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Die Geschichte in die Eigenen Hände nehmen

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Inhalt<br />

E<strong>in</strong>leitung 5<br />

Leonie Kascher<br />

<strong>Die</strong> Konferenz zu Zimmerwald und ihre Bedeutung 9<br />

Leonie Kascher und das Erbe von Zimmerwald 17<br />

Anhang; Manifest der Kommunistischen Partei Schweiz 32<br />

Revolutionärer Aufbau Schweiz,<br />

AG Klassenkampf, Herbst 2015<br />

Postfach 8663 8036 Zürich<br />

Email: <strong>in</strong>fo@aufbau.org<br />

Internet: www.aufbau.org<br />

Aufbau Vertrieb Zürich: An- und Verkauf proletarischer<br />

und kommunistischer Literatur,<br />

Kanonengasse 35 (im H<strong>in</strong>terhaus, Eisentreppe),<br />

geöffnet jeden Samstag von 12 bis 17 Uhr.<br />

E<strong>in</strong>führung : Len<strong>in</strong> und Clausewitz 37<br />

Erster Teil : <strong>Die</strong> Kriegstheorie 39<br />

Zweiter Teil : Imperialistischer Krieg und Befreiungskrieg 45<br />

Dritter Teil : Krieg und Revolution 51<br />

Vierter Teil : Der revolutionäre Krieg 57<br />

Len<strong>in</strong> und der Krieg


E<strong>in</strong>leitung<br />

<strong>Die</strong>se Broschüre ist anlässlich der Kampagne zum<br />

100-jährigen Jubiläum der Konferenz von Zimmerwald<br />

entstanden. Sie ist e<strong>in</strong>erseits e<strong>in</strong> Ausdruck der<br />

Konfrontation mit der eigenen, revolutionären <strong>Geschichte</strong>,<br />

andererseits greift sie <strong>die</strong> höchst aktuelle<br />

Bruchl<strong>in</strong>ie zwischen Reformismus und Revolution<br />

auf, welche heute, wie vor 100 Jahren, von grösster Bedeutung<br />

ist.<br />

Der erste Teil der Broschüre zeigt <strong>die</strong> <strong>in</strong>haltliche Debatte<br />

auf, welche an der Zimmerwalder Konferenz<br />

geführt wurde. Zudem widmet er sich der Bedeutung<br />

der Zimmerwalder Konferenz für <strong>die</strong> damalige revolutionäre<br />

L<strong>in</strong>ke und er konkretisiert Fragen, <strong>die</strong> bis<br />

<strong>in</strong> <strong>die</strong> Gegenwart reichen. <strong>Die</strong> Beschäftigung mit der<br />

eigenen <strong>Geschichte</strong> ist zentral, denn <strong>die</strong> <strong>Geschichte</strong><br />

ist e<strong>in</strong> weiteres gesellschaftliches Feld, wo „e<strong>in</strong>deutige“<br />

Interpretationen von oben diktiert werden. „<strong>Die</strong><br />

<strong>Geschichte</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> eigenen <strong>Hände</strong> <strong>nehmen</strong>“ bedeutet,<br />

<strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Kampffeld zu agieren, denn <strong>Geschichte</strong> ist<br />

nicht nur das, was gestern war, sondern <strong>die</strong>nt den<br />

Herrschenden viel zu oft der Legitimation gegenwärtiger<br />

Politik. Geschichtsbewusstse<strong>in</strong> entwickeln bedeutet<br />

demnach, sich nicht nur mit der Vergangenheit zu<br />

beschäftigen, sondern auch mit dem, was weiterwirkt<br />

und damit, wie sich das aktuelle politische Geschehen<br />

konstituiert.<br />

Der zweite Teil hat <strong>die</strong> Ause<strong>in</strong>andersetzung mit Leonie<br />

Kascher zur Grundlage. Sie, <strong>die</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> Schweiz<br />

immigrierte Student<strong>in</strong> aus Polen, war nach 1916<br />

massgeblich an der revolutionären Organisierung <strong>in</strong><br />

der Schweiz beteiligt und war tragend für <strong>die</strong> Positionsf<strong>in</strong>dung<br />

jener Gruppen, <strong>die</strong> sich zur Kommunistischen<br />

Partei der Schweiz (KPS) zusammengeschlossen<br />

haben. Ihre Person ist wichtig, weil sich an ihrer<br />

eigenen politischen <strong>Geschichte</strong> der E<strong>in</strong>fluss der Zimmerwalder<br />

Konferenz auf <strong>die</strong> Revolutionär<strong>in</strong>nen und<br />

Revolutionäre nachzeichnen lässt. Lange haben wir<br />

<strong>in</strong> Archiven und Bibliotheken der Schweiz, von Polen<br />

und Russland sowie <strong>in</strong> den Privatarchiven der Angehörigen<br />

Leonie Kaschers nach Dokumenten gesucht<br />

und e<strong>in</strong>iges zusammengetragen. Zentraler Bestandteil<br />

der Quellensammlung ist Kaschers Autobiographie,<br />

<strong>die</strong> wir vom Russischen <strong>in</strong>s Deutsche übersetzt haben.<br />

Anhand <strong>die</strong>ser und anderer Schriften konnten wir <strong>die</strong><br />

Beteiligung Kaschers an der revolutionären Organisierung<br />

präzise nachzeichnen und können sie nochmals<br />

zu Wort kommen lassen, <strong>in</strong> dem wir ihre Beobachtungen<br />

und Interpretation der Geschehnisse <strong>in</strong> unsere<br />

Aufarbeitung der historischen Erzählung <strong>in</strong>tegrieren.<br />

Der dritte Teil der Broschüre, e<strong>in</strong> Gastbeitrag von T.<br />

Derbent, befasst sich mit e<strong>in</strong>em weiteren, zentralen<br />

Inhalt der Zimmerwalder Konferenz: Dem imperialistischen<br />

Krieg. Es wird im Beitrag aufgezeigt, wie<br />

damals <strong>die</strong> Zimmerwalder L<strong>in</strong>ke h<strong>in</strong>ter den Ersche<strong>in</strong>ungen<br />

der kapitalistischen Krise und des imperialistischen<br />

Krieges <strong>die</strong> Tendenzen zu e<strong>in</strong>er revolutionären<br />

Veränderung erkannten. Len<strong>in</strong> hatte bereits 1905 erkannt,<br />

dass der Massenstreik als Waffe nicht ausreicht<br />

und sich <strong>in</strong>tensiv mit dem Krieg, mit dem Kriegstheoretiker<br />

Clausewitz und mit revolutionären Kriegsformen<br />

ause<strong>in</strong>andergesetzt. Im dritten Teil der Broschüre<br />

wird <strong>die</strong>se Thematik vertieft.<br />

Und heute? Wie s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> ökonomischen Theorien des<br />

Imperialismus, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>e ganze Epoche kennzeichnen,<br />

mit den heutigen politischen Ereignissen verknüpft?<br />

S<strong>in</strong>d <strong>die</strong> immer häufiger werdenden imperialistischen<br />

Kriege noch episodisch oder s<strong>in</strong>d Anzeichen e<strong>in</strong>es<br />

„grossen“ Krieges zwischen den imperialistischen<br />

Mächten auszumachen? Ist mit dem Erstarken reaktionärer<br />

Kräfte das Herannahen e<strong>in</strong>er neuen Entwicklung<br />

des Imperialismus verbunden? Und, für uns<br />

zentral, welche Kampfmethoden stehen <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Situation<br />

für <strong>die</strong> KommunistInnen zur Debatte?<br />

Um <strong>die</strong>se Kernfragen geht es <strong>in</strong> allen drei Beiträgen.<br />

Selbst <strong>in</strong> Momenten reaktionärster Verwerfungen und<br />

e<strong>in</strong>er sche<strong>in</strong>bar unerschütterlichen kapitalistischen<br />

Gesellschaft gibt es Möglichkeiten, <strong>die</strong> Aktualität des<br />

revolutionären Prozesses als Massstab des politischen<br />

Handelns zu bestimmen. Nicht <strong>in</strong> dem S<strong>in</strong>ne, dass <strong>die</strong><br />

sozialistische Revolution jederzeit zu verwirklichen<br />

sei. Auch wenn seitens der proletarischen Kräfte fundamentale<br />

Veränderungen stattgefunden haben, geht<br />

es um den Grundton der andauernden imperialistischen<br />

Epoche. Es gibt nicht <strong>die</strong> Wahl zwischen Krieg<br />

und Frieden, sondern <strong>die</strong> Wahl zwischen dem imperialistischen<br />

Krieg und dem revolutionären Krieg gegen<br />

den Krieg!<br />

Nehmen wir <strong>die</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> eigenen <strong>Hände</strong>!<br />

Revolutionärer Aufbau Schweiz,<br />

Herbst 2015<br />

Anmerkung: Alle Zitate, sofern nicht anders notiert,<br />

entstammen der Autobiographie von Leonie Kascher.<br />

<strong>Die</strong>se ist auf Deutsch wie Russisch bei uns e<strong>in</strong>sehbar.<br />

Mail an: <strong>in</strong>fo@aufbau.org<br />

5


6<br />

7


<strong>Die</strong> Konferenz zu Zimmerwald und ihre Bedeutung<br />

1. Von fortwirkender Vergangenheit<br />

Wer der <strong>Geschichte</strong> der revolutionären<br />

ArbeiterInnenbewegung nachgeht, betritt e<strong>in</strong><br />

Terra<strong>in</strong>, das nicht nur von Zurückgebliebenem,<br />

sondern auch von Weiterwirkendem besetzt ist. <strong>Die</strong><br />

Wahrnehmung und Deutung <strong>die</strong>ser Vergangenheit<br />

bildet den historisch begründeten Ausgangspunkt für<br />

den revolutionären Prozess der Gegenwart. Sowohl<br />

Handlungsmöglichkeiten als auch perspektivische<br />

politische Ziele werden daraus abgeleitet. Allerd<strong>in</strong>gs<br />

f<strong>in</strong>det <strong>die</strong> Produktion <strong>die</strong>ser kollektiven Prozesse<br />

<strong>in</strong>mitten der Klassenause<strong>in</strong>andersetzungen statt, <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em Raum ständiger Kämpfe um das kollektive<br />

Gedächtnis. <strong>Die</strong>ser Kampf um <strong>die</strong> <strong>Geschichte</strong> ist<br />

daher e<strong>in</strong>e bedeutende Machtfrage. <strong>Die</strong> historische<br />

Deutungsmacht der Herrschenden <strong>die</strong>nt der<br />

Legitimation ihrer Politik. Für <strong>die</strong> Bourgeoisie,<br />

<strong>in</strong> allen ihren Entschlüssen und Massnahmen<br />

richtungsgebend, ist ausschliesslich der Standpunkt<br />

ihrer Interessen, des Erfolges, der ökonomischen<br />

Zwänge, sprich der Kapitalakkumulation. Getrieben<br />

durch <strong>die</strong> Gier nach schnellem konkretem Erfolg,<br />

kann sie sich ke<strong>in</strong>e durch den historischen<br />

Standpunkt geforderte E<strong>in</strong>schätzung leisten, <strong>die</strong><br />

über <strong>die</strong> unmittelbaren Notwendigkeiten h<strong>in</strong>aus<br />

gehen.<br />

Historisches Bewusstse<strong>in</strong> benennt <strong>die</strong> Vergangenheit<br />

so, dass <strong>in</strong> der Analyse der <strong>Geschichte</strong> zugleich ihre<br />

Funktion für den aktuellen Kampf sichtbar wird.<br />

Mit anderen Worten, dass sich historische Kritik <strong>in</strong><br />

kritische revolutionäre Praxis verwandelt.<br />

<strong>Die</strong> Aneignung der Vergangenheit des proletarischen<br />

Klassenkampfes leistet <strong>in</strong>sofern S<strong>in</strong>nbildung, als<br />

sie hilft, <strong>die</strong> Gegenwart als historisches Moment<br />

der Entwicklung von Klassenkämpfen zu begreifen;<br />

Identitätsf<strong>in</strong>dung, da sie <strong>die</strong> revolutionären<br />

Traditionen der ArbeiterInnenklasse <strong>in</strong>s Heute<br />

vermittelt; und Lernmöglichkeiten, weil sie hilft,<br />

<strong>die</strong> aktuelle Etappe des revolutionären Prozesses zu<br />

bestimmen.<br />

2. Für e<strong>in</strong>en marxistischen Revolutionsbegriff<br />

<strong>Die</strong> Herrschenden s<strong>in</strong>d bestrebt, den<br />

Revolutionsbegriff total zu verwässern, aktuell<br />

wie historisch. Mit Blick auf <strong>die</strong> momentane<br />

gesellschaftliche Situation ist der grosse Stellenwert<br />

der <strong>Geschichte</strong> als politische Waffe offensichtlich.<br />

<strong>Die</strong> Aufrechterhaltung, beziehungsweise <strong>die</strong><br />

Revision e<strong>in</strong>es revolutionären, identitätsstiftenden<br />

Geschichtsnarrativs erzielt <strong>in</strong> Phasen des<br />

reaktionären Aufschwungs für den revolutionären<br />

Prozess e<strong>in</strong>e besonders weit reichende Wirkung. Es<br />

geht <strong>in</strong> solchen Phasen auch um <strong>die</strong> emanzipative<br />

und progressive Veränderung der kapitalistischen<br />

Gesellschaft, um ihren sozialistischen Gehalt, und<br />

das ist ohne Revolution, ohne Zerschlagung des<br />

Kapitalismus, nicht zu haben. Reformen, seien sie<br />

noch so „radikal“, verändern <strong>die</strong> gesellschaftlichen<br />

Verhältnisse nicht, sondern zementieren sie noch<br />

fester.<br />

Der tiefe, historische S<strong>in</strong>n der Revolutionen ist,<br />

dass ihre von Zeit zu Zeit stattf<strong>in</strong>denden Ausbrüche<br />

je e<strong>in</strong>en Abschluss e<strong>in</strong>er Phase des Klassenkampfes,<br />

beziehungsweise den Übergang e<strong>in</strong>er<br />

Gesellschaftsformation <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e andere bedeuten.<br />

Wenn <strong>die</strong> herrschende Geschichtsschreibung<br />

<strong>die</strong>s aus den Erfahrungen der Vergangenheit<br />

ausmerzt, so geschieht <strong>die</strong>s aus demselben Grund,<br />

aus welchem sie auch aus der Politik <strong>die</strong>selben<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen ausmerzt, verschweigt oder leugnen<br />

möchte. Und sogar dort, wo es für sie unumgänglich<br />

wird, aus revolutionären Ereignissen <strong>die</strong> Lehre<br />

zu ziehen, ist sie bestrebt, <strong>die</strong> Revolutionen als<br />

9


Ausnahmen, als Verirrungen, als historische<br />

3. E<strong>in</strong> Ausgangspunkt <strong>in</strong> Zimmerwald<br />

masslos enttäuscht waren, wie e<strong>in</strong> Magnet. <strong>Die</strong><br />

Verzerrung des Kommunismus, kaum vorstellen,<br />

Erkrankungen, als hie und da vorgekommene,<br />

Weltrevolution hatte e<strong>in</strong>en Mittelpunkt, und<br />

wie der Geist <strong>in</strong>ternationaler Solidarität, der<br />

aber nie wieder zurückkehrende, ausserordentliche<br />

E<strong>in</strong>e zentrale Rolle bei der Konstituierung e<strong>in</strong>er<br />

bald begann sich das organisierte revolutionäre<br />

Wille und <strong>die</strong> Fähigkeiten der russischen, aber<br />

Ereignisse h<strong>in</strong>zustellen. Vor allem aber hütet<br />

<strong>in</strong>ternationalen sozialistischen Opposition<br />

Proletariat um <strong>die</strong>sen Fixpunkt zu scharen.<br />

auch der ungarischen, deutschen, f<strong>in</strong>nischen,<br />

sie sich, <strong>die</strong> Revolutionen, <strong>die</strong> nicht nur ke<strong>in</strong>e<br />

gegen den imperialistischen Krieg spielten<br />

<strong>Die</strong> Entstehung der Kom<strong>in</strong>tern verlieh dem<br />

italienischen und anderen Revolutionäre, ihre<br />

historischen Ausnahmefälle, sondern e<strong>in</strong>e alle<strong>in</strong>ige<br />

<strong>die</strong> Konferenzen von Zimmerwald (5. bis 8.<br />

revolutionären Prozess wichtige Impulse. <strong>Die</strong><br />

äusserst kultivierten Analysen, ihre revolutionäre<br />

Gesetzmässigkeit s<strong>in</strong>d, mit gesellschaftlichen<br />

September 1915), Kiental (24. bis 30. April 1916)<br />

der Gründung folgende Periode war durch<br />

Bescheidenheit und Herzlichkeit <strong>in</strong> den breiten<br />

Kämpfen, mit Klassengegensätzen, mit dem<br />

und schliesslich Stockholm (September 1917).<br />

grosse revolutionäre Erfolge gekennzeichnet:<br />

Massen Respekt und Kampfbereitschaft hervorrief.<br />

unausgesetzten Kampf zwischen Unterdrückern<br />

<strong>Die</strong> grosse Bedeutung der Konferenzen für<br />

<strong>Die</strong> Ausrufung der ungarischen und bayerischen<br />

Ohne <strong>die</strong>sen gegenseitigen Austausch von<br />

und Unterdrückten, Ausbeutern und Ausgebeuteten<br />

<strong>die</strong> ArbeiterInnenbewegung liegt allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong><br />

Räterepublik und <strong>die</strong> Gründung kommunistischer<br />

Erfahrungen und Impulsen, ohne e<strong>in</strong>e unmittelbare<br />

<strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>en Zusammenhang zu br<strong>in</strong>gen.<br />

der Ausdifferenzierung der unterschiedlichen<br />

Parteien <strong>in</strong> vielen Ländern der ganzen Welt.<br />

Orientierung am revolutionären Russland,<br />

Positionen <strong>in</strong>nerhalb der Sozialdemokratie, <strong>die</strong><br />

wären <strong>die</strong> revolutionären Erhebungen und <strong>die</strong><br />

<strong>Die</strong> Interpretation der <strong>in</strong>ternationalen<br />

letztendlich <strong>die</strong> Gründung der Kommunistischen<br />

Auch aus der Sichtweise des gegenwärtigen<br />

Gründungen kommunistischer Parteien <strong>in</strong> fast allen<br />

sozialistischen Antikriegsbewegung 1915 als<br />

Internationale 1919 ermöglichte.<br />

revolutionären Prozesses <strong>die</strong>nt <strong>die</strong> Gründungszeit<br />

Ländern Europas, und damit <strong>die</strong> Entstehung der<br />

„Friedensbewegung“ durch <strong>die</strong> Sozialdemokraten,<br />

der Kommunistischen Internationale nach wie vor<br />

Kommunistischen Internationale, kaum möglich<br />

entspricht ihrer damaligen wie aktuellen<br />

Len<strong>in</strong> und Radek legten der Konferenz e<strong>in</strong>e<br />

als Orientierung. Zugleich drängt sich <strong>die</strong> Frage<br />

gewesen.<br />

heuchlerischen Politik: Unterstützung der<br />

Resolution vor, <strong>in</strong> welcher der Krieg als<br />

auf, wie <strong>die</strong>ses revolutionäre Klassenbewusstse<strong>in</strong><br />

Kriegskredite 1914 damals, Mittragen der meisten<br />

imperialistischen Militär<strong>in</strong>terventionen heute. Ist<br />

imperialistisch bezeichnet wurde und <strong>die</strong> meisten<br />

Führer der alten Internationale als Opportunisten<br />

entstehen konnte, <strong>die</strong>se Atmosphäre der<br />

proletarischen Solidarität? Waren es <strong>die</strong> objektiven<br />

5. Imperialistischer Krieg<br />

damit „sozialistische Friedenspolitik“ geme<strong>in</strong>t, wie<br />

<strong>die</strong> SP zu „100 Jahre Zimmerwalder Konferenz“<br />

schreibt?<br />

Zwar akzeptieren Reformisten verschiedener<br />

Schattierungen rückwirkend <strong>die</strong> Theorie des<br />

Klassenkampfes und den Gedanken der sozialen<br />

Gesetzmässigkeit der Revolutionen. Revolutionen<br />

aller Art werden akzeptiert: Je weiter geografisch<br />

entfernt um so besser, nur nicht als etwas<br />

Aktuelles hier. <strong>Die</strong>se zeitliche, allenfalls auch<br />

örtliche Verschiebung der Revolutionen, sowohl<br />

nach rückwärts wie nach vorwärts, hat zur Folge,<br />

dass jede Realität der Klassenkämpfe und der<br />

Revolutionen letztlich negiert wird. Bei <strong>die</strong>ser<br />

Auffassung hört <strong>die</strong> <strong>Geschichte</strong> auf, das Ergebnis<br />

von Erfahrungen zu se<strong>in</strong>, welche für das wirkliche<br />

Leben richtunggebend s<strong>in</strong>d. Stattdessen wird sie zur<br />

<strong>Geschichte</strong>, <strong>in</strong> welcher Revolutionen als exotische<br />

Legende dargestellt werden: E<strong>in</strong> „Marxismus“ also,<br />

der sich auf <strong>die</strong> Vergangenheit und <strong>die</strong> Zukunft<br />

bezieht, <strong>die</strong> Gegenwart aber elegant aussen vor lässt.<br />

kritisierte, <strong>die</strong> „das Proletariat dem Imperialismus<br />

ausgeliefert“ hätten.<br />

Aufgabe der sozialistischen Parteien sei es, das<br />

Proletariat zum „revolutionären Kampf gegen <strong>die</strong><br />

kapitalistischen Regierungen um <strong>die</strong> Eroberung<br />

der politischen Macht, zwecks sozialistischer<br />

Organisation der Gesellschaft“ zu führen. Auch<br />

wenn <strong>die</strong>se Position der Bolschewiki mit 12 zu<br />

19 Stimmen abgelehnt wurde, entstand auf <strong>die</strong>ser<br />

politischen Grundlage <strong>die</strong> Zimmerwalder L<strong>in</strong>ke,<br />

auf <strong>die</strong> wir uns beziehen. <strong>Die</strong> Neuformierung der<br />

revolutionären Marxisten führte über <strong>die</strong> russische<br />

Revolution und den Aufständen <strong>in</strong> Europa<br />

zur Gründung der Kommunistischen Parteien<br />

und schliesslich zur Dritten Kommunistischen<br />

Internationale.<br />

4. E<strong>in</strong>e revolutionäre Internationale als Ziel<br />

<strong>Die</strong> Gründungsproklamation der Dritten<br />

Internationale im März 1919 wirkte im Chaos der<br />

Nachkriegszeit auf alle revolutionären Kräfte, <strong>die</strong><br />

von der reformistischen Zweiten Internationale<br />

Verhältnisse, <strong>die</strong> Erfahrungen des Krieges, <strong>in</strong> dem<br />

Millionen von Arbeitern massakriert wurden, <strong>die</strong><br />

riesige Arbeitslosigkeit, <strong>die</strong> brutale Ausbeutung<br />

durch <strong>die</strong> Kapitalisten? Sicher, revolutionäres<br />

Klassenbewusstse<strong>in</strong> entwickelt sich aus den<br />

gesellschaftlichen Verhältnissen. Aber nicht nur<br />

und schon gar nicht geradl<strong>in</strong>ig. Es ist vielmehr an<br />

e<strong>in</strong>e subjektive Eigendynamik gebunden, an e<strong>in</strong>e<br />

Kette von subjektiven, kämpferischen und teilweise<br />

erfolgreichen Erfahrungen, <strong>in</strong> der jedes Glied das<br />

andere antreibt, bee<strong>in</strong>flusst und Orientierung bietet.<br />

In der Reihe der historischen Ereignisse, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />

Gründung der Dritten Internationale bee<strong>in</strong>flussten,<br />

steht <strong>die</strong> Oktoberrevolution an erster Stelle. <strong>Die</strong><br />

Tatsache, dass ArbeiterInnen und Bauern mit der<br />

Waffe <strong>in</strong> der Hand e<strong>in</strong>e bürgerliche Regierung<br />

gestürzt hatten und e<strong>in</strong>e revolutionäre Macht<br />

aufbauten, löste <strong>in</strong> der revolutionären Bewegung<br />

e<strong>in</strong>e riesige Begeisterung aus. <strong>Die</strong>se Realität weckte<br />

bei den ArbeiterInnen nicht nur Solidarität, sondern<br />

spornte zur Nachahmung an. Wir können uns<br />

heute, nach der dogmatischen und reformistischen<br />

Zu den wichtigsten objektiven Gründen, welche<br />

<strong>die</strong> revolutionäre Welle 1917 auslöste, zählt der 1.<br />

Imperialistische Krieg von 1914 bis 1918. <strong>Die</strong>ser<br />

Krieg war mit den vorhergegangenen Kriegen nicht<br />

zu vergleichen. Nicht nur se<strong>in</strong>er Weltdimension<br />

und se<strong>in</strong>er verheerenden Zerstörung von<br />

Menschenleben wegen. Zum ersten Mal stiessen<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Krieg Massenarmeen aus Arbeitern<br />

und Bauern aufe<strong>in</strong>ander. Aufgehetzt durch<br />

nationalistischen Hass wurden <strong>die</strong> Massen von<br />

e<strong>in</strong>er reaktionären Gewalt <strong>in</strong> ihrer schlimmsten<br />

Form erfasst – töten und getötet werden. Das Elend<br />

<strong>in</strong> den Schützengräben setzte bei vielen Arbeitern<br />

e<strong>in</strong>en Denk- und Erkenntnisprozess <strong>in</strong> Gang: Wer<br />

profitiert von <strong>die</strong>sem Krieg?<br />

<strong>Die</strong> Vorstellungen der meisten Sozialisten von der<br />

Revolution der Vorkriegszeit waren schon lange<br />

im reformistischen Sumpf untergegangen. Erst<br />

durch den Weltkrieg entwickelte sich <strong>die</strong> Krise <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>e revolutionäre Situation, welche <strong>die</strong> russische<br />

Revolution und <strong>die</strong> Klassenkämpfe <strong>in</strong> Europa<br />

ermöglichte. Viele Arbeiter wurden durch den<br />

10<br />

11


Krieg auf den bewaffneten Aufstand vorbereitet<br />

erforderlich, das Proletariat zu bewaffnen und<br />

mult<strong>in</strong>ationalen Konzernen um <strong>die</strong> Neuaufteilung<br />

für <strong>die</strong> Landesverteidigung und <strong>die</strong> Verstärkung<br />

und <strong>die</strong> vielen Kriegsgefangenen <strong>in</strong> Russland<br />

e<strong>in</strong>en Block des revolutionären Proletariats mit<br />

der Welt gekennzeichnet, was zu bald verdeckten,<br />

der nationalen Armee e<strong>in</strong>setzten und somit<br />

wurden durch <strong>die</strong> Bolschewiki für den Kampf <strong>in</strong><br />

den Ländern der siegreichen Revolution zu bilden.<br />

bald offenen imperialistischen Kriegen führt.<br />

<strong>die</strong> Interessen der Herrschenden vertraten. <strong>Die</strong><br />

ihren Heimatländern politisiert.<br />

• Zweitens, <strong>die</strong> zu<strong>nehmen</strong>de<br />

Zentristen, wie vor allem Robert Grimm e<strong>in</strong>er war,<br />

6. Reform versus Revolution<br />

7. <strong>Die</strong> Praxis der Zimmerwalder L<strong>in</strong>ken auf der<br />

Strasse im November 1917 <strong>in</strong> Zürich<br />

Ungleichmässigkeit der ökonomischen<br />

Entwicklung der e<strong>in</strong>zelnen kapitalistischen Länder<br />

macht <strong>die</strong> abhängigen Länder zum Spielball der<br />

vere<strong>in</strong>igten l<strong>in</strong>ke Erklärungen mit e<strong>in</strong>er rechten<br />

Praxis und wurden wegen ihres Opportunismus<br />

von den L<strong>in</strong>ken besonders scharf bekämpft.<br />

Am Ende des Jahres 1918 wurden <strong>die</strong><br />

Bemühungen zur Gründung der Kommunistischen<br />

Internationale (Kom<strong>in</strong>tern) erheblich <strong>in</strong>tensiviert.<br />

Das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei<br />

Russlands (Bolschewiki) erliess am 24. Dezember<br />

den ersten radiotelegraphischen Appell an <strong>die</strong><br />

<strong>in</strong>ternationale revolutionäre Bewegung, auch als<br />

Reaktion auf <strong>die</strong> E<strong>in</strong>berufung der <strong>in</strong>ternationalen<br />

sozialistischen Konferenz der Reformisten am<br />

6. Januar 1919 <strong>in</strong> Lausanne. <strong>Die</strong> revolutionäre<br />

Internationale bedeutete e<strong>in</strong> Gegengewicht<br />

zur Internationale der Sozialchauv<strong>in</strong>isten, der<br />

Internationale der Vaterlandsverteidiger, der<br />

Internationale, welche den imperialistischen Krieg<br />

unterstützt hatte. <strong>Die</strong> Erneuerung der Zweiten<br />

Internationale und damit <strong>die</strong> Festigung der<br />

Hegemonie des Reformismus sollte verh<strong>in</strong>dert<br />

und e<strong>in</strong> Zentrum der Polarisierung für alle<br />

klassenbewussten revolutionären ArbeiterInnen<br />

geschaffen werden. Mit welcher politischen<br />

Perspektive führte <strong>die</strong> Kom<strong>in</strong>tern <strong>die</strong>sen Kampf?<br />

Im Zentrum ihrer Politik stand <strong>die</strong> Machtfrage; <strong>die</strong><br />

wichtigsten Kampfmittel umfassten Massenaktionen<br />

des Proletariats bis h<strong>in</strong> zur Anwendung des<br />

bewaffneten Kampfes. Der e<strong>in</strong>zige Ausweg aus der<br />

Krise war für das Proletariat <strong>die</strong> Machteroberung<br />

und <strong>die</strong> Schaffung ihrer Diktatur. Ke<strong>in</strong>e falsche,<br />

re<strong>in</strong> formale bürgerliche Demokratie, sondern<br />

alle Macht <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Hände</strong> der ArbeiterInnenräte<br />

– als konkrete Form des proletarischen Staates.<br />

<strong>Die</strong>s war und ist <strong>die</strong> Garantie für <strong>die</strong> Enteignung<br />

der Bourgeoisie und den Aufbau des Sozialismus.<br />

Für <strong>die</strong> Verteidigung der Revolution war es zudem<br />

12<br />

<strong>Die</strong> Erhebung vom 17. November 1917 ist für<br />

<strong>die</strong> revolutionäre Bewegung des schweizerischen<br />

Proletariats von grosser Bedeutung. Ermutigt<br />

durch <strong>die</strong> russische Revolution wurde erstmals<br />

auf revolutionärem Weg das kapitalistische System<br />

grundsätzlich <strong>in</strong> Frage gestellt. <strong>Die</strong> massive<br />

Reaktion der Herrschenden mittels Bullen und<br />

Armeee<strong>in</strong>satz, der psychologischen Kampfführung<br />

durch <strong>die</strong> Zeitungen und schliesslich der E<strong>in</strong>satz<br />

der Klassenjustiz macht <strong>die</strong>s deutlich; e<strong>in</strong> Teil<br />

des Proletariats stellte <strong>die</strong> Machtfrage. Kaum<br />

noch erwähnenswert: Der Polizeivorstand wurde<br />

vom Sozialdemokraten Vogelsanger gestellt.<br />

<strong>Die</strong> Sozialdemokraten Lang und Klöti, ebenfalls<br />

Mitglieder des Stadtrates, wünschten, dass das<br />

Militär auf Pikett gestellt wurde.<br />

Zwar s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Ereignisse <strong>in</strong> <strong>die</strong>sen Tagen von<br />

spontanen Bewegungen der Massen geprägt, <strong>die</strong><br />

subjektive Seite noch zu wenig entwickelt und daher<br />

<strong>die</strong> Organisation der Kämpfe auf der Strasse als auch<br />

e<strong>in</strong>e klare, politische Bestimmung nur im Ansatz<br />

vorhanden. Trotzdem, <strong>in</strong> der Novembererhebung<br />

drückten sich <strong>die</strong> revolutionären Inhalte der<br />

Zimmerwalder L<strong>in</strong>ken erstmals deutlich <strong>in</strong> der<br />

Schweiz auf der Strasse aus. <strong>Die</strong> revolutionären<br />

Kämpfe polarisierten <strong>die</strong> proletarische Bewegung<br />

und zwang <strong>die</strong> reformistische Sozialdemokratie,<br />

offen gegen <strong>die</strong> im Manifest der Zimmerwaldner<br />

L<strong>in</strong>ken formulierten Inhalte Stellung zu <strong>nehmen</strong>.<br />

Nämlich:<br />

• Erstens, ist der Imperialismus <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Spätphase weiterh<strong>in</strong> – und seit dem Zusammenbruch<br />

der sozialistischen Länder noch verschärft –<br />

durch den Kampf der Grossmächte mit ihren<br />

imperialistischen Länder <strong>in</strong> <strong>die</strong>sen Konflikten um<br />

<strong>die</strong> Aufteilung der Welt.<br />

• Drittens, der <strong>in</strong>ternationale Klassenkampf<br />

h<strong>in</strong> zum revolutionären Bürgerkrieg gegen <strong>die</strong><br />

imperialistische Bourgeoisie muss aus der Defensive<br />

heraus, unter Berücksichtigung der Widersprüche<br />

zwischen imperialistischen und abhängigen Staaten<br />

entwickelt und aufgebaut werden. <strong>Die</strong>ser richtet<br />

sich <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie gegen das System als solches,<br />

ohne dessen Überw<strong>in</strong>dung es immer wieder<br />

imperialistische Kriege geben wird.<br />

• Schliesslich ist es <strong>die</strong> Aufgabe des<br />

wissenschaftlichen Marxismus, <strong>die</strong> jeweiligen<br />

Besonderheiten der revolutionären Kämpfe an den<br />

verschiedenen Brennpunkten zu ermitteln und sie<br />

für den <strong>in</strong>ternationalen Klassenkampf dort und<br />

hier nutzbar zu machen.<br />

Trotz der veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse<br />

haben <strong>die</strong>se Inhalte grundsätzlich nichts von ihrer<br />

Bedeutung verloren. Der Sieg der Revolution <strong>in</strong><br />

Russland kam dem Sieg der Zimmerwalder L<strong>in</strong>ken<br />

gleich, im Übrigen waren es <strong>die</strong> Bolschewiki, <strong>die</strong><br />

konsequent den imperialistischen Krieg beendeten.<br />

8. <strong>Die</strong> organisatorischen Konsequenzen von<br />

Zimmerwald<br />

<strong>Die</strong> Sozialdemokratische Partei der Schweiz, als<br />

damals <strong>die</strong> wichtigste Organisation des Proletariats,<br />

setzte sich aus vier Positionen zusammen, <strong>die</strong><br />

teilweise schon antagonistischen Charakter<br />

hatten. <strong>Die</strong> Rechten, wie Herman Greulich,<br />

Paul Pflügler et cetera gruppierten sich um e<strong>in</strong>e<br />

sozialchauv<strong>in</strong>istischen Position, <strong>die</strong> sich unbed<strong>in</strong>gt<br />

Schon 1915/16 bildete sich <strong>in</strong> Zürich e<strong>in</strong>e Gruppe<br />

von l<strong>in</strong>ken Sozialdemokraten, <strong>in</strong> der neben e<strong>in</strong>igen<br />

Russen auch verschiedene Schweizer Genossen<br />

und Genoss<strong>in</strong>nen kämpften. Es war e<strong>in</strong>e Art<br />

von Schulungskollektiv. Darüber h<strong>in</strong>aus gewann<br />

Len<strong>in</strong> und <strong>die</strong> Zimmerwalder Positionen grossen<br />

E<strong>in</strong>fluss, <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> der Sozialistischen<br />

Jugendorganisation, <strong>die</strong> wiederum im Kampf am<br />

17. November 1917 e<strong>in</strong>e wichtige Rolle spielte. Der<br />

Leiter der Jugendorganisation, Willi Münzenberg,<br />

wurde nach dem 17. November verhaftet und letztlich<br />

aus der Schweiz ausgewiesen. Es entstand e<strong>in</strong>e<br />

L<strong>in</strong>ke mit Positionen gegen den imperialistischen<br />

Krieg und für den <strong>in</strong>ternationalen Klassenkampf.<br />

Willi Münzenberg, Fritz Platten, Rosa Bloch-<br />

Bollag, Alfred Bucher, Anni Morf, Willi Trostel und<br />

andere waren <strong>in</strong> Zürich <strong>die</strong> Exponentlnnen <strong>die</strong>ser<br />

Position. <strong>Die</strong> meisten von ihnen waren Mitglieder<br />

der Sozialistischen Jugendorganisation.<br />

Vorbehaltlos, das heisst auch <strong>in</strong> der Praxis, vertrat<br />

<strong>die</strong> revolutionäre Position der Zimmerwalder<br />

L<strong>in</strong>ken <strong>die</strong> „Gruppe Forderung“ mit den Genossen<br />

Anton Waibel, Hans Itschner, Jakob Herzog, der<br />

spätere Mitbegründer der 1921 gegründeten<br />

zweiten Kommunistischen Partei der Schweiz,<br />

Leonie Kascher und andere. <strong>Die</strong> meisten <strong>die</strong>ser<br />

Militanten waren auch <strong>in</strong> der sozialistischen<br />

Jugendorganisation organisiert, quasi ihr<br />

revolutionärer Flügel. Im Oktober 1917 erschien<br />

<strong>die</strong> erste Nummer ihrer Zeitung „<strong>Die</strong> Forderung<br />

- Organ für sozialistische EndzieIpolitik“. In<br />

ihr kam letztlich e<strong>in</strong>e Position zum Ausdruck,<br />

<strong>die</strong> mit der Sozialistischen Jugendorganisation<br />

unvere<strong>in</strong>bar war. „Vergleicht man nämlich den<br />

Inhalt der „Forderung“ mit dem Bolschewiki-<br />

13


Programm und den Tendenzen der Zimmerwalder<br />

als Psychopathen bezeichnete und ihn aus<br />

e<strong>in</strong>en Aufruhr zu benützen», wie der Staatsanwalt<br />

Unterschieden auch gewisse Parallelen zu heute<br />

L<strong>in</strong>ken, so ergibt sich, dass <strong>die</strong> „Forderung“ gar<br />

e<strong>in</strong>er Sitzung der Zimmerwalder L<strong>in</strong>ken warf.<br />

später me<strong>in</strong>te. Nicht, dass sie der Me<strong>in</strong>ung gewesen<br />

sichtbar. Denen gehört unser spezielles Interesse:<br />

nichts Neues brachte und nichts verkündigte,<br />

wären, dass aus <strong>die</strong>sem Kampf praktisch <strong>die</strong><br />

<strong>Die</strong> sozialen-ökonomischen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen,<br />

was nicht schon Geme<strong>in</strong>gut der Massen war und<br />

Zwar ist es richtig, sich <strong>die</strong> Frage des<br />

Machtübernahme hervorgehen würde. Ne<strong>in</strong>, sie<br />

also <strong>die</strong> Grundlage des revolutionären Prozesses<br />

ihrem Geisteszustand entsprach.“ (Zitiert aus<br />

organisatorischen und politischen Mittelpunkts<br />

waren der Ansicht, dass an der Revolution nur<br />

überhaupt; wie war <strong>die</strong> Klassengesellschaft konkret<br />

dem Untersuchungsbericht der Staatsanwaltschaft<br />

e<strong>in</strong>es Aufstandes zu stellen – spontane Aufstände<br />

<strong>in</strong>mitten der realen Kämpfe zu arbeiten sei.<br />

zusammengesetzt, wie war damals das kapitalistische<br />

betreffend der Ereignisse im November 1917)<br />

wurden meistens schnell zerschlagen – doch<br />

Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnis<br />

s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> den Positionen Münzenbergs und der<br />

9. Für den <strong>in</strong>ternationalen Klassenkampf!<br />

strukturiert, so dass sich <strong>die</strong> proletarischen<br />

Charakteristisch für <strong>die</strong> Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />

Sozialistischen Jugendorganisation <strong>die</strong> Wurzeln für<br />

Massen schon alle<strong>in</strong>e durch <strong>die</strong>se Situation<br />

<strong>in</strong>nerhalb der Sozialistischen Jugendorganisation<br />

spätere Entwicklungen angelegt, <strong>die</strong> letztlich von<br />

Heute, 100 Jahre nach <strong>die</strong>sen Ereignissen, hat sich<br />

revolutionierten? Das Wesen des Kapitalismus ist<br />

waren nicht nur <strong>die</strong> öfters verwendete Denunziation<br />

der Machtfrage <strong>in</strong> der Praxis wegführten. Wie kann<br />

<strong>die</strong> Situation <strong>in</strong> der Tat grundlegend verändert.<br />

dasselbe, damals wie heute, von wegen, es hätte<br />

und Demagogie gegen <strong>die</strong> „Gruppe Forderung“. So<br />

von e<strong>in</strong>er isolierten Aktion gesprochen werden,<br />

Der Kapitalismus hat sich weltweit zur alles<br />

sich alles grundsätzlich geändert. Und doch- <strong>die</strong><br />

verortete <strong>die</strong> sozialdemokratische Führung l<strong>in</strong>ks<br />

wenn Tausende Menschen sich auf der Strasse<br />

bestimmenden Produktionsweise entwickelt.<br />

kapitalistische Ausbeutung gliedert sich nicht<br />

von ihnen grundsätzlich nur „bl<strong>in</strong>de Kräfte mit<br />

bewegen? <strong>Die</strong> Machtfrage wird nicht nur an e<strong>in</strong>em<br />

Mehr noch, im Stadium des Imperialismus<br />

nur anders, auch der Bewusstse<strong>in</strong>sprozess der<br />

diszipl<strong>in</strong>losen Sonderaktionen“, auch <strong>in</strong> der späteren<br />

optimal organisierten, f<strong>in</strong>alen Aufstand gestellt,<br />

ist se<strong>in</strong>e Entwicklungsfähigkeit nur zum Preis<br />

ausgebeuteten Klasse verläuft weniger geradl<strong>in</strong>ig<br />

Berichterstattung darüber wurden revolutionäre<br />

sondern an ihr wird <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em langandauernden<br />

e<strong>in</strong>er gewaltigen Zerstörung gegeben. Der lange<br />

aus den unmittelbaren Lebensverhältnissen heraus,<br />

Positionen, <strong>in</strong>sbesondere von den Revisionisten,<br />

Prozess, der auch auf der Strasse stattf<strong>in</strong>det,<br />

Aufschwung von 1945 bis Anfang der 1970er Jahre<br />

genauso wie <strong>die</strong> revolutionäre Seite, <strong>die</strong> politischen<br />

immer als „anarchistisch“ denunziert, obwohl sie sich<br />

gearbeitet. „Der Sozialismus bricht an! Er kann <strong>in</strong><br />

war nur möglich durch <strong>die</strong> mit zwei Weltkriegen<br />

Positionen und ihr jeweiliger organisatorischer<br />

stark an den russischen Bolschewisten orientierten.<br />

Russland nur siegen, wenn er auch <strong>in</strong> der Schweiz<br />

überwundene Krise. Der Preis für <strong>die</strong>se erneute<br />

Ausdruck des kämpfenden Proletariats. Daraus<br />

und überall <strong>in</strong> Europa siegt. <strong>Die</strong> grosse Zeit des<br />

Entwicklungsfähigkeit des Kapitalismus ist<br />

ergeben sich <strong>die</strong> entscheidenden Fragestellungen<br />

<strong>Die</strong> Sozialistische Jugendorganisation wurde<br />

Blutgeldsackes des Kapitalismus ist vorbei und es<br />

bekannt, Millionen von Toten und <strong>die</strong> Zerstörung<br />

auch im aktuellen Prozess. Und damals wie heute<br />

zwar von den Ereignissen im November 1917<br />

naht unsere grosse Zeit, <strong>die</strong> Zeit des Sozialismus.<br />

von ganzen Städten und Landstrichen.<br />

entwickeln sich <strong>die</strong> revolutionären Positionen und<br />

überrollt, versuchte jedoch, e<strong>in</strong>e klare Position<br />

Unsere Pflicht ist, <strong>die</strong> soziale Revolution auch <strong>in</strong> der<br />

