Mathilde 4 - von Orten und Nicht-Orten - Infraspezifische Kunst an der E40/BAB 4
Masterthesis von Hannes Neubauer im Studiengang MfA "Public Art and New Artistic Strategies", Bauhaus-Universität Weimar, 2014
Masterthesis von Hannes Neubauer im Studiengang MfA "Public Art and New Artistic Strategies", Bauhaus-Universität Weimar, 2014
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Hannes Neubauer
Mathilde 4 – von Orten und Nicht-Orten
Infraspezifische Kunst für E 40 / BAB 4
1
„Dennoch sind die Nicht-Orte
das Maß unserer Zeit“
(Marc Augé)
2
Bauhaus-Universität Weimar
Fakultät Gestaltung
MfA „Kunst im öffentlichen Raum und Neue
Künstlerische Strategien“
Masterthesis
Mathilde 4 – von Orten und Nicht-Orten
Infraspezifische Kunst für E 40 / BAB 4
von
Hannes Neubauer
Ettersburger Straße 4
99427 Weimar
Matrikelnummer 110866
Prüfer/in:
Prof. Norbert Hinterberger
Prof. in Liz Bachhuber
Dr. phil. Boris Buden
Weimar, 2. Juni 2014
3
Kurzbeschreibung
50.000 Kraftfahrzeuge fahren täglich auf der
Bundesautobahn A4 durch das Naturschutzgebiet
„Leutratal“ in Thüringen. Als Teil der
Europastraße E40 bildet sie eine der
wichtigsten Ost - Westachsen Kontinentaleuropas.
Im Rahmen der „Verkehrsprojekte
Deutsche Einheit“ wird diese Autobahn nun
auf 10km länge streckenweise verlegt. Die alte
Trasse wird anschließend vollständig zurückgebaut
und renaturiert.
Ein Reststück der alten Autobahn möchte aber
bleiben. Es stellt sich senkrecht in den Raum -
es bildet Kulturlandschaftsraum.
Es trägt das Thema Infrastruktur und ihre
Veränderungsprozesse in die Öffentlichkeit
und thematisiert die An- und Abwesenheit von
(Verkehrs-)architektur. Es setzt dem globalen
Geschwindigkeits-Raum Autobahn eine lokale
Installation in der Thüringer Kulturlandschaft
gegenüber, verortet damit den „Nicht-Ort“
Autobahn und stellt ihn zur Diskussion. Es
verschiebt die räumliche Perspektive und
bildet damit neue Betrachtungsweisen. Die
Interaktion zwischen Mensch und Natur im
Kulturlandschaftsraum wird als „visuelles
Palimpsest“ sichtbar.
Die vorlegende Arbeit bildet dazu die
theoretische Grundlage:
Im Kontext Kunst im öffentlichen Raum wird
dabei zuerst der Begriff der Ortsspezifität
erläutert und das Themenfeld um einen neuen
Begriff - der „Infraspezifität“ - erweitert. Des
Weiteren wird einerseits der Autobahnraum
und im speziellen die Autobahntrasse zwischen
Magdala und Jena kulturhistorisch analysiert.
Anschließend werden der Umbauprozess der
Trasse und seine Folgen näher beschrieben.
Schlussendlich wird ein erster künstlerischer
Entwurf vorgestellt und interpretiert.
Abstract
Each day 50 000 vehicles drive on the
“Autobahn A4” (Highway A4) through the
nature reserve "Leutratal" in Thuringia. As part
of the European Route E40, it forms one of the
main East - West passages of continental
Europe. As part of the “Verkehrsprojekte
Deutsche Einheit” ("German Unity Transport
Projects") 10km of the highway will now be
relocated. Once the work is complete, the old
route will be completely dismantled and
returned to nature.
However, a part of the old highway wants to
stay. It positions itself vertically into space and
creates cultural landscape space. It carries the
theme of traffic infrastructure and its processes
of change in the public and investigates the
presence and absence of (traffic) architecture.
In oppostition to the global “velocity space
highway” it shows the highway in a static way.
By this, it locates the "non-place" highway and
puts it up for discussion. It shifts the spatial
perspective, thus forming new approaches. The
interaction between man and nature in the
cultural landscape is shown by a “visual
palimpsest”.
This work is referring to the theoretical
background of the artwork:
In the context of public art, the concept of sitespecific
art will firstly be explained and then
expanded to a new concept, what I call “infraspecific”
art. In the second part, the space of
the motorway and specifically the motorway
route between Magdala and Jena will be
analyzed in a cultural historical context.
Afterwards, the relocation process of the route
as well as consequences for Thuringia will be
described. Finally, the artwork in will be
presented and interpreted
4
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung ........................................................................................................................................ 6
1.1 Vem para rua ........................................................................................................................... 6
1.2 Anmerkungen zur vorliegenden Arbeit ................................................................................... 7
2 Kunst und öffentliche Infrastrukturen ............................................................................................. 9
2.1 Kunst im öffentlichen Raum und Ortsspezifität .................................................................... 10
2.2 Kunst und Künstler im Transit .............................................................................................. 11
2.3 Kunst im Kulturlandschaftsraum ........................................................................................... 13
2.4 Infraspezifische Kunst ........................................................................................................... 13
3 Verkehrs-Infrastrukturgeschichte und die Autobahntrasse Jena-Weimar ..................................... 17
3.1 Der historischen Transit ........................................................................................................ 18
3.1.1 Historische Verkehrswege ............................................................................................. 18
3.1.2 Fernwege in Thüringen.................................................................................................. 19
3.2 Die Reichsautobahnen ........................................................................................................... 20
3.2.1 Erste Autobahnplanungen ............................................................................................. 20
3.2.2 Das NS-Projekt „Reichsautobahnen“ ............................................................................ 21
3.2.3 Die Reichsautobahn (RAB) 17 Jena - Weimar .............................................................. 24
3.3 Der Autobahnraum in der Nachkriegszeit und im geteilten Deutschland ............................ 25
3.3.1 Die Autobahnen der DDR ............................................................................................. 25
3.3.2 Aufarbeitung und Ausbau in der BRD .......................................................................... 25
3.4 Die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit (VDE) .................................................................... 27
4 Die Trassenverlegung zwischen Magdala und Jena ...................................................................... 28
4.1 BAB 4 / E40 und das VDE - Projekt Nr. 15 in Thüringen .................................................... 29
4.2 Die Trassenverlegung „Leutratal“ zwischen Magdala und Jena ........................................... 30
5 Zusammenfassung: Der Autobahnraum im kulturhistorischen Wandel ....................................... 36
6 Das Projekt „Mathilde 4“ .............................................................................................................. 37
6.1 Beschreibung und Interpretation ........................................................................................... 38
6.1.1 Begriffe zum Entwurfsprozess ...................................................................................... 38
6.1.2 Das Objekt als „Wege-Landmarke mit Denkmalcharakter“ ......................................... 38
6.1.3 Ein „verkehrtes“ Raum-Zeit-Bild .................................................................................. 40
6.1.4 Die Bedeutung der Zeichen ........................................................................................... 42
6.1.5 Der Kommunikationsprozess ........................................................................................ 42
6.2 Verankerung im eigenen künstlerischen Werk ...................................................................... 43
7 Reflexion und Ausblick ................................................................................................................. 46
Literaturverzeichnis ............................................................................................................................... 48
5
1.1 Vem para rua
1 Einleitung
Vem para rua - Geh auf die Straße.
Der Slogan der brasilianischen Großdemonstrationen
vom Juni 2013 hallte noch in
meinen Ohren nach, als ich für eine kurze
Stippvisite nach Deutschland flog und am
Küchentisch in meiner zwischenvermieteten
Wohnung in Weimar saß. Dort erzählte mir ein
befreundeter Bildhauer, dass bald die
nebengelegene Autobahn A4 verlegt wird. Die
alte Strecke würde dann später abgerissen –
sie läge praktisch eine Zeit lang einfach
unbefahren herum …
Sofort poppte bei mir das Bild eines langen
grauen Streifens in der Landschaft auf. Wie ein
graues Blatt Papier, das beschrieben werden
will. Gleichzeitig dachte ich an vergangene
Kunstprojekte wie Aussicht, an meine Zeit als
„tippelnder“ Schmied auf europäischen
Fernstraßen, an meinen verstorbenen Opa (der
vor 80 Jahren am Autobahnbau beteiligt war),
an den brasilianischen Rua-Slogan…
Natürlich fuhr ich gleich zur besagten
Baustelle und nahm die Eindrücke auch mit
zurück nach Brasilien. Vor allem musste ich
mich ja erst mal die „Übersiedelung“ meines
ungewöhnlichen brasilianischen Souvenirs in
die Wege leiten...
Vermutlich und hoffentlich dachten zu dieser
Zeit Millionen Autofahrer darüber nach, was
die Zeit auf der Autobahn mit ihnen macht.
Bei mir verkehrte sich das Problem ins
Gegenteil:
Ich musste mir nun überlegen, was ich mit
einer Autobahn mache.
Vamos para rua – Gehen wir also auf die
Strasse.
6
1.2 Anmerkungen zur vorliegenden
Arbeit
Ein Bildhauer betrachtet seine Skulptur im
Laufe des Arbeitsprozesses aus verschieden
Perspektiven: Er geht mal nah ans Objekt, mal
weiter weg. Er dreht das Werk - mal läuft er
selbst außen herum.
In ähnlicher Weise ist die vorliegende Arbeit
gestaltet: Sie bildet verschiedene Perspektiven
und Gedanken meiner Recherchen zur
Trassenverlegung einer Autobahn ab. Diese
haben jedoch sehr hybriden Charakter. Weder
eine verallgemeinerte Betrachtung von
Autobahnen, noch eine klar umrissene
territoriale Ortsanalyse würden einzeln
ausreichen, das Phänomen begreiflich zu
machen. Ebenso kann der Untersuchungsgegenstand
Autobahn / Fernstraße auch aus
sehr unterschiedlichen wissenschaftlichen
Perspektiven betrachtet werden: Ein Soziologe
würde vermutlich die gesellschaftlichen
Veränderungsprozesse thematisieren, ein
Ingenieur die technische Trassierung und
Planungsunterlagen sichten wollen und ein
Historiker die Prozesse der Vergangenheit für
die Gegenwart sichtbar machen. Doch ich bin
kein Wissenschaftler, jedenfalls nicht im
universitären Sinne. Und auch die vorliegende
Arbeit ist keine wissenschaftliche Arbeit. Denn
weder generiert sie Thesen, noch beweist sie
welche. Das vorliegende Potpuree mag für
Historiker schwammig erscheinen und für
Künstler verwissenschaftlich wirken.
Adressiert ist sie für diejenigen, die sich in
jene Zwischenräume begeben.
Der vorliegende Text entstand im Rahmen
einer Masterarbeit im Studiengang MfA
„Kunst im öffentlichen Raum und neue
künstlerische Strategien“. Vorwiegend soll er
daher als theoretische Grundlage für ein
Kunstprojekt, vielleicht aber sogar als Ansatz
für einen „Neuen Realismus in der Kunst des
öffentlichen Raums“ dienen.
Gerade dort kollidieren aber diverse Begrifflichkeiten,
z. B. der Begriff der Ortsspezifität
im Rahmen von Infrastrukturen. Würde man
z. B. den Autobahnraum als „Nicht-Ort“
verstehen, so würde man automatisch von
einer Nicht-Ortsspezifität sprechen. Das ist
zwar rhetorisch logisch, aber nicht richtig.
Dieses Paradox möchte ich anhand des ersten
Teilabschnittes „Kunst und öffentliche
Infrastrukturen“ erläutern. Darin gehe ich von
kurz auf die Entwicklung des Begriffes der
Ortsspezifität in der zweiten Hälfte des 20.
Jahrhunderts sowie seinen Veränderungsprozessen
ein. Um diese Veränderungsprozesse
zu diskutieren, stelle ich zwei
entscheidende Entwicklungen gegenüber: Auf
der einen Seite die verstärkte Mobilität und
Internationalität einer jüngeren Künstlergeneration,
die sich als Nomadenkünstler
bezeichnen lässt und den Begriff dadurch per
se hinterfragt. Auf der anderen Seite den
Trend, dass sich Kunst im öffentlichen Raum
zunehmend als Kunst im urbanen Raum
versteht. Besonderheiten lokaler und ruraler
Strukturen werden dadurch unter Umständen
vermehrt ausblendet. Abschließend gehe ich
auf die Möglichkeit ein, Infrastrukturen als
künstlerischen Untersuchungsgegenstand
begreifbar zu machen. Der Begriff der
Ortsspezifität wird in diesem Falle um einen
neuen Begriff erweitert: der Infraspezifität.
Der zweite Hauptteil (Gliederungspunkt 3)
widmet sich der kulturhistorischen Analyse des
Autobahnraums. Die Abschnitte sind dabei so
gegliedert, dass sie einen Blick auf den
Entstehungsprozess der Autobahnstruktur als
Netz sowie eine detaillierte Ortsbeschreibung
der Autobahn im Leutratal beinhalten.
Einleitend betrachte ich dabei historische
(Fern-)Verkehrswege sowie in kritischer Weise
den Bauprozess der Reichautobahnen zur Zeit
des deutschen Nationalsozialismus. Anschließend
beschreibe ich die Veränderungsprozesse
im geteilten Deutschland und nach
der Wiedervereinigung.
7
Im darauffolgenden Hauptteil (Gliederungspunkt
4) wird eingehender der derzeitige
Umbau der Autobahn im Leutratal beschrieben.
Ein Teilabschnitt beinhaltet auch
Fragen zu spezifischen Auswirkungen auf das
Bundesland Thüringen, insbesondere im
Kontext Landflucht und demografischer
Wandel.
Im Gliederungspunkt 5 fasse ich den kulturhistorischen
Wandel des Autobahnraums in
drei „Epochen“ zusammen – der Gründung,
dem Ausbau und der Veränderung in der
jüngsten Zeit.
Der folgende Hauptteil (Gliederungspunkt 6)
beschreibt und interpretiert schließlich den
Entwurf für eine künstlerische Intervention im
Rahmen des Rückbaues der alten Autobahn.
Ein Reststück Autobahn soll dabei erhalten
und senkrecht gestellt werden. Das Projekt soll
das Thema Verkehrsinfrastruktur und ihre
Veränderungsprozesse in der Öffentlichkeit
thematisieren und den „Nicht-Ort“ Autobahn
zur Diskussion stellen. Nicht zuletzt durch die
Verschiebung der räumlichen Perspektive
können dabei neue Betrachtungsweisen
gebildet werden. Dabei erkläre ich auch,
inwieweit sich der Entwurf in meinem
bisherigen künstlerischen Werk verankern
lässt.
Ausgangspunkt für das geplante künstlerische
Werk dient.
Durch die unterschiedlichen Ansätze konnten
die jeweiligen Themen auch nur grob erläutert
werden. Ziel war es in erster Linie, das zu
untersuchende Objekt von verschiedenen
Standpunkten aus zu beleuchten. Eine zu
detaillierte Betrachtung eines einzelnen
Punktes hätte dadurch zwangsläufig die
Kürzung oder Streichung anderer Perspektiven
bedeutet.
Die Kürze bezieht sich auch auf den letzten
großen Teilabschnitt, den künstlerischen
Entwurf selbst. Das hat jedoch andere Gründe:
Im vorliegenden Text stelle ich lediglich einen
ersten Entwurf vor und beschreibe meine
Gedankengänge zu dieser Idee. Die formale
und technische Ausarbeitung, etwaige
Änderungen sowie die Strategien zum
Realisierungsprozess werden in einem
separaten Teil näher erläutert.
.
Der letzte Gliederungspunkt (7) reflektiert
schließlich kurz die gesamte Arbeit und gibt
Einblicke in die Ausblicke.
So wie sich ein Bildhauer auch für ein
bestimmtes das Material oder die Objektgröße,
entscheiden muss, so war das hier auch
thematisch der Fall. Viele Themenpunkte
musste ich von daher ausgrenzen. So habe ich
beispielsweise auf generelle verkehrspolitische
Fragestellungen, wie der Diskussion
Motorisierter Individualverkehr (MIV) gegen
öffentlichen Personenverkehr (ÖPV) ebenso
verzichten müssen wie auf tiefer gehende
Beschreibungen der Autobahn aus Perspektive
des Autofahrers. Ebenso habe ich mich
vorwiegend auf die „alte Trasse“ und nicht auf
den Neubau konzentriert, da diese auch als
8
2 Kunst und öffentliche
Infrastrukturen
“We have theories, specialisms, regulations,
exhortations, demonstration projects. We have
planners. We have highway engineers (...).
