FINE Ein Magazin für Wein und Genuss 2|2015
FINE Ein Magazin für Wein und Genuss 2|2015 - Sonderbeilage in der Süddeutschen Zeitung
FINE Ein Magazin für Wein und Genuss 2|2015 - Sonderbeilage in der Süddeutschen Zeitung
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E I N E S O N D E R B E I L A G E D E S T R E T O R R I V E R L A G S
der Verlag für Essen, Trinken und Genuss 2|2015
EIN MAGAZIN FÜR WEIN UND GENUSS
FLEISCHESLUST UND GAUMENFREUDE
Geben Sie einem 82er Château Margaux das Gefühl, zuhause zu sein.
EIN MAGAZIN FÜR WEIN UND GENUSS
Verleger und Herausgeber
Ralf Frenzel
ralf.frenzel@fine-magazines.de
Chefredakteur
Thomas Schröder
thomas.schroeder@fine-magazines.de
Redaktion
Carola Hauck
Art Direction
Guido Bittner
Mitarbeiter dieser Ausgabe
Till Ehrlich, Bernd Fritz, Ursula Heinzelmann,
Uwe Kauss, Christian Neimöck, Dr. Stefan
Pegatzky, Angelika Ricard-Wolf
Fotografen
Guido Bittner, Rui Camilo, Marco Grundt,
Thilo Weimar
Titel-Foto: Rui Camilo
Editorial-Fotos: Johannes Grau, Pekka Nuikki
Verlag
Tre Torri Verlag GmbH
Sonnenberger Straße 43
65191 Wiesbaden
www.tretorri.de
Geschäftsführer: Ralf Frenzel
Anzeigen
Judith Völkel
Tre Torri Verlag GmbH
+49 (o) 611-57 990
info@fine-magazines.de
Druck
Prinovis Ltd. & Co. KG · Nürnberg
Fine Ein Magazin für Wein und Genuss ist eine
Sonder beilage des Tre Torri Verlags und erscheint
im Verbund mit Fine Das Wein magazin viermal
Jährlich im ausgesuchten Zeitschriftenhandel.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt
die Meinung der Redaktion wieder. Der Verlag
haftet nicht für unverlangt eingereichte Manus kripte,
Dateien, Datenträger und Bilder. Alle in diesem Magazin
veröffentlichten Artikel sind urheberrechtlich geschützt.
Verehrte Leserin, lieber Leser,
da hat er uns wieder, schon wieder – der Herbst. Nichts
dagegen! Ob er uns nun mit goldener Oktobersonne
verwöhnt, ob er uns in dichte Nebelschwaden hüllt oder
ganze Wochen in die Regentonne tunkt – einschlägige
Blätter wissen Rat, wie einer postsommerlichen Depression
am besten zu entrinnen sei: Cuddling heißt der
Trend – Kuscheln. Kuscheln am Kamin. Wiederum:
Nichts dagegen, auch wir geben uns solcher Besinnlichkeit
zuweilen gern hin. Dennoch wollen und werden wir
das Thema in diesem Heft nicht vertiefen, sondern den
Blick auf zwei andere probate Trost- und Ermutigungshelfer
richten, die dem genervten Menschen an trüben
Tagen und in dunklen Zeiten aufhelfen können: auf
köstliches Speisen und gedeihliches Trinken – und das
kluge Bedenken dieser Wohltaten.
Den Genuss-Carnivoren zum Beispiel dreht es die
Mägen um, wenn sie sehen, welcher Art das Fleisch ist,
das in deutschen Pfannen und auf deutschen Grills bisweilen
brutzelt. Ihre Devise lautet: wenig – aber vom
Allerbesten. Doch woher nehmen? Als unentbehr licher
Helfer der Gourmets erweist sich da der logistisch nach
modernsten Methoden arbeitende Versandhandel. Ein
von Feinstschmeckern und Spitzenköchen gleichermaßen
gerühmter Anbieter von Premiumfleisch findet
sich in Düsseldorf. Die Porträt-Reportage über diesen
Qualitätsfanatiker zeigt ihn am derzeitigen Highend
der Gourmandise in Deutschland, deren Entwicklung
nach dem Vorüberrauschen der so genannten Fresswelle
in den frühen sechziger Jahren begann. Stefan
Pegatzky betrachtet dazu als kulinaristischer Archäologe
einige Artefakte unserer feinschmeckerischen Vorund
Frühgeschichte.
