Die Geschichte in die Eigenen Hände nehmen
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Inhalt<br />
E<strong>in</strong>leitung 5<br />
Leonie Kascher<br />
<strong>Die</strong> Konferenz zu Zimmerwald und ihre Bedeutung 9<br />
Leonie Kascher und das Erbe von Zimmerwald 17<br />
Anhang; Manifest der Kommunistischen Partei Schweiz 32<br />
Revolutionärer Aufbau Schweiz,<br />
AG Klassenkampf, Herbst 2015<br />
Postfach 8663 8036 Zürich<br />
Email: <strong>in</strong>fo@aufbau.org<br />
Internet: www.aufbau.org<br />
Aufbau Vertrieb Zürich: An- und Verkauf proletarischer<br />
und kommunistischer Literatur,<br />
Kanonengasse 35 (im H<strong>in</strong>terhaus, Eisentreppe),<br />
geöffnet jeden Samstag von 12 bis 17 Uhr.<br />
E<strong>in</strong>führung : Len<strong>in</strong> und Clausewitz 37<br />
Erster Teil : <strong>Die</strong> Kriegstheorie 39<br />
Zweiter Teil : Imperialistischer Krieg und Befreiungskrieg 45<br />
Dritter Teil : Krieg und Revolution 51<br />
Vierter Teil : Der revolutionäre Krieg 57<br />
Len<strong>in</strong> und der Krieg
E<strong>in</strong>leitung<br />
<strong>Die</strong>se Broschüre ist anlässlich der Kampagne zum<br />
100-jährigen Jubiläum der Konferenz von Zimmerwald<br />
entstanden. Sie ist e<strong>in</strong>erseits e<strong>in</strong> Ausdruck der<br />
Konfrontation mit der eigenen, revolutionären <strong>Geschichte</strong>,<br />
andererseits greift sie <strong>die</strong> höchst aktuelle<br />
Bruchl<strong>in</strong>ie zwischen Reformismus und Revolution<br />
auf, welche heute, wie vor 100 Jahren, von grösster Bedeutung<br />
ist.<br />
Der erste Teil der Broschüre zeigt <strong>die</strong> <strong>in</strong>haltliche Debatte<br />
auf, welche an der Zimmerwalder Konferenz<br />
geführt wurde. Zudem widmet er sich der Bedeutung<br />
der Zimmerwalder Konferenz für <strong>die</strong> damalige revolutionäre<br />
L<strong>in</strong>ke und er konkretisiert Fragen, <strong>die</strong> bis<br />
<strong>in</strong> <strong>die</strong> Gegenwart reichen. <strong>Die</strong> Beschäftigung mit der<br />
eigenen <strong>Geschichte</strong> ist zentral, denn <strong>die</strong> <strong>Geschichte</strong><br />
ist e<strong>in</strong> weiteres gesellschaftliches Feld, wo „e<strong>in</strong>deutige“<br />
Interpretationen von oben diktiert werden. „<strong>Die</strong><br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> eigenen <strong>Hände</strong> <strong>nehmen</strong>“ bedeutet,<br />
<strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Kampffeld zu agieren, denn <strong>Geschichte</strong> ist<br />
nicht nur das, was gestern war, sondern <strong>die</strong>nt den<br />
Herrschenden viel zu oft der Legitimation gegenwärtiger<br />
Politik. Geschichtsbewusstse<strong>in</strong> entwickeln bedeutet<br />
demnach, sich nicht nur mit der Vergangenheit zu<br />
beschäftigen, sondern auch mit dem, was weiterwirkt<br />
und damit, wie sich das aktuelle politische Geschehen<br />
konstituiert.<br />
Der zweite Teil hat <strong>die</strong> Ause<strong>in</strong>andersetzung mit Leonie<br />
Kascher zur Grundlage. Sie, <strong>die</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> Schweiz<br />
immigrierte Student<strong>in</strong> aus Polen, war nach 1916<br />
massgeblich an der revolutionären Organisierung <strong>in</strong><br />
der Schweiz beteiligt und war tragend für <strong>die</strong> Positionsf<strong>in</strong>dung<br />
jener Gruppen, <strong>die</strong> sich zur Kommunistischen<br />
Partei der Schweiz (KPS) zusammengeschlossen<br />
haben. Ihre Person ist wichtig, weil sich an ihrer<br />
eigenen politischen <strong>Geschichte</strong> der E<strong>in</strong>fluss der Zimmerwalder<br />
Konferenz auf <strong>die</strong> Revolutionär<strong>in</strong>nen und<br />
Revolutionäre nachzeichnen lässt. Lange haben wir<br />
<strong>in</strong> Archiven und Bibliotheken der Schweiz, von Polen<br />
und Russland sowie <strong>in</strong> den Privatarchiven der Angehörigen<br />
Leonie Kaschers nach Dokumenten gesucht<br />
und e<strong>in</strong>iges zusammengetragen. Zentraler Bestandteil<br />
der Quellensammlung ist Kaschers Autobiographie,<br />
<strong>die</strong> wir vom Russischen <strong>in</strong>s Deutsche übersetzt haben.<br />
Anhand <strong>die</strong>ser und anderer Schriften konnten wir <strong>die</strong><br />
Beteiligung Kaschers an der revolutionären Organisierung<br />
präzise nachzeichnen und können sie nochmals<br />
zu Wort kommen lassen, <strong>in</strong> dem wir ihre Beobachtungen<br />
und Interpretation der Geschehnisse <strong>in</strong> unsere<br />
Aufarbeitung der historischen Erzählung <strong>in</strong>tegrieren.<br />
Der dritte Teil der Broschüre, e<strong>in</strong> Gastbeitrag von T.<br />
Derbent, befasst sich mit e<strong>in</strong>em weiteren, zentralen<br />
Inhalt der Zimmerwalder Konferenz: Dem imperialistischen<br />
Krieg. Es wird im Beitrag aufgezeigt, wie<br />
damals <strong>die</strong> Zimmerwalder L<strong>in</strong>ke h<strong>in</strong>ter den Ersche<strong>in</strong>ungen<br />
der kapitalistischen Krise und des imperialistischen<br />
Krieges <strong>die</strong> Tendenzen zu e<strong>in</strong>er revolutionären<br />
Veränderung erkannten. Len<strong>in</strong> hatte bereits 1905 erkannt,<br />
dass der Massenstreik als Waffe nicht ausreicht<br />
und sich <strong>in</strong>tensiv mit dem Krieg, mit dem Kriegstheoretiker<br />
Clausewitz und mit revolutionären Kriegsformen<br />
ause<strong>in</strong>andergesetzt. Im dritten Teil der Broschüre<br />
wird <strong>die</strong>se Thematik vertieft.<br />
Und heute? Wie s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> ökonomischen Theorien des<br />
Imperialismus, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>e ganze Epoche kennzeichnen,<br />
mit den heutigen politischen Ereignissen verknüpft?<br />
S<strong>in</strong>d <strong>die</strong> immer häufiger werdenden imperialistischen<br />
Kriege noch episodisch oder s<strong>in</strong>d Anzeichen e<strong>in</strong>es<br />
„grossen“ Krieges zwischen den imperialistischen<br />
Mächten auszumachen? Ist mit dem Erstarken reaktionärer<br />
Kräfte das Herannahen e<strong>in</strong>er neuen Entwicklung<br />
des Imperialismus verbunden? Und, für uns<br />
zentral, welche Kampfmethoden stehen <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Situation<br />
für <strong>die</strong> KommunistInnen zur Debatte?<br />
Um <strong>die</strong>se Kernfragen geht es <strong>in</strong> allen drei Beiträgen.<br />
Selbst <strong>in</strong> Momenten reaktionärster Verwerfungen und<br />
e<strong>in</strong>er sche<strong>in</strong>bar unerschütterlichen kapitalistischen<br />
Gesellschaft gibt es Möglichkeiten, <strong>die</strong> Aktualität des<br />
revolutionären Prozesses als Massstab des politischen<br />
Handelns zu bestimmen. Nicht <strong>in</strong> dem S<strong>in</strong>ne, dass <strong>die</strong><br />
sozialistische Revolution jederzeit zu verwirklichen<br />
sei. Auch wenn seitens der proletarischen Kräfte fundamentale<br />
Veränderungen stattgefunden haben, geht<br />
es um den Grundton der andauernden imperialistischen<br />
Epoche. Es gibt nicht <strong>die</strong> Wahl zwischen Krieg<br />
und Frieden, sondern <strong>die</strong> Wahl zwischen dem imperialistischen<br />
Krieg und dem revolutionären Krieg gegen<br />
den Krieg!<br />
Nehmen wir <strong>die</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> eigenen <strong>Hände</strong>!<br />
Revolutionärer Aufbau Schweiz,<br />
Herbst 2015<br />
Anmerkung: Alle Zitate, sofern nicht anders notiert,<br />
entstammen der Autobiographie von Leonie Kascher.<br />
<strong>Die</strong>se ist auf Deutsch wie Russisch bei uns e<strong>in</strong>sehbar.<br />
Mail an: <strong>in</strong>fo@aufbau.org<br />
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6<br />
7
<strong>Die</strong> Konferenz zu Zimmerwald und ihre Bedeutung<br />
1. Von fortwirkender Vergangenheit<br />
Wer der <strong>Geschichte</strong> der revolutionären<br />
ArbeiterInnenbewegung nachgeht, betritt e<strong>in</strong><br />
Terra<strong>in</strong>, das nicht nur von Zurückgebliebenem,<br />
sondern auch von Weiterwirkendem besetzt ist. <strong>Die</strong><br />
Wahrnehmung und Deutung <strong>die</strong>ser Vergangenheit<br />
bildet den historisch begründeten Ausgangspunkt für<br />
den revolutionären Prozess der Gegenwart. Sowohl<br />
Handlungsmöglichkeiten als auch perspektivische<br />
politische Ziele werden daraus abgeleitet. Allerd<strong>in</strong>gs<br />
f<strong>in</strong>det <strong>die</strong> Produktion <strong>die</strong>ser kollektiven Prozesse<br />
<strong>in</strong>mitten der Klassenause<strong>in</strong>andersetzungen statt, <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em Raum ständiger Kämpfe um das kollektive<br />
Gedächtnis. <strong>Die</strong>ser Kampf um <strong>die</strong> <strong>Geschichte</strong> ist<br />
daher e<strong>in</strong>e bedeutende Machtfrage. <strong>Die</strong> historische<br />
Deutungsmacht der Herrschenden <strong>die</strong>nt der<br />
Legitimation ihrer Politik. Für <strong>die</strong> Bourgeoisie,<br />
<strong>in</strong> allen ihren Entschlüssen und Massnahmen<br />
richtungsgebend, ist ausschliesslich der Standpunkt<br />
ihrer Interessen, des Erfolges, der ökonomischen<br />
Zwänge, sprich der Kapitalakkumulation. Getrieben<br />
durch <strong>die</strong> Gier nach schnellem konkretem Erfolg,<br />
kann sie sich ke<strong>in</strong>e durch den historischen<br />
Standpunkt geforderte E<strong>in</strong>schätzung leisten, <strong>die</strong><br />
über <strong>die</strong> unmittelbaren Notwendigkeiten h<strong>in</strong>aus<br />
gehen.<br />
Historisches Bewusstse<strong>in</strong> benennt <strong>die</strong> Vergangenheit<br />
so, dass <strong>in</strong> der Analyse der <strong>Geschichte</strong> zugleich ihre<br />
Funktion für den aktuellen Kampf sichtbar wird.<br />
Mit anderen Worten, dass sich historische Kritik <strong>in</strong><br />
kritische revolutionäre Praxis verwandelt.<br />
<strong>Die</strong> Aneignung der Vergangenheit des proletarischen<br />
Klassenkampfes leistet <strong>in</strong>sofern S<strong>in</strong>nbildung, als<br />
sie hilft, <strong>die</strong> Gegenwart als historisches Moment<br />
der Entwicklung von Klassenkämpfen zu begreifen;<br />
Identitätsf<strong>in</strong>dung, da sie <strong>die</strong> revolutionären<br />
Traditionen der ArbeiterInnenklasse <strong>in</strong>s Heute<br />
vermittelt; und Lernmöglichkeiten, weil sie hilft,<br />
<strong>die</strong> aktuelle Etappe des revolutionären Prozesses zu<br />
bestimmen.<br />
2. Für e<strong>in</strong>en marxistischen Revolutionsbegriff<br />
<strong>Die</strong> Herrschenden s<strong>in</strong>d bestrebt, den<br />
Revolutionsbegriff total zu verwässern, aktuell<br />
wie historisch. Mit Blick auf <strong>die</strong> momentane<br />
gesellschaftliche Situation ist der grosse Stellenwert<br />
der <strong>Geschichte</strong> als politische Waffe offensichtlich.<br />
<strong>Die</strong> Aufrechterhaltung, beziehungsweise <strong>die</strong><br />
Revision e<strong>in</strong>es revolutionären, identitätsstiftenden<br />
Geschichtsnarrativs erzielt <strong>in</strong> Phasen des<br />
reaktionären Aufschwungs für den revolutionären<br />
Prozess e<strong>in</strong>e besonders weit reichende Wirkung. Es<br />
geht <strong>in</strong> solchen Phasen auch um <strong>die</strong> emanzipative<br />
und progressive Veränderung der kapitalistischen<br />
Gesellschaft, um ihren sozialistischen Gehalt, und<br />
das ist ohne Revolution, ohne Zerschlagung des<br />
Kapitalismus, nicht zu haben. Reformen, seien sie<br />
noch so „radikal“, verändern <strong>die</strong> gesellschaftlichen<br />
Verhältnisse nicht, sondern zementieren sie noch<br />
fester.<br />
Der tiefe, historische S<strong>in</strong>n der Revolutionen ist,<br />
dass ihre von Zeit zu Zeit stattf<strong>in</strong>denden Ausbrüche<br />
je e<strong>in</strong>en Abschluss e<strong>in</strong>er Phase des Klassenkampfes,<br />
beziehungsweise den Übergang e<strong>in</strong>er<br />
Gesellschaftsformation <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e andere bedeuten.<br />
Wenn <strong>die</strong> herrschende Geschichtsschreibung<br />
<strong>die</strong>s aus den Erfahrungen der Vergangenheit<br />
ausmerzt, so geschieht <strong>die</strong>s aus demselben Grund,<br />
aus welchem sie auch aus der Politik <strong>die</strong>selben<br />
Ersche<strong>in</strong>ungen ausmerzt, verschweigt oder leugnen<br />
möchte. Und sogar dort, wo es für sie unumgänglich<br />
wird, aus revolutionären Ereignissen <strong>die</strong> Lehre<br />
zu ziehen, ist sie bestrebt, <strong>die</strong> Revolutionen als<br />
9
Ausnahmen, als Verirrungen, als historische<br />
3. E<strong>in</strong> Ausgangspunkt <strong>in</strong> Zimmerwald<br />
masslos enttäuscht waren, wie e<strong>in</strong> Magnet. <strong>Die</strong><br />
Verzerrung des Kommunismus, kaum vorstellen,<br />
Erkrankungen, als hie und da vorgekommene,<br />
Weltrevolution hatte e<strong>in</strong>en Mittelpunkt, und<br />
wie der Geist <strong>in</strong>ternationaler Solidarität, der<br />
aber nie wieder zurückkehrende, ausserordentliche<br />
E<strong>in</strong>e zentrale Rolle bei der Konstituierung e<strong>in</strong>er<br />
bald begann sich das organisierte revolutionäre<br />
Wille und <strong>die</strong> Fähigkeiten der russischen, aber<br />
Ereignisse h<strong>in</strong>zustellen. Vor allem aber hütet<br />
<strong>in</strong>ternationalen sozialistischen Opposition<br />
Proletariat um <strong>die</strong>sen Fixpunkt zu scharen.<br />
auch der ungarischen, deutschen, f<strong>in</strong>nischen,<br />
sie sich, <strong>die</strong> Revolutionen, <strong>die</strong> nicht nur ke<strong>in</strong>e<br />
gegen den imperialistischen Krieg spielten<br />
<strong>Die</strong> Entstehung der Kom<strong>in</strong>tern verlieh dem<br />
italienischen und anderen Revolutionäre, ihre<br />
historischen Ausnahmefälle, sondern e<strong>in</strong>e alle<strong>in</strong>ige<br />
<strong>die</strong> Konferenzen von Zimmerwald (5. bis 8.<br />
revolutionären Prozess wichtige Impulse. <strong>Die</strong><br />
äusserst kultivierten Analysen, ihre revolutionäre<br />
Gesetzmässigkeit s<strong>in</strong>d, mit gesellschaftlichen<br />
September 1915), Kiental (24. bis 30. April 1916)<br />
der Gründung folgende Periode war durch<br />
Bescheidenheit und Herzlichkeit <strong>in</strong> den breiten<br />
Kämpfen, mit Klassengegensätzen, mit dem<br />
und schliesslich Stockholm (September 1917).<br />
grosse revolutionäre Erfolge gekennzeichnet:<br />
Massen Respekt und Kampfbereitschaft hervorrief.<br />
unausgesetzten Kampf zwischen Unterdrückern<br />
<strong>Die</strong> grosse Bedeutung der Konferenzen für<br />
<strong>Die</strong> Ausrufung der ungarischen und bayerischen<br />
Ohne <strong>die</strong>sen gegenseitigen Austausch von<br />
und Unterdrückten, Ausbeutern und Ausgebeuteten<br />
<strong>die</strong> ArbeiterInnenbewegung liegt allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong><br />
Räterepublik und <strong>die</strong> Gründung kommunistischer<br />
Erfahrungen und Impulsen, ohne e<strong>in</strong>e unmittelbare<br />
<strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>en Zusammenhang zu br<strong>in</strong>gen.<br />
der Ausdifferenzierung der unterschiedlichen<br />
Parteien <strong>in</strong> vielen Ländern der ganzen Welt.<br />
Orientierung am revolutionären Russland,<br />
Positionen <strong>in</strong>nerhalb der Sozialdemokratie, <strong>die</strong><br />
wären <strong>die</strong> revolutionären Erhebungen und <strong>die</strong><br />
<strong>Die</strong> Interpretation der <strong>in</strong>ternationalen<br />
letztendlich <strong>die</strong> Gründung der Kommunistischen<br />
Auch aus der Sichtweise des gegenwärtigen<br />
Gründungen kommunistischer Parteien <strong>in</strong> fast allen<br />
sozialistischen Antikriegsbewegung 1915 als<br />
Internationale 1919 ermöglichte.<br />
revolutionären Prozesses <strong>die</strong>nt <strong>die</strong> Gründungszeit<br />
Ländern Europas, und damit <strong>die</strong> Entstehung der<br />
„Friedensbewegung“ durch <strong>die</strong> Sozialdemokraten,<br />
der Kommunistischen Internationale nach wie vor<br />
Kommunistischen Internationale, kaum möglich<br />
entspricht ihrer damaligen wie aktuellen<br />
Len<strong>in</strong> und Radek legten der Konferenz e<strong>in</strong>e<br />
als Orientierung. Zugleich drängt sich <strong>die</strong> Frage<br />
gewesen.<br />
heuchlerischen Politik: Unterstützung der<br />
Resolution vor, <strong>in</strong> welcher der Krieg als<br />
auf, wie <strong>die</strong>ses revolutionäre Klassenbewusstse<strong>in</strong><br />
Kriegskredite 1914 damals, Mittragen der meisten<br />
imperialistischen Militär<strong>in</strong>terventionen heute. Ist<br />
imperialistisch bezeichnet wurde und <strong>die</strong> meisten<br />
Führer der alten Internationale als Opportunisten<br />
entstehen konnte, <strong>die</strong>se Atmosphäre der<br />
proletarischen Solidarität? Waren es <strong>die</strong> objektiven<br />
5. Imperialistischer Krieg<br />
damit „sozialistische Friedenspolitik“ geme<strong>in</strong>t, wie<br />
<strong>die</strong> SP zu „100 Jahre Zimmerwalder Konferenz“<br />
schreibt?<br />
Zwar akzeptieren Reformisten verschiedener<br />
Schattierungen rückwirkend <strong>die</strong> Theorie des<br />
Klassenkampfes und den Gedanken der sozialen<br />
Gesetzmässigkeit der Revolutionen. Revolutionen<br />
aller Art werden akzeptiert: Je weiter geografisch<br />
entfernt um so besser, nur nicht als etwas<br />
Aktuelles hier. <strong>Die</strong>se zeitliche, allenfalls auch<br />
örtliche Verschiebung der Revolutionen, sowohl<br />
nach rückwärts wie nach vorwärts, hat zur Folge,<br />
dass jede Realität der Klassenkämpfe und der<br />
Revolutionen letztlich negiert wird. Bei <strong>die</strong>ser<br />
Auffassung hört <strong>die</strong> <strong>Geschichte</strong> auf, das Ergebnis<br />
von Erfahrungen zu se<strong>in</strong>, welche für das wirkliche<br />
Leben richtunggebend s<strong>in</strong>d. Stattdessen wird sie zur<br />
<strong>Geschichte</strong>, <strong>in</strong> welcher Revolutionen als exotische<br />
Legende dargestellt werden: E<strong>in</strong> „Marxismus“ also,<br />
der sich auf <strong>die</strong> Vergangenheit und <strong>die</strong> Zukunft<br />
bezieht, <strong>die</strong> Gegenwart aber elegant aussen vor lässt.<br />
kritisierte, <strong>die</strong> „das Proletariat dem Imperialismus<br />
ausgeliefert“ hätten.<br />
Aufgabe der sozialistischen Parteien sei es, das<br />
Proletariat zum „revolutionären Kampf gegen <strong>die</strong><br />
kapitalistischen Regierungen um <strong>die</strong> Eroberung<br />
der politischen Macht, zwecks sozialistischer<br />
Organisation der Gesellschaft“ zu führen. Auch<br />
wenn <strong>die</strong>se Position der Bolschewiki mit 12 zu<br />
19 Stimmen abgelehnt wurde, entstand auf <strong>die</strong>ser<br />
politischen Grundlage <strong>die</strong> Zimmerwalder L<strong>in</strong>ke,<br />
auf <strong>die</strong> wir uns beziehen. <strong>Die</strong> Neuformierung der<br />
revolutionären Marxisten führte über <strong>die</strong> russische<br />
Revolution und den Aufständen <strong>in</strong> Europa<br />
zur Gründung der Kommunistischen Parteien<br />
und schliesslich zur Dritten Kommunistischen<br />
Internationale.<br />
4. E<strong>in</strong>e revolutionäre Internationale als Ziel<br />
<strong>Die</strong> Gründungsproklamation der Dritten<br />
Internationale im März 1919 wirkte im Chaos der<br />
Nachkriegszeit auf alle revolutionären Kräfte, <strong>die</strong><br />
von der reformistischen Zweiten Internationale<br />
Verhältnisse, <strong>die</strong> Erfahrungen des Krieges, <strong>in</strong> dem<br />
Millionen von Arbeitern massakriert wurden, <strong>die</strong><br />
riesige Arbeitslosigkeit, <strong>die</strong> brutale Ausbeutung<br />
durch <strong>die</strong> Kapitalisten? Sicher, revolutionäres<br />
Klassenbewusstse<strong>in</strong> entwickelt sich aus den<br />
gesellschaftlichen Verhältnissen. Aber nicht nur<br />
und schon gar nicht geradl<strong>in</strong>ig. Es ist vielmehr an<br />
e<strong>in</strong>e subjektive Eigendynamik gebunden, an e<strong>in</strong>e<br />
Kette von subjektiven, kämpferischen und teilweise<br />
erfolgreichen Erfahrungen, <strong>in</strong> der jedes Glied das<br />
andere antreibt, bee<strong>in</strong>flusst und Orientierung bietet.<br />
In der Reihe der historischen Ereignisse, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />
Gründung der Dritten Internationale bee<strong>in</strong>flussten,<br />
steht <strong>die</strong> Oktoberrevolution an erster Stelle. <strong>Die</strong><br />
Tatsache, dass ArbeiterInnen und Bauern mit der<br />
Waffe <strong>in</strong> der Hand e<strong>in</strong>e bürgerliche Regierung<br />
gestürzt hatten und e<strong>in</strong>e revolutionäre Macht<br />
aufbauten, löste <strong>in</strong> der revolutionären Bewegung<br />
e<strong>in</strong>e riesige Begeisterung aus. <strong>Die</strong>se Realität weckte<br />
bei den ArbeiterInnen nicht nur Solidarität, sondern<br />
spornte zur Nachahmung an. Wir können uns<br />
heute, nach der dogmatischen und reformistischen<br />
Zu den wichtigsten objektiven Gründen, welche<br />
<strong>die</strong> revolutionäre Welle 1917 auslöste, zählt der 1.<br />
Imperialistische Krieg von 1914 bis 1918. <strong>Die</strong>ser<br />
Krieg war mit den vorhergegangenen Kriegen nicht<br />
zu vergleichen. Nicht nur se<strong>in</strong>er Weltdimension<br />
und se<strong>in</strong>er verheerenden Zerstörung von<br />
Menschenleben wegen. Zum ersten Mal stiessen<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Krieg Massenarmeen aus Arbeitern<br />
und Bauern aufe<strong>in</strong>ander. Aufgehetzt durch<br />
nationalistischen Hass wurden <strong>die</strong> Massen von<br />
e<strong>in</strong>er reaktionären Gewalt <strong>in</strong> ihrer schlimmsten<br />
Form erfasst – töten und getötet werden. Das Elend<br />
<strong>in</strong> den Schützengräben setzte bei vielen Arbeitern<br />
e<strong>in</strong>en Denk- und Erkenntnisprozess <strong>in</strong> Gang: Wer<br />
profitiert von <strong>die</strong>sem Krieg?<br />
<strong>Die</strong> Vorstellungen der meisten Sozialisten von der<br />
Revolution der Vorkriegszeit waren schon lange<br />
im reformistischen Sumpf untergegangen. Erst<br />
durch den Weltkrieg entwickelte sich <strong>die</strong> Krise <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>e revolutionäre Situation, welche <strong>die</strong> russische<br />
Revolution und <strong>die</strong> Klassenkämpfe <strong>in</strong> Europa<br />
ermöglichte. Viele Arbeiter wurden durch den<br />
10<br />
11
Krieg auf den bewaffneten Aufstand vorbereitet<br />
erforderlich, das Proletariat zu bewaffnen und<br />
mult<strong>in</strong>ationalen Konzernen um <strong>die</strong> Neuaufteilung<br />
für <strong>die</strong> Landesverteidigung und <strong>die</strong> Verstärkung<br />
und <strong>die</strong> vielen Kriegsgefangenen <strong>in</strong> Russland<br />
e<strong>in</strong>en Block des revolutionären Proletariats mit<br />
der Welt gekennzeichnet, was zu bald verdeckten,<br />
der nationalen Armee e<strong>in</strong>setzten und somit<br />
wurden durch <strong>die</strong> Bolschewiki für den Kampf <strong>in</strong><br />
den Ländern der siegreichen Revolution zu bilden.<br />
bald offenen imperialistischen Kriegen führt.<br />
<strong>die</strong> Interessen der Herrschenden vertraten. <strong>Die</strong><br />
ihren Heimatländern politisiert.<br />
• Zweitens, <strong>die</strong> zu<strong>nehmen</strong>de<br />
Zentristen, wie vor allem Robert Grimm e<strong>in</strong>er war,<br />
6. Reform versus Revolution<br />
7. <strong>Die</strong> Praxis der Zimmerwalder L<strong>in</strong>ken auf der<br />
Strasse im November 1917 <strong>in</strong> Zürich<br />
Ungleichmässigkeit der ökonomischen<br />
Entwicklung der e<strong>in</strong>zelnen kapitalistischen Länder<br />
macht <strong>die</strong> abhängigen Länder zum Spielball der<br />
vere<strong>in</strong>igten l<strong>in</strong>ke Erklärungen mit e<strong>in</strong>er rechten<br />
Praxis und wurden wegen ihres Opportunismus<br />
von den L<strong>in</strong>ken besonders scharf bekämpft.<br />
Am Ende des Jahres 1918 wurden <strong>die</strong><br />
Bemühungen zur Gründung der Kommunistischen<br />
Internationale (Kom<strong>in</strong>tern) erheblich <strong>in</strong>tensiviert.<br />
Das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei<br />
Russlands (Bolschewiki) erliess am 24. Dezember<br />
den ersten radiotelegraphischen Appell an <strong>die</strong><br />
<strong>in</strong>ternationale revolutionäre Bewegung, auch als<br />
Reaktion auf <strong>die</strong> E<strong>in</strong>berufung der <strong>in</strong>ternationalen<br />
sozialistischen Konferenz der Reformisten am<br />
6. Januar 1919 <strong>in</strong> Lausanne. <strong>Die</strong> revolutionäre<br />
Internationale bedeutete e<strong>in</strong> Gegengewicht<br />
zur Internationale der Sozialchauv<strong>in</strong>isten, der<br />
Internationale der Vaterlandsverteidiger, der<br />
Internationale, welche den imperialistischen Krieg<br />
unterstützt hatte. <strong>Die</strong> Erneuerung der Zweiten<br />
Internationale und damit <strong>die</strong> Festigung der<br />
Hegemonie des Reformismus sollte verh<strong>in</strong>dert<br />
und e<strong>in</strong> Zentrum der Polarisierung für alle<br />
klassenbewussten revolutionären ArbeiterInnen<br />
geschaffen werden. Mit welcher politischen<br />
Perspektive führte <strong>die</strong> Kom<strong>in</strong>tern <strong>die</strong>sen Kampf?<br />
Im Zentrum ihrer Politik stand <strong>die</strong> Machtfrage; <strong>die</strong><br />
wichtigsten Kampfmittel umfassten Massenaktionen<br />
des Proletariats bis h<strong>in</strong> zur Anwendung des<br />
bewaffneten Kampfes. Der e<strong>in</strong>zige Ausweg aus der<br />
Krise war für das Proletariat <strong>die</strong> Machteroberung<br />
und <strong>die</strong> Schaffung ihrer Diktatur. Ke<strong>in</strong>e falsche,<br />
re<strong>in</strong> formale bürgerliche Demokratie, sondern<br />
alle Macht <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Hände</strong> der ArbeiterInnenräte<br />
– als konkrete Form des proletarischen Staates.<br />
<strong>Die</strong>s war und ist <strong>die</strong> Garantie für <strong>die</strong> Enteignung<br />
der Bourgeoisie und den Aufbau des Sozialismus.<br />
Für <strong>die</strong> Verteidigung der Revolution war es zudem<br />
12<br />
<strong>Die</strong> Erhebung vom 17. November 1917 ist für<br />
<strong>die</strong> revolutionäre Bewegung des schweizerischen<br />
Proletariats von grosser Bedeutung. Ermutigt<br />
durch <strong>die</strong> russische Revolution wurde erstmals<br />
auf revolutionärem Weg das kapitalistische System<br />
grundsätzlich <strong>in</strong> Frage gestellt. <strong>Die</strong> massive<br />
Reaktion der Herrschenden mittels Bullen und<br />
Armeee<strong>in</strong>satz, der psychologischen Kampfführung<br />
durch <strong>die</strong> Zeitungen und schliesslich der E<strong>in</strong>satz<br />
der Klassenjustiz macht <strong>die</strong>s deutlich; e<strong>in</strong> Teil<br />
des Proletariats stellte <strong>die</strong> Machtfrage. Kaum<br />
noch erwähnenswert: Der Polizeivorstand wurde<br />
vom Sozialdemokraten Vogelsanger gestellt.<br />
<strong>Die</strong> Sozialdemokraten Lang und Klöti, ebenfalls<br />
Mitglieder des Stadtrates, wünschten, dass das<br />
Militär auf Pikett gestellt wurde.<br />
Zwar s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Ereignisse <strong>in</strong> <strong>die</strong>sen Tagen von<br />
spontanen Bewegungen der Massen geprägt, <strong>die</strong><br />
subjektive Seite noch zu wenig entwickelt und daher<br />
<strong>die</strong> Organisation der Kämpfe auf der Strasse als auch<br />
e<strong>in</strong>e klare, politische Bestimmung nur im Ansatz<br />
vorhanden. Trotzdem, <strong>in</strong> der Novembererhebung<br />
drückten sich <strong>die</strong> revolutionären Inhalte der<br />
Zimmerwalder L<strong>in</strong>ken erstmals deutlich <strong>in</strong> der<br />
Schweiz auf der Strasse aus. <strong>Die</strong> revolutionären<br />
Kämpfe polarisierten <strong>die</strong> proletarische Bewegung<br />
und zwang <strong>die</strong> reformistische Sozialdemokratie,<br />
offen gegen <strong>die</strong> im Manifest der Zimmerwaldner<br />
L<strong>in</strong>ken formulierten Inhalte Stellung zu <strong>nehmen</strong>.<br />
Nämlich:<br />
• Erstens, ist der Imperialismus <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />
Spätphase weiterh<strong>in</strong> – und seit dem Zusammenbruch<br />
der sozialistischen Länder noch verschärft –<br />
durch den Kampf der Grossmächte mit ihren<br />
imperialistischen Länder <strong>in</strong> <strong>die</strong>sen Konflikten um<br />
<strong>die</strong> Aufteilung der Welt.<br />
• Drittens, der <strong>in</strong>ternationale Klassenkampf<br />
h<strong>in</strong> zum revolutionären Bürgerkrieg gegen <strong>die</strong><br />
imperialistische Bourgeoisie muss aus der Defensive<br />
heraus, unter Berücksichtigung der Widersprüche<br />
zwischen imperialistischen und abhängigen Staaten<br />
entwickelt und aufgebaut werden. <strong>Die</strong>ser richtet<br />
sich <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie gegen das System als solches,<br />
ohne dessen Überw<strong>in</strong>dung es immer wieder<br />
imperialistische Kriege geben wird.<br />
• Schliesslich ist es <strong>die</strong> Aufgabe des<br />
wissenschaftlichen Marxismus, <strong>die</strong> jeweiligen<br />
Besonderheiten der revolutionären Kämpfe an den<br />
verschiedenen Brennpunkten zu ermitteln und sie<br />
für den <strong>in</strong>ternationalen Klassenkampf dort und<br />
hier nutzbar zu machen.<br />
Trotz der veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse<br />
haben <strong>die</strong>se Inhalte grundsätzlich nichts von ihrer<br />
Bedeutung verloren. Der Sieg der Revolution <strong>in</strong><br />
Russland kam dem Sieg der Zimmerwalder L<strong>in</strong>ken<br />
gleich, im Übrigen waren es <strong>die</strong> Bolschewiki, <strong>die</strong><br />
konsequent den imperialistischen Krieg beendeten.<br />
8. <strong>Die</strong> organisatorischen Konsequenzen von<br />
Zimmerwald<br />
<strong>Die</strong> Sozialdemokratische Partei der Schweiz, als<br />
damals <strong>die</strong> wichtigste Organisation des Proletariats,<br />
setzte sich aus vier Positionen zusammen, <strong>die</strong><br />
teilweise schon antagonistischen Charakter<br />
hatten. <strong>Die</strong> Rechten, wie Herman Greulich,<br />
Paul Pflügler et cetera gruppierten sich um e<strong>in</strong>e<br />
sozialchauv<strong>in</strong>istischen Position, <strong>die</strong> sich unbed<strong>in</strong>gt<br />
Schon 1915/16 bildete sich <strong>in</strong> Zürich e<strong>in</strong>e Gruppe<br />
von l<strong>in</strong>ken Sozialdemokraten, <strong>in</strong> der neben e<strong>in</strong>igen<br />
Russen auch verschiedene Schweizer Genossen<br />
und Genoss<strong>in</strong>nen kämpften. Es war e<strong>in</strong>e Art<br />
von Schulungskollektiv. Darüber h<strong>in</strong>aus gewann<br />
Len<strong>in</strong> und <strong>die</strong> Zimmerwalder Positionen grossen<br />
E<strong>in</strong>fluss, <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> der Sozialistischen<br />
Jugendorganisation, <strong>die</strong> wiederum im Kampf am<br />
17. November 1917 e<strong>in</strong>e wichtige Rolle spielte. Der<br />
Leiter der Jugendorganisation, Willi Münzenberg,<br />
wurde nach dem 17. November verhaftet und letztlich<br />
aus der Schweiz ausgewiesen. Es entstand e<strong>in</strong>e<br />
L<strong>in</strong>ke mit Positionen gegen den imperialistischen<br />
Krieg und für den <strong>in</strong>ternationalen Klassenkampf.<br />
Willi Münzenberg, Fritz Platten, Rosa Bloch-<br />
Bollag, Alfred Bucher, Anni Morf, Willi Trostel und<br />
andere waren <strong>in</strong> Zürich <strong>die</strong> Exponentlnnen <strong>die</strong>ser<br />
Position. <strong>Die</strong> meisten von ihnen waren Mitglieder<br />
der Sozialistischen Jugendorganisation.<br />
Vorbehaltlos, das heisst auch <strong>in</strong> der Praxis, vertrat<br />
<strong>die</strong> revolutionäre Position der Zimmerwalder<br />
L<strong>in</strong>ken <strong>die</strong> „Gruppe Forderung“ mit den Genossen<br />
Anton Waibel, Hans Itschner, Jakob Herzog, der<br />
spätere Mitbegründer der 1921 gegründeten<br />
zweiten Kommunistischen Partei der Schweiz,<br />
Leonie Kascher und andere. <strong>Die</strong> meisten <strong>die</strong>ser<br />
Militanten waren auch <strong>in</strong> der sozialistischen<br />
Jugendorganisation organisiert, quasi ihr<br />
revolutionärer Flügel. Im Oktober 1917 erschien<br />
<strong>die</strong> erste Nummer ihrer Zeitung „<strong>Die</strong> Forderung<br />
- Organ für sozialistische EndzieIpolitik“. In<br />
ihr kam letztlich e<strong>in</strong>e Position zum Ausdruck,<br />
<strong>die</strong> mit der Sozialistischen Jugendorganisation<br />
unvere<strong>in</strong>bar war. „Vergleicht man nämlich den<br />
Inhalt der „Forderung“ mit dem Bolschewiki-<br />
13
Programm und den Tendenzen der Zimmerwalder<br />
als Psychopathen bezeichnete und ihn aus<br />
e<strong>in</strong>en Aufruhr zu benützen», wie der Staatsanwalt<br />
Unterschieden auch gewisse Parallelen zu heute<br />
L<strong>in</strong>ken, so ergibt sich, dass <strong>die</strong> „Forderung“ gar<br />
e<strong>in</strong>er Sitzung der Zimmerwalder L<strong>in</strong>ken warf.<br />
später me<strong>in</strong>te. Nicht, dass sie der Me<strong>in</strong>ung gewesen<br />
sichtbar. Denen gehört unser spezielles Interesse:<br />
nichts Neues brachte und nichts verkündigte,<br />
wären, dass aus <strong>die</strong>sem Kampf praktisch <strong>die</strong><br />
<strong>Die</strong> sozialen-ökonomischen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen,<br />
was nicht schon Geme<strong>in</strong>gut der Massen war und<br />
Zwar ist es richtig, sich <strong>die</strong> Frage des<br />
Machtübernahme hervorgehen würde. Ne<strong>in</strong>, sie<br />
also <strong>die</strong> Grundlage des revolutionären Prozesses<br />
ihrem Geisteszustand entsprach.“ (Zitiert aus<br />
organisatorischen und politischen Mittelpunkts<br />
waren der Ansicht, dass an der Revolution nur<br />
überhaupt; wie war <strong>die</strong> Klassengesellschaft konkret<br />
dem Untersuchungsbericht der Staatsanwaltschaft<br />
e<strong>in</strong>es Aufstandes zu stellen – spontane Aufstände<br />
<strong>in</strong>mitten der realen Kämpfe zu arbeiten sei.<br />
zusammengesetzt, wie war damals das kapitalistische<br />
betreffend der Ereignisse im November 1917)<br />
wurden meistens schnell zerschlagen – doch<br />
Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnis<br />
s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> den Positionen Münzenbergs und der<br />
9. Für den <strong>in</strong>ternationalen Klassenkampf!<br />
strukturiert, so dass sich <strong>die</strong> proletarischen<br />
Charakteristisch für <strong>die</strong> Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />
Sozialistischen Jugendorganisation <strong>die</strong> Wurzeln für<br />
Massen schon alle<strong>in</strong>e durch <strong>die</strong>se Situation<br />
<strong>in</strong>nerhalb der Sozialistischen Jugendorganisation<br />
spätere Entwicklungen angelegt, <strong>die</strong> letztlich von<br />
Heute, 100 Jahre nach <strong>die</strong>sen Ereignissen, hat sich<br />
revolutionierten? Das Wesen des Kapitalismus ist<br />
waren nicht nur <strong>die</strong> öfters verwendete Denunziation<br />
der Machtfrage <strong>in</strong> der Praxis wegführten. Wie kann<br />
<strong>die</strong> Situation <strong>in</strong> der Tat grundlegend verändert.<br />
dasselbe, damals wie heute, von wegen, es hätte<br />
und Demagogie gegen <strong>die</strong> „Gruppe Forderung“. So<br />
von e<strong>in</strong>er isolierten Aktion gesprochen werden,<br />
Der Kapitalismus hat sich weltweit zur alles<br />
sich alles grundsätzlich geändert. Und doch- <strong>die</strong><br />
verortete <strong>die</strong> sozialdemokratische Führung l<strong>in</strong>ks<br />
wenn Tausende Menschen sich auf der Strasse<br />
bestimmenden Produktionsweise entwickelt.<br />
kapitalistische Ausbeutung gliedert sich nicht<br />
von ihnen grundsätzlich nur „bl<strong>in</strong>de Kräfte mit<br />
bewegen? <strong>Die</strong> Machtfrage wird nicht nur an e<strong>in</strong>em<br />
Mehr noch, im Stadium des Imperialismus<br />
nur anders, auch der Bewusstse<strong>in</strong>sprozess der<br />
diszipl<strong>in</strong>losen Sonderaktionen“, auch <strong>in</strong> der späteren<br />
optimal organisierten, f<strong>in</strong>alen Aufstand gestellt,<br />
ist se<strong>in</strong>e Entwicklungsfähigkeit nur zum Preis<br />
ausgebeuteten Klasse verläuft weniger geradl<strong>in</strong>ig<br />
Berichterstattung darüber wurden revolutionäre<br />
sondern an ihr wird <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em langandauernden<br />
e<strong>in</strong>er gewaltigen Zerstörung gegeben. Der lange<br />
aus den unmittelbaren Lebensverhältnissen heraus,<br />
Positionen, <strong>in</strong>sbesondere von den Revisionisten,<br />
Prozess, der auch auf der Strasse stattf<strong>in</strong>det,<br />
Aufschwung von 1945 bis Anfang der 1970er Jahre<br />
genauso wie <strong>die</strong> revolutionäre Seite, <strong>die</strong> politischen<br />
immer als „anarchistisch“ denunziert, obwohl sie sich<br />
gearbeitet. „Der Sozialismus bricht an! Er kann <strong>in</strong><br />
war nur möglich durch <strong>die</strong> mit zwei Weltkriegen<br />
Positionen und ihr jeweiliger organisatorischer<br />
stark an den russischen Bolschewisten orientierten.<br />