But what seems to have happened is that we have
simply lost the art of placemaking.” 1
1 Hunt 2001
9
2.1 Kunst im öffentlichen Raum und
Ortsspezifität
Seit der Nachkriegszeit ging die Demokratisierung
des Westens auch mit einer
Demokratisierung der Künste einher. Mit
Leitsätzen wie „Kultur für alle“ (Hilmar
Hoffmann) oder “Jeder ist ein Künstler” (nach
Joseph Beuys) sollte die Kunst seit den 1960
Jahren stärker der Öffentlichkeit zugänglich
gemacht werden. So entstanden beispielsweise
die Ideen für Skulpturenparks und -meilen.
Viele Beispiele der damaligen Zeit waren
geprägt von scharfen Diskussionen, beispielsweise
die Aufstellung der Nanas von Nikki de
St.Phalle in Hannover, gegen die mit ca.
20.000 Unterschriften im Rahmen einer
Bürgerbewegung demonstriert wurde.
Trotzdem entstand dadurch die bis heute
berühmte „Skulpturenmeile Hannover“.
Die Kunst war jedoch nur zufällig an dem Ort
und ursprünglich nicht für ihn bestimmt. Das
heißt, sie platzierte sich zwar in der
Öffentlichkeit, hatte diese aber nicht zur
Bedingung. Viele dieser Skulpturen vermittelten
von daher das Gefühl, als wäre ein
Hubschrauber über das Land geflogen und
hätte sie zufällig fallen gelassen. Man spricht
daher von so genannten drop sculptures.
Jedoch bildeten sie zusammen mit anderen
künstlerischen Bewegungen, beispielsweise
der Land-Art oder der Happenings eine
spezifische Vorstellung für künstlerische
Handlungsweisen im öffentlichen Raum seit
den 1970er Jahren heraus:
Es entstand der bis heute grundlegende der
Begriff der Ortsspezifität. Die Kunst im
öffentlichen Raum sollte mit dem jeweiligen
Ort in direkter Verbindung stehen, bestenfalls
sogar ausschließlich für ihn geplant sein.
In den letzten Jahrzehnten änderten sich jedoch
auch die Begriffsvorstellungen zur Ortsspezifität.
Stand der Begriff am Anfang vorwiegend
in Zusammenhang mit dem materiellästhetischen
und erlebbaren Raum, also
beispielsweise der umgebenden Architektur
(z. B. durch die bereits anerkannten regionalen
Kunst-am-Bau-Regelungen), so beschrieb er
später vor allem die Bezugnahme auf den
sozialen Raum und die sozialpolitischen
Strukturen. 2 Dies eröffnete auch neue
Handlungsräume für die Kunst im öffentlichen
Raum. Denn sie wurde mehr als eine „Kunst
im öffentlichen Interesse“ 3 verstanden und ließ
sich von gesellschaftlichen Zusammenhängen
(z. B. politischen Machtverhältnissen, Ausund
Eingrenzung von Bevölkerungsgruppen)
inspirieren. Dazu bürgerte sich auch der
Begriff Kunst im Kontext ein.
Diese Kunst fand auch passende neuartige
Strategien wie Interaktion und Partizipation
mit der Bevölkerung oder direkte Interventionen
in politische oder ökonomische
Machtstrukturen durch die Nutzung
öffentlicher Medien. Das von Suzanne Lacy
editierte Buch „Mapping the Terrain - New
Genre Public Art“ 4 , versammelt einige Texte
und Projektbeispiele jener Artivisten und kann
als Grundlagenlektüre des Genres verstanden
werden.
Die neuen gesellschaftlich-künstlerischen
Strategien könnten jedoch kaum unterschiedlicher
sein: Die lokale Ausgangssituation als
Inspirationsquelle sowie der Wille zu
Veränderungsprozessen durch künstlerische
Interventionen kann beispielsweise von
Initiatoren aus der lokalen Subkultur oder der
Lokalpolitik kommen.
Jene lokalen Akteure kennen die Fragestellungen
ihrer Umgebung sowie deren
gesellschaftlichen Strukturen und können
somit ihre Konzepte auf der Basis von
tatsächlicher Ortskenntnis sowie ihre zumeist
hohen Vernetzungsgrade die Chancen und
Risiken auch bei sehr experimentellen
Projekten gut abwägen. Als Paradebeispiele
könnte der Bürgerpark „Park Fiction“ in
2 Vgl. Lewitzky 2005, S. 74ff
3 Lewitzky 2005, S. 84
4 Vgl. Lacy 1995
10
Hamburg dienen, welcher auf die
experimentelle Teilhabe aller Anwohner
abzielt. Das Projekt versteht sich dabei als „als
praktische Kritik an Stadtplanung (…) und
wirtschaftlicher Interessen aus einer
BenutzerInnenperspektive heraus“ und
entstand auf Basis einer Bürgerbewegung. 5
Die österreichische Künstlergruppe Wochenklausur
wird hingegen direkt zu Interventionen
von ortsansässigen Kulturinstitutionen gerufen
und macht sich seit 1993 zur Aufgabe, ein
spezifisches Problem innerhalb von 6-8
Wochen kreativ aber ergebnisorientiert zu
lösen. 6
Zwar zeichnen sich viele Projekte besonders
durch ihren konzeptkünstlerischen Ansatz aus.
Bemerkenswert sind jedoch häufig die
Kommunikationsfähigkeit, das Marketingkonzept
sowie das Durchhaltevermögen,
welches die Künstler bei derlei Projekten an
den Tag legen. So war beispielsweise die
berühmte Verhüllung des deutschen Reichstags
in Berlin 1995 des Künstlerpaares Christo und
Jeanne-Claude deshalb so beachtlich, weil die
Vorbereitungszeit zur Durchsetzung des
Projekts mehr als 20 Jahre andauerte. 7 Die
Kosten von 50 Mio. Euro wurden dabei (wie
bei fast allen Projekte Christos) rein aus den
Einnahmen verkaufter Kunstwerke der
Künstler finanziert. Letztlich konnte das Werk
erst durch eine Mehrheitsentscheidung des
Deutschen Bundestages realisiert werden 8 , was
vor allem auf den zahlreichen Gesprächen mit
diversen politischen Interessensvertretern
(alleine ca. 250 Gespräche im Jahr vor der
Abstimmung) basierte. 9 Dass dieser enorme
Kraftaufwand nicht für ein dauerhaftes
Monument, sondern für ein temporäres Projekt
erfolgte, machte die Aktion zudem nicht nur
im unternehmerischen Sinne spannend,
sondern vor allem auch für den zeitgenössischen
künstlerischen Kontext.
5
Arbeitsgruppe Park Fiktion 1995
6 vgl. Wochenklausur
7
Baal-Teshuva 1995, S. 7
8
Vgl. Cullen und Volz 1995, S. 260
9 Vgl. Baal-Teshuva 1995, S. 84
2.2 Kunst und Künstler im Transit
“While site-specific art once defied commodification by
insisting on immobility, it now seems to espouse fluid
mobility and nomadism for the same purpose.” 10
Seit Ende des letzten Jahrhunderts haben sich
durch globale Veränderungsprozesse,
beispielsweise der Informations- und
Kommunikationsmöglichkeiten oder durch die
wachsende Mobilität auch viele gesellschaftliche
und damit auch die künstlerischen
Fragestellungen verschoben. Nicht mehr die
lokale Situation ist Ausgangspunkt für
gesellschaftlich-künstlerisches Handeln,
sondern vermehrt allgemein soziologische und
anthropologische Themen wie Mobilität,
Identität oder Urbanität. 11 In welcher Welt
leben wir? und Wie kann ich eine sich stetig
veränderte Welt beschreiben? sind vorwiegend
die zeitgenössischen Fragestellungen. Dies
spiegelt sich in der wachsenden Anzahl
internationalisierter Master- und PHD-
Programmen genauso wider wie in zahlreichen
Artist-in-Residence - Programmen (A.i.Rs).
Die Internationalisierung der Künste spiegelt
sich auch im Sprachgebrauch wider. So hat
sich mittlerweile ein International Art English
(IAE) eingebürgert, in dem mit stetig wiederkehrenden
Phrasen (beipielsweise “…I
question the borders between art and
reality…“) suggeriert wird, dass es um
generelle soziologische oder anthropologische
Themen geht. 12 Im kritischsten Falle kann
dabei die Sprache zur Kunst so austauschbar
werden, wie die Orte an denen sie stattfindet.
Sie sagt alles und nichts und kann überall und
nirgends stattfinden.
Weniger in der Sprache, sondern vielmehr in
der Handlung hat sich auch eine Szene von
global agierenden Nomadenkünstlern
herausgebildet. Diese spiegeln die kulturellen
Globalisierungsprozesse (Mobilität, Vernetzung,
etc.) mit zumeist prozesshaften
10 Kwon 1997, S. 96
11
Vgl. Kwon 1997, S. 85ff
12 Vgl. z.B. Süddeutsche Zeitung vom 18.06.2013
11
künstlerischen Projekten an verschiedenen
Orten zeitgemäß wider. 13
Ob die Beweggründe auf einer Art
humboldt´schen Bildungsideale basieren, sich
aus wirtschaftlichen Zwängen ergeben oder
vielleicht schlicht als contemporary und daher
künstlerisch marktstrategisch angesehen
werden, bleibt offen. Vermutlich werden sich
die Gründe wie bei anderen Wanderschaften
(beispielsweise der handwerklichen Walz seit
dem 16. Jahrhundert) wohl als individuelle
Mischung zusammensetzen.
Fest steht, dass sich dabei generell ein enormer
Lernprozess beispielsweise zur interkulturellen
Kompetenz ergibt, der auch mit einer
bedeutenden persönlichen Charakterbildung
einhergeht. Jedoch lassen sich durch dieses
„Heute hier, Morgen dort“ höchstens Eindrücke
von jeweiligen Orten herstellen. Tiefer
gehende und umfangreiche Kenntnisse (z. B.
über lokalpolitische Strukturen) als Grundvoraussetzungen
für längerfristige Projekte
lassen sich dabei selten entwickeln.
Im Rahmen meines Vortrags Arte Publica an
der Universität Sao Paolo 2013 hatte ich von
daher angemerkt, dass ein ortsspezifisches
Arbeiten zwar jederzeit möglich ist, jedoch vor
allem auf intuitiven Fähigkeiten, z. B. einen
Raum / eine Situation in sehr kurzer Zeit zu
lesen („reading the room“) basiert. Diese
werden zu den hard skills der Künstler, welche
schnell wechselnd an unterschiedlichen Orten
agieren. 14
Den Raum zu lesen hat sich auch eine
künstlerische Strategie zur Aufgabe gemacht,
die man mit „Mapping“ bezeichnet. Einige
Inhalte bildeten sich dabei in jüngster Zeit im
Rahmen der cultural landscape studies heraus.
Dabei werden Räume mit forschendem Ansatz
erkundet und/oder beschrieben. Im deutschsprachigen
Raum wurden die (aus den USA
stammenden) Strategien bisher kaum rezipiert,
obwohl sie von großem didaktischen Wert
erscheinen. 15 Mapping-Projekte können sehr
unterschiedlich ausfallen: Die Palette reicht
von performativen Stadtführungen als
kunstdidaktischen Aneignung des Raums bis
zur realen Erstellung von künstlerischer Landund
Stadtkarten um besondere Phänomene
visuell lesbar werden zu lassen.
Die Wurzeln lassen sich dabei bereits im
Künstlerzusammenschluss „Situationistische
Internationale“ (SI) der 1960er Jahre finden.
Eine besondere Rolle spielt dabei die
kapitalismuskritische Grundlagenschrift „Die
Gesellschaft des Spektakels“ des SI-
Mitbegründers Guy Debord. Darin beschreibt
er die zunehmende „Entfremdung des
Zuschauers zugunsten des angeschauten
Objekts [in diesem Kontext der Ware und des
urbanen Raums, Anm. d. Verf.]. Je mehr er
zuschaut, um so weniger lebt er“, 16 so eine
These. Aus dieser Kritik heraus entstanden
auch spezifische Methoden der Raumaneignung
als kulturelle Techniken, beispielsweise
des „détournement“ 17 oder der „Psychogeografie“
18 der SI.
Eine andere Strategie, die sich erfahrungsgemäß
herausbildet, könnte man als
Glokalisierung künstlerischer Konzepte
bezeichnen. Das Kofferwort zwischen
Globalisierung und Lokalisierung stammt
eigentlich aus der der Ökonomie und beschreibt
die Anpassung eines zentral entworfenen
Produktes an den jeweiligen lokalen
Markt. 19
Im übertragenen Sinne würde dies bedeuten,
Projektideen dem jeweiligen Ort anzupassen.
Dabei bestimmt eine vorangegangene Idee also
zunehmend das Projekt, nicht die örtliche
Situation selbst. Ein Projekt zum Thema
„Wohnungsknappheit in Städten“ könnte also
in Peking geplant werden, aber in München
genauso wie in Sao Paolo stattfinden.
13 Vgl. Buden und Steyerl
14 Vgl. Neubauer 2013, 63ff
15
Vgl. Busse 2007
16 Debord 1978, S. 6f
17 Lewitzky 2005, S. 21
18 Ebd.
19
Vgl. Khondker 2004
12
2.3 Kunst im Kulturlandschaftsraum
Doch das Große lässt sich nicht immer aufs
Kleine übertragen und ein globaler Megatrend
spiegelt nur bedingt die Auswirkungen auf
einen lokalen Ort wider. Je mehr sich die
Kunst im internationalen Kontext abspielt,
desto mehr besteht also auch die Gefahr,
regionalspezifische Strukturen vermehrt
auszublenden.
Es scheint ebenso, dass der Megatrend der
weltweiten Urbanisierung mit dem Trend der
künstlerischen Urbanisierung einhergeht. Denn
spricht man heutzutage über Kunst im
öffentlichen Raum, so ist fast ausnahmslos die
Kunst im urbanen Raum gemeint. Das ist nicht
verwunderlich, wenn man bedenkt, dass seit
Anfang dieses Jahrhunderts in der Geschichte
der Menschheit erstmals mehr Menschen in
Städten als im ländlichen Raum leben. Gerade
aber die Städte zeichnen sich immer mehr
durch ihre Ähnlichkeit aus, nicht durch ihre
Diversität.
Das Programm „Kunst fürs Dorf – Dörfer für
Kunst“ der deutschen Stiftung Kulturlandschaft,
welches seit 2009 durch Kunst „einen
(…) öffentlichen Meinungsbildungs- und
Mitgestaltungsprozess anregen [will], der das
Dorf als lebendigen Aktionsraum (…)erfahrbar
macht“ 20 , könnte man in diesem Kontext als
rühmliche Ausnahme bezeichnen. Gerade
dabei können aber interessante künstlerische
Möglichkeiten sichtbar werden. Ebenso in dem
Konzept der „Kulturellen Landpartie“ im
niedersächsischen Wendland, bei dem rund
600 einheimische Künstler in 80 Dörfern jedes
Jahr ihre Werke ausstellen. 21 Besonders hier
lassen sich auch die großen globalen Fragen
ablesen: Das Projekt entstand vor allem durch
die politischen Auseinandersetzungen
bezüglich der Planung für ein nukleares
Entsorgungszentrum für atomare Kernbrennstäbe.
22 Das Wendland gilt seit den 1980er
20
Deutsche Stiftung Kulturlandschaft 2012
21 Vgl. Kulturelle Landpartie 2014
22 Ebd.
Jahren bekanntlich als Zentrum des deutschen
Widerstands gegen die Atomkraft und trug von
daher nicht unerheblich zur gesamtdeutschen
und mittlerweile weltweit bedeutenden
Energiewende bei.
So vielfältig und identitätsbeladen der rurale
Kulturlandschaftsraum aber auch sein könnte,
für die allgemein rezipierte zeitgenössische
Kunst im öffentlichen Raum findet er wenig
Beachtung. So hat sich beispielsweise in den
letzten drei Studiengenerationen des Studiengangs
„Kunst im öffentlichen Raum und neue
künstlerische Strategien“ in Weimar kein
einziger Student mit den Themen Landflucht
und demografischer Wandel befasst. Diese
werden aber hier zu Lande als wichtigste
gesellschaftsübergreifende Themen überhaupt
angesehen. Die globalen Auswirkungen der
Verstädterung würden sich gerade in den
Thüringer Regionalstrukturen vermutlich
besser begreifen lassen, als in den Metropolen.
Denn dort wird jener globale Megatrend
vorwiegend nur in seinen Symptomen sichtbar
(Platzmangel, Miterhöhungen, etc.) nicht in
seinen Ursachen.
2.4 Infraspezifische Kunst
Wie eingangs beschrieben, änderte sich die
ortsspezifische Kunst im öffentlichen Raum
von materiell-ästhetischen zu diskursivpolitischen
Konzepten. Bekanntlich basieren
öffentliche Systeme (abgesehen vom reinen
Anarchismus) vor allem aber auf Regeln, seien
es kulturelle Codes oder klassische Gesetzestexte.