Und der Wein? Dass ausgerechnet ein Amerikaner
urbi et orbi zeigen musste, wie und warum welcher Wein
mit besonderem Genuss zu trinken sei, wie Winzer und
Weinfreunde auf die geschmacklichen Vorlieben und
Bewertungen des großen Gurus abfuhren – und wie
seit einiger Zeit so mancher doch wieder vom Glauben
abfällt: Die tolle Geschichte von Werk und weltweiter
Wirkung des Weinjournalisten Robert Parker, der auch
die deutsche Weinszene nachhaltig beeinflusst hat, kann
uns lehren, den Geschmacksdiktaten von Experten nicht
einfach zu folgen, sondern skeptisch den eigenen Gusto
daran zu prüfen und erkenntnisfroh zu schärfen. Denn
über nichts streiten noch die friedfertigsten Weinliebhaber
leidenschaftlicher als eben über den Geschmack.
Außer Zweifel steht aber wohl unter Wein- und sonstigen
Gourmets, auch und gerade in der dritten Jahreszeit,
der sinnliche Erkenntniswert des Cuddlings. Es sei
denn, das Feuer im Kamin ist gänzlich erloschen.
Ralf Frenzel
Herausgeber
Thomas Schröder
Chefredakteur
Der Unterschied heißt Gaggenau.
Der 82er Château Margaux gehört zu den Besten seines
Jahrgangs. Damit er es auch bleibt, schafft der Weinschrank
RW 464 ideale Lagerbedingungen. Zwei getrennt steuerbare
Klimazonen mit gradgenauer Temperaturregelung, vibrationsarmer
Lagerung und voll ausziehbaren Flaschenablagen
bieten Raum für bis zu 99 Flaschen. Alles, um einen Margaux
auf den perfekten Moment vorzubereiten: den Genuss.
Informieren Sie sich unter 089 20 355 366 oder unter
www.gaggenau.com.
INHALT
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18
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26
32
36
38
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Albers Food und die Fleischkultur
Hummer und seine Begleiter
Das deutsche Küchenwunder
Micha Siebenhandl und das Wohlbefinden
Bocuse d’Or, der begehrteste Preis der Spitzenköche
Luce della Vite, die dunkle Sonne von Montalcino
MCIII, eine Champagner-Revolution
Craft-Stoff für den Biergourmet
Robert Parker, das Bordelais und die Weinwelt
Champagner in seinem Milieu
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3
»Die Moral
kann man
schmecken«
Der Düsseldorfer Grosshändler Albers Food
setzt ein Zeichen für die Fleischkultur
Von Uwe Kauss
Fotos Rui Camilo
Beharrlich und hartnäckig: Udo Albers und sein
jüngerer Cousin Frank haben jahrelang dafür
gekämpft, das legendäre Kobe-Wagyu aus Japan
zu importieren. Der Einsatz hat sich gelohnt:
Seit 2013 darf das Familienunternehmen Albers
Food als erstes in Deutschland das kostbare
Edelfleisch anbieten. Die Initialzündung dazu
kam von einer Probekiste mit australischem
Wagyu des Farmbetriebs Jack’s Creek, von dessen
Qualität die beiden Düsseldorfer Großhändler
geradezu überwältigt waren; natürlich haben sie
dieses kostbare Premiumfleisch noch immer in
ihrem Sortiment.
Auf dem Parkplatz hinterm Stahlzaun rangiert der LKW-Fahrer seinen Sechzehn-Tonner Zentimetern um Zentimeter zwischen eng
geparkten Autos rückwärts an die Laderampe des weißen Zweckbaus. Druckluft zischt, der Fahrer nickt, der LKW steht. Eine kerzengerade
Hauptstraße durchschneidet das Düsseldorfer Industriegebiet Lichtenbroich nahe des Flughafens. Ein Autohaus, ein Druckzentrum,
Speditionen, Lager, Büros liegen still in der Vormittagssonne. An der Straßenseite neben der Rampe spiegelt ein sauber poliertes
Schaufenster ihre Strahlen. Dahinter füllt eine Frau mit weißer Haube, Kittel und Handschuhen die Fleischtheke auf. Wenige Meter
nebenan, hinter dem schlichten Eingang ins Bürogebäude, sieht man gewaltige Rinderhälften auf armdicken Stahlstangen hängen. Das
eindrucksvolle Foto füllt die Wand im engen Flur neben Kopierer und steiler Treppe. Es zeigt, was hier im Mittelpunkt steht: Fleisch.