Russland nur siegen, wenn er auch <strong>in</strong> der Schweiz<br />
überwundene Krise. Der Preis für <strong>die</strong>se erneute<br />
Ausdruck des kämpfenden Proletariats. Daraus<br />
und überall <strong>in</strong> Europa siegt. <strong>Die</strong> grosse Zeit des<br />
Entwicklungsfähigkeit des Kapitalismus ist<br />
ergeben sich <strong>die</strong> entscheidenden Fragestellungen<br />
<strong>Die</strong> Sozialistische Jugendorganisation wurde<br />
Blutgeldsackes des Kapitalismus ist vorbei und es<br />
bekannt, Millionen von Toten und <strong>die</strong> Zerstörung<br />
auch im aktuellen Prozess. Und damals wie heute<br />
zwar von den Ereignissen im November 1917<br />
naht unsere grosse Zeit, <strong>die</strong> Zeit des Sozialismus.<br />
von ganzen Städten und Landstrichen.<br />
entwickeln sich <strong>die</strong> revolutionären Positionen und<br />
überrollt, versuchte jedoch, e<strong>in</strong>e klare Position<br />
Unsere Pflicht ist, <strong>die</strong> soziale Revolution auch <strong>in</strong> der<br />
Strategien mitten <strong>in</strong> der revolutionären Praxis, im<br />
e<strong>in</strong>zu<strong>nehmen</strong>. Grundsätzlich war sie der Ansicht,<br />
Schweiz zu entfachen, sonst s<strong>in</strong>d wir Verräter und<br />
<strong>Die</strong> Krisen bildeten aber auch immer wieder<br />
Kampf der verschiedenen L<strong>in</strong>ien <strong>in</strong>nerhalb der<br />
<strong>die</strong> Auslösung des revolutionären Aufstandes<br />
Deserteure der Revolution.“ (Aus Beilage zu Nr. 3<br />
den Nährboden für revolutionäre Prozesse. In<br />
Klasse. Das Wesen der politischen Debatten ist<br />
käme zu früh, weil <strong>die</strong> planmässige Vorbereitung<br />
der „Forderung“)<br />
Russland und Ch<strong>in</strong>a haben <strong>in</strong> <strong>die</strong>sen Jahren <strong>die</strong><br />
dasselbe geblieben: Wie lässt sich der revolutionäre<br />
<strong>in</strong> politischer wie organisatorischer H<strong>in</strong>sicht zu<br />
ArbeiterInnen, zusammen mit den kle<strong>in</strong>en Bauern<br />
Prozess entwickeln, wo lauern <strong>die</strong> reformistischen<br />
wenig vorangeschritten sei. Der Aufstand vom<br />
17. November war gegen ihren Willen <strong>in</strong> Gang<br />
gekommen, und ihre Beteiligung beschränkte sich<br />
darauf, den offen ausgebrochenen, sehr militanten<br />
Klassenkampf zu unterstützen und ihn nicht<br />
unkontrolliert eskalieren zu lassen. Münzenberg<br />
<strong>in</strong>tervenierte beim entstandenen Aktionskomitee<br />
und versuchte vergeblich, <strong>die</strong> Genossen und<br />
Genoss<strong>in</strong>nen von der „Unzweckmässigkeit<br />
ihrer isolierten und von den breiten Massen der<br />
Arbeiterklasse getrennten Aktion“ zu überzeugen.<br />
<strong>Die</strong>se Debatten zwischen Münzenberg und<br />
den GenossInnen der „Gruppe Forderung“<br />
spielten sich ke<strong>in</strong>eswegs <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em friedlichen<br />
Rahmen ab, ganz im Gegenteil; <strong>die</strong> Widersprüche<br />
waren schon so tief, dass Münzenberg Waibel<br />
<strong>Die</strong> Mitglieder der „Gruppe Forderung“ organisierten<br />
sich nach den spontanen Kämpfen – respektive<br />
der von den Antimilitaristen durchgesetzten<br />
Schliessung der Munitionsfabriken vom 15. und 16.<br />
November – mit anderen GenossInnen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Aktionskomitee. Jakob Herzog befand sich schon<br />
im Gefängnis, aber andere wie Waibel und Itschner<br />
sprangen <strong>in</strong> <strong>die</strong> Bresche. <strong>Die</strong>ses Aktionskomitee<br />
organisierte <strong>die</strong> Protestkundgebung des nächsten<br />
Tages, eben den 17. November. <strong>Die</strong> Genossen<br />
und Genoss<strong>in</strong>nen der „Gruppe Forderung“ – ihre<br />
Zeitung wurde nach den Kämpfen 1918 vom<br />
Bundesrat verboten – versuchten, den folgenden<br />
Kämpfen e<strong>in</strong>e revolutionäre Orientierung zu geben,<br />
<strong>die</strong> „revolutionäre Stimmung der ArbeiterInnen für<br />
und LandarbeiterInnen, <strong>die</strong> Macht ergriffen.<br />
<strong>Die</strong> Liqui<strong>die</strong>rung <strong>die</strong>ser ersten sozialistischen<br />
Staaten, an der auch <strong>die</strong> Revision des Marxismus<br />
ihren Anteil hatte, und <strong>die</strong> damit e<strong>in</strong>hergehende<br />
Wiederherstellung des Kapitalismus, schmälert <strong>die</strong>se<br />
Tatsache ke<strong>in</strong>eswegs. Auch <strong>die</strong> Machtergreifung der<br />
Bourgeoisie erfolgte nicht von heute auf morgen,<br />
sondern war e<strong>in</strong> 200-jähriger Prozess, verbunden<br />
mit zahlreichen Rückschlägen. Weshalb sollte <strong>die</strong>s<br />
für das Proletariat anders se<strong>in</strong>?<br />
Unserer Interesse an der Zimmerwalder L<strong>in</strong>ken<br />
ist ausnahmslos durch den Bezug zu Fragen des<br />
aktuellen revolutionären Kampfes geprägt. Mit<br />
e<strong>in</strong>em Schnitt quer durch <strong>die</strong> damalige objektive<br />
und subjektive Situation s<strong>in</strong>d neben den deutlichen<br />
Gefahren? Auch <strong>die</strong> l<strong>in</strong>ke Sektiererei wurde<br />
schon damals thematisiert. Aber <strong>die</strong> politischen<br />
Rahmenbed<strong>in</strong>gungen haben sich mit der<br />
Entwicklung h<strong>in</strong> zum Revisionismus grundsätzlich<br />
verändert, <strong>die</strong> breite, Massen mobilisierende<br />
Begeisterung für den Aufbau des Sozialismus <strong>in</strong><br />
der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken ist<br />
e<strong>in</strong>er tiefen Resignation gewichen. Revolutionäre<br />
Alternativen zum eigenen, ausgebeuteten und<br />
entfremdeten Leben sche<strong>in</strong>en unerreichbar.<br />
14<br />
15
Leonie Kascher und das Erbe von Zimmerwald<br />
Im revolutionären Sturm nach 1915 treffen wir auf<br />
Leonie Kascher, <strong>die</strong> polnische Student<strong>in</strong>, <strong>die</strong> bei<br />
der Organisierung der revolutionären Kräfte <strong>in</strong> der<br />
Schweiz e<strong>in</strong>e wichtige Rolle spielen wird. Von hier<br />
aus haben wir ihre Spur aufgenommen, <strong>die</strong> uns<br />
auch zur Zimmerwalder L<strong>in</strong>ken führte.<br />
Leonie Kascher reiste 1913 <strong>in</strong> <strong>die</strong> Schweiz, um e<strong>in</strong><br />
Studium <strong>in</strong> Philosophie und Psychologie an der<br />
Universität Zürich aufzu<strong>nehmen</strong>. Als Frau, als<br />
Pol<strong>in</strong> und als Jüd<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Zeit alles andere als<br />
e<strong>in</strong>e Selbstverständlichkeit: Der zaristische Staat<br />
– Polen war damals Teil des Russischen Reichs<br />
– schränkte den Universitätszugang für Frauen<br />
stark e<strong>in</strong> und limitierte <strong>die</strong> Anzahl jüdischer<br />
Student<strong>in</strong>nen und Studenten. <strong>Die</strong>s waren wohl<br />
entscheidende Gründe, weshalb Leonie Kascher<br />
nach Zürich kam. Ihre Bildung <strong>in</strong> Polen musste<br />
sie sich erkämpfen: Im Jahr 1905, <strong>in</strong> welchem es<br />
im Russischen Zarenreich und <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong><br />
Warschau zu heftigen Aufständen kam, verliess sie<br />
<strong>die</strong> Familie: „Der despotische Charakter des Vaters<br />
und <strong>die</strong> religiöse Atmosphäre haben mich bedrückt,<br />
was mich derart bee<strong>in</strong>flusst hatte, dass ich sehr<br />
früh – mit 15 Jahren – das Elternhaus verliess und<br />
e<strong>in</strong> selbständiges Leben begann.“ Nur durch <strong>die</strong><br />
Unterstützung der vier Tanten Leonie Kaschers –<br />
sie nahmen alle an der revolutionären Bewegung<br />
von 1905 teil und waren Mitglieder der Polnischen<br />
Sozialdemokratischen Arbeiterpartei – konnte sie<br />
e<strong>in</strong>e Mittelschulbildung und e<strong>in</strong> Hochschulstudium<br />
<strong>in</strong> Pädagogik absolvieren: „In <strong>die</strong>ser Frühperiode des<br />
Lebens war es für mich sehr schwer vom Standpunkt<br />
der materiellen Lebensumstände aus. Ich hatte ke<strong>in</strong>en<br />
Platz zum Wohnen“, er<strong>in</strong>nert sich Leonie Kascher.<br />
In <strong>die</strong>ser Periode – der „schweren Jahre der Not“,<br />
wie sie <strong>die</strong>se selbst bezeichnet – unterstützte sie <strong>die</strong><br />
revolutionäre Tätigkeit ihrer Tanten mit illegaler<br />
Arbeit, durchlief aber auch zahlreiche Krankheiten.<br />
Ihre Tanten konnten den Vater Leonie Kaschers<br />
schliesslich überzeugen, dass sie <strong>in</strong> <strong>die</strong> Schweiz<br />
zum Studium fahren könne.<br />
In Zürich kam Leonie Kascher <strong>in</strong> Kontakt mit<br />
polnischen SozialistInnen; <strong>die</strong>s führte aber mit<br />
Beg<strong>in</strong>n des Ersten Weltkrieg – nur e<strong>in</strong> Jahr<br />
später – zu e<strong>in</strong>em Unterbruch des Studiums <strong>in</strong><br />
Zürich: „Nach dem Anfang des Ersten Weltkriegs<br />
haben <strong>die</strong> polnischen Sozialisten <strong>in</strong> Zürich lebhaft<br />
für den E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> <strong>die</strong> polnischen Legionen für<br />
den Kampf um <strong>die</strong> Unabhängigkeit Polens vom<br />
Zarismus agitiert. Mit dem Willen, um jeden Preis<br />
am Befreiungskampf teilzu<strong>nehmen</strong>, b<strong>in</strong> ich mit<br />
anderen Studenten nach Polen gefahren, wo ich im<br />
Hospital und bei den Sanitätstruppen arbeitete.“<br />
Bald gelang sie aber zur Überzeugung, dass <strong>die</strong>ser<br />
nationale Befreiungskampf auf der Seite Polens<br />
„nicht für <strong>die</strong> Befreiung der Arbeiterklasse und für<br />
den Sozialismus“ geführt werde, wie sie selbst sagte,<br />
weshalb sie anfangs 1916 enttäuscht wieder nach<br />
Zürich zurückkehrte. Der Krieg traumatisierte<br />
sie: „Fräule<strong>in</strong> Kascher ist e<strong>in</strong> <strong>in</strong>telligentes, aber<br />
sehr exaltiertes Mädchen, dessen gemuẗliches<br />
Gleichgewicht durch <strong>die</strong> Erlebnisse, <strong>die</strong> sie als<br />
Teilnehmer<strong>in</strong> <strong>in</strong> der polnischen Legion mitmachte,<br />
auch noch <strong>in</strong> Zürich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em labilen Gleichgewicht<br />
gewesen se<strong>in</strong> dürfte. Hier hat sie nach ihren eigenen<br />
und nach den Aussagen ihres Landsmannes Span<strong>in</strong>,<br />
der bei mir war, <strong>in</strong> den letzten Semestern aüsserst<br />
ärmlich gelebt und war wohl unterernaḧrt, was<br />
ebenfalls <strong>die</strong> nervöse Widerstandskraft schwächen<br />
kann“, steht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er psychiatrischen Notiz des<br />
Professors Hans Wolfgang Maier.<br />
Da sie ke<strong>in</strong>e Mittel zum Leben hatte, arbeitete<br />
Leonie Kascher neben dem Studium als Arbeiter<strong>in</strong><br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Fabrik. <strong>Die</strong> Erfahrungen als Arbeiter<strong>in</strong><br />
und <strong>die</strong> Erfahrungen des Kriegs, führten sie dazu,<br />
17
sich der revolutionären L<strong>in</strong>ken <strong>in</strong> der Schweiz<br />
Was, ausgehend vom Programm der<br />
unerbitterliche Len<strong>in</strong>‘sche Pr<strong>in</strong>zipientreue, welche<br />
<strong>in</strong> der Schweiz noch e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e, aber zielbewusste<br />
anzuschliessen.<br />
neuen Internationale, eigentlich als e<strong>in</strong>e<br />
<strong>die</strong> Vertuschung von Me<strong>in</strong>ungsverschiedenheiten<br />
kommunistische Bewegung. <strong>Die</strong> Wurzel und <strong>die</strong><br />
Selbstverständlichkeit betrachtet werden könnte,<br />
und <strong>die</strong> Unterdrückung der Kritik von unten, von<br />
Schule <strong>die</strong>ser kommunistischen Bewegung liegt <strong>in</strong><br />
„In der Fabrik habe ich mich schnell an das Klima<br />
war zu jener Zeit <strong>in</strong>nerhalb der L<strong>in</strong>ken <strong>in</strong> der<br />
den Massen, nicht zuliess – angesichts davon, dass<br />
der Zimmerwalder L<strong>in</strong>ken, deren Geist auch bei<br />
der Arbeiter, an <strong>die</strong> Arbeiterbewegung, gewöhnt,<br />
Schweiz heftig umstritten. <strong>Die</strong> organisatorischen<br />
Platten e<strong>in</strong>e sehr e<strong>in</strong>flussreiche Gruppe vertrat“,<br />
uns <strong>in</strong> der Schweiz verbreitet war“, stellte Kascher<br />
habe an e<strong>in</strong>em Streik teilgenommen, trat <strong>in</strong> <strong>die</strong><br />
Forderungen Leonie Kaschers, <strong>in</strong>sbesondere<br />
er<strong>in</strong>nert sich Kascher.<br />
ihre Organisation am Gründungskongress der<br />
Gewerkschaft und später – im Sommer 1916 – <strong>in</strong> <strong>die</strong><br />
<strong>die</strong> Abspaltung der Parteil<strong>in</strong>ken von den<br />
Kom<strong>in</strong>tern vor. Den Bezug zur Zimmerwalder<br />
Sozialdemokratische Partei der Schweiz e<strong>in</strong>. Mir war<br />
Sozialdemokraten und <strong>die</strong> Gründung e<strong>in</strong>er<br />
<strong>Die</strong> zentralen Forderungen Leonie Kaschers am<br />
L<strong>in</strong>ken stellte sie nicht nur über <strong>die</strong> revolutionäre<br />
klar, dass nur der revolutionäre Kampf des Proletariats<br />
e<strong>in</strong>heitlichen revolutionären kommunistischen<br />
Gründungskongress – vollständiger Bruch mit dem<br />
Politik her. Zentral sowohl für Zimmerwald als auch<br />
der echte Weg zu se<strong>in</strong>er Befreiung ist. Sofort habe<br />
Partei <strong>in</strong> der Schweiz, werden sich erst 1921<br />
Reformismus – wurden aber trotzdem zwei Jahre<br />
für <strong>die</strong> von Kascher vertretene Kommunistische<br />
ich mich der l<strong>in</strong>ken Seite der Sozialdemokratischen<br />
durchsetzen. Und <strong>die</strong>s nur deshalb, weil es <strong>die</strong> SP<br />
später von den Parteil<strong>in</strong>ken und <strong>in</strong>sbesondere von<br />
Partei ist das Stellen der Machtfrage: „Wir wussten<br />
Partei angeschlossen, <strong>die</strong> zusammen mit dem<br />
vehement ablehnen wird, Mitglied <strong>in</strong> der Dritten<br />
Fritz Platten übernommen, und <strong>die</strong> ehemaligen<br />
schon, es gibt e<strong>in</strong> Ziel – <strong>die</strong> Eroberung der Macht“,<br />
Jugendbund damals <strong>die</strong> Plattform verteidigte, <strong>die</strong><br />
Internationale zu werden.<br />
Parteil<strong>in</strong>ken <strong>in</strong>nerhalb der Sozialdemokraten<br />
brachte Kascher am Gründungskongress der<br />
von Wladimir Iljitsch Len<strong>in</strong> <strong>in</strong> den Konferenzen der<br />
fusionierten mit der bestehenden Kommunistischen<br />
Dritten Internationale hervor. <strong>Die</strong>se sei aber<br />
äussersten L<strong>in</strong>ken Seite <strong>in</strong> Zimmerwald und Kiental<br />
Eigentlich hätte Leonie Kascher gar nicht am<br />
Partei. Da <strong>die</strong> opportunistischen Strömungen am<br />
unweigerlich mit praktischen Forderungen und<br />
vorgeschlagen worden war. Unter der ständigen<br />
Kongress teil<strong>nehmen</strong> sollen. Offizielle Vertretung<br />
Kongress doch relativ stark waren, war es denn auch<br />
Tagesforderungen verknüpft: „Aber <strong>die</strong> Schweizer<br />
Leitung von Wladimir Iljitsch und mit se<strong>in</strong>er<br />
der Schweiz an der Gründungstagung war nicht<br />
alles andere als klar, ob sich <strong>die</strong> Kommunistische<br />
Arbeiterschaft begnügt sich nicht mit <strong>die</strong>sen<br />
unermüdlichen, geduldsamen Hilfe den Mitgliedern<br />
etwa <strong>die</strong> Kommunistische Partei der Schweiz,<br />
Internationale überhaupt gründen sollte. „Es kam<br />
allgeme<strong>in</strong>en Zielen, sie sucht e<strong>in</strong>e klar umschriebene<br />
der schweizerischen Partei, besonders der Jugend,<br />
als deren Sprecher<strong>in</strong> Kascher auftrat, sondern<br />
zur heftigen Debatte“, schreibt Kascher <strong>in</strong> ihren<br />
Parole, sie ist praktisch, sie will wissen, wozu sie <strong>in</strong><br />
haben wir e<strong>in</strong>en permanenten, grundsätzlichen<br />
<strong>die</strong> Parteil<strong>in</strong>ken der Sozialdemokraten. Fritz<br />
Memoiren. „Ich näherte mich Len<strong>in</strong> und fragte,<br />
den Kampf tritt. <strong>Die</strong> <strong>die</strong> Massen beschäftigenden<br />
Kampf gegen <strong>die</strong> opportunistischen Strömungen <strong>in</strong><br />
Platten, Sitzungsleiter des Gründungskongresses<br />
ob ich mit den E<strong>in</strong>wänden gegen Eberle<strong>in</strong> (Gegner<br />
Fragen waren erstens der Achtstundentag, zweitens<br />
der Partei geführt, und wir arbeiteten <strong>in</strong>mitten der<br />
und damals noch L<strong>in</strong>ksoppositioneller <strong>in</strong>nerhalb<br />
e<strong>in</strong>er Gründung der Kom<strong>in</strong>tern, Anmerkung<br />
<strong>die</strong> Teuerung und <strong>die</strong> Unzufriedenheit mit den<br />
Massen.“<br />
der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz,<br />
der Redaktion) auftreten dürfe. Len<strong>in</strong> hat mir das<br />
ökonomischen Verhältnissen. Wir haben e<strong>in</strong>e Parole<br />
war empört, dass Leonie Kascher überhaupt<br />
Wort gegeben und ich trat zum zweiten Mal auf<br />
formuliert: Beschlagnahme der Lebensmittel und ihre<br />
1. <strong>Die</strong> Gründung der Kom<strong>in</strong>tern<br />
am Kongress auftreten sollte, unter vielen<br />
(nach dem Auftritt für den Bruch mit der SP <strong>in</strong><br />
Verteilung, nicht nach dem Besitz, sondern nach dem<br />
Teil<strong>nehmen</strong>den hatte sie zudem als L<strong>in</strong>ksradikale<br />
der Schweiz, Anmerkung der Redaktion), gegen<br />
Bedarf, unter der Kontrolle der Arbeiterschaft. <strong>Die</strong>se<br />
„Was wir von der Zimmerwalder L<strong>in</strong>ken gelernt<br />
den Ruf, e<strong>in</strong>e Abenteurer<strong>in</strong> zu se<strong>in</strong>. Wladimir<br />
<strong>die</strong> Verschiebungstaktik. Len<strong>in</strong> hat <strong>die</strong> Frage nicht<br />
zwei Parolen schienen uns für <strong>die</strong> Schweizer Arbeiter<br />
haben, ist, Massenaktion zu verlangen, und zwar<br />
Iljitsch Len<strong>in</strong> <strong>in</strong>sistierte aber, dass Kascher am<br />
von vornhere<strong>in</strong> beantwortet, obwohl er sich stark für<br />
entsprechend e<strong>in</strong>greifend, es war etwas anderes<br />
nicht <strong>in</strong> weiter Zukunft, sondern schon <strong>in</strong> dem<br />
Kongress teil<strong>nehmen</strong> dürfe, und so wurde sie zum<br />
<strong>die</strong> Gründung der Kommunistischen Internationale<br />
als das, was man sonst aufgestellt hat. Sie trugen,<br />
gegenwärtigen Moment.“<br />
Kongress zugelassen:<br />
äusserte. Ich habe über <strong>die</strong> Erwartungen der Arbeiter<br />
besonders <strong>die</strong> zweite, e<strong>in</strong>en sozialistischen Stempel,<br />
der weit entfernten Schweiz erzählt (...). (Deren)<br />
und ihre Verwirklichung bedeutete e<strong>in</strong>en Kampf mit<br />
Im März 1919, am Gründungskongress der<br />
„Len<strong>in</strong> hat mir erklärt, dass ich am Kongress als<br />
Hoffnungen darf man nicht betrügen. (...) Uns hat<br />
der kapitalistischen Gesellschaftsordnung.“<br />
Dritten Internationale, griff Leonie Kascher <strong>die</strong><br />
Vertreter<strong>in</strong> der Kommunistischen Gruppe mit<br />
Len<strong>in</strong> unterstützt und wir haben gesiegt.“<br />
als opportunistisch wahrgenommene Politik<br />
beratender Stimme teil<strong>nehmen</strong> werde und fragte,<br />
Es war klar, dass e<strong>in</strong>e Politik der Massenaktionen,<br />
der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz,<br />
ob ich den Vortrag über unsere Arbeit halten und<br />
Zur Tat schreiten, praktisch werden – <strong>die</strong>s waren,<br />
e<strong>in</strong>e Politik der Praxis vom Staat nicht unbeantwortet<br />
beziehungsweise deren l<strong>in</strong>ken Flügel an, welche<br />
mit ihm an den Sitzungen des Kongresses auftreten<br />
<strong>die</strong> für damals ke<strong>in</strong>eswegs selbstverständlichen,<br />
blieb. Zum Zeitpunkt des Kongresses lebte Leonie<br />
ebenfalls am Kongress beteiligt war. Was sie forderte,<br />
könne. Mit Freude habe ich <strong>die</strong>sem Vorschlag<br />
Kernpunkte der Politik Kaschers. Sie war als<br />
Kascher nicht mehr <strong>in</strong> der Schweiz; sie wurde vor<br />
war der Bruch mit dem Opportunismus und<br />
zugestimmt. Da ich wusste, dass am Kongress von<br />
Mitbegründer<strong>in</strong> Teil der ersten Kommunistischen<br />
dem Kongress aus der Schweiz ausgewiesen.<br />
Reformismus, war <strong>die</strong> Abspaltung der revolutionär<br />
der Parteil<strong>in</strong>ken der Sozialdemokraten Platten<br />
Partei der Schweiz, welche aus der „Gruppe<br />
ges<strong>in</strong>nten Genossen von der Sozialdemokratischen<br />
anwesend se<strong>in</strong> werde, habe ich ihn gefragt, ob ich über<br />
Forderung“ hervorg<strong>in</strong>g und vor allem <strong>in</strong> Zürich aktiv<br />
2. <strong>Die</strong> Sozialistische Jugendorganisation<br />
Partei. Was sie forderte war – prägnant formuliert –<br />
<strong>die</strong> me<strong>in</strong>es Erachtens zu vorsichtige, opportunistische<br />
war; deren Politik war geprägt von e<strong>in</strong>er militanten,<br />
revolutionäre Praxis.<br />
Taktik Plattens berichten müsse; mit noch grösserer<br />
radikalen L<strong>in</strong>ie. „Neben der Sozialistischen Partei<br />
Am 9.12.1918 erfolgte <strong>die</strong> Verfügung des<br />
Freude hörte ich das harte ‚Ja‘ Len<strong>in</strong>s. Es war jene<br />
und der Sozialistischen Jugendorganisation existiert<br />
Bundesrates: Leonie Kascher, geboren <strong>in</strong> Warschau,<br />
18<br />
19
sei auszuweisen. Sie erhielt <strong>die</strong> Erlaubnis, mit<br />
der Zimmerwalder L<strong>in</strong>ken, angeschlossen, <strong>die</strong> von<br />
e<strong>in</strong>em Politemigrantenzug aus Zürich auszureisen.<br />
Len<strong>in</strong> geleitet wurde“, schrieb sie. <strong>Die</strong> Frage des<br />
In Moskau angekommen, erfuhr sie gleich<br />
Krieges wurde überall kontrovers diskutiert und<br />
vom bevorstehenden Gründungskongress der<br />
<strong>die</strong> Möglichkeit der E<strong>in</strong>beziehung der Schweiz <strong>in</strong><br />
Kom<strong>in</strong>tern. Nach Rücksprache mit den <strong>in</strong> der<br />
den Krieg lag im Raum. In den Vorbereitungen<br />
Schweiz verbliebenen Genossen konnte sie sogleich<br />
des Berner Kongresses der Sozialdemokratischen<br />
an <strong>die</strong>sem teil<strong>nehmen</strong>.<br />
Partei der Schweiz wurde Kascher mit dem harten<br />
Kampf der verschiedenen Richtungen konfrontiert.<br />
<strong>Die</strong> Ausweisung erfolgte vor dem H<strong>in</strong>tergrund<br />
Kascher und ihre GenossInnen erklärten<br />
der heftigen Strassenkämpfe <strong>in</strong> Zürich vom 17.<br />
das imperialistische Wesen des Krieges, <strong>die</strong><br />
November 1917 und des Landesstreiks e<strong>in</strong> Jahr<br />
Interessen der Kapitalistenklasse, den Verrat der<br />
später. Zu jenen Zeitpunkten stu<strong>die</strong>rte Leonie<br />
Zweiten Internationale. Konkret g<strong>in</strong>g es um <strong>die</strong><br />
Kascher Psychologie und Philosophie an der<br />
Ausarbeitung der Resolution für den Kongress<br />
Universität Zürich, war aber <strong>in</strong> der erst kürzlich, im<br />
der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz – im<br />
Oktober 1917 gegründeten „Gruppe Forderung“<br />
Juni 1917 fand e<strong>in</strong> ausserordentlicher Parteitag<br />
aktiv, aus welcher 1919 <strong>die</strong> Kommunistische Partei<br />
der SP <strong>in</strong> Bern zur Militärfrage statt – <strong>die</strong> man <strong>in</strong><br />
der Schweiz entstand und welche <strong>in</strong>nerhalb der<br />
den überall durchgeführten Parteiversammlungen<br />
Sozialistischen Jugendorganisation agierte.<br />
unterbreiten und verteidigen wollte. Massnahmen<br />
und mögliche Kampfmittel mussten vorgeschlagen<br />
<strong>Die</strong> Sozialistische Jugendorganisation war zur Zeit<br />
werden. <strong>Die</strong> Wege des Kampfes, der Organisierung<br />
des Ersten Weltkriegs <strong>die</strong> treibende revolutionäre<br />
der ArbeiterInnen gegen den Krieg, Wege der<br />
Kraft <strong>in</strong> der Schweiz. Nach der Zimmerwalder<br />
Distanzierung von den Sozialchauv<strong>in</strong>istInnen<br />
Konferenz im September 1915 fand e<strong>in</strong>e<br />
und PazifistInnen, <strong>die</strong> Unterschiede zwischen den<br />
L<strong>in</strong>ksentwicklung unter den Sozialisten statt, an<br />
verschiedenen Strömungen <strong>in</strong> der Partei, Rechte,<br />
der <strong>die</strong> Jugend ihren Anteil hatte. Sie entwickelte<br />
L<strong>in</strong>ke und Zentristen, mussten entwickelt werden.<br />
sich zu e<strong>in</strong>er Massenorganisation mit mehreren<br />
Tausenden Mitgliedern. Ause<strong>in</strong>andersetzungen mit<br />
Über <strong>die</strong>se drei Strömungen hielt Kascher Vorträge<br />
den staatlichen Repressionsapparaten „Polizei“ und<br />
an Parteiversammlungen. Unter dem E<strong>in</strong>fluss<br />
„Militär“ und zum Teil gegen sie aufgehetzte Teile<br />
der Diskussionen <strong>in</strong> Zürich mit Len<strong>in</strong> analysierte<br />
der Bevölkerung zeigten den Herrschaftscharakter<br />
sie <strong>die</strong> Rolle der rechten Grütlianer während<br />
der bürgerlichen Demokratie auf und führten<br />
des Krieges und deren Verletzung der Lehre von<br />
zu e<strong>in</strong>er Verstärkung des Kampfeswillen der<br />
Marx und Engels und der Interessen der Klasse<br />
sozialistischen Jugend.<br />
der Arbeiter<strong>in</strong>nen und Arbeiter, <strong>die</strong> Rolle der<br />
Zentristen mit Grimm an der Spitze, <strong>die</strong> mit<br />
Für Leonie Kascher war es bei ihrer Rückkehr nach<br />
l<strong>in</strong>ken Parolen <strong>die</strong> ArbeiterInnen und Arbeiter<br />
e<strong>in</strong>em Pflegee<strong>in</strong>satz <strong>in</strong> Polen im Zusammenhang<br />
praktisch <strong>in</strong> <strong>die</strong> Irre führten sowie <strong>die</strong> Rolle der<br />
mit dem imperialistischen Krieg 1916 nach Zürich<br />
revolutionären bolschewistischen Seite, <strong>die</strong> ihr<br />
sofort klar, wo sie sich positionierte: „Da ich von<br />
<strong>die</strong> klaren Thesen lieferten, an denen sie und <strong>die</strong><br />
der chauv<strong>in</strong>istischen Politik der Sozialdemokraten<br />
anderen Revolutionären sich orientierten. „In der<br />
tief enttäuscht war – als Augenzeug<strong>in</strong> hatte ich<br />
<strong>die</strong> Möglichkeit, mich an Ort und Stelle davon zu<br />
überzeugen, habe ich mich sofort nach me<strong>in</strong>em<br />
Beitritt <strong>in</strong> <strong>die</strong> Partei der revolutionärsten Seite,<br />
20<br />
Zimmerwalder L<strong>in</strong>ken haben nur <strong>die</strong> Bolschewisten<br />
und wenige andere Delegierte das revolutionäre<br />
Programm konsequent durchgeführt. <strong>Die</strong> Zentristen<br />
mit Robert Grimm an der Spitze, beschäftigten sich<br />
Leonie Kascher<br />
21
mit der Phrasendrescherei, und <strong>in</strong> ihren Parteien<br />
<strong>die</strong> Revolution zum Parteigesetz erhoben und –<br />
Propaganda für den Sozialismus zu organisieren<br />
dass es sich hier um e<strong>in</strong>e künstlich aufgestachelte und<br />
führten sie e<strong>in</strong>e reaktionäre Politik. <strong>Die</strong> Rechten<br />
soweit sie aus Schweizern bestand – zugleich das<br />
und Vorbereitungen für <strong>die</strong> kommende revolutionäre<br />
verhetzte Masse handelte, zu revi<strong>die</strong>ren. Wohl ist <strong>die</strong><br />
haben <strong>die</strong> Zimmerwalder-Organisation bald<br />
Vaterland als e<strong>in</strong>en toten Begriff anerkannt, wertlos<br />
Bewegung zu treffen. <strong>Die</strong> Kommunisten widersetzten<br />
Arbeiterschaft aufgestachelt, aber aufgestachelt von<br />
verlassen und s<strong>in</strong>d nicht mehr zu den Beratungen<br />
verteidigt zu werden und nur noch bestimmt <strong>in</strong> dem<br />
sich den Bestrebungen des Zentralvorstandes der<br />
Faktoren, <strong>die</strong> ausserhalb der Arbeiterbewegung, <strong>die</strong><br />
gekommen. Sie haben sich <strong>in</strong> der Praxis <strong>in</strong> ihrem<br />
Chaos <strong>die</strong>ser Revolution (...).“<br />
Jugendorganisation und des Genossen Platten, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />
<strong>in</strong> unserer Wirtschaftsordnung und namentlich <strong>in</strong><br />
eigenen Land <strong>in</strong> nichts von ihren Kollegen aus der<br />
Soldatenorganisation vorläufig für <strong>die</strong> Verbesserung<br />
den Bedrohung wurzeln, vor denen das arbeitende<br />
Zweiten Internationale unterschieden“, ist <strong>die</strong><br />
1917 kam es nicht nur <strong>in</strong>nerhalb der<br />
der Lage der Soldaten gebrauchen wollten. Sie behielt<br />
Volk haute ausnahmslos steht“, beschreibt das<br />
Me<strong>in</strong>ung Leonie Kaschers. <strong>Die</strong>se theoretischen<br />
Sozialdemokratischen Partei, sondern auch<br />
ihren re<strong>in</strong> revolutionären Charakter und entwickelte<br />
sozialdemokratische „Volksrecht“ <strong>die</strong> Versammlung.<br />
Thesen, welche <strong>die</strong> Bolschewiki den Zimmerwalder<br />
<strong>in</strong>nerhalb der Sozialistischen Jugendorganisation<br />
sich sehr rasch.“<br />
Aufgrund des grossen Erfolges <strong>die</strong>ser Aktion fand<br />
und Kientaler Konferenzen unterbreiteten, betrafen<br />
zu heftigen Ause<strong>in</strong>andersetzungen; es standen<br />
am nächsten Tag e<strong>in</strong>e weitere Kundgebung statt,<br />
hauptsächlich den Kampf gegen den Krieg und den<br />
sich e<strong>in</strong>e Gruppe um Jakob Herzog und Leonie<br />
3. Der Novemberaufstand 1917<br />
zu der mit folgendem Text mobilisiert wurde:<br />
Verrat der Zweiten Internationale.<br />
Kascher und e<strong>in</strong>e um Willi Münzenberg<br />
„Internationale Aktion der Arbeiter gegen Krieg.<br />
gegenüber. Erstere vertraten e<strong>in</strong>e L<strong>in</strong>ie, welche<br />
<strong>Die</strong> schweizerische Arbeiterklasse sah sich 1917<br />
Arbeiter, ersche<strong>in</strong>t <strong>in</strong> Massen! Es gilt <strong>die</strong> Tat! Es gilt<br />
„Nach der Versammlung hat man mich von allen<br />
militante Aktionen befürwortete und <strong>die</strong> Partei-<br />
nach drei Jahren Krieg nicht nur den widrigen<br />
zu wirken, geredet ist genug!“<br />
Seiten umr<strong>in</strong>gt und begonnen, mich über <strong>die</strong><br />
und Gewerkschaftsführung heftig kritisierte,<br />
Lebens- und Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen ausgesetzt,<br />
Perspektiven der Revolution <strong>in</strong> Russland zu befragen<br />
während letztere auf e<strong>in</strong> gutes Verhältnis mit<br />
sie hatte zu e<strong>in</strong>em gewissen Teil auch schon<br />
An jener Demonstration am 16. November 1917 kam<br />
– <strong>die</strong>ses Thema war von brennendem Interesse –<br />
der Sozialdemokratischen Partei und den<br />
Erfahrungen <strong>in</strong> Ause<strong>in</strong>andersetzungen mit der<br />
es erstmals zu Zusammenstössen mit der Polizei,<br />
man hat gefragt, wie Len<strong>in</strong> lebt und mir aufgetragen,<br />
Gewerkschaften ausgerichtet war und der deshalb<br />
Polizei gesammelt und sich zu e<strong>in</strong>em beträchtlichen<br />
als 27 Exponenten der Bewegung verhaftet wurden.<br />
ihn zu grüssen. Sie haben ihre Empörung anlässlich<br />
auch vorgeworfen wurde, opportunistisch zu se<strong>in</strong>.<br />
Teil <strong>in</strong> Parteien und Gewerkschaften organisiert.<br />
Unter den Verhafteten war auch Leonie Kascher; sie<br />
der spalterischen und verbrecherischen Rolle der<br />
Der Konflikt eskalierte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Machtkampf um<br />
Das E<strong>in</strong>treffen der Neuigkeit über <strong>die</strong> russischen<br />
rief nach Angaben der Staatsanwalts zur Revolution<br />
Zweiten Internationale im imperialistischen Krieg<br />
den Platzvorstand <strong>in</strong> Zürich; im Mai 1917 wurden<br />
Oktoberrevolution <strong>in</strong> Zürich befeuerte <strong>die</strong><br />
auf. Kascher wurde aber nur vorübergehend auf der<br />
geäussert. (...) E<strong>in</strong> alter Arbeiter trat heraus, se<strong>in</strong>e<br />
zwar Herzog – und durch Kooptation auch Leonie<br />
Stimmung <strong>in</strong> der Arbeiterschaft. <strong>Die</strong>s führte dazu,<br />
Kreiswache festgehalten und noch am gleichen Tag<br />
Augen schossen Blitze und er schüttelte <strong>die</strong> Fäuste:<br />
Kascher – <strong>in</strong> den Vorstand der Sozialistischen<br />
dass e<strong>in</strong>e Kundgebung der bekannten Pazifisten<br />
wieder entlassen. Emil und Maria Ackl<strong>in</strong>, ebenfalls<br />
‚<strong>Die</strong>se Verräter aus der Zweiten Internationale<br />
Jugendorganisation gewählt, jedoch bereits e<strong>in</strong>en<br />
Max Dättwyler und Max Rotter am Donnerstag, 15.<br />
Mitglieder der „Gruppe Forderung“ wurden auch<br />
haben uns, <strong>die</strong> Arbeiter, der Bourgeoisie verkauft.<br />
Monat danach wieder abgewählt. Mitte Oktober<br />
November 1917 zum Friedensdekret der Russischen<br />
vorübergehend verhaftet: Emil Ackl<strong>in</strong> entriss e<strong>in</strong>em<br />
Sie schauen gleichgültig darauf, wie das Proletariat<br />
entschieden sich dann <strong>die</strong> Revolutionäre um Jakob<br />
Räte auf grosses Beteiligung stiess. Leonie Kascher<br />
Polizisten den Säbel und rannte mit <strong>die</strong>sem davon,<br />
aus verschiedenen Ländern e<strong>in</strong>ander wegen den<br />
Herzog, <strong>die</strong> vierzehntäglich ersche<strong>in</strong>ende Zeitung<br />
berichtete über <strong>die</strong> politische Situation: „Was <strong>die</strong><br />
kam aber zu Fall. Den herbeigeeilten Polizisten, der<br />
Gew<strong>in</strong>nen der Kapitalisten und Imperialisten<br />
„Forderung“ herauszugeben – deshalb der Name<br />
Kommunisten erreicht haben, war, dass <strong>die</strong> Schweizer<br />
den Säbel wieder an sich reissen wollte, traktierte<br />
ermordet. Nieder mit der Zweiten Internationale!<br />
„Gruppe Forderung“. Kascher berichtet: „Ich muss<br />
Arbeiterschaft unter dem Druck der Verhältnisse,<br />
Maria mit Fusstritten.<br />
Teilen Sie Len<strong>in</strong> mit, dass es höchste Zeit ist, <strong>die</strong><br />
gestehen, klare Pr<strong>in</strong>zipien, e<strong>in</strong> klares Programm<br />
der Teuerung, der Unzufriedenheit und unter dem<br />
Dritte Internationale der Arbeiter und Bauern zu<br />
haben wir damals von der Zimmerwalder L<strong>in</strong>ken<br />
E<strong>in</strong>fluss der ansteckenden, begeisterten Bewegung<br />
Leonie Kascher beschrieb <strong>die</strong> Ereignisse <strong>in</strong> Zürich:<br />
gründen!‘ „<br />
nicht erhalten können. Man wollte e<strong>in</strong> klares<br />
<strong>in</strong> Russland ihre volle Solidarität mit der russischen<br />
„<strong>Die</strong>se Massen verlangten <strong>die</strong> Befreiung der am<br />
kommunistisches Programm schaffen, aber sowohl<br />
Revolution bekundete.“ An <strong>die</strong> Kundgebung, welche<br />
Vorabend verhafteten Arbeiter. (...) Der Reihe nach<br />
<strong>Die</strong> Zürcher Staatsanwaltschaft resümierte über<br />
<strong>die</strong> Zeit wie auch Schriften und Überlieferungen<br />
auf Weisung des Stadtrates nur <strong>in</strong> der Stadthalle<br />
kletterten <strong>die</strong> Redner auf <strong>die</strong> umgekippten Wagen<br />
den Ausgang des ausserordentlichen Parteitages der<br />
darüber fehlten. Im Jahre 1917 hat der Genosse<br />
stattf<strong>in</strong>den durfte, kamen so viele Arbeiter<strong>in</strong>nen<br />
h<strong>in</strong>auf und hielten kurze flammende Reden über <strong>die</strong><br />
SP: „Durch <strong>die</strong> Agitation der Russen (geme<strong>in</strong>t s<strong>in</strong>d<br />
Itschner zusammen mit e<strong>in</strong> paar anderen Genossen <strong>in</strong><br />
und Arbeiter, dass sie auf Druck der Anwesenden<br />
russische Revolution, über den Frieden, darüber, wie<br />
<strong>die</strong> russischen politischen Emigranten um Len<strong>in</strong>,<br />
der Schweiz e<strong>in</strong>e Zeitung ‚<strong>Die</strong> Forderung‘ gegründet<br />
doch noch auf dem Helvetiaplatz durchgeführt<br />
sich <strong>die</strong> schweizerische Demokratie zu den Söhnen<br />
Anmerkung der Redaktion) und der Zimmerwalder<br />
und <strong>die</strong>se begann, <strong>die</strong> schärfste Kritik gegenüber der<br />
wurde. Später zog man als Demonstrationszug vor<br />
und Töchtern verhält, über <strong>die</strong> Armut und Opfer der<br />
L<strong>in</strong>ken und <strong>die</strong> <strong>in</strong> Zürich ersche<strong>in</strong>ende, <strong>in</strong> deren<br />
Partei und Propaganda für das kommunistische<br />
<strong>die</strong> lokale Munitionsfabrik und setzte dort e<strong>in</strong>en<br />
Arbeitermassen. <strong>Die</strong> r<strong>in</strong>gsum stehenden Polizisten<br />
<strong>Die</strong>nst stehende Parteipresse, auf den Ausbruch der<br />
Programm unter der Arbeiterschaft zu führen.<br />
Produktionsunterbruch durch. „Wer von unseren<br />
haben <strong>die</strong> Redner festgenommen und fortgeführt, und<br />
sozialistischen Revolution bei uns vorbereitet, unter<br />
Auch hatte im Sommer 1917 Genosse Herzog e<strong>in</strong>e<br />
Gegnern <strong>die</strong> gestrige mächtige Arbeiterversammlung<br />
wir, <strong>die</strong> daneben standen, haben sie verteidigt, <strong>in</strong>dem<br />