Strategien mitten <strong>in</strong> der revolutionären Praxis, im<br />

e<strong>in</strong>zu<strong>nehmen</strong>. Grundsätzlich war sie der Ansicht,<br />

Schweiz zu entfachen, sonst s<strong>in</strong>d wir Verräter und<br />

<strong>Die</strong> Krisen bildeten aber auch immer wieder<br />

Kampf der verschiedenen L<strong>in</strong>ien <strong>in</strong>nerhalb der<br />

<strong>die</strong> Auslösung des revolutionären Aufstandes<br />

Deserteure der Revolution.“ (Aus Beilage zu Nr. 3<br />

den Nährboden für revolutionäre Prozesse. In<br />

Klasse. Das Wesen der politischen Debatten ist<br />

käme zu früh, weil <strong>die</strong> planmässige Vorbereitung<br />

der „Forderung“)<br />

Russland und Ch<strong>in</strong>a haben <strong>in</strong> <strong>die</strong>sen Jahren <strong>die</strong><br />

dasselbe geblieben: Wie lässt sich der revolutionäre<br />

<strong>in</strong> politischer wie organisatorischer H<strong>in</strong>sicht zu<br />

ArbeiterInnen, zusammen mit den kle<strong>in</strong>en Bauern<br />

Prozess entwickeln, wo lauern <strong>die</strong> reformistischen<br />

wenig vorangeschritten sei. Der Aufstand vom<br />

17. November war gegen ihren Willen <strong>in</strong> Gang<br />

gekommen, und ihre Beteiligung beschränkte sich<br />

darauf, den offen ausgebrochenen, sehr militanten<br />

Klassenkampf zu unterstützen und ihn nicht<br />

unkontrolliert eskalieren zu lassen. Münzenberg<br />

<strong>in</strong>tervenierte beim entstandenen Aktionskomitee<br />

und versuchte vergeblich, <strong>die</strong> Genossen und<br />

Genoss<strong>in</strong>nen von der „Unzweckmässigkeit<br />

ihrer isolierten und von den breiten Massen der<br />

Arbeiterklasse getrennten Aktion“ zu überzeugen.<br />

<strong>Die</strong>se Debatten zwischen Münzenberg und<br />

den GenossInnen der „Gruppe Forderung“<br />

spielten sich ke<strong>in</strong>eswegs <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em friedlichen<br />

Rahmen ab, ganz im Gegenteil; <strong>die</strong> Widersprüche<br />

waren schon so tief, dass Münzenberg Waibel<br />

<strong>Die</strong> Mitglieder der „Gruppe Forderung“ organisierten<br />

sich nach den spontanen Kämpfen – respektive<br />

der von den Antimilitaristen durchgesetzten<br />

Schliessung der Munitionsfabriken vom 15. und 16.<br />

November – mit anderen GenossInnen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Aktionskomitee. Jakob Herzog befand sich schon<br />

im Gefängnis, aber andere wie Waibel und Itschner<br />

sprangen <strong>in</strong> <strong>die</strong> Bresche. <strong>Die</strong>ses Aktionskomitee<br />

organisierte <strong>die</strong> Protestkundgebung des nächsten<br />

Tages, eben den 17. November. <strong>Die</strong> Genossen<br />

und Genoss<strong>in</strong>nen der „Gruppe Forderung“ – ihre<br />

Zeitung wurde nach den Kämpfen 1918 vom<br />

Bundesrat verboten – versuchten, den folgenden<br />

Kämpfen e<strong>in</strong>e revolutionäre Orientierung zu geben,<br />

<strong>die</strong> „revolutionäre Stimmung der ArbeiterInnen für<br />

und LandarbeiterInnen, <strong>die</strong> Macht ergriffen.<br />

<strong>Die</strong> Liqui<strong>die</strong>rung <strong>die</strong>ser ersten sozialistischen<br />

Staaten, an der auch <strong>die</strong> Revision des Marxismus<br />

ihren Anteil hatte, und <strong>die</strong> damit e<strong>in</strong>hergehende<br />

Wiederherstellung des Kapitalismus, schmälert <strong>die</strong>se<br />

Tatsache ke<strong>in</strong>eswegs. Auch <strong>die</strong> Machtergreifung der<br />

Bourgeoisie erfolgte nicht von heute auf morgen,<br />

sondern war e<strong>in</strong> 200-jähriger Prozess, verbunden<br />

mit zahlreichen Rückschlägen. Weshalb sollte <strong>die</strong>s<br />

für das Proletariat anders se<strong>in</strong>?<br />

Unserer Interesse an der Zimmerwalder L<strong>in</strong>ken<br />

ist ausnahmslos durch den Bezug zu Fragen des<br />

aktuellen revolutionären Kampfes geprägt. Mit<br />

e<strong>in</strong>em Schnitt quer durch <strong>die</strong> damalige objektive<br />

und subjektive Situation s<strong>in</strong>d neben den deutlichen<br />

Gefahren? Auch <strong>die</strong> l<strong>in</strong>ke Sektiererei wurde<br />

schon damals thematisiert. Aber <strong>die</strong> politischen<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen haben sich mit der<br />

Entwicklung h<strong>in</strong> zum Revisionismus grundsätzlich<br />

verändert, <strong>die</strong> breite, Massen mobilisierende<br />

Begeisterung für den Aufbau des Sozialismus <strong>in</strong><br />

der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken ist<br />

e<strong>in</strong>er tiefen Resignation gewichen. Revolutionäre<br />

Alternativen zum eigenen, ausgebeuteten und<br />

entfremdeten Leben sche<strong>in</strong>en unerreichbar.<br />

14<br />

15


Leonie Kascher und das Erbe von Zimmerwald<br />

Im revolutionären Sturm nach 1915 treffen wir auf<br />

Leonie Kascher, <strong>die</strong> polnische Student<strong>in</strong>, <strong>die</strong> bei<br />

der Organisierung der revolutionären Kräfte <strong>in</strong> der<br />

Schweiz e<strong>in</strong>e wichtige Rolle spielen wird. Von hier<br />

aus haben wir ihre Spur aufgenommen, <strong>die</strong> uns<br />

auch zur Zimmerwalder L<strong>in</strong>ken führte.<br />

Leonie Kascher reiste 1913 <strong>in</strong> <strong>die</strong> Schweiz, um e<strong>in</strong><br />

Studium <strong>in</strong> Philosophie und Psychologie an der<br />

Universität Zürich aufzu<strong>nehmen</strong>. Als Frau, als<br />

Pol<strong>in</strong> und als Jüd<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Zeit alles andere als<br />

e<strong>in</strong>e Selbstverständlichkeit: Der zaristische Staat<br />

– Polen war damals Teil des Russischen Reichs<br />

– schränkte den Universitätszugang für Frauen<br />

stark e<strong>in</strong> und limitierte <strong>die</strong> Anzahl jüdischer<br />

Student<strong>in</strong>nen und Studenten. <strong>Die</strong>s waren wohl<br />

entscheidende Gründe, weshalb Leonie Kascher<br />

nach Zürich kam. Ihre Bildung <strong>in</strong> Polen musste<br />

sie sich erkämpfen: Im Jahr 1905, <strong>in</strong> welchem es<br />

im Russischen Zarenreich und <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong><br />

Warschau zu heftigen Aufständen kam, verliess sie<br />

<strong>die</strong> Familie: „Der despotische Charakter des Vaters<br />

und <strong>die</strong> religiöse Atmosphäre haben mich bedrückt,<br />

was mich derart bee<strong>in</strong>flusst hatte, dass ich sehr<br />

früh – mit 15 Jahren – das Elternhaus verliess und<br />

e<strong>in</strong> selbständiges Leben begann.“ Nur durch <strong>die</strong><br />

Unterstützung der vier Tanten Leonie Kaschers –<br />

sie nahmen alle an der revolutionären Bewegung<br />

von 1905 teil und waren Mitglieder der Polnischen<br />

Sozialdemokratischen Arbeiterpartei – konnte sie<br />

e<strong>in</strong>e Mittelschulbildung und e<strong>in</strong> Hochschulstudium<br />

<strong>in</strong> Pädagogik absolvieren: „In <strong>die</strong>ser Frühperiode des<br />

Lebens war es für mich sehr schwer vom Standpunkt<br />

der materiellen Lebensumstände aus. Ich hatte ke<strong>in</strong>en<br />

Platz zum Wohnen“, er<strong>in</strong>nert sich Leonie Kascher.<br />

In <strong>die</strong>ser Periode – der „schweren Jahre der Not“,<br />

wie sie <strong>die</strong>se selbst bezeichnet – unterstützte sie <strong>die</strong><br />

revolutionäre Tätigkeit ihrer Tanten mit illegaler<br />

Arbeit, durchlief aber auch zahlreiche Krankheiten.<br />

Ihre Tanten konnten den Vater Leonie Kaschers<br />

schliesslich überzeugen, dass sie <strong>in</strong> <strong>die</strong> Schweiz<br />

zum Studium fahren könne.<br />

In Zürich kam Leonie Kascher <strong>in</strong> Kontakt mit<br />

polnischen SozialistInnen; <strong>die</strong>s führte aber mit<br />

Beg<strong>in</strong>n des Ersten Weltkrieg – nur e<strong>in</strong> Jahr<br />

später – zu e<strong>in</strong>em Unterbruch des Studiums <strong>in</strong><br />

Zürich: „Nach dem Anfang des Ersten Weltkriegs<br />

haben <strong>die</strong> polnischen Sozialisten <strong>in</strong> Zürich lebhaft<br />

für den E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> <strong>die</strong> polnischen Legionen für<br />

den Kampf um <strong>die</strong> Unabhängigkeit Polens vom<br />

Zarismus agitiert. Mit dem Willen, um jeden Preis<br />

am Befreiungskampf teilzu<strong>nehmen</strong>, b<strong>in</strong> ich mit<br />

anderen Studenten nach Polen gefahren, wo ich im<br />

Hospital und bei den Sanitätstruppen arbeitete.“<br />

Bald gelang sie aber zur Überzeugung, dass <strong>die</strong>ser<br />

nationale Befreiungskampf auf der Seite Polens<br />

„nicht für <strong>die</strong> Befreiung der Arbeiterklasse und für<br />

den Sozialismus“ geführt werde, wie sie selbst sagte,<br />

weshalb sie anfangs 1916 enttäuscht wieder nach<br />

Zürich zurückkehrte. Der Krieg traumatisierte<br />

sie: „Fräule<strong>in</strong> Kascher ist e<strong>in</strong> <strong>in</strong>telligentes, aber<br />

sehr exaltiertes Mädchen, dessen gemuẗliches<br />

Gleichgewicht durch <strong>die</strong> Erlebnisse, <strong>die</strong> sie als<br />

Teilnehmer<strong>in</strong> <strong>in</strong> der polnischen Legion mitmachte,<br />

auch noch <strong>in</strong> Zürich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em labilen Gleichgewicht<br />

gewesen se<strong>in</strong> dürfte. Hier hat sie nach ihren eigenen<br />

und nach den Aussagen ihres Landsmannes Span<strong>in</strong>,<br />

der bei mir war, <strong>in</strong> den letzten Semestern aüsserst<br />

ärmlich gelebt und war wohl unterernaḧrt, was<br />

ebenfalls <strong>die</strong> nervöse Widerstandskraft schwächen<br />

kann“, steht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er psychiatrischen Notiz des<br />

Professors Hans Wolfgang Maier.<br />

Da sie ke<strong>in</strong>e Mittel zum Leben hatte, arbeitete<br />

Leonie Kascher neben dem Studium als Arbeiter<strong>in</strong><br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Fabrik. <strong>Die</strong> Erfahrungen als Arbeiter<strong>in</strong><br />

und <strong>die</strong> Erfahrungen des Kriegs, führten sie dazu,<br />

17


sich der revolutionären L<strong>in</strong>ken <strong>in</strong> der Schweiz<br />

Was, ausgehend vom Programm der<br />

unerbitterliche Len<strong>in</strong>‘sche Pr<strong>in</strong>zipientreue, welche<br />

<strong>in</strong> der Schweiz noch e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e, aber zielbewusste<br />

anzuschliessen.<br />

neuen Internationale, eigentlich als e<strong>in</strong>e<br />

<strong>die</strong> Vertuschung von Me<strong>in</strong>ungsverschiedenheiten<br />

kommunistische Bewegung. <strong>Die</strong> Wurzel und <strong>die</strong><br />

Selbstverständlichkeit betrachtet werden könnte,<br />

und <strong>die</strong> Unterdrückung der Kritik von unten, von<br />

Schule <strong>die</strong>ser kommunistischen Bewegung liegt <strong>in</strong><br />

„In der Fabrik habe ich mich schnell an das Klima<br />

war zu jener Zeit <strong>in</strong>nerhalb der L<strong>in</strong>ken <strong>in</strong> der<br />

den Massen, nicht zuliess – angesichts davon, dass<br />

der Zimmerwalder L<strong>in</strong>ken, deren Geist auch bei<br />

der Arbeiter, an <strong>die</strong> Arbeiterbewegung, gewöhnt,<br />

Schweiz heftig umstritten. <strong>Die</strong> organisatorischen<br />

Platten e<strong>in</strong>e sehr e<strong>in</strong>flussreiche Gruppe vertrat“,<br />

uns <strong>in</strong> der Schweiz verbreitet war“, stellte Kascher<br />

habe an e<strong>in</strong>em Streik teilgenommen, trat <strong>in</strong> <strong>die</strong><br />

Forderungen Leonie Kaschers, <strong>in</strong>sbesondere<br />

er<strong>in</strong>nert sich Kascher.<br />

ihre Organisation am Gründungskongress der<br />

Gewerkschaft und später – im Sommer 1916 – <strong>in</strong> <strong>die</strong><br />

<strong>die</strong> Abspaltung der Parteil<strong>in</strong>ken von den<br />

Kom<strong>in</strong>tern vor. Den Bezug zur Zimmerwalder<br />

Sozialdemokratische Partei der Schweiz e<strong>in</strong>. Mir war<br />

Sozialdemokraten und <strong>die</strong> Gründung e<strong>in</strong>er<br />

<strong>Die</strong> zentralen Forderungen Leonie Kaschers am<br />

L<strong>in</strong>ken stellte sie nicht nur über <strong>die</strong> revolutionäre<br />

klar, dass nur der revolutionäre Kampf des Proletariats<br />

e<strong>in</strong>heitlichen revolutionären kommunistischen<br />

Gründungskongress – vollständiger Bruch mit dem<br />

Politik her. Zentral sowohl für Zimmerwald als auch<br />

der echte Weg zu se<strong>in</strong>er Befreiung ist. Sofort habe<br />

Partei <strong>in</strong> der Schweiz, werden sich erst 1921<br />

Reformismus – wurden aber trotzdem zwei Jahre<br />

für <strong>die</strong> von Kascher vertretene Kommunistische<br />

ich mich der l<strong>in</strong>ken Seite der Sozialdemokratischen<br />

durchsetzen. Und <strong>die</strong>s nur deshalb, weil es <strong>die</strong> SP<br />

später von den Parteil<strong>in</strong>ken und <strong>in</strong>sbesondere von<br />

Partei ist das Stellen der Machtfrage: „Wir wussten<br />

Partei angeschlossen, <strong>die</strong> zusammen mit dem<br />

vehement ablehnen wird, Mitglied <strong>in</strong> der Dritten<br />

Fritz Platten übernommen, und <strong>die</strong> ehemaligen<br />

schon, es gibt e<strong>in</strong> Ziel – <strong>die</strong> Eroberung der Macht“,<br />

Jugendbund damals <strong>die</strong> Plattform verteidigte, <strong>die</strong><br />

Internationale zu werden.<br />

Parteil<strong>in</strong>ken <strong>in</strong>nerhalb der Sozialdemokraten<br />

brachte Kascher am Gründungskongress der<br />

von Wladimir Iljitsch Len<strong>in</strong> <strong>in</strong> den Konferenzen der<br />

fusionierten mit der bestehenden Kommunistischen<br />

Dritten Internationale hervor. <strong>Die</strong>se sei aber<br />

äussersten L<strong>in</strong>ken Seite <strong>in</strong> Zimmerwald und Kiental<br />

Eigentlich hätte Leonie Kascher gar nicht am<br />

Partei. Da <strong>die</strong> opportunistischen Strömungen am<br />

unweigerlich mit praktischen Forderungen und<br />

vorgeschlagen worden war. Unter der ständigen<br />

Kongress teil<strong>nehmen</strong> sollen. Offizielle Vertretung<br />

Kongress doch relativ stark waren, war es denn auch<br />

Tagesforderungen verknüpft: „Aber <strong>die</strong> Schweizer<br />

Leitung von Wladimir Iljitsch und mit se<strong>in</strong>er<br />

der Schweiz an der Gründungstagung war nicht<br />

alles andere als klar, ob sich <strong>die</strong> Kommunistische<br />

Arbeiterschaft begnügt sich nicht mit <strong>die</strong>sen<br />

unermüdlichen, geduldsamen Hilfe den Mitgliedern<br />

etwa <strong>die</strong> Kommunistische Partei der Schweiz,<br />

Internationale überhaupt gründen sollte. „Es kam<br />

allgeme<strong>in</strong>en Zielen, sie sucht e<strong>in</strong>e klar umschriebene<br />

der schweizerischen Partei, besonders der Jugend,<br />

als deren Sprecher<strong>in</strong> Kascher auftrat, sondern<br />

zur heftigen Debatte“, schreibt Kascher <strong>in</strong> ihren<br />

Parole, sie ist praktisch, sie will wissen, wozu sie <strong>in</strong><br />

haben wir e<strong>in</strong>en permanenten, grundsätzlichen<br />

<strong>die</strong> Parteil<strong>in</strong>ken der Sozialdemokraten. Fritz<br />

Memoiren. „Ich näherte mich Len<strong>in</strong> und fragte,<br />

den Kampf tritt. <strong>Die</strong> <strong>die</strong> Massen beschäftigenden<br />

Kampf gegen <strong>die</strong> opportunistischen Strömungen <strong>in</strong><br />

Platten, Sitzungsleiter des Gründungskongresses<br />

ob ich mit den E<strong>in</strong>wänden gegen Eberle<strong>in</strong> (Gegner<br />

Fragen waren erstens der Achtstundentag, zweitens<br />

der Partei geführt, und wir arbeiteten <strong>in</strong>mitten der<br />

und damals noch L<strong>in</strong>ksoppositioneller <strong>in</strong>nerhalb<br />

e<strong>in</strong>er Gründung der Kom<strong>in</strong>tern, Anmerkung<br />

<strong>die</strong> Teuerung und <strong>die</strong> Unzufriedenheit mit den<br />

Massen.“<br />

der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz,<br />

der Redaktion) auftreten dürfe. Len<strong>in</strong> hat mir das<br />

ökonomischen Verhältnissen. Wir haben e<strong>in</strong>e Parole<br />

war empört, dass Leonie Kascher überhaupt<br />

Wort gegeben und ich trat zum zweiten Mal auf<br />

formuliert: Beschlagnahme der Lebensmittel und ihre<br />

1. <strong>Die</strong> Gründung der Kom<strong>in</strong>tern<br />

am Kongress auftreten sollte, unter vielen<br />

(nach dem Auftritt für den Bruch mit der SP <strong>in</strong><br />

Verteilung, nicht nach dem Besitz, sondern nach dem<br />

Teil<strong>nehmen</strong>den hatte sie zudem als L<strong>in</strong>ksradikale<br />

der Schweiz, Anmerkung der Redaktion), gegen<br />

Bedarf, unter der Kontrolle der Arbeiterschaft. <strong>Die</strong>se<br />

„Was wir von der Zimmerwalder L<strong>in</strong>ken gelernt<br />

den Ruf, e<strong>in</strong>e Abenteurer<strong>in</strong> zu se<strong>in</strong>. Wladimir<br />

<strong>die</strong> Verschiebungstaktik. Len<strong>in</strong> hat <strong>die</strong> Frage nicht<br />

zwei Parolen schienen uns für <strong>die</strong> Schweizer Arbeiter<br />

haben, ist, Massenaktion zu verlangen, und zwar<br />

Iljitsch Len<strong>in</strong> <strong>in</strong>sistierte aber, dass Kascher am<br />

von vornhere<strong>in</strong> beantwortet, obwohl er sich stark für<br />

entsprechend e<strong>in</strong>greifend, es war etwas anderes<br />

nicht <strong>in</strong> weiter Zukunft, sondern schon <strong>in</strong> dem<br />

Kongress teil<strong>nehmen</strong> dürfe, und so wurde sie zum<br />

<strong>die</strong> Gründung der Kommunistischen Internationale<br />

als das, was man sonst aufgestellt hat. Sie trugen,<br />

gegenwärtigen Moment.“<br />

Kongress zugelassen:<br />

äusserte. Ich habe über <strong>die</strong> Erwartungen der Arbeiter<br />

besonders <strong>die</strong> zweite, e<strong>in</strong>en sozialistischen Stempel,<br />

der weit entfernten Schweiz erzählt (...). (Deren)<br />

und ihre Verwirklichung bedeutete e<strong>in</strong>en Kampf mit<br />

Im März 1919, am Gründungskongress der<br />

„Len<strong>in</strong> hat mir erklärt, dass ich am Kongress als<br />

Hoffnungen darf man nicht betrügen. (...) Uns hat<br />

der kapitalistischen Gesellschaftsordnung.“<br />

Dritten Internationale, griff Leonie Kascher <strong>die</strong><br />

Vertreter<strong>in</strong> der Kommunistischen Gruppe mit<br />

Len<strong>in</strong> unterstützt und wir haben gesiegt.“<br />

als opportunistisch wahrgenommene Politik<br />

beratender Stimme teil<strong>nehmen</strong> werde und fragte,<br />

Es war klar, dass e<strong>in</strong>e Politik der Massenaktionen,<br />

der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz,<br />

ob ich den Vortrag über unsere Arbeit halten und<br />

Zur Tat schreiten, praktisch werden – <strong>die</strong>s waren,<br />

e<strong>in</strong>e Politik der Praxis vom Staat nicht unbeantwortet<br />

beziehungsweise deren l<strong>in</strong>ken Flügel an, welche<br />

mit ihm an den Sitzungen des Kongresses auftreten<br />

<strong>die</strong> für damals ke<strong>in</strong>eswegs selbstverständlichen,<br />

blieb. Zum Zeitpunkt des Kongresses lebte Leonie<br />

ebenfalls am Kongress beteiligt war. Was sie forderte,<br />

könne. Mit Freude habe ich <strong>die</strong>sem Vorschlag<br />

Kernpunkte der Politik Kaschers. Sie war als<br />

Kascher nicht mehr <strong>in</strong> der Schweiz; sie wurde vor<br />

war der Bruch mit dem Opportunismus und<br />

zugestimmt. Da ich wusste, dass am Kongress von<br />

Mitbegründer<strong>in</strong> Teil der ersten Kommunistischen<br />

dem Kongress aus der Schweiz ausgewiesen.<br />

Reformismus, war <strong>die</strong> Abspaltung der revolutionär<br />

der Parteil<strong>in</strong>ken der Sozialdemokraten Platten<br />

Partei der Schweiz, welche aus der „Gruppe<br />

ges<strong>in</strong>nten Genossen von der Sozialdemokratischen<br />

anwesend se<strong>in</strong> werde, habe ich ihn gefragt, ob ich über<br />

Forderung“ hervorg<strong>in</strong>g und vor allem <strong>in</strong> Zürich aktiv<br />

2. <strong>Die</strong> Sozialistische Jugendorganisation<br />

Partei. Was sie forderte war – prägnant formuliert –<br />

<strong>die</strong> me<strong>in</strong>es Erachtens zu vorsichtige, opportunistische<br />

war; deren Politik war geprägt von e<strong>in</strong>er militanten,<br />

revolutionäre Praxis.<br />

Taktik Plattens berichten müsse; mit noch grösserer<br />

radikalen L<strong>in</strong>ie. „Neben der Sozialistischen Partei<br />

Am 9.12.1918 erfolgte <strong>die</strong> Verfügung des<br />

Freude hörte ich das harte ‚Ja‘ Len<strong>in</strong>s. Es war jene<br />

und der Sozialistischen Jugendorganisation existiert<br />

Bundesrates: Leonie Kascher, geboren <strong>in</strong> Warschau,<br />

18<br />

19


sei auszuweisen. Sie erhielt <strong>die</strong> Erlaubnis, mit<br />

der Zimmerwalder L<strong>in</strong>ken, angeschlossen, <strong>die</strong> von<br />

e<strong>in</strong>em Politemigrantenzug aus Zürich auszureisen.<br />

Len<strong>in</strong> geleitet wurde“, schrieb sie. <strong>Die</strong> Frage des<br />

In Moskau angekommen, erfuhr sie gleich<br />

Krieges wurde überall kontrovers diskutiert und<br />

vom bevorstehenden Gründungskongress der<br />

<strong>die</strong> Möglichkeit der E<strong>in</strong>beziehung der Schweiz <strong>in</strong><br />

Kom<strong>in</strong>tern. Nach Rücksprache mit den <strong>in</strong> der<br />

den Krieg lag im Raum. In den Vorbereitungen<br />

Schweiz verbliebenen Genossen konnte sie sogleich<br />

des Berner Kongresses der Sozialdemokratischen<br />

an <strong>die</strong>sem teil<strong>nehmen</strong>.<br />

Partei der Schweiz wurde Kascher mit dem harten<br />

Kampf der verschiedenen Richtungen konfrontiert.<br />

<strong>Die</strong> Ausweisung erfolgte vor dem H<strong>in</strong>tergrund<br />

Kascher und ihre GenossInnen erklärten<br />

der heftigen Strassenkämpfe <strong>in</strong> Zürich vom 17.<br />

das imperialistische Wesen des Krieges, <strong>die</strong><br />

November 1917 und des Landesstreiks e<strong>in</strong> Jahr<br />

Interessen der Kapitalistenklasse, den Verrat der<br />

später. Zu jenen Zeitpunkten stu<strong>die</strong>rte Leonie<br />

Zweiten Internationale. Konkret g<strong>in</strong>g es um <strong>die</strong><br />

Kascher Psychologie und Philosophie an der<br />

Ausarbeitung der Resolution für den Kongress<br />

Universität Zürich, war aber <strong>in</strong> der erst kürzlich, im<br />

der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz – im<br />

Oktober 1917 gegründeten „Gruppe Forderung“<br />

Juni 1917 fand e<strong>in</strong> ausserordentlicher Parteitag<br />

aktiv, aus welcher 1919 <strong>die</strong> Kommunistische Partei<br />

der SP <strong>in</strong> Bern zur Militärfrage statt – <strong>die</strong> man <strong>in</strong><br />

der Schweiz entstand und welche <strong>in</strong>nerhalb der<br />

den überall durchgeführten Parteiversammlungen<br />

Sozialistischen Jugendorganisation agierte.<br />

unterbreiten und verteidigen wollte. Massnahmen<br />

und mögliche Kampfmittel mussten vorgeschlagen<br />

<strong>Die</strong> Sozialistische Jugendorganisation war zur Zeit<br />

werden. <strong>Die</strong> Wege des Kampfes, der Organisierung<br />

des Ersten Weltkriegs <strong>die</strong> treibende revolutionäre<br />

der ArbeiterInnen gegen den Krieg, Wege der<br />

Kraft <strong>in</strong> der Schweiz. Nach der Zimmerwalder<br />

Distanzierung von den Sozialchauv<strong>in</strong>istInnen<br />

Konferenz im September 1915 fand e<strong>in</strong>e<br />

und PazifistInnen, <strong>die</strong> Unterschiede zwischen den<br />

L<strong>in</strong>ksentwicklung unter den Sozialisten statt, an<br />

verschiedenen Strömungen <strong>in</strong> der Partei, Rechte,<br />

der <strong>die</strong> Jugend ihren Anteil hatte. Sie entwickelte<br />

L<strong>in</strong>ke und Zentristen, mussten entwickelt werden.<br />

sich zu e<strong>in</strong>er Massenorganisation mit mehreren<br />

Tausenden Mitgliedern. Ause<strong>in</strong>andersetzungen mit<br />

Über <strong>die</strong>se drei Strömungen hielt Kascher Vorträge<br />

den staatlichen Repressionsapparaten „Polizei“ und<br />

an Parteiversammlungen. Unter dem E<strong>in</strong>fluss<br />

„Militär“ und zum Teil gegen sie aufgehetzte Teile<br />

der Diskussionen <strong>in</strong> Zürich mit Len<strong>in</strong> analysierte<br />

der Bevölkerung zeigten den Herrschaftscharakter<br />

sie <strong>die</strong> Rolle der rechten Grütlianer während<br />

der bürgerlichen Demokratie auf und führten<br />

des Krieges und deren Verletzung der Lehre von<br />

zu e<strong>in</strong>er Verstärkung des Kampfeswillen der<br />

Marx und Engels und der Interessen der Klasse<br />

sozialistischen Jugend.<br />

der Arbeiter<strong>in</strong>nen und Arbeiter, <strong>die</strong> Rolle der<br />

Zentristen mit Grimm an der Spitze, <strong>die</strong> mit<br />

Für Leonie Kascher war es bei ihrer Rückkehr nach<br />

l<strong>in</strong>ken Parolen <strong>die</strong> ArbeiterInnen und Arbeiter<br />

e<strong>in</strong>em Pflegee<strong>in</strong>satz <strong>in</strong> Polen im Zusammenhang<br />

praktisch <strong>in</strong> <strong>die</strong> Irre führten sowie <strong>die</strong> Rolle der<br />

mit dem imperialistischen Krieg 1916 nach Zürich<br />

revolutionären bolschewistischen Seite, <strong>die</strong> ihr<br />

sofort klar, wo sie sich positionierte: „Da ich von<br />

<strong>die</strong> klaren Thesen lieferten, an denen sie und <strong>die</strong><br />

der chauv<strong>in</strong>istischen Politik der Sozialdemokraten<br />

anderen Revolutionären sich orientierten. „In der<br />

tief enttäuscht war – als Augenzeug<strong>in</strong> hatte ich<br />

<strong>die</strong> Möglichkeit, mich an Ort und Stelle davon zu<br />

überzeugen, habe ich mich sofort nach me<strong>in</strong>em<br />

Beitritt <strong>in</strong> <strong>die</strong> Partei der revolutionärsten Seite,<br />

20<br />

Zimmerwalder L<strong>in</strong>ken haben nur <strong>die</strong> Bolschewisten<br />

und wenige andere Delegierte das revolutionäre<br />

Programm konsequent durchgeführt. <strong>Die</strong> Zentristen<br />

mit Robert Grimm an der Spitze, beschäftigten sich<br />

Leonie Kascher<br />

21


mit der Phrasendrescherei, und <strong>in</strong> ihren Parteien<br />

<strong>die</strong> Revolution zum Parteigesetz erhoben und –<br />

Propaganda für den Sozialismus zu organisieren<br />

dass es sich hier um e<strong>in</strong>e künstlich aufgestachelte und<br />

führten sie e<strong>in</strong>e reaktionäre Politik. <strong>Die</strong> Rechten<br />

soweit sie aus Schweizern bestand – zugleich das<br />

und Vorbereitungen für <strong>die</strong> kommende revolutionäre<br />

verhetzte Masse handelte, zu revi<strong>die</strong>ren. Wohl ist <strong>die</strong><br />

haben <strong>die</strong> Zimmerwalder-Organisation bald<br />

Vaterland als e<strong>in</strong>en toten Begriff anerkannt, wertlos<br />

Bewegung zu treffen. <strong>Die</strong> Kommunisten widersetzten<br />

Arbeiterschaft aufgestachelt, aber aufgestachelt von<br />

verlassen und s<strong>in</strong>d nicht mehr zu den Beratungen<br />

verteidigt zu werden und nur noch bestimmt <strong>in</strong> dem<br />

sich den Bestrebungen des Zentralvorstandes der<br />

Faktoren, <strong>die</strong> ausserhalb der Arbeiterbewegung, <strong>die</strong><br />

gekommen. Sie haben sich <strong>in</strong> der Praxis <strong>in</strong> ihrem<br />

Chaos <strong>die</strong>ser Revolution (...).“<br />

Jugendorganisation und des Genossen Platten, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />

<strong>in</strong> unserer Wirtschaftsordnung und namentlich <strong>in</strong><br />

eigenen Land <strong>in</strong> nichts von ihren Kollegen aus der<br />

Soldatenorganisation vorläufig für <strong>die</strong> Verbesserung<br />

den Bedrohung wurzeln, vor denen das arbeitende<br />

Zweiten Internationale unterschieden“, ist <strong>die</strong><br />

1917 kam es nicht nur <strong>in</strong>nerhalb der<br />

der Lage der Soldaten gebrauchen wollten. Sie behielt<br />

Volk haute ausnahmslos steht“, beschreibt das<br />

Me<strong>in</strong>ung Leonie Kaschers. <strong>Die</strong>se theoretischen<br />

Sozialdemokratischen Partei, sondern auch<br />

ihren re<strong>in</strong> revolutionären Charakter und entwickelte<br />

sozialdemokratische „Volksrecht“ <strong>die</strong> Versammlung.<br />

Thesen, welche <strong>die</strong> Bolschewiki den Zimmerwalder<br />

<strong>in</strong>nerhalb der Sozialistischen Jugendorganisation<br />

sich sehr rasch.“<br />

Aufgrund des grossen Erfolges <strong>die</strong>ser Aktion fand<br />

und Kientaler Konferenzen unterbreiteten, betrafen<br />

zu heftigen Ause<strong>in</strong>andersetzungen; es standen<br />

am nächsten Tag e<strong>in</strong>e weitere Kundgebung statt,<br />

hauptsächlich den Kampf gegen den Krieg und den<br />

sich e<strong>in</strong>e Gruppe um Jakob Herzog und Leonie<br />

3. Der Novemberaufstand 1917<br />

zu der mit folgendem Text mobilisiert wurde:<br />

Verrat der Zweiten Internationale.<br />

Kascher und e<strong>in</strong>e um Willi Münzenberg<br />

„Internationale Aktion der Arbeiter gegen Krieg.<br />

gegenüber. Erstere vertraten e<strong>in</strong>e L<strong>in</strong>ie, welche<br />

<strong>Die</strong> schweizerische Arbeiterklasse sah sich 1917<br />

Arbeiter, ersche<strong>in</strong>t <strong>in</strong> Massen! Es gilt <strong>die</strong> Tat! Es gilt<br />

„Nach der Versammlung hat man mich von allen<br />

militante Aktionen befürwortete und <strong>die</strong> Partei-<br />

nach drei Jahren Krieg nicht nur den widrigen<br />

zu wirken, geredet ist genug!“<br />

Seiten umr<strong>in</strong>gt und begonnen, mich über <strong>die</strong><br />

und Gewerkschaftsführung heftig kritisierte,<br />

Lebens- und Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen ausgesetzt,<br />

Perspektiven der Revolution <strong>in</strong> Russland zu befragen<br />

während letztere auf e<strong>in</strong> gutes Verhältnis mit<br />

sie hatte zu e<strong>in</strong>em gewissen Teil auch schon<br />

An jener Demonstration am 16. November 1917 kam<br />

– <strong>die</strong>ses Thema war von brennendem Interesse –<br />

der Sozialdemokratischen Partei und den<br />

Erfahrungen <strong>in</strong> Ause<strong>in</strong>andersetzungen mit der<br />

es erstmals zu Zusammenstössen mit der Polizei,<br />

man hat gefragt, wie Len<strong>in</strong> lebt und mir aufgetragen,<br />

Gewerkschaften ausgerichtet war und der deshalb<br />

Polizei gesammelt und sich zu e<strong>in</strong>em beträchtlichen<br />

als 27 Exponenten der Bewegung verhaftet wurden.<br />

ihn zu grüssen. Sie haben ihre Empörung anlässlich<br />

auch vorgeworfen wurde, opportunistisch zu se<strong>in</strong>.<br />

Teil <strong>in</strong> Parteien und Gewerkschaften organisiert.<br />

Unter den Verhafteten war auch Leonie Kascher; sie<br />

der spalterischen und verbrecherischen Rolle der<br />

Der Konflikt eskalierte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Machtkampf um<br />

Das E<strong>in</strong>treffen der Neuigkeit über <strong>die</strong> russischen<br />

rief nach Angaben der Staatsanwalts zur Revolution<br />

Zweiten Internationale im imperialistischen Krieg<br />

den Platzvorstand <strong>in</strong> Zürich; im Mai 1917 wurden<br />

Oktoberrevolution <strong>in</strong> Zürich befeuerte <strong>die</strong><br />

auf. Kascher wurde aber nur vorübergehend auf der<br />

geäussert. (...) E<strong>in</strong> alter Arbeiter trat heraus, se<strong>in</strong>e<br />

zwar Herzog – und durch Kooptation auch Leonie<br />

Stimmung <strong>in</strong> der Arbeiterschaft. <strong>Die</strong>s führte dazu,<br />

Kreiswache festgehalten und noch am gleichen Tag<br />

Augen schossen Blitze und er schüttelte <strong>die</strong> Fäuste:<br />

Kascher – <strong>in</strong> den Vorstand der Sozialistischen<br />

dass e<strong>in</strong>e Kundgebung der bekannten Pazifisten<br />

wieder entlassen. Emil und Maria Ackl<strong>in</strong>, ebenfalls<br />

‚<strong>Die</strong>se Verräter aus der Zweiten Internationale<br />

Jugendorganisation gewählt, jedoch bereits e<strong>in</strong>en<br />

Max Dättwyler und Max Rotter am Donnerstag, 15.<br />

Mitglieder der „Gruppe Forderung“ wurden auch<br />

haben uns, <strong>die</strong> Arbeiter, der Bourgeoisie verkauft.<br />

Monat danach wieder abgewählt. Mitte Oktober<br />

November 1917 zum Friedensdekret der Russischen<br />

vorübergehend verhaftet: Emil Ackl<strong>in</strong> entriss e<strong>in</strong>em<br />

Sie schauen gleichgültig darauf, wie das Proletariat<br />

entschieden sich dann <strong>die</strong> Revolutionäre um Jakob<br />

Räte auf grosses Beteiligung stiess. Leonie Kascher<br />

Polizisten den Säbel und rannte mit <strong>die</strong>sem davon,<br />

aus verschiedenen Ländern e<strong>in</strong>ander wegen den<br />

Herzog, <strong>die</strong> vierzehntäglich ersche<strong>in</strong>ende Zeitung<br />

berichtete über <strong>die</strong> politische Situation: „Was <strong>die</strong><br />

kam aber zu Fall. Den herbeigeeilten Polizisten, der<br />

Gew<strong>in</strong>nen der Kapitalisten und Imperialisten<br />

„Forderung“ herauszugeben – deshalb der Name<br />

Kommunisten erreicht haben, war, dass <strong>die</strong> Schweizer<br />

den Säbel wieder an sich reissen wollte, traktierte<br />

ermordet. Nieder mit der Zweiten Internationale!<br />

„Gruppe Forderung“. Kascher berichtet: „Ich muss<br />

Arbeiterschaft unter dem Druck der Verhältnisse,<br />

Maria mit Fusstritten.<br />

Teilen Sie Len<strong>in</strong> mit, dass es höchste Zeit ist, <strong>die</strong><br />

gestehen, klare Pr<strong>in</strong>zipien, e<strong>in</strong> klares Programm<br />

der Teuerung, der Unzufriedenheit und unter dem<br />

Dritte Internationale der Arbeiter und Bauern zu<br />

haben wir damals von der Zimmerwalder L<strong>in</strong>ken<br />

E<strong>in</strong>fluss der ansteckenden, begeisterten Bewegung<br />

Leonie Kascher beschrieb <strong>die</strong> Ereignisse <strong>in</strong> Zürich:<br />

gründen!‘ „<br />

nicht erhalten können. Man wollte e<strong>in</strong> klares<br />

<strong>in</strong> Russland ihre volle Solidarität mit der russischen<br />

„<strong>Die</strong>se Massen verlangten <strong>die</strong> Befreiung der am<br />

kommunistisches Programm schaffen, aber sowohl<br />

Revolution bekundete.“ An <strong>die</strong> Kundgebung, welche<br />

Vorabend verhafteten Arbeiter. (...) Der Reihe nach<br />

<strong>Die</strong> Zürcher Staatsanwaltschaft resümierte über<br />

<strong>die</strong> Zeit wie auch Schriften und Überlieferungen<br />

auf Weisung des Stadtrates nur <strong>in</strong> der Stadthalle<br />

kletterten <strong>die</strong> Redner auf <strong>die</strong> umgekippten Wagen<br />

den Ausgang des ausserordentlichen Parteitages der<br />

darüber fehlten. Im Jahre 1917 hat der Genosse<br />

stattf<strong>in</strong>den durfte, kamen so viele Arbeiter<strong>in</strong>nen<br />

h<strong>in</strong>auf und hielten kurze flammende Reden über <strong>die</strong><br />

SP: „Durch <strong>die</strong> Agitation der Russen (geme<strong>in</strong>t s<strong>in</strong>d<br />

Itschner zusammen mit e<strong>in</strong> paar anderen Genossen <strong>in</strong><br />

und Arbeiter, dass sie auf Druck der Anwesenden<br />

russische Revolution, über den Frieden, darüber, wie<br />

<strong>die</strong> russischen politischen Emigranten um Len<strong>in</strong>,<br />

der Schweiz e<strong>in</strong>e Zeitung ‚<strong>Die</strong> Forderung‘ gegründet<br />

doch noch auf dem Helvetiaplatz durchgeführt<br />

sich <strong>die</strong> schweizerische Demokratie zu den Söhnen<br />

Anmerkung der Redaktion) und der Zimmerwalder<br />

und <strong>die</strong>se begann, <strong>die</strong> schärfste Kritik gegenüber der<br />

wurde. Später zog man als Demonstrationszug vor<br />

und Töchtern verhält, über <strong>die</strong> Armut und Opfer der<br />

L<strong>in</strong>ken und <strong>die</strong> <strong>in</strong> Zürich ersche<strong>in</strong>ende, <strong>in</strong> deren<br />

Partei und Propaganda für das kommunistische<br />

<strong>die</strong> lokale Munitionsfabrik und setzte dort e<strong>in</strong>en<br />

Arbeitermassen. <strong>Die</strong> r<strong>in</strong>gsum stehenden Polizisten<br />

<strong>Die</strong>nst stehende Parteipresse, auf den Ausbruch der<br />

Programm unter der Arbeiterschaft zu führen.<br />

Produktionsunterbruch durch. „Wer von unseren<br />

haben <strong>die</strong> Redner festgenommen und fortgeführt, und<br />

sozialistischen Revolution bei uns vorbereitet, unter<br />

Auch hatte im Sommer 1917 Genosse Herzog e<strong>in</strong>e<br />

Gegnern <strong>die</strong> gestrige mächtige Arbeiterversammlung<br />

wir, <strong>die</strong> daneben standen, haben sie verteidigt, <strong>in</strong>dem<br />

der Depression der wirtschaftlichen Verhältnisse<br />

Soldatenorganisation gegründet. <strong>Die</strong>se Organisation<br />

<strong>in</strong> der Stadthalle <strong>in</strong> Zürich miterlebt hätte, wäre wohl<br />

wir <strong>die</strong> Zielscheibe für <strong>die</strong> Polizeigummiknüppel<br />

leidend und dadurch verbittert, sah <strong>die</strong> Masse nun<br />

hatte den Zweck, unter den Soldaten der Armee<br />

oder übel <strong>in</strong> den Fall gekommen, se<strong>in</strong>e Auffassung,<br />

waren. Nichts konnte <strong>die</strong> Auftretenden stoppen.<br />

22<br />

23


E<strong>in</strong> Genosse wechselte den anderen ab, und man<br />

und im E<strong>in</strong>verständnis mit den Behörden der Stadt<br />

sprach über den grossen Len<strong>in</strong>, der der Inspirator<br />

und des Kantons Zürich e<strong>in</strong> Infanterie-Regiment von<br />

der Oktoberrevolution und der Begründer des ersten<br />

der Front nach Zürich beordert und ausserdem drei<br />

Staates der Arbeiter und Bauern <strong>in</strong> der Welt war, der<br />

Dragoner-Schwadronen aufgeboten worden s<strong>in</strong>d und<br />

der Welt den Frieden gebracht hat.<br />

<strong>die</strong> Sorge für <strong>die</strong> öffentliche Sicherheit auf dem Platze<br />

