Die Stadt im 21. Jahrhundert - Klassenkampffeld im Wandel
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Staatsapparat des Kapitals zwang die Menschen sich<br />
der Logik der Verwertung anzupassen. Ziel waren<br />
„normierte“ Subjekte, die widerstandslos die Widersprüche<br />
des Kapitalismus hinnehmen. Doch diese<br />
Allmachtsphantasien der Herrschenden wurden spätestens<br />
durch die revolutionären Klassenkämpfe nach<br />
1968 zerschlagen. <strong>Die</strong> Krise verschärfte die gesellschaftlichen<br />
Widersprüche laufend, Repression und<br />
Disziplinierung wurden <strong>im</strong>mer weiter nach „vorne“,<br />
in Richtung präventive Kontrolle verschoben. Das gesamte<br />
Leben von für das System potentiell „gefährlichen“<br />
Individuen sollte mit einem umfassenden Netz<br />
der Überwachung überzogen werden. „Potentiell<br />
gefährliche Individuen“ heisst konkret: Das gesamte<br />
Proletariat. Bürgerliche Politiker sprachen unverblümt<br />
Klartext, es gäbe kein Recht unerkannt durch<br />
die <strong>Stadt</strong> zu gehen.<br />
<strong>Die</strong> neuen digitalen Technologien erleichterten<br />
den Repressionsapparaten ihre Aufgaben sowohl<br />
qualitativ als auch quantitativ. Eine Vorreiterrolle bei<br />
der Videoüberwachung nahm und n<strong>im</strong>mt Grossbritannien<br />
ein. Zur „positiven“ Veränderung der Wahrnehmung<br />
von Überwachungsmassnahmen <strong>im</strong> öffentlichen<br />
Raum diente den Massenmedien die Hetze<br />
gegen die sogenannten „Hooligans“ in den 1980er<br />
Jahren. Es waren aber Klassenkämpfe und Revolten<br />
wie in Brixton <strong>im</strong> Jahre 1981, der grosse Minenarbeiterstreik<br />
(1984) und der bewaffnete Kampf der IRA<br />
auf englischem Territorium, die zu einer massiven<br />
Überwachung des öffentlichen Raumes führten. Der<br />
Einsatz der flächendeckenden Video Observation<br />
wurde als Schutz vor rebellierenden ArbeiterInnen<br />
und „gefährlichen“ Personen legit<strong>im</strong>iert. Während<br />
„spektakuläre“ Einzelfälle, wie zum Beispiel Kindesentführungen,<br />
bzw. die Identifizierung der Täter,<br />
argumentativ ins Feld geführt wurden, um die Akzeptanz<br />
der Kontrolle des städtischen Raumes in der<br />
Bevölkerung voran zu treiben, sind die Ursachen des<br />
CCTV Einsatzes gesellschaftlich bedingt. <strong>Die</strong> Verschärfung<br />
der ökonomischen und politischen Krise,<br />
tatsächliche und potentielle Klassenkämpfe und die<br />
Bekämpfung der „Unordnung“ in den aufgewerteten<br />
Städten macht die omnipräsente visuelle Überwachung<br />
des öffentlichen Raumes zur notwendigen Voraussetzung<br />
für den kapitalistischen Machtapparat.<br />
Technische Aspekte<br />
Unter Video-, oder CCTV Überwachung versteht<br />
der Staatsapparat die Beobachtung von „Zuständen<br />
oder Vorgängen durch optisch-elektronische Anlagen<br />
(Kameras)“. Bei der aktiven oder direkten Überwachung<br />
können die gewonnenen Daten in Echtzeit<br />
unmittelbar auf einem Bildschirm verfolgt werden.<br />
Angesichts der anfallenden Datenmengen, besonders<br />
be<strong>im</strong> Einsatz mehrerer Kameras, werden Daten<br />
jedoch häufig aufgezeichnet, also sogenannte passive<br />
oder indirekte Überwachung. <strong>Die</strong> Aufzeichnung erfolgt<br />
auf analoge (Videoband, Film) oder vor allem<br />
digitale Dateiträger (Chip, Harddisk etc.). Einfache<br />
Videoüberwachungsanlagen können aus einzelnen<br />
Kameras, komplexe Anlagen aus einem Netzwerk<br />
untereinander verbundener Kameras bestehen. Bei<br />
komplexeren Anlagen kann ein Computersystem die<br />
aufgenommenen Daten fortlaufend und automatisch<br />
analysieren. So können Bewegungen, abgestellte Gegenstände,<br />
Menschenansammlungen oder gegenläufige<br />
Bewegungsrichtungen erkannt werden. Derartige<br />
Systeme können ebenso eine Überwachungsperson<br />
alarmieren.<br />
<strong>Die</strong> operativen Ebenen der Überwachung<br />
Der Einsatz von CCTV kann unterschiedliche<br />
Zielsetzungen aufweisen. <strong>Die</strong> dissuasive Videoüberwachung<br />
bezweckt die Verhinderung menschlich<br />
verursachter „Gefährdungen“ und „Störungen“ <strong>im</strong><br />
öffentlichen Raum durch Abschreckung. Sie erfolgt<br />
in aller Regel permanent und ist nach aussen hin erkennbar.<br />
Für die dissuasive Überwachung werden<br />
üblicherweise Videotechnologien eingesetzt, welche<br />
die Bildsignale aufzeichnen und eine Identifikation<br />
von aufgenommenen Einzelpersonen ermöglichen.<br />
<strong>Die</strong> observative Videoüberwachung bezweckt die<br />
Gewährleistung von Abläufen und Zuständen und<br />