der Depression der wirtschaftlichen Verhältnisse<br />
Soldatenorganisation gegründet. <strong>Die</strong>se Organisation<br />
<strong>in</strong> der Stadthalle <strong>in</strong> Zürich miterlebt hätte, wäre wohl<br />
wir <strong>die</strong> Zielscheibe für <strong>die</strong> Polizeigummiknüppel<br />
leidend und dadurch verbittert, sah <strong>die</strong> Masse nun<br />
hatte den Zweck, unter den Soldaten der Armee<br />
oder übel <strong>in</strong> den Fall gekommen, se<strong>in</strong>e Auffassung,<br />
waren. Nichts konnte <strong>die</strong> Auftretenden stoppen.<br />
22<br />
23
E<strong>in</strong> Genosse wechselte den anderen ab, und man<br />
und im E<strong>in</strong>verständnis mit den Behörden der Stadt<br />
sprach über den grossen Len<strong>in</strong>, der der Inspirator<br />
und des Kantons Zürich e<strong>in</strong> Infanterie-Regiment von<br />
der Oktoberrevolution und der Begründer des ersten<br />
der Front nach Zürich beordert und ausserdem drei<br />
Staates der Arbeiter und Bauern <strong>in</strong> der Welt war, der<br />
Dragoner-Schwadronen aufgeboten worden s<strong>in</strong>d und<br />
der Welt den Frieden gebracht hat.<br />
<strong>die</strong> Sorge für <strong>die</strong> öffentliche Sicherheit auf dem Platze<br />
Aus den Polizeikordons liefen Polizisten heraus<br />
Zürich an <strong>die</strong> Militärgewalt übertragen werden<br />
und begannen auf uns zu schiessen. Wir brachen<br />
Ste<strong>in</strong>e aus dem Pflaster und warfen damit auf <strong>die</strong><br />
Polizisten. ‚Auf <strong>die</strong> Barrikaden!‘ – ertönte der Ruf.<br />
Aus den umgekippten Wagen und Ste<strong>in</strong>en haben<br />
wir Barrikaden gebaut, <strong>die</strong> Frauen haben von<br />
irgendwoher mit Sand gefüllte Säcke und Fässer<br />
gebracht. So hat das unbewaffnete Volk der Reaktion<br />
Widerstand geleistet. (...)<br />
Am Morgen, mit blauen Flecken und zerrissenem<br />
Kleid, geriet ich <strong>in</strong> <strong>die</strong> gleiche Polizeistelle, <strong>in</strong> der<br />
unsere Genossen schmachteten. Sie sassen ruhig und<br />
stolz da. E<strong>in</strong>ige von ihnen haben den jungen Polizisten<br />
musste“, stellt e<strong>in</strong> Militärgericht zu den Ereignissen<br />
fest. Dass <strong>die</strong> Schweizer Armee e<strong>in</strong>gesetzt werden<br />
musste, und dass der General selbst den Entscheid<br />
zur Aussendung des Militärs gab, zeigt, wie mächtig<br />
<strong>die</strong> Demonstrationen waren.<br />
Am 17. November 1917 wurde erneut zu e<strong>in</strong>er<br />
Demonstration auf dem Helvetiaplatz <strong>in</strong> Zürich<br />
aufgerufen, wieder erschienen Tausende, unter<br />
ihnen viele Frauen. Vom Helvetiaplatz bewegte<br />
sich e<strong>in</strong> Demonstrationszug <strong>in</strong> Richtung des<br />
Verlagsgebäudes der Neuen Zürcher Zeitung,<br />
um gegen deren hetzerische Berichterstattung<br />
Szenen vom Novemberaufstand Zürich 1917<br />
den Charakter der schweizerischen Freiheiten erklärt.<br />
<strong>Die</strong> Führer der Arbeiter, <strong>die</strong> Funktionäre der<br />
Gewerkschaften, <strong>die</strong> sozialdemokratischen<br />
Deputierten konnte man auf dem Helvetiaplatz<br />
nicht sehen. Am anderen Tag schrieb man <strong>in</strong><br />
den sozialdemokratischen Zeitungen über wilde<br />
Kasakenausfälle der Polizei- und Militärtruppen. Sie<br />
schrieben: ‚Man will brüllen und we<strong>in</strong>en wenn man<br />
<strong>die</strong>se zahlreichen Opfer und <strong>die</strong> Brutalität unserer<br />
Mächte sieht.‘“„<br />
<strong>Die</strong> Polizei war mit der Situation überfordert,<br />
so dass das Militär zur Verstärkung nach Zürich<br />
beordert wurde: „In den Tagen des 15. bis 18.<br />
November 1917 fanden <strong>in</strong> Zürich Kundgebungen<br />
zugunsten e<strong>in</strong>es gewaltsamen Friedens und gegen <strong>die</strong><br />
Munitionsfabriken statt (...). <strong>Die</strong>se Demonstrationen<br />
arteten <strong>in</strong> eigentliche Unruhen und <strong>in</strong> Revolten gegen<br />
<strong>die</strong> Polizei aus, sodass, nachdem sich <strong>die</strong> Ohnmacht<br />
der Zugezogenen Stadt- und Kantonspolizei und<br />
der herbeigerufenen Landsturm-Kompagnie 11/57,<br />
sowie der Infanterie-Medailleur-Rekruten-Kompanie<br />
5 erwiesen hatte, am Morgen des 18. November 1917<br />
vom General auf Ansuchen des Platzkommandos<br />
24<br />
um <strong>die</strong> vorangegangenen Demonstrationen zu<br />
protestieren. Auch Leonie Kascher nahm daran<br />
teil. Als <strong>die</strong> Demonstration über <strong>die</strong> Badenerstrasse<br />
<strong>in</strong>s Quartier Aussersihl zurückkehrte, kam es zu<br />
Strassenkämpfen mit der Polizei. Gegen 10 Uhr<br />
hatten <strong>die</strong>se dann e<strong>in</strong>e solche Heftigkeit erreicht,<br />
dass Militäre<strong>in</strong>heiten – <strong>die</strong> Platzwachtkompanie<br />
und Infanterierekruten – zugezogen wurden.<br />
An der Ecke Badener-/Zweierstrasse wurde von<br />
den demonstrierenden Arbeitern e<strong>in</strong>e Barrikade<br />
errichtet; an <strong>die</strong>ser Stelle befand sich e<strong>in</strong>e Baustelle.<br />
Auch Leonie Kascher stand an der Barrikade. Das<br />
Militär räumte <strong>die</strong> Barrikade weg und platzierte<br />
zwei Masch<strong>in</strong>engewehre<strong>in</strong>heiten der Rekruten.<br />
Maria Ackl<strong>in</strong>, ebenfalls e<strong>in</strong> Mitglied der „Gruppe<br />
Forderung“, versuchte, <strong>die</strong> Rekruten – zum<br />
grossen Teil wohl auch Arbeiter – vom Gebrauch<br />
der Schusswaffe abzuhalten: „<strong>Die</strong> Angeklagte<br />
Nr. 2, Frau Ackl<strong>in</strong>, zusammen mit anderen<br />
Frauenpersonen, unter anderem der dann von der<br />
Polizei verhafteten Frau Rosa Bloch, machte sich an<br />
<strong>die</strong> ihre Masch<strong>in</strong>engewehre be<strong>die</strong>nenden Rekruten<br />
heran, redete auf <strong>die</strong>selben e<strong>in</strong> und versuchte<br />
sie, vor der Erfüllung ihrer militärischen Pflicht,<br />
<strong>in</strong>sbesondere der Pflicht zum eventuellen Gebrauch<br />
der Schusswaffe abzuhalten, <strong>in</strong>dem sie zu ihnen sagte:<br />
Sie (<strong>die</strong> Rekruten) hatten doch gewiss auch Brüder<br />
und Schwestern, sie (<strong>die</strong> Demonstranten) seien<br />
Schwestern und Brüder, wie sie (<strong>die</strong> Rekruten) solche<br />
zuhause hätten, sie (<strong>die</strong> Rekruten) sollten nicht auf sie<br />
(<strong>die</strong> Demonstranten) schiessen, wenn dazu der Befehl<br />
erteilt würde. <strong>Die</strong> Mitrailleur-Rekruten wurden dann<br />
bald nachher, nachdem sich <strong>die</strong> Tumultanten etwas<br />
zerstreut hatten, zurückgenommen und kehrten <strong>in</strong><br />
<strong>die</strong> Kaserne zurück, mussten aber nach Mitternacht<br />
wiederum zur Unterstützung der bedrängten<br />
Polizei zu Hülfe gerufen werden.“In <strong>die</strong>ser Nacht<br />
starben vier Personen – drei Demonstranten und<br />
e<strong>in</strong>e Unbeteiligte. <strong>Die</strong> Stimmung war äusserst<br />
angespannt.<br />
Am nächsten Tag, am 18. November, waren <strong>die</strong><br />
Arbeiterquartiere Zürich unter militärischer<br />
Besatzung. <strong>Die</strong> eidgenössischen Truppen bewachten<br />
alle strategisch wichtigen Stellen. <strong>Die</strong> „Gruppe<br />
Forderung“, unter ihnen auch Leonie Kascher, traf<br />
sich sogleich um 11 Uhr und beschloss, Flugblätter<br />
an <strong>die</strong> Soldaten zu verteilen. Noch am selben Abend<br />
g<strong>in</strong>gen <strong>die</strong>se <strong>in</strong> Druck. Am Montag, 19. November,<br />
wurden <strong>die</strong> Flugblätter an <strong>die</strong> Soldaten abgegeben:<br />
„Schweizer Soldaten!“, steht im Aufruf, „Wieder<br />
hat der Staat euch aufgeboten, um <strong>die</strong> bedrohte<br />
‚Ordnung‘ zu stützen. Man sagt euch, <strong>die</strong> Unruhen<br />
der letzten Tage seien verursacht von roten Hetzern<br />
und Wühlern; <strong>die</strong> Kapitalistenblätter sprechen von<br />
Ges<strong>in</strong>del, Radaubrüdern, das ihr Mores lehren sollt.“<br />
Es versucht, <strong>die</strong> Ereignisse den Soldaten zu erklären:<br />
„Leute aus allen Parteien haben sich daran beteiligt,<br />
neben den Fabrikarbeitern sah man Bundesbahner,<br />
Beamte und Angestellte. Besonders zahlreich waren<br />
<strong>die</strong> Frauen da. Sie alle s<strong>in</strong>d auf <strong>die</strong> Strasse gegangen,<br />
weil <strong>die</strong> wachsende Not, <strong>die</strong> furchtbare Ausbeutung<br />
durch Kapitalisten, Schieber und Wucherer ihnen<br />
kaum mehr <strong>die</strong> Möglichkeit lässt, den nackten Hunger<br />
zu stillen. Sie demonstrierten, weil sie wissen, dass<br />
unsere Regierung nichts Ernsthaftes gegen <strong>die</strong> Not<br />
tut, nichts tun will. (...) Deshalb gibt es nur e<strong>in</strong> Mittel,<br />
<strong>die</strong> Not zu l<strong>in</strong>dern: <strong>die</strong> alte Herrenregierung muss<br />
durch e<strong>in</strong>e Volksregierung ersetzt werden. Unsere<br />
Behörden s<strong>in</strong>d fast aus lauter Hablichen und Reichen<br />
zusammengesetzt. Unser Nationalrat ist eher e<strong>in</strong><br />
Kapitalistenrat. Erst wenn ke<strong>in</strong>e Kapitalistenräte,<br />
25
sondern Arbeiterräte regieren, dann wird man <strong>die</strong> Not<br />
Bauerntruppen <strong>in</strong> <strong>die</strong> Städte e<strong>in</strong>bezogen, liessen<br />
Plätzen, <strong>in</strong> den Fabriken und <strong>in</strong> der Armee haben<br />
Zentristen und verschiedenen Opportunisten<br />
der Armen mit dem Überfluss der Reichen l<strong>in</strong>dern.<br />
sie auf <strong>die</strong> Menschen stürzen mit dem Befehl, aus<br />
<strong>die</strong> Arbeiter und Soldaten <strong>die</strong> Räte gewählt, aber es<br />
haben <strong>die</strong> Leitung erobert, um auf <strong>die</strong>se Weise im<br />
Das wollten <strong>die</strong> Demonstranten <strong>in</strong> Aussersihl, nichts<br />
kle<strong>in</strong>stem Anlass zu schiessen. <strong>Die</strong> Vertreter der<br />
gab ke<strong>in</strong>e Führung <strong>in</strong> <strong>die</strong>sen aktiven Handlungen.<br />
Interesse der Bourgeoisie zu handeln, <strong>die</strong> ihnen<br />
anderes. Und zum Schutze der Kapitalisten hat man<br />
Arbeiter <strong>in</strong> den Parlamenten und Kommunen<br />
<strong>Die</strong> Massen lauschten unseren Losungen, forderten<br />
<strong>die</strong> Bed<strong>in</strong>gungen diktierte. Es wurde das bekannte<br />
jetzt Euch Soldaten aufgeboten. Soldaten, Bürger<br />
haben ohne sich zu schämen <strong>die</strong>se Massnahmen<br />
Aktionen. Man konnte nicht weiter abwarten. So<br />
Oltener Komitee gebildet – Zentrum der Bewegung<br />
der freien Schweiz! Glaubt es nicht, wenn man Euch<br />
nicht verh<strong>in</strong>dert, manchmal sogar unterstützt. Auf<br />
versammelten wir e<strong>in</strong>e mittelgrosse Gruppe von<br />
des Landes, das dem allgeme<strong>in</strong>en Streik 1918 beitrat.<br />
sagt, dass wir e<strong>in</strong>e Bande von Bösewichten seien.<br />
den Strassen herrschten Riemenpeitsche, Säbel,<br />
Vertretern aus verschiedenen Organisationen<br />
<strong>Die</strong> Novembertage <strong>die</strong>ses Jahres zeichneten sich<br />
Wir wollen Freiheit und Brot für alle. Nicht Euch,<br />
Masch<strong>in</strong>engewehr.“<br />
zwecks Wahlen e<strong>in</strong>es Organisationskomitees für<br />
durch noch härtere Kämpfe aus. Es gab noch mehr<br />
Soldaten, hassen wir. Auch Ihr seid Besitzlose, arme<br />
<strong>die</strong> Gründung der kommunistischen Partei und der<br />
Opfer. <strong>Die</strong> aufgestandenen Massen, vom Umfang<br />
Teufel, Proletarier im Waffenrock. Unsere Sache ist<br />
4. Landesstreik 1918<br />
Ausarbeitung der Plattform für <strong>die</strong> Diskussion des<br />
und Ausmass begeistert, haben beharrlich ihre<br />
auch Euere Sache.“ Das Flugblatt schloss mit e<strong>in</strong>em<br />
Parteiprogramms. E<strong>in</strong>e solche Plattform war von mir<br />
ökonomischen Forderungen gestellt: Erhöhung des<br />
Appell, welches – wäre ihm nachgekommen worden<br />
Während Kascher im Gefängnis sass, überschlugen<br />
<strong>in</strong> Form von Thesen ausgearbeitet und zur Behandlung<br />
Arbeitslohns, Reduzierung der Preise, Verkürzung<br />
– das Ende der kapitalistischen Wirtschaftsordnung<br />
sich <strong>die</strong> Ereignisse <strong>in</strong> der Schweiz. „E<strong>in</strong> Streik nach<br />
<strong>in</strong> der erweiterten Beratung vorgelegt worden. <strong>Die</strong>se<br />
des Arbeitstages, Vernichtung der Militärspekulation<br />
<strong>in</strong> der Schweiz hätte bedeuten können: „Wenn<br />
dem anderen fand statt und es gab Zusammenstösse<br />
Aufgabe war nicht so leicht zu erfüllen, da ich fast<br />
und Krieg dem Krieg .<br />
Soldaten und Arbeiter zusammenhalten, dann hat<br />
mit den Gendarmen an den Barrikaden. <strong>Die</strong><br />
ke<strong>in</strong>e Materialien hatte. Zeitungen aus Russland<br />
das Reich des kapitalistischen Blutgeldsackes e<strong>in</strong><br />
Situation führte zum grandiosen Landesstreik von<br />
erhielt ich nicht, und ich hatte ke<strong>in</strong>en, den ich fragen<br />
Während des Generalstreiks begann das Oltener<br />
Ende. Dann hat Krieg und Elend e<strong>in</strong> Ende. Dann<br />
1918“, berichtete Kascher. „In der Schweiz, dem<br />
und bei dem ich lernen konnte. Ich richtete mich nur<br />
Komitee, <strong>die</strong> Positionen aufzugeben. Entlarvt haben<br />
kommt e<strong>in</strong>e schönere Zeit, wo jeder Mensch gleiches<br />
kle<strong>in</strong>en, aber <strong>in</strong>dustriell entwickelten Land, waren<br />
danach, was ich e<strong>in</strong>st von Len<strong>in</strong> erfahren hatte und<br />
sich Grimm und se<strong>in</strong>e Helfershelfer, <strong>die</strong> Zentristen.<br />
Recht auf Freiheit, und Brot hat. Soldaten helft uns,<br />
<strong>die</strong> Werktätigen von den Ideen Len<strong>in</strong>s begeistert<br />
worüber me<strong>in</strong>e Genossen aus den Nachbarländern<br />
Platten, als Leiter der L<strong>in</strong>ken, hat aus Protest das<br />
nicht den Kapitalisten! – <strong>Die</strong> Demonstranten.“ Am<br />
und vom Geist der ersten Revolution <strong>in</strong> Russland<br />
geschrieben haben: aus Deutschland, Österreich und<br />
Komitee verlassen. <strong>Die</strong> Arbeitermassen blieben ohne<br />
selben Tag wurde Leonie Kascher im Büro der<br />
durchdrungen. Sie haben feurig auf <strong>die</strong> Revolution<br />
Holland. Ich er<strong>in</strong>nerte mich besonders an <strong>die</strong> Worte<br />
Führung Auge <strong>in</strong> Auge mit dem Verrat ihrer Vertreter.<br />
Sozialistischen Jugendorganisation verhaftet.<br />
reagiert, freilich spontan, unorganisiert, weil <strong>die</strong><br />
von Len<strong>in</strong>, dass man von den Massen lernen, den<br />
Gleich darauf fügten sie sich den Anforderungen der<br />
Im eigentlichen S<strong>in</strong>ne handelte es sich beim Flugblatt<br />
revolutionäre Partei <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Zeit erst zur Welt kam.<br />
Massen zuhören muss.<br />
Kapitalisten. In Zürich jedoch haben sie den Streik<br />
um e<strong>in</strong>en Aufruf an <strong>die</strong> Soldaten, <strong>die</strong> Waffen zu<br />
1918 kam der Moment, wo <strong>die</strong> getrennten Aktivisten<br />
nicht aufgegeben.<br />
wenden, nicht mehr auf <strong>die</strong> Arbeiter<strong>in</strong>nen und<br />
<strong>in</strong> den verschiedenen Parteiorganisationen dr<strong>in</strong>gend<br />
<strong>Die</strong> Hauptpunkte <strong>in</strong> den Thesen waren: Kontrolle der<br />
Arbeiter, sondern auf <strong>die</strong> Kapitalisten zu richten<br />
<strong>die</strong> Vere<strong>in</strong>igung und e<strong>in</strong>e klare politische Plattform<br />
Produktion seitens der Arbeiter und Vertretungen<br />
In den Werken, auf den Plätzen, an den Kundgebungen<br />
– den Aufruf zu e<strong>in</strong>er bewaffneten Revolution.<br />
verlangten. <strong>Die</strong>s sollte dazu führen, <strong>die</strong> Parteiarbeit<br />
<strong>in</strong> der Leitung der Unter<strong>nehmen</strong>, Beschlagnahme<br />
wurden <strong>die</strong> Räte der Arbeiter gewählt. Ihnen schlossen<br />
Dementsprechend heftig war auch <strong>die</strong> Reaktion<br />
völlig zu klären und sich organisierter <strong>in</strong> den<br />
und Nationalisierung der Banken (eben war der<br />
sich <strong>die</strong> Räte der Soldaten an, <strong>die</strong> früher <strong>in</strong> den Truppen<br />
des Staates. Alle an der Produktion des Flugblattes<br />
vorhandenen Kämpfen zwischen der Arbeiterklasse<br />
allgeme<strong>in</strong>e Streik von Bankangestellten) und der<br />
gewählt worden waren. Auf den Strassen erschienen<br />
beteiligten – <strong>in</strong>sbesondere der Drucker, welcher<br />
und dem Kapital vorwärts zu bewegen. Es<br />
grossen <strong>in</strong>dustriellen Betriebe, Bodenreform, Wahlen<br />
<strong>die</strong> Losungen von ganz politischem Charakter. Vom<br />
ke<strong>in</strong>e politische Absichten verfolgte – wurden<br />
kam <strong>die</strong> Zeit, wo <strong>in</strong> verschiedenen Ländern <strong>die</strong><br />
der Räte von Arbeitern, Bauern und Soldaten und<br />
Verrat der Opportunisten tief erschüttert, verfluchten<br />
verhaftet und an e<strong>in</strong>em Militärgericht der Meuterei<br />
kommunistischen Parteien entstanden.<br />
andere. <strong>Die</strong> Plattform wurde angenommen und das<br />
<strong>die</strong> Massen das System des Kapitalismus, dessen<br />
angeklagt. Im Januar 1918 erfolgte das Urteil: Leonie<br />
Organisationskomitee gewählt.“<br />
falsche Demokratie und dessen Parlament, das man<br />
Kascher wurde zu vier Monaten Haft verurteilt,<br />
Bei uns <strong>in</strong> Zürich war <strong>die</strong> Lage bezüglich den<br />
jetzt Schwatzbude nannte. Es ertönten <strong>die</strong> Ausrufe:<br />
welche sie nach ihrer eigenen Angaben <strong>in</strong> strenger<br />
Parteikadern katastrophal. Alle hervorragenden Leiter<br />
Mit dem Landesstreik vom 11. bis zum 14.<br />
‚Wollen wir <strong>die</strong> Räte der Arbeiter, Bauern und<br />
E<strong>in</strong>zelhaft verbrachte.<br />
der revolutionär e<strong>in</strong>gestellten Gruppen, Parteien,<br />
November 1918 kam es <strong>in</strong> der Schweiz zu der<br />
Soldaten wählen, wie <strong>in</strong> Russland? Nehmen wir <strong>die</strong><br />
Gewerkschaften und anderen Organisationen<br />
besonderen Situation, dass sich e<strong>in</strong>e breite Masse<br />
Macht <strong>in</strong> unsere <strong>Hände</strong>!‘“<br />
Heftige Kritik übte Leonie Kascher denn auch<br />
waren verhaftet, unter ihnen der erprobte Leiter<br />
mobilisieren liess, welche aber aufgrund der<br />
am passiven Verhalten der sozialdemokratischen<br />
der Zürcher Arbeiter Jakob Herzog. <strong>Die</strong> l<strong>in</strong>ke Seite<br />
reformistischen Politik der Streikleitung, dem<br />
Das Verhalten des Oltener Komitees führte <strong>in</strong> der<br />
Führung während der Ereignisse vom November<br />
der sozialdemokratischen Partei mit Platten an der<br />
Oltener Komitee, nicht genutzt wurde: „<strong>Die</strong> Arbeiter<br />
Folge zur Gründung der Kommunistischen Partei<br />
1917: „<strong>Die</strong> örtlichen Mächte haben alle Mittel<br />
Spitze hat während der stürmischen Ereignisse und<br />
kämpften heroisch. Letzten Endes haben sie ihre<br />
der Schweiz durch <strong>die</strong> „Gruppe Forderung“. Ihren<br />
des Kampfes gegen <strong>die</strong> Massen konzentriert und<br />
des allgeme<strong>in</strong>en Streiks e<strong>in</strong>e abwartende Position<br />
Führung gezwungen, an der Spitze der Bewegung<br />
Genoss<strong>in</strong>nen und Genossen berichtete Leonie<br />
angewendet. Sie haben e<strong>in</strong>e grosse Menge von<br />
e<strong>in</strong>genommen. In den Kundgebungen, auf den<br />
zu stehen. <strong>Die</strong> gewerkschaftlichen Bürokraten,<br />
Kascher am Gründungskongress der Kom<strong>in</strong>tern:<br />
26<br />
27
„Wir sahen das jämmerliche Zusammenklappen des<br />
gezeigt, dass e<strong>in</strong>e weitere Zusammenarbeit mit<br />
regionalen kommunistischen Kampfgruppen, <strong>die</strong><br />
zwischen Revolutionäre und Opportunisten<br />
Oltener Komitees voraus und bekämpften es vom<br />
ihnen nicht mehr möglich war. Es fand e<strong>in</strong>e grosse<br />
sich im Mai 1919 zur Kommunistischen Partei<br />
<strong>in</strong> dem S<strong>in</strong>ne entschieden wurde, dass e<strong>in</strong>e<br />
ersten Tag an. Mit uns g<strong>in</strong>g e<strong>in</strong> beträchtlicher Teil<br />
öffentliche Versammlung statt: <strong>die</strong> Gründung e<strong>in</strong>er<br />
der Schweiz vere<strong>in</strong>igten arbeitete Leonie Kascher<br />
organisatorische Trennung stattfand. Sie wurde am<br />
der Arbeiterschaft. Zu <strong>die</strong>ser Zeit erklärten wir, dass<br />
Kommunistischen Partei wurde beschlossen.“<br />
<strong>in</strong>tensiv an der Positionsf<strong>in</strong>dung. Im Zentrum<br />
Gründungskongress beschlossen:<br />
<strong>die</strong> Zeit des Parlamentarismus vorbei sei, dass wir<br />
stand <strong>die</strong> Forderung, nach der mit dem Aufbau<br />
nichts mehr von <strong>die</strong>ser bürgerlichen Institution zu<br />
Obwohl <strong>die</strong> Organisation äusserst vorsichtig und<br />
von ArbeiterInnen- und Soldatenräten unmittelbar<br />
„<strong>Die</strong> Zimmerwalder und Kienthaler Konferenzen<br />
erwarten hätten. Wir haben damals jede Möglichkeit<br />
klandest<strong>in</strong> arbeitete, wurde Leonie Kascher e<strong>in</strong><br />
begonnen werden sollte – auch als Konsequenz des<br />
hatten zu der Zeit Bedeutung, <strong>in</strong> der es wichtig<br />
der Mitarbeit an der Parteipresse verloren.<br />
zweites Mal verhaftet. Am Abend zuvor war es ihr<br />
opportunistischen Verrats des Generalstreiks, dass<br />
war, alle <strong>die</strong>jenigen Elemente des Proletariats zu<br />
Sogar Versammlungsannoncen wurden von dem<br />
noch gelungen, e<strong>in</strong>em Genossen ihren Entwurf<br />
neue Zeiten auch neue Kampfformen erforderten.<br />
vere<strong>in</strong>igen, welche bereit waren, <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser oder<br />
‚Volksrecht‘ nicht mehr aufgenommen, wir mussten<br />
der Plattform der Kommunistischen Partei der<br />
<strong>Die</strong>se L<strong>in</strong>ie, <strong>die</strong> auch im Programm der KPS<br />
jener Form gegen das imperialistische Morden<br />
Handzettel <strong>in</strong> den Fabriken persönlich verteilen.<br />
Schweiz zu übergeben – es sollte als Flugblatt für<br />
zum Ausdruck kam, entwickelte Leonie Kascher<br />
zu protestieren. Aber <strong>in</strong> <strong>die</strong> Zimmerwalder<br />
Auch <strong>die</strong> Soldatenorganisationen wurden verfolgt.<br />
<strong>die</strong> Streikenden verwendet werden.<br />
ebenfalls <strong>in</strong> ihrer Rede am Gründungskongress der<br />
Vere<strong>in</strong>igung s<strong>in</strong>d zusammen mit ganz entschieden<br />
Man musste geheim arbeiten, man wurde bespitzelt.<br />
Kommunistischen Internationale.<br />
kommunistischen Elementen auch Elemente des<br />
Es machte sich auch unter den kommunistischen<br />
„Wie angenehm erstaunt war ich, als ich e<strong>in</strong>ige Zeit<br />
‚Zentrums‘, pazifistische und schwankende Elemente<br />
Gruppen e<strong>in</strong> immer stärkeres Verlangen geltend,<br />
später während e<strong>in</strong>es der Verhöre <strong>in</strong> der Hand des<br />
In den L<strong>in</strong>ienkämpfen zwischen opportunistischen<br />
e<strong>in</strong>getreten. <strong>Die</strong>se Elemente des Zentrums, wie das <strong>die</strong><br />
dass man zur Trennung schreiten sollte. Da kam e<strong>in</strong><br />
Untersuchungsführers das frisch gedruckte Flugblatt<br />
und revolutionären Strömungen <strong>in</strong>nerhalb der<br />
Berner Konferenz zeigte, verb<strong>in</strong>den sich jetzt mit den<br />
Moment, wo <strong>die</strong> Trennung tatsächlich notwendig<br />
mit dem Titel ‚Manifest der Kommunistischen Partei<br />
L<strong>in</strong>ken – sei es <strong>in</strong> der Schweiz oder auf <strong>in</strong>ternationaler<br />
Sozialpatrioten zum Kampf gegen das revolutionäre<br />
wurde. Es war im Oktober 1918, nach dem<br />
der Schweiz‘ sah, welches mir der Untersuchungsführer<br />
Ebene – bezog Leonie Kascher stets klar Position.<br />
Proletariat und nutzen auf <strong>die</strong>se Weise das Banner<br />
Bankangestelltenstreik <strong>in</strong> Zürich. Der e<strong>in</strong>mütige<br />
mit den Worten reichte: ‚Haben Sie das geschrieben?‘<br />
In den Anfangsjahren, <strong>in</strong> welchen Leonie Kascher<br />
von Zimmerwald im Interesse der Reaktion aus. Zu<br />
Sympathiestreik der Zürcher Arbeiter hatte sicher<br />
(...) Nach den wiederholten Verhaftungen hat mich<br />
<strong>in</strong> der Schweiz aktiv war, war <strong>die</strong> revolutionäre<br />
derselben Zeit ist <strong>die</strong> kommunistische Strömung <strong>in</strong><br />
nicht nur den Zweck, <strong>die</strong> paar ausbleibenden, besser<br />
<strong>die</strong> Regierung als Ausländer<strong>in</strong> aus der Schweiz<br />
Strömung relativ schwach, obwohl sie auf relativ<br />
e<strong>in</strong>er ganzen Reihe von Ländern erstarkt, und der<br />
gesagt, verspäteten Unterschriften der Bankherren<br />
ausgewiesen und mir erlaubt, mit dem Zug für<br />
grosse Zustimmung <strong>in</strong> der Arbeiterschaft stiess,<br />
Kampf mit den Elementen des Zentrums, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />
e<strong>in</strong>zuholen, sondern er war e<strong>in</strong>e elementare<br />
russische politische Emigranten auszureisen. Ich<br />
wie <strong>die</strong> Ereignisse im November 1917 zeigten. <strong>Die</strong><br />
Entwicklung der sozialen Revolution hemmen, ist<br />
Entladung der Spannung, welche seit Monaten <strong>in</strong><br />
wurde mit e<strong>in</strong>er Eskorte mit dem Zug zur Grenze<br />
Situation änderte sich nach der Oktoberrevolution<br />
e<strong>in</strong>e der dr<strong>in</strong>gendsten Aufgaben des revolutionären<br />
Zürich herrschte und der das Streben zugrunde lag,<br />
gebracht.“<br />
jedoch schnell: In der Schweiz dauerte es zwar<br />
Proletariats geworden. <strong>Die</strong> Zimmerwalder<br />
für den Achtstundentag e<strong>in</strong>en kantonalen Streik<br />
bis 1921, bis sich <strong>die</strong> Forderung Kaschers<br />
Vere<strong>in</strong>igung hat sich überlebt. Alles, was wirklich<br />
durchzuführen. Für <strong>die</strong> Arbeiterunion Zürich und <strong>die</strong><br />
<strong>Die</strong> Ausweisung durch den Bundesrat führte sie<br />
durchsetzte, dass sich <strong>die</strong> Parteil<strong>in</strong>ke <strong>in</strong>nerhalb der<br />
revolutionär <strong>in</strong> der Zimmerwalder Vere<strong>in</strong>igung war,<br />
Streikführer dagegen, <strong>die</strong> Genossen Platten und Küng,<br />
nach Moskau – wo eben <strong>die</strong> Vorbereitungen für<br />
Sozialdemokratischen Partei von <strong>die</strong>ser abspalten<br />
geht <strong>in</strong> <strong>die</strong> Kommunistische Internationale über.“<br />
war <strong>die</strong> Bewegung e<strong>in</strong> Mittel, um <strong>die</strong> Bankangestellten<br />
den Gründungskongress der Kommunistischen<br />
solle und e<strong>in</strong>e revolutionäre kommunistische<br />
<strong>in</strong> <strong>die</strong> Organisation zu br<strong>in</strong>gen (was ihnen gar nicht<br />
Internationale anliefen.<br />
Partei gründen solle; am Weltkongress der Dritten<br />
gelungen ist: <strong>die</strong> Bankangestellten haben während<br />
Internationale konnten sich aber <strong>die</strong> revolutionären<br />
des Generalstreiks nicht mitgemacht). <strong>Die</strong> empörte,<br />
5. Das Erbe von Zimmerwald<br />
Kräfte gegen <strong>die</strong> Opportunisten durchsetzen<br />
aufgeregte Menge stimmte dem Vorschlag des<br />
und <strong>die</strong> Kommunistische Internationale<br />
Genossen Herzog, weiter für den Achtstundentag zu<br />
Das Manifest der Zimmerwalder L<strong>in</strong>ken, <strong>die</strong> mit<br />
wurde als revolutionärer Kontrapunkt zur<br />
streiken, e<strong>in</strong>stimmig zu, war aber <strong>in</strong>folge des scharfen<br />
der These der Bolschewiki von der Umkehrung des<br />
alten, reformistischen Zweiten Internationale<br />
Widerstandes der Delegiertenversammlung und der<br />
imperialistischen Krieges <strong>in</strong> den revolutionären<br />
gegründet. Aufgrund von objektiven Faktoren –<br />
Arbeiterunion am folgenden Tag nicht erschienen.<br />
Bürgerkrieg <strong>die</strong> Machtfrage <strong>in</strong>s Zentrum der<br />
Oktoberrevoution <strong>in</strong> Russland, Ende des Ersten<br />
<strong>Die</strong>se Sonderaktion der ‚Forderungs‘-Leute wurde<br />
politischen Ause<strong>in</strong>andersetzungen rückte und daher<br />
Weltkriegs, Umsturz <strong>in</strong> Deutschland – war <strong>die</strong><br />
öffentlich verpönt, der Genosse Herzog und andere<br />
mit dem Reformismus der Zweiten Internationale<br />
revolutionäre L<strong>in</strong>ie erstarkt.<br />
aus der Partei ausgeschlossen, <strong>die</strong> Gruppen scharf<br />
brach, hatte für den revolutionären Teil der<br />
getadelt.<br />
schweizerischen ArbeiterInnenbewegung e<strong>in</strong>en<br />
<strong>Die</strong> Dritte Internationale trat dann auch das Erbe<br />
entscheidenden E<strong>in</strong>fluss. In der „Gruppe Forderung“<br />
der Zimmerwalder L<strong>in</strong>ken an, welche sich an jenem<br />
<strong>Die</strong>se Stellungnahme der Partei<strong>in</strong>stanzen hat<br />
und der daraus entstandenen verschiedenen<br />
Kongress für aufgelöst erklärte, da der L<strong>in</strong>ienkampf<br />
28<br />
29
Jüdische Widerstandskämpfer<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> Warschau 1943<br />
In Er<strong>in</strong>nerung an Fela Kascher (Helena Russezka)<br />
Fela Kascher<br />
Alle drei Schwestern Leonie Kaschers waren politisch<br />
als kommunistische Revolutionär<strong>in</strong>nen<br />
aktiv.<br />
Felicia – oder Fela – Kaszer wurde im Januar<br />
1896 <strong>in</strong> Warschau im vom russischen Zarenreich<br />
besetzten Polen geboren. Sie schloss sich <strong>in</strong> den<br />
1920er Jahren der illegalen kommunistischen<br />
Bewegung <strong>in</strong> Warschau im nun unabhängigen<br />
Polen an. Während ihre Geschwister Polen verliessen,<br />
blieb Fela <strong>in</strong> Warschau. Kurz nach der<br />
Besetzung Warschaus im September 1939 durch<br />
das faschistische Deutschland wurde ihr Mann<br />
Marek Garf<strong>in</strong>kel verhaftet, gefoltert und exekutiert.<br />
Fela Kaszer musste mit ihren zwei K<strong>in</strong>dern<br />
– Hanka und Inka (Cel<strong>in</strong>da) – im Herbst 1940 <strong>in</strong><br />
das Warschauer Ghetto ziehen, <strong>in</strong> welchem <strong>die</strong><br />
jüdische Bevölkerung Warschaus gefangen gehalten<br />
wurde. <strong>Die</strong> noch junge Hanka wurde von<br />
den Nazis bald schon ermordet. Fela entschied<br />
sich, sich dem bewaffneten Untergrundkampf<br />
gegen <strong>die</strong> deutschen Besatzer anzuschliessen und<br />
nahm den Namen ‘Helena Rusiecka’ an. Sie trug<br />
jederzeit Gift auf sich, welches sie im Falle e<strong>in</strong>er<br />
Festnahme e<strong>in</strong>genommen hätte. Mit gefälschten<br />
Papieren verhalf sie vielen Menschen zur Flucht<br />
aus dem Warschauer Ghetto und bewahrte sie<br />
damit vor der Ermordung durch <strong>die</strong> Nazis. Für<br />
ihre zweite Tochter kam <strong>die</strong> Hilfe jedoch zu spät:<br />
Inka wurde Ende 1942 <strong>in</strong>s Konzentrationslager<br />
Trebl<strong>in</strong>ka deportiert und dort ermordet. Fela<br />
nahm als aktive Kämpfer<strong>in</strong> am Aufstand im<br />
Warschauer Ghetto vom April bis Mai 1943 teil.<br />
1955 lebte sie kurzzeitig <strong>in</strong> Moskau, um ihre<br />
schwerkranke Schwester Leonie zu pflegen.<br />
1968 trat sie aus der Polnischen Vere<strong>in</strong>igten Arbeiterpartei<br />
aus Protest gegen <strong>die</strong> rassistische<br />
Märzkampagne aus.<br />
Fela Kascher starb 1992 <strong>in</strong> Warschau.<br />
31
Anhang I: Manifest der Kommunistischen Partei der Schweiz<br />
An <strong>die</strong> Arbeiter!<br />
<strong>Die</strong> Revolution hat <strong>in</strong> allen Ländern Europas<br />
ihren E<strong>in</strong>zug gehalten. Während sie <strong>in</strong> den<br />
e<strong>in</strong>en schroff und stürmisch wütet, fegt sie<br />
<strong>in</strong> anderen <strong>die</strong> alten morschen Stützen der<br />
alten Ordnung im Stillen weg. Auch <strong>die</strong><br />
schweizerische Arbeiterschaft hat das Gebot<br />
der Stunde erkannt. H<strong>in</strong>ter ihr liegt der erste<br />
grosse Kampf, alle<strong>in</strong> sie g<strong>in</strong>g geschlagen aus<br />
<strong>die</strong>sem ersten Kampf hervor. Geschlagen nicht<br />
durch <strong>die</strong> Macht des Gegners, sondern durch<br />
<strong>die</strong> ängstliche kle<strong>in</strong>bürgerliche Politik ihrer<br />
eigenen Führer. Warum haben <strong>die</strong>se Führer<br />
versagt? Weil sie nicht aus eigenem Willen und<br />
freudigem Herzen <strong>in</strong> den Kampf gezogen s<strong>in</strong>d,<br />
sondern gestossen und gedrängt vom Willen<br />
der Arbeiterschaft. Sie mussten versagen, weil<br />
sie nicht den Willen hatten, für das zu kämpfen,<br />
wofür <strong>die</strong> Arbeiter <strong>in</strong> den Kampf zogen – für<br />
den Sozialismus.<br />
Nun jubelt das Bürgertum und nützt se<strong>in</strong>en „Sieg“<br />
entschlossen und zielbewusst aus. Vergessen<br />
s<strong>in</strong>d alle <strong>die</strong> schönen Versprechungen: <strong>die</strong><br />
sozialen Reformen. <strong>Die</strong> Regierung trottet im<br />
alten Tempo weiter. <strong>Die</strong> Reaktion wütet mit<br />
jedem Tag stärker, viele unserer Genossen<br />
schmachten <strong>in</strong> den Gefängnissen. Ja, noch mehr,<br />
das Bürgertum, dass, dank se<strong>in</strong>er Schulung und<br />
Intelligenz, <strong>die</strong> Verhältnisse ganz anders zu<br />
überblicken vermag als <strong>die</strong> grosse Masse der<br />
Arbeiterschaft, hat fieberhaft und systematisch<br />
begonnen, sich zum Bürgerkrieg zu rüsten, zum<br />
energischen, erbitterten Klassenkampf.<br />
Arbeiter, Genossen, und wir? Wollen wir ruhig<br />
abwarten, bis es zu spät ist? Bis e<strong>in</strong>es Tages <strong>die</strong><br />
Arbeiterschaft von e<strong>in</strong>er weissen Garde, von e<strong>in</strong>em<br />
bis zum letzten Mann aufgebotenen Bürgertum<br />
umz<strong>in</strong>gelt ist und ihr <strong>die</strong> Möglichkeit genommen<br />
ist, sogar nur e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>fachen Streik durchzuführen.<br />
Ne<strong>in</strong>! Der Kampf, der h<strong>in</strong>ter uns liegt, ist nur e<strong>in</strong>e<br />
Etappe e<strong>in</strong>er Reihe noch kommender Kämpfe<br />
um unser Ziel. Aber wollen wir unseren nächsten<br />
Kampf wieder e<strong>in</strong>em Oltener Aktionskomitee<br />
anvertrauen? Wenn noch so geniale und radikale<br />
[unlesbar] Männer dar<strong>in</strong> sitzen, wollen wir<br />
uns wieder auf Gnade und Ungnade ausliefern,<br />
damit sie wieder im entscheidenden Momente<br />
zusammenklappen? Arbeiter, Genossen, lernen<br />
wir von den uns umgebenden Ländern. Neue<br />
Zeiten erfordern auch neue Kampfformen und<br />
<strong>die</strong>se Kampfformen, <strong>die</strong> alle<strong>in</strong> <strong>die</strong> Gewähr bieten,<br />
dass wir aus den kommenden Kämpfen siegreich<br />
hervortreten, s<strong>in</strong>d <strong>die</strong><br />
Arbeiter- und Soldatenräte.<br />
An Stelle des Oltener Aktionskomitee und<br />
der Arbeiterkongresse fordern wir e<strong>in</strong>en<br />
Schweizerischen A r b e i t e r r a t, der direkt<br />
den Willen der klassenbewussten Arbeiter zum<br />
Ausdruck br<strong>in</strong>gt, mit ihnen <strong>in</strong> ständigen Kontakt<br />
steht, <strong>in</strong>dem er gebildet ist aus Arbeiterbrüdern,<br />
<strong>die</strong> wir wählen an den Arbeitsstätten direkt aus den<br />
Betrieben. <strong>Die</strong>ser Arbeiterrat hat den Grosskampf<br />
zu führen auf Weisung der lokalen Arbeiterräte.<br />
Wir wollen uns endlich klar werden, wie es das<br />
Bürgertum längst ist, dass <strong>die</strong> kommenden Kämpfe<br />
e<strong>in</strong>en anderen Charakter an<strong>nehmen</strong> müssen, sollen<br />
sie zum Erfolge führen. Sehen wir das e<strong>in</strong>, so müssen<br />
wir aber auch <strong>die</strong> Taktik des Kampfes ändern. <strong>Die</strong>se<br />
neue Taktik lässt sich zusammenfassen <strong>in</strong> folgende<br />
Punkte:<br />
• Alle Macht <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Hände</strong> der Arbeiterräte.<br />
• Der nächste Kampf soll e<strong>in</strong> revolutionärer<br />
Generalstreik se<strong>in</strong>. Schon jetzt müssen<br />
Vorbereitungen getroffen werden, vor allem e<strong>in</strong>e<br />
rege Propaganda, speziell unter den Soldaten.<br />
• <strong>Die</strong> Arbeiterräte haben zusammen mit<br />
den Soldatenorganisationen für <strong>die</strong> Bildung der<br />
Soldatenräte zu sorgen.<br />
• <strong>Die</strong> Arbeiterräte haben <strong>die</strong> Arbeiter<br />
fachlich aufzuklären für <strong>die</strong> Uebernahme der<br />
wirtschaftlichen Macht, d. h. der Produktion <strong>in</strong><br />
den Betrieben.<br />
• Es soll e<strong>in</strong>e andere Bauernpolitik getrieben<br />
werden. Rege Propaganda unter den Kle<strong>in</strong>bauern<br />
und Knechten. Aufklärung über den Sozialismus,<br />
