rummenigge zu sein – auch<br />
wenn ich meinen Lederball nur gegen<br />
Garagentore gedroschen habe. Mal allein,<br />
mal mit Freunden, mal mit fremden<br />
Jungen aus fremden Vierteln, rauen<br />
Burschen mit rauer Sprache, Hauptschülern,<br />
die der Zufall in meine Straße<br />
geführt hatte. Ich habe mich auf aufregende<br />
Weise gelangweilt! Jeden Schritt,<br />
jeden Schuss kommentierte eine innere<br />
Reporterstimme: »Was für eine Körpertäuschung!<br />
Mit diesem Volleykracher<br />
sichert sich Kalle Rummenigge die Torjägerkanone!<br />
Inter Mailand hat hundert<br />
Millionen für ihn geboten!«<br />
Heute klingt das alles bescheuert,<br />
oder? Aber als Kind habe<br />
ich mir Baugenehmigungen<br />
für Luftschlösser erteilt. Wenn ich an<br />
früher denke, schlendere ich als Fußballgott<br />
und Tenniskönig durch gleißend<br />
helle Nachmittage. Ich habe<br />
immer Zeit. Und es ist immer Sommer.<br />
Ein größeres Kompliment kann<br />
die Erinnerung der Kindheit nicht<br />
machen.<br />
Wenn es regnete? Habe ich den Tropfenrennen<br />
am Fenster zugesehen oder<br />
die Holzvertäfelung neben meinem Bett<br />
angestarrt. So lange, bis sich aus der<br />
Maserung Berge erhoben und sich die<br />
Astlöcher in Vulkankrater verwandelten.<br />
Kennst Du das auch?<br />
Ich habe mal gerechnet: Du wirst in<br />
den Schulklassen fünf bis zwölf 1200<br />
Stunden mehr Schule haben, als ich es<br />
hatte. 1200 Schulstunden! 1200-mal 45<br />
Minuten. Das sind 600 Fußballspiele.<br />
Das ist die Zeit, in der ich Karl-Heinz<br />
Rummenigge und Boris Becker war. In<br />
der ich zum Golfplatz radelte und mit<br />
einem flinken Griff durch den Zaun<br />
eine Handvoll Bälle klaute, weil ich das<br />
für rebellisch hielt. In der ich mir ein<br />
Segelboot aus Holz baute, das dann leider<br />
auseinanderfiel. Erfahrung entsteht<br />
nur beim Gehen von Umwegen, heißt<br />
es. Ich hatte Zeit, um Zeit zu verschwenden!<br />
Mich zu irren. Fehler zu machen.<br />
In eine Sackgasse zu laufen und wieder<br />
zurückzugehen.<br />
Mach auch mal Fehler, Marie! Sachen,<br />
die wir Eltern für falsch halten.<br />
Du bist ja schon vernünftiger als wir:<br />
Als ich Dich neulich gefragt habe, ob<br />
ich mittwochs mal schwänzen soll, den<br />
Kollegen bei der Zeitung sagen, ich<br />
würde zu Hause arbeiten, in Wahrheit<br />
aber mit Dir schwimmen gehen, hast<br />
Du geantwortet: »Ich habe keine Zeit.<br />
Ich kann nur an Wochenenden.«<br />
An Deinen Lehrern liegt das kaum.<br />
Ihr habt in Klasse fünf jeweils sechs<br />
Stunden Englisch, Mathe und Deutsch<br />
pro Woche, damit Ihr in Klasse sechs<br />
nur mehr vier braucht – denn dann<br />
kommt ja noch Französisch oder Latein<br />
hinzu. Eure Klassenlehrerin hat<br />
sich drei statt zwei Stunden Musik erkämpft,<br />
in denen sie mit Euch singt und<br />
lacht. Deine Lehrer nennen das »Stunden<br />
zum Ausatmen«. Auch deshalb also<br />
habt Ihr so viel Unterricht.<br />
Warum sollten Lehrer Euch auch<br />
von der Schule fernhalten? Uns Eltern<br />
aber hat der Soziologe Hartmut Rosa<br />
Hausaufgaben aufgegeben: »Es muss<br />
Nachmittage geben, an denen nichts im<br />
Terminkalender steht. Oder an denen<br />
NICHTS! im Terminkalender steht.«<br />
Ich frage mich jetzt manchmal: Ist<br />
es Zufall, dass Dein Freundeskreis nur<br />
noch aus Klassenkameradinnen besteht?<br />
Oder liegt es daran, dass Ihr im<br />
selben Rhythmus lernt und lebt?<br />
Wie viel Platz wird Dir Dein Alltag<br />
für Liebeskummer lassen? Für die Pubertät?<br />
Für den Aufstand?<br />
Wird Dir jemals ein Lehrer erzählen,<br />
dass das Wort Schule aus dem Griechischen<br />
stammt und eigentlich »freie<br />
Zeit« bedeutet?<br />
Warum wird das Buch einer verkniffenen<br />
chinesisch-amerikanischen Mutter,<br />
die über das Drillen ihrer Töchter<br />
schreibt, in Deutschland ein Bestseller?<br />
Wieso beschäftigen wir uns ernsthaft<br />
mit dieser Frau, die ihren Töchtern<br />
droht, die Stofftiere zu verbrennen,<br />
wenn sie faul sind?<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011<br />
5
Keine Zeit für Pädagogik?<br />
Woher kommt unsere Globalisierungsangst?<br />
Die Jugendarbeitslosigkeit<br />
in Deutschland ist viel geringer als in<br />
Frankreich, Italien, Spanien. Unser<br />
Land ist klein, aber unsere Wirtschaft<br />
ist die viertgrößte der Welt. Wir verkaufen<br />
Autos, Windräder und Medikamente<br />
überallhin. Und sind all die Erfinder,<br />
Konzernchefs und Gewerkschaftsführer<br />
nicht dreizehn Jahre aufs Gymnasium<br />
gegangen?<br />
In wie vielen Familien kreisen die<br />
Gespräche nur noch um Schule? Hast<br />
Du die Vokabeln drauf? Bist Du fit für<br />
die Arbeit? Schreibe eine möglichst kleine<br />
Zahl auf, indem Du jedes der folgenden<br />
römischen Zahlzeichen genau einmal<br />
verwendest: M, C, I, X, V.<br />
Nicht dass Du mich falsch verstehst,<br />
Marie: Die Schule ist<br />
nicht fürs Kinderglück verantwortlich.<br />
Dafür sind wir Eltern zuständig.<br />
Und Schüler müssen nun mal lernen.<br />
Aber sie müssen auch Zeit haben<br />
für eigene Entdeckungen.<br />
Wir üben jetzt oft gemeinsam.<br />
Manchmal gibt es Krach, manchmal<br />
erleben wir innige Momente: dieses<br />
wärmende Glück, wenn wir beide wieder<br />
etwas begriffen haben, wenn die<br />
Erkenntnis durchbricht wie die Sonne<br />
nach drei Tagen Regen! Du hast gelernt,<br />
wie die Ägypter ihre Pyramiden<br />
bauten. Warum ein Londoner Vorort<br />
mit Namen Greenwich weltbekannt ist.<br />
Dass es am Horizont einen Fluchtpunkt<br />
gibt, auf den alle Linien zulaufen. Jede<br />
Schulstunde kann ein Geschenk sein.<br />
Und alles zusammen fügt sich zu einem<br />
»Schüler müssen nun mal lernen.<br />
Aber sie müssen auch Zeit haben<br />
für eigene Entdeckungen.«<br />
Schatz. Kostet es zu viel Kraft, zu viel<br />
Zeit, zu viel Leben, ihn zu heben?<br />
Euer Schuldirektor sagt: Nein. Das sei<br />
nur die übliche Sorge der Eltern, deren<br />
Kinder von der <strong>Grundschule</strong> aufs Gymnasium<br />
wechseln. Das größte Problem<br />
der Schulzeitverkürzung sei »mangelnde<br />
Akzeptanz«. Also Leute wie ich!<br />
Er sagt das aus einer privilegierten<br />
Position heraus, so wie ich diesen<br />
Brief aus einer bevorzugten Lebenslage<br />
schreibe: Dein Direktor leitet ein<br />
Vorstadtgymnasium in einer besseren<br />
Gegend. In Eurer Schulkantine servieren<br />
»Kochmütter« das Mittagessen. Es<br />
gibt aber auch Frauen, die bis abends<br />
arbeiten möchten (Du später vielleicht<br />
auch!). Alleinerziehende Eltern, die das<br />
müssen. Und Väter und Mütter, die keine<br />
Lust haben, mit ihren Kindern zu<br />
lernen, die gibt es auch.<br />
Was wird aus diesen Schülern?<br />
»Die Übungsphasen, die dazu da<br />
sind, Stoff zu vertiefen, sind nach Hause<br />
verlagert worden. Kinder, die niemanden<br />
haben, der ihnen bei den Hausaufgaben<br />
hilft, kommen schlecht weg«, sagt<br />
Heinz-Peter Meidinger. Er ist Vorsitzender<br />
des Deutschen Philologenverbandes.<br />
Das ist ein Zusammenschluss von<br />
Lehrern, die an Gymnasien arbeiten.<br />
Ich habe im schleswig-holsteinischen<br />
Bildungsministerium nachgefragt: Der<br />
Anteil der Schüler, die nach der sechsten<br />
Klasse die Gymnasien verlassen müssen,<br />
hat sich verdreifacht. In Bayern macht<br />
die erste G-8-Generation gerade Abitur<br />
– seit der fünften Klasse sind dort<br />
31 Prozent aller Schüler auf der Strecke<br />
geblieben. Bei G9 waren es 22 Prozent.<br />
Diese Kinder wurden »abgeschult«, so<br />
nennt man das in den Statistiken.<br />
Es klingt fast weltfremd, wenn die<br />
Kirche gegen dieses eiskalte Wort protestiert<br />
und daran erinnert, dass »jeder<br />
Mensch mit reichen und vielseitigen<br />
Anlagen beschenkt« sei. Bildung müsse<br />
auch die »Kräfte der Fantasie, der Liebe,<br />
des seelischen Erlebens und des moralischen<br />
Wertens« wecken.<br />
Der Pädagoge Andreas Gruschka<br />
sagt: »Es kommt nicht mehr Saft aus<br />
einer Zitrone, wenn man mehr presst.«<br />
Gruschka selber ist zweimal sitzen geblieben<br />
und trotzdem Professor geworden.<br />
An der Goethe-Universität in<br />
Frankfurt am Main erforscht er, wie<br />
Lehrer unterrichten und wie Kinder<br />
lernen. Er meint: Ihr paukt zwar viel,<br />
aber Ihr habt nicht viel davon. Euch<br />
fehlt die Zeit, wirklich zu kapieren, was<br />
die Lehrer Euch erzählen. Und darüber<br />
eine eigene Meinung zu bilden. Er sagt:<br />
»Die Kinder heute lernen Organisation<br />
und Präsentation.« Referate, Wochenpläne<br />
– er hält das alles für eine Vorbereitung<br />
auf ein kritikloses Büroleben, in<br />
dem der Chef in der Tür steht und sagt:<br />
»Frau Müller, stellen Sie mir bis Freitag<br />
bitte alles über die indischen Märkte<br />
zusammen!«<br />
G8 habe »für 25 bis 30 Prozent der<br />
Gymnasiasten mehr gebracht – für die<br />
anderen wäre G9 vorteilhafter gewesen«,<br />
sagt der Münchner Bildungsforscher<br />
Kurt Heller, ein Pädagoge und Psychologe.<br />
Das ist besonders interessant, weil<br />
niemand in Deutschland so gründlich<br />
zu dem Thema geforscht hat wie er: In<br />
den neunziger Jahren hat Heller in ein<br />
paar baden-württembergischen Gymnasien<br />
G8 ausprobiert – mit durchschnittlich<br />
16 Schülern pro Klasse. Am<br />
Ende empfahl er: Es sollte G8-Schulen<br />
und G9-Schulen geben. Aber dann, sagt<br />
Heller heute, habe die Politik überall das<br />
Turbo-Abi eingeführt. Der Professor hat<br />
sehr frustriert geklungen, als er mir gesagt<br />
hat: »Ist leider so gelaufen.«<br />
Philologen und Psychologen, Pädagogen<br />
und Prozente – wie schnell<br />
wird der Streit um Eure Schulzeit<br />
abstrakt und entfernt sich wieder aus<br />
der Wahrnehmung der Kinder. Und<br />
weg von tausend kleinen Lebenswirklichkeiten.<br />
Es gibt einen Arzt in Bremen, der<br />
heißt Stefan Trapp und hat vor drei<br />
Jahren einen Brief an die Bildungssenatorin<br />
seiner Stadt geschrieben. Darin<br />
steht: »Als niedergelassener Kinderund<br />
Jugendarzt wie auch als betroffener<br />
Vater erlebe ich die Folgen der Verkürzung<br />
des Gymnasiums auf acht Jahre<br />
täglich in Praxis und Familie.« Seine<br />
Patienten zeigten Symptome, die sonst<br />
bei gestressten Managern auftreten.<br />
Kopfschmerzen und Erschöpfungszustände,<br />
auch Traurigkeit und Angst.<br />
Die Senatorin hat ihm bis heute nicht<br />
geantwortet. Aber weil Trapp in seiner<br />
Stadt ein bekannter Mann ist und den<br />
Bremer Berufsverband der Kinder- und<br />
6 GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011
Keine Zeit für Pädagogik?<br />
Jugendärzte leitet, hat eine Zeitung seinen<br />
Brief abgedruckt.<br />
Trapp ist noch jung. Er trinkt Cola<br />
und isst gerne Kuchen, obwohl das nicht<br />
gesund ist. Er ist ein fröhlicher Arzt, solange<br />
er nicht von den müden Mädchen<br />
und Jungen in seinem Sprechzimmer<br />
erzählt. Er sagt: »Früher hatten Kinder<br />
Kopfschmerzen, weil sie eine Brille<br />
brauchten. Heute, weil sie beim Gedanken<br />
an die Schule mittlerweile die<br />
Gefahr des Scheiterns mitdenken.« Er<br />
behandelt Schüler mit Schlafstörungen<br />
und Depressionen. Das sind Krankheiten,<br />
die früher bloß Erwachsene bekamen,<br />
die richtig Pech hatten. »Die Rolle<br />
des Gymnasiasten als Sorgenkind ist<br />
neu«, sagt Trapp. Gymnasiasten sind<br />
seltener dick, essen meist gesünder und<br />
prügeln sich kaum. »Aber die Schulzeit<br />
ähnelt immer mehr einer anspruchsvollen<br />
Bürotätigkeit – kein Wunder, dass<br />
sich auch die Krankheitsbilder ähneln.«<br />
Wie sollen Jugendliche mit Anforderungen<br />
fertigwerden, an denen Erwachsene<br />
scheitern? Zumal sie dauernd beobachtet<br />
und benotet werden. Alle sind unzufrieden:<br />
Schüler, Eltern und Lehrer. Alle<br />
haben Stress. Und in diesem Gezerre<br />
sind die Kinder die Schwächsten.<br />
Warum schützen wir die<br />
Schwächsten nicht mehr?<br />
Auch nicht die Aufmüpfigen,<br />
die Sperrigen, die unser Tempo bremsen?<br />
Ich sage Dir, Marie: weil wir Erwachsenen<br />
die wahren Streber sind! Weil wir<br />
zu feige sind, mal richtig wütend, richtig<br />
sperrig, richtig uncool zu sein.<br />
Vor einigen Monaten hat der neue<br />
Bildungsminister in unserem Bundesland<br />
alle Gymnasien abstimmen lassen,<br />
ob sie das neunte Schuljahr zurückhaben<br />
wollen. Die Lehrer Deiner Schule<br />
haben sich entschieden, bei G8 zu bleiben.<br />
Einstimmig, sagt der Direktor. Ich<br />
kann mir vorstellen, dass viele aus Stolz<br />
auf ihre eigenen Ideen so entschieden<br />
haben. Manche aus Erschöpfung nach<br />
all den Konferenzen. Andere, weil sie<br />
finden, dass nicht nach jeder Landtagswahl<br />
alles geändert werden sollte, dass<br />
zu viele Rollen rückwärts schwindlig<br />
machen. Und einige vielleicht auch aus<br />
Respekt vor dem Direktor.<br />
In Bremen fragt der Kinderarzt Stefan<br />
Trapp die Schüler in seiner Praxis:<br />
Warum kommst du zu mir? Was<br />
machst du in deiner Freizeit? Was tust<br />
du gern? Was würdest du gern tun?<br />
»Wenn Du Geburtstag feierst und Deine Klassenkameradinnen<br />
kommen, wundere ich mich: Wo sind die Querköpfe, die Nervensägen,<br />
die Rotznasen?«<br />
Wann fühlst du dich wohl? Wenn die<br />
Antwort lautet: Ich war das letzte Mal<br />
in den Ferien froh, dann ist das ein<br />
Problem. Auch für ihn. Ein Arzt will<br />
heilen, nicht nur herumdoktern. Mit<br />
Scharlach oder Läusen ist Trapp immer<br />
fertiggeworden, aber wie kann er einem<br />
mutlosen Kind helfen? »Wenn jemand<br />
krank wird durch die Schule, ist eine<br />
Therapie, eine ursächliche Therapie,<br />
nicht möglich«, sagt Trapp. Unsere Gesellschaft<br />
ist dringend auf jedes einzelne<br />
Kind angewiesen – aber es wird so<br />
getan, als ginge es immer nur um die<br />
Stärksten und Schlausten. Als könnten<br />
wir auf alle anderen Kinder verzichten.<br />
Weißt Du, was passiert ist, als eine<br />
Mutter eine Lehrerin Eurer Schule gefragt<br />
hat, ob sie nicht zu schnell zu viel<br />
von Euch verlangt? Da hat die – eine<br />
junge Frau – kühl geantwortet: »Sicher<br />
ist dieses Lernen nicht für alle geeignet.«<br />
Und Klassenarbeiten seien dazu da,<br />
»zu überprüfen, ob die Kinder auf dem<br />
Gymnasium Schritt halten können«.<br />
Weißt Du, was das bedeutet, Marie?<br />
Ich werde es Dir erklären: Es bedeutet,<br />
Klassenarbeiten sollen nicht nur<br />
helfen, herauszufinden, welcher Schüler<br />
wo Schwächen hat – um dafür zu sorgen,<br />
dass es beim nächsten Mal besser<br />
klappt. Nein: Sie sollen auch helfen, die<br />
Schwächsten zu finden und auszusortieren.<br />
Deine Lehrerin hat nicht gesagt,<br />
es gehe ihr darum, alles zu tun, »damit«<br />
Kinder Schritt halten können. Sondern<br />
zu prüfen, »ob«.<br />
Meine Lehrer hätten so etwas nie gesagt,<br />
selbst wenn sie heimlich so dachten.<br />
Du wirst das verrückt finden, Marie: Als<br />
vor 25 Jahren in der Ukraine ein Atomkraftwerk<br />
explodierte, schickten meine<br />
Lehrer uns zum Demonstrieren! Als vor<br />
20 Jahren in Kuwait ein Krieg losbrach,<br />
ließ mein Mathelehrer uns aus Protest<br />
nicht mit Äpfeln und Birnen rechnen,<br />
sondern in der Recheneinheit »Leichensäcke«.<br />
Das hört sich ziemlich grotesk<br />
an, was? Einige meiner Lehrer sprachen<br />
im Unterricht voller Pathos, wie ein Pastor<br />
in der Sonntagspredigt. Aber es ging<br />
ihnen darum, uns mitzureißen. Uns zu<br />
gewinnen. Wenn auch nur für ihre eigenen<br />
Träume von einer besseren Welt.<br />
Und jetzt? Spricht diese Lehrerin<br />
wie die Jurypräsidentin einer gigantischen<br />
Castingshow – in der nicht Werbeverträge<br />
vergeben werden, sondern<br />
Lebenschancen. Und zwar nur an die<br />
Passgenauen.<br />
Das macht mich wütend. Sie hat G8<br />
zwar nicht erfunden – aber sie hat sich<br />
damit abgefunden. Mindestens das. Andererseits<br />
gibt sie nur den Druck weiter,<br />
den andere aufgebaut haben. Und zu<br />
diesen anderen gehöre – ich. Die Versuchung,<br />
mit Dir auf die Jagd nach immer<br />
besseren Noten zu gehen, ist so groß.<br />
Wenn Du Geburtstag feierst und<br />
Deine Klassenkameradinnen kommen,<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011<br />
7
Pädagogik im Zeitalter der Beschleunigung<br />
»Wir haben Eure Lebensläufe<br />
begradigt wie die Flüsse.«<br />
freue ich mich über all die wohlerzogenen<br />
Kinder, die den ganzen Tag keine<br />
Mühe machen – aber ich wundere mich<br />
auch. Wo sind die Querköpfe, die Nervensägen,<br />
die Rotznasen? Wer hat sie<br />
aussortiert?<br />
Vor fünf Jahren hat ein Kollege in<br />
dieser Zeitung geschrieben, er finde<br />
die verkürzte Schulzeit gut, denn es sei<br />
noch »Luft im System«. Schon möglich.<br />
Aber ist Luft schlecht? Ist sie nicht<br />
zum Atmen da? Und lernt, wer atmen<br />
darf, nicht sogar mehr? Oder jedenfalls<br />
lieber?<br />
Das Gerede von der »Luft im System«<br />
ist gefährlich, Marie. Man kann so lange<br />
sagen, es sei »Luft im System«, bis<br />
keine mehr da ist.<br />
Wir haben Euer Leben den<br />
Regeln der Wirtschaft unterworfen:<br />
In einem Motor<br />
kann Luft schaden, in einem Windkanal<br />
ist Druck sinnvoll. Aber wer hat<br />
uns eingeredet, dass ein beschleunigtes<br />
Leben ein gelingendes Leben ist? Wenn<br />
ich sehe, wie Manager auf Flughäfen<br />
und in ICE-Abteilen ihre iPhones und<br />
BlackBerrys anstarren, auf eingehende<br />
Mails so angewiesen wie Junkies auf<br />
Rauschgift, und wenn ich höre, wie sie<br />
endlos von »Quartalszahlen«, »Jahresabschlüssen«<br />
und der Marktforschung<br />
faseln, die sie nur noch »Mafo« nennen,<br />
wie sie von Hamburg nach München<br />
fahren, ohne dabei auch nur einen<br />
einzigen eigenen Gedanken zu äußern<br />
– dann glaube ich, wir sollten uns kein<br />
Beispiel an ihnen nehmen.<br />
Es wäre schön, wenn Ihr später nicht<br />
nur Zahlen lesen könntet. Sondern auch<br />
die Menschen hinter den Zahlen erkennen<br />
würdet. Wenn Bildung hieße:<br />
mit Wissen vernünftig umgehen. Der<br />
Schriftsteller Erich Kästner, von dem<br />
Du Das doppelte Lottchen kennst, hat<br />
das viel schöner gesagt: »Der Mensch<br />
soll lernen, nur die Ochsen büffeln.«<br />
Wir haben Eure Lebensläufe begradigt<br />
wie die Flüsse. Wo wir noch mäandern<br />
konnten, uns treiben ließen, rauscht Ihr<br />
geradeaus durch. Es wäre schade, wenn<br />
dabei alles an Euch glatt geschliffen<br />
würde, wenn von Eurer Persönlichkeit<br />
nicht mehr viel übrig bliebe. Das hört<br />
sich sehr hässlich an, Marie, aber: Ich<br />
habe nicht nur Mitleid mit Euch als Kindern.<br />
Ich habe auch ein bisschen Angst<br />
vor Euch als Erwachsenen.<br />
Wenn Du Abitur machst, wirst Du 17<br />
sein. Mit 17 lassen wir Euch nicht alleine<br />
Auto fahren und keine Mietverträge<br />
unterschreiben. Wenn Du Pech hast,<br />
musst Du Dich für ein Leben als Lehrerin,<br />
als Mathematikerin, als Managerin<br />
entscheiden, bevor Du überhaupt weißt,<br />
was Du kannst, was Du willst, wer Du<br />
bist. Falls Du dann ein eiliges Bachelorstudium<br />
durchhastest, wirst Du mit<br />
20 die Universität verlassen. Worauf<br />
haben wir uns da nur eingelassen? Wollen<br />
wir, dass unsere Enkel von 21-jährigen<br />
Lehrern unterrichtet werden, die<br />
kaum mehr von der Welt gesehen haben<br />
als Legehennen? Wollen wir uns von<br />
22-jährigen Bankern mit Geradeausbiografien<br />
betreuen lassen? Uns von<br />
23-jährigen Unternehmensberatern begutachten<br />
lassen?<br />
Wenn Dich Deine Lehrer, unsere<br />
Nachbarn oder die Eltern Deiner Freundinnen<br />
jetzt fragen, warum Dein Vater<br />
so aufgebracht ist, dann musst Du wissen:<br />
Es liegt nicht an Dir. Wer glaubt,<br />
ich schreibe hier gegen schlechte Noten<br />
an, der hat nichts begriffen. Deine Zensuren<br />
sind gut. Ich bin zornig, weil wir<br />
Eure Kinderzimmer zu Büros gemacht<br />
haben, Eure Schreibtische zu Werkbänken,<br />
Eure Köpfe zu Lagerhallen.<br />
Wenn sie Dir sagen, es ist doch nur<br />
das eine Jahr, dann antworte ihnen, es<br />
geht um Millionen beschleunigter Leben.<br />
Natürlich frage ich mich: Ist eine<br />
Sache nicht nur dann schlimm,<br />
wenn Du, Marie, sie selber<br />
schlimm findest?<br />
Aber Du sollst ruhig wissen, warum<br />
wir auf dem Weg ins Kino 17², 5 6 und 2 8<br />
gelernt haben.<br />
Du sollst wissen, warum ich Dich<br />
manchmal dressiere wie ein Dompteur<br />
sein Zirkuspferd – und mir dann wieder<br />
auf die Lippen beiße, statt nach der<br />
Schule zu fragen.<br />
Du sollst wissen, dass Du mehr bist<br />
als die Summe deiner Leistungen.<br />
Du sollst wissen, warum es manche<br />
Deiner Freundinnen nicht schaffen<br />
werden, warum ihre Stühle irgendwann<br />
leer bleiben werden.<br />
Du sollst wissen, dass Depression<br />
keine Kinderkrankheit ist.<br />
Du sollst wissen, dass die Schulzeit<br />
mehr sein sollte als ein Trainingslager<br />
fürs Berufsleben.<br />
Du sollst wissen, dass die Gesellschaft<br />
