Die Geschichte in die Eigenen Hände nehmen
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Inhalt
Einleitung 5
Leonie Kascher
Die Konferenz zu Zimmerwald und ihre Bedeutung 9
Leonie Kascher und das Erbe von Zimmerwald 17
Anhang; Manifest der Kommunistischen Partei Schweiz 32
Revolutionärer Aufbau Schweiz,
AG Klassenkampf, Herbst 2015
Postfach 8663 8036 Zürich
Email: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
Aufbau Vertrieb Zürich: An- und Verkauf proletarischer
und kommunistischer Literatur,
Kanonengasse 35 (im Hinterhaus, Eisentreppe),
geöffnet jeden Samstag von 12 bis 17 Uhr.
Einführung : Lenin und Clausewitz 37
Erster Teil : Die Kriegstheorie 39
Zweiter Teil : Imperialistischer Krieg und Befreiungskrieg 45
Dritter Teil : Krieg und Revolution 51
Vierter Teil : Der revolutionäre Krieg 57
Lenin und der Krieg
Einleitung
Diese Broschüre ist anlässlich der Kampagne zum
100-jährigen Jubiläum der Konferenz von Zimmerwald
entstanden. Sie ist einerseits ein Ausdruck der
Konfrontation mit der eigenen, revolutionären Geschichte,
andererseits greift sie die höchst aktuelle
Bruchlinie zwischen Reformismus und Revolution
auf, welche heute, wie vor 100 Jahren, von grösster Bedeutung
ist.
Der erste Teil der Broschüre zeigt die inhaltliche Debatte
auf, welche an der Zimmerwalder Konferenz
geführt wurde. Zudem widmet er sich der Bedeutung
der Zimmerwalder Konferenz für die damalige revolutionäre
Linke und er konkretisiert Fragen, die bis
in die Gegenwart reichen. Die Beschäftigung mit der
eigenen Geschichte ist zentral, denn die Geschichte
ist ein weiteres gesellschaftliches Feld, wo „eindeutige“
Interpretationen von oben diktiert werden. „Die
Geschichte in die eigenen Hände nehmen“ bedeutet,
in diesem Kampffeld zu agieren, denn Geschichte ist
nicht nur das, was gestern war, sondern dient den
Herrschenden viel zu oft der Legitimation gegenwärtiger
Politik. Geschichtsbewusstsein entwickeln bedeutet
demnach, sich nicht nur mit der Vergangenheit zu
beschäftigen, sondern auch mit dem, was weiterwirkt
und damit, wie sich das aktuelle politische Geschehen
konstituiert.
Der zweite Teil hat die Auseinandersetzung mit Leonie
Kascher zur Grundlage. Sie, die in die Schweiz
immigrierte Studentin aus Polen, war nach 1916
massgeblich an der revolutionären Organisierung in
der Schweiz beteiligt und war tragend für die Positionsfindung
jener Gruppen, die sich zur Kommunistischen
Partei der Schweiz (KPS) zusammengeschlossen
haben. Ihre Person ist wichtig, weil sich an ihrer
eigenen politischen Geschichte der Einfluss der Zimmerwalder
Konferenz auf die Revolutionärinnen und
Revolutionäre nachzeichnen lässt. Lange haben wir
in Archiven und Bibliotheken der Schweiz, von Polen
und Russland sowie in den Privatarchiven der Angehörigen
Leonie Kaschers nach Dokumenten gesucht
und einiges zusammengetragen. Zentraler Bestandteil
der Quellensammlung ist Kaschers Autobiographie,
die wir vom Russischen ins Deutsche übersetzt haben.
Anhand dieser und anderer Schriften konnten wir die
Beteiligung Kaschers an der revolutionären Organisierung
präzise nachzeichnen und können sie nochmals
zu Wort kommen lassen, in dem wir ihre Beobachtungen
und Interpretation der Geschehnisse in unsere
Aufarbeitung der historischen Erzählung integrieren.
Der dritte Teil der Broschüre, ein Gastbeitrag von T.
Derbent, befasst sich mit einem weiteren, zentralen
Inhalt der Zimmerwalder Konferenz: Dem imperialistischen
Krieg. Es wird im Beitrag aufgezeigt, wie
damals die Zimmerwalder Linke hinter den Erscheinungen
der kapitalistischen Krise und des imperialistischen
Krieges die Tendenzen zu einer revolutionären
Veränderung erkannten. Lenin hatte bereits 1905 erkannt,
dass der Massenstreik als Waffe nicht ausreicht
und sich intensiv mit dem Krieg, mit dem Kriegstheoretiker
Clausewitz und mit revolutionären Kriegsformen
auseinandergesetzt. Im dritten Teil der Broschüre
wird diese Thematik vertieft.
Und heute? Wie sind die ökonomischen Theorien des
Imperialismus, die eine ganze Epoche kennzeichnen,
mit den heutigen politischen Ereignissen verknüpft?
Sind die immer häufiger werdenden imperialistischen
Kriege noch episodisch oder sind Anzeichen eines
„grossen“ Krieges zwischen den imperialistischen
Mächten auszumachen? Ist mit dem Erstarken reaktionärer
Kräfte das Herannahen einer neuen Entwicklung
des Imperialismus verbunden? Und, für uns
zentral, welche Kampfmethoden stehen in dieser Situation
für die KommunistInnen zur Debatte?
Um diese Kernfragen geht es in allen drei Beiträgen.
Selbst in Momenten reaktionärster Verwerfungen und
einer scheinbar unerschütterlichen kapitalistischen
Gesellschaft gibt es Möglichkeiten, die Aktualität des
revolutionären Prozesses als Massstab des politischen
Handelns zu bestimmen. Nicht in dem Sinne, dass die
sozialistische Revolution jederzeit zu verwirklichen
sei. Auch wenn seitens der proletarischen Kräfte fundamentale
Veränderungen stattgefunden haben, geht
es um den Grundton der andauernden imperialistischen
Epoche. Es gibt nicht die Wahl zwischen Krieg
und Frieden, sondern die Wahl zwischen dem imperialistischen
Krieg und dem revolutionären Krieg gegen
den Krieg!
Nehmen wir die Geschichte in die eigenen Hände!
Revolutionärer Aufbau Schweiz,
Herbst 2015
Anmerkung: Alle Zitate, sofern nicht anders notiert,
entstammen der Autobiographie von Leonie Kascher.
Diese ist auf Deutsch wie Russisch bei uns einsehbar.
Mail an: info@aufbau.org
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Die Konferenz zu Zimmerwald und ihre Bedeutung
1. Von fortwirkender Vergangenheit
Wer der Geschichte der revolutionären
ArbeiterInnenbewegung nachgeht, betritt ein
Terrain, das nicht nur von Zurückgebliebenem,
sondern auch von Weiterwirkendem besetzt ist. Die
Wahrnehmung und Deutung dieser Vergangenheit
bildet den historisch begründeten Ausgangspunkt für
den revolutionären Prozess der Gegenwart. Sowohl
Handlungsmöglichkeiten als auch perspektivische
politische Ziele werden daraus abgeleitet. Allerdings
findet die Produktion dieser kollektiven Prozesse
inmitten der Klassenauseinandersetzungen statt, in
einem Raum ständiger Kämpfe um das kollektive
Gedächtnis. Dieser Kampf um die Geschichte ist
daher eine bedeutende Machtfrage. Die historische
Deutungsmacht der Herrschenden dient der
Legitimation ihrer Politik. Für die Bourgeoisie,
in allen ihren Entschlüssen und Massnahmen
richtungsgebend, ist ausschliesslich der Standpunkt
ihrer Interessen, des Erfolges, der ökonomischen
Zwänge, sprich der Kapitalakkumulation. Getrieben
durch die Gier nach schnellem konkretem Erfolg,
kann sie sich keine durch den historischen
Standpunkt geforderte Einschätzung leisten, die
über die unmittelbaren Notwendigkeiten hinaus
gehen.
Historisches Bewusstsein benennt die Vergangenheit
so, dass in der Analyse der Geschichte zugleich ihre
Funktion für den aktuellen Kampf sichtbar wird.
Mit anderen Worten, dass sich historische Kritik in
kritische revolutionäre Praxis verwandelt.
Die Aneignung der Vergangenheit des proletarischen
Klassenkampfes leistet insofern Sinnbildung, als
sie hilft, die Gegenwart als historisches Moment
der Entwicklung von Klassenkämpfen zu begreifen;
Identitätsfindung, da sie die revolutionären
Traditionen der ArbeiterInnenklasse ins Heute
vermittelt; und Lernmöglichkeiten, weil sie hilft,
die aktuelle Etappe des revolutionären Prozesses zu
bestimmen.
2. Für einen marxistischen Revolutionsbegriff
Die Herrschenden sind bestrebt, den
Revolutionsbegriff total zu verwässern, aktuell
wie historisch. Mit Blick auf die momentane
gesellschaftliche Situation ist der grosse Stellenwert
der Geschichte als politische Waffe offensichtlich.
Die Aufrechterhaltung, beziehungsweise die
Revision eines revolutionären, identitätsstiftenden
Geschichtsnarrativs erzielt in Phasen des
reaktionären Aufschwungs für den revolutionären
Prozess eine besonders weit reichende Wirkung. Es
geht in solchen Phasen auch um die emanzipative
und progressive Veränderung der kapitalistischen
Gesellschaft, um ihren sozialistischen Gehalt, und
das ist ohne Revolution, ohne Zerschlagung des
Kapitalismus, nicht zu haben. Reformen, seien sie
noch so „radikal“, verändern die gesellschaftlichen
Verhältnisse nicht, sondern zementieren sie noch
fester.
Der tiefe, historische Sinn der Revolutionen ist,
dass ihre von Zeit zu Zeit stattfindenden Ausbrüche
je einen Abschluss einer Phase des Klassenkampfes,
beziehungsweise den Übergang einer
Gesellschaftsformation in eine andere bedeuten.
Wenn die herrschende Geschichtsschreibung
dies aus den Erfahrungen der Vergangenheit
ausmerzt, so geschieht dies aus demselben Grund,
aus welchem sie auch aus der Politik dieselben
Erscheinungen ausmerzt, verschweigt oder leugnen
möchte. Und sogar dort, wo es für sie unumgänglich
wird, aus revolutionären Ereignissen die Lehre
zu ziehen, ist sie bestrebt, die Revolutionen als
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Ausnahmen, als Verirrungen, als historische
3. Ein Ausgangspunkt in Zimmerwald
masslos enttäuscht waren, wie ein Magnet. Die
Verzerrung des Kommunismus, kaum vorstellen,
Erkrankungen, als hie und da vorgekommene,
Weltrevolution hatte einen Mittelpunkt, und
wie der Geist internationaler Solidarität, der
aber nie wieder zurückkehrende, ausserordentliche
Eine zentrale Rolle bei der Konstituierung einer
bald begann sich das organisierte revolutionäre
Wille und die Fähigkeiten der russischen, aber
Ereignisse hinzustellen. Vor allem aber hütet
internationalen sozialistischen Opposition
Proletariat um diesen Fixpunkt zu scharen.
auch der ungarischen, deutschen, finnischen,
sie sich, die Revolutionen, die nicht nur keine
gegen den imperialistischen Krieg spielten
Die Entstehung der Komintern verlieh dem
italienischen und anderen Revolutionäre, ihre
historischen Ausnahmefälle, sondern eine alleinige
die Konferenzen von Zimmerwald (5. bis 8.
revolutionären Prozess wichtige Impulse. Die
äusserst kultivierten Analysen, ihre revolutionäre
Gesetzmässigkeit sind, mit gesellschaftlichen
September 1915), Kiental (24. bis 30. April 1916)
der Gründung folgende Periode war durch
Bescheidenheit und Herzlichkeit in den breiten
Kämpfen, mit Klassengegensätzen, mit dem
und schliesslich Stockholm (September 1917).
grosse revolutionäre Erfolge gekennzeichnet:
Massen Respekt und Kampfbereitschaft hervorrief.
unausgesetzten Kampf zwischen Unterdrückern
Die grosse Bedeutung der Konferenzen für
Die Ausrufung der ungarischen und bayerischen
Ohne diesen gegenseitigen Austausch von
und Unterdrückten, Ausbeutern und Ausgebeuteten
die ArbeiterInnenbewegung liegt allerdings in
Räterepublik und die Gründung kommunistischer
Erfahrungen und Impulsen, ohne eine unmittelbare
in irgendeinen Zusammenhang zu bringen.
der Ausdifferenzierung der unterschiedlichen
Parteien in vielen Ländern der ganzen Welt.
Orientierung am revolutionären Russland,
Positionen innerhalb der Sozialdemokratie, die
wären die revolutionären Erhebungen und die
Die Interpretation der internationalen
letztendlich die Gründung der Kommunistischen
Auch aus der Sichtweise des gegenwärtigen
Gründungen kommunistischer Parteien in fast allen
sozialistischen Antikriegsbewegung 1915 als
Internationale 1919 ermöglichte.
revolutionären Prozesses dient die Gründungszeit
Ländern Europas, und damit die Entstehung der
„Friedensbewegung“ durch die Sozialdemokraten,
der Kommunistischen Internationale nach wie vor
Kommunistischen Internationale, kaum möglich
entspricht ihrer damaligen wie aktuellen
Lenin und Radek legten der Konferenz eine
als Orientierung. Zugleich drängt sich die Frage
gewesen.
heuchlerischen Politik: Unterstützung der
Resolution vor, in welcher der Krieg als
auf, wie dieses revolutionäre Klassenbewusstsein
Kriegskredite 1914 damals, Mittragen der meisten
imperialistischen Militärinterventionen heute. Ist
imperialistisch bezeichnet wurde und die meisten
Führer der alten Internationale als Opportunisten
entstehen konnte, diese Atmosphäre der
proletarischen Solidarität? Waren es die objektiven
5. Imperialistischer Krieg
damit „sozialistische Friedenspolitik“ gemeint, wie
die SP zu „100 Jahre Zimmerwalder Konferenz“
schreibt?
Zwar akzeptieren Reformisten verschiedener
Schattierungen rückwirkend die Theorie des
Klassenkampfes und den Gedanken der sozialen
Gesetzmässigkeit der Revolutionen. Revolutionen
aller Art werden akzeptiert: Je weiter geografisch
entfernt um so besser, nur nicht als etwas
Aktuelles hier. Diese zeitliche, allenfalls auch
örtliche Verschiebung der Revolutionen, sowohl
nach rückwärts wie nach vorwärts, hat zur Folge,
dass jede Realität der Klassenkämpfe und der
Revolutionen letztlich negiert wird. Bei dieser
Auffassung hört die Geschichte auf, das Ergebnis
von Erfahrungen zu sein, welche für das wirkliche
Leben richtunggebend sind. Stattdessen wird sie zur
Geschichte, in welcher Revolutionen als exotische
Legende dargestellt werden: Ein „Marxismus“ also,
der sich auf die Vergangenheit und die Zukunft
bezieht, die Gegenwart aber elegant aussen vor lässt.
kritisierte, die „das Proletariat dem Imperialismus
ausgeliefert“ hätten.
Aufgabe der sozialistischen Parteien sei es, das
Proletariat zum „revolutionären Kampf gegen die
kapitalistischen Regierungen um die Eroberung
der politischen Macht, zwecks sozialistischer
Organisation der Gesellschaft“ zu führen. Auch
wenn diese Position der Bolschewiki mit 12 zu
19 Stimmen abgelehnt wurde, entstand auf dieser
politischen Grundlage die Zimmerwalder Linke,
auf die wir uns beziehen. Die Neuformierung der
revolutionären Marxisten führte über die russische
Revolution und den Aufständen in Europa
zur Gründung der Kommunistischen Parteien
und schliesslich zur Dritten Kommunistischen
Internationale.
4. Eine revolutionäre Internationale als Ziel
Die Gründungsproklamation der Dritten
Internationale im März 1919 wirkte im Chaos der
Nachkriegszeit auf alle revolutionären Kräfte, die
von der reformistischen Zweiten Internationale
Verhältnisse, die Erfahrungen des Krieges, in dem
Millionen von Arbeitern massakriert wurden, die
riesige Arbeitslosigkeit, die brutale Ausbeutung
durch die Kapitalisten? Sicher, revolutionäres
Klassenbewusstsein entwickelt sich aus den
gesellschaftlichen Verhältnissen. Aber nicht nur
und schon gar nicht geradlinig. Es ist vielmehr an
eine subjektive Eigendynamik gebunden, an eine
Kette von subjektiven, kämpferischen und teilweise
erfolgreichen Erfahrungen, in der jedes Glied das
andere antreibt, beeinflusst und Orientierung bietet.
In der Reihe der historischen Ereignisse, die die
Gründung der Dritten Internationale beeinflussten,
steht die Oktoberrevolution an erster Stelle. Die
Tatsache, dass ArbeiterInnen und Bauern mit der
Waffe in der Hand eine bürgerliche Regierung
gestürzt hatten und eine revolutionäre Macht
aufbauten, löste in der revolutionären Bewegung
eine riesige Begeisterung aus. Diese Realität weckte
bei den ArbeiterInnen nicht nur Solidarität, sondern
spornte zur Nachahmung an. Wir können uns
heute, nach der dogmatischen und reformistischen
Zu den wichtigsten objektiven Gründen, welche
die revolutionäre Welle 1917 auslöste, zählt der 1.
Imperialistische Krieg von 1914 bis 1918. Dieser
Krieg war mit den vorhergegangenen Kriegen nicht
zu vergleichen. Nicht nur seiner Weltdimension
und seiner verheerenden Zerstörung von
Menschenleben wegen. Zum ersten Mal stiessen
in einem Krieg Massenarmeen aus Arbeitern
und Bauern aufeinander. Aufgehetzt durch
nationalistischen Hass wurden die Massen von
einer reaktionären Gewalt in ihrer schlimmsten
Form erfasst – töten und getötet werden. Das Elend
in den Schützengräben setzte bei vielen Arbeitern
einen Denk- und Erkenntnisprozess in Gang: Wer
profitiert von diesem Krieg?
Die Vorstellungen der meisten Sozialisten von der
Revolution der Vorkriegszeit waren schon lange
im reformistischen Sumpf untergegangen. Erst
durch den Weltkrieg entwickelte sich die Krise in
eine revolutionäre Situation, welche die russische
Revolution und die Klassenkämpfe in Europa
ermöglichte. Viele Arbeiter wurden durch den
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Krieg auf den bewaffneten Aufstand vorbereitet
erforderlich, das Proletariat zu bewaffnen und
multinationalen Konzernen um die Neuaufteilung
für die Landesverteidigung und die Verstärkung
und die vielen Kriegsgefangenen in Russland
einen Block des revolutionären Proletariats mit
der Welt gekennzeichnet, was zu bald verdeckten,
der nationalen Armee einsetzten und somit
wurden durch die Bolschewiki für den Kampf in
den Ländern der siegreichen Revolution zu bilden.
bald offenen imperialistischen Kriegen führt.
die Interessen der Herrschenden vertraten. Die
ihren Heimatländern politisiert.
• Zweitens, die zunehmende
Zentristen, wie vor allem Robert Grimm einer war,
6. Reform versus Revolution
7. Die Praxis der Zimmerwalder Linken auf der
Strasse im November 1917 in Zürich
Ungleichmässigkeit der ökonomischen
Entwicklung der einzelnen kapitalistischen Länder
macht die abhängigen Länder zum Spielball der
vereinigten linke Erklärungen mit einer rechten
Praxis und wurden wegen ihres Opportunismus
von den Linken besonders scharf bekämpft.
Am Ende des Jahres 1918 wurden die
Bemühungen zur Gründung der Kommunistischen
Internationale (Komintern) erheblich intensiviert.
Das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei
Russlands (Bolschewiki) erliess am 24. Dezember
den ersten radiotelegraphischen Appell an die
internationale revolutionäre Bewegung, auch als
Reaktion auf die Einberufung der internationalen
sozialistischen Konferenz der Reformisten am
6. Januar 1919 in Lausanne. Die revolutionäre
Internationale bedeutete ein Gegengewicht
zur Internationale der Sozialchauvinisten, der
Internationale der Vaterlandsverteidiger, der
Internationale, welche den imperialistischen Krieg
unterstützt hatte. Die Erneuerung der Zweiten
Internationale und damit die Festigung der
Hegemonie des Reformismus sollte verhindert
und ein Zentrum der Polarisierung für alle
klassenbewussten revolutionären ArbeiterInnen
geschaffen werden. Mit welcher politischen
Perspektive führte die Komintern diesen Kampf?
Im Zentrum ihrer Politik stand die Machtfrage; die
wichtigsten Kampfmittel umfassten Massenaktionen
des Proletariats bis hin zur Anwendung des
bewaffneten Kampfes. Der einzige Ausweg aus der
Krise war für das Proletariat die Machteroberung
und die Schaffung ihrer Diktatur. Keine falsche,
rein formale bürgerliche Demokratie, sondern
alle Macht in die Hände der ArbeiterInnenräte
– als konkrete Form des proletarischen Staates.
Dies war und ist die Garantie für die Enteignung
der Bourgeoisie und den Aufbau des Sozialismus.
Für die Verteidigung der Revolution war es zudem
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Die Erhebung vom 17. November 1917 ist für
die revolutionäre Bewegung des schweizerischen
Proletariats von grosser Bedeutung. Ermutigt
durch die russische Revolution wurde erstmals
auf revolutionärem Weg das kapitalistische System
grundsätzlich in Frage gestellt. Die massive
Reaktion der Herrschenden mittels Bullen und
Armeeeinsatz, der psychologischen Kampfführung
durch die Zeitungen und schliesslich der Einsatz
der Klassenjustiz macht dies deutlich; ein Teil
des Proletariats stellte die Machtfrage. Kaum
noch erwähnenswert: Der Polizeivorstand wurde
vom Sozialdemokraten Vogelsanger gestellt.
Die Sozialdemokraten Lang und Klöti, ebenfalls
Mitglieder des Stadtrates, wünschten, dass das
Militär auf Pikett gestellt wurde.
Zwar sind die Ereignisse in diesen Tagen von
spontanen Bewegungen der Massen geprägt, die
subjektive Seite noch zu wenig entwickelt und daher
die Organisation der Kämpfe auf der Strasse als auch
eine klare, politische Bestimmung nur im Ansatz
vorhanden. Trotzdem, in der Novembererhebung
drückten sich die revolutionären Inhalte der
Zimmerwalder Linken erstmals deutlich in der
Schweiz auf der Strasse aus. Die revolutionären
Kämpfe polarisierten die proletarische Bewegung
und zwang die reformistische Sozialdemokratie,
offen gegen die im Manifest der Zimmerwaldner
Linken formulierten Inhalte Stellung zu nehmen.
Nämlich:
• Erstens, ist der Imperialismus in seiner
Spätphase weiterhin – und seit dem Zusammenbruch
der sozialistischen Länder noch verschärft –
durch den Kampf der Grossmächte mit ihren
imperialistischen Länder in diesen Konflikten um
die Aufteilung der Welt.
• Drittens, der internationale Klassenkampf
hin zum revolutionären Bürgerkrieg gegen die
imperialistische Bourgeoisie muss aus der Defensive
heraus, unter Berücksichtigung der Widersprüche
zwischen imperialistischen und abhängigen Staaten
entwickelt und aufgebaut werden. Dieser richtet
sich in erster Linie gegen das System als solches,
ohne dessen Überwindung es immer wieder
imperialistische Kriege geben wird.
• Schliesslich ist es die Aufgabe des
wissenschaftlichen Marxismus, die jeweiligen
Besonderheiten der revolutionären Kämpfe an den
verschiedenen Brennpunkten zu ermitteln und sie
für den internationalen Klassenkampf dort und
hier nutzbar zu machen.
Trotz der veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse
haben diese Inhalte grundsätzlich nichts von ihrer
Bedeutung verloren. Der Sieg der Revolution in
Russland kam dem Sieg der Zimmerwalder Linken
gleich, im Übrigen waren es die Bolschewiki, die
konsequent den imperialistischen Krieg beendeten.
8. Die organisatorischen Konsequenzen von
Zimmerwald
Die Sozialdemokratische Partei der Schweiz, als
damals die wichtigste Organisation des Proletariats,
setzte sich aus vier Positionen zusammen, die
teilweise schon antagonistischen Charakter
hatten. Die Rechten, wie Herman Greulich,
Paul Pflügler et cetera gruppierten sich um eine
sozialchauvinistischen Position, die sich unbedingt
Schon 1915/16 bildete sich in Zürich eine Gruppe
von linken Sozialdemokraten, in der neben einigen
Russen auch verschiedene Schweizer Genossen
und Genossinnen kämpften. Es war eine Art
von Schulungskollektiv. Darüber hinaus gewann
Lenin und die Zimmerwalder Positionen grossen
Einfluss, insbesondere in der Sozialistischen
Jugendorganisation, die wiederum im Kampf am
17. November 1917 eine wichtige Rolle spielte. Der
Leiter der Jugendorganisation, Willi Münzenberg,
wurde nach dem 17. November verhaftet und letztlich
aus der Schweiz ausgewiesen. Es entstand eine
Linke mit Positionen gegen den imperialistischen
Krieg und für den internationalen Klassenkampf.
Willi Münzenberg, Fritz Platten, Rosa Bloch-
Bollag, Alfred Bucher, Anni Morf, Willi Trostel und
andere waren in Zürich die Exponentlnnen dieser
Position. Die meisten von ihnen waren Mitglieder
der Sozialistischen Jugendorganisation.
Vorbehaltlos, das heisst auch in der Praxis, vertrat
die revolutionäre Position der Zimmerwalder
Linken die „Gruppe Forderung“ mit den Genossen
Anton Waibel, Hans Itschner, Jakob Herzog, der
spätere Mitbegründer der 1921 gegründeten
zweiten Kommunistischen Partei der Schweiz,
Leonie Kascher und andere. Die meisten dieser
Militanten waren auch in der sozialistischen
Jugendorganisation organisiert, quasi ihr
revolutionärer Flügel. Im Oktober 1917 erschien
die erste Nummer ihrer Zeitung „Die Forderung
- Organ für sozialistische EndzieIpolitik“. In
ihr kam letztlich eine Position zum Ausdruck,
die mit der Sozialistischen Jugendorganisation
unvereinbar war. „Vergleicht man nämlich den
Inhalt der „Forderung“ mit dem Bolschewiki-
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Programm und den Tendenzen der Zimmerwalder
als Psychopathen bezeichnete und ihn aus
einen Aufruhr zu benützen», wie der Staatsanwalt
Unterschieden auch gewisse Parallelen zu heute
Linken, so ergibt sich, dass die „Forderung“ gar
einer Sitzung der Zimmerwalder Linken warf.
später meinte. Nicht, dass sie der Meinung gewesen
sichtbar. Denen gehört unser spezielles Interesse:
nichts Neues brachte und nichts verkündigte,
wären, dass aus diesem Kampf praktisch die
Die sozialen-ökonomischen Rahmenbedingungen,
was nicht schon Gemeingut der Massen war und
Zwar ist es richtig, sich die Frage des
Machtübernahme hervorgehen würde. Nein, sie
also die Grundlage des revolutionären Prozesses
ihrem Geisteszustand entsprach.“ (Zitiert aus
organisatorischen und politischen Mittelpunkts
waren der Ansicht, dass an der Revolution nur
überhaupt; wie war die Klassengesellschaft konkret
dem Untersuchungsbericht der Staatsanwaltschaft
eines Aufstandes zu stellen – spontane Aufstände
inmitten der realen Kämpfe zu arbeiten sei.
zusammengesetzt, wie war damals das kapitalistische
betreffend der Ereignisse im November 1917)
wurden meistens schnell zerschlagen – doch
Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnis
sind in den Positionen Münzenbergs und der
9. Für den internationalen Klassenkampf!
strukturiert, so dass sich die proletarischen
Charakteristisch für die Auseinandersetzungen
Sozialistischen Jugendorganisation die Wurzeln für
Massen schon alleine durch diese Situation
innerhalb der Sozialistischen Jugendorganisation
spätere Entwicklungen angelegt, die letztlich von
Heute, 100 Jahre nach diesen Ereignissen, hat sich
revolutionierten? Das Wesen des Kapitalismus ist
waren nicht nur die öfters verwendete Denunziation
der Machtfrage in der Praxis wegführten. Wie kann
die Situation in der Tat grundlegend verändert.
dasselbe, damals wie heute, von wegen, es hätte
und Demagogie gegen die „Gruppe Forderung“. So
von einer isolierten Aktion gesprochen werden,
Der Kapitalismus hat sich weltweit zur alles
sich alles grundsätzlich geändert. Und doch- die
verortete die sozialdemokratische Führung links
wenn Tausende Menschen sich auf der Strasse
bestimmenden Produktionsweise entwickelt.
kapitalistische Ausbeutung gliedert sich nicht
von ihnen grundsätzlich nur „blinde Kräfte mit
bewegen? Die Machtfrage wird nicht nur an einem
Mehr noch, im Stadium des Imperialismus
nur anders, auch der Bewusstseinsprozess der
disziplinlosen Sonderaktionen“, auch in der späteren
optimal organisierten, finalen Aufstand gestellt,
ist seine Entwicklungsfähigkeit nur zum Preis
ausgebeuteten Klasse verläuft weniger geradlinig
Berichterstattung darüber wurden revolutionäre
sondern an ihr wird in einem langandauernden
einer gewaltigen Zerstörung gegeben. Der lange
aus den unmittelbaren Lebensverhältnissen heraus,
Positionen, insbesondere von den Revisionisten,
Prozess, der auch auf der Strasse stattfindet,
Aufschwung von 1945 bis Anfang der 1970er Jahre
genauso wie die revolutionäre Seite, die politischen
immer als „anarchistisch“ denunziert, obwohl sie sich
gearbeitet. „Der Sozialismus bricht an! Er kann in
war nur möglich durch die mit zwei Weltkriegen
Positionen und ihr jeweiliger organisatorischer
stark an den russischen Bolschewisten orientierten.