Gourmet-Restaurants, Top-Hotels und Delikatessen läden beziehen allererste
Qualität aus dem Zweckbau mit Lager in Lichtenbroich. Albers und Metzger. Die Albers-Cousins waren die ersten, die Strauß importiermission,
Warenannahme und Qualitätskontrolle arbeiten nur gelernte Köche
Food ist einer der renommiertesten Fleischgroßhändler in Deutschland. »Bei ten. In ihrem Lager haben sie bestes Iberico-Fleisch, Premium-Steaks in
uns kommt erst das Fleisch
unterschiedlichen Cuts aus
und danach der Preis«, sagt
Nebraska, Black Angus aus
Frank Albers, der mit Dreitage
bart, Jeans, V-Pullover
aus Irland, feinstes Geflügel
Australien, Dry Aged Beef
und Bluetooth-Hörnchen
aus Deutschland und Frankreich
– und seit 2014 auch
im Ohr die Treppe hinabspringt
und kurz im Büro verschwindet.
Er bereitet eine
und teuerste Rindfleisch der
japanisches Wagyu, das beste
wichtige Messe vor, er muss
Welt.
die Ladung des Sechzehn-
Nur ein deutscher Unternehmer
erhielt von den
Tonners kontrollieren, und
das Smartphone brummt
japanischen Behörden eine
auch schon wieder. Wenige
Importlizenz für das Fleisch
Minuten später holt er Kaffee
der Tajima- Rinder aus der
und seinen Cousin Udo
Region Hyogo mit der
Albers. Sie lassen sich in die
anderthalb Millionen Einwohner
zählenden Haupt-
schwarzen schlichten Stühle
im engen Besprechungsraum
stadt Kobe. Pro Jahr dürfen
fallen. Die beiden leiten das
nur dreitausend Tiere ge-
1962 von ihrem Großvater gegründete Unternehmen schon seit langer Zeit, schlachtet und verkauft werden, neunzig Prozent des Fleisches müssen laut
haben den einstigen Lebensmittelhandel der Familie im Düsseldorfer Großmarkt
innerhalb von fünfzehn Jahren zum vielleicht besten Fleischanbieter land. »Ich habe die Lieferung selbst am Frankfurter Flughafen abgeholt. Wir
Gesetz in Japan bleiben. 2014 brachte Frank Albers Kobe-Wagyu nach Deutsch-
des Landes entwickelt. Dreißig Mitarbeiter sind hier beschäftigt; in Kom-
haben jahrelang hart für diesen Moment gearbeitet, haben mit japanischen
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Ministerien verhandelt, mit der EU, mit den Produ zenten.
Das war schwierig und manchmal frustrierend. Uns war sehr
wichtig, hier der erste Anbieter von japanischem Wagyu zu sein.
Damit wollten wir ein Zeichen für die Fleisch kultur setzen.«
Wa-gyu bedeutet übersetzt schlicht »Rind aus Japan«. Das
um 500 Euro pro Kilo teure Fleisch ist nicht nur rar, es hat
einen außergewöhnlichen Geschmack und eine butter zarte
Konsistenz aufgrund der feinen Fett- Marmorierung. »Wagyu
ist wie Crème Brûlée«, schwärmt Udo Albers, »oben perfekt
knusprig, darunter butterweich, dass man es löffeln könnte,
mit nussig-mildem Geschmack. Wahnsinn!«
Anders als in Deutschland gibt es in Japan genau definierte,
objektive Qualitätskriterien für Rindfleisch. Die Kriterien
sind Fleischfarbe, Festigkeit, Textur, Marmorierung und
dazu Qualität, Farbe und Glanz des Fettes. Japanisches Rindfleisch
darf sich nur Kobe-Wagyu nennen, wenn es von den
staatlichen Prüfern mit den Bestnoten bewertet worden ist.