an denen wächst, die sie infrage stellen.<br />
Und Du sollst wissen, dass ich Dir<br />
das gestohlene Jahr zurückgeben möchte.<br />
An jedem Tag, an jedem Wochenende<br />
– und nach dem Abitur. Am besten<br />
kein Auslandsstudium. Kein Sommerseminar.<br />
Sondern einfach eine Reise<br />
ohne Weg und ohne Ziel. Denn wenn<br />
Du Deine Seele bis dahin nicht in einem<br />
Klassenzimmer gefunden hast,<br />
wirst Du sie auch in einem Hörsaal<br />
nicht finden. Aber vielleicht tief in einem<br />
finnischen Wald, mitten in einem<br />
äthiopischen Dorf oder auf der Sitzbank<br />
eines amerikanischen Überlandbusses.<br />
Irgendwo, irgendwann, wenn Du es<br />
nicht erwartest.<br />
Und ich hoffe, dass Du mich dann,<br />
wenn es losgehen soll, nicht mitleidig<br />
anschaust und sagst: »Das ist doch reine<br />
Zeitverschwendung.«<br />
Dein Papa<br />
8 GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011
Frühe Aussonderung oder inklusive Schule?<br />
Brigitte Schumann<br />
Kinder mit »Lernbehinderung« – die<br />
Parias des deutschen Bildungssystems<br />
Unter den rund 400 000 Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen oder<br />
– wie man offiziell inzwischen sagt – mit sonderpädagogischem Förderbedarf<br />
stellen die Kinder und Jugendlichen mit einer sogenannten Lernbehinderung<br />
die größte Gruppe in Deutschland dar. Die allermeisten der 180 000 »Lernbehinderten«<br />
sind vom Besuch der allgemeinen Schule ausgeschlossen und müssen<br />
in Sonderschulen lernen. Sie sind eine deutsche Spezies, denn im Ausland<br />
ist es unüblich, Kinder und Jugendliche mit schulischen Lernproblemen als »behindert«<br />
abzustempeln und von den Gleichaltrigen zu separieren.<br />
Von der Zufälligkeit der<br />
Diagnose »Lernbehinderung«<br />
Ihr Anteil an den Vollzeitschulpflichtigen<br />
variiert von Bundesland zu Bundesland.<br />
1,9 % beträgt er in Bayern, 5,7 %<br />
in Mecklenburg-Vorpommern. Dort ist<br />
das Risiko, eine »Lernbehinderung« attestiert<br />
zu bekommen, doppelt so groß<br />
wie im Bund. Diese auffälligen regionalen<br />
Unterschiede lassen sich nicht<br />
mit den individuellen Fähigkeiten der<br />
Schülerinnen und Schüler erklären.<br />
Hier zeigt sich, dass die immer noch<br />
verwendete IQ-Messung und das ermittelte<br />
Leistungsniveau nur scheinbar<br />
objektive Kriterien für die Diagnose<br />
der »Lernbehinderung« und für die folgenreiche<br />
Zuweisung zur Sonderschule<br />
sind. Tatsächlich erfolgt die Diagnose<br />
in Abhängigkeit von zahlreichen anderen<br />
Faktoren. Dazu gehören u. a. die<br />
vorhandenen Bildungsstrukturen und<br />
Bildungsangebote, die Regelungen für<br />
die Selektionspraxis, die institutionellen<br />
Entscheidungsgewohnheiten und<br />
die Einstellungen des pädagogischen<br />
Personals.<br />
Zum Beispiel konnte wissenschaftlich<br />
nachgewiesen werden, dass Grundschullehrerinnen<br />
und -lehrer, die von<br />
der Richtigkeit der leistungs- und begabungsgerechten<br />
Aufteilung der Kinder<br />
nach der Grundschulzeit überzeugt<br />
sind, in der Regel auch eher die Bereitschaft<br />
zeigen, Kinder mit Lernproblemen<br />
überprüfen zu lassen und an die<br />
Sonderschule abzugeben. Bei der Einführung<br />
des Gemeinsamen Unterrichts<br />
für Kinder mit und ohne Behinderungen<br />
zeigte sich, dass mit der Integrationsquote<br />
auch die Sonderschulquote<br />
anstieg. Auch hier bestätigte sich, dass<br />
Systeme der Logik folgen, sich selbst zu<br />
erhalten. Mit anderen Worten: Solange<br />
es Sonderschulen für »Lernbehinderte«<br />
in erreichbarer Nähe gibt, wird es auch<br />
»Lernbehinderte« geben.<br />
»Lernbehinderung« und Armut<br />
Mag die Diagnostik noch so unzuverlässig<br />
sein, auf eine Sache kann man<br />
sich stets verlassen: »Lernbehinderte«<br />
sind immer extrem benachteiligte Kinder<br />
aus unterprivilegierten Milieus.<br />
Die Sonderschule für »Lernbehinderte«<br />
– hervorgegangen aus der »Hilfsschule«<br />
für die Kinder des Proletariats im<br />
19. Jahrhundert und heute in »Förderschule«<br />
umbenannt – ist und bleibt eine<br />
»Schule für die Armen«.<br />
Ca. 90 % der Schülerinnen und Schüler<br />
haben einen Armutshintergrund,<br />
Dr. Brigitte Schumann<br />
war Lehrerin und Bildungspolitikerin<br />
im Landtag von NRW. Heute arbeitet<br />
sie als freie Bildungsjournalistin.<br />
Sie ist Autorin von »Ich schäme mich<br />
ja so!« Die Sonderschule für Lernbehinderte<br />
als Schonraumfalle<br />
(Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2007).<br />
der sich häufig mit einer Migrationsgeschichte<br />
verbindet. Hier zeigt sich die<br />
soziale Selektivität unseres Schulsystems<br />
in völlig unverhohlener Weise in<br />
ihrer schrecklichsten Ausprägung. Auf<br />
diesen skandalösen Sachverhalt weist<br />
Hans Wocken, Forscher für Integrations-<br />
und Lernbehindertenpädagogik,<br />
hin, wenn er in seinen Vorträgen vorschlägt,<br />
zur sicheren Feststellung einer<br />
»Lernbehinderung« anstelle der Intelligenztests<br />
den Zollstock zu benutzen,<br />
um damit den Bücherbestand in der<br />
Familie auszumessen.<br />
Die in allen PISA-Untersuchungen<br />
festgestellte enge Kopplung zwischen<br />
Herkunft und Bildungserfolg in<br />
Deutschland würde noch enger ausfallen,<br />
wenn man auch die Sonderschule<br />
für »Lernbehinderte« in die Überprüfung<br />
vollständig einbeziehen würde.<br />
Aber die Bildungspolitik entzieht sie<br />
bewusst dem kritischen PISA-Blick.<br />
Das Bildungssystem als<br />
Produzent von »Lernbehinderung«<br />
Allgemein ist man sich darin einig,<br />
dass der frühkindlichen Bildung die<br />
allergrößte Bedeutung für die spätere<br />
Entwicklung zukommt und Bildungsinvestitionen<br />
in diese Phase die größte<br />
»Rendite« bringen. Dennoch ist die<br />
Frühförderung in Deutschland immer<br />
noch erheblich unterfinanziert und erreicht<br />
nicht gezielt die Kinder, die in<br />
besonderer Weise auf Unterstützung<br />
angewiesen sind. Schon vor der Einschulung<br />
weisen benachteiligte Kinder<br />
gravierende Entwicklungsunterschiede<br />
gegenüber gleichaltrigen Kindern aus<br />
einem privilegierten, bildungsnahen<br />
Umfeld auf.<br />
Auch für die <strong>Grundschule</strong> gilt, dass<br />
sie unterfinanziert ist und die Bildungsausgaben<br />
für Grundschulkinder deutlich<br />
unter dem OECD-Durchschnitt<br />
liegen. Sie hat zwar den Auftrag, individuell<br />
zu fördern, ist aber für die besondere<br />
Förderung oftmals multipel<br />
deprivierter Kinder unzureichend aus-<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011<br />
9
Frühe Aussonderung oder inklusive Schule?<br />
gestattet und vorbereitet. Für die Kinder<br />
mit Deutsch als Zweitsprache fehlt es<br />
meist an durchgängig verankerten interkulturellen<br />
Sprachförderkonzepten.<br />
Obendrein wirkt sich bei Kindern in<br />
benachteiligten Lebenslagen der extrem<br />
frühe Zeitpunkt der Erstselektion in<br />
unserem sozial selektiven Schulsystem<br />
besonders ungünstig aus und verstärkt<br />
den negativen Zusammenhang von Sozialschicht<br />
und Bildungserfolg.<br />
Sonderschule als »Schonraum«<br />
und »Bildungskeller«<br />
Schülerinnen und Schüler der Sonderschule<br />
für »Lernbehinderte« lernen<br />
abgeschottet von anderen sozialen und<br />
kulturellen Milieus. Sie lernen in einer<br />
weitaus anregungsärmeren Umgebung<br />
als Schülerinnen und Schüler der<br />
Hauptschule. Die herkunftsbedingten<br />
Nachteile für den Bildungserwerb werden<br />
so institutionell verstärkt. Dies<br />
macht die doppelte Benachteiligung<br />
von »Lernbehinderten« aus. Bildungsarmut<br />
und Perspektivlosigkeit sind die<br />
Folgen. Die meisten Schulabbrecher gehen<br />
nicht auf das Konto der Hauptschule,<br />
sondern kommen aus der Sonderschule,<br />
wie der Bildungsforscher Klaus<br />
Klemm nachgewiesen hat.<br />
Tabelle 2.7: Anteile der Abgänger ohne Hauptschulabschluss aus Förderschulen<br />
in Prozent aller Abgänger ohne Hauptschulabschluss im<br />
Bundesländervergleich (2009/10)<br />
Land<br />
Abgänger ohne Hauptschulabschluss<br />
insgesamt darunter aus Förderschulen<br />
absolut prozentual<br />
Baden-Württemberg 6.789 4.276 63,0<br />
Bayern 8.187 4.405 53,8<br />
Berlin 2.777 879 31,7<br />
Brandenburg 1.938 1.225 63,2<br />
Bremen 463 283 61,1<br />
Hamburg 1.213 610 50,3<br />
Hessen 4.464 2.344 52,5<br />
Mecklenburg-Vorpommern 1.617 1.078 66,7<br />
Niedersachsen 5.556 3.183 57,3<br />
Nordrhein-Westfalen 13.392 7.383 55,1<br />
Rheinland-Pfalz 3.076 1.762 57,3<br />
Saarland 710 377 53,1<br />
Sachsen 2.690 1.834 68,2<br />
Sachsen-Anhalt* 1.982 1.421 71,7<br />
Schleswig-Holstein 2.225 1.284 57,7<br />
Thüringen 1.275 881 69,1<br />
Deutschland 58.354 33.225 56,9<br />
Quelle: Statistisches Bundesamt: Fachserie 11 - Reihe 1 - Allgemeinbildende Schulen 2009/10<br />
Zwar kann sich die Sonderschule zugute<br />
halten, dass sie wegen der geringen<br />
Leistungsanforderungen und der individuellen<br />
sonderpädagogischen Unterstützung<br />
Entlastungen und Wohlfühleffekte<br />
für ihre Schülerinnen und<br />
Schüler schafft. Deren Alltagsverhalten<br />
wird jedoch weitgehend von der Scham<br />
über den Sonderschulbesuch bestimmt.<br />
Sonderschülerinnen und -schüler bemühen<br />
sich deshalb in aller Regel, ihren<br />
niedrigen sozialen Schülerstatus zu<br />
verheimlichen bzw. zu verleugnen. Sie<br />
können unter diesen Bedingungen kein<br />
wirklich belastbares positives Selbstbild<br />
entwickeln. Damit fehlt ihnen auch<br />
eine wesentliche Voraussetzung für die<br />
Erfahrung von Lernfreude, Anstrengungsbereitschaft<br />
und Selbstwirksamkeit.<br />
Während die Bildungspolitik sich<br />
über die Zukunft der Schülerinnen und<br />
Schüler in der Hauptschule besorgt<br />
zeigt, bleibt das Elend der »Lernbehinderten«<br />
unbeachtet. Während die Politik<br />
zugunsten der Hauptschülerinnen<br />
und Hauptschüler in fast allen Bundesländern<br />
schulstrukturelle Veränderungen<br />
in Angriff genommen hat oder<br />
nehmen will, um sie aus dem Schulgetto<br />
herauszuführen, soll die Sonderschule<br />
für die »Lernbehinderten« in allen Bundesländern<br />
mit Ausnahme von Bremen<br />
als Wahlmöglichkeit erhalten bleiben.<br />
Seit Jahrzehnten weisen empirische<br />
Studien übereinstimmend nach, dass es<br />
keine pädagogische und gesellschaftliche<br />
Legitimation für die Sonderschule<br />
gibt. Schon in den 1970er Jahren forderte<br />
deshalb der Deutsche Bildungsrat<br />
ihre Auflösung und die Integration<br />
dieser Kinder. Ihren bisherigen Erhalt<br />
verdankt die Sonderschule offensichtlich<br />
ihrer negativen Funktionalität als<br />
»Entlastungsschule« für das gegliederte<br />
Schulsystem. Sie ist als Schule für sozial<br />
randständige Kinder mindestens so fest<br />
verankert in den Köpfen wie das Gymnasium<br />
als »höhere Schule«.<br />
Von der Exklusion zur Inklusion<br />
Die UN-Konvention über die Rechte<br />
von Menschen mit Behinderungen<br />
verpflichtet die Bundesländer darauf,<br />
das individuelle Recht des Kindes mit<br />
Behinderung auf inklusive Bildung in<br />
der allgemeinen Schule anzuerkennen<br />
und ein inklusives Schulsystem zu entwickeln.<br />
Wie die ersten Schritte dazu<br />
aussehen könnten, haben die Wissenschaftler<br />
Klemm und Preuss-Lausitz in<br />
einem Gutachten für Bremen und <strong>aktuell</strong><br />
auch für NRW dargestellt.<br />
Dem nordrhein-westfälischen Schulministerium<br />
wird vorgeschlagen, dass<br />
bis zum Ende des Jahrzehnts alle Schülerinnen<br />
und Schüler mit den Förderschwerpunkten<br />
Lernen, Emotionale<br />
und soziale Entwicklung und Sprache<br />
(LES) zu 100 % inklusiv unterrichtet<br />
werden. Das zügige Auslaufen dieser<br />
Sonderschulen begründen die Gutachter<br />
mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen<br />
über die lernschädlichen Effekte<br />
der Separierung besonders benachteiligter<br />
Kinder und Jugendlicher.<br />
Dafür ist es notwendig, dass ab<br />
2012/2013 umgesteuert wird. Die Sonderschulen<br />
für LES nehmen keine<br />
Kinder mehr auf, sondern laufen jahrgangsweise<br />
aus. Die freiwerdenden son-<br />
Tabellen aus dem Gutachten<br />
»Auf dem Weg zur schulischen Inklusion«<br />
von Klaus Klemm und Ulf Preuß-Lausitz (Juni 2011).<br />
Das Gutachten ist im Internet veröffentlicht:<br />
www.schulministerium.nrw.de/BP/Inklusion_<br />
Gemeinsames_Lernen/Gutachten__Auf_dem_Weg_<br />
zur_Inklusion_/NRW_Inklusionskonzept_2011__–_<br />
neue_Version_08_07_11.pdf<br />
10 GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011
Frühe Aussonderung oder inklusive Schule?<br />
derpädagogischen Stellen werden in den<br />
allgemeinen Schulen verankert. Kinder<br />
mit dem bisherigen Förderschwerpunkt<br />
LES werden an den allgemeinen Schulen<br />
aufgenommen und verbleiben dort. Die<br />
Mittelzuweisung zur Förderung dieser<br />
Schülerinnen und Schüler ist nicht<br />
mehr an ein individuelles Feststellungsverfahren<br />
zum sonderpädagogischen<br />
Förderbedarf gebunden. Die allgemeinen<br />
Schulen im Primar- und Sekundarbereich<br />
werden pauschal mit Mitteln<br />
ausgestattet, die der derzeitigen landesweiten<br />
Förderquote LES von 4,6 % entsprechen.<br />
Sie werden differenziert unter<br />
Berücksichtung von Sozialindikatoren<br />
auf die Schulen verteilt. Die Schulen<br />
nutzen die Mittel für die schulinterne<br />
Förderung und legen über die Verwendung<br />
der Mittel Rechenschaft ab.<br />
Für alle anderen Förderschwerpunkte<br />
wird innerhalb dieses Zeitraums eine<br />
Zielmarke von 50 % angestrebt, die<br />
sich allerdings als Zwischenschritt und<br />
nicht als Endpunkt auf dem Weg zu einem<br />
inklusiven Schulsystem versteht.<br />
Abschottung weiter erwünscht<br />
Ob das Schulministerium in NRW diesen<br />
Vorschlag umsetzen wird, ist fraglich.<br />
Schließlich haben SPD und Grüne<br />
in einem Kompromiss mit der CDU<br />
sich darauf verständigt, dass die Eltern<br />
für alle Förderschwerpunkte, also auch<br />
für LES, ein Wahlrecht haben sollen.<br />
In konservativ regierten Bundesländern<br />
ist es ausgemachte Sache, dass das<br />
gesamte Sonderschulsystem als dauerhaftes<br />
Parallelangebot aufrechterhalten<br />
werden soll. Dazu dient die Einführung<br />
eines vorgeblichen Elternwahlrechts,<br />
das jedoch politisch über Elternberatung<br />
und Finanzvorbehalt beeinflussbar<br />
ist und gesteuert werden kann.<br />
Bayern will z. B. eine verpflichtende<br />
Elternberatung einführen. Das »Inklusionskonzept«<br />
des dortigen Kultusministeriums<br />
sieht vor, dass im Konfliktfall<br />
die zuständige Schulaufsichtsbehörde<br />
unter Anhörung der Erziehungsberechtigten<br />
und der betroffenen Schulen über<br />
den Lernort entscheidet. Für die Eltern<br />
der »Lernbehinderten« tut sich mit der<br />
sog. Elternberatung eine echte Barriere<br />
auf. Sie sind in der Regel schlechter<br />
über ihre Rechte informiert und weniger<br />
durchsetzungsfähig. Es ist eher<br />
unwahrscheinlich, dass sie eine schulaufsichtliche<br />
Entscheidung mit einer<br />
gerichtlichen Klage anfechten werden.<br />
Berlin will in jedem Bezirk noch eine<br />
Schwerpunktschule für »Lernbehinderte«<br />
erhalten. Begründet wird diese<br />
Entscheidung mit dem sog. Elternwillen.<br />
Dabei hat man die Hauptschule<br />
dort gerade abgeschafft und niemand<br />
ist auf die Idee gekommen, eine Schwerpunkthauptschule<br />
pro Bezirk erhalten<br />
zu wollen. Aber mit den am stärksten<br />
benachteiligten Schülern will man so<br />
verfahren.<br />
Kein Zugang für »Lernbehinderte«<br />
zum Gymnasium<br />
Innerhalb des Regelschulsystems will<br />
Bayern »Lernbehinderten« lediglich<br />
den Zugang zur Hauptschule bzw. zur<br />
Tabelle 2.13: Abgänger der öffentlichen und Mittelschule, privaten Förderschulen einer modernisierten Nordrhein-Westfalens Va-<br />
Bad nach Heilbrunn allgemein 2011 bildenden Schulabschlüssen<br />
am Ende des Schuljahres 2009/10<br />
riante der Hauptschule, einräumen.<br />
Damit soll der soziale Abstand zu den<br />
Schülerinnen und Schülern der Realschule<br />
und erst recht zu denen des<br />
Gymnasiums gewahrt werden.<br />
Auch in den Stadtstaaten Bremen,<br />
Berlin und Hamburg mit einem zweigliedrigen<br />
Schulsystem haben »Lernbehinderte«<br />
am Gymnasium nichts<br />
verloren. Ihr Platz ist selbstredend in<br />
der zweiten Schulform. Dagegen haben<br />
Kinder mit einer geistigen Behinderung<br />
günstigere Aufnahmechancen am<br />
Gymnasium.<br />
Valentin Aichele, der die Umsetzung<br />
der UN-Konvention in Deutschland in<br />
der Monitoring-Stelle am Deutschen<br />
Institut für Menschenrechte juristisch<br />
begleitet, sieht das Gymnasium jedoch<br />
in der Pflicht, eine Pädagogik der Vielfalt<br />
zu entwickeln. Für Marianne Schulze,<br />
die eine vergleichbare juristische<br />
Funktion in Österreich wahrnimmt, ist<br />
diese Zuordnung konventionswidrig,<br />
weil sie sich der Anerkennung von Diversität<br />
verweigert.<br />
Der zukünftige Umgang mit den unterprivilegierten<br />
Kindern und Jugendlichen,<br />
die derzeit in unserem Bildungssystem<br />
benachteiligt und diskriminiert<br />
werden, ist der Lackmustest für die<br />
bildungspolitische Ernsthaftigkeit, ein<br />
inklusives Schulsystem zu entwickeln.<br />
Anmerkung<br />
Sehr lesenswert wegen des Überblicks über<br />
wichtige Forschungsergebnisse:<br />
Schnell, I./Sander, A./Federolf, C.: Zur<br />
Effizienz von Schulen für Lernbehinderte.<br />
Forschungsergebnisse aus vier Jahrzehnten.<br />
Förderschule Tabelle 2.13: Abgänger für der öffentlichen und privaten Förderschulen ohne Haupt- Nordrhein-Westfalens Hauptschul- nach allgemein Fachober- bildenden Fachhoch- Schulabschlüssen Allgemeine insgesamt<br />
am Ende des Schuljahres 2009/10<br />
schulabschluss* abschluss schulreife schulreife Hochschulreife Ab<br />
Geistige Förderschule Entwicklung für ohne Haupt- Hauptschul- 1.417 Fachober- Fachhoch- Allgemeine insgesamt ohne HSschulabschluss*<br />
abschluss 4.301 schulreife 1.947schulreife Hochschulreife 9 Abschluss in % 6.257<br />
1.417<br />
Lernen<br />
Körperliche Geistige Entwicklung und motorische Entwicklung 1.417 441 184 87 35 1.417 100,0 11 758<br />
Emotionale Lernen und soziale Entwicklung 4.301 389 1.947 1.456 9 30 6.257 68,7 1.875<br />
Körperliche und motorische Entwicklung 441 184 87 35 11 758 58,2<br />
Sehen 11 73 33 8 7 132<br />
Emotionale und soziale Entwicklung 389 1.456 30 1.875 20,7<br />
Hören Sehen und Kommunikation 11 1773 33 201 8 114 743 132 8,3 28 403<br />
Sprache Hören und Kommunikation 17 201 7 114 253 43 16 28 403 4,2 276<br />
Abschlüsse Sprache insgesamt 7 6.583 253 4.114 16 289 86 276 2,5 46 11.118<br />
Abschlüsse insgesamt 6.583 4.114 289 86 46 11.118 59,2<br />
Verteilung der Abschlüsse aller<br />
Verteilung der Abschlüsse aller<br />
Förderschwerpunkte Förderschwerpunkte in % in % 59,2 59,2 37,0 37,0 2,6 0,8 2,6 0,4 0,8 100,0 0,4 100,0<br />
*Die insgesamt 6.583 6.583 Abgänger/innen ohne Hauptschulabschluss ohne entsprechen entsprechen 55,2% derer, die 55,2% 2010 die derer, Schulen die des 2010 Landes die ohne Schulen HS-Abschluss des Landes verließen. ohne HS-Abschluss verließen.<br />
Quelle: eigene Berechnungen auf der auf Grundlage der Grundlage von Daten von des Daten Ministeriums des Ministeriums für Schule und für Weiterbildung Schule und NRW Weiterbildung (2011) NRW (2011)<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011<br />
11
Frühe Aussonderung oder inklusive Schule?<br />
Ein Traum<br />
Räumen Sie auch so gerne auf?<br />
Ich liebe es, aufzuräumen!<br />
Wörter wie Formatkörbchen, Aufbewahrungssystem,<br />
Hängeregister oder<br />
Sortierkasten erfüllen mich mit großer<br />
Vorfreude und mein Gehirn produziert<br />
dabei jede Menge Glücksbotenstoffe.<br />
Aufräumen beruhigt mich und macht<br />
mich glücklich!<br />
An einem Septembertag, vor der Einschulung<br />
meiner neuen Erstklässler ordne<br />
ich also die tausend Dinge des Klassenzimmers:<br />
Alle Schubladen versehe ich mit Sortiereinsätzen;<br />
dahinein lege ich andächtig<br />
Stifte, Radierer, Reißnägel, Aufkleber,<br />
Büroklammern, Klebstifte, Folienstifte …<br />
In meine geliebten Aufbewahrungskisten<br />
aus transparentem Kunststoff<br />
fülle ich Steckwürfel, Rechenklötze, geometrische<br />
Plättchen, Holzbuchstaben,<br />
Magnete, Knete, Korken, leere Filmdöschen,<br />
Stempel, Origamipapier, Geburtstagskerzen,<br />
Pflaster und Tempotücher.<br />
Alles wird mit Druckbuchstaben beschriftet,<br />
fertig!<br />
Ich bin begeistert: Das Regal sieht gut<br />
aus, nichts kann mehr schiefgehen, die<br />
Kinder können das Zimmer stürmen, ich<br />
habe aufgeräumt, alles ist gut.<br />
Nur – in der darauffolgenden Nacht<br />
träume ich schwer:<br />
Ich stehe vor einem riesigen Schrank,<br />
mit ganz vielen, gleich großen Schub -<br />
laden; ich stehe vor so einem Schrank,<br />
wie sie in meiner Jugend in Tante-<br />
Emma-Läden standen.<br />
Jede Schublade hat ein kleines Einsteckfach<br />
für die Bezeichnung, diesmal<br />