Russland nur siegen, wenn er auch in der Schweiz
überwundene Krise. Der Preis für diese erneute
Ausdruck des kämpfenden Proletariats. Daraus
und überall in Europa siegt. Die grosse Zeit des
Entwicklungsfähigkeit des Kapitalismus ist
ergeben sich die entscheidenden Fragestellungen
Die Sozialistische Jugendorganisation wurde
Blutgeldsackes des Kapitalismus ist vorbei und es
bekannt, Millionen von Toten und die Zerstörung
auch im aktuellen Prozess. Und damals wie heute
zwar von den Ereignissen im November 1917
naht unsere grosse Zeit, die Zeit des Sozialismus.
von ganzen Städten und Landstrichen.
entwickeln sich die revolutionären Positionen und
überrollt, versuchte jedoch, eine klare Position
Unsere Pflicht ist, die soziale Revolution auch in der
Strategien mitten in der revolutionären Praxis, im
einzunehmen. Grundsätzlich war sie der Ansicht,
Schweiz zu entfachen, sonst sind wir Verräter und
Die Krisen bildeten aber auch immer wieder
Kampf der verschiedenen Linien innerhalb der
die Auslösung des revolutionären Aufstandes
Deserteure der Revolution.“ (Aus Beilage zu Nr. 3
den Nährboden für revolutionäre Prozesse. In
Klasse. Das Wesen der politischen Debatten ist
käme zu früh, weil die planmässige Vorbereitung
der „Forderung“)
Russland und China haben in diesen Jahren die
dasselbe geblieben: Wie lässt sich der revolutionäre
in politischer wie organisatorischer Hinsicht zu
ArbeiterInnen, zusammen mit den kleinen Bauern
Prozess entwickeln, wo lauern die reformistischen
wenig vorangeschritten sei. Der Aufstand vom
17. November war gegen ihren Willen in Gang
gekommen, und ihre Beteiligung beschränkte sich
darauf, den offen ausgebrochenen, sehr militanten
Klassenkampf zu unterstützen und ihn nicht
unkontrolliert eskalieren zu lassen. Münzenberg
intervenierte beim entstandenen Aktionskomitee
und versuchte vergeblich, die Genossen und
Genossinnen von der „Unzweckmässigkeit
ihrer isolierten und von den breiten Massen der
Arbeiterklasse getrennten Aktion“ zu überzeugen.
Diese Debatten zwischen Münzenberg und
den GenossInnen der „Gruppe Forderung“
spielten sich keineswegs in einem friedlichen
Rahmen ab, ganz im Gegenteil; die Widersprüche
waren schon so tief, dass Münzenberg Waibel
Die Mitglieder der „Gruppe Forderung“ organisierten
sich nach den spontanen Kämpfen – respektive
der von den Antimilitaristen durchgesetzten
Schliessung der Munitionsfabriken vom 15. und 16.
November – mit anderen GenossInnen in einem
Aktionskomitee. Jakob Herzog befand sich schon
im Gefängnis, aber andere wie Waibel und Itschner
sprangen in die Bresche. Dieses Aktionskomitee
organisierte die Protestkundgebung des nächsten
Tages, eben den 17. November. Die Genossen
und Genossinnen der „Gruppe Forderung“ – ihre
Zeitung wurde nach den Kämpfen 1918 vom
Bundesrat verboten – versuchten, den folgenden
Kämpfen eine revolutionäre Orientierung zu geben,
die „revolutionäre Stimmung der ArbeiterInnen für
und LandarbeiterInnen, die Macht ergriffen.
Die Liquidierung dieser ersten sozialistischen
Staaten, an der auch die Revision des Marxismus
ihren Anteil hatte, und die damit einhergehende
Wiederherstellung des Kapitalismus, schmälert diese
Tatsache keineswegs. Auch die Machtergreifung der
Bourgeoisie erfolgte nicht von heute auf morgen,
sondern war ein 200-jähriger Prozess, verbunden
mit zahlreichen Rückschlägen. Weshalb sollte dies
für das Proletariat anders sein?
Unserer Interesse an der Zimmerwalder Linken
ist ausnahmslos durch den Bezug zu Fragen des
aktuellen revolutionären Kampfes geprägt. Mit
einem Schnitt quer durch die damalige objektive
und subjektive Situation sind neben den deutlichen
Gefahren? Auch die linke Sektiererei wurde
schon damals thematisiert. Aber die politischen
Rahmenbedingungen haben sich mit der
Entwicklung hin zum Revisionismus grundsätzlich
verändert, die breite, Massen mobilisierende
Begeisterung für den Aufbau des Sozialismus in
der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken ist
einer tiefen Resignation gewichen. Revolutionäre
Alternativen zum eigenen, ausgebeuteten und
entfremdeten Leben scheinen unerreichbar.
14
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Leonie Kascher und das Erbe von Zimmerwald
Im revolutionären Sturm nach 1915 treffen wir auf
Leonie Kascher, die polnische Studentin, die bei
der Organisierung der revolutionären Kräfte in der
Schweiz eine wichtige Rolle spielen wird. Von hier
aus haben wir ihre Spur aufgenommen, die uns
auch zur Zimmerwalder Linken führte.
Leonie Kascher reiste 1913 in die Schweiz, um ein
Studium in Philosophie und Psychologie an der
Universität Zürich aufzunehmen. Als Frau, als
Polin und als Jüdin in dieser Zeit alles andere als
eine Selbstverständlichkeit: Der zaristische Staat
– Polen war damals Teil des Russischen Reichs
– schränkte den Universitätszugang für Frauen
stark ein und limitierte die Anzahl jüdischer
Studentinnen und Studenten. Dies waren wohl
entscheidende Gründe, weshalb Leonie Kascher
nach Zürich kam. Ihre Bildung in Polen musste
sie sich erkämpfen: Im Jahr 1905, in welchem es
im Russischen Zarenreich und insbesondere in
Warschau zu heftigen Aufständen kam, verliess sie
die Familie: „Der despotische Charakter des Vaters
und die religiöse Atmosphäre haben mich bedrückt,
was mich derart beeinflusst hatte, dass ich sehr
früh – mit 15 Jahren – das Elternhaus verliess und
ein selbständiges Leben begann.“ Nur durch die
Unterstützung der vier Tanten Leonie Kaschers –
sie nahmen alle an der revolutionären Bewegung
von 1905 teil und waren Mitglieder der Polnischen
Sozialdemokratischen Arbeiterpartei – konnte sie
eine Mittelschulbildung und ein Hochschulstudium
in Pädagogik absolvieren: „In dieser Frühperiode des
Lebens war es für mich sehr schwer vom Standpunkt
der materiellen Lebensumstände aus. Ich hatte keinen
Platz zum Wohnen“, erinnert sich Leonie Kascher.
In dieser Periode – der „schweren Jahre der Not“,
wie sie diese selbst bezeichnet – unterstützte sie die
revolutionäre Tätigkeit ihrer Tanten mit illegaler
Arbeit, durchlief aber auch zahlreiche Krankheiten.
Ihre Tanten konnten den Vater Leonie Kaschers
schliesslich überzeugen, dass sie in die Schweiz
zum Studium fahren könne.
In Zürich kam Leonie Kascher in Kontakt mit
polnischen SozialistInnen; dies führte aber mit
Beginn des Ersten Weltkrieg – nur ein Jahr
später – zu einem Unterbruch des Studiums in
Zürich: „Nach dem Anfang des Ersten Weltkriegs
haben die polnischen Sozialisten in Zürich lebhaft
für den Eintritt in die polnischen Legionen für
den Kampf um die Unabhängigkeit Polens vom
Zarismus agitiert. Mit dem Willen, um jeden Preis
am Befreiungskampf teilzunehmen, bin ich mit
anderen Studenten nach Polen gefahren, wo ich im
Hospital und bei den Sanitätstruppen arbeitete.“
Bald gelang sie aber zur Überzeugung, dass dieser
nationale Befreiungskampf auf der Seite Polens
„nicht für die Befreiung der Arbeiterklasse und für
den Sozialismus“ geführt werde, wie sie selbst sagte,
weshalb sie anfangs 1916 enttäuscht wieder nach
Zürich zurückkehrte. Der Krieg traumatisierte
sie: „Fräulein Kascher ist ein intelligentes, aber
sehr exaltiertes Mädchen, dessen gemuẗliches
Gleichgewicht durch die Erlebnisse, die sie als
Teilnehmerin in der polnischen Legion mitmachte,
auch noch in Zürich in einem labilen Gleichgewicht
gewesen sein dürfte. Hier hat sie nach ihren eigenen
und nach den Aussagen ihres Landsmannes Spanin,
der bei mir war, in den letzten Semestern aüsserst
ärmlich gelebt und war wohl unterernaḧrt, was
ebenfalls die nervöse Widerstandskraft schwächen
kann“, steht in einer psychiatrischen Notiz des
Professors Hans Wolfgang Maier.
Da sie keine Mittel zum Leben hatte, arbeitete
Leonie Kascher neben dem Studium als Arbeiterin
in einer Fabrik. Die Erfahrungen als Arbeiterin
und die Erfahrungen des Kriegs, führten sie dazu,
17
sich der revolutionären Linken in der Schweiz
Was, ausgehend vom Programm der
unerbitterliche Lenin‘sche Prinzipientreue, welche
in der Schweiz noch eine kleine, aber zielbewusste
anzuschliessen.
neuen Internationale, eigentlich als eine
die Vertuschung von Meinungsverschiedenheiten
kommunistische Bewegung. Die Wurzel und die
Selbstverständlichkeit betrachtet werden könnte,
und die Unterdrückung der Kritik von unten, von
Schule dieser kommunistischen Bewegung liegt in
„In der Fabrik habe ich mich schnell an das Klima
war zu jener Zeit innerhalb der Linken in der
den Massen, nicht zuliess – angesichts davon, dass
der Zimmerwalder Linken, deren Geist auch bei
der Arbeiter, an die Arbeiterbewegung, gewöhnt,
Schweiz heftig umstritten. Die organisatorischen
Platten eine sehr einflussreiche Gruppe vertrat“,
uns in der Schweiz verbreitet war“, stellte Kascher
habe an einem Streik teilgenommen, trat in die
Forderungen Leonie Kaschers, insbesondere
erinnert sich Kascher.
ihre Organisation am Gründungskongress der
Gewerkschaft und später – im Sommer 1916 – in die
die Abspaltung der Parteilinken von den
Komintern vor. Den Bezug zur Zimmerwalder
Sozialdemokratische Partei der Schweiz ein. Mir war
Sozialdemokraten und die Gründung einer
Die zentralen Forderungen Leonie Kaschers am
Linken stellte sie nicht nur über die revolutionäre
klar, dass nur der revolutionäre Kampf des Proletariats
einheitlichen revolutionären kommunistischen
Gründungskongress – vollständiger Bruch mit dem
Politik her. Zentral sowohl für Zimmerwald als auch
der echte Weg zu seiner Befreiung ist. Sofort habe
Partei in der Schweiz, werden sich erst 1921
Reformismus – wurden aber trotzdem zwei Jahre
für die von Kascher vertretene Kommunistische
ich mich der linken Seite der Sozialdemokratischen
durchsetzen. Und dies nur deshalb, weil es die SP
später von den Parteilinken und insbesondere von
Partei ist das Stellen der Machtfrage: „Wir wussten
Partei angeschlossen, die zusammen mit dem
vehement ablehnen wird, Mitglied in der Dritten
Fritz Platten übernommen, und die ehemaligen
schon, es gibt ein Ziel – die Eroberung der Macht“,
Jugendbund damals die Plattform verteidigte, die
Internationale zu werden.
Parteilinken innerhalb der Sozialdemokraten
brachte Kascher am Gründungskongress der
von Wladimir Iljitsch Lenin in den Konferenzen der
fusionierten mit der bestehenden Kommunistischen
Dritten Internationale hervor. Diese sei aber
äussersten Linken Seite in Zimmerwald und Kiental
Eigentlich hätte Leonie Kascher gar nicht am
Partei. Da die opportunistischen Strömungen am
unweigerlich mit praktischen Forderungen und
vorgeschlagen worden war. Unter der ständigen
Kongress teilnehmen sollen. Offizielle Vertretung
Kongress doch relativ stark waren, war es denn auch
Tagesforderungen verknüpft: „Aber die Schweizer
Leitung von Wladimir Iljitsch und mit seiner
der Schweiz an der Gründungstagung war nicht
alles andere als klar, ob sich die Kommunistische
Arbeiterschaft begnügt sich nicht mit diesen
unermüdlichen, geduldsamen Hilfe den Mitgliedern
etwa die Kommunistische Partei der Schweiz,
Internationale überhaupt gründen sollte. „Es kam
allgemeinen Zielen, sie sucht eine klar umschriebene
der schweizerischen Partei, besonders der Jugend,
als deren Sprecherin Kascher auftrat, sondern
zur heftigen Debatte“, schreibt Kascher in ihren
Parole, sie ist praktisch, sie will wissen, wozu sie in
haben wir einen permanenten, grundsätzlichen
die Parteilinken der Sozialdemokraten. Fritz
Memoiren. „Ich näherte mich Lenin und fragte,
den Kampf tritt. Die die Massen beschäftigenden
Kampf gegen die opportunistischen Strömungen in
Platten, Sitzungsleiter des Gründungskongresses
ob ich mit den Einwänden gegen Eberlein (Gegner
Fragen waren erstens der Achtstundentag, zweitens
der Partei geführt, und wir arbeiteten inmitten der
und damals noch Linksoppositioneller innerhalb
einer Gründung der Komintern, Anmerkung
die Teuerung und die Unzufriedenheit mit den
Massen.“
der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz,
der Redaktion) auftreten dürfe. Lenin hat mir das
ökonomischen Verhältnissen. Wir haben eine Parole
war empört, dass Leonie Kascher überhaupt
Wort gegeben und ich trat zum zweiten Mal auf
formuliert: Beschlagnahme der Lebensmittel und ihre
1. Die Gründung der Komintern
am Kongress auftreten sollte, unter vielen
(nach dem Auftritt für den Bruch mit der SP in
Verteilung, nicht nach dem Besitz, sondern nach dem
Teilnehmenden hatte sie zudem als Linksradikale
der Schweiz, Anmerkung der Redaktion), gegen
Bedarf, unter der Kontrolle der Arbeiterschaft. Diese
„Was wir von der Zimmerwalder Linken gelernt
den Ruf, eine Abenteurerin zu sein. Wladimir
die Verschiebungstaktik. Lenin hat die Frage nicht
zwei Parolen schienen uns für die Schweizer Arbeiter
haben, ist, Massenaktion zu verlangen, und zwar
Iljitsch Lenin insistierte aber, dass Kascher am
von vornherein beantwortet, obwohl er sich stark für
entsprechend eingreifend, es war etwas anderes
nicht in weiter Zukunft, sondern schon in dem
Kongress teilnehmen dürfe, und so wurde sie zum
die Gründung der Kommunistischen Internationale
als das, was man sonst aufgestellt hat. Sie trugen,
gegenwärtigen Moment.“
Kongress zugelassen:
äusserte. Ich habe über die Erwartungen der Arbeiter
besonders die zweite, einen sozialistischen Stempel,
der weit entfernten Schweiz erzählt (...). (Deren)
und ihre Verwirklichung bedeutete einen Kampf mit
Im März 1919, am Gründungskongress der
„Lenin hat mir erklärt, dass ich am Kongress als
Hoffnungen darf man nicht betrügen. (...) Uns hat
der kapitalistischen Gesellschaftsordnung.“
Dritten Internationale, griff Leonie Kascher die
Vertreterin der Kommunistischen Gruppe mit
Lenin unterstützt und wir haben gesiegt.“
als opportunistisch wahrgenommene Politik
beratender Stimme teilnehmen werde und fragte,
Es war klar, dass eine Politik der Massenaktionen,
der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz,
ob ich den Vortrag über unsere Arbeit halten und
Zur Tat schreiten, praktisch werden – dies waren,
eine Politik der Praxis vom Staat nicht unbeantwortet
beziehungsweise deren linken Flügel an, welche
mit ihm an den Sitzungen des Kongresses auftreten
die für damals keineswegs selbstverständlichen,
blieb. Zum Zeitpunkt des Kongresses lebte Leonie
ebenfalls am Kongress beteiligt war. Was sie forderte,
könne. Mit Freude habe ich diesem Vorschlag
Kernpunkte der Politik Kaschers. Sie war als
Kascher nicht mehr in der Schweiz; sie wurde vor
war der Bruch mit dem Opportunismus und
zugestimmt. Da ich wusste, dass am Kongress von
Mitbegründerin Teil der ersten Kommunistischen
dem Kongress aus der Schweiz ausgewiesen.
Reformismus, war die Abspaltung der revolutionär
der Parteilinken der Sozialdemokraten Platten
Partei der Schweiz, welche aus der „Gruppe
gesinnten Genossen von der Sozialdemokratischen
anwesend sein werde, habe ich ihn gefragt, ob ich über
Forderung“ hervorging und vor allem in Zürich aktiv
2. Die Sozialistische Jugendorganisation
Partei. Was sie forderte war – prägnant formuliert –
die meines Erachtens zu vorsichtige, opportunistische
war; deren Politik war geprägt von einer militanten,
revolutionäre Praxis.
Taktik Plattens berichten müsse; mit noch grösserer
radikalen Linie. „Neben der Sozialistischen Partei
Am 9.12.1918 erfolgte die Verfügung des
Freude hörte ich das harte ‚Ja‘ Lenins. Es war jene
und der Sozialistischen Jugendorganisation existiert
Bundesrates: Leonie Kascher, geboren in Warschau,
18
19
sei auszuweisen. Sie erhielt die Erlaubnis, mit
der Zimmerwalder Linken, angeschlossen, die von
einem Politemigrantenzug aus Zürich auszureisen.
Lenin geleitet wurde“, schrieb sie. Die Frage des
In Moskau angekommen, erfuhr sie gleich
Krieges wurde überall kontrovers diskutiert und
vom bevorstehenden Gründungskongress der
die Möglichkeit der Einbeziehung der Schweiz in
Komintern. Nach Rücksprache mit den in der
den Krieg lag im Raum. In den Vorbereitungen
Schweiz verbliebenen Genossen konnte sie sogleich
des Berner Kongresses der Sozialdemokratischen
an diesem teilnehmen.
Partei der Schweiz wurde Kascher mit dem harten
Kampf der verschiedenen Richtungen konfrontiert.
Die Ausweisung erfolgte vor dem Hintergrund
Kascher und ihre GenossInnen erklärten
der heftigen Strassenkämpfe in Zürich vom 17.
das imperialistische Wesen des Krieges, die
November 1917 und des Landesstreiks ein Jahr
Interessen der Kapitalistenklasse, den Verrat der
später. Zu jenen Zeitpunkten studierte Leonie
Zweiten Internationale. Konkret ging es um die
Kascher Psychologie und Philosophie an der
Ausarbeitung der Resolution für den Kongress
Universität Zürich, war aber in der erst kürzlich, im
der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz – im
Oktober 1917 gegründeten „Gruppe Forderung“
Juni 1917 fand ein ausserordentlicher Parteitag
aktiv, aus welcher 1919 die Kommunistische Partei
der SP in Bern zur Militärfrage statt – die man in
der Schweiz entstand und welche innerhalb der
den überall durchgeführten Parteiversammlungen
Sozialistischen Jugendorganisation agierte.
unterbreiten und verteidigen wollte. Massnahmen
und mögliche Kampfmittel mussten vorgeschlagen
Die Sozialistische Jugendorganisation war zur Zeit
werden. Die Wege des Kampfes, der Organisierung
des Ersten Weltkriegs die treibende revolutionäre
der ArbeiterInnen gegen den Krieg, Wege der
Kraft in der Schweiz. Nach der Zimmerwalder
Distanzierung von den SozialchauvinistInnen
Konferenz im September 1915 fand eine
und PazifistInnen, die Unterschiede zwischen den
Linksentwicklung unter den Sozialisten statt, an
verschiedenen Strömungen in der Partei, Rechte,
der die Jugend ihren Anteil hatte. Sie entwickelte
Linke und Zentristen, mussten entwickelt werden.
sich zu einer Massenorganisation mit mehreren
Tausenden Mitgliedern. Auseinandersetzungen mit
Über diese drei Strömungen hielt Kascher Vorträge
den staatlichen Repressionsapparaten „Polizei“ und
an Parteiversammlungen. Unter dem Einfluss
„Militär“ und zum Teil gegen sie aufgehetzte Teile
der Diskussionen in Zürich mit Lenin analysierte
der Bevölkerung zeigten den Herrschaftscharakter
sie die Rolle der rechten Grütlianer während
der bürgerlichen Demokratie auf und führten
des Krieges und deren Verletzung der Lehre von
zu einer Verstärkung des Kampfeswillen der
Marx und Engels und der Interessen der Klasse
sozialistischen Jugend.
der Arbeiterinnen und Arbeiter, die Rolle der
Zentristen mit Grimm an der Spitze, die mit
Für Leonie Kascher war es bei ihrer Rückkehr nach
linken Parolen die ArbeiterInnen und Arbeiter
einem Pflegeeinsatz in Polen im Zusammenhang
praktisch in die Irre führten sowie die Rolle der
mit dem imperialistischen Krieg 1916 nach Zürich
revolutionären bolschewistischen Seite, die ihr
sofort klar, wo sie sich positionierte: „Da ich von
die klaren Thesen lieferten, an denen sie und die
der chauvinistischen Politik der Sozialdemokraten
anderen Revolutionären sich orientierten. „In der
tief enttäuscht war – als Augenzeugin hatte ich
die Möglichkeit, mich an Ort und Stelle davon zu
überzeugen, habe ich mich sofort nach meinem
Beitritt in die Partei der revolutionärsten Seite,
20
Zimmerwalder Linken haben nur die Bolschewisten
und wenige andere Delegierte das revolutionäre
Programm konsequent durchgeführt. Die Zentristen
mit Robert Grimm an der Spitze, beschäftigten sich
Leonie Kascher
21
mit der Phrasendrescherei, und in ihren Parteien
die Revolution zum Parteigesetz erhoben und –
Propaganda für den Sozialismus zu organisieren
dass es sich hier um eine künstlich aufgestachelte und
führten sie eine reaktionäre Politik. Die Rechten
soweit sie aus Schweizern bestand – zugleich das
und Vorbereitungen für die kommende revolutionäre
verhetzte Masse handelte, zu revidieren. Wohl ist die
haben die Zimmerwalder-Organisation bald
Vaterland als einen toten Begriff anerkannt, wertlos
Bewegung zu treffen. Die Kommunisten widersetzten
Arbeiterschaft aufgestachelt, aber aufgestachelt von
verlassen und sind nicht mehr zu den Beratungen
verteidigt zu werden und nur noch bestimmt in dem
sich den Bestrebungen des Zentralvorstandes der
Faktoren, die ausserhalb der Arbeiterbewegung, die
gekommen. Sie haben sich in der Praxis in ihrem
Chaos dieser Revolution (...).“
Jugendorganisation und des Genossen Platten, die die
in unserer Wirtschaftsordnung und namentlich in
eigenen Land in nichts von ihren Kollegen aus der
Soldatenorganisation vorläufig für die Verbesserung
den Bedrohung wurzeln, vor denen das arbeitende
Zweiten Internationale unterschieden“, ist die
1917 kam es nicht nur innerhalb der
der Lage der Soldaten gebrauchen wollten. Sie behielt
Volk haute ausnahmslos steht“, beschreibt das
Meinung Leonie Kaschers. Diese theoretischen
Sozialdemokratischen Partei, sondern auch
ihren rein revolutionären Charakter und entwickelte
sozialdemokratische „Volksrecht“ die Versammlung.
Thesen, welche die Bolschewiki den Zimmerwalder
innerhalb der Sozialistischen Jugendorganisation
sich sehr rasch.“
Aufgrund des grossen Erfolges dieser Aktion fand
und Kientaler Konferenzen unterbreiteten, betrafen
zu heftigen Auseinandersetzungen; es standen
am nächsten Tag eine weitere Kundgebung statt,
hauptsächlich den Kampf gegen den Krieg und den
sich eine Gruppe um Jakob Herzog und Leonie
3. Der Novemberaufstand 1917
zu der mit folgendem Text mobilisiert wurde:
Verrat der Zweiten Internationale.
Kascher und eine um Willi Münzenberg
„Internationale Aktion der Arbeiter gegen Krieg.
gegenüber. Erstere vertraten eine Linie, welche
Die schweizerische Arbeiterklasse sah sich 1917
Arbeiter, erscheint in Massen! Es gilt die Tat! Es gilt
„Nach der Versammlung hat man mich von allen
militante Aktionen befürwortete und die Partei-
nach drei Jahren Krieg nicht nur den widrigen
zu wirken, geredet ist genug!“
Seiten umringt und begonnen, mich über die
und Gewerkschaftsführung heftig kritisierte,
Lebens- und Arbeitsbedingungen ausgesetzt,
Perspektiven der Revolution in Russland zu befragen
während letztere auf ein gutes Verhältnis mit
sie hatte zu einem gewissen Teil auch schon
An jener Demonstration am 16. November 1917 kam
– dieses Thema war von brennendem Interesse –
der Sozialdemokratischen Partei und den
Erfahrungen in Auseinandersetzungen mit der
es erstmals zu Zusammenstössen mit der Polizei,
man hat gefragt, wie Lenin lebt und mir aufgetragen,
Gewerkschaften ausgerichtet war und der deshalb
Polizei gesammelt und sich zu einem beträchtlichen
als 27 Exponenten der Bewegung verhaftet wurden.
ihn zu grüssen. Sie haben ihre Empörung anlässlich
auch vorgeworfen wurde, opportunistisch zu sein.
Teil in Parteien und Gewerkschaften organisiert.
Unter den Verhafteten war auch Leonie Kascher; sie
der spalterischen und verbrecherischen Rolle der
Der Konflikt eskalierte in einen Machtkampf um
Das Eintreffen der Neuigkeit über die russischen
rief nach Angaben der Staatsanwalts zur Revolution
Zweiten Internationale im imperialistischen Krieg
den Platzvorstand in Zürich; im Mai 1917 wurden
Oktoberrevolution in Zürich befeuerte die
auf. Kascher wurde aber nur vorübergehend auf der
geäussert. (...) Ein alter Arbeiter trat heraus, seine
zwar Herzog – und durch Kooptation auch Leonie
Stimmung in der Arbeiterschaft. Dies führte dazu,
Kreiswache festgehalten und noch am gleichen Tag
Augen schossen Blitze und er schüttelte die Fäuste:
Kascher – in den Vorstand der Sozialistischen
dass eine Kundgebung der bekannten Pazifisten
wieder entlassen. Emil und Maria Acklin, ebenfalls
‚Diese Verräter aus der Zweiten Internationale
Jugendorganisation gewählt, jedoch bereits einen
Max Dättwyler und Max Rotter am Donnerstag, 15.
Mitglieder der „Gruppe Forderung“ wurden auch
haben uns, die Arbeiter, der Bourgeoisie verkauft.
Monat danach wieder abgewählt. Mitte Oktober
November 1917 zum Friedensdekret der Russischen
vorübergehend verhaftet: Emil Acklin entriss einem
Sie schauen gleichgültig darauf, wie das Proletariat
entschieden sich dann die Revolutionäre um Jakob
Räte auf grosses Beteiligung stiess. Leonie Kascher
Polizisten den Säbel und rannte mit diesem davon,
aus verschiedenen Ländern einander wegen den
Herzog, die vierzehntäglich erscheinende Zeitung
berichtete über die politische Situation: „Was die
kam aber zu Fall. Den herbeigeeilten Polizisten, der
Gewinnen der Kapitalisten und Imperialisten
„Forderung“ herauszugeben – deshalb der Name
Kommunisten erreicht haben, war, dass die Schweizer
den Säbel wieder an sich reissen wollte, traktierte
ermordet. Nieder mit der Zweiten Internationale!
„Gruppe Forderung“. Kascher berichtet: „Ich muss
Arbeiterschaft unter dem Druck der Verhältnisse,
Maria mit Fusstritten.
Teilen Sie Lenin mit, dass es höchste Zeit ist, die
gestehen, klare Prinzipien, ein klares Programm
der Teuerung, der Unzufriedenheit und unter dem
Dritte Internationale der Arbeiter und Bauern zu
haben wir damals von der Zimmerwalder Linken
Einfluss der ansteckenden, begeisterten Bewegung
Leonie Kascher beschrieb die Ereignisse in Zürich:
gründen!‘ „
nicht erhalten können. Man wollte ein klares
in Russland ihre volle Solidarität mit der russischen
„Diese Massen verlangten die Befreiung der am
kommunistisches Programm schaffen, aber sowohl
Revolution bekundete.“ An die Kundgebung, welche
Vorabend verhafteten Arbeiter. (...) Der Reihe nach
Die Zürcher Staatsanwaltschaft resümierte über
die Zeit wie auch Schriften und Überlieferungen
auf Weisung des Stadtrates nur in der Stadthalle
kletterten die Redner auf die umgekippten Wagen
den Ausgang des ausserordentlichen Parteitages der
darüber fehlten. Im Jahre 1917 hat der Genosse
stattfinden durfte, kamen so viele Arbeiterinnen
hinauf und hielten kurze flammende Reden über die
SP: „Durch die Agitation der Russen (gemeint sind
Itschner zusammen mit ein paar anderen Genossen in
und Arbeiter, dass sie auf Druck der Anwesenden
russische Revolution, über den Frieden, darüber, wie
die russischen politischen Emigranten um Lenin,
der Schweiz eine Zeitung ‚Die Forderung‘ gegründet
doch noch auf dem Helvetiaplatz durchgeführt
sich die schweizerische Demokratie zu den Söhnen
Anmerkung der Redaktion) und der Zimmerwalder
und diese begann, die schärfste Kritik gegenüber der
wurde. Später zog man als Demonstrationszug vor
und Töchtern verhält, über die Armut und Opfer der
Linken und die in Zürich erscheinende, in deren
Partei und Propaganda für das kommunistische
die lokale Munitionsfabrik und setzte dort einen
Arbeitermassen. Die ringsum stehenden Polizisten
Dienst stehende Parteipresse, auf den Ausbruch der
Programm unter der Arbeiterschaft zu führen.
Produktionsunterbruch durch. „Wer von unseren
haben die Redner festgenommen und fortgeführt, und
sozialistischen Revolution bei uns vorbereitet, unter
Auch hatte im Sommer 1917 Genosse Herzog eine
Gegnern die gestrige mächtige Arbeiterversammlung
wir, die daneben standen, haben sie verteidigt, indem
der Depression der wirtschaftlichen Verhältnisse
Soldatenorganisation gegründet. Diese Organisation
in der Stadthalle in Zürich miterlebt hätte, wäre wohl
wir die Zielscheibe für die Polizeigummiknüppel
leidend und dadurch verbittert, sah die Masse nun
hatte den Zweck, unter den Soldaten der Armee
oder übel in den Fall gekommen, seine Auffassung,
waren. Nichts konnte die Auftretenden stoppen.