Dazu müssen die Tiere eine eindeutige Genetik aufweisen,
etwa drei Jahre in der Region im Freiland aufwachsen. Das
Futter aus Heu, Gräsern, Sojabohnen, Gerste und Weizenkleie
ist das Geheimnis jeden Züchters. Hormone und Antibiotika
sind zudem verboten. Doch die Tiere hören weder
Mozart noch werden sie mit Bier massiert. »Diese Stories
sind ein Teil des Mythos«, sagt Frank Albers und hebt die
Schultern.
Diese Maßstäbe haben den Import so schwierig gemacht:
»In Kobe werden die Rinder wie Rennpferde gezüchtet.
Jeder zertifizierte Betrieb darf maximal vierunddreißig
Tiere besitzen. Das hat mit der Rinderzucht in der EU gar
nichts zu tun. Auch nicht bei den Bio-Produzenten.« Doch
Albers ließ nicht locker. Wieder und wieder vereinbarte er
Termine in Ministerien und platzierte seine Botschaft: Wir
wollen Wagyu anbieten. Ein anspruchsvolles Ziel: Bislang
galt Wagyu reinrassiger Tiere in Japan als Prestige produkt,
als eine Art National heiligtum – das gab es nur bei zertifizierten
Händlern und ausschließlich innerhalb der Grenzen.
Kleine Mengen schmuggelten Touristen gelegentlich außer
Landes, größere verließen Japan nie. Doch die schwere Wirtschaftskrise
von 2007 ließ die Verantwort lichen vorsichtig
um denken. Der Export von Waren aller Art war nun ein
wichtiger Faktor. 2012 erlaubten die Behörden erstmals, das
Fleisch von sechshunderteinundsechzig Tieren nach Macao,
Hongkong, Thailand, Singapur und in die Vereinigten Staaten
zu ver kaufen. Aber nicht in die EU.
Doch dann kam Bewegung in die Sache: Japanische
Züchter saßen bei Albers im Besprechungsraum, um diesen
deutschen Händler kennenzulernen. »Sie fragten: Kann
man Wagyu hier verkaufen? Ich antwortete: Wir importieren
jährlich etwa anderthalb Tonnen Wagyu aus Australien. Das
überzeugte sie.« Pünktlich zur Nahrungsmittelmesse Anuga
2013 traf die offizielle Lieferung der ersten dreihundert Kilo
Wagyu-Entrecôte, -Roastbeef und -Filet in Deutschland ein.
Wagyu ist für die »Meat Scouts«, wie Frank und Udo
Albers von Sterneköchen oft bezeichnet werden, ein
Schlüsselprodukt: »Der Kern unseres Unternehmens ist das
Produkt in seiner bestmöglichen Ausprägung. Das ist nur
möglich, wenn wir es aus Orten beziehen, in denen eine
Kultur und Tradition dafür besteht«, erklärt Frank Albers
seinen Anspruch. Das butterzarte Fleisch bezieht er seit vielen
Jahren schon genehmigungsfrei aus Australien. Die dort mit
Black Angus gekreuzten Tajima-Rinder wachsen unter ebenso
guten Bedingungen auf, doch Geschmack und Textur unterscheiden
sich vom japanischen Wagyu. »Das Fleisch ist etwas
kräftiger und dichter, es verträgt etwas mehr Hitze, ist aber
fast ebenso zart«, erklärt Udo Albers den feinen Unterschied.
Nach der BSE-Krise stand Albers am Abgrund. Der Markt
für Rindfleisch war zusammengebrochen. In dieser Zeit kam
Frank Albers als Geschäftsführer wieder ins Unternehmen.
