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Grundschule aktuell 116

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www.grundschulverband.de · November 2011 · D9607F<br />

<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong><br />

Zeitschrift des Grundschulverbandes · Heft <strong>116</strong><br />

Zugriff oder Zutrauen?<br />

Wie das Bild von Kindern<br />

den Umgang mit ihnen bestimmt


Jetzt mit differenzierten Arbeitsblättern<br />

und CD im Heft!<br />

Aus der Praxis, für die Praxis:<br />

PRAXIS GRUNDSCHULE bietet Unterrichtsanregungen für<br />

alle Fächer der <strong>Grundschule</strong>: mit praxiserprobten Aufgabenstellungen<br />

sowie jahrgangs- und fächerübergreifenden<br />

Themen.<br />

Für mehr Farbe im Unterricht:<br />

Ab sofort liegt jedem Heft eine CD mit veränderbaren<br />

Materialien bei.<br />

Alle Heftbeiträge bieten zudem differenzierte Arbeitsblätter<br />

und ermöglichen so eine individuelle Förderung für jedes Kind.<br />

Geplante Themen 2012:<br />

– Heimat · Musik · Kultur<br />

– Im Zoo<br />

– Englisch<br />

– Richtig schreiben<br />

– Zahlenvorstellungen<br />

– Technik<br />

Weitere Informationen unter:<br />

www.praxisgrundschule.de<br />

PRAXIS GRUNDSCHULE<br />

erscheint 6 x jährlich.<br />

Jahresabonnement für<br />

Privatpersonen: 55,80 €<br />

Studierende/Referendare: 39,00 €<br />

Schulen/Institutionen: 111,60 €<br />

Alle Preisangaben zzgl. Versandkosten.<br />

Stand: 01.01.2011<br />

Preisänderungen und Irrtümer<br />

vorbehalten<br />

Bestellen Sie einfach und schnell per<br />

Telefon: 0531-708-8631<br />

Telefax: 0531-708-617<br />

E-Mail: abo-bestellung@westermann.de<br />

Post: BMS<br />

Bildungsmedien Service GmbH<br />

Zeitschriftenvertrieb<br />

Postfach 3320<br />

38023 Braunschweig<br />

Foto: zorani, www.istockphoto.com


Inhalt<br />

Editorial<br />

Tagebuch<br />

S. 2 Hilfe, die allen nützt (F. Berth)<br />

Keine Zeit für Pädagogik?<br />

S. 3 Liebe Marie, … (H. Sußebach)<br />

Frühe Aussonderung oder inklusive Schule?<br />

S. 9 Kinder mit »Lernbehinderung« (B. Schumann)<br />

S. 12 Ein Traum / Die Schubladen (N. Simon)<br />

Kinder: Lernautomaten oder<br />

selbstbewusste Lerner?<br />

S. 14 Von wegen: einfach und passgenau!<br />

(H. Bartnitzky)<br />

S. 18 Leseförderung: Mit W-Fragen informierend lesen<br />

Didaktisches Brauchtum oder Orientierung<br />

an Kindern heute?<br />

S. 20 Buchstabensalat. Verwirrungen und Verirrungen<br />

um die »Schreibschrift« (U. Hecker)<br />

S. 24 Einfach schreiben. Einblicke in das<br />

Schreibenlernen mit der Grundschrift<br />

(N. Stolz, M. Kleine-Tebbe, B. van der Donk)<br />

Aktuell …<br />

… aus dem Bundesvorstand<br />

S. 28 VERA im Gespräch<br />

Bundesgeschäftsstelle neu aufgestellt<br />

… aus den Landesgruppen, u. a.<br />

S. 30 Berlin: Rechtschreibung – Voll peinlich!<br />

S. 32 Hamburg: Alle <strong>Grundschule</strong>n werden<br />

Ganztagsschulen<br />

S. 33 Sachsen-Anhalt: Wege zum gemeinsamen<br />

Unterricht<br />

Impressum<br />

GRUNDSCHULE AKTUELL, die Zeitschrift des Grundschulverbandes<br />

erscheint viertel jährlich und wird allen Mitgliedern zugestellt.<br />

Der Bezugspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Das einzelne Heft<br />

kostet 7,50 € (inkl. Versand); für Mitglieder und ab 10 Exemplaren 3,00 €.<br />

Verlag: Grundschulverband e. V., Niddastraße 52,<br />

60329 Frankfurt / Main, Tel. 0 69 / 77 60 06, Fax: 0 69 / 7 07 47 80,<br />

www.grundschulverband.de, info@grundschulverband.de<br />

Herausgeber: Der Vorstand des Grundschulverbandes<br />

in Zusammen arbeit mit Dr. Horst Bartnitzky<br />

Redaktion: Ulrich Hecker, Hülsdonker Str. 64, 47441 Moers,<br />

Tel. 0 28 41 / 2 17 14, ulrich.hecker@googlemail.com<br />

Fotos: Autorinnen und Autoren; Bert Butzke, Mülheim (Titel,<br />

S. 3 – 8, 22)<br />

Zeichnung: Wilhelm Nüchter, Moers (S. 12)<br />

Herstellung: novuprint Agentur für Mediendesign, Werbung,<br />

Publikationen GmbH, Bödekerstr. 73, 30161 Hannover,<br />

Tel. 0511 / 9 61 69-11, Fax: 05 11 / 9 61 69-99, info@novuprint.de<br />

Anzeigen: Claudia Klinger, Verlagsgruppe Beltz,<br />

Tel. 0 62 01 / 6 00 73 86, Fax 0 62 01 / 6 00 73 93, c.klinger@beltz.de<br />

Druck: Beltz Druckpartner, 69502 Hemsbach<br />

ISSN 1860-8604 / Bestellnummer: 6051<br />

Beilagen: »Eine Welt in der Schule« und GrundschulEltern<br />

als ständige Beilage bzw. Einhefter<br />

Zugriff oder Zutrauen?<br />

Was wollen wir? Den »Zugriff« auf Kinder, auf ihre Lebens- und<br />

Lerngeschichte(n)? Den »Zugriff« auf vermessene »Lerndaten«<br />

statt des wert-schätzenden Blicks auf Lernprozesse und -ergebnisse?<br />

Zugriff also letztlich auf »das Recht des Kindes auf den<br />

heutigen Tag« (Janusz Korczak) – Oder haben Politik und Administration,<br />

haben Eltern, Erzieher/innen, Lehrer/innen Zutrauen<br />

zu Kindern? Haben wir das Vertrauen des Kinderarztes<br />

Remo H. Largo: »Jedes Kind will lernen«? Und engagieren wir<br />

uns dafür, dass die große Aufgabe, jedes Kind so anzunehmen,<br />

wie es ist, sowie seine Individualität und Persönlichkeit von klein<br />

auf zu respektieren, tatsächlich Allgemeingut wird?<br />

Wie der Blick auf Kinder (und Jugendliche) den Umgang mit ihnen<br />

bestimmt – das ist Thema dieses Heftes. Wir haben diesmal<br />

auf die gewohnte Strukturierung verzichtet, um Zusammenhänge<br />

deutlicher machen zu können, und entfalten die Ausgangsfrage<br />

in vier Aspekten:<br />

1.: Keine Zeit für Pädagogik?<br />

»Schule« leitet sich ab vom griechischen Wort für »Muße«. Wie<br />

wenig Zeit – Bildungs-Zeit! – aber geben Politik und Administration<br />

Kindern und Jugendlichen zum Lernen heute? Henning<br />

Sußebach hat in der ZEIT einen vieldiskutierten Brief an seine<br />

Tochter veröffentlicht. Wir freuen uns, diesen Beitrag in einer<br />

vom Autor bearbeiteten Fassung zur Diskussion stellen zu können.<br />

S. 3 ff.<br />

2.: Frühe Aussonderung oder inklusive Schule?<br />

Die »Behindertenrechtskonvention« der Vereinten Nationen ist<br />

seit 2009 gültiges Recht in Deutschland. Damit ist ein Schulsystem<br />

in Frage gestellt, das Kinder mit und ohne »bescheinigte Behinderung«<br />

in »Förder-« und »Regelschulen« separiert. Im Kern<br />

geht es darum, wie Bildung und Lernen in allen Bildungsbereichen<br />

»inklusiv« gedacht und verwirklicht werden kann. Dem<br />

widerspricht z. B. der Umgang mit der »deutschen Spezies der<br />

Lernbehinderten« markant, meint Brigitte Schumann. S. 9 ff.<br />

3.: Lernautomaten oder selbstbewusste Lerner?<br />

Horst Bartnitzky geht von einem »Internet-basierten« Zugriff<br />

auf Kinder aus und zeigt, dass »Förderung« eine anspruchsvolle<br />

didaktische Aufgabe ist, die nur erfolgreich sein kann, wenn sie<br />

Kinder mit einbezieht. S. 14 ff.<br />

4.: Didaktisches Brauchtum oder Orientierung an Kindern heute?<br />

Am Beispiel der aufgeregten Debatte um »Schreibschrift –<br />

Druckschrift – Grundschrift«, bei der es ja um ein Kindern<br />

bekömmliches Schreibenlernen geht, wird immer wieder eine<br />

grundsätzliche Frage deutlich: Soll am überkommenen »didaktischen<br />

Brauchtum« festgehalten werden oder müssen sich<br />

(Grund-)Schule und (Schreib-)Unterricht an »Kindern heute«<br />

orientieren? Für den Grundschulverband ist die Entscheidung<br />

klar: Er vertritt die Bildungs-Ansprüche von Grundschulkindern.<br />

S. 20 ff.<br />

Ulrich Hecker<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011<br />

1


Tagebuch<br />

Hilfe, die allen nützt<br />

Felix Berth<br />

Vielleicht sollte man Grundschullehrern nichts von diesem<br />

Experiment erzählen. Es begann im Jahr 1962 in der<br />

US-Kleinstadt Ypsilanti. 58 Jungen und Mädchen durften<br />

zwei Jahre lang einen Halbtags-Kindergarten besuchen.<br />

Diese »Perry Preschool« war ambitioniert, weil dort akademisch<br />

ausgebildete Lehrer den Kindern aus armen Familien<br />

einen guten Start ermöglichten. Doch spektakulär<br />

schien sie nicht zu sein.<br />

Im Jahr 2011 reist ein Nobelpreisträger um die Welt und<br />

verkündet, dass die Intervention von Ypsilanti lohnender<br />

sei als jede andere Sozialpolitik: »Die Perry Preschool hatte<br />

ungeheure Vorteile – sie war hilfreich für die Kinder und<br />

extrem lohnend für Staat und Gesellschaft«, sagt James<br />

Heckman, Professor für Ökonomie aus Chicago, und die<br />

Zeitschrift Science stimmt im August 2011 in einem ganzen<br />

Heft das Lob der frühen Bildung an.<br />

Wer den deutschen Grundschullehrern solche Ergebnisse<br />

nahebringen will, geht drei Risiken ein. Das erste ist, für<br />

naiv gehalten zu werden: »Riesige Erfolge wegen ein bisschen<br />

Kindergarten? Wahrscheinlich wieder eine Studie,<br />

bei der so lange gerechnet wurde, bis das Ergebnis gepasst<br />

hat«, könnte eine ungläubige Reaktion lauten.<br />

Doch die Erfolgsbilanz von Ypsilanti zählt zum Robustesten,<br />

was die Sozialwissenschaft je geliefert hat. Es gab neben<br />

den 58 Kindern in der »Preschool« eine gleich große Gruppe<br />

von Kindern, die aus dem gleichen Milieu stammten, aber<br />

nicht in der Kita gefördert wurden. Und deshalb können<br />

Wissenschaftler heute, Jahrzehnte später, vergleichen: Wie<br />

entwickelten sich die Kinder aus der Preschool? Und was<br />

wurde aus denen in der Kontrollgruppe? Die Unterschiede<br />

sind enorm. Zum Beispiel bei den Einkommen, zum Beispiel<br />

auch bei der Kriminalität: ein Drittel weniger Eigentumsdelikte<br />

in der Experimentalgruppe, ein Drittel weniger<br />

Gewaltverbrechen und halb so viele Morde. Eindeutig ein<br />

Erfolg der Preschool – denn wie wären die Unterschiede<br />

sonst zu erklären?<br />

Das zweite Risiko ist die Förderung von pädagogischem<br />

Defätismus: »Wenn die wichtigsten Dinge schon bei den<br />

Dreijährigen entschieden werden – muss ich mich da überhaupt<br />

anstrengen?«, könnte eine Grundschullehrerin fragen.<br />

Und sie könnte sich bestätigt fühlen, wenn sie am ersten<br />

Schultag zu wissen glaubt, wer aus ihrer Klasse nach vier<br />

oder sechs Jahren auf ein Gymnasium geht und wer nicht.<br />

Doch das wäre die falsche Schlussfolgerung. Natürlich<br />

ist nicht jedes Leben beim Schulstart vollständig determiniert<br />

– manchmal kriegen selbst Kinder aus schwierigsten<br />

Verhältnissen die Kurve; die Resilienzforschung<br />

hat dafür etliche Belege gesammelt. Zwar stimmt es, dass<br />

wichtige Weichenstellungen bei Sechsjährigen bereits<br />

geschehen sind, wie die Entwicklungspsychologen und<br />

Hirnforscher in den letzten Jahren eindrucksvoll gezeigt<br />

haben. Dennoch ist die Arbeit in den ersten Schulklassen<br />

nicht unwichtig: Sie ist ein zentraler Teil der Bildungskarriere<br />

eines Menschen – bloß eben nicht ihr Beginn.<br />

Das dritte Risiko schließlich ist, dass nun die wohlhabende<br />

Mittelschicht für ihre Kinder eine Förderung wie<br />

in der Perry Preschool verlangt: »Dieses Experiment zeigt<br />

doch, dass sich jeder Euro lohnt, den der Staat für unsere<br />

Kinder ausgibt«, hört man diese Eltern argumentieren.<br />

Bloß: Das zeigt dieses Experiment nicht.<br />

Die Versuche in den USA – in Ypsilanti wie in einigen<br />

anderen Städten – waren Versuche mit Kindern in miserablen<br />

Verhältnissen. Die Kinder lebten meist bei alleinerziehenden<br />

Müttern, die wenig Geld und schlechte Ausbildungen<br />

hatten. Die Väter waren oft abgehauen oder<br />

saßen im Gefängnis. Nur bei diesen Kindern konnte die<br />

Kita so erstaunlich wirkungsvoll sein, denn die Kinder<br />

bekamen dort etwas, was ihnen zu Hause versagt blieb:<br />

Unterstützung.<br />

Wer diese Experimente zur Kenntnis nimmt, erkennt,<br />

dass unsere Bildungspolitik umsteuern muss. Die Kinder<br />

aus den schwierigsten Familien brauchen die beste<br />

Unterstützung – das ist die wichtigste Maxime für die<br />

nächsten Jahre. Wer ihr folgen will, muss in den Kitas<br />

der Armutsquartiere beginnen und in den <strong>Grundschule</strong>n<br />

dort weitermachen. Das bricht zwar mit der Tradition des<br />

deutschen Wohlfahrtsstaates, der stets alle gleich behandeln<br />

will. Doch es ist Zeit für diesen Bruch.<br />

Felix Berth ist Redakteur der Süddeutschen Zeitung und<br />

schreibt über Gesellschaftspolitik.<br />

Felix Berth erhielt für seine Analysen<br />

der deutschen Familienpolitik<br />

mehrere Journalistenpreise.<br />

Gerade erschienen ist sein Buch<br />

»Die Verschwendung der Kindheit.<br />

Wie Deutschland seinen Wohlstand verschleudert«,<br />

Beltz 2011. Darin beschreibt er,<br />

wie frühe Bildung den Prozess der<br />

Verarmung und gesellschaftlichen<br />

Spaltung in Deutschland stoppen kann.<br />

2 GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011


Keine Zeit für Pädagogik?<br />

Henning Sußebach<br />

Schule im Zeitalter der Beschleunigung<br />

Liebe Marie, …<br />

… erinnerst Du Dich noch an den Tag,<br />

an dem wir das letzte Mal im Kino<br />

waren? An diesen Tierfilm, den Du<br />

so gerne sehen wolltest? Wie hieß der<br />

bloß noch? Ich glaube, Tiger, Bären<br />

und Vulkane, aber sicher bin ich mir<br />

nicht. Denn unser Ausflug liegt schon<br />

ein paar Monate zurück. Wir sind alle<br />

zusammen mit dem Auto in die Stadt<br />

gefahren: Mama, Henri, Du und ich. Es<br />

war Sonntag – und wir beide saßen mit<br />

Karteikarten auf der Rückbank und haben<br />

gelernt. Wie viel ist 17 2 ? Wie viel 5 6 ?<br />

Wie viel 2 8 ? Auf dem Weg nach Hause<br />

dann noch mal: 2 7 = 128, 18 2 = 324, 5 6 =<br />

15625. Und noch mal. Und zur Sicherheit<br />

gleich noch mal.<br />

Wir hätten so viel Sinnvolleres tun<br />

können auf unserem Heimweg! Den<br />

Bildern der Bären nachhängen und<br />

Bonbons lutschen zum Beispiel. In dem<br />

Zauber verweilen, den jeder kennt, der<br />

aus dem Kinodunkel ins Licht tritt –<br />

als laufe man erwachend durch einen<br />

Traum. Aber noch nicht mal an einem<br />

Sonntag ist es mir gelungen, Dich das<br />

Kind sein zu lassen, das Du sein solltest<br />

mit zehn Jahren.<br />

Bitte mach mir diesen Mist nicht<br />

nach, wenn Du erwachsen bist, Marie!<br />

Du merkst schon: Der Brief, den<br />

ich Dir schreibe, ist eine verzwickte<br />

Angelegenheit. Du<br />

wirst ihn genau lesen müssen, damit Du<br />

alles verstehst. Und dass Du verstehst,<br />

ist wichtig: Denn es geht um Dein Leben<br />

und um das, was wir Erwachsenen<br />

daraus machen.<br />

Ich werde Dir von Schülern berichten,<br />

die krank werden vom dauernden<br />

Üben. Von Bildungsexperten, die Euch<br />

vorm Lernen warnen. Und von Eltern,<br />

die ihre Kinder trotzdem nicht in Ruhe<br />

lassen. Von Zeile zu Zeile werde ich wütender<br />

werden – weil ich wütend bin auf<br />

mich und auf ein Land, das Euch alle zu<br />

Strebern macht.<br />

Ich schreibe diesen Brief in der Zeitung,<br />

weil es noch 275.000 andere<br />

Fünftklässler in Deutschland gibt, die<br />

ein Gymnasium besuchen wie Du. Die<br />

gerade wie Du für die letzten Arbeiten<br />

vor den Zeugnissen büffeln. Und die wie<br />

Du trotzdem nur mit halbem Ohr diese<br />

rätselhaften Wörter hören: » Turbo-Abi«,<br />

»Schulzeitverkürzung«, »G8«.<br />

In diesem Brief, Marie, möchte ich<br />

Dir und Tausenden anderer Schulkinder<br />

etwas verraten. Es gibt da ein<br />

paar Geheimnisse, von denen Ihr nichts<br />

ahnt, denn jedes Kind nimmt die Welt<br />

ja erst einmal als gegeben hin.<br />

Stopp, das war zu kompliziert! Ich<br />

meine: Ein Kind hält sein Leben, so<br />

wie es ist, für ganz normal. Woher soll<br />

es wissen, dass alles auch anders sein<br />

könnte? Oder wie die Erwachsenen gelebt<br />

haben, als die noch klein waren?<br />

Dieses Hinnehmen ist schön, weil Ihr<br />

nicht so viel grübeln müsst: »Was wäre,<br />

wenn …?« Aber es macht Euch auch<br />

da fügsam, wo Auflehnung angebracht<br />

wäre.<br />

Du hast jeden Tag sieben Stunden<br />

Schule und weißt nicht, dass ich als<br />

Kind niemals täglich sieben Stunden<br />

hatte, in keinem einzigen Schuljahr.<br />

Dass ich nachmittags allenfalls vor dem<br />

Abitur so viel gelernt habe wie Du jetzt<br />

in der fünften Klasse, und niemals auf<br />

dem Weg ins Kino. Und dass ich heute<br />

manchmal so tue, als müsste ich noch<br />

arbeiten, wenn ich abends nach Hause<br />

komme und sehe, wie Du über Grammatik-Arbeitsblättern<br />

sitzt: Kreuze die<br />

richtigen Aussagen an! Der Genus ist<br />

das grammatische Geschlecht eines Nomens<br />

/ Nomen können im Singular und<br />

im Plural auftreten. Dies nennt man<br />

den Kasus des Nomens / Der Numerus<br />

»Wir Erwachsenen haben Euch ein Jahr Eurer Kindheit<br />

gestohlen. Aus Eile und Angst. Aber wer hat uns eingeredet,<br />

dass ein beschleunigtes Leben ein gelingendes Leben ist?«<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011<br />