nicht für Nüsse, Rosinen, Kandis und<br />
Himbeerbonbons, sondern für Kinder.<br />
Auf kleinen Kärtchen notiere ich:<br />
Normal, hochbegabt, früh eingeschult,<br />
zurückgestellt, defizitäre Sprache,<br />
Verdacht auf ADS/ ADHS, Migrationshintergrund,<br />
erziehungsschwierig,<br />
winkelfehlsichtig, defizitäre Hörverarbeitung,<br />
problematisches familiäres<br />
Umfeld, motorisch gestört, LRS, Dyskalkulie,<br />
Wiederholer, alleinerziehende<br />
Mutter, psychisch labil, Scheidungs -<br />
kind …<br />
… hoffentlich reichen die Schubladen.<br />
Die in einer Reihe wartenden Kinder<br />
greife ich eins nach dem anderen und<br />
stopfe sie in die passenden Schubladen,<br />
schließlich trägt meine Namensliste<br />
schon Geheimbotschaften aus den Kindergärten<br />
in Form von Ausrufezeichen,<br />
Kürzeln oder farbigen Markierungen.<br />
Ludwig zum Beispiel ist aus einem<br />
anderen Bundesland hergezogen, seine<br />
Papiere wurden in einem braunen amtlichen<br />
Umschlag mitgeschickt. Man liest:<br />
Protokoll der Aufnahmeformalität:<br />
Besonderheit: E? Beobachten.<br />
Ich bin gut im Decodieren, E heißt erziehungsschwierig<br />
oder auch verhaltens-<br />
originell und ich soll ihn im Auge behalten,<br />
den Ludwig.<br />
Schublade auf, Kind rein, Schublade<br />
zu.<br />
Nachdem ich alle Kinder einsortiert<br />
habe, stelle ich fest, dass die Schublade<br />
NORMAL fast leer ist. Wenn wir Beamten<br />
dann doch mal nach Leistung bezahlt<br />
würden, dann würde diese Klasse jede<br />
Menge Geld geben. So viel Unnormales!<br />
Nach getaner Ordnungsarbeit verschränke<br />
ich die Arme und bleibe zufrieden<br />
und beruhigt vor meinem Werk stehen<br />
und warte auf die Glückshormone.<br />
Doch – unerwartet und heftig fährt<br />
eine Schublade auf, ein Kind purzelt heraus,<br />
es rüttelt an anderen Laden, befreit<br />
andere Kinder, die Holzkästen poltern<br />
zu Boden, die Kinder steigen heraus, beginnen<br />
zu lärmen, zu toben und mich zu<br />
bedrängen:<br />
Sieh mich an! Rede mit mir! Lies mit<br />
mir! Lach mit mir! Frag mich mal!<br />
Suche mich! Wo bin ich denn? Fang<br />
mich doch! Hörst du mich?!<br />
Kennst du mich? Woher komme ich?<br />
Mein Herz klopft bis zum Hals, ich<br />
kann kaum noch atmen.<br />
Ich will die Kinder anbrüllen, aber es<br />
kommt kein Ton, will fliehen, aber meine<br />
Beine sind aus Knete, will die Kinder<br />
festhalten, aber meine Hände zerfallen<br />
in einzelne Steckwürfel – alles wird<br />
schwarz.<br />
Gott sei Dank erwache ich – schweißgebadet.<br />
Torkelnd erreiche ich die Küche und<br />
beginne, das Besteck aus der Spülmaschine<br />
aufzuräumen, denn ich muss<br />
mich beruhigen. Mein Mann kommt<br />
nach, schüttelt den Kopf und fragt:<br />
»Seit wann sind Löffel links und Gabeln<br />
rechts?« und er nimmt das Besteck mit<br />
einem Griff und stellt die gewohnte Ordnung<br />
wieder her.<br />
»Seit ich schlecht geträumt habe«,<br />
antworte ich ziemlich zeitversetzt und<br />
er glaubt, dass ich noch nicht ganz wach<br />
bin.<br />
… Oh doch, inzwischen bin ich ganz<br />
wach und ordne nur noch Sachen:<br />
Besteck, Kerzen, Gästehandtücher,<br />
Nähgarn, Weihnachtsschmuck und so.<br />
Nie wieder Kinder! Nicht einmal im<br />
Traum!<br />
12 GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011
Frühe Aussonderung oder inklusive Schule?<br />
Auszüge aus: Nora Simon: Unermesslich – Jenseits von PISA<br />
veröffentlicht 2011 von der Arbeits gruppe Primarstufe der Universität Siegen<br />
In Großstudien wie PISA verschwinden<br />
Kinder und Jugendliche in Schubladen<br />
wie »Migrationshintergrund« oder »Unterschicht«,<br />
deren Bedeutung nur in anonymen<br />
Prozentwerten fassbar wird. In<br />
der Schule schrumpfen das Können, die<br />
Leistung von Schülern auf Ziffern wie »2«<br />
oder »4«. In diesem Buch aber bekommen<br />
sie ein Gesicht: Luisa, Gülbahar,<br />
Samira, Benedetto, Hannes: »Sie sind aus<br />
einer Schublade ausgebrochen, sie haben<br />
unermessliche Kräfte entwickelt, sie<br />
haben sich den Aufräum-, Sortier- und<br />
Zerstückelungsmaßnahmen ihrer Leistungsfähigkeit<br />
widersetzt«, wie die Autorin<br />
Nora Simon eindrucksvoll schreibt.<br />
Der Band ist ab sofort erhältlich für 7 € inklusive Verpackung und Versand über:<br />
Daniela Seifert, Fakultät II/Projektbüro LISA&KO, Universität Siegen<br />
Adolf-Reichwein-Straße 2, 57068 Siegen<br />
oder online unter: www2.agprim.uni-siegen.de/formular/buchbestellungagprim.html<br />
Wir bedanken uns für die Erlaubnis, in diesem Heft vier Auszüge abzudrucken<br />
(auf dieser Doppelseite sowie auf Seite 15 und 16 f.)<br />
Die Schubladen<br />
Ich werde Ihnen, liebe Leserinnen und<br />
Leser, keinen einzigen Schubladenbegriff<br />
meines Traumes fachlich erklären.<br />
Elternratgeber gibt es genug.<br />
Mein Buch soll auch keine Hilfe bieten<br />
bei amtlicher Zuweisung zu einer dieser<br />
Schubladen, außer der einen:<br />
Vertrauen Sie darauf, Kinder brechen<br />
aus.<br />
Warum aber Schubladen so gemein<br />
sein können, in die Kinder von Amtspersonen<br />
oder anderen Erwachsenen<br />
gesteckt werden, versteht man mit einem<br />
Bild vom Mond: Der hat manchmal<br />
einen Hof aus Licht, Halo genannt.<br />
Wenn eine Information, die man über<br />
ein Kind hat, auf andere Meinungen<br />
über dasselbe Kindes strahlt oder über<br />
das ganze Kind, dann nennt man dieses<br />
Phänomen Halo-Effekt.<br />
Ich finde, es handelt sich beim pädagogischen<br />
– oder besser unpädagogischen<br />
Halo-Effekt eher um ausstrahlende<br />
Dunkelheit als um Licht!<br />
In der Schublade Portugiesen zum Beispiel<br />
befinden sich hauptsächlich Leute,<br />
die kein gutes Deutsch sprechen. Das<br />
schlechte Deutsch hört sich so an, als<br />
ob sie sonst auch nicht richtig denken.<br />
Im Unterricht schaut man dann immer,<br />
ob es stimmt, dass sie so denken, wie<br />
sie sprechen. Da haben es die portugiesischen<br />
Kinder oft schwer, ihr Denkver-<br />
mögen zu beweisen; die schwäbischen<br />
manchmal auch.<br />
Wenn nun aber ein Kind einen Professor<br />
als Papa hat und der Lehrer weiß das,<br />
dann hilft diesem Kind der Halo-Effekt,<br />
hat es einen Portugiesen als Papa, hilft<br />
der Halo-Effekt eher nicht so arg, außer<br />
der Papa ist ein portugiesischer Professor.<br />
Vor langem berichtete mir eine Mutter<br />
unter Tränen – ihr Kind war mittlerweile<br />
in der 2. Klasse und kam gut mit<br />
–, dass ein Kinderpsychologe vor der<br />
Einschulung ihr Kind getestet habe und<br />
ihr geraten habe, man solle dem Sprössling<br />
das Misserfolgserlebnis in der Regelschule<br />
(schon das Wort!) ersparen<br />
und gleich in die Förderschule einschulen.<br />
Sie und ihr Mann hatten diesen Rat<br />
zwar nicht befolgt, beobachteten aber<br />
ihr Kind seitdem argwöhnisch, wann<br />
und worin sich denn diese festgestellte<br />
Dummheit nun zeigen würde.<br />
»Ach was, ich gebe nichts auf so einen<br />
Test, ihr Kind macht alles gut«, war<br />
meine Antwort und von da an lenkte<br />
ich meine Aufmerksamkeit verstärkt auf<br />
meinen Schützling, ob er nicht abschriebe<br />
bei den anderen, ob er falsche Antworten<br />
gäbe, ob er zu oft die Aufmerksamkeit<br />
verliere.<br />
Denn der Halo-Effekt ist ein heimtückischer<br />
Geselle, selbst wenn man ihn<br />
kennt und verachtet, findet er ein Plätzchen<br />
in unseren Gedanken:<br />
Was ja noch kein Problem wäre, wenn<br />
er dort bliebe, der böse Halo, in unseren<br />
Gedanken:<br />
Aber er schleicht sich heraus, sagt uns<br />
ein, wie wir das Kind behandeln sollen,<br />
was wir ihm zutrauen können, wie oft<br />
wir es aufrufen und wie wir seine Antworten<br />
einschätzen sollen. Unbewusst<br />
halten wir dem Kind eine Art Spiegel vor<br />
und was es darin sieht, glaubt es und<br />
verändert sich entsprechend. Schülerinnen,<br />
denen wir viel zutrauen, leisten<br />
mehr; Schüler, denen wir wenig zutrauen,<br />
leisten weniger, ob uns das gefällt<br />
oder nicht.<br />
Psychologen und Psychologinnen<br />
sprechen von selbsterfüllender Prophezeiung<br />
oder, genannt nach dem Menschen,<br />
der darüber geforscht hat, Rosenthal-Effekt.<br />
Jede vorher gefasste Meinung über<br />
einen Schüler, ganz gleich, wie sie entstanden<br />
ist, dreht an dessen Schicksal.<br />
All die Punkte und Vermerke auf Listen,<br />
all die Bemerkungen von Lehrerinnen<br />
und Erzieherinnen, alle Testergebnisse<br />
drängen sich in die Zukunftschancen eines<br />
jungen Menschen.<br />
Deshalb schreibe ich dieses Buch!<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011<br />
13
Kinder: Lernautomaten oder selbstbewusste Lerner?<br />
Horst Bartnitzky<br />
Von wegen: einfach und passgenau!<br />
Förderung ist eine didaktisch anspruchsvolle Aufgabe<br />
Für wie blöd halten Verlage eigentlich die Lehrerinnen und Lehrer der <strong>Grundschule</strong>?<br />
Da behauptet ein Verlag, dass mit seinen Online-Tests so einfach wie<br />
noch nie Förderbedarf zu ermitteln sei. Natürlich auf der Basis der Bildungsstandards.<br />
Und dann gebe es die individuellen Fördermappen. Die Testergebnisse<br />
würden automatisch ausgewertet und die Auswertung (sprich: Diagnose)<br />
löse die optimal angepasste, auf den ermittelten Förderbedarf zugeschnittenen<br />
Arbeitsblätter aus. Einfach, passgenau, zuverlässig.<br />
»Die Bildungsstandards leicht umsetzen«, verspricht der Verlag denn auch noch.<br />
Alle Sorgen um die rechte Förderung<br />
der so unterschiedlichen<br />
Kinder können sich auf diese<br />
Weise in Luft auflösen: Noch wie war<br />
differenzierter Unterricht so einfach.<br />
Testen – Blatt einwerfen – fertig<br />
Wie dieser Verlag mit dem Thema Fördern<br />
umgeht und um Kunden wirbt,<br />
ist exemplarisch. Alle Schulbuchverlage<br />
bieten Entsprechendes. Auch dies ist<br />
eine Folge der Bildungsdebatte seit PISA:<br />
Zum einen werden Tests hoch geschätzt,<br />
egal ob standardisiert wie VERA oder<br />
OnlineDiagnose_Prospekt_Korr2011_A4 12.08.11 14:26 Seite 4<br />
OnlineDiagnose_Prospekt_Korr2011_A4 12.08.11 14:26 Seite 4<br />
Es war noch nie so einfach,<br />
Förderbedarf zu ermitteln.<br />
Testen – diagnostizieren – fördern<br />
1 Testen<br />
2<br />
Testen<br />
Mit wenigen Klicks können Sie als Lehrkraft auf einen<br />
Mit wenigen Klicks können Sie als Lehrkraft auf einen<br />
voreingestellten Test zurückgreifen. Darüber hinaus<br />
voreingestellten Test zurückgreifen. Darüber hinaus<br />
können Sie die Tests individuell anpassen oder komplett<br />
können Sie die Tests individuell anpassen oder komplett<br />
neue Tests erstellen. Die folgenden voreingestellten<br />
neue Tests erstellen. Die folgenden voreingestellten<br />
Tests sind sofort verfügbar:<br />
Tests sind sofort verfügbar:<br />
■ Einstiegstest zum Schuljahresbeginn<br />
■ Einstiegstest zum Schuljahresbeginn<br />
■ Zwischentest zu Beginn des 2. Halbjahres<br />
■ Zwischentest zu Beginn des 2. Halbjahres<br />
■ Abschlusstest am Schuljahresende<br />
■ Abschlusstest am Schuljahresende<br />
■ Modultest (Detailtest) für jeden der<br />
■ Modultest (Detailtest) für jeden der<br />
Kompetenzbereiche<br />
Kompetenzbereiche<br />
Damit die Schülerinnen und Schüler die Tests bearbeiten<br />
Damit die Schülerinnen und Schüler die Tests bearbeiten<br />
können, müssen diese von Ihnen freigeschaltet werden –<br />
können, müssen diese von Ihnen freigeschaltet werden –<br />
entweder für die ganze Klasse oder gezielt für einzelne<br />
entweder für die ganze Klasse oder gezielt für einzelne<br />
Schülerinnen und Schüler.<br />
Schülerinnen und Schüler.<br />
Testdauer<br />
Testdauer<br />
Die Dauer der voreingestellten Tests beträgt<br />
Die Dauer der voreingestellten Tests beträgt<br />
in der 2. Klasse nicht mehr als 15 Minuten,<br />
in der 2. Klasse nicht mehr als 15 Minuten,<br />
in den Klassen 3 und 4 jeweils 20 Minuten.<br />
in den Klassen 3 und 4 jeweils 20 Minuten.<br />
Diagnostizieren<br />
Diagnostizieren<br />
Sie erhalten eine umfangreiche Diagnose. Diese kann<br />
Sie erhalten eine umfangreiche Diagnose. Diese kann<br />
zum Beispiel für die gesamte Klasse oder für einzelne<br />
zum Beispiel für die gesamte Klasse oder für einzelne<br />
Kinder angezeigt werden. Ein Farbcode sorgt dabei<br />
Kinder angezeigt werden. Ein Farbcode sorgt dabei<br />
für einen schnellen Überblick. Eine Übersicht aller<br />
für einen schnellen Überblick. Eine Übersicht aller<br />
getesteten Kompetenzen und Kinder kann heruntergeladen<br />
und ausgedruckt werden.<br />
getesteten Kompetenzen und Kinder kann heruntergeladen<br />
und ausgedruckt werden.<br />
3<br />
Fördern<br />
Fördern<br />
Anhand der Diagnoseergebnisse werden für jedes Kind<br />
Anhand der Diagnoseergebnisse werden für jedes Kind<br />
Arbeitsblätter in einer individuellen Fördermappe zusammengestellt.<br />
Diese kann als pdf heruntergeladen<br />
Arbeitsblätter in einer individuellen Fördermappe zusammengestellt.<br />
Diese kann als pdf heruntergeladen<br />
und ausgedruckt werden. Eine Fördermappe umfasst für<br />
und ausgedruckt werden. Eine Fördermappe umfasst für<br />
Kinder der 2. Klasse maximal 10 Arbeitsblätter, ab<br />
Kinder der 2. Klasse maximal 10 Arbeitsblätter, ab<br />
der 3. Klasse maximal 20 Arbeitsblätter. Sie haben die<br />
der 3. Klasse maximal 20 Arbeitsblätter. Sie haben die<br />
Möglichkeit, die Lösungen zu den Arbeitsblättern<br />
Möglichkeit, die Lösungen zu den Arbeitsblättern<br />
herunterzuladen und den Kindern zur Selbstkontrolle<br />
herunterzuladen und den Kindern zur Selbstkontrolle<br />
auszuhändigen. Alle Fördermaterialien werden in einem<br />
auszuhändigen. Alle Fördermaterialien werden in einem<br />
Archiv abgelegt und bieten somit einen reichhaltigen<br />
Archiv abgelegt und bieten somit einen reichhaltigen<br />
Fundus, aus dem die Kinder bei Bedarf zusätzlich mit<br />
Fundus, aus dem die Kinder bei Bedarf zusätzlich mit<br />
Arbeitsblättern versorgt werden können.<br />
Arbeitsblättern versorgt werden können.<br />
informell wie solche Verlagstests. Zum<br />
anderen stoßen die Verlage in die Lücke,<br />
die Schulpolitik mit VERA offenlässt:<br />
Diagnose mit den Vergleichsarbeiten<br />
ja, aber alles andere haben die Schulen<br />
selbst zu erledigen. Unterstützungskonzepte<br />
für Schulen, deren Kinder schwache<br />
Leistungen zeigen: Fehlanzeige.<br />
Also springen hier die Verlage ein.<br />
Wären dies seriöse Angebote, dann<br />
wären sie willkommen. Nur: Solche<br />
sind es nicht. Schon die nach allen Regeln<br />
der Testmetrik ausgetüftelten Aufgaben<br />
der Vergleichsarbeiten VERA<br />
lösen nicht ein, was die Bildungsstandards<br />
der Kultusminister fordern. In<br />
den Bildungsstandards geht es um<br />
Lernmethoden, um das Auffinden von<br />
Lösungswegen, um individuelle Verarbeitungen,<br />
um produktive und kreative<br />
Lösungen. Hier nur einige Beispiele aus<br />
dem Bereich Lesen: »Lebendige Vorstellungen<br />
beim Lesen und Hören literarischer<br />
Texte entwickeln«, »Texte begründet<br />
auswählen«, »eigene Gedanken zu<br />
Texten entwickeln, zu Texten Stellung<br />
nehmen und mit anderen über Texte<br />
sprechen«, »ein Kinderbuch selbst auswählen<br />
und vorstellen«. 1)<br />
Mit Papier-Bleistift-Testaufgaben ist<br />
nicht zu ermitteln, inwieweit Kinder<br />
solche Standards erworben haben. Und<br />
mit der Rechner-Auswertung in der<br />
schlichten Alternative: richtig – falsch<br />
schon gar nicht. Der Grundschulverband<br />
hat dies über sieben VERA-Jahre<br />
immer wieder an den Aufgaben und<br />
Auswertungen für Deutsch und Mathematik<br />
nachgewiesen. 2)<br />
»Es war noch nie so einfach, Förderbedarf<br />
zu ermitteln.«<br />
Nein. Es ist eben gerade nicht einfach.<br />
Es bedarf der Fachkompetenz gut ausgebildeter<br />
und erfahrener Lehrkräfte,<br />
Kinder zu beobachten, mit Kindern<br />
über ihre Lernwege zu sprechen und<br />
Arbeitsergebnisse von Kindern zu interpretieren.<br />
Dann mag ein Test dazukommen,<br />
aber er kann nur ergänzen,<br />
was in der Arbeit mit den Kindern beobachtet<br />
und festgestellt wurde. Der<br />
Grundschulverband hat dazu schon vor<br />
Jahren sein Konzept einer Pädagogischen<br />
Leistungskultur vorgelegt. 2)<br />
Die Fördermappe »enthält Arbeitsblätter,<br />
die auf den jeweiligen Förderbedarf<br />
zugeschnitten sind«.<br />
Das mag ja sein, aber nachhaltig wirksam<br />
Kinder fördern, ist nicht mit einer<br />
schlichten Mappendidaktik zu erledigen.<br />
Kindern mit Schwierigkeiten im<br />
Rechtschreiben genügt eben nicht, auf<br />
einem Förderblatt Wörter abzuleiten<br />
und eine Merkregel zu lernen. Sie müs-<br />
14 GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011
Kinder: Lernautomaten oder selbstbewusste Lerner?<br />
sen vor allem gute Gründe haben, ihre<br />
Texte normgerecht zu schreiben. Gute<br />
Gründe können ihnen Leser der Texte<br />
vermitteln, Schreibprojekte mit Ernstcharakter,<br />
Rechtschreibgespräche, eine<br />
Wertsetzung dessen, was sie schreiben.<br />
Dann müssen sie den Rechtschreibregelungen<br />
auf die Spur kommen und<br />
Strategien zum Richtigschreiben erwerben,<br />
an Wörtern, die für sie und ihr<br />
Schrei ben wichtig sind: Katze – Kätzchen.<br />
Was ändert sich? Gibt es andere<br />
Wörter, bei denen das auch so ist? Das<br />
ist keine Einzelarbeit, still vor einem<br />
Blatt zum Ausfüllen. Das ist Forscherarbeit<br />
mit der Klasse oder einer Gruppe,<br />
immer aber kommunikatives Sammeln,<br />
Sichten, Nachdenken und Erkennen.<br />
Dann auch individuelles Anwenden<br />
und Üben. Das Förderblatt mag an dieser<br />
späten Stelle eine Funktion haben,<br />
aber erst hier und nur im Zusammenhang<br />
dessen, was vorher und sonst im<br />
Rechtschreibunterricht geschieht.<br />
»Bildungsstandards leicht umsetzen.«<br />
Nein. Die Bildungsstandards der Kultusminister,<br />
1) die Grundlage aller Lehrpläne<br />
in allen Bundesländern sind, sind<br />
überhaupt nicht leicht umzusetzen. Sie<br />
sind als Kompetenzen für das Ende<br />
der Grundschulzeit formuliert und geben<br />
die Perspektive vor, auf die hin die<br />
Arbeit in der <strong>Grundschule</strong> in den beiden<br />
Fächern Deutsch und Mathematik<br />
gerichtet sein soll. »Texte planen, Texte<br />
Digitale Lehrer<br />
In den fünften und sechsten Hauptschulklassen<br />
werden die Heranwachsenden<br />
seit neuestem vor den PC gesetzt, um<br />
ihre persönliche »Lernstandsdiagnose«<br />
für einzelne Fächer zu erstellen; daraufhin<br />
spuckt das Programm für dieses eine<br />
Kind jede Menge spezielle Übungen<br />
aus.<br />
»Per Knopfdruck kann für jeden Schüler<br />
eine eigene, individuell zusammengestellte<br />
Fördermappe heruntergeladen<br />
werden«, wirbt ein Schulbuchverlag für<br />
ein Englisch-Lehrwerk.<br />
Der Pädagoge darf jetzt getrost<br />
alles vergessen, was er über<br />
ein Kind weiß, über dessen Art zu<br />
lernen, zu verstehen, sich zu konzentrieren<br />
oder nicht zu konzentrieren, über<br />
dessen Interessen und Stärken. Er darf<br />
schreiben, Texte überarbeiten« sind<br />
zum Beispiel didaktisch anspruchsvolle<br />
Perspektiven. Dahinter stehen<br />
Planungsmethoden wie Ideenfelder und<br />
Wortfeldarbeit, Schreibgespräche und<br />
Schreibkonferenzen, Überarbeitungsmethoden<br />
wie Umstellen und Erweitern,<br />
sinnhaftes Schreiben z. B. durch<br />
Schreibprojekte. Den Bildungsstandards<br />
liegen moderne und anspruchsvolle<br />
didaktische Fachkonzepte des<br />
Deutsch- und des Mathematikunterrichts<br />
zu Grunde und sie formulieren<br />
entsprechend komplexe Kompetenzen.<br />
Auch die durch PISA und IGLU<br />
definierte Lesekompetenz entspricht<br />
nicht diesen Bildungsstandards, weil<br />
alle eigenaktiven Prozesse ausgeklammert<br />
bleiben (Lesen ist nun mal ein<br />
eigenaktiver Vorgang) und weil Textqualitäten<br />
nicht definiert sind (Lesen<br />
ist immer auch von Interessen und Vorwissen<br />
abhängig). 4)<br />
Neben den hohlen Werbeversprechen<br />
im oben angegebenen Prospekt fällt ein<br />
Weiteres auf: Hier liegt ein mechanisches<br />
Lernmodell zu Grunde, ein Bild<br />
vom lernenden Kind als Lernautomat.<br />
Testen – Blatt einwerfen – fertig.<br />
Kinder als Lerner ernst nehmen<br />
Nur – weder unsere pädagogische Ethik<br />
ist mit einem solchen Bild vereinbar,<br />
noch die Erkenntnisse aus Lernpsy-<br />
getrost alles vergessen, was die Beziehung<br />
zwischen ihm und seinem Schüler<br />
oder seiner Schülerin ausmacht, denn er<br />
darf die Arbeit einer Maschine überlassen.<br />
Er darf getrost alles vergessen und<br />
Leuten die Arbeit überlassen, die weder<br />
das Kind, noch dessen Umfeld, noch<br />
dessen Vergangenheit kennen, noch<br />
dessen Zukunft ahnen.<br />
Jeder Kollege und jede Kollegin weiß<br />
ohne Online-Programm sehr genau, wo<br />
welches Kind Schwächen und Stärken<br />
hat und wie es angesprochen und motiviert<br />
werden kann. Das ist und bleibt<br />
Metier und Begabung des Pädagogen.<br />
Eine Maschine kann nur im Ansatz das<br />
zu Tage fördern, was die Lehrperson sowieso<br />