der ihnn ja zum Vorteil wird.<br />
Arbeiter, Genossen! Wir wissen, dass wir nicht<br />
mit e<strong>in</strong>em Schlage den Sozialismus verwirklichen<br />
können, sondern dass uns noch e<strong>in</strong>e Reihe grosser<br />
Kämpfe bevorstehen, bis wir unser Ideal errungen<br />
haben. Was wir aber wollen, das ist mit jedem<br />
Kampfe e<strong>in</strong>en Schritt dem Ziel entgegenzugehen.<br />
Darum s<strong>in</strong>d unsere P a r o l e n f ü r d e n n<br />
ä c h s t e n K a m p f noch nicht das Endziel<br />
selbst, sondern Parolen, <strong>die</strong> uns dem Endziel näher<br />
br<strong>in</strong>gen. Nämlich:<br />
• Der Achtstundentag zum Gesetz.<br />
• Kontrollrecht der Arbeiter im Staate über<br />
<strong>die</strong> Lebens- und Bedarfsartikel.<br />
• Erweiterte Kontrolle der Arbeiter über <strong>die</strong><br />
Produktion.<br />
Wie entstehen Arbeiterräte?<br />
Arbeiterräte werden gebildet, <strong>in</strong>dem <strong>in</strong> allen<br />
Fabriken und Betrieben Werkstätteversammlungen<br />
e<strong>in</strong>berufen werden. Aus deren Mitte heraus sollen <strong>die</strong><br />
Arbeiterratsdelegierten gewählt werden. Wählbar<br />
und berechtigt zur Wahl s<strong>in</strong>d alle arbeitenden<br />
Männer und Frauen – ob organisiert oder nicht.<br />
Auf 30 Arbeiter im Betrieb und e<strong>in</strong>e Bruchzahl von<br />
30 soll e<strong>in</strong> Delegierter <strong>in</strong> den örtlichen Arbeiterrat<br />
gewählt werden. <strong>Die</strong> Branchen mit sehr kle<strong>in</strong>en<br />
Betrieben sollen Bezirksarbeiterversammlungen<br />
durchführen und aus <strong>die</strong>sen Versammlung heraus<br />
<strong>die</strong> Delegierten bestimmen. Aus der Mitte der<br />
örtlichen Arbeiterräte werden <strong>die</strong> Delegierten<br />
zum schweizerischen Arbeiterrat gewählt. In<br />
solchen Betrieben, wo <strong>die</strong> Arbeiterschaft noch<br />
zu wenig aktionsfähig, zu konservativ ist, hat <strong>die</strong><br />
vorwärtsdrängende M<strong>in</strong>derheit den Delegierten<br />
zu bestimmen. Es ist nicht nötig, dass vom ersten<br />
Tage an dem örtlichen Arbeiterrat alle Betriebe<br />
angeschlossen s<strong>in</strong>d. <strong>Die</strong> Hauptsache ist, dass überall<br />
a n g e f a n g e n und nicht geruht wird, bis alle<br />
Arbeiter Delegierte schicken.<br />
Der grosse Vorteil <strong>die</strong>ses neuen Kampfmittels,<br />
der Arbeiterräte, besteht dar<strong>in</strong>, dass sie von der<br />
Bourgeoisie nicht tot gemacht werden können<br />
und jederzeit, ohne lange und grosse Reklame <strong>die</strong><br />
Massen von heute auf morgen, zu jeder Stunde<br />
<strong>in</strong> Bewegung setzen können. Beschliesst e<strong>in</strong><br />
Arbeiterrat <strong>in</strong> der Nacht e<strong>in</strong>e Aktion, so können<br />
<strong>die</strong> Delegierten am Morgen <strong>in</strong> den Betrieben <strong>die</strong><br />
Arbeiter und Arbeiter<strong>in</strong>nen von den gefassten<br />
Beschlüssen benachrichtigen und <strong>die</strong>se danach<br />
handeln. Der Wille zum Kampf ist freilich <strong>die</strong><br />
erste Bed<strong>in</strong>gung für das Gedeihen des neuen<br />
Kampfmittels. Es steht und fällt mit ihm! Handelt<br />
anderseits der Betriebs- oder Bezirksdelegierte<br />
nicht nach dem Willen der arbeitenden Wähler, so<br />
kann er sofort abberufen und durch e<strong>in</strong>en andern<br />
im Betriebe beschäftigten ersetzt werden. Nur <strong>in</strong><br />
den Betrieben und Fabriken selbst Arbeitende s<strong>in</strong>d<br />
zu delegieren, ke<strong>in</strong>e Sekretäre oder sonstige von<br />
Partei und Gewerkschaften angestellte Beamte. Weg<br />
von den Instanzen, <strong>die</strong> sollen nur adm<strong>in</strong>istrative<br />
Funktionen besitzen. Der immer <strong>in</strong>mitten se<strong>in</strong>er<br />
Kameraden und Kamerad<strong>in</strong>nen beschäftigte<br />
Arbeiter kennt am besten, was ihnen not tut. E<strong>in</strong><br />
so konstituierter Rat muss produktiv se<strong>in</strong> und kann<br />
nicht zum Schweigen gebracht werden. Verhaftet<br />
e<strong>in</strong>e Regierung e<strong>in</strong> Mitglied oder den ganzen Rat,<br />
so wählen <strong>die</strong> Arbeiter e<strong>in</strong>en neuen.<br />
Bildet überall sofort Arbeiterräte!<br />
Tretet e<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> soz. Soldatenorganisationen!<br />
33
E<strong>in</strong>führung: Len<strong>in</strong> und Clausewitz<br />
<strong>Die</strong> Arbeiten, <strong>die</strong> ich über <strong>die</strong> Beziehungen<br />
zwischen Clausewitz, dem Kriegstheoretiker und<br />
Zeitgenossen Napoleons, und den revolutionären<br />
Militärdoktr<strong>in</strong>en verfasst hatte, haben zur jetzigen<br />
E<strong>in</strong>ladung geführt, mit Euch über <strong>die</strong> Beziehung<br />
Len<strong>in</strong>s zum Krieg zu plaudern. <strong>Die</strong> Verb<strong>in</strong>dung<br />
zwischen den von Clausewitz <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Buch<br />
Vom Kriege entwickelten Theorien und den<br />
Entscheidungen von Len<strong>in</strong> bildet dabei den roten<br />
Faden. Man könnte <strong>die</strong>ses Vorgehen monomanisch<br />
nennen, aber ich sehe dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en legitimen und<br />
produktiven Angriffspunkt, weil Clausewitz’<br />
E<strong>in</strong>fluss auf Len<strong>in</strong> bedeutend war.<br />
E<strong>in</strong>e Anekdote gibt uns e<strong>in</strong>e Idee über <strong>die</strong>se<br />
Bedeutung. Als Len<strong>in</strong> drei Monate vor der<br />
Oktoberrevolution nach aufständischen<br />
Demonstrationen <strong>in</strong> Sankt Petersburg von der<br />
provisorischen Regierung von Kerenski per<br />
Haftbefehl gesucht wurde, verliess er <strong>die</strong> Hauptstadt<br />
und überschritt klandest<strong>in</strong> <strong>die</strong> f<strong>in</strong>nische Grenze<br />
mit sehr leichtem Gepäck, darunter zwei Bücher:<br />
Der Bürgerkrieg <strong>in</strong> Frankreich von Karl Marx<br />
und Vom Kriege von Carl von Clausewitz, das er<br />
zwei Jahre früher mit Anmerkungen versehen<br />
hatte. Clausewitz‘ E<strong>in</strong>fluss auf den Marxismus-<br />
Len<strong>in</strong>ismus beg<strong>in</strong>nt mit der Lektüre durch Engels,<br />
vertieft sich mit der von Mehr<strong>in</strong>g und wird durch<br />
Len<strong>in</strong>s Analyse bestimmend.<br />
<strong>in</strong> der Philosophie oder Adam Smith‘ <strong>in</strong> der<br />
Ökonomie: alle drei s<strong>in</strong>d fundamentale Quellen<br />
des Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus. Allerd<strong>in</strong>gs s<strong>in</strong>d es<br />
erst später <strong>die</strong> militärischen Schriften von Mao<br />
Zedong, der selber e<strong>in</strong> grosser Leser von Clausewitz<br />
war 1 , welche e<strong>in</strong>e vollständige und kohärente<br />
revolutionäre Militärpolitik theoretisierten. Weder<br />
Marx und Engels noch Len<strong>in</strong> oder Stal<strong>in</strong> haben e<strong>in</strong><br />
Werk verfasst, das Vom Kriege <strong>in</strong> derselben Weise<br />
übertreffen würde wie Das Kapital den Wohlstand<br />
der Nationen übertrifft.<br />
<strong>Die</strong> Frage, ob Mehr<strong>in</strong>gs Schriften Len<strong>in</strong> dazu<br />
brachten, Clausewitz zu lesen, ist noch nicht<br />
geklärt. Sicher ist, dass Len<strong>in</strong> Mehr<strong>in</strong>g, der das<br />
Denken von Clausewitz aufgriff und propagierte,<br />
gelesen hatte, bevor er <strong>in</strong> der Bibliothek <strong>in</strong> Bern<br />
– <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em zweiten Exil 2 zwischen Herbst 1914<br />
und Frühl<strong>in</strong>g 1915 – Vom Kriege stu<strong>die</strong>rte 3 . Er<br />
kopierte umfangreiche Auszüge (auf Deutsch) <strong>in</strong><br />
se<strong>in</strong> Notizbuch mit e<strong>in</strong>igen Anmerkungen dazu<br />
(auf Russisch). Es ist auffällig, dass <strong>die</strong>se Auszüge<br />
ausführlicher und zahlreicher wurden, je weiter<br />
Len<strong>in</strong> im Studium <strong>die</strong>ses Buches fortschritt.<br />
Alles sche<strong>in</strong>t den patriotischen und<br />
monarchistischen preussischen Militär vom<br />
russischen Berufsrevolutionär zu unterscheiden.<br />
Aber e<strong>in</strong>e tiefe gedankliche Verwandtschaft<br />
verb<strong>in</strong>det sie: e<strong>in</strong>e dialektische, methodische,<br />
zupackende, kreative und auf e<strong>in</strong>e solide<br />
philosophische Kultur gegründete Geisteshaltung.<br />
Len<strong>in</strong> erkannte sofort <strong>die</strong> Orig<strong>in</strong>alität und <strong>die</strong><br />
Reichhaltigkeit des Clausewitz‘schen Denkens,<br />
das sonst von der Militärkaste <strong>in</strong> Frankreich<br />
und Deutschland missverstanden, verdreht und<br />
ausgelaugt wurde, was <strong>die</strong> Kriegskunst auf e<strong>in</strong><br />
sehr mittelmässiges Niveau fallen liess. Und so wie<br />
Clausewitz wichtig für Len<strong>in</strong> war, war es auch Len<strong>in</strong><br />
für Clausewitz, da er als erster Staatsmann dessen<br />
Gedanken <strong>in</strong> der politischen Aktion zur Geltung<br />
brachte.<br />
Das Gedankengut von Clausewitz entspricht <strong>in</strong><br />
der Kriegswissenschaft dem Gedankenguts Hegels<br />
37
Erster Teil: <strong>Die</strong> Kriegstheorie<br />
1.1. Der Krieg als politisches Instrument<br />
<strong>Die</strong> erste These von Clausewitz, <strong>die</strong> Len<strong>in</strong> notiert,<br />
ist <strong>die</strong> berühmte Formel « dass der Krieg nichts ist<br />
als <strong>die</strong> fortgesetzte Staatspolitik mit anderen Mitteln.<br />
» Er zitiert sie aus der Nachricht von 1827 über den<br />
Zustand des Manuskriptes 4 , bevor er <strong>die</strong> ganze Ziffer<br />
24 des Ersten Kapitels des Ersten Buches kopiert. 5 .<br />
Und wenn Clausewitz <strong>die</strong>se Frage erneut im Kapitel<br />
6 B des Achten Buches behandelt, schreibt Len<strong>in</strong><br />
sehr lange Auszüge daraus ab und notiert am Rand:<br />
« Das allerwichtigste Kapitel » 6 .<br />
Von welcher Politik ist der Krieg <strong>die</strong> Fortsetzung?<br />
Zunächst von der objektiven Politik, (auf Englisch<br />
politics genannt), also der Gesamtheit der<br />
historischen, sozialen ökonomischen, technischen,<br />
kulturellen und ideologischen Faktoren, welche<br />
<strong>die</strong> sozialen Bed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>es Krieges darstellen<br />
und <strong>die</strong>sen zu e<strong>in</strong>em sozialgeschichtlichen Produkt<br />
machen 7 . Dann auch von der subjektiven Politik<br />
(policy), also der politischen Aktion, der politischen<br />
„Geschäftsführung“, <strong>die</strong> durch Motive <strong>in</strong>spiriert<br />
und von e<strong>in</strong>em Ziel geleitet ist; und <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem<br />
S<strong>in</strong>n umfasst das Clausewitz’sche Konzept der<br />
„Fortsetzung“ folgendes:<br />
1° Das Spezifische des Krieges, nämlich der<br />
Gebrauch der Streitkräfte, was e<strong>in</strong>e besondere<br />
Situation unter der Regie spezifischer Gesetze<br />
schafft.<br />
2° <strong>Die</strong> E<strong>in</strong>beziehung des Krieges <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Ganzes, das<br />
politisch ist. Der Krieg ist nur e<strong>in</strong>es der Mittel, um<br />
Politik zu machen 8 .<br />
3° E<strong>in</strong>e komplexe Beziehung zwischen dem Ziel im<br />
Krieg (z.B. <strong>die</strong> Vernichtung der fe<strong>in</strong>dlichen Armee,<br />
<strong>die</strong> E<strong>in</strong>nahme der Hauptstadt oder e<strong>in</strong>er Prov<strong>in</strong>z)<br />
und dem Zweck des Krieges (<strong>die</strong> angestrebte neue<br />
Situation am Ende des Krieges z.B. <strong>die</strong> Eroberung<br />
e<strong>in</strong>er Prov<strong>in</strong>z, <strong>die</strong> Installation e<strong>in</strong>es neuen Regimes<br />
oder <strong>die</strong> Annexion des fe<strong>in</strong>dlichen Landes).<br />
Trennte man den Krieg von der Politik, bemerkt<br />
Clausewitz, wäre er nur e<strong>in</strong> Ausdruck des Hasses<br />
zwischen zwei Völkern. Nun kann man aber <strong>die</strong><br />
Kriege nicht auf e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache Fe<strong>in</strong>dseligkeit<br />
reduzieren, auf e<strong>in</strong>en Todeskampf, <strong>in</strong> den zwei<br />
Völker bl<strong>in</strong>d gegene<strong>in</strong>ander geworfen werden. Wie<br />
Len<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Randbemerkung schreibt: „Der Krieg<br />
= Teil e<strong>in</strong>es Ganzen“ „<strong>die</strong>ses Ganze = <strong>die</strong> Politik“. <strong>Die</strong><br />
Beziehung, <strong>die</strong> Clausewitz herstellt, macht aus dem<br />
Krieg e<strong>in</strong> Objekt der Theorie 9 .<br />
Alle Kriege werden <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Licht zu gleichartigen<br />
Ersche<strong>in</strong>ungen.<br />
1.2. Krieg und Antagonismus<br />
E<strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>platz des konterrevolutionären<br />
Diskurses, ob von l<strong>in</strong>ks oder von rechts, reduziert<br />
<strong>die</strong> Gewalt ausschliesslich auf ihre Ausübung. Man<br />
f<strong>in</strong>det ihn <strong>in</strong> gelehrter Form <strong>in</strong> der Aussage, dass<br />
bei Len<strong>in</strong> <strong>die</strong> Politik <strong>die</strong> Weiterführung des Krieges<br />
sei. <strong>Die</strong>se Anklage wurde gegen Len<strong>in</strong>, gegen den<br />
Marxismus sowie gegen <strong>die</strong> UdSSR als Staat erhoben.<br />
Man f<strong>in</strong>det e<strong>in</strong>e solche kernige Aussage bei J. F. C.<br />
Fuller, der manchmal als «der grösste Militärdenker<br />
des 20. Jahrhunderts» bezeichnet wird. Er schrieb<br />
(im Jahr 1961!), dass «<strong>die</strong> sowjetischen politischen<br />
Beziehungen, sowohl im <strong>in</strong>neren als auch gegen<br />
aussen, [...] denen <strong>in</strong>nerhalb und zwischen<br />
primitiven Stämmen analog [s<strong>in</strong>d]. Für beide, den<br />
Mann e<strong>in</strong>es Stammes und den Revolutionär, lautet <strong>die</strong><br />
herrschende Devise „zerstören oder zerstört werden“,<br />
und wie <strong>in</strong> der Tierwelt gibt es ke<strong>in</strong>en Unterschied<br />
zwischen Krieg und Frieden.»<br />
<strong>Die</strong>se E<strong>in</strong>schätzung wird auf viele Arten<br />
durchgespielt. E<strong>in</strong>e der vernünftigsten ist noch<br />
<strong>die</strong> von Jean-V<strong>in</strong>cent Hole<strong>in</strong>dre: «[Len<strong>in</strong>s] Politik<br />
denkt vom Klassenkampf her, der notwendigerweise<br />
e<strong>in</strong>en gewaltsamen Charakter hat, und mit dem<br />
Horizont des Friedens, der dank der Realisierung<br />
der kommunistischen Idee errichtet wird. Hier wird<br />
Clausewitz‘ Formel umgedreht: In den Augen Len<strong>in</strong>s<br />
geht <strong>die</strong> Gewalt dem Frieden voraus und begründet<br />
<strong>die</strong>sen. In der len<strong>in</strong>istischen Theorie muss <strong>die</strong> Gewalt<br />
von der Avantgarde-Partei entworfen und umgesetzt<br />
werden. <strong>Die</strong> Politik ist nicht dazu berufen, <strong>die</strong> Gewalt<br />
zu zähmen, sondern sie im revolutionären Moment<br />
mit dem Ziel zu organisieren, ihr e<strong>in</strong> für alle Male<br />
e<strong>in</strong> Ende zu setzen vom Augenblick an, an dem <strong>die</strong><br />
Ziele der Revolution realisiert s<strong>in</strong>d» 11 <strong>Die</strong> Zähmung<br />
der Gewalt als den Zweck der Politik anzuschauen<br />
steht <strong>in</strong> der Tradition von Hobbes, ist liberal und<br />
nicht nur Len<strong>in</strong> fremd, sondern auch Clausewitz,<br />
Machiavelli und vielen anderen, für welche Krieg<br />
nicht das Versagen der Politik bedeutet, sondern<br />
e<strong>in</strong>e ihrer Verwirklichungen.<br />
39
Das marxistisch-len<strong>in</strong>istische Verständnis von<br />
<strong>Geschichte</strong> basiert auf dem Widerspruch, der den<br />
Charakter des sozialen Antagonismus an<strong>nehmen</strong><br />
kann. So wie es im Manifest der Kommunistischen<br />
Partei gleich zu Beg<strong>in</strong>n heisst: « <strong>Die</strong> <strong>Geschichte</strong><br />
aller bisherigen Gesellschaft ist <strong>die</strong> <strong>Geschichte</strong><br />
von Klassenkämpfen. Freier und Sklave, Patrizier<br />
und Plebejer, Baron und Leibeigener, Zunftbürger<br />
und Gesell, kurz, Unterdrücker und Unterdrückte<br />
standen <strong>in</strong> stetem Gegensatz zue<strong>in</strong>ander, führten<br />
e<strong>in</strong>en ununterbrochenen, bald versteckten, bald<br />
offenen Kampf, e<strong>in</strong>en Kampf, der jedesmal mit e<strong>in</strong>er<br />
revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft<br />
endete oder mit dem geme<strong>in</strong>samen Untergang der<br />
kämpfenden Klassen.» 12<br />
Ihr als Deutschsprachige kennt das Problem nicht,<br />
aber auf Französisch s<strong>in</strong>d wir seit Langem mit<br />
e<strong>in</strong>em sich wiederholenden Übersetzungsfehler<br />
konfrontiert, der <strong>die</strong> entsprechende Komplexität der<br />
Frage aufzeigt. <strong>Die</strong> französische Übersetzung setzt<br />
für Kampf das Wort guerre = Krieg e<strong>in</strong> statt „lutte“<br />
oder allenfalls „combat“. <strong>Die</strong>ser Irrtum verfälscht<br />
den S<strong>in</strong>n schwerwiegend, weil Antagonismus<br />
nicht e<strong>in</strong>fach „Kriegführung“ bedeutet, und <strong>die</strong>s<br />
umso mehr, als es sich um e<strong>in</strong>en «bald versteckten,<br />
bald offenen Kampf» handelt – e<strong>in</strong>e wesentliche<br />
Präzisierung, <strong>die</strong> nicht heisst, dass <strong>die</strong> historischen<br />
Akteure ihre Absichten verstecken, aber dass der<br />
Antagonismus manchmal auch vor ihren eigenen<br />
Augen versteckt ist.<br />
Für den Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus ist ausserdem das<br />
Feld der Politik breiter als der Kampf zwischen<br />
antagonistischen Klassen. <strong>Die</strong> Gesellschaften s<strong>in</strong>d<br />
von Klassenwidersprüchen durchzogen, welche<br />
Bed<strong>in</strong>gungen für historischen Umwälzungen<br />
schaffen, aber auch von zahlreichen anderen<br />
Interessenskonflikten, solchen zwischen Völkern,<br />
Nationen, Klassen, e<strong>in</strong>zelnen sozialen Schichten,<br />
Teilen von Klassen, usw. Nicht alle <strong>die</strong>se<br />
Interessenskonflikte be<strong>in</strong>halten e<strong>in</strong>e Kriegslogik:<br />
Erstens, weil sie durch e<strong>in</strong>e höhergestellte<br />
Geme<strong>in</strong>samkeit der Interessen ausgeglichen<br />
werden können, und zweitens, weil der Krieg teuer<br />
und dessen Ausgang ungewiss ist. Es kann dann<br />
sche<strong>in</strong>en, als wäre das Kriegsspiel <strong>die</strong> Mühe nicht<br />
wert. Im Kampf zwischen der englischen Bourgeoisie<br />
und der Aristokratie war <strong>die</strong> kriegerische Zeit<br />
Cromwells viel kürzer als <strong>die</strong> ganze Zeitperiode<br />
der Bekehrung der Aristokratie zum Hochgenuss<br />
des Kapitalismus. Auch heute gibt es z.B. zwischen<br />
den USA und Ch<strong>in</strong>a viele Interessenskonflikte,<br />
<strong>die</strong> zu unfreundlichen Akten verschiedener Art<br />
führen (Spionage, Des<strong>in</strong>formation, Besteuerung<br />
und Limitierung von Importen, usw.). Und<br />
trotzdem herrscht zwischen den USA und Ch<strong>in</strong>a<br />
grundsätzlich Frieden. In der Politik ist der Friede<br />
nicht <strong>die</strong> Ausnahme. Friede bedeutet nicht <strong>die</strong><br />
Abwesenheit von Widersprüchen, sondern ist der<br />
Zustand, <strong>in</strong> welchem <strong>die</strong> bewaffnete Gewalt nicht<br />
als Lösung der Interessenskonflikte angesehen wird.<br />
Im Fall von Widersprüchen, bei denen<br />
antagonistische Klassen gegene<strong>in</strong>ander<br />
stehen, besteht e<strong>in</strong> gewisses, auch gespanntes<br />
Kriegsverhältnis <strong>in</strong> friedlichen Zeiten weiter.<br />
Erstens, weil <strong>die</strong> gewalttätigen Episoden der<br />
Vergangenheit <strong>in</strong> der Gegenwart auch <strong>in</strong> friedlichen<br />
Zeiten präsent bleiben (z.B. das grosse Gewicht<br />
des Gedenkens an <strong>die</strong> Pariser Kommune). Und<br />
zweitens, weil e<strong>in</strong>ige politische Kräfte mit hohem<br />
Klassenbewusstse<strong>in</strong>, <strong>die</strong> sich ke<strong>in</strong>e Illusionen<br />
über <strong>die</strong> Zusammenarbeit der Klassen mit<br />
antagonistischen Interessen machen und von der<br />
Unvermeidbarkeit der Konfrontation überzeugt<br />
s<strong>in</strong>d, <strong>die</strong> kriegerischen Akte <strong>in</strong> friedlichen Zeiten<br />
als Vorbereitung/Vorausnahme auf kriegerische<br />
Zeiten e<strong>in</strong>setzen 13 .<br />
Das Verständnis über <strong>die</strong> friedlichen Zeitperioden<br />
zwischen antagonistischen Klassen führt zurück<br />
zur Art, wie im Manifest der Kommunistischen<br />
Partei vom bald versteckten, bald offenen Kampf<br />
gesprochen wird. Sobald <strong>die</strong> Macht e<strong>in</strong>er Klasse<br />
gut gesichert ist, werden ihre Dispositive zur<br />
Zwangsausübung nur selten angewandt. Ihre<br />
ideologische Allmacht erreicht es ohne das,<br />
jede spezifische Äusserung von Interessen der<br />
beherrschten Klasse zu verh<strong>in</strong>dern oder zum<strong>in</strong>dest<br />
unter der Schwelle des Antagonismus zu halten.<br />
In <strong>die</strong>sem Stadium nimmt sich der grösste Teil<br />
der beherrschten Klasse nicht als solche wahr,<br />
sondern verdünnt und spaltet ihre Identität <strong>in</strong><br />
Funktion anderer sozialen Kluften (nationale,<br />
ethnische, religiöse). In <strong>die</strong>sen Zeiten mit fehlenden<br />
erklärten Fe<strong>in</strong>den und mit der Illusion der<br />
eigenen ideologischen Kategorien versteht sich <strong>die</strong><br />
herrschende Klasse selber als Teil e<strong>in</strong>er nationalen<br />
oder religiösen Geme<strong>in</strong>schaft. <strong>Die</strong>s ist nicht e<strong>in</strong><br />
verdeckter Kriegszustand, sondern e<strong>in</strong> Zustand des<br />
Klassenfriedens, der anhält, bis <strong>die</strong> historischen<br />
Kräfte (objektive: Krieg, Wirtschaftskrise;<br />
subjektive: politische Aktion) <strong>die</strong> Klasse an sich <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>e Klasse für sich verwandeln.<br />
Für Len<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> friedlichen Strategien nur<br />
pazifistische Illusionen, und nur <strong>die</strong> Revolution<br />
vermag es, den Knoten der sozialen Widersprüche<br />
zu durchschlagen. Der Klassenkampf soll sich<br />
durch <strong>die</strong> Akkumulation von quantitativen<br />
Veränderungen (mehr Klassenbewusstse<strong>in</strong>, mehr<br />
Organisierung, mehr revolutionäre Theorie und<br />
Praxis) zu qualitativen Veränderungen (Übergang<br />
vom friedlichen zum bewaffneten Kampf) und<br />
damit zum Bürgerkrieg erweitern: « Der Marxist<br />
steht auf dem Boden des Klassenkampfes und nicht des<br />
sozialen Friedens. In bestimmten Perioden scharfer<br />
ökonomischer und politischer Krisen entwickelt sich<br />
der Klassenkampf zum unmittelbaren Bürgerkrieg,<br />
d.h. zum bewaffneten Kampf zwischen zwei Teilen<br />
des Volkes. » 14<br />
.<br />
Das Proletariat konstituiert sich als Klasse für<br />
sich über Teilkämpfe und das Bestreben, sich zu<br />
organisieren und das Bewusstse<strong>in</strong> anzuheben,<br />
aber das macht es noch nicht zur Kriegspartei.<br />
Das Bewusstse<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es radikalen Widerspruchs<br />
zwischen Klassen<strong>in</strong>teressen führt nicht zw<strong>in</strong>gend<br />
zur Überzeugung über <strong>die</strong> Notwendigkeit des<br />
Krieges. <strong>Die</strong> Vorstellung, dass das Parlament oder<br />
der Staat über den Klassen steht oder dass sie<br />
zum<strong>in</strong>dest für <strong>die</strong> Veränderung der Gesellschaft<br />
nützlich seien, bewirkt e<strong>in</strong>e pazifistische Politik. Der<br />
Krieg ist kostspielig und riskant; dazu werden noch<br />
<strong>die</strong> alten moralischen Vorstellungen verletzt. Also<br />
ist es unvermeidbar, nicht gewaltsamen Strategien<br />
zu bevorzugen, wenn es sche<strong>in</strong>t, als ob sie zum Ziel<br />
führen können. Darüber h<strong>in</strong>aus ist der Prozess,<br />
der von der Klasse an sich zur Klasse für sich führt<br />
und vom Klassenkampf zum Klassenkrieg nicht<br />
l<strong>in</strong>ear. Der Prozess kennt plötzliche Fortschritte<br />
und auch plötzliche Rückschläge. Darum<br />
kritisierte Len<strong>in</strong> auch <strong>die</strong> bewaffnete Aktion der<br />
Narodniki, als <strong>die</strong> proletarische Politik sich eher<br />
auf Bewusstse<strong>in</strong>sarbeit und Organisation mit<br />
e<strong>in</strong>e antagonistische Dimension (Streiks usw.)<br />
konzentrieren sollte, <strong>die</strong> aber noch ke<strong>in</strong>e bewaffnete<br />
Gewalt benötigte.<br />
1.3. Der Krieg als historisches Objekt<br />
Im Kapitel 3 B des Achten Buchs schrieb Len<strong>in</strong><br />
<strong>die</strong> Passagen ab, welche <strong>die</strong> Transformationen<br />
des Krieges <strong>in</strong> Funktion der geschichtlichen<br />
Veränderungen behandeln, speziell denen, <strong>die</strong><br />
durch <strong>die</strong> Französische Revolution herbeigeführt<br />
worden waren. Nach Clausewitz muss man <strong>die</strong><br />
Gründe für <strong>die</strong> von ihren Armeen vollbrachten<br />
Wunder nicht <strong>in</strong> neuen Ideen und neuen Verfahren<br />
suchen, welche <strong>die</strong> Französische Revolution <strong>in</strong> <strong>die</strong><br />
Kriegskunst e<strong>in</strong>führte, sondern im neuen sozialen<br />
Status und se<strong>in</strong>em nationalen Charakter.<br />
Nur e<strong>in</strong>e Macht, <strong>die</strong> alle Sonderrechte, <strong>in</strong>neren<br />
Schranken, Monopole und Partikularismen los ist,<br />
welche das Ancien Régime kennzeichneten, konnte<br />
e<strong>in</strong>e veritable nationale Mobilisierung und e<strong>in</strong>e<br />
veritable Kriegsökonomie auf <strong>die</strong> Be<strong>in</strong>e stellen.<br />
Alle Ressourcen Frankreichs s<strong>in</strong>d im <strong>Die</strong>nst<br />
des Krieges mobilisiert worden, und <strong>die</strong> Macht,<br />
<strong>die</strong> daraus resultierte, übertraf bei weitem<br />
<strong>die</strong> kumulierte der gegnerischen Mächte der<br />
Adelsdynastien. Im Gegensatz zu den Armeen der<br />
Pr<strong>in</strong>zen – Söldnerarmeen, <strong>die</strong> aus Vagabunden im<br />
Bruch mit ihrer Schicht zusammengesetzt, durch<br />
Drill dressiert und mit dem Schlagstock geführt<br />
waren – war <strong>die</strong> französische Armee e<strong>in</strong>e nationale<br />
und e<strong>in</strong>e Bürgerarmee, bei denen nach Ver<strong>die</strong>nsten<br />
und nicht nach der Geburt rekrutiert und befördert<br />
wurde.<br />
Mit den Armeen der Revolution (von der<br />
Napoleon erbte) erfuhr der Krieg wichtige<br />
Formveränderungen, nicht weil <strong>die</strong> französische<br />
Regierung sich von den Zwängen der Politik<br />
emanzipiert hätte, sondern weil <strong>die</strong> Revolution <strong>die</strong><br />
Grundlagen der Politik verändert und <strong>die</strong> Kräfte<br />
geweckt und <strong>die</strong> Mittel entwickelt hatte, welche<br />
es erlaubten, <strong>die</strong> Kriegsenergie zu erhöhen und <strong>in</strong><br />
andere Bahnen zu lenken. <strong>Die</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> Kriegskunst<br />
e<strong>in</strong>geführten Veränderungen waren <strong>die</strong> Konsequenz<br />
der Veränderungen, <strong>die</strong> <strong>in</strong> der Politik stattgefunden<br />
hatten.<br />
Im Kapitel mit dem Titel Von der Grösse des<br />
kriegerischen Zweckes und der Anstrengung, kommt<br />
Clausewitz auf <strong>die</strong> historischen Veränderungen<br />
im Charakter der Kriege zurück (er schreibt über<br />
Halbgebildete Tartaren, Republiken der alten Welt,<br />
Lehnsherren und Handelsstädte des Mittelalters;<br />
Ende des 17. Und 18. Jahrhunderts) :<br />
… « Das Volk also, welches bei den Tartarenzügen a l l e s<br />
im Kriege ist, bei den alten Republiken und im Mittelmeer,<br />
wenn man den Begriff desselben gehörig auf <strong>die</strong> eigentlichen<br />
Staatsbürger beschränkt, sehr vieles gewesen war, ward bei<br />
<strong>die</strong>sem Zustand des achtzehnten Jahrhunderts u n m i t t e l b a r<br />
n i c h t s, sondern hatte bloss durch se<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>en Tugenden<br />
oder Fehler noch e<strong>in</strong>en mittelbaren E<strong>in</strong>fluss auf den Krieg 15 .(...)<br />
<strong>Die</strong> (französische) Revolution hat das alles umgestaltet. (…)<br />
Der Krieg war plötzlich wieder e<strong>in</strong>e Sache des Volkes geworden.<br />
(...) das ganze Volk trat mit se<strong>in</strong>em natürlichen Gewicht <strong>in</strong> <strong>die</strong><br />
Waagschale. Seit Bonaparte hat also der Krieg, <strong>in</strong>dem er zuerst<br />
auf der e<strong>in</strong>en Seite, dann auch auf der anderen, Sache des<br />
ganzen Volkes wurde, e<strong>in</strong>e ganz andere Natur angenommen,<br />
oder vielmehr er hat sich se<strong>in</strong>er wahren Natur, se<strong>in</strong>er absoluten<br />
Vollkommenheit, sehr genähert. <strong>Die</strong> Mittel, welche aufgeboten<br />
worden s<strong>in</strong>d, hatten ke<strong>in</strong>e sichtbare Grenze, sondern <strong>die</strong>se verlor<br />
40<br />
41
sich <strong>in</strong> der Energie und dem Enthusiasmus der Regierungen und<br />
ihrer Untertanen. (...) So war also das kriegerische Element,<br />
von allen konventionellen Schranken befreit, mit se<strong>in</strong>er ganzen<br />
natürlichen Kraft losgebrochen. <strong>Die</strong> Ursache war <strong>die</strong> Teilnahme,<br />
welch den Völkern an <strong>die</strong>ser grossen Staatsangelegenheit wurde;<br />
und <strong>die</strong>se Teilnahme entsprang teils aus den Verhältnissen,<br />
welche <strong>die</strong> Französische Revolution <strong>in</strong> dem Innern der Länder<br />
herbeigeführt hatte, teils aus der Gefahr, womit alle Völker<br />
von dem französischen bedroht waren. (...) Ob es nun immer<br />
so bleiben wird, ob alle künftigen Kriege <strong>in</strong> Europa immer mit<br />
dem ganzen Gewicht der Staaten und folglich nur um grosse,<br />
den Völkern naheliegende Interessen geführt se<strong>in</strong> werden oder<br />
ob nach und nach wieder e<strong>in</strong>e Absonderung der Regierung von<br />
dem Volke e<strong>in</strong>treten wird, dürfte schwer zu entscheiden se<strong>in</strong>,<br />
und am wenigsten wollen wir uns e<strong>in</strong>e solche Entscheidung<br />
anmassen. (...) [Unser Ziel]: ...zu zeigen, wie jede Zeit ihre<br />
eigenen Kriege, ihre eigenen beschränkenden Bed<strong>in</strong>gungen, ihre<br />
eigene Befangenheit hatte. Jede würde also auch ihre eigene<br />
Kriegstheorie behalten, selbst wenn man überall, früh und spät,<br />
aufgelegt gewesen wäre, sie nach philosophischen Grundsätzen<br />
zu bearbeiten. <strong>Die</strong> Begebenheiten jeder Zeit müssen also mit<br />
Rücksicht auf ihre Eigentümlichkeiten beurteilt werden, und nur<br />
der, welcher nicht sowohl durch e<strong>in</strong> ängstliches Studium aller<br />
kle<strong>in</strong>en Verhältnisse als durch e<strong>in</strong>en treffenden Blick auf <strong>die</strong><br />
grossen, sich <strong>in</strong> jede Zeit versetzt, ist imstande, <strong>die</strong> Feldherren<br />
derselben zu verstehen und zu würdigen.“ 16<br />
Len<strong>in</strong> kopierte <strong>die</strong>se Passage, qualifizierte sie als wichtig<br />
und fasste zusammen: «Jede Zeit hat ‘ihre eigenen<br />
Kriege‘. » So wird es auch mit den revolutionären Kriegen<br />
se<strong>in</strong>.<br />
1.4. <strong>Die</strong> Steigerung der Clausewitz’schen<br />
Dreifaltigkeit zum Äussersten<br />
Len<strong>in</strong> markierte auch se<strong>in</strong> Interesse für <strong>die</strong><br />
Analyse der politischen Ursache der Steigerung<br />
zum Äussersten, aber auch für <strong>die</strong> Deeskalation,<br />
weil schwache Motive und Spannungen den Krieg<br />
von se<strong>in</strong>em „Idealtyp“ oder „abstrakten“ Modell<br />
entfernt, also vom absoluten Krieg, von der<br />
Entfesselung der grenzenlosen Gewalt, <strong>die</strong> darauf<br />
abzielt, Herr über den Gegner zu werden.<br />
Bei der Behandlung der Unterschiede <strong>in</strong> der Natur<br />
des Krieges entwickelte Clausewitz e<strong>in</strong>en wahrhaft<br />
dialektischen Gedankengang, den Len<strong>in</strong> sorgfältig<br />
abschrieb:<br />
« Je stärker <strong>die</strong> Motive des Krieges s<strong>in</strong>d, je mehr<br />
sie das Ganze Dase<strong>in</strong> der Völker umfassen (…)<br />
umso mehr fallen das kriegerische Ziel und der<br />
politische Zweck des Krieges zusammen, um so re<strong>in</strong>er<br />
kriegerisch, weniger politisch, sche<strong>in</strong>t der Krieg zu<br />
se<strong>in</strong>. Je schwächer aber Motive und Spannungen<br />
s<strong>in</strong>d, umso weniger wird <strong>die</strong> natürliche Richtung<br />
des kriegerischen Elementes, nämlich <strong>die</strong> Gewalt,<br />
<strong>in</strong> <strong>die</strong> L<strong>in</strong>ie fallen, welche <strong>die</strong> Politik gibt, umso<br />
mehr muss also der Krieg von se<strong>in</strong>er natürlichen<br />
Richtung abgelenkt werden, um so verschiedener ist<br />
der politische Zweck von dem Ziel e<strong>in</strong>es i d e a l e<br />
n Krieges, umso mehr sche<strong>in</strong>t der Krieg politisch zu<br />
werden. 17<br />
Auch wenn der Krieg Ersche<strong>in</strong>ungsformen hat, <strong>die</strong><br />
das Bild e<strong>in</strong>es absurden und bl<strong>in</strong>den Krieges abgeben<br />
und <strong>die</strong> Gründe se<strong>in</strong>er äussersten Steigerung aus<br />
sich selbst zu schöpfen sche<strong>in</strong>t, wenn er entfesselte<br />
Völker aufe<strong>in</strong>ander hetzt, bleibt folglich <strong>die</strong> Politik<br />
das Bestimmende des Krieges – sie bestimmt ihn<br />
sogar noch mehr denn je. Nur wenn der Krieg sich<br />
von der politischen Macht mässigen lässt, lässt er<br />
<strong>die</strong> Schwäche se<strong>in</strong>er Sache und se<strong>in</strong>er politischen<br />
Bestimmungen erkennen. Und Len<strong>in</strong> synthetisiert:<br />
« Sche<strong>in</strong> ist noch nicht Wirklichkeit. Der Krieg sche<strong>in</strong>t<br />
umso « kriegerischer » zu se<strong>in</strong>, je tiefer politisch er ist;<br />
- umso « politischer », je weniger tief politisch er ist.»<br />
Aus Anlass der Zerschlagung der Revolution von<br />
1905 und der ihr folgenden Repression konnte<br />
Len<strong>in</strong> den Wert der Lektionen von Marx über <strong>die</strong><br />
Pariser Kommune erkennen. <strong>Die</strong>se im Bürgerkrieg<br />
<strong>in</strong> Frankreich dargestellten Lehren können so<br />
zusammengefasst werden: Zentralisation, Initiative<br />
und Gewaltanwendung. Dennoch haben sich <strong>die</strong><br />
Bolschewiki erst mit dem Ansteigen der Gefahren <strong>die</strong><br />
Mittel für den Bürgerkrieg gegeben: <strong>Die</strong> E<strong>in</strong>richtung<br />
der Tscheka war improvisiert und spielte erst nach<br />
der Ermordung des bolschewistischen Anführers<br />
Wododarski wirklich e<strong>in</strong>e Rolle. <strong>Die</strong> Todesstrafe<br />
selbst, <strong>die</strong> Abschreckungsmassnahme schlechth<strong>in</strong>,<br />
wurde erst im Frühjahr 1918 e<strong>in</strong>geführt. Aber trotz<br />
des Zögerns und der Improvisationen konnten <strong>die</strong><br />
Bolschewiki <strong>die</strong> Gewalt „zum Äussersten steigern“<br />
und dadurch <strong>die</strong> Revolution vor den Gefahren<br />
retten, welche sie <strong>in</strong> F<strong>in</strong>nland, Polen, Ungarn und<br />
Deutschland niedergeworfen hatte.<br />
Nach Clausewitz (und Len<strong>in</strong> schrieb <strong>die</strong>se Passage<br />
ebenfalls ab) s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Kriege so verschieden wie <strong>die</strong><br />
Motive, <strong>die</strong> ihn herbeiführen und <strong>die</strong> politischen<br />
Beziehungen, <strong>die</strong> ihm vorausgehen. « Der Krieg ist<br />
also nicht nur e<strong>in</strong> wahres Chamäleon, weil er <strong>in</strong> jedem<br />
konkreten Falle se<strong>in</strong>e Natur etwas ändert, sondern<br />
er ist auch se<strong>in</strong>en Gesamtersche<strong>in</strong>ungen nach, <strong>in</strong><br />
Beziehung auf <strong>die</strong> <strong>in</strong> ihm herrschenden Tendenzen,<br />
e<strong>in</strong>e wunderliche Dreifaltigkeit, zusammengesetzt<br />
aus der ursprünglichen Gewaltsamkeit se<strong>in</strong>es<br />
Elements, dem Hass und der Fe<strong>in</strong>dschaft, <strong>die</strong> wie e<strong>in</strong><br />
bl<strong>in</strong>der Naturtrieb anzusehen s<strong>in</strong>d, aus dem Spiel<br />
der Wahrsche<strong>in</strong>lichkeiten und des Zufalls, , <strong>die</strong> ihn<br />
zu e<strong>in</strong>er freien Seelentätigkeit machen, und aus der<br />
untergeordneten Natur e<strong>in</strong>es politischen Werkzeugs,<br />
wodurch er dem blossen Verstande anheimfällt. » 18<br />
<strong>Die</strong> Dreifaltigkeit bezieht sich also auf das fe<strong>in</strong>dselige<br />
Gefühl und <strong>die</strong> fe<strong>in</strong>dselige Absicht, (<strong>die</strong> <strong>die</strong> Völker<br />
beseelen), auf das Spiel der Wahrsche<strong>in</strong>lichkeiten<br />