Nach dem Abitur war er mit dem Rucksack durch Amerika
und Afrika gereist, hatte beim renommierten französischen
Feinkost-Großhändler Rungis Express eine Lehre
als Groß- und Einzelhandelskaufmann gemacht, sich für
die kulinarischen Spezialitäten der Welt begeistert und
danach Europäisches Management in Köln studiert. Die
High- Potential- Veranstaltungen der großen Unternehmensberatungen
überzeugten ihn nicht: »War nicht meine Welt.«
Als er im Familienunternehmen einstieg, war ein Krisenmanager
nötig. Udo und Frank Albers suchten nach Produkten,
die zu ihnen passten und die sie wieder auf Kurs
bringen würden. »Wir haben uns mit Strauß und Känguru
aus Austra lien beschäftigt«, erzählt Udo Albers, »da kam
vom Farm betrieb Jack’s Creek eine Probekiste mit australischem
Wagyu. Wir haben das probiert – und es hat das Verständnis
unserer Arbeit verändert. Das war so fein, so anders,
dass wir wussten: Das müssen wir machen. So etwas Gutes
gibt’s hier nicht.«
Die beiden entwickelten »ein lückenloses System zum
Erkennen, Einkaufen, Verarbeiten und Ausliefern von
Gourmet fleisch der Spitzenklasse«, wie Frank Albers erzählt,
»von der Weide bis zu dem Moment, in dem der Kunde in
der Gastronomie oder der heimischen Küche das Steak, den
Braten oder das Hähnchen auspackt.« Und sie arbeiten dabei
als Vermittler der Fleischkultur: »Wir erklären unsere Produkte
und schenken den Kunden dabei reinen Wein ein. Wir
erzählen den Leuten, wie es ist. Keine Mythen, keine Metzgermärchen.«
Das alles hat Albers zum Premium-Anbieter aufsteigen
lassen. Das edle Fleisch aus Düsseldorf haben Angela
Merkel und Barack Obama ebenso gern verspeist wie Bernie
Ecclestone und George Clooney.
Die jahrelange Arbeit hat den Blick der beiden ver ändert.
Sie beobachten die Entwicklungen sehr genau. Über
Deutschland fällt Udo Albers kein gutes Urteil: »Hier gibt
es keine Fleischkultur mehr, nur noch auf Hocheffizienz
getrimmte Fleischwerke. Der Preis diktiert die Bedingungen.
In die Schlachthöfe haben Händler wie wir heute keinen
Zutritt mehr.«
Ihr Angus-Rindfleisch in Gourmetqualität beziehen sie
aus Nebraska von den Greater Omaha Packers (GOP), einem
Verbund regionaler Farmer und Großhändler. 1920 wurde
er gegründet, seine legendäre Fleischqualität hat Weltruf.
»Die Rinder leben draußen auf tausenden Hektar Weideland,
später in sehr großen Freigehegen, sie fressen Gras und
Körner«, schwärmt Frank Albers, der mindestens einmal
jährlich für eine Woche dort ist, »sie bekommen auch keine
vorbeugenden Antibiotika oder Hormone.«
Ein GOP-Farmer habe einem Rind übers Fell gestrichen,
und sofort gewusst, welche Klassifizierung das Fleisch bekommen
wird, staunt Udo Albers noch heute. »Mit Ultraschallgeräten
können sie vorab checken, wie sich die Marmorierung
ausprägt. Der hatte aber so viel Erfahrung über die
Jahrzehnte gesammelt, dass er die Qualität fühlen konnte.«
Auch in Montana hatten sie auf einer Partnerfarm solch ein
Erlebnis. »Da ging der Farmer mit uns auf die Weide und
rief die Rinder mit Namen. Da kamen sie angetrabt. Das
mag kitschig klingen – aber uns hat das echt beeindruckt.«
Ein Ribeye von solchen Rindern, in der Pfanne zubereitet,
schrumpft keinen Millimeter, es klebt nicht am Boden, keine
Flüssigkeit tritt aus. Seine Textur ist kraftvoll und zugleich
zart, das Fleisch fasert nicht. Mehr Steak geht nicht. Für Frank
Albers steckt eine einfache Gleichung dahinter: »Wenn es
dem Tier schlecht gegangen ist, kann das Fleisch nicht gut
sein. Bei unseren Produkten geht es den Tieren gut, es geht
Ambitioniert und ehrgeizig: Während sich
Frank Albers mit fast zärtlicher Hingabe um die
inneren Angelegenheiten der Firma kümmert, ist
Udo Albers als eine Art Außenminister für die
Kontakte mit Zulieferern und Kunden zuständig.
Im Portfolio von Albers Food steht auch Dry Aged
Beef, das im Klimaschrank mehrere Wochen reift.
den Farmern gut, und es geht den Kunden gut, weil sie Top-
Qualität bekommen. Runde Sache. Die Moral kann man
schmecken.«
Zurück im Flur mit den Rinderhälften an der Wand kommt
den beiden eine Frau in weißer Arbeitskleidung ent gegen,
in der Hand einen Teller mit zarten Fleischscheiben und
einigen Holzspießen – frisch geräuchertes Pastrami, derzeit
ein Klassiker des Street Food. »Den Trend haben wir mit aufgebaut«,
sagt Frank Albers beiläufig zwischen zwei Handygesprächen.