Jene Regeln können, sollen und müssen
auch in der Kunst jederzeit hinterfragt werden.
Doch erst wer sie kennt, kann sie hinterfragen.
Das gilt für Juristen, Politiker, Wirtschaftswissenschaftler
oder Sozialarbeiter genauso
wie für Künstler, welche die Öffentlichkeit
zum Dreh und Angelpunkt ihrer Konzepte
erklären. Doch welche Regeln könnten das
sein?
13
In der akademischen Ausbildung zur Kunst im
öffentlichen Raum haben sich vorwiegend
kulturwissenschaftliche Theorien als Grundlage
herausgebildet, um öffentliche Räume zu
beschreiben. Wiederkehrende Diskurse,
beispielsweise zum „Verlust des öffentlichen
Raums“, „Privat und Öffentlichkeit“ oder
„Machtstrukturen im Kontext“ werden
vorwiegend anhand von soziologischen
Theorien geführt, beispielsweise von Henry
Levebvre oder Pierre Bourdieu. Im Gegenzug
dazu werden vereinzelt sehr spezifische
Projekte vorgestellt und diskutiert. Doch ist
das für die künstlerische Praxis als im
öffentlichen Raum als grundlegendes
Handwerkszeug ausreichend? Gäbe es
Alternativen und / oder Erweiterungen? Aus
welchen anderen Feldern könnten diese
stammen?
Ein Student im Bereich „Soziale Arbeit“ wird
in seinem Studium vorwiegend mit Gesetzestexten
konfrontiert, beispielsweise den
Sozialgesetzbüchern oder dem Aufenthaltsrecht.
Diese Gesetze muss er später in der
Praxis auf individuelle Problemlösungen
übertragen, damit er zum helfenden Berater
und nicht zum reinen „Tröster“ wird. Wie er
anschließend mit Problemfällen umgeht, muss
er individuell entscheiden und liegt beispielsweise
an individuellen Fähigkeiten wie der
Empathie. Ähnliche Strategien werden auch in
anderen modernen Sozialwissenschaften,
beispielsweise im zusammenfassenden Begriff
der Public Policy in der Politikwissenschaft
angewendet. Denn auch dort fußt das grundlegende
Wissen auf der Analyse von Veränderungsprozessen
oder -möglichkeiten von
Gesetzen, nicht auf subjektiver politischer
Meinungsbildung.
Den klassischen Künsten unterliegt aber nach
wie vor noch dem (aus dem 19. Jahrhundert
stammenden) Begriff der Autonomie der
Künste zu Grunde. Natürlich funktioniert diese
Strategie auch noch im klassischen autonomen
Kunstmarkt. Für diejenigen, die durch Kunst
soziale Zusammenhänge sichtbar werden
lassen wollen oder mit Interventionen in den
öffentlichen Raum eingreifen wollen, dürfte es
aber zunächst gelten, auch in fachfremden
Territorien zu wildern. Das müsste eigentlich
bedeuten, juristische Texte und baurechtliche
Planfeststellungsverfahren zu verstehen (vgl.
Abb.1), oder in historischen Archiven zu
„wühlen“. Die Erfahrung dabei zeigt dabei,
dass gerade diese Unterlagen „Entdeckungen“
bereithalten können, welche die tatsächliche
Komplexität des öffentlichen Raums mitunter
besonders begreifbar machen.
Abbildung 1: Planfeststellungsverfahren der Autobahn
zwischen Magdala und Jena
Das Wechselspiel zwischen den Begriffen
Privat und Öffentlichkeit (und welche ist
eigentlich gemeint?) kann dabei besonders
sichtbar werden. Wer hätte beispielsweise
gedacht, dass die Grundstücke, auf denen eine
Bundesautobahn liegt, teilweise nie erworben
wurden? Dass sie daher im Falle eines
Rückbaus auf die Besitzer vor 75 Jahren (bzw.
deren Erben) zurückgehen? Dass diese aber
darüber nicht frei verfügen können, weil die
Flächen gleichzeitig unter öffentlichem Schutz
(Naturschutz) stehen? 23
Der reale Raum, so zeigt sich hier vor allem,
ist nicht per se öffentlich oder privat, sondern
die Besitzverhältnisse und somit die Kontrolle
ändern sich stetig. Nicht im Geiste - sondern
im Grundbucheintrag.
23
Vgl. Gliederungspunkt 4.2
14
Als besondere Objekte zur Untersuchung
könnten dabei öffentliche Infrastrukturen 24
bilden, denn an ihnen ließen sich sehr
grundlegende gesellschaftliche Zusammenhänge
ablesen. Ob in der Telekommunikation,
den Bildungssystemen, der Energieverwaltung
oder bei der Mobilität - sie bestimmen
Lebensweisen und sie durchqueren als Adern
nahezu alle öffentlichen Räume. Somit bilden
sie diese phänomenal ab. Micro-, meso- und
macroskopische Betrachtungsmöglichkeiten zu
öffentlichen Strukturen können an ihnen
besonders sichtbar gemacht werden.
Jedoch führen aber durch die Raumüberschneidungen
auch zu einem sehr hohen
Komplexitätsgrad. Einerseits, weil sie sich
weder selbst als Räume (und noch weniger als
Orte) beschreiben lassen, noch als rein
imaginäre Systeme (denn die Einrichtungen
sind ja real vorhanden).
Zudem zeigen Untersuchungen, das Infrastrukturen
(obwohl sie wesentlich gesellschaftliche
Handlungsweisen bestimmen) zumeist
nur unterbewusst wahr genommen und erst bei
einem Funktionsfehlern, Veränderungsprozessen
oder ihrer gänzlichen Abwesenheit
thematisiert. 25 Ansonsten sind Infrastrukturen
eine Art „zweite Natur“ 26 .
Das trifft bei Verkehrsinfrastruktur, also bei
öffentlichen Verkehrsmitteln oder Straßen /
Wegen für den Individualverkehr nur bedingt
zu. Denn diese sind im Gegensatz zu vorwiegend
immateriellen Infrastrukturen (wie
z. B. der Telekommunikation) stark durch ihre
materielle Präsenz, dem Beton und Asphalt
von Trasse und Brückenbauwerken, gekennzeichnet.
Man könnte sie daher fast als
Strukturen mit örtlichem Charakter bezeichnen.
24 Der Begriff der Infrastruktur (von lat. Infra = darunter,
unter, unterhalb) wurde zusammen mit dem Begriff der
Suprastruktur erstmals von der NATO verwendet und
bezeichnete im ursprünglichen Sinne reine Versorgungsleitungen,
also beispielsweise Kabel oder Pipelines (Vgl.
auch: Doßmann 2003, S. 383). Mittlerweise hat sich der
Begriff sehr weit ausgedehnt, bis hin zu sozialen
Infrastrukturen, wie Bildungssystemen oder sozialen
Einrichtungen.
25
Vgl. Doßmann 2003, S.13
26 Doßmann 2003, S.13
Fernstraßen und Autobahnen als spielen dabei
eine besondere Rolle. In jüngster Zeit werden
sie in der Soziologie im Sinne Marc Augés als
klassische „Nicht-Orte“ 27 kategorisiert. In einer
immer mobileren Gesellschaft könnte man sie
aber gerade deshalb auch „das Maß unsere
Zeit“ 28 betrachten.
(…) eine Welt, in der sich ein enges Netz von
Verkehrsmitteln entwickelt, die gleichfalls bewegliche
Behausungen sind (…) bietet dem Anthropologen ein
neues Objekt, dessen bislang unbekannte Dimensionen
zu ermessen wären, bevor man sich fragt, mit
welchem Blick es sich erfassen und beurteilen lässt. 29
In der Bundesrepublik Deutschland sind ca.
vier Mal soviel Autos gemeldet als Kinder 30,31
und jeder vierte Bundesbürger ist auch
Mitglied im politisch einflussreichen Automobilclub
ADAC (ca. 20 Mio. Mitglieder).
Die Gesamtlänge der deutschen Autobahnen
ist auf ca. 13 000 Kilometer angewachsen. 32
Das ergibt ist zwar nur rund 2% des deutschen
Straßennetzes, aber es „rollen“ auf diesen
Strecken mehr als 30 % des gesamten
Verkehrsaufkommens. 33 Und wie viel bewegt
sich auf einer durchschnittlichen Autobahn?
Ca. 30 000 Kraftfahrzeuge. Täglich.
Trotzdem werden sie in der Kunst des
öffentlichen Raum sehr wenig beachtet. Erst
in jüngster Zeit wird beispielsweise diskutiert,
inwieweit öffentliche „Kunst-am-Bau-
Regelungen“ auch auf Verkehrsbauten
übertragen werden können. In den Richtlinien
bei Baumaßnahmen des Bundes (RBBau), ist
dies nicht eindeutig geregelt, aber interpretierbar:
„Als Leistungen bildender Künstler kommen
Kunstwerke in und an Gebäuden, für die Ausstattung
einzelner Diensträume sowie in gärtnerischen Anlagen
u. dgl. in Betracht. 34
27 Vgl. Augé 1994
28 Augé 1994, S. 94
29 Augé 1994, S. 93
30 Vgl. offizielle Zahlen in: Kraftfahrtbundesamt
31 Vgl. offizielle Zahlen in: Statista
32 Verkehrsinvestitionsbericht für das Berichtsjahr 2011
der Bunderegierung 2013, S. 182
33 Vgl. Handelsblatt 2012
34 RBBau aktuell, K7
15
Auch der Jurist Dr. R. Kratzenberg, Spezialist
für Vergaberecht bei Baumaßnahmen des
Bundes, befürwortet den „Anspruch auf
Gestaltung, die sich nicht rein funktional
ergibt. [Vor allem dann, wenn] nicht unerhebliche
Summen an Steuergeldern für öffentliche
Zwecke – in diesem Fall Mobilität im weiteren
Sinne – ausgegeben werden.“ 35
Häufig wird aber bislang nur die künstlerische
Bezugnahme auf öffentliche Transitgebäude
(also Flughäfen oder Bahnhöfe, usw.)
diskutiert, beispielsweise in den jährlichen
„Werkstattgesprächen“ 36 zwischen dem Bund
bildender Künstler (BBK) und den Bauministerien.
Die Strukturbauten selbst finden
jedoch auch hier wenig Beachtung.
Dies trifft bedingt auch auf jüngere zeitgenössische
Konzepte zu. Bei dem Projekt
„B1/A40 – die Schönheit der großen Straße“
2010 im Ruhrgebiet, wurde in vielschichtiger
Weise der Autobahnraum thematisiert.
Hauptsächliches Thema der zahlreichen
Projekte waren jedoch die Orte entlang der
Autobahn A40, nur vereinzelt die Straße
selbst. 37
Dass die Straße als Untersuchungsobjekt
jedoch eine bedeutende Rolle spielen kann,
verdeutlicht die Volkskundlerin Ina-Maria
Greverus. Für sie spiegeln sich in Straßen
historische und zukünftige Prozesse wieder:
„Straßen haben Janusgesicht [und somit] den Blick in
die Vergangenheit und den Blick in die Zukunft. Wenn
Zukunft überhand nimmt und die Gegenwart der Straße
als eine Erlebnisform verdrängt, sie zur Nur-
Zeitstrecke der Signale macht, verschwindet ihre
Bedeutung für den geistig mobilen Menschen ebenso,
wie wenn er die Vergangenheit der Straße die ihm die
Vorwelt geschaffen hat, vergisst.“ 38
Was also, wenn (wie im seltenen Falle der
Leutratal-Trasse in Thüringen) eine Autobahn
verlegt und zurückgebaut wird? Und was
passiert beispielsweise, wenn man ein
Autobahnabriss zur Spurensicherung künstlerisch
interpretiert wird?
Ein ehemaliger Infrastrukturraum würde dann
zum Ort erklärt. Dieser erinnert schließend an
seine ehemalige Raumfunktion. Dadurch lässt
das Objekt das Thema Verkehrsinfrastruktur
und ihre Veränderungsprozesse im gesellschaftlichen
Kontext real sichtbar werden,
und verweist damit auf die kulturelle und
politische Bedeutung der sozialen Räume und
ihren Überschneidungen - dem globalem
Transitraum und der lokalen Kulturlandschaft.
Auch in der Kunst des öffentlichen Raumes
und der Diskussion um den Begriff der
Ortsspezifität stellen sich dann neue Fragen.
Da es ja nicht um die Bespielung oder
Interpretation von Orten geht, sondern um
raumübergreifende Strukturen, kollidieren die
Begrifflichkeiten. In bestimmten Fällen geht es
ums Placemaking einer Infrastruktur.
Vielleicht könnte man ja allgemeiner von
infraspezifischer Kunst sprechen. Meines
Erachtens würde dieser Begriff konkret auf
eine künstlerische Bezugnahme auf eine unter
dem (öffentlichen) Raum liegende aber
materielle real existierende Struktur verweisen.
Beginnen wir aber zunächst mit dem Versuch
einer infraspezifischen Analyse des Autobahnraums
sowie der konkreten Betrachtung der
Trasse und seiner Verlegung in Thüringen –
dem „grünen Herzen Deutschlands“.
35 BMVBS 2013, S. 11
36 Vgl. BMVBS 2013
37 Vgl. MAP 2010
38 I.-M. Greverus in: Stubenvoll 1990, S. 17
16
3 Verkehrs-
Infrastrukturgeschichte und
die Autobahntrasse Jena-
Weimar
Abbildung 2: Mittelalterlicher Händler, ca.1467/77
Quelle: entnommen aus: Schmidt 2010
17
3.1 Der historischen Transit
„Die Landstraße, die ich jetzt betrete und von der aus
ich Umschau halte, ich glaube, du bist nicht alles, was
hier ist; Ich glaube dass auch viel unsichtbares hier ist.
Hier ist die tiefe Lehre der Aufnahme, die weder
Vorrecht noch Abweisung kennt…“ 39
3.1.1 Historische Verkehrswege
Im Rahmen der Altwegeforschung lassen sich
zwar einige Gemeinsamkeiten, aber auch
deutliche Unterschiede zu unserer heutigen
Vorstellung von Verkehrswegen feststellen.
Eines der größten Unterschiede ist vor allem,
dass es sich bei historischen Wegen eher um
„Routen oder Straßenbündel“ 40 handelt als um
Straßen oder gar Trassen. Wege wurden im
seltensten Fall planvoll durch die Landschaft
gezogen sondern waren stetigen Entwicklungsund
Änderungsprozessen unterworfen.
Eine Ausnahme bieten dabei allerdings die
wohl bekanntesten historischen Straßenbauer -
die Römer. Das auf 80 000 km geschätzte
Straßennetz umspannte ihr gesamtes
Imperium. Oft gelten sie als Erfinder der
Straßen, dass ist aber nur bedingt richtig. Denn
sie übernahmen die Straßenbautechnik vor
allem von den zuvor eroberten Etruskern und
verfeinerten sie lediglich. 41 Ihre strukturelle
Unterteilung der Straßen auf Basis der Baulast
(d. h., welche Institution die Straßen erbaut
und unterhält) erinnern sogar an unser
derzeitigen Fernstraßengesetzte in der
föderalistischen Bundesrepublik. Denn genau
so wie heutzutage die Straßen in Bundes-,
Landes und Gemeindestraßen unterteilt
werden, so kategorisierten auch die Römer ihre
Straßen, beispielsweise in Staats– und
Provinzstraßen.
39 aus dem Volkslied „Gesang von der Freien Straße“ von
Walt Whitman, ca. 1856
40 Schmidt 2010, S. 72
41 Vgl. Zirkler 2003, S. 126f
Das wirklich Innovative an den römischen
Straßen war allerdings, dass sie mit mehreren
Unterschichten stark befestigten, und daher im
Gegensatz zu den herkömmlichen Altstraßen
der damaligen Zeit unabhängiger vom
Untergrund trassiert werden konnten.
Mit dem Zerfall des römischen Imperiums
zerfiel auch das immense Straßennetz und bis
ins 18. Jhd. waren selbst bedeutende Fernhandelswege
streckenweise unbefestigt.
Ihre Trassierung (so man überhaupt von einer
sprechen konnte) musste daher aus natürlichen
Gründen stetig geändert werden, da die
Umwelteinflüsse wie Regen oder Erdbewegungen
den ursprünglichen Weg häufig
unpassierbar machten.