(welche der oberste General entwirren muss) und<br />
auf <strong>die</strong> rationalen Zwecke (über <strong>die</strong> <strong>die</strong> Regierung<br />
entscheidet).<br />
1.5. Len<strong>in</strong> und e<strong>in</strong>ige andere Aspekte des<br />
Clausewitz’schen Denkens<br />
Beim Lesen und Kommentieren von Clausewitz<br />
verweilte Len<strong>in</strong> auch bei der Rolle der Bevölkerung<br />
im Krieg 19 , bei der Rolle des Generalstabs 20 , bei<br />
der Kritik der „Doktr<strong>in</strong> der Schlüsselstellung“<br />
(„meistens liegt der beste Schlüssel zum Land im<br />
fe<strong>in</strong>dlichen Heer“, sagt Clausewitz)— und Len<strong>in</strong><br />
notiert am Rand: « geistreich und klug ! »), bei der<br />
Führung und dem Charakter e<strong>in</strong>er regulären Armee,<br />
beim Konzept der « Entscheidungsschlacht », bei<br />
den Vorteilen der Verteidigung, bei der Enge der<br />
Sicht der Generalstäbe etc.<br />
Er verweilte bei der Frage der Kühnheit (jener<br />
der Kämpfenden gegenüber den körperlichen<br />
Gefahren und jener des Feldherrn gegenüber<br />
den Verantwortlichkeiten) und bei den Exkursen<br />
von Clausewitz bezüglich der Legitimität der<br />
theoretischen Arbeit und der Dialektik zwischen<br />
dem Besondern und dem Allgeme<strong>in</strong>en, welche<br />
<strong>die</strong>se charakterisieren muss.<br />
<strong>Die</strong> Auszüge und Randglossen Len<strong>in</strong>s über<br />
Clausewitz zeigen e<strong>in</strong> spezielles Interesse an den<br />
Thesen über « Kriegerische Tugenden » im Gegensatz<br />
zu den Qualitäten e<strong>in</strong>er regulären Armee, <strong>die</strong> durch<br />
Siege und Niederlagen gehärtet ist: Tatsächlich<br />
theoretisiert Clausewitz den „Innungsgeist (Esprit<br />
de Corps = Korpsgeist)“ regulärerer Truppen, um<br />
sie von der „Kriegerischen Tugend“ des Volkes<br />
unter Waffen zu unterscheiden, um ihre jeweiligen<br />
Ver<strong>die</strong>nste und <strong>die</strong> Situationen e<strong>in</strong>zuschätzen, <strong>in</strong><br />
denen besser das e<strong>in</strong>e oder andere e<strong>in</strong>gesetzt wird,<br />
etc.<br />
In dem Mass, <strong>in</strong> dem man nie <strong>die</strong> freie Wahl der<br />
Modalitäten der Konfrontation hat, erfordern<br />
gewisse Bed<strong>in</strong>gungen, dass <strong>die</strong> Kräfte der Revolution<br />
sich <strong>die</strong> Mittel geben, welche der „Innungsgeist“ oder<br />
Korpsgeist regulärer Armeen eigen s<strong>in</strong>d, denn <strong>die</strong><br />
Qualitäten e<strong>in</strong>es Volkes unter Waffen (Enthusiasmus,<br />
Kampfgeist, Kreativität) können nicht auf alle<br />
Probleme e<strong>in</strong>e Antwort geben. Len<strong>in</strong> hat als erster<br />
<strong>in</strong>nerhalb des proletarischen militärischen Denkens<br />
verstanden, dass <strong>die</strong> Bewaffnung der Massen<br />
unter gewissen Bed<strong>in</strong>gungen nicht ausreichen<br />
kann und dass sich <strong>die</strong> Revolution mit e<strong>in</strong>em<br />
stehenden Heer ausstatten sollte. Das bedeutet,<br />
dass man sich vielen Vorurteilen entgegenstellen<br />
muss, welche der antimilitaristischen Tradition<br />
der ArbeiterInnenbewegung entstammen, und es<br />
heisst, <strong>die</strong> Schwierigkeiten e<strong>in</strong>er Volksregierung<br />
vorauszusehen, welche mit e<strong>in</strong>em klassischen Krieg<br />
konfrontiert wird (Russland 1918-21, Spanien<br />
1936, etc.).<br />
42<br />
43
Zweiter Teil: Imperialistischer Krieg und Befreiungskrieg<br />
2.1. Der Klassencharakter des Krieges<br />
Clausewitz schrieb <strong>in</strong> Erwägung des neuen<br />
Charakters des Krieges im revolutionären<br />
Frankreich, dass « der Krieg (...) plötzlich wieder<br />
e<strong>in</strong>e Sache des Volkes geworden (war). (...) das<br />
ganze Volk trat mit se<strong>in</strong>em natürlichen Gewicht<br />
<strong>in</strong> <strong>die</strong> Waagschale» 21 . Nach Len<strong>in</strong>, der hier <strong>die</strong><br />
Klassenanalyse e<strong>in</strong>führte, handelte es sich um<br />
den Krieg «der französichen Bourgeoisie und<br />
vielleicht der ganzen Bourgeoisie » — auch wenn <strong>die</strong><br />
Revolutionskriege und <strong>die</strong> kolonialen Kriege e<strong>in</strong>en<br />
gewissen nationalen Charakter haben konnten, da<br />
sie auch den Kampf der Volksmassen gegen den<br />
Absolutismus, <strong>die</strong> nationale Repression und den<br />
Feudalismus darstellten.<br />
Im selben Kapitel schreibt Clausewitz auch:<br />
«Man weiss freilich, dass der Krieg nur durch den<br />
politischen Verkehr der Regierungen und der Völker<br />
hervorgerufen wird ; aber gewöhnlich denkt man<br />
sich <strong>die</strong> Sache so, dass mit ihm jener Verkehr aufhöre<br />
und e<strong>in</strong> ganz anderer Zustand e<strong>in</strong>trete, welcher nur<br />
se<strong>in</strong>en eigenen Gesetzen unterworfen sei. » 22<br />
<strong>Die</strong> Politik, weit davon entfernt, beim Krieg<br />
aufzuhören, geht weiter und bestimmt den Krieg.<br />
Genau auf <strong>die</strong>sem Grundsatz griff Len<strong>in</strong> Kautsky<br />
und Plechanow an, <strong>die</strong> <strong>die</strong> imperialistischen Ziele<br />
ihrer Regierungen <strong>in</strong> Friedenszeiten kritisierten,<br />
aber <strong>in</strong> Kriegszeiten <strong>in</strong> der „Union Sacrée“ 23<br />
mitmachten. Im Mai-Juni 1915 setzte Len<strong>in</strong> se<strong>in</strong>e<br />
Erkenntnisse aus der kürzlichen Lektüre von<br />
Clausewitz <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Broschüre e<strong>in</strong>, <strong>die</strong> gegen <strong>die</strong><br />
Vorhut der Sozialchauv<strong>in</strong>isten gerichtet war:<br />
« Selbst e<strong>in</strong>e so abgedroschene Plattheit weiß Plechanow<br />
mit der bei <strong>die</strong>sem Schriftsteller nicht zu umgehenden<br />
jesuitischen Berufung auf „<strong>die</strong> Dialektik» aufzuputzen: <strong>in</strong><br />
Anbetracht der konkreten Situation, der man Rechnung<br />
tragen müsse, habe man vor allem den Anstifter des Kriegs<br />
festzustellen und mit ihm abzurechnen, alle übrigen<br />
Fragen aber habe man aufzuschieben bis zum E<strong>in</strong>treten<br />
e<strong>in</strong>er anderen Situation. (...) Plechanow greift aus der<br />
deutschen sozialdemokratischen Presse e<strong>in</strong> Zitat heraus:<br />
<strong>die</strong> Deutschen selber hätten vor dem Kriege Österreich<br />
und Deutschland als <strong>die</strong> Anstifter betrachtet – und damit<br />
basta. Dass <strong>die</strong> russischen Sozialisten <strong>die</strong> Eroberungspläne<br />
des Zarismus <strong>in</strong> Bezug auf Galizien, Armenien usw. viele<br />
Male enthüllt haben, das verschweigt Plechanow. Er<br />
macht nicht den ger<strong>in</strong>gsten Versuch, <strong>die</strong> ökonomische<br />
und diplomatische <strong>Geschichte</strong>, sei es auch nur der letzten<br />
drei Jahrzehnte, zu berühren; <strong>die</strong>se <strong>Geschichte</strong> beweist<br />
aber unwiderlegbar, dass gerade <strong>die</strong> Besitzergreifung von<br />
Kolonien, der Raub fremder Länder und <strong>die</strong> Verdrängung<br />
und Ru<strong>in</strong>ierung des erfolgreichen Konkurrenten <strong>in</strong> der<br />
Politik der beiden nun kriegführenden Mächtegruppen <strong>die</strong><br />
Hauptsache darstellen. In ihrer Anwendung auf <strong>die</strong> Kriege<br />
hat <strong>die</strong> von Plechanow so schamlos zu Nutz und Frommen<br />
der Bourgeoisie entstellte Dialektik zur grundlegenden<br />
These den Satz, dass „der Krieg e<strong>in</strong>fach e<strong>in</strong>e Fortsetzung<br />
der Politik mit anderen (nämlich gewaltsamen) Mitteln»<br />
ist. So lautet <strong>die</strong> Formulierung von Clausewitz, e<strong>in</strong>em<br />
der großen Schriftsteller <strong>in</strong> Fragen der Kriegsgeschichte,<br />
dessen Ideen von Hegel befruchtet worden waren. Und das<br />
war auch stets der Standpunkt von Marx und Engels, <strong>die</strong><br />
jeden Krieg als <strong>die</strong> Fortsetzung der Politik der betreffenden<br />
<strong>in</strong>teressierten Mächte – und der verschiedenen Klassen<br />
<strong>in</strong>nerhalb <strong>die</strong>ser Mächte – im betreffenden Zeitraum<br />
auffassten. Der grobe Chauv<strong>in</strong>ismus Plechanows steht<br />
vollkommen auf derselben theoretischen Basis wie der<br />
raff<strong>in</strong>iertere, der versöhnlich-süßliche Chauv<strong>in</strong>ismus<br />
Kautskys, wenn <strong>die</strong>ser letztere den Übergang der<br />
Sozialisten aller Länder auf <strong>die</strong> Seite „ihrer» Kapitalisten<br />
mit folgender Betrachtung sanktioniert: „Alle haben das<br />
Recht und <strong>die</strong> Pflicht, ihr Vaterland zu verteidigen; der<br />
wahre Internationalismus besteht <strong>in</strong> der Zuerkennung<br />
<strong>die</strong>ses Rechts für <strong>die</strong> Sozialisten aller Nationen, darunter<br />
auch derer, <strong>die</strong> mit me<strong>in</strong>er Nation Krieg führen…“ (...) Als<br />
der wahre Internationalismus soll also <strong>die</strong> Rechtfertigung<br />
dessen gelten, dass im Namen der „Vaterlandsverteidigung»<br />
<strong>die</strong> französischen Arbeiter auf <strong>die</strong> deutschen schießen und<br />
<strong>die</strong> deutschen auf <strong>die</strong> französischen! Aber wenn wir uns<br />
<strong>die</strong> theoretischen Voraussetzungen der Betrachtungen<br />
Kautskys näher besehen, so f<strong>in</strong>den wir eben <strong>die</strong> Ansicht,<br />
<strong>die</strong> rund achtzig Jahre früher von Clausewitz verhöhnt<br />
worden ist: mit Kriegsausbruch hört der historisch<br />
vorbereitete politische Verkehr zwischen den Völkern und<br />
den Klassen auf und es tritt e<strong>in</strong>e gänzlich andere Situation<br />
e<strong>in</strong>! – „e<strong>in</strong>fach» Angreifer und Verteidiger, „e<strong>in</strong>fach»<br />
Abwehr der „Fe<strong>in</strong>de des Vaterlands»! <strong>Die</strong> Unterdrückung<br />
e<strong>in</strong>er ganzen Reihe von Nationen, <strong>die</strong> mehr als <strong>die</strong><br />
Hälfte der Bevölkerung der Erdkugel ausmachen, durch<br />
<strong>die</strong> imperialistischen Großmächte, <strong>die</strong> Konkurrenz<br />
unter der Bourgeoisie <strong>die</strong>ser Länder um <strong>die</strong> Teilung der<br />
Beute, das Bestreben des Kapitals, <strong>die</strong> Arbeiterbewegung<br />
zu zerschlagen und zu unterdrücken, – all das ist auf<br />
e<strong>in</strong>mal aus dem Gesichtsfeld Plechanows und Kautskys<br />
45
verschwunden, obwohl gerade <strong>die</strong>se so geartete „Politik»<br />
vor dem Krieg ganze Jahrzehnte h<strong>in</strong>durch von ihnen selber<br />
immer geschildert worden war. » 24<br />
Es gab tatsächlich <strong>in</strong> der Zweiten Internationale<br />
Debatten darüber, ob <strong>die</strong> zu<strong>nehmen</strong>den Kriege<br />
(Burenkriege, der spanisch-amerikanische und<br />
der russisch-japanische Krieg) e<strong>in</strong> Ausdruck der<br />
aktuellen Umstände waren oder e<strong>in</strong>er historischen<br />
Tendenz. <strong>Die</strong> Charakterisierung des Weltkrieges<br />
als imperialistischer Krieg war Teil se<strong>in</strong>er Arbeiten<br />
über den Imperialismus 25 . <strong>Die</strong> Bezeichnung als<br />
imperialistischer Krieg denunziert nicht nur <strong>die</strong><br />
annektionistischen Ziele der Kriegsführenden.<br />
Sie erklärt den historischen Gehalt des Krieges,<br />
nachdem <strong>die</strong> kapitalistische Produktionsweise<br />
sich auf <strong>die</strong> ganze Welt ausgedehnt hat, es ke<strong>in</strong>e<br />
«jungfräulichen» Territorien zum Kolonisieren und<br />
ke<strong>in</strong>e Expansionsmöglichkeiten für e<strong>in</strong>e Macht<br />
gibt, <strong>die</strong> nicht auf Kosten e<strong>in</strong>er anderen Macht geht.<br />
<strong>Die</strong> E<strong>in</strong>sicht Len<strong>in</strong>s über den Klassencharakter des<br />
Krieges erweitert den Horizont der Theorie von<br />
Clausewitz. Len<strong>in</strong> geht davon aus, dass <strong>die</strong> Politik<br />
(und der Krieg, der davon ausgeht) den Interessen<br />
der e<strong>in</strong>en Klasse <strong>die</strong>nt und den Interessen e<strong>in</strong>er<br />
anderen entgegensteht. <strong>Die</strong>se Ansicht steht im<br />
Gegensatz zu jener der Bonzen der Zweiten<br />
Internationalen, <strong>die</strong> schnell den nationalen<br />
Charakter des Krieges <strong>in</strong> den Vordergrund stellten.<br />
Auch wenn der Krieg e<strong>in</strong>en nationalen Charakter<br />
anzu<strong>nehmen</strong> sche<strong>in</strong>t, weil e<strong>in</strong> Teil der Massen sich<br />
für den Krieg begeistert, ist der wahre Charakter<br />
des Krieges <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er politischen Ursache zu suchen,<br />
d.h. <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Fall <strong>in</strong> den imperialistischen Zielen<br />
der kriegsführenden Mächte. <strong>Die</strong> imperialistische<br />
Politik ist <strong>die</strong> Ursache des Krieges; sie gibt dem<br />
Krieg Bedeutung und bestimmt se<strong>in</strong>en Charakter,<br />
aber auch se<strong>in</strong>e revolutionären Möglichkeiten.<br />
Oder wie Lukács schrieb: « Der Krieg ist, nach der<br />
Def<strong>in</strong>ition von Clausewitz, nur <strong>die</strong> Fortsetzung der<br />
Politik; er ist es aber <strong>in</strong> jeder Beziehung. Das heißt,<br />
nicht nur für <strong>die</strong> äußere Politik e<strong>in</strong>es Staates bedeutet<br />
der Krieg bloß das äußerste und aktivste Zu-Ende-<br />
Führen jener L<strong>in</strong>ie, <strong>die</strong> das Land bis dah<strong>in</strong>, im<br />
‚Frieden›, verfolgt hat, sondern auch für <strong>die</strong> <strong>in</strong>nere<br />
Klassenschichtung e<strong>in</strong>es Landes (und der ganzen<br />
Welt) steigert der Krieg bloß aufs Höchste und spitzt<br />
bis <strong>in</strong>s Letzte jene Tendenzen zu, <strong>die</strong> <strong>in</strong>nerhalb der<br />
Gesellschaft bereits im ‚Frieden‘ wirksam gewesen<br />
s<strong>in</strong>d» 26<br />
<strong>Die</strong> Frage der Begeisterung von Teilen der Masse für<br />
den Krieg, <strong>die</strong> Frage des «Kriegsverantwortlichen»<br />
(zu wissen, welche Macht den <strong>in</strong>terimperialistischen<br />
Krieg ausgelöst hat) oder <strong>die</strong> Frage der Gründe, <strong>die</strong><br />
<strong>die</strong> Mächte angeben (Kampf für <strong>die</strong> Freiheit, für <strong>die</strong><br />
Zivilisation, usw.) verschleiern den tatsächlichen<br />
Charakter des Krieges, statt ihn zu erhellen.<br />
2.2. Das politische Subjekt des Krieges<br />
Für Clausewitz ist das politische Subjekt der Staat,<br />
und der Krieg ist der Krieg zwischen den Nationen.<br />
Er berücksichtigt <strong>die</strong> <strong>in</strong>dividuellen oder kollektiven<br />
Partikular<strong>in</strong>teressen, aber für ihn ist <strong>die</strong> Politik<br />
der entscheidende Faktor, «denn <strong>die</strong> Politik ist ja<br />
nichts an sich, sondern e<strong>in</strong> blosser Sachwalter all<br />
<strong>die</strong>ser Interessen [der rationalen Interessen des<br />
Staates und der Bürger] gegen andere Staaten.<br />
Dass sie e<strong>in</strong>e falsche Richtung haben, dem Ehrgeiz,<br />
dem Privat<strong>in</strong>teresse, der Eitelkeit der Regierenden<br />
vorzugsweise <strong>die</strong>nen kann, gehört nicht hierher;<br />
denn <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Fall ist es <strong>die</strong> Kriegskunst, welche<br />
als ihr Präzeptor betrachtet werden kann, und wir<br />
können hier <strong>die</strong> Politik nur als Repräsentanten aller<br />
Interessen der ganzen Gesellschaft betrachten.» 27 .<br />
Kurz gesagt «repräsentiert» der Staat auf <strong>die</strong><br />
e<strong>in</strong>e oder andere Art <strong>die</strong> Nation, <strong>die</strong> er regiert.<br />
Der Staat kann <strong>die</strong>se Nation <strong>in</strong> den Krieg führen<br />
und ist so e<strong>in</strong> politischer Akteur schlechth<strong>in</strong>.<br />
In Clausewitz‘ Inventar der Konflikte von der<br />
Antike bis zum Napoleonischen Reich zählt er<br />
weder den Bauernkrieg <strong>in</strong> Deutschland, noch <strong>die</strong><br />
Religionskriege <strong>in</strong> Frankreich und England, noch<br />
irgende<strong>in</strong>en Bürgerkrieg auf. Es gibt also <strong>in</strong> Vom<br />
Kriege e<strong>in</strong>e offensichtliche Befangenheit, was <strong>die</strong>se<br />
Konflikte betrifft.<br />
Nach Len<strong>in</strong> gibt es im obigen Abschnitt, den<br />
er sorgfältig <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Notizbuch kopiert hat, e<strong>in</strong>e<br />
„Annäherung an den Marxismus“. Aber nur e<strong>in</strong>e<br />
Annäherung. <strong>Die</strong> Politik ist für den Marxismus das<br />
komplexe Ganze der verschiedenen Manifestationen<br />
der Klassen<strong>in</strong>teressen. Sie ist <strong>die</strong> mehr oder weniger<br />
kohärente und organisierte Aktion der Klassen<br />
(und der Klassenfraktionen) für <strong>die</strong> Realisierung<br />
der Interessen und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em höheren Stadium <strong>die</strong><br />
Aktion der Institutionen der Klassen (Partei, Staat,<br />
Sowjet, Gewerkschaft, Armee, usw.). Len<strong>in</strong> selber<br />
stellt sich auf den Standpunkt e<strong>in</strong>er nichtstaatlichen<br />
politisch-militärischen Kraft: der russischen<br />
Arbeiterbewegung, <strong>die</strong> von den Bolschewiki<br />
organisiert wird. In <strong>die</strong>se neue, breitere und tiefere<br />
Konzeption des politischen Subjekts baut Len<strong>in</strong><br />
Punkt für Punkt <strong>die</strong> Clausewitz’sche Analyse e<strong>in</strong>.<br />
Der Krieg hat (wie <strong>die</strong> Verhandlung) <strong>die</strong> Logik<br />
der Politik, aber e<strong>in</strong>e eigene „Grammatik“ (wie<br />
<strong>die</strong> Diplomatie e<strong>in</strong>e eigene hat). <strong>Die</strong> Analyse des<br />
Krieges stellt spezifische Gesetze heraus, darunter<br />
<strong>die</strong> Tendenz zum Äussersten (und <strong>die</strong> Dämpfung<br />
<strong>die</strong>ser Extreme durch den politischen E<strong>in</strong>satz) und<br />
den dreie<strong>in</strong>igen Charakter (politische Rationalität,<br />
Kriegskunst und fe<strong>in</strong>dselige E<strong>in</strong>stellung).<br />
<strong>Die</strong> Zweckmässigkeit, <strong>die</strong> Frage, ob es angebracht<br />
ist, <strong>die</strong> Thesen von Clausewitz auf nichtstaatliche<br />
Akteure anzuwenden, wird nach wie vor kontrovers<br />
beantwortet. Nach Mart<strong>in</strong> Van Creveld, dem<br />
israelischen Militäressayisten, der e<strong>in</strong> Referenzwerk<br />
über <strong>die</strong> Substituierung der klassischen Kriege<br />
durch asymmetrische Kriege veröffentlicht hat,<br />
schreibt…<br />
« Somit besagt der Satz, der Krieg sei <strong>die</strong> Fortsetzung<br />
der Politik, nicht mehr und nicht weniger, als dass<br />
der Krieg e<strong>in</strong> Instrument <strong>in</strong> den <strong>Hände</strong>n des Staates<br />
bilde, soweit der Staat zu politischen Zwecken Gewalt<br />
e<strong>in</strong>setzt. Der Satz besagt nicht, dass der Krieg jeder<br />
beliebigen Geme<strong>in</strong>schaftsform <strong>die</strong>ne. Falls aber genau<br />
das geme<strong>in</strong>t war, dann ist er nicht viel mehr als e<strong>in</strong>e<br />
abgedroschene Phrase. » 28 Für Van Creveld ersche<strong>in</strong>t<br />
<strong>die</strong>ser Typ von Krieg nicht nur sehr spät <strong>in</strong> der<br />
<strong>Geschichte</strong>, sondern ist wieder am Verschw<strong>in</strong>den<br />
und damit auch <strong>die</strong> Lektionen von Clausewitz.<br />
E<strong>in</strong>e Strömung der US-Militärdenker hat auf <strong>die</strong>se<br />
angebliche „Entdeckung“ des asymmetrischen<br />
Krieges reagiert. Für <strong>die</strong>se Strömung ist das<br />
Wesentliche der Strategie, <strong>die</strong> Vorteile und<br />
Schwächen des Gegners herauszuf<strong>in</strong>den 29 . <strong>Die</strong>s führt<br />
Conrad Crane dazu, zwei Arten der Kriegsführung<br />
zu unterscheiden: „<strong>die</strong> asymmetrische und <strong>die</strong><br />
stumpfs<strong>in</strong>nige“ 30 . Wenn man hier berücksichtigt,<br />
dass man beim asymmetrische Krieg nicht vom<br />
Krieg des Schwachen gegen den Starken spricht<br />
(das wäre der unsymmetrische Krieg), sondern<br />
von der Strategie (<strong>die</strong> Bevölkerung und <strong>die</strong> zivile<br />
Verwaltung als Ziel <strong>nehmen</strong> und nicht bewaffnete<br />
Kräfte oder <strong>die</strong> Bevölkerung als das Kampf- und<br />
Streitfeld zu verstehen), so sieht man auch hier, dass<br />
der „asymmetrische Krieg“ nichts grossartig Neues<br />
ist.<br />
Zudem haben <strong>die</strong> nichtstaatlichen Akteure <strong>in</strong><br />
sogenannten « asymmetrischen » Kriegen (<strong>die</strong><br />
maoistische Guerilla auf den Philipp<strong>in</strong>en, <strong>die</strong> PKK<br />
<strong>in</strong> Kurdistan, <strong>die</strong> Hizbollah im Libanon, usw.) e<strong>in</strong>e<br />
gleiche und manchmal sogar höhere politische<br />
Vernunft als <strong>die</strong> Staaten, <strong>die</strong> sie bekämpfen. <strong>Die</strong><br />
zwischenstaatlichen Kriege, <strong>die</strong> revolutionären<br />
Kriege, <strong>die</strong> nationalen Befreiungskriege lassen<br />
<strong>die</strong>selbe politische Vernunft erkennen. Van<br />
Creveld irrt sich, wenn er nur den Staaten <strong>die</strong><br />
politische Vernunft zuschreibt, den Krieg als<br />
Mittel zu benutzen 31 . Es gibt bewaffnete Gruppen<br />
ohne politische Vernunft (Mafia, religiöse Sekten,<br />
rassistische Banden, Strassengangs), aber <strong>die</strong> treten<br />
nur sehr selten als Kriegsparteien auf, was allerd<strong>in</strong>gs<br />
vom Ausmass der dschihadistischen Phänomene<br />
kaschiert wird 32 .<br />
2.3. Gerechter Krieg, ungerechter Krieg<br />
Von Clausewitz‘ Idee, den Krieg mit der Politik <strong>in</strong><br />
Verb<strong>in</strong>dung zu setzen, haben wir bisher nur das<br />
Primat der Politik über das Militärische <strong>in</strong> Betracht<br />
gezogen. Indem Len<strong>in</strong> bei der Untersuchung<br />
des politischen Charakters des Krieges den<br />
Klassencharakter analysiert, kann er se<strong>in</strong>en<br />
historischen und moralischen Charakter freilegen.<br />
Dadurch kann er gerechte von ungerechten<br />
Kriegen unterscheiden: «<strong>Die</strong> Verteidigung des<br />
Vaterlandes anerkennen heißt <strong>die</strong> Legitimität und<br />
Gerechtigkeit e<strong>in</strong>es Krieges anerkennen. Legitimität<br />
und Gerechtigkeit von welchem Standpunkt? Nur<br />
vom Standpunkt des sozialistischen Proletariats und<br />
se<strong>in</strong>es Kampfes für se<strong>in</strong>e Befreiung: e<strong>in</strong>en anderen<br />
Standpunkt erkennen wir nicht an. Wenn <strong>die</strong> Klasse<br />
der Ausbeuter e<strong>in</strong>en Krieg führt, um ihre Herrschaft<br />
als Klasse zu stärken, so ist das e<strong>in</strong> verbrecherischer<br />
Krieg, und <strong>die</strong> „Vaterlandsverteidigung“ <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
solchen Krieg ist e<strong>in</strong>e Niedertracht und e<strong>in</strong> Verrat<br />
am Sozialismus. Wenn das Proletariat, das bei sich<br />
<strong>die</strong> Bourgeoisie besiegt hat, e<strong>in</strong>en Krieg führt zur<br />
Festigung und Entwicklung des Sozialismus, dann ist<br />
der Krieg berechtigt und „heilig“» 33 .<br />
<strong>Die</strong>s ist e<strong>in</strong>e beträchtliche Bereicherung der Theorie<br />
von Clausewitz‘, denn der letztere sieht ausser dem<br />
moralischen Vorteil der angegriffenen Nation nur<br />
<strong>die</strong> moralischen Faktoren, <strong>die</strong> nicht im Charakter<br />
des Krieges liegen (wie <strong>die</strong> militärische Tugend der<br />
Truppen, <strong>die</strong> beide Kriegsparteien gleichermassen<br />
besitzen können). <strong>Die</strong> militärische Bedeutung der<br />
marxistisch-len<strong>in</strong>istischen Unterscheidung besteht<br />
dar<strong>in</strong>, dass <strong>die</strong> Volksmassen im gerechten Krieg<br />
grundlegend beteiligt s<strong>in</strong>d, woraus e<strong>in</strong> höherer<br />
Mobilisierungsgrad, e<strong>in</strong>e grössere Ausdauer und<br />
Kampfkraft resultieren.<br />
Mehr<strong>in</strong>g ebnete den Weg dah<strong>in</strong>, <strong>in</strong>dem er das<br />
Konzept des „defensiven Krieges“ zugunsten des<br />
„gerechten Krieges“ verworfen hat. Das Konzept<br />
des „defensiven Krieges“ kann nämlich den<br />
imperialistischen Charakter e<strong>in</strong>es Krieges verbergen.<br />
Es war im Namen der legitimen Verteidigung, dass<br />
1914 Deutschland gegen Russland und Frankreich<br />
gegen Deutschland mobilisierte. Auf <strong>die</strong>ser Basis<br />
haben sich <strong>die</strong> deutschen und <strong>die</strong> französischen<br />
Sozialchauv<strong>in</strong>isten ihrer Bourgeoisie angeschlossen.<br />
46<br />
47
Ganz anders ist das Konzept des gerechten Krieges,<br />
<strong>in</strong> Form revolutionärer Kriege und nationaler<br />
Befreiungskriege, <strong>in</strong> denen <strong>die</strong> Massen für ihre<br />
eigenen Interessen kämpfen.<br />
« Es liegt auf der Hand, daß <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Frage (...)<br />
nicht der Angriffs- oder Verteidigungscharakter des<br />
Krieges, sondern <strong>die</strong> Interessen des Klassenkampfes<br />
des Proletariats, oder besser gesagt, <strong>die</strong> Interessen<br />
der <strong>in</strong>ternationalen Bewegung des Proletariats jenen<br />
e<strong>in</strong>zig möglichen Standpunkt bilden, von dem aus<br />
<strong>die</strong> Frage nach der Stellung der Sozialdemokratie<br />
zu der e<strong>in</strong>en oder anderen Ersche<strong>in</strong>ung <strong>in</strong> den<br />
<strong>in</strong>ternationalen Beziehungen betrachtet und<br />
entschieden werden kann.» 34 <strong>Die</strong>se Überlegung<br />
notierte Len<strong>in</strong> schon 1908, aber <strong>die</strong> Problematik<br />
trat vor allem 1914 gewaltig zutage, als <strong>die</strong> Führer<br />
der Zweiten Internationalen sich auf <strong>die</strong> Seite ihrer<br />
Bourgeoisie schlugen und behaupteten, dass <strong>die</strong><br />
fe<strong>in</strong>dliche Macht den Krieg erklärt habe.<br />
2.4. Nationaler Befreiungskrieg<br />
Len<strong>in</strong> ist <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Ansicht e<strong>in</strong> wahrer «Re<strong>in</strong>iger»<br />
des Marxismus. Es war e<strong>in</strong> weiter Weg! 1848<br />
waren <strong>die</strong> politischen, sozialen und nationalen<br />
Fragen aller Akteure vermischt. <strong>Die</strong> bourgeoisen<br />
Liberalen und <strong>die</strong> proletarische Avantgarde<br />
waren für <strong>die</strong> «nationale Befreiung» (<strong>die</strong> hier <strong>die</strong><br />
Form e<strong>in</strong>er deutschen Vere<strong>in</strong>igung annahm - <strong>in</strong><br />
Opposition zum verstaubten reaktionären Adel).<br />
<strong>Die</strong> Reaktionäre kämpften gleichzeitig gegen <strong>die</strong><br />
Partisanen der deutschen Vere<strong>in</strong>igung und der<br />
Demokratie.<br />
So erklärt sich auch der Enthusiasmus der<br />
demokratischen Partei im Deutsch-Dänischen<br />
Krieg, wo als Gew<strong>in</strong>n für Preussen Schleswig-<br />
Holste<strong>in</strong> herausschaute. Und es erklärt auch<br />
<strong>die</strong> starke Ablehnung von Marx und Engels der<br />
tschechischen nationalistischen Sache gegenüber 35 .<br />
<strong>Die</strong> Position von Marx und Engels war also von<br />
e<strong>in</strong>em «Grossdeutschland» geprägt, auch wenn das<br />
höhere Interesse an der revolutionären Sache <strong>die</strong>se<br />
Position begründete. Sie lehnten <strong>die</strong> tschechische<br />
nationale Sache nämlich vor allem deshalb ab, weil<br />
<strong>die</strong> slawischen nationalen Strömungen (und vor<br />
allem der Panslavismus) <strong>die</strong> Politik des Russischen<br />
Imperiums unterstützten. Das Russische Imperium<br />
war als wichtigste reaktionäre Kraft Europas nicht<br />
nur <strong>in</strong>nerhalb se<strong>in</strong>er Grenzen (<strong>in</strong> Polen) militärisch<br />
e<strong>in</strong>geschritten, sondern auch ausserhalb (<strong>in</strong><br />
Ungarn), und es war absolut gegen jede Änderung<br />
der Ordnung, <strong>die</strong> im Wiener Kongress 1815 durch<br />
<strong>die</strong> Heilige Allianz hergestellt wurde.<br />
48<br />
Zwar klärten Marx und Engels ihre Positionen.<br />
Len<strong>in</strong> verteidigte <strong>die</strong> Positionen von Marx und<br />
Engels über <strong>die</strong> Südslaven, aber erst er befreite<br />
<strong>die</strong> nationale Frage von ihrer vormarxistischen<br />
Gangart.<br />
Raymond Aron glaubt, e<strong>in</strong>en Widerspruch<br />
bei Len<strong>in</strong> gefunden zu haben: « Um <strong>die</strong> Natur<br />
des Krieges zu def<strong>in</strong>ieren, schiebt Len<strong>in</strong> <strong>die</strong><br />
nationalen Leidenschaften gleichgültig beiseite und<br />
beschränkt sich auf <strong>die</strong> marxistische Analyse der<br />
Staatengeme<strong>in</strong>schaft. Dagegen bezieht er sich, um <strong>die</strong><br />
Annexion zu def<strong>in</strong>ieren, auf den Willen des Volkes.<br />
Er verurteilt den patriotischen Enthusiasmus von<br />
1914, er stimmt im voraus dem Willen F<strong>in</strong>nlands,<br />
Polens oder sogar der Ukra<strong>in</strong>e zur Lostrennung zu.<br />
» 36 Len<strong>in</strong> beurteilte <strong>die</strong> nationalen Gefühle der<br />
Massen als berechtigt, wenn es um <strong>die</strong> Befreiung<br />
von Polen g<strong>in</strong>g, aber als vernachlässigbar (und als<br />
e<strong>in</strong> Produkt der bourgeoisen Propaganda), wenn es<br />
um <strong>die</strong> «Befreiung» von Lothr<strong>in</strong>gen-Elsass g<strong>in</strong>g.<br />
<strong>Die</strong> Bilanz e<strong>in</strong>er Diskussion über das Recht der<br />
Nationen auf Selbstbestimmung ist e<strong>in</strong> beachtlicher<br />
Text, weil er <strong>die</strong> len<strong>in</strong>istische Position gegen<br />
<strong>die</strong> chauv<strong>in</strong>istische Rechte def<strong>in</strong>iert, aber auch<br />
gegen <strong>die</strong> marxistische Zimmerwalder-L<strong>in</strong>ke, <strong>die</strong><br />
schrieb: « Wir wissen, daß der Sozialismus jede<br />
nationale Unterdrückung aufheben wird, weil er <strong>die</strong><br />
Klassen<strong>in</strong>teressen aufhebt, <strong>die</strong> zu ihr treiben. ».<br />
Len<strong>in</strong> wendet e<strong>in</strong>: «Wozu <strong>die</strong>se Betrachtung über <strong>die</strong><br />
ökonomischen Voraussetzungen für <strong>die</strong> Beseitigung<br />
der nationalen Unterdrückung, <strong>die</strong> längst bekannt<br />
und unbestritten s<strong>in</strong>d, wo doch der Streit um e<strong>in</strong>e<br />
der Formen der politischen Unterjochung geht, und<br />
zwar um das gewaltsame Festhalten e<strong>in</strong>er Nation<br />
<strong>in</strong>nerhalb der Staatsgrenzen e<strong>in</strong>er anderen Nation?<br />
Das ist doch weiter nichts als e<strong>in</strong> Versuch, den<br />
politischen Fragen aus dem Wege zu gehen!» 37<br />
« Unter dem Kapitalismus kann <strong>die</strong> nationale (und<br />
überhaupt <strong>die</strong> politische) Unterdrückung nicht<br />
beseitigt werden. Dazu ist <strong>die</strong> Aufhebung der Klassen,<br />
d. h. <strong>die</strong> E<strong>in</strong>führung des Sozialismus unerläßlich.<br />
Doch wenn der Sozialismus auch auf der Ökonomik<br />
begründet ist, erschöpft er sich doch ke<strong>in</strong>eswegs dar<strong>in</strong>.<br />
Zur Beseitigung der nationalen Unterdrückung<br />
ist e<strong>in</strong> Fundament notwendig - <strong>die</strong> sozialistische<br />
Produktion; aber auf <strong>die</strong>sem Fundament bedarf es<br />
noch e<strong>in</strong>er demokratischen Organisation des Staates,<br />
e<strong>in</strong>er demokratischen Armee usw. Hat das Proletariat<br />
den Kapitalismus <strong>in</strong> den Sozialismus umgestaltet, so<br />
schafft es <strong>die</strong> Möglichkeit für <strong>die</strong> völlige Beseitigung<br />
der nationalen Unterdrückung; <strong>die</strong>se Möglichkeit<br />
wird „nur» - „nur»! - dann zur Wirklichkeit werden,<br />
wenn <strong>die</strong> Demokratie auf allen Gebieten vollständig<br />
durchgeführt se<strong>in</strong> wird - bis zur Festlegung der<br />
Staatsgrenzen entsprechend den „Sympathien» der<br />
Bevölkerung, bis zur völligen Freiheit der Lostrennung<br />
e<strong>in</strong>schließlich. Auf <strong>die</strong>ser Basis wird ihrerseits <strong>in</strong> der<br />
Praxis <strong>die</strong> absolute Beseitigung auch der kle<strong>in</strong>sten<br />
nationalen Reibungen, des ger<strong>in</strong>gsten nationalen<br />
Mißtrauens erfolgen und damit <strong>die</strong> beschleunigte<br />
Annäherung und Verschmelzung der Nationen, <strong>die</strong><br />
durch das Absterben des Staates vollendet werden<br />
wird. Das ist <strong>die</strong> Theorie des Marxismus. » 38<br />
Wann haben <strong>die</strong> Kämpfe für e<strong>in</strong>e nationale Befreiung<br />
e<strong>in</strong>en Klassencharakter? Len<strong>in</strong> ist hier klar: Man<br />
muss hier das Recht auf Lostrennung (bis zum<br />
bewaffneten Aufstand) der nationalen M<strong>in</strong>derheiten<br />
und der unterdrückten Nationen unterstützen, auch<br />
wenn sie ke<strong>in</strong>en progressiven Charakter haben,<br />
ausser sie <strong>die</strong>nen als Instrument der <strong>in</strong>ternationalen<br />
Reaktion. Z.B. sollen <strong>die</strong> Marxisten (der Artikel<br />
wurde 1916 geschrieben) e<strong>in</strong>en Aufstand der<br />
Belgier gegen <strong>die</strong> Deutschen unterstützen, der<br />
Armenier gegen Russland, der Galizier gegen<br />
Österreich, auch wenn <strong>die</strong>se Bewegungen von<br />
den nationalen Bourgeoisien geführt wurden. <strong>Die</strong><br />
Marxisten dürfen sich nicht, auch nicht passiv,<br />
zu Komplizen gegen das Recht der Völker auf<br />
Selbstbestimmung machen. <strong>Die</strong> e<strong>in</strong>zige Ausnahme<br />
ist: « wenn es nicht e<strong>in</strong> Aufstand e<strong>in</strong>er reaktionären<br />
Klasse ist. » 39 : « <strong>Die</strong> e<strong>in</strong>zelnen Forderungen der<br />
Demokratie, darunter das Selbstbestimmungsrecht,<br />
s<strong>in</strong>d nichts Absolutes, sondern e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Teil<br />
der allgeme<strong>in</strong>-demokratischen (jetzt: allgeme<strong>in</strong>sozialistischen)<br />
Weltbewegung. Es ist möglich, daß<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen konkreten Fällen der Teil dem Ganzen<br />
widerspricht, dann muß man den Teil verwerfen.<br />
Es ist möglich, daß <strong>die</strong> republikanische Bewegung<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Lande nur das Werkzeug e<strong>in</strong>er klerikalen<br />
oder e<strong>in</strong>er f<strong>in</strong>anzkapitalistisch-monarchistischen<br />
Intrige anderer Länder ist - dann dürfen wir <strong>die</strong>se<br />
gegebene, konkrete Bewegung nicht unterstützen; es<br />
wäre aber lächerlich, aus <strong>die</strong>sem Grunde <strong>die</strong> Losung<br />
der Republik aus dem Programm der <strong>in</strong>ternationalen<br />
Sozialdemokratie h<strong>in</strong>auswerfen zu wollen. » 40<br />
49
Dritter Teil: Krieg und Revolution<br />
3.1. Krieg und Revolution<br />
Das Verhältnis von (imperialistischem) Krieg und<br />
(proletarischer) Revolution steht im Zentrum<br />
der len<strong>in</strong>istischen Erfahrung, und <strong>die</strong>s seit dem<br />
Russisch-Japanischen Krieg (1905) und dem<br />
Balkankrieg (1912-1913). <strong>Die</strong>ses Verhältnis<br />
ersche<strong>in</strong>t <strong>in</strong> zwei Formen:<br />
1. Der imperialistische Krieg ist, wenn nicht<br />
hauptsächlich, wenigstens teilweise e<strong>in</strong> Instrument<br />
der Konterrevolution. Auf der ideologischen Ebene<br />
werden <strong>die</strong> klassenkämpferischen Positionen und<br />
<strong>die</strong> E<strong>in</strong>heit der <strong>in</strong>ternationalen Arbeiterbewegung<br />
durch e<strong>in</strong>e nationalistische und chauv<strong>in</strong>istische<br />
Propaganda angegriffen. Konkret erlaubt es e<strong>in</strong><br />
Kriegszustand, politische und gewerkschaftliche<br />
Organisationen der Klasse zu zerstören.<br />
2. In e<strong>in</strong>em gegensätzlichen (aber dialektisch<br />
verbundenen) Mechanismus verschärft der<br />
imperialistische Krieg <strong>die</strong> Widersprüche durch <strong>die</strong><br />
Massaker, <strong>die</strong> Zwangsarbeit, <strong>die</strong> Misere und <strong>die</strong><br />
Zerstörung.<br />
<strong>Die</strong> <strong>in</strong>ternationale Arbeiterbewegung war auf<br />
den ersten Punkt konzentriert. Der Kampf gegen<br />
den Krieg war e<strong>in</strong> humanitärer Imperativ, aber<br />
für <strong>die</strong> Zweite Internationale auch erforderlich,<br />
um <strong>die</strong> «altbewährte Taktik» weiterzufahren, im<br />
Glauben, dass <strong>die</strong> Zeit, das Geschichtsbewusstse<strong>in</strong>,<br />
der historische Determ<strong>in</strong>ismus, <strong>die</strong> Entwicklung<br />
des Kapitalismus und se<strong>in</strong>er Widersprüche dem<br />
Sozialismus zuspielen würden. <strong>Die</strong> pazifistischen<br />
Fortschritte der Arbeiterbewegung schienen<br />
unaufhaltbar, und sie schienen den Frieden und<br />