Die Probe schmeckt saftig, zart, mit sehr feinen
Räucheraromen. Albers kostet. »Da brauchst du nicht mal
Salz. Alles richtig so.« Doch trotz Termindruck, Hektik und
Messe beschäftigt ihn eine Frage: »Ich habe kürzlich ein Steak
probiert, das hatte eine Struktur wie roher Schinken. Das war
aber nicht geräuchert. Ich will wissen, wie man das macht.
Und wer es macht.« Wieder brummt sein Smartphone. •
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FINE 2 | 2015 | EIN IN F EIN N EN EIN IN F EIN N EN | FINE 2 | 2015
Hummer
und seine Begleiter
Es muss nicht immer Champagner sein
Von Ursula Heinzelmann
DIESES BUCH
IST DER BEWEIS ...
BEEF! GRILLEN – MEISTERSTÜCKE FÜR MÄNNER.
Hummer – ja bitte. Geht
immer, und zwar
am liebsten frisch
gekocht, gerade so
weit abgekühlt, dass ich Spaß haben kann,
mit Fingern, Zange und Gabel an das feste
und doch zarte Fleisch zu gelangen, süß
und unbeschreiblich köstlich. Zitronige
Mayonnaise dazu, Wein im Glas, und das
Leben ist gut.
In heimischen Stadtgefilden erfordert diese kulinarische
Einfachheit allerdings erhebliche finanzielle
Investitionen, während sich an der Quelle
vergleichsweise unbeschwert schwelgen lässt.
Wie zuletzt im Sommer in Wales: Die Fischer
in Aberystwyth in der Cardigan Bay sind auf
Hummer spezialisiert, vor ihren Schuppen am
Hafen türmen sich die Reusen. Ein Klopfen an
der richtigen Tür zur richtigen Tageszeit, eingehende
Begut achtung des Angebots, und ein
nach Meer und Algen duften der Karton wechselt
den Besitzer. Der ferien heimische Herd
steht in einem alten Bauern haus, die Küche ist
Kollateral schäden gegenüber aufgeschlossen (die
bei echter Hummer freude nicht auszu schließen
sind – da fliegen die Schalen und spritzt der Saft),
der lange Holztisch genau richtig für solche Festgelage.
Indes – der Wein bestand ist ebenfalls in
wali sischer Urlaubs stimmung, die Vorräte gegen
Ende des Urlaubs sind längst geplündert. Da liegt
kein Puligny- Montrachet und kein Meursault, kein
Champagner und kein Chablis.
Doch braucht es diese traditionellen Hummer-
Begleiter tatsächlich? Um Missverständnissen
vorzubeugen: Selbstverständlich haben die
Klassiker ihre Berechtigung. Beim Mayonnaise-
Rühren steigt ein Puligny-Montrachet Folatières
mit seiner nussig-gelben Frucht aus den Tiefen
meines Weingedächtnisses auf – bei einem romantischen
Dinner- Date im englischen Kent vor mehr
als fünfundzwanzig Jahren von einem exzentrischen
Restaurateur auf rotkarierten Tischdecken
zu groß artigem Hummer serviert, freundlich
kalku liert und die Sinnesfreude des Abends signi-
fikant steigernd. Die porphyr steinigen Vorberg-
Weißburgunder aus dem Süd tiroler Terlan schleichen
sich mir auf die Zunge, im letzten Frühjahr
auf Sylt in alten und neuen Jahr gängen erlebt.
Söl’ring-Hof-Hausherr Johannes King ließ dazu
statt Hummer »Sylter Strand salat« auftragen, eine
nordmeerige Komposition aus vieler lei Muscheln,
Austern und Wattschnecken mit Bronze fenchel,
Apfel, Meerrettich und Dillöl. Aber die strahlendfrische
und doch reife Säure des 2012er Riserva
der Terlaner Genossen hätte ein Gegenüber mit
zwei großen Scheren genauso erfreut – wie ich
gelegent lich von einer schlichten Hummerschere
»auf die Faust« zu üppig- würzigem Champagner
à la Bollinger träume.