22
23
Ein Genosse wechselte den anderen ab, und man
und im Einverständnis mit den Behörden der Stadt
sprach über den grossen Lenin, der der Inspirator
und des Kantons Zürich ein Infanterie-Regiment von
der Oktoberrevolution und der Begründer des ersten
der Front nach Zürich beordert und ausserdem drei
Staates der Arbeiter und Bauern in der Welt war, der
Dragoner-Schwadronen aufgeboten worden sind und
der Welt den Frieden gebracht hat.
die Sorge für die öffentliche Sicherheit auf dem Platze
Aus den Polizeikordons liefen Polizisten heraus
Zürich an die Militärgewalt übertragen werden
und begannen auf uns zu schiessen. Wir brachen
Steine aus dem Pflaster und warfen damit auf die
Polizisten. ‚Auf die Barrikaden!‘ – ertönte der Ruf.
Aus den umgekippten Wagen und Steinen haben
wir Barrikaden gebaut, die Frauen haben von
irgendwoher mit Sand gefüllte Säcke und Fässer
gebracht. So hat das unbewaffnete Volk der Reaktion
Widerstand geleistet. (...)
Am Morgen, mit blauen Flecken und zerrissenem
Kleid, geriet ich in die gleiche Polizeistelle, in der
unsere Genossen schmachteten. Sie sassen ruhig und
stolz da. Einige von ihnen haben den jungen Polizisten
musste“, stellt ein Militärgericht zu den Ereignissen
fest. Dass die Schweizer Armee eingesetzt werden
musste, und dass der General selbst den Entscheid
zur Aussendung des Militärs gab, zeigt, wie mächtig
die Demonstrationen waren.
Am 17. November 1917 wurde erneut zu einer
Demonstration auf dem Helvetiaplatz in Zürich
aufgerufen, wieder erschienen Tausende, unter
ihnen viele Frauen. Vom Helvetiaplatz bewegte
sich ein Demonstrationszug in Richtung des
Verlagsgebäudes der Neuen Zürcher Zeitung,
um gegen deren hetzerische Berichterstattung
Szenen vom Novemberaufstand Zürich 1917
den Charakter der schweizerischen Freiheiten erklärt.
Die Führer der Arbeiter, die Funktionäre der
Gewerkschaften, die sozialdemokratischen
Deputierten konnte man auf dem Helvetiaplatz
nicht sehen. Am anderen Tag schrieb man in
den sozialdemokratischen Zeitungen über wilde
Kasakenausfälle der Polizei- und Militärtruppen. Sie
schrieben: ‚Man will brüllen und weinen wenn man
diese zahlreichen Opfer und die Brutalität unserer
Mächte sieht.‘“„
Die Polizei war mit der Situation überfordert,
so dass das Militär zur Verstärkung nach Zürich
beordert wurde: „In den Tagen des 15. bis 18.
November 1917 fanden in Zürich Kundgebungen
zugunsten eines gewaltsamen Friedens und gegen die
Munitionsfabriken statt (...). Diese Demonstrationen
arteten in eigentliche Unruhen und in Revolten gegen
die Polizei aus, sodass, nachdem sich die Ohnmacht
der Zugezogenen Stadt- und Kantonspolizei und
der herbeigerufenen Landsturm-Kompagnie 11/57,
sowie der Infanterie-Medailleur-Rekruten-Kompanie
5 erwiesen hatte, am Morgen des 18. November 1917
vom General auf Ansuchen des Platzkommandos
24
um die vorangegangenen Demonstrationen zu
protestieren. Auch Leonie Kascher nahm daran
teil. Als die Demonstration über die Badenerstrasse
ins Quartier Aussersihl zurückkehrte, kam es zu
Strassenkämpfen mit der Polizei. Gegen 10 Uhr
hatten diese dann eine solche Heftigkeit erreicht,
dass Militäreinheiten – die Platzwachtkompanie
und Infanterierekruten – zugezogen wurden.
An der Ecke Badener-/Zweierstrasse wurde von
den demonstrierenden Arbeitern eine Barrikade
errichtet; an dieser Stelle befand sich eine Baustelle.
Auch Leonie Kascher stand an der Barrikade. Das
Militär räumte die Barrikade weg und platzierte
zwei Maschinengewehreinheiten der Rekruten.
Maria Acklin, ebenfalls ein Mitglied der „Gruppe
Forderung“, versuchte, die Rekruten – zum
grossen Teil wohl auch Arbeiter – vom Gebrauch
der Schusswaffe abzuhalten: „Die Angeklagte
Nr. 2, Frau Acklin, zusammen mit anderen
Frauenpersonen, unter anderem der dann von der
Polizei verhafteten Frau Rosa Bloch, machte sich an
die ihre Maschinengewehre bedienenden Rekruten
heran, redete auf dieselben ein und versuchte
sie, vor der Erfüllung ihrer militärischen Pflicht,
insbesondere der Pflicht zum eventuellen Gebrauch
der Schusswaffe abzuhalten, indem sie zu ihnen sagte:
Sie (die Rekruten) hatten doch gewiss auch Brüder
und Schwestern, sie (die Demonstranten) seien
Schwestern und Brüder, wie sie (die Rekruten) solche
zuhause hätten, sie (die Rekruten) sollten nicht auf sie
(die Demonstranten) schiessen, wenn dazu der Befehl
erteilt würde. Die Mitrailleur-Rekruten wurden dann
bald nachher, nachdem sich die Tumultanten etwas
zerstreut hatten, zurückgenommen und kehrten in
die Kaserne zurück, mussten aber nach Mitternacht
wiederum zur Unterstützung der bedrängten
Polizei zu Hülfe gerufen werden.“In dieser Nacht
starben vier Personen – drei Demonstranten und
eine Unbeteiligte. Die Stimmung war äusserst
angespannt.
Am nächsten Tag, am 18. November, waren die
Arbeiterquartiere Zürich unter militärischer
Besatzung. Die eidgenössischen Truppen bewachten
alle strategisch wichtigen Stellen. Die „Gruppe
Forderung“, unter ihnen auch Leonie Kascher, traf
sich sogleich um 11 Uhr und beschloss, Flugblätter
an die Soldaten zu verteilen. Noch am selben Abend
gingen diese in Druck. Am Montag, 19. November,
wurden die Flugblätter an die Soldaten abgegeben:
„Schweizer Soldaten!“, steht im Aufruf, „Wieder
hat der Staat euch aufgeboten, um die bedrohte
‚Ordnung‘ zu stützen. Man sagt euch, die Unruhen
der letzten Tage seien verursacht von roten Hetzern
und Wühlern; die Kapitalistenblätter sprechen von
Gesindel, Radaubrüdern, das ihr Mores lehren sollt.“
Es versucht, die Ereignisse den Soldaten zu erklären:
„Leute aus allen Parteien haben sich daran beteiligt,
neben den Fabrikarbeitern sah man Bundesbahner,
Beamte und Angestellte. Besonders zahlreich waren
die Frauen da. Sie alle sind auf die Strasse gegangen,
weil die wachsende Not, die furchtbare Ausbeutung
durch Kapitalisten, Schieber und Wucherer ihnen
kaum mehr die Möglichkeit lässt, den nackten Hunger
zu stillen. Sie demonstrierten, weil sie wissen, dass
unsere Regierung nichts Ernsthaftes gegen die Not
tut, nichts tun will. (...) Deshalb gibt es nur ein Mittel,
die Not zu lindern: die alte Herrenregierung muss
durch eine Volksregierung ersetzt werden. Unsere
Behörden sind fast aus lauter Hablichen und Reichen
zusammengesetzt. Unser Nationalrat ist eher ein
Kapitalistenrat. Erst wenn keine Kapitalistenräte,
25
sondern Arbeiterräte regieren, dann wird man die Not
Bauerntruppen in die Städte einbezogen, liessen
Plätzen, in den Fabriken und in der Armee haben
Zentristen und verschiedenen Opportunisten
der Armen mit dem Überfluss der Reichen lindern.
sie auf die Menschen stürzen mit dem Befehl, aus
die Arbeiter und Soldaten die Räte gewählt, aber es
haben die Leitung erobert, um auf diese Weise im
Das wollten die Demonstranten in Aussersihl, nichts
kleinstem Anlass zu schiessen. Die Vertreter der
gab keine Führung in diesen aktiven Handlungen.
Interesse der Bourgeoisie zu handeln, die ihnen
anderes. Und zum Schutze der Kapitalisten hat man
Arbeiter in den Parlamenten und Kommunen
Die Massen lauschten unseren Losungen, forderten
die Bedingungen diktierte. Es wurde das bekannte
jetzt Euch Soldaten aufgeboten. Soldaten, Bürger
haben ohne sich zu schämen diese Massnahmen
Aktionen. Man konnte nicht weiter abwarten. So
Oltener Komitee gebildet – Zentrum der Bewegung
der freien Schweiz! Glaubt es nicht, wenn man Euch
nicht verhindert, manchmal sogar unterstützt. Auf
versammelten wir eine mittelgrosse Gruppe von
des Landes, das dem allgemeinen Streik 1918 beitrat.
sagt, dass wir eine Bande von Bösewichten seien.
den Strassen herrschten Riemenpeitsche, Säbel,
Vertretern aus verschiedenen Organisationen
Die Novembertage dieses Jahres zeichneten sich
Wir wollen Freiheit und Brot für alle. Nicht Euch,
Maschinengewehr.“
zwecks Wahlen eines Organisationskomitees für
durch noch härtere Kämpfe aus. Es gab noch mehr
Soldaten, hassen wir. Auch Ihr seid Besitzlose, arme
die Gründung der kommunistischen Partei und der
Opfer. Die aufgestandenen Massen, vom Umfang
Teufel, Proletarier im Waffenrock. Unsere Sache ist
4. Landesstreik 1918
Ausarbeitung der Plattform für die Diskussion des
und Ausmass begeistert, haben beharrlich ihre
auch Euere Sache.“ Das Flugblatt schloss mit einem
Parteiprogramms. Eine solche Plattform war von mir
ökonomischen Forderungen gestellt: Erhöhung des
Appell, welches – wäre ihm nachgekommen worden
Während Kascher im Gefängnis sass, überschlugen
in Form von Thesen ausgearbeitet und zur Behandlung
Arbeitslohns, Reduzierung der Preise, Verkürzung
– das Ende der kapitalistischen Wirtschaftsordnung
sich die Ereignisse in der Schweiz. „Ein Streik nach
in der erweiterten Beratung vorgelegt worden. Diese
des Arbeitstages, Vernichtung der Militärspekulation
in der Schweiz hätte bedeuten können: „Wenn
dem anderen fand statt und es gab Zusammenstösse
Aufgabe war nicht so leicht zu erfüllen, da ich fast
und Krieg dem Krieg .
Soldaten und Arbeiter zusammenhalten, dann hat
mit den Gendarmen an den Barrikaden. Die
keine Materialien hatte. Zeitungen aus Russland
das Reich des kapitalistischen Blutgeldsackes ein
Situation führte zum grandiosen Landesstreik von
erhielt ich nicht, und ich hatte keinen, den ich fragen
Während des Generalstreiks begann das Oltener
Ende. Dann hat Krieg und Elend ein Ende. Dann
1918“, berichtete Kascher. „In der Schweiz, dem
und bei dem ich lernen konnte. Ich richtete mich nur
Komitee, die Positionen aufzugeben. Entlarvt haben
kommt eine schönere Zeit, wo jeder Mensch gleiches
kleinen, aber industriell entwickelten Land, waren
danach, was ich einst von Lenin erfahren hatte und
sich Grimm und seine Helfershelfer, die Zentristen.
Recht auf Freiheit, und Brot hat. Soldaten helft uns,
die Werktätigen von den Ideen Lenins begeistert
worüber meine Genossen aus den Nachbarländern
Platten, als Leiter der Linken, hat aus Protest das
nicht den Kapitalisten! – Die Demonstranten.“ Am
und vom Geist der ersten Revolution in Russland
geschrieben haben: aus Deutschland, Österreich und
Komitee verlassen. Die Arbeitermassen blieben ohne
selben Tag wurde Leonie Kascher im Büro der
durchdrungen. Sie haben feurig auf die Revolution
Holland. Ich erinnerte mich besonders an die Worte
Führung Auge in Auge mit dem Verrat ihrer Vertreter.
Sozialistischen Jugendorganisation verhaftet.
reagiert, freilich spontan, unorganisiert, weil die
von Lenin, dass man von den Massen lernen, den
Gleich darauf fügten sie sich den Anforderungen der
Im eigentlichen Sinne handelte es sich beim Flugblatt
revolutionäre Partei in dieser Zeit erst zur Welt kam.
Massen zuhören muss.
Kapitalisten. In Zürich jedoch haben sie den Streik
um einen Aufruf an die Soldaten, die Waffen zu
1918 kam der Moment, wo die getrennten Aktivisten
nicht aufgegeben.
wenden, nicht mehr auf die Arbeiterinnen und
in den verschiedenen Parteiorganisationen dringend
Die Hauptpunkte in den Thesen waren: Kontrolle der
Arbeiter, sondern auf die Kapitalisten zu richten
die Vereinigung und eine klare politische Plattform
Produktion seitens der Arbeiter und Vertretungen
In den Werken, auf den Plätzen, an den Kundgebungen
– den Aufruf zu einer bewaffneten Revolution.
verlangten. Dies sollte dazu führen, die Parteiarbeit
in der Leitung der Unternehmen, Beschlagnahme
wurden die Räte der Arbeiter gewählt. Ihnen schlossen
Dementsprechend heftig war auch die Reaktion
völlig zu klären und sich organisierter in den
und Nationalisierung der Banken (eben war der
sich die Räte der Soldaten an, die früher in den Truppen
des Staates. Alle an der Produktion des Flugblattes
vorhandenen Kämpfen zwischen der Arbeiterklasse
allgemeine Streik von Bankangestellten) und der
gewählt worden waren. Auf den Strassen erschienen
beteiligten – insbesondere der Drucker, welcher
und dem Kapital vorwärts zu bewegen. Es
grossen industriellen Betriebe, Bodenreform, Wahlen
die Losungen von ganz politischem Charakter. Vom
keine politische Absichten verfolgte – wurden
kam die Zeit, wo in verschiedenen Ländern die
der Räte von Arbeitern, Bauern und Soldaten und
Verrat der Opportunisten tief erschüttert, verfluchten
verhaftet und an einem Militärgericht der Meuterei
kommunistischen Parteien entstanden.
andere. Die Plattform wurde angenommen und das
die Massen das System des Kapitalismus, dessen
angeklagt. Im Januar 1918 erfolgte das Urteil: Leonie
Organisationskomitee gewählt.“
falsche Demokratie und dessen Parlament, das man
Kascher wurde zu vier Monaten Haft verurteilt,
Bei uns in Zürich war die Lage bezüglich den
jetzt Schwatzbude nannte. Es ertönten die Ausrufe:
welche sie nach ihrer eigenen Angaben in strenger
Parteikadern katastrophal. Alle hervorragenden Leiter
Mit dem Landesstreik vom 11. bis zum 14.
‚Wollen wir die Räte der Arbeiter, Bauern und
Einzelhaft verbrachte.
der revolutionär eingestellten Gruppen, Parteien,
November 1918 kam es in der Schweiz zu der
Soldaten wählen, wie in Russland? Nehmen wir die
Gewerkschaften und anderen Organisationen
besonderen Situation, dass sich eine breite Masse
Macht in unsere Hände!‘“
Heftige Kritik übte Leonie Kascher denn auch
waren verhaftet, unter ihnen der erprobte Leiter
mobilisieren liess, welche aber aufgrund der
am passiven Verhalten der sozialdemokratischen
der Zürcher Arbeiter Jakob Herzog. Die linke Seite
reformistischen Politik der Streikleitung, dem
Das Verhalten des Oltener Komitees führte in der
Führung während der Ereignisse vom November
der sozialdemokratischen Partei mit Platten an der
Oltener Komitee, nicht genutzt wurde: „Die Arbeiter
Folge zur Gründung der Kommunistischen Partei
1917: „Die örtlichen Mächte haben alle Mittel
Spitze hat während der stürmischen Ereignisse und
kämpften heroisch. Letzten Endes haben sie ihre
der Schweiz durch die „Gruppe Forderung“. Ihren
des Kampfes gegen die Massen konzentriert und
des allgemeinen Streiks eine abwartende Position
Führung gezwungen, an der Spitze der Bewegung
Genossinnen und Genossen berichtete Leonie
angewendet. Sie haben eine grosse Menge von
eingenommen. In den Kundgebungen, auf den
zu stehen. Die gewerkschaftlichen Bürokraten,
Kascher am Gründungskongress der Komintern:
26
27
„Wir sahen das jämmerliche Zusammenklappen des
gezeigt, dass eine weitere Zusammenarbeit mit
regionalen kommunistischen Kampfgruppen, die
zwischen Revolutionäre und Opportunisten
Oltener Komitees voraus und bekämpften es vom
ihnen nicht mehr möglich war. Es fand eine grosse
sich im Mai 1919 zur Kommunistischen Partei
in dem Sinne entschieden wurde, dass eine
ersten Tag an. Mit uns ging ein beträchtlicher Teil
öffentliche Versammlung statt: die Gründung einer
der Schweiz vereinigten arbeitete Leonie Kascher
organisatorische Trennung stattfand. Sie wurde am
der Arbeiterschaft. Zu dieser Zeit erklärten wir, dass
Kommunistischen Partei wurde beschlossen.“
intensiv an der Positionsfindung. Im Zentrum
Gründungskongress beschlossen:
die Zeit des Parlamentarismus vorbei sei, dass wir
stand die Forderung, nach der mit dem Aufbau
nichts mehr von dieser bürgerlichen Institution zu
Obwohl die Organisation äusserst vorsichtig und
von ArbeiterInnen- und Soldatenräten unmittelbar
„Die Zimmerwalder und Kienthaler Konferenzen
erwarten hätten. Wir haben damals jede Möglichkeit
klandestin arbeitete, wurde Leonie Kascher ein
begonnen werden sollte – auch als Konsequenz des
hatten zu der Zeit Bedeutung, in der es wichtig
der Mitarbeit an der Parteipresse verloren.
zweites Mal verhaftet. Am Abend zuvor war es ihr
opportunistischen Verrats des Generalstreiks, dass
war, alle diejenigen Elemente des Proletariats zu
Sogar Versammlungsannoncen wurden von dem
noch gelungen, einem Genossen ihren Entwurf
neue Zeiten auch neue Kampfformen erforderten.
vereinigen, welche bereit waren, in dieser oder
‚Volksrecht‘ nicht mehr aufgenommen, wir mussten
der Plattform der Kommunistischen Partei der
Diese Linie, die auch im Programm der KPS
jener Form gegen das imperialistische Morden
Handzettel in den Fabriken persönlich verteilen.
Schweiz zu übergeben – es sollte als Flugblatt für
zum Ausdruck kam, entwickelte Leonie Kascher
zu protestieren. Aber in die Zimmerwalder
Auch die Soldatenorganisationen wurden verfolgt.
die Streikenden verwendet werden.
ebenfalls in ihrer Rede am Gründungskongress der
Vereinigung sind zusammen mit ganz entschieden
Man musste geheim arbeiten, man wurde bespitzelt.
Kommunistischen Internationale.
kommunistischen Elementen auch Elemente des
Es machte sich auch unter den kommunistischen
„Wie angenehm erstaunt war ich, als ich einige Zeit
‚Zentrums‘, pazifistische und schwankende Elemente
Gruppen ein immer stärkeres Verlangen geltend,
später während eines der Verhöre in der Hand des
In den Linienkämpfen zwischen opportunistischen
eingetreten. Diese Elemente des Zentrums, wie das die
dass man zur Trennung schreiten sollte. Da kam ein
Untersuchungsführers das frisch gedruckte Flugblatt
und revolutionären Strömungen innerhalb der
Berner Konferenz zeigte, verbinden sich jetzt mit den
Moment, wo die Trennung tatsächlich notwendig
mit dem Titel ‚Manifest der Kommunistischen Partei
Linken – sei es in der Schweiz oder auf internationaler
Sozialpatrioten zum Kampf gegen das revolutionäre
wurde. Es war im Oktober 1918, nach dem
der Schweiz‘ sah, welches mir der Untersuchungsführer
Ebene – bezog Leonie Kascher stets klar Position.
Proletariat und nutzen auf diese Weise das Banner
Bankangestelltenstreik in Zürich. Der einmütige
mit den Worten reichte: ‚Haben Sie das geschrieben?‘
In den Anfangsjahren, in welchen Leonie Kascher
von Zimmerwald im Interesse der Reaktion aus. Zu
Sympathiestreik der Zürcher Arbeiter hatte sicher
(...) Nach den wiederholten Verhaftungen hat mich
in der Schweiz aktiv war, war die revolutionäre
derselben Zeit ist die kommunistische Strömung in
nicht nur den Zweck, die paar ausbleibenden, besser
die Regierung als Ausländerin aus der Schweiz
Strömung relativ schwach, obwohl sie auf relativ
einer ganzen Reihe von Ländern erstarkt, und der
gesagt, verspäteten Unterschriften der Bankherren
ausgewiesen und mir erlaubt, mit dem Zug für
grosse Zustimmung in der Arbeiterschaft stiess,
Kampf mit den Elementen des Zentrums, die die
einzuholen, sondern er war eine elementare
russische politische Emigranten auszureisen. Ich
wie die Ereignisse im November 1917 zeigten. Die
Entwicklung der sozialen Revolution hemmen, ist
Entladung der Spannung, welche seit Monaten in
wurde mit einer Eskorte mit dem Zug zur Grenze
Situation änderte sich nach der Oktoberrevolution
eine der dringendsten Aufgaben des revolutionären
Zürich herrschte und der das Streben zugrunde lag,
gebracht.“
jedoch schnell: In der Schweiz dauerte es zwar
Proletariats geworden. Die Zimmerwalder
für den Achtstundentag einen kantonalen Streik
bis 1921, bis sich die Forderung Kaschers
Vereinigung hat sich überlebt. Alles, was wirklich
durchzuführen. Für die Arbeiterunion Zürich und die
Die Ausweisung durch den Bundesrat führte sie
durchsetzte, dass sich die Parteilinke innerhalb der
revolutionär in der Zimmerwalder Vereinigung war,
Streikführer dagegen, die Genossen Platten und Küng,
nach Moskau – wo eben die Vorbereitungen für
Sozialdemokratischen Partei von dieser abspalten
geht in die Kommunistische Internationale über.“
war die Bewegung ein Mittel, um die Bankangestellten
den Gründungskongress der Kommunistischen
solle und eine revolutionäre kommunistische
in die Organisation zu bringen (was ihnen gar nicht
Internationale anliefen.
Partei gründen solle; am Weltkongress der Dritten
gelungen ist: die Bankangestellten haben während
Internationale konnten sich aber die revolutionären
des Generalstreiks nicht mitgemacht). Die empörte,
5. Das Erbe von Zimmerwald
Kräfte gegen die Opportunisten durchsetzen
aufgeregte Menge stimmte dem Vorschlag des
und die Kommunistische Internationale
Genossen Herzog, weiter für den Achtstundentag zu
Das Manifest der Zimmerwalder Linken, die mit
wurde als revolutionärer Kontrapunkt zur
streiken, einstimmig zu, war aber infolge des scharfen
der These der Bolschewiki von der Umkehrung des
alten, reformistischen Zweiten Internationale
Widerstandes der Delegiertenversammlung und der
imperialistischen Krieges in den revolutionären
gegründet. Aufgrund von objektiven Faktoren –
Arbeiterunion am folgenden Tag nicht erschienen.
Bürgerkrieg die Machtfrage ins Zentrum der
Oktoberrevoution in Russland, Ende des Ersten
Diese Sonderaktion der ‚Forderungs‘-Leute wurde
politischen Auseinandersetzungen rückte und daher
Weltkriegs, Umsturz in Deutschland – war die
öffentlich verpönt, der Genosse Herzog und andere
mit dem Reformismus der Zweiten Internationale
revolutionäre Linie erstarkt.
aus der Partei ausgeschlossen, die Gruppen scharf
brach, hatte für den revolutionären Teil der
getadelt.
schweizerischen ArbeiterInnenbewegung einen
Die Dritte Internationale trat dann auch das Erbe
entscheidenden Einfluss. In der „Gruppe Forderung“
der Zimmerwalder Linken an, welche sich an jenem
Diese Stellungnahme der Parteiinstanzen hat
und der daraus entstandenen verschiedenen
Kongress für aufgelöst erklärte, da der Linienkampf
28
29
Jüdische Widerstandskämpferinnen in Warschau 1943
In Erinnerung an Fela Kascher (Helena Russezka)
Fela Kascher
Alle drei Schwestern Leonie Kaschers waren politisch
als kommunistische Revolutionärinnen
aktiv.
Felicia – oder Fela – Kaszer wurde im Januar
1896 in Warschau im vom russischen Zarenreich
besetzten Polen geboren. Sie schloss sich in den
1920er Jahren der illegalen kommunistischen
Bewegung in Warschau im nun unabhängigen
Polen an. Während ihre Geschwister Polen verliessen,
blieb Fela in Warschau. Kurz nach der
Besetzung Warschaus im September 1939 durch
das faschistische Deutschland wurde ihr Mann
Marek Garfinkel verhaftet, gefoltert und exekutiert.
Fela Kaszer musste mit ihren zwei Kindern
– Hanka und Inka (Celinda) – im Herbst 1940 in
das Warschauer Ghetto ziehen, in welchem die
jüdische Bevölkerung Warschaus gefangen gehalten
wurde. Die noch junge Hanka wurde von
den Nazis bald schon ermordet. Fela entschied
sich, sich dem bewaffneten Untergrundkampf
gegen die deutschen Besatzer anzuschliessen und
nahm den Namen ‘Helena Rusiecka’ an. Sie trug
jederzeit Gift auf sich, welches sie im Falle einer
Festnahme eingenommen hätte. Mit gefälschten
Papieren verhalf sie vielen Menschen zur Flucht
aus dem Warschauer Ghetto und bewahrte sie
damit vor der Ermordung durch die Nazis. Für
ihre zweite Tochter kam die Hilfe jedoch zu spät:
Inka wurde Ende 1942 ins Konzentrationslager
Treblinka deportiert und dort ermordet. Fela
nahm als aktive Kämpferin am Aufstand im
Warschauer Ghetto vom April bis Mai 1943 teil.
1955 lebte sie kurzzeitig in Moskau, um ihre
schwerkranke Schwester Leonie zu pflegen.
1968 trat sie aus der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei
aus Protest gegen die rassistische
Märzkampagne aus.
Fela Kascher starb 1992 in Warschau.
31
Anhang I: Manifest der Kommunistischen Partei der Schweiz
An die Arbeiter!
Die Revolution hat in allen Ländern Europas
ihren Einzug gehalten. Während sie in den
einen schroff und stürmisch wütet, fegt sie
in anderen die alten morschen Stützen der
alten Ordnung im Stillen weg. Auch die
schweizerische Arbeiterschaft hat das Gebot
der Stunde erkannt. Hinter ihr liegt der erste
grosse Kampf, allein sie ging geschlagen aus
diesem ersten Kampf hervor. Geschlagen nicht
durch die Macht des Gegners, sondern durch
die ängstliche kleinbürgerliche Politik ihrer
eigenen Führer. Warum haben diese Führer
versagt? Weil sie nicht aus eigenem Willen und
freudigem Herzen in den Kampf gezogen sind,
sondern gestossen und gedrängt vom Willen
der Arbeiterschaft. Sie mussten versagen, weil
sie nicht den Willen hatten, für das zu kämpfen,
wofür die Arbeiter in den Kampf zogen – für
den Sozialismus.
Nun jubelt das Bürgertum und nützt seinen „Sieg“
entschlossen und zielbewusst aus. Vergessen
sind alle die schönen Versprechungen: die
sozialen Reformen. Die Regierung trottet im
alten Tempo weiter. Die Reaktion wütet mit
jedem Tag stärker, viele unserer Genossen
schmachten in den Gefängnissen. Ja, noch mehr,
das Bürgertum, dass, dank seiner Schulung und
Intelligenz, die Verhältnisse ganz anders zu
überblicken vermag als die grosse Masse der
Arbeiterschaft, hat fieberhaft und systematisch
begonnen, sich zum Bürgerkrieg zu rüsten, zum
energischen, erbitterten Klassenkampf.
Arbeiter, Genossen, und wir? Wollen wir ruhig
abwarten, bis es zu spät ist? Bis eines Tages die
Arbeiterschaft von einer weissen Garde, von einem
bis zum letzten Mann aufgebotenen Bürgertum
umzingelt ist und ihr die Möglichkeit genommen
ist, sogar nur einen einfachen Streik durchzuführen.
Nein! Der Kampf, der hinter uns liegt, ist nur eine
Etappe einer Reihe noch kommender Kämpfe
um unser Ziel. Aber wollen wir unseren nächsten
Kampf wieder einem Oltener Aktionskomitee
anvertrauen? Wenn noch so geniale und radikale
[unlesbar] Männer darin sitzen, wollen wir
uns wieder auf Gnade und Ungnade ausliefern,
damit sie wieder im entscheidenden Momente
zusammenklappen? Arbeiter, Genossen, lernen
wir von den uns umgebenden Ländern. Neue
Zeiten erfordern auch neue Kampfformen und
diese Kampfformen, die allein die Gewähr bieten,
dass wir aus den kommenden Kämpfen siegreich
hervortreten, sind die
Arbeiter- und Soldatenräte.
An Stelle des Oltener Aktionskomitee und
der Arbeiterkongresse fordern wir einen
Schweizerischen A r b e i t e r r a t, der direkt
den Willen der klassenbewussten Arbeiter zum
Ausdruck bringt, mit ihnen in ständigen Kontakt
steht, indem er gebildet ist aus Arbeiterbrüdern,
die wir wählen an den Arbeitsstätten direkt aus den
Betrieben. Dieser Arbeiterrat hat den Grosskampf
zu führen auf Weisung der lokalen Arbeiterräte.
Wir wollen uns endlich klar werden, wie es das
Bürgertum längst ist, dass die kommenden Kämpfe
einen anderen Charakter annehmen müssen, sollen
sie zum Erfolge führen. Sehen wir das ein, so müssen
wir aber auch die Taktik des Kampfes ändern. Diese
neue Taktik lässt sich zusammenfassen in folgende
Punkte:
• Alle Macht in die Hände der Arbeiterräte.
• Der nächste Kampf soll ein revolutionärer
Generalstreik sein. Schon jetzt müssen
Vorbereitungen getroffen werden, vor allem eine
rege Propaganda, speziell unter den Soldaten.
• Die Arbeiterräte haben zusammen mit
den Soldatenorganisationen für die Bildung der
Soldatenräte zu sorgen.