damit <strong>die</strong> Gewissheit des Sieges aufrecht zu<br />
erhalten. Len<strong>in</strong> fiel aus dem Rahmen, als während<br />
des <strong>in</strong>ternationalen Kongresses <strong>in</strong> Stuttgart 1907<br />
<strong>die</strong> sozialdemokratischen Führer <strong>die</strong> Möglichkeiten<br />
zur Vermeidung des Krieges suchten. Er legte dar,<br />
dass man nicht ausschliesslich versuchen sollte,<br />
den Krieg zu verh<strong>in</strong>dern, sondern im Fall des<br />
Scheiterns <strong>die</strong> Krise, <strong>die</strong> durch den Krieg ausgelöst<br />
wird, dazu benutzen, <strong>die</strong> Bourgeoisie zu stürzen.<br />
Dadurch, dass Len<strong>in</strong> den Krieg als Katalysator<br />
der sozialen Widersprüche sah, hob er sich von<br />
denen ab, <strong>die</strong> den Krieg nur als Katastrophe für <strong>die</strong><br />
Arbeiterbewegung sahen. Len<strong>in</strong>s Änderungsantrag<br />
stiess <strong>die</strong> Rechte <strong>in</strong>nerhalb der Internationalen<br />
vor den Kopf. Bebel fürchtete, dass e<strong>in</strong>e solche<br />
revolutionäre Deklaration zu Prozessen führen<br />
würde, und so wurde sie «juristisch unangreifbar»<br />
formuliert, aber auch weniger klar.<br />
In der Theorie Len<strong>in</strong>s fördert der Krieg allerd<strong>in</strong>gs<br />
nicht zw<strong>in</strong>gend den revolutionären Prozess. Er hob<br />
sich von Radek und der deutschen L<strong>in</strong>ksextremen<br />
ab, welche <strong>die</strong> «Konvulsionen des Krieges» als den<br />
kürzesten Weg zur Revolution auffassten. Len<strong>in</strong><br />
glaubte, dass Kriege auf Grund der Entwicklung<br />
des Imperialismus unvermeidbar waren. Aber <strong>die</strong><br />
konkreten historischen Bed<strong>in</strong>gungen, <strong>die</strong> sehr<br />
schwierig zu durchschauen s<strong>in</strong>d, bestimmen,<br />
ob e<strong>in</strong> Krieg den Klassenkampf bremst oder<br />
beschleunigt. Der e<strong>in</strong>e Krieg verschärft <strong>die</strong><br />
revolutionären Widersprüche, der andere wirft<br />
<strong>die</strong> Arbeiterbewegung zurück. Für Len<strong>in</strong> war<br />
wichtig, dass im Krieg das Ziel der Revolution<br />
beibehalten wird und « daß man <strong>in</strong> den Massen<br />
das Bewußtse<strong>in</strong> der Notwendigkeit revolutionärer<br />
Aktionsmethoden <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit den Krisen, <strong>die</strong><br />
der Krieg unvermeidlich im Gefolge hat, entwickeln<br />
muß » 41 . In den Konferenzen von Zimmerwald und<br />
Kiental kämpfte er e<strong>in</strong>e doppelte Schlacht: gegen<br />
aussen gegen <strong>die</strong> Sozalchauv<strong>in</strong>isten, <strong>die</strong> sich mit<br />
ihrer Bourgeoisie vere<strong>in</strong>igt haben, und gegen <strong>in</strong>nen<br />
gegen <strong>die</strong>jenigen Zimmerwalder, <strong>die</strong> als e<strong>in</strong>ziges<br />
Ziel den Frieden hatten, den sofortigen Frieden<br />
ohne Annexionen. <strong>Die</strong>se pazifistische L<strong>in</strong>ie war <strong>in</strong><br />
Zimmerwald <strong>in</strong> der Mehrheit, sogar Clara Zetk<strong>in</strong><br />
und Angelica Balabanowa stimmten ihr zu 42 . <strong>Die</strong><br />
revolutionären Thesen von Len<strong>in</strong> vere<strong>in</strong>igten nur<br />
sieben oder acht der vierzig TeilnehmerInnen.<br />
Len<strong>in</strong> hatte nicht auf Zimmerwald gewartet, um<br />
den Pazifismus zu bemängeln: « Der Krieg ist ke<strong>in</strong><br />
Zufall, ke<strong>in</strong>e „Sünde», wie <strong>die</strong> christlichen Pfaffen<br />
glauben (<strong>die</strong> nicht schlechter als <strong>die</strong> Opportunisten<br />
Patriotismus, Humanität und Frieden predigen),<br />
er ist vielmehr e<strong>in</strong>e unvermeidliche Etappe des<br />
Kapitalismus, e<strong>in</strong>e ebenso gesetzmäßige Form des<br />
kapitalistischen Lebens wie der Frieden. Der Krieg<br />
unserer Tage ist e<strong>in</strong> Volkskrieg. Aus <strong>die</strong>ser Wahrheit<br />
folgt <strong>in</strong>des nicht, daß man mit dem „Volks»strom<br />
des Chauv<strong>in</strong>ismus schwimmen soll, sondern daß <strong>die</strong><br />
Klassengegensätze, von denen <strong>die</strong> Völker zerfleischt<br />
werden, auch zur Kriegszeit, auch im Krieg und dem<br />
Krieg angepaßt, fortbestehen und <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung<br />
treten werden. Kriegs<strong>die</strong>nstverweigerung, Streik<br />
51
gegen den Krieg usw. ist e<strong>in</strong>fach e<strong>in</strong>e Dummheit, e<strong>in</strong><br />
jämmerlicher und feiger Traum von unbewaffnetem<br />
Kampf gegen <strong>die</strong> bewaffnete Bourgeoisie, e<strong>in</strong> Seufzen<br />
nach Beseitigung des Kapitalismus ohne erbitterten<br />
Bürgerkrieg oder e<strong>in</strong>e Reihe solcher Kriege. <strong>Die</strong><br />
Propaganda des Klassenkampfes bleibt auch im<br />
Heer Pflicht der Sozialisten; <strong>die</strong> Arbeit, <strong>die</strong> auf <strong>die</strong><br />
Umwandlung des Völkerkrieges <strong>in</strong> den Bürgerkrieg<br />
abzielt, ist <strong>in</strong> der Epoche des imperialistischen<br />
bewaffneten Zusammenpralls der Bourgeoisie aller<br />
Nationen <strong>die</strong> e<strong>in</strong>zige sozialistische Arbeit. Nieder mit<br />
dem pfäffisch-sentimentalen und törichten Seufzen<br />
nach „Frieden um jeden Preis»! Entrollen wir das<br />
Banner des Bürgerkriegs!» 43<br />
3.2. Kautskys Der Weg zur Macht<br />
Len<strong>in</strong> war angewidert von Kautskys grundlegender<br />
Kehrtwende beim Ausbruch des Weltkrieges.<br />
<strong>Die</strong> Resolution von Stuttgart 1907, <strong>die</strong> 1910 <strong>in</strong><br />
Kopenhagen und 1912 <strong>in</strong> Basel bestätigt wurde,<br />
gibt den SozialistInnen den folgenden Auftrag:<br />
« Falls der Krieg dennoch ausbrechen sollte, ist es <strong>die</strong><br />
Pflicht, für dessen rasche Beendigung e<strong>in</strong>zutreten<br />
und mit allen Kräften dah<strong>in</strong> zu streben, <strong>die</strong> durch den<br />
Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische<br />
Krise zur Aufrüttelung des Volkes auszunutzen<br />
und dadurch <strong>die</strong> Beseitigung der kapitalistischen<br />
Klassenherrschaft zu beschleunigen» 44 . Nun aber<br />
schrieb Kautsky <strong>in</strong> <strong>Die</strong> Neue Zeit vom 2. Oktober<br />
1914: « Kommt es trotz aller Bemühungen der<br />
Sozialdemokratie darob zu e<strong>in</strong>em Kriege, dann muss<br />
sich eben jede Nation ihrer Haut wehren, so gut sie<br />
kann. Daraus folgt für <strong>die</strong> Sozialdemokraten aller<br />
Nationen das gleiche Recht oder <strong>die</strong> gleiche Pflicht,<br />
an <strong>die</strong>ser Verteidigung teilzu<strong>nehmen</strong>, ke<strong>in</strong>e darf der<br />
anderen daraus e<strong>in</strong>en Vorwurf machen. » 45 Kurz:<br />
Proletarier aller Länder, tötet euch...<br />
<strong>Die</strong> aussergewöhnliche Fe<strong>in</strong>dschaft gegen «den<br />
Renegat Kautsky» erklärt sich aus der Rolle, <strong>die</strong><br />
Kautsky vordem bei der Def<strong>in</strong>ition der proletarischen<br />
Politik gegenüber dem Krieg spielte 46 : 1887 hatte<br />
Kautsky <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Artikel <strong>in</strong> der Neuen Zeit mit dem<br />
Titel <strong>Die</strong> moderne Nationalität zur nationalen Frage<br />
und der Verb<strong>in</strong>dung zur sozialen Frage geschrieben.<br />
Kautsky kam verschiedentlich auf <strong>die</strong>se Fragen<br />
zurück (vor allem 1886 und 1905). 1907, als der<br />
Krieg anlässlich der marokkanischen Krise 47 bereits<br />
drohte, veröffentlichte er e<strong>in</strong>e Broschüre mit dem<br />
Titel Patriotismus und Sozialdemokratie 48 , <strong>in</strong> der<br />
er jede « Union Sacrée » zwischen Proletariat und<br />
Bourgeoisie ablehnt: « <strong>Die</strong> heutigen Gegensätze der<br />
Staaten können ke<strong>in</strong>en Krieg mehr br<strong>in</strong>gen, dem der<br />
proletarische Patriotismus nicht aufs entschiedenste<br />
zu widerstreben hätte».<br />
1909 behandelte Kautsky selbst <strong>die</strong> Frage der<br />
Beziehung Krieg-Revolution <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Werk,<br />
worauf Len<strong>in</strong> h<strong>in</strong>wies 49 : Der Weg zur Macht. <strong>Die</strong>se<br />
Broschüre bleibt seit ihrem Ersche<strong>in</strong>en e<strong>in</strong> zentraler<br />
Bezugspunkt Len<strong>in</strong>s – und hört nie auf, es zu se<strong>in</strong>.<br />
Und wenn Len<strong>in</strong> im Oktober 1914 an Schliapnikow<br />
schreibt: « Kautsky hasse und verachte ich jetzt<br />
am allermeisten: das ist dreckige, lumpige und<br />
selbstzufriedene Heuchelei.» 50 , schreibt er ihm vier<br />
Tage später: «Besorgen Sie sich unbed<strong>in</strong>gt Kautskys<br />
„Weg zur Macht» und lesen Sie es noch e<strong>in</strong>mal (oder<br />
bitten Sie jemand, es Ihnen zu übersetzen) - was hat<br />
er dort über <strong>die</strong> Revolution unserer Zeit geschrieben!!<br />
Und jetzt - welche Geme<strong>in</strong>heit von ihm, das alles zu<br />
widerrufen!» 51<br />
Kautsky berücksichtigte drei Fälle, <strong>in</strong> denen der<br />
Krieg e<strong>in</strong>e Revolution auslösen könnte:<br />
1. Wenn e<strong>in</strong> Land, das im Krieg unterliegt, alle<br />
nationalen Kräfte mobilisieren will und deshalb das<br />
Proletariat an <strong>die</strong> Macht beruft;<br />
2. Wenn <strong>die</strong> besiegte Armee, nach grossen Opfern,<br />
sich gegen <strong>die</strong> eigene Regierung stellt und das Volk<br />
e<strong>in</strong>en Aufstand macht, um dem desaströsen Kriege<br />
e<strong>in</strong> Ende zu setzen;<br />
3. Wenn <strong>die</strong> Armee und das Volk sich gegen <strong>die</strong><br />
Regierung erheben, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>en schmachvollen<br />
Frieden unterzeichnet hat.<br />
Nach Kautsky g<strong>in</strong>gen Europa und <strong>die</strong> ganze<br />
Welt, nach e<strong>in</strong>er Generation von Stabilität und<br />
Fortschritt, auf e<strong>in</strong>e neue Epoche von Kriegen<br />
und Revolutionen zu, <strong>die</strong> e<strong>in</strong> nie gesehenes<br />
Ausmass an<strong>nehmen</strong> sollten (wegen der weltweiten<br />
Dimension der technologischen Fortschritte<br />
und der neuen Kommunikationsmöglichkeiten).<br />
<strong>Die</strong>se Umwälzungen würden sowohl sozialistische<br />
Revolutionen <strong>in</strong> Europa als auch demokratische<br />
Revolutionen und nationale Befreiungskriege<br />
<strong>in</strong> beherrschten Ländern hervorrufen. <strong>Die</strong>ser<br />
Übergang von e<strong>in</strong>er nicht-revolutionären zu e<strong>in</strong>er<br />
revolutionären Situation würde neue radikale<br />
Taktiken erfordern. In <strong>die</strong>sem S<strong>in</strong>ne wäre <strong>in</strong> der<br />
Zuspitzung der Klassenantagonismen, wenn sich<br />
<strong>die</strong> Aktualität der sozialistischen Revolutionen<br />
zeigt, jede Klassenzusammenarbeit e<strong>in</strong> politischer<br />
Suizid: « Es heisst der Sozialdemokratie politischen<br />
Selbstmord zumuten, wenn man von ihr gerade jetzt<br />
<strong>die</strong> Teilnahme an e<strong>in</strong>er Koalitions-, e<strong>in</strong>er Blockpolitik<br />
verlangt, wo das Wort von der ‚reaktionären Masse‘ 52<br />
zur Wahrheit geworden ist. Es heisst, von der<br />
Sozialdemokratie moralischen Selbstmord verlangen,<br />
wenn man will, sie solle sich durch e<strong>in</strong>e Blockpolitik<br />
mit bürgerlichen Parteien verb<strong>in</strong>den, eben jetzt, wo<br />
<strong>die</strong>se sich prostituiert und aufs tiefste kompromittiert<br />
haben; (...)» 53<br />
Das Zusammenspiel der sozialistischen<br />
und demokratischen (anti-absolutistischen)<br />
Revolutionen, der nationalen und<br />
antikolonialistischen Befreiungskriege bedeutet<br />
<strong>die</strong> Zurückweisung vere<strong>in</strong>fachender Modelle,<br />
wonach <strong>die</strong> «fortgeschrittenen» Länder den<br />
«zurückgebliebenen» den Weg zeigen. Kautsky<br />
beschreibt, dass <strong>in</strong> Russland und <strong>in</strong> den beherrschten<br />
orientalischen Ländern <strong>die</strong>se Zusammenarbeit der<br />
verschiedenen Formen der Revolutionen neue<br />
Möglichkeiten eröffnen könnten .54<br />
<strong>Die</strong> SPD war soweit vom Opportunismus verm<strong>in</strong>t,<br />
dass <strong>die</strong> erste Version <strong>die</strong>ser Broschüre von Kautsky<br />
auf Bebels Befehl dem Reisswolf übergeben wurde,<br />
weil dar<strong>in</strong> betont wurde, dass « Niemand naiv genug<br />
sei zu behaupten, dass wir friedlich und unmerklich<br />
vom militarisierten Staat zur Demokratie übergehen<br />
werden». Kautsky akzeptierte, se<strong>in</strong>e Broschüre<br />
umzuschreiben und alles zu streichen, das e<strong>in</strong>en<br />
Prozess provozieren könnte, aber sie bewahrte<br />
den revolutionären Charakter.: « Darum sei hier<br />
nochmals, wie so oft schon früher, darauf aufmerksam<br />
gemacht, dass es sich nicht etwa darum handelt,<br />
ob Arbeiterschutzgesetze und sonstige Gesetze im<br />
Interesse des Proletariats, ob Gewerkschaften und<br />
Genossenschaften notwendig und nützlich s<strong>in</strong>d oder<br />
nicht. Darüber gibt es nicht zweierlei Me<strong>in</strong>ungen<br />
unter uns. Bestritten wird bloss <strong>die</strong> Anschauung,<br />
als könnten <strong>die</strong> ausbeutenden Klassen, <strong>die</strong> über <strong>die</strong><br />
Staatsgewalt verfügen, e<strong>in</strong>e solche Entwickelung<br />
<strong>die</strong>ser Faktoren zulassen, dass sie e<strong>in</strong>e Befreiung vom<br />
kapitalistischen Druck bedeuteten, ohne vorher mit<br />
allen Machtmitteln solchen Widerstand zu leisten,<br />
dass er nur durch e<strong>in</strong>en Entscheidungskampf beseitigt<br />
werden könnte» 55<br />
Kurz, wie Len<strong>in</strong> zusammenfasst: « Und Kautsky<br />
brachte 1909 <strong>die</strong> unbestrittene Ansicht aller<br />
revolutionären Sozialdemokraten zum Ausdruck,<br />
als er sagte, daß von e<strong>in</strong>er vorzeitigen Revolution <strong>in</strong><br />
Europa nun nicht mehr <strong>die</strong> Rede se<strong>in</strong> könne und daß<br />
der Krieg <strong>die</strong> Revolution bedeute. » 56<br />
3.3. <strong>Die</strong> Umwandlung des imperialistischen<br />
Krieges <strong>in</strong> den revolutionären<br />
Der Ausbruch des ersten Weltkrieges ist tatsächlich<br />
e<strong>in</strong> Schlag für <strong>die</strong> Arbeiterbewegung. Im Juli<br />
1914 gab es <strong>in</strong> Russland politische Streiks mit<br />
aufständischen Demonstrationen, <strong>die</strong> bei der<br />
Kriegserklärung e<strong>in</strong>en Monat später zerschlagen<br />
wurden. <strong>Die</strong> bolschewistischen Abgeordneten, <strong>die</strong><br />
<strong>in</strong> der Duma gegen <strong>die</strong> Kriegskredite gestimmt<br />
hatten, wurden nach Sibirien deportiert und <strong>die</strong><br />
meisten Fabriken wurden unter <strong>die</strong> Kontrolle und<br />
Überwachung der Armee gestellt. Alle sozialen<br />
Rechte, <strong>die</strong> während des grossen Kampfes seit dem<br />
Beg<strong>in</strong>n des Jahrhunderts erkämpft worden waren,<br />
wurden während des Konflikts „suspen<strong>die</strong>rt “57 .<br />
Dennoch verwendete sich Len<strong>in</strong>, der sich sicher<br />
war, dass <strong>die</strong> reaktionäre Propaganda wegen der<br />
Misere des Krieges wirkungslos werden würde, ab<br />
dem Sommer 1914, mitten <strong>in</strong> der chauv<strong>in</strong>istischen<br />
Hysterie dafür, den „imperialistischen Krieg <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>en Bürgerkrieg“ umzuwandeln.<br />
Georges Haupt bemerkt, dass das Studium der<br />
Schriften von Len<strong>in</strong> schwierig sei, da sie <strong>die</strong><br />
Notwendigkeit der revolutionären Pädagogik<br />
mit der von taktischen Manövern vermischt 58.<br />
Haupt behauptet zum Beispiel, dass <strong>die</strong> Losung<br />
„den imperialistischen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Bürgerkrieg<br />
umwandeln“ se<strong>in</strong>e Bedeutung im Verlauf des<br />
Krieges verändert habe. Von der e<strong>in</strong>fachen<br />
Bekräftigung der revolutionären Pr<strong>in</strong>zipien<br />
gegenüber der opportunistischen Zweiten<br />
Internationalen und gegenüber den Menschewiki<br />
ohne reale Möglichkeit der Umsetzung 1914, über<br />
<strong>die</strong> eventuell realisierbare Möglichkeit zur Zeit der<br />
Konferenzen von Zimmerwald und Kiental h<strong>in</strong><br />
zum konkreten unmittelbaren Ziel 1917.<br />
<strong>Die</strong>se These von Haupt ist zu bezweifeln. Ab 1914<br />
gab Len<strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Losung e<strong>in</strong>en konkreten Inhalt.<br />
Er wusste, dass <strong>die</strong> Zeit des Bürgerkrieges noch<br />
nicht gekommen war, aber es war mehr als e<strong>in</strong>e<br />
Bekräftigung der Pr<strong>in</strong>zipien. Es war e<strong>in</strong> konkretes<br />
Ziel, das e<strong>in</strong>e konkrete Organisation und konkrete<br />
Aktionen brauchte und e<strong>in</strong>e « allseitige, sowohl unter<br />
den Truppen als auch auf den Kriegsschauplätzen zu<br />
treibende Propaganda für <strong>die</strong> sozialistische Revolution<br />
und für das Gebot, <strong>die</strong> Waffen nicht gegen <strong>die</strong> eigenen<br />
Brüder, <strong>die</strong> Lohnsklaven anderer Länder, zu richten,<br />
sondern gegen <strong>die</strong> reaktionären und bürgerlichen<br />
Regierungen und Parteien <strong>in</strong> allen Ländern. Es ist<br />
unbed<strong>in</strong>gt notwendig, für e<strong>in</strong>e solche Propaganda <strong>in</strong><br />
allen Sprachen illegale Zellen und Gruppen <strong>in</strong> den<br />
Armeen aller Nationen zu organisieren. Gegen den<br />
Chauv<strong>in</strong>ismus und „Patriotismus» der Kle<strong>in</strong>bürger<br />
und Bourgeois ist <strong>in</strong> ausnahmslos allen Ländern e<strong>in</strong><br />
schonungsloser Kampf zu führen. Gegen <strong>die</strong> Führer<br />
der jetzigen Internationale, <strong>die</strong> den Sozialismus<br />
verraten haben, muss unbed<strong>in</strong>gt an das revolutionäre<br />
Klassenbewusstse<strong>in</strong> der Arbeitermassen appelliert<br />
werden, <strong>die</strong> alle Last des Krieges tragen und dem<br />
Opportunismus und Chauv<strong>in</strong>ismus zumeist<br />
fe<strong>in</strong>dselig gegenüberstehen. » 59<br />
52<br />
53
In Wahrheit handelte es sich seit dem ersten<br />
Moment um e<strong>in</strong> strategisches Projekt. <strong>Die</strong>ses war<br />
auf der Theorie der subjektiven und objektiven<br />
Bed<strong>in</strong>gungen begründet (so wie sie waren und wo<br />
und wie sie sich entwickeln sollten), aber auch,<br />
was Haupt nicht beachtete, auf den historischen<br />
Vorläufern der Pariser Kommune und der<br />
Revolution von 1905. <strong>Die</strong>se beiden grossen<br />
Erfahrungen von revolutionären Bürgerkriegen, auf<br />
<strong>die</strong> sich Len<strong>in</strong> so oft bezog, waren beide aus e<strong>in</strong>em<br />
imperialistischen Krieg entstanden: dem deutschfranzösischen<br />
Kriege von 1870 und dem Russisch-<br />
Japanischen Krieg von 1905.<br />
Len<strong>in</strong> erwägt <strong>die</strong> Perspektive der Umwandlung des<br />
imperialistischen Krieges <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Bürgerkrieg ab<br />
1914 sehr konkret: « <strong>Die</strong> Bourgeoisie betrügt <strong>die</strong><br />
Massen, <strong>in</strong>dem sie den imperialistischen Raubzug mit<br />
der alten Ideologie des „nationalen Krieges» verbrämt.<br />
Das Proletariat entlarvt <strong>die</strong>sen Betrug und verkündet<br />
<strong>die</strong> Losung der Umwandlung des imperialistischen<br />
Krieges <strong>in</strong> den Bürgerkrieg. Eben <strong>die</strong>se Losung war <strong>in</strong><br />
der Stuttgarter und der Basler Resolution vorgesehen,<br />
<strong>die</strong> nicht e<strong>in</strong>en Krieg schlechth<strong>in</strong>, sondern gerade den<br />
gegenwärtigen Krieg voraussahen und <strong>die</strong> nicht von<br />
der „Verteidigung des Vaterlandes» sprachen, sondern<br />
davon, dass man „<strong>die</strong> Beseitigung der kapitalistischen<br />
Klassenherrschaft beschleunigen», zu <strong>die</strong>sem Zweck<br />
<strong>die</strong> durch den Krieg herbeigeführte Krise ausnutzen<br />
und dem Beispiel der Kommune folgen müsse. <strong>Die</strong><br />
Kommune war <strong>die</strong> Umwandlung e<strong>in</strong>es Völkerkrieges<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Bürgerkrieg. E<strong>in</strong>e solche Umwandlung ist<br />
natürlich nicht leicht und kann nicht „auf Wunsch»<br />
e<strong>in</strong>zelner Parteien vollzogen werden. Aber gerade<br />
<strong>die</strong>se Umwandlung entspricht den objektiven<br />
Bed<strong>in</strong>gungen des Kapitalismus im allgeme<strong>in</strong>en und<br />
se<strong>in</strong>er Endepoche im besonderen. In <strong>die</strong>ser und nur <strong>in</strong><br />
<strong>die</strong>ser Richtung haben <strong>die</strong> Sozialisten zu wirken. Nicht<br />
für Kriegskredite stimmen, nicht dem Chauv<strong>in</strong>ismus<br />
des „eigenen» Landes (und der verbündeten Länder)<br />
Vorschub leisten, sondern <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie gegen den<br />
Chauv<strong>in</strong>ismus der „eigenen» Bourgeoisie kämpfen;<br />
sich nicht auf legale Kampfesformen beschränken,<br />
nachdem <strong>die</strong> Krise begonnen und <strong>die</strong> Bourgeoisie <strong>die</strong><br />
von ihr geschaffene Legalität selbst aufgehoben hat -<br />
das ist <strong>die</strong> L<strong>in</strong>ie der Arbeit, <strong>die</strong> auf den Bürgerkrieg<br />
abzielt und <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem oder jenem Zeitpunkt des<br />
europäischen Brandes zu ihm führen wird.» 60<br />
Es ist offensichtlich, dass es nicht darum geht, sich auf<br />
<strong>die</strong> Eventualität e<strong>in</strong>es Bürgerkrieges vorzubereiten,<br />
sondern dass es darum geht e<strong>in</strong>e Aktionsl<strong>in</strong>ie zu<br />
verfolgen, <strong>die</strong> darauf zusteuert. In <strong>die</strong>sem Rahmen<br />
bleibt Len<strong>in</strong>s Gedankengut realistisch: Es lauert auf<br />
54<br />
Entwicklungen, Gegenschläge, Überhitzung von<br />
Prozessen sowie deren konkreten Manifestationen.<br />
Er stellt zum Beispiel e<strong>in</strong> Ereignis fest, das im<br />
Russisch-Japanischen Krieg 1905 noch unbekannt<br />
war: <strong>die</strong> Verbrüderung <strong>in</strong> den Schützengräben: «<br />
Es ist klar, daß [<strong>die</strong> Verbrüderung] das brüderliche<br />
Vertrauen zwischen den Arbeitern der verschiedenen<br />
Länder fördert, stärkt und festigt. Es ist klar, daß<br />
<strong>die</strong>ser Weg <strong>die</strong> verdammte Zuchthausdiszipl<strong>in</strong> des<br />
Kasernenhofes zu brechen beg<strong>in</strong>nt, <strong>die</strong> Diszipl<strong>in</strong><br />
des Kadavergehorsams der Soldaten gegenüber<br />
„ihren» Offizieren und Generalen, gegenüber ihren<br />
Kapitalisten (denn <strong>die</strong> Offiziere und Generale<br />
gehören größtenteils zur Kapitalistenklasse, oder<br />
aber sie vertreten deren Interessen). Es ist klar, daß<br />
<strong>die</strong> Verbrüderung <strong>die</strong> revolutionäre Initiative der<br />
Massen verkörpert, das Erwachen des Gewissens,<br />
der Vernunft, der Kühnheit der unterdrückten<br />
Klassen, daß sie, mit anderen Worten, e<strong>in</strong> Glied<br />
ist <strong>in</strong> der Kette der Schritte zur sozialistischen,<br />
proletarischen Revolution. (...)Aber das genügt<br />
noch nicht. Es ist notwendig, daß <strong>die</strong> Soldaten<br />
jetzt zu e<strong>in</strong>er Verbrüderung übergehen, bei der e<strong>in</strong><br />
klares politisches Programm besprochen wird. (...)In<br />
unserem Aufruf an <strong>die</strong> Soldaten aller kriegführenden<br />
Länder haben wir denn auch unser Programm der<br />
Arbeiterrevolution <strong>in</strong> allen Ländern dargelegt:<br />
Übergang der gesamten Staatsmacht an <strong>die</strong> Sowjets<br />
der Arbeiter- und Soldatendeputierten. Genossen<br />
Soldaten! Besprecht <strong>die</strong>ses Programm <strong>in</strong> eurem Kreis<br />
und zusammen mit den deutschen Soldaten! » 61<br />
Und Len<strong>in</strong> setzt sich dafür e<strong>in</strong>, « daß Aufrufe <strong>in</strong><br />
russischer Sprache herausgegeben, <strong>in</strong>s Deutsche<br />
übersetzt und an der Front verbreitet werden; zweitens,<br />
daß mit Hilfe von Übersetzern Meet<strong>in</strong>gs russischer<br />
und deutscher Soldaten an der Front veranstaltet<br />
werden» etc. 62 . <strong>Die</strong> Bolschewiki werden massenhaft<br />
e<strong>in</strong>e Prawda der Schützengräben (Okopnaja Pravda)<br />
herausgeben, <strong>die</strong> zur Verbrüderung aufruft.<br />
<strong>Die</strong> Taktik und <strong>die</strong> Ideologie bei Len<strong>in</strong> zu entflechten<br />
ist fast unmöglich, da er <strong>die</strong> Kunst, Theorie und<br />
Praxis <strong>in</strong> e<strong>in</strong> dialektisches Verhältnis zu setzen,<br />
zum Höchsten getrieben hat und <strong>die</strong>se Dialektik <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>e flexible, da solide, und e<strong>in</strong>e solide, da flexible<br />
Strategie synthetisiert und sie für <strong>die</strong> Polemik,<br />
<strong>die</strong> Agitation und <strong>die</strong> Propaganda formuliert hat.<br />
Wenn man <strong>die</strong> Tiefe und <strong>die</strong> Reichhaltigkeit von<br />
Len<strong>in</strong>s Dialektik nicht versteht, kann e<strong>in</strong>em Len<strong>in</strong><br />
entweder als stumpfs<strong>in</strong>niger Ideologe ersche<strong>in</strong>en,<br />
der ungeschickt am Jahrhundert herumschnippelt,<br />
um es se<strong>in</strong>em Ideal anzugleichen, oder als e<strong>in</strong><br />
absoluten Empirist, der unablässig se<strong>in</strong>e L<strong>in</strong>ie und<br />
se<strong>in</strong>en Diskurs ändert, sobald es se<strong>in</strong>en Zielen zu<br />
<strong>die</strong>nen sche<strong>in</strong>t.<br />
Soldaten beobachten 1919 von den Dächern Berl<strong>in</strong>s den Spartakusaufstand<br />
55
Vierter Teil:Der revolutionäre Krieg<br />
4.1. Der Aufstand<br />
Das Interesse Len<strong>in</strong>s an militärischen Fragen war<br />
natürlich auch mit der militärischen Dimension<br />
des revolutionären Kampfes verbunden. Ab Januar<br />
1905, also vor der Aufstandswelle, begannen<br />
<strong>die</strong> Bolschewiki, e<strong>in</strong>e bewaffnete Organisation<br />
aufzubauen. Am zweiten Londoner Kongress (12.-<br />
27. April 1905) wurde e<strong>in</strong> militär-technisches Büro<br />
e<strong>in</strong>gerichtet, das dem Zentralkomitee nahe stand,<br />
und <strong>die</strong> lokalen Komitees wurden dazu angehalten,<br />
e<strong>in</strong>en Aufstandsplan auszuarbeiten und sich darauf<br />
vorzubereiten.<br />
<strong>Die</strong> Aufstandswelle von 1905 überraschte <strong>die</strong><br />
SDAPR, <strong>die</strong> ke<strong>in</strong>en eigentlichen militärischen Arm<br />
hatte und ke<strong>in</strong>e andere Doktr<strong>in</strong> als Engels‘ Schriften<br />
über den Aufstand. Das militär-technische Büro<br />
beteiligte sich beim Anheben des Niveaus des<br />
revolutionären Kampfes der Massen, <strong>in</strong>dem es<br />
Informationskampagnen, Aktionen gegen Führer<br />
und Kräfte des Regimes und Enteignungen für<br />
<strong>die</strong> F<strong>in</strong>anzierung durchführte. Aber <strong>die</strong> Kräfte<br />
und <strong>die</strong> Auswirkungen waren ungenügend. <strong>Die</strong><br />
Bolschewiki – und Len<strong>in</strong> im Besonderen – zogen<br />
sofort Lehren aus den Erfahrungen, um <strong>die</strong><br />
Effizienz ihrer Kampfgruppen zu steigern. Im<br />
Oktober schrieb Len<strong>in</strong> an <strong>die</strong> Kampforganisation:<br />
« Ich sehe mit Entsetzen, wahrhaftig mit Entsetzen,<br />
daß man schon länger als e<strong>in</strong> halbes Jahr von<br />
Bomben spricht und noch ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige hergestellt<br />
hat! (...) Geht zur Jugend. Gründet sofort<br />
Kampfgruppen, überall und allerorts, sowohl bei<br />
den Studenten als auch besonders bei den Arbeitern<br />
usw. usf. Trupps von 3 bis 10, bis zu 30 usw. Mann<br />
sollen sich unverzüglich formieren. Sie sollen sich<br />
unverzüglich selber bewaffnen, so gut jeder kann, mit<br />
Revolvern, Messern, petroleumgetränkten Lappen,<br />
um Feuer anzulegen usw. <strong>Die</strong>se Kampfabteilungen<br />
sollen sich unverzüglich Führer wählen und sich<br />
nach Möglichkeit mit dem Kampfausschuß des<br />
Petersburger Komitees <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung setzen.<br />
Verlangt ke<strong>in</strong>erlei Formalitäten, pfeift um Himmels<br />
willen auf alle Schemas, schickt um Gottes willen alle<br />
„Funktionen, Rechte und Privilegien» zum Teufel.<br />
Besteht nicht auf dem Beitritt zur SDAPR — das<br />
wäre für den bewaffneten Aufstand e<strong>in</strong>e absurde<br />
Forderung. Weigert euch nicht, mit jedem Zirkel <strong>in</strong><br />
Verb<strong>in</strong>dung zu treten, auch wenn er nur aus drei<br />
Personen besteht, unter der e<strong>in</strong>zigen Bed<strong>in</strong>gung, daß<br />
er <strong>in</strong> bezug auf <strong>die</strong> Polizei unverdächtig und bereit ist,<br />
gegen <strong>die</strong> zaristischen Truppen zu kämpfen.» 63<br />
In ihren Memoiren beschreibt N. K. Krupskaia den<br />
Fleiss, den Len<strong>in</strong> <strong>in</strong>s Studium der militärischen<br />
Kunst steckte: « Er beschäftigte sich mit <strong>die</strong>sem Zweig<br />
viel mehr als man weiss, und se<strong>in</strong>e Gespräche über<br />
<strong>die</strong> Stosstrupps während des Partisanenkriegs, über<br />
« Fünfer- und Zehnergruppen hatten nichts geme<strong>in</strong>sam<br />
mit dem Geschwätz e<strong>in</strong>es Laien, sondern enthüllten<br />
e<strong>in</strong>en <strong>in</strong> allen Details durchdachten Plan.» 64 . Im Januar<br />
1905 hatte Len<strong>in</strong> wieder den Artikel von Marx über<br />
den Aufstand gelesen und das Kapitel von Cluserets<br />
(dem General der Pariser Kommune) Memoiren über<br />
<strong>die</strong> Strassenkämpfe übersetzt. <strong>Die</strong> Memoiren von<br />
Cluseret wurden <strong>in</strong> Wperiod (Vorwärts) mit e<strong>in</strong>er<br />
E<strong>in</strong>leitung und e<strong>in</strong>er biographischen Notiz von Len<strong>in</strong><br />
veröffentlicht » 65 .<br />
Am 5. Dezember beschloss <strong>die</strong> bolschewistische<br />
Konferenz von Moskau e<strong>in</strong>stimmig, den aufständischen<br />
Generalstreik auszurufen, gefolgt am 7. Dezember<br />
vom Moskauer Sowjet (mit bolschewistischer<br />
Mehrheit). Der Streik und <strong>die</strong> Demonstrationen<br />
führten zur bewaffneten Konfrontation, aber der<br />
Rat der Koalitionen der Kampfgruppen 66 , wo <strong>die</strong><br />
Bolschewisten <strong>die</strong> M<strong>in</strong>derheit darstellten, erwies<br />
sich als unfähig, <strong>die</strong> Führung des Aufstands zu<br />
über<strong>nehmen</strong>. <strong>Die</strong> Moskauer Arbeiter widerstanden,<br />
aber es waren nur 8000 militärisch organisiert. <strong>Die</strong><br />
SDAPR versuchte mit allen Mitteln den Aufstand zu<br />
unterstützen (vor allem <strong>in</strong>dem sie Züge aufzuhalten<br />
versucht, <strong>die</strong> Truppen nach Moskau br<strong>in</strong>gen67) aber<br />
am 18. Dezember fiel das Quartier Presnia im Osten<br />
Moskaus, wo sich <strong>die</strong> letzten Kämpfer verschanzt<br />
hatten.<br />
<strong>Die</strong> Menschewiki (z.B. Plechanow) zogen aus dem<br />
Absterben der revolutionären Bewegung 1905<br />
und vor allem aus dem Aufstand <strong>in</strong> Moskau ihren<br />
Schluss, dass es e<strong>in</strong> „taktischer Wahns<strong>in</strong>n“ und<br />
e<strong>in</strong>e „unglaubliche Leichts<strong>in</strong>nigkeit“ war 68 . <strong>Die</strong><br />
Bolschewiki erklärten auch nach den Niederlagen von<br />
Moskau, Donezk und Rostow, dass das Problem e<strong>in</strong><br />
Mangel an Kräften, an organisatorischer, militärischer<br />
und theoretischer Vorbereitung war: « Es gibt somit<br />
nichts Kurzsichtigeres als <strong>die</strong> von allen Opportunisten
aufgegriffene Ansicht Plechanows, es hätte ke<strong>in</strong>en<br />
S<strong>in</strong>n gehabt, den unzeitgemäßen Streik zu beg<strong>in</strong>nen,<br />
„man hätte nicht zu den Waffen greifen sollen». Im<br />
Gegenteil, man hätte entschlossener, energischer<br />
und offensiver zu den Waffen greifen, hätte den<br />
Massen <strong>die</strong> Unmöglichkeit e<strong>in</strong>es bloß friedlichen<br />
Streiks und <strong>die</strong> Notwendigkeit e<strong>in</strong>es furchtlosen und<br />
schonungslosen bewaffneten Kampfes klarmachen<br />
müssen. Wir müssen jetzt endlich offen und allen<br />
vernehmlich erklären, daß <strong>die</strong> politischen Streiks<br />
unzureichend s<strong>in</strong>d, müssen <strong>in</strong> den breitesten Massen<br />
für den bewaffneten Aufstand agitieren, ohne <strong>die</strong>se<br />
Frage durch irgendwelche „Vorstufen» zu vertuschen,<br />
ohne sie durch irgend etwas zu verschleiern. Den<br />
Massen <strong>die</strong> Notwendigkeit e<strong>in</strong>es erbitterten, blutigen,<br />
vernichtenden Krieges als unmittelbare Aufgabe der<br />
bevorstehenden Aktion verhehlen heißt sich selbst<br />
und das Volk betrügen. » 69<br />
Len<strong>in</strong> zieht daraus auch taktische Lektionen, <strong>die</strong><br />
Kautskys <strong>in</strong> <strong>Die</strong> Chancen der russischen Revolution<br />
skizziert. Dass <strong>die</strong> Aufständischen <strong>in</strong> Moskau<br />
den Elitetruppen des Regimes e<strong>in</strong>en derartigen<br />
Widerstand entgegensetzen konnte, zeigte, dass <strong>die</strong><br />
Verurteilung der Barrikadenkämpfe durch Engels<br />
überdacht werden musste. Es war e<strong>in</strong>e bestimmte<br />
Barrikadentaktik, <strong>die</strong> durch das Aufkommen von<br />
Kanonen unmöglich wurde. Mit der Erfahrung von<br />
Moskau konnte aber e<strong>in</strong>e neue Taktik entwickelt<br />
werden.<br />
<strong>Die</strong> gelernte Lektionen führten schrittweise zur<br />
aufständischen Doktr<strong>in</strong>, <strong>die</strong> im Oktober 1917 <strong>in</strong><br />
Praxis umgesetzt wurde. <strong>Die</strong>se Doktr<strong>in</strong> berief sich<br />
nicht mehr auf Barrikadenkämpfe und spontanen<br />
Massendemonstrationen, sondern auf offensive<br />
Aktionen, <strong>die</strong> abgestimmt und geplant waren,<br />
auf tra<strong>in</strong>ierte und diszipl<strong>in</strong>ierte E<strong>in</strong>heiten von<br />
bewaffneten Arbeitern 70 , auf <strong>die</strong> Beherrschung<br />
von militärischen Techniken 71 und auf<br />
Zermürbungsarbeit gegen <strong>die</strong> bürgerliche Armee<br />
durch Agitation und Propaganda 72 . <strong>Die</strong> Doktr<strong>in</strong><br />
stützte sich endlich auf e<strong>in</strong>e präzise aktuelle Analyse<br />
der subjektiven und objektiven Bed<strong>in</strong>gungen:<br />
politische Systemkrise, Unzufriedenheit der<br />
Massen, Existenz e<strong>in</strong>er anerkannten revolutionären<br />
Avantgarde und Unterstützung der Bauern für<br />
<strong>die</strong> proletarische Revolution. <strong>Die</strong> Doktr<strong>in</strong> bed<strong>in</strong>gt<br />
e<strong>in</strong>e lange Arbeit <strong>in</strong> Vorbereitung, Vergrösserung<br />
und Qualifizierung der militärischen Kräfte. Der<br />
schliesslichen Umsetzung g<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>e lange politischmilitärische<br />
Phase voraus, <strong>die</strong> von Len<strong>in</strong> <strong>in</strong> Der<br />
Partisanenkrieg analysiert wurde. <strong>Die</strong>se Doktr<strong>in</strong><br />
schreibt dem bewaffneten Kampf drei Rollen zu:<br />
e<strong>in</strong>e subjektive Rolle der politischen Mobilisierung<br />
der Mitglieder und der Massen, e<strong>in</strong>e Rolle der<br />
Gew<strong>in</strong>nung von Kräften <strong>in</strong> nichtrevolutionären<br />
Phasen und e<strong>in</strong>e f<strong>in</strong>ale und entscheidende Rolle im<br />
bewaffneten Aufstand.<br />
4. 2. Der Partisanenkrieg<br />
Len<strong>in</strong> musste den Streit gegen Plechanow führen.<br />
<strong>Die</strong>ser wollte <strong>die</strong> Kampfgruppen auflösen, um nur<br />
noch über <strong>die</strong> Aktionen der Abgeordneten <strong>in</strong> der<br />
Duma Politik zu machen. <strong>Die</strong> Bolschewiki billigten<br />
Banküberfälle (deren Ertrag für das Funktionieren<br />
e<strong>in</strong>er klandest<strong>in</strong>en Partei notwendig war), und<br />
führten sie auch aus, ebenso bewaffnete Aktionen<br />
gegen Mitglieder des Repressionsapparates, speziell<br />
gegen Spitzel.<br />
E<strong>in</strong>e Schule für Militär-Instruktoren wurde <strong>in</strong><br />
Kiew und e<strong>in</strong>e andere für <strong>die</strong> Verwendung von<br />
Bomben <strong>in</strong> Lemberg gegründet. Im November<br />
1906 berief Len<strong>in</strong> über das militärtechnische Büro<br />
e<strong>in</strong>e Konferenz der Kampfgruppen <strong>in</strong> Tammersfors<br />
<strong>in</strong> F<strong>in</strong>nland e<strong>in</strong>. Dort begegnete Jarorslawski, e<strong>in</strong>er<br />
der hauptsächlichen Militärführer, Len<strong>in</strong>: « Ich b<strong>in</strong><br />
<strong>in</strong> F<strong>in</strong>nland angekommen, wo ich Wladimir Iljitsch<br />
getroffen habe, der mich mit Fragen überfiel. Ich<br />