schon weiß.<br />
chologie, Hirnforschung und Didaktik.<br />
Speck-Hamdan resümiert den <strong>aktuell</strong>en<br />
Erkenntnisstand: »Wir verstehen<br />
heute Lernen … als aktiven Prozess<br />
der Konstruktion von Erkenntnissen<br />
und Vorstellungen … Diese gemäßigt<br />
konstruktivistische Vorstellung vom<br />
Lernen betont neben der Individualität<br />
des Lernens vor allem die Aktivität der<br />
Lernenden und die situative und soziale<br />
Einbettung von Lernprozessen.« 5) Das<br />
schließt ein, dass, mit welchen Methoden,<br />
Lernwegen, Arbeitsblättern auch<br />
immer, die Kinder nie auf Knopfdruck<br />
denselben Lernstand haben können.<br />
Das bedeutet für die Leseförderung<br />
zuerst und vor allem eine Lernumgebung,<br />
die zum Lesen und Umgang mit<br />
Texten anregt, die unterschiedliche<br />
Lese interessen ebenso berücksichtigt<br />
wie verschiedene Leseniveaus. Eine<br />
lese anregende Lernumgebung bietet<br />
Lesestoff an, gibt Lesezeiten und arrangiert<br />
Leseraum; sie schafft verschiedene<br />
Leseimpulse durch Anlesen, Lesetipps,<br />
themenbezogene Buchangebote, Lesekommunikation;<br />
sie vermittelt Möglichkeiten<br />
der Leseverarbeitung durch<br />
Lesegespräche, Lesetagebuch, Präsentationen<br />
wie Leseschachtel, Leseinszenierung,<br />
thematisches Nutzen des beim<br />
Lesen Erfahrenen und anderes mehr.<br />
In solchen Zusammenhängen werden<br />
auch Lesestrategien nötig und geübt:<br />
Überfliegendes Lesen lernen und<br />
üben Kinder zum Beispiel, wenn sie für<br />
Lebende Pädagogen, die mit ihren Schülerinnen<br />
und Schülern täglich viel Zeit<br />
verbringen, sind mit Sicherheit einfühlsamer,<br />
ideenreicher und anpassungsfähiger<br />
als jedes Computerprogramm.<br />
Lebende Lehrer wissen es eben: Ridvan<br />
rechnet am liebsten mit Baggern,<br />
Simone schreibt am schönsten mit<br />
Goldstift, Tommy rechnet am besten mit<br />
Mozart und Solveig braucht zum Denken<br />
einen Freund.<br />
Kinder sind keine Maschinen und lernen<br />
nicht von und für Maschinen und<br />
auch nicht wie Maschinen,<br />
sondern von Vorbildern<br />
und für Vorbilder!<br />
aus: N. Simon: Unermesslich<br />
– Jenseits von PISA, S. 27<br />
(s. S. 13 in diesem Heft)<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011<br />
15
Kinder: Lernautomaten oder selbstbewusste Lerner?<br />
Steckbriefe über Tiere in Büchern, Zeitschriften<br />
oder im Internet bestimmte<br />
Informationen finden wollen; informierendes<br />
Lesen lernen und üben sie,<br />
wenn sie beim Thema Erfindungen mit<br />
den W-Fragen recherchieren: was? wer?<br />
wann? wo? wie? warum? Schlüsselwörter<br />
in einem Text finden und nutzen sie,<br />
wenn sie mit einer begrenzten Zahl von<br />
Schlüsselwörtern über einen Sachverhalt<br />
informieren oder eine Geschichte<br />
erzählen sollen.<br />
Dann können solche Lesestrategien<br />
auch mit verschiedenen Texten trainiert<br />
werden, weil sie gebraucht werden: Die<br />
Kinder sollen nicht üben, weil das ein<br />
Arbeitsblatt oder eine Karteikarte fordert,<br />
sondern weil sie das zu Übende<br />
brauchen: Üben zum Ausüben ist ein<br />
zentrales Übungsmotiv. Fördern ist hier<br />
eingebunden.<br />
Qualitätsmerkmale<br />
für Förderaufgaben<br />
Eine Projektgruppe des Grundschulverbandes<br />
hat derzeit den Auftrag,<br />
didaktische Anregungen für ein modernes<br />
Förderkonzept zu erarbeiten.<br />
Das Arbeitsthema kennzeichnet schon<br />
die Blickrichtung: »Individuell fördern<br />
– Kompetenzen stärken« 6) . Bei der Suche<br />
nach qualitätsvollen Aufgaben für<br />
die Förderung verständigte sich die<br />
Projektgruppe auf drei Qualitätsmerkmale,<br />
die sie »didaktische Leitideen zur<br />
Förderung« nennt.<br />
●Förderung ist beziehungsreich<br />
und verstehensorientiert.<br />
Es ist ein Irrtum alter Hilfsschulpädagogik,<br />
der sich bis heute gehalten hat: dass<br />
nämlich leistungsschwächeren Kindern<br />
nur kleinste Lernportionen zu verabreichen<br />
sind. Also werden komplexere Fähigkeiten<br />
in kleinste Teilfähigkeiten zerlegt,<br />
möglichst mundgerecht gemacht<br />
und vorgekaut. Da wird zuerst das M<br />
gelernt, dann das A, daraus MAMA<br />
synthetisiert, oder es werden (ein <strong>aktuell</strong>er<br />
Trend) zuerst Silben lesen gelernt.<br />
Verstehensorientiert heißt aber: Einsicht<br />
in Struktur und Funktion von Schrift<br />
erkennen – nicht als spätes Ergebnis,<br />
sondern von Anfang an. Beziehungsreich<br />
bedeutet, Beziehungen herstellen<br />
zwischen Lauten und Buchstaben, zwischen<br />
Geschriebenem und Gesprochenem,<br />
zwischen mir und dem Text.<br />
Wenn Kinder im informierenden<br />
Lesen gefördert werden, weil sie die Informationen<br />
für einen Steckbrief, eine<br />
Ausstellung, einen Vortrag verwenden<br />
wollen, dann verstehen sie die Aufgabe<br />
wie die Lesestrategie und sie arbeiten<br />
beziehungsreich im Zusammenhang<br />
von Lesen und Erfahren, Nutzen<br />
und Präsentieren. Umgang mit Texten<br />
verbindet sich mit Mündlichkeit und<br />
Schriftlichkeit.<br />
●Förderung ist diagnosegeleitet<br />
und differenziert.<br />
Ein Teil der <strong>aktuell</strong>en Bildungsforschung,<br />
wie sie z. B. für die Vergleichsarbeiten<br />
verantwortlich ist, trennt Lernsituationen<br />
von Leistungssituationen.<br />
Lernsituationen charakterisierten den<br />
Unterricht, dabei dürften auch Fehler<br />
gemacht werden; Leistungssituationen<br />
seien dagegen Lernkontrollen, deren<br />
Sinn es gerade sei, möglichst fehlerfrei<br />
zu arbeiten.<br />
Didaktisch ist dies ein verhängnisvoller<br />
Irrtum, denn Lernsituationen sind<br />
qua Definition immer auch Leistungssituationen<br />
und Fehler können wichtige<br />
diagnostische Hinweise auf Lernstrategien<br />
und Denkweisen sein. Wer statt<br />
Opa Oper schreibt, hat ein Rechtschreibmuster<br />
erkannt und verinnerlicht und<br />
wendet es hier übergeneralisiert an. Was<br />
denn anderes als eine Leistung ist das?<br />
Diagnose geleitet bedeutet deshalb genau<br />
dies: in den Lernsituationen immer auch<br />
die Leistung zu erfassen und zu würdigen.<br />
Die Königswege dazu sind nicht<br />
Tests, sondern die Beobachtung der<br />
Lern- und Arbeitsprozesse und die Würdigung<br />
der Lerndokumente der Kinder,<br />
wie sie z. B. im Instrument des Port folios<br />
eine Möglichkeit gefunden hat. Dass<br />
Matteo und Vu<br />
Matteo muss sich bücken, um in den<br />
Spiegel zu schauen. Er dreht den Wasserhahn<br />
auf, nimmt etwas Wasser in<br />
seine hohlen Hände und glättet damit<br />
sein Haar. Er achtet auf sich, ungekämmt<br />
kann er nicht in die Pause gehen. Dabei<br />
sehen die wenigsten seiner Mitschüler<br />
auf seine Frisur, die ist nämlich viel zu<br />
weit oben.<br />
Matteo ist der Längste. Wenn zu viele<br />
Grundschüler um ihn herumstehen,<br />
wird er nervös, zeigt auf seine Schuhe<br />
Größe 46 und sagt: »Crunch!«<br />
Das heißt, Achtung, ich könnte euch<br />
zertreten, was aber die Kleinen nicht<br />
verstehen.<br />
Und hier Matteos Schubladenbeschreibung:<br />
Vater: USA-Bürger mexikanischer Abstammung,<br />
geschieden von Matteos<br />
Mutter mexikanischer Abstammung,<br />
jetzt liiert mit einer Deutschen und dieser<br />
in unsere schwäbische Kleinstadt gefolgt.<br />
Matteo kommt in die Internationale<br />
Vorbereitungsklasse, in eine funktionierende<br />
multikulturelle Mini-Einheit: Zwei<br />
Mädchen aus Ghana, zwei kurdische<br />
Knaben, ein Mädchen aus Afghanistan,<br />
ein Vietnamese, drei verwandte Kosovo-<br />
Albaner, zwei portugiesische Brüder und<br />
Matteo, der Lange, der Fünfzehnjährige,<br />
der Indianer, wie sie zu ihm sagen.<br />
Vu, der Vietnamese ist sein Freund,<br />
wie die beiden sich unterhalten, bleibt<br />
ein Rätsel. Vu lernt wie ein Computer,<br />
rasch, zielgerichtet, selbstständig, strukturiert.<br />
Matteo lernt gar nicht – er ist<br />
clever, sagt sein Vater.<br />
Aha!?<br />
Ich besorge ihm Arbeitsblätter und<br />
-hefte, Lernspiele, schreibe ihm Aufga-<br />
ben auf und Wörter vor. Er arbeitet und<br />
lernt nichts, bekritzelt alles mit kleinen<br />
Galgenmännchen.<br />
Er soll einmal studieren, sagt sein<br />
Vater.<br />
Aha!?<br />
Im Februar, als fünf Kinder wegen<br />
Grippe fehlen, finde ich Zeit, mich zu<br />
Matteo zu setzen. Sofort rechnet er<br />
schnell und sicher Aufgaben für Viertklässler.<br />
»Okay, weiter so«, ich stehe auf.<br />
Matteo schüttelt den Kopf und hört auf<br />
zu rechnen. Ich setze mich wieder hin.<br />
Er rechnet weiter: Bruchrechnen kann er<br />
auch.<br />
»Okay, weiter so!« Ich wende mich<br />
den anderen Schülern zu. Matteo malt<br />
wieder Strichmännchen.<br />
»Go on learning!« Vielleicht muss ich<br />
Englisch mit ihm reden. Er nickt und<br />
macht nichts.<br />
16 GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011
Kinder: Lernautomaten oder selbstbewusste Lerner?<br />
Dr. Horst Bartnitzky<br />
Grundschulpädagoge, Autor von<br />
Schul- und Fach büchern, Ehren -<br />
mitglied des Grundschulverbandes<br />
hierbei differenziert betrachtet und unterstützt<br />
wird, ist dabei inklusiv. 3)<br />
●Förderung ist kommunikativ<br />
und kooperativ.<br />
Zwar ist der Lernprozess individuell,<br />
aber in sozial-interaktive Prozesse eingebunden.<br />
Vereinzelung der Kinder im<br />
Lernen, wie dies bei falsch verstandener<br />
Individualisierung praktiziert wird,<br />
nimmt den Kindern wesentliche Lernchancen.<br />
Lesen zum Beispiel ist immer auch<br />
auf Anregung durch andere angewiesen;<br />
Vorgelesen bekommen und dialogisches<br />
Lesen sind Einfallstore ins eigene Lesen,<br />
kommunikative Leseauswahl, Lesetipps,<br />
Lese-Geselligkeit sind der Nährboden,<br />
Gespräche über Gelesenes klären Textverständnisse;<br />
handelnder Umgang mit<br />
Texten, der mit anderen oder für andere<br />
realisiert wird, erschließen Texte –<br />
zum Beispiel durch gestaltetes Vorlesen,<br />
Spielszenen, Zusammenstellen und Vorstellen<br />
von Leseschachteln und vieles andere<br />
mehr. Lesekommunikation ist eben<br />
eine zentrale Dimension von Lesekompetenz.<br />
7) Gleiches gilt für Schreiben,<br />
Rechtschreiben, Sprache untersuchen.<br />
Was diese Sicht auf Kinder und auf<br />
Förderung von Fördermappen und Einzelförderung<br />
unterscheidet, ist der Res-<br />
Anmerkungen<br />
(1) Kultusministerkonferenz: Bildungsstandards<br />
im Fach Deutsch für den Primarbereich.<br />
Beschluss vom 15. 10. 2004<br />
Dies.: Bildungsstandards im Fach Mathematik<br />
für den Primarbereich. Beschluss<br />
vom 15. 10. 2004.<br />
Die Standards sind über den Luchterhand-<br />
Verlag zu beziehen, aber auch von der<br />
Homepage der Kultusministerkonferenz<br />
herunterzuladen: www.kmk.org, weiter<br />
über Dokumentation, Veröffentlichungen,<br />
Allgemeine Bildung, Primarstufe.<br />
(2) Siehe das Archiv aller einschlägigen Artikel<br />
bei: www.grundschulverband.de, weiter:<br />
Bildungspolitik, Vergleichsarbeiten.<br />
(3) Bartnitzky, H. / Brügelmann, H. / Hecker,<br />
U. / Schönknecht, G. (Hrsg.): Pädagogische<br />
Leistungskultur. Materialien für Klasse 1 und<br />
2. Grundschulverband: Frankfurt a. M. 2005<br />
Dies.: Pädagogische Leistungskultur.<br />
Materialien für Klasse 3 und 4. Ebenda 2006<br />
pekt vor der Eigenständigkeit der Kinder<br />
und ihr Recht auf sinnerfülltes und mitbestimmtes<br />
Lernen. Und es ist die Einsicht,<br />
dass alles Lernen zwar individuell,<br />
aber nicht einsam ist. Kinder brauchen<br />
das Miteinander auch für fachliches Lernen,<br />
Fördern eingeschlossen.<br />
Es wäre für viele Lehrkräfte und<br />
Schulen hilfreich, wenn die Verlage ausnahmslos<br />
hier ihren Service einsetzen<br />
würden, statt mit törichten Werbesprüchen<br />
ein Förderkonzept anzubieten,<br />
dessen einzige Modernität die Nutzung<br />
von Computer und Internet ist.<br />
Dies.: Pädagogische Leistungskultur.<br />
Ästhetik, Sport, Englisch, Arbeits- und<br />
Sozialverhalten. Ebenda 2007<br />
(4) hierzu ausführlicher: Bartnitzky, H.:<br />
Sprachunterricht heute. 15. Auflage.<br />
Cornelsen Scriptor: Berlin 2011, S. 142 ff.,<br />
S. 260 ff.<br />
(5) Speck-Hamdan, A.: Bedingungen und<br />
Grundannahmen zur Entwicklung und<br />
zum Lernen. In: Bartnitzky, H. u. a. (Hrsg.):<br />
Kursbuch <strong>Grundschule</strong>. Grundschulverband:<br />
Frankfurt a. M. 2009, S. 174 f.<br />
(6) Die Publikationen werden den gemeinsamen<br />
Titel tragen: »Individuell fördern –<br />
Kompetenzen stärken«. Die erste mit<br />
Materialien für die Eingangsstufe wird<br />
auch als Mitgliederband 2012 erscheinen;<br />
die zweite mit Materialien ab Klasse 3 2013.<br />
(7) Grundschulverband: Lesekompetenz. Ein<br />
Lese- und Arbeitsbuch. Grundschulverband:<br />
Frankfurt a. M. 2006<br />
Ich setze mich wieder zu ihm. Wir vergessen<br />
die Umgebung und lösen Gleichungen,<br />
dabei bin ich nicht besser als<br />
er. Als es klingelt, hält er mich am Ärmel<br />
fest:<br />
»Let’s go on.«<br />
Mein Mann und ich hatten vor einigen<br />
Jahren einen uralten, kleinen, orangefarbenen<br />
Fernseher mit Zimmerantenne.<br />
Wenn wir etwas sehen wollten,<br />
musste immer einer von uns die Hand<br />
an der Antenne lassen, damit das Bild<br />
streifenfrei ›rüberkam‹.<br />
So ist Matteo: ohne Kontakt kein Bild!<br />
Nachdem alle Schüler wieder gesund<br />
sind, kann ich mich natürlich nicht mehr<br />
mit ihm alleine befassen, und so hört er<br />
wieder auf zu lernen.<br />
Als ich seine Beurteilung schreiben<br />
soll, weiß ich nicht, ob er das kleine<br />
Einmaleins kann oder nicht kann, ob<br />
er Gleichungen mit zwei Unbekannten<br />
lösen würde, ob er vielleicht sogar die<br />
Integralrechnung beherrscht. Ich durchforste<br />
die Satzbausteine des Zeugnisprogramms,<br />
ob ein Satz auf ihn zutrifft.<br />
Nein – so ein Kind wie Matteo ist für dieses<br />
Programm nicht vorgesehen.<br />
Elternsprechtag: Ich freue mich, Matteos<br />
Papa zu sehen.<br />
Nach unserem Gespräch beginne ich<br />
ganz vorsichtig, Matteo zu verstehen.<br />
»In der mexikanischen Kultur steht<br />
die Gemeinschaft an höchster Stelle. Wir<br />
sind immer zu mehreren, wenn wir lernen,<br />
arbeiten, essen, feiern, schlafen, bei<br />
allem.<br />
Wir tauschen uns laufend aus, teilen<br />
unsere Gedanken, unterstützen unsere<br />
Pläne, begutachten unser Handeln. Wir<br />
sind immer zusammen, wir brauchen<br />
zum Denken ein Gegenüber. Lassen Sie<br />
Matteo doch mit den anderen zusammen<br />
lernen, alleine an einem Tisch, da<br />
verkümmert er.«<br />
Jetzt lernt Matteo mit Vu – wie die<br />
beiden sich verständigen, bleibt ein<br />
Geheimnis, aber Matteo lernt jetzt. Vu<br />
möchte manchmal aber auch seine<br />
Ruhe haben, dann muss Matteo eben<br />
warten oder zu mir kommen; die anderen<br />
Schüler und Schülerinnnen sind ihm<br />
zu klein: »Crunch!«<br />
Sehr gerne würde ich meinem Zeugnisprogramm<br />
folgenden Textbaustein<br />
hinzuzufügen »Der Schüler / die Schülerin<br />
braucht zum Denken ein Gegenüber«,<br />
aber mein PC lässt<br />
mich nicht.<br />
aus: N. Simon: Unermesslich<br />
– Jenseits von PISA, S. 42 f.<br />
(s. S. 13 in diesem Heft)<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011<br />
17
Kinder: Lernautomaten oder selbstbewusste Lerner?<br />
Leseförderung:<br />
Mit W-Fragen informierend lesen<br />
Didaktischer Kontext:<br />
Lernumgebung und Rahmenthema<br />
Klasse 4. Das gemeinsame Unterrichtsthema<br />
ist »Erfinden und Erfindungen«.<br />
Eingestiegen war der Unterricht über<br />
den »Traum vom Fliegen«: Vorwissen<br />
der Kinder, Bilder, Sachbücher, Kinderseiten<br />
im Internet, dabei auch die Frage,<br />
ob es gut ist, dass Flugzeuge erfunden<br />
wurden. Eine Ausstellung zum Thema<br />
wächst.<br />
Die nächste Frage: Was ist eigentlich<br />
alles erfunden worden? Eine lange Liste<br />
entsteht, mit großen Erfindungen wie<br />
Auto, Fernsehen, Internet, mit den vielen<br />
Erfindungen für den Lebensalltag<br />
wie Pommes frites, Ampel, Reißverschluss.<br />
Ist auch die Schule erfunden<br />
worden? Und das Fußballspielen? Oder<br />
Pippi Langstrumpf?<br />
Sachbücher und das Internet geben<br />
reichlich Auskunft über Erfindungen,<br />
sowie über Erfinderinnen oder Erfinder,<br />
siehe z. B.: www.blinde-kuh.de oder<br />
www.kindernetz.de mit dem Suchwort<br />
Erfindungen (Abb. 1). Alle Erfindungen<br />
auf der langen Liste werden markiert,<br />
zu denen die Kinder in Büchern oder<br />
im Internet Informationen finden.<br />
In Interessengruppen forschen die<br />
Kinder weiter. Am Ende können Lernplakate<br />
erstellt, Vorträge gehalten und<br />
Steckbriefe von Erfindungen in einem<br />
klasseneigenen »Buch der Erfindungen«<br />
zusammengestellt werden.<br />
Förderaspekt: die kritische Stelle<br />
Besonderes Augenmerk gilt den Stellen<br />
im Lernprozess, die das Risiko tragen,<br />
dass Kinder an ihnen scheitern. Das<br />
Scheitern gilt es zu verhindern. Wir<br />
warten nicht auf das Versagen, um anschließend<br />
nachzufördern, uns geht es<br />
um die besondere Beachtung kritischer<br />
Stellen und die didaktische Prophylaxe.<br />
Bei der Leseförderung ist eine kritische<br />
Stelle das Herausfinden der wichtigsten<br />
Informationen eines Textes.<br />
Zum sinnerfassenden Lesen tritt das<br />
bewusste Gewichten der Informationen.<br />
Die bisweilen propagierte Frage: »Unterstreiche<br />
alle wichtigen Wörter« führt<br />
bei vielen Kindern dazu, dass sie nahezu<br />
alles unterstreichen; die Frage ist<br />
also nicht zielführend. Häufig werden<br />
textspezifische Lesefragen im Anschluss<br />
an den Text gestellt, wie dies auch bei<br />
VERA zu finden ist. Sie sind aber keine<br />
generalisierbare Methode, denn die Fragen<br />
müssen jedes Mal auf den konkreten<br />
Text hin neu formuliert werden.<br />
Eine tragfähige, weil generalisierbare<br />
Methode sind die W-Fragen als Schlüsselfragen:<br />
Was? Wer? Wo? Wann? Wie?<br />
Warum? Sie können bei den meisten<br />
Texten Kerninformationen erschließen.<br />
Fördermethodik : integrative<br />
Themenarbeit und Förderschleife<br />
Abb. 1 aus: www.blinde-kuh.de, Suchwort Pommes Erfindung<br />
Die Erfindungen, zu denen die Kinder<br />
recherchieren, werden nach Antworten<br />
auf die W-Fragen hin untersucht. Dazu<br />
dient ein Frageraster (Abb. 2).<br />
Mit dem Auffinden der Antworten,<br />
also der Schlüsselinformationen,<br />
hat sich das Übungsziel aber nicht erschöpft.<br />
Vielmehr gewinnt diese Arbeit<br />
durch die Einbettung in den thematischen<br />
Unterricht auch für die Kinder<br />
ihren weiterführenden Sinn. Die<br />
Antworten werden in einem Steckbrief<br />
zur jeweiligen Erfindung verwendet,<br />
ein Foto oder eine Illustration wird ergänzt.<br />
Die Steckbriefe können z. B. in<br />
eine Zeitleiste gehängt, nach Kategorien<br />
wie Schule, Haushalt, Medien, Verkehr,<br />
Arbeit sortiert oder in alphabetischer<br />
18 GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011
Kinder: Lernautomaten oder selbstbewusste Lerner?<br />
Ordnung in das klasseneigene »Buch<br />
der Erfindungen« geheftet werden. Soweit<br />
der integrative Teil der Förderung.<br />
Leseschwächere Kinder können an<br />
zusätzlichen Texten zu Erfindungen<br />
weiter üben. Um die generelle Verwendbarkeit<br />
der W-Fragen zu erkennen, können<br />
auch weitere Sachtexte, wie bspw.<br />
Meldungen aus der Tageszeitung, mit<br />
Hilfe des Fragerasters bearbeitet werden.<br />
Die Antworten auf die W-Fragen<br />
können unterstrichen oder markiert<br />
werden, die jeweilige W-Frage wird am<br />
Rand dazugeschrieben.<br />
Solche Förderschleifen ergänzen den<br />
thematischen Unterricht. Sie können<br />
sowohl intern z. B. im Rahmen von<br />
Wochenplanarbeit, aber auch extern in<br />
Förderstunden organisiert werden. Bei<br />
externer Förderung wird der Zusammenhang<br />
zum integrativen thematischen<br />
Unterricht aufrechterhalten: Sie<br />
erwächst aus der Themenarbeit und<br />
führt wieder in sie zurück.<br />
Weitere Anwendungen<br />
Bei vielen Sachthemen sind W-Fragen<br />
als Schlüsselfragen zu verwenden: bei<br />
Themen wie Tiere, Ritterzeit, Indianer,<br />
Umweltschutz und anderen mehr. Die<br />
Fragen können mit den Kindern themenbezogen<br />
konkretisiert werden, wie<br />
dies im Beispiel Entdecken und Entdeckungen<br />
geschehen ist (Abb. 2). Die<br />
Fragewörter haben hierbei eine heuristische<br />
Funktion. Dabei können die Kinder<br />
auch herausfinden, dass nicht immer<br />
alle Fragen passen und manchmal<br />
ein Fragewort auch zu mehreren Fragen<br />
führen kann.<br />
Beispiel Tiere:<br />
●Wer? (Name des Tieres, Tierart)<br />
●Wo lebt es?<br />
●Was macht das Tier?<br />
●Wie sieht es aus? Wie lebt es?<br />
Wie ernährt es sich?<br />
●Wann schläft es?<br />
●Warum? (eine Warum-Frage zu<br />
jedem Tier finden und beantworten)<br />
Der Qualitätscheck<br />
Die Förderung mit W-Fragen ist beziehungsreich<br />
und verstehensorientiert,<br />
weil die Recherche in die Arbeit am<br />
Thema und in die spätere Verwendung<br />