• Die Arbeiterräte haben die Arbeiter
fachlich aufzuklären für die Uebernahme der
wirtschaftlichen Macht, d. h. der Produktion in
den Betrieben.
• Es soll eine andere Bauernpolitik getrieben
werden. Rege Propaganda unter den Kleinbauern
und Knechten. Aufklärung über den Sozialismus,
der ihnn ja zum Vorteil wird.
Arbeiter, Genossen! Wir wissen, dass wir nicht
mit einem Schlage den Sozialismus verwirklichen
können, sondern dass uns noch eine Reihe grosser
Kämpfe bevorstehen, bis wir unser Ideal errungen
haben. Was wir aber wollen, das ist mit jedem
Kampfe einen Schritt dem Ziel entgegenzugehen.
Darum sind unsere P a r o l e n f ü r d e n n
ä c h s t e n K a m p f noch nicht das Endziel
selbst, sondern Parolen, die uns dem Endziel näher
bringen. Nämlich:
• Der Achtstundentag zum Gesetz.
• Kontrollrecht der Arbeiter im Staate über
die Lebens- und Bedarfsartikel.
• Erweiterte Kontrolle der Arbeiter über die
Produktion.
Wie entstehen Arbeiterräte?
Arbeiterräte werden gebildet, indem in allen
Fabriken und Betrieben Werkstätteversammlungen
einberufen werden. Aus deren Mitte heraus sollen die
Arbeiterratsdelegierten gewählt werden. Wählbar
und berechtigt zur Wahl sind alle arbeitenden
Männer und Frauen – ob organisiert oder nicht.
Auf 30 Arbeiter im Betrieb und eine Bruchzahl von
30 soll ein Delegierter in den örtlichen Arbeiterrat
gewählt werden. Die Branchen mit sehr kleinen
Betrieben sollen Bezirksarbeiterversammlungen
durchführen und aus diesen Versammlung heraus
die Delegierten bestimmen. Aus der Mitte der
örtlichen Arbeiterräte werden die Delegierten
zum schweizerischen Arbeiterrat gewählt. In
solchen Betrieben, wo die Arbeiterschaft noch
zu wenig aktionsfähig, zu konservativ ist, hat die
vorwärtsdrängende Minderheit den Delegierten
zu bestimmen. Es ist nicht nötig, dass vom ersten
Tage an dem örtlichen Arbeiterrat alle Betriebe
angeschlossen sind. Die Hauptsache ist, dass überall
a n g e f a n g e n und nicht geruht wird, bis alle
Arbeiter Delegierte schicken.
Der grosse Vorteil dieses neuen Kampfmittels,
der Arbeiterräte, besteht darin, dass sie von der
Bourgeoisie nicht tot gemacht werden können
und jederzeit, ohne lange und grosse Reklame die
Massen von heute auf morgen, zu jeder Stunde
in Bewegung setzen können. Beschliesst ein
Arbeiterrat in der Nacht eine Aktion, so können
die Delegierten am Morgen in den Betrieben die
Arbeiter und Arbeiterinnen von den gefassten
Beschlüssen benachrichtigen und diese danach
handeln. Der Wille zum Kampf ist freilich die
erste Bedingung für das Gedeihen des neuen
Kampfmittels. Es steht und fällt mit ihm! Handelt
anderseits der Betriebs- oder Bezirksdelegierte
nicht nach dem Willen der arbeitenden Wähler, so
kann er sofort abberufen und durch einen andern
im Betriebe beschäftigten ersetzt werden. Nur in
den Betrieben und Fabriken selbst Arbeitende sind
zu delegieren, keine Sekretäre oder sonstige von
Partei und Gewerkschaften angestellte Beamte. Weg
von den Instanzen, die sollen nur administrative
Funktionen besitzen. Der immer inmitten seiner
Kameraden und Kameradinnen beschäftigte
Arbeiter kennt am besten, was ihnen not tut. Ein
so konstituierter Rat muss produktiv sein und kann
nicht zum Schweigen gebracht werden. Verhaftet
eine Regierung ein Mitglied oder den ganzen Rat,
so wählen die Arbeiter einen neuen.
Bildet überall sofort Arbeiterräte!
Tretet ein in die soz. Soldatenorganisationen!
33
Einführung: Lenin und Clausewitz
Die Arbeiten, die ich über die Beziehungen
zwischen Clausewitz, dem Kriegstheoretiker und
Zeitgenossen Napoleons, und den revolutionären
Militärdoktrinen verfasst hatte, haben zur jetzigen
Einladung geführt, mit Euch über die Beziehung
Lenins zum Krieg zu plaudern. Die Verbindung
zwischen den von Clausewitz in seinem Buch
Vom Kriege entwickelten Theorien und den
Entscheidungen von Lenin bildet dabei den roten
Faden. Man könnte dieses Vorgehen monomanisch
nennen, aber ich sehe darin einen legitimen und
produktiven Angriffspunkt, weil Clausewitz’
Einfluss auf Lenin bedeutend war.
Eine Anekdote gibt uns eine Idee über diese
Bedeutung. Als Lenin drei Monate vor der
Oktoberrevolution nach aufständischen
Demonstrationen in Sankt Petersburg von der
provisorischen Regierung von Kerenski per
Haftbefehl gesucht wurde, verliess er die Hauptstadt
und überschritt klandestin die finnische Grenze
mit sehr leichtem Gepäck, darunter zwei Bücher:
Der Bürgerkrieg in Frankreich von Karl Marx
und Vom Kriege von Carl von Clausewitz, das er
zwei Jahre früher mit Anmerkungen versehen
hatte. Clausewitz‘ Einfluss auf den Marxismus-
Leninismus beginnt mit der Lektüre durch Engels,
vertieft sich mit der von Mehring und wird durch
Lenins Analyse bestimmend.
in der Philosophie oder Adam Smith‘ in der
Ökonomie: alle drei sind fundamentale Quellen
des Marxismus-Leninismus. Allerdings sind es
erst später die militärischen Schriften von Mao
Zedong, der selber ein grosser Leser von Clausewitz
war 1 , welche eine vollständige und kohärente
revolutionäre Militärpolitik theoretisierten. Weder
Marx und Engels noch Lenin oder Stalin haben ein
Werk verfasst, das Vom Kriege in derselben Weise
übertreffen würde wie Das Kapital den Wohlstand
der Nationen übertrifft.
Die Frage, ob Mehrings Schriften Lenin dazu
brachten, Clausewitz zu lesen, ist noch nicht
geklärt. Sicher ist, dass Lenin Mehring, der das
Denken von Clausewitz aufgriff und propagierte,
gelesen hatte, bevor er in der Bibliothek in Bern
– in seinem zweiten Exil 2 zwischen Herbst 1914
und Frühling 1915 – Vom Kriege studierte 3 . Er
kopierte umfangreiche Auszüge (auf Deutsch) in
sein Notizbuch mit einigen Anmerkungen dazu
(auf Russisch). Es ist auffällig, dass diese Auszüge
ausführlicher und zahlreicher wurden, je weiter
Lenin im Studium dieses Buches fortschritt.
Alles scheint den patriotischen und
monarchistischen preussischen Militär vom
russischen Berufsrevolutionär zu unterscheiden.
Aber eine tiefe gedankliche Verwandtschaft
verbindet sie: eine dialektische, methodische,
zupackende, kreative und auf eine solide
philosophische Kultur gegründete Geisteshaltung.
Lenin erkannte sofort die Originalität und die
Reichhaltigkeit des Clausewitz‘schen Denkens,
das sonst von der Militärkaste in Frankreich
und Deutschland missverstanden, verdreht und
ausgelaugt wurde, was die Kriegskunst auf ein
sehr mittelmässiges Niveau fallen liess. Und so wie
Clausewitz wichtig für Lenin war, war es auch Lenin
für Clausewitz, da er als erster Staatsmann dessen
Gedanken in der politischen Aktion zur Geltung
brachte.
Das Gedankengut von Clausewitz entspricht in
der Kriegswissenschaft dem Gedankenguts Hegels
37
Erster Teil: Die Kriegstheorie
1.1. Der Krieg als politisches Instrument
Die erste These von Clausewitz, die Lenin notiert,
ist die berühmte Formel « dass der Krieg nichts ist
als die fortgesetzte Staatspolitik mit anderen Mitteln.
» Er zitiert sie aus der Nachricht von 1827 über den
Zustand des Manuskriptes 4 , bevor er die ganze Ziffer
24 des Ersten Kapitels des Ersten Buches kopiert. 5 .
Und wenn Clausewitz diese Frage erneut im Kapitel
6 B des Achten Buches behandelt, schreibt Lenin
sehr lange Auszüge daraus ab und notiert am Rand:
« Das allerwichtigste Kapitel » 6 .
Von welcher Politik ist der Krieg die Fortsetzung?
Zunächst von der objektiven Politik, (auf Englisch
politics genannt), also der Gesamtheit der
historischen, sozialen ökonomischen, technischen,
kulturellen und ideologischen Faktoren, welche
die sozialen Bedingungen eines Krieges darstellen
und diesen zu einem sozialgeschichtlichen Produkt
machen 7 . Dann auch von der subjektiven Politik
(policy), also der politischen Aktion, der politischen
„Geschäftsführung“, die durch Motive inspiriert
und von einem Ziel geleitet ist; und in diesem
Sinn umfasst das Clausewitz’sche Konzept der
„Fortsetzung“ folgendes:
1° Das Spezifische des Krieges, nämlich der
Gebrauch der Streitkräfte, was eine besondere
Situation unter der Regie spezifischer Gesetze
schafft.
2° Die Einbeziehung des Krieges in ein Ganzes, das
politisch ist. Der Krieg ist nur eines der Mittel, um
Politik zu machen 8 .
3° Eine komplexe Beziehung zwischen dem Ziel im
Krieg (z.B. die Vernichtung der feindlichen Armee,
die Einnahme der Hauptstadt oder einer Provinz)
und dem Zweck des Krieges (die angestrebte neue
Situation am Ende des Krieges z.B. die Eroberung
einer Provinz, die Installation eines neuen Regimes
oder die Annexion des feindlichen Landes).
Trennte man den Krieg von der Politik, bemerkt
Clausewitz, wäre er nur ein Ausdruck des Hasses
zwischen zwei Völkern. Nun kann man aber die
Kriege nicht auf eine einfache Feindseligkeit
reduzieren, auf einen Todeskampf, in den zwei
Völker blind gegeneinander geworfen werden. Wie
Lenin in einer Randbemerkung schreibt: „Der Krieg
= Teil eines Ganzen“ „dieses Ganze = die Politik“. Die
Beziehung, die Clausewitz herstellt, macht aus dem
Krieg ein Objekt der Theorie 9 .
Alle Kriege werden in diesem Licht zu gleichartigen
Erscheinungen.
1.2. Krieg und Antagonismus
Ein Gemeinplatz des konterrevolutionären
Diskurses, ob von links oder von rechts, reduziert
die Gewalt ausschliesslich auf ihre Ausübung. Man
findet ihn in gelehrter Form in der Aussage, dass
bei Lenin die Politik die Weiterführung des Krieges
sei. Diese Anklage wurde gegen Lenin, gegen den
Marxismus sowie gegen die UdSSR als Staat erhoben.
Man findet eine solche kernige Aussage bei J. F. C.
Fuller, der manchmal als «der grösste Militärdenker
des 20. Jahrhunderts» bezeichnet wird. Er schrieb
(im Jahr 1961!), dass «die sowjetischen politischen
Beziehungen, sowohl im inneren als auch gegen
aussen, [...] denen innerhalb und zwischen
primitiven Stämmen analog [sind]. Für beide, den
Mann eines Stammes und den Revolutionär, lautet die
herrschende Devise „zerstören oder zerstört werden“,
und wie in der Tierwelt gibt es keinen Unterschied
zwischen Krieg und Frieden.»
Diese Einschätzung wird auf viele Arten
durchgespielt. Eine der vernünftigsten ist noch
die von Jean-Vincent Holeindre: «[Lenins] Politik
denkt vom Klassenkampf her, der notwendigerweise
einen gewaltsamen Charakter hat, und mit dem
Horizont des Friedens, der dank der Realisierung
der kommunistischen Idee errichtet wird. Hier wird
Clausewitz‘ Formel umgedreht: In den Augen Lenins
geht die Gewalt dem Frieden voraus und begründet
diesen. In der leninistischen Theorie muss die Gewalt
von der Avantgarde-Partei entworfen und umgesetzt
werden. Die Politik ist nicht dazu berufen, die Gewalt
zu zähmen, sondern sie im revolutionären Moment
mit dem Ziel zu organisieren, ihr ein für alle Male
ein Ende zu setzen vom Augenblick an, an dem die
Ziele der Revolution realisiert sind» 11 Die Zähmung
der Gewalt als den Zweck der Politik anzuschauen
steht in der Tradition von Hobbes, ist liberal und
nicht nur Lenin fremd, sondern auch Clausewitz,
Machiavelli und vielen anderen, für welche Krieg
nicht das Versagen der Politik bedeutet, sondern
eine ihrer Verwirklichungen.
39
Das marxistisch-leninistische Verständnis von
Geschichte basiert auf dem Widerspruch, der den
Charakter des sozialen Antagonismus annehmen
kann. So wie es im Manifest der Kommunistischen
Partei gleich zu Beginn heisst: « Die Geschichte
aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte
von Klassenkämpfen. Freier und Sklave, Patrizier
und Plebejer, Baron und Leibeigener, Zunftbürger
und Gesell, kurz, Unterdrücker und Unterdrückte
standen in stetem Gegensatz zueinander, führten
einen ununterbrochenen, bald versteckten, bald
offenen Kampf, einen Kampf, der jedesmal mit einer
revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft
endete oder mit dem gemeinsamen Untergang der
kämpfenden Klassen.» 12
Ihr als Deutschsprachige kennt das Problem nicht,
aber auf Französisch sind wir seit Langem mit
einem sich wiederholenden Übersetzungsfehler
konfrontiert, der die entsprechende Komplexität der
Frage aufzeigt. Die französische Übersetzung setzt
für Kampf das Wort guerre = Krieg ein statt „lutte“
oder allenfalls „combat“. Dieser Irrtum verfälscht
den Sinn schwerwiegend, weil Antagonismus
nicht einfach „Kriegführung“ bedeutet, und dies
umso mehr, als es sich um einen «bald versteckten,
bald offenen Kampf» handelt – eine wesentliche
Präzisierung, die nicht heisst, dass die historischen
Akteure ihre Absichten verstecken, aber dass der
Antagonismus manchmal auch vor ihren eigenen
Augen versteckt ist.
Für den Marxismus-Leninismus ist ausserdem das
Feld der Politik breiter als der Kampf zwischen
antagonistischen Klassen. Die Gesellschaften sind
von Klassenwidersprüchen durchzogen, welche
Bedingungen für historischen Umwälzungen
schaffen, aber auch von zahlreichen anderen
Interessenskonflikten, solchen zwischen Völkern,
Nationen, Klassen, einzelnen sozialen Schichten,
Teilen von Klassen, usw. Nicht alle diese
Interessenskonflikte beinhalten eine Kriegslogik:
Erstens, weil sie durch eine höhergestellte
Gemeinsamkeit der Interessen ausgeglichen
werden können, und zweitens, weil der Krieg teuer
und dessen Ausgang ungewiss ist. Es kann dann
scheinen, als wäre das Kriegsspiel die Mühe nicht
wert. Im Kampf zwischen der englischen Bourgeoisie
und der Aristokratie war die kriegerische Zeit
Cromwells viel kürzer als die ganze Zeitperiode
der Bekehrung der Aristokratie zum Hochgenuss
des Kapitalismus. Auch heute gibt es z.B. zwischen
den USA und China viele Interessenskonflikte,
die zu unfreundlichen Akten verschiedener Art
führen (Spionage, Desinformation, Besteuerung
und Limitierung von Importen, usw.). Und
trotzdem herrscht zwischen den USA und China
grundsätzlich Frieden. In der Politik ist der Friede
nicht die Ausnahme. Friede bedeutet nicht die
Abwesenheit von Widersprüchen, sondern ist der
Zustand, in welchem die bewaffnete Gewalt nicht
als Lösung der Interessenskonflikte angesehen wird.
Im Fall von Widersprüchen, bei denen
antagonistische Klassen gegeneinander
stehen, besteht ein gewisses, auch gespanntes
Kriegsverhältnis in friedlichen Zeiten weiter.
Erstens, weil die gewalttätigen Episoden der
Vergangenheit in der Gegenwart auch in friedlichen
Zeiten präsent bleiben (z.B. das grosse Gewicht
des Gedenkens an die Pariser Kommune). Und
zweitens, weil einige politische Kräfte mit hohem
Klassenbewusstsein, die sich keine Illusionen
über die Zusammenarbeit der Klassen mit
antagonistischen Interessen machen und von der
Unvermeidbarkeit der Konfrontation überzeugt
sind, die kriegerischen Akte in friedlichen Zeiten
als Vorbereitung/Vorausnahme auf kriegerische
Zeiten einsetzen 13 .
Das Verständnis über die friedlichen Zeitperioden
zwischen antagonistischen Klassen führt zurück
zur Art, wie im Manifest der Kommunistischen
Partei vom bald versteckten, bald offenen Kampf
gesprochen wird. Sobald die Macht einer Klasse
gut gesichert ist, werden ihre Dispositive zur
Zwangsausübung nur selten angewandt. Ihre
ideologische Allmacht erreicht es ohne das,
jede spezifische Äusserung von Interessen der
beherrschten Klasse zu verhindern oder zumindest
unter der Schwelle des Antagonismus zu halten.
In diesem Stadium nimmt sich der grösste Teil
der beherrschten Klasse nicht als solche wahr,
sondern verdünnt und spaltet ihre Identität in
Funktion anderer sozialen Kluften (nationale,
ethnische, religiöse). In diesen Zeiten mit fehlenden
erklärten Feinden und mit der Illusion der
eigenen ideologischen Kategorien versteht sich die
herrschende Klasse selber als Teil einer nationalen
oder religiösen Gemeinschaft. Dies ist nicht ein
verdeckter Kriegszustand, sondern ein Zustand des
Klassenfriedens, der anhält, bis die historischen
Kräfte (objektive: Krieg, Wirtschaftskrise;
subjektive: politische Aktion) die Klasse an sich in
eine Klasse für sich verwandeln.
Für Lenin sind die friedlichen Strategien nur
pazifistische Illusionen, und nur die Revolution
vermag es, den Knoten der sozialen Widersprüche
zu durchschlagen. Der Klassenkampf soll sich
durch die Akkumulation von quantitativen
Veränderungen (mehr Klassenbewusstsein, mehr
Organisierung, mehr revolutionäre Theorie und
Praxis) zu qualitativen Veränderungen (Übergang
vom friedlichen zum bewaffneten Kampf) und
damit zum Bürgerkrieg erweitern: « Der Marxist
steht auf dem Boden des Klassenkampfes und nicht des
sozialen Friedens. In bestimmten Perioden scharfer
ökonomischer und politischer Krisen entwickelt sich
der Klassenkampf zum unmittelbaren Bürgerkrieg,
d.h. zum bewaffneten Kampf zwischen zwei Teilen
des Volkes. » 14
.
Das Proletariat konstituiert sich als Klasse für
sich über Teilkämpfe und das Bestreben, sich zu
organisieren und das Bewusstsein anzuheben,
aber das macht es noch nicht zur Kriegspartei.
Das Bewusstsein eines radikalen Widerspruchs
zwischen Klasseninteressen führt nicht zwingend
zur Überzeugung über die Notwendigkeit des
Krieges. Die Vorstellung, dass das Parlament oder
der Staat über den Klassen steht oder dass sie
zumindest für die Veränderung der Gesellschaft
nützlich seien, bewirkt eine pazifistische Politik. Der
Krieg ist kostspielig und riskant; dazu werden noch
die alten moralischen Vorstellungen verletzt. Also
ist es unvermeidbar, nicht gewaltsamen Strategien
zu bevorzugen, wenn es scheint, als ob sie zum Ziel
führen können. Darüber hinaus ist der Prozess,
der von der Klasse an sich zur Klasse für sich führt
und vom Klassenkampf zum Klassenkrieg nicht
linear. Der Prozess kennt plötzliche Fortschritte
und auch plötzliche Rückschläge. Darum
kritisierte Lenin auch die bewaffnete Aktion der
Narodniki, als die proletarische Politik sich eher
auf Bewusstseinsarbeit und Organisation mit
eine antagonistische Dimension (Streiks usw.)
konzentrieren sollte, die aber noch keine bewaffnete
Gewalt benötigte.
1.3. Der Krieg als historisches Objekt
Im Kapitel 3 B des Achten Buchs schrieb Lenin
die Passagen ab, welche die Transformationen
des Krieges in Funktion der geschichtlichen
Veränderungen behandeln, speziell denen, die
durch die Französische Revolution herbeigeführt
worden waren. Nach Clausewitz muss man die
Gründe für die von ihren Armeen vollbrachten
Wunder nicht in neuen Ideen und neuen Verfahren
suchen, welche die Französische Revolution in die
Kriegskunst einführte, sondern im neuen sozialen
Status und seinem nationalen Charakter.
Nur eine Macht, die alle Sonderrechte, inneren
Schranken, Monopole und Partikularismen los ist,
welche das Ancien Régime kennzeichneten, konnte
eine veritable nationale Mobilisierung und eine
veritable Kriegsökonomie auf die Beine stellen.
Alle Ressourcen Frankreichs sind im Dienst
des Krieges mobilisiert worden, und die Macht,
die daraus resultierte, übertraf bei weitem
die kumulierte der gegnerischen Mächte der
Adelsdynastien. Im Gegensatz zu den Armeen der
Prinzen – Söldnerarmeen, die aus Vagabunden im
Bruch mit ihrer Schicht zusammengesetzt, durch
Drill dressiert und mit dem Schlagstock geführt
waren – war die französische Armee eine nationale
und eine Bürgerarmee, bei denen nach Verdiensten
und nicht nach der Geburt rekrutiert und befördert
wurde.
Mit den Armeen der Revolution (von der
Napoleon erbte) erfuhr der Krieg wichtige
Formveränderungen, nicht weil die französische
Regierung sich von den Zwängen der Politik
emanzipiert hätte, sondern weil die Revolution die
Grundlagen der Politik verändert und die Kräfte
geweckt und die Mittel entwickelt hatte, welche
es erlaubten, die Kriegsenergie zu erhöhen und in
andere Bahnen zu lenken. Die in die Kriegskunst
eingeführten Veränderungen waren die Konsequenz
der Veränderungen, die in der Politik stattgefunden
hatten.
Im Kapitel mit dem Titel Von der Grösse des
kriegerischen Zweckes und der Anstrengung, kommt
Clausewitz auf die historischen Veränderungen
im Charakter der Kriege zurück (er schreibt über
Halbgebildete Tartaren, Republiken der alten Welt,
Lehnsherren und Handelsstädte des Mittelalters;
Ende des 17. Und 18. Jahrhunderts) :
… « Das Volk also, welches bei den Tartarenzügen a l l e s
im Kriege ist, bei den alten Republiken und im Mittelmeer,
wenn man den Begriff desselben gehörig auf die eigentlichen
Staatsbürger beschränkt, sehr vieles gewesen war, ward bei
diesem Zustand des achtzehnten Jahrhunderts u n m i t t e l b a r
n i c h t s, sondern hatte bloss durch seine allgemeinen Tugenden
oder Fehler noch einen mittelbaren Einfluss auf den Krieg 15 .(...)
Die (französische) Revolution hat das alles umgestaltet. (…)
Der Krieg war plötzlich wieder eine Sache des Volkes geworden.
(...) das ganze Volk trat mit seinem natürlichen Gewicht in die
Waagschale. Seit Bonaparte hat also der Krieg, indem er zuerst
auf der einen Seite, dann auch auf der anderen, Sache des
ganzen Volkes wurde, eine ganz andere Natur angenommen,
oder vielmehr er hat sich seiner wahren Natur, seiner absoluten
Vollkommenheit, sehr genähert. Die Mittel, welche aufgeboten
worden sind, hatten keine sichtbare Grenze, sondern diese verlor
40
41
sich in der Energie und dem Enthusiasmus der Regierungen und
ihrer Untertanen. (...) So war also das kriegerische Element,
von allen konventionellen Schranken befreit, mit seiner ganzen
natürlichen Kraft losgebrochen. Die Ursache war die Teilnahme,
welch den Völkern an dieser grossen Staatsangelegenheit wurde;
und diese Teilnahme entsprang teils aus den Verhältnissen,
welche die Französische Revolution in dem Innern der Länder
herbeigeführt hatte, teils aus der Gefahr, womit alle Völker
von dem französischen bedroht waren. (...) Ob es nun immer
so bleiben wird, ob alle künftigen Kriege in Europa immer mit
dem ganzen Gewicht der Staaten und folglich nur um grosse,
den Völkern naheliegende Interessen geführt sein werden oder
ob nach und nach wieder eine Absonderung der Regierung von
dem Volke eintreten wird, dürfte schwer zu entscheiden sein,
und am wenigsten wollen wir uns eine solche Entscheidung
anmassen. (...) [Unser Ziel]: ...zu zeigen, wie jede Zeit ihre
eigenen Kriege, ihre eigenen beschränkenden Bedingungen, ihre
eigene Befangenheit hatte. Jede würde also auch ihre eigene
Kriegstheorie behalten, selbst wenn man überall, früh und spät,
aufgelegt gewesen wäre, sie nach philosophischen Grundsätzen
zu bearbeiten. Die Begebenheiten jeder Zeit müssen also mit
Rücksicht auf ihre Eigentümlichkeiten beurteilt werden, und nur
der, welcher nicht sowohl durch ein ängstliches Studium aller
kleinen Verhältnisse als durch einen treffenden Blick auf die
grossen, sich in jede Zeit versetzt, ist imstande, die Feldherren
derselben zu verstehen und zu würdigen.“ 16
Lenin kopierte diese Passage, qualifizierte sie als wichtig
und fasste zusammen: «Jede Zeit hat ‘ihre eigenen
Kriege‘. » So wird es auch mit den revolutionären Kriegen
sein.
1.4. Die Steigerung der Clausewitz’schen
Dreifaltigkeit zum Äussersten
Lenin markierte auch sein Interesse für die
Analyse der politischen Ursache der Steigerung
zum Äussersten, aber auch für die Deeskalation,
weil schwache Motive und Spannungen den Krieg
von seinem „Idealtyp“ oder „abstrakten“ Modell
entfernt, also vom absoluten Krieg, von der
Entfesselung der grenzenlosen Gewalt, die darauf
abzielt, Herr über den Gegner zu werden.
Bei der Behandlung der Unterschiede in der Natur
des Krieges entwickelte Clausewitz einen wahrhaft
dialektischen Gedankengang, den Lenin sorgfältig
abschrieb:
« Je stärker die Motive des Krieges sind, je mehr
sie das Ganze Dasein der Völker umfassen (…)
umso mehr fallen das kriegerische Ziel und der
politische Zweck des Krieges zusammen, um so reiner
kriegerisch, weniger politisch, scheint der Krieg zu
sein. Je schwächer aber Motive und Spannungen
sind, umso weniger wird die natürliche Richtung
des kriegerischen Elementes, nämlich die Gewalt,
in die Linie fallen, welche die Politik gibt, umso
mehr muss also der Krieg von seiner natürlichen
Richtung abgelenkt werden, um so verschiedener ist
der politische Zweck von dem Ziel eines i d e a l e
n Krieges, umso mehr scheint der Krieg politisch zu
werden. 17
Auch wenn der Krieg Erscheinungsformen hat, die
das Bild eines absurden und blinden Krieges abgeben
und die Gründe seiner äussersten Steigerung aus
sich selbst zu schöpfen scheint, wenn er entfesselte
Völker aufeinander hetzt, bleibt folglich die Politik
das Bestimmende des Krieges – sie bestimmt ihn
sogar noch mehr denn je. Nur wenn der Krieg sich
von der politischen Macht mässigen lässt, lässt er
die Schwäche seiner Sache und seiner politischen
Bestimmungen erkennen. Und Lenin synthetisiert:
« Schein ist noch nicht Wirklichkeit. Der Krieg scheint
umso « kriegerischer » zu sein, je tiefer politisch er ist;
- umso « politischer », je weniger tief politisch er ist.»
Aus Anlass der Zerschlagung der Revolution von
1905 und der ihr folgenden Repression konnte
Lenin den Wert der Lektionen von Marx über die
Pariser Kommune erkennen. Diese im Bürgerkrieg
in Frankreich dargestellten Lehren können so
zusammengefasst werden: Zentralisation, Initiative
und Gewaltanwendung. Dennoch haben sich die
Bolschewiki erst mit dem Ansteigen der Gefahren die
Mittel für den Bürgerkrieg gegeben: Die Einrichtung
der Tscheka war improvisiert und spielte erst nach
der Ermordung des bolschewistischen Anführers
Wododarski wirklich eine Rolle. Die Todesstrafe
selbst, die Abschreckungsmassnahme schlechthin,
wurde erst im Frühjahr 1918 eingeführt. Aber trotz
des Zögerns und der Improvisationen konnten die
Bolschewiki die Gewalt „zum Äussersten steigern“
und dadurch die Revolution vor den Gefahren
retten, welche sie in Finnland, Polen, Ungarn und
Deutschland niedergeworfen hatte.
Nach Clausewitz (und Lenin schrieb diese Passage
ebenfalls ab) sind die Kriege so verschieden wie die
Motive, die ihn herbeiführen und die politischen
Beziehungen, die ihm vorausgehen. « Der Krieg ist
also nicht nur ein wahres Chamäleon, weil er in jedem
konkreten Falle seine Natur etwas ändert, sondern
er ist auch seinen Gesamterscheinungen nach, in
Beziehung auf die in ihm herrschenden Tendenzen,
eine wunderliche Dreifaltigkeit, zusammengesetzt
aus der ursprünglichen Gewaltsamkeit seines
Elements, dem Hass und der Feindschaft, die wie ein
blinder Naturtrieb anzusehen sind, aus dem Spiel
der Wahrscheinlichkeiten und des Zufalls, , die ihn
zu einer freien Seelentätigkeit machen, und aus der
untergeordneten Natur eines politischen Werkzeugs,
wodurch er dem blossen Verstande anheimfällt. » 18
Die Dreifaltigkeit bezieht sich also auf das feindselige
Gefühl und die feindselige Absicht, (die die Völker
beseelen), auf das Spiel der Wahrscheinlichkeiten
(welche der oberste General entwirren muss) und
auf die rationalen Zwecke (über die die Regierung
entscheidet).