3


Keine Zeit für Pädagogik?<br />

Henning Sußebach<br />

Henning Sußebach, 39, ist Vater zweier<br />

Kinder und Redakteur der Wochenzeitung<br />

DIE ZEIT. Sein offener Brief an die<br />

eigene Tochter erschien im Mai 2011<br />

und löste bundesweit Debatten um die<br />

gymnasiale Schulzeitverkürzung aus.<br />

Wir veröffentlichen eine vom Autor<br />

für unsere Zeitschrift leicht gekürzte<br />

Fassung.<br />

ist der Fall, in dem ein Nomen steht /<br />

Man kann Präpositionen steigern / Der<br />

bestimmte Artikel gibt im Nominativ<br />

Singular das grammatische Geschlecht<br />

eines Nomens an / Der Imperativ gehört<br />

zu den finiten Verbformen / Präsens wird<br />

benutzt, wenn man über etwas sagen<br />

kann: Es war gestern so, ist heute so und<br />

wird auch morgen so sein / Das Partizip I<br />

gehört zu den infiniten Verbformen /<br />

Verben kann man deklinieren. Ich hefte<br />

dann Rechnungen ab, schreibe E-Mails<br />

und sortiere Zeugs. Ich will nicht freihaben,<br />

solange Du noch arbeitest. Ist<br />

das nicht verrückt? Irgendjemand hat<br />

die Welt verdreht! Nur wer?<br />

Weißt Du: Das alles ist nicht einfach<br />

so passiert. Die freie Zeit ist nicht einfach<br />

so verschwunden. Wir Erwachsenen<br />

haben Euch ein Jahr Eurer Kindheit<br />

gestohlen. Aus Eile und Angst.<br />

Wie soll ich Dir das erklären?<br />

Ich versuche es mal so: Unser Leben<br />

ist voller Reichtum und Mangel zugleich.<br />

Es gibt so viel Essen, dass wir die<br />

Reste wegwerfen. Doch was uns fehlt,<br />

ist Zeit. Jedenfalls glauben wir das.<br />

Wir Erwachsenen schauen selten im<br />

Kühlschrank nach, ob noch Käse oder<br />

Wurst da ist – aber wir gucken ständig<br />

auf die Uhr. Wir klagen dauernd über<br />

»Stress« – doch wenn wir nichts zu tun<br />

haben, fühlen wir uns nutzlos. Wir sind<br />

genervt, wenn der Chef uns auch am<br />

Wochenende anruft – aber eifersüchtig,<br />

wenn ein anderer Kollege mehr Anrufe<br />

bekommt. Unsere Computer sind voller<br />

Updates und Reminder, unsere Köpfe<br />

können Wichtiges von Drängendem<br />

nicht mehr unterscheiden – und den<br />

Sonntag nicht vom Montag. Das ist die<br />

Hast, die ich meine. Deine Großeltern<br />

haben seit 40 Jahren dieselbe Telefonnummer,<br />

wir haben unsere seit Deiner<br />

Geburt zweimal gewechselt – und noch<br />

zwei Handynummern dazu gekriegt, damit<br />

wir immer erreichbar sind. Ein Brief<br />

war früher Tage unterwegs, eine Mail ist<br />

heute augenblicklich da. Die ganze Welt<br />

ist in einen Wettlauf geraten, den wir Erwachsenen<br />

»Globalisierung« nennen.<br />

Irgendwann haben wir Deutschen gemerkt,<br />

dass die Kinder in anderen Ländern<br />

noch schneller lernen als unsere.<br />

Dass sie in China früher damit anfangen<br />

und in Amerika früher damit aufhören.<br />

Und gleich arbeiten. Da hat uns<br />

die Angst gepackt. Wir haben uns nicht<br />

gefragt, ob es klug ist, zu lernen wie die<br />

Chinesen. Wir haben nur gedacht: Bevor<br />

die uns einholen, beeilen wir uns<br />

auch.<br />

Es gibt zu wenige Kinder und zu viele<br />

Alte.<br />

Schon 1993 (als uns die Chinesen<br />

noch egal waren und es keine<br />

Schulvergleiche gab) passierte es:<br />

Da empfahlen die Finanzminister aller<br />

deutschen Bundesländer, Euch ein<br />

Schuljahr wegzunehmen. Nicht die<br />

Kultus minister, die sich um die Schulen<br />

kümmern! Sondern die Politiker, die<br />

aufs Geld aufpassen, die Zahlen statt<br />

Menschen sehen und deshalb wissen:<br />

Jeder Gymnasiast kostet 5000 Euro im<br />

Jahr. Geld für die Lehrer, den Hausmeister,<br />

die Tafeln und Turnmatten. Allein<br />

an Dir und Deinen 27 Klassenkameraden<br />

konnten sie also 140.000 Euro<br />

sparen.<br />

Deshalb wurde Euch ein Jahr aus der<br />

Schulzeit gestrichen – aus dem Lernstoff<br />

aber strich man nur wenig. Ihr sollt auf<br />

dem Gymnasium in acht Jahren begreifen,<br />

wofür Eure Eltern noch neun Jahre<br />

Zeit hatten. Unseren Mangel an Zeit –<br />

wir haben ihn zu Eurem gemacht.<br />

Deshalb hast Du jetzt eine 40-Stunden-Woche<br />

voller Unterricht und Hausaufgaben.<br />

Deshalb telefonierst Du die<br />

halbe Klassenliste rauf und runter, bis<br />

Du jemanden zum Spielen findest. Alle<br />

sind beschäftigt.<br />

So kommt ein kleiner Raub an Freizeit<br />

und Freiheit zum anderen, jeder für<br />

sich kaum der Rede wert. Aber wenn<br />

man alle zusammenrechnet, in jeder<br />

Familie zwischen Nordsee und Alpen,<br />

kommt eine große Statistik der Überforderung<br />

dabei heraus: Ein Viertel aller<br />

Gymnasiastinnen klagt regelmäßig<br />

über Kopfweh, das hat die Krankenkasse<br />

DAK herausgefunden. Kinder sagen<br />

ihre Teilnahme an Geburtstagsfeiern ab.<br />

Sie treten aus Sportvereinen und Chören<br />

aus. In Schleswig-Holstein, unserem<br />

Bundesland, sind die Teilnehmerzahlen<br />

bei »Jugend forscht« eingebrochen, dabei<br />

wollte Deutschland doch möglichst<br />

schnell möglichst viele möglichst junge<br />

Ingenieure. In Baden-Württemberg hat<br />

sich die Zahl der Fünft- und Sechstklässler,<br />

die nachmittags in Nachhilfe-<br />

Instituten nachsitzen, fast verdreifacht.<br />

Sie haben plötzlich das Gefühl, nicht<br />

gut genug zu sein – obwohl sie gar nicht<br />

schlechter geworden sind! Drei Milliarden<br />

Euro investieren nervöse Eltern<br />

jedes Jahr in die Nachhilfe, 20 Prozent<br />

von ihnen mehr als 200 Euro im Monat.<br />

Das sind 2400 Euro im Jahr. Fast<br />

so viel, wie die Finanzminister an Euch<br />

gespart haben. Das macht den Reichen<br />

nichts aus, aber den Armen umso mehr.<br />

In Internetforen werden »Pillen fürs<br />

Abi« empfohlen: Ampakin – eigentlich<br />

für alte Leute mit Alzheimer – für mehr<br />

Gehirnleistung. Fluoxetin – eigentlich<br />

gegen Depressionen – für mehr Leistungsbereitschaft.<br />

Metroprolol – eigentlich<br />

gegen Bluthochdruck – für weniger<br />

Prüfungsangst. Und an Deinem Gymnasium<br />

hat eine »Wirtschaftspsychologin«<br />

uns Eltern vor einigen Tagen<br />

erklärt, woran wir bei Euch einen Burnout<br />

erkennen. Das bedeutet, dass manche<br />

Kinder jetzt schon ausgebrannt sind<br />

– wie überarbeitete Erwachsene.<br />

Ich habe einen Professor für Soziologie<br />

angerufen. Soziologen erforschen,<br />

warum die Gesellschaft so<br />

ist, wie sie ist. Warum wir so leben, wie<br />

wir leben. Der Professor heißt Hartmut<br />

Rosa und ist 45 Jahre alt, hat aber noch<br />

nicht vergessen, wie es ist, ein Kind zu<br />

sein. Deshalb hat er etwas geschafft, was<br />

Professoren selten schaffen: Er hat ein<br />

Buch geschrieben, das auch normale<br />

Menschen lesen können. Es heißt Beschleunigung<br />

und handelt von unserer<br />

täglichen Raserei.<br />

Hartmut Rosa sagt, er macht sich Sorgen,<br />

weil Eure Kindheit so »vernutzt«<br />

ist. Dass alles einen Zweck hat, einen<br />

Sinn erfüllen muss. Dass wir Euch so-<br />

4 GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011


Keine Zeit für Pädagogik?<br />

»Ein Kind soll im Jetzt leben<br />

und nicht dauernd<br />

ans Morgen denken.«<br />

gar dann, wenn wir Euch Gutes tun<br />

wollen, bloß wieder auf ein Leben als<br />

Erwachsene vorbereiten. »Es ist wichtig,<br />

körperlich fit zu sein und musikalisch,<br />

gesund zu essen, Freunde zu haben –<br />

und sich entspannen zu können!«, sagt<br />

er. Hartmut Rosa will, dass wir Erwachsenen<br />

Euch endlich in Ruhe lassen. Ein<br />

Kind soll im Jetzt leben und nicht dauernd<br />

ans Morgen denken. Ein Kind soll<br />

ganz bei sich sein dürfen, nicht für andere<br />

da sein müssen. Ein Kind soll die<br />

Muße haben, mit etwas zusammen zu<br />

wachsen. Das kann ein Baum sein, eine<br />

Straße, ein Fußballplatz, ein Tier.<br />

Vor allem fordert Hartmut Rosa: Ihr<br />

Kinder müsst Euch wieder langweilen<br />

dürfen. Denn irgendwann wird aus<br />

Langeweile Bewegung, ein Stromern<br />

und Streunen, das ziellos ist und doch<br />

an tausend Orte führt. Den schönsten<br />

Augenblicken der Kindheit geht die<br />

Langeweile voraus. Wer Langeweile<br />

hat, kommt auf die verrücktesten Ideen.<br />

»Die allermeisten Menschen würden im<br />

Rückblick doch sagen: Die endlos langen<br />

Sonntagnachmittage, an denen eigentlich<br />

nichts passierte, waren die Momente,<br />

in denen ich meine Seele spürte.<br />

In denen ich lernte, mich selber zu ertragen.«<br />

So sagt es Hartmut Rosa.<br />

Ganz sicher ist der Rückblick in die<br />

eigene Kindheit weichgezeichnet von<br />

Gefühlsduselei. Aber ich kann nur von<br />

meiner Kindheit erzählen: Ich bin groß<br />

geworden in einer Welt, in der es nicht<br />

pausenlos piepte und ploppte, niemand<br />

twitterte und livetickerte, in der Computer<br />

dick und braun waren wie Brotkästen<br />

und nur bei pickligen Stubenhockern<br />

in verdunkelten Kinderzimmern<br />

standen. Wenn ich mit jemandem spielen<br />

wollte, habe ich keine Klassenliste<br />

abtelefoniert, sondern beim Nachbarn<br />

geklingelt und gefragt: »Kommt der<br />

Christian raus?«<br />

Als Fünftklässler habe ich endlose<br />

Nachmittage in der festen Überzeugung<br />

verbracht, der berühmte Fußballspieler<br />

Karl-Heinz Rummenigge zu sein – auch<br />

wenn ich meinen Lederball nur gegen<br />

Garagentore gedroschen habe. Mal allein,<br />

mal mit Freunden, mal mit fremden<br />

Jungen aus fremden Vierteln, rauen<br />

Burschen mit rauer Sprache, Hauptschülern,<br />

die der Zufall in meine Straße<br />

geführt hatte. Ich habe mich auf aufregende<br />

Weise gelangweilt! Jeden Schritt,<br />

jeden Schuss kommentierte eine innere<br />

Reporterstimme: »Was für eine Körpertäuschung!<br />

Mit diesem Volleykracher<br />

sichert sich Kalle Rummenigge die Torjägerkanone!<br />

Inter Mailand hat hundert<br />

Millionen für ihn geboten!«<br />

Heute klingt das alles bescheuert,<br />

oder? Aber als Kind habe<br />

ich mir Baugenehmigungen<br />

für Luftschlösser erteilt. Wenn ich an<br />

früher denke, schlendere ich als Fußballgott<br />

und Tenniskönig durch gleißend<br />

helle Nachmittage. Ich habe<br />

immer Zeit. Und es ist immer Sommer.<br />

Ein größeres Kompliment kann<br />

die Erinnerung der Kindheit nicht<br />

machen.<br />

Wenn es regnete? Habe ich den Tropfenrennen<br />

am Fenster zugesehen oder<br />

die Holzvertäfelung neben meinem Bett<br />

angestarrt. So lange, bis sich aus der<br />

Maserung Berge erhoben und sich die<br />

Astlöcher in Vulkankrater verwandelten.<br />

Kennst Du das auch?<br />

Ich habe mal gerechnet: Du wirst in<br />

den Schulklassen fünf bis zwölf 1200<br />

Stunden mehr Schule haben, als ich es<br />

hatte. 1200 Schulstunden! 1200-mal 45<br />

Minuten. Das sind 600 Fußballspiele.<br />

Das ist die Zeit, in der ich Karl-Heinz<br />

Rummenigge und Boris Becker war. In<br />

der ich zum Golfplatz radelte und mit<br />

einem flinken Griff durch den Zaun<br />

eine Handvoll Bälle klaute, weil ich das<br />

für rebellisch hielt. In der ich mir ein<br />

Segelboot aus Holz baute, das dann leider<br />

auseinanderfiel. Erfahrung entsteht<br />

nur beim Gehen von Umwegen, heißt<br />

es. Ich hatte Zeit, um Zeit zu verschwenden!<br />

Mich zu irren. Fehler zu machen.<br />

In eine Sackgasse zu laufen und wieder<br />

zurückzugehen.<br />

Mach auch mal Fehler, Marie! Sachen,<br />

die wir Eltern für falsch halten.<br />

Du bist ja schon vernünftiger als wir:<br />

Als ich Dich neulich gefragt habe, ob<br />

ich mittwochs mal schwänzen soll, den<br />

Kollegen bei der Zeitung sagen, ich<br />

würde zu Hause arbeiten, in Wahrheit<br />

aber mit Dir schwimmen gehen, hast<br />

Du geantwortet: »Ich habe keine Zeit.<br />

Ich kann nur an Wochenenden.«<br />

An Deinen Lehrern liegt das kaum.<br />

Ihr habt in Klasse fünf jeweils sechs<br />

Stunden Englisch, Mathe und Deutsch<br />

pro Woche, damit Ihr in Klasse sechs<br />

nur mehr vier braucht – denn dann<br />

kommt ja noch Französisch oder Latein<br />

hinzu. Eure Klassenlehrerin hat<br />

sich drei statt zwei Stunden Musik erkämpft,<br />

in denen sie mit Euch singt und<br />

lacht. Deine Lehrer nennen das »Stunden<br />

zum Ausatmen«. Auch deshalb also<br />

habt Ihr so viel Unterricht.<br />

Warum sollten Lehrer Euch auch<br />

von der Schule fernhalten? Uns Eltern<br />

aber hat der Soziologe Hartmut Rosa<br />

Hausaufgaben aufgegeben: »Es muss<br />

Nachmittage geben, an denen nichts im<br />

Terminkalender steht. Oder an denen<br />

NICHTS! im Terminkalender steht.«<br />

Ich frage mich jetzt manchmal: Ist<br />

es Zufall, dass Dein Freundeskreis nur<br />

noch aus Klassenkameradinnen besteht?<br />

Oder liegt es daran, dass Ihr im<br />

selben Rhythmus lernt und lebt?<br />

Wie viel Platz wird Dir Dein Alltag<br />

für Liebeskummer lassen? Für die Pubertät?<br />

Für den Aufstand?<br />

Wird Dir jemals ein Lehrer erzählen,<br />

dass das Wort Schule aus dem Griechischen<br />

stammt und eigentlich »freie<br />

Zeit« bedeutet?<br />

Warum wird das Buch einer verkniffenen<br />

chinesisch-amerikanischen Mutter,<br />

die über das Drillen ihrer Töchter<br />

schreibt, in Deutschland ein Bestseller?<br />

Wieso beschäftigen wir uns ernsthaft<br />

mit dieser Frau, die ihren Töchtern<br />

droht, die Stofftiere zu verbrennen,<br />

wenn sie faul sind?<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011<br />

5


Keine Zeit für Pädagogik?<br />

Woher kommt unsere Globalisierungsangst?<br />

Die Jugendarbeitslosigkeit<br />

in Deutschland ist viel geringer als in<br />

Frankreich, Italien, Spanien. Unser<br />

Land ist klein, aber unsere Wirtschaft<br />

ist die viertgrößte der Welt. Wir verkaufen<br />

Autos, Windräder und Medikamente<br />

überallhin. Und sind all die Erfinder,<br />

Konzernchefs und Gewerkschaftsführer<br />

nicht dreizehn Jahre aufs Gymnasium<br />

gegangen?<br />

In wie vielen Familien kreisen die<br />

Gespräche nur noch um Schule? Hast<br />

Du die Vokabeln drauf? Bist Du fit für<br />

die Arbeit? Schreibe eine möglichst kleine<br />

Zahl auf, indem Du jedes der folgenden<br />

römischen Zahlzeichen genau einmal<br />

verwendest: M, C, I, X, V.<br />

Nicht dass Du mich falsch verstehst,<br />

Marie: Die Schule ist<br />

nicht fürs Kinderglück verantwortlich.<br />

Dafür sind wir Eltern zuständig.<br />

Und Schüler müssen nun mal lernen.<br />

Aber sie müssen auch Zeit haben<br />

für eigene Entdeckungen.<br />

Wir üben jetzt oft gemeinsam.<br />

Manchmal gibt es Krach, manchmal<br />

erleben wir innige Momente: dieses<br />

wärmende Glück, wenn wir beide wieder<br />

etwas begriffen haben, wenn die<br />

Erkenntnis durchbricht wie die Sonne<br />

nach drei Tagen Regen! Du hast gelernt,<br />

wie die Ägypter ihre Pyramiden<br />

bauten. Warum ein Londoner Vorort<br />

mit Namen Greenwich weltbekannt ist.<br />

Dass es am Horizont einen Fluchtpunkt<br />

gibt, auf den alle Linien zulaufen. Jede<br />

Schulstunde kann ein Geschenk sein.<br />

Und alles zusammen fügt sich zu einem<br />

»Schüler müssen nun mal lernen.<br />

Aber sie müssen auch Zeit haben<br />

für eigene Entdeckungen.«<br />

Schatz. Kostet es zu viel Kraft, zu viel<br />

Zeit, zu viel Leben, ihn zu heben?<br />

Euer Schuldirektor sagt: Nein. Das sei<br />

nur die übliche Sorge der Eltern, deren<br />

Kinder von der <strong>Grundschule</strong> aufs Gymnasium<br />

wechseln. Das größte Problem<br />

der Schulzeitverkürzung sei »mangelnde<br />

Akzeptanz«. Also Leute wie ich!<br />

Er sagt das aus einer privilegierten<br />

Position heraus, so wie ich diesen<br />

Brief aus einer bevorzugten Lebenslage<br />

schreibe: Dein Direktor leitet ein<br />

Vorstadtgymnasium in einer besseren<br />

Gegend. In Eurer Schulkantine servieren<br />

»Kochmütter« das Mittagessen. Es<br />

gibt aber auch Frauen, die bis abends<br />

arbeiten möchten (Du später vielleicht<br />

auch!). Alleinerziehende Eltern, die das<br />

müssen. Und Väter und Mütter, die keine<br />

Lust haben, mit ihren Kindern zu<br />

lernen, die gibt es auch.<br />

Was wird aus diesen Schülern?<br />

»Die Übungsphasen, die dazu da<br />

sind, Stoff zu vertiefen, sind nach Hause<br />

verlagert worden. Kinder, die niemanden<br />

haben, der ihnen bei den Hausaufgaben<br />

hilft, kommen schlecht weg«, sagt<br />

Heinz-Peter Meidinger. Er ist Vorsitzender<br />

des Deutschen Philologenverbandes.<br />

Das ist ein Zusammenschluss von<br />

Lehrern, die an Gymnasien arbeiten.<br />

Ich habe im schleswig-holsteinischen<br />

Bildungsministerium nachgefragt: Der<br />

Anteil der Schüler, die nach der sechsten<br />

Klasse die Gymnasien verlassen müssen,<br />

hat sich verdreifacht. In Bayern macht<br />

die erste G-8-Generation gerade Abitur<br />

– seit der fünften Klasse sind dort<br />

31 Prozent aller Schüler auf der Strecke<br />

geblieben. Bei G9 waren es 22 Prozent.<br />

Diese Kinder wurden »abgeschult«, so<br />

nennt man das in den Statistiken.<br />

Es klingt fast weltfremd, wenn die<br />

Kirche gegen dieses eiskalte Wort protestiert<br />

und daran erinnert, dass »jeder<br />

Mensch mit reichen und vielseitigen<br />

Anlagen beschenkt« sei. Bildung müsse<br />

auch die »Kräfte der Fantasie, der Liebe,<br />

des seelischen Erlebens und des moralischen<br />

Wertens« wecken.<br />

Der Pädagoge Andreas Gruschka<br />

sagt: »Es kommt nicht mehr Saft aus<br />

einer Zitrone, wenn man mehr presst.«<br />

Gruschka selber ist zweimal sitzen geblieben<br />

und trotzdem Professor geworden.<br />

An der Goethe-Universität in<br />

Frankfurt am Main erforscht er, wie<br />

Lehrer unterrichten und wie Kinder<br />

lernen. Er meint: Ihr paukt zwar viel,<br />

aber Ihr habt nicht viel davon. Euch<br />

fehlt die Zeit, wirklich zu kapieren, was<br />

die Lehrer Euch erzählen. Und darüber<br />

eine eigene Meinung zu bilden. Er sagt:<br />

»Die Kinder heute lernen Organisation<br />

und Präsentation.« Referate, Wochenpläne<br />

– er hält das alles für eine Vorbereitung<br />

auf ein kritikloses Büroleben, in<br />

dem der Chef in der Tür steht und sagt:<br />

»Frau Müller, stellen Sie mir bis Freitag<br />

bitte alles über die indischen Märkte<br />

zusammen!«<br />

G8 habe »für 25 bis 30 Prozent der<br />

Gymnasiasten mehr gebracht – für die<br />

anderen wäre G9 vorteilhafter gewesen«,<br />

sagt der Münchner Bildungsforscher<br />

Kurt Heller, ein Pädagoge und Psychologe.<br />

Das ist besonders interessant, weil<br />

niemand in Deutschland so gründlich<br />

zu dem Thema geforscht hat wie er: In<br />

den neunziger Jahren hat Heller in ein<br />

paar baden-württembergischen Gymnasien<br />

G8 ausprobiert – mit durchschnittlich<br />

16 Schülern pro Klasse. Am<br />

Ende empfahl er: Es sollte G8-Schulen<br />

und G9-Schulen geben. Aber dann, sagt<br />

Heller heute, habe die Politik überall das<br />

Turbo-Abi eingeführt. Der Professor hat<br />

sehr frustriert geklungen, als er mir gesagt<br />

hat: »Ist leider so gelaufen.«<br />

Philologen und Psychologen, Pädagogen<br />

und Prozente – wie schnell<br />

wird der Streit um Eure Schulzeit<br />

abstrakt und entfernt sich wieder aus<br />

der Wahrnehmung der Kinder. Und<br />

weg von tausend kleinen Lebenswirklichkeiten.<br />

Es gibt einen Arzt in Bremen, der<br />

heißt Stefan Trapp und hat vor drei<br />

Jahren einen Brief an die Bildungssenatorin<br />

seiner Stadt geschrieben. Darin<br />

steht: »Als niedergelassener Kinderund<br />

Jugendarzt wie auch als betroffener<br />

Vater erlebe ich die Folgen der Verkürzung<br />

des Gymnasiums auf acht Jahre<br />

täglich in Praxis und Familie.« Seine<br />

Patienten zeigten Symptome, die sonst<br />

bei gestressten Managern auftreten.<br />

Kopfschmerzen und Erschöpfungszustände,<br />

auch Traurigkeit und Angst.<br />

Die Senatorin hat ihm bis heute nicht<br />

geantwortet. Aber weil Trapp in seiner<br />

Stadt ein bekannter Mann ist und den<br />

Bremer Berufsverband der Kinder- und<br />

6 GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011


Keine Zeit für Pädagogik?<br />

Jugendärzte leitet, hat eine Zeitung seinen<br />

Brief abgedruckt.<br />

Trapp ist noch jung. Er trinkt Cola<br />

und isst gerne Kuchen, obwohl das nicht<br />

gesund ist. Er ist ein fröhlicher Arzt, solange<br />

er nicht von den müden Mädchen<br />

und Jungen in seinem Sprechzimmer<br />

erzählt. Er sagt: »Früher hatten Kinder<br />

Kopfschmerzen, weil sie eine Brille<br />

brauchten. Heute, weil sie beim Gedanken<br />

an die Schule mittlerweile die<br />

Gefahr des Scheiterns mitdenken.« Er<br />

behandelt Schüler mit Schlafstörungen<br />

und Depressionen. Das sind Krankheiten,<br />

die früher bloß Erwachsene bekamen,<br />

die richtig Pech hatten. »Die Rolle<br />

des Gymnasiasten als Sorgenkind ist<br />

neu«, sagt Trapp. Gymnasiasten sind<br />

seltener dick, essen meist gesünder und<br />

prügeln sich kaum. »Aber die Schulzeit<br />

ähnelt immer mehr einer anspruchsvollen<br />

Bürotätigkeit – kein Wunder, dass<br />

sich auch die Krankheitsbilder ähneln.«<br />

Wie sollen Jugendliche mit Anforderungen<br />

fertigwerden, an denen Erwachsene<br />

scheitern? Zumal sie dauernd beobachtet<br />

und benotet werden. Alle sind unzufrieden:<br />

Schüler, Eltern und Lehrer. Alle<br />

haben Stress. Und in diesem Gezerre<br />

sind die Kinder die Schwächsten.<br />

Warum schützen wir die<br />

Schwächsten nicht mehr?<br />

Auch nicht die Aufmüpfigen,<br />

die Sperrigen, die unser Tempo bremsen?<br />

Ich sage Dir, Marie: weil wir Erwachsenen<br />

die wahren Streber sind! Weil wir<br />

zu feige sind, mal richtig wütend, richtig<br />

sperrig, richtig uncool zu sein.<br />

Vor einigen Monaten hat der neue<br />

Bildungsminister in unserem Bundesland<br />

alle Gymnasien abstimmen lassen,<br />

ob sie das neunte Schuljahr zurückhaben<br />

wollen. Die Lehrer Deiner Schule<br />

haben sich entschieden, bei G8 zu bleiben.<br />

Einstimmig, sagt der Direktor. Ich<br />

kann mir vorstellen, dass viele aus Stolz<br />

auf ihre eigenen Ideen so entschieden<br />

haben. Manche aus Erschöpfung nach<br />

all den Konferenzen. Andere, weil sie<br />

finden, dass nicht nach jeder Landtagswahl<br />

alles geändert werden sollte, dass<br />

zu viele Rollen rückwärts schwindlig<br />

machen. Und einige vielleicht auch aus<br />

Respekt vor dem Direktor.<br />

In Bremen fragt der Kinderarzt Stefan<br />

Trapp die Schüler in seiner Praxis:<br />

Warum kommst du zu mir? Was<br />

machst du in deiner Freizeit? Was tust<br />

du gern? Was würdest du gern tun?<br />

»Wenn Du Geburtstag feierst und Deine Klassenkameradinnen<br />

kommen, wundere ich mich: Wo sind die Querköpfe, die Nervensägen,<br />

die Rotznasen?«<br />

Wann fühlst du dich wohl? Wenn die<br />

Antwort lautet: Ich war das letzte Mal<br />

in den Ferien froh, dann ist das ein<br />

Problem. Auch für ihn. Ein Arzt will<br />

heilen, nicht nur herumdoktern. Mit<br />

Scharlach oder Läusen ist Trapp immer<br />

fertiggeworden, aber wie kann er einem<br />

mutlosen Kind helfen? »Wenn jemand<br />

krank wird durch die Schule, ist eine<br />

Therapie, eine ursächliche Therapie,<br />

nicht möglich«, sagt Trapp. Unsere Gesellschaft<br />

ist dringend auf jedes einzelne<br />

Kind angewiesen – aber es wird so<br />

getan, als ginge es immer nur um die<br />

Stärksten und Schlausten. Als könnten<br />

wir auf alle anderen Kinder verzichten.<br />

Weißt Du, was passiert ist, als eine<br />

Mutter eine Lehrerin Eurer Schule gefragt<br />

hat, ob sie nicht zu schnell zu viel<br />

von Euch verlangt? Da hat die – eine<br />

junge Frau – kühl geantwortet: »Sicher<br />

ist dieses Lernen nicht für alle geeignet.«<br />

Und Klassenarbeiten seien dazu da,<br />

»zu überprüfen, ob die Kinder auf dem<br />

Gymnasium Schritt halten können«.<br />

Weißt Du, was das bedeutet, Marie?<br />

Ich werde es Dir erklären: Es bedeutet,<br />

Klassenarbeiten sollen nicht nur<br />

helfen, herauszufinden, welcher Schüler<br />

wo Schwächen hat – um dafür zu sorgen,<br />

dass es beim nächsten Mal besser<br />

klappt. Nein: Sie sollen auch helfen, die<br />

Schwächsten zu finden und auszusortieren.<br />

Deine Lehrerin hat nicht gesagt,<br />

es gehe ihr darum, alles zu tun, »damit«<br />

Kinder Schritt halten können. Sondern<br />

zu prüfen, »ob«.<br />

Meine Lehrer hätten so etwas nie gesagt,<br />

selbst wenn sie heimlich so dachten.<br />

Du wirst das verrückt finden, Marie: Als<br />

vor 25 Jahren in der Ukraine ein Atomkraftwerk<br />

explodierte, schickten meine<br />

Lehrer uns zum Demonstrieren! Als vor<br />

20 Jahren in Kuwait ein Krieg losbrach,<br />

ließ mein Mathelehrer uns aus Protest<br />

nicht mit Äpfeln und Birnen rechnen,<br />

sondern in der Recheneinheit »Leichensäcke«.<br />

Das hört sich ziemlich grotesk<br />

an, was? Einige meiner Lehrer sprachen<br />

im Unterricht voller Pathos, wie ein Pastor<br />

in der Sonntagspredigt. Aber es ging<br />

ihnen darum, uns mitzureißen. Uns zu<br />

gewinnen. Wenn auch nur für ihre eigenen<br />

Träume von einer besseren Welt.<br />

Und jetzt? Spricht diese Lehrerin<br />

wie die Jurypräsidentin einer gigantischen<br />

Castingshow – in der nicht Werbeverträge<br />

vergeben werden, sondern<br />

Lebenschancen. Und zwar nur an die<br />

Passgenauen.<br />

Das macht mich wütend. Sie hat G8<br />

zwar nicht erfunden – aber sie hat sich<br />

damit abgefunden. Mindestens das. Andererseits<br />

gibt sie nur den Druck weiter,<br />

den andere aufgebaut haben. Und zu<br />

diesen anderen gehöre – ich. Die Versuchung,<br />

mit Dir auf die Jagd nach immer<br />

besseren Noten zu gehen, ist so groß.<br />

Wenn Du Geburtstag feierst und<br />

Deine Klassenkameradinnen kommen,<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011<br />

7


Pädagogik im Zeitalter der Beschleunigung<br />

»Wir haben Eure Lebensläufe<br />

begradigt wie die Flüsse.«<br />

freue ich mich über all die wohlerzogenen<br />

Kinder, die den ganzen Tag keine<br />

Mühe machen – aber ich wundere mich<br />

auch. Wo sind die Querköpfe, die Nervensägen,<br />

die Rotznasen? Wer hat sie<br />

aussortiert?<br />

Vor fünf Jahren hat ein Kollege in<br />

dieser Zeitung geschrieben, er finde<br />

die verkürzte Schulzeit gut, denn es sei<br />

noch »Luft im System«. Schon möglich.<br />

Aber ist Luft schlecht? Ist sie nicht<br />

zum Atmen da? Und lernt, wer atmen<br />

darf, nicht sogar mehr? Oder jedenfalls<br />

lieber?<br />

Das Gerede von der »Luft im System«<br />

ist gefährlich, Marie. Man kann so lange<br />

sagen, es sei »Luft im System«, bis<br />

keine mehr da ist.<br />

Wir haben Euer Leben den<br />

Regeln der Wirtschaft unterworfen:<br />

In einem Motor<br />

kann Luft schaden, in einem Windkanal<br />

ist Druck sinnvoll. Aber wer hat<br />

uns eingeredet, dass ein beschleunigtes<br />

Leben ein gelingendes Leben ist? Wenn<br />

ich sehe, wie Manager auf Flughäfen<br />

und in ICE-Abteilen ihre iPhones und<br />

BlackBerrys anstarren, auf eingehende<br />

Mails so angewiesen wie Junkies auf<br />

Rauschgift, und wenn ich höre, wie sie<br />

endlos von »Quartalszahlen«, »Jahresabschlüssen«<br />

und der Marktforschung<br />

faseln, die sie nur noch »Mafo« nennen,<br />

wie sie von Hamburg nach München<br />

fahren, ohne dabei auch nur einen<br />

einzigen eigenen Gedanken zu äußern<br />

– dann glaube ich, wir sollten uns kein<br />

Beispiel an ihnen nehmen.<br />

Es wäre schön, wenn Ihr später nicht<br />

nur Zahlen lesen könntet. Sondern auch<br />

die Menschen hinter den Zahlen erkennen<br />

würdet. Wenn Bildung hieße:<br />

mit Wissen vernünftig umgehen. Der<br />

Schriftsteller Erich Kästner, von dem<br />

Du Das doppelte Lottchen kennst, hat<br />

das viel schöner gesagt: »Der Mensch<br />

soll lernen, nur die Ochsen büffeln.«<br />

Wir haben Eure Lebensläufe begradigt<br />

wie die Flüsse. Wo wir noch mäandern<br />

konnten, uns treiben ließen, rauscht Ihr<br />

geradeaus durch. Es wäre schade, wenn<br />

dabei alles an Euch glatt geschliffen<br />

würde, wenn von Eurer Persönlichkeit<br />

nicht mehr viel übrig bliebe. Das hört<br />

sich sehr hässlich an, Marie, aber: Ich<br />

habe nicht nur Mitleid mit Euch als Kindern.<br />

Ich habe auch ein bisschen Angst<br />

vor Euch als Erwachsenen.<br />

Wenn Du Abitur machst, wirst Du 17<br />

sein. Mit 17 lassen wir Euch nicht alleine<br />

Auto fahren und keine Mietverträge<br />

unterschreiben. Wenn Du Pech hast,<br />

musst Du Dich für ein Leben als Lehrerin,<br />

als Mathematikerin, als Managerin<br />

entscheiden, bevor Du überhaupt weißt,<br />

was Du kannst, was Du willst, wer Du<br />

bist. Falls Du dann ein eiliges Bachelorstudium<br />

durchhastest, wirst Du mit<br />

20 die Universität verlassen. Worauf<br />

haben wir uns da nur eingelassen? Wollen<br />

wir, dass unsere Enkel von 21-jährigen<br />

Lehrern unterrichtet werden, die<br />

kaum mehr von der Welt gesehen haben<br />

als Legehennen? Wollen wir uns von<br />

22-jährigen Bankern mit Geradeausbiografien<br />

betreuen lassen? Uns von<br />

23-jährigen Unternehmensberatern begutachten<br />

lassen?<br />

Wenn Dich Deine Lehrer, unsere<br />

Nachbarn oder die Eltern Deiner Freundinnen<br />

jetzt fragen, warum Dein Vater<br />

so aufgebracht ist, dann musst Du wissen:<br />

Es liegt nicht an Dir. Wer glaubt,<br />

ich schreibe hier gegen schlechte Noten<br />

an, der hat nichts begriffen. Deine Zensuren<br />

sind gut. Ich bin zornig, weil wir<br />

Eure Kinderzimmer zu Büros gemacht<br />

haben, Eure Schreibtische zu Werkbänken,<br />

Eure Köpfe zu Lagerhallen.<br />

Wenn sie Dir sagen, es ist doch nur<br />

das eine Jahr, dann antworte ihnen, es<br />

geht um Millionen beschleunigter Leben.<br />

Natürlich frage ich mich: Ist eine<br />

Sache nicht nur dann schlimm,<br />

wenn Du, Marie, sie selber<br />

schlimm findest?<br />

Aber Du sollst ruhig wissen, warum<br />

wir auf dem Weg ins Kino 17², 5 6 und 2 8<br />

gelernt haben.<br />

Du sollst wissen, warum ich Dich<br />

manchmal dressiere wie ein Dompteur<br />

sein Zirkuspferd – und mir dann wieder<br />

auf die Lippen beiße, statt nach der<br />

Schule zu fragen.<br />

Du sollst wissen, dass Du mehr bist<br />

als die Summe deiner Leistungen.<br />

Du sollst wissen, warum es manche<br />

Deiner Freundinnen nicht schaffen<br />

werden, warum ihre Stühle irgendwann<br />

leer bleiben werden.<br />

Du sollst wissen, dass Depression<br />

keine Kinderkrankheit ist.<br />

Du sollst wissen, dass die Schulzeit<br />

mehr sein sollte als ein Trainingslager<br />

fürs Berufsleben.<br />

Du sollst wissen, dass die Gesellschaft<br />

an denen wächst, die sie infrage stellen.<br />

Und Du sollst wissen, dass ich Dir<br />

das gestohlene Jahr zurückgeben möchte.<br />

An jedem Tag, an jedem Wochenende<br />

– und nach dem Abitur. Am besten<br />

kein Auslandsstudium. Kein Sommerseminar.<br />

Sondern einfach eine Reise<br />

ohne Weg und ohne Ziel. Denn wenn<br />

Du Deine Seele bis dahin nicht in einem<br />

Klassenzimmer gefunden hast,<br />

wirst Du sie auch in einem Hörsaal<br />

nicht finden. Aber vielleicht tief in einem<br />

finnischen Wald, mitten in einem<br />

äthiopischen Dorf oder auf der Sitzbank<br />

eines amerikanischen Überlandbusses.<br />

Irgendwo, irgendwann, wenn Du es<br />

nicht erwartest.<br />

Und ich hoffe, dass Du mich dann,<br />

wenn es losgehen soll, nicht mitleidig<br />

anschaust und sagst: »Das ist doch reine<br />

Zeitverschwendung.«<br />

Dein Papa<br />

8 GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011


Frühe Aussonderung oder inklusive Schule?<br />

Brigitte Schumann<br />

Kinder mit »Lernbehinderung« – die<br />

Parias des deutschen Bildungssystems<br />

Unter den rund 400 000 Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen oder<br />