eingebunden ist und die Kinder eine<br />
generalisierbare Methodik lernen, gezielt<br />
Informationen aus Texten zu gewinnen.<br />
Die Förderung ist diagnosegeleitet,<br />
weil die Art der Bearbeitung durch die<br />
Kinder ebenso beobachtbar ist, wie das<br />
Ergebnis prüfbar; sie ist differenziert,<br />
weil Texte unterschiedlich anspruchsvoll<br />
sein können, die Kinder nach Interessen<br />
auswählen und die Möglichkeit,<br />
selber mit den Fragewörtern Fragen zu<br />
formulieren auf unterschiedlichen Niveaus<br />
realisiert werden kann.<br />
Die Förderung ist kommunikativ und<br />
kooperativ, weil die Arbeit aus gemeinsamer<br />
Themenarbeit erwächst und z. B.<br />
durch Steckbriefe, Lernplakate oder<br />
Vorträge in die gemeinsame Arbeit<br />
zurückfließt; zudem kann sie partnerschaftlich<br />
ausgeführt werden.<br />
Anmerkung<br />
Das Praxisbeispiel stammt aus den Manuskripten<br />
zum Projekt des Grundschulverbandes:<br />
Individuell fördern – Kompetenzen<br />
stärken.<br />
Hier habe ich die Informationen gefunden:<br />
Was?<br />
Was wurde erfunden?<br />
Wann?<br />
Wann wurde es erfunden?<br />
Wer?<br />
Wer hat es erfunden?<br />
Wo?<br />
Wo wurde es erfunden?<br />
Wie?<br />
Wie wurde es erfunden?<br />
Warum?<br />
Warum wurde die Erfindung<br />
gemacht?<br />
Abb. 2: Frageraster als Formular: Erfinden und Erfindungen<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011<br />
19
Didaktisches Brauchtum oder Orientierung an Kindern heute?<br />
Ulrich Hecker<br />
Buchstabensalat<br />
Verirrungen und Verwirrungen um die »Schreibschrift«<br />
Am Beispiel der zum Teil aufgeregten Debatte um »Schreibschrift – Druckschrift<br />
– Grundschrift«, bei der es ja eigentlich um ein Kindern bekömmliches<br />
Schreibenlernen gehen sollte, wird immer wieder eine grundsätzliche Frage<br />
deutlich: Soll am didaktischen Brauchtum festgehalten werden oder müssen<br />
sich Schule und Unterricht an »Kindern heute« orientieren?<br />
mit der Grundschrift zu tun und mit<br />
Grundschulkindern, die einfach schreiben<br />
lernen wollen?<br />
Begriffsverwirrung?<br />
Claudia Bitzer bringt das Thema,<br />
das in diesem Sommer ein<br />
heftiges Rauschen im Blätterwald<br />
verursachte, in der Esslinger Zeitung<br />
(6. 10. 2011) auf den Punkt: »Für<br />
die einen kommt ein Abschied von der<br />
Lateinischen Ausgangsschrift oder der<br />
mancherorts auch praktizierten Vereinfachten<br />
Ausgangsschrift dem Untergang<br />
des Abendlands gleich. Für die<br />
anderen wiederum ist die Grundschrift,<br />
die vereinfacht gesprochen die Druckbuchstaben<br />
ohne große Schnörkel und<br />
komplizierte Richtungswechsel miteinander<br />
verbindet, der einzige Weg, den<br />
Schülern heutzutage überhaupt noch zu<br />
einer gut lesbaren Handschrift zu verhelfen.«<br />
Soll am didaktischen Brauchtum<br />
festgehalten werden oder müssen sich<br />
Lehrer/innen und Schreiberziehung an<br />
»Kindern heute« orientieren? Für den<br />
Grundschulverband ist die Entscheidung<br />
klar: Er vertritt die Bildungs-<br />
Ansprüche von Grundschulkindern.<br />
Dass das nicht unumstritten bleiben<br />
konnte, musste jeder und jedem klar<br />
sein, der sich in diesem Land dafür in<br />
Bildungspolitik wie praktischer Pädagogik<br />
einsetzt. Aber die in Teilen der<br />
Öffentlichkeit geführte heftige Polemik<br />
hat manchen in ihrer Gemengelage von<br />
Ahnungslosigkeit, Begriffsverwirrung,<br />
Böswilligkeit und politischem Kalkül<br />
doch überrascht.<br />
Komplott von »Alt-68ern«?<br />
Es gehört zum Handwerkszeug populistischer<br />
Kampagnen, einen Popanz<br />
aufzubauen, auf den man dann trefflich<br />
einschlagen kann. Realitätsbezug zweifelhaft<br />
bis nicht vorhanden.<br />
In der überregionalen Tageszeitung<br />
Die Welt (29. 06. 2011) schreibt Olaf<br />
Dittmann: »Unter dem Titel ›Senator<br />
Rabe gibt Anhängern der Einheitsschule<br />
nach‹ schrieb Primarschulgegner<br />
und CDU-Fraktionsmitglied Walter<br />
Scheuerl am Dienstag in einer Pressemitteilung,<br />
Rabe sei einer Forderung<br />
des Grundschullehrerverbands gefolgt.<br />
Dieser Verein sei ›von politisch links<br />
stehenden Pädagogen in der Hochzeit<br />
der ,68er‘ gegründet‹ worden und habe<br />
die schwarz-grünen Primarschulpläne<br />
unterstützt. ›Wir fordern<br />
Schulsenator Rabe auf, umgehend<br />
eine Korrektur des Bildungsplans<br />
zu veranlassen‹, so<br />
Scheuerl.«<br />
Dass der Grundschulverband<br />
als bildungspolitische<br />
und pädagogische Initiative<br />
1969 gegründet wurde, um die<br />
in dieser Zeit als eigenständige<br />
Schulform entstehende<br />
<strong>Grundschule</strong> nicht zum Hinterhof<br />
des Schulsystems verkümmern<br />
zu lassen, ist richtig. Damals<br />
übrigens ging das Interesse an tiefgreifenden<br />
Bildungsreformen weit über<br />
»links stehende Pädagogen« hinaus.<br />
Dass Herr Scheuerl, Initiator der erfolgreichen<br />
Hamburger Initiative »Wir wollen<br />
lernen«, selbst den Namen des Verbandes,<br />
den er so heftig attackiert, nicht<br />
richtig kennt, spricht für sich. An anderer<br />
Stelle wird aus den gleichen Kreisen<br />
moniert, der Verband hieße »Grundschulverband«,<br />
obwohl gar nicht alle<br />
<strong>Grundschule</strong>n in ihm organisiert seien.<br />
Polemik gepaart mit Uninformiertheit<br />
– das sollte rechten Bildungsbürgern<br />
eigentlich peinlich sein. Dass »der Verein«<br />
die Primarschulpläne in Hamburg<br />
unterstützte, ist selbstverständlich richtig.<br />
Vertritt er doch seit seiner Gründung<br />
die Forderung nach »einer Schule<br />
für alle Kinder«. Aber was hat das<br />
Manche und mancher, der es besser<br />
weiß (oder wissen müsste) nutzt den<br />
landläufigen Gebrauch des Wortes<br />
»Schreibschrift« für ihre und seine Absicht<br />
bewusst aus. Als ginge es darum,<br />
die »Schreibschrift« abzuschaffen! Nein:<br />
Dass die überkommenen Schul-Ausgangsschriften<br />
(als Ausgangs-Schriften<br />
ohnehin nicht mehr im Gebrauch) LA,<br />
VA und SAS schlicht überflüssig sind –<br />
darum geht es.<br />
Aus: www.welt.de 1)<br />
Die Grundschrift ist beides: Druckschrift<br />
und Schreibschrift! Ihre Buchstaben<br />
sind klar orientiert an den<br />
Formen der Druckschrift – in ihrer<br />
Funktion ist sie eine Schreibschrift.<br />
Die Grundschrift ist eine Schrift für die<br />
Hand der Kinder, sie bringt Buchstaben<br />
in Bewegung.<br />
Die in der Schule erlernte »Schreibschrift«<br />
(gemeint ist in der Regel die<br />
Lateinische Ausgangsschrift) schreibt<br />
auch kein Erwachsener mehr. Das geht<br />
nämlich gar nicht: Flüssig schreiben<br />
und alle Buchstaben miteinander verbinden.<br />
Nach zwei, drei, höchstens<br />
vier sichtbar verbundenen Buchstaben<br />
heben Kinder wie Erwachsene häufig<br />
kurz den Stift vom Blatt, auch im Wort,<br />
wenn auch nur für Sekundenbruchteile.<br />
So entspannen sie die Muskulatur<br />
und vermeiden unökonomische Hin-<br />
20 GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011
Didaktisches Brauchtum oder Orientierung an Kindern heute?<br />
und Her-Bewegungen auf dem Papier.<br />
Das übrigens ist nicht nur gängige<br />
Alltagserfahrung, sondern durch wissenschaftliche<br />
Studien belegt. Mit der<br />
Grundschrift werden alle Buchstaben<br />
so geübt, dass sie »mit Schwung«, locker<br />
und flüssig geschrieben werden.<br />
Kulturverfall?<br />
Fähig keiten, ästhetisches Bewußtsein<br />
und fließendes Denken.« 4)<br />
»Fließendes Denken«? Na, da muss<br />
doch die Politik ran! Dietrich Wersich,<br />
Vorsitzender der Hamburger CDU-<br />
Fraktion, warf der SPD »kulturelle Verarmung<br />
aus bildungspolitischer Ideologie«<br />
vor. Die »gemeinsame Basis der<br />
individuellen Handschrift<br />
dürfe nicht der Beliebigkeit<br />
ausgesetzt« werden. Kritik<br />
äußerte auch die FDP-<br />
Fraktion: Die Kulturtechnik<br />
des Schreibens sei in<br />
Gefahr!<br />
Aus: www.europhi.de 6)<br />
Jeder Kampagne ihren Aufkleber.<br />
Geht es doch um die Rettung »der<br />
Schreibschrift«. Anlässlich des Schuljahresbeginns<br />
hat die »DEUTSCHE<br />
SPRACHWELT« (»Schluß mit dem<br />
Ausverkauf der deutschen Sprache!«<br />
– man war schon vehement gegen die<br />
Rechtschreibreform) die Aktion »Rettet<br />
Faktencheck: Zurzeit gibt<br />
es an deutschen Grund-<br />
die Schreibschrift!« ausgerufen: schulen drei normierte ver-<br />
»Die Sprachzeitung ruft dazu auf, die bundene Ausgangsschriften:<br />
Schreibschrift als ein ›Abbild der deutschen<br />
Sprache von hoher kultureller Bedeutung‹<br />
die Lateinische (LA),<br />
die Vereinfachte (VA) und<br />
Aufkleber der »Deutschen Sprachwelt« 2)<br />
zu erhalten und weiterhin an<br />
den <strong>Grundschule</strong>n zu lehren. (…) Die<br />
Unterzeichner fordern die Kultusminister<br />
dazu auf, ›dafür zu sorgen, daß an<br />
den Schulen weiterhin Schreibschrift<br />
unterrichtet wird‹.« 3)<br />
Daran will ja sogar in der als Hauptstadt<br />
des Kulturverfalls angeprangerten<br />
die Schul-Ausgangsschrift<br />
(SAS). Davor gab es bis 1953 die Deutsche<br />
Normalschrift, bis 1941 die Sütterlin-Frakturschrift.<br />
Bei dieser Vielfalt<br />
der Schriftformen kann von dem einen<br />
»Kulturgut« ernsthaft keine Rede sein.<br />
Das zu bewahrende Kulturgut ist die<br />
überlieferte Lateinschrift: die großen<br />
Hansestadt niemand etwas ändern. und kleinen Druckbuchstaben, die<br />
Dort sollen die <strong>Grundschule</strong>n lediglich<br />
selbst darüber entscheiden, ob sie die<br />
»Gemischt-Antiqua« genannt wird. 5)<br />
Ihre klaren Buchstabenformen eignen<br />
bisherige Schulausgangsschrift oder<br />
sich Kinder unverfälscht mit dem<br />
die Grundschrift unterrichten. Dagegen<br />
wenden sich die selbsternannten<br />
Sprachschützer.<br />
Grundschrift-Abc an. Die Grundschrift<br />
verdrängt also keinesfalls ein wichtiges<br />
Kulturgut. Im Gegenteil: sie bewahrt<br />
es, indem die Buchstabenformen der<br />
Gemischt-Antiqua formklar erhalten<br />
bleiben – als wesentliches Kriterium in<br />
jeder Phase der Schreibentwicklung der<br />
Kinder.<br />
Geschäftemacherei?<br />
Auf der Homepage des »Europäischen<br />
»Mit Blick auf die Erfahrungen aus<br />
der Rechtschreibreform warnen sie<br />
die Kultusminister vor einem weiteren<br />
schulpolitischen Mißgriff. (…) ›Die<br />
Grundschrift ist keine Schreibschrift!<br />
Wer die Schreibschrift abschafft, gibt<br />
nicht nur ein wertvolles Kulturgut auf,<br />
sondern behindert auch die geistige<br />
Entwicklung der Kinder.‹ Die Schreibschrift<br />
fördere nämlich motorische<br />
Instituts für Schreibkultur & Philographie«<br />
stellt die Leiterin dieser wohlklingenden<br />
Einrichtung, Susanne Dorendorff,<br />
unter dem Motto »Grundschrift<br />
– damit Kinder nicht schreiben lernen«,<br />
folgende Behauptung auf:<br />
In gleicher Weise schimpft in der<br />
tages zeitung (taz, 03. 08. 2011) unter<br />
der Überschrift »Schreiben mit Holzpantoffeln«<br />
Karin Pfeiffer-Stolz: »Wenn<br />
ein Interessenverband der gutmütigen<br />
Kundschaft die Einzellettern der<br />
Druckschrift als Handschrift verkaufen<br />
will, ist dies schon mehr als Dummheit<br />
– es ist Chuzpe aus wirtschaftlichem<br />
Interesse. Bei genauem Hinsehen wird<br />
deutlich, dass die traditionelle Schreibschrift<br />
der flächendeckenden und lukrativen<br />
Vermarktung des eigenen<br />
Schriftproduktes im Wege steht.«<br />
Frau Pfeiffer-Stolz, Autorin von kopierbaren<br />
Unterrichtshilfen (»Humorvolles<br />
zum Lernen«, »Lesen, Lernen, Lachen<br />
– STOLZ bringt Freude und Erfolg«, so<br />
die Verlagswerbung) und Frau Dorendorff,<br />
Leiterin des »Europäischen Instituts<br />
für Schreibkultur & Philographie«<br />
(Vertrieb von e-Books, Coaching) und<br />
gleichzeitig Vereinsvorsitzende (»lesbar<br />
schreiben e. V.«) verrechnen sich:<br />
Die Grundschrift-Kartei braucht es nur<br />
ein oder zwei Mal pro Klasse! Und alle<br />
Kinder können damit arbeiten! Dass<br />
mehrere Kinder im Grundschulunterricht<br />
mit einer Lernkartei arbeiten<br />
– man sollte denken, das sei allgemein<br />
bekannt. Ahnungslosigkeit also oder<br />
böswillige Unterstellung? Jedenfalls<br />
versucht man so, ein missliebiges Projekt<br />
in ein schiefes Licht zu rücken. Und<br />
einmal in der Welt verbreitet sich solch<br />
üble Nachrede. Selbst die »Frankfurter<br />
Allgemeine (FAZ)« verbreitete das Gerücht<br />
weiter, obwohl doch dahinter immer<br />
ein kluger Kopf stecken soll. (Auch<br />
ein Gerücht?)<br />
Nein, der »große Reibach« für den<br />
Grundschulverband ist nicht in Sicht,<br />
war und ist auch nicht angestrebt. Die<br />
Grundschrift-Initiative bedeutete für<br />
den relativ kleinen Verband eine erhebliche<br />
Investition. Wir sind froh, wenn<br />
die Bilanz am Ende finanziell ausgeglichen<br />
ist. Und sollte finanziell doch<br />
mehr dabei herauskommen, dann ist<br />
das eine Grundlage für Projekte des<br />
Verbandes. Darüber entscheidet dann<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011 21
Didaktisches Brauchtum oder Orientierung an Kindern heute?<br />
unsere Delegiertenversammlung. Denn<br />
der Grundschulverband ist erstens demokratisch<br />
und zweitens ein gemeinnütziger<br />
Verein. Deshalb sind solche<br />
Anschuldigungen entweder naiv oder<br />
schlicht bösartig.<br />
Statt »Unbildungs-Plan« links und<br />
rechts die Ärmchen ausstrecken?<br />
Noch einmal die Hamburger Erwachsenen-Initiative<br />
»Wir wollen lernen«:<br />
»Im sog. ›Bildungsplan <strong>Grundschule</strong> –<br />
Deutsch‹ liest sich das so: ›Die Schülerinnen<br />
und Schüler entwickeln im Laufe<br />
der Grundschulzeit eine individuelle,<br />
flüssige und lesbare Handschrift. Im<br />
Anfangsunterricht wird dies entweder<br />
durch die Erarbeitung der unverbundenen<br />
Druckschrift und anschließend der<br />
Schulausgangsschrift als verbundener<br />
Schrift oder der Grundschrift als einziger<br />
Schrift ermöglicht (siehe Anhang).‹<br />
Bei der sog. ›Grundschrift‹ können<br />
die Schülerinnen und Schüler praktisch<br />
alles machen, so lange man am Ende die<br />
Worte entziffern kann. (…) Der angebliche<br />
›Bildungsplan <strong>Grundschule</strong>‹ wird<br />
damit mehr oder weniger zum ›Unbildungs-Plan‹.«<br />
7)<br />
Wie es denn richtig gehen soll, schildert<br />
Ute Andresen in der tageszeitung<br />
(taz Bildung, 09. 02. 2011) so: »Da zeigt<br />
man den Kindern, wie die einzeln stehenden<br />
kleinen Druckbuchstaben, die<br />
sie schreiben können, jetzt links und<br />
rechts die Ärmchen ausstrecken, damit<br />
sie ihre Nachbarn im Wort anfassen<br />
können. Das ist kinderlogisch. Wie man<br />
den Kleinen dabei helfen kann, dass sie<br />
am Ende alle schön dastehen, das will<br />
man gerne lernen. Und wenn die Kinder<br />
mit ihrer schon im Druckschriftlehrgang<br />
geübten Feinmotorik, mit ihrer inzwischen<br />
verfeinerten Formwahrnehmung<br />
und nun viel besseren Koordination von<br />
Auge und Hand diese zweite, aus der ersten<br />
abgeleitete Schrift zu üben beginnen,<br />
stellen sie fest: Das ist ja viel, viel leichter<br />
als die erste Schrift! Juhu!«<br />
Das ist nicht »kinderlogisch« – das<br />
ist kindertümelnd! Es bleibt dabei: Ziel<br />
der <strong>Grundschule</strong> ist die flüssig geschriebene<br />
und gut lesbare Handschrift der<br />
Kinder. Dazu müssen die Kinder nicht<br />
zwei Ausgangsschriften lernen. Eine<br />
reicht, und zwar die erste der beiden:<br />
die mit der Hand geschriebene Druckschrift.<br />
Mit ihr üben die Kinder im<br />
Weiteren, Buchstaben zu verbinden und<br />
zunehmend geläufiger zu schreiben. Die<br />
Grundschrift ist damit der Weg zum<br />
Ziel: eine flüssig geschriebene und gut<br />
lesbare Handschrift.<br />
Unaufgeregte Berichte<br />
von lebendiger Praxis<br />
Es gibt viele Journalistinnen und Journalisten,<br />
die sich wirklich dafür interessieren,<br />
wie Kinder schreiben lernen<br />
und was es mit der Grundschrift nun<br />
eigentlich auf sich hat. Und immer wieder<br />
wird deutlich: Begegnen »Medienmenschen«<br />
leibhaftigen Lehrerinnen,<br />
Schulleiterinnen, Kindern an einer lebendigen<br />
Schule, dann bleibt von der<br />
hochgepushten Polemik nichts, dafür<br />
öffnet sich der Blick auf aufmerksame,<br />
engagierte, an Kindern und ihrem<br />
Lernen interessierte Schul- und Unterrichtsarbeit.<br />
Einige Pressestimmen aus<br />
den letzten Wochen seien dafür beispielhaft<br />
angeführt.<br />
»Mit Schwung statt Schnörkeln«<br />
überschreibt Claudia Bitzer ihren Bericht<br />
über ihren Besuch in der Esslinger<br />
Herderschule, die als eine von 16 Schulen<br />
in Baden-Württemberg offiziell die<br />
Grundschrift erprobt:<br />
»Am Anfang jonglieren noch alle<br />
Erstklässler unbekümmert mit den<br />
Buchstaben. Viele kennen sie schon –<br />
sei es aus Büchern oder von den älteren<br />
Geschwistern. Doch sobald es von den<br />
gewohnten Druckbuchstaben in die<br />
Lateinische Schrift geht, hört für viele<br />
der Spaß am Schreiben auf. Das muss<br />
nicht sein – meint man an der Oberesslinger<br />
Herderschule.<br />
Ästhetik versus Pädagogik?<br />
Herderschulleiterin Margarete Teuscher<br />
hat jedenfalls eindeutig Position<br />
bezogen: ›Ich bin keine Ästhetin, sondern<br />
Pädagogin.‹ Als solche musste sie<br />
immer wieder beobachten, wie sich ihre<br />
Kinder mit den ›vielen, vielen Drehrichtungswechseln‹<br />
der Lateinischen Schrift<br />
abquälten. ›Sie hat stundenlanges Üben<br />
erfordert‹, sagt auch Konrektorin Jana<br />
Lang. Teuscher war schon länger davon<br />
überzeugt: ›Das kostet Zeit und Kraft.<br />
Beides kann man anderweitig für die<br />
Schüler viel besser einsetzen.‹ «<br />
(Esslinger Zeitung, 06. 10. 2011)<br />
In der Mitteldeutschen Zeitung aus<br />
Halle/Saale (24. 08. 2011) bedauert Ralf<br />
Böhme, dass in Sachsen-Anhalt die<br />
Arbeit mit der Grundschrift noch eine<br />
ziemliche Ausnahme ist. Unter dem Titel<br />
»Schrift: Einfach ohne Schnörkel«<br />
schreibt er: »Dass in Osterhausen die<br />
Kinder mit einem Erfolgserlebnis starten,<br />
verdanken sie einer Ausnahme.<br />
Schulleiterin Katharina Hesse praktiziert<br />
mit ihren Kollegen eine Lehr-<br />
Methode, die zwar in anderen Bundesländern<br />
üblich ist, hierzulande aber den<br />
Durchbruch einfach nicht schafft: die<br />
22 GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011
Didaktisches Brauchtum oder Orientierung an Kindern heute?<br />
sogenannte Grundschrift. Ausgangspunkt<br />
ist dabei die Sprache. ›Wir setzen<br />
den gesprochenen Laut in Schrift um‹,<br />
so Hesse. Am einfachsten ist das mit<br />
Druckbuchstaben, so die Erfahrung in<br />
Osterhausen. Zwar könne man für die<br />
erste Probe nicht gleich einen Preis im<br />
Schönschreiben vergeben. Aber das<br />
Ganze habe einen Vorzug, so Hesse:<br />
›Wir knüpfen unmittelbar an den Erfahrungen<br />
der Kinder an und können<br />
ohne lange Vorrede gleich loslegen.‹<br />
Letztlich zähle, dass die Schüler am<br />
Ende der zweiten Klasse ordentlich<br />
schrei ben können.«<br />
Auch die Rheinische Post aus dem nordrhein-westfälischen<br />
Wermelskirchen<br />
beschäftigte sich mit der Einführung<br />
der Grundschrift. Arne Lieb berichtete:<br />
»Schüler der Katholischen <strong>Grundschule</strong><br />
sollen künftig die neue Grundschrift<br />
lernen. Sie soll Anfängern das Schreiben<br />
erleichtern und die Handschrift später<br />
lesbarer machen. Die Schwanenschule<br />
überlegt zu folgen. (…) Leonie aus der<br />
4b schreibt einen Satz in Schreibschrift<br />
auf die Tafel. Ab dem kommenden Jahr<br />
sollen die Schüler der KGS stattdessen<br />
die neue Grundschrift lernen. Lesbarer,<br />
einfacher zu erlernen und zeitsparend<br />
– Befürworter der Grundschrift erhoffen<br />
sich viele Vorteile. (…) Schon das<br />
laufende erste Schuljahr soll umsteigen,<br />
das nächste ab dem Sommer direkt<br />
mit der anderen Schrift beginnen.<br />
Die Schulkonferenz soll noch vor den<br />
Ferien zustimmen. KGS-Leiter Gerd<br />
Palmersheim hofft, dass Schüler durch<br />
die neue Schrift schöner und klarer<br />
schrei ben. Denn um die Handschrift sei<br />
es schlecht bestellt. ›In unseren Gesprächen<br />
mit weiterführenden Schulen geht<br />
es immer wieder darum‹, sagt Palmersheim.«<br />
(08. 06. 2011)<br />
In der Tageszeitung Die Welt, sonst der<br />
Grundschrift-Initiative überaus kritisch<br />
gegenüberstehend, verweist Manuel<br />
Bewarder in seinem Beitrag » Debatte<br />
um Schreibschrift« (02. 07. 2011) auf<br />
interessante Forschungsergebnisse aus<br />
der Schweiz: Ȇber den Nutzen der<br />
Anmerkungen<br />
(1) Quelle: www.welt.de/print/die_welt/<br />
vermischtes/article13477052/Schreibschriftade.html<br />
(2) Quelle: http://deutschesprachwelt.de/<br />
berichte/pm-2011-09-09.shtml<br />
(3) ebenda<br />
(4) ebenda<br />
(5) Siehe die »Kleine Kulturgeschichte der<br />
Handschrift« von Jules van der Ley, im<br />
Internet unter www.grundschulverband.de/<br />
fileadmin/<strong>aktuell</strong>/Grundschrift/GSa110_<br />