1.5. Lenin und einige andere Aspekte des
Clausewitz’schen Denkens
Beim Lesen und Kommentieren von Clausewitz
verweilte Lenin auch bei der Rolle der Bevölkerung
im Krieg 19 , bei der Rolle des Generalstabs 20 , bei
der Kritik der „Doktrin der Schlüsselstellung“
(„meistens liegt der beste Schlüssel zum Land im
feindlichen Heer“, sagt Clausewitz)— und Lenin
notiert am Rand: « geistreich und klug ! »), bei der
Führung und dem Charakter einer regulären Armee,
beim Konzept der « Entscheidungsschlacht », bei
den Vorteilen der Verteidigung, bei der Enge der
Sicht der Generalstäbe etc.
Er verweilte bei der Frage der Kühnheit (jener
der Kämpfenden gegenüber den körperlichen
Gefahren und jener des Feldherrn gegenüber
den Verantwortlichkeiten) und bei den Exkursen
von Clausewitz bezüglich der Legitimität der
theoretischen Arbeit und der Dialektik zwischen
dem Besondern und dem Allgemeinen, welche
diese charakterisieren muss.
Die Auszüge und Randglossen Lenins über
Clausewitz zeigen ein spezielles Interesse an den
Thesen über « Kriegerische Tugenden » im Gegensatz
zu den Qualitäten einer regulären Armee, die durch
Siege und Niederlagen gehärtet ist: Tatsächlich
theoretisiert Clausewitz den „Innungsgeist (Esprit
de Corps = Korpsgeist)“ regulärerer Truppen, um
sie von der „Kriegerischen Tugend“ des Volkes
unter Waffen zu unterscheiden, um ihre jeweiligen
Verdienste und die Situationen einzuschätzen, in
denen besser das eine oder andere eingesetzt wird,
etc.
In dem Mass, in dem man nie die freie Wahl der
Modalitäten der Konfrontation hat, erfordern
gewisse Bedingungen, dass die Kräfte der Revolution
sich die Mittel geben, welche der „Innungsgeist“ oder
Korpsgeist regulärer Armeen eigen sind, denn die
Qualitäten eines Volkes unter Waffen (Enthusiasmus,
Kampfgeist, Kreativität) können nicht auf alle
Probleme eine Antwort geben. Lenin hat als erster
innerhalb des proletarischen militärischen Denkens
verstanden, dass die Bewaffnung der Massen
unter gewissen Bedingungen nicht ausreichen
kann und dass sich die Revolution mit einem
stehenden Heer ausstatten sollte. Das bedeutet,
dass man sich vielen Vorurteilen entgegenstellen
muss, welche der antimilitaristischen Tradition
der ArbeiterInnenbewegung entstammen, und es
heisst, die Schwierigkeiten einer Volksregierung
vorauszusehen, welche mit einem klassischen Krieg
konfrontiert wird (Russland 1918-21, Spanien
1936, etc.).
42
43
Zweiter Teil: Imperialistischer Krieg und Befreiungskrieg
2.1. Der Klassencharakter des Krieges
Clausewitz schrieb in Erwägung des neuen
Charakters des Krieges im revolutionären
Frankreich, dass « der Krieg (...) plötzlich wieder
eine Sache des Volkes geworden (war). (...) das
ganze Volk trat mit seinem natürlichen Gewicht
in die Waagschale» 21 . Nach Lenin, der hier die
Klassenanalyse einführte, handelte es sich um
den Krieg «der französichen Bourgeoisie und
vielleicht der ganzen Bourgeoisie » — auch wenn die
Revolutionskriege und die kolonialen Kriege einen
gewissen nationalen Charakter haben konnten, da
sie auch den Kampf der Volksmassen gegen den
Absolutismus, die nationale Repression und den
Feudalismus darstellten.
Im selben Kapitel schreibt Clausewitz auch:
«Man weiss freilich, dass der Krieg nur durch den
politischen Verkehr der Regierungen und der Völker
hervorgerufen wird ; aber gewöhnlich denkt man
sich die Sache so, dass mit ihm jener Verkehr aufhöre
und ein ganz anderer Zustand eintrete, welcher nur
seinen eigenen Gesetzen unterworfen sei. » 22
Die Politik, weit davon entfernt, beim Krieg
aufzuhören, geht weiter und bestimmt den Krieg.
Genau auf diesem Grundsatz griff Lenin Kautsky
und Plechanow an, die die imperialistischen Ziele
ihrer Regierungen in Friedenszeiten kritisierten,
aber in Kriegszeiten in der „Union Sacrée“ 23
mitmachten. Im Mai-Juni 1915 setzte Lenin seine
Erkenntnisse aus der kürzlichen Lektüre von
Clausewitz in seiner Broschüre ein, die gegen die
Vorhut der Sozialchauvinisten gerichtet war:
« Selbst eine so abgedroschene Plattheit weiß Plechanow
mit der bei diesem Schriftsteller nicht zu umgehenden
jesuitischen Berufung auf „die Dialektik» aufzuputzen: in
Anbetracht der konkreten Situation, der man Rechnung
tragen müsse, habe man vor allem den Anstifter des Kriegs
festzustellen und mit ihm abzurechnen, alle übrigen
Fragen aber habe man aufzuschieben bis zum Eintreten
einer anderen Situation. (...) Plechanow greift aus der
deutschen sozialdemokratischen Presse ein Zitat heraus:
die Deutschen selber hätten vor dem Kriege Österreich
und Deutschland als die Anstifter betrachtet – und damit
basta. Dass die russischen Sozialisten die Eroberungspläne
des Zarismus in Bezug auf Galizien, Armenien usw. viele
Male enthüllt haben, das verschweigt Plechanow. Er
macht nicht den geringsten Versuch, die ökonomische
und diplomatische Geschichte, sei es auch nur der letzten
drei Jahrzehnte, zu berühren; diese Geschichte beweist
aber unwiderlegbar, dass gerade die Besitzergreifung von
Kolonien, der Raub fremder Länder und die Verdrängung
und Ruinierung des erfolgreichen Konkurrenten in der
Politik der beiden nun kriegführenden Mächtegruppen die
Hauptsache darstellen. In ihrer Anwendung auf die Kriege
hat die von Plechanow so schamlos zu Nutz und Frommen
der Bourgeoisie entstellte Dialektik zur grundlegenden
These den Satz, dass „der Krieg einfach eine Fortsetzung
der Politik mit anderen (nämlich gewaltsamen) Mitteln»
ist. So lautet die Formulierung von Clausewitz, einem
der großen Schriftsteller in Fragen der Kriegsgeschichte,
dessen Ideen von Hegel befruchtet worden waren. Und das
war auch stets der Standpunkt von Marx und Engels, die
jeden Krieg als die Fortsetzung der Politik der betreffenden
interessierten Mächte – und der verschiedenen Klassen
innerhalb dieser Mächte – im betreffenden Zeitraum
auffassten. Der grobe Chauvinismus Plechanows steht
vollkommen auf derselben theoretischen Basis wie der
raffiniertere, der versöhnlich-süßliche Chauvinismus
Kautskys, wenn dieser letztere den Übergang der
Sozialisten aller Länder auf die Seite „ihrer» Kapitalisten
mit folgender Betrachtung sanktioniert: „Alle haben das
Recht und die Pflicht, ihr Vaterland zu verteidigen; der
wahre Internationalismus besteht in der Zuerkennung
dieses Rechts für die Sozialisten aller Nationen, darunter
auch derer, die mit meiner Nation Krieg führen…“ (...) Als
der wahre Internationalismus soll also die Rechtfertigung
dessen gelten, dass im Namen der „Vaterlandsverteidigung»
die französischen Arbeiter auf die deutschen schießen und
die deutschen auf die französischen! Aber wenn wir uns
die theoretischen Voraussetzungen der Betrachtungen
Kautskys näher besehen, so finden wir eben die Ansicht,
die rund achtzig Jahre früher von Clausewitz verhöhnt
worden ist: mit Kriegsausbruch hört der historisch
vorbereitete politische Verkehr zwischen den Völkern und
den Klassen auf und es tritt eine gänzlich andere Situation
ein! – „einfach» Angreifer und Verteidiger, „einfach»
Abwehr der „Feinde des Vaterlands»! Die Unterdrückung
einer ganzen Reihe von Nationen, die mehr als die
Hälfte der Bevölkerung der Erdkugel ausmachen, durch
die imperialistischen Großmächte, die Konkurrenz
unter der Bourgeoisie dieser Länder um die Teilung der
Beute, das Bestreben des Kapitals, die Arbeiterbewegung
zu zerschlagen und zu unterdrücken, – all das ist auf
einmal aus dem Gesichtsfeld Plechanows und Kautskys
45
verschwunden, obwohl gerade diese so geartete „Politik»
vor dem Krieg ganze Jahrzehnte hindurch von ihnen selber
immer geschildert worden war. » 24
Es gab tatsächlich in der Zweiten Internationale
Debatten darüber, ob die zunehmenden Kriege
(Burenkriege, der spanisch-amerikanische und
der russisch-japanische Krieg) ein Ausdruck der
aktuellen Umstände waren oder einer historischen
Tendenz. Die Charakterisierung des Weltkrieges
als imperialistischer Krieg war Teil seiner Arbeiten
über den Imperialismus 25 . Die Bezeichnung als
imperialistischer Krieg denunziert nicht nur die
annektionistischen Ziele der Kriegsführenden.
Sie erklärt den historischen Gehalt des Krieges,
nachdem die kapitalistische Produktionsweise
sich auf die ganze Welt ausgedehnt hat, es keine
«jungfräulichen» Territorien zum Kolonisieren und
keine Expansionsmöglichkeiten für eine Macht
gibt, die nicht auf Kosten einer anderen Macht geht.
Die Einsicht Lenins über den Klassencharakter des
Krieges erweitert den Horizont der Theorie von
Clausewitz. Lenin geht davon aus, dass die Politik
(und der Krieg, der davon ausgeht) den Interessen
der einen Klasse dient und den Interessen einer
anderen entgegensteht. Diese Ansicht steht im
Gegensatz zu jener der Bonzen der Zweiten
Internationalen, die schnell den nationalen
Charakter des Krieges in den Vordergrund stellten.
Auch wenn der Krieg einen nationalen Charakter
anzunehmen scheint, weil ein Teil der Massen sich
für den Krieg begeistert, ist der wahre Charakter
des Krieges in seiner politischen Ursache zu suchen,
d.h. in diesem Fall in den imperialistischen Zielen
der kriegsführenden Mächte. Die imperialistische
Politik ist die Ursache des Krieges; sie gibt dem
Krieg Bedeutung und bestimmt seinen Charakter,
aber auch seine revolutionären Möglichkeiten.
Oder wie Lukács schrieb: « Der Krieg ist, nach der
Definition von Clausewitz, nur die Fortsetzung der
Politik; er ist es aber in jeder Beziehung. Das heißt,
nicht nur für die äußere Politik eines Staates bedeutet
der Krieg bloß das äußerste und aktivste Zu-Ende-
Führen jener Linie, die das Land bis dahin, im
‚Frieden›, verfolgt hat, sondern auch für die innere
Klassenschichtung eines Landes (und der ganzen
Welt) steigert der Krieg bloß aufs Höchste und spitzt
bis ins Letzte jene Tendenzen zu, die innerhalb der
Gesellschaft bereits im ‚Frieden‘ wirksam gewesen
sind» 26
Die Frage der Begeisterung von Teilen der Masse für
den Krieg, die Frage des «Kriegsverantwortlichen»
(zu wissen, welche Macht den interimperialistischen
Krieg ausgelöst hat) oder die Frage der Gründe, die
die Mächte angeben (Kampf für die Freiheit, für die
Zivilisation, usw.) verschleiern den tatsächlichen
Charakter des Krieges, statt ihn zu erhellen.
2.2. Das politische Subjekt des Krieges
Für Clausewitz ist das politische Subjekt der Staat,
und der Krieg ist der Krieg zwischen den Nationen.
Er berücksichtigt die individuellen oder kollektiven
Partikularinteressen, aber für ihn ist die Politik
der entscheidende Faktor, «denn die Politik ist ja
nichts an sich, sondern ein blosser Sachwalter all
dieser Interessen [der rationalen Interessen des
Staates und der Bürger] gegen andere Staaten.
Dass sie eine falsche Richtung haben, dem Ehrgeiz,
dem Privatinteresse, der Eitelkeit der Regierenden
vorzugsweise dienen kann, gehört nicht hierher;
denn in keinem Fall ist es die Kriegskunst, welche
als ihr Präzeptor betrachtet werden kann, und wir
können hier die Politik nur als Repräsentanten aller
Interessen der ganzen Gesellschaft betrachten.» 27 .
Kurz gesagt «repräsentiert» der Staat auf die
eine oder andere Art die Nation, die er regiert.
Der Staat kann diese Nation in den Krieg führen
und ist so ein politischer Akteur schlechthin.
In Clausewitz‘ Inventar der Konflikte von der
Antike bis zum Napoleonischen Reich zählt er
weder den Bauernkrieg in Deutschland, noch die
Religionskriege in Frankreich und England, noch
irgendeinen Bürgerkrieg auf. Es gibt also in Vom
Kriege eine offensichtliche Befangenheit, was diese
Konflikte betrifft.
Nach Lenin gibt es im obigen Abschnitt, den
er sorgfältig in sein Notizbuch kopiert hat, eine
„Annäherung an den Marxismus“. Aber nur eine
Annäherung. Die Politik ist für den Marxismus das
komplexe Ganze der verschiedenen Manifestationen
der Klasseninteressen. Sie ist die mehr oder weniger
kohärente und organisierte Aktion der Klassen
(und der Klassenfraktionen) für die Realisierung
der Interessen und in einem höheren Stadium die
Aktion der Institutionen der Klassen (Partei, Staat,
Sowjet, Gewerkschaft, Armee, usw.). Lenin selber
stellt sich auf den Standpunkt einer nichtstaatlichen
politisch-militärischen Kraft: der russischen
Arbeiterbewegung, die von den Bolschewiki
organisiert wird. In diese neue, breitere und tiefere
Konzeption des politischen Subjekts baut Lenin
Punkt für Punkt die Clausewitz’sche Analyse ein.
Der Krieg hat (wie die Verhandlung) die Logik
der Politik, aber eine eigene „Grammatik“ (wie
die Diplomatie eine eigene hat). Die Analyse des
Krieges stellt spezifische Gesetze heraus, darunter
die Tendenz zum Äussersten (und die Dämpfung
dieser Extreme durch den politischen Einsatz) und
den dreieinigen Charakter (politische Rationalität,
Kriegskunst und feindselige Einstellung).
Die Zweckmässigkeit, die Frage, ob es angebracht
ist, die Thesen von Clausewitz auf nichtstaatliche
Akteure anzuwenden, wird nach wie vor kontrovers
beantwortet. Nach Martin Van Creveld, dem
israelischen Militäressayisten, der ein Referenzwerk
über die Substituierung der klassischen Kriege
durch asymmetrische Kriege veröffentlicht hat,
schreibt…
« Somit besagt der Satz, der Krieg sei die Fortsetzung
der Politik, nicht mehr und nicht weniger, als dass
der Krieg ein Instrument in den Händen des Staates
bilde, soweit der Staat zu politischen Zwecken Gewalt
einsetzt. Der Satz besagt nicht, dass der Krieg jeder
beliebigen Gemeinschaftsform diene. Falls aber genau
das gemeint war, dann ist er nicht viel mehr als eine
abgedroschene Phrase. » 28 Für Van Creveld erscheint
dieser Typ von Krieg nicht nur sehr spät in der
Geschichte, sondern ist wieder am Verschwinden
und damit auch die Lektionen von Clausewitz.
Eine Strömung der US-Militärdenker hat auf diese
angebliche „Entdeckung“ des asymmetrischen
Krieges reagiert. Für diese Strömung ist das
Wesentliche der Strategie, die Vorteile und
Schwächen des Gegners herauszufinden 29 . Dies führt
Conrad Crane dazu, zwei Arten der Kriegsführung
zu unterscheiden: „die asymmetrische und die
stumpfsinnige“ 30 . Wenn man hier berücksichtigt,
dass man beim asymmetrische Krieg nicht vom
Krieg des Schwachen gegen den Starken spricht
(das wäre der unsymmetrische Krieg), sondern
von der Strategie (die Bevölkerung und die zivile
Verwaltung als Ziel nehmen und nicht bewaffnete
Kräfte oder die Bevölkerung als das Kampf- und
Streitfeld zu verstehen), so sieht man auch hier, dass
der „asymmetrische Krieg“ nichts grossartig Neues
ist.
Zudem haben die nichtstaatlichen Akteure in
sogenannten « asymmetrischen » Kriegen (die
maoistische Guerilla auf den Philippinen, die PKK
in Kurdistan, die Hizbollah im Libanon, usw.) eine
gleiche und manchmal sogar höhere politische
Vernunft als die Staaten, die sie bekämpfen. Die
zwischenstaatlichen Kriege, die revolutionären
Kriege, die nationalen Befreiungskriege lassen
dieselbe politische Vernunft erkennen. Van
Creveld irrt sich, wenn er nur den Staaten die
politische Vernunft zuschreibt, den Krieg als
Mittel zu benutzen 31 . Es gibt bewaffnete Gruppen
ohne politische Vernunft (Mafia, religiöse Sekten,
rassistische Banden, Strassengangs), aber die treten
nur sehr selten als Kriegsparteien auf, was allerdings
vom Ausmass der dschihadistischen Phänomene
kaschiert wird 32 .
2.3. Gerechter Krieg, ungerechter Krieg
Von Clausewitz‘ Idee, den Krieg mit der Politik in
Verbindung zu setzen, haben wir bisher nur das
Primat der Politik über das Militärische in Betracht
gezogen. Indem Lenin bei der Untersuchung
des politischen Charakters des Krieges den
Klassencharakter analysiert, kann er seinen
historischen und moralischen Charakter freilegen.
Dadurch kann er gerechte von ungerechten
Kriegen unterscheiden: «Die Verteidigung des
Vaterlandes anerkennen heißt die Legitimität und
Gerechtigkeit eines Krieges anerkennen. Legitimität
und Gerechtigkeit von welchem Standpunkt? Nur
vom Standpunkt des sozialistischen Proletariats und
seines Kampfes für seine Befreiung: einen anderen
Standpunkt erkennen wir nicht an. Wenn die Klasse
der Ausbeuter einen Krieg führt, um ihre Herrschaft
als Klasse zu stärken, so ist das ein verbrecherischer
Krieg, und die „Vaterlandsverteidigung“ in einem
solchen Krieg ist eine Niedertracht und ein Verrat
am Sozialismus. Wenn das Proletariat, das bei sich
die Bourgeoisie besiegt hat, einen Krieg führt zur
Festigung und Entwicklung des Sozialismus, dann ist
der Krieg berechtigt und „heilig“» 33 .
Dies ist eine beträchtliche Bereicherung der Theorie
von Clausewitz‘, denn der letztere sieht ausser dem
moralischen Vorteil der angegriffenen Nation nur
die moralischen Faktoren, die nicht im Charakter
des Krieges liegen (wie die militärische Tugend der
Truppen, die beide Kriegsparteien gleichermassen
besitzen können). Die militärische Bedeutung der
marxistisch-leninistischen Unterscheidung besteht
darin, dass die Volksmassen im gerechten Krieg
grundlegend beteiligt sind, woraus ein höherer
Mobilisierungsgrad, eine grössere Ausdauer und
Kampfkraft resultieren.
Mehring ebnete den Weg dahin, indem er das
Konzept des „defensiven Krieges“ zugunsten des
„gerechten Krieges“ verworfen hat. Das Konzept
des „defensiven Krieges“ kann nämlich den
imperialistischen Charakter eines Krieges verbergen.
Es war im Namen der legitimen Verteidigung, dass
1914 Deutschland gegen Russland und Frankreich
gegen Deutschland mobilisierte. Auf dieser Basis
haben sich die deutschen und die französischen
Sozialchauvinisten ihrer Bourgeoisie angeschlossen.
46
47
Ganz anders ist das Konzept des gerechten Krieges,
in Form revolutionärer Kriege und nationaler
Befreiungskriege, in denen die Massen für ihre
eigenen Interessen kämpfen.
« Es liegt auf der Hand, daß in dieser Frage (...)
nicht der Angriffs- oder Verteidigungscharakter des
Krieges, sondern die Interessen des Klassenkampfes
des Proletariats, oder besser gesagt, die Interessen
der internationalen Bewegung des Proletariats jenen
einzig möglichen Standpunkt bilden, von dem aus
die Frage nach der Stellung der Sozialdemokratie
zu der einen oder anderen Erscheinung in den
internationalen Beziehungen betrachtet und
entschieden werden kann.» 34 Diese Überlegung
notierte Lenin schon 1908, aber die Problematik
trat vor allem 1914 gewaltig zutage, als die Führer
der Zweiten Internationalen sich auf die Seite ihrer
Bourgeoisie schlugen und behaupteten, dass die
feindliche Macht den Krieg erklärt habe.
2.4. Nationaler Befreiungskrieg
Lenin ist in dieser Ansicht ein wahrer «Reiniger»
des Marxismus. Es war ein weiter Weg! 1848
waren die politischen, sozialen und nationalen
Fragen aller Akteure vermischt. Die bourgeoisen
Liberalen und die proletarische Avantgarde
waren für die «nationale Befreiung» (die hier die
Form einer deutschen Vereinigung annahm - in
Opposition zum verstaubten reaktionären Adel).
Die Reaktionäre kämpften gleichzeitig gegen die
Partisanen der deutschen Vereinigung und der
Demokratie.
So erklärt sich auch der Enthusiasmus der
demokratischen Partei im Deutsch-Dänischen
Krieg, wo als Gewinn für Preussen Schleswig-
Holstein herausschaute. Und es erklärt auch
die starke Ablehnung von Marx und Engels der
tschechischen nationalistischen Sache gegenüber 35 .
Die Position von Marx und Engels war also von
einem «Grossdeutschland» geprägt, auch wenn das
höhere Interesse an der revolutionären Sache diese
Position begründete. Sie lehnten die tschechische
nationale Sache nämlich vor allem deshalb ab, weil
die slawischen nationalen Strömungen (und vor
allem der Panslavismus) die Politik des Russischen
Imperiums unterstützten. Das Russische Imperium
war als wichtigste reaktionäre Kraft Europas nicht
nur innerhalb seiner Grenzen (in Polen) militärisch
eingeschritten, sondern auch ausserhalb (in
Ungarn), und es war absolut gegen jede Änderung
der Ordnung, die im Wiener Kongress 1815 durch
die Heilige Allianz hergestellt wurde.
48
Zwar klärten Marx und Engels ihre Positionen.
Lenin verteidigte die Positionen von Marx und
Engels über die Südslaven, aber erst er befreite
die nationale Frage von ihrer vormarxistischen
Gangart.
Raymond Aron glaubt, einen Widerspruch
bei Lenin gefunden zu haben: « Um die Natur
des Krieges zu definieren, schiebt Lenin die
nationalen Leidenschaften gleichgültig beiseite und
beschränkt sich auf die marxistische Analyse der
Staatengemeinschaft. Dagegen bezieht er sich, um die
Annexion zu definieren, auf den Willen des Volkes.
Er verurteilt den patriotischen Enthusiasmus von
1914, er stimmt im voraus dem Willen Finnlands,
Polens oder sogar der Ukraine zur Lostrennung zu.
» 36 Lenin beurteilte die nationalen Gefühle der
Massen als berechtigt, wenn es um die Befreiung
von Polen ging, aber als vernachlässigbar (und als
ein Produkt der bourgeoisen Propaganda), wenn es
um die «Befreiung» von Lothringen-Elsass ging.
Die Bilanz einer Diskussion über das Recht der
Nationen auf Selbstbestimmung ist ein beachtlicher
Text, weil er die leninistische Position gegen
die chauvinistische Rechte definiert, aber auch
gegen die marxistische Zimmerwalder-Linke, die
schrieb: « Wir wissen, daß der Sozialismus jede
nationale Unterdrückung aufheben wird, weil er die
Klasseninteressen aufhebt, die zu ihr treiben. ».
Lenin wendet ein: «Wozu diese Betrachtung über die
ökonomischen Voraussetzungen für die Beseitigung
der nationalen Unterdrückung, die längst bekannt
und unbestritten sind, wo doch der Streit um eine
der Formen der politischen Unterjochung geht, und
zwar um das gewaltsame Festhalten einer Nation
innerhalb der Staatsgrenzen einer anderen Nation?
Das ist doch weiter nichts als ein Versuch, den
politischen Fragen aus dem Wege zu gehen!» 37
« Unter dem Kapitalismus kann die nationale (und
überhaupt die politische) Unterdrückung nicht
beseitigt werden. Dazu ist die Aufhebung der Klassen,
d. h. die Einführung des Sozialismus unerläßlich.
Doch wenn der Sozialismus auch auf der Ökonomik
begründet ist, erschöpft er sich doch keineswegs darin.
Zur Beseitigung der nationalen Unterdrückung
ist ein Fundament notwendig - die sozialistische
Produktion; aber auf diesem Fundament bedarf es
noch einer demokratischen Organisation des Staates,
einer demokratischen Armee usw. Hat das Proletariat
den Kapitalismus in den Sozialismus umgestaltet, so
schafft es die Möglichkeit für die völlige Beseitigung
der nationalen Unterdrückung; diese Möglichkeit
wird „nur» - „nur»! - dann zur Wirklichkeit werden,
wenn die Demokratie auf allen Gebieten vollständig
durchgeführt sein wird - bis zur Festlegung der
Staatsgrenzen entsprechend den „Sympathien» der
Bevölkerung, bis zur völligen Freiheit der Lostrennung
einschließlich. Auf dieser Basis wird ihrerseits in der
Praxis die absolute Beseitigung auch der kleinsten
nationalen Reibungen, des geringsten nationalen
Mißtrauens erfolgen und damit die beschleunigte
Annäherung und Verschmelzung der Nationen, die
durch das Absterben des Staates vollendet werden
wird. Das ist die Theorie des Marxismus. » 38
Wann haben die Kämpfe für eine nationale Befreiung
einen Klassencharakter? Lenin ist hier klar: Man
muss hier das Recht auf Lostrennung (bis zum
bewaffneten Aufstand) der nationalen Minderheiten
und der unterdrückten Nationen unterstützen, auch
wenn sie keinen progressiven Charakter haben,
ausser sie dienen als Instrument der internationalen
Reaktion. Z.B. sollen die Marxisten (der Artikel
wurde 1916 geschrieben) einen Aufstand der
Belgier gegen die Deutschen unterstützen, der
Armenier gegen Russland, der Galizier gegen
Österreich, auch wenn diese Bewegungen von
den nationalen Bourgeoisien geführt wurden. Die
Marxisten dürfen sich nicht, auch nicht passiv,
zu Komplizen gegen das Recht der Völker auf
Selbstbestimmung machen. Die einzige Ausnahme
ist: « wenn es nicht ein Aufstand einer reaktionären
Klasse ist. » 39 : « Die einzelnen Forderungen der
Demokratie, darunter das Selbstbestimmungsrecht,
sind nichts Absolutes, sondern ein kleiner Teil
der allgemein-demokratischen (jetzt: allgemeinsozialistischen)
Weltbewegung. Es ist möglich, daß
in einzelnen konkreten Fällen der Teil dem Ganzen
widerspricht, dann muß man den Teil verwerfen.
Es ist möglich, daß die republikanische Bewegung
in einem Lande nur das Werkzeug einer klerikalen
oder einer finanzkapitalistisch-monarchistischen
Intrige anderer Länder ist - dann dürfen wir diese
gegebene, konkrete Bewegung nicht unterstützen; es
wäre aber lächerlich, aus diesem Grunde die Losung
der Republik aus dem Programm der internationalen
Sozialdemokratie hinauswerfen zu wollen. » 40
49
Dritter Teil: Krieg und Revolution
3.1. Krieg und Revolution
Das Verhältnis von (imperialistischem) Krieg und
(proletarischer) Revolution steht im Zentrum
der leninistischen Erfahrung, und dies seit dem
Russisch-Japanischen Krieg (1905) und dem
Balkankrieg (1912-1913). Dieses Verhältnis
erscheint in zwei Formen:
1. Der imperialistische Krieg ist, wenn nicht
hauptsächlich, wenigstens teilweise ein Instrument
der Konterrevolution. Auf der ideologischen Ebene
werden die klassenkämpferischen Positionen und
die Einheit der internationalen Arbeiterbewegung
durch eine nationalistische und chauvinistische
Propaganda angegriffen. Konkret erlaubt es ein
Kriegszustand, politische und gewerkschaftliche
Organisationen der Klasse zu zerstören.
2. In einem gegensätzlichen (aber dialektisch
verbundenen) Mechanismus verschärft der
imperialistische Krieg die Widersprüche durch die
Massaker, die Zwangsarbeit, die Misere und die
Zerstörung.
Die internationale Arbeiterbewegung war auf
den ersten Punkt konzentriert. Der Kampf gegen
den Krieg war ein humanitärer Imperativ, aber
für die Zweite Internationale auch erforderlich,
um die «altbewährte Taktik» weiterzufahren, im
Glauben, dass die Zeit, das Geschichtsbewusstsein,
der historische Determinismus, die Entwicklung
des Kapitalismus und seiner Widersprüche dem
Sozialismus zuspielen würden. Die pazifistischen
Fortschritte der Arbeiterbewegung schienen
unaufhaltbar, und sie schienen den Frieden und
damit die Gewissheit des Sieges aufrecht zu
erhalten. Lenin fiel aus dem Rahmen, als während
des internationalen Kongresses in Stuttgart 1907
die sozialdemokratischen Führer die Möglichkeiten
zur Vermeidung des Krieges suchten. Er legte dar,
dass man nicht ausschliesslich versuchen sollte,
den Krieg zu verhindern, sondern im Fall des
Scheiterns die Krise, die durch den Krieg ausgelöst
wird, dazu benutzen, die Bourgeoisie zu stürzen.
Dadurch, dass Lenin den Krieg als Katalysator
der sozialen Widersprüche sah, hob er sich von
denen ab, die den Krieg nur als Katastrophe für die
Arbeiterbewegung sahen. Lenins Änderungsantrag
stiess die Rechte innerhalb der Internationalen
vor den Kopf. Bebel fürchtete, dass eine solche
revolutionäre Deklaration zu Prozessen führen
würde, und so wurde sie «juristisch unangreifbar»
formuliert, aber auch weniger klar.