Aus den Polizeikordons liefen Polizisten heraus<br />

Zürich an <strong>die</strong> Militärgewalt übertragen werden<br />

und begannen auf uns zu schiessen. Wir brachen<br />

Ste<strong>in</strong>e aus dem Pflaster und warfen damit auf <strong>die</strong><br />

Polizisten. ‚Auf <strong>die</strong> Barrikaden!‘ – ertönte der Ruf.<br />

Aus den umgekippten Wagen und Ste<strong>in</strong>en haben<br />

wir Barrikaden gebaut, <strong>die</strong> Frauen haben von<br />

irgendwoher mit Sand gefüllte Säcke und Fässer<br />

gebracht. So hat das unbewaffnete Volk der Reaktion<br />

Widerstand geleistet. (...)<br />

Am Morgen, mit blauen Flecken und zerrissenem<br />

Kleid, geriet ich <strong>in</strong> <strong>die</strong> gleiche Polizeistelle, <strong>in</strong> der<br />

unsere Genossen schmachteten. Sie sassen ruhig und<br />

stolz da. E<strong>in</strong>ige von ihnen haben den jungen Polizisten<br />

musste“, stellt e<strong>in</strong> Militärgericht zu den Ereignissen<br />

fest. Dass <strong>die</strong> Schweizer Armee e<strong>in</strong>gesetzt werden<br />

musste, und dass der General selbst den Entscheid<br />

zur Aussendung des Militärs gab, zeigt, wie mächtig<br />

<strong>die</strong> Demonstrationen waren.<br />

Am 17. November 1917 wurde erneut zu e<strong>in</strong>er<br />

Demonstration auf dem Helvetiaplatz <strong>in</strong> Zürich<br />

aufgerufen, wieder erschienen Tausende, unter<br />

ihnen viele Frauen. Vom Helvetiaplatz bewegte<br />

sich e<strong>in</strong> Demonstrationszug <strong>in</strong> Richtung des<br />

Verlagsgebäudes der Neuen Zürcher Zeitung,<br />

um gegen deren hetzerische Berichterstattung<br />

Szenen vom Novemberaufstand Zürich 1917<br />

den Charakter der schweizerischen Freiheiten erklärt.<br />

<strong>Die</strong> Führer der Arbeiter, <strong>die</strong> Funktionäre der<br />

Gewerkschaften, <strong>die</strong> sozialdemokratischen<br />

Deputierten konnte man auf dem Helvetiaplatz<br />

nicht sehen. Am anderen Tag schrieb man <strong>in</strong><br />

den sozialdemokratischen Zeitungen über wilde<br />

Kasakenausfälle der Polizei- und Militärtruppen. Sie<br />

schrieben: ‚Man will brüllen und we<strong>in</strong>en wenn man<br />

<strong>die</strong>se zahlreichen Opfer und <strong>die</strong> Brutalität unserer<br />

Mächte sieht.‘“„<br />

<strong>Die</strong> Polizei war mit der Situation überfordert,<br />

so dass das Militär zur Verstärkung nach Zürich<br />

beordert wurde: „In den Tagen des 15. bis 18.<br />

November 1917 fanden <strong>in</strong> Zürich Kundgebungen<br />

zugunsten e<strong>in</strong>es gewaltsamen Friedens und gegen <strong>die</strong><br />

Munitionsfabriken statt (...). <strong>Die</strong>se Demonstrationen<br />

arteten <strong>in</strong> eigentliche Unruhen und <strong>in</strong> Revolten gegen<br />

<strong>die</strong> Polizei aus, sodass, nachdem sich <strong>die</strong> Ohnmacht<br />

der Zugezogenen Stadt- und Kantonspolizei und<br />

der herbeigerufenen Landsturm-Kompagnie 11/57,<br />

sowie der Infanterie-Medailleur-Rekruten-Kompanie<br />

5 erwiesen hatte, am Morgen des 18. November 1917<br />

vom General auf Ansuchen des Platzkommandos<br />

24<br />

um <strong>die</strong> vorangegangenen Demonstrationen zu<br />

protestieren. Auch Leonie Kascher nahm daran<br />

teil. Als <strong>die</strong> Demonstration über <strong>die</strong> Badenerstrasse<br />

<strong>in</strong>s Quartier Aussersihl zurückkehrte, kam es zu<br />

Strassenkämpfen mit der Polizei. Gegen 10 Uhr<br />

hatten <strong>die</strong>se dann e<strong>in</strong>e solche Heftigkeit erreicht,<br />

dass Militäre<strong>in</strong>heiten – <strong>die</strong> Platzwachtkompanie<br />

und Infanterierekruten – zugezogen wurden.<br />

An der Ecke Badener-/Zweierstrasse wurde von<br />

den demonstrierenden Arbeitern e<strong>in</strong>e Barrikade<br />

errichtet; an <strong>die</strong>ser Stelle befand sich e<strong>in</strong>e Baustelle.<br />

Auch Leonie Kascher stand an der Barrikade. Das<br />

Militär räumte <strong>die</strong> Barrikade weg und platzierte<br />

zwei Masch<strong>in</strong>engewehre<strong>in</strong>heiten der Rekruten.<br />

Maria Ackl<strong>in</strong>, ebenfalls e<strong>in</strong> Mitglied der „Gruppe<br />

Forderung“, versuchte, <strong>die</strong> Rekruten – zum<br />

grossen Teil wohl auch Arbeiter – vom Gebrauch<br />

der Schusswaffe abzuhalten: „<strong>Die</strong> Angeklagte<br />

Nr. 2, Frau Ackl<strong>in</strong>, zusammen mit anderen<br />

Frauenpersonen, unter anderem der dann von der<br />

Polizei verhafteten Frau Rosa Bloch, machte sich an<br />

<strong>die</strong> ihre Masch<strong>in</strong>engewehre be<strong>die</strong>nenden Rekruten<br />

heran, redete auf <strong>die</strong>selben e<strong>in</strong> und versuchte<br />

sie, vor der Erfüllung ihrer militärischen Pflicht,<br />

<strong>in</strong>sbesondere der Pflicht zum eventuellen Gebrauch<br />

der Schusswaffe abzuhalten, <strong>in</strong>dem sie zu ihnen sagte:<br />

Sie (<strong>die</strong> Rekruten) hatten doch gewiss auch Brüder<br />

und Schwestern, sie (<strong>die</strong> Demonstranten) seien<br />

Schwestern und Brüder, wie sie (<strong>die</strong> Rekruten) solche<br />

zuhause hätten, sie (<strong>die</strong> Rekruten) sollten nicht auf sie<br />

(<strong>die</strong> Demonstranten) schiessen, wenn dazu der Befehl<br />

erteilt würde. <strong>Die</strong> Mitrailleur-Rekruten wurden dann<br />

bald nachher, nachdem sich <strong>die</strong> Tumultanten etwas<br />

zerstreut hatten, zurückgenommen und kehrten <strong>in</strong><br />

<strong>die</strong> Kaserne zurück, mussten aber nach Mitternacht<br />

wiederum zur Unterstützung der bedrängten<br />

Polizei zu Hülfe gerufen werden.“In <strong>die</strong>ser Nacht<br />

starben vier Personen – drei Demonstranten und<br />

e<strong>in</strong>e Unbeteiligte. <strong>Die</strong> Stimmung war äusserst<br />

angespannt.<br />

Am nächsten Tag, am 18. November, waren <strong>die</strong><br />

Arbeiterquartiere Zürich unter militärischer<br />

Besatzung. <strong>Die</strong> eidgenössischen Truppen bewachten<br />

alle strategisch wichtigen Stellen. <strong>Die</strong> „Gruppe<br />

Forderung“, unter ihnen auch Leonie Kascher, traf<br />

sich sogleich um 11 Uhr und beschloss, Flugblätter<br />

an <strong>die</strong> Soldaten zu verteilen. Noch am selben Abend<br />

g<strong>in</strong>gen <strong>die</strong>se <strong>in</strong> Druck. Am Montag, 19. November,<br />

wurden <strong>die</strong> Flugblätter an <strong>die</strong> Soldaten abgegeben:<br />

„Schweizer Soldaten!“, steht im Aufruf, „Wieder<br />

hat der Staat euch aufgeboten, um <strong>die</strong> bedrohte<br />

‚Ordnung‘ zu stützen. Man sagt euch, <strong>die</strong> Unruhen<br />

der letzten Tage seien verursacht von roten Hetzern<br />

und Wühlern; <strong>die</strong> Kapitalistenblätter sprechen von<br />

Ges<strong>in</strong>del, Radaubrüdern, das ihr Mores lehren sollt.“<br />

Es versucht, <strong>die</strong> Ereignisse den Soldaten zu erklären:<br />

„Leute aus allen Parteien haben sich daran beteiligt,<br />

neben den Fabrikarbeitern sah man Bundesbahner,<br />

Beamte und Angestellte. Besonders zahlreich waren<br />

<strong>die</strong> Frauen da. Sie alle s<strong>in</strong>d auf <strong>die</strong> Strasse gegangen,<br />

weil <strong>die</strong> wachsende Not, <strong>die</strong> furchtbare Ausbeutung<br />

durch Kapitalisten, Schieber und Wucherer ihnen<br />

kaum mehr <strong>die</strong> Möglichkeit lässt, den nackten Hunger<br />

zu stillen. Sie demonstrierten, weil sie wissen, dass<br />

unsere Regierung nichts Ernsthaftes gegen <strong>die</strong> Not<br />

tut, nichts tun will. (...) Deshalb gibt es nur e<strong>in</strong> Mittel,<br />

<strong>die</strong> Not zu l<strong>in</strong>dern: <strong>die</strong> alte Herrenregierung muss<br />

durch e<strong>in</strong>e Volksregierung ersetzt werden. Unsere<br />

Behörden s<strong>in</strong>d fast aus lauter Hablichen und Reichen<br />

zusammengesetzt. Unser Nationalrat ist eher e<strong>in</strong><br />

Kapitalistenrat. Erst wenn ke<strong>in</strong>e Kapitalistenräte,<br />

25


sondern Arbeiterräte regieren, dann wird man <strong>die</strong> Not<br />

Bauerntruppen <strong>in</strong> <strong>die</strong> Städte e<strong>in</strong>bezogen, liessen<br />

Plätzen, <strong>in</strong> den Fabriken und <strong>in</strong> der Armee haben<br />

Zentristen und verschiedenen Opportunisten<br />

der Armen mit dem Überfluss der Reichen l<strong>in</strong>dern.<br />

sie auf <strong>die</strong> Menschen stürzen mit dem Befehl, aus<br />

<strong>die</strong> Arbeiter und Soldaten <strong>die</strong> Räte gewählt, aber es<br />

haben <strong>die</strong> Leitung erobert, um auf <strong>die</strong>se Weise im<br />

Das wollten <strong>die</strong> Demonstranten <strong>in</strong> Aussersihl, nichts<br />

kle<strong>in</strong>stem Anlass zu schiessen. <strong>Die</strong> Vertreter der<br />

gab ke<strong>in</strong>e Führung <strong>in</strong> <strong>die</strong>sen aktiven Handlungen.<br />

Interesse der Bourgeoisie zu handeln, <strong>die</strong> ihnen<br />

anderes. Und zum Schutze der Kapitalisten hat man<br />

Arbeiter <strong>in</strong> den Parlamenten und Kommunen<br />

<strong>Die</strong> Massen lauschten unseren Losungen, forderten<br />

<strong>die</strong> Bed<strong>in</strong>gungen diktierte. Es wurde das bekannte<br />

jetzt Euch Soldaten aufgeboten. Soldaten, Bürger<br />

haben ohne sich zu schämen <strong>die</strong>se Massnahmen<br />

Aktionen. Man konnte nicht weiter abwarten. So<br />

Oltener Komitee gebildet – Zentrum der Bewegung<br />

der freien Schweiz! Glaubt es nicht, wenn man Euch<br />

nicht verh<strong>in</strong>dert, manchmal sogar unterstützt. Auf<br />

versammelten wir e<strong>in</strong>e mittelgrosse Gruppe von<br />

des Landes, das dem allgeme<strong>in</strong>en Streik 1918 beitrat.<br />

sagt, dass wir e<strong>in</strong>e Bande von Bösewichten seien.<br />

den Strassen herrschten Riemenpeitsche, Säbel,<br />

Vertretern aus verschiedenen Organisationen<br />

<strong>Die</strong> Novembertage <strong>die</strong>ses Jahres zeichneten sich<br />

Wir wollen Freiheit und Brot für alle. Nicht Euch,<br />

Masch<strong>in</strong>engewehr.“<br />

zwecks Wahlen e<strong>in</strong>es Organisationskomitees für<br />

durch noch härtere Kämpfe aus. Es gab noch mehr<br />

Soldaten, hassen wir. Auch Ihr seid Besitzlose, arme<br />

<strong>die</strong> Gründung der kommunistischen Partei und der<br />

Opfer. <strong>Die</strong> aufgestandenen Massen, vom Umfang<br />

Teufel, Proletarier im Waffenrock. Unsere Sache ist<br />

4. Landesstreik 1918<br />

Ausarbeitung der Plattform für <strong>die</strong> Diskussion des<br />

und Ausmass begeistert, haben beharrlich ihre<br />

auch Euere Sache.“ Das Flugblatt schloss mit e<strong>in</strong>em<br />

Parteiprogramms. E<strong>in</strong>e solche Plattform war von mir<br />

ökonomischen Forderungen gestellt: Erhöhung des<br />

Appell, welches – wäre ihm nachgekommen worden<br />

Während Kascher im Gefängnis sass, überschlugen<br />

<strong>in</strong> Form von Thesen ausgearbeitet und zur Behandlung<br />

Arbeitslohns, Reduzierung der Preise, Verkürzung<br />

– das Ende der kapitalistischen Wirtschaftsordnung<br />

sich <strong>die</strong> Ereignisse <strong>in</strong> der Schweiz. „E<strong>in</strong> Streik nach<br />

<strong>in</strong> der erweiterten Beratung vorgelegt worden. <strong>Die</strong>se<br />

des Arbeitstages, Vernichtung der Militärspekulation<br />

<strong>in</strong> der Schweiz hätte bedeuten können: „Wenn<br />

dem anderen fand statt und es gab Zusammenstösse<br />

Aufgabe war nicht so leicht zu erfüllen, da ich fast<br />

und Krieg dem Krieg .<br />

Soldaten und Arbeiter zusammenhalten, dann hat<br />

mit den Gendarmen an den Barrikaden. <strong>Die</strong><br />

ke<strong>in</strong>e Materialien hatte. Zeitungen aus Russland<br />

das Reich des kapitalistischen Blutgeldsackes e<strong>in</strong><br />

Situation führte zum grandiosen Landesstreik von<br />

erhielt ich nicht, und ich hatte ke<strong>in</strong>en, den ich fragen<br />

Während des Generalstreiks begann das Oltener<br />

Ende. Dann hat Krieg und Elend e<strong>in</strong> Ende. Dann<br />

1918“, berichtete Kascher. „In der Schweiz, dem<br />

und bei dem ich lernen konnte. Ich richtete mich nur<br />

Komitee, <strong>die</strong> Positionen aufzugeben. Entlarvt haben<br />

kommt e<strong>in</strong>e schönere Zeit, wo jeder Mensch gleiches<br />

kle<strong>in</strong>en, aber <strong>in</strong>dustriell entwickelten Land, waren<br />

danach, was ich e<strong>in</strong>st von Len<strong>in</strong> erfahren hatte und<br />

sich Grimm und se<strong>in</strong>e Helfershelfer, <strong>die</strong> Zentristen.<br />

Recht auf Freiheit, und Brot hat. Soldaten helft uns,<br />

<strong>die</strong> Werktätigen von den Ideen Len<strong>in</strong>s begeistert<br />

worüber me<strong>in</strong>e Genossen aus den Nachbarländern<br />

Platten, als Leiter der L<strong>in</strong>ken, hat aus Protest das<br />

nicht den Kapitalisten! – <strong>Die</strong> Demonstranten.“ Am<br />

und vom Geist der ersten Revolution <strong>in</strong> Russland<br />

geschrieben haben: aus Deutschland, Österreich und<br />

Komitee verlassen. <strong>Die</strong> Arbeitermassen blieben ohne<br />

selben Tag wurde Leonie Kascher im Büro der<br />

durchdrungen. Sie haben feurig auf <strong>die</strong> Revolution<br />

Holland. Ich er<strong>in</strong>nerte mich besonders an <strong>die</strong> Worte<br />

Führung Auge <strong>in</strong> Auge mit dem Verrat ihrer Vertreter.<br />

Sozialistischen Jugendorganisation verhaftet.<br />

reagiert, freilich spontan, unorganisiert, weil <strong>die</strong><br />

von Len<strong>in</strong>, dass man von den Massen lernen, den<br />

Gleich darauf fügten sie sich den Anforderungen der<br />

Im eigentlichen S<strong>in</strong>ne handelte es sich beim Flugblatt<br />

revolutionäre Partei <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Zeit erst zur Welt kam.<br />

Massen zuhören muss.<br />

Kapitalisten. In Zürich jedoch haben sie den Streik<br />

um e<strong>in</strong>en Aufruf an <strong>die</strong> Soldaten, <strong>die</strong> Waffen zu<br />

1918 kam der Moment, wo <strong>die</strong> getrennten Aktivisten<br />

nicht aufgegeben.<br />

wenden, nicht mehr auf <strong>die</strong> Arbeiter<strong>in</strong>nen und<br />

<strong>in</strong> den verschiedenen Parteiorganisationen dr<strong>in</strong>gend<br />

<strong>Die</strong> Hauptpunkte <strong>in</strong> den Thesen waren: Kontrolle der<br />

Arbeiter, sondern auf <strong>die</strong> Kapitalisten zu richten<br />

<strong>die</strong> Vere<strong>in</strong>igung und e<strong>in</strong>e klare politische Plattform<br />

Produktion seitens der Arbeiter und Vertretungen<br />

In den Werken, auf den Plätzen, an den Kundgebungen<br />

– den Aufruf zu e<strong>in</strong>er bewaffneten Revolution.<br />

verlangten. <strong>Die</strong>s sollte dazu führen, <strong>die</strong> Parteiarbeit<br />

<strong>in</strong> der Leitung der Unter<strong>nehmen</strong>, Beschlagnahme<br />

wurden <strong>die</strong> Räte der Arbeiter gewählt. Ihnen schlossen<br />

Dementsprechend heftig war auch <strong>die</strong> Reaktion<br />

völlig zu klären und sich organisierter <strong>in</strong> den<br />

und Nationalisierung der Banken (eben war der<br />

sich <strong>die</strong> Räte der Soldaten an, <strong>die</strong> früher <strong>in</strong> den Truppen<br />

des Staates. Alle an der Produktion des Flugblattes<br />

vorhandenen Kämpfen zwischen der Arbeiterklasse<br />

allgeme<strong>in</strong>e Streik von Bankangestellten) und der<br />

gewählt worden waren. Auf den Strassen erschienen<br />

beteiligten – <strong>in</strong>sbesondere der Drucker, welcher<br />

und dem Kapital vorwärts zu bewegen. Es<br />

grossen <strong>in</strong>dustriellen Betriebe, Bodenreform, Wahlen<br />

<strong>die</strong> Losungen von ganz politischem Charakter. Vom<br />

ke<strong>in</strong>e politische Absichten verfolgte – wurden<br />

kam <strong>die</strong> Zeit, wo <strong>in</strong> verschiedenen Ländern <strong>die</strong><br />

der Räte von Arbeitern, Bauern und Soldaten und<br />

Verrat der Opportunisten tief erschüttert, verfluchten<br />

verhaftet und an e<strong>in</strong>em Militärgericht der Meuterei<br />

kommunistischen Parteien entstanden.<br />

andere. <strong>Die</strong> Plattform wurde angenommen und das<br />

<strong>die</strong> Massen das System des Kapitalismus, dessen<br />

angeklagt. Im Januar 1918 erfolgte das Urteil: Leonie<br />

Organisationskomitee gewählt.“<br />

falsche Demokratie und dessen Parlament, das man<br />

Kascher wurde zu vier Monaten Haft verurteilt,<br />

Bei uns <strong>in</strong> Zürich war <strong>die</strong> Lage bezüglich den<br />

jetzt Schwatzbude nannte. Es ertönten <strong>die</strong> Ausrufe:<br />

welche sie nach ihrer eigenen Angaben <strong>in</strong> strenger<br />

Parteikadern katastrophal. Alle hervorragenden Leiter<br />

Mit dem Landesstreik vom 11. bis zum 14.<br />

‚Wollen wir <strong>die</strong> Räte der Arbeiter, Bauern und<br />

E<strong>in</strong>zelhaft verbrachte.<br />

der revolutionär e<strong>in</strong>gestellten Gruppen, Parteien,<br />

November 1918 kam es <strong>in</strong> der Schweiz zu der<br />

Soldaten wählen, wie <strong>in</strong> Russland? Nehmen wir <strong>die</strong><br />

Gewerkschaften und anderen Organisationen<br />

besonderen Situation, dass sich e<strong>in</strong>e breite Masse<br />

Macht <strong>in</strong> unsere <strong>Hände</strong>!‘“<br />

Heftige Kritik übte Leonie Kascher denn auch<br />

waren verhaftet, unter ihnen der erprobte Leiter<br />

mobilisieren liess, welche aber aufgrund der<br />

am passiven Verhalten der sozialdemokratischen<br />

der Zürcher Arbeiter Jakob Herzog. <strong>Die</strong> l<strong>in</strong>ke Seite<br />

reformistischen Politik der Streikleitung, dem<br />

Das Verhalten des Oltener Komitees führte <strong>in</strong> der<br />

Führung während der Ereignisse vom November<br />

der sozialdemokratischen Partei mit Platten an der<br />

Oltener Komitee, nicht genutzt wurde: „<strong>Die</strong> Arbeiter<br />

Folge zur Gründung der Kommunistischen Partei<br />

1917: „<strong>Die</strong> örtlichen Mächte haben alle Mittel<br />

Spitze hat während der stürmischen Ereignisse und<br />

kämpften heroisch. Letzten Endes haben sie ihre<br />

der Schweiz durch <strong>die</strong> „Gruppe Forderung“. Ihren<br />

des Kampfes gegen <strong>die</strong> Massen konzentriert und<br />

des allgeme<strong>in</strong>en Streiks e<strong>in</strong>e abwartende Position<br />

Führung gezwungen, an der Spitze der Bewegung<br />

Genoss<strong>in</strong>nen und Genossen berichtete Leonie<br />

angewendet. Sie haben e<strong>in</strong>e grosse Menge von<br />

e<strong>in</strong>genommen. In den Kundgebungen, auf den<br />

zu stehen. <strong>Die</strong> gewerkschaftlichen Bürokraten,<br />

Kascher am Gründungskongress der Kom<strong>in</strong>tern:<br />

26<br />

27


„Wir sahen das jämmerliche Zusammenklappen des<br />

gezeigt, dass e<strong>in</strong>e weitere Zusammenarbeit mit<br />

regionalen kommunistischen Kampfgruppen, <strong>die</strong><br />

zwischen Revolutionäre und Opportunisten<br />

Oltener Komitees voraus und bekämpften es vom<br />

ihnen nicht mehr möglich war. Es fand e<strong>in</strong>e grosse<br />

sich im Mai 1919 zur Kommunistischen Partei<br />

<strong>in</strong> dem S<strong>in</strong>ne entschieden wurde, dass e<strong>in</strong>e<br />

ersten Tag an. Mit uns g<strong>in</strong>g e<strong>in</strong> beträchtlicher Teil<br />

öffentliche Versammlung statt: <strong>die</strong> Gründung e<strong>in</strong>er<br />

der Schweiz vere<strong>in</strong>igten arbeitete Leonie Kascher<br />

organisatorische Trennung stattfand. Sie wurde am<br />

der Arbeiterschaft. Zu <strong>die</strong>ser Zeit erklärten wir, dass<br />

Kommunistischen Partei wurde beschlossen.“<br />

<strong>in</strong>tensiv an der Positionsf<strong>in</strong>dung. Im Zentrum<br />

Gründungskongress beschlossen:<br />

<strong>die</strong> Zeit des Parlamentarismus vorbei sei, dass wir<br />

stand <strong>die</strong> Forderung, nach der mit dem Aufbau<br />

nichts mehr von <strong>die</strong>ser bürgerlichen Institution zu<br />

Obwohl <strong>die</strong> Organisation äusserst vorsichtig und<br />

von ArbeiterInnen- und Soldatenräten unmittelbar<br />

„<strong>Die</strong> Zimmerwalder und Kienthaler Konferenzen<br />

erwarten hätten. Wir haben damals jede Möglichkeit<br />

klandest<strong>in</strong> arbeitete, wurde Leonie Kascher e<strong>in</strong><br />

begonnen werden sollte – auch als Konsequenz des<br />

hatten zu der Zeit Bedeutung, <strong>in</strong> der es wichtig<br />

der Mitarbeit an der Parteipresse verloren.<br />

zweites Mal verhaftet. Am Abend zuvor war es ihr<br />

opportunistischen Verrats des Generalstreiks, dass<br />

war, alle <strong>die</strong>jenigen Elemente des Proletariats zu<br />

Sogar Versammlungsannoncen wurden von dem<br />

noch gelungen, e<strong>in</strong>em Genossen ihren Entwurf<br />

neue Zeiten auch neue Kampfformen erforderten.<br />

vere<strong>in</strong>igen, welche bereit waren, <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser oder<br />

‚Volksrecht‘ nicht mehr aufgenommen, wir mussten<br />

der Plattform der Kommunistischen Partei der<br />

<strong>Die</strong>se L<strong>in</strong>ie, <strong>die</strong> auch im Programm der KPS<br />

jener Form gegen das imperialistische Morden<br />

Handzettel <strong>in</strong> den Fabriken persönlich verteilen.<br />

Schweiz zu übergeben – es sollte als Flugblatt für<br />

zum Ausdruck kam, entwickelte Leonie Kascher<br />

zu protestieren. Aber <strong>in</strong> <strong>die</strong> Zimmerwalder<br />

Auch <strong>die</strong> Soldatenorganisationen wurden verfolgt.<br />

<strong>die</strong> Streikenden verwendet werden.<br />

ebenfalls <strong>in</strong> ihrer Rede am Gründungskongress der<br />

Vere<strong>in</strong>igung s<strong>in</strong>d zusammen mit ganz entschieden<br />

Man musste geheim arbeiten, man wurde bespitzelt.<br />

Kommunistischen Internationale.<br />

kommunistischen Elementen auch Elemente des<br />

Es machte sich auch unter den kommunistischen<br />

„Wie angenehm erstaunt war ich, als ich e<strong>in</strong>ige Zeit<br />

‚Zentrums‘, pazifistische und schwankende Elemente<br />

Gruppen e<strong>in</strong> immer stärkeres Verlangen geltend,<br />

später während e<strong>in</strong>es der Verhöre <strong>in</strong> der Hand des<br />

In den L<strong>in</strong>ienkämpfen zwischen opportunistischen<br />

e<strong>in</strong>getreten. <strong>Die</strong>se Elemente des Zentrums, wie das <strong>die</strong><br />

dass man zur Trennung schreiten sollte. Da kam e<strong>in</strong><br />

Untersuchungsführers das frisch gedruckte Flugblatt<br />

und revolutionären Strömungen <strong>in</strong>nerhalb der<br />

Berner Konferenz zeigte, verb<strong>in</strong>den sich jetzt mit den<br />

Moment, wo <strong>die</strong> Trennung tatsächlich notwendig<br />

mit dem Titel ‚Manifest der Kommunistischen Partei<br />

L<strong>in</strong>ken – sei es <strong>in</strong> der Schweiz oder auf <strong>in</strong>ternationaler<br />

Sozialpatrioten zum Kampf gegen das revolutionäre<br />

wurde. Es war im Oktober 1918, nach dem<br />

der Schweiz‘ sah, welches mir der Untersuchungsführer<br />

Ebene – bezog Leonie Kascher stets klar Position.<br />

Proletariat und nutzen auf <strong>die</strong>se Weise das Banner<br />

Bankangestelltenstreik <strong>in</strong> Zürich. Der e<strong>in</strong>mütige<br />

mit den Worten reichte: ‚Haben Sie das geschrieben?‘<br />

In den Anfangsjahren, <strong>in</strong> welchen Leonie Kascher<br />

von Zimmerwald im Interesse der Reaktion aus. Zu<br />

Sympathiestreik der Zürcher Arbeiter hatte sicher<br />

(...) Nach den wiederholten Verhaftungen hat mich<br />

<strong>in</strong> der Schweiz aktiv war, war <strong>die</strong> revolutionäre<br />

derselben Zeit ist <strong>die</strong> kommunistische Strömung <strong>in</strong><br />

nicht nur den Zweck, <strong>die</strong> paar ausbleibenden, besser<br />

<strong>die</strong> Regierung als Ausländer<strong>in</strong> aus der Schweiz<br />

Strömung relativ schwach, obwohl sie auf relativ<br />

e<strong>in</strong>er ganzen Reihe von Ländern erstarkt, und der<br />

gesagt, verspäteten Unterschriften der Bankherren<br />

ausgewiesen und mir erlaubt, mit dem Zug für<br />

grosse Zustimmung <strong>in</strong> der Arbeiterschaft stiess,<br />

Kampf mit den Elementen des Zentrums, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />

e<strong>in</strong>zuholen, sondern er war e<strong>in</strong>e elementare<br />

russische politische Emigranten auszureisen. Ich<br />

wie <strong>die</strong> Ereignisse im November 1917 zeigten. <strong>Die</strong><br />

Entwicklung der sozialen Revolution hemmen, ist<br />

Entladung der Spannung, welche seit Monaten <strong>in</strong><br />

wurde mit e<strong>in</strong>er Eskorte mit dem Zug zur Grenze<br />

Situation änderte sich nach der Oktoberrevolution<br />

e<strong>in</strong>e der dr<strong>in</strong>gendsten Aufgaben des revolutionären<br />

Zürich herrschte und der das Streben zugrunde lag,<br />

gebracht.“<br />

jedoch schnell: In der Schweiz dauerte es zwar<br />

Proletariats geworden. <strong>Die</strong> Zimmerwalder<br />

für den Achtstundentag e<strong>in</strong>en kantonalen Streik<br />

bis 1921, bis sich <strong>die</strong> Forderung Kaschers<br />

Vere<strong>in</strong>igung hat sich überlebt. Alles, was wirklich<br />

durchzuführen. Für <strong>die</strong> Arbeiterunion Zürich und <strong>die</strong><br />

<strong>Die</strong> Ausweisung durch den Bundesrat führte sie<br />

durchsetzte, dass sich <strong>die</strong> Parteil<strong>in</strong>ke <strong>in</strong>nerhalb der<br />

revolutionär <strong>in</strong> der Zimmerwalder Vere<strong>in</strong>igung war,<br />

Streikführer dagegen, <strong>die</strong> Genossen Platten und Küng,<br />

nach Moskau – wo eben <strong>die</strong> Vorbereitungen für<br />

Sozialdemokratischen Partei von <strong>die</strong>ser abspalten<br />

geht <strong>in</strong> <strong>die</strong> Kommunistische Internationale über.“<br />

war <strong>die</strong> Bewegung e<strong>in</strong> Mittel, um <strong>die</strong> Bankangestellten<br />

den Gründungskongress der Kommunistischen<br />

solle und e<strong>in</strong>e revolutionäre kommunistische<br />

<strong>in</strong> <strong>die</strong> Organisation zu br<strong>in</strong>gen (was ihnen gar nicht<br />

Internationale anliefen.<br />

Partei gründen solle; am Weltkongress der Dritten<br />

gelungen ist: <strong>die</strong> Bankangestellten haben während<br />

Internationale konnten sich aber <strong>die</strong> revolutionären<br />

des Generalstreiks nicht mitgemacht). <strong>Die</strong> empörte,<br />

5. Das Erbe von Zimmerwald<br />

Kräfte gegen <strong>die</strong> Opportunisten durchsetzen<br />

aufgeregte Menge stimmte dem Vorschlag des<br />

und <strong>die</strong> Kommunistische Internationale<br />

Genossen Herzog, weiter für den Achtstundentag zu<br />

Das Manifest der Zimmerwalder L<strong>in</strong>ken, <strong>die</strong> mit<br />

wurde als revolutionärer Kontrapunkt zur<br />

streiken, e<strong>in</strong>stimmig zu, war aber <strong>in</strong>folge des scharfen<br />

der These der Bolschewiki von der Umkehrung des<br />

alten, reformistischen Zweiten Internationale<br />

Widerstandes der Delegiertenversammlung und der<br />

imperialistischen Krieges <strong>in</strong> den revolutionären<br />

gegründet. Aufgrund von objektiven Faktoren –<br />

Arbeiterunion am folgenden Tag nicht erschienen.<br />

Bürgerkrieg <strong>die</strong> Machtfrage <strong>in</strong>s Zentrum der<br />

Oktoberrevoution <strong>in</strong> Russland, Ende des Ersten<br />

<strong>Die</strong>se Sonderaktion der ‚Forderungs‘-Leute wurde<br />

politischen Ause<strong>in</strong>andersetzungen rückte und daher<br />

Weltkriegs, Umsturz <strong>in</strong> Deutschland – war <strong>die</strong><br />

öffentlich verpönt, der Genosse Herzog und andere<br />

mit dem Reformismus der Zweiten Internationale<br />

revolutionäre L<strong>in</strong>ie erstarkt.<br />

aus der Partei ausgeschlossen, <strong>die</strong> Gruppen scharf<br />

brach, hatte für den revolutionären Teil der<br />

getadelt.<br />

schweizerischen ArbeiterInnenbewegung e<strong>in</strong>en<br />

<strong>Die</strong> Dritte Internationale trat dann auch das Erbe<br />

entscheidenden E<strong>in</strong>fluss. In der „Gruppe Forderung“<br />

der Zimmerwalder L<strong>in</strong>ken an, welche sich an jenem<br />

<strong>Die</strong>se Stellungnahme der Partei<strong>in</strong>stanzen hat<br />

und der daraus entstandenen verschiedenen<br />

Kongress für aufgelöst erklärte, da der L<strong>in</strong>ienkampf<br />

28<br />

29


Jüdische Widerstandskämpfer<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> Warschau 1943<br />

In Er<strong>in</strong>nerung an Fela Kascher (Helena Russezka)<br />

Fela Kascher<br />

Alle drei Schwestern Leonie Kaschers waren politisch<br />

als kommunistische Revolutionär<strong>in</strong>nen<br />

aktiv.<br />

Felicia – oder Fela – Kaszer wurde im Januar<br />

1896 <strong>in</strong> Warschau im vom russischen Zarenreich<br />

besetzten Polen geboren. Sie schloss sich <strong>in</strong> den<br />

1920er Jahren der illegalen kommunistischen<br />

Bewegung <strong>in</strong> Warschau im nun unabhängigen<br />

Polen an. Während ihre Geschwister Polen verliessen,<br />

blieb Fela <strong>in</strong> Warschau. Kurz nach der<br />

Besetzung Warschaus im September 1939 durch<br />

das faschistische Deutschland wurde ihr Mann<br />

Marek Garf<strong>in</strong>kel verhaftet, gefoltert und exekutiert.<br />

Fela Kaszer musste mit ihren zwei K<strong>in</strong>dern<br />

– Hanka und Inka (Cel<strong>in</strong>da) – im Herbst 1940 <strong>in</strong><br />

das Warschauer Ghetto ziehen, <strong>in</strong> welchem <strong>die</strong><br />

jüdische Bevölkerung Warschaus gefangen gehalten<br />

wurde. <strong>Die</strong> noch junge Hanka wurde von<br />

den Nazis bald schon ermordet. Fela entschied<br />

sich, sich dem bewaffneten Untergrundkampf<br />

gegen <strong>die</strong> deutschen Besatzer anzuschliessen und<br />

nahm den Namen ‘Helena Rusiecka’ an. Sie trug<br />

jederzeit Gift auf sich, welches sie im Falle e<strong>in</strong>er<br />

Festnahme e<strong>in</strong>genommen hätte. Mit gefälschten<br />

Papieren verhalf sie vielen Menschen zur Flucht<br />

aus dem Warschauer Ghetto und bewahrte sie<br />

damit vor der Ermordung durch <strong>die</strong> Nazis. Für<br />

ihre zweite Tochter kam <strong>die</strong> Hilfe jedoch zu spät:<br />

Inka wurde Ende 1942 <strong>in</strong>s Konzentrationslager<br />

Trebl<strong>in</strong>ka deportiert und dort ermordet. Fela<br />

nahm als aktive Kämpfer<strong>in</strong> am Aufstand im<br />

Warschauer Ghetto vom April bis Mai 1943 teil.<br />

1955 lebte sie kurzzeitig <strong>in</strong> Moskau, um ihre<br />

schwerkranke Schwester Leonie zu pflegen.<br />

1968 trat sie aus der Polnischen Vere<strong>in</strong>igten Arbeiterpartei<br />

aus Protest gegen <strong>die</strong> rassistische<br />

Märzkampagne aus.<br />

Fela Kascher starb 1992 <strong>in</strong> Warschau.<br />

31


Anhang I: Manifest der Kommunistischen Partei der Schweiz<br />

An <strong>die</strong> Arbeiter!<br />

<strong>Die</strong> Revolution hat <strong>in</strong> allen Ländern Europas<br />

ihren E<strong>in</strong>zug gehalten. Während sie <strong>in</strong> den<br />

e<strong>in</strong>en schroff und stürmisch wütet, fegt sie<br />

<strong>in</strong> anderen <strong>die</strong> alten morschen Stützen der<br />

alten Ordnung im Stillen weg. Auch <strong>die</strong><br />

schweizerische Arbeiterschaft hat das Gebot<br />

der Stunde erkannt. H<strong>in</strong>ter ihr liegt der erste<br />

grosse Kampf, alle<strong>in</strong> sie g<strong>in</strong>g geschlagen aus<br />

<strong>die</strong>sem ersten Kampf hervor. Geschlagen nicht<br />

durch <strong>die</strong> Macht des Gegners, sondern durch<br />

<strong>die</strong> ängstliche kle<strong>in</strong>bürgerliche Politik ihrer<br />

eigenen Führer. Warum haben <strong>die</strong>se Führer<br />

versagt? Weil sie nicht aus eigenem Willen und<br />

freudigem Herzen <strong>in</strong> den Kampf gezogen s<strong>in</strong>d,<br />

sondern gestossen und gedrängt vom Willen<br />

der Arbeiterschaft. Sie mussten versagen, weil<br />

sie nicht den Willen hatten, für das zu kämpfen,<br />

wofür <strong>die</strong> Arbeiter <strong>in</strong> den Kampf zogen – für<br />

den Sozialismus.<br />

Nun jubelt das Bürgertum und nützt se<strong>in</strong>en „Sieg“<br />

entschlossen und zielbewusst aus. Vergessen<br />

s<strong>in</strong>d alle <strong>die</strong> schönen Versprechungen: <strong>die</strong><br />

sozialen Reformen. <strong>Die</strong> Regierung trottet im<br />

alten Tempo weiter. <strong>Die</strong> Reaktion wütet mit<br />

jedem Tag stärker, viele unserer Genossen<br />

schmachten <strong>in</strong> den Gefängnissen. Ja, noch mehr,<br />

das Bürgertum, dass, dank se<strong>in</strong>er Schulung und<br />

Intelligenz, <strong>die</strong> Verhältnisse ganz anders zu<br />

überblicken vermag als <strong>die</strong> grosse Masse der<br />

Arbeiterschaft, hat fieberhaft und systematisch<br />

begonnen, sich zum Bürgerkrieg zu rüsten, zum<br />

energischen, erbitterten Klassenkampf.<br />

Arbeiter, Genossen, und wir? Wollen wir ruhig<br />

abwarten, bis es zu spät ist? Bis e<strong>in</strong>es Tages <strong>die</strong><br />

Arbeiterschaft von e<strong>in</strong>er weissen Garde, von e<strong>in</strong>em<br />

bis zum letzten Mann aufgebotenen Bürgertum<br />

umz<strong>in</strong>gelt ist und ihr <strong>die</strong> Möglichkeit genommen<br />

ist, sogar nur e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>fachen Streik durchzuführen.<br />

Ne<strong>in</strong>! Der Kampf, der h<strong>in</strong>ter uns liegt, ist nur e<strong>in</strong>e<br />

Etappe e<strong>in</strong>er Reihe noch kommender Kämpfe<br />

um unser Ziel. Aber wollen wir unseren nächsten<br />

Kampf wieder e<strong>in</strong>em Oltener Aktionskomitee<br />

anvertrauen? Wenn noch so geniale und radikale<br />

[unlesbar] Männer dar<strong>in</strong> sitzen, wollen wir<br />

uns wieder auf Gnade und Ungnade ausliefern,<br />

damit sie wieder im entscheidenden Momente<br />

zusammenklappen? Arbeiter, Genossen, lernen<br />

wir von den uns umgebenden Ländern. Neue<br />

Zeiten erfordern auch neue Kampfformen und<br />

<strong>die</strong>se Kampfformen, <strong>die</strong> alle<strong>in</strong> <strong>die</strong> Gewähr bieten,<br />

dass wir aus den kommenden Kämpfen siegreich<br />

hervortreten, s<strong>in</strong>d <strong>die</strong><br />

Arbeiter- und Soldatenräte.<br />

An Stelle des Oltener Aktionskomitee und<br />

der Arbeiterkongresse fordern wir e<strong>in</strong>en<br />

Schweizerischen A r b e i t e r r a t, der direkt<br />

den Willen der klassenbewussten Arbeiter zum<br />

Ausdruck br<strong>in</strong>gt, mit ihnen <strong>in</strong> ständigen Kontakt<br />

steht, <strong>in</strong>dem er gebildet ist aus Arbeiterbrüdern,<br />

<strong>die</strong> wir wählen an den Arbeitsstätten direkt aus den<br />

Betrieben. <strong>Die</strong>ser Arbeiterrat hat den Grosskampf<br />

zu führen auf Weisung der lokalen Arbeiterräte.<br />

Wir wollen uns endlich klar werden, wie es das<br />

Bürgertum längst ist, dass <strong>die</strong> kommenden Kämpfe<br />

e<strong>in</strong>en anderen Charakter an<strong>nehmen</strong> müssen, sollen<br />

sie zum Erfolge führen. Sehen wir das e<strong>in</strong>, so müssen<br />

wir aber auch <strong>die</strong> Taktik des Kampfes ändern. <strong>Die</strong>se<br />

neue Taktik lässt sich zusammenfassen <strong>in</strong> folgende<br />

Punkte:<br />

• Alle Macht <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Hände</strong> der Arbeiterräte.<br />

• Der nächste Kampf soll e<strong>in</strong> revolutionärer<br />

Generalstreik se<strong>in</strong>. Schon jetzt müssen<br />

Vorbereitungen getroffen werden, vor allem e<strong>in</strong>e<br />

rege Propaganda, speziell unter den Soldaten.<br />

• <strong>Die</strong> Arbeiterräte haben zusammen mit<br />

den Soldatenorganisationen für <strong>die</strong> Bildung der<br />

Soldatenräte zu sorgen.<br />

• <strong>Die</strong> Arbeiterräte haben <strong>die</strong> Arbeiter<br />

fachlich aufzuklären für <strong>die</strong> Uebernahme der<br />

wirtschaftlichen Macht, d. h. der Produktion <strong>in</strong><br />

den Betrieben.<br />

• Es soll e<strong>in</strong>e andere Bauernpolitik getrieben<br />

werden. Rege Propaganda unter den Kle<strong>in</strong>bauern<br />

und Knechten. Aufklärung über den Sozialismus,<br />

der ihnn ja zum Vorteil wird.<br />

Arbeiter, Genossen! Wir wissen, dass wir nicht<br />

mit e<strong>in</strong>em Schlage den Sozialismus verwirklichen<br />

können, sondern dass uns noch e<strong>in</strong>e Reihe grosser<br />

Kämpfe bevorstehen, bis wir unser Ideal errungen<br />

haben. Was wir aber wollen, das ist mit jedem<br />

Kampfe e<strong>in</strong>en Schritt dem Ziel entgegenzugehen.<br />

Darum s<strong>in</strong>d unsere P a r o l e n f ü r d e n n<br />

ä c h s t e n K a m p f noch nicht das Endziel<br />

selbst, sondern Parolen, <strong>die</strong> uns dem Endziel näher<br />

br<strong>in</strong>gen. Nämlich:<br />

• Der Achtstundentag zum Gesetz.<br />

• Kontrollrecht der Arbeiter im Staate über<br />

<strong>die</strong> Lebens- und Bedarfsartikel.<br />

• Erweiterte Kontrolle der Arbeiter über <strong>die</strong><br />

Produktion.<br />

Wie entstehen Arbeiterräte?<br />

Arbeiterräte werden gebildet, <strong>in</strong>dem <strong>in</strong> allen<br />