Mai10_Handschrift-Kulturgeschichte_<br />
S31-35.pdf<br />
Grundschrift gibt es bisher nur sehr<br />
wenige wissenschaftliche Erkenntnisse.<br />
Forscher der Pädagogischen Hochschule<br />
Zentralschweiz Luzern hatten für<br />
eine im vergangenen Jahr vorgestellte<br />
Studie die schreibmotorischen Leistungen<br />
von Viertklässlern verglichen. Eine<br />
Hälfte von ihnen war in einer Schweizer<br />
Schrift unterrichtet worden, die der<br />
Lateinischen Ausgangsschrift ähnelt.<br />
Die anderen lernten eine Basisschrift,<br />
die mit der Grundschrift vergleichbar<br />
ist. Das Ergebnis: Wer die Basisschrift<br />
lernte, konnte schneller und dennoch<br />
leserlicher schreiben. Die Luzerner<br />
Schriftdidaktik-Dozentin Sibylle<br />
Hurschler fand aber auch heraus, ›dass<br />
das einfachere Erlernen die Kinder motivierte‹.«<br />
8)<br />
(6) Quelle: www.europhi.de/de/<br />
grundschrift-damit-kinder-nicht-mehrschreiben-lernen-kartei-zum-lernen-undueben/<br />
(7) www.wir-wollen-lernen.de/2272/rettetdie-schreibschrift/<br />
– Wenn etwas »sog.« ist, dann ist es besonders<br />
übel: Früher war höchstens die sog.<br />
»DDR« so richtig »sog.«!<br />
(8) Informationen zur Schweizer Basisschrift<br />
finden sich im Internet unter<br />
www.schulschrift.ch<br />
Horst Bartnitzky, Ulrich Hecker, Christina Mahrhofer-Bernt (Hrsg.):<br />
Grundschrift. Damit Kinder besser schreiben lernen.<br />
Grundschulverband: Frankfurt a. M. 2011<br />
132 Beiträge zur Reform der <strong>Grundschule</strong><br />
Grundschrift<br />
Damit Kinder besser schreiben lernen<br />
Horst Bartnitzky<br />
Ulrich Hecker<br />
Christina Mahrhofer-<br />
Bernt (Hg.)<br />
Kartei zum Lernen und Üben<br />
Teil 1<br />
Die Buchstaben<br />
PDF-Dateien für Windows<br />
und Macintosh sowie<br />
TrueType-Fonts (ttf)<br />
CD zu Band 132 der Beiträge zur Reform der <strong>Grundschule</strong><br />
Grundschrift.<br />
Damit Kinder besser schreiben lernen<br />
Kopiervorlagen, Materialien und Grundschrift für den PC<br />
Horst Bartnitzky, Ulrich Hecker, Christina Mahrhofer-Bernt (Hrsg.)<br />
Frankfurt / M. 2011<br />
Kartei zum Lernen und Üben<br />
Teil 2<br />
Schreiben mit Schwung<br />
Buch mit CD und Karteien 1 + 2: 39 € (für Mitglieder: 26 €),<br />
Karteien 1 + 2 separat: 29 € (für Mitglieder: 19 €)<br />
Bestellungen direkt an den Grundschulverband<br />
– per Post: Grundschulverband e. V., Niddastr. 52, 60329 Frankfurt<br />
– per Mail: info@grundschulverband.de<br />
– im Internet: www.grundschulverband.de<br />
© Grundschrift: www.grundschulverband.de · © Illustrationen: www.designritter.de<br />
© Grundschrift: www.grundschulverband.de · © Illustrationen: www.designritter.de<br />
Als Band 132 der Reihe »Beiträge zur Reform<br />
der <strong>Grundschule</strong>« ist im Juni ein pralles Materialpaket<br />
an alle Mitglieder verschickt worden.<br />
Zu dieser Publikation gehören:<br />
Ein ● »Basis-Buch« mit grundlegenden<br />
Informationen und Hintergründen zur Grundschrift,<br />
in dem das Konzept der Grundschrift in<br />
Theorie und Praxis erläutert wird, wissenschaftliche<br />
Befunde dargelegt und Praxisbeispiele für<br />
eine schreibdidaktische Begleitung vorgestellt<br />
werden;<br />
eine ● CD-ROM mit vielen weiteren Materialien<br />
(u. a. die Grundschrift als PC-Schrift (»True Type<br />
Font«, ttf), Arbeitskarteien zu Projekten rund<br />
um das Thema »Schrift und Schreiben«, die<br />
»Kleine Kulturgeschichte der Handschrift« von<br />
Jules van der Ley sowie<br />
die ● beiden »Karteien zum Lernen und Üben:<br />
›Die Buchstaben‹ (Teil 1) und ›Schreiben mit<br />
Schwung‹ (Teil 2)«.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011 23
Didaktisches Brauchtum oder Orientierung an Kindern heute?<br />
Einfach schreiben<br />
Einblicke in das Schreibenlernen mit der Grundschrift<br />
Nico Stolz<br />
»Eine Schrift, die Kinder in ihrem Mitteilungsdrang unterstützt<br />
und ihnen leicht von der Hand geht«<br />
Die Grundschrift basiert auf<br />
Druckbuchstaben, die »mit<br />
Schwung« erlernt werden, und<br />
die in einem zweiten, späteren Schritt<br />
mit einem »ökonomischen« Schwung<br />
auch verbunden werden. Heutzutage<br />
beginnen Schulneulinge in den meisten<br />
Bundesländern mit Druckbuchstaben,<br />
zu Beginn des Schriftspracherwerbs in<br />
Großantiqua. In der Regel wird dann<br />
in der zweiten Klasse eine verbundene<br />
Schrift (eine der drei Schulausgangsschriften)<br />
eingeführt, deren Buchstaben<br />
den vorher Erlernten meist nur<br />
ansatzweise ähneln. Nach meiner Einschätzung<br />
benötigen die Kinder eine<br />
ökonomische Gebrauchsschrift, die alltagstauglich<br />
ist. Eine Schrift, die Kinder<br />
in ihrem Mitteilungsdrang unterstützt<br />
und ihnen leicht von der Hand geht.<br />
Sicherlich gibt es Schreibanlässe,<br />
wo es darauf ankommt, dass etwas<br />
besonders »schön« geschrieben wird.<br />
Ob eine Schrift »schön« erscheint, ist<br />
jedoch sehr subjektiv. Befürworter der<br />
verbundenen Schriften führen oft das<br />
Argument an, die Ausgangschriften<br />
seien schlichtweg »schöner«. Wichtig<br />
ist aber nicht das »Schönschreiben«,<br />
sondern der Gebrauchswert der Schrift<br />
für das eigene Schreiben. Auf dem Weg<br />
zu einer persönlichen Handschrift sollen<br />
die Kinder immer wieder mit ganz<br />
unterschiedlichen Schriften konfrontiert<br />
werden. Beispiele dafür finden<br />
sich in den Projektkarteien von Erika<br />
Brinkmann auf der CD zum »Grundschrift-Materialpaket«.<br />
Dabei geht es<br />
beispielsweise auch um den Einsatz<br />
der Kalligraphie oder um das eigene<br />
Entwickeln eines kunstvoll gestalteten<br />
Alphabets.<br />
Bei den meisten Schreibanlässen aus<br />
dem Alltag eines Schulkindes sollte es<br />
vordergründig darum gehen, dass die<br />
Schrift – einfach ausgedrückt – gut<br />
zu lesen ist und eine bestmögliche<br />
Schreibgeschwindigkeit begünstigt.<br />
Kinder sollten die Verbindung von<br />
Schrift als praktikabel erleben. Die<br />
Einführung der Grundschrift spart<br />
den Kindern und Lehrern Zeit, eine<br />
zweite / neue Schrift lernen zu müssen.<br />
Im zweiten Teil der Grundschrift-<br />
Kartei geht es um das »Schreiben mit<br />
Schwung«. Den Kindern werden verschiedene<br />
Möglichkeiten aufgezeigt,<br />
wie Buchstabengruppen verbunden<br />
werden können. Die Arbeit mit der<br />
Grundschrift wird im nächsten Abschnitt<br />
mit einigen Beispielen aus der<br />
Praxis erläutert.<br />
Die Arbeit mit der Grundschrift<br />
Die Kinder üben mit der Grundschriftkartei, ob beim Nachfahren mit dem Stift oder<br />
beim Schreiben von verbundenen Wörtern auf Schmierpapier.<br />
Die Buchstaben der Grundschrift unterscheiden<br />
sich von den herkömmlichen<br />
Druckbuchstaben lediglich darin, dass<br />
sie bereits einen Ansatz für eine später<br />
einsetzende Verbindung haben, den<br />
»Wendebogen«. Diese Tatsache begünstigt<br />
auch einen möglichen Umstieg auf<br />
die Grundschrift, weil man bestehendes<br />
Material weiterhin zusätzlich nutzen<br />
kann. Auf der CD zum Grundschrift-<br />
Materialpaket gibt es diverse Formblätter,<br />
die ausgedruckt werden können, so<br />
dass für jedes Kind ein kleines Heft mit<br />
dem Namen »Meine Schrift« entsteht.<br />
In diesem Heft arbeiten die Kinder individuell<br />
an ihrer eigenen Handschrift,<br />
die aus den gelernten Groß- und Kleindruckbuchstaben<br />
innerhalb des Schulanfangs<br />
erwächst. Das Heft gibt dann<br />
später einen guten Einblick in die Entwicklung<br />
der Handschrift, sowohl für<br />
die Kinder als auch für die Lehrerin<br />
24 GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011
Didaktisches Brauchtum oder Orientierung an Kindern heute?<br />
oder den Lehrer. Hierin können beispielsweise<br />
auch die »schönsten« Texte<br />
der Kinder gesammelt werden.<br />
Ein großer Vorteil der Grundschrift<br />
ist, dass die Kinder mehrere Möglichkeiten<br />
haben, Buchstaben miteinander<br />
zu verbinden. Es geht also nicht darum,<br />
normierte Buchstabenverbindungen<br />
nachhalten zu müssen. Es geht darum,<br />
dass sich die Verbindung von Buchstaben<br />
am Schreiben des jeweiligen Kindes<br />
orientiert. Auf den Karten der zweiten<br />
Grundschrift-Kartei »Schrei ben<br />
mit Schwung« werden den Kindern<br />
immer gleich mehrere Verbindungen<br />
aufgezeigt, so dass sie sich für eine<br />
Variante entscheiden können, mit der<br />
sie beim Schreiben gut zurechtkommen.<br />
Dies kann verhindern, dass die<br />
reine Technik des Schreibens einen<br />
höheren Stellenwert bekommt als der<br />
Inhalt des Geschriebenen.<br />
Die Arbeit mit der Grundschrift kann<br />
zum Beispiel mit in den Wochen plan<br />
einfließen. Kinder können bestimmte<br />
Aufgaben alleine oder auch zu zweit<br />
oder in der Kleingruppe bearbeiten.<br />
Ausgestattet mit dem Heft »Meine<br />
Schrift« oder auch mit sonstigen Textdokumenten,<br />
die in Grundschrift verfasst<br />
wurden, können die Kinder dann<br />
in einem Reflexionsgespräch über die<br />
Technik des Schreibens und über gangbare<br />
Verbindungen reden. Das Reflexionsgespräch<br />
wird durch Kriterien geleitet,<br />
die auf einem Bogen für die Kinder<br />
und Lehrerinnen bzw. Lehrer aufgelistet<br />
sind. Dieser Kriterienbogen befindet<br />
Nico Stolz<br />
ist Klassenlehrer einer jahrgangsgemischten<br />
Lerngruppe 3/2 an der<br />
KGS Mainzer Straße in Köln.<br />
Melanie Kleine-Tebbe<br />
ist Klassenlehrerin einer jahrgangsgemischten,<br />
inklusiven 4/1 an der<br />
KGS Mainzer Straße in Köln.<br />
www.kgs-mainzer.de<br />
sich ebenfalls auf der Begleit-CD des<br />
Grundschriftmaterials.<br />
Den Kindern bereitet die Arbeit mit<br />
der Kartei »Schreiben mit Schwung«<br />
viel Freude und sie probieren fleißig<br />
verschiedene Verbindungen aus, so dass<br />
sie zu ihrer ganz persönlichen Handschrift<br />
gelangen. Wenn wir uns heute<br />
einmal unsere eigene Handschrift anschauen,<br />
werden sehr viele feststellen,<br />
dass von den einst gelernten Normverbindungen<br />
viele nicht mehr Bestand<br />
haben. Daher meine Frage zum Schluss:<br />
Warum sollen Kinder eine verbundene<br />
Schrift erlernen, die auf normierten<br />
Verbindungen basiert und die, wenn sie<br />
schnell geschrieben wird, häufig eher<br />
unleserlich daher kommt. Die Kinder<br />
benötigen eine saubere und klar les bare<br />
Handschrift, die ihnen zügig von der<br />
Hand geht.<br />
Die Lineatur auf der Begleit-CD gibt<br />
den Kindern beim Schreiben eine<br />
Orientierung, das »Dach« und der »Keller«<br />
sind jedoch nach oben hin offen.<br />
Melanie Kleine-Tebbe<br />
»Inklusion meint, den Unterricht<br />
für alle Kinder zu individualisieren.<br />
Die Grundschrift bietet diese Möglichkeit«<br />
Bereits während meines Lehramtsstudiums<br />
plagte mich die<br />
Sorge, dass ich eines Tages wohl<br />
wieder auf eine »Schreibschrift« umlernen<br />
müsste, wenn ich Deutsch in der<br />
<strong>Grundschule</strong> unterrichten wollte. Ich<br />
bewunderte die GrundschullehrerInnen,<br />
die offenbar ohne mit der Wimper<br />
zu zucken von ihrer Privatschrift<br />
in eine Schulausgangsschrift wechselten.<br />
Ich beherrschte diese Technik<br />
nicht, zumal ich noch eine ganz andere<br />
»Schreibschrift« gelernt (und mir längst<br />
abgewöhnt) hatte.<br />
Ende der achtziger Jahre lernte ich<br />
im zweiten Schuljahr, nachdem ich im<br />
ersten Schuljahr mühsam eine halbwegs<br />
saubere Druckschrift erlernt hatte,<br />
die »Lateinische Ausgangsschrift«. Als<br />
Linkshänderin hatte ich ohnehin beim<br />
Schreiben lernen ganz andere Probleme<br />
zu bewältigen als der Großteil meiner<br />
rechtshändigen MitschülerInnen. So<br />
wurde stets kritisiert, dass meine Buchstaben<br />
»kippten«. Denke ich heute an<br />
diese Zeit zurück, hätte ich wahrscheinlich<br />
aufgeatmet, wenn man mir gesagt<br />
hätte, dass ich bei meiner Druckschrift<br />
bleiben dürfte. Vielleicht wäre dann<br />
auch das ungeliebte »befriedigend« in<br />
Schrift auf dem Zeugnis verschwunden.<br />
Meine Schwester, vier Jahre später<br />
eingeschult, lernte eine völlig andere<br />
Schreibschrift: die »Vereinfachte Ausgangsschrift«.<br />
Diese zu lesen war für<br />
das anders geschulte Auge gar nicht<br />
immer leicht, und wenn ich an die Verschriftlichung<br />
des »z« oder das »Köpfchen-e«<br />
denke, konnte von »Vereinfachung«<br />
doch beim besten Willen keine<br />
Rede sein.<br />
Inklusion ist in der <strong>aktuell</strong>en pädagogischen<br />
Diskussion in aller Munde. In<br />
meiner jahrgangsgemischten »inklusiven«<br />
Klasse 4/1 bedeutet dies auch,<br />
dass diese von Kindern besucht wird,<br />
die feinmotorisch teilweise weit hinter<br />
ihren Altersgenossen zurückliegen. Die<br />
motorische Entwicklung steht jedoch<br />
nicht bei jedem Kind im Zusammenhang<br />
mit seiner geistigen Entwicklung.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011 25
Didaktisches Brauchtum oder Orientierung an Kindern heute?<br />
Sprich: Diese Kinder können Laute diskriminieren,<br />
Buchstaben zuordnen und<br />
wollen dementsprechend schreiben. Für<br />
sie kommt die Grundschrift gleich aus<br />
zwei Gründen wie gerufen: Einerseits<br />
gehen die Buchstaben viel »lockerer<br />
von der Hand«, weil sie einen gewissen<br />
Schwung aufweisen und nicht so starr<br />
sind wie die klassischen Druckbuchstaben.<br />
Andererseits weiß ich, dass ich die<br />
Kinder nach dem mühevollen Erlernen<br />
dieser Schrift nicht nach etwa einem<br />
Jahr mit der nächsten feinmotorischen<br />
Anforderung überfordern muss.<br />
Inklusion bezieht sich meiner Ansicht<br />
nach jedoch nicht nur auf die Kinder,<br />
die laut AO-SF einen Förderbedarf<br />
haben. Inklusion meint, den Unterricht<br />
für alle Kinder zu individualisieren.<br />
Die Grundschrift bietet diese Möglichkeit.<br />
Die Kartei zum Schreibenlernen<br />
des Grundschulverbands regt dazu an,<br />
Eigenes, Individuelles auszuprobieren<br />
und letztlich zu verstehen, an welchen<br />
Stellen Buchstabenverbindungen sinnvoll<br />
und wo sie vollkommen überflüssig,<br />
ja zeitraubend sind.<br />
Individualisierung schließt demnach<br />
aber auch nicht aus, den Kindern das<br />
Angebot zu machen, eine verbundene<br />
Schulausgangsschrift zu erlernen. Für<br />
manche Kinder (und ihre Eltern!) gehört<br />
das Erlernen »der Schreibschrift«<br />
nach meiner Erfahrung zur Schule wie<br />
die Schultüte am ersten Schultag. Diesen<br />
möchte ich diese Möglichkeit auch<br />
nicht verwehren.<br />
Wenn ich die Kinder meiner Klasse<br />
aus dem vierten Schuljahr beim<br />
Schrei ben beobachte, dann bestätigt<br />
sich die Idee der Grundschrift: Kaum<br />
eine Schrift gleicht da noch der anderen,<br />
obwohl im zweiten Schuljahr alle<br />
Kinder die Vereinfachte Ausgangsschrift<br />
(VA) gelernt haben. Und so beobachtete<br />
ich noch vor einigen Tagen<br />
zwei Mädchen, die sich über ihre Schrift<br />
austauschten und verschiedene Buchstabenschreibungen<br />
der jeweils anderen<br />
erprobten, weil sie »so schön aussehen«.<br />
Genauso habe ich es auch schon unzählige<br />
Male gemacht, seit ich eine Schreibschrift<br />
gelernt habe. Diese habe ich im<br />
Übrigen sofort zu Beginn des fünften<br />
Schuljahres in eine flüssig zu schreibende<br />
Druckschrift umgelernt. Und es wird<br />
niemanden überraschen, dass diese<br />
wiederum in keiner Weise mehr meiner<br />
heutigen Schrift ähnelt.<br />
Für die Arbeit in jahrgangsübergreifenden<br />
Klassen kommt der Grundschrift<br />
noch eine ganz andere Bedeutung<br />
zu: Die Kinder des 1. Schuljahres<br />
können teilweise gar nicht lesen, was<br />
die Kinder der höheren Jahrgänge geschrieben<br />
haben. Mit den Grundschrift-<br />
Buchstaben löst sich dieses Problem:<br />
Alle schreiben und lesen die gleichen<br />
Buchstaben von Anfang an.<br />
Erstklässler fahren die Buchstaben<br />
mit den Fingern nach und erfahren:<br />
Schreiben ist Bewegung.<br />
Barbara van der Donk<br />
»Kinder haben die Freiheit, ihrer Hand<br />
und ihren Möglichkeiten entsprechend zu üben«<br />
Die Initiative zur Grundschrift<br />
ist ein Beitrag zum selbstbestimmten<br />
Lernen von Grundschulkindern.<br />
Die Grundschrift fördert<br />
die Freude an der schriftlichen Mitteilung.<br />
Gleichzeitig wird durch die Initiative<br />
zur Grundschrift die Vielfalt von<br />
Grundschulkindern gewürdigt.<br />
Kinder möchten Schreiben lernen,<br />
wenn sie in die Schule kommen. Sie können<br />
das genauso selbstständig lernen,<br />
wie sie in der Lage sind, das Geheimnis<br />
der Buchstaben und Laute zu erschließen.<br />
Sie haben die Freiheit, in dem Heft<br />
»Meine Schrift« (vgl.<br />
Grundschrift-Materialpaket)<br />
ihrer Hand<br />
und ihren Möglichkeiten<br />
entsprechend<br />
zu üben, erhalten<br />
individuelle Rückmeldung<br />
und werden<br />
durch gezielte Hilfestellungen<br />
von Mitschülern<br />
und von der<br />
Lehrerin unterstützt.<br />
Welche Fortschritte Kerem und Sophie<br />
gemacht haben! Beide Kinder besuchten<br />
ein erstes Schuljahr. Sie schrieben<br />
in ihr erstes Heft »Meine Schrift«.<br />
Ich bat sie, Seiten zu suchen, an denen<br />
sie merken, wie gut sie schon schreiben<br />
können.<br />
Kerems Buchstaben waren im März<br />
sehr ungelenk und nicht immer von<br />
oben nach unten geschrieben. Das »b«<br />
wurde noch zur »6« und die Freude am<br />
Schreiben war noch recht mäßig. Aber<br />
dann wollte er unbedingt die 2. Kartei<br />
ausprobieren – »die Karten mit dem<br />
Schwung«, sagte er. Er schaute sie sich<br />
nur an und fuhr die Buchstaben mit<br />
dem Finger nach. Anschließend wollte<br />
er seinen Namen mit Schwung schreiben<br />
üben. Hier ist eine Seite von vier<br />
mit seinem Namen. Er hat seine eigenen<br />
Verbindungen geschaffen und stellt<br />
fest: Jetzt kann ich viel schneller unterschreiben.<br />
Viel Erfolg, Kerem!<br />
Schreibentwicklung: Kerem …<br />
Sophie war von Anfang an motiviert<br />
beim Schreiben. Sie gestaltete<br />
ihre Buchstaben bunt. Eine Seite füllte<br />
sie komplett mit kleinen Buchstabenpäckchen.<br />
Sie mischte kleine und<br />
große Buchstaben. Der Schwung in<br />
ihrer Schrift ist schon zu erkennen<br />
beim »m«, »n«, »u« und »i«. Das war im<br />
Februar.<br />
26 GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011
Didaktisches Brauchtum oder Orientierung an Kindern heute?<br />
Im Mai ging sie noch systematischer<br />
an die Sache heran. Das Buchstaben<br />
üben wurde ihr zu einfach, sie schrieb<br />
Verbindungen aus der Kartei und suchte<br />
sich passende Wörter dazu. Auch sie<br />
stieß auf ihren Namen und suchte sich<br />
die Buchstabenverbindungen heraus,<br />
die sie für ihren Namen brauchte. Sophie<br />
übte »ie«. Dann schrieb sie »ch«.<br />
Sie zeigte mir die beiden Seiten und<br />
sagte: »Dass ich ›ich‹ schreiben kann,<br />
finde ich gut.«<br />
Ich als Lehrerin habe gemerkt, welche<br />
Dynamik bei den Kindern entstand.<br />
Sie motivierten sich gegenseitig! Dabei<br />
spielte es keine Rolle, ob Kinder im<br />
ersten Schuljahr schon Buchstabenverbindungen<br />
erprobten oder ob sie beim<br />
Schreiben mit Kartei 1 beschäftigt waren.<br />
Fortschritte konnten alle bei sich<br />
erkennen und sich darüber freuen.<br />
Das macht Mut! Sehr viele Kinder unserer<br />
Schule haben im ersten Schuljahr<br />
große Konzentrationsschwierigkeiten.<br />
Deshalb waren wir stolz, dass sie im<br />
zweiten Schulhalbjahr mit Freude und<br />
selbstständig ca. 25 Minuten mit den<br />
Karteikarten arbeiteten. So hatte ich als<br />
Lehrerin genügend Zeit, einzelnen Kindern<br />
Tipps zu geben, sie zu beraten und<br />
Rückmeldungen zu schreiben.<br />
Wie gelingt es Kindern eines dritten<br />
Schuljahres, so verschieden wie<br />
sie sind, möglichst selbstbestimmt<br />
die Freude am Schreibprozess zu fördern?<br />
Diese Klasse hatte bisher nur in<br />
Druckschrift geschrieben. Ich bot den<br />
Kindern Kartei 2 und ein Heft »Meine<br />
Schrift« an. Sie stürzten sich auf die<br />
Reime und versuchten Buchstaben zu<br />
verbinden. Es entstanden<br />
oft Buchstabenverbindungen,<br />
die der Schreibhand<br />
nicht gut taten. Das<br />
merkten die Kinder<br />
sehr schnell. Sie<br />
fragten Nachbarkinder<br />
oder mich.<br />
Allmählich wurden<br />
sie immer mutiger<br />
beim Experimentieren<br />
mit ihrer Schrift.<br />
Ihre Schrift interessierte<br />
die Kinder<br />
mehr und mehr. Regelmäßig<br />
reflektierten<br />
sie mit Hilfe der Reflexionsbögen.<br />
Immer mehr Kinder holten ihr Lesebuch<br />
heraus und schrieben kurze Texte<br />
ab. Sie verglichen ihre Schreibweise<br />
im Hausheft mit denen im Übungsheft<br />
»Meine Schrift«. Es entstanden Gespräche.<br />
Nun war der geeignete Zeitpunkt<br />
gekommen, den Ablauf von Reflexionsgesprächen<br />
zu erklären. Die Kinder bildeten<br />
Dreiergruppen und gingen sehr<br />
kritisch mit den Schriftprodukten ihrer<br />
Mitschüler um. Die positive sachbezogene<br />
Rückmeldung gelang immer besser.<br />
Die Kinder untersuchten einzelne<br />