In der Theorie Lenins fördert der Krieg allerdings
nicht zwingend den revolutionären Prozess. Er hob
sich von Radek und der deutschen Linksextremen
ab, welche die «Konvulsionen des Krieges» als den
kürzesten Weg zur Revolution auffassten. Lenin
glaubte, dass Kriege auf Grund der Entwicklung
des Imperialismus unvermeidbar waren. Aber die
konkreten historischen Bedingungen, die sehr
schwierig zu durchschauen sind, bestimmen,
ob ein Krieg den Klassenkampf bremst oder
beschleunigt. Der eine Krieg verschärft die
revolutionären Widersprüche, der andere wirft
die Arbeiterbewegung zurück. Für Lenin war
wichtig, dass im Krieg das Ziel der Revolution
beibehalten wird und « daß man in den Massen
das Bewußtsein der Notwendigkeit revolutionärer
Aktionsmethoden in Verbindung mit den Krisen, die
der Krieg unvermeidlich im Gefolge hat, entwickeln
muß » 41 . In den Konferenzen von Zimmerwald und
Kiental kämpfte er eine doppelte Schlacht: gegen
aussen gegen die Sozalchauvinisten, die sich mit
ihrer Bourgeoisie vereinigt haben, und gegen innen
gegen diejenigen Zimmerwalder, die als einziges
Ziel den Frieden hatten, den sofortigen Frieden
ohne Annexionen. Diese pazifistische Linie war in
Zimmerwald in der Mehrheit, sogar Clara Zetkin
und Angelica Balabanowa stimmten ihr zu 42 . Die
revolutionären Thesen von Lenin vereinigten nur
sieben oder acht der vierzig TeilnehmerInnen.
Lenin hatte nicht auf Zimmerwald gewartet, um
den Pazifismus zu bemängeln: « Der Krieg ist kein
Zufall, keine „Sünde», wie die christlichen Pfaffen
glauben (die nicht schlechter als die Opportunisten
Patriotismus, Humanität und Frieden predigen),
er ist vielmehr eine unvermeidliche Etappe des
Kapitalismus, eine ebenso gesetzmäßige Form des
kapitalistischen Lebens wie der Frieden. Der Krieg
unserer Tage ist ein Volkskrieg. Aus dieser Wahrheit
folgt indes nicht, daß man mit dem „Volks»strom
des Chauvinismus schwimmen soll, sondern daß die
Klassengegensätze, von denen die Völker zerfleischt
werden, auch zur Kriegszeit, auch im Krieg und dem
Krieg angepaßt, fortbestehen und in Erscheinung
treten werden. Kriegsdienstverweigerung, Streik
51
gegen den Krieg usw. ist einfach eine Dummheit, ein
jämmerlicher und feiger Traum von unbewaffnetem
Kampf gegen die bewaffnete Bourgeoisie, ein Seufzen
nach Beseitigung des Kapitalismus ohne erbitterten
Bürgerkrieg oder eine Reihe solcher Kriege. Die
Propaganda des Klassenkampfes bleibt auch im
Heer Pflicht der Sozialisten; die Arbeit, die auf die
Umwandlung des Völkerkrieges in den Bürgerkrieg
abzielt, ist in der Epoche des imperialistischen
bewaffneten Zusammenpralls der Bourgeoisie aller
Nationen die einzige sozialistische Arbeit. Nieder mit
dem pfäffisch-sentimentalen und törichten Seufzen
nach „Frieden um jeden Preis»! Entrollen wir das
Banner des Bürgerkriegs!» 43
3.2. Kautskys Der Weg zur Macht
Lenin war angewidert von Kautskys grundlegender
Kehrtwende beim Ausbruch des Weltkrieges.
Die Resolution von Stuttgart 1907, die 1910 in
Kopenhagen und 1912 in Basel bestätigt wurde,
gibt den SozialistInnen den folgenden Auftrag:
« Falls der Krieg dennoch ausbrechen sollte, ist es die
Pflicht, für dessen rasche Beendigung einzutreten
und mit allen Kräften dahin zu streben, die durch den
Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische
Krise zur Aufrüttelung des Volkes auszunutzen
und dadurch die Beseitigung der kapitalistischen
Klassenherrschaft zu beschleunigen» 44 . Nun aber
schrieb Kautsky in Die Neue Zeit vom 2. Oktober
1914: « Kommt es trotz aller Bemühungen der
Sozialdemokratie darob zu einem Kriege, dann muss
sich eben jede Nation ihrer Haut wehren, so gut sie
kann. Daraus folgt für die Sozialdemokraten aller
Nationen das gleiche Recht oder die gleiche Pflicht,
an dieser Verteidigung teilzunehmen, keine darf der
anderen daraus einen Vorwurf machen. » 45 Kurz:
Proletarier aller Länder, tötet euch...
Die aussergewöhnliche Feindschaft gegen «den
Renegat Kautsky» erklärt sich aus der Rolle, die
Kautsky vordem bei der Definition der proletarischen
Politik gegenüber dem Krieg spielte 46 : 1887 hatte
Kautsky in einem Artikel in der Neuen Zeit mit dem
Titel Die moderne Nationalität zur nationalen Frage
und der Verbindung zur sozialen Frage geschrieben.
Kautsky kam verschiedentlich auf diese Fragen
zurück (vor allem 1886 und 1905). 1907, als der
Krieg anlässlich der marokkanischen Krise 47 bereits
drohte, veröffentlichte er eine Broschüre mit dem
Titel Patriotismus und Sozialdemokratie 48 , in der
er jede « Union Sacrée » zwischen Proletariat und
Bourgeoisie ablehnt: « Die heutigen Gegensätze der
Staaten können keinen Krieg mehr bringen, dem der
proletarische Patriotismus nicht aufs entschiedenste
zu widerstreben hätte».
1909 behandelte Kautsky selbst die Frage der
Beziehung Krieg-Revolution in einem Werk,
worauf Lenin hinwies 49 : Der Weg zur Macht. Diese
Broschüre bleibt seit ihrem Erscheinen ein zentraler
Bezugspunkt Lenins – und hört nie auf, es zu sein.
Und wenn Lenin im Oktober 1914 an Schliapnikow
schreibt: « Kautsky hasse und verachte ich jetzt
am allermeisten: das ist dreckige, lumpige und
selbstzufriedene Heuchelei.» 50 , schreibt er ihm vier
Tage später: «Besorgen Sie sich unbedingt Kautskys
„Weg zur Macht» und lesen Sie es noch einmal (oder
bitten Sie jemand, es Ihnen zu übersetzen) - was hat
er dort über die Revolution unserer Zeit geschrieben!!
Und jetzt - welche Gemeinheit von ihm, das alles zu
widerrufen!» 51
Kautsky berücksichtigte drei Fälle, in denen der
Krieg eine Revolution auslösen könnte:
1. Wenn ein Land, das im Krieg unterliegt, alle
nationalen Kräfte mobilisieren will und deshalb das
Proletariat an die Macht beruft;
2. Wenn die besiegte Armee, nach grossen Opfern,
sich gegen die eigene Regierung stellt und das Volk
einen Aufstand macht, um dem desaströsen Kriege
ein Ende zu setzen;
3. Wenn die Armee und das Volk sich gegen die
Regierung erheben, die einen schmachvollen
Frieden unterzeichnet hat.
Nach Kautsky gingen Europa und die ganze
Welt, nach einer Generation von Stabilität und
Fortschritt, auf eine neue Epoche von Kriegen
und Revolutionen zu, die ein nie gesehenes
Ausmass annehmen sollten (wegen der weltweiten
Dimension der technologischen Fortschritte
und der neuen Kommunikationsmöglichkeiten).
Diese Umwälzungen würden sowohl sozialistische
Revolutionen in Europa als auch demokratische
Revolutionen und nationale Befreiungskriege
in beherrschten Ländern hervorrufen. Dieser
Übergang von einer nicht-revolutionären zu einer
revolutionären Situation würde neue radikale
Taktiken erfordern. In diesem Sinne wäre in der
Zuspitzung der Klassenantagonismen, wenn sich
die Aktualität der sozialistischen Revolutionen
zeigt, jede Klassenzusammenarbeit ein politischer
Suizid: « Es heisst der Sozialdemokratie politischen
Selbstmord zumuten, wenn man von ihr gerade jetzt
die Teilnahme an einer Koalitions-, einer Blockpolitik
verlangt, wo das Wort von der ‚reaktionären Masse‘ 52
zur Wahrheit geworden ist. Es heisst, von der
Sozialdemokratie moralischen Selbstmord verlangen,
wenn man will, sie solle sich durch eine Blockpolitik
mit bürgerlichen Parteien verbinden, eben jetzt, wo
diese sich prostituiert und aufs tiefste kompromittiert
haben; (...)» 53
Das Zusammenspiel der sozialistischen
und demokratischen (anti-absolutistischen)
Revolutionen, der nationalen und
antikolonialistischen Befreiungskriege bedeutet
die Zurückweisung vereinfachender Modelle,
wonach die «fortgeschrittenen» Länder den
«zurückgebliebenen» den Weg zeigen. Kautsky
beschreibt, dass in Russland und in den beherrschten
orientalischen Ländern diese Zusammenarbeit der
verschiedenen Formen der Revolutionen neue
Möglichkeiten eröffnen könnten .54
Die SPD war soweit vom Opportunismus vermint,
dass die erste Version dieser Broschüre von Kautsky
auf Bebels Befehl dem Reisswolf übergeben wurde,
weil darin betont wurde, dass « Niemand naiv genug
sei zu behaupten, dass wir friedlich und unmerklich
vom militarisierten Staat zur Demokratie übergehen
werden». Kautsky akzeptierte, seine Broschüre
umzuschreiben und alles zu streichen, das einen
Prozess provozieren könnte, aber sie bewahrte
den revolutionären Charakter.: « Darum sei hier
nochmals, wie so oft schon früher, darauf aufmerksam
gemacht, dass es sich nicht etwa darum handelt,
ob Arbeiterschutzgesetze und sonstige Gesetze im
Interesse des Proletariats, ob Gewerkschaften und
Genossenschaften notwendig und nützlich sind oder
nicht. Darüber gibt es nicht zweierlei Meinungen
unter uns. Bestritten wird bloss die Anschauung,
als könnten die ausbeutenden Klassen, die über die
Staatsgewalt verfügen, eine solche Entwickelung
dieser Faktoren zulassen, dass sie eine Befreiung vom
kapitalistischen Druck bedeuteten, ohne vorher mit
allen Machtmitteln solchen Widerstand zu leisten,
dass er nur durch einen Entscheidungskampf beseitigt
werden könnte» 55
Kurz, wie Lenin zusammenfasst: « Und Kautsky
brachte 1909 die unbestrittene Ansicht aller
revolutionären Sozialdemokraten zum Ausdruck,
als er sagte, daß von einer vorzeitigen Revolution in
Europa nun nicht mehr die Rede sein könne und daß
der Krieg die Revolution bedeute. » 56
3.3. Die Umwandlung des imperialistischen
Krieges in den revolutionären
Der Ausbruch des ersten Weltkrieges ist tatsächlich
ein Schlag für die Arbeiterbewegung. Im Juli
1914 gab es in Russland politische Streiks mit
aufständischen Demonstrationen, die bei der
Kriegserklärung einen Monat später zerschlagen
wurden. Die bolschewistischen Abgeordneten, die
in der Duma gegen die Kriegskredite gestimmt
hatten, wurden nach Sibirien deportiert und die
meisten Fabriken wurden unter die Kontrolle und
Überwachung der Armee gestellt. Alle sozialen
Rechte, die während des grossen Kampfes seit dem
Beginn des Jahrhunderts erkämpft worden waren,
wurden während des Konflikts „suspendiert “57 .
Dennoch verwendete sich Lenin, der sich sicher
war, dass die reaktionäre Propaganda wegen der
Misere des Krieges wirkungslos werden würde, ab
dem Sommer 1914, mitten in der chauvinistischen
Hysterie dafür, den „imperialistischen Krieg in
einen Bürgerkrieg“ umzuwandeln.
Georges Haupt bemerkt, dass das Studium der
Schriften von Lenin schwierig sei, da sie die
Notwendigkeit der revolutionären Pädagogik
mit der von taktischen Manövern vermischt 58.
Haupt behauptet zum Beispiel, dass die Losung
„den imperialistischen in einen Bürgerkrieg
umwandeln“ seine Bedeutung im Verlauf des
Krieges verändert habe. Von der einfachen
Bekräftigung der revolutionären Prinzipien
gegenüber der opportunistischen Zweiten
Internationalen und gegenüber den Menschewiki
ohne reale Möglichkeit der Umsetzung 1914, über
die eventuell realisierbare Möglichkeit zur Zeit der
Konferenzen von Zimmerwald und Kiental hin
zum konkreten unmittelbaren Ziel 1917.
Diese These von Haupt ist zu bezweifeln. Ab 1914
gab Lenin dieser Losung einen konkreten Inhalt.
Er wusste, dass die Zeit des Bürgerkrieges noch
nicht gekommen war, aber es war mehr als eine
Bekräftigung der Prinzipien. Es war ein konkretes
Ziel, das eine konkrete Organisation und konkrete
Aktionen brauchte und eine « allseitige, sowohl unter
den Truppen als auch auf den Kriegsschauplätzen zu
treibende Propaganda für die sozialistische Revolution
und für das Gebot, die Waffen nicht gegen die eigenen
Brüder, die Lohnsklaven anderer Länder, zu richten,
sondern gegen die reaktionären und bürgerlichen
Regierungen und Parteien in allen Ländern. Es ist
unbedingt notwendig, für eine solche Propaganda in
allen Sprachen illegale Zellen und Gruppen in den
Armeen aller Nationen zu organisieren. Gegen den
Chauvinismus und „Patriotismus» der Kleinbürger
und Bourgeois ist in ausnahmslos allen Ländern ein
schonungsloser Kampf zu führen. Gegen die Führer
der jetzigen Internationale, die den Sozialismus
verraten haben, muss unbedingt an das revolutionäre
Klassenbewusstsein der Arbeitermassen appelliert
werden, die alle Last des Krieges tragen und dem
Opportunismus und Chauvinismus zumeist
feindselig gegenüberstehen. » 59
52
53
In Wahrheit handelte es sich seit dem ersten
Moment um ein strategisches Projekt. Dieses war
auf der Theorie der subjektiven und objektiven
Bedingungen begründet (so wie sie waren und wo
und wie sie sich entwickeln sollten), aber auch,
was Haupt nicht beachtete, auf den historischen
Vorläufern der Pariser Kommune und der
Revolution von 1905. Diese beiden grossen
Erfahrungen von revolutionären Bürgerkriegen, auf
die sich Lenin so oft bezog, waren beide aus einem
imperialistischen Krieg entstanden: dem deutschfranzösischen
Kriege von 1870 und dem Russisch-
Japanischen Krieg von 1905.
Lenin erwägt die Perspektive der Umwandlung des
imperialistischen Krieges in einen Bürgerkrieg ab
1914 sehr konkret: « Die Bourgeoisie betrügt die
Massen, indem sie den imperialistischen Raubzug mit
der alten Ideologie des „nationalen Krieges» verbrämt.
Das Proletariat entlarvt diesen Betrug und verkündet
die Losung der Umwandlung des imperialistischen
Krieges in den Bürgerkrieg. Eben diese Losung war in
der Stuttgarter und der Basler Resolution vorgesehen,
die nicht einen Krieg schlechthin, sondern gerade den
gegenwärtigen Krieg voraussahen und die nicht von
der „Verteidigung des Vaterlandes» sprachen, sondern
davon, dass man „die Beseitigung der kapitalistischen
Klassenherrschaft beschleunigen», zu diesem Zweck
die durch den Krieg herbeigeführte Krise ausnutzen
und dem Beispiel der Kommune folgen müsse. Die
Kommune war die Umwandlung eines Völkerkrieges
in einen Bürgerkrieg. Eine solche Umwandlung ist
natürlich nicht leicht und kann nicht „auf Wunsch»
einzelner Parteien vollzogen werden. Aber gerade
diese Umwandlung entspricht den objektiven
Bedingungen des Kapitalismus im allgemeinen und
seiner Endepoche im besonderen. In dieser und nur in
dieser Richtung haben die Sozialisten zu wirken. Nicht
für Kriegskredite stimmen, nicht dem Chauvinismus
des „eigenen» Landes (und der verbündeten Länder)
Vorschub leisten, sondern in erster Linie gegen den
Chauvinismus der „eigenen» Bourgeoisie kämpfen;
sich nicht auf legale Kampfesformen beschränken,
nachdem die Krise begonnen und die Bourgeoisie die
von ihr geschaffene Legalität selbst aufgehoben hat -
das ist die Linie der Arbeit, die auf den Bürgerkrieg
abzielt und in diesem oder jenem Zeitpunkt des
europäischen Brandes zu ihm führen wird.» 60
Es ist offensichtlich, dass es nicht darum geht, sich auf
die Eventualität eines Bürgerkrieges vorzubereiten,
sondern dass es darum geht eine Aktionslinie zu
verfolgen, die darauf zusteuert. In diesem Rahmen
bleibt Lenins Gedankengut realistisch: Es lauert auf
54
Entwicklungen, Gegenschläge, Überhitzung von
Prozessen sowie deren konkreten Manifestationen.
Er stellt zum Beispiel ein Ereignis fest, das im
Russisch-Japanischen Krieg 1905 noch unbekannt
war: die Verbrüderung in den Schützengräben: «
Es ist klar, daß [die Verbrüderung] das brüderliche
Vertrauen zwischen den Arbeitern der verschiedenen
Länder fördert, stärkt und festigt. Es ist klar, daß
dieser Weg die verdammte Zuchthausdisziplin des
Kasernenhofes zu brechen beginnt, die Disziplin
des Kadavergehorsams der Soldaten gegenüber
„ihren» Offizieren und Generalen, gegenüber ihren
Kapitalisten (denn die Offiziere und Generale
gehören größtenteils zur Kapitalistenklasse, oder
aber sie vertreten deren Interessen). Es ist klar, daß
die Verbrüderung die revolutionäre Initiative der
Massen verkörpert, das Erwachen des Gewissens,
der Vernunft, der Kühnheit der unterdrückten
Klassen, daß sie, mit anderen Worten, ein Glied
ist in der Kette der Schritte zur sozialistischen,
proletarischen Revolution. (...)Aber das genügt
noch nicht. Es ist notwendig, daß die Soldaten
jetzt zu einer Verbrüderung übergehen, bei der ein
klares politisches Programm besprochen wird. (...)In
unserem Aufruf an die Soldaten aller kriegführenden
Länder haben wir denn auch unser Programm der
Arbeiterrevolution in allen Ländern dargelegt:
Übergang der gesamten Staatsmacht an die Sowjets
der Arbeiter- und Soldatendeputierten. Genossen
Soldaten! Besprecht dieses Programm in eurem Kreis
und zusammen mit den deutschen Soldaten! » 61
Und Lenin setzt sich dafür ein, « daß Aufrufe in
russischer Sprache herausgegeben, ins Deutsche
übersetzt und an der Front verbreitet werden; zweitens,
daß mit Hilfe von Übersetzern Meetings russischer
und deutscher Soldaten an der Front veranstaltet
werden» etc. 62 . Die Bolschewiki werden massenhaft
eine Prawda der Schützengräben (Okopnaja Pravda)
herausgeben, die zur Verbrüderung aufruft.
Die Taktik und die Ideologie bei Lenin zu entflechten
ist fast unmöglich, da er die Kunst, Theorie und
Praxis in ein dialektisches Verhältnis zu setzen,
zum Höchsten getrieben hat und diese Dialektik in
eine flexible, da solide, und eine solide, da flexible
Strategie synthetisiert und sie für die Polemik,
die Agitation und die Propaganda formuliert hat.
Wenn man die Tiefe und die Reichhaltigkeit von
Lenins Dialektik nicht versteht, kann einem Lenin
entweder als stumpfsinniger Ideologe erscheinen,
der ungeschickt am Jahrhundert herumschnippelt,
um es seinem Ideal anzugleichen, oder als ein
absoluten Empirist, der unablässig seine Linie und
seinen Diskurs ändert, sobald es seinen Zielen zu
dienen scheint.
Soldaten beobachten 1919 von den Dächern Berlins den Spartakusaufstand
55
Vierter Teil:Der revolutionäre Krieg
4.1. Der Aufstand
Das Interesse Lenins an militärischen Fragen war
natürlich auch mit der militärischen Dimension
des revolutionären Kampfes verbunden. Ab Januar
1905, also vor der Aufstandswelle, begannen
die Bolschewiki, eine bewaffnete Organisation
aufzubauen. Am zweiten Londoner Kongress (12.-
27. April 1905) wurde ein militär-technisches Büro
eingerichtet, das dem Zentralkomitee nahe stand,
und die lokalen Komitees wurden dazu angehalten,
einen Aufstandsplan auszuarbeiten und sich darauf
vorzubereiten.
Die Aufstandswelle von 1905 überraschte die
SDAPR, die keinen eigentlichen militärischen Arm
hatte und keine andere Doktrin als Engels‘ Schriften
über den Aufstand. Das militär-technische Büro
beteiligte sich beim Anheben des Niveaus des
revolutionären Kampfes der Massen, indem es
Informationskampagnen, Aktionen gegen Führer
und Kräfte des Regimes und Enteignungen für
die Finanzierung durchführte. Aber die Kräfte
und die Auswirkungen waren ungenügend. Die
Bolschewiki – und Lenin im Besonderen – zogen
sofort Lehren aus den Erfahrungen, um die
Effizienz ihrer Kampfgruppen zu steigern. Im
Oktober schrieb Lenin an die Kampforganisation:
« Ich sehe mit Entsetzen, wahrhaftig mit Entsetzen,
daß man schon länger als ein halbes Jahr von
Bomben spricht und noch keine einzige hergestellt
hat! (...) Geht zur Jugend. Gründet sofort
Kampfgruppen, überall und allerorts, sowohl bei
den Studenten als auch besonders bei den Arbeitern
usw. usf. Trupps von 3 bis 10, bis zu 30 usw. Mann
sollen sich unverzüglich formieren. Sie sollen sich
unverzüglich selber bewaffnen, so gut jeder kann, mit
Revolvern, Messern, petroleumgetränkten Lappen,
um Feuer anzulegen usw. Diese Kampfabteilungen
sollen sich unverzüglich Führer wählen und sich
nach Möglichkeit mit dem Kampfausschuß des
Petersburger Komitees in Verbindung setzen.
Verlangt keinerlei Formalitäten, pfeift um Himmels
willen auf alle Schemas, schickt um Gottes willen alle
„Funktionen, Rechte und Privilegien» zum Teufel.
Besteht nicht auf dem Beitritt zur SDAPR — das
wäre für den bewaffneten Aufstand eine absurde
Forderung. Weigert euch nicht, mit jedem Zirkel in
Verbindung zu treten, auch wenn er nur aus drei
Personen besteht, unter der einzigen Bedingung, daß
er in bezug auf die Polizei unverdächtig und bereit ist,
gegen die zaristischen Truppen zu kämpfen.» 63
In ihren Memoiren beschreibt N. K. Krupskaia den
Fleiss, den Lenin ins Studium der militärischen
Kunst steckte: « Er beschäftigte sich mit diesem Zweig
viel mehr als man weiss, und seine Gespräche über
die Stosstrupps während des Partisanenkriegs, über
« Fünfer- und Zehnergruppen hatten nichts gemeinsam
mit dem Geschwätz eines Laien, sondern enthüllten
einen in allen Details durchdachten Plan.» 64 . Im Januar
1905 hatte Lenin wieder den Artikel von Marx über
den Aufstand gelesen und das Kapitel von Cluserets
(dem General der Pariser Kommune) Memoiren über
die Strassenkämpfe übersetzt. Die Memoiren von
Cluseret wurden in Wperiod (Vorwärts) mit einer
Einleitung und einer biographischen Notiz von Lenin
veröffentlicht » 65 .
Am 5. Dezember beschloss die bolschewistische
Konferenz von Moskau einstimmig, den aufständischen
Generalstreik auszurufen, gefolgt am 7. Dezember
vom Moskauer Sowjet (mit bolschewistischer
Mehrheit). Der Streik und die Demonstrationen
führten zur bewaffneten Konfrontation, aber der
Rat der Koalitionen der Kampfgruppen 66 , wo die
Bolschewisten die Minderheit darstellten, erwies
sich als unfähig, die Führung des Aufstands zu
übernehmen. Die Moskauer Arbeiter widerstanden,
aber es waren nur 8000 militärisch organisiert. Die
SDAPR versuchte mit allen Mitteln den Aufstand zu
unterstützen (vor allem indem sie Züge aufzuhalten
versucht, die Truppen nach Moskau bringen67) aber
am 18. Dezember fiel das Quartier Presnia im Osten
Moskaus, wo sich die letzten Kämpfer verschanzt
hatten.
Die Menschewiki (z.B. Plechanow) zogen aus dem
Absterben der revolutionären Bewegung 1905
und vor allem aus dem Aufstand in Moskau ihren
Schluss, dass es ein „taktischer Wahnsinn“ und
eine „unglaubliche Leichtsinnigkeit“ war 68 . Die
Bolschewiki erklärten auch nach den Niederlagen von
Moskau, Donezk und Rostow, dass das Problem ein
Mangel an Kräften, an organisatorischer, militärischer
und theoretischer Vorbereitung war: « Es gibt somit
nichts Kurzsichtigeres als die von allen Opportunisten
aufgegriffene Ansicht Plechanows, es hätte keinen
Sinn gehabt, den unzeitgemäßen Streik zu beginnen,
„man hätte nicht zu den Waffen greifen sollen». Im
Gegenteil, man hätte entschlossener, energischer
und offensiver zu den Waffen greifen, hätte den
Massen die Unmöglichkeit eines bloß friedlichen
Streiks und die Notwendigkeit eines furchtlosen und
schonungslosen bewaffneten Kampfes klarmachen
müssen. Wir müssen jetzt endlich offen und allen
vernehmlich erklären, daß die politischen Streiks
unzureichend sind, müssen in den breitesten Massen
für den bewaffneten Aufstand agitieren, ohne diese
Frage durch irgendwelche „Vorstufen» zu vertuschen,
ohne sie durch irgend etwas zu verschleiern. Den
Massen die Notwendigkeit eines erbitterten, blutigen,
vernichtenden Krieges als unmittelbare Aufgabe der
bevorstehenden Aktion verhehlen heißt sich selbst
und das Volk betrügen. » 69
Lenin zieht daraus auch taktische Lektionen, die
Kautskys in Die Chancen der russischen Revolution
skizziert. Dass die Aufständischen in Moskau
den Elitetruppen des Regimes einen derartigen
Widerstand entgegensetzen konnte, zeigte, dass die
Verurteilung der Barrikadenkämpfe durch Engels
überdacht werden musste. Es war eine bestimmte
Barrikadentaktik, die durch das Aufkommen von
Kanonen unmöglich wurde. Mit der Erfahrung von
Moskau konnte aber eine neue Taktik entwickelt
werden.
Die gelernte Lektionen führten schrittweise zur
aufständischen Doktrin, die im Oktober 1917 in
Praxis umgesetzt wurde. Diese Doktrin berief sich
nicht mehr auf Barrikadenkämpfe und spontanen
Massendemonstrationen, sondern auf offensive
Aktionen, die abgestimmt und geplant waren,
auf trainierte und disziplinierte Einheiten von
bewaffneten Arbeitern 70 , auf die Beherrschung
von militärischen Techniken 71 und auf
Zermürbungsarbeit gegen die bürgerliche Armee
durch Agitation und Propaganda 72 . Die Doktrin
stützte sich endlich auf eine präzise aktuelle Analyse
der subjektiven und objektiven Bedingungen:
politische Systemkrise, Unzufriedenheit der
Massen, Existenz einer anerkannten revolutionären
Avantgarde und Unterstützung der Bauern für
die proletarische Revolution. Die Doktrin bedingt
eine lange Arbeit in Vorbereitung, Vergrösserung
und Qualifizierung der militärischen Kräfte. Der
schliesslichen Umsetzung ging eine lange politischmilitärische
Phase voraus, die von Lenin in Der
Partisanenkrieg analysiert wurde. Diese Doktrin
schreibt dem bewaffneten Kampf drei Rollen zu:
eine subjektive Rolle der politischen Mobilisierung
der Mitglieder und der Massen, eine Rolle der
Gewinnung von Kräften in nichtrevolutionären
Phasen und eine finale und entscheidende Rolle im
bewaffneten Aufstand.
4. 2. Der Partisanenkrieg
Lenin musste den Streit gegen Plechanow führen.
Dieser wollte die Kampfgruppen auflösen, um nur
noch über die Aktionen der Abgeordneten in der
Duma Politik zu machen. Die Bolschewiki billigten
Banküberfälle (deren Ertrag für das Funktionieren
einer klandestinen Partei notwendig war), und
führten sie auch aus, ebenso bewaffnete Aktionen
gegen Mitglieder des Repressionsapparates, speziell
gegen Spitzel.
Eine Schule für Militär-Instruktoren wurde in
Kiew und eine andere für die Verwendung von
Bomben in Lemberg gegründet. Im November
1906 berief Lenin über das militärtechnische Büro
eine Konferenz der Kampfgruppen in Tammersfors
in Finnland ein. Dort begegnete Jarorslawski, einer
der hauptsächlichen Militärführer, Lenin: « Ich bin
in Finnland angekommen, wo ich Wladimir Iljitsch
getroffen habe, der mich mit Fragen überfiel. Ich
spürte sofort, dass ich es mit einem Genossen zu
tun hatte, der unsere Arbeit à fond kannte und sich
ernsthaft interessierte. Vladimir Iljitsch begnügte
sich nicht mit allgemeinen Antworten. Er wollte
die Details kennen, die Mechanik unserer Arbeit,
unsere Projekte, unsere Kontakte. Er interessierte
sich lebhaft für die Schule der Militärinstruktoren,
die wir organisiert hatten und wo wir unseren
Militanten die Handhabung und Herstellung von
Sprengstoffen beibrachten, die Bedienung der
Maschinengewehre und anderer Waffen, wo man das
Handwerk der Sappeure-Mineure lehrte, die Taktik
der Strassenkämpfe, in einem Wort, wo man die
Leiter der Kommandanten unserer Kampfeinheiten
für die zukünftige Revolution vorbereitete.» 73
In den Leitungsgremien der SDAPR gab es
ausser dem offiziellen Zentralkomitee (von den
Menschewiki kontrolliert) ein bolschewistisches
Zentrum (Komiteebüro der Mehrheit), deren
militärische Organisation (Komitee für Finanzund
Militärangelegenheiten) von Lenin , Krassin 74
und Bogdanow 75 geleitet wurde.