spürte sofort, dass ich es mit e<strong>in</strong>em Genossen zu<br />
tun hatte, der unsere Arbeit à fond kannte und sich<br />
ernsthaft <strong>in</strong>teressierte. Vladimir Iljitsch begnügte<br />
sich nicht mit allgeme<strong>in</strong>en Antworten. Er wollte<br />
<strong>die</strong> Details kennen, <strong>die</strong> Mechanik unserer Arbeit,<br />
unsere Projekte, unsere Kontakte. Er <strong>in</strong>teressierte<br />
sich lebhaft für <strong>die</strong> Schule der Militär<strong>in</strong>struktoren,<br />
<strong>die</strong> wir organisiert hatten und wo wir unseren<br />
Militanten <strong>die</strong> Handhabung und Herstellung von<br />
Sprengstoffen beibrachten, <strong>die</strong> Be<strong>die</strong>nung der<br />
Masch<strong>in</strong>engewehre und anderer Waffen, wo man das<br />
Handwerk der Sappeure-M<strong>in</strong>eure lehrte, <strong>die</strong> Taktik<br />
der Strassenkämpfe, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Wort, wo man <strong>die</strong><br />
Leiter der Kommandanten unserer Kampfe<strong>in</strong>heiten<br />
für <strong>die</strong> zukünftige Revolution vorbereitete.» 73<br />
In den Leitungsgremien der SDAPR gab es<br />
ausser dem offiziellen Zentralkomitee (von den<br />
Menschewiki kontrolliert) e<strong>in</strong> bolschewistisches<br />
Zentrum (Komiteebüro der Mehrheit), deren<br />
militärische Organisation (Komitee für F<strong>in</strong>anzund<br />
Militärangelegenheiten) von Len<strong>in</strong> , Krass<strong>in</strong> 74<br />
und Bogdanow 75 geleitet wurde.<br />
Im H<strong>in</strong>blick auf den Stockholmer Kongress<br />
(10.-20. April 1906) schrieb Len<strong>in</strong> folgenden<br />
Resolutionsentwurf :<br />
« In der Erwägung:<br />
1. daß es seit dem Dezemberaufstand fast<br />
nirgends <strong>in</strong> Rußland zur völligen E<strong>in</strong>stellung der<br />
Kampfhandlungen gekommen ist, <strong>die</strong> jetzt von<br />
Seiten des revolutionären Volkes <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen<br />
Partisanenüberfällen auf den Fe<strong>in</strong>d zum Ausdruck<br />
kommen;<br />
2. daß derartige Partisanenaktionen, <strong>die</strong> beim<br />
Vorhandense<strong>in</strong> zweier fe<strong>in</strong>dlicher bewaffneter Kräfte<br />
und beim Wüten der vorübergehend triumphierenden<br />
militärischen Unterdrückung unvermeidlich<br />
s<strong>in</strong>d, zugleich der Desorganisierung des Fe<strong>in</strong>des<br />
<strong>die</strong>nen und <strong>die</strong> kommenden offenen bewaffneten<br />
Massenaktionen vorbereiten;<br />
3. daß derartige Aktionen auch für <strong>die</strong><br />
Kampferziehung und militärische Ausbildung<br />
unserer Kampfgruppen notwendig s<strong>in</strong>d, <strong>die</strong> sich<br />
während des Dezemberaufstands an vielen Orten<br />
praktisch als unvorbereitet auf <strong>die</strong> für sie neue Sache<br />
erwiesen haben;<br />
erklären wir und beantragen, der Parteitag wolle<br />
beschließen:<br />
1. <strong>die</strong> Partei muß <strong>die</strong> Partisanenaktionen der<br />
Kampfgruppen, <strong>die</strong> zur Partei gehören oder sich<br />
an sie anlehnen, als pr<strong>in</strong>zipiell zulässig und <strong>in</strong> der<br />
gegenwärtigen Periode zweckmäßig anerkennen;<br />
2. <strong>die</strong> Partisanenkampfaktionen müssen so geartet<br />
se<strong>in</strong>, daß sie der Aufgabe Rechnung tragen, Kader von<br />
Führern der Arbeitermassen während des Aufstands<br />
zu erziehen und Erfahrung <strong>in</strong> überraschenden<br />
Angriffshandlungen zu vermitteln;<br />
3. als unmittelbare Hauptaufgabe solcher<br />
Aktionen ist <strong>die</strong> Zerstörung des Regierungs-,<br />
Polizei- und Militärapparats zu betrachten sowie<br />
der schonungslose Kampf gegen <strong>die</strong> aktiven<br />
Schwarzhunderterorganisationen, <strong>die</strong> der<br />
Bevölkerung gegenüber zu Gewalt greifen und sie<br />
e<strong>in</strong>zuschüchtern suchen;<br />
4. Kampfaktionen s<strong>in</strong>d gleichfalls zulässig, um<br />
Geldmittel, <strong>die</strong> dem Fe<strong>in</strong>d, d. h. der absolutistischen<br />
Regierung gehören, zu erbeuten und <strong>die</strong>se Mittel für<br />
<strong>die</strong> Erfordernisse des Aufstands zu verwenden, wobei<br />
streng darauf zu achten ist, daß <strong>die</strong> Interessen der<br />
Bevölkerung möglichst geschont werden;<br />
5. <strong>die</strong> Partisanenkampfaktionen müssen unter<br />
Kontrolle der Partei durchgeführt werden, und zwar<br />
so, daß. <strong>die</strong> Kräfte des Proletariats nicht unnütz<br />
vergeudet werden und daß dabei <strong>die</strong> Bed<strong>in</strong>gungen<br />
der Arbeiterbewegung <strong>in</strong> dem betreffenden Ort und<br />
<strong>die</strong> Stimmung der breiten Massen berücksichtigt<br />
werden. » 76<br />
Aber der mehrheitlich aus menschewistischen<br />
Delegierten zusammengesetzte Kongress diskutierte<br />
<strong>die</strong> Frage nicht. Len<strong>in</strong> kommt im September 1906<br />
auf <strong>die</strong> Frage zurück und bekräftigt:<br />
« Der Partisanenkampf ist e<strong>in</strong>e unvermeidliche<br />
Kampfform <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zeit, wo <strong>die</strong> Massenbewegung<br />
<strong>in</strong> der Praxis schon an den Aufstand heranreicht<br />
und mehr oder m<strong>in</strong>der große Pausen zwischen<br />
den «großen Schlachten» des Bürgerkriegs<br />
e<strong>in</strong>treten. (...) Es ist daher durchaus natürlich und<br />
unvermeidlich, daß <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er SOLCHEN Epoche,<br />
<strong>in</strong> der Epoche der das ganze Volk erfassenden<br />
politischen Streiks, der AUFSTAND nicht <strong>die</strong> alte<br />
Form von E<strong>in</strong>zelaktionen an<strong>nehmen</strong> kann, <strong>die</strong> sich<br />
auf e<strong>in</strong>e sehr kurze Zeitspanne und auf e<strong>in</strong> sehr<br />
kle<strong>in</strong>es Gebiet beschränken. Es ist ganz natürlich<br />
und unvermeidlich, daß der Aufstand <strong>die</strong> höheren<br />
und komplizierteren Formen e<strong>in</strong>es langwierigen,<br />
das ganze Land erfassenden Bürgerkriegs, d.h. des<br />
bewaffneten Kampfes des e<strong>in</strong>en Teils des Volkes<br />
gegen den anderen, annimmt. E<strong>in</strong>en solchen Krieg<br />
kann man sich nur vorstellen als e<strong>in</strong>e Reihe von<br />
wenigen, durch verhältnismäßig große Zeitabstände<br />
vone<strong>in</strong>ander getrennten großen Schlachten und e<strong>in</strong>e<br />
Menge von kle<strong>in</strong>eren Scharmützeln im Verlauf <strong>die</strong>ser<br />
Zwischenzeiten. Wenn das so ist - und zweifellos ist es<br />
so -, dann muß <strong>die</strong> Sozialdemokratie unbed<strong>in</strong>gt ihre<br />
Aufgabe dar<strong>in</strong> sehen, Organisationen zu schaffen,<br />
<strong>die</strong> <strong>in</strong> möglichst hohem Maße dazu befähigt s<strong>in</strong>d, <strong>die</strong><br />
Massen sowohl <strong>in</strong> <strong>die</strong>sen großen Schlachten als auch,<br />
nach Möglichkeit, <strong>in</strong> <strong>die</strong>sen kle<strong>in</strong>eren Scharmützeln<br />
zu führen.» 77<br />
Doch wurde <strong>die</strong> Auflösung der Kampfgruppen<br />
auf dem Dritten Londoner Kongress (13. Mai bis<br />
1 Juni 1907) von der menschewistischen Mehrheit<br />
beschlossen.<br />
4.3. Len<strong>in</strong> als Feldherr<br />
<strong>Die</strong> Rolle Len<strong>in</strong>s als Feldherr wird falsch<br />
e<strong>in</strong>geschätzt und <strong>die</strong> <strong>die</strong>sbezügliche Beurteilung<br />
Adam Ulams weitgehend geteilt 78 . <strong>Die</strong> Sowjetologen<br />
und Trotzkisten schrieben, von offensichtlichen<br />
politischen Interessen getrieben, <strong>die</strong> militärischen<br />
Ver<strong>die</strong>nste Trotzki zu. Nicht m<strong>in</strong>dere Interessen<br />
führten <strong>die</strong> sowjetische Geschichtsschreibung zur<br />
Überschätzung der Rolle Stal<strong>in</strong>s, Woroschilows<br />
und Frunses. Alle s<strong>in</strong>d sich e<strong>in</strong>ig, Len<strong>in</strong> als<br />
ersten politischen Rollenträger anzuerkennen,<br />
und alle vernachlässigen se<strong>in</strong>e militärische<br />
Rolle. Er selbst tat nichts, um se<strong>in</strong> Interesse an<br />
Militärfragen hervorzuheben: Er besuchte weder<br />
<strong>die</strong> Generalstäbe noch <strong>die</strong> Schützengräben und traf<br />
sich mit Kommandanten und Soldaten der Roten<br />
Armee nur wenn es sich aufdrängte – ke<strong>in</strong>erlei<br />
Militärsymbolik verb<strong>in</strong>det sich mit ihm.<br />
Trotzdem hatte er zwischen dem 1. September und<br />
dem 24. Dezember 1918 an 143 von 175 Sitzungen<br />
des Verteidigungsrates den Vorsitz. Alle<strong>in</strong> 1919<br />
leitete er <strong>die</strong> Arbeiten von 14 Sitzungen des<br />
58<br />
59
Zentralkomitees der Partei und 40 Sitzungen des<br />
Politbüros, <strong>die</strong> militärische Fragen prüften. Es gibt<br />
tausende solcher Fragen, welche Len<strong>in</strong> bei <strong>die</strong>sen<br />
Gelegenheiten untersuchte 79 . Len<strong>in</strong> versandte<br />
m<strong>in</strong>destens sechshundert Briefe und Telegramme<br />
über Angelegenheiten der Verteidigung.<br />
<strong>Die</strong> trotzkistische Version der <strong>Geschichte</strong>, wonach<br />
Len<strong>in</strong> Trotzki zu Militärfragen „Carte blanche“<br />
gegeben haben soll, wird durch mehrere Vorfälle<br />
widerlegt, wobei <strong>die</strong> berühmteste <strong>die</strong> Ersetzung des<br />
Kommandanten der Roten Armee, J. Wazetis durch<br />
S. S. Kamenew war 80 .<br />
Es stimmt, dass Len<strong>in</strong> das Wesentliche der<br />
Kriegführung an <strong>die</strong> Kommandanten und<br />
Kommissare delegierte, an deren Auswahl er<br />
beteiligt war, allen voran des Kriegskommissars<br />
selbst. Se<strong>in</strong>e Aktivität griff selten <strong>in</strong> <strong>die</strong> der<br />
Kommandanten e<strong>in</strong>.<br />
Im November 1917, als Kerenski <strong>die</strong> der<br />
provisorischen Regierung treu gebliebenen Armeen<br />
zusammenzog, um auf Petrograd zu marschieren,<br />
und als <strong>die</strong>se Gatsch<strong>in</strong>a e<strong>in</strong>genommen hatten und<br />
Zarskoje Sjelo 81 , 25 km von der Hauptstadt entfernt,<br />
bedrohten, sah man Len<strong>in</strong> am häufigsten auf <strong>die</strong><br />
taktische Ebene „h<strong>in</strong>absteigen“. Dabei provozierte<br />
er e<strong>in</strong>en Zusammenstoss mit Nicolai Podwoiski,<br />
dem Organisator der Roten Garde und ersten<br />
Volkskommissar für Heereswesen 82 .<br />
Mehrere übere<strong>in</strong>stimmende Zeugnisse berichten<br />
über <strong>die</strong> Art, wie Len<strong>in</strong> <strong>die</strong> Flotte für <strong>die</strong><br />
Feuerunterstützung an der Front von Zarskoje Sjelo<br />
e<strong>in</strong>setzte.<br />
L. Wachromejew, Delegierter der Baltischen Flotte,<br />
wurde von Len<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> Direktion des Kommandos<br />
des Militärbezirks Petrograd zitiert. Er schreibt: « Er<br />
betrachtete e<strong>in</strong>e Karte von Petrograd und Umgebung.<br />
Iljitsch wandte sich an mich: „Ist <strong>die</strong> Flotte <strong>in</strong> der Lage,<br />
<strong>die</strong> Landfront zu unterstützen?“ Kerenski befand<br />
sich damals gerade <strong>in</strong> Zarskoje Sjelo. Nachdem ich<br />
mich über sämtliche Entfernungen genau <strong>in</strong>formiert<br />
hatte, antwortete ich: „Wir können Zarskoje Sjelo von<br />
zwei Seiten aus bombar<strong>die</strong>ren. Im Kanal können wir<br />
den Kreuzer ‚Oleg‘ postieren: er wird Zarskoje Sjelo<br />
aus se<strong>in</strong>en schweren Geschützen bestreichen. Dann<br />
werden wir zwei oder drei Torpedoboote vom Typus<br />
‚Nowik‘ <strong>die</strong> Newa h<strong>in</strong>auf bis Rybazkoje br<strong>in</strong>gen und<br />
können dann von der Newa aus von Osten her mit<br />
vierzölligen Kanonen feuern. Auf <strong>die</strong>se Weise wird<br />
Kerenski zweifellos zur Räumung von Zarskoje Sjelo<br />
gezwungen werden“.<br />
Iljitsch zeigte sich äusserst <strong>in</strong>teressiert, befragte mich<br />
genau über sämtliche E<strong>in</strong>zelheiten, und, nachdem<br />
er sich vollständig von der Durchführbarkeit der<br />
Operation überzeugt hatte, gab er mir sogleich den<br />
Befehl, unverzüglich an <strong>die</strong> Ausführung <strong>die</strong>ses Plans<br />
zu schreiten und ihn über den Verlauf der Aktion auf<br />
dem laufenden zu halten. » 83<br />
Aber Len<strong>in</strong> holte noch (m<strong>in</strong>destens) e<strong>in</strong>e zweite<br />
Me<strong>in</strong>ung e<strong>in</strong>, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>es andern Bolschewiken der<br />
Flotte, F. Raskolnikow, der be<strong>in</strong>ahe identische<br />
Ausführungen lieferte: gedrängte Diskussion um<br />
<strong>die</strong> Karte herum, Studium der Tiefe der Fahrr<strong>in</strong>nen,<br />
des Effektes der Gezeiten, der Schiesspläne etc. 84<br />
Der dritte Bericht stammt von N. Ismailow,<br />
Vorsitzender des Zentralkomitees der Baltischen<br />
Flotte. Er referierte se<strong>in</strong>e telegrafische Konversation<br />
mit Len<strong>in</strong>, welcher fragte, wie viele Schiffe er <strong>in</strong><br />
welcher Zeit ausstatten könne und <strong>in</strong>nert welcher<br />
Frist, ob sie mit Lebensmitteln und drahtloser<br />
Telegrafie ausgestattet seien, etc. 85 . Das Manöver<br />
wurde ausgeführt, <strong>die</strong> Flotte vertäute sich gewisse<br />
Kabellängen von Zarskoje Sjelo und Beobachter<br />
wurden auf dem Höhen von Pulkowo postiert, um<br />
das Schiessen zu leiten, aber der plötzliche Rückzug<br />
von Kerenskis Truppen machte <strong>die</strong>se Aufstellung<br />
unnötig.<br />
Es ist schwierig, <strong>die</strong> militärische Relevanz von<br />
Len<strong>in</strong>s Entscheidungen zu beurteilen 86 .<br />
Trotzkis Zeugnis darüber ist oft verdächtig. Er hatte<br />
<strong>die</strong> Schwäche, angebliche „Fehler des militärischen<br />
Urteils“ Len<strong>in</strong>s hochzuspielen, um sich <strong>in</strong>s gute<br />
Licht zu rücken. Len<strong>in</strong>s militärische Aktivität<br />
besteht im Wesentlichen im Sammeln der Mittel,<br />
Mitreissen der Energien, <strong>die</strong> richtigen Personen<br />
ans richtige Ort zu schicken und jenen den Kopf zu<br />
waschen, <strong>die</strong> es nötig hatten.<br />
E<strong>in</strong> gutes Beispiel ist das Telegramm an Gussew 87<br />
vom 16 September 1919:<br />
« In Wirklichkeit aber herrscht bei uns Stillstand,<br />
be<strong>in</strong>ahe Zusammenbruch.<br />
An der sibirischen Front hat man irgend so e<strong>in</strong>en<br />
Lump Olderoge und <strong>die</strong> Memme Posern h<strong>in</strong>gestellt<br />
und „sich beruhigt». Das ist geradezu schändlich!<br />
Und man beg<strong>in</strong>nt, uns zu schlagen! Wir werden<br />
dafür den Revolutionären Kriegsrat der Republik<br />
verantwortlich machen, wenn nicht energisch<br />
vorgegangen wird! Es ist e<strong>in</strong>e Schande, den Sieg aus<br />
den <strong>Hände</strong>n zu geben.<br />
Mit Mamontow Stillstand. Offenbar e<strong>in</strong>e Verspätung<br />
nach der anderen. Verspätet haben sich <strong>die</strong> Truppen,<br />
<strong>die</strong> sich vom Norden nach Woronesh begeben<br />
haben. Verspätet hat man sich mit der Beförderung<br />
der 21. Division nach dem Süden. Verspätet mit<br />
den Masch<strong>in</strong>engewehren. Verspätet mit dem<br />
Nachrichtenwesen. (...)<br />
Das Ergebnis ist Stillstand sowohl mit Mamontow als<br />
auch bei Seliwatsdiow (an Stelle täglicher „Siege», wie<br />
man es <strong>in</strong> k<strong>in</strong>dischen Zeichnungen versprach - wissen<br />
Sie noch, daß Sie mir <strong>die</strong>se Zeichnungen zeigten? und<br />
daß ich sagte: „Man hat den Gegner vergessen!!“ 88 ).<br />
Wenn Seliwatschow flüchtet oder se<strong>in</strong>e Divisionschefs<br />
Verrat üben, dann ist der Revolutionäre Kriegsrat der<br />
Republik daran schuld, denn er hat geschlafen und<br />
alle beruhigt, aber das Erforderliche nicht getan.<br />
<strong>Die</strong> besten, <strong>die</strong> energischsten Kommissare müssen<br />
nach dem Süden geschickt werden, aber ke<strong>in</strong>e<br />
Schlafmützen.<br />
Mit der Formierung von Truppenteilen verspäten<br />
wir uns auch. Wir lassen den Herbst verstreichen —<br />
Denik<strong>in</strong> aber verdreifacht se<strong>in</strong>e Kräfte, er bekommt<br />
Tanks usw. usw. So geht es nicht. Man muß das<br />
schläfrige Arbeitstempo ablegen und zu e<strong>in</strong>em<br />
lebendigen übergehen. » 89<br />
In e<strong>in</strong>em Abschnitt, den Len<strong>in</strong> ebenfalls kopierte,<br />
schrieb Clausewitz: « Verb<strong>in</strong>det sich mit jener Energie<br />
der Kräfte e<strong>in</strong>e weise Mässigung <strong>in</strong> den vorgesetzten<br />
Zwecken, so entsteht jenes Spiel von glänzenden<br />
Schlägen und vorsichtiger Zurückhaltung, welches<br />
wir <strong>in</strong> Friedrichs des Grossen Kriegen bewundern<br />
müssen » 90<br />
Immer wieder bewies Len<strong>in</strong> <strong>die</strong>ses Gleichgewicht<br />
von Qualitäten: <strong>Die</strong> Kühnheit beim Auslösen<br />
des Oktoberaufstandes, <strong>die</strong> Vorsicht anlässlich<br />
der Verhandlungen von Brest Litowsk.<br />
Und wenn man Len<strong>in</strong> sieht, wie der <strong>die</strong><br />
Kommandanten und Kommissare zum Beweis<br />
ihrer Initiative, ihrer Kühnheit und ihres<br />
Kampfgeistes drängt, so drängt er sie niemals<br />
zur Unvorsichtigkeit – obschon Kühnheit und<br />
Trägheit Zwill<strong>in</strong>ge s<strong>in</strong>d, wenn sich jenes Fehlen von<br />
Gewissenhaftigkeit zeigt, das er verabscheut.<br />
Der Beweis ist e<strong>in</strong> Telegramm vom 3. Juni 1920<br />
an Trotzki bezüglich e<strong>in</strong>es Angriffsplans: « Das<br />
ist offensichtlich e<strong>in</strong>e Utopie. Wird das nicht zu<br />
viele Opfer kosten? Wir würden unzählige unserer<br />
Soldaten <strong>in</strong> den Tod treiben. Das muss man zehnmal<br />
überlegen und abwägen; Ich schlage folgende Antwort<br />
an Stal<strong>in</strong> vor: „Ihr Vorschlag über den Angriff der<br />
Krim ist so schwerwiegend, dass wir Informationen<br />
e<strong>in</strong>holen und sehr sorgfältig überlegen müssen.<br />
Warten sie unsere Antwort ab. Len<strong>in</strong>. Trotzki“.» 91<br />
4.4. Der Angriff und <strong>die</strong> Verteidigung<br />
Clausewitz bemerkte, <strong>in</strong> Passagen, <strong>die</strong> von Len<strong>in</strong><br />
weitgehend notiert wurden, dass es leichter ist<br />
zu halten als zu <strong>nehmen</strong>, dass <strong>die</strong> Verteidigung<br />
<strong>die</strong> stärkere Form der Kriegführung sei. Wenn<br />
der Angriff an sich, über das positive Ziel h<strong>in</strong>aus,<br />
(zum Beispiel <strong>die</strong> Eroberung e<strong>in</strong>er Prov<strong>in</strong>z),<br />
der Verteidigung überlegen wäre, würde ke<strong>in</strong><br />
Kriegführender <strong>die</strong>se anwenden. Wer e<strong>in</strong> positives<br />
Ziel verfolgt, kann mit dem Angriff nicht sparsam<br />
se<strong>in</strong> und muss sich deshalb <strong>die</strong> Mittel geben, welche<br />
denen des Fe<strong>in</strong>des überlegen s<strong>in</strong>d, um <strong>die</strong> der<br />
Verteidigung eigene Überlegenheit auszugleichen.<br />
Wenn man dem Fe<strong>in</strong>d unterlegen ist, kann <strong>die</strong> Wahl<br />
der Verteidigung <strong>die</strong>se Unterlegenheit teilweise<br />
oder ganz ausgleichen.<br />
Der Verteidiger profitiert von allen<br />
unvorhergesehenen Ereignissen, von der Zeit und<br />
von der Abnützung des Fe<strong>in</strong>des. Der Angreifer hat<br />
gewiss den Vorteil der umfassenden Überraschung<br />
(und auch <strong>die</strong> Wahl des Momentes des Krieges),<br />
aber der Verteidiger zieht Vorteile aus der taktischen<br />
Überraschung. Der Verteidiger hat den Vorteil des<br />
Geländes: Er kennt es, hat sich dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>gerichtet,<br />
besetzt <strong>die</strong> Festungen und <strong>die</strong> vorteilhaftesten<br />
Punkte, kann e<strong>in</strong>e verdeckte Stellung e<strong>in</strong><strong>nehmen</strong>,<br />
<strong>die</strong> ihm erlaubt, mit <strong>in</strong>neren L<strong>in</strong>ien zu spielen etc.<br />
<strong>Die</strong> Stellung des Verteidigers nützt sich weniger<br />
schnell ab als <strong>die</strong> des Angreifers; dem Verteidiger<br />
kommen <strong>die</strong> Hilfe der Bevölkerung zugute sowie<br />
<strong>die</strong> Sympathien und moralischen Vorteile, <strong>die</strong> aus<br />
se<strong>in</strong>em Status als Angegriffener hervorgehen.<br />
Gewisse der Verteidigung <strong>in</strong>härente Vorteile<br />
wirken sogar bevor sich der Verteidiger <strong>in</strong> <strong>die</strong><br />
Tiefe se<strong>in</strong>es Territoriums zurückzieht, aber sie<br />
<strong>nehmen</strong> im Verhältnis zur Tiefe des Rückzuges zu.<br />
Da <strong>die</strong>ser Rückzug teuer ist (weil er e<strong>in</strong> Aufgeben<br />
von Territorium e<strong>in</strong>schliesst), darf er nur gewählt<br />
werden, wenn das anfängliche Ungleichgewicht<br />
der Kräfte so gross ist, dass es aller Vorteile der<br />
Verteidigung braucht, um es wettzumachen.<br />
Der Verteidiger kann sich, entsprechend der<br />
Bedeutung <strong>die</strong>ses Ungleichgewichtes, entschliessen,<br />
den Fe<strong>in</strong>d anzugreifen, wenn er <strong>die</strong> Grenze passiert.<br />
Wenn er dazu nicht stark genug ist, kann er noch<br />
warten und den Fe<strong>in</strong>d angreifen, wenn er bis<br />
zu e<strong>in</strong>em für <strong>die</strong> Schlacht gewählten Punkt <strong>in</strong><br />
se<strong>in</strong> Territorium e<strong>in</strong>gedrungen ist (z.B. an e<strong>in</strong>en<br />
Flusslauf). Er kann auch, wenn er sich immer noch<br />
zu schwach fühlt, darauf warten, dass der Fe<strong>in</strong>d<br />
<strong>die</strong>se Stellung angreift. Ist das Ungleichgewicht<br />
60<br />
61
immer noch zu gross, kann der Verteidiger se<strong>in</strong>e<br />
Wartestellung verlängern, bis der fe<strong>in</strong>dliche Angriff<br />
se<strong>in</strong>en Höhepunkt erreicht hat. Verteidigung<br />
bedeutet nicht Passivität: Der Verteidiger kann<br />
so <strong>die</strong> Initiative behalten, kann beim Rückzug <strong>die</strong><br />
Kämpfe vermehren, <strong>die</strong> Guerilla im Rücken des<br />
Fe<strong>in</strong>des auslösen etc.<br />
1918 wandte Len<strong>in</strong> <strong>die</strong>se Doktr<strong>in</strong> Punkt für<br />
Punkt an. Er war e<strong>in</strong> erbitterter Gegner des<br />
«Revolutionären Krieges» gegen Deutschland,<br />
doch blieb er mit se<strong>in</strong>er Position <strong>in</strong> der M<strong>in</strong>derheit:<br />
<strong>Die</strong> Hälfte der Bolschewiki wollten den Krieg,<br />
e<strong>in</strong> Viertel den Frieden und e<strong>in</strong> Viertel « weder<br />
Krieg noch Frieden », was Trotzki befürwortete.<br />
<strong>Die</strong>ser zwang den Verhandlungen se<strong>in</strong>e L<strong>in</strong>ie<br />
auf und provozierte damit ihr Platzen und e<strong>in</strong>en<br />
neuen, für Russland katastrophalen deutschen<br />
Angriff. Am 3. März 1918 musste Russland den<br />
Vertrag von Brest-Litowsk unterzeichnen, durch<br />
den Deutschland Polen und <strong>die</strong> baltischen Staaten<br />
an sich riss und <strong>die</strong> Unabhängigkeit der Ukra<strong>in</strong>e,<br />
F<strong>in</strong>nlands und der drei transkaukasischen<br />
Republiken durchsetzte. <strong>Die</strong> Gründung der Roten<br />
Armee am 15. Januar 1918 ermöglichte <strong>die</strong> ersten<br />
Siege über <strong>die</strong> Weissen Armeen im Ural, am<br />
Don, <strong>in</strong> Donezk, im Kuban-Gebiet und auf der<br />
Krim, aber im Mai 1918 marschierten (<strong>in</strong>folge des<br />
Aufrufs der bürgerlichen Nationalisten, <strong>die</strong> durch<br />
<strong>die</strong> Entwicklung der ukra<strong>in</strong>ischen und f<strong>in</strong>nischen<br />
revolutionären Bewegungen bedroht waren)<br />
<strong>die</strong> deutschen und österreichischen Armeen<br />
unwiderstehlich <strong>in</strong> der Ukra<strong>in</strong>e und <strong>in</strong> F<strong>in</strong>nland<br />
e<strong>in</strong>: « Seitdem wir Vertreter der herrschenden Klasse<br />
geworden s<strong>in</strong>d, <strong>die</strong> den Sozialismus zu organisieren<br />
begonnen hat, fordern wir von allen e<strong>in</strong>e ernste<br />
E<strong>in</strong>stellung zur Verteidigung des Landes. <strong>Die</strong><br />
Verteidigung des Landes ernst <strong>nehmen</strong> heißt sich<br />
gründlich vorbereiten und das Kräfteverhältnis streng<br />
<strong>in</strong> Rechnung stellen. Wenn wir offenkundig schwach<br />
s<strong>in</strong>d, so ist das wichtigste Mittel der Verteidigung der<br />
Rückzug <strong>in</strong> das Innere des Landes (wer dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />
nur für <strong>die</strong>sen Fall zurechtgebogene Formel sieht,<br />
kann bei dem alten Clausewitz, e<strong>in</strong>em der großen<br />
Militärschriftsteller, über <strong>die</strong> Ergebnisse der Lehren<br />
der <strong>Geschichte</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Beziehung nachlesen). (...)<br />
Es wird unsere Pflicht, <strong>die</strong> Kräfte aufs vorsichtigste<br />
zu berechnen und aufs sorgfältigste abzuwägen, ob<br />
unser Verbündeter (das <strong>in</strong>ternationale Proletariat)<br />
rechtzeitig zur Stelle se<strong>in</strong> wird. Das Kapital ist daran<br />
<strong>in</strong>teressiert, den Fe<strong>in</strong>d (das revolutionäre Proletariat)<br />
e<strong>in</strong>zeln zu schlagen, noch bevor <strong>die</strong> Arbeiter aller<br />
Länder sich (praktisch, d. h. durch den Beg<strong>in</strong>n der<br />
Revolution) zusammengeschlossen haben. Wir<br />
dagegen s<strong>in</strong>d daran <strong>in</strong>teressiert, alles nur mögliche<br />
zu tun, selbst <strong>die</strong> kle<strong>in</strong>ste Chance auszunutzen, um<br />
den entscheidenden Kampf aufzuschieben bis zu dem<br />
Zeitpunkt (bzw. „bis nach» dem Zeitpunkt) e<strong>in</strong>er<br />
solchen Vere<strong>in</strong>igung der revolutionären Trupps der<br />
großen <strong>in</strong>ternationalen Armee» 92 .<br />
Len<strong>in</strong> schrieb <strong>die</strong>se Zeilen also <strong>in</strong> dem Moment,<br />
als das Kräfteverhältnis weitgehend zu Ungunsten<br />
der Sowjetmacht stand: <strong>Die</strong> deutschen und (und <strong>in</strong><br />
ger<strong>in</strong>gerem Mass) <strong>die</strong> österreichisch-ungarischen<br />
Armeen waren deutlich stärker, besser bewaffnet,<br />
kriegserfahrener und besser betreut als <strong>die</strong> junge<br />
Rote Armee. Der revolutionäre Krieg gegen<br />
Deutschland war purer Voluntarismus, was se<strong>in</strong><br />
erster Befürworter, Buchar<strong>in</strong>, 10 Jahre später<br />
anerkennen wird. 93 .<br />
Als Len<strong>in</strong> das Pr<strong>in</strong>zip des Rückzugs <strong>in</strong>s Kerngebiet<br />
anwandte, entschied er sich für <strong>die</strong> höhere Form<br />
der Verteidigung. <strong>Die</strong>se Verteidigung erlaubte es<br />
der Revolution, ihre Kräfte zu entwickeln (<strong>die</strong> Rote<br />
Armee war im vollen Aufbau), <strong>die</strong> <strong>in</strong>neren L<strong>in</strong>ien<br />
auszuspielen (man konnte je nach Bedarf und den<br />
Prioritäten <strong>die</strong> E<strong>in</strong>heiten des Nordens <strong>in</strong> den Süden,<br />
des Ostens <strong>in</strong> den Westen schicken und so Zug<br />
um Zug <strong>die</strong> angestrebte Überlegenheit erreichen,<br />
um e<strong>in</strong>e Entscheidungsschlacht zu gew<strong>in</strong>nen). Sie<br />
führte dazu, dass <strong>die</strong> deutschen Streitkräfte sich<br />
von ihren Versorgungsbasen entfernten und sich<br />
mehr und mehr e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>tensiven Aktivität der<br />
roten Partisanen der Ukra<strong>in</strong>e aussetzten, – und<br />
dass sich <strong>die</strong> pazifistischen und revolutionären<br />
Losungen <strong>in</strong> Deutschland und <strong>in</strong> der deutschen<br />
Armee verbreiteten. Len<strong>in</strong> zählt ganz wesentlich<br />
auf <strong>die</strong>sen letzten Faktor. Im Januar 1918 waren<br />
bereits revolutionäre politische Streiks mit der<br />
Gründung von Arbeiterräten <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, Wien,<br />
Hamburg, Kiel, Düsseldorf, Leipzig, Essl<strong>in</strong>g und<br />
anderswo ausgebrochen. Aber erst im November<br />
f<strong>in</strong>g <strong>die</strong> revolutionäre Welle Feuer: Mehr als 10‘000<br />
Arbeiter- und Soldatenräte konstituierten sich und<br />
bemächtigten sich Berl<strong>in</strong>s. <strong>Die</strong> Revolution wurde<br />
niedergeschlagen, aber ihre Wirkungen, verbunden<br />
mit denen des Waffenstillstandes, zogen den<br />
Rückzug der deutschen Truppen aus der Ukra<strong>in</strong>e<br />
und der Krim nach sich.<br />
4.5. E<strong>in</strong>e « Militarisierung » des Marxismus?<br />
Der Prozess zur « Militarisierung » des Marxismus<br />
kennt zwei Anklageschriften:<br />
1° <strong>Die</strong> e<strong>in</strong>e behauptet, sie sei gleichsam „angeboren“,<br />
zusammengehörig, wie bei Anibal Romero : «Für<br />
Clausewitz bedarf <strong>die</strong> Politik nicht unbed<strong>in</strong>gt des<br />
Krieges ; für Len<strong>in</strong> ist <strong>die</strong> Politik Klassenkrieg, der<br />
Staat ist nur e<strong>in</strong> Unterdrückungs<strong>in</strong>strument, und<br />
der Triumph des Proletariates – der nur von e<strong>in</strong>em<br />
Gewaltakt herrühren kann, von extremer Gewalt<br />
– muss zur Auslöschung des Staates führen und<br />
schliesslich zum Verschw<strong>in</strong>den der Politik selbst 94 .<br />
2° <strong>Die</strong> andere sieht sie als geschichtlich erworben an,<br />
wie bei Jacob Kipp, für den <strong>die</strong> « Militarisierung » des<br />
Marxismus bei Len<strong>in</strong> e<strong>in</strong> durch den Weltkrieg, <strong>die</strong><br />
Lektüre von Clausewitz und <strong>die</strong> Oktoberrevolution<br />
ausgelöste Tendenz ist, <strong>die</strong> ihre Vollendung 1922-<br />
23 f<strong>in</strong>det:<br />
«Len<strong>in</strong> vollendete e<strong>in</strong>en ganzen Kreis. Krieg und<br />
Politik wurden als Subjekt und Objekt vertauscht.<br />
Hier wurde <strong>die</strong> Politik zur Fortsetzung des Krieges mit<br />
anderen Mitteln. <strong>Die</strong> NEP war e<strong>in</strong> taktisches Mittel,<br />
um <strong>die</strong> nationale Wirtschaft wiederherzustellen<br />
und, angesichts der Aufstände <strong>in</strong> Kronstadt und<br />
der Region Tambov, <strong>die</strong> Unterstützung der Bauern<br />
zurückzugew<strong>in</strong>nen.» 95<br />
Kipp irrt sich allgeme<strong>in</strong> und speziell bezüglich<br />
des Kalenders, denn Len<strong>in</strong> „demilitarisiert sich“<br />
kalr am Ende des Bürgerkrieges, wie se<strong>in</strong> Bericht<br />
an dem XI. Parteitag der Kommunistischen<br />
Partei bezeugt (1922): « In der vorhergegangenen<br />
Entwicklungsperiode unserer Revolution, als<br />
<strong>die</strong> ganze Aufmerksamkeit und alle Kräfte<br />
hauptsächlich von der Aufgabe beansprucht, ja fast<br />
ganz absorbiert waren, <strong>die</strong> Invasion abzuwehren,<br />
konnten wir über <strong>die</strong>sen Zusammenschluß [mit der<br />
Bauernwirtschaft] nicht genügend nachdenken —<br />
wir hatten anderes zu tun. Man konnte und mußte<br />
ihn bis zu e<strong>in</strong>em gewissen Grade vernachlässigen, als<br />
wir vor der absolut unaufschiebbaren und direkten,<br />
alles überragenden Aufgabe standen, <strong>die</strong> Gefahr<br />
abzuwehren, von den gigantischen Kräften des<br />
Weltimperialismus sofort erdrückt zu werden. (…)<br />
<strong>Die</strong> kommunistische Gesellschaft mit den <strong>Hände</strong>n der<br />
Kommunisten aufbauen zu wollen ist e<strong>in</strong>e k<strong>in</strong>dische,<br />
e<strong>in</strong>e ganz k<strong>in</strong>dische Idee. <strong>Die</strong> Kommunisten s<strong>in</strong>d<br />
e<strong>in</strong> Tropfen im Meer, e<strong>in</strong> Tropfen im Volksmeer.<br />
(…) Den Ausbeuter unschädlich machen (...) das<br />
haben wir im wesentlichen gelernt. Hier muß e<strong>in</strong><br />
gewisser Druck ausgeübt werden, doch das ist leicht.<br />
Der zweite Teil des Sieges aber besteht dar<strong>in</strong>, mit<br />
nichtkommunistischen <strong>Hände</strong>n den Kommunismus<br />
aufzubauen, es zu verstehen, praktisch das zu tun,<br />
was ökonomisch getan werden muß, nämlich den<br />
Zusammenschluß mit der bäuerlichen Wirtschaft zu<br />
f<strong>in</strong>den, <strong>die</strong> Bauern zufriedenzustellen » 96 .<br />
Der Bürgerkrieg gegen <strong>die</strong> Bourgeoisie, zur<br />
Eroberung der staatlichen Macht ist gehört<br />
wesentlich zum Len<strong>in</strong>ismus, aber nicht mehr als das<br />
Bündnis der kle<strong>in</strong>en und mittleren Bauernschaft<br />
und der Intelligenz mit dem Proletariat. <strong>Die</strong> Öffnung<br />
gegenüber <strong>die</strong>sen Klassen und sozialen Gruppen<br />
s<strong>in</strong>d ebenso politisch wie <strong>die</strong> Fe<strong>in</strong>dseligkeiten gegen<br />
<strong>die</strong> Junker und <strong>die</strong> Kapitalisten. Der Friede mit den<br />
e<strong>in</strong>en und der Krieg mit den anderen bilden e<strong>in</strong>e<br />
allgeme<strong>in</strong>e Politik, sie s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> gleicher Weise Teil<br />
des len<strong>in</strong>istischen Projektes 97 .<br />
<strong>Die</strong> Schlacht von Kronstadt und <strong>die</strong><br />
Niederschlagung des Aufstands von Tambow oder<br />
der Machnowschtsch<strong>in</strong>a hatten e<strong>in</strong>en anderen<br />
Charakter als der Krieg gegen <strong>die</strong> weissen und<br />
von aussen angreifenden Armeen. Für Len<strong>in</strong>,<br />
der sich hauptsächlich auf <strong>die</strong> Pariser Kommune<br />
bezog, musste e<strong>in</strong> Krieg gegen <strong>die</strong> Streitkräfte der<br />
herrschenden Klassen, gleichsam gegen Versailles,<br />
kommen. Nichts dergleichen mit Kronstadt,<br />
Tambow oder der Machnowschtsch<strong>in</strong>a. <strong>Die</strong>s<br />
waren « aufgezwungene » Kriege sozusagen <strong>in</strong><br />
dem S<strong>in</strong>n, dass sie nicht auf dem Programm<br />
standen. Wohlverstanden, <strong>die</strong> Entscheidungen<br />
der Kommissare waren bei der Entstehung <strong>die</strong>ser<br />
Konflikte bestimmend, <strong>in</strong>sbesondere <strong>die</strong> Wehrpflicht<br />
und <strong>die</strong> Prodraswerstka, <strong>die</strong> Zwangsrequirierung<br />
der landwirtschaftlichen Überschüsse, um <strong>die</strong><br />
Städte zu ernähren, aber <strong>die</strong> Bolschewiki konnten<br />
hoffen, ke<strong>in</strong>e derartigen Kriege führen zu müssen.<br />
Abgesehen von den konterrevolutionären Agenten,<br />
welche Öl <strong>in</strong>s Feuer gossen, waren <strong>die</strong> Fe<strong>in</strong>de<br />
der Bolschewiki <strong>in</strong> Kronstadt, <strong>in</strong> Tambow und <strong>in</strong><br />
der Ukra<strong>in</strong>e soziale Gruppen, <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie <strong>die</strong><br />
Mittelbauern 98 , mit denen Len<strong>in</strong> auf e<strong>in</strong> Bündnis<br />
hoffte. <strong>Die</strong> Aufständischen positionierten sich<br />
als Fe<strong>in</strong>de der sowjetischen Macht weil sie sie als<br />
antagonistische Macht wahrnahmen, und vom<br />
Moment an, als sie zu den Waffen griffen, wurden<br />
sie wie Fe<strong>in</strong>de behandelt, aber <strong>die</strong> Schärfe, mit der<br />
sie unterdrückt wurden 99 , entstammte nicht e<strong>in</strong>er<br />
allgeme<strong>in</strong>en antagonistischen Politik.<br />
Für den durch <strong>die</strong> Tscheka erschossenen<br />
Aufständischen ist <strong>die</strong>ser fe<strong>in</strong>e Unterschied nur<br />
mässig tröstlich, aber er ist entscheidend für <strong>die</strong><br />
theoretische Frage des len<strong>in</strong>istischen Verhältnisses<br />
zum Krieg. Während <strong>die</strong> Gegnerschaft gegen <strong>die</strong><br />
Selbstherrschaft, <strong>die</strong> Grossgrundbesitzer und <strong>die</strong><br />
Kapitalisten als unversöhnlich beurteilt wird, ergriff<br />
<strong>die</strong> bolschewistische Macht Massnahmen, um<br />
<strong>die</strong> Klassen<strong>in</strong>teressen der mittleren Bauernschaft<br />
zu schonen: Kurz nach der Niederschlagung<br />
der Revolte von Tambow ersetzte der Rat der<br />
Volkskommissare <strong>die</strong> Prodrazverstka durch <strong>die</strong><br />
Prodnalog, e<strong>in</strong>e fixe Steuer, zahlbar <strong>in</strong> Naturalien<br />
(<strong>in</strong> Korn), was für <strong>die</strong> Bauern viel eher annehmbar<br />
war. Also, auch wenn Len<strong>in</strong> den Parteikadern <strong>die</strong><br />
62<br />
63
Lektüre von Clausewitz empfahl, weil <strong>die</strong> politische<br />
und <strong>die</strong> militärische Taktik Nachbargebiete s<strong>in</strong>d 100 ,<br />
auch wenn <strong>die</strong> Rhetorik kriegerisch blieb 101 , verliert<br />
<strong>die</strong> len<strong>in</strong>istische Politik 1922 <strong>die</strong> Charakteristik der<br />
Kriegführung, anders als Kipp behauptet 102 .<br />
<strong>Die</strong> len<strong>in</strong>istische Politik auf den Krieg zu reduzieren<br />
bedeutet nicht nur, alles zu disqualifizieren,<br />
was vor dem Krieg kommt (<strong>die</strong> Organisierung<br />
