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Die Geschichte in die Eigenen Hände nehmen

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Erster Teil: <strong>Die</strong> Kriegstheorie<br />

1.1. Der Krieg als politisches Instrument<br />

<strong>Die</strong> erste These von Clausewitz, <strong>die</strong> Len<strong>in</strong> notiert,<br />

ist <strong>die</strong> berühmte Formel « dass der Krieg nichts ist<br />

als <strong>die</strong> fortgesetzte Staatspolitik mit anderen Mitteln.<br />

» Er zitiert sie aus der Nachricht von 1827 über den<br />

Zustand des Manuskriptes 4 , bevor er <strong>die</strong> ganze Ziffer<br />

24 des Ersten Kapitels des Ersten Buches kopiert. 5 .<br />

Und wenn Clausewitz <strong>die</strong>se Frage erneut im Kapitel<br />

6 B des Achten Buches behandelt, schreibt Len<strong>in</strong><br />

sehr lange Auszüge daraus ab und notiert am Rand:<br />

« Das allerwichtigste Kapitel » 6 .<br />

Von welcher Politik ist der Krieg <strong>die</strong> Fortsetzung?<br />

Zunächst von der objektiven Politik, (auf Englisch<br />

politics genannt), also der Gesamtheit der<br />

historischen, sozialen ökonomischen, technischen,<br />

kulturellen und ideologischen Faktoren, welche<br />

<strong>die</strong> sozialen Bed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>es Krieges darstellen<br />

und <strong>die</strong>sen zu e<strong>in</strong>em sozialgeschichtlichen Produkt<br />

machen 7 . Dann auch von der subjektiven Politik<br />

(policy), also der politischen Aktion, der politischen<br />

„Geschäftsführung“, <strong>die</strong> durch Motive <strong>in</strong>spiriert<br />

und von e<strong>in</strong>em Ziel geleitet ist; und <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem<br />

S<strong>in</strong>n umfasst das Clausewitz’sche Konzept der<br />

„Fortsetzung“ folgendes:<br />

1° Das Spezifische des Krieges, nämlich der<br />

Gebrauch der Streitkräfte, was e<strong>in</strong>e besondere<br />

Situation unter der Regie spezifischer Gesetze<br />

schafft.<br />

2° <strong>Die</strong> E<strong>in</strong>beziehung des Krieges <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Ganzes, das<br />

politisch ist. Der Krieg ist nur e<strong>in</strong>es der Mittel, um<br />

Politik zu machen 8 .<br />

3° E<strong>in</strong>e komplexe Beziehung zwischen dem Ziel im<br />

Krieg (z.B. <strong>die</strong> Vernichtung der fe<strong>in</strong>dlichen Armee,<br />

<strong>die</strong> E<strong>in</strong>nahme der Hauptstadt oder e<strong>in</strong>er Prov<strong>in</strong>z)<br />

und dem Zweck des Krieges (<strong>die</strong> angestrebte neue<br />

Situation am Ende des Krieges z.B. <strong>die</strong> Eroberung<br />

e<strong>in</strong>er Prov<strong>in</strong>z, <strong>die</strong> Installation e<strong>in</strong>es neuen Regimes<br />

oder <strong>die</strong> Annexion des fe<strong>in</strong>dlichen Landes).<br />

Trennte man den Krieg von der Politik, bemerkt<br />

Clausewitz, wäre er nur e<strong>in</strong> Ausdruck des Hasses<br />

zwischen zwei Völkern. Nun kann man aber <strong>die</strong><br />

Kriege nicht auf e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache Fe<strong>in</strong>dseligkeit<br />

reduzieren, auf e<strong>in</strong>en Todeskampf, <strong>in</strong> den zwei<br />

Völker bl<strong>in</strong>d gegene<strong>in</strong>ander geworfen werden. Wie<br />

Len<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Randbemerkung schreibt: „Der Krieg<br />