Im Hinblick auf den Stockholmer Kongress
(10.-20. April 1906) schrieb Lenin folgenden
Resolutionsentwurf :
« In der Erwägung:
1. daß es seit dem Dezemberaufstand fast
nirgends in Rußland zur völligen Einstellung der
Kampfhandlungen gekommen ist, die jetzt von
Seiten des revolutionären Volkes in einzelnen
Partisanenüberfällen auf den Feind zum Ausdruck
kommen;
2. daß derartige Partisanenaktionen, die beim
Vorhandensein zweier feindlicher bewaffneter Kräfte
und beim Wüten der vorübergehend triumphierenden
militärischen Unterdrückung unvermeidlich
sind, zugleich der Desorganisierung des Feindes
dienen und die kommenden offenen bewaffneten
Massenaktionen vorbereiten;
3. daß derartige Aktionen auch für die
Kampferziehung und militärische Ausbildung
unserer Kampfgruppen notwendig sind, die sich
während des Dezemberaufstands an vielen Orten
praktisch als unvorbereitet auf die für sie neue Sache
erwiesen haben;
erklären wir und beantragen, der Parteitag wolle
beschließen:
1. die Partei muß die Partisanenaktionen der
Kampfgruppen, die zur Partei gehören oder sich
an sie anlehnen, als prinzipiell zulässig und in der
gegenwärtigen Periode zweckmäßig anerkennen;
2. die Partisanenkampfaktionen müssen so geartet
sein, daß sie der Aufgabe Rechnung tragen, Kader von
Führern der Arbeitermassen während des Aufstands
zu erziehen und Erfahrung in überraschenden
Angriffshandlungen zu vermitteln;
3. als unmittelbare Hauptaufgabe solcher
Aktionen ist die Zerstörung des Regierungs-,
Polizei- und Militärapparats zu betrachten sowie
der schonungslose Kampf gegen die aktiven
Schwarzhunderterorganisationen, die der
Bevölkerung gegenüber zu Gewalt greifen und sie
einzuschüchtern suchen;
4. Kampfaktionen sind gleichfalls zulässig, um
Geldmittel, die dem Feind, d. h. der absolutistischen
Regierung gehören, zu erbeuten und diese Mittel für
die Erfordernisse des Aufstands zu verwenden, wobei
streng darauf zu achten ist, daß die Interessen der
Bevölkerung möglichst geschont werden;
5. die Partisanenkampfaktionen müssen unter
Kontrolle der Partei durchgeführt werden, und zwar
so, daß. die Kräfte des Proletariats nicht unnütz
vergeudet werden und daß dabei die Bedingungen
der Arbeiterbewegung in dem betreffenden Ort und
die Stimmung der breiten Massen berücksichtigt
werden. » 76
Aber der mehrheitlich aus menschewistischen
Delegierten zusammengesetzte Kongress diskutierte
die Frage nicht. Lenin kommt im September 1906
auf die Frage zurück und bekräftigt:
« Der Partisanenkampf ist eine unvermeidliche
Kampfform in einer Zeit, wo die Massenbewegung
in der Praxis schon an den Aufstand heranreicht
und mehr oder minder große Pausen zwischen
den «großen Schlachten» des Bürgerkriegs
eintreten. (...) Es ist daher durchaus natürlich und
unvermeidlich, daß in einer SOLCHEN Epoche,
in der Epoche der das ganze Volk erfassenden
politischen Streiks, der AUFSTAND nicht die alte
Form von Einzelaktionen annehmen kann, die sich
auf eine sehr kurze Zeitspanne und auf ein sehr
kleines Gebiet beschränken. Es ist ganz natürlich
und unvermeidlich, daß der Aufstand die höheren
und komplizierteren Formen eines langwierigen,
das ganze Land erfassenden Bürgerkriegs, d.h. des
bewaffneten Kampfes des einen Teils des Volkes
gegen den anderen, annimmt. Einen solchen Krieg
kann man sich nur vorstellen als eine Reihe von
wenigen, durch verhältnismäßig große Zeitabstände
voneinander getrennten großen Schlachten und eine
Menge von kleineren Scharmützeln im Verlauf dieser
Zwischenzeiten. Wenn das so ist - und zweifellos ist es
so -, dann muß die Sozialdemokratie unbedingt ihre
Aufgabe darin sehen, Organisationen zu schaffen,
die in möglichst hohem Maße dazu befähigt sind, die
Massen sowohl in diesen großen Schlachten als auch,
nach Möglichkeit, in diesen kleineren Scharmützeln
zu führen.» 77
Doch wurde die Auflösung der Kampfgruppen
auf dem Dritten Londoner Kongress (13. Mai bis
1 Juni 1907) von der menschewistischen Mehrheit
beschlossen.
4.3. Lenin als Feldherr
Die Rolle Lenins als Feldherr wird falsch
eingeschätzt und die diesbezügliche Beurteilung
Adam Ulams weitgehend geteilt 78 . Die Sowjetologen
und Trotzkisten schrieben, von offensichtlichen
politischen Interessen getrieben, die militärischen
Verdienste Trotzki zu. Nicht mindere Interessen
führten die sowjetische Geschichtsschreibung zur
Überschätzung der Rolle Stalins, Woroschilows
und Frunses. Alle sind sich einig, Lenin als
ersten politischen Rollenträger anzuerkennen,
und alle vernachlässigen seine militärische
Rolle. Er selbst tat nichts, um sein Interesse an
Militärfragen hervorzuheben: Er besuchte weder
die Generalstäbe noch die Schützengräben und traf
sich mit Kommandanten und Soldaten der Roten
Armee nur wenn es sich aufdrängte – keinerlei
Militärsymbolik verbindet sich mit ihm.
Trotzdem hatte er zwischen dem 1. September und
dem 24. Dezember 1918 an 143 von 175 Sitzungen
des Verteidigungsrates den Vorsitz. Allein 1919
leitete er die Arbeiten von 14 Sitzungen des
58
59
Zentralkomitees der Partei und 40 Sitzungen des
Politbüros, die militärische Fragen prüften. Es gibt
tausende solcher Fragen, welche Lenin bei diesen
Gelegenheiten untersuchte 79 . Lenin versandte
mindestens sechshundert Briefe und Telegramme
über Angelegenheiten der Verteidigung.
Die trotzkistische Version der Geschichte, wonach
Lenin Trotzki zu Militärfragen „Carte blanche“
gegeben haben soll, wird durch mehrere Vorfälle
widerlegt, wobei die berühmteste die Ersetzung des
Kommandanten der Roten Armee, J. Wazetis durch
S. S. Kamenew war 80 .
Es stimmt, dass Lenin das Wesentliche der
Kriegführung an die Kommandanten und
Kommissare delegierte, an deren Auswahl er
beteiligt war, allen voran des Kriegskommissars
selbst. Seine Aktivität griff selten in die der
Kommandanten ein.
Im November 1917, als Kerenski die der
provisorischen Regierung treu gebliebenen Armeen
zusammenzog, um auf Petrograd zu marschieren,
und als diese Gatschina eingenommen hatten und
Zarskoje Sjelo 81 , 25 km von der Hauptstadt entfernt,
bedrohten, sah man Lenin am häufigsten auf die
taktische Ebene „hinabsteigen“. Dabei provozierte
er einen Zusammenstoss mit Nicolai Podwoiski,
dem Organisator der Roten Garde und ersten
Volkskommissar für Heereswesen 82 .
Mehrere übereinstimmende Zeugnisse berichten
über die Art, wie Lenin die Flotte für die
Feuerunterstützung an der Front von Zarskoje Sjelo
einsetzte.
L. Wachromejew, Delegierter der Baltischen Flotte,
wurde von Lenin in die Direktion des Kommandos
des Militärbezirks Petrograd zitiert. Er schreibt: « Er
betrachtete eine Karte von Petrograd und Umgebung.
Iljitsch wandte sich an mich: „Ist die Flotte in der Lage,
die Landfront zu unterstützen?“ Kerenski befand
sich damals gerade in Zarskoje Sjelo. Nachdem ich
mich über sämtliche Entfernungen genau informiert
hatte, antwortete ich: „Wir können Zarskoje Sjelo von
zwei Seiten aus bombardieren. Im Kanal können wir
den Kreuzer ‚Oleg‘ postieren: er wird Zarskoje Sjelo
aus seinen schweren Geschützen bestreichen. Dann
werden wir zwei oder drei Torpedoboote vom Typus
‚Nowik‘ die Newa hinauf bis Rybazkoje bringen und
können dann von der Newa aus von Osten her mit
vierzölligen Kanonen feuern. Auf diese Weise wird
Kerenski zweifellos zur Räumung von Zarskoje Sjelo
gezwungen werden“.
Iljitsch zeigte sich äusserst interessiert, befragte mich
genau über sämtliche Einzelheiten, und, nachdem
er sich vollständig von der Durchführbarkeit der
Operation überzeugt hatte, gab er mir sogleich den
Befehl, unverzüglich an die Ausführung dieses Plans
zu schreiten und ihn über den Verlauf der Aktion auf
dem laufenden zu halten. » 83
Aber Lenin holte noch (mindestens) eine zweite
Meinung ein, die eines andern Bolschewiken der
Flotte, F. Raskolnikow, der beinahe identische
Ausführungen lieferte: gedrängte Diskussion um
die Karte herum, Studium der Tiefe der Fahrrinnen,
des Effektes der Gezeiten, der Schiesspläne etc. 84
Der dritte Bericht stammt von N. Ismailow,
Vorsitzender des Zentralkomitees der Baltischen
Flotte. Er referierte seine telegrafische Konversation
mit Lenin, welcher fragte, wie viele Schiffe er in
welcher Zeit ausstatten könne und innert welcher
Frist, ob sie mit Lebensmitteln und drahtloser
Telegrafie ausgestattet seien, etc. 85 . Das Manöver
wurde ausgeführt, die Flotte vertäute sich gewisse
Kabellängen von Zarskoje Sjelo und Beobachter
wurden auf dem Höhen von Pulkowo postiert, um
das Schiessen zu leiten, aber der plötzliche Rückzug
von Kerenskis Truppen machte diese Aufstellung
unnötig.
Es ist schwierig, die militärische Relevanz von
Lenins Entscheidungen zu beurteilen 86 .
Trotzkis Zeugnis darüber ist oft verdächtig. Er hatte
die Schwäche, angebliche „Fehler des militärischen
Urteils“ Lenins hochzuspielen, um sich ins gute
Licht zu rücken. Lenins militärische Aktivität
besteht im Wesentlichen im Sammeln der Mittel,
Mitreissen der Energien, die richtigen Personen
ans richtige Ort zu schicken und jenen den Kopf zu
waschen, die es nötig hatten.
Ein gutes Beispiel ist das Telegramm an Gussew 87
vom 16 September 1919:
« In Wirklichkeit aber herrscht bei uns Stillstand,
beinahe Zusammenbruch.
An der sibirischen Front hat man irgend so einen
Lump Olderoge und die Memme Posern hingestellt
und „sich beruhigt». Das ist geradezu schändlich!
Und man beginnt, uns zu schlagen! Wir werden
dafür den Revolutionären Kriegsrat der Republik
verantwortlich machen, wenn nicht energisch
vorgegangen wird! Es ist eine Schande, den Sieg aus
den Händen zu geben.
Mit Mamontow Stillstand. Offenbar eine Verspätung
nach der anderen. Verspätet haben sich die Truppen,
die sich vom Norden nach Woronesh begeben
haben. Verspätet hat man sich mit der Beförderung
der 21. Division nach dem Süden. Verspätet mit
den Maschinengewehren. Verspätet mit dem
Nachrichtenwesen. (...)
Das Ergebnis ist Stillstand sowohl mit Mamontow als
auch bei Seliwatsdiow (an Stelle täglicher „Siege», wie
man es in kindischen Zeichnungen versprach - wissen
Sie noch, daß Sie mir diese Zeichnungen zeigten? und
daß ich sagte: „Man hat den Gegner vergessen!!“ 88 ).
Wenn Seliwatschow flüchtet oder seine Divisionschefs
Verrat üben, dann ist der Revolutionäre Kriegsrat der
Republik daran schuld, denn er hat geschlafen und
alle beruhigt, aber das Erforderliche nicht getan.
Die besten, die energischsten Kommissare müssen
nach dem Süden geschickt werden, aber keine
Schlafmützen.
Mit der Formierung von Truppenteilen verspäten
wir uns auch. Wir lassen den Herbst verstreichen —
Denikin aber verdreifacht seine Kräfte, er bekommt
Tanks usw. usw. So geht es nicht. Man muß das
schläfrige Arbeitstempo ablegen und zu einem
lebendigen übergehen. » 89
In einem Abschnitt, den Lenin ebenfalls kopierte,
schrieb Clausewitz: « Verbindet sich mit jener Energie
der Kräfte eine weise Mässigung in den vorgesetzten
Zwecken, so entsteht jenes Spiel von glänzenden
Schlägen und vorsichtiger Zurückhaltung, welches
wir in Friedrichs des Grossen Kriegen bewundern
müssen » 90
Immer wieder bewies Lenin dieses Gleichgewicht
von Qualitäten: Die Kühnheit beim Auslösen
des Oktoberaufstandes, die Vorsicht anlässlich
der Verhandlungen von Brest Litowsk.
Und wenn man Lenin sieht, wie der die
Kommandanten und Kommissare zum Beweis
ihrer Initiative, ihrer Kühnheit und ihres
Kampfgeistes drängt, so drängt er sie niemals
zur Unvorsichtigkeit – obschon Kühnheit und
Trägheit Zwillinge sind, wenn sich jenes Fehlen von
Gewissenhaftigkeit zeigt, das er verabscheut.
Der Beweis ist ein Telegramm vom 3. Juni 1920
an Trotzki bezüglich eines Angriffsplans: « Das
ist offensichtlich eine Utopie. Wird das nicht zu
viele Opfer kosten? Wir würden unzählige unserer
Soldaten in den Tod treiben. Das muss man zehnmal
überlegen und abwägen; Ich schlage folgende Antwort
an Stalin vor: „Ihr Vorschlag über den Angriff der
Krim ist so schwerwiegend, dass wir Informationen
einholen und sehr sorgfältig überlegen müssen.
Warten sie unsere Antwort ab. Lenin. Trotzki“.» 91
4.4. Der Angriff und die Verteidigung
Clausewitz bemerkte, in Passagen, die von Lenin
weitgehend notiert wurden, dass es leichter ist
zu halten als zu nehmen, dass die Verteidigung
die stärkere Form der Kriegführung sei. Wenn
der Angriff an sich, über das positive Ziel hinaus,
(zum Beispiel die Eroberung einer Provinz),
der Verteidigung überlegen wäre, würde kein
Kriegführender diese anwenden. Wer ein positives
Ziel verfolgt, kann mit dem Angriff nicht sparsam
sein und muss sich deshalb die Mittel geben, welche
denen des Feindes überlegen sind, um die der
Verteidigung eigene Überlegenheit auszugleichen.
Wenn man dem Feind unterlegen ist, kann die Wahl
der Verteidigung diese Unterlegenheit teilweise
oder ganz ausgleichen.
Der Verteidiger profitiert von allen
unvorhergesehenen Ereignissen, von der Zeit und
von der Abnützung des Feindes. Der Angreifer hat
gewiss den Vorteil der umfassenden Überraschung
(und auch die Wahl des Momentes des Krieges),
aber der Verteidiger zieht Vorteile aus der taktischen
Überraschung. Der Verteidiger hat den Vorteil des
Geländes: Er kennt es, hat sich darin eingerichtet,
besetzt die Festungen und die vorteilhaftesten
Punkte, kann eine verdeckte Stellung einnehmen,
die ihm erlaubt, mit inneren Linien zu spielen etc.
Die Stellung des Verteidigers nützt sich weniger
schnell ab als die des Angreifers; dem Verteidiger
kommen die Hilfe der Bevölkerung zugute sowie
die Sympathien und moralischen Vorteile, die aus
seinem Status als Angegriffener hervorgehen.
Gewisse der Verteidigung inhärente Vorteile
wirken sogar bevor sich der Verteidiger in die
Tiefe seines Territoriums zurückzieht, aber sie
nehmen im Verhältnis zur Tiefe des Rückzuges zu.
Da dieser Rückzug teuer ist (weil er ein Aufgeben
von Territorium einschliesst), darf er nur gewählt
werden, wenn das anfängliche Ungleichgewicht
der Kräfte so gross ist, dass es aller Vorteile der
Verteidigung braucht, um es wettzumachen.
Der Verteidiger kann sich, entsprechend der
Bedeutung dieses Ungleichgewichtes, entschliessen,
den Feind anzugreifen, wenn er die Grenze passiert.
Wenn er dazu nicht stark genug ist, kann er noch
warten und den Feind angreifen, wenn er bis
zu einem für die Schlacht gewählten Punkt in
sein Territorium eingedrungen ist (z.B. an einen
Flusslauf). Er kann auch, wenn er sich immer noch
zu schwach fühlt, darauf warten, dass der Feind
diese Stellung angreift. Ist das Ungleichgewicht
60
61
immer noch zu gross, kann der Verteidiger seine
Wartestellung verlängern, bis der feindliche Angriff
seinen Höhepunkt erreicht hat. Verteidigung
bedeutet nicht Passivität: Der Verteidiger kann
so die Initiative behalten, kann beim Rückzug die
Kämpfe vermehren, die Guerilla im Rücken des
Feindes auslösen etc.
1918 wandte Lenin diese Doktrin Punkt für
Punkt an. Er war ein erbitterter Gegner des
«Revolutionären Krieges» gegen Deutschland,
doch blieb er mit seiner Position in der Minderheit:
Die Hälfte der Bolschewiki wollten den Krieg,
ein Viertel den Frieden und ein Viertel « weder
Krieg noch Frieden », was Trotzki befürwortete.
Dieser zwang den Verhandlungen seine Linie
auf und provozierte damit ihr Platzen und einen
neuen, für Russland katastrophalen deutschen
Angriff. Am 3. März 1918 musste Russland den
Vertrag von Brest-Litowsk unterzeichnen, durch
den Deutschland Polen und die baltischen Staaten
an sich riss und die Unabhängigkeit der Ukraine,
Finnlands und der drei transkaukasischen
Republiken durchsetzte. Die Gründung der Roten
Armee am 15. Januar 1918 ermöglichte die ersten
Siege über die Weissen Armeen im Ural, am
Don, in Donezk, im Kuban-Gebiet und auf der
Krim, aber im Mai 1918 marschierten (infolge des
Aufrufs der bürgerlichen Nationalisten, die durch
die Entwicklung der ukrainischen und finnischen
revolutionären Bewegungen bedroht waren)
die deutschen und österreichischen Armeen
unwiderstehlich in der Ukraine und in Finnland
ein: « Seitdem wir Vertreter der herrschenden Klasse
geworden sind, die den Sozialismus zu organisieren
begonnen hat, fordern wir von allen eine ernste
Einstellung zur Verteidigung des Landes. Die
Verteidigung des Landes ernst nehmen heißt sich
gründlich vorbereiten und das Kräfteverhältnis streng
in Rechnung stellen. Wenn wir offenkundig schwach
sind, so ist das wichtigste Mittel der Verteidigung der
Rückzug in das Innere des Landes (wer darin eine
nur für diesen Fall zurechtgebogene Formel sieht,
kann bei dem alten Clausewitz, einem der großen
Militärschriftsteller, über die Ergebnisse der Lehren
der Geschichte in dieser Beziehung nachlesen). (...)
Es wird unsere Pflicht, die Kräfte aufs vorsichtigste
zu berechnen und aufs sorgfältigste abzuwägen, ob
unser Verbündeter (das internationale Proletariat)
rechtzeitig zur Stelle sein wird. Das Kapital ist daran
interessiert, den Feind (das revolutionäre Proletariat)
einzeln zu schlagen, noch bevor die Arbeiter aller
Länder sich (praktisch, d. h. durch den Beginn der
Revolution) zusammengeschlossen haben. Wir
dagegen sind daran interessiert, alles nur mögliche
zu tun, selbst die kleinste Chance auszunutzen, um
den entscheidenden Kampf aufzuschieben bis zu dem
Zeitpunkt (bzw. „bis nach» dem Zeitpunkt) einer
solchen Vereinigung der revolutionären Trupps der
großen internationalen Armee» 92 .
Lenin schrieb diese Zeilen also in dem Moment,
als das Kräfteverhältnis weitgehend zu Ungunsten
der Sowjetmacht stand: Die deutschen und (und in
geringerem Mass) die österreichisch-ungarischen
Armeen waren deutlich stärker, besser bewaffnet,
kriegserfahrener und besser betreut als die junge
Rote Armee. Der revolutionäre Krieg gegen
Deutschland war purer Voluntarismus, was sein
erster Befürworter, Bucharin, 10 Jahre später
anerkennen wird. 93 .
Als Lenin das Prinzip des Rückzugs ins Kerngebiet
anwandte, entschied er sich für die höhere Form
der Verteidigung. Diese Verteidigung erlaubte es
der Revolution, ihre Kräfte zu entwickeln (die Rote
Armee war im vollen Aufbau), die inneren Linien
auszuspielen (man konnte je nach Bedarf und den
Prioritäten die Einheiten des Nordens in den Süden,
des Ostens in den Westen schicken und so Zug
um Zug die angestrebte Überlegenheit erreichen,
um eine Entscheidungsschlacht zu gewinnen). Sie
führte dazu, dass die deutschen Streitkräfte sich
von ihren Versorgungsbasen entfernten und sich
mehr und mehr einer intensiven Aktivität der
roten Partisanen der Ukraine aussetzten, – und
dass sich die pazifistischen und revolutionären
Losungen in Deutschland und in der deutschen
Armee verbreiteten. Lenin zählt ganz wesentlich
auf diesen letzten Faktor. Im Januar 1918 waren
bereits revolutionäre politische Streiks mit der
Gründung von Arbeiterräten in Berlin, Wien,
Hamburg, Kiel, Düsseldorf, Leipzig, Essling und
anderswo ausgebrochen. Aber erst im November
fing die revolutionäre Welle Feuer: Mehr als 10‘000
Arbeiter- und Soldatenräte konstituierten sich und
bemächtigten sich Berlins. Die Revolution wurde
niedergeschlagen, aber ihre Wirkungen, verbunden
mit denen des Waffenstillstandes, zogen den
Rückzug der deutschen Truppen aus der Ukraine
und der Krim nach sich.
4.5. Eine « Militarisierung » des Marxismus?
Der Prozess zur « Militarisierung » des Marxismus
kennt zwei Anklageschriften:
1° Die eine behauptet, sie sei gleichsam „angeboren“,
zusammengehörig, wie bei Anibal Romero : «Für
Clausewitz bedarf die Politik nicht unbedingt des
Krieges ; für Lenin ist die Politik Klassenkrieg, der
Staat ist nur ein Unterdrückungsinstrument, und
der Triumph des Proletariates – der nur von einem
Gewaltakt herrühren kann, von extremer Gewalt
– muss zur Auslöschung des Staates führen und
schliesslich zum Verschwinden der Politik selbst 94 .
2° Die andere sieht sie als geschichtlich erworben an,
wie bei Jacob Kipp, für den die « Militarisierung » des
Marxismus bei Lenin ein durch den Weltkrieg, die
Lektüre von Clausewitz und die Oktoberrevolution
ausgelöste Tendenz ist, die ihre Vollendung 1922-
23 findet:
«Lenin vollendete einen ganzen Kreis. Krieg und
Politik wurden als Subjekt und Objekt vertauscht.
Hier wurde die Politik zur Fortsetzung des Krieges mit
anderen Mitteln. Die NEP war ein taktisches Mittel,
um die nationale Wirtschaft wiederherzustellen
und, angesichts der Aufstände in Kronstadt und
der Region Tambov, die Unterstützung der Bauern
zurückzugewinnen.» 95
Kipp irrt sich allgemein und speziell bezüglich
des Kalenders, denn Lenin „demilitarisiert sich“
kalr am Ende des Bürgerkrieges, wie sein Bericht
an dem XI. Parteitag der Kommunistischen
Partei bezeugt (1922): « In der vorhergegangenen
Entwicklungsperiode unserer Revolution, als
die ganze Aufmerksamkeit und alle Kräfte
hauptsächlich von der Aufgabe beansprucht, ja fast
ganz absorbiert waren, die Invasion abzuwehren,
konnten wir über diesen Zusammenschluß [mit der
Bauernwirtschaft] nicht genügend nachdenken —
wir hatten anderes zu tun. Man konnte und mußte
ihn bis zu einem gewissen Grade vernachlässigen, als
wir vor der absolut unaufschiebbaren und direkten,
alles überragenden Aufgabe standen, die Gefahr
abzuwehren, von den gigantischen Kräften des
Weltimperialismus sofort erdrückt zu werden. (…)
Die kommunistische Gesellschaft mit den Händen der
Kommunisten aufbauen zu wollen ist eine kindische,
eine ganz kindische Idee. Die Kommunisten sind
ein Tropfen im Meer, ein Tropfen im Volksmeer.
(…) Den Ausbeuter unschädlich machen (...) das
haben wir im wesentlichen gelernt. Hier muß ein
gewisser Druck ausgeübt werden, doch das ist leicht.
Der zweite Teil des Sieges aber besteht darin, mit
nichtkommunistischen Händen den Kommunismus
aufzubauen, es zu verstehen, praktisch das zu tun,
was ökonomisch getan werden muß, nämlich den
Zusammenschluß mit der bäuerlichen Wirtschaft zu
finden, die Bauern zufriedenzustellen » 96 .
Der Bürgerkrieg gegen die Bourgeoisie, zur
Eroberung der staatlichen Macht ist gehört
wesentlich zum Leninismus, aber nicht mehr als das
Bündnis der kleinen und mittleren Bauernschaft
und der Intelligenz mit dem Proletariat. Die Öffnung
gegenüber diesen Klassen und sozialen Gruppen
sind ebenso politisch wie die Feindseligkeiten gegen
die Junker und die Kapitalisten. Der Friede mit den
einen und der Krieg mit den anderen bilden eine
allgemeine Politik, sie sind in gleicher Weise Teil
des leninistischen Projektes 97 .
Die Schlacht von Kronstadt und die
Niederschlagung des Aufstands von Tambow oder
der Machnowschtschina hatten einen anderen
Charakter als der Krieg gegen die weissen und
von aussen angreifenden Armeen. Für Lenin,
der sich hauptsächlich auf die Pariser Kommune
bezog, musste ein Krieg gegen die Streitkräfte der
herrschenden Klassen, gleichsam gegen Versailles,
kommen. Nichts dergleichen mit Kronstadt,
Tambow oder der Machnowschtschina. Dies
waren « aufgezwungene » Kriege sozusagen in
dem Sinn, dass sie nicht auf dem Programm
standen. Wohlverstanden, die Entscheidungen
der Kommissare waren bei der Entstehung dieser
Konflikte bestimmend, insbesondere die Wehrpflicht
und die Prodraswerstka, die Zwangsrequirierung
der landwirtschaftlichen Überschüsse, um die
Städte zu ernähren, aber die Bolschewiki konnten
hoffen, keine derartigen Kriege führen zu müssen.
Abgesehen von den konterrevolutionären Agenten,
welche Öl ins Feuer gossen, waren die Feinde
der Bolschewiki in Kronstadt, in Tambow und in
der Ukraine soziale Gruppen, in erster Linie die
Mittelbauern 98 , mit denen Lenin auf ein Bündnis
hoffte. Die Aufständischen positionierten sich
als Feinde der sowjetischen Macht weil sie sie als
antagonistische Macht wahrnahmen, und vom
Moment an, als sie zu den Waffen griffen, wurden
sie wie Feinde behandelt, aber die Schärfe, mit der
sie unterdrückt wurden 99 , entstammte nicht einer
allgemeinen antagonistischen Politik.
Für den durch die Tscheka erschossenen
Aufständischen ist dieser feine Unterschied nur
mässig tröstlich, aber er ist entscheidend für die
theoretische Frage des leninistischen Verhältnisses
zum Krieg. Während die Gegnerschaft gegen die
Selbstherrschaft, die Grossgrundbesitzer und die
Kapitalisten als unversöhnlich beurteilt wird, ergriff
die bolschewistische Macht Massnahmen, um
die Klasseninteressen der mittleren Bauernschaft
zu schonen: Kurz nach der Niederschlagung
der Revolte von Tambow ersetzte der Rat der
Volkskommissare die Prodrazverstka durch die
Prodnalog, eine fixe Steuer, zahlbar in Naturalien
(in Korn), was für die Bauern viel eher annehmbar
war. Also, auch wenn Lenin den Parteikadern die
62
63
Lektüre von Clausewitz empfahl, weil die politische
und die militärische Taktik Nachbargebiete sind 100 ,
auch wenn die Rhetorik kriegerisch blieb 101 , verliert
die leninistische Politik 1922 die Charakteristik der
Kriegführung, anders als Kipp behauptet 102 .
Die leninistische Politik auf den Krieg zu reduzieren
bedeutet nicht nur, alles zu disqualifizieren,
was vor dem Krieg kommt (die Organisierung
und Bewusstseinsbildung der Arbeiterklasse
auf nationaler und internationaler Ebene, die
Organisierung und Vereinigung der Revolutionäre
um ein strategisches Projekt, die Annäherung der
Klassen und sozialen Gruppen, die ein objektives
Interesse an einer revolutionären Veränderung haben
etc.), sondern auch alles, was nach ihm kommt (die
organisierung der neuen Macht, die Entwicklung
neuer sozialer Verhältnisse, die Reorganisierung
der Produktion und der Raumordnung, die
Kulturrevolution etc.). Und wenn die Ziele der
vorrevolutionären Politik tatsächlich erlauben
sollen, den revolutionären Krieg zu führen und zu
gewinnen, müssen sie es auch erlauben, den Frieden
zu gewinnen. Gemäss Clausewitz muss man immer
« mit dem Frieden den Zweck als erreicht und das
Geschäft des Krieges als beendigt ansehen » 103 , und so
versteht es auch Lenin: Wenn der Klassenfeind (die
Reaktionäre und die imperialistischen Angreifer)
einmal geschlagen sind, geht es um den friedlichen
Aufbau des Sozialismus. Auch dieser Aufbau ist ein
Kampf: Kampf um die Produktion, die Kultur, die
Verbesserung der sozialen Beziehungen und des
sozialen Bewusstseins, Kampf gegen die Faulheit,
die Nachlässigkeit, den Egoismus, die Routine
und die Bürokratie und gegen das, was Lenin
„Oblomowismus“ nannte. Aber diese Kämpfe sind
keineswegs Kriege. Es ist der Friede (der hier die
Form des Aufbaus des Sozialismus annimmt), was
in Übereinstimmung mit den Clausewitz’schen
Begriffen die Wahrheit des leninistischen Krieges
ist.