Hinzu kam, dass es lange Zeit überhaupt keine
öffentliche Verwaltung für Wege gab. Jeder
Nutzer / Eigentümer, also beispielsweise
Feudalherren, Pfalzgrafen usw. musste sich
selbst um die Pflege und Sicherheit der Wege
kümmern. Dies führte in den damals sehr
kleinteiligen politisch-territorialen Zusammenhängen
und kriegerischen Auseinandersetzungen
einzelner Feudalgebiete im
seltensten Fall zum Ausbau. Eher war das
Gegenteil der Fall: Durch die im Mittelalter
eingeführte Grundruhr, also dem Gesetz,
welches dem Grundbesitzer die Beschlagnahmung
heruntergefallener Ware (oder im
Falle eines Achsbruches sogar den ganzen
Wagen) erlaubte, hatten die wenigsten
Grundherren ernsthaftes Interesse an einer
befestigten Wegeführung durch ihr Land. 42
Seit dem Mittelalter galt zudem das „Stapelrecht“,
welches die Handelsreisenden in vielen
Städten verpflichtete, ihre Waren anzubieten,
was den Handel von verderblichen Waren auf
längeren Strecken natürlich immens erschwerte.
Gleichzeitig brachte aber gerade
dieses System die mittelalterlichen Städte zum
Erblühen. Die Gründergeschichte der Stadt
Erfurt basierte beispielsweise darauf, dass sie
als ursprünglichen „Stapelplatz“ diente. 43
42 Vgl. Zirkler 2003, S. 173
43 Vgl. Hassenpflug 2004, S. 3f
18
Als Reisender selbst war man aber nicht nur
den Gefahren und Verlusten durch eine Panne
ausgesetzt, sondern vor allem auch zahlreichen
Wegelagerern, zu welchen teilweise auch der
niedere Adel jener Zeit gehörte. Dadurch
glichen im Mittelalter bis in die späte Neuzeit
viele Teilabschnitte der alten Fernstraßen eher
„Schlachtfeldern (…) auf denen ein ständiger
Krieg zwischen tollkühnen Fernhändlern und
beutegierigen Raubrittern tobte“. 44
Dies führte auch zur Einführung des Wegegeleits,
bei dem die Herrschenden ihren
Schutz, zuerst durch die Bereitstellung von
Bewaffneten, später anhand von Geleitbriefen,
dem so genannten „toten Geleit“ anboten. Im
Falle eines Überfalles konnte durch sie
Schadensersatz durch den Grundbesitzer
verlangt werden. Da dies neben den Zöllen
eine weitere Einnahmequelle darstellte, wurde
später aus der freiwilligen Schutzmöglichkeit
eine gesetzlich geregelte Zwangsverpflichtung.
45
Die einfachen Bauern, also die bedeutende
Mehrheit der Bevölkerung der damaligen Zeit,
hielten im Übrigen wenig von den Fernstraßen
und ihren Benutzern. Denn diese brachten auch
viele ansteckenden Krankheiten ins Land, was
sich anhand der zahlreichen Siechenhäuser
entlang der Handelsrouten leicht nachweisen
lässt. 46 Neben dem allgemeinen Argwohn
gegenüber allem „Fremden“ ist dies wohl eines
der Hauptgründe, warum letztlich auch alles
als „anrüchig [betrachtet wurde] was mit
Fernverbindung und leicht begehbaren Wegen
zusammenhing“. 47
3.1.2 Fernwege in Thüringen
„Historische Verkehrswege haben Thüringen von alters
her nicht nur erschlossen, sondern europäisch
eingebunden. Vor diesem Hintergrund lohnt es sich
umso mehr, Zeitzeugen der Entwicklung auch aus
europäischer Perspektive zu erhalten und erlebbar zu
machen“ 48
Schon seit dem 8. Jahrhundert lag Thüringen
an einem Knotenpunkt von zwei der
wichtigsten Handelswege Kontinentaleuropas,
der VIA REGIA in Ost-West-Richtung und der
Nürnberger Straße in Nord-Süd-Richtung.
Durch den Verlauf der berühmten VIA REGIA
von Kiew bis Paris über Leipzig, Erfurt,
Frankfurt und Metz lässt sich die Stadt-
Landschaft Thüringens und ihre Entstehung im
Mittelalter ablesen.
Wie eingangs beschrieben, änderte auch diese
Magistrale wie andere Fernhandelswege ihren
direkten Verlauf ebenso wie ihre Bedeutung.
War sie ursprünglich ein als Pilgerweg, so
wurde sie im Mittelalter eine bedeutende
Handelsstraße und änderte ihre Funktion zur
Heerstraße unter Napoleon im 18. Jahrhundert.
Das Herzogtum Sachsen – Weimar lag bis
dahin geografisch etwas abseits der Hauptstrecke.
Erst mit der Anbindung der Stadt Jena
durch eine Chaussee, die J. W. Goethe als
Wegebaudirektor veranlasste, wurde der
zusätzliche südliche Straßenverlauf neben der
alten Route (über Leipzig) bis nach Dresden
erschlossen. Jene Chaussee ist nun auch Teil
der heutigen Bundesstraße 7. 49
Die historische Besonderheit in Thüringen
liegt vor allem im Abstand der Städte Eisenach
– Gotha – Erfurt – Weimar – Jena und Gera.
Denn diese Städtereihe zeichnet den Abstand
nach, welches ein durchschnittliches Frachtfuhrwerk
pro Tag zurücklegt, nämlich ca. 30-
40 km 50 . Entstehung und Ausbau der Städte
basieren hier sichtbar auf der vorangegangenen
Verkehrswegestruktur.
44 Ebd. S. 4
45 Vgl. Schmidt 2010, S. 76
46 Ebd. S. 91
47 Zirkler 2003, S. 173
48 Schmidt 2010, S. 94
49 Vgl. Schmidt 2010, S. 83
50 Ebd. S. 90
19
3.2 Die Reichsautobahnen
„In der Verknüpfung nicht selten bizarrer Details
erweist sich die Reichsautobahn als untoter Ahne
unserer gegenwärtigen, dauermobilisierten Transitlandschaft“
51
Dadurch ist das Projekt Reichsautobahnen
nicht nur aufgrund seiner Dimension als
Bauprojekt, sondern vor allem durch seinen
mythisch aufgeladenen Charakter von
entscheidender Bedeutung zum heutigen
Verständnis der bestehenden Verkehrsinfrastruktur.
3.2.1 Erste Autobahnplanungen
Der Autobahnbau in Deutschland ist nach wie
vor eines der hartnäckigsten argumentativen
Bastionen nationalsozialistischen Gedankenguts.
Noch heute wird im subversiven
faschistischen „Argumentationen“ das Projekt
glorifiziert (…aber er hat doch die Autobahnen
gebaut…). Mitunter wird sogar behauptet, dass
nicht nur der Bau, sondern selbst die Erfindung
direkt auf Hitler zurückzuführen wäre.
Das behauptete auch Fritz Todt in einem
propagandistischen Aufsatz „Die Straßen des
Führers“ 52 . Dieser war als Generalinspektor
des deutschen Straßenwesens Hitler direkt
unterstellt und war somit auch Hauptverantwortlicher
für das „Projekt Reichsautobahnen.“
Abbildung 3: Propagandaplakat von 1936
Quelle: abgerufen von URL: http://blog.rothenburgunterm-hakenkreuz.de,
April 2014
Da es sich bei der heutigen BAB 4 in
Thüringen um die tatsächliche Trassenführung
der ehemaligen Reichsautobahn RAB 17
handelt, bedarf es hierfür auch tiefer gehende
Untersuchungen des historischen Autobahnprojektes
Reichautobahn. Auch hier lässt sich
die Straße von ihren kulturhistorischen, noch
von ihrem territorialen Raum extrahieren. Die
Raumüberschneidungen der politischen,
sozialen und wirtschaftlichen Räume der
nationalsozialistischen Zeit treffen dabei auf
den ästhetisch wahrnehmbaren Raum - der
Kulturlandschaft.
Die Idee für „kreuzungsfreie Richtungsfahrbahnen
für den Autoverkehr (dem Hauptmerkmal
von Autobahnen), ihre Gestaltung der
Knotenpunkte sowie der Idee eines gesamten
Straßennetzes aus „Nur-Auto-Straßen“ wurde
jedoch bereits vor der Machtübernahme Hitlers
1933 sehr konkret geplant.
Die bedeutendste Rolle spielte dabei die
HAFRABA. Dies war ein Verein zur Planung
und Durchführung einer Schnellstraße von
Hamburg bis Basel über Frankfurt (daher der
Vereinsname HAmburg-FRankfurt-BAsel-
Autobahn) und gründete sich bereits 1926. 53 Er
entstand aus der zuvor gegründeten „Studiengesellschaft
für den Automobilstraßenbau“
(STUFA), ein allgemeiner Interessensgruppenverband
für „Nur-Autostraßen“ in Deutsch-
51 Steininger 2008
52 Vgl. Todt 1939
53
Vgl. Steininger 2005 S. 11
20
land. 54 Die HAFRABA setzte sich aus
Vertretern der Städte und Länder entlang der
geplanten Strecke zusammen. Ihre siebenjährige
Planungsarbeit zum Bau der ersten
deutschen Autobahn sowie des ersten
Streckenabschnittes zwischen Köln und Bonn
(1932 von Adenauer eingeweiht), floss nach
der Machtübernahme Hitlers direkt in die
Pläne der später gebauten Reichsautobahnen
ein. 55 Ebenso sei an dieser Stelle auch
angemerkt, dass es seit 1924 bereits eine
Autobahn in Italien gab 56 und auch in den USA
mit den „Parkways“ ähnliche Straßenprojekte
bereits geplant und realisiert wurden.
Auch der Name „Autobahn“ stammt nicht aus
der NS-Zeit, sondern ist auf Dr. Robert Otzen,
einem Mitbegründer und Vorstandsvorsitzender
der „HAFRABA“, zurückzuführen
der es 1924 bereits gebraucht haben soll. 57
3.2.2 Das NS-Projekt „Reichsautobahnen“
Bereits drei Monate nach seiner Machtübernahme
kündigte Hitler sehr überraschend den
Bau von Autobahnen an, obwohl sich die
NSDAP, bis dato eigentlich nur negativ
gegenüber diesen Ideen geäußert hatte.
Er verwandelte die HAFRABA in die
„Gesellschaft zur Vorbereitung der Reichsautobahnen
e.V.“ (GEZUVOR) um und
gründete bereits zwei Monate später mit dem
Reichsautobahngesetz das „Unternehmen
Reichsautobahn“. Dadurch besaß nun auch die
GEZUVOR keinen Einfluss mehr. 58
Durch §12 des Reichsautobahngesetztes
bestimmte nun der Generalinspekteur die
„Linienführung und die Ausgestaltung der
Kraftfahrbahnen“ 59 , sowie die Entscheidungsgewalt
über „alle von der Plangestaltung
berührten Interessen“ 60 . Ebenso hatte sie nach
§13 auch das Enteignungsrecht. 61
Die Meinungen zu Hitlers Entschluss für den
Bau des Großprojektes weichen allerdings
voneinander ab, auch wenn in diesem
Zusammenhang vieles aufgearbeitet wurde.
Abbildung 4:Vermessungsingenieur beim Autobahnbau
Quelle: eigenes Archiv
Kriegsvorbereitung?
Die lange angenommene Vermutung, dass der
Bau der Autobahnen in erster Linie zur
Kriegsvorbereitung gedient haben soll, wird
von den meisten Historikern mittlerweile
bestritten, auch wenn die Möglichkeiten für
eine militärische Nutzung nie konkret
ausgeschlossen wurden. Mit Ausbruch des
Krieges 1939 verweist auch ein Artikel in der
„STRASSE“, dem damaligen Propagandamagazin
für den Straßenbau, auf die „Wichtigkeit
der Reichsautobahnen für die Wehrmacht
(…) und auf die Notwendigkeiten der Landesverteidigung“
62 . Doch sprechen vor allem die
gesamte Planung und Umsetzung zu den
Streckenverläufen sowie der Befestigungsgrad,
welche für schwere Militärfahrzeuge
schlichtweg nicht ausreichte, gegen eine
vorwiegende militärische Nutzung. Dazu
54 Stommer 1982, S. 23f
55
Vgl. Wildt 1986, S. 115
56 Ebd.
57 Vgl. Wildt 1986, S.115
58 Wachenfeld-Teschner 2003, S. 55ff
59 RGBl 1933, §12
60 Ebd.
61 Ebd. §13
62 Schönleben 1939
21
kommt, dass eine von Anfang an kritische
Haltung zu dem Reichsautobahnbau von Seiten
des Militärs zu spüren war. 63
Jedoch wurden einzelne Trassenabschnitte seit
1938 auch verstärkt zu einem „Dual-use“, also
einer doppelten Benutzungsmöglichkeiten für
Zivilbevölkerung und militärische Zwecke
verwendet und in Abschnitte in Ost-West-
Richtung sogar dafür geplant. Im Allgemeinen
bildete in den Kriegsjahren jedoch die
Eisenbahn das Haupttransportsystem für
Truppen und Kriegsgerät.
Motorisierung, Arbeitsbeschaffung,
Konjunkturpolitik - Propaganda
Im Gegensatz zu heutigen Planungsprozessen,
welche sich insbesondere auf die Quantität des
Verkehrsaufkommens (also Nachfrage)
beziehen, war trotz der starken Zunahme des
Automobilsektors ein Straßenbauprojekt in
dieser Größenordnung eigentlich nicht
zwingend notwendig. Noch 1936 kamen im
Deutschen Reich auf 1000 Personen nur 16
Kraftwägen. 64 Allerdings musste man auch
kein Hellseher sein, um die rasante Entwicklung
des Automobilverkehrs vor allem im
Ausland zu sehen. Alleine zwischen den
Jahren 1926 – 1936 verdoppelte sich die
Anzahl von Automobilen in Europa. 65
Die berühmte Fotografie der Saaletalbrücke
bei Hirschberg in Thüringen (vgl. Abb. 5)
zeigt, dass das Straßennetz alles andere als
ausgelastet war.
Die Gründe für ein größeres Verkehrsprojekt
als Gegen- oder Zusatzmaßnahme zum
vorherrschenden Eisenbahnverkehr lassen sich
jedoch in andern politischen Zeichen der Zeit
entdecken:
In den Plänen der HAFRABA sah Hitler eine
Möglichkeit, die allgemeine Motorisierung für
seine Zwecke propagandistisch aufzuladen und
zeitgleich der Konjunkturschwäche des Landes
entgegenzutreten. Denn der Bau eines
großflächigen Autobahnnetzes konnte als
Arbeitsbeschaffungsmaßnahme dienen und
gleichzeitig konnte man damit eine „flächendeckende“
Propaganda betreiben, die sich das
nationalsozialistische im gesamten Volk
manifestieren konnte.
Abbildung 5: Die Saaletalbrücke bei Hirschberg
Quelle: entnommen aus Bundesarchiv
63 Vgl. Windisch-Hojnacki 1989, S. 54f
64
Vgl. Örley 1936, S. 27
65
Ebd. S. 1
Abbildung 6: Betonstampfer beim Reichsautobahnbau
Quelle: entnommen aus: Bildarchiv Preußischer
Kulturbesitz
Zum ersten Plan (der Arbeitsbeschaffung) lässt
sich mit Blick auf die Statistiken schnell
feststellen, dass die Ziele nicht wirklich
erreicht wurden. Zwar reduzierte sich in den
22
Jahren 1933 bis 1937 tatsächlich die Arbeitslosenzahlen
in Deutschland, der Bau der
Reichsautobahnen selbst spielte dabei
allerdings weniger einer Rolle. 1937 waren
von den 2,4 Mio. deutschen Baufach- und
Hilfsarbeiter gerade mal 3,4 % mit dem
Autobahnbau beschäftigt. 66
Das Ziel, mit den Reichsautobahnen nationalsozialistisches
Gedankengut flächendeckend
zu propagieren, kann man hingegen (wie oben
beschrieben) durchaus als „erfolgreich“
bezeichnen. Tatsächlich ließen Hitler und Todt
kaum eine Gelegenheit aus, ihr Vorhaben mit
zahlreichen Eröffnungszeremonien, beispielsweise
dem bekannten „Spatenstich“ 1933 zur
Eröffnung des Gesamtprojektes symbolisch
aufzuladen.
Zeitgleich erschien während der Bauzeit auch
die als „Hochglanzmagazin“ zu bezeichnende
und regelmäßig gedruckte Broschüre „DIE
STRASSE“. Zahlreiche Ausstellungen zum
Thema sollten zudem das Großprojekt in
bestem Licht erscheinen lassen. Ganze
Künstlerscharen wurden daher beauftragt, den
Bau und ihre „Ästhetik“ in Fotografie (vgl.
Abb. 7), Malerei, Film bis hin zu Skulpturen in
Szene zu setzen.
Doch nicht nur der Gegenstand Straße selbst,
sondern insbesondere auch die umgebende
Landschaft wurde inszeniert. Einerseits durch
die Bestimmung der Streckenführung, vor
allem aber mit der besonderen Stellung der so
genannten Landschaftsanwälte. 67 Diese wurden
vorwiegend eingesetzt, um die Betonstraßen
optisch in die Landschaft einzugliedern und
somit „das politische Ziel eines ´heimat- und
landschaftsverbundenen´ Straßenbaus in
Deutschland umsetzen zu können“ 68
Durch diese Einverleibung der Autobahn in
den Landschaftsraum konnten die Nationalsozialisten
also mit architektonischen und
technischen Mitteln ihre „Blut- und Boden“ -
Ideologie erlebbar demonstrieren.