– wie man offiziell inzwischen sagt – mit sonderpädagogischem Förderbedarf<br />

stellen die Kinder und Jugendlichen mit einer sogenannten Lernbehinderung<br />

die größte Gruppe in Deutschland dar. Die allermeisten der 180 000 »Lernbehinderten«<br />

sind vom Besuch der allgemeinen Schule ausgeschlossen und müssen<br />

in Sonderschulen lernen. Sie sind eine deutsche Spezies, denn im Ausland<br />

ist es unüblich, Kinder und Jugendliche mit schulischen Lernproblemen als »behindert«<br />

abzustempeln und von den Gleichaltrigen zu separieren.<br />

Von der Zufälligkeit der<br />

Diagnose »Lernbehinderung«<br />

Ihr Anteil an den Vollzeitschulpflichtigen<br />

variiert von Bundesland zu Bundesland.<br />

1,9 % beträgt er in Bayern, 5,7 %<br />

in Mecklenburg-Vorpommern. Dort ist<br />

das Risiko, eine »Lernbehinderung« attestiert<br />

zu bekommen, doppelt so groß<br />

wie im Bund. Diese auffälligen regionalen<br />

Unterschiede lassen sich nicht<br />

mit den individuellen Fähigkeiten der<br />

Schülerinnen und Schüler erklären.<br />

Hier zeigt sich, dass die immer noch<br />

verwendete IQ-Messung und das ermittelte<br />

Leistungsniveau nur scheinbar<br />

objektive Kriterien für die Diagnose<br />

der »Lernbehinderung« und für die folgenreiche<br />

Zuweisung zur Sonderschule<br />

sind. Tatsächlich erfolgt die Diagnose<br />

in Abhängigkeit von zahlreichen anderen<br />

Faktoren. Dazu gehören u. a. die<br />

vorhandenen Bildungsstrukturen und<br />

Bildungsangebote, die Regelungen für<br />

die Selektionspraxis, die institutionellen<br />

Entscheidungsgewohnheiten und<br />

die Einstellungen des pädagogischen<br />

Personals.<br />

Zum Beispiel konnte wissenschaftlich<br />

nachgewiesen werden, dass Grundschullehrerinnen<br />

und -lehrer, die von<br />

der Richtigkeit der leistungs- und begabungsgerechten<br />

Aufteilung der Kinder<br />

nach der Grundschulzeit überzeugt<br />

sind, in der Regel auch eher die Bereitschaft<br />

zeigen, Kinder mit Lernproblemen<br />

überprüfen zu lassen und an die<br />

Sonderschule abzugeben. Bei der Einführung<br />

des Gemeinsamen Unterrichts<br />

für Kinder mit und ohne Behinderungen<br />

zeigte sich, dass mit der Integrationsquote<br />

auch die Sonderschulquote<br />

anstieg. Auch hier bestätigte sich, dass<br />

Systeme der Logik folgen, sich selbst zu<br />

erhalten. Mit anderen Worten: Solange<br />

es Sonderschulen für »Lernbehinderte«<br />

in erreichbarer Nähe gibt, wird es auch<br />

»Lernbehinderte« geben.<br />

»Lernbehinderung« und Armut<br />

Mag die Diagnostik noch so unzuverlässig<br />

sein, auf eine Sache kann man<br />

sich stets verlassen: »Lernbehinderte«<br />

sind immer extrem benachteiligte Kinder<br />

aus unterprivilegierten Milieus.<br />

Die Sonderschule für »Lernbehinderte«<br />

– hervorgegangen aus der »Hilfsschule«<br />

für die Kinder des Proletariats im<br />

19. Jahrhundert und heute in »Förderschule«<br />

umbenannt – ist und bleibt eine<br />

»Schule für die Armen«.<br />

Ca. 90 % der Schülerinnen und Schüler<br />

haben einen Armutshintergrund,<br />

Dr. Brigitte Schumann<br />

war Lehrerin und Bildungspolitikerin<br />

im Landtag von NRW. Heute arbeitet<br />

sie als freie Bildungsjournalistin.<br />

Sie ist Autorin von »Ich schäme mich<br />

ja so!« Die Sonderschule für Lernbehinderte<br />

als Schonraumfalle<br />

(Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2007).<br />

der sich häufig mit einer Migrationsgeschichte<br />

verbindet. Hier zeigt sich die<br />

soziale Selektivität unseres Schulsystems<br />

in völlig unverhohlener Weise in<br />

ihrer schrecklichsten Ausprägung. Auf<br />

diesen skandalösen Sachverhalt weist<br />

Hans Wocken, Forscher für Integrations-<br />

und Lernbehindertenpädagogik,<br />

hin, wenn er in seinen Vorträgen vorschlägt,<br />

zur sicheren Feststellung einer<br />

»Lernbehinderung« anstelle der Intelligenztests<br />

den Zollstock zu benutzen,<br />

um damit den Bücherbestand in der<br />

Familie auszumessen.<br />

Die in allen PISA-Untersuchungen<br />

festgestellte enge Kopplung zwischen<br />

Herkunft und Bildungserfolg in<br />

Deutschland würde noch enger ausfallen,<br />

wenn man auch die Sonderschule<br />

für »Lernbehinderte« in die Überprüfung<br />

vollständig einbeziehen würde.<br />

Aber die Bildungspolitik entzieht sie<br />

bewusst dem kritischen PISA-Blick.<br />

Das Bildungssystem als<br />

Produzent von »Lernbehinderung«<br />

Allgemein ist man sich darin einig,<br />

dass der frühkindlichen Bildung die<br />

allergrößte Bedeutung für die spätere<br />

Entwicklung zukommt und Bildungsinvestitionen<br />

in diese Phase die größte<br />

»Rendite« bringen. Dennoch ist die<br />

Frühförderung in Deutschland immer<br />

noch erheblich unterfinanziert und erreicht<br />

nicht gezielt die Kinder, die in<br />

besonderer Weise auf Unterstützung<br />

angewiesen sind. Schon vor der Einschulung<br />

weisen benachteiligte Kinder<br />

gravierende Entwicklungsunterschiede<br />

gegenüber gleichaltrigen Kindern aus<br />

einem privilegierten, bildungsnahen<br />

Umfeld auf.<br />

Auch für die <strong>Grundschule</strong> gilt, dass<br />

sie unterfinanziert ist und die Bildungsausgaben<br />

für Grundschulkinder deutlich<br />

unter dem OECD-Durchschnitt<br />

liegen. Sie hat zwar den Auftrag, individuell<br />

zu fördern, ist aber für die besondere<br />

Förderung oftmals multipel<br />

deprivierter Kinder unzureichend aus-<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011<br />

9


Frühe Aussonderung oder inklusive Schule?<br />

gestattet und vorbereitet. Für die Kinder<br />

mit Deutsch als Zweitsprache fehlt es<br />

meist an durchgängig verankerten interkulturellen<br />

Sprachförderkonzepten.<br />

Obendrein wirkt sich bei Kindern in<br />

benachteiligten Lebenslagen der extrem<br />

frühe Zeitpunkt der Erstselektion in<br />

unserem sozial selektiven Schulsystem<br />

besonders ungünstig aus und verstärkt<br />

den negativen Zusammenhang von Sozialschicht<br />

und Bildungserfolg.<br />

Sonderschule als »Schonraum«<br />

und »Bildungskeller«<br />

Schülerinnen und Schüler der Sonderschule<br />

für »Lernbehinderte« lernen<br />

abgeschottet von anderen sozialen und<br />

kulturellen Milieus. Sie lernen in einer<br />

weitaus anregungsärmeren Umgebung<br />

als Schülerinnen und Schüler der<br />

Hauptschule. Die herkunftsbedingten<br />

Nachteile für den Bildungserwerb werden<br />

so institutionell verstärkt. Dies<br />

macht die doppelte Benachteiligung<br />

von »Lernbehinderten« aus. Bildungsarmut<br />

und Perspektivlosigkeit sind die<br />

Folgen. Die meisten Schulabbrecher gehen<br />

nicht auf das Konto der Hauptschule,<br />

sondern kommen aus der Sonderschule,<br />

wie der Bildungsforscher Klaus<br />

Klemm nachgewiesen hat.<br />

Tabelle 2.7: Anteile der Abgänger ohne Hauptschulabschluss aus Förderschulen<br />

in Prozent aller Abgänger ohne Hauptschulabschluss im<br />

Bundesländervergleich (2009/10)<br />

Land<br />

Abgänger ohne Hauptschulabschluss<br />

insgesamt darunter aus Förderschulen<br />

absolut prozentual<br />

Baden-Württemberg 6.789 4.276 63,0<br />

Bayern 8.187 4.405 53,8<br />

Berlin 2.777 879 31,7<br />

Brandenburg 1.938 1.225 63,2<br />

Bremen 463 283 61,1<br />

Hamburg 1.213 610 50,3<br />

Hessen 4.464 2.344 52,5<br />

Mecklenburg-Vorpommern 1.617 1.078 66,7<br />

Niedersachsen 5.556 3.183 57,3<br />

Nordrhein-Westfalen 13.392 7.383 55,1<br />

Rheinland-Pfalz 3.076 1.762 57,3<br />

Saarland 710 377 53,1<br />

Sachsen 2.690 1.834 68,2<br />

Sachsen-Anhalt* 1.982 1.421 71,7<br />

Schleswig-Holstein 2.225 1.284 57,7<br />

Thüringen 1.275 881 69,1<br />

Deutschland 58.354 33.225 56,9<br />

Quelle: Statistisches Bundesamt: Fachserie 11 - Reihe 1 - Allgemeinbildende Schulen 2009/10<br />

Zwar kann sich die Sonderschule zugute<br />

halten, dass sie wegen der geringen<br />

Leistungsanforderungen und der individuellen<br />

sonderpädagogischen Unterstützung<br />

Entlastungen und Wohlfühleffekte<br />

für ihre Schülerinnen und<br />

Schüler schafft. Deren Alltagsverhalten<br />

wird jedoch weitgehend von der Scham<br />

über den Sonderschulbesuch bestimmt.<br />

Sonderschülerinnen und -schüler bemühen<br />

sich deshalb in aller Regel, ihren<br />

niedrigen sozialen Schülerstatus zu<br />

verheimlichen bzw. zu verleugnen. Sie<br />

können unter diesen Bedingungen kein<br />

wirklich belastbares positives Selbstbild<br />

entwickeln. Damit fehlt ihnen auch<br />

eine wesentliche Voraussetzung für die<br />

Erfahrung von Lernfreude, Anstrengungsbereitschaft<br />

und Selbstwirksamkeit.<br />

Während die Bildungspolitik sich<br />

über die Zukunft der Schülerinnen und<br />

Schüler in der Hauptschule besorgt<br />

zeigt, bleibt das Elend der »Lernbehinderten«<br />

unbeachtet. Während die Politik<br />

zugunsten der Hauptschülerinnen<br />

und Hauptschüler in fast allen Bundesländern<br />

schulstrukturelle Veränderungen<br />

in Angriff genommen hat oder<br />

nehmen will, um sie aus dem Schulgetto<br />

herauszuführen, soll die Sonderschule<br />

für die »Lernbehinderten« in allen Bundesländern<br />

mit Ausnahme von Bremen<br />

als Wahlmöglichkeit erhalten bleiben.<br />

Seit Jahrzehnten weisen empirische<br />

Studien übereinstimmend nach, dass es<br />

keine pädagogische und gesellschaftliche<br />

Legitimation für die Sonderschule<br />

gibt. Schon in den 1970er Jahren forderte<br />

deshalb der Deutsche Bildungsrat<br />

ihre Auflösung und die Integration<br />

dieser Kinder. Ihren bisherigen Erhalt<br />

verdankt die Sonderschule offensichtlich<br />

ihrer negativen Funktionalität als<br />

»Entlastungsschule« für das gegliederte<br />

Schulsystem. Sie ist als Schule für sozial<br />

randständige Kinder mindestens so fest<br />

verankert in den Köpfen wie das Gymnasium<br />

als »höhere Schule«.<br />

Von der Exklusion zur Inklusion<br />

Die UN-Konvention über die Rechte<br />

von Menschen mit Behinderungen<br />

verpflichtet die Bundesländer darauf,<br />

das individuelle Recht des Kindes mit<br />

Behinderung auf inklusive Bildung in<br />

der allgemeinen Schule anzuerkennen<br />

und ein inklusives Schulsystem zu entwickeln.<br />

Wie die ersten Schritte dazu<br />

aussehen könnten, haben die Wissenschaftler<br />

Klemm und Preuss-Lausitz in<br />

einem Gutachten für Bremen und <strong>aktuell</strong><br />

auch für NRW dargestellt.<br />

Dem nordrhein-westfälischen Schulministerium<br />

wird vorgeschlagen, dass<br />

bis zum Ende des Jahrzehnts alle Schülerinnen<br />

und Schüler mit den Förderschwerpunkten<br />

Lernen, Emotionale<br />

und soziale Entwicklung und Sprache<br />

(LES) zu 100 % inklusiv unterrichtet<br />

werden. Das zügige Auslaufen dieser<br />

Sonderschulen begründen die Gutachter<br />

mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen<br />

über die lernschädlichen Effekte<br />

der Separierung besonders benachteiligter<br />

Kinder und Jugendlicher.<br />

Dafür ist es notwendig, dass ab<br />

2012/2013 umgesteuert wird. Die Sonderschulen<br />

für LES nehmen keine<br />

Kinder mehr auf, sondern laufen jahrgangsweise<br />

aus. Die freiwerdenden son-<br />

Tabellen aus dem Gutachten<br />

»Auf dem Weg zur schulischen Inklusion«<br />

von Klaus Klemm und Ulf Preuß-Lausitz (Juni 2011).<br />

Das Gutachten ist im Internet veröffentlicht:<br />

www.schulministerium.nrw.de/BP/Inklusion_<br />

Gemeinsames_Lernen/Gutachten__Auf_dem_Weg_<br />

zur_Inklusion_/NRW_Inklusionskonzept_2011__–_<br />

neue_Version_08_07_11.pdf<br />

10 GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011


Frühe Aussonderung oder inklusive Schule?<br />

derpädagogischen Stellen werden in den<br />

allgemeinen Schulen verankert. Kinder<br />

mit dem bisherigen Förderschwerpunkt<br />

LES werden an den allgemeinen Schulen<br />

aufgenommen und verbleiben dort. Die<br />

Mittelzuweisung zur Förderung dieser<br />

Schülerinnen und Schüler ist nicht<br />

mehr an ein individuelles Feststellungsverfahren<br />

zum sonderpädagogischen<br />

Förderbedarf gebunden. Die allgemeinen<br />

Schulen im Primar- und Sekundarbereich<br />

werden pauschal mit Mitteln<br />

ausgestattet, die der derzeitigen landesweiten<br />

Förderquote LES von 4,6 % entsprechen.<br />

Sie werden differenziert unter<br />

Berücksichtung von Sozialindikatoren<br />

auf die Schulen verteilt. Die Schulen<br />

nutzen die Mittel für die schulinterne<br />

Förderung und legen über die Verwendung<br />

der Mittel Rechenschaft ab.<br />

Für alle anderen Förderschwerpunkte<br />

wird innerhalb dieses Zeitraums eine<br />

Zielmarke von 50 % angestrebt, die<br />

sich allerdings als Zwischenschritt und<br />

nicht als Endpunkt auf dem Weg zu einem<br />

inklusiven Schulsystem versteht.<br />

Abschottung weiter erwünscht<br />

Ob das Schulministerium in NRW diesen<br />

Vorschlag umsetzen wird, ist fraglich.<br />

Schließlich haben SPD und Grüne<br />

in einem Kompromiss mit der CDU<br />

sich darauf verständigt, dass die Eltern<br />

für alle Förderschwerpunkte, also auch<br />

für LES, ein Wahlrecht haben sollen.<br />

In konservativ regierten Bundesländern<br />

ist es ausgemachte Sache, dass das<br />

gesamte Sonderschulsystem als dauerhaftes<br />

Parallelangebot aufrechterhalten<br />

werden soll. Dazu dient die Einführung<br />

eines vorgeblichen Elternwahlrechts,<br />

das jedoch politisch über Elternberatung<br />

und Finanzvorbehalt beeinflussbar<br />

ist und gesteuert werden kann.<br />

Bayern will z. B. eine verpflichtende<br />

Elternberatung einführen. Das »Inklusionskonzept«<br />

des dortigen Kultusministeriums<br />

sieht vor, dass im Konfliktfall<br />

die zuständige Schulaufsichtsbehörde<br />

unter Anhörung der Erziehungsberechtigten<br />

und der betroffenen Schulen über<br />

den Lernort entscheidet. Für die Eltern<br />

der »Lernbehinderten« tut sich mit der<br />

sog. Elternberatung eine echte Barriere<br />

auf. Sie sind in der Regel schlechter<br />

über ihre Rechte informiert und weniger<br />

durchsetzungsfähig. Es ist eher<br />

unwahrscheinlich, dass sie eine schulaufsichtliche<br />

Entscheidung mit einer<br />

gerichtlichen Klage anfechten werden.<br />

Berlin will in jedem Bezirk noch eine<br />

Schwerpunktschule für »Lernbehinderte«<br />

erhalten. Begründet wird diese<br />

Entscheidung mit dem sog. Elternwillen.<br />

Dabei hat man die Hauptschule<br />

dort gerade abgeschafft und niemand<br />

ist auf die Idee gekommen, eine Schwerpunkthauptschule<br />

pro Bezirk erhalten<br />

zu wollen. Aber mit den am stärksten<br />

benachteiligten Schülern will man so<br />

verfahren.<br />

Kein Zugang für »Lernbehinderte«<br />

zum Gymnasium<br />

Innerhalb des Regelschulsystems will<br />

Bayern »Lernbehinderten« lediglich<br />

den Zugang zur Hauptschule bzw. zur<br />

Tabelle 2.13: Abgänger der öffentlichen und Mittelschule, privaten Förderschulen einer modernisierten Nordrhein-Westfalens Va-<br />

Bad nach Heilbrunn allgemein 2011 bildenden Schulabschlüssen<br />

am Ende des Schuljahres 2009/10<br />

riante der Hauptschule, einräumen.<br />

Damit soll der soziale Abstand zu den<br />

Schülerinnen und Schülern der Realschule<br />

und erst recht zu denen des<br />

Gymnasiums gewahrt werden.<br />

Auch in den Stadtstaaten Bremen,<br />

Berlin und Hamburg mit einem zweigliedrigen<br />

Schulsystem haben »Lernbehinderte«<br />

am Gymnasium nichts<br />

verloren. Ihr Platz ist selbstredend in<br />

der zweiten Schulform. Dagegen haben<br />

Kinder mit einer geistigen Behinderung<br />

günstigere Aufnahmechancen am<br />

Gymnasium.<br />

Valentin Aichele, der die Umsetzung<br />

der UN-Konvention in Deutschland in<br />

der Monitoring-Stelle am Deutschen<br />

Institut für Menschenrechte juristisch<br />

begleitet, sieht das Gymnasium jedoch<br />

in der Pflicht, eine Pädagogik der Vielfalt<br />

zu entwickeln. Für Marianne Schulze,<br />

die eine vergleichbare juristische<br />

Funktion in Österreich wahrnimmt, ist<br />

diese Zuordnung konventionswidrig,<br />

weil sie sich der Anerkennung von Diversität<br />

verweigert.<br />

Der zukünftige Umgang mit den unterprivilegierten<br />

Kindern und Jugendlichen,<br />

die derzeit in unserem Bildungssystem<br />

benachteiligt und diskriminiert<br />

werden, ist der Lackmustest für die<br />

bildungspolitische Ernsthaftigkeit, ein<br />

inklusives Schulsystem zu entwickeln.<br />

Anmerkung<br />

Sehr lesenswert wegen des Überblicks über<br />

wichtige Forschungsergebnisse:<br />

Schnell, I./Sander, A./Federolf, C.: Zur<br />

Effizienz von Schulen für Lernbehinderte.<br />

Forschungsergebnisse aus vier Jahrzehnten.<br />

Förderschule Tabelle 2.13: Abgänger für der öffentlichen und privaten Förderschulen ohne Haupt- Nordrhein-Westfalens Hauptschul- nach allgemein Fachober- bildenden Fachhoch- Schulabschlüssen Allgemeine insgesamt<br />

am Ende des Schuljahres 2009/10<br />

schulabschluss* abschluss schulreife schulreife Hochschulreife Ab<br />

Geistige Förderschule Entwicklung für ohne Haupt- Hauptschul- 1.417 Fachober- Fachhoch- Allgemeine insgesamt ohne HSschulabschluss*<br />

abschluss 4.301 schulreife 1.947schulreife Hochschulreife 9 Abschluss in % 6.257<br />

1.417<br />

Lernen<br />

Körperliche Geistige Entwicklung und motorische Entwicklung 1.417 441 184 87 35 1.417 100,0 11 758<br />

Emotionale Lernen und soziale Entwicklung 4.301 389 1.947 1.456 9 30 6.257 68,7 1.875<br />

Körperliche und motorische Entwicklung 441 184 87 35 11 758 58,2<br />

Sehen 11 73 33 8 7 132<br />

Emotionale und soziale Entwicklung 389 1.456 30 1.875 20,7<br />

Hören Sehen und Kommunikation 11 1773 33 201 8 114 743 132 8,3 28 403<br />

Sprache Hören und Kommunikation 17 201 7 114 253 43 16 28 403 4,2 276<br />

Abschlüsse Sprache insgesamt 7 6.583 253 4.114 16 289 86 276 2,5 46 11.118<br />

Abschlüsse insgesamt 6.583 4.114 289 86 46 11.118 59,2<br />

Verteilung der Abschlüsse aller<br />

Verteilung der Abschlüsse aller<br />

Förderschwerpunkte Förderschwerpunkte in % in % 59,2 59,2 37,0 37,0 2,6 0,8 2,6 0,4 0,8 100,0 0,4 100,0<br />

*Die insgesamt 6.583 6.583 Abgänger/innen ohne Hauptschulabschluss ohne entsprechen entsprechen 55,2% derer, die 55,2% 2010 die derer, Schulen die des 2010 Landes die ohne Schulen HS-Abschluss des Landes verließen. ohne HS-Abschluss verließen.<br />

Quelle: eigene Berechnungen auf der auf Grundlage der Grundlage von Daten von des Daten Ministeriums des Ministeriums für Schule und für Weiterbildung Schule und NRW Weiterbildung (2011) NRW (2011)<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011<br />

11


Frühe Aussonderung oder inklusive Schule?<br />

Ein Traum<br />

Räumen Sie auch so gerne auf?<br />

Ich liebe es, aufzuräumen!<br />

Wörter wie Formatkörbchen, Aufbewahrungssystem,<br />

Hängeregister oder<br />

Sortierkasten erfüllen mich mit großer<br />

Vorfreude und mein Gehirn produziert<br />

dabei jede Menge Glücksbotenstoffe.<br />

Aufräumen beruhigt mich und macht<br />

mich glücklich!<br />

An einem Septembertag, vor der Einschulung<br />

meiner neuen Erstklässler ordne<br />

ich also die tausend Dinge des Klassenzimmers:<br />

Alle Schubladen versehe ich mit Sortiereinsätzen;<br />

dahinein lege ich andächtig<br />

Stifte, Radierer, Reißnägel, Aufkleber,<br />

Büroklammern, Klebstifte, Folienstifte …<br />

In meine geliebten Aufbewahrungskisten<br />

aus transparentem Kunststoff<br />

fülle ich Steckwürfel, Rechenklötze, geometrische<br />

Plättchen, Holzbuchstaben,<br />

Magnete, Knete, Korken, leere Filmdöschen,<br />

Stempel, Origamipapier, Geburtstagskerzen,<br />

Pflaster und Tempotücher.<br />

Alles wird mit Druckbuchstaben beschriftet,<br />

fertig!<br />

Ich bin begeistert: Das Regal sieht gut<br />

aus, nichts kann mehr schiefgehen, die<br />

Kinder können das Zimmer stürmen, ich<br />

habe aufgeräumt, alles ist gut.<br />

Nur – in der darauffolgenden Nacht<br />

träume ich schwer:<br />

Ich stehe vor einem riesigen Schrank,<br />

mit ganz vielen, gleich großen Schub -<br />

laden; ich stehe vor so einem Schrank,<br />

wie sie in meiner Jugend in Tante-<br />

Emma-Läden standen.<br />

Jede Schublade hat ein kleines Einsteckfach<br />

für die Bezeichnung, diesmal<br />

nicht für Nüsse, Rosinen, Kandis und<br />

Himbeerbonbons, sondern für Kinder.<br />

Auf kleinen Kärtchen notiere ich:<br />

Normal, hochbegabt, früh eingeschult,<br />

zurückgestellt, defizitäre Sprache,<br />

Verdacht auf ADS/ ADHS, Migrationshintergrund,<br />

erziehungsschwierig,<br />

winkelfehlsichtig, defizitäre Hörverarbeitung,<br />

problematisches familiäres<br />

Umfeld, motorisch gestört, LRS, Dyskalkulie,<br />

Wiederholer, alleinerziehende<br />

Mutter, psychisch labil, Scheidungs -<br />

kind …<br />

… hoffentlich reichen die Schubladen.<br />

Die in einer Reihe wartenden Kinder<br />

greife ich eins nach dem anderen und<br />

stopfe sie in die passenden Schubladen,<br />

schließlich trägt meine Namensliste<br />

schon Geheimbotschaften aus den Kindergärten<br />

in Form von Ausrufezeichen,<br />

Kürzeln oder farbigen Markierungen.<br />

Ludwig zum Beispiel ist aus einem<br />

anderen Bundesland hergezogen, seine<br />

Papiere wurden in einem braunen amtlichen<br />

Umschlag mitgeschickt. Man liest:<br />

Protokoll der Aufnahmeformalität:<br />

Besonderheit: E? Beobachten.<br />

Ich bin gut im Decodieren, E heißt erziehungsschwierig<br />

oder auch verhaltens-<br />

originell und ich soll ihn im Auge behalten,<br />

den Ludwig.<br />

Schublade auf, Kind rein, Schublade<br />

zu.<br />

Nachdem ich alle Kinder einsortiert<br />

habe, stelle ich fest, dass die Schublade<br />

NORMAL fast leer ist. Wenn wir Beamten<br />

dann doch mal nach Leistung bezahlt<br />

würden, dann würde diese Klasse jede<br />

Menge Geld geben. So viel Unnormales!<br />

Nach getaner Ordnungsarbeit verschränke<br />

ich die Arme und bleibe zufrieden<br />

und beruhigt vor meinem Werk stehen<br />

und warte auf die Glückshormone.<br />

Doch – unerwartet und heftig fährt<br />

eine Schublade auf, ein Kind purzelt heraus,<br />

es rüttelt an anderen Laden, befreit<br />

andere Kinder, die Holzkästen poltern<br />

zu Boden, die Kinder steigen heraus, beginnen<br />

zu lärmen, zu toben und mich zu<br />

bedrängen:<br />

Sieh mich an! Rede mit mir! Lies mit<br />

mir! Lach mit mir! Frag mich mal!<br />

Suche mich! Wo bin ich denn? Fang<br />

mich doch! Hörst du mich?!<br />

Kennst du mich? Woher komme ich?<br />

Mein Herz klopft bis zum Hals, ich<br />

kann kaum noch atmen.<br />

Ich will die Kinder anbrüllen, aber es<br />

kommt kein Ton, will fliehen, aber meine<br />

Beine sind aus Knete, will die Kinder<br />

festhalten, aber meine Hände zerfallen<br />

in einzelne Steckwürfel – alles wird<br />

schwarz.<br />

Gott sei Dank erwache ich – schweißgebadet.<br />

Torkelnd erreiche ich die Küche und<br />

beginne, das Besteck aus der Spülmaschine<br />

aufzuräumen, denn ich muss<br />

mich beruhigen. Mein Mann kommt<br />

nach, schüttelt den Kopf und fragt:<br />

»Seit wann sind Löffel links und Gabeln<br />

rechts?« und er nimmt das Besteck mit<br />

einem Griff und stellt die gewohnte Ordnung<br />

wieder her.<br />

»Seit ich schlecht geträumt habe«,<br />

antworte ich ziemlich zeitversetzt und<br />

er glaubt, dass ich noch nicht ganz wach<br />

bin.<br />

… Oh doch, inzwischen bin ich ganz<br />

wach und ordne nur noch Sachen:<br />

Besteck, Kerzen, Gästehandtücher,<br />

Nähgarn, Weihnachtsschmuck und so.<br />

Nie wieder Kinder! Nicht einmal im<br />

Traum!<br />

12 GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011


Frühe Aussonderung oder inklusive Schule?<br />

Auszüge aus: Nora Simon: Unermesslich – Jenseits von PISA<br />

veröffentlicht 2011 von der Arbeits gruppe Primarstufe der Universität Siegen<br />

In Großstudien wie PISA verschwinden<br />

Kinder und Jugendliche in Schubladen<br />

wie »Migrationshintergrund« oder »Unterschicht«,<br />

deren Bedeutung nur in anonymen<br />

Prozentwerten fassbar wird. In<br />

der Schule schrumpfen das Können, die<br />

Leistung von Schülern auf Ziffern wie »2«<br />

oder »4«. In diesem Buch aber bekommen<br />

sie ein Gesicht: Luisa, Gülbahar,<br />

Samira, Benedetto, Hannes: »Sie sind aus<br />

einer Schublade ausgebrochen, sie haben<br />

unermessliche Kräfte entwickelt, sie<br />

haben sich den Aufräum-, Sortier- und<br />

Zerstückelungsmaßnahmen ihrer Leistungsfähigkeit<br />

widersetzt«, wie die Autorin<br />

Nora Simon eindrucksvoll schreibt.<br />

Der Band ist ab sofort erhältlich für 7 € inklusive Verpackung und Versand über:<br />

Daniela Seifert, Fakultät II/Projektbüro LISA&KO, Universität Siegen<br />

Adolf-Reichwein-Straße 2, 57068 Siegen<br />

oder online unter: www2.agprim.uni-siegen.de/formular/buchbestellungagprim.html<br />

Wir bedanken uns für die Erlaubnis, in diesem Heft vier Auszüge abzudrucken<br />