Fabriken und Betrieben Werkstätteversammlungen<br />

e<strong>in</strong>berufen werden. Aus deren Mitte heraus sollen <strong>die</strong><br />

Arbeiterratsdelegierten gewählt werden. Wählbar<br />

und berechtigt zur Wahl s<strong>in</strong>d alle arbeitenden<br />

Männer und Frauen – ob organisiert oder nicht.<br />

Auf 30 Arbeiter im Betrieb und e<strong>in</strong>e Bruchzahl von<br />

30 soll e<strong>in</strong> Delegierter <strong>in</strong> den örtlichen Arbeiterrat<br />

gewählt werden. <strong>Die</strong> Branchen mit sehr kle<strong>in</strong>en<br />

Betrieben sollen Bezirksarbeiterversammlungen<br />

durchführen und aus <strong>die</strong>sen Versammlung heraus<br />

<strong>die</strong> Delegierten bestimmen. Aus der Mitte der<br />

örtlichen Arbeiterräte werden <strong>die</strong> Delegierten<br />

zum schweizerischen Arbeiterrat gewählt. In<br />

solchen Betrieben, wo <strong>die</strong> Arbeiterschaft noch<br />

zu wenig aktionsfähig, zu konservativ ist, hat <strong>die</strong><br />

vorwärtsdrängende M<strong>in</strong>derheit den Delegierten<br />

zu bestimmen. Es ist nicht nötig, dass vom ersten<br />

Tage an dem örtlichen Arbeiterrat alle Betriebe<br />

angeschlossen s<strong>in</strong>d. <strong>Die</strong> Hauptsache ist, dass überall<br />

a n g e f a n g e n und nicht geruht wird, bis alle<br />

Arbeiter Delegierte schicken.<br />

Der grosse Vorteil <strong>die</strong>ses neuen Kampfmittels,<br />

der Arbeiterräte, besteht dar<strong>in</strong>, dass sie von der<br />

Bourgeoisie nicht tot gemacht werden können<br />

und jederzeit, ohne lange und grosse Reklame <strong>die</strong><br />

Massen von heute auf morgen, zu jeder Stunde<br />

<strong>in</strong> Bewegung setzen können. Beschliesst e<strong>in</strong><br />

Arbeiterrat <strong>in</strong> der Nacht e<strong>in</strong>e Aktion, so können<br />

<strong>die</strong> Delegierten am Morgen <strong>in</strong> den Betrieben <strong>die</strong><br />

Arbeiter und Arbeiter<strong>in</strong>nen von den gefassten<br />

Beschlüssen benachrichtigen und <strong>die</strong>se danach<br />

handeln. Der Wille zum Kampf ist freilich <strong>die</strong><br />

erste Bed<strong>in</strong>gung für das Gedeihen des neuen<br />

Kampfmittels. Es steht und fällt mit ihm! Handelt<br />

anderseits der Betriebs- oder Bezirksdelegierte<br />

nicht nach dem Willen der arbeitenden Wähler, so<br />

kann er sofort abberufen und durch e<strong>in</strong>en andern<br />

im Betriebe beschäftigten ersetzt werden. Nur <strong>in</strong><br />

den Betrieben und Fabriken selbst Arbeitende s<strong>in</strong>d<br />

zu delegieren, ke<strong>in</strong>e Sekretäre oder sonstige von<br />

Partei und Gewerkschaften angestellte Beamte. Weg<br />

von den Instanzen, <strong>die</strong> sollen nur adm<strong>in</strong>istrative<br />

Funktionen besitzen. Der immer <strong>in</strong>mitten se<strong>in</strong>er<br />

Kameraden und Kamerad<strong>in</strong>nen beschäftigte<br />

Arbeiter kennt am besten, was ihnen not tut. E<strong>in</strong><br />

so konstituierter Rat muss produktiv se<strong>in</strong> und kann<br />

nicht zum Schweigen gebracht werden. Verhaftet<br />

e<strong>in</strong>e Regierung e<strong>in</strong> Mitglied oder den ganzen Rat,<br />

so wählen <strong>die</strong> Arbeiter e<strong>in</strong>en neuen.<br />

Bildet überall sofort Arbeiterräte!<br />

Tretet e<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> soz. Soldatenorganisationen!<br />

33


E<strong>in</strong>führung: Len<strong>in</strong> und Clausewitz<br />

<strong>Die</strong> Arbeiten, <strong>die</strong> ich über <strong>die</strong> Beziehungen<br />

zwischen Clausewitz, dem Kriegstheoretiker und<br />

Zeitgenossen Napoleons, und den revolutionären<br />

Militärdoktr<strong>in</strong>en verfasst hatte, haben zur jetzigen<br />

E<strong>in</strong>ladung geführt, mit Euch über <strong>die</strong> Beziehung<br />

Len<strong>in</strong>s zum Krieg zu plaudern. <strong>Die</strong> Verb<strong>in</strong>dung<br />

zwischen den von Clausewitz <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Buch<br />

Vom Kriege entwickelten Theorien und den<br />

Entscheidungen von Len<strong>in</strong> bildet dabei den roten<br />

Faden. Man könnte <strong>die</strong>ses Vorgehen monomanisch<br />

nennen, aber ich sehe dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en legitimen und<br />

produktiven Angriffspunkt, weil Clausewitz’<br />

E<strong>in</strong>fluss auf Len<strong>in</strong> bedeutend war.<br />

E<strong>in</strong>e Anekdote gibt uns e<strong>in</strong>e Idee über <strong>die</strong>se<br />

Bedeutung. Als Len<strong>in</strong> drei Monate vor der<br />

Oktoberrevolution nach aufständischen<br />

Demonstrationen <strong>in</strong> Sankt Petersburg von der<br />

provisorischen Regierung von Kerenski per<br />

Haftbefehl gesucht wurde, verliess er <strong>die</strong> Hauptstadt<br />

und überschritt klandest<strong>in</strong> <strong>die</strong> f<strong>in</strong>nische Grenze<br />

mit sehr leichtem Gepäck, darunter zwei Bücher:<br />

Der Bürgerkrieg <strong>in</strong> Frankreich von Karl Marx<br />

und Vom Kriege von Carl von Clausewitz, das er<br />

zwei Jahre früher mit Anmerkungen versehen<br />

hatte. Clausewitz‘ E<strong>in</strong>fluss auf den Marxismus-<br />

Len<strong>in</strong>ismus beg<strong>in</strong>nt mit der Lektüre durch Engels,<br />

vertieft sich mit der von Mehr<strong>in</strong>g und wird durch<br />

Len<strong>in</strong>s Analyse bestimmend.<br />

<strong>in</strong> der Philosophie oder Adam Smith‘ <strong>in</strong> der<br />

Ökonomie: alle drei s<strong>in</strong>d fundamentale Quellen<br />

des Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus. Allerd<strong>in</strong>gs s<strong>in</strong>d es<br />

erst später <strong>die</strong> militärischen Schriften von Mao<br />

Zedong, der selber e<strong>in</strong> grosser Leser von Clausewitz<br />

war 1 , welche e<strong>in</strong>e vollständige und kohärente<br />

revolutionäre Militärpolitik theoretisierten. Weder<br />

Marx und Engels noch Len<strong>in</strong> oder Stal<strong>in</strong> haben e<strong>in</strong><br />

Werk verfasst, das Vom Kriege <strong>in</strong> derselben Weise<br />

übertreffen würde wie Das Kapital den Wohlstand<br />

der Nationen übertrifft.<br />

<strong>Die</strong> Frage, ob Mehr<strong>in</strong>gs Schriften Len<strong>in</strong> dazu<br />

brachten, Clausewitz zu lesen, ist noch nicht<br />

geklärt. Sicher ist, dass Len<strong>in</strong> Mehr<strong>in</strong>g, der das<br />

Denken von Clausewitz aufgriff und propagierte,<br />

gelesen hatte, bevor er <strong>in</strong> der Bibliothek <strong>in</strong> Bern<br />

– <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em zweiten Exil 2 zwischen Herbst 1914<br />

und Frühl<strong>in</strong>g 1915 – Vom Kriege stu<strong>die</strong>rte 3 . Er<br />

kopierte umfangreiche Auszüge (auf Deutsch) <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong> Notizbuch mit e<strong>in</strong>igen Anmerkungen dazu<br />

(auf Russisch). Es ist auffällig, dass <strong>die</strong>se Auszüge<br />

ausführlicher und zahlreicher wurden, je weiter<br />

Len<strong>in</strong> im Studium <strong>die</strong>ses Buches fortschritt.<br />

Alles sche<strong>in</strong>t den patriotischen und<br />

monarchistischen preussischen Militär vom<br />

russischen Berufsrevolutionär zu unterscheiden.<br />

Aber e<strong>in</strong>e tiefe gedankliche Verwandtschaft<br />

verb<strong>in</strong>det sie: e<strong>in</strong>e dialektische, methodische,<br />

zupackende, kreative und auf e<strong>in</strong>e solide<br />

philosophische Kultur gegründete Geisteshaltung.<br />

Len<strong>in</strong> erkannte sofort <strong>die</strong> Orig<strong>in</strong>alität und <strong>die</strong><br />

Reichhaltigkeit des Clausewitz‘schen Denkens,<br />

das sonst von der Militärkaste <strong>in</strong> Frankreich<br />

und Deutschland missverstanden, verdreht und<br />

ausgelaugt wurde, was <strong>die</strong> Kriegskunst auf e<strong>in</strong><br />

sehr mittelmässiges Niveau fallen liess. Und so wie<br />

Clausewitz wichtig für Len<strong>in</strong> war, war es auch Len<strong>in</strong><br />

für Clausewitz, da er als erster Staatsmann dessen<br />

Gedanken <strong>in</strong> der politischen Aktion zur Geltung<br />

brachte.<br />

Das Gedankengut von Clausewitz entspricht <strong>in</strong><br />

der Kriegswissenschaft dem Gedankenguts Hegels<br />

37


Erster Teil: <strong>Die</strong> Kriegstheorie<br />

1.1. Der Krieg als politisches Instrument<br />

<strong>Die</strong> erste These von Clausewitz, <strong>die</strong> Len<strong>in</strong> notiert,<br />

ist <strong>die</strong> berühmte Formel « dass der Krieg nichts ist<br />

als <strong>die</strong> fortgesetzte Staatspolitik mit anderen Mitteln.<br />

» Er zitiert sie aus der Nachricht von 1827 über den<br />

Zustand des Manuskriptes 4 , bevor er <strong>die</strong> ganze Ziffer<br />

24 des Ersten Kapitels des Ersten Buches kopiert. 5 .<br />

Und wenn Clausewitz <strong>die</strong>se Frage erneut im Kapitel<br />

6 B des Achten Buches behandelt, schreibt Len<strong>in</strong><br />

sehr lange Auszüge daraus ab und notiert am Rand:<br />

« Das allerwichtigste Kapitel » 6 .<br />

Von welcher Politik ist der Krieg <strong>die</strong> Fortsetzung?<br />

Zunächst von der objektiven Politik, (auf Englisch<br />

politics genannt), also der Gesamtheit der<br />

historischen, sozialen ökonomischen, technischen,<br />

kulturellen und ideologischen Faktoren, welche<br />

<strong>die</strong> sozialen Bed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>es Krieges darstellen<br />

und <strong>die</strong>sen zu e<strong>in</strong>em sozialgeschichtlichen Produkt<br />

machen 7 . Dann auch von der subjektiven Politik<br />

(policy), also der politischen Aktion, der politischen<br />

„Geschäftsführung“, <strong>die</strong> durch Motive <strong>in</strong>spiriert<br />

und von e<strong>in</strong>em Ziel geleitet ist; und <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem<br />

S<strong>in</strong>n umfasst das Clausewitz’sche Konzept der<br />

„Fortsetzung“ folgendes:<br />

1° Das Spezifische des Krieges, nämlich der<br />

Gebrauch der Streitkräfte, was e<strong>in</strong>e besondere<br />

Situation unter der Regie spezifischer Gesetze<br />

schafft.<br />

2° <strong>Die</strong> E<strong>in</strong>beziehung des Krieges <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Ganzes, das<br />

politisch ist. Der Krieg ist nur e<strong>in</strong>es der Mittel, um<br />

Politik zu machen 8 .<br />

3° E<strong>in</strong>e komplexe Beziehung zwischen dem Ziel im<br />

Krieg (z.B. <strong>die</strong> Vernichtung der fe<strong>in</strong>dlichen Armee,<br />

<strong>die</strong> E<strong>in</strong>nahme der Hauptstadt oder e<strong>in</strong>er Prov<strong>in</strong>z)<br />

und dem Zweck des Krieges (<strong>die</strong> angestrebte neue<br />

Situation am Ende des Krieges z.B. <strong>die</strong> Eroberung<br />

e<strong>in</strong>er Prov<strong>in</strong>z, <strong>die</strong> Installation e<strong>in</strong>es neuen Regimes<br />

oder <strong>die</strong> Annexion des fe<strong>in</strong>dlichen Landes).<br />

Trennte man den Krieg von der Politik, bemerkt<br />

Clausewitz, wäre er nur e<strong>in</strong> Ausdruck des Hasses<br />

zwischen zwei Völkern. Nun kann man aber <strong>die</strong><br />

Kriege nicht auf e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache Fe<strong>in</strong>dseligkeit<br />

reduzieren, auf e<strong>in</strong>en Todeskampf, <strong>in</strong> den zwei<br />

Völker bl<strong>in</strong>d gegene<strong>in</strong>ander geworfen werden. Wie<br />

Len<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Randbemerkung schreibt: „Der Krieg<br />

= Teil e<strong>in</strong>es Ganzen“ „<strong>die</strong>ses Ganze = <strong>die</strong> Politik“. <strong>Die</strong><br />

Beziehung, <strong>die</strong> Clausewitz herstellt, macht aus dem<br />

Krieg e<strong>in</strong> Objekt der Theorie 9 .<br />

Alle Kriege werden <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Licht zu gleichartigen<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen.<br />

1.2. Krieg und Antagonismus<br />

E<strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>platz des konterrevolutionären<br />

Diskurses, ob von l<strong>in</strong>ks oder von rechts, reduziert<br />

<strong>die</strong> Gewalt ausschliesslich auf ihre Ausübung. Man<br />

f<strong>in</strong>det ihn <strong>in</strong> gelehrter Form <strong>in</strong> der Aussage, dass<br />

bei Len<strong>in</strong> <strong>die</strong> Politik <strong>die</strong> Weiterführung des Krieges<br />

sei. <strong>Die</strong>se Anklage wurde gegen Len<strong>in</strong>, gegen den<br />

Marxismus sowie gegen <strong>die</strong> UdSSR als Staat erhoben.<br />

Man f<strong>in</strong>det e<strong>in</strong>e solche kernige Aussage bei J. F. C.<br />

Fuller, der manchmal als «der grösste Militärdenker<br />

des 20. Jahrhunderts» bezeichnet wird. Er schrieb<br />

(im Jahr 1961!), dass «<strong>die</strong> sowjetischen politischen<br />

Beziehungen, sowohl im <strong>in</strong>neren als auch gegen<br />

aussen, [...] denen <strong>in</strong>nerhalb und zwischen<br />

primitiven Stämmen analog [s<strong>in</strong>d]. Für beide, den<br />

Mann e<strong>in</strong>es Stammes und den Revolutionär, lautet <strong>die</strong><br />

herrschende Devise „zerstören oder zerstört werden“,<br />

und wie <strong>in</strong> der Tierwelt gibt es ke<strong>in</strong>en Unterschied<br />

zwischen Krieg und Frieden.»<br />

<strong>Die</strong>se E<strong>in</strong>schätzung wird auf viele Arten<br />

durchgespielt. E<strong>in</strong>e der vernünftigsten ist noch<br />

<strong>die</strong> von Jean-V<strong>in</strong>cent Hole<strong>in</strong>dre: «[Len<strong>in</strong>s] Politik<br />

denkt vom Klassenkampf her, der notwendigerweise<br />

e<strong>in</strong>en gewaltsamen Charakter hat, und mit dem<br />

Horizont des Friedens, der dank der Realisierung<br />

der kommunistischen Idee errichtet wird. Hier wird<br />

Clausewitz‘ Formel umgedreht: In den Augen Len<strong>in</strong>s<br />

geht <strong>die</strong> Gewalt dem Frieden voraus und begründet<br />

<strong>die</strong>sen. In der len<strong>in</strong>istischen Theorie muss <strong>die</strong> Gewalt<br />

von der Avantgarde-Partei entworfen und umgesetzt<br />

werden. <strong>Die</strong> Politik ist nicht dazu berufen, <strong>die</strong> Gewalt<br />

zu zähmen, sondern sie im revolutionären Moment<br />

mit dem Ziel zu organisieren, ihr e<strong>in</strong> für alle Male<br />

e<strong>in</strong> Ende zu setzen vom Augenblick an, an dem <strong>die</strong><br />

Ziele der Revolution realisiert s<strong>in</strong>d» 11 <strong>Die</strong> Zähmung<br />

der Gewalt als den Zweck der Politik anzuschauen<br />

steht <strong>in</strong> der Tradition von Hobbes, ist liberal und<br />

nicht nur Len<strong>in</strong> fremd, sondern auch Clausewitz,<br />

Machiavelli und vielen anderen, für welche Krieg<br />

nicht das Versagen der Politik bedeutet, sondern<br />

e<strong>in</strong>e ihrer Verwirklichungen.<br />

39


Das marxistisch-len<strong>in</strong>istische Verständnis von<br />

<strong>Geschichte</strong> basiert auf dem Widerspruch, der den<br />

Charakter des sozialen Antagonismus an<strong>nehmen</strong><br />

kann. So wie es im Manifest der Kommunistischen<br />

Partei gleich zu Beg<strong>in</strong>n heisst: « <strong>Die</strong> <strong>Geschichte</strong><br />

aller bisherigen Gesellschaft ist <strong>die</strong> <strong>Geschichte</strong><br />

von Klassenkämpfen. Freier und Sklave, Patrizier<br />

und Plebejer, Baron und Leibeigener, Zunftbürger<br />

und Gesell, kurz, Unterdrücker und Unterdrückte<br />

standen <strong>in</strong> stetem Gegensatz zue<strong>in</strong>ander, führten<br />

e<strong>in</strong>en ununterbrochenen, bald versteckten, bald<br />

offenen Kampf, e<strong>in</strong>en Kampf, der jedesmal mit e<strong>in</strong>er<br />

revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft<br />

endete oder mit dem geme<strong>in</strong>samen Untergang der<br />

kämpfenden Klassen.» 12<br />

Ihr als Deutschsprachige kennt das Problem nicht,<br />

aber auf Französisch s<strong>in</strong>d wir seit Langem mit<br />

e<strong>in</strong>em sich wiederholenden Übersetzungsfehler<br />

konfrontiert, der <strong>die</strong> entsprechende Komplexität der<br />

Frage aufzeigt. <strong>Die</strong> französische Übersetzung setzt<br />

für Kampf das Wort guerre = Krieg e<strong>in</strong> statt „lutte“<br />

oder allenfalls „combat“. <strong>Die</strong>ser Irrtum verfälscht<br />

den S<strong>in</strong>n schwerwiegend, weil Antagonismus<br />

nicht e<strong>in</strong>fach „Kriegführung“ bedeutet, und <strong>die</strong>s<br />

umso mehr, als es sich um e<strong>in</strong>en «bald versteckten,<br />

bald offenen Kampf» handelt – e<strong>in</strong>e wesentliche<br />

Präzisierung, <strong>die</strong> nicht heisst, dass <strong>die</strong> historischen<br />

Akteure ihre Absichten verstecken, aber dass der<br />

Antagonismus manchmal auch vor ihren eigenen<br />

Augen versteckt ist.<br />

Für den Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus ist ausserdem das<br />

Feld der Politik breiter als der Kampf zwischen<br />

antagonistischen Klassen. <strong>Die</strong> Gesellschaften s<strong>in</strong>d<br />

von Klassenwidersprüchen durchzogen, welche<br />

Bed<strong>in</strong>gungen für historischen Umwälzungen<br />

schaffen, aber auch von zahlreichen anderen<br />

Interessenskonflikten, solchen zwischen Völkern,<br />

Nationen, Klassen, e<strong>in</strong>zelnen sozialen Schichten,<br />

Teilen von Klassen, usw. Nicht alle <strong>die</strong>se<br />

Interessenskonflikte be<strong>in</strong>halten e<strong>in</strong>e Kriegslogik:<br />

Erstens, weil sie durch e<strong>in</strong>e höhergestellte<br />

Geme<strong>in</strong>samkeit der Interessen ausgeglichen<br />

werden können, und zweitens, weil der Krieg teuer<br />

und dessen Ausgang ungewiss ist. Es kann dann<br />

sche<strong>in</strong>en, als wäre das Kriegsspiel <strong>die</strong> Mühe nicht<br />

wert. Im Kampf zwischen der englischen Bourgeoisie<br />

und der Aristokratie war <strong>die</strong> kriegerische Zeit<br />

Cromwells viel kürzer als <strong>die</strong> ganze Zeitperiode<br />

der Bekehrung der Aristokratie zum Hochgenuss<br />

des Kapitalismus. Auch heute gibt es z.B. zwischen<br />

den USA und Ch<strong>in</strong>a viele Interessenskonflikte,<br />

<strong>die</strong> zu unfreundlichen Akten verschiedener Art<br />

führen (Spionage, Des<strong>in</strong>formation, Besteuerung<br />

und Limitierung von Importen, usw.). Und<br />

trotzdem herrscht zwischen den USA und Ch<strong>in</strong>a<br />

grundsätzlich Frieden. In der Politik ist der Friede<br />

nicht <strong>die</strong> Ausnahme. Friede bedeutet nicht <strong>die</strong><br />

Abwesenheit von Widersprüchen, sondern ist der<br />

Zustand, <strong>in</strong> welchem <strong>die</strong> bewaffnete Gewalt nicht<br />

als Lösung der Interessenskonflikte angesehen wird.<br />

Im Fall von Widersprüchen, bei denen<br />

antagonistische Klassen gegene<strong>in</strong>ander<br />

stehen, besteht e<strong>in</strong> gewisses, auch gespanntes<br />

Kriegsverhältnis <strong>in</strong> friedlichen Zeiten weiter.<br />

Erstens, weil <strong>die</strong> gewalttätigen Episoden der<br />

Vergangenheit <strong>in</strong> der Gegenwart auch <strong>in</strong> friedlichen<br />

Zeiten präsent bleiben (z.B. das grosse Gewicht<br />

des Gedenkens an <strong>die</strong> Pariser Kommune). Und<br />

zweitens, weil e<strong>in</strong>ige politische Kräfte mit hohem<br />

Klassenbewusstse<strong>in</strong>, <strong>die</strong> sich ke<strong>in</strong>e Illusionen<br />

über <strong>die</strong> Zusammenarbeit der Klassen mit<br />

antagonistischen Interessen machen und von der<br />

Unvermeidbarkeit der Konfrontation überzeugt<br />

s<strong>in</strong>d, <strong>die</strong> kriegerischen Akte <strong>in</strong> friedlichen Zeiten<br />

als Vorbereitung/Vorausnahme auf kriegerische<br />

Zeiten e<strong>in</strong>setzen 13 .<br />

Das Verständnis über <strong>die</strong> friedlichen Zeitperioden<br />

zwischen antagonistischen Klassen führt zurück<br />

zur Art, wie im Manifest der Kommunistischen<br />

Partei vom bald versteckten, bald offenen Kampf<br />

gesprochen wird. Sobald <strong>die</strong> Macht e<strong>in</strong>er Klasse<br />

gut gesichert ist, werden ihre Dispositive zur<br />

Zwangsausübung nur selten angewandt. Ihre<br />

ideologische Allmacht erreicht es ohne das,<br />

jede spezifische Äusserung von Interessen der<br />

beherrschten Klasse zu verh<strong>in</strong>dern oder zum<strong>in</strong>dest<br />

unter der Schwelle des Antagonismus zu halten.<br />

In <strong>die</strong>sem Stadium nimmt sich der grösste Teil<br />

der beherrschten Klasse nicht als solche wahr,<br />

sondern verdünnt und spaltet ihre Identität <strong>in</strong><br />

Funktion anderer sozialen Kluften (nationale,<br />

ethnische, religiöse). In <strong>die</strong>sen Zeiten mit fehlenden<br />

erklärten Fe<strong>in</strong>den und mit der Illusion der<br />

eigenen ideologischen Kategorien versteht sich <strong>die</strong><br />

herrschende Klasse selber als Teil e<strong>in</strong>er nationalen<br />

oder religiösen Geme<strong>in</strong>schaft. <strong>Die</strong>s ist nicht e<strong>in</strong><br />

verdeckter Kriegszustand, sondern e<strong>in</strong> Zustand des<br />

Klassenfriedens, der anhält, bis <strong>die</strong> historischen<br />

Kräfte (objektive: Krieg, Wirtschaftskrise;<br />

subjektive: politische Aktion) <strong>die</strong> Klasse an sich <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>e Klasse für sich verwandeln.<br />

Für Len<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> friedlichen Strategien nur<br />

pazifistische Illusionen, und nur <strong>die</strong> Revolution<br />

vermag es, den Knoten der sozialen Widersprüche<br />

zu durchschlagen. Der Klassenkampf soll sich<br />

durch <strong>die</strong> Akkumulation von quantitativen<br />

Veränderungen (mehr Klassenbewusstse<strong>in</strong>, mehr<br />

Organisierung, mehr revolutionäre Theorie und<br />

Praxis) zu qualitativen Veränderungen (Übergang<br />

vom friedlichen zum bewaffneten Kampf) und<br />

damit zum Bürgerkrieg erweitern: « Der Marxist<br />

steht auf dem Boden des Klassenkampfes und nicht des<br />

sozialen Friedens. In bestimmten Perioden scharfer<br />

ökonomischer und politischer Krisen entwickelt sich<br />

der Klassenkampf zum unmittelbaren Bürgerkrieg,<br />

d.h. zum bewaffneten Kampf zwischen zwei Teilen<br />

des Volkes. » 14<br />

.<br />

Das Proletariat konstituiert sich als Klasse für<br />

sich über Teilkämpfe und das Bestreben, sich zu<br />

organisieren und das Bewusstse<strong>in</strong> anzuheben,<br />

aber das macht es noch nicht zur Kriegspartei.<br />

Das Bewusstse<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es radikalen Widerspruchs<br />

zwischen Klassen<strong>in</strong>teressen führt nicht zw<strong>in</strong>gend<br />

zur Überzeugung über <strong>die</strong> Notwendigkeit des<br />

Krieges. <strong>Die</strong> Vorstellung, dass das Parlament oder<br />

der Staat über den Klassen steht oder dass sie<br />

zum<strong>in</strong>dest für <strong>die</strong> Veränderung der Gesellschaft<br />

nützlich seien, bewirkt e<strong>in</strong>e pazifistische Politik. Der<br />

Krieg ist kostspielig und riskant; dazu werden noch<br />

<strong>die</strong> alten moralischen Vorstellungen verletzt. Also<br />

ist es unvermeidbar, nicht gewaltsamen Strategien<br />

zu bevorzugen, wenn es sche<strong>in</strong>t, als ob sie zum Ziel<br />

führen können. Darüber h<strong>in</strong>aus ist der Prozess,<br />

der von der Klasse an sich zur Klasse für sich führt<br />

und vom Klassenkampf zum Klassenkrieg nicht<br />

l<strong>in</strong>ear. Der Prozess kennt plötzliche Fortschritte<br />

und auch plötzliche Rückschläge. Darum<br />

kritisierte Len<strong>in</strong> auch <strong>die</strong> bewaffnete Aktion der<br />

Narodniki, als <strong>die</strong> proletarische Politik sich eher<br />

auf Bewusstse<strong>in</strong>sarbeit und Organisation mit<br />

e<strong>in</strong>e antagonistische Dimension (Streiks usw.)<br />

konzentrieren sollte, <strong>die</strong> aber noch ke<strong>in</strong>e bewaffnete<br />

Gewalt benötigte.<br />

1.3. Der Krieg als historisches Objekt<br />

Im Kapitel 3 B des Achten Buchs schrieb Len<strong>in</strong><br />

<strong>die</strong> Passagen ab, welche <strong>die</strong> Transformationen<br />

des Krieges <strong>in</strong> Funktion der geschichtlichen<br />

Veränderungen behandeln, speziell denen, <strong>die</strong><br />

durch <strong>die</strong> Französische Revolution herbeigeführt<br />

worden waren. Nach Clausewitz muss man <strong>die</strong><br />

Gründe für <strong>die</strong> von ihren Armeen vollbrachten<br />

Wunder nicht <strong>in</strong> neuen Ideen und neuen Verfahren<br />

suchen, welche <strong>die</strong> Französische Revolution <strong>in</strong> <strong>die</strong><br />

Kriegskunst e<strong>in</strong>führte, sondern im neuen sozialen<br />

Status und se<strong>in</strong>em nationalen Charakter.<br />

Nur e<strong>in</strong>e Macht, <strong>die</strong> alle Sonderrechte, <strong>in</strong>neren<br />

Schranken, Monopole und Partikularismen los ist,<br />

welche das Ancien Régime kennzeichneten, konnte<br />

e<strong>in</strong>e veritable nationale Mobilisierung und e<strong>in</strong>e<br />

veritable Kriegsökonomie auf <strong>die</strong> Be<strong>in</strong>e stellen.<br />

Alle Ressourcen Frankreichs s<strong>in</strong>d im <strong>Die</strong>nst<br />

des Krieges mobilisiert worden, und <strong>die</strong> Macht,<br />

<strong>die</strong> daraus resultierte, übertraf bei weitem<br />

<strong>die</strong> kumulierte der gegnerischen Mächte der<br />

Adelsdynastien. Im Gegensatz zu den Armeen der<br />

Pr<strong>in</strong>zen – Söldnerarmeen, <strong>die</strong> aus Vagabunden im<br />

Bruch mit ihrer Schicht zusammengesetzt, durch<br />

Drill dressiert und mit dem Schlagstock geführt<br />

waren – war <strong>die</strong> französische Armee e<strong>in</strong>e nationale<br />

und e<strong>in</strong>e Bürgerarmee, bei denen nach Ver<strong>die</strong>nsten<br />

und nicht nach der Geburt rekrutiert und befördert<br />

wurde.<br />

Mit den Armeen der Revolution (von der<br />

Napoleon erbte) erfuhr der Krieg wichtige<br />

Formveränderungen, nicht weil <strong>die</strong> französische<br />

Regierung sich von den Zwängen der Politik<br />

emanzipiert hätte, sondern weil <strong>die</strong> Revolution <strong>die</strong><br />

Grundlagen der Politik verändert und <strong>die</strong> Kräfte<br />

geweckt und <strong>die</strong> Mittel entwickelt hatte, welche<br />

es erlaubten, <strong>die</strong> Kriegsenergie zu erhöhen und <strong>in</strong><br />

andere Bahnen zu lenken. <strong>Die</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> Kriegskunst<br />

e<strong>in</strong>geführten Veränderungen waren <strong>die</strong> Konsequenz<br />

der Veränderungen, <strong>die</strong> <strong>in</strong> der Politik stattgefunden<br />

hatten.<br />

Im Kapitel mit dem Titel Von der Grösse des<br />

kriegerischen Zweckes und der Anstrengung, kommt<br />

Clausewitz auf <strong>die</strong> historischen Veränderungen<br />

im Charakter der Kriege zurück (er schreibt über<br />

Halbgebildete Tartaren, Republiken der alten Welt,<br />

Lehnsherren und Handelsstädte des Mittelalters;<br />

Ende des 17. Und 18. Jahrhunderts) :<br />

… « Das Volk also, welches bei den Tartarenzügen a l l e s<br />

im Kriege ist, bei den alten Republiken und im Mittelmeer,<br />

wenn man den Begriff desselben gehörig auf <strong>die</strong> eigentlichen<br />

Staatsbürger beschränkt, sehr vieles gewesen war, ward bei<br />

<strong>die</strong>sem Zustand des achtzehnten Jahrhunderts u n m i t t e l b a r<br />

n i c h t s, sondern hatte bloss durch se<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>en Tugenden<br />

oder Fehler noch e<strong>in</strong>en mittelbaren E<strong>in</strong>fluss auf den Krieg 15 .(...)<br />

<strong>Die</strong> (französische) Revolution hat das alles umgestaltet. (…)<br />

Der Krieg war plötzlich wieder e<strong>in</strong>e Sache des Volkes geworden.<br />

(...) das ganze Volk trat mit se<strong>in</strong>em natürlichen Gewicht <strong>in</strong> <strong>die</strong><br />

Waagschale. Seit Bonaparte hat also der Krieg, <strong>in</strong>dem er zuerst<br />

auf der e<strong>in</strong>en Seite, dann auch auf der anderen, Sache des<br />

ganzen Volkes wurde, e<strong>in</strong>e ganz andere Natur angenommen,<br />

oder vielmehr er hat sich se<strong>in</strong>er wahren Natur, se<strong>in</strong>er absoluten<br />

Vollkommenheit, sehr genähert. <strong>Die</strong> Mittel, welche aufgeboten<br />

worden s<strong>in</strong>d, hatten ke<strong>in</strong>e sichtbare Grenze, sondern <strong>die</strong>se verlor<br />

40<br />

41


sich <strong>in</strong> der Energie und dem Enthusiasmus der Regierungen und<br />

ihrer Untertanen. (...) So war also das kriegerische Element,<br />

von allen konventionellen Schranken befreit, mit se<strong>in</strong>er ganzen<br />

natürlichen Kraft losgebrochen. <strong>Die</strong> Ursache war <strong>die</strong> Teilnahme,<br />

welch den Völkern an <strong>die</strong>ser grossen Staatsangelegenheit wurde;<br />

und <strong>die</strong>se Teilnahme entsprang teils aus den Verhältnissen,<br />

welche <strong>die</strong> Französische Revolution <strong>in</strong> dem Innern der Länder<br />

herbeigeführt hatte, teils aus der Gefahr, womit alle Völker<br />

von dem französischen bedroht waren. (...) Ob es nun immer<br />

so bleiben wird, ob alle künftigen Kriege <strong>in</strong> Europa immer mit<br />

dem ganzen Gewicht der Staaten und folglich nur um grosse,<br />

den Völkern naheliegende Interessen geführt se<strong>in</strong> werden oder<br />

ob nach und nach wieder e<strong>in</strong>e Absonderung der Regierung von<br />

dem Volke e<strong>in</strong>treten wird, dürfte schwer zu entscheiden se<strong>in</strong>,<br />

und am wenigsten wollen wir uns e<strong>in</strong>e solche Entscheidung<br />

anmassen. (...) [Unser Ziel]: ...zu zeigen, wie jede Zeit ihre<br />

eigenen Kriege, ihre eigenen beschränkenden Bed<strong>in</strong>gungen, ihre<br />

eigene Befangenheit hatte. Jede würde also auch ihre eigene<br />

Kriegstheorie behalten, selbst wenn man überall, früh und spät,<br />

aufgelegt gewesen wäre, sie nach philosophischen Grundsätzen<br />

zu bearbeiten. <strong>Die</strong> Begebenheiten jeder Zeit müssen also mit<br />

Rücksicht auf ihre Eigentümlichkeiten beurteilt werden, und nur<br />

der, welcher nicht sowohl durch e<strong>in</strong> ängstliches Studium aller<br />

kle<strong>in</strong>en Verhältnisse als durch e<strong>in</strong>en treffenden Blick auf <strong>die</strong><br />

grossen, sich <strong>in</strong> jede Zeit versetzt, ist imstande, <strong>die</strong> Feldherren<br />

derselben zu verstehen und zu würdigen.“ 16<br />

Len<strong>in</strong> kopierte <strong>die</strong>se Passage, qualifizierte sie als wichtig<br />

und fasste zusammen: «Jede Zeit hat ‘ihre eigenen<br />

Kriege‘. » So wird es auch mit den revolutionären Kriegen<br />

se<strong>in</strong>.<br />

1.4. <strong>Die</strong> Steigerung der Clausewitz’schen<br />

Dreifaltigkeit zum Äussersten<br />

Len<strong>in</strong> markierte auch se<strong>in</strong> Interesse für <strong>die</strong><br />

Analyse der politischen Ursache der Steigerung<br />

zum Äussersten, aber auch für <strong>die</strong> Deeskalation,<br />

weil schwache Motive und Spannungen den Krieg<br />

von se<strong>in</strong>em „Idealtyp“ oder „abstrakten“ Modell<br />

entfernt, also vom absoluten Krieg, von der<br />

Entfesselung der grenzenlosen Gewalt, <strong>die</strong> darauf<br />

abzielt, Herr über den Gegner zu werden.<br />

Bei der Behandlung der Unterschiede <strong>in</strong> der Natur<br />

des Krieges entwickelte Clausewitz e<strong>in</strong>en wahrhaft<br />

dialektischen Gedankengang, den Len<strong>in</strong> sorgfältig<br />

abschrieb:<br />

« Je stärker <strong>die</strong> Motive des Krieges s<strong>in</strong>d, je mehr<br />

sie das Ganze Dase<strong>in</strong> der Völker umfassen (…)<br />

umso mehr fallen das kriegerische Ziel und der<br />

politische Zweck des Krieges zusammen, um so re<strong>in</strong>er<br />

kriegerisch, weniger politisch, sche<strong>in</strong>t der Krieg zu<br />

se<strong>in</strong>. Je schwächer aber Motive und Spannungen<br />

s<strong>in</strong>d, umso weniger wird <strong>die</strong> natürliche Richtung<br />

des kriegerischen Elementes, nämlich <strong>die</strong> Gewalt,<br />

<strong>in</strong> <strong>die</strong> L<strong>in</strong>ie fallen, welche <strong>die</strong> Politik gibt, umso<br />

mehr muss also der Krieg von se<strong>in</strong>er natürlichen<br />

Richtung abgelenkt werden, um so verschiedener ist<br />

der politische Zweck von dem Ziel e<strong>in</strong>es i d e a l e<br />

n Krieges, umso mehr sche<strong>in</strong>t der Krieg politisch zu<br />

werden. 17<br />

Auch wenn der Krieg Ersche<strong>in</strong>ungsformen hat, <strong>die</strong><br />

das Bild e<strong>in</strong>es absurden und bl<strong>in</strong>den Krieges abgeben<br />

und <strong>die</strong> Gründe se<strong>in</strong>er äussersten Steigerung aus<br />

sich selbst zu schöpfen sche<strong>in</strong>t, wenn er entfesselte<br />

Völker aufe<strong>in</strong>ander hetzt, bleibt folglich <strong>die</strong> Politik<br />

das Bestimmende des Krieges – sie bestimmt ihn<br />

sogar noch mehr denn je. Nur wenn der Krieg sich<br />

von der politischen Macht mässigen lässt, lässt er<br />

<strong>die</strong> Schwäche se<strong>in</strong>er Sache und se<strong>in</strong>er politischen<br />

Bestimmungen erkennen. Und Len<strong>in</strong> synthetisiert:<br />

« Sche<strong>in</strong> ist noch nicht Wirklichkeit. Der Krieg sche<strong>in</strong>t<br />

umso « kriegerischer » zu se<strong>in</strong>, je tiefer politisch er ist;<br />

- umso « politischer », je weniger tief politisch er ist.»<br />

Aus Anlass der Zerschlagung der Revolution von<br />

1905 und der ihr folgenden Repression konnte<br />

Len<strong>in</strong> den Wert der Lektionen von Marx über <strong>die</strong><br />

Pariser Kommune erkennen. <strong>Die</strong>se im Bürgerkrieg<br />

<strong>in</strong> Frankreich dargestellten Lehren können so<br />

zusammengefasst werden: Zentralisation, Initiative<br />

und Gewaltanwendung. Dennoch haben sich <strong>die</strong><br />

Bolschewiki erst mit dem Ansteigen der Gefahren <strong>die</strong><br />

Mittel für den Bürgerkrieg gegeben: <strong>Die</strong> E<strong>in</strong>richtung<br />

der Tscheka war improvisiert und spielte erst nach<br />

der Ermordung des bolschewistischen Anführers<br />

Wododarski wirklich e<strong>in</strong>e Rolle. <strong>Die</strong> Todesstrafe<br />

selbst, <strong>die</strong> Abschreckungsmassnahme schlechth<strong>in</strong>,<br />

wurde erst im Frühjahr 1918 e<strong>in</strong>geführt. Aber trotz<br />

des Zögerns und der Improvisationen konnten <strong>die</strong><br />

Bolschewiki <strong>die</strong> Gewalt „zum Äussersten steigern“<br />

und dadurch <strong>die</strong> Revolution vor den Gefahren<br />

retten, welche sie <strong>in</strong> F<strong>in</strong>nland, Polen, Ungarn und<br />

Deutschland niedergeworfen hatte.<br />

Nach Clausewitz (und Len<strong>in</strong> schrieb <strong>die</strong>se Passage<br />

ebenfalls ab) s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Kriege so verschieden wie <strong>die</strong><br />

Motive, <strong>die</strong> ihn herbeiführen und <strong>die</strong> politischen<br />

Beziehungen, <strong>die</strong> ihm vorausgehen. « Der Krieg ist<br />

also nicht nur e<strong>in</strong> wahres Chamäleon, weil er <strong>in</strong> jedem<br />

konkreten Falle se<strong>in</strong>e Natur etwas ändert, sondern<br />

er ist auch se<strong>in</strong>en Gesamtersche<strong>in</strong>ungen nach, <strong>in</strong><br />

Beziehung auf <strong>die</strong> <strong>in</strong> ihm herrschenden Tendenzen,<br />

e<strong>in</strong>e wunderliche Dreifaltigkeit, zusammengesetzt<br />

aus der ursprünglichen Gewaltsamkeit se<strong>in</strong>es<br />

Elements, dem Hass und der Fe<strong>in</strong>dschaft, <strong>die</strong> wie e<strong>in</strong><br />

bl<strong>in</strong>der Naturtrieb anzusehen s<strong>in</strong>d, aus dem Spiel<br />

der Wahrsche<strong>in</strong>lichkeiten und des Zufalls, , <strong>die</strong> ihn<br />

zu e<strong>in</strong>er freien Seelentätigkeit machen, und aus der<br />

untergeordneten Natur e<strong>in</strong>es politischen Werkzeugs,<br />

wodurch er dem blossen Verstande anheimfällt. » 18<br />

<strong>Die</strong> Dreifaltigkeit bezieht sich also auf das fe<strong>in</strong>dselige<br />

Gefühl und <strong>die</strong> fe<strong>in</strong>dselige Absicht, (<strong>die</strong> <strong>die</strong> Völker<br />

beseelen), auf das Spiel der Wahrsche<strong>in</strong>lichkeiten<br />

(welche der oberste General entwirren muss) und<br />

auf <strong>die</strong> rationalen Zwecke (über <strong>die</strong> <strong>die</strong> Regierung<br />

entscheidet).<br />

1.5. Len<strong>in</strong> und e<strong>in</strong>ige andere Aspekte des<br />

Clausewitz’schen Denkens<br />

Beim Lesen und Kommentieren von Clausewitz<br />

verweilte Len<strong>in</strong> auch bei der Rolle der Bevölkerung<br />

im Krieg 19 , bei der Rolle des Generalstabs 20 , bei<br />

der Kritik der „Doktr<strong>in</strong> der Schlüsselstellung“<br />

(„meistens liegt der beste Schlüssel zum Land im<br />

fe<strong>in</strong>dlichen Heer“, sagt Clausewitz)— und Len<strong>in</strong><br />

notiert am Rand: « geistreich und klug ! »), bei der<br />

Führung und dem Charakter e<strong>in</strong>er regulären Armee,<br />

beim Konzept der « Entscheidungsschlacht », bei<br />

den Vorteilen der Verteidigung, bei der Enge der<br />

Sicht der Generalstäbe etc.<br />

Er verweilte bei der Frage der Kühnheit (jener<br />

der Kämpfenden gegenüber den körperlichen<br />

Gefahren und jener des Feldherrn gegenüber<br />

den Verantwortlichkeiten) und bei den Exkursen<br />

von Clausewitz bezüglich der Legitimität der<br />

theoretischen Arbeit und der Dialektik zwischen<br />

dem Besondern und dem Allgeme<strong>in</strong>en, welche<br />

<strong>die</strong>se charakterisieren muss.<br />

<strong>Die</strong> Auszüge und Randglossen Len<strong>in</strong>s über<br />

Clausewitz zeigen e<strong>in</strong> spezielles Interesse an den<br />

Thesen über « Kriegerische Tugenden » im Gegensatz<br />

zu den Qualitäten e<strong>in</strong>er regulären Armee, <strong>die</strong> durch<br />