„Das wahre Bild der Autobahn wird aber erst dann
erreicht, wenn dieses in sich harmonisch durchgebildete
Streckenband der Reichsautobahn (…) in die
sie umgebende Landschaft eingepasst wird. Beides
macht die Autobahn erst zu dem, als das wir sie auch
heute schon ohne Überheblichkeit ansprechen können,
zu einem in die Natur eingefügten Kunstwerk von
vollendeter Wirkung.“ 69
Dadurch produzierten die Nationalsozialisten
ideologisch einen Kulturlandschaftsraum, bei
dem sich ihre die rassistischen Ideen in
„ganzheitlichen Organismusvorstellungen“ 70
widerspiegeln konnte.
Abbildung 7: Siegerbild des Lichtbildwettbewerbs „Die
schöne Straße im Bau und unter Verkehr“ von 1936
Quelle: entnommen aus: Schütz und Gruber 2000
66 Vgl. Busch 2002, S. 29f
67 Vgl. Reitsam 2004, S. 65
68 Ebd.
69 Köster 1943
70 Vgl. Reitsam 2004, S. 56f
23
3.2.3 Die Reichsautobahn (RAB) 17
Jena - Weimar
Als Teilstrecke der Reichsautobahn 17 (kurz:
RAB 17) wurde die Strecke zwischen 1938-
1939 trassiert und somit kurz nach Beginn des
Krieges fertig gestellt. Damit war sie also auch
eine der letzten Trassen, die im Zuge des
Projekts „Reichsautobahnbau“ erschaffen
wurde.
Dies mag auch eines der Gründe sein, weshalb
die Datenlage für diese Trasse relativ gering
ist. Denn die Ingenieure und Baufachleute in
dieser Zeit waren vorwiegend bereits mit
kriegsbedingten Tätigkeiten beschäftigt.
Außerdem löste die nun vorherrschende
Kriegspropaganda die vorangegangene
Autobahnpropaganda ab. Trotzdem findet sich
der „STRASSE 5/16“ ein ausführlicher
Artikel, der sich mit dem Teilabschnitt
beschäftigt.
Der Autor beschreibt darin die Wahl der
Streckenführung. Einerseits wäre sie aufgrund
der geografischen Lage und der Nähe zu den
wirtschaftlichen Industriezentren des
Thüringer Landes entstanden, andererseits
sollte sie dem Autofahrer die „Landschaftliche
Schönheit des Thüringer Landes – dem grünen
Herzen Deutschlands“ näherbringen. 71
Der Verfasser geht darin auch auf die Aspekte
des Naturschutzes ein, beschreibt die Trassenführung
durch das Leutratal jedoch als
„Zwangslage [bei der auch] die Oberste
Bauleitung die Einwände der Naturschutzstellen
(…) nicht von der Hand wies“. 72
Auch der Begriff des Autowanderns 74
manifestiert sich deutlich in dieser Beschreibung
über die Streckenführung, die
rhetorisch stark an eine romantische Wanderwegbeschreibung
erinnert. So schwärmt der
Verfasser regelrecht von den ästhetischen
Aspekten der Trassenführung, die es dem
Autofahrer nun ermöglichen, „das früher von
jeglichem Verkehr abgeschlossene Leutratal
mit seiner reichen Flora zu bewundern.“ 75
Nicht zuletzt durch hügelige Landschaft „mit
seinen Einschnitten, Tälern und Steil abfallenden
Hängen [hätte sie ein ein] besonderes
Gepräge“ 76 .
Im Rahmen der gesamten Trassenbeschreibung
wird eines sehr deutlich: Es ging nicht darum,
die Natur zu bewahren, vielmehr sollte der
Landschaftsraum „in eine Statistenrolle
gedrängt – nur eine würdige Kulisse sein für
eine ,völkische Inszenierung´ des Kulturraumes
Reichsautobahn“. 77
„Um die Bedenken des Naturschutzes zu zerstreuen,
wurde durch Einpassung ins Gelände durch gestaffelte
Fahrbahn sowie durch Bepflanzung dafür gesorgt, dass
die Autobahn nicht in als Fremdkörper in der
Landschaft erscheint. Zumal der Ingenieur alle
Möglichkeiten erwogen hat, durch gute Ausführung der
Bauten und der Bachverlegungen der Leutra etwa (sic)
geschlagene Wunden zu heilen.“ 73
71 Molt 1939
72 Ebd.
73 Ebd.
74 Vgl. Stommer 1982, S. 40f
75
Molt 1939
76 Ebd.
77 Matzke 2008, S. 111
24
3.3 Der Autobahnraum in der Nachkriegszeit
und im geteilten
Deutschland
Politikum. 84 Die Autobahnen verfielen
regelrecht und wurden (bis auf die Brücken)
auch in seltensten Fällen renoviert.
3.3.1 Die Autobahnen der DDR
„Dieser Zustand (…) spottet jeder Beschreibung und ist
von mir auch nicht beschreibbar, da mir die
Terminologie eines Mondkrater-Wissenschaftlers nicht
geläufig ist.“ 78
Da viele der ehemaligen Reichsautobahnplaner
nach dem Krieg sich eher im Westen ansiedelten
79 , hatten die Autobahnen auch als
verkehrsinfrastrukturelles Netz kaum eine
Lobby. Ein Neuaufbau war auch aus
finanzieller Hinsicht ebenso kaum tragbar: In
der SBZ (Sowjetische Besatzungszone) hatten
nur zwei Strecken den Krieg unversehrt
überstanden, insbesondere weil größtenteils die
Wehrmacht selbst kurz vor Kriegsende die
Autobahnbrücken sprengten. 80
Denn Infrastrukturen erwiesen sich in der DDR
häufig als „Medien des politischen“ 81 . Trotz
einer zentralen Planung, die sich für größere
Straßenprojekte in der Vergangenheit eher als
positiv herausgestellt hatte, gingen zu viele
und teils widersprüchliche politische Wünsche
mit der Planung und dem (Aus-)Bau der
Autobahnen einher. Der zukunftsorientierte
Charakter der Infrastrukturpolitik entwickelte
„unberechenbare Eigendynamiken“ [die
schnell an die] „ökonomischen, technischen
und nicht zuletzt auch auf die territorialen
Grenzen des Staatssozialismus“ 82 stießen. Zwar
wurde auch mit Blick auf den Westen versucht,
mit der starken Motorisierung als ökonomischer
Faktor Schritt zu halten, 83 aber das
Thema „Fernstraßen“ war schon aufgrund der
territorialen Gegebenheiten ein heikles
78 Ein Trabantfahrer über den Autobahnabschnitt
„Leutratal“ in einem Brief an das Brandenburgische
Autobahnamt Stolpe, Betrieb Weimar, 8.4.1987, zitiert
nach: Doßmann 2003, S. 379
79 Vgl. Doßmann 2003, S.57
80 Vgl. Doßmann 2003, S. 37
81 Doßmann 2003, S. 386
82 Ebd.
83
Doßmann 2003, S. 134
Abbildung 8: Eine Autobahntrasse (A4) in der DDR
Quelle: Lothar Wilmann, entnommen aus Doßmann 2003
3.3.2 Aufarbeitung und Ausbau in der BRD
„Freie Fahrt für freie Bürger“ 85
In der Nachkriegszeit gingen nach Artikel 90
des Grundgesetzes sämtliche Reichsstraßen
und -autobahnen in den Besitz der Bundesrepublik
über. Bis heute ist dadurch die
Bundesrepublik Baulastträger (also faktisch
Eigentümer) der Bundesstraßen und Autobahnen,
also nicht die einzelnen Bundesländer.
Diese sind lediglich im Auftrag des Bundes für
die Verwaltung zuständig. 86
84
Doßmann 2003, S. 88ff
85 Slogan einer Aufkleberaktion des Automobil-
Lobbyverbandes ADAC von 1974
86 Vgl. FStrG 2007, §3
25
Im Gegensatz zur DDR wurde vorwiegend aus
wirtschaftlichen Gründen das Autobahnnetz
seit den 1960ern stark ausgebaut. Man könnte
jedoch das bekannte Motto „Freie Fahrt für
freie Bürger“ im politischen Zusammenhang
auch mit Blick auf die DDR verstehen.
In den 1970 Jahren entstand allerdings immer
mehr Kritik am ungezügelten Neubau von
Straßen, anfänglich durch zahlreiche Bürgerinitiativen,
die sich nachteilig betroffen
fühlten, später durch Umweltschutzorganisationen,
die im generellen gegen einen
weiteren Ausbau der Bundesfernstraßen
argumentierten. 87 Der Zielkonflikt zwischen
Straßenbau, Umwelt und Naturschutz
beeinflusste dabei stark die öffentliche
Meinung: Auf der einen Seite standen die
Verfechter des Straßenbaus, die ihre
Argumentationen auf die Prognosen für den
MIV (motorisierter Individualverkehr) stützen,
welche eine weitere rasante Zunahme des
Autoverkehrs vorhersagte. Auf der anderen
Seite standen Umwelt- und Naturschützer, die
gegen ein „Zubetonieren der Landschaft“
[und] „Asphaltschneisen durch die Wälder“ 88
argumentierten.
Gleichzeitig entwickelten sich die Autobahnen
aber auch zum tatsächlichen „Volksgut“:
Waren sie in der NS-Zeit noch Luxusstraße für
einige wenige Betuchte, so wurden sie zum
Hauptverkehrsträger bei der längere Strecken
im Privatbereich und stehen bis heute in
Konkurrenz zu öffentlichen Verkehrsmitteln,
beispielsweise dem Schienenverkehr. Denn der
Ausbau war vor allem richtungsweisend dafür,
dass sich der MIV „als massenhaft
akzeptiertes Ideal von individueller Mobilität
durchsetzen konnte“ 89 . Diese Motorisierung
führte aber gleichzeitig dazu, dass wiederum
das Autobahnnetz bis heute immer weiter
ausgebaut wird. 90
87 Vgl. Wachenfeld-Teschner 2003, S. 65f
88 Wachenfeld-Teschner 2003, S65
89 Doßmann 2003, S. 385
90 Vgl. Doßmann 2003, S. 385
Die unterschiedlichen Argumentationen für
und gegen den Ausbauboom erinnern auch an
die Interessenkonflikte in der heutigen Zeit,
auch wenn vieles mittlerweile differenzierter
betrachtet wird. In den letzten Jahrzehnten
scheinen die verschiedenen Interessensgruppen
durch die demokratischen Prozesse voneinander
gelernt zu haben: Auch Autobahnplaner
agieren heute auf dem Grundsatz, das
beispielsweise eine umweltschonende
Vorgehensweise an erster Stelle steht. Doch
durch die verstärkte und immer noch anhaltende
Motorisierung steht bei der Planung
vor allem die Quantität des Verkehrsaufkommens
im Vordergrund. So basiert die
Planung schon lange nicht mehr auf dem
„Landschaftsgenuss“ [sondern auf reiner]
Schadensvermeidung“ 91
Neben dem Ausbau des Netzes begann auch
die Aufarbeitung der Reichsautobahn in den
1980er Jahren. Sie trug wesentlich dazu bei,
das Großprojekt zumindest in Teilen zu
entmystifizieren. Der Großteil der Lektüre zum
oberen Kapitel der Reichsautobahn stammt
beispielsweise aus den 1980-90er Jahren.
Daneben wurde die Autobahn als künstlerisches
Sujet auch Sinnbild für die
Industrialisierung. Die berühmte Single
„Autobahn“ (1974) der Band „Kraftwerk“ 92
(„und wir fahrn, fahrn, fahrn auf der Autobahn“
93 ) beispielsweise beschreibt klanglich
und textlich die Monotonie des Transitraums.
Die Performance „Autobahn“ der „Einstürzenden
Neubauten“ (1983) vertonte die
Autobahn direkt ortsspezifisch mit dem
vorhandenen Material auf einer Autobahnbaustelle.
94
91 Zeller 2011, S. 12
92 Vgl. z. B. Internetauftritt der Band „Kraftwerk“ unter
URL.: www.kraftwerk.com, abgerufen 30.05.2014
93 URL:
http://www.songtexte.com/songtext/kraftwerk/autobahn-
23c158e3.html, abgerufen am 30.05.2014
94 Vgl. URL:
http://www.youtube.com/watch?v=VZsCvABTX90,
abgerufen 30.05.2014
26
3.4 Die Verkehrsprojekte Deutsche
Einheit (VDE)
Die Verkehrsinfrastruktur war nach der
Grenzöffnung eines der wichtigsten Fragen der
deutschen Wiedervereinigung. Schon kurz
nach dem Treffen zwischen Bundeskanzler
Helmut Kohl (BRD) und Regierungschef Hans
Madrow (DDR) im Dezember 1989,
konstituiere bereits im Januar 1990 die
„Verkehrswege-Kommission“ 95 . Auf deren
Basis wurden im April 1991 die „Verkehrsprojekte
Deutsche Einheit“ (kurz: VDE) und
deren „vordringliche Durchführung“ 96
beschlossen.
Das Ziel der VDE-Projekte war zunächst die
Verkehrslücken, also die real nicht vorhanden
Ost-Westverbindungen zu schließen. Denn
obwohl nach der Grenzöffnung sogar
Bauunternehmer in „Spontanaktionen“ 97 selbst
Hand anlegten und „ungefragt den Bagger
vorgespannt [und] die Trassen freigeschoben“
98 hatten, mussten die Baumaßnahmen
schon aus Gründen der Haftungsfragen
geplant und geregelt werden. Des
Weiteren sollten die VDE-Projekte den
„Nachholbedarf“ 99 sowie den „zusätzlichen
Ausbaubedarf“ 100 auf ostdeutscher Seite
schnell voranbringen.
Die politischen und verwaltungstechnischen
Entscheidungen dazu sollten besonders zügig
getroffen werden. Denn mit der Öffnung der
Grenze erwartete man innerhalb kürzester Zeit
eine deutliche Zunahme des Transitverkehrs
durch LKW, einen schnell wachsenden
Individualverkehr sowie einen stärkeren
Warenaustausch in Ost-Westrichtung mit
osteuropäischen Ländern. Die bis dato großen
Nord-Süd-Verkehrsströme, so die Prognose,
würden durch neue Ströme in Ost-West-
Richtung überlagert werden. 101
Um diesem neuen Verkehrsaufkommen
gerecht zu werden, wurde das Investitionsprogramm
VDE mit einem Volumen von rund
39,4 Mrd. € ins Leben gerufen. Es umfasste
neun Schienen- und sieben Autobahnprojekte
sowie ein Wasserstraßenprojekt. Auf die VDE-
Straße entfielen dabei (bis Ende 2012) 17,2
Mrd. Euro, also rund die Hälfte des Budgets. 102
Damit die Projekte möglichst zügig realisiert
werden konnten, wurde eigens die Planungsgesellschaft
DEGES, deren Teilhaber sich aus
dem Bund und den neuen Ländern zusammensetzte,
gegründet. Des Weiteren wurden einige
Gesetzte geändert, um die Planungszeit zu
verkürzen, z. B. das neue
Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz
(1991) sowie das Planungsvereinfachungsgesetz
(1993). 103
Eine genauere juristische Erläuterung der
Gesetze würde den Rahmen der vorliegenden
Arbeit sprengen. Es sei aber angemerkt, dass
die Änderungen für Verkehrsplaner als
vorteilhaft und auch wirtschaftlicher beschrieben
werden, jedoch von Bürgerrechtlern
aufgrund reduzierter politischer Teilhabe bei
öffentlichen Planungsprozessen sehr umstritten
sind.
Diese Problematik bezieht sich auch auf die
Aufgabenübertragung von Bund und Ländern
an eine privatwirtschaftlich geführte Planungsgesellschaft.
Die Entscheidungsgewalt liegt
nach wie vor bei den politischen Vertretern;
die Planung und Ausführung jedoch ist mehr
und mehr den Autobahnplanern überlassen.
Dadurch werden die Planungsprozesse immer
weniger angreifbar und Verantwortlichkeiten
können leicht hin- und hergeschoben werden.
95 Vgl. Doßmann 2003, S. 392f
96 Vgl. BMVI 2013, S. 2
97 DEGES 2011, Band 1, S. 18
98 Ebd.
99 DEGES 2011, Bd. 2, S. 11
100 Ebd.
101 Vgl. BMVI 2013, S. 2
102
Ebd.