und Bewusstse<strong>in</strong>sbildung der Arbeiterklasse<br />
auf nationaler und <strong>in</strong>ternationaler Ebene, <strong>die</strong><br />
Organisierung und Vere<strong>in</strong>igung der Revolutionäre<br />
um e<strong>in</strong> strategisches Projekt, <strong>die</strong> Annäherung der<br />
Klassen und sozialen Gruppen, <strong>die</strong> e<strong>in</strong> objektives<br />
Interesse an e<strong>in</strong>er revolutionären Veränderung haben<br />
etc.), sondern auch alles, was nach ihm kommt (<strong>die</strong><br />
organisierung der neuen Macht, <strong>die</strong> Entwicklung<br />
neuer sozialer Verhältnisse, <strong>die</strong> Reorganisierung<br />
der Produktion und der Raumordnung, <strong>die</strong><br />
Kulturrevolution etc.). Und wenn <strong>die</strong> Ziele der<br />
vorrevolutionären Politik tatsächlich erlauben<br />
sollen, den revolutionären Krieg zu führen und zu<br />
gew<strong>in</strong>nen, müssen sie es auch erlauben, den Frieden<br />
zu gew<strong>in</strong>nen. Gemäss Clausewitz muss man immer<br />
« mit dem Frieden den Zweck als erreicht und das<br />
Geschäft des Krieges als beendigt ansehen » 103 , und so<br />
versteht es auch Len<strong>in</strong>: Wenn der Klassenfe<strong>in</strong>d (<strong>die</strong><br />
Reaktionäre und <strong>die</strong> imperialistischen Angreifer)<br />
e<strong>in</strong>mal geschlagen s<strong>in</strong>d, geht es um den friedlichen<br />
Aufbau des Sozialismus. Auch <strong>die</strong>ser Aufbau ist e<strong>in</strong><br />
Kampf: Kampf um <strong>die</strong> Produktion, <strong>die</strong> Kultur, <strong>die</strong><br />
Verbesserung der sozialen Beziehungen und des<br />
sozialen Bewusstse<strong>in</strong>s, Kampf gegen <strong>die</strong> Faulheit,<br />
<strong>die</strong> Nachlässigkeit, den Egoismus, <strong>die</strong> Rout<strong>in</strong>e<br />
und <strong>die</strong> Bürokratie und gegen das, was Len<strong>in</strong><br />
„Oblomowismus“ nannte. Aber <strong>die</strong>se Kämpfe s<strong>in</strong>d<br />
ke<strong>in</strong>eswegs Kriege. Es ist der Friede (der hier <strong>die</strong><br />
Form des Aufbaus des Sozialismus annimmt), was<br />
<strong>in</strong> Übere<strong>in</strong>stimmung mit den Clausewitz’schen<br />
Begriffen <strong>die</strong> Wahrheit des len<strong>in</strong>istischen Krieges<br />
ist.<br />
In der Aussenpolitik ist es anders. Auf dem VIII.<br />
Kongress der bolschewistischen Partei bat Len<strong>in</strong><br />
<strong>die</strong> Stenographen, ihrev Bleistift abzulegen, damit<br />
er bezüglich der Friedensangebote von Lloyd<br />
Georges und Woodrow Wilson an den Kreml ohne<br />
Furcht vor Indiskretionen sagen konnte, was er<br />
dachte. Für Len<strong>in</strong> waren <strong>die</strong>se Angebote durch das<br />
Scheitern der Militär<strong>in</strong>tervention <strong>in</strong> Russland und<br />
durch <strong>die</strong> revolutionären Wellen <strong>in</strong> Europa diktiert<br />
und nicht vom Wunsch, e<strong>in</strong>en modus vivendi<br />
mit den Bolschewiken zu f<strong>in</strong>den 104 . Für Len<strong>in</strong> ist<br />
der Widerspruch mit den bürgerlichen Staaten<br />
antagonistisch; <strong>die</strong> Verbissenheit der Angreifer<br />
zeigte ihre ganze Fe<strong>in</strong>dschaft gegenüber dem ersten<br />
sozialistischen Staat. Wenn <strong>die</strong> Erschöpfung, <strong>die</strong><br />
<strong>in</strong>neren Widersprüche (Meutereien, Streiks etc.) und<br />
<strong>die</strong> Aufreibung der Weissen sie auch dazu brachten,<br />
auf <strong>die</strong> Intervention zu verzichten, machten sie<br />
doch den Fe<strong>in</strong>dseligkeiten ke<strong>in</strong> Ende. Der Friede,<br />
<strong>die</strong> <strong>in</strong>ternationalen Verträge s<strong>in</strong>d von da an nichts<br />
anderes als e<strong>in</strong> verlagerter Krieg. Es kommt nicht<br />
darauf an, ob das Kriegswerkzeug das e<strong>in</strong>heimische<br />
aufständische Proletariat oder <strong>die</strong> Rote Armee<br />
ist: <strong>Die</strong> len<strong>in</strong>istische <strong>in</strong>ternationale Politik ist e<strong>in</strong>e<br />
Politik der gemässigten Kriegführung, denn sie<br />
ist von der Überzeugung geleitet, dass <strong>die</strong> <strong>in</strong>neren<br />
Widersprüche des Fe<strong>in</strong>des <strong>die</strong> grössere Rolle bei<br />
se<strong>in</strong>er Niederlage spielen werden. Len<strong>in</strong> hielt <strong>die</strong><br />
E<strong>in</strong>richtung normaler Beziehungen zwischen<br />
Sowjetrussland und den kapitalistischen Staaten<br />
für unmöglich, und er gehörten zu denen, wie<br />
Wynn Catl<strong>in</strong>, welche <strong>die</strong> Diplomatie als <strong>die</strong> Kunst<br />
betrachtete, „du nettes Hündchen!“ zu sagen,<br />
während man mit den Augen e<strong>in</strong>en guten Ste<strong>in</strong><br />
sucht....<br />
Anmerkungen<br />
1 Cf. Zhang Yuan-L<strong>in</strong> : Mao Zedong und Carl von<br />
Clausewitz : Theorien des Krieges, Beziehung, Darstellung<br />
und Vergleich. Inauguraldissertation zur Erlangung des<br />
akademischen Grades e<strong>in</strong>es Doktors der Philosophie der<br />
Universität Mannheim. Mannheim, 1995.<br />
2 <strong>Die</strong>ses Exil folgte auf <strong>die</strong> Repressionswelle nach<br />
der gescheiterten Revolution von 1905. Len<strong>in</strong> begab sich<br />
zunächst nach Galizien, welches damals österreichisches<br />
Gebiet war; bei Ausbruch des Krieges im Sommer 1914<br />
musste er auch von dort wieder verschw<strong>in</strong>den.<br />
3 Schlössler beschreibt <strong>die</strong>sen E<strong>in</strong>fluss als<br />
wahrsche<strong>in</strong>lich, beg<strong>in</strong>nend mit Mehr<strong>in</strong>gs Artikel aus dem<br />
Jahr 1904 über den russisch-japanischen Krieg. <strong>Die</strong>tmar<br />
Schössler : Clausewitz Engels Mahan : Grundriss e<strong>in</strong>er<br />
Ideengeschichte militärischen Denkens, LIT Verlag, Berl<strong>in</strong>,<br />
2009, Seiten 388 und 393.<br />
4 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, herausgegeben<br />
von Werner Hahlweg, Bonn: Ferd. Dümmlers Verlag,<br />
19. Aufl. 1980, S. 179-183, (im Folgenden zitiert als Vom<br />
Kriege); Len<strong>in</strong>: Clausewitz Werk Vom Kriege, Auszüge<br />
und Randglossen, Verlag des M<strong>in</strong>isteriums für Nationale<br />
Verteidigung, Berl<strong>in</strong> (Ost) 1957, abgedruckt <strong>in</strong>: T. Derbent:<br />
Clausewitz und der Volkskrieg, Zambon-Verlag 1912 (im<br />
Folgenden zitiert als Len<strong>in</strong>s Glossen über Clausewitz), S. 15.<br />
5 Vom Kriege, S. 210, Len<strong>in</strong>s Glossen über<br />
Clausewitz, S. 15f.<br />
6 In <strong>die</strong>sem Kapitel f<strong>in</strong>det sich <strong>die</strong> berühmte<br />
Passage: « Man weiss freilich, dass der Krieg nur durch<br />
den politischen Verkehr der Regierungen und der Völker<br />
hervorgerufen wird ; aber gewöhnlich denkt man sich<br />
<strong>die</strong> Sache so, dass mit ihm jener Verkehr aufhöre und e<strong>in</strong><br />
ganz anderer Zustand e<strong>in</strong>trete, welcher nur se<strong>in</strong>en eigenen<br />
Gesetzen unterworfen sei. Wir behaupten dagegen: Der<br />
Krieg ist nichts als e<strong>in</strong>e Fortsetzung des politischen Verkehrs<br />
mit E<strong>in</strong>mischung anderer Mittel» Vom Kriege, S. 990f;<br />
Len<strong>in</strong>s Glossen über Clausewitz, S. 35f.<br />
7 « (…) wie jede Zeit ihre eigenen Kriege, ihre<br />
eigenen beschränkenden Bed<strong>in</strong>gungen, ihre eigene<br />
Befangenheit hatte.» Vom Kriege, 973.<br />
8 « Hiernach kann der Krieg niemals von dem<br />
politischen Verkehr getrennt werden (...) » Vom Kriege, S991<br />
9 Später wird der Krieg zu e<strong>in</strong>em theoretischen<br />
Objekt durch <strong>die</strong> Fürbitte anderer Beziehungen: Bouthoul<br />
et Feund werden ihre Polemiken auf e<strong>in</strong>e gewisse<br />
Anthropologie stützen.<br />
10 Major Général John Frederick Charles Fuller, The<br />
Condut of War (1789-1961) A Study of the Impact of the<br />
French, Industrial, and Russian Revolution on War and tis<br />
Conduct. New Brunswick, New Jersey, Rutgers University<br />
Press 1951 Seite 202, eigene Überwsetzung.<br />
11 Jean-V<strong>in</strong>cent Hole<strong>in</strong>dre : Violence, guerre et<br />
politique Études sur le retournement de la “Formule”<br />
de Clausewitz, <strong>in</strong> Res militaris, vol. 1, n°3, Sommer<br />
2011, verfügbar unter https://www.google.ch/?gws_<br />
rd=ssl#q=Hole<strong>in</strong>dre+Violence%2C+guerre+et+politique,<br />
eigene Übersetzung.<br />
12 Marx-Engels, Werke, Band 4, <strong>Die</strong>tz Verlag, Berl<strong>in</strong>,<br />
1977, Seite 462.<br />
13 So wie <strong>in</strong> Italien während des <strong>in</strong>tensiven<br />
Klassenkampfes Ende der 60er und anfangs der 70er Jahre,<br />
wo <strong>die</strong> Roten Brigaden mit der bewaffneten Propaganda<br />
das Ziel hatten, <strong>die</strong> Massen zur bewaffneten Revolution zu<br />
führen, während im anderen Lager <strong>die</strong> P2 mittels Attentaten<br />
und Massakern das Kriegsrecht auslösen wollte.<br />
14 Len<strong>in</strong> : Der Partisanenkrieg, LW 11, S. 209.<br />
15 Hervorhebungen von Len<strong>in</strong>.<br />
16 Vom Kriege, S. 967, 970, 972f., Len<strong>in</strong>s Glossen<br />
über Clausewitz, S. 32f.<br />
17 Vom Kriege, S. 221, Len<strong>in</strong>s Glossen über<br />
Clausewitz, Seite 16.<br />
18 Vom Kriege S. 212f, Len<strong>in</strong>s Glossen über<br />
Clausewitz, Seite 17.<br />
19 « Obgleich der E<strong>in</strong>fluss e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>zelnen Bewohners<br />
des Kriegsschauplatzes auf den Krieg <strong>in</strong> den meisten<br />
Fällen nicht bemerklicher ist als <strong>die</strong> Mitwirkung e<strong>in</strong>es<br />
Wassertropfens bei dem ganzen Strom, so ist doch selbst<br />
<strong>in</strong> Fällen, wo von gar ke<strong>in</strong>em Volksaufstand <strong>die</strong> Rede ist,<br />
der Gesamte<strong>in</strong>fluss, den <strong>die</strong> E<strong>in</strong>wohner des Landes auf den<br />
Krieg haben, nichts weniger als unmerklich. Vom Kriege, S.<br />
637.<br />
20 Len<strong>in</strong> verweilt ebenfalls bei der Reflexion von<br />
Clausewitz aus dem 20. Kapitel des Sechsten Buches,<br />
wonach der Generalstab dazu neigt, jene Fragen zu<br />
überschätzen, <strong>die</strong> für ihn direkt relevant s<strong>in</strong>d (wie <strong>die</strong><br />
topografischen Eigenschaften des Kriegstheaters). Da<br />
der Generalstab «derjenige Teil des Heeres zu se<strong>in</strong> pflegt,<br />
welcher am meisten schreibt und drucken lässt: so folgt,<br />
dass <strong>die</strong>se Teile der Feldzüge historisch mehr fixiert s<strong>in</strong>d »<br />
auf Kosten von anderen, nicht weniger wichtigen. Len<strong>in</strong>s<br />
Glossen über Clausewitz, Seite 26.<br />
21 Vom Kriege, S. 971.<br />
22 Vom Kriege, S. 990, Len<strong>in</strong>s Glossen über<br />
Clausewitz, S.35f.<br />
23 So wurde <strong>in</strong> Frankreich <strong>die</strong> Aussetzung<br />
<strong>in</strong>nenpolitischer Streitigkeiten angesichts der Verteidigung<br />
der Nation im Ersten Weltkrieg bezeichnet; der Begriff ist<br />
hier natürlich nicht auf Frankreich beschränkt [Anm. d. Ü.].<br />
24 Len<strong>in</strong> : der Zusammenbruch der II. Internationale,<br />
LW 21, S. 210-214.<br />
25 Der Imperialismus als höchstes Stadium des<br />
64<br />
65
Kapitalismus wurde von Len<strong>in</strong> 1916 verfasst.<br />
Internationale (erschienen am 1. November 1914), LW 21,<br />
57 Rémi Adam : La première guerre mondiale : Dix<br />
der Erhebung riesigen Nutzen br<strong>in</strong>gen. E<strong>in</strong>e Kampfgruppe,<br />
26 Georg Lukács : Len<strong>in</strong>, Stu<strong>die</strong> über den<br />
S.27 .<br />
millions de morts pour un repartage du monde, Les bons<br />
<strong>die</strong> zu schießen versteht, wird e<strong>in</strong>en Polizisten entwaffnen,<br />
Zusammenhang se<strong>in</strong>er Gedanken, Neuwied: Luchterhand<br />
44 Karl Kautsky, Neue Zeit, 2 Oktober 1914.<br />
caractères éditions, collection Histoire Éclairage, Pant<strong>in</strong><br />
wird überraschend e<strong>in</strong>e Streife überfallen, wird sich Waffen<br />
3. Aufl. 1969, S. 50. https://www.marxists.org/deutsch/<br />
45 Karl Kautsky : <strong>Die</strong> Sozialdemokratie im Kriege.<br />
2010, Seite 78.<br />
verschaffen. E<strong>in</strong>e Kampfgruppe, <strong>die</strong> nicht zu schießen<br />
archiv/lukacs/1924/len<strong>in</strong>/kap4.htm<br />
<strong>Die</strong> Neue Zeit 33 - 1, 2. Oktober 1914, S. 7.<br />
58 Georges Haupt : Guerre et révolution chez Lén<strong>in</strong>e,<br />
versteht oder sich ke<strong>in</strong>e Waffen verschaffen konnte, wird<br />
27 Vom Kriege, S. 993.<br />
46 Politik im S<strong>in</strong>n von “policy”, im S<strong>in</strong>n von<br />
zum ersten Mal erschienen <strong>in</strong> Nr. 2 der Revue française<br />
beim Barrikadenbau helfen, wird Kundschafter<strong>die</strong>nste<br />
28 Mart<strong>in</strong> Van Creveld : <strong>Die</strong> Zukunft des Krieges.<br />
“politics”, kommt <strong>die</strong> Rolle Franz Mehr<strong>in</strong>g zu.<br />
de sciences politiques (1971), wieder aufgenommen <strong>in</strong><br />
leisten, wird behilflich se<strong>in</strong>, <strong>die</strong> Verb<strong>in</strong>dungen zu<br />
Gerl<strong>in</strong>g Akademie Verlag, München 1998, 3. überarbeitete<br />
47 <strong>Die</strong> fe<strong>in</strong>dlichen Gelüste Frankreichs und<br />
L’historien et le mouvement social (Maspéro, 1980) und<br />
organisieren, den Fe<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en H<strong>in</strong>terhalt zu locken,<br />
deutsche Ausgabe, Hamburg, Murmann 2004 S. 189f.<br />
Deutschlands gegen Marokko - e<strong>in</strong>em der letzten<br />
jetzt auf dem Netz zugänglich : http://alencontre.org/societe/<br />
e<strong>in</strong> Gebäude <strong>in</strong> Brand zu stecken, <strong>in</strong> dem sich der Fe<strong>in</strong>d<br />
29 Was Clausewitz als das « Pr<strong>in</strong>zip der Polarität »<br />
unabhängigen Staaten <strong>in</strong> Afrika, hätte 1905 be<strong>in</strong>ahe<br />
histoire/guerre-ou-revolution-l<strong>in</strong>ternationale-et-lunion-<br />
festgesetzt hat, Wohnungen zu besetzen, <strong>die</strong> zu Stützpunkten<br />
bezeichnet.<br />
zum Krieg geführt. <strong>Die</strong> Krise wurde erst 1911 gelöst:<br />
sacree-en-aout-1914.html<br />
für <strong>die</strong> Aufständischen werden können; mit e<strong>in</strong>em Wort, <strong>die</strong><br />
30 Conrad Crane lehrt am ‘U.S. Army War College,<br />
Deutschland verzichtete auf den Anspruch auf Marokko im<br />
59 Len<strong>in</strong> : <strong>Die</strong> Aufgaben der revolutionären<br />
losen Verbände von Leuten, <strong>die</strong> entschlossen s<strong>in</strong>d, auf Leben<br />
Lukas Milevski an der National Defense University. Vgl.<br />
Tausch gegen <strong>die</strong> Vergrösserung der Kolonie von Kamerun<br />
Sozialdemokratie im europäischen Krieg (geschrieben<br />
und Tod zu kämpfen, <strong>die</strong> mit der Örtlichkeit bestens vertraut<br />
den Artikel, publiziert von der NDU<strong>in</strong> n°4 (2014) des Jo<strong>in</strong>t<br />
um 272.000 km² auf Kosten der benachbarten französischen<br />
spätestens im August 1914), LW 21, Seite 4.<br />
und aufs engste mit der Bevölkerung verbunden s<strong>in</strong>d, werden<br />
Force Quaterly. <strong>Die</strong>ser Artikel ist im Netz verfügbar.<br />
Kolonien.<br />
60 Len<strong>in</strong> : Lage und Aufgaben der sozialistischen<br />
Tausende der allerverschiedensten Aufgaben erfüllen.» <strong>Die</strong><br />
31 <strong>Die</strong> Überlegungen über den Algerienkrieg,<br />
48 Leipzig, Verlag der Leipziger Buchdruckerei<br />
Internationale (erschienen am 1. November 1914),LW<br />
Auflösung der Duma und <strong>die</strong> Aufgaben des Proletariats LW<br />
<strong>die</strong> er zur Unterstützung se<strong>in</strong>er Analyse macht, s<strong>in</strong>d<br />
Aktiengesellschaft 1907, Seite 23<br />
21,Seite 26f.<br />
11, S. 113.<br />
so geistesgestört, dass sie nur von se<strong>in</strong>en zionistischen<br />
49 In <strong>Die</strong> proletarische Revolution und der Renegat<br />
61 Len<strong>in</strong> : <strong>Die</strong> Bedeutung der Verbrüderung (11 Mai<br />
71 « <strong>Die</strong> militärische Taktik hängt von dem Niveau<br />
Positionen im israelisch-paläst<strong>in</strong>ensischen Konflikt<br />
Kautsky stellt Len<strong>in</strong> im Kapitel Was ist Internationalismus?<br />
1917), LW 24, Seiten 311-313.<br />
der militärischen Technik ab <strong>die</strong>se Tatsache hat Engels<br />
herrühren können.<br />
(LW 28, S. 283), gegen <strong>die</strong> antisowjetischen Positionen von<br />
62 Len<strong>in</strong> : Petrograder Stadtkonferenz der SDAPR(B),<br />
wiederholt erläutert und den Marxisten e<strong>in</strong>gehämmert. <strong>Die</strong><br />
32 <strong>Die</strong> Kriege der dschihadistischen Bewegung zeigen<br />
Kautsky dessen eigenen Schriften entgegen, speziell Der<br />
14.—22. April (27. April bis 5. Mai) 1917LW 24, Seite 153.<br />
militärische Technik ist jetzt e<strong>in</strong>e andere als <strong>in</strong> der Mitte<br />
teilweise (und <strong>in</strong> unterschiedlichen Proportionen) politische<br />
Weg zur Macht, geschrieben «als Kautsky noch Marxist<br />
63 Len<strong>in</strong> : An den Kampfausschuß des St.<br />
des 19. Jahrhunderts. Gegen <strong>die</strong> Artillerie scharenweise<br />
Rationalität, teilweise <strong>in</strong> dem was Creveld «<strong>die</strong> Fortsetzung<br />
war», wobei er noch « von dem Nahen e<strong>in</strong>er Ära der<br />
Petersburger Komitees, LW 9, Seite 342f.<br />
vorzugehen und mit Revolvern <strong>die</strong> Barrikaden zu verteidigen<br />
der Religion mit anderen Mitteln » nennt.<br />
Revolutionen » sprach. In « Staat und Revolution » schreibt<br />
64 Zitiert im Vorwort von B. Ponomarev zu La lutte<br />
wäre e<strong>in</strong>e Dummheit. (..). In der allerletzten Zeit macht<br />
33 Len<strong>in</strong> : Über « l<strong>in</strong>ke » K<strong>in</strong>derei und über<br />
er, dass <strong>die</strong>s se<strong>in</strong>e beste Broschüre sei, obschon er Kautsky<br />
des partisans selon les auteurs classiques du marxisme-<br />
<strong>die</strong> militärische Technik wiederum neue Fortschritte. Der<br />
Kle<strong>in</strong>bürgerlichkeit, LW 27, S. 324 .<br />
sonst verreisst.<br />
lén<strong>in</strong>isme, Éditions en langues étrangères, Moskau, 1945,<br />
japanische Krieg hat <strong>die</strong> Handgranate e<strong>in</strong>geführt. <strong>Die</strong><br />
34 Len<strong>in</strong> : Der streitbare Militarismus und <strong>die</strong><br />
50 Len<strong>in</strong> : Brief an A. Schljapnikow. 27. Oktober, LW<br />
Seite 5. In Krupkajas Er<strong>in</strong>nerungen konnte <strong>die</strong>se Passage<br />
Gewehrfabriken haben das Selbstladegewehr auf den<br />
antimilitaristische Taktik der Sozialdemokratie, LW15, S.<br />
35, S. 142.<br />
nicht gefunden werden; eigene Übersetzung.<br />
Markt geworfen. Beide werden <strong>in</strong> der russischen Revolution<br />
194<br />
51 Len<strong>in</strong> Brief an A. Schljapnikow. 31. Oktober, LW<br />
65 Institut de Marxisme-Lén<strong>in</strong>isme près le C.C.<br />
zwar schon erfolgreich angewandt, aber bei weitem noch<br />
35 Simon Petermann : Marx, Engels et les conflits<br />
35, 146.<br />
du P.C.U.S. : Lén<strong>in</strong>e : Vie et uvre, Éditions du Progrès,<br />
nicht <strong>in</strong> genügendem Maße. Wir können und müssen uns<br />
nationaux, Émile Van Ballberghe, collection Documenta et<br />
52 An e<strong>in</strong>er früheren Stelle der Broschüre (Seite<br />
Moskau, 1983, page 118.<br />
technische Vervollkommnungen zunutze machen, müssen <strong>die</strong><br />
opuscula n°5, Bruxelles, 1987.<br />
11) er<strong>in</strong>nert Kautsky daran, dass « Marx und Engels stets<br />
66 In Moskau Ende Oktober 1905 gegründet, um den<br />
Arbeiterabteilungen lehren, Bomben <strong>in</strong> Massen herzustellen,<br />
36 Raymon Aron: Clausewitz. Den Krieg denken,<br />
das Wort von der reaktionären Masse bekämpft » haben,<br />
Schwarzen Hundert entgegenzutreten. Vere<strong>in</strong>igte Vertreter<br />
müssen ihnen und unseren Kampfgruppen helfen, sich<br />
Frankfurt am Ma<strong>in</strong>, Berkl<strong>in</strong>, Wien : Propyläen, 1980, S.<br />
« weil es zu sehr <strong>die</strong> Gegensätze verdeckt, <strong>die</strong> zwischen<br />
der Kampfgruppen des Moskauer Komitees der SDAPR,<br />
Vorräte an Sprengstoffen, Zündern und Selbstladegewehren<br />
399f.<br />
den verschiedenen Fraktionen der besitzenden Klassen<br />
der sozialdemokratischen Gruppe Moskaus, des Moskauer<br />
zu besorgen. » : <strong>Die</strong> Lehren des Moskauer Aufstands LW 11,<br />
37 Len<strong>in</strong> : <strong>Die</strong> Ergebnisse der Diskussion über <strong>die</strong><br />
herrschen » .<br />
Komites der sozialrevolutionären Partei und anderer<br />
162-163..<br />
Selbstbestimmung, LW 22, S. 327f.<br />
53 Kautsky, Der Weg zur Macht, a.a.O. Seite 103.<br />
Kampfgruppen. Der Rat wurde von den Sozialrevolutionären<br />
72 « daß von e<strong>in</strong>em ernsten Kampf ke<strong>in</strong>e Rede<br />
38 Len<strong>in</strong> : <strong>Die</strong> Ergebnisse der Diskussion über <strong>die</strong><br />
54 Nach Lars T. Lih allerd<strong>in</strong>gs werden <strong>die</strong>se<br />
und den Menschewiki kontrolliert.<br />
se<strong>in</strong> kann, solange <strong>die</strong> Revolution nicht zu e<strong>in</strong>er<br />
Selbstbestimmung, LW 22, S. 331.<br />
Eventualitäten von Kautsky als wenig wahrsche<strong>in</strong>lich<br />
67 Len<strong>in</strong> erwähnt <strong>die</strong> Wichtigkeit der Frage der<br />
Massenbewegung geworden ist und nicht auch <strong>die</strong> Truppen<br />
39 Len<strong>in</strong> : <strong>Die</strong> Ergebnisse der Diskussion über <strong>die</strong><br />
beurteilt (er glaubt daran, dass <strong>die</strong> Arbeiterbewegung<br />
Eisenbahner im Fall des Aufstandes <strong>in</strong> <strong>Die</strong> Auflösung der<br />
erfaßt hat. Selbstverständlich ist <strong>die</strong> Arbeit unter den<br />
Selbstbestimmung, LW 22, S. 339.<br />
den Krieg verh<strong>in</strong>dern kann, auch wenn es nur sei, weil<br />
Duma und <strong>die</strong> Aufgaben des Proletariats LW 11, S. 107.<br />
Truppen notwendig. Aber man darf sich <strong>die</strong>sen Übergang<br />
40 Len<strong>in</strong> : <strong>Die</strong> Ergebnisse der Diskussion über <strong>die</strong><br />
es der Bourgeoisie Angst e<strong>in</strong>jagen würde) und dass es<br />
68 In den Nummern 3 und 4 der Hefte des<br />
der Truppen nicht als e<strong>in</strong>fachen, e<strong>in</strong>maligen Akt vorstellen,<br />
Selbstbestimmung, LW 22,S. 348.<br />
abenteuerlich wäre darauf e<strong>in</strong>e Strategie aufzubauen. - Lars<br />
Sozialdemokraten, <strong>die</strong> er <strong>in</strong> Genf herausgab, fällte<br />
der das Ergebnis e<strong>in</strong>erseits der Überzeugung und anderseits<br />
41 Len<strong>in</strong> : Der Internationale Sozialistenkongress <strong>in</strong><br />
T. Lih : Len<strong>in</strong> en 1914, La « nouvelle époque de guerre et<br />
Plechanow <strong>die</strong>ses Urteil und verdammte den Aufstand. Er<br />
des Bewußtse<strong>in</strong>s ist. Der Moskauer Aufstand zeigt uns<br />
Stuttgart (1907), <strong>in</strong> LW 13, S. 71.<br />
révolution ». Artikel auf dem Netz : http://alencontre.org/<br />
rief stattdessen dazu auf, « der Gewerkschaftsbewegung der<br />
anschaulich, wie schablonenhaft und lebensfremd e<strong>in</strong>e<br />
42 Mehrere pazifistische Zimmwerwalder schlossen<br />
societe/histoire/len<strong>in</strong>e-en-1914-la-nouvelle-epoque-de-<br />
Arbeiter e<strong>in</strong>e nachhaltigere Aufmerksamkeit zu schenken ».<br />
solche Auffassung ist. In der Praxis führt das Schwanken der<br />
sich später Len<strong>in</strong>s Positionen an und werden, wenn nicht<br />
guerre-et-revolution.html.<br />
69 Len<strong>in</strong> : <strong>Die</strong> Lehren des Moskauer Aufstands LW<br />
Truppen, das jede wirkliche Volksbewegung zwangsläufig<br />
Gründer der kommunistischen Parteien <strong>in</strong> ihren Ländern, so<br />
55 Karl Kautsky : Der Weg zur Macht, Berl<strong>in</strong>, Verlag:<br />
11, 159f.<br />
mit sich br<strong>in</strong>gt, bei Verschärfung des revolutionären<br />
wenigstens Verteidiger von Sowjetrussland <strong>in</strong> der westlichen<br />
Buchhandlung vorwärts 1909, Seite 11.<br />
70 « Lose Kampfverbände, Kampfgruppen”, um e<strong>in</strong>en<br />
Kampfes im wahrsten S<strong>in</strong>ne des Wortes zum Kampf um das<br />
sozialistischen Bewegung.<br />
56 Len<strong>in</strong> : Der tote Chauv<strong>in</strong>ismus und der lebendige<br />
Ausdruck zu gebrauchen, der <strong>in</strong> den großen Dezembertagen<br />
Heer. » <strong>Die</strong> Lehren des Moskauer Aufstands LW 11, 160.<br />
43 Len<strong>in</strong> : Lage und Aufgaben der sozialistischen<br />
Sozialismus (Dezember 1914), LW 21, Seite 87.<br />
<strong>in</strong> Moskau solchen Ruhm gewann, werden im Augenblick<br />
73 Emelian Jaroslawski : Vladimir Ilitch dirige les<br />
66<br />
67
activités combatives du Parti (Une page d’histoire des<br />
83 L. Wachromejew : Len<strong>in</strong> <strong>in</strong> den Oktobertagen,<br />
Aproximación a la Política, Universidad Simón Bolívar,<br />
104 Cf. Marcel Body : Les groupes communistes<br />
organisations militaires et de combat de notre parti), <strong>in</strong><br />
<strong>in</strong> Len<strong>in</strong> <strong>in</strong> den ersten Tagen der Sowjetmacht,<br />
Instituto de Altos Estudios de América Lat<strong>in</strong>a, Caracas,<br />
français de Russie 1918-1921. In Contributions à l’histoire<br />
Lén<strong>in</strong>e tel qu’il fut : Souvenirs de contempora<strong>in</strong>s, tome 1,<br />
nach Er<strong>in</strong>nerungen von Teilnehmern jener Tage.<br />
1994,gleiche Website , anderes pdf, Seite 84).<br />
du Com<strong>in</strong>tern, (sous la direction de Jacques Freymond),<br />
Éditions en langues étrangères, Moskau, 1958, Seiten 465-<br />
Zusammengestellt nach ausgewähltem Material des Marx-<br />
95 Jacob W. Kipp : Len<strong>in</strong> and Clausewitz: The<br />
Publication de l’Institut Universitaire de Hautes Études<br />
466, eigene Übersetzung.<br />
Engels-Len<strong>in</strong>-Instituts Verlagsgeme<strong>in</strong>schaft ausländischer<br />
Militarization of Marxism, 1914-1921. Military Affairs,<br />
Internationale n°45, Librairie Droz, Genève, 1965, Seite 51.<br />
74 Leonid Krass<strong>in</strong> (1870-1926), Anführer der<br />
Arbeiter <strong>in</strong> der UdSSR, Moskau-Len<strong>in</strong>grad 1944, S. 56.<br />
octobre 1985, Seite 189, traduction maison, auf dem<br />
Revolution von 1905 <strong>in</strong> St. Petersburg, Ingenieur von Beruf,<br />
84 F. Raskolnikow : <strong>Die</strong> Oktoberrevolution, <strong>in</strong> Len<strong>in</strong><br />
Internet unter<br />
organisierte <strong>die</strong> klandest<strong>in</strong>e Werkstatt für Bombenbau <strong>in</strong><br />
Moskau. Er leitete <strong>die</strong> bolschewistische Kampforganisation,<br />
<strong>in</strong> den ersten Tagen der Sowjetmacht, a.a.O. S. 38f.<br />
85 N. Ismailow : Das Zentralkomitee der Baltischen<br />
96 Len<strong>in</strong> : Politischer Bericht des Zentralkomitees der<br />
KPR(B) an den XI. Parteitag der KPR(B), 27. März 1922,<br />
Bildbeschreibung<br />
<strong>die</strong> vor allem grosse Enteignungsoperationen durchführte,<br />
bis zu se<strong>in</strong>er Verhaftung 1908. Nach der Revolution wurde er<br />
Volkskommissar des Aussenhandels.<br />
75 Alexander Bogdanow (1873-1928)<br />
bolschewistischer Militanter, nahm an der Revolution<br />
von 1905 teil. Se<strong>in</strong>e philosophischen Thesen wurden von<br />
Len<strong>in</strong> 2011 massiv kritisiert. Er war 1918 der Gründer des<br />
Proletkult.<br />
76 Len<strong>in</strong> : Taktische Plattform zum<br />
Vere<strong>in</strong>igungsparteitag der SDAPR., LW 146f.<br />
77 Len<strong>in</strong> : Der Partisanenkrieg LW 11, S.<br />
208, 212f .<br />
78 « Len<strong>in</strong> war ke<strong>in</strong> Feldherr. Während<br />
der Jahre des Bürgerkrieges nach der Revolution träumte<br />
er niemals davon, <strong>die</strong> Funktionen e<strong>in</strong>es Generalissimus<br />
Flotte (Centrobalte) während der Tage des Aufstandes.<br />
Der Telegrammverkehr f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> LW 26, S. 258f. Se<strong>in</strong><br />
Bericht divergiert von früheren dar<strong>in</strong>, dass nicht der Kreuzer<br />
Oleg sondern das L<strong>in</strong>ienschiff Respublika (früher Kaiser<br />
Paul 1er) erwähnt wurde es war nur wegen des zu starken<br />
Wasserflusses, dass schliesslich der Kreuzer Oleg gewählt<br />
wurde.<br />
86 <strong>Die</strong> sowjetischen Publikationen präsentieren<br />
<strong>die</strong>se alle natürlich als s<strong>in</strong>nvoll, wenn nicht entscheidend,<br />
so wie Kedrow, Kommandant der Front von Archangelsk,<br />
<strong>die</strong> Entsendung e<strong>in</strong>er schweren Artilleriebatterie nach<br />
Kotlas auf direkten und persönlichen Befehl Len<strong>in</strong>s Befehl<br />
kommentiert. Vgl. M. Kedrow : Guide de l’Armée rouge, <strong>in</strong><br />
Lén<strong>in</strong>e et les forces armées de l’URSS, supplément au n°12<br />
(décembre) 1979 de la Revue Militaire Soviétique, Seite 4.<br />
LW 33 253-278.<br />
97 Man könnte e<strong>in</strong>wenden, dass <strong>die</strong> Öffnung<br />
Len<strong>in</strong>s gegenüber den Bauern und der Intelligenz durch<br />
strategische Zwänge (weil das Proletariat im Bürgerkrieg<br />
Verbündete braucht) diktiert war, aber <strong>die</strong>ses Interesse reicht<br />
weiter. Len<strong>in</strong> pflegt <strong>die</strong> Allianz mit der Bauernschaft und der<br />
Intelligenz <strong>in</strong> der Perspektive des friedlichen Aufbaus der<br />
neuen Gesellschaft. Wenn Len<strong>in</strong> sich dafür verwendet, <strong>die</strong><br />
Intelligenz <strong>in</strong> den <strong>Die</strong>nst e<strong>in</strong>er Kulturrevolution zu stellen<br />
und alle aufkommenden kulturellen Kräfte der Massen zu<br />
unterstützen, dann tut er das nicht, damit <strong>die</strong> Rote Armee<br />
gebildetere Rekruten hat. Es ist e<strong>in</strong>es der Mittel, <strong>die</strong> er für<br />
den sozialistischen Aufbau für notwendig hält.<br />
98 Gemäss den gebräuchlichen Kategorien : Bauern<br />
<strong>die</strong> wohlhabend genug s<strong>in</strong>d, um von ihrem Land und<br />
S. 4: Digitalisiertes Bild von den Barrikaden <strong>in</strong> Paris (1871)<br />
S. 4/5: Gruppenbild mit Leonie Kascher<br />
S. 8: Spartakisten h<strong>in</strong>ter Barrikaden <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> (1919)<br />
S. 16: Spartakusaufstand <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> (1919)<br />
S. 34/35: Spartakusaufstandes <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> bei der heutigen<br />
Karl-Marx-Allee (1919)<br />
S. 36: Postkarten: Wladimir Iljitsch Len<strong>in</strong> Len<strong>in</strong> mit e<strong>in</strong>er<br />
Delegation (1921)<br />
S. 38: Szenen der Oktoberrevolution <strong>in</strong> der frühen<br />
Sowjetunion (undatiert)<br />
S. 44: Gruppe des Roten Frontkämpferbundes (1928)<br />
S. 50: Wladimir Iljitsch Len<strong>in</strong> <strong>in</strong> Petersburg (1917)<br />
S. 56: Feier zum zweijährigen Jubiläum der<br />
Oktoberrevolution <strong>in</strong> Moskau (1919)<br />
e<strong>in</strong>zu<strong>nehmen</strong> oder als solcher zu posieren. Im Gegensatz zu<br />
87 Sergei Ivaniwisch Gussev (1874-1933) nahm an<br />
ihrem Vieh zu leben, aber nicht genug wohlhabend, um<br />
Trotzki und Stal<strong>in</strong> hat ihn <strong>die</strong> Uniform nicht <strong>in</strong>teressiert, und<br />
den Revolutionen von 1905 und 1917 teil, war 1917 Mitglied<br />
Lohnarbeiter<strong>in</strong>nen anzustellen.<br />
er gab niemals vor, imstande zu se<strong>in</strong>, Militärangelegenheiten<br />
des Militärkomitees von Petrograd, dann des Revolutionären<br />
99 Gegen <strong>die</strong> Aufständischen von Tambow wurden<br />
technisch zu beurteilen.» Adam B. Ulam : Les bolcheviques,<br />
Kriegsrates der Republik. Er war e<strong>in</strong>er der wichtigsten<br />
massiv chemische Waffen e<strong>in</strong>gesetzt.<br />
Fayard, collection L’Histoire sans frontière, Paris, 1973,<br />
politischen Führer der Roten Armee..<br />
100 In se<strong>in</strong>em Artikel Marxismus, Taktik, Len<strong>in</strong> ,<br />
Seite 283, eigene Übersetzung.<br />
88 E<strong>in</strong>e im Grund typisch Clausewitz’sche Ironie.<br />
erschienen <strong>in</strong> Nummer 1 der Prawda Jahrgang 1928, zitierte<br />
79 Général-Major N. Pankratow : Lén<strong>in</strong>e, chef de la<br />
89 Len<strong>in</strong> : 224 An S. I. Gussew LW 35, S. 396f.<br />
W. Sor<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>e Bemerkung, <strong>die</strong> er von Len<strong>in</strong> gehört hatte. :<br />
défense de la patrie socialiste, <strong>in</strong> Revue Militaire Soviétique<br />
90 Vom Kriege, S. 505, Len<strong>in</strong>s Glossen über<br />
« <strong>die</strong> politische und <strong>die</strong> militärische Taktik bedeuten etwas,<br />
n°10 (octobre) 1978, Seite 4.<br />
Clausewitz, S. 23.<br />
das man auf Deutsch ‘Grenzgebiet’ nennt, und <strong>die</strong> Militanten<br />
80 Beide waren ehemalige zaristische Obersten.<br />
91 Len<strong>in</strong> : Telegramme 1918-20, Seite112.<br />
der Partei würden mit grossem Gew<strong>in</strong>n <strong>die</strong> Arbeiten des<br />
Kamenew selbst berichtete, von Len<strong>in</strong> zurechtgewiesen<br />
92 Len<strong>in</strong> : Über l<strong>in</strong>ke K<strong>in</strong>derei und über<br />
grossen deutschen Militärtheoretikers Clausewitz lesen ».<br />
worden zu se<strong>in</strong>, als er ihm <strong>die</strong> Schönheit armierter Manöver<br />
Kle<strong>in</strong>bürgerlichkeit, LW 27, S. 324f.<br />
101 Len<strong>in</strong> vergleicht zum Beispiel im bereits zitierten<br />
zu beschreiben getraute. Len<strong>in</strong> sagte ihm trocken, se<strong>in</strong>e<br />
93 « <strong>Die</strong> äusseren Belastungen, <strong>die</strong> grossen <strong>in</strong>neren<br />
Bericht das ökonomische Regime der NEP mit e<strong>in</strong>em<br />
Arbeit bestehe im Schlagen der gegnerischen Armee, und<br />
Schwierigkeiten, all das, so schien es uns, sollten durch<br />
Rückzug : «Der Rückzug verlief im großen und ganzen<br />
ob er das kunstvoll mache oder nicht sei von ke<strong>in</strong>erlei<br />
den revolutionären Krieg ausgeräumt werden». Zitiert<br />
ziemlich geordnet, obwohl Panikstimmen, zu denen auch <strong>die</strong><br />
Interesse....<br />
von Christian Salmon <strong>in</strong> Le rêve mathématique de Nicolaï<br />
Arbeiteropposition’ gehörte (...), <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen Fällen dazu<br />
81 Teil der heutigen Stadt Puschk<strong>in</strong> (Anm. d. Übers.)<br />
Boukhar<strong>in</strong>e, Le Sycomore, collection Contradictions, Paris,<br />
führten, dass der oder jener abgeschnitten, <strong>die</strong> Diszipl<strong>in</strong><br />
82 Auf <strong>die</strong> gleiche Weise wie Len<strong>in</strong> den Arbeitern<br />
1980, Seite 116.<br />
verletzt und der geordnete Rückzug zerstört wurde. Das<br />
der Fabrik Puillow befahl, <strong>die</strong> Züge zu Panzern und zu<br />
94 Aníbal Romero: Lenín y la militarización del<br />
gefährlichste bei e<strong>in</strong>em Rückzug ist <strong>die</strong> Panik. Wenn sich<br />
bewaffnen und sie an <strong>die</strong> Front zu führen. Wobei Podwoiski<br />
marxismo, Universidad Simón Bolívar, Caracas 1983, (Seite<br />
e<strong>in</strong>e ganze Armee (ich spreche hier <strong>in</strong> übertragenem S<strong>in</strong>ne)<br />
mässigend schrieb: « Es ist wahr, dass <strong>die</strong>se befehle weder<br />
4 des .pdf, verfügbar auf der Website von Anibal Romero,<br />
zurückzieht, dann kann <strong>die</strong> Stimmung nicht so gut se<strong>in</strong>, wie<br />
<strong>die</strong> militärischen Operationen noch <strong>die</strong> E<strong>in</strong>heiten betrafen,<br />
http://www.anibalromero.net/estudios_filo.html). Für<br />
wenn alle auf dem Vormarsch s<strong>in</strong>d (S. 267).<br />
sondern ausschliesslich <strong>die</strong> Mobilisierung von « Allem und<br />
Romero geht <strong>die</strong>se Militarisierung aus der Ablehnung des<br />
102 Sie f<strong>in</strong>det sich teilweise wieder mit der<br />
Jedem » für <strong>die</strong> Verteidigung. Aber <strong>die</strong>se Doppelspurigkeit<br />
« friedlichen Weges » als reformistisch hervor und betrifft<br />
Wiederbelebung des Klassenkampfes auf dem Land <strong>in</strong>folge<br />
der Arbeit nervte gewaltig». Nicolai Podwoiski ; Les<br />
auch Mao Zedong und sogar Gramsci <strong>in</strong> dem Mass als er<br />
der Getreidekrise von 1928, welche <strong>die</strong> Eskalation des<br />
journées d’Octobre, <strong>in</strong> Lén<strong>in</strong>e tel qu’il fut : Souvenirs de<br />
<strong>die</strong> Kategorie des Krieges benützt (idem, Seite 40). In e<strong>in</strong>em<br />
Saatstreiks und der Zwangskollektivierung nach sich zog.<br />
contempora<strong>in</strong>s, tome 1, op. cit., page 751.<br />
anderen Dokument fügt er Stal<strong>in</strong> h<strong>in</strong>zu (Aníbal Romero:<br />
103 Vom Kriege, S. 215.<br />
68<br />
69
<strong>Die</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> eigenen <strong>Hände</strong> <strong>nehmen</strong>. Aufruf zur Revolution 1918.