Siege und Niederlagen gehärtet ist: Tatsächlich<br />

theoretisiert Clausewitz den „Innungsgeist (Esprit<br />

de Corps = Korpsgeist)“ regulärerer Truppen, um<br />

sie von der „Kriegerischen Tugend“ des Volkes<br />

unter Waffen zu unterscheiden, um ihre jeweiligen<br />

Ver<strong>die</strong>nste und <strong>die</strong> Situationen e<strong>in</strong>zuschätzen, <strong>in</strong><br />

denen besser das e<strong>in</strong>e oder andere e<strong>in</strong>gesetzt wird,<br />

etc.<br />

In dem Mass, <strong>in</strong> dem man nie <strong>die</strong> freie Wahl der<br />

Modalitäten der Konfrontation hat, erfordern<br />

gewisse Bed<strong>in</strong>gungen, dass <strong>die</strong> Kräfte der Revolution<br />

sich <strong>die</strong> Mittel geben, welche der „Innungsgeist“ oder<br />

Korpsgeist regulärer Armeen eigen s<strong>in</strong>d, denn <strong>die</strong><br />

Qualitäten e<strong>in</strong>es Volkes unter Waffen (Enthusiasmus,<br />

Kampfgeist, Kreativität) können nicht auf alle<br />

Probleme e<strong>in</strong>e Antwort geben. Len<strong>in</strong> hat als erster<br />

<strong>in</strong>nerhalb des proletarischen militärischen Denkens<br />

verstanden, dass <strong>die</strong> Bewaffnung der Massen<br />

unter gewissen Bed<strong>in</strong>gungen nicht ausreichen<br />

kann und dass sich <strong>die</strong> Revolution mit e<strong>in</strong>em<br />

stehenden Heer ausstatten sollte. Das bedeutet,<br />

dass man sich vielen Vorurteilen entgegenstellen<br />

muss, welche der antimilitaristischen Tradition<br />

der ArbeiterInnenbewegung entstammen, und es<br />

heisst, <strong>die</strong> Schwierigkeiten e<strong>in</strong>er Volksregierung<br />

vorauszusehen, welche mit e<strong>in</strong>em klassischen Krieg<br />

konfrontiert wird (Russland 1918-21, Spanien<br />

1936, etc.).<br />

42<br />

43


Zweiter Teil: Imperialistischer Krieg und Befreiungskrieg<br />

2.1. Der Klassencharakter des Krieges<br />

Clausewitz schrieb <strong>in</strong> Erwägung des neuen<br />

Charakters des Krieges im revolutionären<br />

Frankreich, dass « der Krieg (...) plötzlich wieder<br />

e<strong>in</strong>e Sache des Volkes geworden (war). (...) das<br />

ganze Volk trat mit se<strong>in</strong>em natürlichen Gewicht<br />

<strong>in</strong> <strong>die</strong> Waagschale» 21 . Nach Len<strong>in</strong>, der hier <strong>die</strong><br />

Klassenanalyse e<strong>in</strong>führte, handelte es sich um<br />

den Krieg «der französichen Bourgeoisie und<br />

vielleicht der ganzen Bourgeoisie » — auch wenn <strong>die</strong><br />

Revolutionskriege und <strong>die</strong> kolonialen Kriege e<strong>in</strong>en<br />

gewissen nationalen Charakter haben konnten, da<br />

sie auch den Kampf der Volksmassen gegen den<br />

Absolutismus, <strong>die</strong> nationale Repression und den<br />

Feudalismus darstellten.<br />

Im selben Kapitel schreibt Clausewitz auch:<br />

«Man weiss freilich, dass der Krieg nur durch den<br />

politischen Verkehr der Regierungen und der Völker<br />

hervorgerufen wird ; aber gewöhnlich denkt man<br />

sich <strong>die</strong> Sache so, dass mit ihm jener Verkehr aufhöre<br />

und e<strong>in</strong> ganz anderer Zustand e<strong>in</strong>trete, welcher nur<br />

se<strong>in</strong>en eigenen Gesetzen unterworfen sei. » 22<br />

<strong>Die</strong> Politik, weit davon entfernt, beim Krieg<br />

aufzuhören, geht weiter und bestimmt den Krieg.<br />

Genau auf <strong>die</strong>sem Grundsatz griff Len<strong>in</strong> Kautsky<br />

und Plechanow an, <strong>die</strong> <strong>die</strong> imperialistischen Ziele<br />

ihrer Regierungen <strong>in</strong> Friedenszeiten kritisierten,<br />

aber <strong>in</strong> Kriegszeiten <strong>in</strong> der „Union Sacrée“ 23<br />

mitmachten. Im Mai-Juni 1915 setzte Len<strong>in</strong> se<strong>in</strong>e<br />

Erkenntnisse aus der kürzlichen Lektüre von<br />

Clausewitz <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Broschüre e<strong>in</strong>, <strong>die</strong> gegen <strong>die</strong><br />

Vorhut der Sozialchauv<strong>in</strong>isten gerichtet war:<br />

« Selbst e<strong>in</strong>e so abgedroschene Plattheit weiß Plechanow<br />

mit der bei <strong>die</strong>sem Schriftsteller nicht zu umgehenden<br />

jesuitischen Berufung auf „<strong>die</strong> Dialektik» aufzuputzen: <strong>in</strong><br />

Anbetracht der konkreten Situation, der man Rechnung<br />

tragen müsse, habe man vor allem den Anstifter des Kriegs<br />

festzustellen und mit ihm abzurechnen, alle übrigen<br />

Fragen aber habe man aufzuschieben bis zum E<strong>in</strong>treten<br />

e<strong>in</strong>er anderen Situation. (...) Plechanow greift aus der<br />

deutschen sozialdemokratischen Presse e<strong>in</strong> Zitat heraus:<br />

<strong>die</strong> Deutschen selber hätten vor dem Kriege Österreich<br />

und Deutschland als <strong>die</strong> Anstifter betrachtet – und damit<br />

basta. Dass <strong>die</strong> russischen Sozialisten <strong>die</strong> Eroberungspläne<br />

des Zarismus <strong>in</strong> Bezug auf Galizien, Armenien usw. viele<br />

Male enthüllt haben, das verschweigt Plechanow. Er<br />

macht nicht den ger<strong>in</strong>gsten Versuch, <strong>die</strong> ökonomische<br />

und diplomatische <strong>Geschichte</strong>, sei es auch nur der letzten<br />

drei Jahrzehnte, zu berühren; <strong>die</strong>se <strong>Geschichte</strong> beweist<br />

aber unwiderlegbar, dass gerade <strong>die</strong> Besitzergreifung von<br />

Kolonien, der Raub fremder Länder und <strong>die</strong> Verdrängung<br />

und Ru<strong>in</strong>ierung des erfolgreichen Konkurrenten <strong>in</strong> der<br />

Politik der beiden nun kriegführenden Mächtegruppen <strong>die</strong><br />

Hauptsache darstellen. In ihrer Anwendung auf <strong>die</strong> Kriege<br />

hat <strong>die</strong> von Plechanow so schamlos zu Nutz und Frommen<br />

der Bourgeoisie entstellte Dialektik zur grundlegenden<br />

These den Satz, dass „der Krieg e<strong>in</strong>fach e<strong>in</strong>e Fortsetzung<br />

der Politik mit anderen (nämlich gewaltsamen) Mitteln»<br />

ist. So lautet <strong>die</strong> Formulierung von Clausewitz, e<strong>in</strong>em<br />

der großen Schriftsteller <strong>in</strong> Fragen der Kriegsgeschichte,<br />

dessen Ideen von Hegel befruchtet worden waren. Und das<br />

war auch stets der Standpunkt von Marx und Engels, <strong>die</strong><br />

jeden Krieg als <strong>die</strong> Fortsetzung der Politik der betreffenden<br />

<strong>in</strong>teressierten Mächte – und der verschiedenen Klassen<br />

<strong>in</strong>nerhalb <strong>die</strong>ser Mächte – im betreffenden Zeitraum<br />

auffassten. Der grobe Chauv<strong>in</strong>ismus Plechanows steht<br />

vollkommen auf derselben theoretischen Basis wie der<br />

raff<strong>in</strong>iertere, der versöhnlich-süßliche Chauv<strong>in</strong>ismus<br />

Kautskys, wenn <strong>die</strong>ser letztere den Übergang der<br />

Sozialisten aller Länder auf <strong>die</strong> Seite „ihrer» Kapitalisten<br />

mit folgender Betrachtung sanktioniert: „Alle haben das<br />

Recht und <strong>die</strong> Pflicht, ihr Vaterland zu verteidigen; der<br />

wahre Internationalismus besteht <strong>in</strong> der Zuerkennung<br />

<strong>die</strong>ses Rechts für <strong>die</strong> Sozialisten aller Nationen, darunter<br />

auch derer, <strong>die</strong> mit me<strong>in</strong>er Nation Krieg führen…“ (...) Als<br />

der wahre Internationalismus soll also <strong>die</strong> Rechtfertigung<br />

dessen gelten, dass im Namen der „Vaterlandsverteidigung»<br />

<strong>die</strong> französischen Arbeiter auf <strong>die</strong> deutschen schießen und<br />

<strong>die</strong> deutschen auf <strong>die</strong> französischen! Aber wenn wir uns<br />

<strong>die</strong> theoretischen Voraussetzungen der Betrachtungen<br />

Kautskys näher besehen, so f<strong>in</strong>den wir eben <strong>die</strong> Ansicht,<br />

<strong>die</strong> rund achtzig Jahre früher von Clausewitz verhöhnt<br />

worden ist: mit Kriegsausbruch hört der historisch<br />

vorbereitete politische Verkehr zwischen den Völkern und<br />

den Klassen auf und es tritt e<strong>in</strong>e gänzlich andere Situation<br />

e<strong>in</strong>! – „e<strong>in</strong>fach» Angreifer und Verteidiger, „e<strong>in</strong>fach»<br />

Abwehr der „Fe<strong>in</strong>de des Vaterlands»! <strong>Die</strong> Unterdrückung<br />

e<strong>in</strong>er ganzen Reihe von Nationen, <strong>die</strong> mehr als <strong>die</strong><br />

Hälfte der Bevölkerung der Erdkugel ausmachen, durch<br />

<strong>die</strong> imperialistischen Großmächte, <strong>die</strong> Konkurrenz<br />

unter der Bourgeoisie <strong>die</strong>ser Länder um <strong>die</strong> Teilung der<br />

Beute, das Bestreben des Kapitals, <strong>die</strong> Arbeiterbewegung<br />

zu zerschlagen und zu unterdrücken, – all das ist auf<br />

e<strong>in</strong>mal aus dem Gesichtsfeld Plechanows und Kautskys<br />

45


verschwunden, obwohl gerade <strong>die</strong>se so geartete „Politik»<br />

vor dem Krieg ganze Jahrzehnte h<strong>in</strong>durch von ihnen selber<br />

immer geschildert worden war. » 24<br />

Es gab tatsächlich <strong>in</strong> der Zweiten Internationale<br />

Debatten darüber, ob <strong>die</strong> zu<strong>nehmen</strong>den Kriege<br />

(Burenkriege, der spanisch-amerikanische und<br />

der russisch-japanische Krieg) e<strong>in</strong> Ausdruck der<br />

aktuellen Umstände waren oder e<strong>in</strong>er historischen<br />

Tendenz. <strong>Die</strong> Charakterisierung des Weltkrieges<br />

als imperialistischer Krieg war Teil se<strong>in</strong>er Arbeiten<br />

über den Imperialismus 25 . <strong>Die</strong> Bezeichnung als<br />

imperialistischer Krieg denunziert nicht nur <strong>die</strong><br />

annektionistischen Ziele der Kriegsführenden.<br />

Sie erklärt den historischen Gehalt des Krieges,<br />

nachdem <strong>die</strong> kapitalistische Produktionsweise<br />

sich auf <strong>die</strong> ganze Welt ausgedehnt hat, es ke<strong>in</strong>e<br />

«jungfräulichen» Territorien zum Kolonisieren und<br />

ke<strong>in</strong>e Expansionsmöglichkeiten für e<strong>in</strong>e Macht<br />

gibt, <strong>die</strong> nicht auf Kosten e<strong>in</strong>er anderen Macht geht.<br />

<strong>Die</strong> E<strong>in</strong>sicht Len<strong>in</strong>s über den Klassencharakter des<br />

Krieges erweitert den Horizont der Theorie von<br />

Clausewitz. Len<strong>in</strong> geht davon aus, dass <strong>die</strong> Politik<br />

(und der Krieg, der davon ausgeht) den Interessen<br />

der e<strong>in</strong>en Klasse <strong>die</strong>nt und den Interessen e<strong>in</strong>er<br />

anderen entgegensteht. <strong>Die</strong>se Ansicht steht im<br />

Gegensatz zu jener der Bonzen der Zweiten<br />

Internationalen, <strong>die</strong> schnell den nationalen<br />

Charakter des Krieges <strong>in</strong> den Vordergrund stellten.<br />

Auch wenn der Krieg e<strong>in</strong>en nationalen Charakter<br />

anzu<strong>nehmen</strong> sche<strong>in</strong>t, weil e<strong>in</strong> Teil der Massen sich<br />

für den Krieg begeistert, ist der wahre Charakter<br />

des Krieges <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er politischen Ursache zu suchen,<br />

d.h. <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Fall <strong>in</strong> den imperialistischen Zielen<br />

der kriegsführenden Mächte. <strong>Die</strong> imperialistische<br />

Politik ist <strong>die</strong> Ursache des Krieges; sie gibt dem<br />

Krieg Bedeutung und bestimmt se<strong>in</strong>en Charakter,<br />

aber auch se<strong>in</strong>e revolutionären Möglichkeiten.<br />

Oder wie Lukács schrieb: « Der Krieg ist, nach der<br />

Def<strong>in</strong>ition von Clausewitz, nur <strong>die</strong> Fortsetzung der<br />

Politik; er ist es aber <strong>in</strong> jeder Beziehung. Das heißt,<br />

nicht nur für <strong>die</strong> äußere Politik e<strong>in</strong>es Staates bedeutet<br />

der Krieg bloß das äußerste und aktivste Zu-Ende-<br />

Führen jener L<strong>in</strong>ie, <strong>die</strong> das Land bis dah<strong>in</strong>, im<br />

‚Frieden›, verfolgt hat, sondern auch für <strong>die</strong> <strong>in</strong>nere<br />

Klassenschichtung e<strong>in</strong>es Landes (und der ganzen<br />

Welt) steigert der Krieg bloß aufs Höchste und spitzt<br />

bis <strong>in</strong>s Letzte jene Tendenzen zu, <strong>die</strong> <strong>in</strong>nerhalb der<br />

Gesellschaft bereits im ‚Frieden‘ wirksam gewesen<br />

s<strong>in</strong>d» 26<br />

<strong>Die</strong> Frage der Begeisterung von Teilen der Masse für<br />

den Krieg, <strong>die</strong> Frage des «Kriegsverantwortlichen»<br />

(zu wissen, welche Macht den <strong>in</strong>terimperialistischen<br />

Krieg ausgelöst hat) oder <strong>die</strong> Frage der Gründe, <strong>die</strong><br />

<strong>die</strong> Mächte angeben (Kampf für <strong>die</strong> Freiheit, für <strong>die</strong><br />

Zivilisation, usw.) verschleiern den tatsächlichen<br />

Charakter des Krieges, statt ihn zu erhellen.<br />

2.2. Das politische Subjekt des Krieges<br />

Für Clausewitz ist das politische Subjekt der Staat,<br />

und der Krieg ist der Krieg zwischen den Nationen.<br />

Er berücksichtigt <strong>die</strong> <strong>in</strong>dividuellen oder kollektiven<br />

Partikular<strong>in</strong>teressen, aber für ihn ist <strong>die</strong> Politik<br />

der entscheidende Faktor, «denn <strong>die</strong> Politik ist ja<br />

nichts an sich, sondern e<strong>in</strong> blosser Sachwalter all<br />

<strong>die</strong>ser Interessen [der rationalen Interessen des<br />

Staates und der Bürger] gegen andere Staaten.<br />

Dass sie e<strong>in</strong>e falsche Richtung haben, dem Ehrgeiz,<br />

dem Privat<strong>in</strong>teresse, der Eitelkeit der Regierenden<br />

vorzugsweise <strong>die</strong>nen kann, gehört nicht hierher;<br />

denn <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Fall ist es <strong>die</strong> Kriegskunst, welche<br />

als ihr Präzeptor betrachtet werden kann, und wir<br />

können hier <strong>die</strong> Politik nur als Repräsentanten aller<br />

Interessen der ganzen Gesellschaft betrachten.» 27 .<br />

Kurz gesagt «repräsentiert» der Staat auf <strong>die</strong><br />

e<strong>in</strong>e oder andere Art <strong>die</strong> Nation, <strong>die</strong> er regiert.<br />

Der Staat kann <strong>die</strong>se Nation <strong>in</strong> den Krieg führen<br />

und ist so e<strong>in</strong> politischer Akteur schlechth<strong>in</strong>.<br />

In Clausewitz‘ Inventar der Konflikte von der<br />

Antike bis zum Napoleonischen Reich zählt er<br />

weder den Bauernkrieg <strong>in</strong> Deutschland, noch <strong>die</strong><br />

Religionskriege <strong>in</strong> Frankreich und England, noch<br />

irgende<strong>in</strong>en Bürgerkrieg auf. Es gibt also <strong>in</strong> Vom<br />

Kriege e<strong>in</strong>e offensichtliche Befangenheit, was <strong>die</strong>se<br />

Konflikte betrifft.<br />

Nach Len<strong>in</strong> gibt es im obigen Abschnitt, den<br />

er sorgfältig <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Notizbuch kopiert hat, e<strong>in</strong>e<br />

„Annäherung an den Marxismus“. Aber nur e<strong>in</strong>e<br />

Annäherung. <strong>Die</strong> Politik ist für den Marxismus das<br />

komplexe Ganze der verschiedenen Manifestationen<br />

der Klassen<strong>in</strong>teressen. Sie ist <strong>die</strong> mehr oder weniger<br />

kohärente und organisierte Aktion der Klassen<br />

(und der Klassenfraktionen) für <strong>die</strong> Realisierung<br />

der Interessen und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em höheren Stadium <strong>die</strong><br />

Aktion der Institutionen der Klassen (Partei, Staat,<br />

Sowjet, Gewerkschaft, Armee, usw.). Len<strong>in</strong> selber<br />

stellt sich auf den Standpunkt e<strong>in</strong>er nichtstaatlichen<br />

politisch-militärischen Kraft: der russischen<br />

Arbeiterbewegung, <strong>die</strong> von den Bolschewiki<br />

organisiert wird. In <strong>die</strong>se neue, breitere und tiefere<br />

Konzeption des politischen Subjekts baut Len<strong>in</strong><br />

Punkt für Punkt <strong>die</strong> Clausewitz’sche Analyse e<strong>in</strong>.<br />

Der Krieg hat (wie <strong>die</strong> Verhandlung) <strong>die</strong> Logik<br />

der Politik, aber e<strong>in</strong>e eigene „Grammatik“ (wie<br />

<strong>die</strong> Diplomatie e<strong>in</strong>e eigene hat). <strong>Die</strong> Analyse des<br />

Krieges stellt spezifische Gesetze heraus, darunter<br />

<strong>die</strong> Tendenz zum Äussersten (und <strong>die</strong> Dämpfung<br />

<strong>die</strong>ser Extreme durch den politischen E<strong>in</strong>satz) und<br />

den dreie<strong>in</strong>igen Charakter (politische Rationalität,<br />

Kriegskunst und fe<strong>in</strong>dselige E<strong>in</strong>stellung).<br />

<strong>Die</strong> Zweckmässigkeit, <strong>die</strong> Frage, ob es angebracht<br />

ist, <strong>die</strong> Thesen von Clausewitz auf nichtstaatliche<br />

Akteure anzuwenden, wird nach wie vor kontrovers<br />

beantwortet. Nach Mart<strong>in</strong> Van Creveld, dem<br />

israelischen Militäressayisten, der e<strong>in</strong> Referenzwerk<br />

über <strong>die</strong> Substituierung der klassischen Kriege<br />

durch asymmetrische Kriege veröffentlicht hat,<br />

schreibt…<br />

« Somit besagt der Satz, der Krieg sei <strong>die</strong> Fortsetzung<br />

der Politik, nicht mehr und nicht weniger, als dass<br />

der Krieg e<strong>in</strong> Instrument <strong>in</strong> den <strong>Hände</strong>n des Staates<br />

bilde, soweit der Staat zu politischen Zwecken Gewalt<br />

e<strong>in</strong>setzt. Der Satz besagt nicht, dass der Krieg jeder<br />

beliebigen Geme<strong>in</strong>schaftsform <strong>die</strong>ne. Falls aber genau<br />

das geme<strong>in</strong>t war, dann ist er nicht viel mehr als e<strong>in</strong>e<br />

abgedroschene Phrase. » 28 Für Van Creveld ersche<strong>in</strong>t<br />

<strong>die</strong>ser Typ von Krieg nicht nur sehr spät <strong>in</strong> der<br />

<strong>Geschichte</strong>, sondern ist wieder am Verschw<strong>in</strong>den<br />

und damit auch <strong>die</strong> Lektionen von Clausewitz.<br />

E<strong>in</strong>e Strömung der US-Militärdenker hat auf <strong>die</strong>se<br />

angebliche „Entdeckung“ des asymmetrischen<br />

Krieges reagiert. Für <strong>die</strong>se Strömung ist das<br />

Wesentliche der Strategie, <strong>die</strong> Vorteile und<br />

Schwächen des Gegners herauszuf<strong>in</strong>den 29 . <strong>Die</strong>s führt<br />

Conrad Crane dazu, zwei Arten der Kriegsführung<br />

zu unterscheiden: „<strong>die</strong> asymmetrische und <strong>die</strong><br />

stumpfs<strong>in</strong>nige“ 30 . Wenn man hier berücksichtigt,<br />

dass man beim asymmetrische Krieg nicht vom<br />

Krieg des Schwachen gegen den Starken spricht<br />

(das wäre der unsymmetrische Krieg), sondern<br />

von der Strategie (<strong>die</strong> Bevölkerung und <strong>die</strong> zivile<br />

Verwaltung als Ziel <strong>nehmen</strong> und nicht bewaffnete<br />

Kräfte oder <strong>die</strong> Bevölkerung als das Kampf- und<br />

Streitfeld zu verstehen), so sieht man auch hier, dass<br />

der „asymmetrische Krieg“ nichts grossartig Neues<br />

ist.<br />

Zudem haben <strong>die</strong> nichtstaatlichen Akteure <strong>in</strong><br />

sogenannten « asymmetrischen » Kriegen (<strong>die</strong><br />

maoistische Guerilla auf den Philipp<strong>in</strong>en, <strong>die</strong> PKK<br />

<strong>in</strong> Kurdistan, <strong>die</strong> Hizbollah im Libanon, usw.) e<strong>in</strong>e<br />

gleiche und manchmal sogar höhere politische<br />

Vernunft als <strong>die</strong> Staaten, <strong>die</strong> sie bekämpfen. <strong>Die</strong><br />

zwischenstaatlichen Kriege, <strong>die</strong> revolutionären<br />

Kriege, <strong>die</strong> nationalen Befreiungskriege lassen<br />

<strong>die</strong>selbe politische Vernunft erkennen. Van<br />

Creveld irrt sich, wenn er nur den Staaten <strong>die</strong><br />

politische Vernunft zuschreibt, den Krieg als<br />

Mittel zu benutzen 31 . Es gibt bewaffnete Gruppen<br />

ohne politische Vernunft (Mafia, religiöse Sekten,<br />

rassistische Banden, Strassengangs), aber <strong>die</strong> treten<br />

nur sehr selten als Kriegsparteien auf, was allerd<strong>in</strong>gs<br />

vom Ausmass der dschihadistischen Phänomene<br />

kaschiert wird 32 .<br />

2.3. Gerechter Krieg, ungerechter Krieg<br />

Von Clausewitz‘ Idee, den Krieg mit der Politik <strong>in</strong><br />

Verb<strong>in</strong>dung zu setzen, haben wir bisher nur das<br />

Primat der Politik über das Militärische <strong>in</strong> Betracht<br />

gezogen. Indem Len<strong>in</strong> bei der Untersuchung<br />

des politischen Charakters des Krieges den<br />

Klassencharakter analysiert, kann er se<strong>in</strong>en<br />

historischen und moralischen Charakter freilegen.<br />

Dadurch kann er gerechte von ungerechten<br />

Kriegen unterscheiden: «<strong>Die</strong> Verteidigung des<br />

Vaterlandes anerkennen heißt <strong>die</strong> Legitimität und<br />

Gerechtigkeit e<strong>in</strong>es Krieges anerkennen. Legitimität<br />

und Gerechtigkeit von welchem Standpunkt? Nur<br />

vom Standpunkt des sozialistischen Proletariats und<br />

se<strong>in</strong>es Kampfes für se<strong>in</strong>e Befreiung: e<strong>in</strong>en anderen<br />

Standpunkt erkennen wir nicht an. Wenn <strong>die</strong> Klasse<br />

der Ausbeuter e<strong>in</strong>en Krieg führt, um ihre Herrschaft<br />

als Klasse zu stärken, so ist das e<strong>in</strong> verbrecherischer<br />

Krieg, und <strong>die</strong> „Vaterlandsverteidigung“ <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

solchen Krieg ist e<strong>in</strong>e Niedertracht und e<strong>in</strong> Verrat<br />

am Sozialismus. Wenn das Proletariat, das bei sich<br />

<strong>die</strong> Bourgeoisie besiegt hat, e<strong>in</strong>en Krieg führt zur<br />

Festigung und Entwicklung des Sozialismus, dann ist<br />

der Krieg berechtigt und „heilig“» 33 .<br />

<strong>Die</strong>s ist e<strong>in</strong>e beträchtliche Bereicherung der Theorie<br />

von Clausewitz‘, denn der letztere sieht ausser dem<br />

moralischen Vorteil der angegriffenen Nation nur<br />

<strong>die</strong> moralischen Faktoren, <strong>die</strong> nicht im Charakter<br />

des Krieges liegen (wie <strong>die</strong> militärische Tugend der<br />

Truppen, <strong>die</strong> beide Kriegsparteien gleichermassen<br />

besitzen können). <strong>Die</strong> militärische Bedeutung der<br />

marxistisch-len<strong>in</strong>istischen Unterscheidung besteht<br />

dar<strong>in</strong>, dass <strong>die</strong> Volksmassen im gerechten Krieg<br />

grundlegend beteiligt s<strong>in</strong>d, woraus e<strong>in</strong> höherer<br />

Mobilisierungsgrad, e<strong>in</strong>e grössere Ausdauer und<br />

Kampfkraft resultieren.<br />

Mehr<strong>in</strong>g ebnete den Weg dah<strong>in</strong>, <strong>in</strong>dem er das<br />

Konzept des „defensiven Krieges“ zugunsten des<br />

„gerechten Krieges“ verworfen hat. Das Konzept<br />

des „defensiven Krieges“ kann nämlich den<br />

imperialistischen Charakter e<strong>in</strong>es Krieges verbergen.<br />

Es war im Namen der legitimen Verteidigung, dass<br />

1914 Deutschland gegen Russland und Frankreich<br />

gegen Deutschland mobilisierte. Auf <strong>die</strong>ser Basis<br />

haben sich <strong>die</strong> deutschen und <strong>die</strong> französischen<br />

Sozialchauv<strong>in</strong>isten ihrer Bourgeoisie angeschlossen.<br />

46<br />

47


Ganz anders ist das Konzept des gerechten Krieges,<br />

<strong>in</strong> Form revolutionärer Kriege und nationaler<br />

Befreiungskriege, <strong>in</strong> denen <strong>die</strong> Massen für ihre<br />

eigenen Interessen kämpfen.<br />

« Es liegt auf der Hand, daß <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Frage (...)<br />

nicht der Angriffs- oder Verteidigungscharakter des<br />

Krieges, sondern <strong>die</strong> Interessen des Klassenkampfes<br />

des Proletariats, oder besser gesagt, <strong>die</strong> Interessen<br />

der <strong>in</strong>ternationalen Bewegung des Proletariats jenen<br />

e<strong>in</strong>zig möglichen Standpunkt bilden, von dem aus<br />

<strong>die</strong> Frage nach der Stellung der Sozialdemokratie<br />

zu der e<strong>in</strong>en oder anderen Ersche<strong>in</strong>ung <strong>in</strong> den<br />

<strong>in</strong>ternationalen Beziehungen betrachtet und<br />

entschieden werden kann.» 34 <strong>Die</strong>se Überlegung<br />

notierte Len<strong>in</strong> schon 1908, aber <strong>die</strong> Problematik<br />

trat vor allem 1914 gewaltig zutage, als <strong>die</strong> Führer<br />

der Zweiten Internationalen sich auf <strong>die</strong> Seite ihrer<br />

Bourgeoisie schlugen und behaupteten, dass <strong>die</strong><br />

fe<strong>in</strong>dliche Macht den Krieg erklärt habe.<br />

2.4. Nationaler Befreiungskrieg<br />

Len<strong>in</strong> ist <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Ansicht e<strong>in</strong> wahrer «Re<strong>in</strong>iger»<br />

des Marxismus. Es war e<strong>in</strong> weiter Weg! 1848<br />

waren <strong>die</strong> politischen, sozialen und nationalen<br />

Fragen aller Akteure vermischt. <strong>Die</strong> bourgeoisen<br />

Liberalen und <strong>die</strong> proletarische Avantgarde<br />

waren für <strong>die</strong> «nationale Befreiung» (<strong>die</strong> hier <strong>die</strong><br />

Form e<strong>in</strong>er deutschen Vere<strong>in</strong>igung annahm - <strong>in</strong><br />

Opposition zum verstaubten reaktionären Adel).<br />

<strong>Die</strong> Reaktionäre kämpften gleichzeitig gegen <strong>die</strong><br />

Partisanen der deutschen Vere<strong>in</strong>igung und der<br />

Demokratie.<br />

So erklärt sich auch der Enthusiasmus der<br />

demokratischen Partei im Deutsch-Dänischen<br />

Krieg, wo als Gew<strong>in</strong>n für Preussen Schleswig-<br />

Holste<strong>in</strong> herausschaute. Und es erklärt auch<br />

<strong>die</strong> starke Ablehnung von Marx und Engels der<br />

tschechischen nationalistischen Sache gegenüber 35 .<br />

<strong>Die</strong> Position von Marx und Engels war also von<br />

e<strong>in</strong>em «Grossdeutschland» geprägt, auch wenn das<br />

höhere Interesse an der revolutionären Sache <strong>die</strong>se<br />

Position begründete. Sie lehnten <strong>die</strong> tschechische<br />

nationale Sache nämlich vor allem deshalb ab, weil<br />

<strong>die</strong> slawischen nationalen Strömungen (und vor<br />

allem der Panslavismus) <strong>die</strong> Politik des Russischen<br />

Imperiums unterstützten. Das Russische Imperium<br />

war als wichtigste reaktionäre Kraft Europas nicht<br />

nur <strong>in</strong>nerhalb se<strong>in</strong>er Grenzen (<strong>in</strong> Polen) militärisch<br />

e<strong>in</strong>geschritten, sondern auch ausserhalb (<strong>in</strong><br />

Ungarn), und es war absolut gegen jede Änderung<br />

der Ordnung, <strong>die</strong> im Wiener Kongress 1815 durch<br />

<strong>die</strong> Heilige Allianz hergestellt wurde.<br />

48<br />

Zwar klärten Marx und Engels ihre Positionen.<br />

Len<strong>in</strong> verteidigte <strong>die</strong> Positionen von Marx und<br />

Engels über <strong>die</strong> Südslaven, aber erst er befreite<br />

<strong>die</strong> nationale Frage von ihrer vormarxistischen<br />

Gangart.<br />

Raymond Aron glaubt, e<strong>in</strong>en Widerspruch<br />

bei Len<strong>in</strong> gefunden zu haben: « Um <strong>die</strong> Natur<br />

des Krieges zu def<strong>in</strong>ieren, schiebt Len<strong>in</strong> <strong>die</strong><br />

nationalen Leidenschaften gleichgültig beiseite und<br />

beschränkt sich auf <strong>die</strong> marxistische Analyse der<br />

Staatengeme<strong>in</strong>schaft. Dagegen bezieht er sich, um <strong>die</strong><br />

Annexion zu def<strong>in</strong>ieren, auf den Willen des Volkes.<br />

Er verurteilt den patriotischen Enthusiasmus von<br />

1914, er stimmt im voraus dem Willen F<strong>in</strong>nlands,<br />

Polens oder sogar der Ukra<strong>in</strong>e zur Lostrennung zu.<br />

» 36 Len<strong>in</strong> beurteilte <strong>die</strong> nationalen Gefühle der<br />

Massen als berechtigt, wenn es um <strong>die</strong> Befreiung<br />

von Polen g<strong>in</strong>g, aber als vernachlässigbar (und als<br />

e<strong>in</strong> Produkt der bourgeoisen Propaganda), wenn es<br />

um <strong>die</strong> «Befreiung» von Lothr<strong>in</strong>gen-Elsass g<strong>in</strong>g.<br />

<strong>Die</strong> Bilanz e<strong>in</strong>er Diskussion über das Recht der<br />

Nationen auf Selbstbestimmung ist e<strong>in</strong> beachtlicher<br />

Text, weil er <strong>die</strong> len<strong>in</strong>istische Position gegen<br />

<strong>die</strong> chauv<strong>in</strong>istische Rechte def<strong>in</strong>iert, aber auch<br />

gegen <strong>die</strong> marxistische Zimmerwalder-L<strong>in</strong>ke, <strong>die</strong><br />

schrieb: « Wir wissen, daß der Sozialismus jede<br />

nationale Unterdrückung aufheben wird, weil er <strong>die</strong><br />

Klassen<strong>in</strong>teressen aufhebt, <strong>die</strong> zu ihr treiben. ».<br />

Len<strong>in</strong> wendet e<strong>in</strong>: «Wozu <strong>die</strong>se Betrachtung über <strong>die</strong><br />

ökonomischen Voraussetzungen für <strong>die</strong> Beseitigung<br />

der nationalen Unterdrückung, <strong>die</strong> längst bekannt<br />

und unbestritten s<strong>in</strong>d, wo doch der Streit um e<strong>in</strong>e<br />

der Formen der politischen Unterjochung geht, und<br />

zwar um das gewaltsame Festhalten e<strong>in</strong>er Nation<br />

<strong>in</strong>nerhalb der Staatsgrenzen e<strong>in</strong>er anderen Nation?<br />

Das ist doch weiter nichts als e<strong>in</strong> Versuch, den<br />

politischen Fragen aus dem Wege zu gehen!» 37<br />

« Unter dem Kapitalismus kann <strong>die</strong> nationale (und<br />

überhaupt <strong>die</strong> politische) Unterdrückung nicht<br />

beseitigt werden. Dazu ist <strong>die</strong> Aufhebung der Klassen,<br />

d. h. <strong>die</strong> E<strong>in</strong>führung des Sozialismus unerläßlich.<br />

Doch wenn der Sozialismus auch auf der Ökonomik<br />

begründet ist, erschöpft er sich doch ke<strong>in</strong>eswegs dar<strong>in</strong>.<br />

Zur Beseitigung der nationalen Unterdrückung<br />

ist e<strong>in</strong> Fundament notwendig - <strong>die</strong> sozialistische<br />

Produktion; aber auf <strong>die</strong>sem Fundament bedarf es<br />

noch e<strong>in</strong>er demokratischen Organisation des Staates,<br />

e<strong>in</strong>er demokratischen Armee usw. Hat das Proletariat<br />

den Kapitalismus <strong>in</strong> den Sozialismus umgestaltet, so<br />

schafft es <strong>die</strong> Möglichkeit für <strong>die</strong> völlige Beseitigung<br />

der nationalen Unterdrückung; <strong>die</strong>se Möglichkeit<br />

wird „nur» - „nur»! - dann zur Wirklichkeit werden,<br />

wenn <strong>die</strong> Demokratie auf allen Gebieten vollständig<br />

durchgeführt se<strong>in</strong> wird - bis zur Festlegung der<br />

Staatsgrenzen entsprechend den „Sympathien» der<br />

Bevölkerung, bis zur völligen Freiheit der Lostrennung<br />

e<strong>in</strong>schließlich. Auf <strong>die</strong>ser Basis wird ihrerseits <strong>in</strong> der<br />

Praxis <strong>die</strong> absolute Beseitigung auch der kle<strong>in</strong>sten<br />

nationalen Reibungen, des ger<strong>in</strong>gsten nationalen<br />

Mißtrauens erfolgen und damit <strong>die</strong> beschleunigte<br />

Annäherung und Verschmelzung der Nationen, <strong>die</strong><br />

durch das Absterben des Staates vollendet werden<br />

wird. Das ist <strong>die</strong> Theorie des Marxismus. » 38<br />

Wann haben <strong>die</strong> Kämpfe für e<strong>in</strong>e nationale Befreiung<br />

e<strong>in</strong>en Klassencharakter? Len<strong>in</strong> ist hier klar: Man<br />

muss hier das Recht auf Lostrennung (bis zum<br />

bewaffneten Aufstand) der nationalen M<strong>in</strong>derheiten<br />

und der unterdrückten Nationen unterstützen, auch<br />

wenn sie ke<strong>in</strong>en progressiven Charakter haben,<br />

ausser sie <strong>die</strong>nen als Instrument der <strong>in</strong>ternationalen<br />

Reaktion. Z.B. sollen <strong>die</strong> Marxisten (der Artikel<br />

wurde 1916 geschrieben) e<strong>in</strong>en Aufstand der<br />

Belgier gegen <strong>die</strong> Deutschen unterstützen, der<br />

Armenier gegen Russland, der Galizier gegen<br />

Österreich, auch wenn <strong>die</strong>se Bewegungen von<br />

den nationalen Bourgeoisien geführt wurden. <strong>Die</strong><br />

Marxisten dürfen sich nicht, auch nicht passiv,<br />

zu Komplizen gegen das Recht der Völker auf<br />

Selbstbestimmung machen. <strong>Die</strong> e<strong>in</strong>zige Ausnahme<br />

ist: « wenn es nicht e<strong>in</strong> Aufstand e<strong>in</strong>er reaktionären<br />

Klasse ist. » 39 : « <strong>Die</strong> e<strong>in</strong>zelnen Forderungen der<br />

Demokratie, darunter das Selbstbestimmungsrecht,<br />

s<strong>in</strong>d nichts Absolutes, sondern e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Teil<br />

der allgeme<strong>in</strong>-demokratischen (jetzt: allgeme<strong>in</strong>sozialistischen)<br />

Weltbewegung. Es ist möglich, daß<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen konkreten Fällen der Teil dem Ganzen<br />

widerspricht, dann muß man den Teil verwerfen.<br />

Es ist möglich, daß <strong>die</strong> republikanische Bewegung<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Lande nur das Werkzeug e<strong>in</strong>er klerikalen<br />

oder e<strong>in</strong>er f<strong>in</strong>anzkapitalistisch-monarchistischen<br />

Intrige anderer Länder ist - dann dürfen wir <strong>die</strong>se<br />

gegebene, konkrete Bewegung nicht unterstützen; es<br />

wäre aber lächerlich, aus <strong>die</strong>sem Grunde <strong>die</strong> Losung<br />

der Republik aus dem Programm der <strong>in</strong>ternationalen<br />

Sozialdemokratie h<strong>in</strong>auswerfen zu wollen. » 40<br />

49


Dritter Teil: Krieg und Revolution<br />

3.1. Krieg und Revolution<br />

Das Verhältnis von (imperialistischem) Krieg und<br />

(proletarischer) Revolution steht im Zentrum<br />

der len<strong>in</strong>istischen Erfahrung, und <strong>die</strong>s seit dem<br />

Russisch-Japanischen Krieg (1905) und dem<br />

Balkankrieg (1912-1913). <strong>Die</strong>ses Verhältnis<br />

ersche<strong>in</strong>t <strong>in</strong> zwei Formen:<br />

1. Der imperialistische Krieg ist, wenn nicht<br />

hauptsächlich, wenigstens teilweise e<strong>in</strong> Instrument<br />

der Konterrevolution. Auf der ideologischen Ebene<br />

werden <strong>die</strong> klassenkämpferischen Positionen und<br />

<strong>die</strong> E<strong>in</strong>heit der <strong>in</strong>ternationalen Arbeiterbewegung<br />

durch e<strong>in</strong>e nationalistische und chauv<strong>in</strong>istische<br />

Propaganda angegriffen. Konkret erlaubt es e<strong>in</strong><br />

Kriegszustand, politische und gewerkschaftliche<br />

Organisationen der Klasse zu zerstören.<br />

2. In e<strong>in</strong>em gegensätzlichen (aber dialektisch<br />

verbundenen) Mechanismus verschärft der<br />

imperialistische Krieg <strong>die</strong> Widersprüche durch <strong>die</strong><br />

Massaker, <strong>die</strong> Zwangsarbeit, <strong>die</strong> Misere und <strong>die</strong><br />

Zerstörung.<br />

<strong>Die</strong> <strong>in</strong>ternationale Arbeiterbewegung war auf<br />

den ersten Punkt konzentriert. Der Kampf gegen<br />

den Krieg war e<strong>in</strong> humanitärer Imperativ, aber<br />

für <strong>die</strong> Zweite Internationale auch erforderlich,<br />

um <strong>die</strong> «altbewährte Taktik» weiterzufahren, im<br />

Glauben, dass <strong>die</strong> Zeit, das Geschichtsbewusstse<strong>in</strong>,<br />

der historische Determ<strong>in</strong>ismus, <strong>die</strong> Entwicklung<br />

des Kapitalismus und se<strong>in</strong>er Widersprüche dem<br />

Sozialismus zuspielen würden. <strong>Die</strong> pazifistischen<br />

Fortschritte der Arbeiterbewegung schienen<br />

unaufhaltbar, und sie schienen den Frieden und<br />

damit <strong>die</strong> Gewissheit des Sieges aufrecht zu<br />

erhalten. Len<strong>in</strong> fiel aus dem Rahmen, als während<br />

des <strong>in</strong>ternationalen Kongresses <strong>in</strong> Stuttgart 1907<br />

<strong>die</strong> sozialdemokratischen Führer <strong>die</strong> Möglichkeiten<br />

zur Vermeidung des Krieges suchten. Er legte dar,<br />

dass man nicht ausschliesslich versuchen sollte,<br />

den Krieg zu verh<strong>in</strong>dern, sondern im Fall des<br />

Scheiterns <strong>die</strong> Krise, <strong>die</strong> durch den Krieg ausgelöst<br />

wird, dazu benutzen, <strong>die</strong> Bourgeoisie zu stürzen.<br />

Dadurch, dass Len<strong>in</strong> den Krieg als Katalysator<br />

der sozialen Widersprüche sah, hob er sich von<br />

denen ab, <strong>die</strong> den Krieg nur als Katastrophe für <strong>die</strong><br />