(auf dieser Doppelseite sowie auf Seite 15 und 16 f.)<br />

Die Schubladen<br />

Ich werde Ihnen, liebe Leserinnen und<br />

Leser, keinen einzigen Schubladenbegriff<br />

meines Traumes fachlich erklären.<br />

Elternratgeber gibt es genug.<br />

Mein Buch soll auch keine Hilfe bieten<br />

bei amtlicher Zuweisung zu einer dieser<br />

Schubladen, außer der einen:<br />

Vertrauen Sie darauf, Kinder brechen<br />

aus.<br />

Warum aber Schubladen so gemein<br />

sein können, in die Kinder von Amtspersonen<br />

oder anderen Erwachsenen<br />

gesteckt werden, versteht man mit einem<br />

Bild vom Mond: Der hat manchmal<br />

einen Hof aus Licht, Halo genannt.<br />

Wenn eine Information, die man über<br />

ein Kind hat, auf andere Meinungen<br />

über dasselbe Kindes strahlt oder über<br />

das ganze Kind, dann nennt man dieses<br />

Phänomen Halo-Effekt.<br />

Ich finde, es handelt sich beim pädagogischen<br />

– oder besser unpädagogischen<br />

Halo-Effekt eher um ausstrahlende<br />

Dunkelheit als um Licht!<br />

In der Schublade Portugiesen zum Beispiel<br />

befinden sich hauptsächlich Leute,<br />

die kein gutes Deutsch sprechen. Das<br />

schlechte Deutsch hört sich so an, als<br />

ob sie sonst auch nicht richtig denken.<br />

Im Unterricht schaut man dann immer,<br />

ob es stimmt, dass sie so denken, wie<br />

sie sprechen. Da haben es die portugiesischen<br />

Kinder oft schwer, ihr Denkver-<br />

mögen zu beweisen; die schwäbischen<br />

manchmal auch.<br />

Wenn nun aber ein Kind einen Professor<br />

als Papa hat und der Lehrer weiß das,<br />

dann hilft diesem Kind der Halo-Effekt,<br />

hat es einen Portugiesen als Papa, hilft<br />

der Halo-Effekt eher nicht so arg, außer<br />

der Papa ist ein portugiesischer Professor.<br />

Vor langem berichtete mir eine Mutter<br />

unter Tränen – ihr Kind war mittlerweile<br />

in der 2. Klasse und kam gut mit<br />

–, dass ein Kinderpsychologe vor der<br />

Einschulung ihr Kind getestet habe und<br />

ihr geraten habe, man solle dem Sprössling<br />

das Misserfolgserlebnis in der Regelschule<br />

(schon das Wort!) ersparen<br />

und gleich in die Förderschule einschulen.<br />

Sie und ihr Mann hatten diesen Rat<br />

zwar nicht befolgt, beobachteten aber<br />

ihr Kind seitdem argwöhnisch, wann<br />

und worin sich denn diese festgestellte<br />

Dummheit nun zeigen würde.<br />

»Ach was, ich gebe nichts auf so einen<br />

Test, ihr Kind macht alles gut«, war<br />

meine Antwort und von da an lenkte<br />

ich meine Aufmerksamkeit verstärkt auf<br />

meinen Schützling, ob er nicht abschriebe<br />

bei den anderen, ob er falsche Antworten<br />

gäbe, ob er zu oft die Aufmerksamkeit<br />

verliere.<br />

Denn der Halo-Effekt ist ein heimtückischer<br />

Geselle, selbst wenn man ihn<br />

kennt und verachtet, findet er ein Plätzchen<br />

in unseren Gedanken:<br />

Was ja noch kein Problem wäre, wenn<br />

er dort bliebe, der böse Halo, in unseren<br />

Gedanken:<br />

Aber er schleicht sich heraus, sagt uns<br />

ein, wie wir das Kind behandeln sollen,<br />

was wir ihm zutrauen können, wie oft<br />

wir es aufrufen und wie wir seine Antworten<br />

einschätzen sollen. Unbewusst<br />

halten wir dem Kind eine Art Spiegel vor<br />

und was es darin sieht, glaubt es und<br />

verändert sich entsprechend. Schülerinnen,<br />

denen wir viel zutrauen, leisten<br />

mehr; Schüler, denen wir wenig zutrauen,<br />

leisten weniger, ob uns das gefällt<br />

oder nicht.<br />

Psychologen und Psychologinnen<br />

sprechen von selbsterfüllender Prophezeiung<br />

oder, genannt nach dem Menschen,<br />

der darüber geforscht hat, Rosenthal-Effekt.<br />

Jede vorher gefasste Meinung über<br />

einen Schüler, ganz gleich, wie sie entstanden<br />

ist, dreht an dessen Schicksal.<br />

All die Punkte und Vermerke auf Listen,<br />

all die Bemerkungen von Lehrerinnen<br />

und Erzieherinnen, alle Testergebnisse<br />

drängen sich in die Zukunftschancen eines<br />

jungen Menschen.<br />

Deshalb schreibe ich dieses Buch!<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011<br />

13


Kinder: Lernautomaten oder selbstbewusste Lerner?<br />

Horst Bartnitzky<br />

Von wegen: einfach und passgenau!<br />

Förderung ist eine didaktisch anspruchsvolle Aufgabe<br />

Für wie blöd halten Verlage eigentlich die Lehrerinnen und Lehrer der <strong>Grundschule</strong>?<br />

Da behauptet ein Verlag, dass mit seinen Online-Tests so einfach wie<br />

noch nie Förderbedarf zu ermitteln sei. Natürlich auf der Basis der Bildungsstandards.<br />

Und dann gebe es die individuellen Fördermappen. Die Testergebnisse<br />

würden automatisch ausgewertet und die Auswertung (sprich: Diagnose)<br />

löse die optimal angepasste, auf den ermittelten Förderbedarf zugeschnittenen<br />

Arbeitsblätter aus. Einfach, passgenau, zuverlässig.<br />

»Die Bildungsstandards leicht umsetzen«, verspricht der Verlag denn auch noch.<br />

Alle Sorgen um die rechte Förderung<br />

der so unterschiedlichen<br />

Kinder können sich auf diese<br />

Weise in Luft auflösen: Noch wie war<br />

differenzierter Unterricht so einfach.<br />

Testen – Blatt einwerfen – fertig<br />

Wie dieser Verlag mit dem Thema Fördern<br />

umgeht und um Kunden wirbt,<br />

ist exemplarisch. Alle Schulbuchverlage<br />

bieten Entsprechendes. Auch dies ist<br />

eine Folge der Bildungsdebatte seit PISA:<br />

Zum einen werden Tests hoch geschätzt,<br />

egal ob standardisiert wie VERA oder<br />

OnlineDiagnose_Prospekt_Korr2011_A4 12.08.11 14:26 Seite 4<br />

OnlineDiagnose_Prospekt_Korr2011_A4 12.08.11 14:26 Seite 4<br />

Es war noch nie so einfach,<br />

Förderbedarf zu ermitteln.<br />

Testen – diagnostizieren – fördern<br />

1 Testen<br />

2<br />

Testen<br />

Mit wenigen Klicks können Sie als Lehrkraft auf einen<br />

Mit wenigen Klicks können Sie als Lehrkraft auf einen<br />

voreingestellten Test zurückgreifen. Darüber hinaus<br />

voreingestellten Test zurückgreifen. Darüber hinaus<br />

können Sie die Tests individuell anpassen oder komplett<br />

können Sie die Tests individuell anpassen oder komplett<br />

neue Tests erstellen. Die folgenden voreingestellten<br />

neue Tests erstellen. Die folgenden voreingestellten<br />

Tests sind sofort verfügbar:<br />

Tests sind sofort verfügbar:<br />

■ Einstiegstest zum Schuljahresbeginn<br />

■ Einstiegstest zum Schuljahresbeginn<br />

■ Zwischentest zu Beginn des 2. Halbjahres<br />

■ Zwischentest zu Beginn des 2. Halbjahres<br />

■ Abschlusstest am Schuljahresende<br />

■ Abschlusstest am Schuljahresende<br />

■ Modultest (Detailtest) für jeden der<br />

■ Modultest (Detailtest) für jeden der<br />

Kompetenzbereiche<br />

Kompetenzbereiche<br />

Damit die Schülerinnen und Schüler die Tests bearbeiten<br />

Damit die Schülerinnen und Schüler die Tests bearbeiten<br />

können, müssen diese von Ihnen freigeschaltet werden –<br />

können, müssen diese von Ihnen freigeschaltet werden –<br />

entweder für die ganze Klasse oder gezielt für einzelne<br />

entweder für die ganze Klasse oder gezielt für einzelne<br />

Schülerinnen und Schüler.<br />

Schülerinnen und Schüler.<br />

Testdauer<br />

Testdauer<br />

Die Dauer der voreingestellten Tests beträgt<br />

Die Dauer der voreingestellten Tests beträgt<br />

in der 2. Klasse nicht mehr als 15 Minuten,<br />

in der 2. Klasse nicht mehr als 15 Minuten,<br />

in den Klassen 3 und 4 jeweils 20 Minuten.<br />

in den Klassen 3 und 4 jeweils 20 Minuten.<br />

Diagnostizieren<br />

Diagnostizieren<br />

Sie erhalten eine umfangreiche Diagnose. Diese kann<br />

Sie erhalten eine umfangreiche Diagnose. Diese kann<br />

zum Beispiel für die gesamte Klasse oder für einzelne<br />

zum Beispiel für die gesamte Klasse oder für einzelne<br />

Kinder angezeigt werden. Ein Farbcode sorgt dabei<br />

Kinder angezeigt werden. Ein Farbcode sorgt dabei<br />

für einen schnellen Überblick. Eine Übersicht aller<br />

für einen schnellen Überblick. Eine Übersicht aller<br />

getesteten Kompetenzen und Kinder kann heruntergeladen<br />

und ausgedruckt werden.<br />

getesteten Kompetenzen und Kinder kann heruntergeladen<br />

und ausgedruckt werden.<br />

3<br />

Fördern<br />

Fördern<br />

Anhand der Diagnoseergebnisse werden für jedes Kind<br />

Anhand der Diagnoseergebnisse werden für jedes Kind<br />

Arbeitsblätter in einer individuellen Fördermappe zusammengestellt.<br />

Diese kann als pdf heruntergeladen<br />

Arbeitsblätter in einer individuellen Fördermappe zusammengestellt.<br />

Diese kann als pdf heruntergeladen<br />

und ausgedruckt werden. Eine Fördermappe umfasst für<br />

und ausgedruckt werden. Eine Fördermappe umfasst für<br />

Kinder der 2. Klasse maximal 10 Arbeitsblätter, ab<br />

Kinder der 2. Klasse maximal 10 Arbeitsblätter, ab<br />

der 3. Klasse maximal 20 Arbeitsblätter. Sie haben die<br />

der 3. Klasse maximal 20 Arbeitsblätter. Sie haben die<br />

Möglichkeit, die Lösungen zu den Arbeitsblättern<br />

Möglichkeit, die Lösungen zu den Arbeitsblättern<br />

herunterzuladen und den Kindern zur Selbstkontrolle<br />

herunterzuladen und den Kindern zur Selbstkontrolle<br />

auszuhändigen. Alle Fördermaterialien werden in einem<br />

auszuhändigen. Alle Fördermaterialien werden in einem<br />

Archiv abgelegt und bieten somit einen reichhaltigen<br />

Archiv abgelegt und bieten somit einen reichhaltigen<br />

Fundus, aus dem die Kinder bei Bedarf zusätzlich mit<br />

Fundus, aus dem die Kinder bei Bedarf zusätzlich mit<br />

Arbeitsblättern versorgt werden können.<br />

Arbeitsblättern versorgt werden können.<br />

informell wie solche Verlagstests. Zum<br />

anderen stoßen die Verlage in die Lücke,<br />

die Schulpolitik mit VERA offenlässt:<br />

Diagnose mit den Vergleichsarbeiten<br />

ja, aber alles andere haben die Schulen<br />

selbst zu erledigen. Unterstützungskonzepte<br />

für Schulen, deren Kinder schwache<br />

Leistungen zeigen: Fehlanzeige.<br />

Also springen hier die Verlage ein.<br />

Wären dies seriöse Angebote, dann<br />

wären sie willkommen. Nur: Solche<br />

sind es nicht. Schon die nach allen Regeln<br />

der Testmetrik ausgetüftelten Aufgaben<br />

der Vergleichsarbeiten VERA<br />

lösen nicht ein, was die Bildungsstandards<br />

der Kultusminister fordern. In<br />

den Bildungsstandards geht es um<br />

Lernmethoden, um das Auffinden von<br />

Lösungswegen, um individuelle Verarbeitungen,<br />

um produktive und kreative<br />

Lösungen. Hier nur einige Beispiele aus<br />

dem Bereich Lesen: »Lebendige Vorstellungen<br />

beim Lesen und Hören literarischer<br />

Texte entwickeln«, »Texte begründet<br />

auswählen«, »eigene Gedanken zu<br />

Texten entwickeln, zu Texten Stellung<br />

nehmen und mit anderen über Texte<br />

sprechen«, »ein Kinderbuch selbst auswählen<br />

und vorstellen«. 1)<br />

Mit Papier-Bleistift-Testaufgaben ist<br />

nicht zu ermitteln, inwieweit Kinder<br />

solche Standards erworben haben. Und<br />

mit der Rechner-Auswertung in der<br />

schlichten Alternative: richtig – falsch<br />

schon gar nicht. Der Grundschulverband<br />

hat dies über sieben VERA-Jahre<br />

immer wieder an den Aufgaben und<br />

Auswertungen für Deutsch und Mathematik<br />

nachgewiesen. 2)<br />

»Es war noch nie so einfach, Förderbedarf<br />

zu ermitteln.«<br />

Nein. Es ist eben gerade nicht einfach.<br />

Es bedarf der Fachkompetenz gut ausgebildeter<br />

und erfahrener Lehrkräfte,<br />

Kinder zu beobachten, mit Kindern<br />

über ihre Lernwege zu sprechen und<br />

Arbeitsergebnisse von Kindern zu interpretieren.<br />

Dann mag ein Test dazukommen,<br />

aber er kann nur ergänzen,<br />

was in der Arbeit mit den Kindern beobachtet<br />

und festgestellt wurde. Der<br />

Grundschulverband hat dazu schon vor<br />

Jahren sein Konzept einer Pädagogischen<br />

Leistungskultur vorgelegt. 2)<br />

Die Fördermappe »enthält Arbeitsblätter,<br />

die auf den jeweiligen Förderbedarf<br />

zugeschnitten sind«.<br />

Das mag ja sein, aber nachhaltig wirksam<br />

Kinder fördern, ist nicht mit einer<br />

schlichten Mappendidaktik zu erledigen.<br />

Kindern mit Schwierigkeiten im<br />

Rechtschreiben genügt eben nicht, auf<br />

einem Förderblatt Wörter abzuleiten<br />

und eine Merkregel zu lernen. Sie müs-<br />

14 GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011


Kinder: Lernautomaten oder selbstbewusste Lerner?<br />

sen vor allem gute Gründe haben, ihre<br />

Texte normgerecht zu schreiben. Gute<br />

Gründe können ihnen Leser der Texte<br />

vermitteln, Schreibprojekte mit Ernstcharakter,<br />

Rechtschreibgespräche, eine<br />

Wertsetzung dessen, was sie schreiben.<br />

Dann müssen sie den Rechtschreibregelungen<br />

auf die Spur kommen und<br />

Strategien zum Richtigschreiben erwerben,<br />

an Wörtern, die für sie und ihr<br />

Schrei ben wichtig sind: Katze – Kätzchen.<br />

Was ändert sich? Gibt es andere<br />

Wörter, bei denen das auch so ist? Das<br />

ist keine Einzelarbeit, still vor einem<br />

Blatt zum Ausfüllen. Das ist Forscherarbeit<br />

mit der Klasse oder einer Gruppe,<br />

immer aber kommunikatives Sammeln,<br />

Sichten, Nachdenken und Erkennen.<br />

Dann auch individuelles Anwenden<br />

und Üben. Das Förderblatt mag an dieser<br />

späten Stelle eine Funktion haben,<br />

aber erst hier und nur im Zusammenhang<br />

dessen, was vorher und sonst im<br />

Rechtschreibunterricht geschieht.<br />

»Bildungsstandards leicht umsetzen.«<br />

Nein. Die Bildungsstandards der Kultusminister,<br />

1) die Grundlage aller Lehrpläne<br />

in allen Bundesländern sind, sind<br />

überhaupt nicht leicht umzusetzen. Sie<br />

sind als Kompetenzen für das Ende<br />

der Grundschulzeit formuliert und geben<br />

die Perspektive vor, auf die hin die<br />

Arbeit in der <strong>Grundschule</strong> in den beiden<br />

Fächern Deutsch und Mathematik<br />

gerichtet sein soll. »Texte planen, Texte<br />

Digitale Lehrer<br />

In den fünften und sechsten Hauptschulklassen<br />

werden die Heranwachsenden<br />

seit neuestem vor den PC gesetzt, um<br />

ihre persönliche »Lernstandsdiagnose«<br />

für einzelne Fächer zu erstellen; daraufhin<br />

spuckt das Programm für dieses eine<br />

Kind jede Menge spezielle Übungen<br />

aus.<br />

»Per Knopfdruck kann für jeden Schüler<br />

eine eigene, individuell zusammengestellte<br />

Fördermappe heruntergeladen<br />

werden«, wirbt ein Schulbuchverlag für<br />

ein Englisch-Lehrwerk.<br />

Der Pädagoge darf jetzt getrost<br />

alles vergessen, was er über<br />

ein Kind weiß, über dessen Art zu<br />

lernen, zu verstehen, sich zu konzentrieren<br />

oder nicht zu konzentrieren, über<br />

dessen Interessen und Stärken. Er darf<br />

schreiben, Texte überarbeiten« sind<br />

zum Beispiel didaktisch anspruchsvolle<br />

Perspektiven. Dahinter stehen<br />

Planungsmethoden wie Ideenfelder und<br />

Wortfeldarbeit, Schreibgespräche und<br />

Schreibkonferenzen, Überarbeitungsmethoden<br />

wie Umstellen und Erweitern,<br />

sinnhaftes Schreiben z. B. durch<br />

Schreibprojekte. Den Bildungsstandards<br />

liegen moderne und anspruchsvolle<br />

didaktische Fachkonzepte des<br />

Deutsch- und des Mathematikunterrichts<br />

zu Grunde und sie formulieren<br />

entsprechend komplexe Kompetenzen.<br />

Auch die durch PISA und IGLU<br />

definierte Lesekompetenz entspricht<br />

nicht diesen Bildungsstandards, weil<br />

alle eigenaktiven Prozesse ausgeklammert<br />

bleiben (Lesen ist nun mal ein<br />

eigenaktiver Vorgang) und weil Textqualitäten<br />

nicht definiert sind (Lesen<br />

ist immer auch von Interessen und Vorwissen<br />

abhängig). 4)<br />

Neben den hohlen Werbeversprechen<br />

im oben angegebenen Prospekt fällt ein<br />

Weiteres auf: Hier liegt ein mechanisches<br />

Lernmodell zu Grunde, ein Bild<br />

vom lernenden Kind als Lernautomat.<br />

Testen – Blatt einwerfen – fertig.<br />

Kinder als Lerner ernst nehmen<br />

Nur – weder unsere pädagogische Ethik<br />

ist mit einem solchen Bild vereinbar,<br />

noch die Erkenntnisse aus Lernpsy-<br />

getrost alles vergessen, was die Beziehung<br />

zwischen ihm und seinem Schüler<br />

oder seiner Schülerin ausmacht, denn er<br />

darf die Arbeit einer Maschine überlassen.<br />

Er darf getrost alles vergessen und<br />

Leuten die Arbeit überlassen, die weder<br />

das Kind, noch dessen Umfeld, noch<br />

dessen Vergangenheit kennen, noch<br />

dessen Zukunft ahnen.<br />

Jeder Kollege und jede Kollegin weiß<br />

ohne Online-Programm sehr genau, wo<br />

welches Kind Schwächen und Stärken<br />

hat und wie es angesprochen und motiviert<br />

werden kann. Das ist und bleibt<br />

Metier und Begabung des Pädagogen.<br />

Eine Maschine kann nur im Ansatz das<br />

zu Tage fördern, was die Lehrperson sowieso<br />

schon weiß.<br />

chologie, Hirnforschung und Didaktik.<br />

Speck-Hamdan resümiert den <strong>aktuell</strong>en<br />

Erkenntnisstand: »Wir verstehen<br />

heute Lernen … als aktiven Prozess<br />

der Konstruktion von Erkenntnissen<br />

und Vorstellungen … Diese gemäßigt<br />

konstruktivistische Vorstellung vom<br />

Lernen betont neben der Individualität<br />

des Lernens vor allem die Aktivität der<br />

Lernenden und die situative und soziale<br />

Einbettung von Lernprozessen.« 5) Das<br />

schließt ein, dass, mit welchen Methoden,<br />

Lernwegen, Arbeitsblättern auch<br />

immer, die Kinder nie auf Knopfdruck<br />

denselben Lernstand haben können.<br />

Das bedeutet für die Leseförderung<br />

zuerst und vor allem eine Lernumgebung,<br />

die zum Lesen und Umgang mit<br />

Texten anregt, die unterschiedliche<br />

Lese interessen ebenso berücksichtigt<br />

wie verschiedene Leseniveaus. Eine<br />

lese anregende Lernumgebung bietet<br />

Lesestoff an, gibt Lesezeiten und arrangiert<br />

Leseraum; sie schafft verschiedene<br />

Leseimpulse durch Anlesen, Lesetipps,<br />

themenbezogene Buchangebote, Lesekommunikation;<br />

sie vermittelt Möglichkeiten<br />

der Leseverarbeitung durch<br />

Lesegespräche, Lesetagebuch, Präsentationen<br />

wie Leseschachtel, Leseinszenierung,<br />

thematisches Nutzen des beim<br />

Lesen Erfahrenen und anderes mehr.<br />

In solchen Zusammenhängen werden<br />

auch Lesestrategien nötig und geübt:<br />

Überfliegendes Lesen lernen und<br />

üben Kinder zum Beispiel, wenn sie für<br />

Lebende Pädagogen, die mit ihren Schülerinnen<br />

und Schülern täglich viel Zeit<br />

verbringen, sind mit Sicherheit einfühlsamer,<br />

ideenreicher und anpassungsfähiger<br />

als jedes Computerprogramm.<br />

Lebende Lehrer wissen es eben: Ridvan<br />

rechnet am liebsten mit Baggern,<br />

Simone schreibt am schönsten mit<br />

Goldstift, Tommy rechnet am besten mit<br />

Mozart und Solveig braucht zum Denken<br />

einen Freund.<br />

Kinder sind keine Maschinen und lernen<br />

nicht von und für Maschinen und<br />

auch nicht wie Maschinen,<br />

sondern von Vorbildern<br />

und für Vorbilder!<br />

aus: N. Simon: Unermesslich<br />

– Jenseits von PISA, S. 27<br />

(s. S. 13 in diesem Heft)<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011<br />