103
Vgl. DEGES 2011, Bd. 2, S. 15
27
4 Die Trassenverlegung
zwischen Magdala und Jena
Abbildung 9: Piktogramms „Trassenverlegung“
28
4.1 BAB 4 / E40 und das VDE - Projekt
Nr. 15 in Thüringen
„ca. 92.000 m3 vorhandene gebundene Fahrbahnbefestigung
aufnehmen (4/8/22 - 26)
16 Ingenieurbauwerke abbrechen
ca. 35.000 m Schutzplankenkonstruktion (ESP / EDSP /
DDSP / DSP) abbauen
ca. 4.000 m Betonschutzwand abbauen
ca. 1.100 St Leitpfosten abbauen
ca. 60.000 m² Geländeprofilierung
ca. 53 WVZ an Kragarmen Demontage und Entsorgung
(Entsorgungsnachweis)“ 104
Die Bundesautobahn BAB 4 verläuft von
Aachen bis Görlitz in Ost-West-Richtung
ziemlich mittig Deutschlands. Ihr Streckenverlauf
zeichnet im ungefähren auch den
Streckenverlauf der VIA REGIA nach.
Abbildung 11 (li.): Verlauf E 40 in Europa
Abbildung 12 (re.) : weiterer Verlauf E 40 in Europa
Quellen: : abgerufen von Wikipedia 2014, eigene
Nachbearbeitung 2014
In Thüringen verbindet sie gleichzeitig die
wichtigen Städte Eisenach, Gotha, Erfurt,
Weimar und Jena, kreuzt die neu gebauten
Nord-Süd-Autobahnen in Thüringen bei Erfurt
und trifft schließlich auf die Nord-Südachse
BAB 9 am Hermsdorfer Kreuz.
Im Rahmen des VDE-Projektes Nr. 15 wurde
die Autobahn größtenteils dreispurig ausgebaut
und der der Trassenverlauf auf zwei Teilabschnitten
zweimal geändert: bei Eisenach
durch die Trassenverlegung „Hörselberge“ und
in Sachsen der Abschnitt „Triebischtal“.
Nun steht die dritte Trassenverlegung
zwischen Magdala und Jena im „Leutratal“ an,
welche wie die beiden anderen auch durch die
DEGES ausgeführt wird.
Abbildung 10: Verlauf BAB 4 in Deutschland
Quelle: abgerufen von Wikipedia 2014, eigene
Nachbearbeitung 2014
Gleichzeitig ist sie Teil der Europastraße E40
welche die von Calais in Frankreich über
Belgien, Deutschland, Polen, Ukraine,
Russland, Kasachstan, Turkmenistan,
Usbekistan und Kirgisistan bis hin zur
chinesischen Grenze verläuft.
Abbildung 13: Luftaufnahme der Trassenverlegung in
Thüringen
Quelle: Google 2014, eigene Nachbearbeitung 2014
104 aus: Ausschreibungsunterlagen 2014
29
4.2 Die Trassenverlegung „Leutratal“
zwischen Magdala und Jena
Einerseits im Naturschutzgebiet „Leutratal“,
welches durch die zahlreichen Orchideenarten
auch „Orchideenland“ genannt wird. Des
Weitern der Bereich „Leutratal – Cospoth –
Schießplatz - Rothenstein“, welches seit 2004
von der EU als GGB (Gebiet von gemeinschaftlicher
Bedeutung für gefährdete Tiere
und Pflanzen) ausgewiesen wurde. Schließlich
das EU-Vogelschutzgebiet „Muschelkalkhänge
der westlichen Saaleplatte“, welches 2007
gemeldet wurde. 106
Abbildung 14: Hinweisschild zur Trassenverlegung
Situation und Begründung
In den Informationsbroschüren der DEGES
werden die Begründungen sowie die Planungsentscheidungen
sehr ausführlich dokumentiert
und formuliert.
Laut der Autobahnplaner würde die
Trassierung nicht mehr den zeitgemäßen
Anforderungen entsprechen und der vierstreifige
Querschnitt den Verkehrsbelastungen
von über 50.000 Kfz/Tag keinen störungsfreien
Verkehrsfluss gewährleisten. Dies hängt
insbesondere auch mit den extremen
Steigungstrecken von bis zu 6 % zusammen,
die die Geschwindigkeit der LKW aus
Beharrungsgeschwindigkeit herabsetzen. Die
engen Kurvenradien würden gleichzeitig eine
schlechte Fahrdynamik erzeugen und die
höhenversetzten Fahrbahnen mit Stützmauern
im Mittelstreifen behindern zusätzlich die
Sichtverhältnisse. Das Zusammenspiel dieser
Gegebenheiten wäre auch die Ursache für das
bewiesene überdurchschnittliche Unfallvorkommen.
105
Des Weiteren liegt die derzeitige Strecke
gleichzeitig in mehreren ausgewiesenen
Naturschutzgebieten:
105 Vgl. DEGES 2007, S. 2f
Abbildung 15: Hinweisschild Naturschutzgebiet Leutratal
Die Planung zur Trassenverlegung
Aufgrund dieser Gegebenheiten wurde ein
„Raumordnungsverfahren“ (ROV) erstellt um
die „optimale Lösung hinsichtlich Verkehrswirksamkeit,
Raumordnung, Ökologie und
Ökonomie zu ermitteln“. 107 In diesem Zuge
wurde auch eine umfassende Umweltverträglichkeitsprüfung
(UVP) zusammen mit
der Thüringer Straßenbauverwaltung sowie
den Umweltbehörden nach dem Landesplanungsgesetz
108 erstellt. Diese UVP
beinhaltet die Ermittlung, Beschreibung und
Bewertung der Auswirkungen des Bauvorhabens
auf „die Schutzgüter Menschen, Tiere
und Pflanzen, Boden, Wasser, Luft, Klima und
Landschaft sowie Kultur- und sonstige
Sachgüter“. 109
Im Rahmen des ROVs wurden die verschieden
Varianten zum Umgang mit der bestehenden
106 Vgl. DEGES 2007, S. 7
107 DEGES 2007, S. 4
108 Vgl. ThürLPlG 2012 und ThürUVPG 2007
109 DEGES 2007, S. 7
30
Trasse ermittelt. Die Beibehaltung der Trasse,
die so genannte „Nullvariante“ wurde schnell
ausgeschlossen, „da sie in allen wesentlichen
Beurteilungskriterien (Verkehr, Sicherheit,
Entlastung, Natur und Umwelt, Raumordnung)
nur Nachteile aufwies und damit grundsätzlich
keine sinnvolle Alternative für das weitere
Planungsgeschehen darstellte“. 110
Nachdem mehrere Linienvarianten mit
Untervarianten eruiert wurden, einigte man
sich auf die jetzige Verlegung, die so genannte
„Jagdberg-Variante“. Die neue Trasse wird
dreispurig gebaut und führt südlich der
bestehenden Linie durch einen 3 km langen
Tunnel, den „Jagdbergtunnel“. Auf ca. 10 km
wird nun die Autobahn verlegt. Dies war auch
im Sinne der Bürgerinitiative „Rettet das
Leutratal“. Diese wollte nach eigenen
Aussagen „nicht den erforderlichen Ausbau
der Infrastruktur verhindern, [sondern dass]
nicht die billigste, sondern die für Mensch und
Natur langfristig vertretbarste Variante, also
der lange Tunnel, realisiert wird.“ 111
Abbildung 17: Baustelle zur Trassenverlegung bei
Magdala
Die Besonderheit bei der Verlegung ist vor
allem, dass nach dem Neubau der Trasse die
alte Strecke aus Naturschutzgründen restlos
zurückgebaut wird, d. h. beispielsweise auch
nicht als Umgehungsstraße dienen soll.
Die Komplexität der
Grundstücksverhältnisse
Abbildung 16: Baustelle Einfahrt „Jagdbergtunnel“ bei
Jena
Das Projekt sollte bereits 2010 fertig gestellt
werden. Aufgrund gravierender Verzögerungen
beim Tunnelbau soll nun der
Verkehr für 2014 frei gegeben werden.
Doch nicht nur der Natur wird Raum zurückgegeben.
Nach Nachfrage bei der DEGES hat
sich herausgestellt, dass der Rückbau mit
einem rückständigen Grunderwerb verbunden
ist. Das bedeutet, dass die Flächen in den
letzten 75 Jahren nie erworben, sondern bei
den damaligen Eigentümern verblieben sind.
Aus diesem Grund wurde auch im Planfeststellungsbeschluss
geregelt, dass die Grundstücke
nach erfolgtem Rückbau an die
ursprünglichen Eigentümer bzw. deren Erben
zurückgegeben werden. Das bedeutet aber
nicht zwangsläufig für die Erben einen Grund
zur Freude. Denn die Gebiete sind mit einer
„Dienstbarkeit“ belegt, d. h. in diesem Fall,
dass zur Sicherung für die Natur als Ausgleichsmaßnahme
über die Flächen nicht frei
verfügt werden kann 112 .
110 DEGES 2007, S. 4
111 vwww.leutra.de, abgerufen am 4. März
112 Schriftliche Informationen durch Fa. DEGES
31
Dass zur Zeit des Reichsautobahnbaus die
Gesetzeslage eine andere war, zeigt sich
übrigens deutlich in dem kleinen Weiler Pösen:
Das Bundesfernstraßengesetz sieht vor, dass
der Mindestabstand eines Gebäudes zur
Autobahn mindestens 40m beträgt. 113 Das
Gebäude in Pösen (siehe Abb. 17) unterschreitet
dies bei Weitem.
Abbildung 18: A4 in Pösen
Gleichzeitig mussten für den Neubau (vgl.
Abb. 19) natürlich auch die neuen Grundstücksrechte
durch die Bundesrepublik mit
rund 300 Grundstücksbesitzern verhandelt
werden. Die Vertragsabschlüsse bezüglich der
„Bauerlaubnisse, Kauf- und Dienstbarkeitsverträgen
sowie Entschädigungsvereinbarungen
[gestalteten sich dabei als] äußerst schwierig,
da die planfestgestellte Trassenführung von
einzelnen betroffenen Grundeigentümern und
Pächtern kritisch bewertet wird.“ 114
Der politische Kontext in Thüringen
Die Trassenverlegung spielt im Kontext der
Thüringer Kulturlandschaft und vor allem den
politischen sozialräumlichen Strukturen eine
besondere Rolle:
Generell befürwortet das Ministerium
öffentlich sehr deutlich den Ausbau der
Autobahnen. Unter dem Slogan „Thüringen -
die schnelle Mitte Deutschlands“ 115 werden die
gute Erreichbarkeit zum Autobahnnetz
hervorgehoben. Die Verkehrsstruktur „Straße“
wird als unabdingbar und unveränderlich
wahrgenommen: „Die Art wie wir Wohnen,
Arbeiten und Kommunizieren braucht die
Straße. Dies ist so und wird in Zukunft so
bleiben, weil wir Infrastrukturen nicht
wechseln können, wie ein Sakko oder eine
Hose!“ 116 Der Autobahnraum wird sogar
ästhetisiert die Tunnel- und Brückenbauwerke
der Thüringer Autobahnen als „technische
Meisterleistung [mit] besonderem Fahrerlebnis“
117 betrachtet. Des Weiteren würden die
Autobahnen als Wirtschaftsfaktor, neue
Arbeitsplätze schaffen.
Forschungsergebnisse wie beispielsweise eine
Studie des „Instituts Verkehr und Raum“ 118 der
Universität Erfurt hingegen zeigen, dass zwar
unter gewissen Umständen die Nähe zur
Autobahn zwar leicht überdurchschnittliche
Entwicklungen in der Regionalwirtschaft
erkennen lassen können, allerdings nur dann,
wenn sie nahe an den Zentren liegen und
zumeist nur im Hinblick auf das Steueraufkommen,
nicht aber auf den Arbeitsmarkt. Im
ländlichen Raum würde die Verfügbarkeit von
Autobahnen kaum eine Rolle bei der regionalwirtschaftlichen
Entwicklung spielen. 119 Der
Umbau ist regionalwirtschaftlich betrachtet
wahrscheinlich also eher unerheblich,
zumindest aber fraglich.
Abbildung 19: Die neue Trasse im Bau
113 Vgl. FStrG 2007, §9, Abs.1
114 DEGES 2007, S. 6
115 Vgl. Thüringer Ministerium für Bau
Landesentwicklung und Verkehr 2013
116 Ebd.
117 Ebd.
118 Vgl. Gather und Kosok 2013
119 Gather und Kosok 2013,S. 66ff
32
So einleuchtend die Gründe für die Leutratal-
Verlegung von Seiten der Planer auch klingen:
Im Kontext für Thüringen, liefert sie vor allem
mehr Fragen als Antworten:
So wird beispielsweise argumentiert, dass eine
stärker frequentierte und leistungsfähigere A4
das nachgelagerte Straßennetz deutlich
entlasten würde. Ohne die Baumaßnahme
würde das prognostizierte Verkehrsaufkommen
für 2015 bei ca. 57.000 Kfz/24 h
liegen, wohingegen der Neu-/Ausbau zu einer
Nutzung von ca. 83.000 Kfz/ 24h führen
soll. 120 So stellt sich die automatisch die Frage,
wo denn das Drittel Mehrfahrzeuge herkommt,
wenn nicht aus Thüringen.
Dazu muss man aber wissen, dass sich
Thüringen einerseits durch seine zahlreichen
ländlichen Regionen auszeichnet, andererseits
(wie viele anderen Regionen Mittel- und
Ostdeutschlands) durch seinen großen
demografischen Wandel. In einigen Teilen
Thüringens (insbesondere den ländlichen
Regionen) wird ein Bevölkerungsrückgang von
bis zu 40 % prognostiziert. 121
Einkommensschwächere. 123 Da in einer älter
werdenden Gesellschaft auch die Autofahrer
zwangsläufig älter werden, stellt sich erst recht
die Frage, ob eine schnelle und leistungsfähigere
A4 tatsächlich nützlicher ist, oder ob
sie nicht eher zur Zersiedelung der gesamten
sozialräumlichen Strukturen beiträgt.
Abbildung 20: eine Bushaltestelle in Mellingen
Der demografische Wandel geht dabei mit
gravierenden infrastrukturellen Veränderungen
einher, insbesondere auch beim Stellenwert der
Verkehrseinrichtungen. In vielen Gebieten ist
so der öffentliche Nahverkehr buchstäblich
eingeschlafen, Buslinien werden gestrichen,
Bahnhöfe verwaisen. Leere Fahrplantafeln
(vgl. Abb. 20) sind in Thüringen dadurch
kleine Seltenheit. Das Auto, welches schon
lange als Basis der ländlichen Mobilität gilt,
bekommt so einen noch höheren Stellenwert
eingeräumt, als es sowieso schon hat – der
demografische Wandel beflügelt also auch die
Motorisierung. Und diese wird gleichzeitig
„Fluch und Segen“ 122 :
Denn in Orten ohne Verkehrsalternativen
grenzt es mehrere Bevölkerungsgruppen aus
der gesellschaftlichen Teilhabe aus, beispielsweise
Kinder, ältere Menschen sowie
120 Vgl. DEGES 2007, S.3
121 Kawka 2010, S. 156
122 Gather 2010, S. 170
123 Vgl. Gather 2010, S. 168ff
33
Autobahnraum und Kulturlandschaftsraum
Die Untersuchungen des Autobahnraumes,
seine Planungsgrundlagen in der jüngeren Zeit
sowie im Besonderen die Trassenverlegung
zeigen vor allem, dass trotz der vorangestellten
Naturschutzmaßnahmen die Autobahn nicht
mehr als kulturlandschaftliches Element
betrachtet wird. Der Autobahnraum veränderte
sich vom mythisch aufgeladenen zum reinen
funktionalen Raum.
Nach Marc Augé ist für einen ein Ort die
„Identität, Relation und Geschichte“ kennzeichnend,
wohin gegen „ein Raum, der keine
Identität besitzt und sich weder als relational
noch als historisch bezeichnen lässt, einen
Nicht-Ort 124 bezeichnet.
Der Autobahn-Ort Leutratal war durch seine
Eingliederung ursprünglich fester Bestandteil
der Thüringer Kulturlandschaft und diente
ursprünglich sogar zu ihrer Inszenierung. Das
zeigt sich auch darin, dass sie von den
Thüringern immer noch als „besonders schöne
Strecke“ bezeichnet wird. Die Autobahn wird
vor allem aber dann zum Ort, „sobald für die
Reisenden eine Verbindung zwischen dem
Autobahn-Raum und der Landschaft sichtbar,
spürbar wird“. 125
Der Kommentarauszug des youtube-videos
„Die Tage der A4 zwischen Schorba und Jena
sind gezählt“ lässt ebenso auf eine gewisse
Identität schließen:
-Seit Jahren wird am Autobahn-Tunnel zwischen Jena
und Schorba gebohrt. Lange kann´s nun nicht mehr
dauern (…) Damit man die Strecke nicht gleich vergisst,
hab ich die Fahrt über den Berg einfach mal auf Video
gebannt
- schönes video und schöne landschaft, aber leider is
die strecke den heutigen anforderungen nicht mehr
gewachsen :( ich mag autobahnen 126
Dies zeigt sich auch bei den beiden einzigen
Raststätten auf der Strecke, dem „Imbiss
Haase“ (vgl. Abb. 22) und gegenüberliegend
der Raststätte „Schorbaer Berg“.