die Verhinderung technischer Störungen (z.B. Steuerung<br />
von Verkehrs, - und Personenströmen). Bei der<br />
observativen Überwachung gelangen in der Regel<br />
Videotechnologien zum Einsatz, welche keine Identifikation<br />
von aufgenommenen Einzelpersonen zulassen.<br />
<strong>Die</strong> invasive Videoüberwachung hat die gezielte<br />
Beschattung eines best<strong>im</strong>mten inneren Feindes („Störer“)<br />
zum Ziel. Zur Erfüllung dieses Überwachungszwecks<br />
können best<strong>im</strong>mte Orte (Hauseingänge etc.)<br />
überwacht werden. <strong>Die</strong> invasive Videoüberwachung<br />
erfolgt, <strong>im</strong> Gegensatz zur dissuasiven Überwachung,<br />
nicht permanent und offen, sondern vorübergehend<br />
und verdeckt. Derartige Systeme können eine Überwachungsperson<br />
alarmieren, welche in die beobachtete<br />
Situation hineinzoomt oder die Aufzeichnung<br />
des Geschehens durch Erhöhung der Aufnahmerate<br />
intensiviert. <strong>Die</strong> Möglichkeiten zur Weiterbearbeitung<br />
von Bildaufnahmen sind vielfältig, so sind etwa<br />
die automatische Nummernschilderkennung <strong>im</strong><br />
Straßenverkehr, die Gesichtserkennung oder der Vergleich<br />
mit bereits gespeicherten biometrischen Daten<br />
möglich. <strong>Die</strong> Beobachtung von „Unbeteiligten“ und<br />
„Unverdächtigen“ ist gewollt und deren Verhalten<br />
wird zur Herstellung von Bewegungsprofilen aufgezeichnet.<br />
Der bürgerliche pro Forma „Datenschutz“ soll gewährleistet<br />
werden. Es kann auf einen sogenannten<br />
Privacy Filter zurückgegriffen werden. Bei dessen<br />
Einsatz werden die aufgenommen Objekte und Personen<br />
vor der Speicherung des Bildes automatisch bis<br />
zur Unkenntlichkeit verwischt. Unbewegliche Räume<br />
und Gegenstände bleiben scharf. Das Bild wird dann<br />
mit den unkenntlichen Elementen gespeichert. Mit<br />
einem Software-Schlüssel können aber der Staatsschutz<br />
und Konsorten die unkenntlichen Bereiche<br />
nachträglich, z.B. <strong>im</strong> Rahmen einer Strafermittlung,<br />
wiederherstellen.<br />
Wie erwähnt, stehen in der Alltagspraxis der Videoüberwachung<br />
auch in der Schweiz die Eindämmung<br />
von „Vandalenakten“ und der „Störung der<br />
öffentlichen Ordnung“, bis hin zu Revolten und Aufständen<br />
<strong>im</strong> Vordergrund. In den letzten Jahren wurde<br />
der Terror der reaktionären Kleriker als Begründung<br />
für den massiven Ausbau der Überwachung des<br />
öffentlichen Raumes herangezogen.<br />
Besonders „gefährdete“ Orte und Zonen<br />
Unter dem Deckmantel der „Terrorbekämpfung“<br />
sind die zu überwachenden Orte beliebig auszuweiten.<br />
Der Schweizer Repressionsapparat will einiges<br />
in den Blickwinkel der Kameras stellen: Öffentliche<br />
Verkehrsmittel, insbesondere Züge auf Zuglinien mit<br />
hohem Personenaufkommen, aber auch Busse, Trams<br />
oder Kursschiffe; Bahnhöfe der grossen Schweizer<br />
Städte (mit besonderem Augenmerk auf Plätze, an<br />
denen sich viele Menschen gleichzeitig aufhalten, wie<br />
Treffpunkte oder Bahnsteige); Flughäfen mit grossem<br />
Publikumsverkehr (sowohl der frei zugängliche<br />
Bereich, wie auch der Bereich nach der Passkontrolle);<br />
Grosse Sport-, oder Konzertveranstaltungen<br />
und die dazugehörigen öffentlichen Vorplätze sowie<br />
Public Viewing- Bereiche bei Grossanlässen; Öffentliche<br />
Plätze, auf denen regelmässig Veranstaltungen<br />
mit hohem Publikumsverkehr stattfinden (wie z.B.<br />
Demonstrationen, Messen, Feste oder Konzerte);<br />
Einkaufszentren; Lehranstalten und Krankenhäuser,<br />
sowie die Postämter. Um den „Vandalismus“ zu bekämpfen<br />
wurden in letzter Zeit die meisten Schulhäuser<br />
in der <strong>Stadt</strong> Zürich massiv mit Videoüberwachungsanlagen<br />
aufgerüstet.<br />
<strong>Die</strong> genannten Orte seien auch in der Schweiz einer<br />
erhöhten Intensität an unterschiedlichster „Alltagskr<strong>im</strong>inalität“<br />
ausgesetzt, was zum schon erwähnten<br />
Umstand geführt hat, dass dort Videotechnologie<br />
bereits verbreitet zum Einsatz gelangt. Im Oktober<br />
2014 startete die Genfer Polizei <strong>im</strong> „Problemquartier“<br />
Paquis eine neue Offensive. An „neuralgischen“<br />
Punkten sollten 29 Kameras in Stellung gebracht<br />
werden, die rund um die Uhr in Echtzeit Aufnahmen<br />
an eine digitale Wand projizieren. <strong>Die</strong>se wird ununterbrochen<br />
beobachtet und allenfalls wird Alarm<br />
geschlagen, bzw. eine Patrouille dirigiert. Das Ganze<br />
wird von der Uni Neuenburg „wissenschaftlich“ begleitet.<br />
26 27