15


Kinder: Lernautomaten oder selbstbewusste Lerner?<br />

Steckbriefe über Tiere in Büchern, Zeitschriften<br />

oder im Internet bestimmte<br />

Informationen finden wollen; informierendes<br />

Lesen lernen und üben sie,<br />

wenn sie beim Thema Erfindungen mit<br />

den W-Fragen recherchieren: was? wer?<br />

wann? wo? wie? warum? Schlüsselwörter<br />

in einem Text finden und nutzen sie,<br />

wenn sie mit einer begrenzten Zahl von<br />

Schlüsselwörtern über einen Sachverhalt<br />

informieren oder eine Geschichte<br />

erzählen sollen.<br />

Dann können solche Lesestrategien<br />

auch mit verschiedenen Texten trainiert<br />

werden, weil sie gebraucht werden: Die<br />

Kinder sollen nicht üben, weil das ein<br />

Arbeitsblatt oder eine Karteikarte fordert,<br />

sondern weil sie das zu Übende<br />

brauchen: Üben zum Ausüben ist ein<br />

zentrales Übungsmotiv. Fördern ist hier<br />

eingebunden.<br />

Qualitätsmerkmale<br />

für Förderaufgaben<br />

Eine Projektgruppe des Grundschulverbandes<br />

hat derzeit den Auftrag,<br />

didaktische Anregungen für ein modernes<br />

Förderkonzept zu erarbeiten.<br />

Das Arbeitsthema kennzeichnet schon<br />

die Blickrichtung: »Individuell fördern<br />

– Kompetenzen stärken« 6) . Bei der Suche<br />

nach qualitätsvollen Aufgaben für<br />

die Förderung verständigte sich die<br />

Projektgruppe auf drei Qualitätsmerkmale,<br />

die sie »didaktische Leitideen zur<br />

Förderung« nennt.<br />

●Förderung ist beziehungsreich<br />

und verstehensorientiert.<br />

Es ist ein Irrtum alter Hilfsschulpädagogik,<br />

der sich bis heute gehalten hat: dass<br />

nämlich leistungsschwächeren Kindern<br />

nur kleinste Lernportionen zu verabreichen<br />

sind. Also werden komplexere Fähigkeiten<br />

in kleinste Teilfähigkeiten zerlegt,<br />

möglichst mundgerecht gemacht<br />

und vorgekaut. Da wird zuerst das M<br />

gelernt, dann das A, daraus MAMA<br />

synthetisiert, oder es werden (ein <strong>aktuell</strong>er<br />

Trend) zuerst Silben lesen gelernt.<br />

Verstehensorientiert heißt aber: Einsicht<br />

in Struktur und Funktion von Schrift<br />

erkennen – nicht als spätes Ergebnis,<br />

sondern von Anfang an. Beziehungsreich<br />

bedeutet, Beziehungen herstellen<br />

zwischen Lauten und Buchstaben, zwischen<br />

Geschriebenem und Gesprochenem,<br />

zwischen mir und dem Text.<br />

Wenn Kinder im informierenden<br />

Lesen gefördert werden, weil sie die Informationen<br />

für einen Steckbrief, eine<br />

Ausstellung, einen Vortrag verwenden<br />

wollen, dann verstehen sie die Aufgabe<br />

wie die Lesestrategie und sie arbeiten<br />

beziehungsreich im Zusammenhang<br />

von Lesen und Erfahren, Nutzen<br />

und Präsentieren. Umgang mit Texten<br />

verbindet sich mit Mündlichkeit und<br />

Schriftlichkeit.<br />

●Förderung ist diagnosegeleitet<br />

und differenziert.<br />

Ein Teil der <strong>aktuell</strong>en Bildungsforschung,<br />

wie sie z. B. für die Vergleichsarbeiten<br />

verantwortlich ist, trennt Lernsituationen<br />

von Leistungssituationen.<br />

Lernsituationen charakterisierten den<br />

Unterricht, dabei dürften auch Fehler<br />

gemacht werden; Leistungssituationen<br />

seien dagegen Lernkontrollen, deren<br />

Sinn es gerade sei, möglichst fehlerfrei<br />

zu arbeiten.<br />

Didaktisch ist dies ein verhängnisvoller<br />

Irrtum, denn Lernsituationen sind<br />

qua Definition immer auch Leistungssituationen<br />

und Fehler können wichtige<br />

diagnostische Hinweise auf Lernstrategien<br />

und Denkweisen sein. Wer statt<br />

Opa Oper schreibt, hat ein Rechtschreibmuster<br />

erkannt und verinnerlicht und<br />

wendet es hier übergeneralisiert an. Was<br />

denn anderes als eine Leistung ist das?<br />

Diagnose geleitet bedeutet deshalb genau<br />

dies: in den Lernsituationen immer auch<br />

die Leistung zu erfassen und zu würdigen.<br />

Die Königswege dazu sind nicht<br />

Tests, sondern die Beobachtung der<br />

Lern- und Arbeitsprozesse und die Würdigung<br />

der Lerndokumente der Kinder,<br />

wie sie z. B. im Instrument des Port folios<br />

eine Möglichkeit gefunden hat. Dass<br />

Matteo und Vu<br />

Matteo muss sich bücken, um in den<br />

Spiegel zu schauen. Er dreht den Wasserhahn<br />

auf, nimmt etwas Wasser in<br />

seine hohlen Hände und glättet damit<br />

sein Haar. Er achtet auf sich, ungekämmt<br />

kann er nicht in die Pause gehen. Dabei<br />

sehen die wenigsten seiner Mitschüler<br />

auf seine Frisur, die ist nämlich viel zu<br />

weit oben.<br />

Matteo ist der Längste. Wenn zu viele<br />

Grundschüler um ihn herumstehen,<br />

wird er nervös, zeigt auf seine Schuhe<br />

Größe 46 und sagt: »Crunch!«<br />

Das heißt, Achtung, ich könnte euch<br />

zertreten, was aber die Kleinen nicht<br />

verstehen.<br />

Und hier Matteos Schubladenbeschreibung:<br />

Vater: USA-Bürger mexikanischer Abstammung,<br />

geschieden von Matteos<br />

Mutter mexikanischer Abstammung,<br />

jetzt liiert mit einer Deutschen und dieser<br />

in unsere schwäbische Kleinstadt gefolgt.<br />

Matteo kommt in die Internationale<br />

Vorbereitungsklasse, in eine funktionierende<br />

multikulturelle Mini-Einheit: Zwei<br />

Mädchen aus Ghana, zwei kurdische<br />

Knaben, ein Mädchen aus Afghanistan,<br />

ein Vietnamese, drei verwandte Kosovo-<br />

Albaner, zwei portugiesische Brüder und<br />

Matteo, der Lange, der Fünfzehnjährige,<br />

der Indianer, wie sie zu ihm sagen.<br />

Vu, der Vietnamese ist sein Freund,<br />

wie die beiden sich unterhalten, bleibt<br />

ein Rätsel. Vu lernt wie ein Computer,<br />

rasch, zielgerichtet, selbstständig, strukturiert.<br />

Matteo lernt gar nicht – er ist<br />

clever, sagt sein Vater.<br />

Aha!?<br />

Ich besorge ihm Arbeitsblätter und<br />

-hefte, Lernspiele, schreibe ihm Aufga-<br />

ben auf und Wörter vor. Er arbeitet und<br />

lernt nichts, bekritzelt alles mit kleinen<br />

Galgenmännchen.<br />

Er soll einmal studieren, sagt sein<br />

Vater.<br />

Aha!?<br />

Im Februar, als fünf Kinder wegen<br />

Grippe fehlen, finde ich Zeit, mich zu<br />

Matteo zu setzen. Sofort rechnet er<br />

schnell und sicher Aufgaben für Viertklässler.<br />

»Okay, weiter so«, ich stehe auf.<br />

Matteo schüttelt den Kopf und hört auf<br />

zu rechnen. Ich setze mich wieder hin.<br />

Er rechnet weiter: Bruchrechnen kann er<br />

auch.<br />

»Okay, weiter so!« Ich wende mich<br />

den anderen Schülern zu. Matteo malt<br />

wieder Strichmännchen.<br />

»Go on learning!« Vielleicht muss ich<br />

Englisch mit ihm reden. Er nickt und<br />

macht nichts.<br />

16 GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011


Kinder: Lernautomaten oder selbstbewusste Lerner?<br />

Dr. Horst Bartnitzky<br />

Grundschulpädagoge, Autor von<br />

Schul- und Fach büchern, Ehren -<br />

mitglied des Grundschulverbandes<br />

hierbei differenziert betrachtet und unterstützt<br />

wird, ist dabei inklusiv. 3)<br />

●Förderung ist kommunikativ<br />

und kooperativ.<br />

Zwar ist der Lernprozess individuell,<br />

aber in sozial-interaktive Prozesse eingebunden.<br />

Vereinzelung der Kinder im<br />

Lernen, wie dies bei falsch verstandener<br />

Individualisierung praktiziert wird,<br />

nimmt den Kindern wesentliche Lernchancen.<br />

Lesen zum Beispiel ist immer auch<br />

auf Anregung durch andere angewiesen;<br />

Vorgelesen bekommen und dialogisches<br />

Lesen sind Einfallstore ins eigene Lesen,<br />

kommunikative Leseauswahl, Lesetipps,<br />

Lese-Geselligkeit sind der Nährboden,<br />

Gespräche über Gelesenes klären Textverständnisse;<br />

handelnder Umgang mit<br />

Texten, der mit anderen oder für andere<br />

realisiert wird, erschließen Texte –<br />

zum Beispiel durch gestaltetes Vorlesen,<br />

Spielszenen, Zusammenstellen und Vorstellen<br />

von Leseschachteln und vieles andere<br />

mehr. Lesekommunikation ist eben<br />

eine zentrale Dimension von Lesekompetenz.<br />

7) Gleiches gilt für Schreiben,<br />

Rechtschreiben, Sprache untersuchen.<br />

Was diese Sicht auf Kinder und auf<br />

Förderung von Fördermappen und Einzelförderung<br />

unterscheidet, ist der Res-<br />

Anmerkungen<br />

(1) Kultusministerkonferenz: Bildungsstandards<br />

im Fach Deutsch für den Primarbereich.<br />

Beschluss vom 15. 10. 2004<br />

Dies.: Bildungsstandards im Fach Mathematik<br />

für den Primarbereich. Beschluss<br />

vom 15. 10. 2004.<br />

Die Standards sind über den Luchterhand-<br />

Verlag zu beziehen, aber auch von der<br />

Homepage der Kultusministerkonferenz<br />

herunterzuladen: www.kmk.org, weiter<br />

über Dokumentation, Veröffentlichungen,<br />

Allgemeine Bildung, Primarstufe.<br />

(2) Siehe das Archiv aller einschlägigen Artikel<br />

bei: www.grundschulverband.de, weiter:<br />

Bildungspolitik, Vergleichsarbeiten.<br />

(3) Bartnitzky, H. / Brügelmann, H. / Hecker,<br />

U. / Schönknecht, G. (Hrsg.): Pädagogische<br />

Leistungskultur. Materialien für Klasse 1 und<br />

2. Grundschulverband: Frankfurt a. M. 2005<br />

Dies.: Pädagogische Leistungskultur.<br />

Materialien für Klasse 3 und 4. Ebenda 2006<br />

pekt vor der Eigenständigkeit der Kinder<br />

und ihr Recht auf sinnerfülltes und mitbestimmtes<br />

Lernen. Und es ist die Einsicht,<br />

dass alles Lernen zwar individuell,<br />

aber nicht einsam ist. Kinder brauchen<br />

das Miteinander auch für fachliches Lernen,<br />

Fördern eingeschlossen.<br />

Es wäre für viele Lehrkräfte und<br />

Schulen hilfreich, wenn die Verlage ausnahmslos<br />

hier ihren Service einsetzen<br />

würden, statt mit törichten Werbesprüchen<br />

ein Förderkonzept anzubieten,<br />

dessen einzige Modernität die Nutzung<br />

von Computer und Internet ist.<br />

Dies.: Pädagogische Leistungskultur.<br />

Ästhetik, Sport, Englisch, Arbeits- und<br />

Sozialverhalten. Ebenda 2007<br />

(4) hierzu ausführlicher: Bartnitzky, H.:<br />

Sprachunterricht heute. 15. Auflage.<br />

Cornelsen Scriptor: Berlin 2011, S. 142 ff.,<br />

S. 260 ff.<br />

(5) Speck-Hamdan, A.: Bedingungen und<br />

Grundannahmen zur Entwicklung und<br />

zum Lernen. In: Bartnitzky, H. u. a. (Hrsg.):<br />

Kursbuch <strong>Grundschule</strong>. Grundschulverband:<br />

Frankfurt a. M. 2009, S. 174 f.<br />

(6) Die Publikationen werden den gemeinsamen<br />

Titel tragen: »Individuell fördern –<br />

Kompetenzen stärken«. Die erste mit<br />

Materialien für die Eingangsstufe wird<br />

auch als Mitgliederband 2012 erscheinen;<br />

die zweite mit Materialien ab Klasse 3 2013.<br />

(7) Grundschulverband: Lesekompetenz. Ein<br />

Lese- und Arbeitsbuch. Grundschulverband:<br />

Frankfurt a. M. 2006<br />

Ich setze mich wieder zu ihm. Wir vergessen<br />

die Umgebung und lösen Gleichungen,<br />

dabei bin ich nicht besser als<br />

er. Als es klingelt, hält er mich am Ärmel<br />

fest:<br />

»Let’s go on.«<br />

Mein Mann und ich hatten vor einigen<br />

Jahren einen uralten, kleinen, orangefarbenen<br />

Fernseher mit Zimmerantenne.<br />

Wenn wir etwas sehen wollten,<br />

musste immer einer von uns die Hand<br />

an der Antenne lassen, damit das Bild<br />

streifenfrei ›rüberkam‹.<br />

So ist Matteo: ohne Kontakt kein Bild!<br />

Nachdem alle Schüler wieder gesund<br />

sind, kann ich mich natürlich nicht mehr<br />

mit ihm alleine befassen, und so hört er<br />

wieder auf zu lernen.<br />

Als ich seine Beurteilung schreiben<br />

soll, weiß ich nicht, ob er das kleine<br />

Einmaleins kann oder nicht kann, ob<br />

er Gleichungen mit zwei Unbekannten<br />

lösen würde, ob er vielleicht sogar die<br />

Integralrechnung beherrscht. Ich durchforste<br />

die Satzbausteine des Zeugnisprogramms,<br />

ob ein Satz auf ihn zutrifft.<br />

Nein – so ein Kind wie Matteo ist für dieses<br />

Programm nicht vorgesehen.<br />

Elternsprechtag: Ich freue mich, Matteos<br />

Papa zu sehen.<br />

Nach unserem Gespräch beginne ich<br />

ganz vorsichtig, Matteo zu verstehen.<br />

»In der mexikanischen Kultur steht<br />

die Gemeinschaft an höchster Stelle. Wir<br />

sind immer zu mehreren, wenn wir lernen,<br />

arbeiten, essen, feiern, schlafen, bei<br />

allem.<br />

Wir tauschen uns laufend aus, teilen<br />

unsere Gedanken, unterstützen unsere<br />

Pläne, begutachten unser Handeln. Wir<br />

sind immer zusammen, wir brauchen<br />

zum Denken ein Gegenüber. Lassen Sie<br />

Matteo doch mit den anderen zusammen<br />

lernen, alleine an einem Tisch, da<br />

verkümmert er.«<br />

Jetzt lernt Matteo mit Vu – wie die<br />

beiden sich verständigen, bleibt ein<br />

Geheimnis, aber Matteo lernt jetzt. Vu<br />

möchte manchmal aber auch seine<br />

Ruhe haben, dann muss Matteo eben<br />

warten oder zu mir kommen; die anderen<br />

Schüler und Schülerinnnen sind ihm<br />

zu klein: »Crunch!«<br />

Sehr gerne würde ich meinem Zeugnisprogramm<br />

folgenden Textbaustein<br />

hinzuzufügen »Der Schüler / die Schülerin<br />

braucht zum Denken ein Gegenüber«,<br />

aber mein PC lässt<br />

mich nicht.<br />

aus: N. Simon: Unermesslich<br />

– Jenseits von PISA, S. 42 f.<br />

(s. S. 13 in diesem Heft)<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011<br />

17


Kinder: Lernautomaten oder selbstbewusste Lerner?<br />

Leseförderung:<br />

Mit W-Fragen informierend lesen<br />

Didaktischer Kontext:<br />

Lernumgebung und Rahmenthema<br />

Klasse 4. Das gemeinsame Unterrichtsthema<br />

ist »Erfinden und Erfindungen«.<br />

Eingestiegen war der Unterricht über<br />

den »Traum vom Fliegen«: Vorwissen<br />

der Kinder, Bilder, Sachbücher, Kinderseiten<br />

im Internet, dabei auch die Frage,<br />

ob es gut ist, dass Flugzeuge erfunden<br />

wurden. Eine Ausstellung zum Thema<br />

wächst.<br />

Die nächste Frage: Was ist eigentlich<br />

alles erfunden worden? Eine lange Liste<br />

entsteht, mit großen Erfindungen wie<br />

Auto, Fernsehen, Internet, mit den vielen<br />

Erfindungen für den Lebensalltag<br />

wie Pommes frites, Ampel, Reißverschluss.<br />

Ist auch die Schule erfunden<br />

worden? Und das Fußballspielen? Oder<br />

Pippi Langstrumpf?<br />

Sachbücher und das Internet geben<br />

reichlich Auskunft über Erfindungen,<br />

sowie über Erfinderinnen oder Erfinder,<br />

siehe z. B.: www.blinde-kuh.de oder<br />

www.kindernetz.de mit dem Suchwort<br />

Erfindungen (Abb. 1). Alle Erfindungen<br />

auf der langen Liste werden markiert,<br />

zu denen die Kinder in Büchern oder<br />

im Internet Informationen finden.<br />

In Interessengruppen forschen die<br />

Kinder weiter. Am Ende können Lernplakate<br />

erstellt, Vorträge gehalten und<br />

Steckbriefe von Erfindungen in einem<br />

klasseneigenen »Buch der Erfindungen«<br />

zusammengestellt werden.<br />

Förderaspekt: die kritische Stelle<br />

Besonderes Augenmerk gilt den Stellen<br />

im Lernprozess, die das Risiko tragen,<br />

dass Kinder an ihnen scheitern. Das<br />

Scheitern gilt es zu verhindern. Wir<br />

warten nicht auf das Versagen, um anschließend<br />

nachzufördern, uns geht es<br />

um die besondere Beachtung kritischer<br />

Stellen und die didaktische Prophylaxe.<br />

Bei der Leseförderung ist eine kritische<br />

Stelle das Herausfinden der wichtigsten<br />

Informationen eines Textes.<br />

Zum sinnerfassenden Lesen tritt das<br />

bewusste Gewichten der Informationen.<br />

Die bisweilen propagierte Frage: »Unterstreiche<br />

alle wichtigen Wörter« führt<br />

bei vielen Kindern dazu, dass sie nahezu<br />

alles unterstreichen; die Frage ist<br />

also nicht zielführend. Häufig werden<br />

textspezifische Lesefragen im Anschluss<br />

an den Text gestellt, wie dies auch bei<br />

VERA zu finden ist. Sie sind aber keine<br />

generalisierbare Methode, denn die Fragen<br />

müssen jedes Mal auf den konkreten<br />

Text hin neu formuliert werden.<br />

Eine tragfähige, weil generalisierbare<br />

Methode sind die W-Fragen als Schlüsselfragen:<br />

Was? Wer? Wo? Wann? Wie?<br />

Warum? Sie können bei den meisten<br />

Texten Kerninformationen erschließen.<br />

Fördermethodik : integrative<br />

Themenarbeit und Förderschleife<br />

Abb. 1 aus: www.blinde-kuh.de, Suchwort Pommes Erfindung<br />

Die Erfindungen, zu denen die Kinder<br />

recherchieren, werden nach Antworten<br />

auf die W-Fragen hin untersucht. Dazu<br />

dient ein Frageraster (Abb. 2).<br />

Mit dem Auffinden der Antworten,<br />

also der Schlüsselinformationen,<br />

hat sich das Übungsziel aber nicht erschöpft.<br />

Vielmehr gewinnt diese Arbeit<br />

durch die Einbettung in den thematischen<br />

Unterricht auch für die Kinder<br />

ihren weiterführenden Sinn. Die<br />

Antworten werden in einem Steckbrief<br />

zur jeweiligen Erfindung verwendet,<br />

ein Foto oder eine Illustration wird ergänzt.<br />

Die Steckbriefe können z. B. in<br />

eine Zeitleiste gehängt, nach Kategorien<br />

wie Schule, Haushalt, Medien, Verkehr,<br />

Arbeit sortiert oder in alphabetischer<br />

18 GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011


Kinder: Lernautomaten oder selbstbewusste Lerner?<br />

Ordnung in das klasseneigene »Buch<br />

der Erfindungen« geheftet werden. Soweit<br />

der integrative Teil der Förderung.<br />

Leseschwächere Kinder können an<br />

zusätzlichen Texten zu Erfindungen<br />

weiter üben. Um die generelle Verwendbarkeit<br />

der W-Fragen zu erkennen, können<br />

auch weitere Sachtexte, wie bspw.<br />

Meldungen aus der Tageszeitung, mit<br />

Hilfe des Fragerasters bearbeitet werden.<br />

Die Antworten auf die W-Fragen<br />

können unterstrichen oder markiert<br />

werden, die jeweilige W-Frage wird am<br />

Rand dazugeschrieben.<br />

Solche Förderschleifen ergänzen den<br />

thematischen Unterricht. Sie können<br />

sowohl intern z. B. im Rahmen von<br />

Wochenplanarbeit, aber auch extern in<br />

Förderstunden organisiert werden. Bei<br />

externer Förderung wird der Zusammenhang<br />

zum integrativen thematischen<br />

Unterricht aufrechterhalten: Sie<br />

erwächst aus der Themenarbeit und<br />

führt wieder in sie zurück.<br />

Weitere Anwendungen<br />

Bei vielen Sachthemen sind W-Fragen<br />

als Schlüsselfragen zu verwenden: bei<br />

Themen wie Tiere, Ritterzeit, Indianer,<br />

Umweltschutz und anderen mehr. Die<br />

Fragen können mit den Kindern themenbezogen<br />

konkretisiert werden, wie<br />

dies im Beispiel Entdecken und Entdeckungen<br />

geschehen ist (Abb. 2). Die<br />

Fragewörter haben hierbei eine heuristische<br />

Funktion. Dabei können die Kinder<br />

auch herausfinden, dass nicht immer<br />

alle Fragen passen und manchmal<br />

ein Fragewort auch zu mehreren Fragen<br />

führen kann.<br />

Beispiel Tiere:<br />

●Wer? (Name des Tieres, Tierart)<br />

●Wo lebt es?<br />

●Was macht das Tier?<br />

●Wie sieht es aus? Wie lebt es?<br />

Wie ernährt es sich?<br />

●Wann schläft es?<br />

●Warum? (eine Warum-Frage zu<br />

jedem Tier finden und beantworten)<br />

Der Qualitätscheck<br />

Die Förderung mit W-Fragen ist beziehungsreich<br />

und verstehensorientiert,<br />

weil die Recherche in die Arbeit am<br />

Thema und in die spätere Verwendung<br />

eingebunden ist und die Kinder eine<br />

generalisierbare Methodik lernen, gezielt<br />

Informationen aus Texten zu gewinnen.<br />

Die Förderung ist diagnosegeleitet,<br />

weil die Art der Bearbeitung durch die<br />

Kinder ebenso beobachtbar ist, wie das<br />

Ergebnis prüfbar; sie ist differenziert,<br />

weil Texte unterschiedlich anspruchsvoll<br />

sein können, die Kinder nach Interessen<br />

auswählen und die Möglichkeit,<br />

selber mit den Fragewörtern Fragen zu<br />

formulieren auf unterschiedlichen Niveaus<br />

realisiert werden kann.<br />

Die Förderung ist kommunikativ und<br />

kooperativ, weil die Arbeit aus gemeinsamer<br />

Themenarbeit erwächst und z. B.<br />

durch Steckbriefe, Lernplakate oder<br />

Vorträge in die gemeinsame Arbeit<br />

zurückfließt; zudem kann sie partnerschaftlich<br />

ausgeführt werden.<br />

Anmerkung<br />

Das Praxisbeispiel stammt aus den Manuskripten<br />

zum Projekt des Grundschulverbandes:<br />

Individuell fördern – Kompetenzen<br />

stärken.<br />

Hier habe ich die Informationen gefunden:<br />

Was?<br />

Was wurde erfunden?<br />

Wann?<br />

Wann wurde es erfunden?<br />

Wer?<br />

Wer hat es erfunden?<br />

Wo?<br />

Wo wurde es erfunden?<br />

Wie?<br />

Wie wurde es erfunden?<br />

Warum?<br />

Warum wurde die Erfindung<br />

gemacht?<br />

Abb. 2: Frageraster als Formular: Erfinden und Erfindungen<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011<br />

19


Didaktisches Brauchtum oder Orientierung an Kindern heute?<br />

Ulrich Hecker<br />

Buchstabensalat<br />

Verirrungen und Verwirrungen um die »Schreibschrift«<br />

Am Beispiel der zum Teil aufgeregten Debatte um »Schreibschrift – Druckschrift<br />

– Grundschrift«, bei der es ja eigentlich um ein Kindern bekömmliches<br />

Schreibenlernen gehen sollte, wird immer wieder eine grundsätzliche Frage<br />

deutlich: Soll am didaktischen Brauchtum festgehalten werden oder müssen<br />

sich Schule und Unterricht an »Kindern heute« orientieren?<br />

mit der Grundschrift zu tun und mit<br />

Grundschulkindern, die einfach schreiben<br />

lernen wollen?<br />

Begriffsverwirrung?<br />

Claudia Bitzer bringt das Thema,<br />

das in diesem Sommer ein<br />

heftiges Rauschen im Blätterwald<br />

verursachte, in der Esslinger Zeitung<br />

(6. 10. 2011) auf den Punkt: »Für<br />

die einen kommt ein Abschied von der<br />

Lateinischen Ausgangsschrift oder der<br />

mancherorts auch praktizierten Vereinfachten<br />

Ausgangsschrift dem Untergang<br />

des Abendlands gleich. Für die<br />

anderen wiederum ist die Grundschrift,<br />

die vereinfacht gesprochen die Druckbuchstaben<br />

ohne große Schnörkel und<br />

komplizierte Richtungswechsel miteinander<br />

verbindet, der einzige Weg, den<br />

Schülern heutzutage überhaupt noch zu<br />

einer gut lesbaren Handschrift zu verhelfen.«<br />

Soll am didaktischen Brauchtum<br />

festgehalten werden oder müssen sich<br />

Lehrer/innen und Schreiberziehung an<br />

»Kindern heute« orientieren? Für den<br />

Grundschulverband ist die Entscheidung<br />

klar: Er vertritt die Bildungs-<br />

Ansprüche von Grundschulkindern.<br />

Dass das nicht unumstritten bleiben<br />

konnte, musste jeder und jedem klar<br />

sein, der sich in diesem Land dafür in<br />

Bildungspolitik wie praktischer Pädagogik<br />

einsetzt. Aber die in Teilen der<br />

Öffentlichkeit geführte heftige Polemik<br />

hat manchen in ihrer Gemengelage von<br />

Ahnungslosigkeit, Begriffsverwirrung,<br />

Böswilligkeit und politischem Kalkül<br />

doch überrascht.<br />

Komplott von »Alt-68ern«?<br />

Es gehört zum Handwerkszeug populistischer<br />

Kampagnen, einen Popanz<br />

aufzubauen, auf den man dann trefflich<br />

einschlagen kann. Realitätsbezug zweifelhaft<br />

bis nicht vorhanden.<br />

In der überregionalen Tageszeitung<br />

Die Welt (29. 06. 2011) schreibt Olaf<br />

Dittmann: »Unter dem Titel ›Senator<br />

Rabe gibt Anhängern der Einheitsschule<br />

nach‹ schrieb Primarschulgegner<br />

und CDU-Fraktionsmitglied Walter<br />

Scheuerl am Dienstag in einer Pressemitteilung,<br />

Rabe sei einer Forderung<br />

des Grundschullehrerverbands gefolgt.<br />

Dieser Verein sei ›von politisch links<br />

stehenden Pädagogen in der Hochzeit<br />

der ,68er‘ gegründet‹ worden und habe<br />

die schwarz-grünen Primarschulpläne<br />

unterstützt. ›Wir fordern<br />

Schulsenator Rabe auf, umgehend<br />

eine Korrektur des Bildungsplans<br />

zu veranlassen‹, so<br />

Scheuerl.«<br />

Dass der Grundschulverband<br />

als bildungspolitische<br />

und pädagogische Initiative<br />

1969 gegründet wurde, um die<br />

in dieser Zeit als eigenständige<br />

Schulform entstehende<br />

<strong>Grundschule</strong> nicht zum Hinterhof<br />

des Schulsystems verkümmern<br />

zu lassen, ist richtig. Damals<br />

übrigens ging das Interesse an tiefgreifenden<br />

Bildungsreformen weit über<br />

»links stehende Pädagogen« hinaus.<br />

Dass Herr Scheuerl, Initiator der erfolgreichen<br />

Hamburger Initiative »Wir wollen<br />

lernen«, selbst den Namen des Verbandes,<br />

den er so heftig attackiert, nicht<br />

richtig kennt, spricht für sich. An anderer<br />

Stelle wird aus den gleichen Kreisen<br />

moniert, der Verband hieße »Grundschulverband«,<br />

obwohl gar nicht alle<br />

<strong>Grundschule</strong>n in ihm organisiert seien.<br />

Polemik gepaart mit Uninformiertheit<br />

– das sollte rechten Bildungsbürgern<br />

eigentlich peinlich sein. Dass »der Verein«<br />

die Primarschulpläne in Hamburg<br />

unterstützte, ist selbstverständlich richtig.<br />

Vertritt er doch seit seiner Gründung<br />

die Forderung nach »einer Schule<br />

für alle Kinder«. Aber was hat das<br />

Manche und mancher, der es besser<br />

weiß (oder wissen müsste) nutzt den<br />

landläufigen Gebrauch des Wortes<br />

»Schreibschrift« für ihre und seine Absicht<br />

bewusst aus. Als ginge es darum,<br />

die »Schreibschrift« abzuschaffen! Nein:<br />

Dass die überkommenen Schul-Ausgangsschriften<br />

(als Ausgangs-Schriften<br />

ohnehin nicht mehr im Gebrauch) LA,<br />

VA und SAS schlicht überflüssig sind –<br />

darum geht es.<br />

Aus: www.welt.de 1)<br />

Die Grundschrift ist beides: Druckschrift<br />

und Schreibschrift! Ihre Buchstaben<br />

sind klar orientiert an den<br />

Formen der Druckschrift – in ihrer<br />

Funktion ist sie eine Schreibschrift.<br />

Die Grundschrift ist eine Schrift für die<br />

Hand der Kinder, sie bringt Buchstaben<br />

in Bewegung.<br />

Die in der Schule erlernte »Schreibschrift«<br />

(gemeint ist in der Regel die<br />

Lateinische Ausgangsschrift) schreibt<br />

auch kein Erwachsener mehr. Das geht<br />

nämlich gar nicht: Flüssig schreiben<br />

und alle Buchstaben miteinander verbinden.<br />

Nach zwei, drei, höchstens<br />

vier sichtbar verbundenen Buchstaben<br />

heben Kinder wie Erwachsene häufig<br />

kurz den Stift vom Blatt, auch im Wort,<br />

wenn auch nur für Sekundenbruchteile.<br />

So entspannen sie die Muskulatur<br />

und vermeiden unökonomische Hin-<br />

20 GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011


Didaktisches Brauchtum oder Orientierung an Kindern heute?<br />

und Her-Bewegungen auf dem Papier.<br />

Das übrigens ist nicht nur gängige<br />

Alltagserfahrung, sondern durch wissenschaftliche<br />

Studien belegt. Mit der<br />

Grundschrift werden alle Buchstaben<br />

so geübt, dass sie »mit Schwung«, locker<br />

und flüssig geschrieben werden.<br />

Kulturverfall?<br />

Fähig keiten, ästhetisches Bewußtsein<br />

und fließendes Denken.« 4)<br />

»Fließendes Denken«? Na, da muss<br />

doch die Politik ran! Dietrich Wersich,<br />

Vorsitzender der Hamburger CDU-<br />

Fraktion, warf der SPD »kulturelle Verarmung<br />

aus bildungspolitischer Ideologie«<br />

vor. Die »gemeinsame Basis der<br />

individuellen Handschrift<br />

dürfe nicht der Beliebigkeit<br />

ausgesetzt« werden. Kritik<br />

äußerte auch die FDP-<br />

Fraktion: Die Kulturtechnik<br />

des Schreibens sei in<br />

Gefahr!<br />

Aus: www.europhi.de 6)<br />

Jeder Kampagne ihren Aufkleber.<br />

Geht es doch um die Rettung »der<br />

Schreibschrift«. Anlässlich des Schuljahresbeginns<br />

hat die »DEUTSCHE<br />

SPRACHWELT« (»Schluß mit dem<br />

Ausverkauf der deutschen Sprache!«<br />

– man war schon vehement gegen die<br />

Rechtschreibreform) die Aktion »Rettet<br />

Faktencheck: Zurzeit gibt<br />

es an deutschen Grund-<br />

die Schreibschrift!« ausgerufen: schulen drei normierte ver-<br />

»Die Sprachzeitung ruft dazu auf, die bundene Ausgangsschriften:<br />

Schreibschrift als ein ›Abbild der deutschen<br />

Sprache von hoher kultureller Bedeutung‹<br />

die Lateinische (LA),<br />

die Vereinfachte (VA) und<br />

Aufkleber der »Deutschen Sprachwelt« 2)<br />

zu erhalten und weiterhin an<br />

den <strong>Grundschule</strong>n zu lehren. (…) Die<br />

Unterzeichner fordern die Kultusminister<br />

dazu auf, ›dafür zu sorgen, daß an<br />

den Schulen weiterhin Schreibschrift<br />

unterrichtet wird‹.« 3)<br />

Daran will ja sogar in der als Hauptstadt<br />

des Kulturverfalls angeprangerten<br />

die Schul-Ausgangsschrift<br />

(SAS). Davor gab es bis 1953 die Deutsche<br />

Normalschrift, bis 1941 die Sütterlin-Frakturschrift.<br />

Bei dieser Vielfalt<br />

der Schriftformen kann von dem einen<br />

»Kulturgut« ernsthaft keine Rede sein.<br />

Das zu bewahrende Kulturgut ist die<br />

überlieferte Lateinschrift: die großen<br />

Hansestadt niemand etwas ändern. und kleinen Druckbuchstaben, die<br />

Dort sollen die <strong>Grundschule</strong>n lediglich<br />

selbst darüber entscheiden, ob sie die<br />

»Gemischt-Antiqua« genannt wird. 5)<br />

Ihre klaren Buchstabenformen eignen<br />

bisherige Schulausgangsschrift oder<br />

sich Kinder unverfälscht mit dem<br />

die Grundschrift unterrichten. Dagegen<br />

wenden sich die selbsternannten<br />

Sprachschützer.<br />

Grundschrift-Abc an. Die Grundschrift<br />

verdrängt also keinesfalls ein wichtiges<br />

Kulturgut. Im Gegenteil: sie bewahrt<br />

es, indem die Buchstabenformen der<br />

Gemischt-Antiqua formklar erhalten<br />

bleiben – als wesentliches Kriterium in<br />

jeder Phase der Schreibentwicklung der<br />

Kinder.<br />

Geschäftemacherei?<br />

Auf der Homepage des »Europäischen<br />

»Mit Blick auf die Erfahrungen aus<br />

der Rechtschreibreform warnen sie<br />

die Kultusminister vor einem weiteren<br />

schulpolitischen Mißgriff. (…) ›Die<br />

Grundschrift ist keine Schreibschrift!<br />

Wer die Schreibschrift abschafft, gibt<br />

nicht nur ein wertvolles Kulturgut auf,<br />

sondern behindert auch die geistige<br />

Entwicklung der Kinder.‹ Die Schreibschrift<br />

fördere nämlich motorische<br />

Instituts für Schreibkultur & Philographie«<br />

stellt die Leiterin dieser wohlklingenden<br />

Einrichtung, Susanne Dorendorff,<br />

unter dem Motto »Grundschrift<br />

– damit Kinder nicht schreiben lernen«,<br />

folgende Behauptung auf:<br />

In gleicher Weise schimpft in der<br />

tages zeitung (taz, 03. 08. 2011) unter<br />

der Überschrift »Schreiben mit Holzpantoffeln«<br />

Karin Pfeiffer-Stolz: »Wenn<br />

ein Interessenverband der gutmütigen<br />

Kundschaft die Einzellettern der<br />

Druckschrift als Handschrift verkaufen<br />

will, ist dies schon mehr als Dummheit<br />

– es ist Chuzpe aus wirtschaftlichem<br />

Interesse. Bei genauem Hinsehen wird<br />

deutlich, dass die traditionelle Schreibschrift<br />

der flächendeckenden und lukrativen<br />

Vermarktung des eigenen<br />

Schriftproduktes im Wege steht.«<br />

Frau Pfeiffer-Stolz, Autorin von kopierbaren<br />

Unterrichtshilfen (»Humorvolles<br />

zum Lernen«, »Lesen, Lernen, Lachen<br />

– STOLZ bringt Freude und Erfolg«, so<br />

die Verlagswerbung) und Frau Dorendorff,<br />

Leiterin des »Europäischen Instituts<br />

für Schreibkultur & Philographie«<br />

(Vertrieb von e-Books, Coaching) und<br />

gleichzeitig Vereinsvorsitzende (»lesbar<br />

schreiben e. V.«) verrechnen sich:<br />

Die Grundschrift-Kartei braucht es nur<br />

ein oder zwei Mal pro Klasse! Und alle<br />

Kinder können damit arbeiten! Dass<br />

mehrere Kinder im Grundschulunterricht<br />

mit einer Lernkartei arbeiten<br />

– man sollte denken, das sei allgemein<br />

bekannt. Ahnungslosigkeit also oder<br />

böswillige Unterstellung? Jedenfalls<br />

versucht man so, ein missliebiges Projekt<br />

in ein schiefes Licht zu rücken. Und<br />

einmal in der Welt verbreitet sich solch<br />

üble Nachrede. Selbst die »Frankfurter<br />

Allgemeine (FAZ)« verbreitete das Gerücht<br />

weiter, obwohl doch dahinter immer<br />

ein kluger Kopf stecken soll. (Auch<br />

ein Gerücht?)<br />

Nein, der »große Reibach« für den<br />

Grundschulverband ist nicht in Sicht,<br />

war und ist auch nicht angestrebt. Die<br />

Grundschrift-Initiative bedeutete für<br />

den relativ kleinen Verband eine erhebliche<br />

Investition. Wir sind froh, wenn<br />

die Bilanz am Ende finanziell ausgeglichen<br />

ist. Und sollte finanziell doch<br />

mehr dabei herauskommen, dann ist<br />

das eine Grundlage für Projekte des<br />

Verbandes. Darüber entscheidet dann<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011 21