Beide entstanden zeitnah nach der Grenzöffnung
und verkaufen Thüringer Fleischprodukte
wie beispielsweise die berühmte
Bratwurst aus dem nächstgelegenen Ort Bucha.
Die Besonderheit liegt darin, dass trotz
geringer Beschilderung die Raststätten nicht
nur bei Fernfahrern zwischen Moskau und
Paris bekannt ist, sondern vor allem auch
ortsansässige heimische Pendler ihre Bratwurst
dort einkaufen, gegrillt und/oder roh. Bei
meinem letzten Besuch verlangte ein
Thüringer vor mir beispielsweise 110
Bratwürste für einen Grillabend, ohne dass er
sie vorbestellt hatte. Beide Raststätten können
nicht mit der Autobahn umziehen. Der Imbiss
Haase wird nun im August nach Magdala
umsiedeln. Zwar ist sie dort auch in Autobahnnähe,
ob sich dieser Geschäftserfolg allerdings
beibehalten lässt, kann man nur hoffen. Für die
Betreiberin des „Schorbaer Berges“ bedeutend
die Trassenverlegung jedoch das endgültige
Aus. 127
Abbildung 21: Blick von der A4 bei Magdala
124 Vgl. Augé 1994, S. 92
125 Jain 2011, S.36
126 URL:
http://www.youtube.com/watch?v=4kqhC8Vqcmc
(abgerufen am 09. März 2014)
127 Nach einem Interview mit der Betreiberin am 8. Mai
2014
34
Abbildung 22: Imbiss „Haase“ mit Hinweisschildern zum
Umzug und Angebot „roher“ Bratwürste
Anhand dieser Beispiele zeigt sich also, dass
die Autobahn nicht nur von einer kartographischen
Linie wie in einem Koordinatensystem
zu einer anderen „wanderte“, sie ändert
damit auch ihre kulturräumliche Bedeutung.
Die Strecke verliert durch die Verlegung
jegliche Identität, Relation und geschichtliche
Hintergründe. Der Bau von Lärmschutzwällen,
-mauern, und –zäunen (vgl. Abb. 23) dient
zwar den wenigen direkten Anwohnern,
gesamtgesellschaftlich zersiedeln sie aber die
Kulturlandschaft. Unter den Prämissen
Verkehrssicherheit, Durchflussgeschwindigkeit
und Lärmschutzmaßnahmen wird sie zum
reinen Monofunktionsraum erklärt, dessen
„Qualität (…) allein in der Fortbewegung“ 128
liegt. Der Streckenabschnitt wandert also vom
Ort zum Nicht-Ort.
Abbildung 23: Lärmschutzwall und –Zaun an der neuen
Autobahntrasse bei Magdala
128 Jain 2011, S. 36
35
5 Zusammenfassung: Der
Autobahnraum im
kulturhistorischen Wandel
In der Veränderung der Raumwahrnehmung,
also dem „Erlebnis der Reichsautobahn“ [im
Verhältnis zur] „zweckgebundenen Benutzung
der Bundesautobahn“ 129 kann man jedoch auch
die Gründe für das Nachwirken des Mythos
Reichsautobahn erkennen. Dieser ist auch
dafür ausschlaggebend, dass der Bau der
Autobahnen immer noch als „positive
Leistung“ des nationalsozialistischen Deutschland
unter Hitler betrachtet wird.
Abbildung 24: Verkehrsschild „Autobahn“
Zusammenfassend könnte man im Rahmen
einer der kulturhistorischen Analyse der
Autobahn drei „Epochen“ beschreiben: Die
Gründungszeit beim Bau der Reichsautobahnen
(mit einhergehender mythischen
Aufladung und Rechtfertigung für die
Folgezeit), die Ausbauzeit (mit kontroversen
Diskussionen in der BRD der Nachkriegszeit
und im geteilten Deutschland) und schließlich
die Separation des Autobahnraums zum reinen
Funktionsraum und identitätslosen „Nicht-
Ort“.
In ihrer Gründerzeit sollte der Autobahnraum
mehrere Funktionen erfüllen, die sich deutlich
von den heutigen unterscheiden: Nicht die
Geschwindigkeit der Fortbewegung stand im
Vordergrund, sondern die Propaganda und
mythische Aufladung eines Verkehrswegenetzes,
also des Straßenraums, sowie die
Inszenierung der Umgebung, also der
Kulturlandschaft. Gleichzeitig wurde ein
Straßennetz als Transitlandschaft sogar noch
während ihrer Entstehungszeit zum Kulturgut
erklärt.
Die Aufarbeitung und die Diskussionen beim
Aufbau des Autobahnnetzes seit den 1960
Jahren lassen vor allem den politischen
Charakter erkennen, mit dem das Phänomen
Autobahn behaftet ist. Die territorialen
Raumüberschneidungen und die verschiedenen
Interessenlagen führten zu verschärften
Diskussionen im Rahmen der Demokratisierung
in der Bundesrepublik. Von daher
kann die Autobahn auch als direktes Symbol
im Rahmen der Demokratisierung der BRD
betrachtet werden.
Gleichzeitig veränderten sich aber auch die
Planungsprozesse für den Autobahnbau.
Standen zu Zeiten der Gründung die landschaftliche
Eingliederung und Inszenierung im
Vordergrund, so basieren die Planungen heute
auf die Quantität des Verkehrsaufkommens
sowie auf Kompromissen bezüglich des
Naturschutzes sowie des Lärmschutzes für die
Anwohner. Die Folge ist insbesondere eine
Separation der beiden Räume – des Kulturlandschaftsraums
und des Autobahnraums.
Nicht nur für die Autobahnbenutzer verlor
dadurch der Autobahnraum immer mehr die
Relation und Identität und wurde somit zum
reinen monofunktionalen Nicht-Ort.
129
C. G. Phillip in: Stommer 1982, S. 112
36
6 Das Projekt „Mathilde 4“
Abbildung 25: Entwurfsbild Mathilde 4
37
6.1 Beschreibung und Interpretation
6.1.1 Begriffe zum Entwurfsprozess
Die weiteren verschiedenen Gegensätze der
Räume lassen sich in Begrifflichkeiten fassen,
welche für den Entwurfsprozess auch bei
diversen Entscheidungen steuern, z. B.
Das Projekt Mathilde 4 130 zeichnet sich
hauptsächlich durch drei Ebenen aus:
Zum einen der Idee eines „infraspezifischen“
Denkmals zur Beschreibung kulturlandschaftlicher
Veränderungsprozesse, was man in
diesem Falle auch als placemaking bezeichnen
könnte. Des Weiteren die formale Gestaltung
und die „materielle Ebene“ mit den originalen
Teilstücken, welches den Genius Loki haptisch
erlebbar werden lässt. Schlussendlich dem
interaktiven Planungsprozess, der durch seine
Kommunikation das Thema „Kulturlandschaft
und Geschichte“ in die Bevölkerung trägt.
Da es sich bei der Trassenverlegung um einen
Prozess handelt, der vorwiegend von Gegensätzen
gekennzeichnet ist (Autobahnraum –
Kulturlandschaftsraum, alte Trasse – neue
Trasse), bedarf es auch einer künstlerischen
Interpretation des Raums, welche weder die
eine Seite (alte Trasse) noch die andere Seite
(neue Trasse) vorzugsweise bedient. Vielmehr
sollen sich die begrifflichen Gegensätze auch
formal widerspiegeln.
Da sich der Autobahnraum an für sich schon
durch die Bewegung und Geschwindigkeit
definiert ist, fiel die Entscheidung beispielsweise
nicht auf eine prozesshafte Performance
oder ein kinetisches Objekt. Vielmehr werden
durch ein statisches Objekt in Form eines
Monuments, also dem „greifbaren Ausdruck
des Bleibenden“ 131 , die konträren Raumfunktionen
verdeutlicht.
130 Der Arbeitstitel Mathilde stammt aus dem Rotwelschen,
der Geheimsprache des „Fahrenden Volkes“
und „unehrlichen“ Berufen. Noch heute wird sie von
reisenden Handwerkern auf der Walz benutzt. „Kenn
Mathilde“ heißt ungefähr soviel wie „Ich kenne dass
Land / Ich kenne mich auf der Straße aus.“
131 Augé 1994, S. 73
Autobahn
Funktion-Raum
Geschwindigkeit
Nicht-Ort
In die Zukunft
gerichtet
global
waagrechte Ebene
…
6.1.2 Das Objekt als „Wege-Landmarke mit
Denkmalcharakter“
Eine Landmarke ist allgemein betrachtet ein
„Zeichen von strukturierender, orientierender
zuweilen auch dominierender Funktion in der
Landschaft“. 132 Diese Zeichen werden häufig
bewusst gesetzt, beispielsweise um Herrschaftsstrukturen
zu definieren oder als
bewusste Mahn- oder Denkmale. Thüringen
hat durch seine ländlichen Strukturen eine
lange Tradition, seien es Mahnmale als
Landmarken wie das Panoramamuseum in Bad
Frankenhausen, der weithin sichtbare Turm
von Buchenwald oder die Reichsburg
Kyffhausen. 133
Unabhängig von seiner Größe handelt es sich
bei dem Objekt aber auch um eine Wegemarke,
da es ja den ehemaligen Trassenverlauf der
Autobahn darstellt. Auch dies hat im
regionalen einen besonderen Kontext:
Verkehrswegen wurden häufig einerseits
direkte Hinweiselemente bezüglich ihrer
Distanzen gesetzt, aber auch religiöse Zeichen
wie beispielsweise in Franken und Thüringen
die so genannten Bildstöcke.
132 Meier 2010, S. 228
133 Vgl. ebd. 230ff
Autobahn-Monument
Emotions-Raum
Statisch
Ort
In die Vergangenheit
gerichtet
lokal
senkrechte Ebene
…
38
Diese Wegezeichen geben noch heute
Aufschluss über die kulturhistorischen
Zusammenhänge von Raumfunktionen
(Wegen) und beschreiben dadurch den
damaligen öffentlichen Raum vergangener
Zeiten. 134 In diesem Kontext könnte man bei
dem Monument also auch von einer „Wege-
Land-Marke“ sprechen.
Gleichzeitig betrachte ich aber das Werk als
Denkmal, nehme den Begriff aber auch
wörtlich - als Mal zum Denken. Im Gegensatz
zum landläufigen Begriff, der sich leider all zu
häufig der Heroisierung historischer und
politischer Aspekte oder Persönlichkeiten
bedient, sehe ich ein Denkmal eher als
objekthafte Spurensicherung. Denn es soll sich
dabei eher neutral eine Infrastrukturgeschichte
am Ort materiell zu manifestieren.
„Das Material, an dessen Verschwinden die abendländische
Bildtradition theoretisch wie praktisch
jahrhundertelang gearbeitet hat, verspricht inzwischen
offenbar eine andernorts verlorene Authentizität.
Physisches Material scheint zur Vergewisserung eines
bedrohten Gedächtnisses, als Bastion gegen das
Vergessen, besonders geeignet.“ 135
In jedem Falle soll deswegen der originale
Beton und Asphalt verwendet werden, denn
auch der Straßenaufbau wird dabei sichtbar.
Der Reichsautobahnbeton der 1930er Jahre (ca.
22cm dick) liegt noch unter der Neuasphaltierung
in den 1990er Jahren. Die beiden
Schichten sind farblich und haptisch sehr
unterschiedlich und lassen sich sofort
erkennen. Die Straße zeigt sich hier als
direktes visuelles Palimpsest. 136 Die Verwendung
des originalen Materials verbildlicht
auch zeitgenössische architekturtheoretische
Auffassungen. So zeigte beispielsweise der
Deutsche Pavillon auf der Biennale in Venedig
2012 vor allem die Möglichkeiten zur
nachhaltigen Kultur des Umbaus als Gegenposition
zu den spektakulären Neubauten.
Nach den Worten des Kurators Muck Petzet
müsste sich das Berufsbild des Architekten
heutzutage „vom Schöpfer des Neuen künftig
stärker zum Entwickler des Vorhandenen“
verändern. Denn „für die vorhandene
Schönheit im Alltag muss ein Gespür
entwickelt werden (…)“ 137
Gleichzeitig verweist die formale Ausarbeitung
als Ruine auf die zeitliche Komponente des
Werdens und Vergehens und die Trassenverlegung
als materieller und gesellschaftlicher
Prozess im Laufe der Geschichte. Die Ruine
als Neubau ist eine künstlerische Architektur,
welche insbesondere in der Romantik des 18.
und 19. Jahrhunderts ihren Höhepunkt
erreichte und häufig als Element bei der
Ausgestaltung von Parks verwendet wurde.
Das Symbol verweist besonders auf eine
Architektur der Abwesenheit 138 . Das Material
mit seinem Schichtaufbau sowie die formale
Gestaltung werden also zum physischen
Erinnerungsträger.
134 Vgl. Schmidt 2010, 89ff
135 Wagner 1996, S. 126
136 Als Palimpsest ist ursprünglich eine Skriptseite in der
Antike und Mittelalter, die (aus Papiermangel) neu
beschrieben wurde und damit alte Spuren zeigt.
Heutzutage wird der Begriff jedoch auch auf räumliche
„Spuren“ beispielsweise in der Kulturlandschaft
übertragen, vgl. auch H.-R.-Meier in Welch-Guerra 2010,
S. 237
137 Muck Petzet während des 3. IBA-Salons Thüringen,
vgl. URL: http://www.iba-thueringen.de/baukulturmachen,
abgerufen 05. März 2014
138 Vgl. Vöckler 2009
39
6.1.3 Ein „verkehrtes“ Raum-Zeit-Bild
Obwohl das Auto selbst einen beweglichen
(dreidimensionalen) Raum darstellt, wird der
gesamte Autobahnraum durch seine Raumfunktion
als Transitraum vorwiegend mit dem
Begriff der Zeit assoziiert, weniger mit einem
statischen Raumgefüge wie beispielsweise ein
Gebäude. Die Raumbeschreibungen erschließen
sich ausschließlich aus der Bewegung:
„Man braucht zwei Stunden“, man
„steht im Stau“, etc. sind die geläufigen
Beschreibungen dazu. Die Breite und noch
weniger die Höhe spielen eine Rolle.
Insofern entsteht beim Anblick der senkrechten
Straße so etwas wie ein assoziatives Paradoxon.
Die geometrisch „falsche“ Dimension
in die Senkrechte hinterfragt dabei grundsätzlich
die Raumvorstellung der Autobahn, klärt
aber gleichzeitig über diese auf. Ein Vergleich
(Abb. 27 und 28) verdeutlicht die beiden
assoziativen Raumbilder:
Humoristische Betrachtungsweisen, wie "Gott
sei Dank ist die Autobahn nicht so breit, wie
sie lang ist" (Karl Valentin) oder der Eulenspiegel-Cartoon
von 1972 „Wir hätten den
Wettbewerbsentwurf vom Hochbau doch nicht
so unverändert übernehmen dürfen“ (Abb. 26)
unterstreichen das Phänomen.
Abbildung 27: Geschwindigkeits-Raum Autobahn
Abbildung 28: statisches Raumbild Autobahn
Abbildung 26: Cartoon Tiefbau - Hochbau
Quelle: Magazin Eulenspiegel 1972, entnommen aus
Doßmann 2003)
40
Das Spiel mit den „unmöglichen“ Raumdarstellungen
hat seit jeher Künstler beschäftigt.
Am bekanntesten ist dabei wohl die
Illusionsmalerei von M.C. Escher, sowie die
„Op-Art“ in den 1970er Jahre oder der
modernen Form der „3D Pavement Art“ 139 . Die
oft surrealistisch anmutenden Bilder versetzen
den Betrachter in Erstaunen, da sie mit
zeichnerischen Tricks, wie doppelten Fluchtpunkten
oder falschen Schatten, die gewohnten
Sehweisen, besser gesagt die Verarbeitung des
Bildes im Gehirn, täuschen und dadurch
„falsche“ Raumbilder erzeugen. Derlei Bilder
werden zwar auch von Puristen gerne als
Effekthascherei abgetan, doch sollte man dabei
nicht vergessen, dass durch diese Irritation die
Möglichkeit besteht, die im Konsens
definierten „richtigen Räume“ und unsere
Sichtweisen auf sie zu hinterfragen (vgl. Abb.