In der Aussenpolitik ist es anders. Auf dem VIII.
Kongress der bolschewistischen Partei bat Lenin
die Stenographen, ihrev Bleistift abzulegen, damit
er bezüglich der Friedensangebote von Lloyd
Georges und Woodrow Wilson an den Kreml ohne
Furcht vor Indiskretionen sagen konnte, was er
dachte. Für Lenin waren diese Angebote durch das
Scheitern der Militärintervention in Russland und
durch die revolutionären Wellen in Europa diktiert
und nicht vom Wunsch, einen modus vivendi
mit den Bolschewiken zu finden 104 . Für Lenin ist
der Widerspruch mit den bürgerlichen Staaten
antagonistisch; die Verbissenheit der Angreifer
zeigte ihre ganze Feindschaft gegenüber dem ersten
sozialistischen Staat. Wenn die Erschöpfung, die
inneren Widersprüche (Meutereien, Streiks etc.) und
die Aufreibung der Weissen sie auch dazu brachten,
auf die Intervention zu verzichten, machten sie
doch den Feindseligkeiten kein Ende. Der Friede,
die internationalen Verträge sind von da an nichts
anderes als ein verlagerter Krieg. Es kommt nicht
darauf an, ob das Kriegswerkzeug das einheimische
aufständische Proletariat oder die Rote Armee
ist: Die leninistische internationale Politik ist eine
Politik der gemässigten Kriegführung, denn sie
ist von der Überzeugung geleitet, dass die inneren
Widersprüche des Feindes die grössere Rolle bei
seiner Niederlage spielen werden. Lenin hielt die
Einrichtung normaler Beziehungen zwischen
Sowjetrussland und den kapitalistischen Staaten
für unmöglich, und er gehörten zu denen, wie
Wynn Catlin, welche die Diplomatie als die Kunst
betrachtete, „du nettes Hündchen!“ zu sagen,
während man mit den Augen einen guten Stein
sucht....
Anmerkungen
1 Cf. Zhang Yuan-Lin : Mao Zedong und Carl von
Clausewitz : Theorien des Krieges, Beziehung, Darstellung
und Vergleich. Inauguraldissertation zur Erlangung des
akademischen Grades eines Doktors der Philosophie der
Universität Mannheim. Mannheim, 1995.
2 Dieses Exil folgte auf die Repressionswelle nach
der gescheiterten Revolution von 1905. Lenin begab sich
zunächst nach Galizien, welches damals österreichisches
Gebiet war; bei Ausbruch des Krieges im Sommer 1914
musste er auch von dort wieder verschwinden.
3 Schlössler beschreibt diesen Einfluss als
wahrscheinlich, beginnend mit Mehrings Artikel aus dem
Jahr 1904 über den russisch-japanischen Krieg. Dietmar
Schössler : Clausewitz Engels Mahan : Grundriss einer
Ideengeschichte militärischen Denkens, LIT Verlag, Berlin,
2009, Seiten 388 und 393.
4 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, herausgegeben
von Werner Hahlweg, Bonn: Ferd. Dümmlers Verlag,
19. Aufl. 1980, S. 179-183, (im Folgenden zitiert als Vom
Kriege); Lenin: Clausewitz Werk Vom Kriege, Auszüge
und Randglossen, Verlag des Ministeriums für Nationale
Verteidigung, Berlin (Ost) 1957, abgedruckt in: T. Derbent:
Clausewitz und der Volkskrieg, Zambon-Verlag 1912 (im
Folgenden zitiert als Lenins Glossen über Clausewitz), S. 15.
5 Vom Kriege, S. 210, Lenins Glossen über
Clausewitz, S. 15f.
6 In diesem Kapitel findet sich die berühmte
Passage: « Man weiss freilich, dass der Krieg nur durch
den politischen Verkehr der Regierungen und der Völker
hervorgerufen wird ; aber gewöhnlich denkt man sich
die Sache so, dass mit ihm jener Verkehr aufhöre und ein
ganz anderer Zustand eintrete, welcher nur seinen eigenen
Gesetzen unterworfen sei. Wir behaupten dagegen: Der
Krieg ist nichts als eine Fortsetzung des politischen Verkehrs
mit Einmischung anderer Mittel» Vom Kriege, S. 990f;
Lenins Glossen über Clausewitz, S. 35f.
7 « (…) wie jede Zeit ihre eigenen Kriege, ihre
eigenen beschränkenden Bedingungen, ihre eigene
Befangenheit hatte.» Vom Kriege, 973.
8 « Hiernach kann der Krieg niemals von dem
politischen Verkehr getrennt werden (...) » Vom Kriege, S991
9 Später wird der Krieg zu einem theoretischen
Objekt durch die Fürbitte anderer Beziehungen: Bouthoul
et Feund werden ihre Polemiken auf eine gewisse
Anthropologie stützen.
10 Major Général John Frederick Charles Fuller, The
Condut of War (1789-1961) A Study of the Impact of the
French, Industrial, and Russian Revolution on War and tis
Conduct. New Brunswick, New Jersey, Rutgers University
Press 1951 Seite 202, eigene Überwsetzung.
11 Jean-Vincent Holeindre : Violence, guerre et
politique Études sur le retournement de la “Formule”
de Clausewitz, in Res militaris, vol. 1, n°3, Sommer
2011, verfügbar unter https://www.google.ch/?gws_
rd=ssl#q=Holeindre+Violence%2C+guerre+et+politique,
eigene Übersetzung.
12 Marx-Engels, Werke, Band 4, Dietz Verlag, Berlin,
1977, Seite 462.
13 So wie in Italien während des intensiven
Klassenkampfes Ende der 60er und anfangs der 70er Jahre,
wo die Roten Brigaden mit der bewaffneten Propaganda
das Ziel hatten, die Massen zur bewaffneten Revolution zu
führen, während im anderen Lager die P2 mittels Attentaten
und Massakern das Kriegsrecht auslösen wollte.
14 Lenin : Der Partisanenkrieg, LW 11, S. 209.
15 Hervorhebungen von Lenin.
16 Vom Kriege, S. 967, 970, 972f., Lenins Glossen
über Clausewitz, S. 32f.
17 Vom Kriege, S. 221, Lenins Glossen über
Clausewitz, Seite 16.
18 Vom Kriege S. 212f, Lenins Glossen über
Clausewitz, Seite 17.
19 « Obgleich der Einfluss eines einzelnen Bewohners
des Kriegsschauplatzes auf den Krieg in den meisten
Fällen nicht bemerklicher ist als die Mitwirkung eines
Wassertropfens bei dem ganzen Strom, so ist doch selbst
in Fällen, wo von gar keinem Volksaufstand die Rede ist,
der Gesamteinfluss, den die Einwohner des Landes auf den
Krieg haben, nichts weniger als unmerklich. Vom Kriege, S.
637.
20 Lenin verweilt ebenfalls bei der Reflexion von
Clausewitz aus dem 20. Kapitel des Sechsten Buches,
wonach der Generalstab dazu neigt, jene Fragen zu
überschätzen, die für ihn direkt relevant sind (wie die
topografischen Eigenschaften des Kriegstheaters). Da
der Generalstab «derjenige Teil des Heeres zu sein pflegt,
welcher am meisten schreibt und drucken lässt: so folgt,
dass diese Teile der Feldzüge historisch mehr fixiert sind »
auf Kosten von anderen, nicht weniger wichtigen. Lenins
Glossen über Clausewitz, Seite 26.
21 Vom Kriege, S. 971.
22 Vom Kriege, S. 990, Lenins Glossen über
Clausewitz, S.35f.
23 So wurde in Frankreich die Aussetzung
innenpolitischer Streitigkeiten angesichts der Verteidigung
der Nation im Ersten Weltkrieg bezeichnet; der Begriff ist
hier natürlich nicht auf Frankreich beschränkt [Anm. d. Ü.].
24 Lenin : der Zusammenbruch der II. Internationale,
LW 21, S. 210-214.
25 Der Imperialismus als höchstes Stadium des
64
65
Kapitalismus wurde von Lenin 1916 verfasst.
Internationale (erschienen am 1. November 1914), LW 21,
57 Rémi Adam : La première guerre mondiale : Dix
der Erhebung riesigen Nutzen bringen. Eine Kampfgruppe,
26 Georg Lukács : Lenin, Studie über den
S.27 .
millions de morts pour un repartage du monde, Les bons
die zu schießen versteht, wird einen Polizisten entwaffnen,
Zusammenhang seiner Gedanken, Neuwied: Luchterhand
44 Karl Kautsky, Neue Zeit, 2 Oktober 1914.
caractères éditions, collection Histoire Éclairage, Pantin
wird überraschend eine Streife überfallen, wird sich Waffen
3. Aufl. 1969, S. 50. https://www.marxists.org/deutsch/
45 Karl Kautsky : Die Sozialdemokratie im Kriege.
2010, Seite 78.
verschaffen. Eine Kampfgruppe, die nicht zu schießen
archiv/lukacs/1924/lenin/kap4.htm
Die Neue Zeit 33 - 1, 2. Oktober 1914, S. 7.
58 Georges Haupt : Guerre et révolution chez Lénine,
versteht oder sich keine Waffen verschaffen konnte, wird
27 Vom Kriege, S. 993.
46 Politik im Sinn von “policy”, im Sinn von
zum ersten Mal erschienen in Nr. 2 der Revue française
beim Barrikadenbau helfen, wird Kundschafterdienste
28 Martin Van Creveld : Die Zukunft des Krieges.
“politics”, kommt die Rolle Franz Mehring zu.
de sciences politiques (1971), wieder aufgenommen in
leisten, wird behilflich sein, die Verbindungen zu
Gerling Akademie Verlag, München 1998, 3. überarbeitete
47 Die feindlichen Gelüste Frankreichs und
L’historien et le mouvement social (Maspéro, 1980) und
organisieren, den Feind in einen Hinterhalt zu locken,
deutsche Ausgabe, Hamburg, Murmann 2004 S. 189f.
Deutschlands gegen Marokko - einem der letzten
jetzt auf dem Netz zugänglich : http://alencontre.org/societe/
ein Gebäude in Brand zu stecken, in dem sich der Feind
29 Was Clausewitz als das « Prinzip der Polarität »
unabhängigen Staaten in Afrika, hätte 1905 beinahe
histoire/guerre-ou-revolution-linternationale-et-lunion-
festgesetzt hat, Wohnungen zu besetzen, die zu Stützpunkten
bezeichnet.
zum Krieg geführt. Die Krise wurde erst 1911 gelöst:
sacree-en-aout-1914.html
für die Aufständischen werden können; mit einem Wort, die
30 Conrad Crane lehrt am ‘U.S. Army War College,
Deutschland verzichtete auf den Anspruch auf Marokko im
59 Lenin : Die Aufgaben der revolutionären
losen Verbände von Leuten, die entschlossen sind, auf Leben
Lukas Milevski an der National Defense University. Vgl.
Tausch gegen die Vergrösserung der Kolonie von Kamerun
Sozialdemokratie im europäischen Krieg (geschrieben
und Tod zu kämpfen, die mit der Örtlichkeit bestens vertraut
den Artikel, publiziert von der NDUin n°4 (2014) des Joint
um 272.000 km² auf Kosten der benachbarten französischen
spätestens im August 1914), LW 21, Seite 4.
und aufs engste mit der Bevölkerung verbunden sind, werden
Force Quaterly. Dieser Artikel ist im Netz verfügbar.
Kolonien.
60 Lenin : Lage und Aufgaben der sozialistischen
Tausende der allerverschiedensten Aufgaben erfüllen.» Die
31 Die Überlegungen über den Algerienkrieg,
48 Leipzig, Verlag der Leipziger Buchdruckerei
Internationale (erschienen am 1. November 1914),LW
Auflösung der Duma und die Aufgaben des Proletariats LW
die er zur Unterstützung seiner Analyse macht, sind
Aktiengesellschaft 1907, Seite 23
21,Seite 26f.
11, S. 113.
so geistesgestört, dass sie nur von seinen zionistischen
49 In Die proletarische Revolution und der Renegat
61 Lenin : Die Bedeutung der Verbrüderung (11 Mai
71 « Die militärische Taktik hängt von dem Niveau
Positionen im israelisch-palästinensischen Konflikt
Kautsky stellt Lenin im Kapitel Was ist Internationalismus?
1917), LW 24, Seiten 311-313.
der militärischen Technik ab diese Tatsache hat Engels
herrühren können.
(LW 28, S. 283), gegen die antisowjetischen Positionen von
62 Lenin : Petrograder Stadtkonferenz der SDAPR(B),
wiederholt erläutert und den Marxisten eingehämmert. Die
32 Die Kriege der dschihadistischen Bewegung zeigen
Kautsky dessen eigenen Schriften entgegen, speziell Der
14.—22. April (27. April bis 5. Mai) 1917LW 24, Seite 153.
militärische Technik ist jetzt eine andere als in der Mitte
teilweise (und in unterschiedlichen Proportionen) politische
Weg zur Macht, geschrieben «als Kautsky noch Marxist
63 Lenin : An den Kampfausschuß des St.
des 19. Jahrhunderts. Gegen die Artillerie scharenweise
Rationalität, teilweise in dem was Creveld «die Fortsetzung
war», wobei er noch « von dem Nahen einer Ära der
Petersburger Komitees, LW 9, Seite 342f.
vorzugehen und mit Revolvern die Barrikaden zu verteidigen
der Religion mit anderen Mitteln » nennt.
Revolutionen » sprach. In « Staat und Revolution » schreibt
64 Zitiert im Vorwort von B. Ponomarev zu La lutte
wäre eine Dummheit. (..). In der allerletzten Zeit macht
33 Lenin : Über « linke » Kinderei und über
er, dass dies seine beste Broschüre sei, obschon er Kautsky
des partisans selon les auteurs classiques du marxisme-
die militärische Technik wiederum neue Fortschritte. Der
Kleinbürgerlichkeit, LW 27, S. 324 .
sonst verreisst.
léninisme, Éditions en langues étrangères, Moskau, 1945,
japanische Krieg hat die Handgranate eingeführt. Die
34 Lenin : Der streitbare Militarismus und die
50 Lenin : Brief an A. Schljapnikow. 27. Oktober, LW
Seite 5. In Krupkajas Erinnerungen konnte diese Passage
Gewehrfabriken haben das Selbstladegewehr auf den
antimilitaristische Taktik der Sozialdemokratie, LW15, S.
35, S. 142.
nicht gefunden werden; eigene Übersetzung.
Markt geworfen. Beide werden in der russischen Revolution
194
51 Lenin Brief an A. Schljapnikow. 31. Oktober, LW
65 Institut de Marxisme-Léninisme près le C.C.
zwar schon erfolgreich angewandt, aber bei weitem noch
35 Simon Petermann : Marx, Engels et les conflits
35, 146.
du P.C.U.S. : Lénine : Vie et uvre, Éditions du Progrès,
nicht in genügendem Maße. Wir können und müssen uns
nationaux, Émile Van Ballberghe, collection Documenta et
52 An einer früheren Stelle der Broschüre (Seite
Moskau, 1983, page 118.
technische Vervollkommnungen zunutze machen, müssen die
opuscula n°5, Bruxelles, 1987.
11) erinnert Kautsky daran, dass « Marx und Engels stets
66 In Moskau Ende Oktober 1905 gegründet, um den
Arbeiterabteilungen lehren, Bomben in Massen herzustellen,
36 Raymon Aron: Clausewitz. Den Krieg denken,
das Wort von der reaktionären Masse bekämpft » haben,
Schwarzen Hundert entgegenzutreten. Vereinigte Vertreter
müssen ihnen und unseren Kampfgruppen helfen, sich
Frankfurt am Main, Berklin, Wien : Propyläen, 1980, S.
« weil es zu sehr die Gegensätze verdeckt, die zwischen
der Kampfgruppen des Moskauer Komitees der SDAPR,
Vorräte an Sprengstoffen, Zündern und Selbstladegewehren
399f.
den verschiedenen Fraktionen der besitzenden Klassen
der sozialdemokratischen Gruppe Moskaus, des Moskauer
zu besorgen. » : Die Lehren des Moskauer Aufstands LW 11,
37 Lenin : Die Ergebnisse der Diskussion über die
herrschen » .
Komites der sozialrevolutionären Partei und anderer
162-163..
Selbstbestimmung, LW 22, S. 327f.
53 Kautsky, Der Weg zur Macht, a.a.O. Seite 103.
Kampfgruppen. Der Rat wurde von den Sozialrevolutionären
72 « daß von einem ernsten Kampf keine Rede
38 Lenin : Die Ergebnisse der Diskussion über die
54 Nach Lars T. Lih allerdings werden diese
und den Menschewiki kontrolliert.
sein kann, solange die Revolution nicht zu einer
Selbstbestimmung, LW 22, S. 331.
Eventualitäten von Kautsky als wenig wahrscheinlich
67 Lenin erwähnt die Wichtigkeit der Frage der
Massenbewegung geworden ist und nicht auch die Truppen
39 Lenin : Die Ergebnisse der Diskussion über die
beurteilt (er glaubt daran, dass die Arbeiterbewegung
Eisenbahner im Fall des Aufstandes in Die Auflösung der
erfaßt hat. Selbstverständlich ist die Arbeit unter den
Selbstbestimmung, LW 22, S. 339.
den Krieg verhindern kann, auch wenn es nur sei, weil
Duma und die Aufgaben des Proletariats LW 11, S. 107.
Truppen notwendig. Aber man darf sich diesen Übergang
40 Lenin : Die Ergebnisse der Diskussion über die
es der Bourgeoisie Angst einjagen würde) und dass es
68 In den Nummern 3 und 4 der Hefte des
der Truppen nicht als einfachen, einmaligen Akt vorstellen,
Selbstbestimmung, LW 22,S. 348.
abenteuerlich wäre darauf eine Strategie aufzubauen. - Lars
Sozialdemokraten, die er in Genf herausgab, fällte
der das Ergebnis einerseits der Überzeugung und anderseits
41 Lenin : Der Internationale Sozialistenkongress in
T. Lih : Lenin en 1914, La « nouvelle époque de guerre et
Plechanow dieses Urteil und verdammte den Aufstand. Er
des Bewußtseins ist. Der Moskauer Aufstand zeigt uns
Stuttgart (1907), in LW 13, S. 71.
révolution ». Artikel auf dem Netz : http://alencontre.org/
rief stattdessen dazu auf, « der Gewerkschaftsbewegung der
anschaulich, wie schablonenhaft und lebensfremd eine
42 Mehrere pazifistische Zimmwerwalder schlossen
societe/histoire/lenine-en-1914-la-nouvelle-epoque-de-
Arbeiter eine nachhaltigere Aufmerksamkeit zu schenken ».
solche Auffassung ist. In der Praxis führt das Schwanken der
sich später Lenins Positionen an und werden, wenn nicht
guerre-et-revolution.html.
69 Lenin : Die Lehren des Moskauer Aufstands LW
Truppen, das jede wirkliche Volksbewegung zwangsläufig
Gründer der kommunistischen Parteien in ihren Ländern, so
55 Karl Kautsky : Der Weg zur Macht, Berlin, Verlag:
11, 159f.
mit sich bringt, bei Verschärfung des revolutionären
wenigstens Verteidiger von Sowjetrussland in der westlichen
Buchhandlung vorwärts 1909, Seite 11.
70 « Lose Kampfverbände, Kampfgruppen”, um einen
Kampfes im wahrsten Sinne des Wortes zum Kampf um das
sozialistischen Bewegung.
56 Lenin : Der tote Chauvinismus und der lebendige
Ausdruck zu gebrauchen, der in den großen Dezembertagen
Heer. » Die Lehren des Moskauer Aufstands LW 11, 160.
43 Lenin : Lage und Aufgaben der sozialistischen
Sozialismus (Dezember 1914), LW 21, Seite 87.
in Moskau solchen Ruhm gewann, werden im Augenblick
73 Emelian Jaroslawski : Vladimir Ilitch dirige les
66
67
activités combatives du Parti (Une page d’histoire des
83 L. Wachromejew : Lenin in den Oktobertagen,
Aproximación a la Política, Universidad Simón Bolívar,
104 Cf. Marcel Body : Les groupes communistes
organisations militaires et de combat de notre parti), in
in Lenin in den ersten Tagen der Sowjetmacht,
Instituto de Altos Estudios de América Latina, Caracas,
français de Russie 1918-1921. In Contributions à l’histoire
Lénine tel qu’il fut : Souvenirs de contemporains, tome 1,
nach Erinnerungen von Teilnehmern jener Tage.
1994,gleiche Website , anderes pdf, Seite 84).
du Comintern, (sous la direction de Jacques Freymond),
Éditions en langues étrangères, Moskau, 1958, Seiten 465-
Zusammengestellt nach ausgewähltem Material des Marx-
95 Jacob W. Kipp : Lenin and Clausewitz: The
Publication de l’Institut Universitaire de Hautes Études
466, eigene Übersetzung.
Engels-Lenin-Instituts Verlagsgemeinschaft ausländischer
Militarization of Marxism, 1914-1921. Military Affairs,
Internationale n°45, Librairie Droz, Genève, 1965, Seite 51.
74 Leonid Krassin (1870-1926), Anführer der
Arbeiter in der UdSSR, Moskau-Leningrad 1944, S. 56.
octobre 1985, Seite 189, traduction maison, auf dem
Revolution von 1905 in St. Petersburg, Ingenieur von Beruf,
84 F. Raskolnikow : Die Oktoberrevolution, in Lenin
Internet unter
organisierte die klandestine Werkstatt für Bombenbau in
Moskau. Er leitete die bolschewistische Kampforganisation,
in den ersten Tagen der Sowjetmacht, a.a.O. S. 38f.
85 N. Ismailow : Das Zentralkomitee der Baltischen
96 Lenin : Politischer Bericht des Zentralkomitees der
KPR(B) an den XI. Parteitag der KPR(B), 27. März 1922,
Bildbeschreibung
die vor allem grosse Enteignungsoperationen durchführte,
bis zu seiner Verhaftung 1908. Nach der Revolution wurde er
Volkskommissar des Aussenhandels.
75 Alexander Bogdanow (1873-1928)
bolschewistischer Militanter, nahm an der Revolution
von 1905 teil. Seine philosophischen Thesen wurden von
Lenin 2011 massiv kritisiert. Er war 1918 der Gründer des
Proletkult.
76 Lenin : Taktische Plattform zum
Vereinigungsparteitag der SDAPR., LW 146f.
77 Lenin : Der Partisanenkrieg LW 11, S.
208, 212f .
78 « Lenin war kein Feldherr. Während
der Jahre des Bürgerkrieges nach der Revolution träumte
er niemals davon, die Funktionen eines Generalissimus
Flotte (Centrobalte) während der Tage des Aufstandes.
Der Telegrammverkehr findet sich in LW 26, S. 258f. Sein
Bericht divergiert von früheren darin, dass nicht der Kreuzer
Oleg sondern das Linienschiff Respublika (früher Kaiser
Paul 1er) erwähnt wurde es war nur wegen des zu starken
Wasserflusses, dass schliesslich der Kreuzer Oleg gewählt
wurde.
86 Die sowjetischen Publikationen präsentieren
diese alle natürlich als sinnvoll, wenn nicht entscheidend,
so wie Kedrow, Kommandant der Front von Archangelsk,
die Entsendung einer schweren Artilleriebatterie nach
Kotlas auf direkten und persönlichen Befehl Lenins Befehl
kommentiert. Vgl. M. Kedrow : Guide de l’Armée rouge, in
Lénine et les forces armées de l’URSS, supplément au n°12
(décembre) 1979 de la Revue Militaire Soviétique, Seite 4.
LW 33 253-278.
97 Man könnte einwenden, dass die Öffnung
Lenins gegenüber den Bauern und der Intelligenz durch
strategische Zwänge (weil das Proletariat im Bürgerkrieg
Verbündete braucht) diktiert war, aber dieses Interesse reicht
weiter. Lenin pflegt die Allianz mit der Bauernschaft und der
Intelligenz in der Perspektive des friedlichen Aufbaus der
neuen Gesellschaft. Wenn Lenin sich dafür verwendet, die
Intelligenz in den Dienst einer Kulturrevolution zu stellen
und alle aufkommenden kulturellen Kräfte der Massen zu
unterstützen, dann tut er das nicht, damit die Rote Armee
gebildetere Rekruten hat. Es ist eines der Mittel, die er für
den sozialistischen Aufbau für notwendig hält.
98 Gemäss den gebräuchlichen Kategorien : Bauern
die wohlhabend genug sind, um von ihrem Land und
S. 4: Digitalisiertes Bild von den Barrikaden in Paris (1871)
S. 4/5: Gruppenbild mit Leonie Kascher
S. 8: Spartakisten hinter Barrikaden in Berlin (1919)
S. 16: Spartakusaufstand in Berlin (1919)
S. 34/35: Spartakusaufstandes in Berlin bei der heutigen
Karl-Marx-Allee (1919)
S. 36: Postkarten: Wladimir Iljitsch Lenin Lenin mit einer
Delegation (1921)
S. 38: Szenen der Oktoberrevolution in der frühen
Sowjetunion (undatiert)
S. 44: Gruppe des Roten Frontkämpferbundes (1928)
S. 50: Wladimir Iljitsch Lenin in Petersburg (1917)
S. 56: Feier zum zweijährigen Jubiläum der
Oktoberrevolution in Moskau (1919)
einzunehmen oder als solcher zu posieren. Im Gegensatz zu
87 Sergei Ivaniwisch Gussev (1874-1933) nahm an
ihrem Vieh zu leben, aber nicht genug wohlhabend, um
Trotzki und Stalin hat ihn die Uniform nicht interessiert, und
den Revolutionen von 1905 und 1917 teil, war 1917 Mitglied
Lohnarbeiterinnen anzustellen.
er gab niemals vor, imstande zu sein, Militärangelegenheiten
des Militärkomitees von Petrograd, dann des Revolutionären
99 Gegen die Aufständischen von Tambow wurden
technisch zu beurteilen.» Adam B. Ulam : Les bolcheviques,
Kriegsrates der Republik. Er war einer der wichtigsten
massiv chemische Waffen eingesetzt.
Fayard, collection L’Histoire sans frontière, Paris, 1973,
politischen Führer der Roten Armee..
100 In seinem Artikel Marxismus, Taktik, Lenin ,
Seite 283, eigene Übersetzung.
88 Eine im Grund typisch Clausewitz’sche Ironie.
erschienen in Nummer 1 der Prawda Jahrgang 1928, zitierte
79 Général-Major N. Pankratow : Lénine, chef de la
89 Lenin : 224 An S. I. Gussew LW 35, S. 396f.
W. Sorine eine Bemerkung, die er von Lenin gehört hatte. :
défense de la patrie socialiste, in Revue Militaire Soviétique
90 Vom Kriege, S. 505, Lenins Glossen über
« die politische und die militärische Taktik bedeuten etwas,
n°10 (octobre) 1978, Seite 4.
Clausewitz, S. 23.
das man auf Deutsch ‘Grenzgebiet’ nennt, und die Militanten
80 Beide waren ehemalige zaristische Obersten.
91 Lenin : Telegramme 1918-20, Seite112.
der Partei würden mit grossem Gewinn die Arbeiten des
Kamenew selbst berichtete, von Lenin zurechtgewiesen
92 Lenin : Über linke Kinderei und über
grossen deutschen Militärtheoretikers Clausewitz lesen ».
worden zu sein, als er ihm die Schönheit armierter Manöver
Kleinbürgerlichkeit, LW 27, S. 324f.
101 Lenin vergleicht zum Beispiel im bereits zitierten
zu beschreiben getraute. Lenin sagte ihm trocken, seine
93 « Die äusseren Belastungen, die grossen inneren
Bericht das ökonomische Regime der NEP mit einem
Arbeit bestehe im Schlagen der gegnerischen Armee, und
Schwierigkeiten, all das, so schien es uns, sollten durch
Rückzug : «Der Rückzug verlief im großen und ganzen
ob er das kunstvoll mache oder nicht sei von keinerlei
den revolutionären Krieg ausgeräumt werden». Zitiert
ziemlich geordnet, obwohl Panikstimmen, zu denen auch die
Interesse....
von Christian Salmon in Le rêve mathématique de Nicolaï
Arbeiteropposition’ gehörte (...), in einzelnen Fällen dazu
81 Teil der heutigen Stadt Puschkin (Anm. d. Übers.)
Boukharine, Le Sycomore, collection Contradictions, Paris,
führten, dass der oder jener abgeschnitten, die Disziplin
82 Auf die gleiche Weise wie Lenin den Arbeitern
1980, Seite 116.
verletzt und der geordnete Rückzug zerstört wurde. Das
der Fabrik Puillow befahl, die Züge zu Panzern und zu
94 Aníbal Romero: Lenín y la militarización del
gefährlichste bei einem Rückzug ist die Panik. Wenn sich
bewaffnen und sie an die Front zu führen. Wobei Podwoiski
marxismo, Universidad Simón Bolívar, Caracas 1983, (Seite
eine ganze Armee (ich spreche hier in übertragenem Sinne)
mässigend schrieb: « Es ist wahr, dass diese befehle weder
4 des .pdf, verfügbar auf der Website von Anibal Romero,
zurückzieht, dann kann die Stimmung nicht so gut sein, wie
die militärischen Operationen noch die Einheiten betrafen,
http://www.anibalromero.net/estudios_filo.html). Für
wenn alle auf dem Vormarsch sind (S. 267).
sondern ausschliesslich die Mobilisierung von « Allem und
Romero geht diese Militarisierung aus der Ablehnung des
102 Sie findet sich teilweise wieder mit der
Jedem » für die Verteidigung. Aber diese Doppelspurigkeit
« friedlichen Weges » als reformistisch hervor und betrifft
Wiederbelebung des Klassenkampfes auf dem Land infolge
der Arbeit nervte gewaltig». Nicolai Podwoiski ; Les
auch Mao Zedong und sogar Gramsci in dem Mass als er
der Getreidekrise von 1928, welche die Eskalation des
journées d’Octobre, in Lénine tel qu’il fut : Souvenirs de
die Kategorie des Krieges benützt (idem, Seite 40). In einem
Saatstreiks und der Zwangskollektivierung nach sich zog.
contemporains, tome 1, op. cit., page 751.
anderen Dokument fügt er Stalin hinzu (Aníbal Romero:
103 Vom Kriege, S. 215.
68
69
Die Geschichte in die eigenen Hände nehmen. Aufruf zur Revolution 1918.