Didaktisches Brauchtum oder Orientierung an Kindern heute?<br />

unsere Delegiertenversammlung. Denn<br />

der Grundschulverband ist erstens demokratisch<br />

und zweitens ein gemeinnütziger<br />

Verein. Deshalb sind solche<br />

Anschuldigungen entweder naiv oder<br />

schlicht bösartig.<br />

Statt »Unbildungs-Plan« links und<br />

rechts die Ärmchen ausstrecken?<br />

Noch einmal die Hamburger Erwachsenen-Initiative<br />

»Wir wollen lernen«:<br />

»Im sog. ›Bildungsplan <strong>Grundschule</strong> –<br />

Deutsch‹ liest sich das so: ›Die Schülerinnen<br />

und Schüler entwickeln im Laufe<br />

der Grundschulzeit eine individuelle,<br />

flüssige und lesbare Handschrift. Im<br />

Anfangsunterricht wird dies entweder<br />

durch die Erarbeitung der unverbundenen<br />

Druckschrift und anschließend der<br />

Schulausgangsschrift als verbundener<br />

Schrift oder der Grundschrift als einziger<br />

Schrift ermöglicht (siehe Anhang).‹<br />

Bei der sog. ›Grundschrift‹ können<br />

die Schülerinnen und Schüler praktisch<br />

alles machen, so lange man am Ende die<br />

Worte entziffern kann. (…) Der angebliche<br />

›Bildungsplan <strong>Grundschule</strong>‹ wird<br />

damit mehr oder weniger zum ›Unbildungs-Plan‹.«<br />

7)<br />

Wie es denn richtig gehen soll, schildert<br />

Ute Andresen in der tageszeitung<br />

(taz Bildung, 09. 02. 2011) so: »Da zeigt<br />

man den Kindern, wie die einzeln stehenden<br />

kleinen Druckbuchstaben, die<br />

sie schreiben können, jetzt links und<br />

rechts die Ärmchen ausstrecken, damit<br />

sie ihre Nachbarn im Wort anfassen<br />

können. Das ist kinderlogisch. Wie man<br />

den Kleinen dabei helfen kann, dass sie<br />

am Ende alle schön dastehen, das will<br />

man gerne lernen. Und wenn die Kinder<br />

mit ihrer schon im Druckschriftlehrgang<br />

geübten Feinmotorik, mit ihrer inzwischen<br />

verfeinerten Formwahrnehmung<br />

und nun viel besseren Koordination von<br />

Auge und Hand diese zweite, aus der ersten<br />

abgeleitete Schrift zu üben beginnen,<br />

stellen sie fest: Das ist ja viel, viel leichter<br />

als die erste Schrift! Juhu!«<br />

Das ist nicht »kinderlogisch« – das<br />

ist kindertümelnd! Es bleibt dabei: Ziel<br />

der <strong>Grundschule</strong> ist die flüssig geschriebene<br />

und gut lesbare Handschrift der<br />

Kinder. Dazu müssen die Kinder nicht<br />

zwei Ausgangsschriften lernen. Eine<br />

reicht, und zwar die erste der beiden:<br />

die mit der Hand geschriebene Druckschrift.<br />

Mit ihr üben die Kinder im<br />

Weiteren, Buchstaben zu verbinden und<br />

zunehmend geläufiger zu schreiben. Die<br />

Grundschrift ist damit der Weg zum<br />

Ziel: eine flüssig geschriebene und gut<br />

lesbare Handschrift.<br />

Unaufgeregte Berichte<br />

von lebendiger Praxis<br />

Es gibt viele Journalistinnen und Journalisten,<br />

die sich wirklich dafür interessieren,<br />

wie Kinder schreiben lernen<br />

und was es mit der Grundschrift nun<br />

eigentlich auf sich hat. Und immer wieder<br />

wird deutlich: Begegnen »Medienmenschen«<br />

leibhaftigen Lehrerinnen,<br />

Schulleiterinnen, Kindern an einer lebendigen<br />

Schule, dann bleibt von der<br />

hochgepushten Polemik nichts, dafür<br />

öffnet sich der Blick auf aufmerksame,<br />

engagierte, an Kindern und ihrem<br />

Lernen interessierte Schul- und Unterrichtsarbeit.<br />

Einige Pressestimmen aus<br />

den letzten Wochen seien dafür beispielhaft<br />

angeführt.<br />

»Mit Schwung statt Schnörkeln«<br />

überschreibt Claudia Bitzer ihren Bericht<br />

über ihren Besuch in der Esslinger<br />

Herderschule, die als eine von 16 Schulen<br />

in Baden-Württemberg offiziell die<br />

Grundschrift erprobt:<br />

»Am Anfang jonglieren noch alle<br />

Erstklässler unbekümmert mit den<br />

Buchstaben. Viele kennen sie schon –<br />

sei es aus Büchern oder von den älteren<br />

Geschwistern. Doch sobald es von den<br />

gewohnten Druckbuchstaben in die<br />

Lateinische Schrift geht, hört für viele<br />

der Spaß am Schreiben auf. Das muss<br />

nicht sein – meint man an der Oberesslinger<br />

Herderschule.<br />

Ästhetik versus Pädagogik?<br />

Herderschulleiterin Margarete Teuscher<br />

hat jedenfalls eindeutig Position<br />

bezogen: ›Ich bin keine Ästhetin, sondern<br />

Pädagogin.‹ Als solche musste sie<br />

immer wieder beobachten, wie sich ihre<br />

Kinder mit den ›vielen, vielen Drehrichtungswechseln‹<br />

der Lateinischen Schrift<br />

abquälten. ›Sie hat stundenlanges Üben<br />

erfordert‹, sagt auch Konrektorin Jana<br />

Lang. Teuscher war schon länger davon<br />

überzeugt: ›Das kostet Zeit und Kraft.<br />

Beides kann man anderweitig für die<br />

Schüler viel besser einsetzen.‹ «<br />

(Esslinger Zeitung, 06. 10. 2011)<br />

In der Mitteldeutschen Zeitung aus<br />

Halle/Saale (24. 08. 2011) bedauert Ralf<br />

Böhme, dass in Sachsen-Anhalt die<br />

Arbeit mit der Grundschrift noch eine<br />

ziemliche Ausnahme ist. Unter dem Titel<br />

»Schrift: Einfach ohne Schnörkel«<br />

schreibt er: »Dass in Osterhausen die<br />

Kinder mit einem Erfolgserlebnis starten,<br />

verdanken sie einer Ausnahme.<br />

Schulleiterin Katharina Hesse praktiziert<br />

mit ihren Kollegen eine Lehr-<br />

Methode, die zwar in anderen Bundesländern<br />

üblich ist, hierzulande aber den<br />

Durchbruch einfach nicht schafft: die<br />

22 GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011


Didaktisches Brauchtum oder Orientierung an Kindern heute?<br />

sogenannte Grundschrift. Ausgangspunkt<br />

ist dabei die Sprache. ›Wir setzen<br />

den gesprochenen Laut in Schrift um‹,<br />

so Hesse. Am einfachsten ist das mit<br />

Druckbuchstaben, so die Erfahrung in<br />

Osterhausen. Zwar könne man für die<br />

erste Probe nicht gleich einen Preis im<br />

Schönschreiben vergeben. Aber das<br />

Ganze habe einen Vorzug, so Hesse:<br />

›Wir knüpfen unmittelbar an den Erfahrungen<br />

der Kinder an und können<br />

ohne lange Vorrede gleich loslegen.‹<br />

Letztlich zähle, dass die Schüler am<br />

Ende der zweiten Klasse ordentlich<br />

schrei ben können.«<br />

Auch die Rheinische Post aus dem nordrhein-westfälischen<br />

Wermelskirchen<br />

beschäftigte sich mit der Einführung<br />

der Grundschrift. Arne Lieb berichtete:<br />

»Schüler der Katholischen <strong>Grundschule</strong><br />

sollen künftig die neue Grundschrift<br />

lernen. Sie soll Anfängern das Schreiben<br />

erleichtern und die Handschrift später<br />

lesbarer machen. Die Schwanenschule<br />

überlegt zu folgen. (…) Leonie aus der<br />

4b schreibt einen Satz in Schreibschrift<br />

auf die Tafel. Ab dem kommenden Jahr<br />

sollen die Schüler der KGS stattdessen<br />

die neue Grundschrift lernen. Lesbarer,<br />

einfacher zu erlernen und zeitsparend<br />

– Befürworter der Grundschrift erhoffen<br />

sich viele Vorteile. (…) Schon das<br />

laufende erste Schuljahr soll umsteigen,<br />

das nächste ab dem Sommer direkt<br />

mit der anderen Schrift beginnen.<br />

Die Schulkonferenz soll noch vor den<br />

Ferien zustimmen. KGS-Leiter Gerd<br />

Palmersheim hofft, dass Schüler durch<br />

die neue Schrift schöner und klarer<br />

schrei ben. Denn um die Handschrift sei<br />

es schlecht bestellt. ›In unseren Gesprächen<br />

mit weiterführenden Schulen geht<br />

es immer wieder darum‹, sagt Palmersheim.«<br />

(08. 06. 2011)<br />

In der Tageszeitung Die Welt, sonst der<br />

Grundschrift-Initiative überaus kritisch<br />

gegenüberstehend, verweist Manuel<br />

Bewarder in seinem Beitrag » Debatte<br />

um Schreibschrift« (02. 07. 2011) auf<br />

interessante Forschungsergebnisse aus<br />

der Schweiz: Ȇber den Nutzen der<br />

Anmerkungen<br />

(1) Quelle: www.welt.de/print/die_welt/<br />

vermischtes/article13477052/Schreibschriftade.html<br />

(2) Quelle: http://deutschesprachwelt.de/<br />

berichte/pm-2011-09-09.shtml<br />

(3) ebenda<br />

(4) ebenda<br />

(5) Siehe die »Kleine Kulturgeschichte der<br />

Handschrift« von Jules van der Ley, im<br />

Internet unter www.grundschulverband.de/<br />

fileadmin/<strong>aktuell</strong>/Grundschrift/GSa110_<br />

Mai10_Handschrift-Kulturgeschichte_<br />

S31-35.pdf<br />

Grundschrift gibt es bisher nur sehr<br />

wenige wissenschaftliche Erkenntnisse.<br />

Forscher der Pädagogischen Hochschule<br />

Zentralschweiz Luzern hatten für<br />

eine im vergangenen Jahr vorgestellte<br />

Studie die schreibmotorischen Leistungen<br />

von Viertklässlern verglichen. Eine<br />

Hälfte von ihnen war in einer Schweizer<br />

Schrift unterrichtet worden, die der<br />

Lateinischen Ausgangsschrift ähnelt.<br />

Die anderen lernten eine Basisschrift,<br />

die mit der Grundschrift vergleichbar<br />

ist. Das Ergebnis: Wer die Basisschrift<br />

lernte, konnte schneller und dennoch<br />

leserlicher schreiben. Die Luzerner<br />

Schriftdidaktik-Dozentin Sibylle<br />

Hurschler fand aber auch heraus, ›dass<br />

das einfachere Erlernen die Kinder motivierte‹.«<br />

8)<br />

(6) Quelle: www.europhi.de/de/<br />

grundschrift-damit-kinder-nicht-mehrschreiben-lernen-kartei-zum-lernen-undueben/<br />

(7) www.wir-wollen-lernen.de/2272/rettetdie-schreibschrift/<br />

– Wenn etwas »sog.« ist, dann ist es besonders<br />

übel: Früher war höchstens die sog.<br />

»DDR« so richtig »sog.«!<br />

(8) Informationen zur Schweizer Basisschrift<br />

finden sich im Internet unter<br />

www.schulschrift.ch<br />

Horst Bartnitzky, Ulrich Hecker, Christina Mahrhofer-Bernt (Hrsg.):<br />

Grundschrift. Damit Kinder besser schreiben lernen.<br />

Grundschulverband: Frankfurt a. M. 2011<br />

132 Beiträge zur Reform der <strong>Grundschule</strong><br />

Grundschrift<br />

Damit Kinder besser schreiben lernen<br />

Horst Bartnitzky<br />

Ulrich Hecker<br />

Christina Mahrhofer-<br />

Bernt (Hg.)<br />

Kartei zum Lernen und Üben<br />

Teil 1<br />

Die Buchstaben<br />

PDF-Dateien für Windows<br />

und Macintosh sowie<br />

TrueType-Fonts (ttf)<br />

CD zu Band 132 der Beiträge zur Reform der <strong>Grundschule</strong><br />

Grundschrift.<br />

Damit Kinder besser schreiben lernen<br />

Kopiervorlagen, Materialien und Grundschrift für den PC<br />

Horst Bartnitzky, Ulrich Hecker, Christina Mahrhofer-Bernt (Hrsg.)<br />

Frankfurt / M. 2011<br />

Kartei zum Lernen und Üben<br />

Teil 2<br />

Schreiben mit Schwung<br />

Buch mit CD und Karteien 1 + 2: 39 € (für Mitglieder: 26 €),<br />

Karteien 1 + 2 separat: 29 € (für Mitglieder: 19 €)<br />

Bestellungen direkt an den Grundschulverband<br />

– per Post: Grundschulverband e. V., Niddastr. 52, 60329 Frankfurt<br />

– per Mail: info@grundschulverband.de<br />

– im Internet: www.grundschulverband.de<br />

© Grundschrift: www.grundschulverband.de · © Illustrationen: www.designritter.de<br />

© Grundschrift: www.grundschulverband.de · © Illustrationen: www.designritter.de<br />

Als Band 132 der Reihe »Beiträge zur Reform<br />

der <strong>Grundschule</strong>« ist im Juni ein pralles Materialpaket<br />

an alle Mitglieder verschickt worden.<br />

Zu dieser Publikation gehören:<br />

Ein ● »Basis-Buch« mit grundlegenden<br />

Informationen und Hintergründen zur Grundschrift,<br />

in dem das Konzept der Grundschrift in<br />

Theorie und Praxis erläutert wird, wissenschaftliche<br />

Befunde dargelegt und Praxisbeispiele für<br />

eine schreibdidaktische Begleitung vorgestellt<br />

werden;<br />

eine ● CD-ROM mit vielen weiteren Materialien<br />

(u. a. die Grundschrift als PC-Schrift (»True Type<br />

Font«, ttf), Arbeitskarteien zu Projekten rund<br />

um das Thema »Schrift und Schreiben«, die<br />

»Kleine Kulturgeschichte der Handschrift« von<br />

Jules van der Ley sowie<br />

die ● beiden »Karteien zum Lernen und Üben:<br />

›Die Buchstaben‹ (Teil 1) und ›Schreiben mit<br />

Schwung‹ (Teil 2)«.<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011 23


Didaktisches Brauchtum oder Orientierung an Kindern heute?<br />

Einfach schreiben<br />

Einblicke in das Schreibenlernen mit der Grundschrift<br />

Nico Stolz<br />

»Eine Schrift, die Kinder in ihrem Mitteilungsdrang unterstützt<br />

und ihnen leicht von der Hand geht«<br />

Die Grundschrift basiert auf<br />

Druckbuchstaben, die »mit<br />

Schwung« erlernt werden, und<br />

die in einem zweiten, späteren Schritt<br />

mit einem »ökonomischen« Schwung<br />

auch verbunden werden. Heutzutage<br />

beginnen Schulneulinge in den meisten<br />

Bundesländern mit Druckbuchstaben,<br />

zu Beginn des Schriftspracherwerbs in<br />

Großantiqua. In der Regel wird dann<br />

in der zweiten Klasse eine verbundene<br />

Schrift (eine der drei Schulausgangsschriften)<br />

eingeführt, deren Buchstaben<br />

den vorher Erlernten meist nur<br />

ansatzweise ähneln. Nach meiner Einschätzung<br />

benötigen die Kinder eine<br />

ökonomische Gebrauchsschrift, die alltagstauglich<br />

ist. Eine Schrift, die Kinder<br />

in ihrem Mitteilungsdrang unterstützt<br />

und ihnen leicht von der Hand geht.<br />

Sicherlich gibt es Schreibanlässe,<br />

wo es darauf ankommt, dass etwas<br />

besonders »schön« geschrieben wird.<br />

Ob eine Schrift »schön« erscheint, ist<br />

jedoch sehr subjektiv. Befürworter der<br />

verbundenen Schriften führen oft das<br />

Argument an, die Ausgangschriften<br />

seien schlichtweg »schöner«. Wichtig<br />

ist aber nicht das »Schönschreiben«,<br />

sondern der Gebrauchswert der Schrift<br />

für das eigene Schreiben. Auf dem Weg<br />

zu einer persönlichen Handschrift sollen<br />

die Kinder immer wieder mit ganz<br />

unterschiedlichen Schriften konfrontiert<br />

werden. Beispiele dafür finden<br />

sich in den Projektkarteien von Erika<br />

Brinkmann auf der CD zum »Grundschrift-Materialpaket«.<br />

Dabei geht es<br />

beispielsweise auch um den Einsatz<br />

der Kalligraphie oder um das eigene<br />

Entwickeln eines kunstvoll gestalteten<br />

Alphabets.<br />

Bei den meisten Schreibanlässen aus<br />

dem Alltag eines Schulkindes sollte es<br />

vordergründig darum gehen, dass die<br />

Schrift – einfach ausgedrückt – gut<br />

zu lesen ist und eine bestmögliche<br />

Schreibgeschwindigkeit begünstigt.<br />

Kinder sollten die Verbindung von<br />

Schrift als praktikabel erleben. Die<br />

Einführung der Grundschrift spart<br />

den Kindern und Lehrern Zeit, eine<br />

zweite / neue Schrift lernen zu müssen.<br />

Im zweiten Teil der Grundschrift-<br />

Kartei geht es um das »Schreiben mit<br />

Schwung«. Den Kindern werden verschiedene<br />

Möglichkeiten aufgezeigt,<br />

wie Buchstabengruppen verbunden<br />

werden können. Die Arbeit mit der<br />

Grundschrift wird im nächsten Abschnitt<br />

mit einigen Beispielen aus der<br />

Praxis erläutert.<br />

Die Arbeit mit der Grundschrift<br />

Die Kinder üben mit der Grundschriftkartei, ob beim Nachfahren mit dem Stift oder<br />

beim Schreiben von verbundenen Wörtern auf Schmierpapier.<br />

Die Buchstaben der Grundschrift unterscheiden<br />

sich von den herkömmlichen<br />

Druckbuchstaben lediglich darin, dass<br />

sie bereits einen Ansatz für eine später<br />

einsetzende Verbindung haben, den<br />

»Wendebogen«. Diese Tatsache begünstigt<br />

auch einen möglichen Umstieg auf<br />

die Grundschrift, weil man bestehendes<br />

Material weiterhin zusätzlich nutzen<br />

kann. Auf der CD zum Grundschrift-<br />

Materialpaket gibt es diverse Formblätter,<br />

die ausgedruckt werden können, so<br />

dass für jedes Kind ein kleines Heft mit<br />

dem Namen »Meine Schrift« entsteht.<br />

In diesem Heft arbeiten die Kinder individuell<br />

an ihrer eigenen Handschrift,<br />

die aus den gelernten Groß- und Kleindruckbuchstaben<br />

innerhalb des Schulanfangs<br />

erwächst. Das Heft gibt dann<br />

später einen guten Einblick in die Entwicklung<br />

der Handschrift, sowohl für<br />

die Kinder als auch für die Lehrerin<br />

24 GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011


Didaktisches Brauchtum oder Orientierung an Kindern heute?<br />

oder den Lehrer. Hierin können beispielsweise<br />

auch die »schönsten« Texte<br />

der Kinder gesammelt werden.<br />

Ein großer Vorteil der Grundschrift<br />

ist, dass die Kinder mehrere Möglichkeiten<br />

haben, Buchstaben miteinander<br />

zu verbinden. Es geht also nicht darum,<br />

normierte Buchstabenverbindungen<br />

nachhalten zu müssen. Es geht darum,<br />

dass sich die Verbindung von Buchstaben<br />

am Schreiben des jeweiligen Kindes<br />

orientiert. Auf den Karten der zweiten<br />

Grundschrift-Kartei »Schrei ben<br />

mit Schwung« werden den Kindern<br />

immer gleich mehrere Verbindungen<br />

aufgezeigt, so dass sie sich für eine<br />

Variante entscheiden können, mit der<br />

sie beim Schreiben gut zurechtkommen.<br />

Dies kann verhindern, dass die<br />

reine Technik des Schreibens einen<br />

höheren Stellenwert bekommt als der<br />

Inhalt des Geschriebenen.<br />

Die Arbeit mit der Grundschrift kann<br />

zum Beispiel mit in den Wochen plan<br />

einfließen. Kinder können bestimmte<br />

Aufgaben alleine oder auch zu zweit<br />

oder in der Kleingruppe bearbeiten.<br />

Ausgestattet mit dem Heft »Meine<br />

Schrift« oder auch mit sonstigen Textdokumenten,<br />

die in Grundschrift verfasst<br />

wurden, können die Kinder dann<br />

in einem Reflexionsgespräch über die<br />

Technik des Schreibens und über gangbare<br />

Verbindungen reden. Das Reflexionsgespräch<br />

wird durch Kriterien geleitet,<br />

die auf einem Bogen für die Kinder<br />

und Lehrerinnen bzw. Lehrer aufgelistet<br />

sind. Dieser Kriterienbogen befindet<br />

Nico Stolz<br />

ist Klassenlehrer einer jahrgangsgemischten<br />

Lerngruppe 3/2 an der<br />

KGS Mainzer Straße in Köln.<br />

Melanie Kleine-Tebbe<br />

ist Klassenlehrerin einer jahrgangsgemischten,<br />

inklusiven 4/1 an der<br />

KGS Mainzer Straße in Köln.<br />

www.kgs-mainzer.de<br />

sich ebenfalls auf der Begleit-CD des<br />

Grundschriftmaterials.<br />

Den Kindern bereitet die Arbeit mit<br />

der Kartei »Schreiben mit Schwung«<br />

viel Freude und sie probieren fleißig<br />

verschiedene Verbindungen aus, so dass<br />

sie zu ihrer ganz persönlichen Handschrift<br />

gelangen. Wenn wir uns heute<br />

einmal unsere eigene Handschrift anschauen,<br />

werden sehr viele feststellen,<br />

dass von den einst gelernten Normverbindungen<br />

viele nicht mehr Bestand<br />

haben. Daher meine Frage zum Schluss:<br />

Warum sollen Kinder eine verbundene<br />

Schrift erlernen, die auf normierten<br />

Verbindungen basiert und die, wenn sie<br />

schnell geschrieben wird, häufig eher<br />

unleserlich daher kommt. Die Kinder<br />

benötigen eine saubere und klar les bare<br />

Handschrift, die ihnen zügig von der<br />

Hand geht.<br />

Die Lineatur auf der Begleit-CD gibt<br />

den Kindern beim Schreiben eine<br />

Orientierung, das »Dach« und der »Keller«<br />

sind jedoch nach oben hin offen.<br />

Melanie Kleine-Tebbe<br />

»Inklusion meint, den Unterricht<br />

für alle Kinder zu individualisieren.<br />

Die Grundschrift bietet diese Möglichkeit«<br />

Bereits während meines Lehramtsstudiums<br />

plagte mich die<br />

Sorge, dass ich eines Tages wohl<br />

wieder auf eine »Schreibschrift« umlernen<br />

müsste, wenn ich Deutsch in der<br />

<strong>Grundschule</strong> unterrichten wollte. Ich<br />

bewunderte die GrundschullehrerInnen,<br />

die offenbar ohne mit der Wimper<br />

zu zucken von ihrer Privatschrift<br />

in eine Schulausgangsschrift wechselten.<br />

Ich beherrschte diese Technik<br />

nicht, zumal ich noch eine ganz andere<br />

»Schreibschrift« gelernt (und mir längst<br />

abgewöhnt) hatte.<br />

Ende der achtziger Jahre lernte ich<br />

im zweiten Schuljahr, nachdem ich im<br />

ersten Schuljahr mühsam eine halbwegs<br />

saubere Druckschrift erlernt hatte,<br />

die »Lateinische Ausgangsschrift«. Als<br />

Linkshänderin hatte ich ohnehin beim<br />

Schreiben lernen ganz andere Probleme<br />

zu bewältigen als der Großteil meiner<br />

rechtshändigen MitschülerInnen. So<br />

wurde stets kritisiert, dass meine Buchstaben<br />

»kippten«. Denke ich heute an<br />

diese Zeit zurück, hätte ich wahrscheinlich<br />

aufgeatmet, wenn man mir gesagt<br />

hätte, dass ich bei meiner Druckschrift<br />

bleiben dürfte. Vielleicht wäre dann<br />

auch das ungeliebte »befriedigend« in<br />

Schrift auf dem Zeugnis verschwunden.<br />

Meine Schwester, vier Jahre später<br />

eingeschult, lernte eine völlig andere<br />

Schreibschrift: die »Vereinfachte Ausgangsschrift«.<br />

Diese zu lesen war für<br />

das anders geschulte Auge gar nicht<br />

immer leicht, und wenn ich an die Verschriftlichung<br />

des »z« oder das »Köpfchen-e«<br />

denke, konnte von »Vereinfachung«<br />

doch beim besten Willen keine<br />

Rede sein.<br />

Inklusion ist in der <strong>aktuell</strong>en pädagogischen<br />

Diskussion in aller Munde. In<br />

meiner jahrgangsgemischten »inklusiven«<br />

Klasse 4/1 bedeutet dies auch,<br />

dass diese von Kindern besucht wird,<br />

die feinmotorisch teilweise weit hinter<br />

ihren Altersgenossen zurückliegen. Die<br />

motorische Entwicklung steht jedoch<br />

nicht bei jedem Kind im Zusammenhang<br />

mit seiner geistigen Entwicklung.<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011 25