29). Interessanterweise ist das Motiv des
Weges in diesen Bildern auch besondere
häufig vertreten - vermutlich weil dadurch (wie
aus der Landschaftsfotografie oder –malerei
bekannt) leicht eine deutlichere Tiefenwirkung
und somit räumliche Perspektive erzeugt
werden kann.
Auch der moderne Film bedient sich diesen
Möglichkeiten der Raumerzeugung. Eindrucksvoll
stellt beispielsweise die „Architektin“
in Christopher Nolans „Inception“ 140
ihre experimentelle Kreativität zur „Traumarchitektur“
unter Beweis, in dem sie eine
gesamte Stadt hochkant stellt.
Ebenso in der Performance-Kunst finden sich
Beispiele für das Spiel mit den Dimensionen.
Unter dem Begriff des aerial dance ergründen
zeitgenössische Tänzer den dreidimensionalen
Raum. Die irische Künstlerin Sarah McKeever
interpretiert beispielsweise performativ
architektonische Bauten und Skulpturen in der
Vertikalen (vgl. Abb. 30).
Abbildung 30: Vertical-Performance zur Einweihung
einer Skulptur
Abbildung 29: Sandro Del Prete: „Zwischenfall auf einer
Eisenbahnbrücke, 1981
Quelle: entnommen aus Seckel 2005
139 Die 3D Pavement Art soll auf Kurt Wenner in den
1980ern zurückgehen. Die Künstler malen dabei Bilder
auf die Straße, welche von einem genauen Standpunkt
aus betrachtet die Illusion eines in die Tiefe gehenden
Raumes erzeugen.
So hervorragend dies allerdings in zweidimensionalen
Darstellungen, Filmanimationen
oder Performances funktioniert,
so schwierig ist dies bei dreidimensionalen
statischen Objekten. Dies hat zwei Hauptgründe.
Zum einen wird im zweidimensionalen
Bereich dem Betrachter von vornherein ein
Standpunkt und somit einen Blickwinkel
zugeteilt, sodass man zwar Breite und Höhe
des Bildes vordefiniert, man jedoch mit der
gemalten dritten Dimension „täuschen“ kann.
Da bei einem 3D-Objekt ja alle drei
Dimensionen bereits vordefiniert sind, lässt
sich dieser Effekt schwerlich erzeugen. Zum
anderen lässt sich real existierendes natürliches
Material schlicht durch die Schwerkraft kaum
„realistisch falsch“ darstellen.
140 Vgl.
http://wwws.warnerbros.de/inception/dvd/mainsite.html,
abgerufen 25. Mai 2014)
41
6.1.4 Die Bedeutung der Zeichen
6.1.5 Der Kommunikationsprozess
Trotzdem löst das Monument beim Betrachter
eine sofortige Raumirritation aus. Dies liegt
jedoch weniger an der Senkrechtstellung des
Straßenmaterials an sich. Die Irritation hat eine
andere Erklärung: Dem Menschen ist es nicht
möglich ist, ein Bild rein „objektiv“ oder rein
„geometrisch“ zu betrachten. Stetig findet auf
verschiedene Betrachtungsebenen eine
Vermischung aus „gedanklich, geometrisch
Exaktem und visuell Erfühlten“ 141 statt, selbst
bei äußerst einfachen Zeichen. Diese werden
unterbewusst als Symbole interpretiert. Das
geplante Monument irritiert genau damit:
durch die weiße Straßenmarkierung. Erst sie
löst die eigentliche Assoziation mit „Straße“
anstatt „Wand“ aus (vgl. Abb. 30/31).
Abbildung 31: „Autobahn“ ohne Zeichen
"Die Kunst ist kein Selbstzweck, sondern ein Mittel zur
Kommunikation mit den Menschen" 142
Die Herausforderung bei diesem Projekt
besteht nicht nur im Wissen um die Situation
oder seiner technischen Umsetzung. Vielmehr
besteht auch die künstlerische Strategie darin,
die Weichen für eine Realisation überhaupt zu
stellen, beispielsweise die Finanzierung oder
die materialtechnische Umsetzung. Dafür ist
vor allem politisches Handeln erforderlich,
beispielsweise durch die Vernetzung mit
verschiedenen Akteuren in Thüringen sowie
ein gutes Argumentations- und Präsentationsvermögen.
Schon im Vorfeld des Umsetzungsprozesses
lassen sich verschiedene Lernprozesse
erhoffen. Einerseits zum eigenen
Erkenntnisgewinn durch die verschiedenen
Gespräche mit den Verantwortlichen,
beispielsweise aus der Politik oder den
Grundstücksbesitzern. Gleichzeitig werden
diese auch mit der historischen Vergangenheit
sowie der Kunst selbst konfrontiert. Vergleichbar
mit den Projekten Christos können dabei
interessante Interaktionen entstehen, noch
bevor das Objekt selbst sichtbar wird.
Dies hat sich bei den Recherchen bereits im
Vorfeld gezeigt, beispielsweise in Gesprächen
mit Verantwortlichen im Ministerium oder der
Firma DEGES.
Abbildung 32: „Autobahn“ mit Zeichen
Abbildung 33: Ausschnitt der Notizwand zum Projekt
141 Frutiger 1991, S. 94
142 Nach M-P- Mussorgsky, russischer Komponist
42
6.2 Verankerung im eigenen
künstlerischen Werk
„Form follows location“ 143
Ein künstlerisches Werk, welches im Laufe
von mehr als 10 Jahren entstanden ist, lässt
sich schwerlich in diesem Rahmen darstellen.
Insofern beschreibe ich lediglich die
wichtigsten Etappen anhand ausgewählter
Werke, die mit dem Thema verbunden sind.
Für eingehendere Werksbeschreibungen
möchte ich an dieser Stelle auf meinen
Internetauftritt 144 verweisen.
Schon während meiner Handwerksausbildung
als Kunstschmied / Metallgestalter 2001-2004
war mir das Reisen ein besonderes Anliegen.
Von daher beschloss ich, meine Ausbildung
auf einem sehr ungewöhnlichen Weg zu
absolvieren - auf der Wanderschaft. Angelehnt
an die Tradition der reisenden Handwerker auf
der Walz erlernte ich das Fach Metallgestaltung
daher in verschiedenen Werkstätten
und Ateliers in Europa und später in den USA.
Auch meine Gesellenabschlussarbeit bezog
sich auf diesen Weg – eine die 2m hohe
kinetische Skulptur 3D - Lebenslauf. Anschließend
eröffnete ich ein erstes Atelier
„Metallabsichten“ in Bründeln bei Hildesheim
(vgl. Abb. 34).
Im Laufe meines anschließenden Designstudiums
an der HAWK Hildesheim widmete
ich mich dann vorwiegend der Kunst im
öffentlichen Raum. Dabei entstand auch eine
Reihe öffentlicher ortsspezifischer und
partizipatorischer Skulpturen, beispielsweise
MeGaLöth (2007), eine 3m hohe Stele aus
Beton und Essbesteck, welche mit den
Anwohnern eines gesamten „Problem“-
Stadtteil entstand.
Meine Studien-Abschlussarbeit war schließlich
auch hier die Verbildlichung eines (Lebens-)
Weges: Die kinetische Land-Art-Installation
AUSSICHT mit einem Durchmesser von 20m
wurde für das Kulturevent „Hildesheimer
Wallungen 2009“ (vgl. Abb. 35). Die
Bewegung eines schwimmenden Kreises aus
einzelnen Pfeile ergab sich aus Strömungen im
Wasser, die durch mehrere Tauchpumpen
erzeugt wurden. Die Kreisform als richtungsloses
Element und die richtungsweisenden
Pfeile verbanden die Vorstellung eines Weges
als Kreislauf, indem die einzelnen Ereignisse
jedoch unabhängig voneinander reagieren
können.
Abbildung 34: Schmieden einer Großskulptur im Atelier
Metallabsichten
143 Titel einer lecture (Theaterfestivals „SpielArt“,
München 2013) von H. Neubauer
144
www.kulptur.de
Abbildung 35: Kinetische Land-Art-Installation
„Aussicht“
43
Im Studiengang MfA „Public Art and New
Artistic Strategies“ in Weimar reflektierte und
erweiterte ich das bisherige Werk und teilte es
zum besseren Verständnis in zwei Themenfelder
auf – den CULPTURES und den
ARTACTIONS.
CULPTURES sind Objekte, die den Raum und
seine Kultur kommunizieren und
manifestieren. Dabei fließt die visuellästhetische
Ebene (z.B. Architektur) ebenso in
das Konzept ein, wie die „Kultur des Ortes“,
also seiner Geschichte und den jeweiligen
gesellschaftlichen Zusammenhängen. Eine
besondere Stellung nehmen dabei auch die
kinetischen Objekte ein, denn durch sie lässt
sich auch der zeitbezogene Raum zeichenhaft
abbilden. Bei partizipativen Skulpturprojekten
kann durch interaktive Einbeziehung eine
direkte Kommunikation zwischen Öffentlichkeit
und Kunst hergestellt werden. Für die
Realisation werden die CULPTURES mit
jeweiligen Fachexperten geplant und mit Hilfe
eines großen Netzwerkes mit Partnern aus
Handwerk und Industrie größtenteils im
eigenen Stahlbauatelier umgesetzt.
Als Beispiel könnte hier die Landmarke
INDIKATOR (Abb. 35) gelten. Die 10m hohe
Skulptur zeichnet täglich den Weg der Sonne
nach. Sie veranschaulicht den Energiefluss von
der Sonne zur Erde, die Energieumwandlung
auf dem Land und den Energietransfer vom
„Landraum“ in den „Stadtraum“, direkt an der
Stadtgrenze von Bayreuth.
Der Begriff der „Öffentlichkeit“ selbst spiegelt
sich vor allem in den zahlreichen
ARTACTIONS der letzten Jahre wider. Diese
sind künstlerische Interventionen im
öffentlichen Raum und nehmen situativen
Bezug auf gesellschaftlich relevante Themen.
Durch die szenische Abbildung gesellschaftlicher
Prozesse durch einen Prozess selbst
reflektieren und kommunizieren sie die
jeweilige Situation mit den Menschen auf
abstrakter aber verständlicher Weise.
ARTACTIONS zeichnen sich häufig durch
interaktiven und partizipatorischen Charakter
aus. Die interaktive Performance XADREZ
beispielsweise reflektierte die Situation in Belo
Horizonte, Brasilien. Mehr als 60 000 Bürger
demonstrieren damals gegen die ungerechte
Verteilung der Staatsgelder im Hinblick auf
das Bildungssystem und den öffentlichen
Nahverkehr. Auslöser war vor allem die
bevorstehende Fußballweltmeisterschaft 2014.
XADREZ verdeutlichte die Situation interaktiv
am Ort. Als regierende Oberschicht maskiert,
spielte ich gegen die Demonstranten Schach.
Auf meiner Seite standen nur die Offiziere,
während die Gegenspieler rein mit den Bauern
agieren mussten.
Abbildung 36: Landmarke „Indikator“
Abbildung 37: Performance „XADREZ“, Brasilien
44
Als künstlerisches Forschungsformat könnte
man auch verschiedene Objekt-Performances
bezeichnen, wie beispielsweise bei „Mastoras
Amesis Drasis“. In Bezug auf die europäische
Finanzkrise eröffnete ich für einige Tage einen
Handwerker-Notfallservice in Athen. Dort
reparierte ich Objekte von Athenern Bürgern.
Als Bezahlung sollten diese schriftlich
skizzieren, wie sie „Griechenland“ reparieren
würden.
Abbildung 38: Walkact „Mastoras Amesis Drasis, Athen
Quelle: Y. Puentes 2012
Der künstlerische Weg führt also von der
künstlerisch-handwerklichen Auseinandersetzung
mit dem Material, über die formale
und konzeptionelle Ausgestaltung bis hin zur
reinen Konzeptkunst mit medialem Charakter
– und auch wieder zurück. So formal unterschiedlich
die Projekte erscheinen mögen:
Sie nehmen immer Bezug auf einen Ort
und/oder eine Struktur, die sich an einer
örtlichen Situation widerspiegelt. Die
Bilderzeugung durch die Einbindung real
existierenden Materials, ist mir dabei nach wie
vor besonders wichtig. Denn:
„Schönheit, Wahrheit, Erfindung und Schöpfung stehe
nicht alleine auf der Seite einer engelhaften
Spiritualität, sondern sie haben auch mit dem
Universum der Dinge zu tun, die man berührt und
riecht, die beim Fallen ein Geräusch machen, die nach
dem unerbittlichen Gesetz der Schwerkraft nach unten
streben, die Abnutzung, Verwandlung, Verfall und
Entwicklung unterworfen sind.“ 145
145 Eco 2006, S. 402
45
7 Reflexion und Ausblick
Die Autobahn im Leutratal wird in den
kommenden Monaten verlegt. Auf diesen
Prozess möchte ich künstlerisch reagieren.
Mein erster Entwurf sieht dabei vor, ein
Teilstück zu erhalten und direkt am Ort
senkrecht zu stellen.
Das Thema (Verkehrs-)Infrastruktur und ihre
Veränderungsprozesse sowie die An- und
Abwesenheit von (Verkehrs-)architektur im
öffentlichen Raum wird durch das Material
„Autobahn“ selbst sowie durch die verschobene
Raumperspektive künstlerisch
interpretiert.
Das Objekt soll dem globalen „Geschwindigkeitsraum
Autobahn“ eine lokale Installation in
der Thüringer Kulturlandschaft gegenübersetzen,
den „Nicht-Ort“ Autobahn verorteten
und damit zur Diskussion stellen.
Die Interaktion zwischen Mensch und Natur
im Kulturlandschaftsraum wird durch dieses
visuelle Palimpsest sichtbar.
Durch die direkte Verschiebung der räumlichen
Perspektive können dabei neue
Betrachtungsweisen gebildet werden. Denn das
Ziel ist es, das Thema für die Öffentlichkeit
erfahrbar zu machen.
Mit der Arbeit verfolge ich konsequent meine
Vorstellungen zu künstlerischen Interventionen
im öffentlichen Raum, die sich bisher vor
allem auf den Begriff der Ortsspezifität
bezogen.
Da das Projekt jedoch an einem Nicht-Ort
(bzw. mehr anhand einer Struktur) anstatt eines
konkreten Ortes stattfinden soll, musste ich
jedoch zunächst den Begriff hinterfragen und
schließlich zu einem neuen Begriff - der
„Infraspezifität“ - erweitern.
Dazu habe ich den Untersuchungsgegenstand
Autobahn von verschieden Seiten aus
beleuchtet. Einen großen Teil bildeten dazu die
(kultur-)historischen Recherchen des Autobahnraums
sowie die Trassenverlegung im
Leutratal selbst.
Eine weitere Grundlage war die Klärung der
Gesetzeslagen: Einerseits im Vorfeld des
Umsetzungsprozesses; andererseits, da meines
Erachtens kann auch nur derjenige im
öffentlichen Raum agieren kann, der mit den
grundlegenden „Regeln“ einer Gesellschaft
vertraut ist. Von daher betrachte ich dieses
Wissen auch als „Handwerkszeug“ für jeden
K.i.ö.R.-Künstler.
Noch während meiner Recherchen begann ich
mit der Planung eines etwaigen Umsetzungsprozesses.
Dabei änderten sich fast im
Wochentakt die Informationen, beispielsweise
zum genauen Datum der Trassenverlegung,
dem verwaltungstechnischen Verfahren
bezüglich der Grundstücksrechte sowie dem
materiellen Zustand der Autobahn selbst. Je
mehr ich dabei mit verschiedenen Ansprechpartnern
kommunizierte (z. B. mit den
Verantwortlichen im zuständigen Ministerium,
der Fa. DEGES), umso unklarer wurden auch
die Fakten. Eine ausführlichere Dokumentation
dazu wird separat erfolgen.
Nicht zuletzt dadurch stellte sich heraus, dass
der zukünftige Prozess vorwiegend durch die
Kommunikation bestimmt ist. Dies wird sich
auch bei der Suche nach Partnern zur
Finanzierung widerspiegeln.
Ob und wie der vorliegende Entwurf tatsächlich
realisiert werden kann, wird sich daher erst
in den zukünftigen Monaten zeigen. Ich halte
dies aber nicht für problematisch. Denn das
Projekt „Mathilde 4“ spiegelt vor allem den
Untersuchungsgegenstand „Straße“ selbst in
einer Volksweisheit genauso wider wie auf
einer künstlerischen Metaebene:
46
Der Weg ist das …
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Verfassererklärung
Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende
Masterarbeit selbstständig verfasst, noch nicht
anderweitig für Prüfungszwecke vorgelegt,
keine andere als die angegebenen Quellen oder
Hilfsmittel benutzt, sowie wörtliche und
sinngemäße Zitate als solche gekennzeichnet
habe.
Weimar, den 02. Juni 2014
Hannes Neubauer
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