= Teil e<strong>in</strong>es Ganzen“ „<strong>die</strong>ses Ganze = <strong>die</strong> Politik“. <strong>Die</strong><br />

Beziehung, <strong>die</strong> Clausewitz herstellt, macht aus dem<br />

Krieg e<strong>in</strong> Objekt der Theorie 9 .<br />

Alle Kriege werden <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Licht zu gleichartigen<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen.<br />

1.2. Krieg und Antagonismus<br />

E<strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>platz des konterrevolutionären<br />

Diskurses, ob von l<strong>in</strong>ks oder von rechts, reduziert<br />

<strong>die</strong> Gewalt ausschliesslich auf ihre Ausübung. Man<br />

f<strong>in</strong>det ihn <strong>in</strong> gelehrter Form <strong>in</strong> der Aussage, dass<br />

bei Len<strong>in</strong> <strong>die</strong> Politik <strong>die</strong> Weiterführung des Krieges<br />

sei. <strong>Die</strong>se Anklage wurde gegen Len<strong>in</strong>, gegen den<br />

Marxismus sowie gegen <strong>die</strong> UdSSR als Staat erhoben.<br />

Man f<strong>in</strong>det e<strong>in</strong>e solche kernige Aussage bei J. F. C.<br />

Fuller, der manchmal als «der grösste Militärdenker<br />

des 20. Jahrhunderts» bezeichnet wird. Er schrieb<br />

(im Jahr 1961!), dass «<strong>die</strong> sowjetischen politischen<br />

Beziehungen, sowohl im <strong>in</strong>neren als auch gegen<br />

aussen, [...] denen <strong>in</strong>nerhalb und zwischen<br />

primitiven Stämmen analog [s<strong>in</strong>d]. Für beide, den<br />

Mann e<strong>in</strong>es Stammes und den Revolutionär, lautet <strong>die</strong><br />

herrschende Devise „zerstören oder zerstört werden“,<br />

und wie <strong>in</strong> der Tierwelt gibt es ke<strong>in</strong>en Unterschied<br />

zwischen Krieg und Frieden.»<br />

<strong>Die</strong>se E<strong>in</strong>schätzung wird auf viele Arten<br />

durchgespielt. E<strong>in</strong>e der vernünftigsten ist noch<br />

<strong>die</strong> von Jean-V<strong>in</strong>cent Hole<strong>in</strong>dre: «[Len<strong>in</strong>s] Politik<br />

denkt vom Klassenkampf her, der notwendigerweise<br />

e<strong>in</strong>en gewaltsamen Charakter hat, und mit dem<br />

Horizont des Friedens, der dank der Realisierung<br />

der kommunistischen Idee errichtet wird. Hier wird<br />

Clausewitz‘ Formel umgedreht: In den Augen Len<strong>in</strong>s<br />

geht <strong>die</strong> Gewalt dem Frieden voraus und begründet<br />

<strong>die</strong>sen. In der len<strong>in</strong>istischen Theorie muss <strong>die</strong> Gewalt<br />

von der Avantgarde-Partei entworfen und umgesetzt<br />

werden. <strong>Die</strong> Politik ist nicht dazu berufen, <strong>die</strong> Gewalt<br />

zu zähmen, sondern sie im revolutionären Moment<br />

mit dem Ziel zu organisieren, ihr e<strong>in</strong> für alle Male<br />

e<strong>in</strong> Ende zu setzen vom Augenblick an, an dem <strong>die</strong><br />

Ziele der Revolution realisiert s<strong>in</strong>d» 11 <strong>Die</strong> Zähmung<br />

der Gewalt als den Zweck der Politik anzuschauen<br />

steht <strong>in</strong> der Tradition von Hobbes, ist liberal und<br />

nicht nur Len<strong>in</strong> fremd, sondern auch Clausewitz,<br />

Machiavelli und vielen anderen, für welche Krieg<br />

nicht das Versagen der Politik bedeutet, sondern<br />

e<strong>in</strong>e ihrer Verwirklichungen.<br />

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