Didaktisches Brauchtum oder Orientierung an Kindern heute?<br />

Sprich: Diese Kinder können Laute diskriminieren,<br />

Buchstaben zuordnen und<br />

wollen dementsprechend schreiben. Für<br />

sie kommt die Grundschrift gleich aus<br />

zwei Gründen wie gerufen: Einerseits<br />

gehen die Buchstaben viel »lockerer<br />

von der Hand«, weil sie einen gewissen<br />

Schwung aufweisen und nicht so starr<br />

sind wie die klassischen Druckbuchstaben.<br />

Andererseits weiß ich, dass ich die<br />

Kinder nach dem mühevollen Erlernen<br />

dieser Schrift nicht nach etwa einem<br />

Jahr mit der nächsten feinmotorischen<br />

Anforderung überfordern muss.<br />

Inklusion bezieht sich meiner Ansicht<br />

nach jedoch nicht nur auf die Kinder,<br />

die laut AO-SF einen Förderbedarf<br />

haben. Inklusion meint, den Unterricht<br />

für alle Kinder zu individualisieren.<br />

Die Grundschrift bietet diese Möglichkeit.<br />

Die Kartei zum Schreibenlernen<br />

des Grundschulverbands regt dazu an,<br />

Eigenes, Individuelles auszuprobieren<br />

und letztlich zu verstehen, an welchen<br />

Stellen Buchstabenverbindungen sinnvoll<br />

und wo sie vollkommen überflüssig,<br />

ja zeitraubend sind.<br />

Individualisierung schließt demnach<br />

aber auch nicht aus, den Kindern das<br />

Angebot zu machen, eine verbundene<br />

Schulausgangsschrift zu erlernen. Für<br />

manche Kinder (und ihre Eltern!) gehört<br />

das Erlernen »der Schreibschrift«<br />

nach meiner Erfahrung zur Schule wie<br />

die Schultüte am ersten Schultag. Diesen<br />

möchte ich diese Möglichkeit auch<br />

nicht verwehren.<br />

Wenn ich die Kinder meiner Klasse<br />

aus dem vierten Schuljahr beim<br />

Schrei ben beobachte, dann bestätigt<br />

sich die Idee der Grundschrift: Kaum<br />

eine Schrift gleicht da noch der anderen,<br />

obwohl im zweiten Schuljahr alle<br />

Kinder die Vereinfachte Ausgangsschrift<br />

(VA) gelernt haben. Und so beobachtete<br />

ich noch vor einigen Tagen<br />

zwei Mädchen, die sich über ihre Schrift<br />

austauschten und verschiedene Buchstabenschreibungen<br />

der jeweils anderen<br />

erprobten, weil sie »so schön aussehen«.<br />

Genauso habe ich es auch schon unzählige<br />

Male gemacht, seit ich eine Schreibschrift<br />

gelernt habe. Diese habe ich im<br />

Übrigen sofort zu Beginn des fünften<br />

Schuljahres in eine flüssig zu schreibende<br />

Druckschrift umgelernt. Und es wird<br />

niemanden überraschen, dass diese<br />

wiederum in keiner Weise mehr meiner<br />

heutigen Schrift ähnelt.<br />

Für die Arbeit in jahrgangsübergreifenden<br />

Klassen kommt der Grundschrift<br />

noch eine ganz andere Bedeutung<br />

zu: Die Kinder des 1. Schuljahres<br />

können teilweise gar nicht lesen, was<br />

die Kinder der höheren Jahrgänge geschrieben<br />

haben. Mit den Grundschrift-<br />

Buchstaben löst sich dieses Problem:<br />

Alle schreiben und lesen die gleichen<br />

Buchstaben von Anfang an.<br />

Erstklässler fahren die Buchstaben<br />

mit den Fingern nach und erfahren:<br />

Schreiben ist Bewegung.<br />

Barbara van der Donk<br />

»Kinder haben die Freiheit, ihrer Hand<br />

und ihren Möglichkeiten entsprechend zu üben«<br />

Die Initiative zur Grundschrift<br />

ist ein Beitrag zum selbstbestimmten<br />

Lernen von Grundschulkindern.<br />

Die Grundschrift fördert<br />

die Freude an der schriftlichen Mitteilung.<br />

Gleichzeitig wird durch die Initiative<br />

zur Grundschrift die Vielfalt von<br />

Grundschulkindern gewürdigt.<br />

Kinder möchten Schreiben lernen,<br />

wenn sie in die Schule kommen. Sie können<br />

das genauso selbstständig lernen,<br />

wie sie in der Lage sind, das Geheimnis<br />

der Buchstaben und Laute zu erschließen.<br />

Sie haben die Freiheit, in dem Heft<br />

»Meine Schrift« (vgl.<br />

Grundschrift-Materialpaket)<br />

ihrer Hand<br />

und ihren Möglichkeiten<br />

entsprechend<br />

zu üben, erhalten<br />

individuelle Rückmeldung<br />

und werden<br />

durch gezielte Hilfestellungen<br />

von Mitschülern<br />

und von der<br />

Lehrerin unterstützt.<br />

Welche Fortschritte Kerem und Sophie<br />

gemacht haben! Beide Kinder besuchten<br />

ein erstes Schuljahr. Sie schrieben<br />

in ihr erstes Heft »Meine Schrift«.<br />

Ich bat sie, Seiten zu suchen, an denen<br />

sie merken, wie gut sie schon schreiben<br />

können.<br />

Kerems Buchstaben waren im März<br />

sehr ungelenk und nicht immer von<br />

oben nach unten geschrieben. Das »b«<br />

wurde noch zur »6« und die Freude am<br />

Schreiben war noch recht mäßig. Aber<br />

dann wollte er unbedingt die 2. Kartei<br />

ausprobieren – »die Karten mit dem<br />

Schwung«, sagte er. Er schaute sie sich<br />

nur an und fuhr die Buchstaben mit<br />

dem Finger nach. Anschließend wollte<br />

er seinen Namen mit Schwung schreiben<br />

üben. Hier ist eine Seite von vier<br />

mit seinem Namen. Er hat seine eigenen<br />

Verbindungen geschaffen und stellt<br />

fest: Jetzt kann ich viel schneller unterschreiben.<br />

Viel Erfolg, Kerem!<br />

Schreibentwicklung: Kerem …<br />

Sophie war von Anfang an motiviert<br />

beim Schreiben. Sie gestaltete<br />

ihre Buchstaben bunt. Eine Seite füllte<br />

sie komplett mit kleinen Buchstabenpäckchen.<br />

Sie mischte kleine und<br />

große Buchstaben. Der Schwung in<br />

ihrer Schrift ist schon zu erkennen<br />

beim »m«, »n«, »u« und »i«. Das war im<br />

Februar.<br />

26 GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011


Didaktisches Brauchtum oder Orientierung an Kindern heute?<br />

Im Mai ging sie noch systematischer<br />

an die Sache heran. Das Buchstaben<br />

üben wurde ihr zu einfach, sie schrieb<br />

Verbindungen aus der Kartei und suchte<br />

sich passende Wörter dazu. Auch sie<br />

stieß auf ihren Namen und suchte sich<br />

die Buchstabenverbindungen heraus,<br />

die sie für ihren Namen brauchte. Sophie<br />

übte »ie«. Dann schrieb sie »ch«.<br />

Sie zeigte mir die beiden Seiten und<br />

sagte: »Dass ich ›ich‹ schreiben kann,<br />

finde ich gut.«<br />

Ich als Lehrerin habe gemerkt, welche<br />

Dynamik bei den Kindern entstand.<br />

Sie motivierten sich gegenseitig! Dabei<br />

spielte es keine Rolle, ob Kinder im<br />

ersten Schuljahr schon Buchstabenverbindungen<br />

erprobten oder ob sie beim<br />

Schreiben mit Kartei 1 beschäftigt waren.<br />

Fortschritte konnten alle bei sich<br />

erkennen und sich darüber freuen.<br />

Das macht Mut! Sehr viele Kinder unserer<br />

Schule haben im ersten Schuljahr<br />

große Konzentrationsschwierigkeiten.<br />

Deshalb waren wir stolz, dass sie im<br />

zweiten Schulhalbjahr mit Freude und<br />

selbstständig ca. 25 Minuten mit den<br />

Karteikarten arbeiteten. So hatte ich als<br />

Lehrerin genügend Zeit, einzelnen Kindern<br />

Tipps zu geben, sie zu beraten und<br />

Rückmeldungen zu schreiben.<br />

Wie gelingt es Kindern eines dritten<br />

Schuljahres, so verschieden wie<br />

sie sind, möglichst selbstbestimmt<br />

die Freude am Schreibprozess zu fördern?<br />

Diese Klasse hatte bisher nur in<br />

Druckschrift geschrieben. Ich bot den<br />

Kindern Kartei 2 und ein Heft »Meine<br />

Schrift« an. Sie stürzten sich auf die<br />

Reime und versuchten Buchstaben zu<br />

verbinden. Es entstanden<br />

oft Buchstabenverbindungen,<br />

die der Schreibhand<br />

nicht gut taten. Das<br />

merkten die Kinder<br />

sehr schnell. Sie<br />

fragten Nachbarkinder<br />

oder mich.<br />

Allmählich wurden<br />

sie immer mutiger<br />

beim Experimentieren<br />

mit ihrer Schrift.<br />

Ihre Schrift interessierte<br />

die Kinder<br />

mehr und mehr. Regelmäßig<br />

reflektierten<br />

sie mit Hilfe der Reflexionsbögen.<br />

Immer mehr Kinder holten ihr Lesebuch<br />

heraus und schrieben kurze Texte<br />

ab. Sie verglichen ihre Schreibweise<br />

im Hausheft mit denen im Übungsheft<br />

»Meine Schrift«. Es entstanden Gespräche.<br />

Nun war der geeignete Zeitpunkt<br />

gekommen, den Ablauf von Reflexionsgesprächen<br />

zu erklären. Die Kinder bildeten<br />

Dreiergruppen und gingen sehr<br />

kritisch mit den Schriftprodukten ihrer<br />

Mitschüler um. Die positive sachbezogene<br />

Rückmeldung gelang immer besser.<br />

Die Kinder untersuchten einzelne<br />

Buchstaben, Wörter und Sätze auf ihre<br />

Lesbarkeit und schwungvolle Schreib-<br />

… und Sophie<br />

Barbara van der Donk<br />

Rektorin der <strong>Grundschule</strong> Repelen<br />

in Moers, NRW<br />

weise hin. Außerdem wurden Tipps für<br />

Buchstabenverbindungen ausgetauscht.<br />

Sehr häufig entschied man sich lieber<br />

dafür, keine direkte Verbindung von<br />

Buchstaben auszuführen, wenn dadurch<br />

die Lesbarkeit erschwert wurde.<br />

Ich konnte beobachten, dass einige<br />

Jungen, die vorher sehr kleine und enge<br />

Buchstaben schrieben, allmählich wieder<br />

mehr Schwung in ihr Schriftbild bekamen.<br />

Sie variierten die Buchstabengröße,<br />

bis sie passende Proportionen<br />

entdeckten. Meistens wurden Lineaturen<br />

nur als hinderlich empfunden. Erst<br />

später kamen sie wieder ins Spiel.<br />

Die Kinder hatten bisher wie selbstverständlich<br />

mit verschiedenen Füllern<br />

geschrieben. Nun stellten sie alle<br />

Schreibgeräte, die sie besaßen, auf den<br />

Prüfstand. »Womit kann ich am besten<br />

mit Schwung schreiben?« Manche Mädchen<br />

erprobten kunstvolle Schreibweisen<br />

mit den tollsten Stiften oder Kalligrafie-Füllern.<br />

Auch das brachte neue<br />

Motivation. Nach und nach wurden die<br />

Schüler wieder zufrieden mit ihrer eigenen<br />

Schrift. Ich bin gespannt, wie sich<br />

die Schrift der Kinder zu einer persönlichen<br />

Handschrift weiter entwickeln<br />

wird!<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011 27


<strong>aktuell</strong> … aus dem Bundesvorstand<br />

VERA im Gespräch<br />

Vorstandsmitglieder von GEW (Gewerkschaft<br />

Erziehung und Wissenschaft), VBE<br />

(Verband Bildung und Erziehung) und<br />

des Grundschulverbandes nahmen am<br />

29. August 2011 an einem Fachgespräch<br />

des Schulausschusses der Kultusministerkonferenz<br />

(KMK) über VERA 3 teil. Eingeladen<br />

war auch die Leitung des IQB (Institut<br />

zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen),<br />

Frau Prof. Stanat und Herr Prof. Pant.<br />

Wie Frau von Ilsemann (Vorsitzende des<br />

Schulausschusses) einleitend formulierte,<br />

arbeitet der Schulausschuss an einem<br />

Entwurf über Vereinbarungen der<br />

Bundesländer zu VERA 3. Dieser Entwurf<br />

soll Kritikpunkte der Verbände aufgreifen<br />

und nach Zustimmung durch die Amtschefkonferenz<br />

den Ländern vorgelegt<br />

werden. In einer angeregten Diskussion<br />

erläuterten Frau Demmer (GEW), Herr<br />

Wenzel (VBE) und Frau Lassek (GSV) die<br />

kritischen Ansätze zu VERA in großer<br />

Übereinstimmung. Bemängelt wurden:<br />

die Unklarheit über die Zielsetzung und<br />

die Aussagekraft, Unzulänglichkeiten in<br />

den Aufgabenkonstruktionen, fehlerhafte<br />

Ergebnisse durch die Auswertungsvorgaben,<br />

der Aufwand für die Schulen,<br />

Wert und Vergleichbarkeit der Ergebnisse,<br />

Unterschiede zwischen den Bundesländern<br />

im Umgang mit den Ergebnissen<br />

und insbesondere die jährliche Durchführung.<br />

Nach wie vor fehlen dahingegen<br />

Unterstützungssysteme für Schulen.<br />

Gestiegen ist das Misstrauen gegenüber<br />

VERA und sonstigen Evaluationsinstrumenten.<br />

Wie an vielen Stellen erweist sich<br />

auch bei den Vergleichsarbeiten der<br />

Föderalismus im Bildungswesen als<br />

Problem. Vonseiten des Grundschulverbandes<br />

konnten auf der Basis der fundierten<br />

fachlichen Auseinandersetzung mit<br />

VERA in den vergangenen Jahren wesentliche<br />

Punkte eingebracht werden.<br />

Die Mitglieder des Schulausschusses<br />

nahmen folgende Überlegungen auf:<br />

Verdeutlicht werden soll die Fokussierung<br />

auf das Ziel Unterrichtsentwicklung und<br />

der Hinweis darauf, dass VERA nur ein<br />

Element von Evaluation darstellen kann.<br />

Als Vereinbarung für alle Bundesländer<br />

muss gelten: keine Benotung, keine<br />

Verwendung für die Übergangsempfehlung,<br />

kein Ranking und keine Ergebnisveröffentlichung.<br />

Das IQB wird beauftragt,<br />

mehr Differenz in das Aufgabenspektrum<br />

(Basisaufgaben) einzuarbeiten. Der<br />

Aufbau von Unterstützungssystemen für<br />

Schulen wird ausdrücklich befürwortet.<br />

Der Schulausschuss schlägt eine Fachtagung<br />

vor, in der Zielsetzungen und<br />

Potenziale von VERA transparent gemacht<br />

werden. Workshops sollen stattfinden zur<br />

fachdidaktischen Auseinandersetzung mit<br />

den Aufgaben (Qualität) und zur Frage des<br />

adjustierten (fairen) Vergleichs. Das IQB<br />

und die Landesinstitute werden gebeten,<br />

Überlegungen für die Qualifizierung von<br />

Schulbegleitern in Richtung auf ein<br />

Unterstützungssystem von Schulen<br />

zusammenzutragen. Grundsätzlich nicht<br />

diskutabel ist für die Länder die Abkehr<br />

von der jährlichen Durchführung.<br />

Zum Abschluss des Gesprächs signalisierten<br />

die Vertreterinnen und Vertreter des<br />

Schulausschusses den Wunsch zur<br />

weiteren Zusammenarbeit. Die Verbandsvertreter/innen<br />

wiesen auf die vorher<br />

notwendige Sondierung in den eigenen<br />

Gremien hin.<br />

Maresi Lassek<br />

Die Bundesgeschäftsstelle ist neu aufgestellt!<br />

Die unbekannten neuen Stimmen am<br />

Telefon machen neugierig, wir geben ihnen<br />

ein Gesicht und stellen unsere neuen<br />

Mitarbeiterinnen vor:<br />

Susanne Hirsch (Foto links) arbeitet seit<br />

dem 15. Juni 2011 für den Grundschulverband.<br />

Nach dem Studienabschluss in<br />

Kunstgeschichte an der Johann Wolfgang<br />

Goethe-Universität absolvierte sie eine<br />

Ausbildung zur Bürokauffrau und machte<br />

Anfang des Jahres 2011 ihren Abschluss<br />

vor der IHK. Sie ist theoretisch und<br />

prak tisch mit den klassischen Sekretariats-<br />

und Organisationsaufgaben sicher<br />

vertraut. Die Berufspraxis erwarb sie sich<br />

bereits während des Studiums in<br />

unterschied lichen kaufmännischen<br />

Bereichen. Sie ist Mutter einer Tochter,<br />

die noch nicht sehr lange den Erfahrungsraum<br />

<strong>Grundschule</strong> verlassen hat. Ihre<br />

fünfjährige Mitarbeit im Vorstand eines<br />

Fördervereins <strong>Grundschule</strong> vermittelte<br />

ihr intensive Einblicke.<br />

Mit Heike Schumann (Foto rechts)<br />

konnten wir eine erfahrene und sachkompetente<br />

Mitarbeiterin gewinnen.<br />

Nach Abschluss einer kaufmännischen<br />

Ausbildung arbeitete sie in verschiedenen<br />

Unternehmen, zuletzt 11 Jahre in einem<br />

mittelständigen Verlagshaus als Sachbearbeiterin<br />

und Sekretärin. Ihre organisatorischen<br />

Fähigkeiten entfaltete sie u. a.<br />

bei der Ausrichtung von Meetings,<br />

Messe beteiligungen und nicht zuletzt<br />

bei dem jährlich stattfindenden<br />

Fortbildungs kongress für ca. 2500 bis<br />

3000 BesucherInnen. Mit den kaufmännischen<br />

und technischen Abläufen<br />

ist sie bestens vertraut.<br />

Ein routinierter Umgang mit technischen<br />

Mitteln, die Sicherheit und die Gelassenheit<br />

bei der Erfüllung der anstehenden<br />

Aufgaben, Kreativität und eine sympathische<br />

Ausstrahlung zeichnen unsere<br />

beiden neuen Mitarbeiterinnen aus,<br />

die auf gleicher Verantwortungsebene<br />

für die Aufgabenfelder Verwaltung und<br />

Veranstaltungsorganisation zuständig<br />

sind.<br />

Sylvia Reinisch (Bildmitte) leitet mit ihren<br />

langjährigen und vielfältigen Erfahrungen<br />

mit allen Anliegen der Mitglieder, der<br />

Landesgruppen, des Vorstandes und der<br />

Verbandsarbeit als Geschäftsführerin<br />

unsere Geschäftsstelle.<br />

Wir freuen uns über das neue Team.<br />

Maresi Lassek, Vorsitzende<br />

28 GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011


<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />

Baden-Württemberg<br />

Vorsitzende: Erika Brinkmann, erika.brinkmann@ph-gmuend.de;<br />

www.gsv-bw.de<br />

Umfrage der Landesgruppe<br />

– Tendenzen<br />

werden deutlich<br />

Eine Mailumfrage der<br />

Landesgruppe an den <strong>Grundschule</strong>n<br />

Baden-Württembergs<br />

sollte Hinweise für die<br />

Schwerpunkte der weiteren<br />

Arbeit der Landesgruppe<br />

geben. Auch wenn der<br />

Rücklauf nicht gerade<br />

überwältigend war, lassen<br />

sich aus den Ergebnissen<br />

doch einige Rückschlüsse<br />

ziehen:<br />

Oberste Priorität bei den<br />

Antwortenden hat der Punkt:<br />

Einflussnahme auf politischer<br />

Ebene. 92 % halten diesen für<br />

sehr wichtig, 8 % für wichtig.<br />

In Kontakten mit den Politiker/innen,<br />

den Ministerien,<br />

den Grundschulreferent/<br />

innen und den bildungspolitischen<br />

Sprechern der<br />

Landtagsfraktionen sollen<br />

die Positionen des Grundschulverbands<br />

nachhaltig<br />

vertreten und die Interessen<br />

und Notwendigkeiten der<br />

<strong>Grundschule</strong>n deutlich<br />

gemacht werden.<br />

Zum Austausch und für die<br />

Fortbildung der Grundschullehrer/innen<br />

halten 72 % die<br />

Durchführung von Thementagen,<br />

52 % die regionaler<br />

halbtägiger Fachtagungen<br />

und 40 % die Wiederbelebung<br />

überregionaler Grundschultage<br />

für sinnvoll.<br />

An Themen wurden vor allem<br />

zwei genannt: der Umgang<br />

mit Heterogenität und<br />

Inklusion sowie Fragen zur<br />

pädagogischen Leistungskultur.<br />

Der Vorstand der Landesgruppe<br />

wird dies als Grundlage<br />

für seine Planung der<br />

weiteren Arbeit nehmen und<br />

entsprechende erste Schritte<br />

bereits im Herbst in Angriff<br />

nehmen.<br />

für die Landesgruppe:<br />

Edgar Bohn<br />

Bayern<br />

Vorsitzende: Dr. Gudrun Schönknecht, Pfirsichweg 37b, 86169 Augsburg;<br />

www.grundschulverband-bayern.de<br />

KiDZ – »Kindergarten der<br />

Zukunft in Bayern«<br />

Bei einer Abschlussveranstaltung<br />

Ende Juni in München<br />

wurde das Modellprojekt zur<br />

frühen Bildung und Förderung<br />

im Kindergarten und in<br />

der <strong>Grundschule</strong> von Kultusstaatssekretär<br />

Kreuzer und<br />

vbw Hauptgeschäftsführer<br />

Brossardt gewürdigt.<br />

Im Modellprojekt KiDZ<br />

kooperierten von 2004 bis<br />

2009 mit Kindergarten und<br />

<strong>Grundschule</strong> zwei Bildungsinstitutionen<br />

mit unterschiedlichem<br />

Bildungsauftrag.<br />

Von 2009 bis 2011<br />

gaben die Kinderpflegerinnen,<br />

Erzieherinnen und<br />

Grundschullehrerinnen ihre<br />

Erfahrungen in Fortbildungen<br />

an weit über 3.000<br />

Pädagogen in Kindergarten<br />

und Schule weiter. Außerdem<br />

entstanden Materialien für<br />

die Aus- wie Fortbildung.<br />

Diese Fortbildungen und<br />

Materialien kommen auch<br />

der bayernweit umgesetzten<br />

Initiative (seit 2003) »Gemeinsam<br />

Lernchancen nutzen –<br />

Kooperation von Kindergarten<br />

und <strong>Grundschule</strong>«<br />

und deren Kooperationsbeauftragten<br />

zugute.<br />

Das Modellprojekt KiDZ<br />

verfolgt das Ziel, neue<br />

Erkenntnisse zur frühzeitigen<br />

Förderung im Alltag der<br />

Kindertageseinrichtungen<br />

und der <strong>Grundschule</strong>n<br />

umzusetzen.<br />

Bereits 3- bis 6-Jährige sollen<br />

individuell in mathematischen<br />

und schriftsprachlichen<br />

Kompetenzen gefördert<br />

werden, um ihnen den<br />

Schulalltag zu erleichtern<br />

und sie zu schulischem Erfolg<br />

zu führen. Die Kinder werden<br />

durch ihrem Alter angemessene<br />

Lernangebote gestärkt<br />

und dazu motiviert, sich mit<br />

ihrer Lebenswelt und ihrer<br />

Sprache gezielt auseinanderzusetzen.<br />

Prof. Hans-Günther Rossbach<br />

(Lehrstuhl für Elementar- und<br />

Familienpädagogik an der<br />

Otto-Friedrich-Universität<br />

Bamberg) begleitete das<br />

Modellprojekt KiDZ wissenschaftlich:<br />

»KiDZ ist ein<br />

erfolgreicher Weg, die<br />

tatsächliche Förderqualität<br />

im Kindergarten zu verbessern<br />

und auf diese Weise<br />

die Entwicklung der Kindergartenkinder<br />

positiv zu<br />

beeinflussen. Die Teilnahme<br />

an KiDZ führt bis zum Ende<br />

der Kindergartenzeit zu<br />

Vorteilen im kindlichen<br />

Entwicklungsstand, welche<br />

sich insbesondere in mathematischen<br />

und sprachlichen<br />

Fähigkeiten und Fertigkeiten<br />

zeigen sowie in solchen, die<br />

für den späteren Schriftspracherwerb<br />

als bedeutsam<br />

zu betrachten sind.«<br />

Der Film »Fit fürs Leben«<br />

(Dr. Paul Schwarz) gibt<br />

Einblick in den KiDZ-Alltag<br />

und ist eine Dokumentation<br />

der methodisch-didaktischen<br />

Möglichkeiten frühkindlicher<br />

Förderung.<br />

KiDZ war ein Gemeinschaftsprojekt<br />

der Stiftung<br />

Bildungspakt Bayern, des<br />

Bayerischen Staatsministeriums<br />

für Unterricht und<br />

Kultus, des Bayerischen<br />

Staatsministeriums für Arbeit<br />

und Sozialordnung, Familie<br />

und Frauen und der vbw<br />

– Vereinigung der Bayerischen<br />

Wirtschaft e. V., der<br />

bayerischen Metall- und<br />

Elektro-Arbeitgeberverbände.<br />

für die Landesgruppe:<br />

Gabriele Klenk, Petra Hiebl<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011<br />

29


<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />

Berlin<br />

Kontakt: Inge Hirschmann, Babelsberger Straße 45, 10715 Berlin, info@gsv-berlin.de<br />