Buchstaben, Wörter und Sätze auf ihre<br />
Lesbarkeit und schwungvolle Schreib-<br />
… und Sophie<br />
Barbara van der Donk<br />
Rektorin der <strong>Grundschule</strong> Repelen<br />
in Moers, NRW<br />
weise hin. Außerdem wurden Tipps für<br />
Buchstabenverbindungen ausgetauscht.<br />
Sehr häufig entschied man sich lieber<br />
dafür, keine direkte Verbindung von<br />
Buchstaben auszuführen, wenn dadurch<br />
die Lesbarkeit erschwert wurde.<br />
Ich konnte beobachten, dass einige<br />
Jungen, die vorher sehr kleine und enge<br />
Buchstaben schrieben, allmählich wieder<br />
mehr Schwung in ihr Schriftbild bekamen.<br />
Sie variierten die Buchstabengröße,<br />
bis sie passende Proportionen<br />
entdeckten. Meistens wurden Lineaturen<br />
nur als hinderlich empfunden. Erst<br />
später kamen sie wieder ins Spiel.<br />
Die Kinder hatten bisher wie selbstverständlich<br />
mit verschiedenen Füllern<br />
geschrieben. Nun stellten sie alle<br />
Schreibgeräte, die sie besaßen, auf den<br />
Prüfstand. »Womit kann ich am besten<br />
mit Schwung schreiben?« Manche Mädchen<br />
erprobten kunstvolle Schreibweisen<br />
mit den tollsten Stiften oder Kalligrafie-Füllern.<br />
Auch das brachte neue<br />
Motivation. Nach und nach wurden die<br />
Schüler wieder zufrieden mit ihrer eigenen<br />
Schrift. Ich bin gespannt, wie sich<br />
die Schrift der Kinder zu einer persönlichen<br />
Handschrift weiter entwickeln<br />
wird!<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011 27
<strong>aktuell</strong> … aus dem Bundesvorstand<br />
VERA im Gespräch<br />
Vorstandsmitglieder von GEW (Gewerkschaft<br />
Erziehung und Wissenschaft), VBE<br />
(Verband Bildung und Erziehung) und<br />
des Grundschulverbandes nahmen am<br />
29. August 2011 an einem Fachgespräch<br />
des Schulausschusses der Kultusministerkonferenz<br />
(KMK) über VERA 3 teil. Eingeladen<br />
war auch die Leitung des IQB (Institut<br />
zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen),<br />
Frau Prof. Stanat und Herr Prof. Pant.<br />
Wie Frau von Ilsemann (Vorsitzende des<br />
Schulausschusses) einleitend formulierte,<br />
arbeitet der Schulausschuss an einem<br />
Entwurf über Vereinbarungen der<br />
Bundesländer zu VERA 3. Dieser Entwurf<br />
soll Kritikpunkte der Verbände aufgreifen<br />
und nach Zustimmung durch die Amtschefkonferenz<br />
den Ländern vorgelegt<br />
werden. In einer angeregten Diskussion<br />
erläuterten Frau Demmer (GEW), Herr<br />
Wenzel (VBE) und Frau Lassek (GSV) die<br />
kritischen Ansätze zu VERA in großer<br />
Übereinstimmung. Bemängelt wurden:<br />
die Unklarheit über die Zielsetzung und<br />
die Aussagekraft, Unzulänglichkeiten in<br />
den Aufgabenkonstruktionen, fehlerhafte<br />
Ergebnisse durch die Auswertungsvorgaben,<br />
der Aufwand für die Schulen,<br />
Wert und Vergleichbarkeit der Ergebnisse,<br />
Unterschiede zwischen den Bundesländern<br />
im Umgang mit den Ergebnissen<br />
und insbesondere die jährliche Durchführung.<br />
Nach wie vor fehlen dahingegen<br />
Unterstützungssysteme für Schulen.<br />
Gestiegen ist das Misstrauen gegenüber<br />
VERA und sonstigen Evaluationsinstrumenten.<br />
Wie an vielen Stellen erweist sich<br />
auch bei den Vergleichsarbeiten der<br />
Föderalismus im Bildungswesen als<br />
Problem. Vonseiten des Grundschulverbandes<br />
konnten auf der Basis der fundierten<br />
fachlichen Auseinandersetzung mit<br />
VERA in den vergangenen Jahren wesentliche<br />
Punkte eingebracht werden.<br />
Die Mitglieder des Schulausschusses<br />
nahmen folgende Überlegungen auf:<br />
Verdeutlicht werden soll die Fokussierung<br />
auf das Ziel Unterrichtsentwicklung und<br />
der Hinweis darauf, dass VERA nur ein<br />
Element von Evaluation darstellen kann.<br />
Als Vereinbarung für alle Bundesländer<br />
muss gelten: keine Benotung, keine<br />
Verwendung für die Übergangsempfehlung,<br />
kein Ranking und keine Ergebnisveröffentlichung.<br />
Das IQB wird beauftragt,<br />
mehr Differenz in das Aufgabenspektrum<br />
(Basisaufgaben) einzuarbeiten. Der<br />
Aufbau von Unterstützungssystemen für<br />
Schulen wird ausdrücklich befürwortet.<br />
Der Schulausschuss schlägt eine Fachtagung<br />
vor, in der Zielsetzungen und<br />
Potenziale von VERA transparent gemacht<br />
werden. Workshops sollen stattfinden zur<br />
fachdidaktischen Auseinandersetzung mit<br />
den Aufgaben (Qualität) und zur Frage des<br />
adjustierten (fairen) Vergleichs. Das IQB<br />
und die Landesinstitute werden gebeten,<br />
Überlegungen für die Qualifizierung von<br />
Schulbegleitern in Richtung auf ein<br />
Unterstützungssystem von Schulen<br />
zusammenzutragen. Grundsätzlich nicht<br />
diskutabel ist für die Länder die Abkehr<br />
von der jährlichen Durchführung.<br />
Zum Abschluss des Gesprächs signalisierten<br />
die Vertreterinnen und Vertreter des<br />
Schulausschusses den Wunsch zur<br />
weiteren Zusammenarbeit. Die Verbandsvertreter/innen<br />
wiesen auf die vorher<br />
notwendige Sondierung in den eigenen<br />
Gremien hin.<br />
Maresi Lassek<br />
Die Bundesgeschäftsstelle ist neu aufgestellt!<br />
Die unbekannten neuen Stimmen am<br />
Telefon machen neugierig, wir geben ihnen<br />
ein Gesicht und stellen unsere neuen<br />
Mitarbeiterinnen vor:<br />
Susanne Hirsch (Foto links) arbeitet seit<br />
dem 15. Juni 2011 für den Grundschulverband.<br />
Nach dem Studienabschluss in<br />
Kunstgeschichte an der Johann Wolfgang<br />
Goethe-Universität absolvierte sie eine<br />
Ausbildung zur Bürokauffrau und machte<br />
Anfang des Jahres 2011 ihren Abschluss<br />
vor der IHK. Sie ist theoretisch und<br />
prak tisch mit den klassischen Sekretariats-<br />
und Organisationsaufgaben sicher<br />
vertraut. Die Berufspraxis erwarb sie sich<br />
bereits während des Studiums in<br />
unterschied lichen kaufmännischen<br />
Bereichen. Sie ist Mutter einer Tochter,<br />
die noch nicht sehr lange den Erfahrungsraum<br />
<strong>Grundschule</strong> verlassen hat. Ihre<br />
fünfjährige Mitarbeit im Vorstand eines<br />
Fördervereins <strong>Grundschule</strong> vermittelte<br />
ihr intensive Einblicke.<br />
Mit Heike Schumann (Foto rechts)<br />
konnten wir eine erfahrene und sachkompetente<br />
Mitarbeiterin gewinnen.<br />
Nach Abschluss einer kaufmännischen<br />
Ausbildung arbeitete sie in verschiedenen<br />
Unternehmen, zuletzt 11 Jahre in einem<br />
mittelständigen Verlagshaus als Sachbearbeiterin<br />
und Sekretärin. Ihre organisatorischen<br />
Fähigkeiten entfaltete sie u. a.<br />
bei der Ausrichtung von Meetings,<br />
Messe beteiligungen und nicht zuletzt<br />
bei dem jährlich stattfindenden<br />
Fortbildungs kongress für ca. 2500 bis<br />
3000 BesucherInnen. Mit den kaufmännischen<br />
und technischen Abläufen<br />
ist sie bestens vertraut.<br />
Ein routinierter Umgang mit technischen<br />
Mitteln, die Sicherheit und die Gelassenheit<br />
bei der Erfüllung der anstehenden<br />
Aufgaben, Kreativität und eine sympathische<br />
Ausstrahlung zeichnen unsere<br />
beiden neuen Mitarbeiterinnen aus,<br />
die auf gleicher Verantwortungsebene<br />
für die Aufgabenfelder Verwaltung und<br />
Veranstaltungsorganisation zuständig<br />
sind.<br />
Sylvia Reinisch (Bildmitte) leitet mit ihren<br />
langjährigen und vielfältigen Erfahrungen<br />
mit allen Anliegen der Mitglieder, der<br />
Landesgruppen, des Vorstandes und der<br />
Verbandsarbeit als Geschäftsführerin<br />
unsere Geschäftsstelle.<br />
Wir freuen uns über das neue Team.<br />
Maresi Lassek, Vorsitzende<br />
28 GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011
<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
Baden-Württemberg<br />
Vorsitzende: Erika Brinkmann, erika.brinkmann@ph-gmuend.de;<br />
www.gsv-bw.de<br />
Umfrage der Landesgruppe<br />
– Tendenzen<br />
werden deutlich<br />
Eine Mailumfrage der<br />
Landesgruppe an den <strong>Grundschule</strong>n<br />
Baden-Württembergs<br />
sollte Hinweise für die<br />
Schwerpunkte der weiteren<br />
Arbeit der Landesgruppe<br />
geben. Auch wenn der<br />
Rücklauf nicht gerade<br />
überwältigend war, lassen<br />
sich aus den Ergebnissen<br />
doch einige Rückschlüsse<br />
ziehen:<br />
Oberste Priorität bei den<br />
Antwortenden hat der Punkt:<br />
Einflussnahme auf politischer<br />
Ebene. 92 % halten diesen für<br />
sehr wichtig, 8 % für wichtig.<br />
In Kontakten mit den Politiker/innen,<br />
den Ministerien,<br />
den Grundschulreferent/<br />
innen und den bildungspolitischen<br />
Sprechern der<br />
Landtagsfraktionen sollen<br />
die Positionen des Grundschulverbands<br />
nachhaltig<br />
vertreten und die Interessen<br />
und Notwendigkeiten der<br />
<strong>Grundschule</strong>n deutlich<br />
gemacht werden.<br />
Zum Austausch und für die<br />
Fortbildung der Grundschullehrer/innen<br />
halten 72 % die<br />
Durchführung von Thementagen,<br />
52 % die regionaler<br />
halbtägiger Fachtagungen<br />
und 40 % die Wiederbelebung<br />
überregionaler Grundschultage<br />
für sinnvoll.<br />
An Themen wurden vor allem<br />
zwei genannt: der Umgang<br />
mit Heterogenität und<br />
Inklusion sowie Fragen zur<br />
pädagogischen Leistungskultur.<br />
Der Vorstand der Landesgruppe<br />
wird dies als Grundlage<br />
für seine Planung der<br />
weiteren Arbeit nehmen und<br />
entsprechende erste Schritte<br />
bereits im Herbst in Angriff<br />
nehmen.<br />
für die Landesgruppe:<br />
Edgar Bohn<br />
Bayern<br />
Vorsitzende: Dr. Gudrun Schönknecht, Pfirsichweg 37b, 86169 Augsburg;<br />
www.grundschulverband-bayern.de<br />
KiDZ – »Kindergarten der<br />
Zukunft in Bayern«<br />
Bei einer Abschlussveranstaltung<br />
Ende Juni in München<br />
wurde das Modellprojekt zur<br />
frühen Bildung und Förderung<br />
im Kindergarten und in<br />
der <strong>Grundschule</strong> von Kultusstaatssekretär<br />
Kreuzer und<br />
vbw Hauptgeschäftsführer<br />
Brossardt gewürdigt.<br />
Im Modellprojekt KiDZ<br />
kooperierten von 2004 bis<br />
2009 mit Kindergarten und<br />
<strong>Grundschule</strong> zwei Bildungsinstitutionen<br />
mit unterschiedlichem<br />
Bildungsauftrag.<br />
Von 2009 bis 2011<br />
gaben die Kinderpflegerinnen,<br />
Erzieherinnen und<br />
Grundschullehrerinnen ihre<br />
Erfahrungen in Fortbildungen<br />
an weit über 3.000<br />
Pädagogen in Kindergarten<br />
und Schule weiter. Außerdem<br />
entstanden Materialien für<br />
die Aus- wie Fortbildung.<br />
Diese Fortbildungen und<br />
Materialien kommen auch<br />
der bayernweit umgesetzten<br />
Initiative (seit 2003) »Gemeinsam<br />
Lernchancen nutzen –<br />
Kooperation von Kindergarten<br />
und <strong>Grundschule</strong>«<br />
und deren Kooperationsbeauftragten<br />
zugute.<br />
Das Modellprojekt KiDZ<br />
verfolgt das Ziel, neue<br />
Erkenntnisse zur frühzeitigen<br />
Förderung im Alltag der<br />
Kindertageseinrichtungen<br />
und der <strong>Grundschule</strong>n<br />
umzusetzen.<br />
Bereits 3- bis 6-Jährige sollen<br />
individuell in mathematischen<br />
und schriftsprachlichen<br />
Kompetenzen gefördert<br />
werden, um ihnen den<br />
Schulalltag zu erleichtern<br />
und sie zu schulischem Erfolg<br />
zu führen. Die Kinder werden<br />
durch ihrem Alter angemessene<br />
Lernangebote gestärkt<br />
und dazu motiviert, sich mit<br />
ihrer Lebenswelt und ihrer<br />
Sprache gezielt auseinanderzusetzen.<br />
Prof. Hans-Günther Rossbach<br />
(Lehrstuhl für Elementar- und<br />
Familienpädagogik an der<br />
Otto-Friedrich-Universität<br />
Bamberg) begleitete das<br />
Modellprojekt KiDZ wissenschaftlich:<br />
»KiDZ ist ein<br />
erfolgreicher Weg, die<br />
tatsächliche Förderqualität<br />
im Kindergarten zu verbessern<br />
und auf diese Weise<br />
die Entwicklung der Kindergartenkinder<br />
positiv zu<br />
beeinflussen. Die Teilnahme<br />
an KiDZ führt bis zum Ende<br />
der Kindergartenzeit zu<br />
Vorteilen im kindlichen<br />
Entwicklungsstand, welche<br />
sich insbesondere in mathematischen<br />
und sprachlichen<br />
Fähigkeiten und Fertigkeiten<br />
zeigen sowie in solchen, die<br />
für den späteren Schriftspracherwerb<br />
als bedeutsam<br />
zu betrachten sind.«<br />
Der Film »Fit fürs Leben«<br />
(Dr. Paul Schwarz) gibt<br />
Einblick in den KiDZ-Alltag<br />
und ist eine Dokumentation<br />
der methodisch-didaktischen<br />
Möglichkeiten frühkindlicher<br />
Förderung.<br />
KiDZ war ein Gemeinschaftsprojekt<br />
der Stiftung<br />
Bildungspakt Bayern, des<br />
Bayerischen Staatsministeriums<br />
für Unterricht und<br />
Kultus, des Bayerischen<br />
Staatsministeriums für Arbeit<br />
und Sozialordnung, Familie<br />
und Frauen und der vbw<br />
– Vereinigung der Bayerischen<br />
Wirtschaft e. V., der<br />
bayerischen Metall- und<br />
Elektro-Arbeitgeberverbände.<br />
für die Landesgruppe:<br />
Gabriele Klenk, Petra Hiebl<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011<br />
29
<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
Berlin<br />
Kontakt: Inge Hirschmann, Babelsberger Straße 45, 10715 Berlin, info@gsv-berlin.de<br />
www.gsv-berlin.de<br />
Voll peinlich!<br />
Berliner Schüler(innen)<br />
haben in den Vergleichsarbeiten<br />
nicht so gut<br />
abgeschnitten. Deshalb<br />
stellte jetzt der Schulsenator<br />
ein Qualitätspaket vor:<br />
In Berlin ist Wahlkampf.<br />
Dieses Qualitätspaket legt<br />
u. a. fest, dass in den Jahrgangstufen<br />
1 – 4 ein Grundwortschatz<br />
eingeführt wird.<br />
Bis Ende Klasse 4 sollen die<br />
Kinder 700 bestimmte<br />
Wörter sprechen, lesen und<br />
schreiben können.<br />
Berlins Grundwortschatz ist<br />
weitgehend identisch mit<br />
dem bayerischen. Die Idee<br />
ist: Bayern schneidet in den<br />
Vergleichsarbeiten gut ab.<br />
Bayern hat einen Grundwortschatz.<br />
Wenn Berlin diesen<br />
Grundwortschatz übernimmt,<br />
werden auch die<br />
Berliner Kinder besser<br />
abschneiden. So weit, so gut.<br />
Als Unterstützung wurde<br />
nun aber jedem Kind zum<br />
Schulanfang ein hochglanzbroschiertes<br />
Heft mit dem<br />
alphabetisch sortierten<br />
Grundwortschatz übergeben,<br />
ergänzt durch Übungsanregungen.<br />
Seit Jahren gibt es einen<br />
pädagogisch fundierten<br />
Konsens, dass Rechtschreibung<br />
nicht durch Abschreiben<br />
gelernt wird, sondern auf<br />
der Grundlage von Strategien.<br />
Das steht in den Rahmenlehrplänen<br />
und gehört zu<br />
den Anforderungen der<br />
Bildungsstandards, auf die<br />
sich die Vergleichsarbeiten<br />
beziehen.<br />
Was in den Heften angeboten<br />
wird, geht mit keinem<br />
Wort auf diese Rechtschreibstrategien<br />
ein. Fast alle<br />
Übungen sind Abschreibübungen,<br />
ohne dass thematisiert<br />
wird, wie man geschickt<br />
abschreibt.<br />
Was lernen denn Kinder über<br />
die Rechtschreibung von<br />
Wörtern, wenn sie zehn<br />
Bremen<br />
Kontakt: www.grundschulverband-bremen.de<br />
Wörter mit Artikel abschreiben,<br />
in einem Bild alles, was<br />
mit »H« anfängt, rot anmalen,<br />
sechs Sätze mit Wörtern<br />
zwischen A und C schreiben,<br />
eine Geschichte mit Wörtern<br />
zwischen D und F schreiben?<br />
Auch die alphabetische<br />
Auflistung der Wörter ist<br />
keine Hilfe, weil die Artikel<br />
der Nomen in einer Linie mit<br />
den anderen Wörtern stehen,<br />
d. h. die Kinder können gar<br />
nicht nach dem ersten oder<br />
zweiten Buchstaben suchen,<br />
sondern müssen sich erst die<br />
Artikel wegdenken. So etwas<br />
Unsinniges gibt es in keinem<br />
anderen Wörterheft / Wörterbuch<br />
für die Schule. Und<br />
auch für die gewünschte<br />
Erweiterung des Wortschatzes<br />
ist die alphabetische<br />
Auflistung keine Hilfe. Neue<br />
Wörter werden nicht alphabetisch,<br />
sondern in inhaltlichen<br />
Zusammenhängen<br />
erarbeitet.<br />
Kaum zu glauben: Dieses<br />
Heft zum Grundwortschatz<br />
kommt aus der Senatsabteilung<br />
für Qualitätssicherung.<br />
Bleibt zu hoffen, dass die<br />
Lehrkräfte die überholte<br />
Sicht des Rechtschreiblernens<br />
nicht übernehmen<br />
und besser wissen, was Qualitätssicherung<br />
beim Rechtschreib<br />
lernen bedeutet,<br />
denn dazu leisten die in<br />
hoher Auflage verbreiteten<br />
offiziellen Hefte der Senatsbildungsverwaltung<br />
wirklich<br />
keinen Beitrag!<br />
Ein Bitte an die künftige<br />
Bildungssenatorin / den<br />
neuen Bildungssenator:<br />
Fangen Sie rechtzeitig an, Ihr<br />
Wahlkampfpaket zu schnüren,<br />
damit Zeit ist, Materialien<br />
zu entwickeln, die wirklich<br />
eine Hilfe für die Schülerinnen<br />
und Schüler sind. Die<br />
jetzt übereilt vorgelegten<br />
Hefte zum Grundwortschatz<br />
sind einfach nur peinlich!<br />
für die Landesgruppe:<br />
Mechthild Pieler<br />
VERA<br />
VERA 3 beschäftigt die<br />
Landesgruppe Bremen seit<br />
kurzem auf einer übergeordneten<br />
Ebene. Von der Senatorin<br />
für Bildung wurde im<br />
August eine Arbeitsgruppe<br />
eingerichtet, der Vertreterinnen<br />
und Vertreter der<br />
Bildungsbehörde, des<br />
Landesinstitutes für Schule,<br />
der Grundschulleitungen,<br />
der GEW und des GSV<br />
angehören. Eine zweite<br />
Gruppe arbeitet zu VERA 8.<br />
Neben einer Bestandsaufnahme<br />
zu den gewünschten<br />
und nicht gewünschten<br />
»Effekten« von VERA soll es<br />
darum gehen, unter welchen<br />
Voraussetzungen VERA zur<br />
Schul- und Unterrichtsentwicklung<br />
beitragen könnte,<br />
ob VERA eine Bestandsaufnahme<br />
zum Lernstand von<br />
Schülerinnen und Schülern<br />
liefern kann und welches<br />
Potenzial in VERA steckt. Im<br />
ersten Arbeitstreffen war<br />
Diskussionsgrundlage, wie<br />
mit den VERA-Ergebnissen in<br />
den Schulen umgegangen<br />
wird und wie es anders<br />
gemacht werden könnte.<br />
Über mögliche Alternativen<br />
zu der überwiegend vorhandenen<br />
Ablehnung, sich mit<br />
den VERA-Ergebnissen in der<br />
Schule zu befassen, gab es<br />
ein Filmbeispiel aus Thüringen<br />
und den Bericht einer<br />
Schulleiterin. Insgesamt<br />
entstand der Eindruck, dass<br />
eine verbesserte Test-Akzeptanz<br />
in den Schulen erzielt<br />
werden soll. Die Vertreterin<br />
der Landesgruppe bemängelte<br />
das Fehlen einer<br />
genau en Analyse des<br />
Ist-Zustandes, insbesondere<br />
der Problemstellen. Bis zum<br />
Jahresende sind zwei weitere<br />
Treffen geplant, an denen<br />
sich die Landesgruppe<br />
beteiligen wird, sich jedoch<br />
von Ergebnissen distanziert,<br />
die eine effektivere Umsetzung<br />
von VERA 3 propagieren,<br />
wenn nicht Erkenntnisse<br />
aus der sachkritischen<br />
Diskussion um die Vergleichsarbeiten<br />
in deren Gestaltung<br />
und Durchführung einfließen.<br />
Grundschrift<br />
Wie berichtet erfreut sich das<br />
Thema Grundschrift in<br />
Bremen sehr großer Beliebtheit.<br />
Acht <strong>Grundschule</strong>n<br />
haben eine Erprobung der<br />
Grundschrift beantragt und<br />
führen diese im <strong>aktuell</strong>en<br />
Schuljahr durch. Die Landesgruppe<br />
plant Aktivitäten, um<br />
die Akzeptanz des Grundschriftvorhabens<br />
bei der<br />
Senatorin und den politischen<br />
Vertreterinnen und<br />
Vertretern der Parteien zu<br />
erhöhen.<br />
Mitgliederversammlung<br />
Dienstag,<br />
22. November 2011,<br />
18 Uhr<br />
Landesinstitut für Schule,<br />
Am Weidedamm 20,<br />
28215 Bremen<br />
Themen:<br />
Input und Diskussion:<br />
»Index für Inklusion«<br />
(Referentin: Sybille Röhr),<br />
Gespräch mit der neuen<br />
Grundschul referentin<br />
Nikola Schroth,<br />
Erweiterung des Vorstandes<br />
der Landes gruppe<br />
30 GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011
<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
Brandenburg<br />
Vorsitzende: Denise Sommer, Weinbergweg 21, 15834 Rangsdorf<br />
www.gsv-brandenburg.de<br />
Große Resonanz auf<br />
diesjährige Fachtagung<br />
»Rechtschreibkompetenz<br />
entwickeln – Lernerfolge<br />
ermöglichen«<br />
Am 8. September 2011 fand<br />
die diesjährige Fachtagung<br />
des Grundschulverbandes in<br />
Zusammenarbeit mit dem<br />
Landesinstitut für Schule und<br />
Medien (LISUM) in Ludwigsfelde<br />
statt. 120 Lehrerinnen<br />
und Lehrer aus Brandenburg<br />
und Berlin nahmen an dieser<br />
überaus interessanten und<br />
praxisorientierten Fortbildung<br />
teil. Beate Leßmann<br />
aus Lübeck bot eine große<br />
Palette von Anregungen für<br />
einen individualisierten<br />
Schreib- und Rechtschreibunterricht<br />
dar. Mit zahlreichen<br />
Texten ihrer Schülerinnen<br />
und Schüler und daraus<br />
resultierenden Übungsmöglichkeiten,<br />
die auf die<br />
konkreten Bedürfnisse der<br />
Kinder zugeschnitten waren,<br />
ermutigte Frau Leßmann die<br />
anwesenden Lehrerinnen<br />
und Lehrer, die eigenen Texte<br />
der Kinder als Basis für das<br />
Rechtschreiblernen zu<br />
nutzen und einen individualisierten<br />
Unterricht zu organisieren.<br />
Immer wieder betonte<br />
sie die Bedeutung des<br />
Schreibens für das Einbringen<br />
der eigenen Persönlichkeit<br />
und Individualität der<br />
Kinder. Der respektvolle<br />
Umgang mit freien Texten,<br />
die Würdigung der Leistungen<br />