Arbeiterbewegung sahen. Len<strong>in</strong>s Änderungsantrag<br />

stiess <strong>die</strong> Rechte <strong>in</strong>nerhalb der Internationalen<br />

vor den Kopf. Bebel fürchtete, dass e<strong>in</strong>e solche<br />

revolutionäre Deklaration zu Prozessen führen<br />

würde, und so wurde sie «juristisch unangreifbar»<br />

formuliert, aber auch weniger klar.<br />

In der Theorie Len<strong>in</strong>s fördert der Krieg allerd<strong>in</strong>gs<br />

nicht zw<strong>in</strong>gend den revolutionären Prozess. Er hob<br />

sich von Radek und der deutschen L<strong>in</strong>ksextremen<br />

ab, welche <strong>die</strong> «Konvulsionen des Krieges» als den<br />

kürzesten Weg zur Revolution auffassten. Len<strong>in</strong><br />

glaubte, dass Kriege auf Grund der Entwicklung<br />

des Imperialismus unvermeidbar waren. Aber <strong>die</strong><br />

konkreten historischen Bed<strong>in</strong>gungen, <strong>die</strong> sehr<br />

schwierig zu durchschauen s<strong>in</strong>d, bestimmen,<br />

ob e<strong>in</strong> Krieg den Klassenkampf bremst oder<br />

beschleunigt. Der e<strong>in</strong>e Krieg verschärft <strong>die</strong><br />

revolutionären Widersprüche, der andere wirft<br />

<strong>die</strong> Arbeiterbewegung zurück. Für Len<strong>in</strong> war<br />

wichtig, dass im Krieg das Ziel der Revolution<br />

beibehalten wird und « daß man <strong>in</strong> den Massen<br />

das Bewußtse<strong>in</strong> der Notwendigkeit revolutionärer<br />

Aktionsmethoden <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit den Krisen, <strong>die</strong><br />

der Krieg unvermeidlich im Gefolge hat, entwickeln<br />

muß » 41 . In den Konferenzen von Zimmerwald und<br />

Kiental kämpfte er e<strong>in</strong>e doppelte Schlacht: gegen<br />

aussen gegen <strong>die</strong> Sozalchauv<strong>in</strong>isten, <strong>die</strong> sich mit<br />

ihrer Bourgeoisie vere<strong>in</strong>igt haben, und gegen <strong>in</strong>nen<br />

gegen <strong>die</strong>jenigen Zimmerwalder, <strong>die</strong> als e<strong>in</strong>ziges<br />

Ziel den Frieden hatten, den sofortigen Frieden<br />

ohne Annexionen. <strong>Die</strong>se pazifistische L<strong>in</strong>ie war <strong>in</strong><br />

Zimmerwald <strong>in</strong> der Mehrheit, sogar Clara Zetk<strong>in</strong><br />

und Angelica Balabanowa stimmten ihr zu 42 . <strong>Die</strong><br />

revolutionären Thesen von Len<strong>in</strong> vere<strong>in</strong>igten nur<br />

sieben oder acht der vierzig TeilnehmerInnen.<br />

Len<strong>in</strong> hatte nicht auf Zimmerwald gewartet, um<br />

den Pazifismus zu bemängeln: « Der Krieg ist ke<strong>in</strong><br />

Zufall, ke<strong>in</strong>e „Sünde», wie <strong>die</strong> christlichen Pfaffen<br />

glauben (<strong>die</strong> nicht schlechter als <strong>die</strong> Opportunisten<br />

Patriotismus, Humanität und Frieden predigen),<br />

er ist vielmehr e<strong>in</strong>e unvermeidliche Etappe des<br />

Kapitalismus, e<strong>in</strong>e ebenso gesetzmäßige Form des<br />

kapitalistischen Lebens wie der Frieden. Der Krieg<br />

unserer Tage ist e<strong>in</strong> Volkskrieg. Aus <strong>die</strong>ser Wahrheit<br />

folgt <strong>in</strong>des nicht, daß man mit dem „Volks»strom<br />

des Chauv<strong>in</strong>ismus schwimmen soll, sondern daß <strong>die</strong><br />

Klassengegensätze, von denen <strong>die</strong> Völker zerfleischt<br />

werden, auch zur Kriegszeit, auch im Krieg und dem<br />

Krieg angepaßt, fortbestehen und <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung<br />

treten werden. Kriegs<strong>die</strong>nstverweigerung, Streik<br />

51


gegen den Krieg usw. ist e<strong>in</strong>fach e<strong>in</strong>e Dummheit, e<strong>in</strong><br />

jämmerlicher und feiger Traum von unbewaffnetem<br />

Kampf gegen <strong>die</strong> bewaffnete Bourgeoisie, e<strong>in</strong> Seufzen<br />

nach Beseitigung des Kapitalismus ohne erbitterten<br />

Bürgerkrieg oder e<strong>in</strong>e Reihe solcher Kriege. <strong>Die</strong><br />

Propaganda des Klassenkampfes bleibt auch im<br />

Heer Pflicht der Sozialisten; <strong>die</strong> Arbeit, <strong>die</strong> auf <strong>die</strong><br />

Umwandlung des Völkerkrieges <strong>in</strong> den Bürgerkrieg<br />

abzielt, ist <strong>in</strong> der Epoche des imperialistischen<br />

bewaffneten Zusammenpralls der Bourgeoisie aller<br />

Nationen <strong>die</strong> e<strong>in</strong>zige sozialistische Arbeit. Nieder mit<br />

dem pfäffisch-sentimentalen und törichten Seufzen<br />

nach „Frieden um jeden Preis»! Entrollen wir das<br />

Banner des Bürgerkriegs!» 43<br />

3.2. Kautskys Der Weg zur Macht<br />

Len<strong>in</strong> war angewidert von Kautskys grundlegender<br />

Kehrtwende beim Ausbruch des Weltkrieges.<br />

<strong>Die</strong> Resolution von Stuttgart 1907, <strong>die</strong> 1910 <strong>in</strong><br />

Kopenhagen und 1912 <strong>in</strong> Basel bestätigt wurde,<br />

gibt den SozialistInnen den folgenden Auftrag:<br />

« Falls der Krieg dennoch ausbrechen sollte, ist es <strong>die</strong><br />

Pflicht, für dessen rasche Beendigung e<strong>in</strong>zutreten<br />

und mit allen Kräften dah<strong>in</strong> zu streben, <strong>die</strong> durch den<br />

Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische<br />

Krise zur Aufrüttelung des Volkes auszunutzen<br />

und dadurch <strong>die</strong> Beseitigung der kapitalistischen<br />

Klassenherrschaft zu beschleunigen» 44 . Nun aber<br />

schrieb Kautsky <strong>in</strong> <strong>Die</strong> Neue Zeit vom 2. Oktober<br />

1914: « Kommt es trotz aller Bemühungen der<br />

Sozialdemokratie darob zu e<strong>in</strong>em Kriege, dann muss<br />

sich eben jede Nation ihrer Haut wehren, so gut sie<br />

kann. Daraus folgt für <strong>die</strong> Sozialdemokraten aller<br />

Nationen das gleiche Recht oder <strong>die</strong> gleiche Pflicht,<br />

an <strong>die</strong>ser Verteidigung teilzu<strong>nehmen</strong>, ke<strong>in</strong>e darf der<br />

anderen daraus e<strong>in</strong>en Vorwurf machen. » 45 Kurz:<br />

Proletarier aller Länder, tötet euch...<br />

<strong>Die</strong> aussergewöhnliche Fe<strong>in</strong>dschaft gegen «den<br />

Renegat Kautsky» erklärt sich aus der Rolle, <strong>die</strong><br />

Kautsky vordem bei der Def<strong>in</strong>ition der proletarischen<br />

Politik gegenüber dem Krieg spielte 46 : 1887 hatte<br />

Kautsky <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Artikel <strong>in</strong> der Neuen Zeit mit dem<br />

Titel <strong>Die</strong> moderne Nationalität zur nationalen Frage<br />

und der Verb<strong>in</strong>dung zur sozialen Frage geschrieben.<br />

Kautsky kam verschiedentlich auf <strong>die</strong>se Fragen<br />

zurück (vor allem 1886 und 1905). 1907, als der<br />

Krieg anlässlich der marokkanischen Krise 47 bereits<br />

drohte, veröffentlichte er e<strong>in</strong>e Broschüre mit dem<br />

Titel Patriotismus und Sozialdemokratie 48 , <strong>in</strong> der<br />

er jede « Union Sacrée » zwischen Proletariat und<br />

Bourgeoisie ablehnt: « <strong>Die</strong> heutigen Gegensätze der<br />

Staaten können ke<strong>in</strong>en Krieg mehr br<strong>in</strong>gen, dem der<br />

proletarische Patriotismus nicht aufs entschiedenste<br />

zu widerstreben hätte».<br />

1909 behandelte Kautsky selbst <strong>die</strong> Frage der<br />

Beziehung Krieg-Revolution <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Werk,<br />

worauf Len<strong>in</strong> h<strong>in</strong>wies 49 : Der Weg zur Macht. <strong>Die</strong>se<br />

Broschüre bleibt seit ihrem Ersche<strong>in</strong>en e<strong>in</strong> zentraler<br />

Bezugspunkt Len<strong>in</strong>s – und hört nie auf, es zu se<strong>in</strong>.<br />

Und wenn Len<strong>in</strong> im Oktober 1914 an Schliapnikow<br />

schreibt: « Kautsky hasse und verachte ich jetzt<br />

am allermeisten: das ist dreckige, lumpige und<br />

selbstzufriedene Heuchelei.» 50 , schreibt er ihm vier<br />

Tage später: «Besorgen Sie sich unbed<strong>in</strong>gt Kautskys<br />

„Weg zur Macht» und lesen Sie es noch e<strong>in</strong>mal (oder<br />

bitten Sie jemand, es Ihnen zu übersetzen) - was hat<br />

er dort über <strong>die</strong> Revolution unserer Zeit geschrieben!!<br />

Und jetzt - welche Geme<strong>in</strong>heit von ihm, das alles zu<br />

widerrufen!» 51<br />

Kautsky berücksichtigte drei Fälle, <strong>in</strong> denen der<br />

Krieg e<strong>in</strong>e Revolution auslösen könnte:<br />

1. Wenn e<strong>in</strong> Land, das im Krieg unterliegt, alle<br />

nationalen Kräfte mobilisieren will und deshalb das<br />

Proletariat an <strong>die</strong> Macht beruft;<br />

2. Wenn <strong>die</strong> besiegte Armee, nach grossen Opfern,<br />

sich gegen <strong>die</strong> eigene Regierung stellt und das Volk<br />

e<strong>in</strong>en Aufstand macht, um dem desaströsen Kriege<br />

e<strong>in</strong> Ende zu setzen;<br />

3. Wenn <strong>die</strong> Armee und das Volk sich gegen <strong>die</strong><br />

Regierung erheben, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>en schmachvollen<br />

Frieden unterzeichnet hat.<br />

Nach Kautsky g<strong>in</strong>gen Europa und <strong>die</strong> ganze<br />

Welt, nach e<strong>in</strong>er Generation von Stabilität und<br />

Fortschritt, auf e<strong>in</strong>e neue Epoche von Kriegen<br />

und Revolutionen zu, <strong>die</strong> e<strong>in</strong> nie gesehenes<br />

Ausmass an<strong>nehmen</strong> sollten (wegen der weltweiten<br />

Dimension der technologischen Fortschritte<br />

und der neuen Kommunikationsmöglichkeiten).<br />

<strong>Die</strong>se Umwälzungen würden sowohl sozialistische<br />

Revolutionen <strong>in</strong> Europa als auch demokratische<br />

Revolutionen und nationale Befreiungskriege<br />

<strong>in</strong> beherrschten Ländern hervorrufen. <strong>Die</strong>ser<br />

Übergang von e<strong>in</strong>er nicht-revolutionären zu e<strong>in</strong>er<br />

revolutionären Situation würde neue radikale<br />

Taktiken erfordern. In <strong>die</strong>sem S<strong>in</strong>ne wäre <strong>in</strong> der<br />

Zuspitzung der Klassenantagonismen, wenn sich<br />

<strong>die</strong> Aktualität der sozialistischen Revolutionen<br />

zeigt, jede Klassenzusammenarbeit e<strong>in</strong> politischer<br />

Suizid: « Es heisst der Sozialdemokratie politischen<br />

Selbstmord zumuten, wenn man von ihr gerade jetzt<br />

<strong>die</strong> Teilnahme an e<strong>in</strong>er Koalitions-, e<strong>in</strong>er Blockpolitik<br />

verlangt, wo das Wort von der ‚reaktionären Masse‘ 52<br />

zur Wahrheit geworden ist. Es heisst, von der<br />

Sozialdemokratie moralischen Selbstmord verlangen,<br />

wenn man will, sie solle sich durch e<strong>in</strong>e Blockpolitik<br />

mit bürgerlichen Parteien verb<strong>in</strong>den, eben jetzt, wo<br />

<strong>die</strong>se sich prostituiert und aufs tiefste kompromittiert<br />

haben; (...)» 53<br />

Das Zusammenspiel der sozialistischen<br />

und demokratischen (anti-absolutistischen)<br />

Revolutionen, der nationalen und<br />

antikolonialistischen Befreiungskriege bedeutet<br />

<strong>die</strong> Zurückweisung vere<strong>in</strong>fachender Modelle,<br />

wonach <strong>die</strong> «fortgeschrittenen» Länder den<br />

«zurückgebliebenen» den Weg zeigen. Kautsky<br />

beschreibt, dass <strong>in</strong> Russland und <strong>in</strong> den beherrschten<br />

orientalischen Ländern <strong>die</strong>se Zusammenarbeit der<br />

verschiedenen Formen der Revolutionen neue<br />

Möglichkeiten eröffnen könnten .54<br />

<strong>Die</strong> SPD war soweit vom Opportunismus verm<strong>in</strong>t,<br />

dass <strong>die</strong> erste Version <strong>die</strong>ser Broschüre von Kautsky<br />

auf Bebels Befehl dem Reisswolf übergeben wurde,<br />

weil dar<strong>in</strong> betont wurde, dass « Niemand naiv genug<br />

sei zu behaupten, dass wir friedlich und unmerklich<br />

vom militarisierten Staat zur Demokratie übergehen<br />

werden». Kautsky akzeptierte, se<strong>in</strong>e Broschüre<br />

umzuschreiben und alles zu streichen, das e<strong>in</strong>en<br />

Prozess provozieren könnte, aber sie bewahrte<br />

den revolutionären Charakter.: « Darum sei hier<br />

nochmals, wie so oft schon früher, darauf aufmerksam<br />

gemacht, dass es sich nicht etwa darum handelt,<br />

ob Arbeiterschutzgesetze und sonstige Gesetze im<br />

Interesse des Proletariats, ob Gewerkschaften und<br />

Genossenschaften notwendig und nützlich s<strong>in</strong>d oder<br />

nicht. Darüber gibt es nicht zweierlei Me<strong>in</strong>ungen<br />

unter uns. Bestritten wird bloss <strong>die</strong> Anschauung,<br />

als könnten <strong>die</strong> ausbeutenden Klassen, <strong>die</strong> über <strong>die</strong><br />

Staatsgewalt verfügen, e<strong>in</strong>e solche Entwickelung<br />

<strong>die</strong>ser Faktoren zulassen, dass sie e<strong>in</strong>e Befreiung vom<br />

kapitalistischen Druck bedeuteten, ohne vorher mit<br />

allen Machtmitteln solchen Widerstand zu leisten,<br />

dass er nur durch e<strong>in</strong>en Entscheidungskampf beseitigt<br />

werden könnte» 55<br />

Kurz, wie Len<strong>in</strong> zusammenfasst: « Und Kautsky<br />

brachte 1909 <strong>die</strong> unbestrittene Ansicht aller<br />

revolutionären Sozialdemokraten zum Ausdruck,<br />

als er sagte, daß von e<strong>in</strong>er vorzeitigen Revolution <strong>in</strong><br />

Europa nun nicht mehr <strong>die</strong> Rede se<strong>in</strong> könne und daß<br />

der Krieg <strong>die</strong> Revolution bedeute. » 56<br />

3.3. <strong>Die</strong> Umwandlung des imperialistischen<br />

Krieges <strong>in</strong> den revolutionären<br />

Der Ausbruch des ersten Weltkrieges ist tatsächlich<br />

e<strong>in</strong> Schlag für <strong>die</strong> Arbeiterbewegung. Im Juli<br />

1914 gab es <strong>in</strong> Russland politische Streiks mit<br />

aufständischen Demonstrationen, <strong>die</strong> bei der<br />

Kriegserklärung e<strong>in</strong>en Monat später zerschlagen<br />

wurden. <strong>Die</strong> bolschewistischen Abgeordneten, <strong>die</strong><br />

<strong>in</strong> der Duma gegen <strong>die</strong> Kriegskredite gestimmt<br />

hatten, wurden nach Sibirien deportiert und <strong>die</strong><br />

meisten Fabriken wurden unter <strong>die</strong> Kontrolle und<br />

Überwachung der Armee gestellt. Alle sozialen<br />

Rechte, <strong>die</strong> während des grossen Kampfes seit dem<br />

Beg<strong>in</strong>n des Jahrhunderts erkämpft worden waren,<br />

wurden während des Konflikts „suspen<strong>die</strong>rt “57 .<br />

Dennoch verwendete sich Len<strong>in</strong>, der sich sicher<br />

war, dass <strong>die</strong> reaktionäre Propaganda wegen der<br />

Misere des Krieges wirkungslos werden würde, ab<br />

dem Sommer 1914, mitten <strong>in</strong> der chauv<strong>in</strong>istischen<br />

Hysterie dafür, den „imperialistischen Krieg <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>en Bürgerkrieg“ umzuwandeln.<br />

Georges Haupt bemerkt, dass das Studium der<br />

Schriften von Len<strong>in</strong> schwierig sei, da sie <strong>die</strong><br />

Notwendigkeit der revolutionären Pädagogik<br />

mit der von taktischen Manövern vermischt 58.<br />

Haupt behauptet zum Beispiel, dass <strong>die</strong> Losung<br />

„den imperialistischen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Bürgerkrieg<br />

umwandeln“ se<strong>in</strong>e Bedeutung im Verlauf des<br />

Krieges verändert habe. Von der e<strong>in</strong>fachen<br />

Bekräftigung der revolutionären Pr<strong>in</strong>zipien<br />

gegenüber der opportunistischen Zweiten<br />

Internationalen und gegenüber den Menschewiki<br />

ohne reale Möglichkeit der Umsetzung 1914, über<br />

<strong>die</strong> eventuell realisierbare Möglichkeit zur Zeit der<br />

Konferenzen von Zimmerwald und Kiental h<strong>in</strong><br />

zum konkreten unmittelbaren Ziel 1917.<br />

<strong>Die</strong>se These von Haupt ist zu bezweifeln. Ab 1914<br />

gab Len<strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Losung e<strong>in</strong>en konkreten Inhalt.<br />

Er wusste, dass <strong>die</strong> Zeit des Bürgerkrieges noch<br />

nicht gekommen war, aber es war mehr als e<strong>in</strong>e<br />

Bekräftigung der Pr<strong>in</strong>zipien. Es war e<strong>in</strong> konkretes<br />

Ziel, das e<strong>in</strong>e konkrete Organisation und konkrete<br />

Aktionen brauchte und e<strong>in</strong>e « allseitige, sowohl unter<br />

den Truppen als auch auf den Kriegsschauplätzen zu<br />

treibende Propaganda für <strong>die</strong> sozialistische Revolution<br />

und für das Gebot, <strong>die</strong> Waffen nicht gegen <strong>die</strong> eigenen<br />

Brüder, <strong>die</strong> Lohnsklaven anderer Länder, zu richten,<br />

sondern gegen <strong>die</strong> reaktionären und bürgerlichen<br />

Regierungen und Parteien <strong>in</strong> allen Ländern. Es ist<br />

unbed<strong>in</strong>gt notwendig, für e<strong>in</strong>e solche Propaganda <strong>in</strong><br />

allen Sprachen illegale Zellen und Gruppen <strong>in</strong> den<br />

Armeen aller Nationen zu organisieren. Gegen den<br />

Chauv<strong>in</strong>ismus und „Patriotismus» der Kle<strong>in</strong>bürger<br />

und Bourgeois ist <strong>in</strong> ausnahmslos allen Ländern e<strong>in</strong><br />

schonungsloser Kampf zu führen. Gegen <strong>die</strong> Führer<br />

der jetzigen Internationale, <strong>die</strong> den Sozialismus<br />

verraten haben, muss unbed<strong>in</strong>gt an das revolutionäre<br />

Klassenbewusstse<strong>in</strong> der Arbeitermassen appelliert<br />

werden, <strong>die</strong> alle Last des Krieges tragen und dem<br />

Opportunismus und Chauv<strong>in</strong>ismus zumeist<br />

fe<strong>in</strong>dselig gegenüberstehen. » 59<br />

52<br />

53


In Wahrheit handelte es sich seit dem ersten<br />

Moment um e<strong>in</strong> strategisches Projekt. <strong>Die</strong>ses war<br />

auf der Theorie der subjektiven und objektiven<br />

Bed<strong>in</strong>gungen begründet (so wie sie waren und wo<br />

und wie sie sich entwickeln sollten), aber auch,<br />

was Haupt nicht beachtete, auf den historischen<br />

Vorläufern der Pariser Kommune und der<br />

Revolution von 1905. <strong>Die</strong>se beiden grossen<br />

Erfahrungen von revolutionären Bürgerkriegen, auf<br />

<strong>die</strong> sich Len<strong>in</strong> so oft bezog, waren beide aus e<strong>in</strong>em<br />

imperialistischen Krieg entstanden: dem deutschfranzösischen<br />

Kriege von 1870 und dem Russisch-<br />

Japanischen Krieg von 1905.<br />

Len<strong>in</strong> erwägt <strong>die</strong> Perspektive der Umwandlung des<br />

imperialistischen Krieges <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Bürgerkrieg ab<br />

1914 sehr konkret: « <strong>Die</strong> Bourgeoisie betrügt <strong>die</strong><br />

Massen, <strong>in</strong>dem sie den imperialistischen Raubzug mit<br />

der alten Ideologie des „nationalen Krieges» verbrämt.<br />

Das Proletariat entlarvt <strong>die</strong>sen Betrug und verkündet<br />

<strong>die</strong> Losung der Umwandlung des imperialistischen<br />

Krieges <strong>in</strong> den Bürgerkrieg. Eben <strong>die</strong>se Losung war <strong>in</strong><br />

der Stuttgarter und der Basler Resolution vorgesehen,<br />

<strong>die</strong> nicht e<strong>in</strong>en Krieg schlechth<strong>in</strong>, sondern gerade den<br />

gegenwärtigen Krieg voraussahen und <strong>die</strong> nicht von<br />

der „Verteidigung des Vaterlandes» sprachen, sondern<br />

davon, dass man „<strong>die</strong> Beseitigung der kapitalistischen<br />

Klassenherrschaft beschleunigen», zu <strong>die</strong>sem Zweck<br />

<strong>die</strong> durch den Krieg herbeigeführte Krise ausnutzen<br />

und dem Beispiel der Kommune folgen müsse. <strong>Die</strong><br />

Kommune war <strong>die</strong> Umwandlung e<strong>in</strong>es Völkerkrieges<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Bürgerkrieg. E<strong>in</strong>e solche Umwandlung ist<br />

natürlich nicht leicht und kann nicht „auf Wunsch»<br />

e<strong>in</strong>zelner Parteien vollzogen werden. Aber gerade<br />

<strong>die</strong>se Umwandlung entspricht den objektiven<br />

Bed<strong>in</strong>gungen des Kapitalismus im allgeme<strong>in</strong>en und<br />

se<strong>in</strong>er Endepoche im besonderen. In <strong>die</strong>ser und nur <strong>in</strong><br />

<strong>die</strong>ser Richtung haben <strong>die</strong> Sozialisten zu wirken. Nicht<br />

für Kriegskredite stimmen, nicht dem Chauv<strong>in</strong>ismus<br />

des „eigenen» Landes (und der verbündeten Länder)<br />

Vorschub leisten, sondern <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie gegen den<br />

Chauv<strong>in</strong>ismus der „eigenen» Bourgeoisie kämpfen;<br />

sich nicht auf legale Kampfesformen beschränken,<br />

nachdem <strong>die</strong> Krise begonnen und <strong>die</strong> Bourgeoisie <strong>die</strong><br />

von ihr geschaffene Legalität selbst aufgehoben hat -<br />

das ist <strong>die</strong> L<strong>in</strong>ie der Arbeit, <strong>die</strong> auf den Bürgerkrieg<br />

abzielt und <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem oder jenem Zeitpunkt des<br />

europäischen Brandes zu ihm führen wird.» 60<br />

Es ist offensichtlich, dass es nicht darum geht, sich auf<br />

<strong>die</strong> Eventualität e<strong>in</strong>es Bürgerkrieges vorzubereiten,<br />

sondern dass es darum geht e<strong>in</strong>e Aktionsl<strong>in</strong>ie zu<br />

verfolgen, <strong>die</strong> darauf zusteuert. In <strong>die</strong>sem Rahmen<br />

bleibt Len<strong>in</strong>s Gedankengut realistisch: Es lauert auf<br />

54<br />

Entwicklungen, Gegenschläge, Überhitzung von<br />

Prozessen sowie deren konkreten Manifestationen.<br />

Er stellt zum Beispiel e<strong>in</strong> Ereignis fest, das im<br />

Russisch-Japanischen Krieg 1905 noch unbekannt<br />

war: <strong>die</strong> Verbrüderung <strong>in</strong> den Schützengräben: «<br />

Es ist klar, daß [<strong>die</strong> Verbrüderung] das brüderliche<br />

Vertrauen zwischen den Arbeitern der verschiedenen<br />

Länder fördert, stärkt und festigt. Es ist klar, daß<br />

<strong>die</strong>ser Weg <strong>die</strong> verdammte Zuchthausdiszipl<strong>in</strong> des<br />

Kasernenhofes zu brechen beg<strong>in</strong>nt, <strong>die</strong> Diszipl<strong>in</strong><br />

des Kadavergehorsams der Soldaten gegenüber<br />

„ihren» Offizieren und Generalen, gegenüber ihren<br />

Kapitalisten (denn <strong>die</strong> Offiziere und Generale<br />

gehören größtenteils zur Kapitalistenklasse, oder<br />

aber sie vertreten deren Interessen). Es ist klar, daß<br />

<strong>die</strong> Verbrüderung <strong>die</strong> revolutionäre Initiative der<br />

Massen verkörpert, das Erwachen des Gewissens,<br />

der Vernunft, der Kühnheit der unterdrückten<br />

Klassen, daß sie, mit anderen Worten, e<strong>in</strong> Glied<br />

ist <strong>in</strong> der Kette der Schritte zur sozialistischen,<br />

proletarischen Revolution. (...)Aber das genügt<br />

noch nicht. Es ist notwendig, daß <strong>die</strong> Soldaten<br />

jetzt zu e<strong>in</strong>er Verbrüderung übergehen, bei der e<strong>in</strong><br />

klares politisches Programm besprochen wird. (...)In<br />

unserem Aufruf an <strong>die</strong> Soldaten aller kriegführenden<br />

Länder haben wir denn auch unser Programm der<br />

Arbeiterrevolution <strong>in</strong> allen Ländern dargelegt:<br />

Übergang der gesamten Staatsmacht an <strong>die</strong> Sowjets<br />

der Arbeiter- und Soldatendeputierten. Genossen<br />

Soldaten! Besprecht <strong>die</strong>ses Programm <strong>in</strong> eurem Kreis<br />

und zusammen mit den deutschen Soldaten! » 61<br />

Und Len<strong>in</strong> setzt sich dafür e<strong>in</strong>, « daß Aufrufe <strong>in</strong><br />

russischer Sprache herausgegeben, <strong>in</strong>s Deutsche<br />

übersetzt und an der Front verbreitet werden; zweitens,<br />

daß mit Hilfe von Übersetzern Meet<strong>in</strong>gs russischer<br />

und deutscher Soldaten an der Front veranstaltet<br />

werden» etc. 62 . <strong>Die</strong> Bolschewiki werden massenhaft<br />

e<strong>in</strong>e Prawda der Schützengräben (Okopnaja Pravda)<br />

herausgeben, <strong>die</strong> zur Verbrüderung aufruft.<br />

<strong>Die</strong> Taktik und <strong>die</strong> Ideologie bei Len<strong>in</strong> zu entflechten<br />

ist fast unmöglich, da er <strong>die</strong> Kunst, Theorie und<br />

Praxis <strong>in</strong> e<strong>in</strong> dialektisches Verhältnis zu setzen,<br />

zum Höchsten getrieben hat und <strong>die</strong>se Dialektik <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>e flexible, da solide, und e<strong>in</strong>e solide, da flexible<br />

Strategie synthetisiert und sie für <strong>die</strong> Polemik,<br />

<strong>die</strong> Agitation und <strong>die</strong> Propaganda formuliert hat.<br />

Wenn man <strong>die</strong> Tiefe und <strong>die</strong> Reichhaltigkeit von<br />

Len<strong>in</strong>s Dialektik nicht versteht, kann e<strong>in</strong>em Len<strong>in</strong><br />

entweder als stumpfs<strong>in</strong>niger Ideologe ersche<strong>in</strong>en,<br />

der ungeschickt am Jahrhundert herumschnippelt,<br />

um es se<strong>in</strong>em Ideal anzugleichen, oder als e<strong>in</strong><br />

absoluten Empirist, der unablässig se<strong>in</strong>e L<strong>in</strong>ie und<br />

se<strong>in</strong>en Diskurs ändert, sobald es se<strong>in</strong>en Zielen zu<br />

<strong>die</strong>nen sche<strong>in</strong>t.<br />

Soldaten beobachten 1919 von den Dächern Berl<strong>in</strong>s den Spartakusaufstand<br />

55


Vierter Teil:Der revolutionäre Krieg<br />

4.1. Der Aufstand<br />

Das Interesse Len<strong>in</strong>s an militärischen Fragen war<br />

natürlich auch mit der militärischen Dimension<br />

des revolutionären Kampfes verbunden. Ab Januar<br />

1905, also vor der Aufstandswelle, begannen<br />

<strong>die</strong> Bolschewiki, e<strong>in</strong>e bewaffnete Organisation<br />

aufzubauen. Am zweiten Londoner Kongress (12.-<br />

27. April 1905) wurde e<strong>in</strong> militär-technisches Büro<br />

e<strong>in</strong>gerichtet, das dem Zentralkomitee nahe stand,<br />

und <strong>die</strong> lokalen Komitees wurden dazu angehalten,<br />

e<strong>in</strong>en Aufstandsplan auszuarbeiten und sich darauf<br />

vorzubereiten.<br />

<strong>Die</strong> Aufstandswelle von 1905 überraschte <strong>die</strong><br />

SDAPR, <strong>die</strong> ke<strong>in</strong>en eigentlichen militärischen Arm<br />

hatte und ke<strong>in</strong>e andere Doktr<strong>in</strong> als Engels‘ Schriften<br />

über den Aufstand. Das militär-technische Büro<br />

beteiligte sich beim Anheben des Niveaus des<br />

revolutionären Kampfes der Massen, <strong>in</strong>dem es<br />

Informationskampagnen, Aktionen gegen Führer<br />

und Kräfte des Regimes und Enteignungen für<br />

<strong>die</strong> F<strong>in</strong>anzierung durchführte. Aber <strong>die</strong> Kräfte<br />

und <strong>die</strong> Auswirkungen waren ungenügend. <strong>Die</strong><br />

Bolschewiki – und Len<strong>in</strong> im Besonderen – zogen<br />

sofort Lehren aus den Erfahrungen, um <strong>die</strong><br />

Effizienz ihrer Kampfgruppen zu steigern. Im<br />

Oktober schrieb Len<strong>in</strong> an <strong>die</strong> Kampforganisation:<br />

« Ich sehe mit Entsetzen, wahrhaftig mit Entsetzen,<br />

daß man schon länger als e<strong>in</strong> halbes Jahr von<br />

Bomben spricht und noch ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige hergestellt<br />

hat! (...) Geht zur Jugend. Gründet sofort<br />

Kampfgruppen, überall und allerorts, sowohl bei<br />

den Studenten als auch besonders bei den Arbeitern<br />

usw. usf. Trupps von 3 bis 10, bis zu 30 usw. Mann<br />

sollen sich unverzüglich formieren. Sie sollen sich<br />

unverzüglich selber bewaffnen, so gut jeder kann, mit<br />

Revolvern, Messern, petroleumgetränkten Lappen,<br />

um Feuer anzulegen usw. <strong>Die</strong>se Kampfabteilungen<br />

sollen sich unverzüglich Führer wählen und sich<br />

nach Möglichkeit mit dem Kampfausschuß des<br />

Petersburger Komitees <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung setzen.<br />

Verlangt ke<strong>in</strong>erlei Formalitäten, pfeift um Himmels<br />

willen auf alle Schemas, schickt um Gottes willen alle<br />

„Funktionen, Rechte und Privilegien» zum Teufel.<br />

Besteht nicht auf dem Beitritt zur SDAPR — das<br />

wäre für den bewaffneten Aufstand e<strong>in</strong>e absurde<br />

Forderung. Weigert euch nicht, mit jedem Zirkel <strong>in</strong><br />

Verb<strong>in</strong>dung zu treten, auch wenn er nur aus drei<br />

Personen besteht, unter der e<strong>in</strong>zigen Bed<strong>in</strong>gung, daß<br />

er <strong>in</strong> bezug auf <strong>die</strong> Polizei unverdächtig und bereit ist,<br />

gegen <strong>die</strong> zaristischen Truppen zu kämpfen.» 63<br />

In ihren Memoiren beschreibt N. K. Krupskaia den<br />

Fleiss, den Len<strong>in</strong> <strong>in</strong>s Studium der militärischen<br />

Kunst steckte: « Er beschäftigte sich mit <strong>die</strong>sem Zweig<br />

viel mehr als man weiss, und se<strong>in</strong>e Gespräche über<br />

<strong>die</strong> Stosstrupps während des Partisanenkriegs, über<br />

« Fünfer- und Zehnergruppen hatten nichts geme<strong>in</strong>sam<br />

mit dem Geschwätz e<strong>in</strong>es Laien, sondern enthüllten<br />

e<strong>in</strong>en <strong>in</strong> allen Details durchdachten Plan.» 64 . Im Januar<br />

1905 hatte Len<strong>in</strong> wieder den Artikel von Marx über<br />

den Aufstand gelesen und das Kapitel von Cluserets<br />

(dem General der Pariser Kommune) Memoiren über<br />

<strong>die</strong> Strassenkämpfe übersetzt. <strong>Die</strong> Memoiren von<br />

Cluseret wurden <strong>in</strong> Wperiod (Vorwärts) mit e<strong>in</strong>er<br />

E<strong>in</strong>leitung und e<strong>in</strong>er biographischen Notiz von Len<strong>in</strong><br />

veröffentlicht » 65 .<br />

Am 5. Dezember beschloss <strong>die</strong> bolschewistische<br />

Konferenz von Moskau e<strong>in</strong>stimmig, den aufständischen<br />

Generalstreik auszurufen, gefolgt am 7. Dezember<br />

vom Moskauer Sowjet (mit bolschewistischer<br />

Mehrheit). Der Streik und <strong>die</strong> Demonstrationen<br />

führten zur bewaffneten Konfrontation, aber der<br />

Rat der Koalitionen der Kampfgruppen 66 , wo <strong>die</strong><br />

Bolschewisten <strong>die</strong> M<strong>in</strong>derheit darstellten, erwies<br />

sich als unfähig, <strong>die</strong> Führung des Aufstands zu<br />

über<strong>nehmen</strong>. <strong>Die</strong> Moskauer Arbeiter widerstanden,<br />

aber es waren nur 8000 militärisch organisiert. <strong>Die</strong><br />

SDAPR versuchte mit allen Mitteln den Aufstand zu<br />

unterstützen (vor allem <strong>in</strong>dem sie Züge aufzuhalten<br />

versucht, <strong>die</strong> Truppen nach Moskau br<strong>in</strong>gen67) aber<br />

am 18. Dezember fiel das Quartier Presnia im Osten<br />

Moskaus, wo sich <strong>die</strong> letzten Kämpfer verschanzt<br />

hatten.<br />

<strong>Die</strong> Menschewiki (z.B. Plechanow) zogen aus dem<br />

Absterben der revolutionären Bewegung 1905<br />

und vor allem aus dem Aufstand <strong>in</strong> Moskau ihren<br />

Schluss, dass es e<strong>in</strong> „taktischer Wahns<strong>in</strong>n“ und<br />

e<strong>in</strong>e „unglaubliche Leichts<strong>in</strong>nigkeit“ war 68 . <strong>Die</strong><br />

Bolschewiki erklärten auch nach den Niederlagen von<br />

Moskau, Donezk und Rostow, dass das Problem e<strong>in</strong><br />

Mangel an Kräften, an organisatorischer, militärischer<br />

und theoretischer Vorbereitung war: « Es gibt somit<br />

nichts Kurzsichtigeres als <strong>die</strong> von allen Opportunisten


aufgegriffene Ansicht Plechanows, es hätte ke<strong>in</strong>en<br />

S<strong>in</strong>n gehabt, den unzeitgemäßen Streik zu beg<strong>in</strong>nen,<br />

„man hätte nicht zu den Waffen greifen sollen». Im<br />

Gegenteil, man hätte entschlossener, energischer<br />

und offensiver zu den Waffen greifen, hätte den<br />

Massen <strong>die</strong> Unmöglichkeit e<strong>in</strong>es bloß friedlichen<br />

Streiks und <strong>die</strong> Notwendigkeit e<strong>in</strong>es furchtlosen und<br />

schonungslosen bewaffneten Kampfes klarmachen<br />

müssen. Wir müssen jetzt endlich offen und allen<br />

vernehmlich erklären, daß <strong>die</strong> politischen Streiks<br />

unzureichend s<strong>in</strong>d, müssen <strong>in</strong> den breitesten Massen<br />

für den bewaffneten Aufstand agitieren, ohne <strong>die</strong>se<br />

Frage durch irgendwelche „Vorstufen» zu vertuschen,<br />

ohne sie durch irgend etwas zu verschleiern. Den<br />

Massen <strong>die</strong> Notwendigkeit e<strong>in</strong>es erbitterten, blutigen,<br />

vernichtenden Krieges als unmittelbare Aufgabe der<br />

bevorstehenden Aktion verhehlen heißt sich selbst<br />

und das Volk betrügen. » 69<br />

Len<strong>in</strong> zieht daraus auch taktische Lektionen, <strong>die</strong><br />

Kautskys <strong>in</strong> <strong>Die</strong> Chancen der russischen Revolution<br />

skizziert. Dass <strong>die</strong> Aufständischen <strong>in</strong> Moskau<br />

den Elitetruppen des Regimes e<strong>in</strong>en derartigen<br />

Widerstand entgegensetzen konnte, zeigte, dass <strong>die</strong><br />

Verurteilung der Barrikadenkämpfe durch Engels<br />

überdacht werden musste. Es war e<strong>in</strong>e bestimmte<br />

Barrikadentaktik, <strong>die</strong> durch das Aufkommen von<br />

Kanonen unmöglich wurde. Mit der Erfahrung von<br />

Moskau konnte aber e<strong>in</strong>e neue Taktik entwickelt<br />

werden.<br />

<strong>Die</strong> gelernte Lektionen führten schrittweise zur<br />

aufständischen Doktr<strong>in</strong>, <strong>die</strong> im Oktober 1917 <strong>in</strong><br />

Praxis umgesetzt wurde. <strong>Die</strong>se Doktr<strong>in</strong> berief sich<br />

nicht mehr auf Barrikadenkämpfe und spontanen<br />

Massendemonstrationen, sondern auf offensive<br />

Aktionen, <strong>die</strong> abgestimmt und geplant waren,<br />

auf tra<strong>in</strong>ierte und diszipl<strong>in</strong>ierte E<strong>in</strong>heiten von<br />

bewaffneten Arbeitern 70 , auf <strong>die</strong> Beherrschung<br />

von militärischen Techniken 71 und auf<br />

Zermürbungsarbeit gegen <strong>die</strong> bürgerliche Armee<br />

durch Agitation und Propaganda 72 . <strong>Die</strong> Doktr<strong>in</strong><br />

stützte sich endlich auf e<strong>in</strong>e präzise aktuelle Analyse<br />

der subjektiven und objektiven Bed<strong>in</strong>gungen:<br />

politische Systemkrise, Unzufriedenheit der<br />

Massen, Existenz e<strong>in</strong>er anerkannten revolutionären<br />

Avantgarde und Unterstützung der Bauern für<br />

<strong>die</strong> proletarische Revolution. <strong>Die</strong> Doktr<strong>in</strong> bed<strong>in</strong>gt<br />

e<strong>in</strong>e lange Arbeit <strong>in</strong> Vorbereitung, Vergrösserung<br />

und Qualifizierung der militärischen Kräfte. Der<br />

schliesslichen Umsetzung g<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>e lange politischmilitärische<br />

Phase voraus, <strong>die</strong> von Len<strong>in</strong> <strong>in</strong> Der<br />

Partisanenkrieg analysiert wurde. <strong>Die</strong>se Doktr<strong>in</strong><br />

schreibt dem bewaffneten Kampf drei Rollen zu:<br />

e<strong>in</strong>e subjektive Rolle der politischen Mobilisierung<br />

der Mitglieder und der Massen, e<strong>in</strong>e Rolle der<br />

Gew<strong>in</strong>nung von Kräften <strong>in</strong> nichtrevolutionären<br />

Phasen und e<strong>in</strong>e f<strong>in</strong>ale und entscheidende Rolle im<br />

bewaffneten Aufstand.<br />

4. 2. Der Partisanenkrieg<br />

Len<strong>in</strong> musste den Streit gegen Plechanow führen.<br />

<strong>Die</strong>ser wollte <strong>die</strong> Kampfgruppen auflösen, um nur<br />

noch über <strong>die</strong> Aktionen der Abgeordneten <strong>in</strong> der<br />

Duma Politik zu machen. <strong>Die</strong> Bolschewiki billigten<br />

Banküberfälle (deren Ertrag für das Funktionieren<br />

e<strong>in</strong>er klandest<strong>in</strong>en Partei notwendig war), und<br />

führten sie auch aus, ebenso bewaffnete Aktionen<br />

gegen Mitglieder des Repressionsapparates, speziell<br />

gegen Spitzel.<br />

E<strong>in</strong>e Schule für Militär-Instruktoren wurde <strong>in</strong><br />

Kiew und e<strong>in</strong>e andere für <strong>die</strong> Verwendung von<br />

Bomben <strong>in</strong> Lemberg gegründet. Im November<br />

1906 berief Len<strong>in</strong> über das militärtechnische Büro<br />

e<strong>in</strong>e Konferenz der Kampfgruppen <strong>in</strong> Tammersfors<br />

<strong>in</strong> F<strong>in</strong>nland e<strong>in</strong>. Dort begegnete Jarorslawski, e<strong>in</strong>er<br />

der hauptsächlichen Militärführer, Len<strong>in</strong>: « Ich b<strong>in</strong><br />

<strong>in</strong> F<strong>in</strong>nland angekommen, wo ich Wladimir Iljitsch<br />

getroffen habe, der mich mit Fragen überfiel. Ich<br />

spürte sofort, dass ich es mit e<strong>in</strong>em Genossen zu<br />

tun hatte, der unsere Arbeit à fond kannte und sich<br />

ernsthaft <strong>in</strong>teressierte. Vladimir Iljitsch begnügte<br />

sich nicht mit allgeme<strong>in</strong>en Antworten. Er wollte<br />

<strong>die</strong> Details kennen, <strong>die</strong> Mechanik unserer Arbeit,<br />

unsere Projekte, unsere Kontakte. Er <strong>in</strong>teressierte<br />

sich lebhaft für <strong>die</strong> Schule der Militär<strong>in</strong>struktoren,<br />

<strong>die</strong> wir organisiert hatten und wo wir unseren<br />

Militanten <strong>die</strong> Handhabung und Herstellung von<br />

Sprengstoffen beibrachten, <strong>die</strong> Be<strong>die</strong>nung der<br />

Masch<strong>in</strong>engewehre und anderer Waffen, wo man das<br />

Handwerk der Sappeure-M<strong>in</strong>eure lehrte, <strong>die</strong> Taktik<br />

der Strassenkämpfe, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Wort, wo man <strong>die</strong><br />