www.gsv-berlin.de<br />

Voll peinlich!<br />

Berliner Schüler(innen)<br />

haben in den Vergleichsarbeiten<br />

nicht so gut<br />

abgeschnitten. Deshalb<br />

stellte jetzt der Schulsenator<br />

ein Qualitätspaket vor:<br />

In Berlin ist Wahlkampf.<br />

Dieses Qualitätspaket legt<br />

u. a. fest, dass in den Jahrgangstufen<br />

1 – 4 ein Grundwortschatz<br />

eingeführt wird.<br />

Bis Ende Klasse 4 sollen die<br />

Kinder 700 bestimmte<br />

Wörter sprechen, lesen und<br />

schreiben können.<br />

Berlins Grundwortschatz ist<br />

weitgehend identisch mit<br />

dem bayerischen. Die Idee<br />

ist: Bayern schneidet in den<br />

Vergleichsarbeiten gut ab.<br />

Bayern hat einen Grundwortschatz.<br />

Wenn Berlin diesen<br />

Grundwortschatz übernimmt,<br />

werden auch die<br />

Berliner Kinder besser<br />

abschneiden. So weit, so gut.<br />

Als Unterstützung wurde<br />

nun aber jedem Kind zum<br />

Schulanfang ein hochglanzbroschiertes<br />

Heft mit dem<br />

alphabetisch sortierten<br />

Grundwortschatz übergeben,<br />

ergänzt durch Übungsanregungen.<br />

Seit Jahren gibt es einen<br />

pädagogisch fundierten<br />

Konsens, dass Rechtschreibung<br />

nicht durch Abschreiben<br />

gelernt wird, sondern auf<br />

der Grundlage von Strategien.<br />

Das steht in den Rahmenlehrplänen<br />

und gehört zu<br />

den Anforderungen der<br />

Bildungsstandards, auf die<br />

sich die Vergleichsarbeiten<br />

beziehen.<br />

Was in den Heften angeboten<br />

wird, geht mit keinem<br />

Wort auf diese Rechtschreibstrategien<br />

ein. Fast alle<br />

Übungen sind Abschreibübungen,<br />

ohne dass thematisiert<br />

wird, wie man geschickt<br />

abschreibt.<br />

Was lernen denn Kinder über<br />

die Rechtschreibung von<br />

Wörtern, wenn sie zehn<br />

Bremen<br />

Kontakt: www.grundschulverband-bremen.de<br />

Wörter mit Artikel abschreiben,<br />

in einem Bild alles, was<br />

mit »H« anfängt, rot anmalen,<br />

sechs Sätze mit Wörtern<br />

zwischen A und C schreiben,<br />

eine Geschichte mit Wörtern<br />

zwischen D und F schreiben?<br />

Auch die alphabetische<br />

Auflistung der Wörter ist<br />

keine Hilfe, weil die Artikel<br />

der Nomen in einer Linie mit<br />

den anderen Wörtern stehen,<br />

d. h. die Kinder können gar<br />

nicht nach dem ersten oder<br />

zweiten Buchstaben suchen,<br />

sondern müssen sich erst die<br />

Artikel wegdenken. So etwas<br />

Unsinniges gibt es in keinem<br />

anderen Wörterheft / Wörterbuch<br />

für die Schule. Und<br />

auch für die gewünschte<br />

Erweiterung des Wortschatzes<br />

ist die alphabetische<br />

Auflistung keine Hilfe. Neue<br />

Wörter werden nicht alphabetisch,<br />

sondern in inhaltlichen<br />

Zusammenhängen<br />

erarbeitet.<br />

Kaum zu glauben: Dieses<br />

Heft zum Grundwortschatz<br />

kommt aus der Senatsabteilung<br />

für Qualitätssicherung.<br />

Bleibt zu hoffen, dass die<br />

Lehrkräfte die überholte<br />

Sicht des Rechtschreiblernens<br />

nicht übernehmen<br />

und besser wissen, was Qualitätssicherung<br />

beim Rechtschreib<br />

lernen bedeutet,<br />

denn dazu leisten die in<br />

hoher Auflage verbreiteten<br />

offiziellen Hefte der Senatsbildungsverwaltung<br />

wirklich<br />

keinen Beitrag!<br />

Ein Bitte an die künftige<br />

Bildungssenatorin / den<br />

neuen Bildungssenator:<br />

Fangen Sie rechtzeitig an, Ihr<br />

Wahlkampfpaket zu schnüren,<br />

damit Zeit ist, Materialien<br />

zu entwickeln, die wirklich<br />

eine Hilfe für die Schülerinnen<br />

und Schüler sind. Die<br />

jetzt übereilt vorgelegten<br />

Hefte zum Grundwortschatz<br />

sind einfach nur peinlich!<br />

für die Landesgruppe:<br />

Mechthild Pieler<br />

VERA<br />

VERA 3 beschäftigt die<br />

Landesgruppe Bremen seit<br />

kurzem auf einer übergeordneten<br />

Ebene. Von der Senatorin<br />

für Bildung wurde im<br />

August eine Arbeitsgruppe<br />

eingerichtet, der Vertreterinnen<br />

und Vertreter der<br />

Bildungsbehörde, des<br />

Landesinstitutes für Schule,<br />

der Grundschulleitungen,<br />

der GEW und des GSV<br />

angehören. Eine zweite<br />

Gruppe arbeitet zu VERA 8.<br />

Neben einer Bestandsaufnahme<br />

zu den gewünschten<br />

und nicht gewünschten<br />

»Effekten« von VERA soll es<br />

darum gehen, unter welchen<br />

Voraussetzungen VERA zur<br />

Schul- und Unterrichtsentwicklung<br />

beitragen könnte,<br />

ob VERA eine Bestandsaufnahme<br />

zum Lernstand von<br />

Schülerinnen und Schülern<br />

liefern kann und welches<br />

Potenzial in VERA steckt. Im<br />

ersten Arbeitstreffen war<br />

Diskussionsgrundlage, wie<br />

mit den VERA-Ergebnissen in<br />

den Schulen umgegangen<br />

wird und wie es anders<br />

gemacht werden könnte.<br />

Über mögliche Alternativen<br />

zu der überwiegend vorhandenen<br />

Ablehnung, sich mit<br />

den VERA-Ergebnissen in der<br />

Schule zu befassen, gab es<br />

ein Filmbeispiel aus Thüringen<br />

und den Bericht einer<br />

Schulleiterin. Insgesamt<br />

entstand der Eindruck, dass<br />

eine verbesserte Test-Akzeptanz<br />

in den Schulen erzielt<br />

werden soll. Die Vertreterin<br />

der Landesgruppe bemängelte<br />

das Fehlen einer<br />

genau en Analyse des<br />

Ist-Zustandes, insbesondere<br />

der Problemstellen. Bis zum<br />

Jahresende sind zwei weitere<br />

Treffen geplant, an denen<br />

sich die Landesgruppe<br />

beteiligen wird, sich jedoch<br />

von Ergebnissen distanziert,<br />

die eine effektivere Umsetzung<br />

von VERA 3 propagieren,<br />

wenn nicht Erkenntnisse<br />

aus der sachkritischen<br />

Diskussion um die Vergleichsarbeiten<br />

in deren Gestaltung<br />

und Durchführung einfließen.<br />

Grundschrift<br />

Wie berichtet erfreut sich das<br />

Thema Grundschrift in<br />

Bremen sehr großer Beliebtheit.<br />

Acht <strong>Grundschule</strong>n<br />

haben eine Erprobung der<br />

Grundschrift beantragt und<br />

führen diese im <strong>aktuell</strong>en<br />

Schuljahr durch. Die Landesgruppe<br />

plant Aktivitäten, um<br />

die Akzeptanz des Grundschriftvorhabens<br />

bei der<br />

Senatorin und den politischen<br />

Vertreterinnen und<br />

Vertretern der Parteien zu<br />

erhöhen.<br />

Mitgliederversammlung<br />

Dienstag,<br />

22. November 2011,<br />

18 Uhr<br />

Landesinstitut für Schule,<br />

Am Weidedamm 20,<br />

28215 Bremen<br />

Themen:<br />

Input und Diskussion:<br />

»Index für Inklusion«<br />

(Referentin: Sybille Röhr),<br />

Gespräch mit der neuen<br />

Grundschul referentin<br />

Nikola Schroth,<br />

Erweiterung des Vorstandes<br />

der Landes gruppe<br />

30 GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011


<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />

Brandenburg<br />

Vorsitzende: Denise Sommer, Weinbergweg 21, 15834 Rangsdorf<br />

www.gsv-brandenburg.de<br />

Große Resonanz auf<br />

diesjährige Fachtagung<br />

»Rechtschreibkompetenz<br />

entwickeln – Lernerfolge<br />

ermöglichen«<br />

Am 8. September 2011 fand<br />

die diesjährige Fachtagung<br />

des Grundschulverbandes in<br />

Zusammenarbeit mit dem<br />

Landesinstitut für Schule und<br />

Medien (LISUM) in Ludwigsfelde<br />

statt. 120 Lehrerinnen<br />

und Lehrer aus Brandenburg<br />

und Berlin nahmen an dieser<br />

überaus interessanten und<br />

praxisorientierten Fortbildung<br />

teil. Beate Leßmann<br />

aus Lübeck bot eine große<br />

Palette von Anregungen für<br />

einen individualisierten<br />

Schreib- und Rechtschreibunterricht<br />

dar. Mit zahlreichen<br />

Texten ihrer Schülerinnen<br />

und Schüler und daraus<br />

resultierenden Übungsmöglichkeiten,<br />

die auf die<br />

konkreten Bedürfnisse der<br />

Kinder zugeschnitten waren,<br />

ermutigte Frau Leßmann die<br />

anwesenden Lehrerinnen<br />

und Lehrer, die eigenen Texte<br />

der Kinder als Basis für das<br />

Rechtschreiblernen zu<br />

nutzen und einen individualisierten<br />

Unterricht zu organisieren.<br />

Immer wieder betonte<br />

sie die Bedeutung des<br />

Schreibens für das Einbringen<br />

der eigenen Persönlichkeit<br />

und Individualität der<br />

Kinder. Der respektvolle<br />

Umgang mit freien Texten,<br />

die Würdigung der Leistungen<br />

und das Bewusstmachen<br />

der Lernfortschritte sind<br />

zentrale Bestandteile eines<br />

erfolgreichen (Schreib-)<br />

Unterrichts.<br />

Die Tagung gab vielfältige<br />

Anregungen zum Umgang<br />

mit dem Grundwortschatz,<br />

zum individualisierten<br />

Wortschatztraining und zur<br />

Überprüfung von Rechtschreibleistungen.<br />

Mit dem<br />

Schuljahresbeginn 2011/2012<br />

wurde ein verbindlicher<br />

Mindestwortschatz für die<br />

Klassenstufen 1 bis 4 in<br />

120 Lehrerinnen und Lehrer aus Brandenburg und Berlin nahmen an der praxisorientierten<br />

Fortbildung teil.<br />

Brandenburg eingeführt.<br />

Die große Resonanz und das<br />

überaus positive Feedback<br />

auf diese Tagung zeigte, dass<br />

sich viele Lehrerinnen und<br />

Lehrer auf den Weg gemacht<br />

haben, ihren Schreibunterricht<br />

nicht ausschließlich auf<br />

das Wortschatztraining zu<br />

richten, sondern die Entwicklung<br />

der Schreibkompetenz<br />

als langfristigen, individuellen<br />

und vielfältigen Lernprozess<br />

zu gestalten.<br />

20 Jahre<br />

sechsjährige <strong>Grundschule</strong><br />

in Brandenburg<br />

Länger gemeinsam lernen!<br />

– diese Forderung des<br />

Grundschulverbandes ist<br />

seit 20 Jahren Realität in<br />

Brandenburg. Mit einer<br />

Fachtagung im LISUM, die<br />

Rückblicke und Perspektiven<br />

aus verschiedenen Sichtweisen<br />

ermöglicht, würdigt<br />

das Land Brandenburg<br />

dieses Jubiläum. Mehr als<br />

100 Teilnehmerinnen und<br />

Teilnehmer aus Schulpraxis,<br />

Schulaufsicht, LISUM und<br />

Bildungs ministerium traten<br />

am 30. September 2011 in<br />

Ludwigsfelde in einen<br />

interessanten Erfahrungsaustausch.<br />

Neben einem<br />

Fachvortrag von Frau Prof.<br />

Speck-Hamdan zur sechsjährigen<br />

<strong>Grundschule</strong> in der<br />

Bildungslandschaft Deutschlands<br />

und einer Podiumsdiskussion<br />

mit Vertretern<br />

aus Schule, Universität und<br />

Schulpolitik boten 7 Gesprächskreise<br />

zahlreiche<br />

Diskussionsmöglichkeiten.<br />

Unterschiedliche Themen<br />

wie z. B. individuelles und<br />

kooperatives Lernen, Ganztag,<br />

Lernen ohne Auslese,<br />

Internationalisierung,<br />

Anerkennung und Würdigung<br />

von Leistung, Medienbildung<br />

und Bildungs zeit vor<br />

Beginn der Schulzeit bilden<br />

die <strong>aktuell</strong>en und zukünftigen<br />

Herausforderungen der<br />

Brandenburger <strong>Grundschule</strong>n<br />

ab. Sehr interessant war<br />

die Vorstellung der Ergebnisse<br />

einer prognostizierenden<br />

Befragung »Die <strong>Grundschule</strong><br />

in 30 Jahren«, die die Freie<br />

Universität Berlin erhoben<br />

hat.<br />

Die Teilnahme der Bildungsministerin,<br />

Frau Dr. Münch,<br />

und ihr Vortrag zu Erfolgen<br />

und Perspektiven der<br />

sechsjährigen <strong>Grundschule</strong> in<br />

Brandenburg sind ein<br />

Zeichen der Wertschätzung<br />

und Anerkennung der<br />

engagierten Arbeit der<br />

Grundschullehrerinnen<br />

und -lehrer dieses Landes.<br />

An dieser Stelle möchte ich<br />

meinen langjährigen Mitstreiterinnen<br />

im Landesgruppenvorstand<br />

Dr. Elvira<br />

Waldmann, Marion Gutzmann<br />

und Sabine Wendt sehr<br />

herzlich danken. Sie sind seit<br />

20 Jahren mit »Kopf, Herz<br />

und Hand« dabei und haben<br />

die sechsjährige <strong>Grundschule</strong><br />

in Brandenburg innovativ,<br />

aktiv und engagiert mitgestaltet<br />

und befördert.<br />

für die Landesgruppe:<br />

Denise Sommer<br />

Nächste Beratung des<br />

Landesgruppen vorstandes<br />

am Montag,<br />

5. Dezember 2011,<br />

um 16 Uhr<br />

im LISUM<br />

Ludwigsfelde<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011<br />

31


<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />

Saarland<br />

Vorsitzende: Lilo Groll, Holbeinstr. 11, 66128 Saarbrücken<br />

lagroll@t-online.de<br />

Lehrer(innen)ausbildung<br />

im Saarland<br />

Als in den 1970er Jahren die<br />

PH in Saarbrücken geschlossen<br />

wurde, weigerte sich die<br />

Universität des Saarlandes,<br />

den Studiengang für die<br />

»Primarstufe und die Sekundarstufe<br />

I« an der Universität<br />

fortzuführen. Wiederholt gab<br />

es Vorstöße selbst von<br />

Kultusministern, diese<br />

grundständige 1. Phase der<br />

Lehrer(innen)ausbildung<br />

erneut im Saarland anzubieten.<br />

Aber immer wieder<br />

wurden vor allem von Seiten<br />

der Universität ablehnende<br />

Gründe vorgetragen.<br />

Einen Hoffnungsschimmer<br />

gab es, als während der<br />

letzten CDU-geführten<br />

Landesregierung (2004 bis<br />

2009) unter der damaligen<br />

Kultusministerin Anne gret<br />

Kramp-Karrenbauer eine<br />

Expertenkommission<br />

zusammen mit der Universität<br />

ein Papier zur Einführung<br />

eines neuen Lehrer-Studienganges<br />

erarbeitete, dessen<br />

Veröffentlichung aber auf<br />

sich warten ließ. (Honi soit<br />

qui mal y pense.)<br />

Der Hoffnungsschimmer<br />

erweiterte sich zu einem<br />

hellen Streif am Horizont, als<br />

die neue Landesregierung<br />

2009 in ihrem Koalitionsvertrag<br />

(Jamaika-Koalition) ein<br />

Bekenntnis zur Einführung<br />

des erwarteten Studienganges<br />

ablegte: »Wir werden die<br />

Lehrerausbildung reformieren<br />

und die so genannte Stufenlehrerausbildung<br />

einführen.<br />

Die Lehrämter gliedern sich<br />

dann in das Lehramt für die<br />

Primarstufe und Sekundarstufe<br />

I, das Lehramt für die<br />

Sekundar stufe I sowie das<br />

Lehramt für die Sekundarstufe<br />

I und II.« Gleichzeitig wurde<br />

festgelegt, dass »perspektivisch«<br />

alle Lehrerinnen und<br />

Lehrer zehn Semester lang<br />

gleichwertig auf ihren Beruf<br />

vorbereitet werden. Zum<br />

Wintersemester 2011/12 sollte<br />

der neue Studiengang für das<br />

Lehramt für die Primarstufe<br />

und Sekundarstufe I anlaufen,<br />

wie es auch die Zielvereinbarung<br />

zwischen der Universität<br />

und der Landesregierung<br />

vorsah. Aber der Start wird<br />

zum kommenden Semester<br />

nicht erfolgen.<br />

Im Zuge von Haushaltsberatungen<br />

und verkürzter<br />

Mittelzuweisungen an die<br />

Universität möchte diese<br />

wohl am liebsten die neue<br />

Lehrer(innen)ausbildung<br />

auf dem Altar des Sparens<br />

opfern.<br />

Die Landesgruppe beklagt<br />

die ständige Verunsicherung<br />

der jungen Interessenten.<br />

Bereits jetzt besuchen immer<br />

weniger Absolventen von<br />

Universitäten in den anderen<br />

Bundesländern das Referendariat<br />

im Saarland, so dass<br />

sich der Lehrermangel<br />

verstärkt. Angesichts eines<br />

erhöhten Bedarfs an gut<br />

ausgebildeten Pädagogen ist<br />

eine eigene Lehrer(innen)-<br />

ausbildung dringend angesagt.<br />

Als Gründe sind vor<br />

allem zu nennen: die Umwandlung<br />

der Schulen in<br />

inklusive Einrichtungen, die<br />

intensivere Förderung jedes<br />

einzelnen Kindes, die notwendige<br />

Erweiterung der Lehrerfeuerwehr<br />

und die Verbesserungen<br />

der Klassengrößen.<br />

Ganz zu schweigen von der<br />

immens hohen Belastung der<br />

Lehrerinnen und Lehrer an<br />

den <strong>Grundschule</strong>n, die<br />

endlich eine spürbare<br />

Entlastung verdient hätten.<br />

Die Ausbildung der Lehramtsstudenten<br />

an der<br />

Universität des Saarlandes<br />

könnte auch die Qualität der<br />

Lehrerbildung insgesamt<br />

deutlich verbessern, da eine<br />

Verzahnung der ersten mit<br />

der zweiten und dritten<br />

Phase der Aus- und Weiterbildung<br />

möglich wäre.<br />

Seit August 2011 ist die<br />

einstige Kultusministerin,<br />

Annegret Kramp- Karrenbauer,<br />

Minister präsidentin<br />

des Saarlandes. Die Landesgruppe<br />

erwartet, dass sie in<br />

diesem neuen Amt den<br />

Studiengang für das Lehramt<br />

für die Primarstufe und<br />

Sekundarstufe I an der<br />

Universität – so wie bereits<br />

beschlossen – zügig vorantreibt.<br />

»<strong>Grundschule</strong><br />

zwanzigzwanzig«<br />

Am 25. Oktober fand die<br />

dritte Veranstaltung der<br />

Reihe »<strong>Grundschule</strong> 2020«<br />

in Zusammenarbeit mit dem<br />

Institut für Lehrerfort- und<br />

-weiterbildung in Saarbrücken<br />

statt. Als Referent<br />

zum gewünschten Thema<br />

»VERA – eine kritische<br />

Bestandsaufnahme zu<br />

Aufwand und Nutzen«<br />

konnte der verantwortliche<br />

Referent im Bildungsministerium<br />

gewonnen werden.<br />

Sich offen austauschen,<br />

voneinander lernen und<br />

<strong>Grundschule</strong> gemeinsam<br />

weiterdenken – das sind die<br />

zentralen Leitgedanken<br />

dieser Veranstaltungsreihe.<br />

Die Teilnehmerinnen und<br />

Teilnehmer wollen die<br />

Herausforderungen der<br />

täglichen Arbeit in den Blick<br />

nehmen und lösungsorientiert<br />

Perspektiven<br />

entwickeln.<br />

für die Landesgruppe:<br />

Lilo Groll<br />

Hamburg<br />

Vorsitzende: Susanne Peters, Güntherstraße 10, 22087 Hamburg, susanne.peters@gsv.hamburg.de<br />

www.gsvhh.de<br />

Alle <strong>Grundschule</strong>n werden<br />

Ganztagsschulen<br />

In den nächsten drei Jahren<br />

sollen sich alle Hamburger<br />

<strong>Grundschule</strong>n zu Ganztagsschulen<br />

entwickeln. Der<br />

flächendeckende Ausbau hat<br />

in diesem Jahr mit 21 Pilotstandorten<br />

begonnen. Ab<br />

dem Schuljahr 2013/2014<br />

sollen dann alle Grundschulkinder<br />

an der Ganztägigen<br />

Bildung und Betreuung an<br />

Schulen (GBS) teilnehmen<br />

können. Die Lern- und<br />

Freizeitangebote in der Zeit<br />

von 8 bis 16 Uhr sind kostenlos.<br />

Voraussetzung ist die<br />

Anmeldung der Kinder für<br />

ein Jahr. Die Betreuung vor<br />

8 Uhr und nach 16 Uhr sowie<br />

in den Ferien ist kostenpflichtig,<br />

ebenso das Mittagessen,<br />

das in allen Schulen angeboten<br />

werden soll.<br />

Es obliegt der Entscheidung<br />

der einzelnen Schule, ob sie<br />

die Ganztagsangebote<br />

ausschließlich in eigener<br />

Regie oder in Kooperation<br />

mit einem Träger der Jugendhilfe<br />

organisieren will.<br />

Schul- und Sozialbehörde<br />

haben sich mit den Dachverbänden<br />

der Hortträger<br />

über einen Rahmenvertrag<br />

verständigt. Bis zum Ende<br />

des 1. Quartals 2012 müssen<br />

alle <strong>Grundschule</strong>n mit ihren<br />

Gremien darüber entschieden<br />

haben, welche Form von<br />

Ganztagsschule sie anstreben,<br />

und Kooperationspartner<br />

benennen, wenn dieses<br />

Modell geplant ist<br />

Die Landesgruppe begrüßt,<br />

dass den Kindern damit eine<br />

verlässliche Betreuung ohne<br />

Wechsel zwischen den<br />

Systemen Schule und Hort<br />

ermöglicht wird. Das Gelingen<br />

des ehrgeizigen Projektes<br />

hängt maßgeblich ab von<br />

den zu entwickelnden<br />

Konzepten. Mit einem Träger<br />

der Jugendhilfe ein gemein-<br />

32 GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011


<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />

Schleswig-Holstein<br />

Vorsitzende: Prof. Dr. Beate Blaseio,<br />

Universität Flensburg, Auf dem Campus 1,<br />

24943 Flensburg; www.grundschulverband-sh.de<br />

Schulanfangstagung<br />

in Flensburg<br />

Am Donnerstag der letzten<br />

Sommerferienwoche kamen<br />

über 150 Lehrer und Lehrerinnen<br />

in der Universität<br />

Flensburg zusammen, um<br />

sich auf den Schulanfang<br />

einzustimmen. Organisiert<br />

vom IQSH (Lehrerbildungsinstitut<br />

in S-H) mit Unterstützung<br />

der EULE (Lehrerbildung<br />

und Universi täts -<br />

ausbildung) und des GSV<br />

boten zahlreiche Workshops<br />

Inspiration zur Arbeit in den<br />

Jahrgängen 1 und 2 bzw.<br />

eine kritische Auseinandersetzung<br />

mit bisherigen<br />

Arbeitsformen. In einem mit<br />

pädagogischen Leitideen<br />

gespickten Rundgang<br />

konnten Kollegen und<br />

Kolleginnen eigene Einstellungen<br />

überdenken und<br />

sich anregen lassen.<br />

Was läuft in der Politik?<br />

Die Fraktion der Grünen<br />

bietet regelmäßig bildungspolitische<br />

Veranstaltungen<br />

an. Nächstes Treffen:<br />

27. Oktober 2011 Schöner<br />

Lernen! Wie viele kleine<br />

Veränderungen zu neuen<br />

Schulen führen. Ulrike Kegler<br />

wird zu Gast sein. Die<br />

Veranstaltung im September<br />

war so gut besucht, dass im<br />

Landeshaus auch die<br />

Fensterbänke als Sitzplätze<br />

dienen mussten.<br />

Nähere Informationen unter<br />

www.plietsch.sh. Da es von<br />

den anderen Parteien nichts<br />

Erwähnenswertes zu berichten<br />

gibt, freuen wir uns<br />

über die eine Partei, die<br />

Bildung stark machen will.<br />

für die Landesgruppe:<br />

Sabine Jesumann,<br />

Andrea Keyser<br />

Rheinland-Pfalz<br />

Anschrift: Werner Lang, Am Wingertsberg 8,<br />

67756 Hinzweiler; www.wl-lang.de<br />

Der Vorstand der Landesgruppe<br />

wurde um Frau Nina<br />

Lossau-Groß (Konrektorin an<br />

der GS Nierstein) erweitert.<br />

Für das Jahr 2012 sind<br />

folgende regionale<br />

und/oder schulinterne<br />

Fortbildungsveranstaltungen<br />

in Planung:<br />

sames Konzept zu entwickeln,<br />

ist für alle eine ganz<br />

neue Herausforderung. Die<br />

Grundsätze für Ganztagsschulen,<br />

wie sie der Grundschulverband<br />

formuliert hat,<br />

sollten darin Berücksichtigung<br />

finden. Die ganztägige<br />

Nutzung von Klassenräumen,<br />

die Doppelnutzung für<br />

Unterricht und Freizeitangebote,<br />

erfordert veränderte<br />

Raumkonzepte und klare<br />

Absprachen. Wichtig ist aber<br />

Musikpraxis in der GS<br />

(GS St. Julian) / Arbeit mit<br />

dem Teilrahmenplan Religion<br />

– Aktivierung, ein Baustein<br />

guten Unterrichts / Grundschultag:<br />

Lesen – Schreiben<br />

– Rechnen – Lernen im Anfangsunterricht<br />

(im Herbst)<br />

für die Landesgruppe:<br />

Werner Lang<br />

auch die Ressourcenausstattung!<br />

Gruppengröße,<br />

Mobiliar und Material spielen<br />

dabei genau so eine Rolle wie<br />

regelmäßige Besprechungszeiten.<br />

»GBS« darf kein Sparmodell<br />

der Ganztagsschule werden!<br />

für die Landesgruppe:<br />

Marion Lindner<br />

März 2012<br />

Tagung: »Hilfe – ich<br />

muss inkludieren!«<br />

Sachsen-Anhalt<br />

Kontakt: Petra Uhlig, Richard-Wagner-Str. 29, 06114 Halle<br />

petra.katrin.uhlig@googlemail.com; www.gsv-lsa.de<br />

Wege zum<br />

gemein samen Unterricht<br />

Seit Jahren verstärkt auch<br />

Sachsen-Anhalt seine<br />

Bemühungen um einen<br />

stetigen Umbau der hiesigen<br />

Schullandschaft im Sinne der<br />

inklusiven Schule. Der<br />

Gemeinsame Unterricht von<br />

Kindern mit besonderen<br />

Lernbedürfnissen spielt<br />

dabei eine zentrale Rolle.<br />

Kultusminister Stephan<br />

Dorgerloh lud deshalb<br />

Vertreter aus Schulpraxis,<br />

Fachverbänden, Gewerkschaften<br />

und Kommunen am<br />

15. September 2011 zu einer<br />

ersten Sitzung der Arbeitsgruppe<br />

»Gemeinsamer<br />

Unterricht«, die unter der<br />

Leitung von Dr. Michael<br />

Lehmann (Fachreferent für<br />

die <strong>Grundschule</strong> im Kultusministerium)<br />

und Dr. Karin<br />

Greve wichtige Problemfelder<br />

der Umsetzung des<br />

Gemeinsamen Unterrichts<br />

und notwendige Reformschwerpunkte<br />

benennen,<br />

diskutieren und dem Landtag<br />

zur Empfehlung geben will.<br />

Ziel der Arbeitsgruppe ist es,<br />

die zur Unterstützung des<br />

weiteren Ausbaus des<br />

Gemeinsamen Unterrichts<br />

in Sachsen-Anhalt notwendigen<br />

Maßnahmen herauszukristallisieren,<br />

um ein<br />

anspruchsvolles und angemessenes<br />

Bildungsangebot<br />

für alle Kinder im<br />

Land zu gewährleisten.<br />

Für den Grundschulverband<br />

nimmt Ralph Thielbeer an<br />

der Arbeitsgruppe teil. Aus<br />

unserer Perspektive gilt es<br />

besonders der pädagogischdidaktischen<br />

Dimension des<br />

Gemeinsamen Unterrichts<br />

Aufmerksamkeit zu widmen.<br />

Gerade die Akzentuierung<br />

des gemeinsamen Lernens<br />

trotz gravierender Unterschiede<br />

sollte in der konzeptionellen<br />

Arbeit wie auch<br />

in Fort- und Weiterbildung<br />

stärker in den Blickpunkt<br />

geraten. Integration darf<br />

nicht bei räumlicher Nähe<br />

und inhaltlicher Separierung<br />

stehen bleiben. Vielmehr gilt<br />

es, das bildungsrelevante<br />

Potenzial der heterogenen<br />

Lerngruppen wahrzunehmen<br />

und als Chance für die<br />

Bildung aller Kinder herauszustellen.<br />

Auf der anderen Seite<br />

müssen auch die erheblichen<br />

organisatorischen Probleme<br />

bei der Umsetzung des<br />

Gemeinsamen Unterrichts<br />

benannt und es muss nach<br />

Lösungen gesucht werden.<br />

Die feste Zuordnung von<br />

Förderschullehrkräften zu<br />

integrativ arbeitenden<br />

Schulen ist seit einem Jahr<br />

Realität und ein wichtiger<br />

Baustein für die Schaffung<br />

von Kontinuität und Verlässlichkeit<br />

für alle Partner im<br />

Lernprozess. Dennoch muss<br />

auch hier die Kooperation<br />

vielfach noch gelernt und<br />

eine nachhaltige und<br />

schülerorientierte Didaktik<br />

entwickelt werden. Fragen<br />

zur räumlichen und sächlichen<br />

Ausstattung der<br />

Schulen gehören hier<br />

ebenfalls mit hinein.<br />

Die Landesgruppe Sachsen-<br />

Anhalt des Grundschulverbandes<br />

freut sich über die<br />

Bemühungen des Kultusministeriums<br />

zur Stärkung<br />

des gemeinsamen und<br />

indi vidualisierten Lernens.<br />

Die Ergebnisse der Arbeitsgruppe<br />

können mit Spannung<br />

erwartet werden.<br />

für die Landesgruppe:<br />

Ralph Thielbeer und<br />

Dr. Michael Ritter<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>116</strong> • November 2011<br />

33


<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong><br />

Grundschulverband e. V.<br />

Niddastraße 52 · 60329 Frankfurt / Main<br />

Tel. 069 776006 · Fax 069 7074780<br />

info@grundschulverband.de<br />

www.grundschulverband.de<br />

Postvertriebsstück · Entgelt bezahlt DP AG<br />

D 9607 F · ISSN 1860-8604<br />

Versandadresse<br />

2. / 3. März 2012 | Grundschrift –<br />

damit Kinder besser schreiben lernen<br />

Arbeitstagung für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren<br />

»Schreibschrift ade?« So oder so ähnlich rauschte es in<br />

diesem Sommer durch den Blätterwald. Die Ursache: Der<br />

Grundschulverband sagt, dass die überkommenen Schulausgangsschriften<br />

ins didaktische Museum gehören! Ziel<br />

der <strong>Grundschule</strong> ist die flüssig geschriebene und gut les-<br />

bare Handschrift der Kinder. Dazu müssen sie nicht zwei<br />

Ausgangsschriften lernen. Eine reicht: die mit der Hand<br />

geschriebene Druckschrift. Die Grundschrift ist damit der<br />

Weg zum Ziel: eine flüssig geschriebene und gut leserliche<br />

Handschrift.<br />

Thematik<br />

der Tagung<br />

Zeit<br />

Referentinnen<br />

und Referenten<br />

Ort<br />

Im Plenum und in Arbeitsgruppen<br />

werden Moderationsmaterialien für Lehrerkonferenzen,<br />

Fortbildungen und Seminare<br />

zum Thema »Grundschrift« vorgestellt und<br />

erprobt: Erfahrungen in der Schulpraxis,<br />

Einsatz der Grundschrift-Karteien und des<br />

Heftes »Meine Schrift«, Schriftkultur und<br />

schul interne Arbeitspläne.<br />

Ziel ist die Zusammenstellung eines praktischen<br />

»Moderationskoffers« zur Grundschrift.<br />

Wir wünschen uns, dass die Teilnehmer/innen<br />

bereit sind, als Referent/in bzw. Moderator/in<br />

in der Region zur Verfügung zu stehen.<br />

Freitag, 2. März 2012, 15.00 bis 21.30 Uhr<br />

Samstag, 3. März 2012, 9.00 bis 13.00 Uhr<br />

Herausgeber und Autoren des Grundschrift-<br />

Materialpakets: Dr. Horst Bartnitzky (Grundschulpädagoge,<br />

Duisburg); Lothar Bode<br />

(Grundschulrektor, Alpen-Veen); Prof. Dr. Erika<br />

Brinkmann (Dekanin PH Schwäbisch Gmünd);<br />

Ulrich Hecker (Stellv. Vorsitzender Grundschulverband,<br />

Grundschulrektor, Moers); Barbara<br />

van der Donk (Grundschulrektorin, Moers);<br />

Linda Kindler (Grundschullehrerin, Dortmund);<br />

Dr. Christina Mahrhofer-Bernt (Sonderschullehrerin<br />

und Sonderpädagogin, Landshut);<br />

Christiane Schüßler (Schulrätin, Düsseldorf)<br />

Hotel Loccumer Hof<br />

Kurt-Schumacher-Str. 14/16<br />

30159 Hannover<br />

www.loccumerhof.de<br />

Tagungs beitrag<br />

Anmeldung<br />

225 Euro für Mitglieder des<br />

Grundschulverbandes<br />

325 Euro für Nichtmitglieder<br />

Im Tagungsbeitrag enthalten sind:<br />

– Übernachtung im Einzelzimmer,<br />

– Verpflegung während der Tagung,<br />

– Tagungsmaterialien.<br />

(Die Kosten der An- und Abreise sind von<br />

den Teilnehmer/innen selbst zu tragen.)<br />

– per Post: Grundschulverband e. V.,<br />

Niddastr. 52, 60329 Frankfurt,<br />

– per Mail: info@grundschulverband.de<br />

– im Internet:<br />

www.grundschulverband.de<br />

Anmeldeschluss ist der 31.12.2011<br />

Die Teilnehmerzahl ist auf 70 Personen begrenzt.<br />

Die Tagungsgebühr wird mit der<br />

Anmeldung fällig.<br />

Verbindlich ist die Teilnahme erst nach<br />

Bestätigung durch den Grundschulverband.<br />

Bankverbindung:<br />

Postbank Frankfurt, BLZ 500 100 60<br />

Konto Nr. 19 56 71 605<br />

Stornogebühren bei Absage nach dem<br />

16. Januar 2012: 125 Euro<br />

Bitte bei der Anmeldung angeben:<br />

Vollständige Anschrift mit E-Mail-Adresse<br />

Mitgliedsnummer, wenn vorhanden<br />

Funktion im Schulbereich<br />

Praktische Erfahrungen mit der<br />

Grundschrift (ja / nein)

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