und das Bewusstmachen<br />
der Lernfortschritte sind<br />
zentrale Bestandteile eines<br />
erfolgreichen (Schreib-)<br />
Unterrichts.<br />
Die Tagung gab vielfältige<br />
Anregungen zum Umgang<br />
mit dem Grundwortschatz,<br />
zum individualisierten<br />
Wortschatztraining und zur<br />
Überprüfung von Rechtschreibleistungen.<br />
Mit dem<br />
Schuljahresbeginn 2011/2012<br />
wurde ein verbindlicher<br />
Mindestwortschatz für die<br />
Klassenstufen 1 bis 4 in<br />
120 Lehrerinnen und Lehrer aus Brandenburg und Berlin nahmen an der praxisorientierten<br />
Fortbildung teil.<br />
Brandenburg eingeführt.<br />
Die große Resonanz und das<br />
überaus positive Feedback<br />
auf diese Tagung zeigte, dass<br />
sich viele Lehrerinnen und<br />
Lehrer auf den Weg gemacht<br />
haben, ihren Schreibunterricht<br />
nicht ausschließlich auf<br />
das Wortschatztraining zu<br />
richten, sondern die Entwicklung<br />
der Schreibkompetenz<br />
als langfristigen, individuellen<br />
und vielfältigen Lernprozess<br />
zu gestalten.<br />
20 Jahre<br />
sechsjährige <strong>Grundschule</strong><br />
in Brandenburg<br />
Länger gemeinsam lernen!<br />
– diese Forderung des<br />
Grundschulverbandes ist<br />
seit 20 Jahren Realität in<br />
Brandenburg. Mit einer<br />
Fachtagung im LISUM, die<br />
Rückblicke und Perspektiven<br />
aus verschiedenen Sichtweisen<br />
ermöglicht, würdigt<br />
das Land Brandenburg<br />
dieses Jubiläum. Mehr als<br />
100 Teilnehmerinnen und<br />
Teilnehmer aus Schulpraxis,<br />
Schulaufsicht, LISUM und<br />
Bildungs ministerium traten<br />
am 30. September 2011 in<br />
Ludwigsfelde in einen<br />
interessanten Erfahrungsaustausch.<br />
Neben einem<br />
Fachvortrag von Frau Prof.<br />
Speck-Hamdan zur sechsjährigen<br />
<strong>Grundschule</strong> in der<br />
Bildungslandschaft Deutschlands<br />
und einer Podiumsdiskussion<br />
mit Vertretern<br />
aus Schule, Universität und<br />
Schulpolitik boten 7 Gesprächskreise<br />
zahlreiche<br />
Diskussionsmöglichkeiten.<br />
Unterschiedliche Themen<br />
wie z. B. individuelles und<br />
kooperatives Lernen, Ganztag,<br />
Lernen ohne Auslese,<br />
Internationalisierung,<br />
Anerkennung und Würdigung<br />
von Leistung, Medienbildung<br />
und Bildungs zeit vor<br />
Beginn der Schulzeit bilden<br />
die <strong>aktuell</strong>en und zukünftigen<br />
Herausforderungen der<br />
Brandenburger <strong>Grundschule</strong>n<br />
ab. Sehr interessant war<br />
die Vorstellung der Ergebnisse<br />
einer prognostizierenden<br />
Befragung »Die <strong>Grundschule</strong><br />
in 30 Jahren«, die die Freie<br />
Universität Berlin erhoben<br />
hat.<br />
Die Teilnahme der Bildungsministerin,<br />
Frau Dr. Münch,<br />
und ihr Vortrag zu Erfolgen<br />
und Perspektiven der<br />
sechsjährigen <strong>Grundschule</strong> in<br />
Brandenburg sind ein<br />
Zeichen der Wertschätzung<br />
und Anerkennung der<br />
engagierten Arbeit der<br />
Grundschullehrerinnen<br />
und -lehrer dieses Landes.<br />
An dieser Stelle möchte ich<br />
meinen langjährigen Mitstreiterinnen<br />
im Landesgruppenvorstand<br />
Dr. Elvira<br />
Waldmann, Marion Gutzmann<br />
und Sabine Wendt sehr<br />
herzlich danken. Sie sind seit<br />
20 Jahren mit »Kopf, Herz<br />
und Hand« dabei und haben<br />
die sechsjährige <strong>Grundschule</strong><br />
in Brandenburg innovativ,<br />
aktiv und engagiert mitgestaltet<br />
und befördert.<br />
für die Landesgruppe:<br />
Denise Sommer<br />
Nächste Beratung des<br />
Landesgruppen vorstandes<br />
am Montag,<br />
5. Dezember 2011,<br />
um 16 Uhr<br />
im LISUM<br />
Ludwigsfelde<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011<br />
31
<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
Saarland<br />
Vorsitzende: Lilo Groll, Holbeinstr. 11, 66128 Saarbrücken<br />
lagroll@t-online.de<br />
Lehrer(innen)ausbildung<br />
im Saarland<br />
Als in den 1970er Jahren die<br />
PH in Saarbrücken geschlossen<br />
wurde, weigerte sich die<br />
Universität des Saarlandes,<br />
den Studiengang für die<br />
»Primarstufe und die Sekundarstufe<br />
I« an der Universität<br />
fortzuführen. Wiederholt gab<br />
es Vorstöße selbst von<br />
Kultusministern, diese<br />
grundständige 1. Phase der<br />
Lehrer(innen)ausbildung<br />
erneut im Saarland anzubieten.<br />
Aber immer wieder<br />
wurden vor allem von Seiten<br />
der Universität ablehnende<br />
Gründe vorgetragen.<br />
Einen Hoffnungsschimmer<br />
gab es, als während der<br />
letzten CDU-geführten<br />
Landesregierung (2004 bis<br />
2009) unter der damaligen<br />
Kultusministerin Anne gret<br />
Kramp-Karrenbauer eine<br />
Expertenkommission<br />
zusammen mit der Universität<br />
ein Papier zur Einführung<br />
eines neuen Lehrer-Studienganges<br />
erarbeitete, dessen<br />
Veröffentlichung aber auf<br />
sich warten ließ. (Honi soit<br />
qui mal y pense.)<br />
Der Hoffnungsschimmer<br />
erweiterte sich zu einem<br />
hellen Streif am Horizont, als<br />
die neue Landesregierung<br />
2009 in ihrem Koalitionsvertrag<br />
(Jamaika-Koalition) ein<br />
Bekenntnis zur Einführung<br />
des erwarteten Studienganges<br />
ablegte: »Wir werden die<br />
Lehrerausbildung reformieren<br />
und die so genannte Stufenlehrerausbildung<br />
einführen.<br />
Die Lehrämter gliedern sich<br />
dann in das Lehramt für die<br />
Primarstufe und Sekundarstufe<br />
I, das Lehramt für die<br />
Sekundar stufe I sowie das<br />
Lehramt für die Sekundarstufe<br />
I und II.« Gleichzeitig wurde<br />
festgelegt, dass »perspektivisch«<br />
alle Lehrerinnen und<br />
Lehrer zehn Semester lang<br />
gleichwertig auf ihren Beruf<br />
vorbereitet werden. Zum<br />
Wintersemester 2011/12 sollte<br />
der neue Studiengang für das<br />
Lehramt für die Primarstufe<br />
und Sekundarstufe I anlaufen,<br />
wie es auch die Zielvereinbarung<br />
zwischen der Universität<br />
und der Landesregierung<br />
vorsah. Aber der Start wird<br />
zum kommenden Semester<br />
nicht erfolgen.<br />
Im Zuge von Haushaltsberatungen<br />
und verkürzter<br />
Mittelzuweisungen an die<br />
Universität möchte diese<br />
wohl am liebsten die neue<br />
Lehrer(innen)ausbildung<br />
auf dem Altar des Sparens<br />
opfern.<br />
Die Landesgruppe beklagt<br />
die ständige Verunsicherung<br />
der jungen Interessenten.<br />
Bereits jetzt besuchen immer<br />
weniger Absolventen von<br />
Universitäten in den anderen<br />
Bundesländern das Referendariat<br />
im Saarland, so dass<br />
sich der Lehrermangel<br />
verstärkt. Angesichts eines<br />
erhöhten Bedarfs an gut<br />
ausgebildeten Pädagogen ist<br />
eine eigene Lehrer(innen)-<br />
ausbildung dringend angesagt.<br />
Als Gründe sind vor<br />
allem zu nennen: die Umwandlung<br />
der Schulen in<br />
inklusive Einrichtungen, die<br />
intensivere Förderung jedes<br />
einzelnen Kindes, die notwendige<br />
Erweiterung der Lehrerfeuerwehr<br />
und die Verbesserungen<br />
der Klassengrößen.<br />
Ganz zu schweigen von der<br />
immens hohen Belastung der<br />
Lehrerinnen und Lehrer an<br />
den <strong>Grundschule</strong>n, die<br />
endlich eine spürbare<br />
Entlastung verdient hätten.<br />
Die Ausbildung der Lehramtsstudenten<br />
an der<br />
Universität des Saarlandes<br />
könnte auch die Qualität der<br />
Lehrerbildung insgesamt<br />
deutlich verbessern, da eine<br />
Verzahnung der ersten mit<br />
der zweiten und dritten<br />
Phase der Aus- und Weiterbildung<br />
möglich wäre.<br />
Seit August 2011 ist die<br />
einstige Kultusministerin,<br />
Annegret Kramp- Karrenbauer,<br />
Minister präsidentin<br />
des Saarlandes. Die Landesgruppe<br />
erwartet, dass sie in<br />
diesem neuen Amt den<br />
Studiengang für das Lehramt<br />
für die Primarstufe und<br />
Sekundarstufe I an der<br />
Universität – so wie bereits<br />
beschlossen – zügig vorantreibt.<br />
»<strong>Grundschule</strong><br />
zwanzigzwanzig«<br />
Am 25. Oktober fand die<br />
dritte Veranstaltung der<br />
Reihe »<strong>Grundschule</strong> 2020«<br />
in Zusammenarbeit mit dem<br />
Institut für Lehrerfort- und<br />
-weiterbildung in Saarbrücken<br />
statt. Als Referent<br />
zum gewünschten Thema<br />
»VERA – eine kritische<br />
Bestandsaufnahme zu<br />
Aufwand und Nutzen«<br />
konnte der verantwortliche<br />
Referent im Bildungsministerium<br />
gewonnen werden.<br />
Sich offen austauschen,<br />
voneinander lernen und<br />
<strong>Grundschule</strong> gemeinsam<br />
weiterdenken – das sind die<br />
zentralen Leitgedanken<br />
dieser Veranstaltungsreihe.<br />
Die Teilnehmerinnen und<br />
Teilnehmer wollen die<br />
Herausforderungen der<br />
täglichen Arbeit in den Blick<br />
nehmen und lösungsorientiert<br />
Perspektiven<br />
entwickeln.<br />
für die Landesgruppe:<br />
Lilo Groll<br />
Hamburg<br />
Vorsitzende: Susanne Peters, Güntherstraße 10, 22087 Hamburg, susanne.peters@gsv.hamburg.de<br />
www.gsvhh.de<br />
Alle <strong>Grundschule</strong>n werden<br />
Ganztagsschulen<br />
In den nächsten drei Jahren<br />
sollen sich alle Hamburger<br />
<strong>Grundschule</strong>n zu Ganztagsschulen<br />
entwickeln. Der<br />
flächendeckende Ausbau hat<br />
in diesem Jahr mit 21 Pilotstandorten<br />
begonnen. Ab<br />
dem Schuljahr 2013/2014<br />
sollen dann alle Grundschulkinder<br />
an der Ganztägigen<br />
Bildung und Betreuung an<br />
Schulen (GBS) teilnehmen<br />
können. Die Lern- und<br />
Freizeitangebote in der Zeit<br />
von 8 bis 16 Uhr sind kostenlos.<br />
Voraussetzung ist die<br />
Anmeldung der Kinder für<br />
ein Jahr. Die Betreuung vor<br />
8 Uhr und nach 16 Uhr sowie<br />
in den Ferien ist kostenpflichtig,<br />
ebenso das Mittagessen,<br />
das in allen Schulen angeboten<br />
werden soll.<br />
Es obliegt der Entscheidung<br />
der einzelnen Schule, ob sie<br />
die Ganztagsangebote<br />
ausschließlich in eigener<br />
Regie oder in Kooperation<br />
mit einem Träger der Jugendhilfe<br />
organisieren will.<br />
Schul- und Sozialbehörde<br />
haben sich mit den Dachverbänden<br />
der Hortträger<br />
über einen Rahmenvertrag<br />
verständigt. Bis zum Ende<br />
des 1. Quartals 2012 müssen<br />
alle <strong>Grundschule</strong>n mit ihren<br />
Gremien darüber entschieden<br />
haben, welche Form von<br />
Ganztagsschule sie anstreben,<br />
und Kooperationspartner<br />
benennen, wenn dieses<br />
Modell geplant ist<br />
Die Landesgruppe begrüßt,<br />
dass den Kindern damit eine<br />
verlässliche Betreuung ohne<br />
Wechsel zwischen den<br />
Systemen Schule und Hort<br />
ermöglicht wird. Das Gelingen<br />
des ehrgeizigen Projektes<br />
hängt maßgeblich ab von<br />
den zu entwickelnden<br />
Konzepten. Mit einem Träger<br />
der Jugendhilfe ein gemein-<br />
32 GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011
<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
Schleswig-Holstein<br />
Vorsitzende: Prof. Dr. Beate Blaseio,<br />
Universität Flensburg, Auf dem Campus 1,<br />
24943 Flensburg; www.grundschulverband-sh.de<br />
Schulanfangstagung<br />
in Flensburg<br />
Am Donnerstag der letzten<br />
Sommerferienwoche kamen<br />
über 150 Lehrer und Lehrerinnen<br />
in der Universität<br />
Flensburg zusammen, um<br />
sich auf den Schulanfang<br />
einzustimmen. Organisiert<br />
vom IQSH (Lehrerbildungsinstitut<br />
in S-H) mit Unterstützung<br />
der EULE (Lehrerbildung<br />
und Universi täts -<br />
ausbildung) und des GSV<br />
boten zahlreiche Workshops<br />
Inspiration zur Arbeit in den<br />
Jahrgängen 1 und 2 bzw.<br />
eine kritische Auseinandersetzung<br />
mit bisherigen<br />
Arbeitsformen. In einem mit<br />
pädagogischen Leitideen<br />
gespickten Rundgang<br />
konnten Kollegen und<br />
Kolleginnen eigene Einstellungen<br />
überdenken und<br />
sich anregen lassen.<br />
Was läuft in der Politik?<br />
Die Fraktion der Grünen<br />
bietet regelmäßig bildungspolitische<br />
Veranstaltungen<br />
an. Nächstes Treffen:<br />
27. Oktober 2011 Schöner<br />
Lernen! Wie viele kleine<br />
Veränderungen zu neuen<br />
Schulen führen. Ulrike Kegler<br />
wird zu Gast sein. Die<br />
Veranstaltung im September<br />
war so gut besucht, dass im<br />
Landeshaus auch die<br />
Fensterbänke als Sitzplätze<br />
dienen mussten.<br />
Nähere Informationen unter<br />
www.plietsch.sh. Da es von<br />
den anderen Parteien nichts<br />
Erwähnenswertes zu berichten<br />
gibt, freuen wir uns<br />
über die eine Partei, die<br />
Bildung stark machen will.<br />
für die Landesgruppe:<br />
Sabine Jesumann,<br />
Andrea Keyser<br />
Rheinland-Pfalz<br />
Anschrift: Werner Lang, Am Wingertsberg 8,<br />
67756 Hinzweiler; www.wl-lang.de<br />
Der Vorstand der Landesgruppe<br />
wurde um Frau Nina<br />
Lossau-Groß (Konrektorin an<br />
der GS Nierstein) erweitert.<br />
Für das Jahr 2012 sind<br />
folgende regionale<br />
und/oder schulinterne<br />
Fortbildungsveranstaltungen<br />
in Planung:<br />
sames Konzept zu entwickeln,<br />
ist für alle eine ganz<br />
neue Herausforderung. Die<br />
Grundsätze für Ganztagsschulen,<br />
wie sie der Grundschulverband<br />
formuliert hat,<br />
sollten darin Berücksichtigung<br />
finden. Die ganztägige<br />
Nutzung von Klassenräumen,<br />
die Doppelnutzung für<br />
Unterricht und Freizeitangebote,<br />
erfordert veränderte<br />
Raumkonzepte und klare<br />
Absprachen. Wichtig ist aber<br />
Musikpraxis in der GS<br />
(GS St. Julian) / Arbeit mit<br />
dem Teilrahmenplan Religion<br />
– Aktivierung, ein Baustein<br />
guten Unterrichts / Grundschultag:<br />
Lesen – Schreiben<br />
– Rechnen – Lernen im Anfangsunterricht<br />
(im Herbst)<br />
für die Landesgruppe:<br />
Werner Lang<br />
auch die Ressourcenausstattung!<br />
Gruppengröße,<br />
Mobiliar und Material spielen<br />
dabei genau so eine Rolle wie<br />
regelmäßige Besprechungszeiten.<br />
»GBS« darf kein Sparmodell<br />
der Ganztagsschule werden!<br />
für die Landesgruppe:<br />
Marion Lindner<br />
März 2012<br />
Tagung: »Hilfe – ich<br />
muss inkludieren!«<br />
Sachsen-Anhalt<br />
Kontakt: Petra Uhlig, Richard-Wagner-Str. 29, 06114 Halle<br />
petra.katrin.uhlig@googlemail.com; www.gsv-lsa.de<br />
Wege zum<br />
gemein samen Unterricht<br />
Seit Jahren verstärkt auch<br />
Sachsen-Anhalt seine<br />
Bemühungen um einen<br />
stetigen Umbau der hiesigen<br />
Schullandschaft im Sinne der<br />
inklusiven Schule. Der<br />
Gemeinsame Unterricht von<br />
Kindern mit besonderen<br />
Lernbedürfnissen spielt<br />
dabei eine zentrale Rolle.<br />
Kultusminister Stephan<br />
Dorgerloh lud deshalb<br />
Vertreter aus Schulpraxis,<br />
Fachverbänden, Gewerkschaften<br />
und Kommunen am<br />
15. September 2011 zu einer<br />
ersten Sitzung der Arbeitsgruppe<br />
»Gemeinsamer<br />
Unterricht«, die unter der<br />
Leitung von Dr. Michael<br />
Lehmann (Fachreferent für<br />
die <strong>Grundschule</strong> im Kultusministerium)<br />
und Dr. Karin<br />
Greve wichtige Problemfelder<br />
der Umsetzung des<br />
Gemeinsamen Unterrichts<br />
und notwendige Reformschwerpunkte<br />
benennen,<br />
diskutieren und dem Landtag<br />
zur Empfehlung geben will.<br />
Ziel der Arbeitsgruppe ist es,<br />
die zur Unterstützung des<br />
weiteren Ausbaus des<br />
Gemeinsamen Unterrichts<br />
in Sachsen-Anhalt notwendigen<br />
Maßnahmen herauszukristallisieren,<br />
um ein<br />
anspruchsvolles und angemessenes<br />
Bildungsangebot<br />
für alle Kinder im<br />
Land zu gewährleisten.<br />
Für den Grundschulverband<br />
nimmt Ralph Thielbeer an<br />
der Arbeitsgruppe teil. Aus<br />
unserer Perspektive gilt es<br />
besonders der pädagogischdidaktischen<br />
Dimension des<br />
Gemeinsamen Unterrichts<br />
Aufmerksamkeit zu widmen.<br />
Gerade die Akzentuierung<br />
des gemeinsamen Lernens<br />
trotz gravierender Unterschiede<br />
sollte in der konzeptionellen<br />
Arbeit wie auch<br />
in Fort- und Weiterbildung<br />
stärker in den Blickpunkt<br />
geraten. Integration darf<br />
nicht bei räumlicher Nähe<br />
und inhaltlicher Separierung<br />
stehen bleiben. Vielmehr gilt<br />
es, das bildungsrelevante<br />
Potenzial der heterogenen<br />
Lerngruppen wahrzunehmen<br />
und als Chance für die<br />
Bildung aller Kinder herauszustellen.<br />
Auf der anderen Seite<br />
müssen auch die erheblichen<br />
organisatorischen Probleme<br />
bei der Umsetzung des<br />
Gemeinsamen Unterrichts<br />
benannt und es muss nach<br />
Lösungen gesucht werden.<br />
Die feste Zuordnung von<br />
Förderschullehrkräften zu<br />
integrativ arbeitenden<br />
Schulen ist seit einem Jahr<br />
Realität und ein wichtiger<br />
Baustein für die Schaffung<br />
von Kontinuität und Verlässlichkeit<br />
für alle Partner im<br />
Lernprozess. Dennoch muss<br />
auch hier die Kooperation<br />
vielfach noch gelernt und<br />
eine nachhaltige und<br />
schülerorientierte Didaktik<br />
entwickelt werden. Fragen<br />
zur räumlichen und sächlichen<br />
Ausstattung der<br />
Schulen gehören hier<br />
ebenfalls mit hinein.<br />
Die Landesgruppe Sachsen-<br />
Anhalt des Grundschulverbandes<br />
freut sich über die<br />
Bemühungen des Kultusministeriums<br />
zur Stärkung<br />
des gemeinsamen und<br />
indi vidualisierten Lernens.<br />
Die Ergebnisse der Arbeitsgruppe<br />
können mit Spannung<br />
erwartet werden.<br />
für die Landesgruppe:<br />
Ralph Thielbeer und<br />
Dr. Michael Ritter<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011<br />
33
<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong><br />
Grundschulverband e. V.<br />
Niddastraße 52 · 60329 Frankfurt / Main<br />
Tel. 069 776006 · Fax 069 7074780<br />
info@grundschulverband.de<br />
www.grundschulverband.de<br />
Postvertriebsstück · Entgelt bezahlt DP AG<br />
D 9607 F · ISSN 1860-8604<br />
Versandadresse<br />
2. / 3. März 2012 | Grundschrift –<br />
damit Kinder besser schreiben lernen<br />
Arbeitstagung für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren<br />
»Schreibschrift ade?« So oder so ähnlich rauschte es in<br />
diesem Sommer durch den Blätterwald. Die Ursache: Der<br />
Grundschulverband sagt, dass die überkommenen Schulausgangsschriften<br />
ins didaktische Museum gehören! Ziel<br />
der <strong>Grundschule</strong> ist die flüssig geschriebene und gut les-<br />
bare Handschrift der Kinder. Dazu müssen sie nicht zwei<br />
Ausgangsschriften lernen. Eine reicht: die mit der Hand<br />
geschriebene Druckschrift. Die Grundschrift ist damit der<br />
Weg zum Ziel: eine flüssig geschriebene und gut leserliche<br />
Handschrift.<br />
Thematik<br />
der Tagung<br />
Zeit<br />
Referentinnen<br />
und Referenten<br />
Ort<br />
Im Plenum und in Arbeitsgruppen<br />
werden Moderationsmaterialien für Lehrerkonferenzen,<br />
Fortbildungen und Seminare<br />
zum Thema »Grundschrift« vorgestellt und<br />
erprobt: Erfahrungen in der Schulpraxis,<br />
Einsatz der Grundschrift-Karteien und des<br />
Heftes »Meine Schrift«, Schriftkultur und<br />
schul interne Arbeitspläne.<br />
Ziel ist die Zusammenstellung eines praktischen<br />
»Moderationskoffers« zur Grundschrift.<br />
Wir wünschen uns, dass die Teilnehmer/innen<br />
bereit sind, als Referent/in bzw. Moderator/in<br />
in der Region zur Verfügung zu stehen.<br />
Freitag, 2. März 2012, 15.00 bis 21.30 Uhr<br />
Samstag, 3. März 2012, 9.00 bis 13.00 Uhr<br />
Herausgeber und Autoren des Grundschrift-<br />
Materialpakets: Dr. Horst Bartnitzky (Grundschulpädagoge,<br />
Duisburg); Lothar Bode<br />
(Grundschulrektor, Alpen-Veen); Prof. Dr. Erika<br />
Brinkmann (Dekanin PH Schwäbisch Gmünd);<br />
Ulrich Hecker (Stellv. Vorsitzender Grundschulverband,<br />
Grundschulrektor, Moers); Barbara<br />
van der Donk (Grundschulrektorin, Moers);<br />
Linda Kindler (Grundschullehrerin, Dortmund);<br />
Dr. Christina Mahrhofer-Bernt (Sonderschullehrerin<br />
und Sonderpädagogin, Landshut);<br />
Christiane Schüßler (Schulrätin, Düsseldorf)<br />
Hotel Loccumer Hof<br />
Kurt-Schumacher-Str. 14/16<br />
30159 Hannover<br />
www.loccumerhof.de<br />
Tagungs beitrag<br />
Anmeldung<br />
225 Euro für Mitglieder des<br />
Grundschulverbandes<br />
325 Euro für Nichtmitglieder<br />
Im Tagungsbeitrag enthalten sind:<br />
– Übernachtung im Einzelzimmer,<br />
– Verpflegung während der Tagung,<br />
– Tagungsmaterialien.<br />
(Die Kosten der An- und Abreise sind von<br />
den Teilnehmer/innen selbst zu tragen.)<br />
– per Post: Grundschulverband e. V.,<br />
Niddastr. 52, 60329 Frankfurt,<br />
– per Mail: info@grundschulverband.de<br />
– im Internet:<br />
www.grundschulverband.de<br />
Anmeldeschluss ist der 31.12.2011<br />
Die Teilnehmerzahl ist auf 70 Personen begrenzt.<br />
Die Tagungsgebühr wird mit der<br />
Anmeldung fällig.<br />
Verbindlich ist die Teilnahme erst nach<br />
Bestätigung durch den Grundschulverband.<br />
Bankverbindung:<br />
Postbank Frankfurt, BLZ 500 100 60<br />
Konto Nr. 19 56 71 605<br />
Stornogebühren bei Absage nach dem<br />
16. Januar 2012: 125 Euro<br />
Bitte bei der Anmeldung angeben:<br />
Vollständige Anschrift mit E-Mail-Adresse<br />
Mitgliedsnummer, wenn vorhanden<br />
Funktion im Schulbereich<br />
Praktische Erfahrungen mit der<br />
Grundschrift (ja / nein)