Leiter der Kommandanten unserer Kampfe<strong>in</strong>heiten<br />

für <strong>die</strong> zukünftige Revolution vorbereitete.» 73<br />

In den Leitungsgremien der SDAPR gab es<br />

ausser dem offiziellen Zentralkomitee (von den<br />

Menschewiki kontrolliert) e<strong>in</strong> bolschewistisches<br />

Zentrum (Komiteebüro der Mehrheit), deren<br />

militärische Organisation (Komitee für F<strong>in</strong>anzund<br />

Militärangelegenheiten) von Len<strong>in</strong> , Krass<strong>in</strong> 74<br />

und Bogdanow 75 geleitet wurde.<br />

Im H<strong>in</strong>blick auf den Stockholmer Kongress<br />

(10.-20. April 1906) schrieb Len<strong>in</strong> folgenden<br />

Resolutionsentwurf :<br />

« In der Erwägung:<br />

1. daß es seit dem Dezemberaufstand fast<br />

nirgends <strong>in</strong> Rußland zur völligen E<strong>in</strong>stellung der<br />

Kampfhandlungen gekommen ist, <strong>die</strong> jetzt von<br />

Seiten des revolutionären Volkes <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen<br />

Partisanenüberfällen auf den Fe<strong>in</strong>d zum Ausdruck<br />

kommen;<br />

2. daß derartige Partisanenaktionen, <strong>die</strong> beim<br />

Vorhandense<strong>in</strong> zweier fe<strong>in</strong>dlicher bewaffneter Kräfte<br />

und beim Wüten der vorübergehend triumphierenden<br />

militärischen Unterdrückung unvermeidlich<br />

s<strong>in</strong>d, zugleich der Desorganisierung des Fe<strong>in</strong>des<br />

<strong>die</strong>nen und <strong>die</strong> kommenden offenen bewaffneten<br />

Massenaktionen vorbereiten;<br />

3. daß derartige Aktionen auch für <strong>die</strong><br />

Kampferziehung und militärische Ausbildung<br />

unserer Kampfgruppen notwendig s<strong>in</strong>d, <strong>die</strong> sich<br />

während des Dezemberaufstands an vielen Orten<br />

praktisch als unvorbereitet auf <strong>die</strong> für sie neue Sache<br />

erwiesen haben;<br />

erklären wir und beantragen, der Parteitag wolle<br />

beschließen:<br />

1. <strong>die</strong> Partei muß <strong>die</strong> Partisanenaktionen der<br />

Kampfgruppen, <strong>die</strong> zur Partei gehören oder sich<br />

an sie anlehnen, als pr<strong>in</strong>zipiell zulässig und <strong>in</strong> der<br />

gegenwärtigen Periode zweckmäßig anerkennen;<br />

2. <strong>die</strong> Partisanenkampfaktionen müssen so geartet<br />

se<strong>in</strong>, daß sie der Aufgabe Rechnung tragen, Kader von<br />

Führern der Arbeitermassen während des Aufstands<br />

zu erziehen und Erfahrung <strong>in</strong> überraschenden<br />

Angriffshandlungen zu vermitteln;<br />

3. als unmittelbare Hauptaufgabe solcher<br />

Aktionen ist <strong>die</strong> Zerstörung des Regierungs-,<br />

Polizei- und Militärapparats zu betrachten sowie<br />

der schonungslose Kampf gegen <strong>die</strong> aktiven<br />

Schwarzhunderterorganisationen, <strong>die</strong> der<br />

Bevölkerung gegenüber zu Gewalt greifen und sie<br />

e<strong>in</strong>zuschüchtern suchen;<br />

4. Kampfaktionen s<strong>in</strong>d gleichfalls zulässig, um<br />

Geldmittel, <strong>die</strong> dem Fe<strong>in</strong>d, d. h. der absolutistischen<br />

Regierung gehören, zu erbeuten und <strong>die</strong>se Mittel für<br />

<strong>die</strong> Erfordernisse des Aufstands zu verwenden, wobei<br />

streng darauf zu achten ist, daß <strong>die</strong> Interessen der<br />

Bevölkerung möglichst geschont werden;<br />

5. <strong>die</strong> Partisanenkampfaktionen müssen unter<br />

Kontrolle der Partei durchgeführt werden, und zwar<br />

so, daß. <strong>die</strong> Kräfte des Proletariats nicht unnütz<br />

vergeudet werden und daß dabei <strong>die</strong> Bed<strong>in</strong>gungen<br />

der Arbeiterbewegung <strong>in</strong> dem betreffenden Ort und<br />

<strong>die</strong> Stimmung der breiten Massen berücksichtigt<br />

werden. » 76<br />

Aber der mehrheitlich aus menschewistischen<br />

Delegierten zusammengesetzte Kongress diskutierte<br />

<strong>die</strong> Frage nicht. Len<strong>in</strong> kommt im September 1906<br />

auf <strong>die</strong> Frage zurück und bekräftigt:<br />

« Der Partisanenkampf ist e<strong>in</strong>e unvermeidliche<br />

Kampfform <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zeit, wo <strong>die</strong> Massenbewegung<br />

<strong>in</strong> der Praxis schon an den Aufstand heranreicht<br />

und mehr oder m<strong>in</strong>der große Pausen zwischen<br />

den «großen Schlachten» des Bürgerkriegs<br />

e<strong>in</strong>treten. (...) Es ist daher durchaus natürlich und<br />

unvermeidlich, daß <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er SOLCHEN Epoche,<br />

<strong>in</strong> der Epoche der das ganze Volk erfassenden<br />

politischen Streiks, der AUFSTAND nicht <strong>die</strong> alte<br />

Form von E<strong>in</strong>zelaktionen an<strong>nehmen</strong> kann, <strong>die</strong> sich<br />

auf e<strong>in</strong>e sehr kurze Zeitspanne und auf e<strong>in</strong> sehr<br />

kle<strong>in</strong>es Gebiet beschränken. Es ist ganz natürlich<br />

und unvermeidlich, daß der Aufstand <strong>die</strong> höheren<br />

und komplizierteren Formen e<strong>in</strong>es langwierigen,<br />

das ganze Land erfassenden Bürgerkriegs, d.h. des<br />

bewaffneten Kampfes des e<strong>in</strong>en Teils des Volkes<br />

gegen den anderen, annimmt. E<strong>in</strong>en solchen Krieg<br />

kann man sich nur vorstellen als e<strong>in</strong>e Reihe von<br />

wenigen, durch verhältnismäßig große Zeitabstände<br />

vone<strong>in</strong>ander getrennten großen Schlachten und e<strong>in</strong>e<br />

Menge von kle<strong>in</strong>eren Scharmützeln im Verlauf <strong>die</strong>ser<br />

Zwischenzeiten. Wenn das so ist - und zweifellos ist es<br />

so -, dann muß <strong>die</strong> Sozialdemokratie unbed<strong>in</strong>gt ihre<br />

Aufgabe dar<strong>in</strong> sehen, Organisationen zu schaffen,<br />

<strong>die</strong> <strong>in</strong> möglichst hohem Maße dazu befähigt s<strong>in</strong>d, <strong>die</strong><br />

Massen sowohl <strong>in</strong> <strong>die</strong>sen großen Schlachten als auch,<br />

nach Möglichkeit, <strong>in</strong> <strong>die</strong>sen kle<strong>in</strong>eren Scharmützeln<br />

zu führen.» 77<br />

Doch wurde <strong>die</strong> Auflösung der Kampfgruppen<br />

auf dem Dritten Londoner Kongress (13. Mai bis<br />

1 Juni 1907) von der menschewistischen Mehrheit<br />

beschlossen.<br />

4.3. Len<strong>in</strong> als Feldherr<br />

<strong>Die</strong> Rolle Len<strong>in</strong>s als Feldherr wird falsch<br />

e<strong>in</strong>geschätzt und <strong>die</strong> <strong>die</strong>sbezügliche Beurteilung<br />

Adam Ulams weitgehend geteilt 78 . <strong>Die</strong> Sowjetologen<br />

und Trotzkisten schrieben, von offensichtlichen<br />

politischen Interessen getrieben, <strong>die</strong> militärischen<br />

Ver<strong>die</strong>nste Trotzki zu. Nicht m<strong>in</strong>dere Interessen<br />

führten <strong>die</strong> sowjetische Geschichtsschreibung zur<br />

Überschätzung der Rolle Stal<strong>in</strong>s, Woroschilows<br />

und Frunses. Alle s<strong>in</strong>d sich e<strong>in</strong>ig, Len<strong>in</strong> als<br />

ersten politischen Rollenträger anzuerkennen,<br />

und alle vernachlässigen se<strong>in</strong>e militärische<br />

Rolle. Er selbst tat nichts, um se<strong>in</strong> Interesse an<br />

Militärfragen hervorzuheben: Er besuchte weder<br />

<strong>die</strong> Generalstäbe noch <strong>die</strong> Schützengräben und traf<br />

sich mit Kommandanten und Soldaten der Roten<br />

Armee nur wenn es sich aufdrängte – ke<strong>in</strong>erlei<br />

Militärsymbolik verb<strong>in</strong>det sich mit ihm.<br />

Trotzdem hatte er zwischen dem 1. September und<br />

dem 24. Dezember 1918 an 143 von 175 Sitzungen<br />

des Verteidigungsrates den Vorsitz. Alle<strong>in</strong> 1919<br />

leitete er <strong>die</strong> Arbeiten von 14 Sitzungen des<br />

58<br />

59


Zentralkomitees der Partei und 40 Sitzungen des<br />

Politbüros, <strong>die</strong> militärische Fragen prüften. Es gibt<br />

tausende solcher Fragen, welche Len<strong>in</strong> bei <strong>die</strong>sen<br />

Gelegenheiten untersuchte 79 . Len<strong>in</strong> versandte<br />

m<strong>in</strong>destens sechshundert Briefe und Telegramme<br />

über Angelegenheiten der Verteidigung.<br />

<strong>Die</strong> trotzkistische Version der <strong>Geschichte</strong>, wonach<br />

Len<strong>in</strong> Trotzki zu Militärfragen „Carte blanche“<br />

gegeben haben soll, wird durch mehrere Vorfälle<br />

widerlegt, wobei <strong>die</strong> berühmteste <strong>die</strong> Ersetzung des<br />

Kommandanten der Roten Armee, J. Wazetis durch<br />

S. S. Kamenew war 80 .<br />

Es stimmt, dass Len<strong>in</strong> das Wesentliche der<br />

Kriegführung an <strong>die</strong> Kommandanten und<br />

Kommissare delegierte, an deren Auswahl er<br />

beteiligt war, allen voran des Kriegskommissars<br />

selbst. Se<strong>in</strong>e Aktivität griff selten <strong>in</strong> <strong>die</strong> der<br />

Kommandanten e<strong>in</strong>.<br />

Im November 1917, als Kerenski <strong>die</strong> der<br />

provisorischen Regierung treu gebliebenen Armeen<br />

zusammenzog, um auf Petrograd zu marschieren,<br />

und als <strong>die</strong>se Gatsch<strong>in</strong>a e<strong>in</strong>genommen hatten und<br />

Zarskoje Sjelo 81 , 25 km von der Hauptstadt entfernt,<br />

bedrohten, sah man Len<strong>in</strong> am häufigsten auf <strong>die</strong><br />

taktische Ebene „h<strong>in</strong>absteigen“. Dabei provozierte<br />

er e<strong>in</strong>en Zusammenstoss mit Nicolai Podwoiski,<br />

dem Organisator der Roten Garde und ersten<br />

Volkskommissar für Heereswesen 82 .<br />

Mehrere übere<strong>in</strong>stimmende Zeugnisse berichten<br />

über <strong>die</strong> Art, wie Len<strong>in</strong> <strong>die</strong> Flotte für <strong>die</strong><br />

Feuerunterstützung an der Front von Zarskoje Sjelo<br />

e<strong>in</strong>setzte.<br />

L. Wachromejew, Delegierter der Baltischen Flotte,<br />

wurde von Len<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> Direktion des Kommandos<br />

des Militärbezirks Petrograd zitiert. Er schreibt: « Er<br />

betrachtete e<strong>in</strong>e Karte von Petrograd und Umgebung.<br />

Iljitsch wandte sich an mich: „Ist <strong>die</strong> Flotte <strong>in</strong> der Lage,<br />

<strong>die</strong> Landfront zu unterstützen?“ Kerenski befand<br />

sich damals gerade <strong>in</strong> Zarskoje Sjelo. Nachdem ich<br />

mich über sämtliche Entfernungen genau <strong>in</strong>formiert<br />

hatte, antwortete ich: „Wir können Zarskoje Sjelo von<br />

zwei Seiten aus bombar<strong>die</strong>ren. Im Kanal können wir<br />

den Kreuzer ‚Oleg‘ postieren: er wird Zarskoje Sjelo<br />

aus se<strong>in</strong>en schweren Geschützen bestreichen. Dann<br />

werden wir zwei oder drei Torpedoboote vom Typus<br />

‚Nowik‘ <strong>die</strong> Newa h<strong>in</strong>auf bis Rybazkoje br<strong>in</strong>gen und<br />

können dann von der Newa aus von Osten her mit<br />

vierzölligen Kanonen feuern. Auf <strong>die</strong>se Weise wird<br />

Kerenski zweifellos zur Räumung von Zarskoje Sjelo<br />

gezwungen werden“.<br />

Iljitsch zeigte sich äusserst <strong>in</strong>teressiert, befragte mich<br />

genau über sämtliche E<strong>in</strong>zelheiten, und, nachdem<br />

er sich vollständig von der Durchführbarkeit der<br />

Operation überzeugt hatte, gab er mir sogleich den<br />

Befehl, unverzüglich an <strong>die</strong> Ausführung <strong>die</strong>ses Plans<br />

zu schreiten und ihn über den Verlauf der Aktion auf<br />

dem laufenden zu halten. » 83<br />

Aber Len<strong>in</strong> holte noch (m<strong>in</strong>destens) e<strong>in</strong>e zweite<br />

Me<strong>in</strong>ung e<strong>in</strong>, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>es andern Bolschewiken der<br />

Flotte, F. Raskolnikow, der be<strong>in</strong>ahe identische<br />

Ausführungen lieferte: gedrängte Diskussion um<br />

<strong>die</strong> Karte herum, Studium der Tiefe der Fahrr<strong>in</strong>nen,<br />

des Effektes der Gezeiten, der Schiesspläne etc. 84<br />

Der dritte Bericht stammt von N. Ismailow,<br />

Vorsitzender des Zentralkomitees der Baltischen<br />

Flotte. Er referierte se<strong>in</strong>e telegrafische Konversation<br />

mit Len<strong>in</strong>, welcher fragte, wie viele Schiffe er <strong>in</strong><br />

welcher Zeit ausstatten könne und <strong>in</strong>nert welcher<br />

Frist, ob sie mit Lebensmitteln und drahtloser<br />

Telegrafie ausgestattet seien, etc. 85 . Das Manöver<br />

wurde ausgeführt, <strong>die</strong> Flotte vertäute sich gewisse<br />

Kabellängen von Zarskoje Sjelo und Beobachter<br />

wurden auf dem Höhen von Pulkowo postiert, um<br />

das Schiessen zu leiten, aber der plötzliche Rückzug<br />

von Kerenskis Truppen machte <strong>die</strong>se Aufstellung<br />

unnötig.<br />

Es ist schwierig, <strong>die</strong> militärische Relevanz von<br />

Len<strong>in</strong>s Entscheidungen zu beurteilen 86 .<br />

Trotzkis Zeugnis darüber ist oft verdächtig. Er hatte<br />

<strong>die</strong> Schwäche, angebliche „Fehler des militärischen<br />

Urteils“ Len<strong>in</strong>s hochzuspielen, um sich <strong>in</strong>s gute<br />

Licht zu rücken. Len<strong>in</strong>s militärische Aktivität<br />

besteht im Wesentlichen im Sammeln der Mittel,<br />

Mitreissen der Energien, <strong>die</strong> richtigen Personen<br />

ans richtige Ort zu schicken und jenen den Kopf zu<br />

waschen, <strong>die</strong> es nötig hatten.<br />

E<strong>in</strong> gutes Beispiel ist das Telegramm an Gussew 87<br />

vom 16 September 1919:<br />

« In Wirklichkeit aber herrscht bei uns Stillstand,<br />

be<strong>in</strong>ahe Zusammenbruch.<br />

An der sibirischen Front hat man irgend so e<strong>in</strong>en<br />

Lump Olderoge und <strong>die</strong> Memme Posern h<strong>in</strong>gestellt<br />

und „sich beruhigt». Das ist geradezu schändlich!<br />

Und man beg<strong>in</strong>nt, uns zu schlagen! Wir werden<br />

dafür den Revolutionären Kriegsrat der Republik<br />

verantwortlich machen, wenn nicht energisch<br />

vorgegangen wird! Es ist e<strong>in</strong>e Schande, den Sieg aus<br />

den <strong>Hände</strong>n zu geben.<br />

Mit Mamontow Stillstand. Offenbar e<strong>in</strong>e Verspätung<br />

nach der anderen. Verspätet haben sich <strong>die</strong> Truppen,<br />

<strong>die</strong> sich vom Norden nach Woronesh begeben<br />

haben. Verspätet hat man sich mit der Beförderung<br />

der 21. Division nach dem Süden. Verspätet mit<br />

den Masch<strong>in</strong>engewehren. Verspätet mit dem<br />

Nachrichtenwesen. (...)<br />

Das Ergebnis ist Stillstand sowohl mit Mamontow als<br />

auch bei Seliwatsdiow (an Stelle täglicher „Siege», wie<br />

man es <strong>in</strong> k<strong>in</strong>dischen Zeichnungen versprach - wissen<br />

Sie noch, daß Sie mir <strong>die</strong>se Zeichnungen zeigten? und<br />

daß ich sagte: „Man hat den Gegner vergessen!!“ 88 ).<br />

Wenn Seliwatschow flüchtet oder se<strong>in</strong>e Divisionschefs<br />

Verrat üben, dann ist der Revolutionäre Kriegsrat der<br />

Republik daran schuld, denn er hat geschlafen und<br />

alle beruhigt, aber das Erforderliche nicht getan.<br />

<strong>Die</strong> besten, <strong>die</strong> energischsten Kommissare müssen<br />

nach dem Süden geschickt werden, aber ke<strong>in</strong>e<br />

Schlafmützen.<br />

Mit der Formierung von Truppenteilen verspäten<br />

wir uns auch. Wir lassen den Herbst verstreichen —<br />

Denik<strong>in</strong> aber verdreifacht se<strong>in</strong>e Kräfte, er bekommt<br />

Tanks usw. usw. So geht es nicht. Man muß das<br />

schläfrige Arbeitstempo ablegen und zu e<strong>in</strong>em<br />

lebendigen übergehen. » 89<br />

In e<strong>in</strong>em Abschnitt, den Len<strong>in</strong> ebenfalls kopierte,<br />

schrieb Clausewitz: « Verb<strong>in</strong>det sich mit jener Energie<br />

der Kräfte e<strong>in</strong>e weise Mässigung <strong>in</strong> den vorgesetzten<br />

Zwecken, so entsteht jenes Spiel von glänzenden<br />

Schlägen und vorsichtiger Zurückhaltung, welches<br />

wir <strong>in</strong> Friedrichs des Grossen Kriegen bewundern<br />

müssen » 90<br />

Immer wieder bewies Len<strong>in</strong> <strong>die</strong>ses Gleichgewicht<br />

von Qualitäten: <strong>Die</strong> Kühnheit beim Auslösen<br />

des Oktoberaufstandes, <strong>die</strong> Vorsicht anlässlich<br />

der Verhandlungen von Brest Litowsk.<br />

Und wenn man Len<strong>in</strong> sieht, wie der <strong>die</strong><br />

Kommandanten und Kommissare zum Beweis<br />

ihrer Initiative, ihrer Kühnheit und ihres<br />

Kampfgeistes drängt, so drängt er sie niemals<br />

zur Unvorsichtigkeit – obschon Kühnheit und<br />

Trägheit Zwill<strong>in</strong>ge s<strong>in</strong>d, wenn sich jenes Fehlen von<br />

Gewissenhaftigkeit zeigt, das er verabscheut.<br />

Der Beweis ist e<strong>in</strong> Telegramm vom 3. Juni 1920<br />

an Trotzki bezüglich e<strong>in</strong>es Angriffsplans: « Das<br />

ist offensichtlich e<strong>in</strong>e Utopie. Wird das nicht zu<br />

viele Opfer kosten? Wir würden unzählige unserer<br />

Soldaten <strong>in</strong> den Tod treiben. Das muss man zehnmal<br />

überlegen und abwägen; Ich schlage folgende Antwort<br />

an Stal<strong>in</strong> vor: „Ihr Vorschlag über den Angriff der<br />

Krim ist so schwerwiegend, dass wir Informationen<br />

e<strong>in</strong>holen und sehr sorgfältig überlegen müssen.<br />

Warten sie unsere Antwort ab. Len<strong>in</strong>. Trotzki“.» 91<br />

4.4. Der Angriff und <strong>die</strong> Verteidigung<br />

Clausewitz bemerkte, <strong>in</strong> Passagen, <strong>die</strong> von Len<strong>in</strong><br />

weitgehend notiert wurden, dass es leichter ist<br />

zu halten als zu <strong>nehmen</strong>, dass <strong>die</strong> Verteidigung<br />

<strong>die</strong> stärkere Form der Kriegführung sei. Wenn<br />

der Angriff an sich, über das positive Ziel h<strong>in</strong>aus,<br />

(zum Beispiel <strong>die</strong> Eroberung e<strong>in</strong>er Prov<strong>in</strong>z),<br />

der Verteidigung überlegen wäre, würde ke<strong>in</strong><br />

Kriegführender <strong>die</strong>se anwenden. Wer e<strong>in</strong> positives<br />

Ziel verfolgt, kann mit dem Angriff nicht sparsam<br />

se<strong>in</strong> und muss sich deshalb <strong>die</strong> Mittel geben, welche<br />

denen des Fe<strong>in</strong>des überlegen s<strong>in</strong>d, um <strong>die</strong> der<br />

Verteidigung eigene Überlegenheit auszugleichen.<br />

Wenn man dem Fe<strong>in</strong>d unterlegen ist, kann <strong>die</strong> Wahl<br />

der Verteidigung <strong>die</strong>se Unterlegenheit teilweise<br />

oder ganz ausgleichen.<br />

Der Verteidiger profitiert von allen<br />

unvorhergesehenen Ereignissen, von der Zeit und<br />

von der Abnützung des Fe<strong>in</strong>des. Der Angreifer hat<br />

gewiss den Vorteil der umfassenden Überraschung<br />

(und auch <strong>die</strong> Wahl des Momentes des Krieges),<br />

aber der Verteidiger zieht Vorteile aus der taktischen<br />

Überraschung. Der Verteidiger hat den Vorteil des<br />

Geländes: Er kennt es, hat sich dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>gerichtet,<br />

besetzt <strong>die</strong> Festungen und <strong>die</strong> vorteilhaftesten<br />

Punkte, kann e<strong>in</strong>e verdeckte Stellung e<strong>in</strong><strong>nehmen</strong>,<br />

<strong>die</strong> ihm erlaubt, mit <strong>in</strong>neren L<strong>in</strong>ien zu spielen etc.<br />

<strong>Die</strong> Stellung des Verteidigers nützt sich weniger<br />

schnell ab als <strong>die</strong> des Angreifers; dem Verteidiger<br />

kommen <strong>die</strong> Hilfe der Bevölkerung zugute sowie<br />

<strong>die</strong> Sympathien und moralischen Vorteile, <strong>die</strong> aus<br />

se<strong>in</strong>em Status als Angegriffener hervorgehen.<br />

Gewisse der Verteidigung <strong>in</strong>härente Vorteile<br />

wirken sogar bevor sich der Verteidiger <strong>in</strong> <strong>die</strong><br />

Tiefe se<strong>in</strong>es Territoriums zurückzieht, aber sie<br />

<strong>nehmen</strong> im Verhältnis zur Tiefe des Rückzuges zu.<br />

Da <strong>die</strong>ser Rückzug teuer ist (weil er e<strong>in</strong> Aufgeben<br />

von Territorium e<strong>in</strong>schliesst), darf er nur gewählt<br />

werden, wenn das anfängliche Ungleichgewicht<br />

der Kräfte so gross ist, dass es aller Vorteile der<br />

Verteidigung braucht, um es wettzumachen.<br />

Der Verteidiger kann sich, entsprechend der<br />

Bedeutung <strong>die</strong>ses Ungleichgewichtes, entschliessen,<br />

den Fe<strong>in</strong>d anzugreifen, wenn er <strong>die</strong> Grenze passiert.<br />

Wenn er dazu nicht stark genug ist, kann er noch<br />

warten und den Fe<strong>in</strong>d angreifen, wenn er bis<br />

zu e<strong>in</strong>em für <strong>die</strong> Schlacht gewählten Punkt <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong> Territorium e<strong>in</strong>gedrungen ist (z.B. an e<strong>in</strong>en<br />

Flusslauf). Er kann auch, wenn er sich immer noch<br />

zu schwach fühlt, darauf warten, dass der Fe<strong>in</strong>d<br />

<strong>die</strong>se Stellung angreift. Ist das Ungleichgewicht<br />

60<br />

61


immer noch zu gross, kann der Verteidiger se<strong>in</strong>e<br />

Wartestellung verlängern, bis der fe<strong>in</strong>dliche Angriff<br />

se<strong>in</strong>en Höhepunkt erreicht hat. Verteidigung<br />

bedeutet nicht Passivität: Der Verteidiger kann<br />

so <strong>die</strong> Initiative behalten, kann beim Rückzug <strong>die</strong><br />

Kämpfe vermehren, <strong>die</strong> Guerilla im Rücken des<br />

Fe<strong>in</strong>des auslösen etc.<br />

1918 wandte Len<strong>in</strong> <strong>die</strong>se Doktr<strong>in</strong> Punkt für<br />

Punkt an. Er war e<strong>in</strong> erbitterter Gegner des<br />

«Revolutionären Krieges» gegen Deutschland,<br />

doch blieb er mit se<strong>in</strong>er Position <strong>in</strong> der M<strong>in</strong>derheit:<br />

<strong>Die</strong> Hälfte der Bolschewiki wollten den Krieg,<br />

e<strong>in</strong> Viertel den Frieden und e<strong>in</strong> Viertel « weder<br />

Krieg noch Frieden », was Trotzki befürwortete.<br />

<strong>Die</strong>ser zwang den Verhandlungen se<strong>in</strong>e L<strong>in</strong>ie<br />

auf und provozierte damit ihr Platzen und e<strong>in</strong>en<br />

neuen, für Russland katastrophalen deutschen<br />

Angriff. Am 3. März 1918 musste Russland den<br />

Vertrag von Brest-Litowsk unterzeichnen, durch<br />

den Deutschland Polen und <strong>die</strong> baltischen Staaten<br />

an sich riss und <strong>die</strong> Unabhängigkeit der Ukra<strong>in</strong>e,<br />

F<strong>in</strong>nlands und der drei transkaukasischen<br />

Republiken durchsetzte. <strong>Die</strong> Gründung der Roten<br />

Armee am 15. Januar 1918 ermöglichte <strong>die</strong> ersten<br />

Siege über <strong>die</strong> Weissen Armeen im Ural, am<br />

Don, <strong>in</strong> Donezk, im Kuban-Gebiet und auf der<br />

Krim, aber im Mai 1918 marschierten (<strong>in</strong>folge des<br />

Aufrufs der bürgerlichen Nationalisten, <strong>die</strong> durch<br />

<strong>die</strong> Entwicklung der ukra<strong>in</strong>ischen und f<strong>in</strong>nischen<br />

revolutionären Bewegungen bedroht waren)<br />

<strong>die</strong> deutschen und österreichischen Armeen<br />

unwiderstehlich <strong>in</strong> der Ukra<strong>in</strong>e und <strong>in</strong> F<strong>in</strong>nland<br />

e<strong>in</strong>: « Seitdem wir Vertreter der herrschenden Klasse<br />

geworden s<strong>in</strong>d, <strong>die</strong> den Sozialismus zu organisieren<br />

begonnen hat, fordern wir von allen e<strong>in</strong>e ernste<br />

E<strong>in</strong>stellung zur Verteidigung des Landes. <strong>Die</strong><br />

Verteidigung des Landes ernst <strong>nehmen</strong> heißt sich<br />

gründlich vorbereiten und das Kräfteverhältnis streng<br />

<strong>in</strong> Rechnung stellen. Wenn wir offenkundig schwach<br />

s<strong>in</strong>d, so ist das wichtigste Mittel der Verteidigung der<br />

Rückzug <strong>in</strong> das Innere des Landes (wer dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

nur für <strong>die</strong>sen Fall zurechtgebogene Formel sieht,<br />

kann bei dem alten Clausewitz, e<strong>in</strong>em der großen<br />

Militärschriftsteller, über <strong>die</strong> Ergebnisse der Lehren<br />

der <strong>Geschichte</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Beziehung nachlesen). (...)<br />

Es wird unsere Pflicht, <strong>die</strong> Kräfte aufs vorsichtigste<br />

zu berechnen und aufs sorgfältigste abzuwägen, ob<br />

unser Verbündeter (das <strong>in</strong>ternationale Proletariat)<br />

rechtzeitig zur Stelle se<strong>in</strong> wird. Das Kapital ist daran<br />

<strong>in</strong>teressiert, den Fe<strong>in</strong>d (das revolutionäre Proletariat)<br />

e<strong>in</strong>zeln zu schlagen, noch bevor <strong>die</strong> Arbeiter aller<br />

Länder sich (praktisch, d. h. durch den Beg<strong>in</strong>n der<br />

Revolution) zusammengeschlossen haben. Wir<br />

dagegen s<strong>in</strong>d daran <strong>in</strong>teressiert, alles nur mögliche<br />

zu tun, selbst <strong>die</strong> kle<strong>in</strong>ste Chance auszunutzen, um<br />

den entscheidenden Kampf aufzuschieben bis zu dem<br />

Zeitpunkt (bzw. „bis nach» dem Zeitpunkt) e<strong>in</strong>er<br />

solchen Vere<strong>in</strong>igung der revolutionären Trupps der<br />

großen <strong>in</strong>ternationalen Armee» 92 .<br />

Len<strong>in</strong> schrieb <strong>die</strong>se Zeilen also <strong>in</strong> dem Moment,<br />

als das Kräfteverhältnis weitgehend zu Ungunsten<br />

der Sowjetmacht stand: <strong>Die</strong> deutschen und (und <strong>in</strong><br />

ger<strong>in</strong>gerem Mass) <strong>die</strong> österreichisch-ungarischen<br />

Armeen waren deutlich stärker, besser bewaffnet,<br />

kriegserfahrener und besser betreut als <strong>die</strong> junge<br />

Rote Armee. Der revolutionäre Krieg gegen<br />

Deutschland war purer Voluntarismus, was se<strong>in</strong><br />

erster Befürworter, Buchar<strong>in</strong>, 10 Jahre später<br />

anerkennen wird. 93 .<br />

Als Len<strong>in</strong> das Pr<strong>in</strong>zip des Rückzugs <strong>in</strong>s Kerngebiet<br />

anwandte, entschied er sich für <strong>die</strong> höhere Form<br />

der Verteidigung. <strong>Die</strong>se Verteidigung erlaubte es<br />

der Revolution, ihre Kräfte zu entwickeln (<strong>die</strong> Rote<br />

Armee war im vollen Aufbau), <strong>die</strong> <strong>in</strong>neren L<strong>in</strong>ien<br />

auszuspielen (man konnte je nach Bedarf und den<br />

Prioritäten <strong>die</strong> E<strong>in</strong>heiten des Nordens <strong>in</strong> den Süden,<br />

des Ostens <strong>in</strong> den Westen schicken und so Zug<br />

um Zug <strong>die</strong> angestrebte Überlegenheit erreichen,<br />

um e<strong>in</strong>e Entscheidungsschlacht zu gew<strong>in</strong>nen). Sie<br />

führte dazu, dass <strong>die</strong> deutschen Streitkräfte sich<br />

von ihren Versorgungsbasen entfernten und sich<br />

mehr und mehr e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>tensiven Aktivität der<br />

roten Partisanen der Ukra<strong>in</strong>e aussetzten, – und<br />

dass sich <strong>die</strong> pazifistischen und revolutionären<br />

Losungen <strong>in</strong> Deutschland und <strong>in</strong> der deutschen<br />

Armee verbreiteten. Len<strong>in</strong> zählt ganz wesentlich<br />

auf <strong>die</strong>sen letzten Faktor. Im Januar 1918 waren<br />

bereits revolutionäre politische Streiks mit der<br />

Gründung von Arbeiterräten <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, Wien,<br />

Hamburg, Kiel, Düsseldorf, Leipzig, Essl<strong>in</strong>g und<br />

anderswo ausgebrochen. Aber erst im November<br />

f<strong>in</strong>g <strong>die</strong> revolutionäre Welle Feuer: Mehr als 10‘000<br />

Arbeiter- und Soldatenräte konstituierten sich und<br />

bemächtigten sich Berl<strong>in</strong>s. <strong>Die</strong> Revolution wurde<br />

niedergeschlagen, aber ihre Wirkungen, verbunden<br />

mit denen des Waffenstillstandes, zogen den<br />

Rückzug der deutschen Truppen aus der Ukra<strong>in</strong>e<br />

und der Krim nach sich.<br />

4.5. E<strong>in</strong>e « Militarisierung » des Marxismus?<br />

Der Prozess zur « Militarisierung » des Marxismus<br />

kennt zwei Anklageschriften:<br />

1° <strong>Die</strong> e<strong>in</strong>e behauptet, sie sei gleichsam „angeboren“,<br />

zusammengehörig, wie bei Anibal Romero : «Für<br />

Clausewitz bedarf <strong>die</strong> Politik nicht unbed<strong>in</strong>gt des<br />

Krieges ; für Len<strong>in</strong> ist <strong>die</strong> Politik Klassenkrieg, der<br />

Staat ist nur e<strong>in</strong> Unterdrückungs<strong>in</strong>strument, und<br />

der Triumph des Proletariates – der nur von e<strong>in</strong>em<br />

Gewaltakt herrühren kann, von extremer Gewalt<br />

– muss zur Auslöschung des Staates führen und<br />

schliesslich zum Verschw<strong>in</strong>den der Politik selbst 94 .<br />

2° <strong>Die</strong> andere sieht sie als geschichtlich erworben an,<br />

wie bei Jacob Kipp, für den <strong>die</strong> « Militarisierung » des<br />

Marxismus bei Len<strong>in</strong> e<strong>in</strong> durch den Weltkrieg, <strong>die</strong><br />

Lektüre von Clausewitz und <strong>die</strong> Oktoberrevolution<br />

ausgelöste Tendenz ist, <strong>die</strong> ihre Vollendung 1922-<br />

23 f<strong>in</strong>det:<br />

«Len<strong>in</strong> vollendete e<strong>in</strong>en ganzen Kreis. Krieg und<br />

Politik wurden als Subjekt und Objekt vertauscht.<br />

Hier wurde <strong>die</strong> Politik zur Fortsetzung des Krieges mit<br />

anderen Mitteln. <strong>Die</strong> NEP war e<strong>in</strong> taktisches Mittel,<br />

um <strong>die</strong> nationale Wirtschaft wiederherzustellen<br />

und, angesichts der Aufstände <strong>in</strong> Kronstadt und<br />

der Region Tambov, <strong>die</strong> Unterstützung der Bauern<br />

zurückzugew<strong>in</strong>nen.» 95<br />

Kipp irrt sich allgeme<strong>in</strong> und speziell bezüglich<br />

des Kalenders, denn Len<strong>in</strong> „demilitarisiert sich“<br />

kalr am Ende des Bürgerkrieges, wie se<strong>in</strong> Bericht<br />

an dem XI. Parteitag der Kommunistischen<br />

Partei bezeugt (1922): « In der vorhergegangenen<br />

Entwicklungsperiode unserer Revolution, als<br />

<strong>die</strong> ganze Aufmerksamkeit und alle Kräfte<br />

hauptsächlich von der Aufgabe beansprucht, ja fast<br />

ganz absorbiert waren, <strong>die</strong> Invasion abzuwehren,<br />

konnten wir über <strong>die</strong>sen Zusammenschluß [mit der<br />

Bauernwirtschaft] nicht genügend nachdenken —<br />

wir hatten anderes zu tun. Man konnte und mußte<br />

ihn bis zu e<strong>in</strong>em gewissen Grade vernachlässigen, als<br />

wir vor der absolut unaufschiebbaren und direkten,<br />

alles überragenden Aufgabe standen, <strong>die</strong> Gefahr<br />

abzuwehren, von den gigantischen Kräften des<br />

Weltimperialismus sofort erdrückt zu werden. (…)<br />

<strong>Die</strong> kommunistische Gesellschaft mit den <strong>Hände</strong>n der<br />

Kommunisten aufbauen zu wollen ist e<strong>in</strong>e k<strong>in</strong>dische,<br />

e<strong>in</strong>e ganz k<strong>in</strong>dische Idee. <strong>Die</strong> Kommunisten s<strong>in</strong>d<br />

e<strong>in</strong> Tropfen im Meer, e<strong>in</strong> Tropfen im Volksmeer.<br />

(…) Den Ausbeuter unschädlich machen (...) das<br />

haben wir im wesentlichen gelernt. Hier muß e<strong>in</strong><br />

gewisser Druck ausgeübt werden, doch das ist leicht.<br />

Der zweite Teil des Sieges aber besteht dar<strong>in</strong>, mit<br />

nichtkommunistischen <strong>Hände</strong>n den Kommunismus<br />

aufzubauen, es zu verstehen, praktisch das zu tun,<br />

was ökonomisch getan werden muß, nämlich den<br />

Zusammenschluß mit der bäuerlichen Wirtschaft zu<br />

f<strong>in</strong>den, <strong>die</strong> Bauern zufriedenzustellen » 96 .<br />

Der Bürgerkrieg gegen <strong>die</strong> Bourgeoisie, zur<br />

Eroberung der staatlichen Macht ist gehört<br />

wesentlich zum Len<strong>in</strong>ismus, aber nicht mehr als das<br />

Bündnis der kle<strong>in</strong>en und mittleren Bauernschaft<br />

und der Intelligenz mit dem Proletariat. <strong>Die</strong> Öffnung<br />

gegenüber <strong>die</strong>sen Klassen und sozialen Gruppen<br />

s<strong>in</strong>d ebenso politisch wie <strong>die</strong> Fe<strong>in</strong>dseligkeiten gegen<br />

<strong>die</strong> Junker und <strong>die</strong> Kapitalisten. Der Friede mit den<br />

e<strong>in</strong>en und der Krieg mit den anderen bilden e<strong>in</strong>e<br />

allgeme<strong>in</strong>e Politik, sie s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> gleicher Weise Teil<br />

des len<strong>in</strong>istischen Projektes 97 .<br />

<strong>Die</strong> Schlacht von Kronstadt und <strong>die</strong><br />

Niederschlagung des Aufstands von Tambow oder<br />

der Machnowschtsch<strong>in</strong>a hatten e<strong>in</strong>en anderen<br />

Charakter als der Krieg gegen <strong>die</strong> weissen und<br />

von aussen angreifenden Armeen. Für Len<strong>in</strong>,<br />

der sich hauptsächlich auf <strong>die</strong> Pariser Kommune<br />

bezog, musste e<strong>in</strong> Krieg gegen <strong>die</strong> Streitkräfte der<br />

herrschenden Klassen, gleichsam gegen Versailles,<br />

kommen. Nichts dergleichen mit Kronstadt,<br />

Tambow oder der Machnowschtsch<strong>in</strong>a. <strong>Die</strong>s<br />

waren « aufgezwungene » Kriege sozusagen <strong>in</strong><br />

dem S<strong>in</strong>n, dass sie nicht auf dem Programm<br />

standen. Wohlverstanden, <strong>die</strong> Entscheidungen<br />

der Kommissare waren bei der Entstehung <strong>die</strong>ser<br />

Konflikte bestimmend, <strong>in</strong>sbesondere <strong>die</strong> Wehrpflicht<br />

und <strong>die</strong> Prodraswerstka, <strong>die</strong> Zwangsrequirierung<br />

der landwirtschaftlichen Überschüsse, um <strong>die</strong><br />

Städte zu ernähren, aber <strong>die</strong> Bolschewiki konnten<br />

hoffen, ke<strong>in</strong>e derartigen Kriege führen zu müssen.<br />

Abgesehen von den konterrevolutionären Agenten,<br />

welche Öl <strong>in</strong>s Feuer gossen, waren <strong>die</strong> Fe<strong>in</strong>de<br />

der Bolschewiki <strong>in</strong> Kronstadt, <strong>in</strong> Tambow und <strong>in</strong><br />

der Ukra<strong>in</strong>e soziale Gruppen, <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie <strong>die</strong><br />

Mittelbauern 98 , mit denen Len<strong>in</strong> auf e<strong>in</strong> Bündnis<br />

hoffte. <strong>Die</strong> Aufständischen positionierten sich<br />

als Fe<strong>in</strong>de der sowjetischen Macht weil sie sie als<br />

antagonistische Macht wahrnahmen, und vom<br />

Moment an, als sie zu den Waffen griffen, wurden<br />

sie wie Fe<strong>in</strong>de behandelt, aber <strong>die</strong> Schärfe, mit der<br />

sie unterdrückt wurden 99 , entstammte nicht e<strong>in</strong>er<br />

allgeme<strong>in</strong>en antagonistischen Politik.<br />

Für den durch <strong>die</strong> Tscheka erschossenen<br />

Aufständischen ist <strong>die</strong>ser fe<strong>in</strong>e Unterschied nur<br />

mässig tröstlich, aber er ist entscheidend für <strong>die</strong><br />

theoretische Frage des len<strong>in</strong>istischen Verhältnisses<br />

zum Krieg. Während <strong>die</strong> Gegnerschaft gegen <strong>die</strong><br />

Selbstherrschaft, <strong>die</strong> Grossgrundbesitzer und <strong>die</strong><br />

Kapitalisten als unversöhnlich beurteilt wird, ergriff<br />

<strong>die</strong> bolschewistische Macht Massnahmen, um<br />

<strong>die</strong> Klassen<strong>in</strong>teressen der mittleren Bauernschaft<br />

zu schonen: Kurz nach der Niederschlagung<br />

der Revolte von Tambow ersetzte der Rat der<br />

Volkskommissare <strong>die</strong> Prodrazverstka durch <strong>die</strong><br />

Prodnalog, e<strong>in</strong>e fixe Steuer, zahlbar <strong>in</strong> Naturalien<br />

(<strong>in</strong> Korn), was für <strong>die</strong> Bauern viel eher annehmbar<br />

war. Also, auch wenn Len<strong>in</strong> den Parteikadern <strong>die</strong><br />

62<br />

63


Lektüre von Clausewitz empfahl, weil <strong>die</strong> politische<br />

und <strong>die</strong> militärische Taktik Nachbargebiete s<strong>in</strong>d 100 ,<br />

auch wenn <strong>die</strong> Rhetorik kriegerisch blieb 101 , verliert<br />

<strong>die</strong> len<strong>in</strong>istische Politik 1922 <strong>die</strong> Charakteristik der<br />

Kriegführung, anders als Kipp behauptet 102 .<br />

<strong>Die</strong> len<strong>in</strong>istische Politik auf den Krieg zu reduzieren<br />

bedeutet nicht nur, alles zu disqualifizieren,<br />

was vor dem Krieg kommt (<strong>die</strong> Organisierung<br />

und Bewusstse<strong>in</strong>sbildung der Arbeiterklasse<br />

auf nationaler und <strong>in</strong>ternationaler Ebene, <strong>die</strong><br />

Organisierung und Vere<strong>in</strong>igung der Revolutionäre<br />

um e<strong>in</strong> strategisches Projekt, <strong>die</strong> Annäherung der<br />

Klassen und sozialen Gruppen, <strong>die</strong> e<strong>in</strong> objektives<br />

Interesse an e<strong>in</strong>er revolutionären Veränderung haben<br />

etc.), sondern auch alles, was nach ihm kommt (<strong>die</strong><br />

organisierung der neuen Macht, <strong>die</strong> Entwicklung<br />

neuer sozialer Verhältnisse, <strong>die</strong> Reorganisierung<br />

der Produktion und der Raumordnung, <strong>die</strong><br />

Kulturrevolution etc.). Und wenn <strong>die</strong> Ziele der<br />

vorrevolutionären Politik tatsächlich erlauben<br />

sollen, den revolutionären Krieg zu führen und zu<br />

gew<strong>in</strong>nen, müssen sie es auch erlauben, den Frieden<br />

zu gew<strong>in</strong>nen. Gemäss Clausewitz muss man immer<br />

« mit dem Frieden den Zweck als erreicht und das<br />

Geschäft des Krieges als beendigt ansehen » 103 , und so<br />

versteht es auch Len<strong>in</strong>: Wenn der Klassenfe<strong>in</strong>d (<strong>die</strong><br />

Reaktionäre und <strong>die</strong> imperialistischen Angreifer)<br />

e<strong>in</strong>mal geschlagen s<strong>in</strong>d, geht es um den friedlichen<br />

Aufbau des Sozialismus. Auch <strong>die</strong>ser Aufbau ist e<strong>in</strong><br />

Kampf: Kampf um <strong>die</strong> Produktion, <strong>die</strong> Kultur, <strong>die</strong><br />

Verbesserung der sozialen Beziehungen und des<br />

sozialen Bewusstse<strong>in</strong>s, Kampf gegen <strong>die</strong> Faulheit,<br />

<strong>die</strong> Nachlässigkeit, den Egoismus, <strong>die</strong> Rout<strong>in</strong>e<br />

und <strong>die</strong> Bürokratie und gegen das, was Len<strong>in</strong><br />

„Oblomowismus“ nannte. Aber <strong>die</strong>se Kämpfe s<strong>in</strong>d<br />

ke<strong>in</strong>eswegs Kriege. Es ist der Friede (der hier <strong>die</strong><br />

Form des Aufbaus des Sozialismus annimmt), was<br />

<strong>in</strong> Übere<strong>in</strong>stimmung mit den Clausewitz’schen<br />

Begriffen <strong>die</strong> Wahrheit des len<strong>in</strong>istischen Krieges<br />

ist.<br />

In der Aussenpolitik ist es anders. Auf dem VIII.<br />

Kongress der bolschewistischen Partei bat Len<strong>in</strong><br />

<strong>die</strong> Stenographen, ihrev Bleistift abzulegen, damit<br />

er bezüglich der Friedensangebote von Lloyd<br />

Georges und Woodrow Wilson an den Kreml ohne<br />

Furcht vor Indiskretionen sagen konnte, was er<br />

dachte. Für Len<strong>in</strong> waren <strong>die</strong>se Angebote durch das<br />

Scheitern der Militär<strong>in</strong>tervention <strong>in</strong> Russland und<br />

durch <strong>die</strong> revolutionären Wellen <strong>in</strong> Europa diktiert<br />

und nicht vom Wunsch, e<strong>in</strong>en modus vivendi<br />

mit den Bolschewiken zu f<strong>in</strong>den 104 . Für Len<strong>in</strong> ist<br />

der Widerspruch mit den bürgerlichen Staaten<br />

antagonistisch; <strong>die</strong> Verbissenheit der Angreifer<br />

zeigte ihre ganze Fe<strong>in</strong>dschaft gegenüber dem ersten<br />

sozialistischen Staat. Wenn <strong>die</strong> Erschöpfung, <strong>die</strong><br />

<strong>in</strong>neren Widersprüche (Meutereien, Streiks etc.) und<br />

<strong>die</strong> Aufreibung der Weissen sie auch dazu brachten,<br />

auf <strong>die</strong> Intervention zu verzichten, machten sie<br />

doch den Fe<strong>in</strong>dseligkeiten ke<strong>in</strong> Ende. Der Friede,<br />

<strong>die</strong> <strong>in</strong>ternationalen Verträge s<strong>in</strong>d von da an nichts<br />

anderes als e<strong>in</strong> verlagerter Krieg. Es kommt nicht<br />

darauf an, ob das Kriegswerkzeug das e<strong>in</strong>heimische<br />

aufständische Proletariat oder <strong>die</strong> Rote Armee<br />

ist: <strong>Die</strong> len<strong>in</strong>istische <strong>in</strong>ternationale Politik ist e<strong>in</strong>e<br />

Politik der gemässigten Kriegführung, denn sie<br />

ist von der Überzeugung geleitet, dass <strong>die</strong> <strong>in</strong>neren<br />

Widersprüche des Fe<strong>in</strong>des <strong>die</strong> grössere Rolle bei<br />

se<strong>in</strong>er Niederlage spielen werden. Len<strong>in</strong> hielt <strong>die</strong><br />

E<strong>in</strong>richtung normaler Beziehungen zwischen<br />

Sowjetrussland und den kapitalistischen Staaten<br />

für unmöglich, und er gehörten zu denen, wie<br />

Wynn Catl<strong>in</strong>, welche <strong>die</strong> Diplomatie als <strong>die</strong> Kunst<br />

betrachtete, „du nettes Hündchen!“ zu sagen,<br />

während man mit den Augen e<strong>in</strong>en guten Ste<strong>in</strong><br />

sucht....<br />

Anmerkungen<br />

1 Cf. Zhang Yuan-L<strong>in</strong> : Mao Zedong und Carl von<br />

Clausewitz : Theorien des Krieges, Beziehung, Darstellung<br />

und Vergleich. Inauguraldissertation zur Erlangung des<br />

akademischen Grades e<strong>in</strong>es Doktors der Philosophie der<br />

Universität Mannheim. Mannheim, 1995.<br />

2 <strong>Die</strong>ses Exil folgte auf <strong>die</strong> Repressionswelle nach<br />

der gescheiterten Revolution von 1905. Len<strong>in</strong> begab sich<br />

zunächst nach Galizien, welches damals österreichisches<br />

Gebiet war; bei Ausbruch des Krieges im Sommer 1914<br />

musste er auch von dort wieder verschw<strong>in</strong>den.<br />

3 Schlössler beschreibt <strong>die</strong>sen E<strong>in</strong>fluss als<br />

wahrsche<strong>in</strong>lich, beg<strong>in</strong>nend mit Mehr<strong>in</strong>gs Artikel aus dem<br />

Jahr 1904 über den russisch-japanischen Krieg. <strong>Die</strong>tmar<br />

Schössler : Clausewitz Engels Mahan : Grundriss e<strong>in</strong>er<br />

Ideengeschichte militärischen Denkens, LIT Verlag, Berl<strong>in</strong>,<br />

2009, Seiten 388 und 393.<br />

4 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, herausgegeben<br />

von Werner Hahlweg, Bonn: Ferd. Dümmlers Verlag,<br />

19. Aufl. 1980, S. 179-183, (im Folgenden zitiert als Vom<br />

Kriege); Len<strong>in</strong>: Clausewitz Werk Vom Kriege, Auszüge<br />

und Randglossen, Verlag des M<strong>in</strong>isteriums für Nationale<br />

Verteidigung, Berl<strong>in</strong> (Ost) 1957, abgedruckt <strong>in</strong>: T. Derbent:<br />

Clausewitz und der Volkskrieg, Zambon-Verlag 1912 (im<br />

Folgenden zitiert als Len<strong>in</strong>s Glossen über Clausewitz), S. 15.<br />

5 Vom Kriege, S. 210, Len<strong>in</strong>s Glossen über<br />

Clausewitz, S. 15f.<br />

6 In <strong>die</strong>sem Kapitel f<strong>in</strong>det sich <strong>die</strong> berühmte<br />

Passage: « Man weiss freilich, dass der Krieg nur durch<br />

den politischen Verkehr der Regierungen und der Völker<br />

hervorgerufen wird ; aber gewöhnlich denkt man sich<br />

<strong>die</strong> Sache so, dass mit ihm jener Verkehr aufhöre und e<strong>in</strong><br />

ganz anderer Zustand e<strong>in</strong>trete, welcher nur se<strong>in</strong>en eigenen<br />

Gesetzen unterworfen sei. Wir behaupten dagegen: Der<br />

Krieg ist nichts als e<strong>in</strong>e Fortsetzung des politischen Verkehrs<br />

mit E<strong>in</strong>mischung anderer Mittel» Vom Kriege, S. 990f;<br />

Len<strong>in</strong>s Glossen über Clausewitz, S. 35f.<br />

7 « (…) wie jede Zeit ihre eigenen Kriege, ihre<br />

eigenen beschränkenden Bed<strong>in</strong>gungen, ihre eigene<br />

Befangenheit hatte.» Vom Kriege, 973.<br />

8 « Hiernach kann der Krieg niemals von dem<br />

politischen Verkehr getrennt werden (...) » Vom Kriege, S991<br />

9 Später wird der Krieg zu e<strong>in</strong>em theoretischen<br />

Objekt durch <strong>die</strong> Fürbitte anderer Beziehungen: Bouthoul<br />

et Feund werden ihre Polemiken auf e<strong>in</strong>e gewisse<br />

Anthropologie stützen.<br />

10 Major Général John Frederick Charles Fuller, The<br />

Condut of War (1789-1961) A Study of the Impact of the<br />

French, Industrial, and Russian Revolution on War and tis<br />

Conduct. New Brunswick, New Jersey, Rutgers University<br />

Press 1951 Seite 202, eigene Überwsetzung.<br />

11 Jean-V<strong>in</strong>cent Hole<strong>in</strong>dre : Violence, guerre et<br />

politique Études sur le retournement de la “Formule”<br />

de Clausewitz, <strong>in</strong> Res militaris, vol. 1, n°3, Sommer<br />

2011, verfügbar unter https://www.google.ch/?gws_<br />

rd=ssl#q=Hole<strong>in</strong>dre+Violence%2C+guerre+et+politique,<br />

eigene Übersetzung.<br />

12 Marx-Engels, Werke, Band 4, <strong>Die</strong>tz Verlag, Berl<strong>in</strong>,<br />

1977, Seite 462.<br />

13 So wie <strong>in</strong> Italien während des <strong>in</strong>tensiven<br />

Klassenkampfes Ende der 60er und anfangs der 70er Jahre,<br />

wo <strong>die</strong> Roten Brigaden mit der bewaffneten Propaganda<br />

das Ziel hatten, <strong>die</strong> Massen zur bewaffneten Revolution zu<br />

führen, während im anderen Lager <strong>die</strong> P2 mittels Attentaten<br />

und Massakern das Kriegsrecht auslösen wollte.<br />

14 Len<strong>in</strong> : Der Partisanenkrieg, LW 11, S. 209.<br />

15 Hervorhebungen von Len<strong>in</strong>.<br />

16 Vom Kriege, S. 967, 970, 972f., Len<strong>in</strong>s Glossen<br />

über Clausewitz, S. 32f.<br />

17 Vom Kriege, S. 221, Len<strong>in</strong>s Glossen über<br />

Clausewitz, Seite 16.<br />

18 Vom Kriege S. 212f, Len<strong>in</strong>s Glossen über<br />

Clausewitz, Seite 17.<br />

19 « Obgleich der E<strong>in</strong>fluss e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>zelnen Bewohners<br />

des Kriegsschauplatzes auf den Krieg <strong>in</strong> den meisten<br />

Fällen nicht bemerklicher ist als <strong>die</strong> Mitwirkung e<strong>in</strong>es<br />

Wassertropfens bei dem ganzen Strom, so ist doch selbst<br />

<strong>in</strong> Fällen, wo von gar ke<strong>in</strong>em Volksaufstand <strong>die</strong> Rede ist,<br />

der Gesamte<strong>in</strong>fluss, den <strong>die</strong> E<strong>in</strong>wohner des Landes auf den<br />

Krieg haben, nichts weniger als unmerklich. Vom Kriege, S.<br />

637.<br />

20 Len<strong>in</strong> verweilt ebenfalls bei der Reflexion von<br />

Clausewitz aus dem 20. Kapitel des Sechsten Buches,<br />

wonach der Generalstab dazu neigt, jene Fragen zu<br />

überschätzen, <strong>die</strong> für ihn direkt relevant s<strong>in</strong>d (wie <strong>die</strong><br />

topografischen Eigenschaften des Kriegstheaters). Da<br />

der Generalstab «derjenige Teil des Heeres zu se<strong>in</strong> pflegt,<br />

welcher am meisten schreibt und drucken lässt: so folgt,<br />

dass <strong>die</strong>se Teile der Feldzüge historisch mehr fixiert s<strong>in</strong>d »<br />

auf Kosten von anderen, nicht weniger wichtigen. Len<strong>in</strong>s<br />

Glossen über Clausewitz, Seite 26.<br />

21 Vom Kriege, S. 971.<br />

22 Vom Kriege, S. 990, Len<strong>in</strong>s Glossen über<br />

Clausewitz, S.35f.<br />

23 So wurde <strong>in</strong> Frankreich <strong>die</strong> Aussetzung<br />

<strong>in</strong>nenpolitischer Streitigkeiten angesichts der Verteidigung<br />

der Nation im Ersten Weltkrieg bezeichnet; der Begriff ist<br />

hier natürlich nicht auf Frankreich beschränkt [Anm. d. Ü.].<br />

24 Len<strong>in</strong> : der Zusammenbruch der II. Internationale,<br />

LW 21, S. 210-214.<br />

25 Der Imperialismus als höchstes Stadium des<br />

64<br />

65


Kapitalismus wurde von Len<strong>in</strong> 1916 verfasst.<br />

Internationale (erschienen am 1. November 1914), LW 21,<br />

57 Rémi Adam : La première guerre mondiale : Dix<br />

der Erhebung riesigen Nutzen br<strong>in</strong>gen. E<strong>in</strong>e Kampfgruppe,<br />

26 Georg Lukács : Len<strong>in</strong>, Stu<strong>die</strong> über den<br />

S.27 .<br />

millions de morts pour un repartage du monde, Les bons<br />

<strong>die</strong> zu schießen versteht, wird e<strong>in</strong>en Polizisten entwaffnen,<br />

Zusammenhang se<strong>in</strong>er Gedanken, Neuwied: Luchterhand<br />

44 Karl Kautsky, Neue Zeit, 2 Oktober 1914.<br />

caractères éditions, collection Histoire Éclairage, Pant<strong>in</strong><br />

wird überraschend e<strong>in</strong>e Streife überfallen, wird sich Waffen<br />

3. Aufl. 1969, S. 50. https://www.marxists.org/deutsch/<br />

45 Karl Kautsky : <strong>Die</strong> Sozialdemokratie im Kriege.<br />

2010, Seite 78.<br />

verschaffen. E<strong>in</strong>e Kampfgruppe, <strong>die</strong> nicht zu schießen<br />

archiv/lukacs/1924/len<strong>in</strong>/kap4.htm<br />

<strong>Die</strong> Neue Zeit 33 - 1, 2. Oktober 1914, S. 7.<br />

58 Georges Haupt : Guerre et révolution chez Lén<strong>in</strong>e,<br />

versteht oder sich ke<strong>in</strong>e Waffen verschaffen konnte, wird<br />

27 Vom Kriege, S. 993.<br />

46 Politik im S<strong>in</strong>n von “policy”, im S<strong>in</strong>n von<br />

zum ersten Mal erschienen <strong>in</strong> Nr. 2 der Revue française<br />

beim Barrikadenbau helfen, wird Kundschafter<strong>die</strong>nste<br />

28 Mart<strong>in</strong> Van Creveld : <strong>Die</strong> Zukunft des Krieges.<br />

“politics”, kommt <strong>die</strong> Rolle Franz Mehr<strong>in</strong>g zu.<br />

de sciences politiques (1971), wieder aufgenommen <strong>in</strong><br />

leisten, wird behilflich se<strong>in</strong>, <strong>die</strong> Verb<strong>in</strong>dungen zu<br />

Gerl<strong>in</strong>g Akademie Verlag, München 1998, 3. überarbeitete<br />

47 <strong>Die</strong> fe<strong>in</strong>dlichen Gelüste Frankreichs und<br />

L’historien et le mouvement social (Maspéro, 1980) und<br />

organisieren, den Fe<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en H<strong>in</strong>terhalt zu locken,<br />

deutsche Ausgabe, Hamburg, Murmann 2004 S. 189f.<br />

Deutschlands gegen Marokko - e<strong>in</strong>em der letzten<br />

jetzt auf dem Netz zugänglich : http://alencontre.org/societe/<br />

e<strong>in</strong> Gebäude <strong>in</strong> Brand zu stecken, <strong>in</strong> dem sich der Fe<strong>in</strong>d<br />

29 Was Clausewitz als das « Pr<strong>in</strong>zip der Polarität »<br />

unabhängigen Staaten <strong>in</strong> Afrika, hätte 1905 be<strong>in</strong>ahe<br />

histoire/guerre-ou-revolution-l<strong>in</strong>ternationale-et-lunion-<br />

festgesetzt hat, Wohnungen zu besetzen, <strong>die</strong> zu Stützpunkten<br />

bezeichnet.<br />

zum Krieg geführt. <strong>Die</strong> Krise wurde erst 1911 gelöst:<br />

sacree-en-aout-1914.html<br />

für <strong>die</strong> Aufständischen werden können; mit e<strong>in</strong>em Wort, <strong>die</strong><br />

30 Conrad Crane lehrt am ‘U.S. Army War College,<br />

Deutschland verzichtete auf den Anspruch auf Marokko im<br />

59 Len<strong>in</strong> : <strong>Die</strong> Aufgaben der revolutionären<br />

losen Verbände von Leuten, <strong>die</strong> entschlossen s<strong>in</strong>d, auf Leben<br />

Lukas Milevski an der National Defense University. Vgl.<br />

Tausch gegen <strong>die</strong> Vergrösserung der Kolonie von Kamerun<br />

Sozialdemokratie im europäischen Krieg (geschrieben<br />

und Tod zu kämpfen, <strong>die</strong> mit der Örtlichkeit bestens vertraut<br />

den Artikel, publiziert von der NDU<strong>in</strong> n°4 (2014) des Jo<strong>in</strong>t<br />

um 272.000 km² auf Kosten der benachbarten französischen<br />

spätestens im August 1914), LW 21, Seite 4.<br />

und aufs engste mit der Bevölkerung verbunden s<strong>in</strong>d, werden<br />

Force Quaterly. <strong>Die</strong>ser Artikel ist im Netz verfügbar.<br />

Kolonien.<br />

60 Len<strong>in</strong> : Lage und Aufgaben der sozialistischen<br />

Tausende der allerverschiedensten Aufgaben erfüllen.» <strong>Die</strong><br />

31 <strong>Die</strong> Überlegungen über den Algerienkrieg,<br />

48 Leipzig, Verlag der Leipziger Buchdruckerei<br />

Internationale (erschienen am 1. November 1914),LW<br />

Auflösung der Duma und <strong>die</strong> Aufgaben des Proletariats LW<br />

<strong>die</strong> er zur Unterstützung se<strong>in</strong>er Analyse macht, s<strong>in</strong>d<br />

Aktiengesellschaft 1907, Seite 23<br />

21,Seite 26f.<br />

11, S. 113.<br />

so geistesgestört, dass sie nur von se<strong>in</strong>en zionistischen<br />

49 In <strong>Die</strong> proletarische Revolution und der Renegat<br />

61 Len<strong>in</strong> : <strong>Die</strong> Bedeutung der Verbrüderung (11 Mai<br />

71 « <strong>Die</strong> militärische Taktik hängt von dem Niveau<br />

Positionen im israelisch-paläst<strong>in</strong>ensischen Konflikt<br />

Kautsky stellt Len<strong>in</strong> im Kapitel Was ist Internationalismus?<br />

1917), LW 24, Seiten 311-313.<br />

der militärischen Technik ab <strong>die</strong>se Tatsache hat Engels<br />

herrühren können.<br />

(LW 28, S. 283), gegen <strong>die</strong> antisowjetischen Positionen von<br />

62 Len<strong>in</strong> : Petrograder Stadtkonferenz der SDAPR(B),<br />

wiederholt erläutert und den Marxisten e<strong>in</strong>gehämmert. <strong>Die</strong><br />

32 <strong>Die</strong> Kriege der dschihadistischen Bewegung zeigen<br />

Kautsky dessen eigenen Schriften entgegen, speziell Der<br />

14.—22. April (27. April bis 5. Mai) 1917LW 24, Seite 153.<br />

militärische Technik ist jetzt e<strong>in</strong>e andere als <strong>in</strong> der Mitte<br />

teilweise (und <strong>in</strong> unterschiedlichen Proportionen) politische<br />

Weg zur Macht, geschrieben «als Kautsky noch Marxist<br />

63 Len<strong>in</strong> : An den Kampfausschuß des St.<br />

des 19. Jahrhunderts. Gegen <strong>die</strong> Artillerie scharenweise<br />

Rationalität, teilweise <strong>in</strong> dem was Creveld «<strong>die</strong> Fortsetzung<br />

war», wobei er noch « von dem Nahen e<strong>in</strong>er Ära der<br />

Petersburger Komitees, LW 9, Seite 342f.<br />

vorzugehen und mit Revolvern <strong>die</strong> Barrikaden zu verteidigen<br />

der Religion mit anderen Mitteln » nennt.<br />

Revolutionen » sprach. In « Staat und Revolution » schreibt<br />

64 Zitiert im Vorwort von B. Ponomarev zu La lutte<br />

wäre e<strong>in</strong>e Dummheit. (..). In der allerletzten Zeit macht<br />

33 Len<strong>in</strong> : Über « l<strong>in</strong>ke » K<strong>in</strong>derei und über<br />

er, dass <strong>die</strong>s se<strong>in</strong>e beste Broschüre sei, obschon er Kautsky<br />

des partisans selon les auteurs classiques du marxisme-<br />

<strong>die</strong> militärische Technik wiederum neue Fortschritte. Der<br />

Kle<strong>in</strong>bürgerlichkeit, LW 27, S. 324 .<br />

sonst verreisst.<br />

lén<strong>in</strong>isme, Éditions en langues étrangères, Moskau, 1945,<br />

japanische Krieg hat <strong>die</strong> Handgranate e<strong>in</strong>geführt. <strong>Die</strong><br />

34 Len<strong>in</strong> : Der streitbare Militarismus und <strong>die</strong><br />

50 Len<strong>in</strong> : Brief an A. Schljapnikow. 27. Oktober, LW<br />

Seite 5. In Krupkajas Er<strong>in</strong>nerungen konnte <strong>die</strong>se Passage<br />

Gewehrfabriken haben das Selbstladegewehr auf den<br />

antimilitaristische Taktik der Sozialdemokratie, LW15, S.<br />

35, S. 142.<br />

nicht gefunden werden; eigene Übersetzung.<br />

Markt geworfen. Beide werden <strong>in</strong> der russischen Revolution<br />

194<br />

51 Len<strong>in</strong> Brief an A. Schljapnikow. 31. Oktober, LW<br />

65 Institut de Marxisme-Lén<strong>in</strong>isme près le C.C.<br />

zwar schon erfolgreich angewandt, aber bei weitem noch<br />

35 Simon Petermann : Marx, Engels et les conflits<br />

35, 146.<br />

du P.C.U.S. : Lén<strong>in</strong>e : Vie et uvre, Éditions du Progrès,<br />

nicht <strong>in</strong> genügendem Maße. Wir können und müssen uns<br />

nationaux, Émile Van Ballberghe, collection Documenta et<br />

52 An e<strong>in</strong>er früheren Stelle der Broschüre (Seite<br />

Moskau, 1983, page 118.<br />

technische Vervollkommnungen zunutze machen, müssen <strong>die</strong><br />

opuscula n°5, Bruxelles, 1987.<br />

11) er<strong>in</strong>nert Kautsky daran, dass « Marx und Engels stets<br />

66 In Moskau Ende Oktober 1905 gegründet, um den<br />

Arbeiterabteilungen lehren, Bomben <strong>in</strong> Massen herzustellen,<br />

36 Raymon Aron: Clausewitz. Den Krieg denken,<br />

das Wort von der reaktionären Masse bekämpft » haben,<br />

Schwarzen Hundert entgegenzutreten. Vere<strong>in</strong>igte Vertreter<br />

müssen ihnen und unseren Kampfgruppen helfen, sich<br />

Frankfurt am Ma<strong>in</strong>, Berkl<strong>in</strong>, Wien : Propyläen, 1980, S.<br />

« weil es zu sehr <strong>die</strong> Gegensätze verdeckt, <strong>die</strong> zwischen<br />

der Kampfgruppen des Moskauer Komitees der SDAPR,<br />

Vorräte an Sprengstoffen, Zündern und Selbstladegewehren<br />

399f.<br />

den verschiedenen Fraktionen der besitzenden Klassen<br />

der sozialdemokratischen Gruppe Moskaus, des Moskauer<br />

zu besorgen. » : <strong>Die</strong> Lehren des Moskauer Aufstands LW 11,<br />

37 Len<strong>in</strong> : <strong>Die</strong> Ergebnisse der Diskussion über <strong>die</strong><br />

herrschen » .<br />

Komites der sozialrevolutionären Partei und anderer<br />

162-163..<br />

Selbstbestimmung, LW 22, S. 327f.<br />

53 Kautsky, Der Weg zur Macht, a.a.O. Seite 103.<br />

Kampfgruppen. Der Rat wurde von den Sozialrevolutionären<br />

72 « daß von e<strong>in</strong>em ernsten Kampf ke<strong>in</strong>e Rede<br />

38 Len<strong>in</strong> : <strong>Die</strong> Ergebnisse der Diskussion über <strong>die</strong><br />

54 Nach Lars T. Lih allerd<strong>in</strong>gs werden <strong>die</strong>se<br />

und den Menschewiki kontrolliert.<br />

se<strong>in</strong> kann, solange <strong>die</strong> Revolution nicht zu e<strong>in</strong>er<br />

Selbstbestimmung, LW 22, S. 331.<br />

Eventualitäten von Kautsky als wenig wahrsche<strong>in</strong>lich<br />

67 Len<strong>in</strong> erwähnt <strong>die</strong> Wichtigkeit der Frage der<br />

Massenbewegung geworden ist und nicht auch <strong>die</strong> Truppen<br />

39 Len<strong>in</strong> : <strong>Die</strong> Ergebnisse der Diskussion über <strong>die</strong><br />

beurteilt (er glaubt daran, dass <strong>die</strong> Arbeiterbewegung<br />

Eisenbahner im Fall des Aufstandes <strong>in</strong> <strong>Die</strong> Auflösung der<br />

erfaßt hat. Selbstverständlich ist <strong>die</strong> Arbeit unter den<br />

Selbstbestimmung, LW 22, S. 339.<br />

den Krieg verh<strong>in</strong>dern kann, auch wenn es nur sei, weil<br />

Duma und <strong>die</strong> Aufgaben des Proletariats LW 11, S. 107.<br />

Truppen notwendig. Aber man darf sich <strong>die</strong>sen Übergang<br />

40 Len<strong>in</strong> : <strong>Die</strong> Ergebnisse der Diskussion über <strong>die</strong><br />

es der Bourgeoisie Angst e<strong>in</strong>jagen würde) und dass es<br />

68 In den Nummern 3 und 4 der Hefte des<br />

der Truppen nicht als e<strong>in</strong>fachen, e<strong>in</strong>maligen Akt vorstellen,<br />

Selbstbestimmung, LW 22,S. 348.<br />

abenteuerlich wäre darauf e<strong>in</strong>e Strategie aufzubauen. - Lars<br />

Sozialdemokraten, <strong>die</strong> er <strong>in</strong> Genf herausgab, fällte<br />

der das Ergebnis e<strong>in</strong>erseits der Überzeugung und anderseits<br />

41 Len<strong>in</strong> : Der Internationale Sozialistenkongress <strong>in</strong><br />

T. Lih : Len<strong>in</strong> en 1914, La « nouvelle époque de guerre et<br />

Plechanow <strong>die</strong>ses Urteil und verdammte den Aufstand. Er<br />

des Bewußtse<strong>in</strong>s ist. Der Moskauer Aufstand zeigt uns<br />

Stuttgart (1907), <strong>in</strong> LW 13, S. 71.<br />

révolution ». Artikel auf dem Netz : http://alencontre.org/<br />

rief stattdessen dazu auf, « der Gewerkschaftsbewegung der<br />

anschaulich, wie schablonenhaft und lebensfremd e<strong>in</strong>e<br />

42 Mehrere pazifistische Zimmwerwalder schlossen<br />

societe/histoire/len<strong>in</strong>e-en-1914-la-nouvelle-epoque-de-<br />

Arbeiter e<strong>in</strong>e nachhaltigere Aufmerksamkeit zu schenken ».<br />

solche Auffassung ist. In der Praxis führt das Schwanken der<br />

sich später Len<strong>in</strong>s Positionen an und werden, wenn nicht<br />

guerre-et-revolution.html.<br />

69 Len<strong>in</strong> : <strong>Die</strong> Lehren des Moskauer Aufstands LW<br />

Truppen, das jede wirkliche Volksbewegung zwangsläufig<br />

Gründer der kommunistischen Parteien <strong>in</strong> ihren Ländern, so<br />

55 Karl Kautsky : Der Weg zur Macht, Berl<strong>in</strong>, Verlag:<br />

11, 159f.<br />

mit sich br<strong>in</strong>gt, bei Verschärfung des revolutionären<br />

wenigstens Verteidiger von Sowjetrussland <strong>in</strong> der westlichen<br />

Buchhandlung vorwärts 1909, Seite 11.<br />

70 « Lose Kampfverbände, Kampfgruppen”, um e<strong>in</strong>en<br />

Kampfes im wahrsten S<strong>in</strong>ne des Wortes zum Kampf um das<br />

sozialistischen Bewegung.<br />

56 Len<strong>in</strong> : Der tote Chauv<strong>in</strong>ismus und der lebendige<br />

Ausdruck zu gebrauchen, der <strong>in</strong> den großen Dezembertagen<br />

Heer. » <strong>Die</strong> Lehren des Moskauer Aufstands LW 11, 160.<br />

43 Len<strong>in</strong> : Lage und Aufgaben der sozialistischen<br />

Sozialismus (Dezember 1914), LW 21, Seite 87.<br />

<strong>in</strong> Moskau solchen Ruhm gewann, werden im Augenblick<br />

73 Emelian Jaroslawski : Vladimir Ilitch dirige les<br />

66<br />

67


activités combatives du Parti (Une page d’histoire des<br />

83 L. Wachromejew : Len<strong>in</strong> <strong>in</strong> den Oktobertagen,<br />

Aproximación a la Política, Universidad Simón Bolívar,<br />

104 Cf. Marcel Body : Les groupes communistes<br />

organisations militaires et de combat de notre parti), <strong>in</strong><br />

<strong>in</strong> Len<strong>in</strong> <strong>in</strong> den ersten Tagen der Sowjetmacht,<br />

Instituto de Altos Estudios de América Lat<strong>in</strong>a, Caracas,<br />

français de Russie 1918-1921. In Contributions à l’histoire<br />

Lén<strong>in</strong>e tel qu’il fut : Souvenirs de contempora<strong>in</strong>s, tome 1,<br />

nach Er<strong>in</strong>nerungen von Teilnehmern jener Tage.<br />

1994,gleiche Website , anderes pdf, Seite 84).<br />

du Com<strong>in</strong>tern, (sous la direction de Jacques Freymond),<br />

Éditions en langues étrangères, Moskau, 1958, Seiten 465-<br />

Zusammengestellt nach ausgewähltem Material des Marx-<br />

95 Jacob W. Kipp : Len<strong>in</strong> and Clausewitz: The<br />

Publication de l’Institut Universitaire de Hautes Études<br />

466, eigene Übersetzung.<br />

Engels-Len<strong>in</strong>-Instituts Verlagsgeme<strong>in</strong>schaft ausländischer<br />

Militarization of Marxism, 1914-1921. Military Affairs,<br />

Internationale n°45, Librairie Droz, Genève, 1965, Seite 51.<br />

74 Leonid Krass<strong>in</strong> (1870-1926), Anführer der<br />

Arbeiter <strong>in</strong> der UdSSR, Moskau-Len<strong>in</strong>grad 1944, S. 56.<br />

octobre 1985, Seite 189, traduction maison, auf dem<br />

Revolution von 1905 <strong>in</strong> St. Petersburg, Ingenieur von Beruf,<br />

84 F. Raskolnikow : <strong>Die</strong> Oktoberrevolution, <strong>in</strong> Len<strong>in</strong><br />

Internet unter<br />

organisierte <strong>die</strong> klandest<strong>in</strong>e Werkstatt für Bombenbau <strong>in</strong><br />

Moskau. Er leitete <strong>die</strong> bolschewistische Kampforganisation,<br />

<strong>in</strong> den ersten Tagen der Sowjetmacht, a.a.O. S. 38f.<br />

85 N. Ismailow : Das Zentralkomitee der Baltischen<br />

96 Len<strong>in</strong> : Politischer Bericht des Zentralkomitees der<br />

KPR(B) an den XI. Parteitag der KPR(B), 27. März 1922,<br />

Bildbeschreibung<br />

<strong>die</strong> vor allem grosse Enteignungsoperationen durchführte,<br />

bis zu se<strong>in</strong>er Verhaftung 1908. Nach der Revolution wurde er<br />

Volkskommissar des Aussenhandels.<br />

75 Alexander Bogdanow (1873-1928)<br />

bolschewistischer Militanter, nahm an der Revolution<br />

von 1905 teil. Se<strong>in</strong>e philosophischen Thesen wurden von<br />

Len<strong>in</strong> 2011 massiv kritisiert. Er war 1918 der Gründer des<br />

Proletkult.<br />

76 Len<strong>in</strong> : Taktische Plattform zum<br />

Vere<strong>in</strong>igungsparteitag der SDAPR., LW 146f.<br />

77 Len<strong>in</strong> : Der Partisanenkrieg LW 11, S.<br />

208, 212f .<br />

78 « Len<strong>in</strong> war ke<strong>in</strong> Feldherr. Während<br />

der Jahre des Bürgerkrieges nach der Revolution träumte<br />

er niemals davon, <strong>die</strong> Funktionen e<strong>in</strong>es Generalissimus<br />

Flotte (Centrobalte) während der Tage des Aufstandes.<br />

Der Telegrammverkehr f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> LW 26, S. 258f. Se<strong>in</strong><br />

Bericht divergiert von früheren dar<strong>in</strong>, dass nicht der Kreuzer<br />

Oleg sondern das L<strong>in</strong>ienschiff Respublika (früher Kaiser<br />

Paul 1er) erwähnt wurde es war nur wegen des zu starken<br />

Wasserflusses, dass schliesslich der Kreuzer Oleg gewählt<br />

wurde.<br />

86 <strong>Die</strong> sowjetischen Publikationen präsentieren<br />

<strong>die</strong>se alle natürlich als s<strong>in</strong>nvoll, wenn nicht entscheidend,<br />

so wie Kedrow, Kommandant der Front von Archangelsk,<br />

<strong>die</strong> Entsendung e<strong>in</strong>er schweren Artilleriebatterie nach<br />

Kotlas auf direkten und persönlichen Befehl Len<strong>in</strong>s Befehl<br />

kommentiert. Vgl. M. Kedrow : Guide de l’Armée rouge, <strong>in</strong><br />

Lén<strong>in</strong>e et les forces armées de l’URSS, supplément au n°12<br />

(décembre) 1979 de la Revue Militaire Soviétique, Seite 4.<br />

LW 33 253-278.<br />

97 Man könnte e<strong>in</strong>wenden, dass <strong>die</strong> Öffnung<br />

Len<strong>in</strong>s gegenüber den Bauern und der Intelligenz durch<br />

strategische Zwänge (weil das Proletariat im Bürgerkrieg<br />

Verbündete braucht) diktiert war, aber <strong>die</strong>ses Interesse reicht<br />

weiter. Len<strong>in</strong> pflegt <strong>die</strong> Allianz mit der Bauernschaft und der<br />

Intelligenz <strong>in</strong> der Perspektive des friedlichen Aufbaus der<br />

neuen Gesellschaft. Wenn Len<strong>in</strong> sich dafür verwendet, <strong>die</strong><br />

Intelligenz <strong>in</strong> den <strong>Die</strong>nst e<strong>in</strong>er Kulturrevolution zu stellen<br />

und alle aufkommenden kulturellen Kräfte der Massen zu<br />

unterstützen, dann tut er das nicht, damit <strong>die</strong> Rote Armee<br />

gebildetere Rekruten hat. Es ist e<strong>in</strong>es der Mittel, <strong>die</strong> er für<br />

den sozialistischen Aufbau für notwendig hält.<br />

98 Gemäss den gebräuchlichen Kategorien : Bauern<br />

<strong>die</strong> wohlhabend genug s<strong>in</strong>d, um von ihrem Land und<br />

S. 4: Digitalisiertes Bild von den Barrikaden <strong>in</strong> Paris (1871)<br />

S. 4/5: Gruppenbild mit Leonie Kascher<br />

S. 8: Spartakisten h<strong>in</strong>ter Barrikaden <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> (1919)<br />

S. 16: Spartakusaufstand <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> (1919)<br />

S. 34/35: Spartakusaufstandes <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> bei der heutigen<br />

Karl-Marx-Allee (1919)<br />

S. 36: Postkarten: Wladimir Iljitsch Len<strong>in</strong> Len<strong>in</strong> mit e<strong>in</strong>er<br />

Delegation (1921)<br />

S. 38: Szenen der Oktoberrevolution <strong>in</strong> der frühen<br />

Sowjetunion (undatiert)<br />

S. 44: Gruppe des Roten Frontkämpferbundes (1928)<br />

S. 50: Wladimir Iljitsch Len<strong>in</strong> <strong>in</strong> Petersburg (1917)<br />

S. 56: Feier zum zweijährigen Jubiläum der<br />

Oktoberrevolution <strong>in</strong> Moskau (1919)<br />

e<strong>in</strong>zu<strong>nehmen</strong> oder als solcher zu posieren. Im Gegensatz zu<br />

87 Sergei Ivaniwisch Gussev (1874-1933) nahm an<br />

ihrem Vieh zu leben, aber nicht genug wohlhabend, um<br />

Trotzki und Stal<strong>in</strong> hat ihn <strong>die</strong> Uniform nicht <strong>in</strong>teressiert, und<br />

den Revolutionen von 1905 und 1917 teil, war 1917 Mitglied<br />

Lohnarbeiter<strong>in</strong>nen anzustellen.<br />

er gab niemals vor, imstande zu se<strong>in</strong>, Militärangelegenheiten<br />

des Militärkomitees von Petrograd, dann des Revolutionären<br />

99 Gegen <strong>die</strong> Aufständischen von Tambow wurden<br />

technisch zu beurteilen.» Adam B. Ulam : Les bolcheviques,<br />

Kriegsrates der Republik. Er war e<strong>in</strong>er der wichtigsten<br />

massiv chemische Waffen e<strong>in</strong>gesetzt.<br />

Fayard, collection L’Histoire sans frontière, Paris, 1973,<br />

politischen Führer der Roten Armee..<br />

100 In se<strong>in</strong>em Artikel Marxismus, Taktik, Len<strong>in</strong> ,<br />

Seite 283, eigene Übersetzung.<br />

88 E<strong>in</strong>e im Grund typisch Clausewitz’sche Ironie.<br />

erschienen <strong>in</strong> Nummer 1 der Prawda Jahrgang 1928, zitierte<br />

79 Général-Major N. Pankratow : Lén<strong>in</strong>e, chef de la<br />

89 Len<strong>in</strong> : 224 An S. I. Gussew LW 35, S. 396f.<br />

W. Sor<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>e Bemerkung, <strong>die</strong> er von Len<strong>in</strong> gehört hatte. :<br />

défense de la patrie socialiste, <strong>in</strong> Revue Militaire Soviétique<br />

90 Vom Kriege, S. 505, Len<strong>in</strong>s Glossen über<br />

« <strong>die</strong> politische und <strong>die</strong> militärische Taktik bedeuten etwas,<br />

n°10 (octobre) 1978, Seite 4.<br />

Clausewitz, S. 23.<br />

das man auf Deutsch ‘Grenzgebiet’ nennt, und <strong>die</strong> Militanten<br />

80 Beide waren ehemalige zaristische Obersten.<br />

91 Len<strong>in</strong> : Telegramme 1918-20, Seite112.<br />

der Partei würden mit grossem Gew<strong>in</strong>n <strong>die</strong> Arbeiten des<br />

Kamenew selbst berichtete, von Len<strong>in</strong> zurechtgewiesen<br />

92 Len<strong>in</strong> : Über l<strong>in</strong>ke K<strong>in</strong>derei und über<br />

grossen deutschen Militärtheoretikers Clausewitz lesen ».<br />

worden zu se<strong>in</strong>, als er ihm <strong>die</strong> Schönheit armierter Manöver<br />

Kle<strong>in</strong>bürgerlichkeit, LW 27, S. 324f.<br />

101 Len<strong>in</strong> vergleicht zum Beispiel im bereits zitierten<br />

zu beschreiben getraute. Len<strong>in</strong> sagte ihm trocken, se<strong>in</strong>e<br />

93 « <strong>Die</strong> äusseren Belastungen, <strong>die</strong> grossen <strong>in</strong>neren<br />

Bericht das ökonomische Regime der NEP mit e<strong>in</strong>em<br />

Arbeit bestehe im Schlagen der gegnerischen Armee, und<br />

Schwierigkeiten, all das, so schien es uns, sollten durch<br />

Rückzug : «Der Rückzug verlief im großen und ganzen<br />

ob er das kunstvoll mache oder nicht sei von ke<strong>in</strong>erlei<br />

den revolutionären Krieg ausgeräumt werden». Zitiert<br />

ziemlich geordnet, obwohl Panikstimmen, zu denen auch <strong>die</strong><br />

Interesse....<br />

von Christian Salmon <strong>in</strong> Le rêve mathématique de Nicolaï<br />

Arbeiteropposition’ gehörte (...), <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen Fällen dazu<br />

81 Teil der heutigen Stadt Puschk<strong>in</strong> (Anm. d. Übers.)<br />

Boukhar<strong>in</strong>e, Le Sycomore, collection Contradictions, Paris,<br />

führten, dass der oder jener abgeschnitten, <strong>die</strong> Diszipl<strong>in</strong><br />

82 Auf <strong>die</strong> gleiche Weise wie Len<strong>in</strong> den Arbeitern<br />

1980, Seite 116.<br />

verletzt und der geordnete Rückzug zerstört wurde. Das<br />

der Fabrik Puillow befahl, <strong>die</strong> Züge zu Panzern und zu<br />

94 Aníbal Romero: Lenín y la militarización del<br />

gefährlichste bei e<strong>in</strong>em Rückzug ist <strong>die</strong> Panik. Wenn sich<br />

bewaffnen und sie an <strong>die</strong> Front zu führen. Wobei Podwoiski<br />

marxismo, Universidad Simón Bolívar, Caracas 1983, (Seite<br />

e<strong>in</strong>e ganze Armee (ich spreche hier <strong>in</strong> übertragenem S<strong>in</strong>ne)<br />

mässigend schrieb: « Es ist wahr, dass <strong>die</strong>se befehle weder<br />

4 des .pdf, verfügbar auf der Website von Anibal Romero,<br />

zurückzieht, dann kann <strong>die</strong> Stimmung nicht so gut se<strong>in</strong>, wie<br />

<strong>die</strong> militärischen Operationen noch <strong>die</strong> E<strong>in</strong>heiten betrafen,<br />

http://www.anibalromero.net/estudios_filo.html). Für<br />

wenn alle auf dem Vormarsch s<strong>in</strong>d (S. 267).<br />

sondern ausschliesslich <strong>die</strong> Mobilisierung von « Allem und<br />

Romero geht <strong>die</strong>se Militarisierung aus der Ablehnung des<br />

102 Sie f<strong>in</strong>det sich teilweise wieder mit der<br />

Jedem » für <strong>die</strong> Verteidigung. Aber <strong>die</strong>se Doppelspurigkeit<br />

« friedlichen Weges » als reformistisch hervor und betrifft<br />

Wiederbelebung des Klassenkampfes auf dem Land <strong>in</strong>folge<br />

der Arbeit nervte gewaltig». Nicolai Podwoiski ; Les<br />

auch Mao Zedong und sogar Gramsci <strong>in</strong> dem Mass als er<br />

der Getreidekrise von 1928, welche <strong>die</strong> Eskalation des<br />

journées d’Octobre, <strong>in</strong> Lén<strong>in</strong>e tel qu’il fut : Souvenirs de<br />

<strong>die</strong> Kategorie des Krieges benützt (idem, Seite 40). In e<strong>in</strong>em<br />

Saatstreiks und der Zwangskollektivierung nach sich zog.<br />

contempora<strong>in</strong>s, tome 1, op. cit., page 751.<br />

anderen Dokument fügt er Stal<strong>in</strong> h<strong>in</strong>zu (Aníbal Romero:<br />

103 Vom Kriege, S. 215.<br />

68<br />

69


<strong>Die</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> eigenen <strong>Hände</strong> <strong>nehmen</strong>. Aufruf zur Revolution 1918.

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