Doch es gibt auch noch ganz andere hummergute
Momente. Im Le Bernardin in New York
würzte Eric Ripert das Tier mit intensivaromatischem
Gulasch-Jus, Spitzen- Sommelier
Aldo Sohm schenkte dazu trefflich gereifte, kräftige
Rotweine aus Spanien und Griechenland ein. Auf
der Terrasse des Torre del Sarraceno zwischen
Neapel und Sorrent brillierte Gennaro Esposito
mit einem kräftigen Pracht exemplar in gewagt
rustikal- pikanter Tomatensauce zu würzigem
Fiano- Weißwein aus der Campagna, dem Kratos
von Luigi Maffini. In meiner eigenen Küche
ließen flaschen reife Riesling- Jahrgänge aus dem
Nier steiner Ölberg von St. Antony mit goldener
Frucht die großen Krustentierstücke in dick eingekochten,
chili- angehauchten Tomaten noch
eleganter wirken. Zu Stefan Hermanns asiatisch
gebratenem Hummer tanzte in Dresden Klaus
Zimmerlings Gewürztraminer aus dem königlichen
Pillnitz – beileibe kein Leichtwein, sondern
voller rieslingartiger Beschwingtheit, trocken und
doch glück verheißend vor rosa Grapefruit, Rosen
und Hummersüße.
Im walisischen Hier und Heute bedeutet Wein
zum Hummer zwangsläufig Grey Slate, restsüßen
Riesling von Mosel-Master Ernst Loosen. Zugegeben,
die Sommelière in mir ist damit nicht ganz
glücklich – doch Wein muss ins Glas, signali siert
das bereits rotleuchtend lockende Krusten getier.
Da fällt mir ein Spitzenwinzer von der Nahe
ein, der vor Jahren in Berlin mit einer frisch vergorenen
Riesling- Beerenauslese auftauchte und
darauf bestand, den (an sich viel zu jungen) Wein
zum Hummercocktail einzuschenken. Doch er
wusste genau, was er tat: Süße und Frucht von Wein
und Cocktailsauce verbanden sich all meinen Vorbehalten
zum Trotz zu einem barocken Untergrund,
auf dem sich der Hummer förmlich sonnte.
Unkonventionell, unbeschwert – genau so sorgt
auch der Loosen-Riesling für einen letzten Urlaubsmoment
vollkommener Entspannung; im Verbund
mit der zitronigen Kremigkeit der Mayonnaise
eine ausgesprochen vergnügliche Ausweitung
von Theorie und Regeln. •
Foto: sxc.hu
... DAFÜR, DASS
GRILLEN VIEL
MEHR SEIN KANN
ALS KOCHEN!
BEEF! GRILLEN
260 Seiten | zahlr. Farbfotos | 22 x 28 cm
Hardcover | € 39,90 (D) | € 41,10 (A)
ISBN: 978-3-944628-61-5
Tre Torri Verlag GmbH, Sonnenberger Straße 43, 65191 Wiesbaden
10 FINE 2 | 2015 | EIN IN F EIN N EN
Die Wurzeln und die Träume
Eine Vorgeschichte des deutschen Küchenwunders Von Stefan Pegatzky Fotos Guido Bittner
Fünfundzwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung wird der Blick zurück in die alte
Bunde srepublik weich und versöhnlich. Zumal dort, wo sich diese Jahre als einzige
Erfolgsgeschichte lesen lassen. Beispielsweise beim Essen und Trinken: Hat doch das
angeblich so genuss- und sinnenfeindliche Deutschland seit den frühen 1970er Jahren
eine beispiellose kulinarische Entwicklung genommen. Heute leben wir in einer vitalen
Gourmet land schaft, in der zwischen weltweit anerkannten 3-Sterne-Küchen und trendigen
Street-Food- Märkten jeder Feinschmeckerwunsch erfüllt wird. Doch jede Geschichte
hat auch ihre Vorgeschichte.
Die Vierteljahreszeitschrift
»Der Feinschmecker«, die 1960
erstmals erschien, war ein Ableger
des französischen Magazins
»Cuisine et Vins de France«, was
sich in zahl reichen, ins Deutsche
über setzten Beiträgen und auch
auf dem Titelblatt niederschlug.
miert worden und in der Fassung seines Lehrbuchs
»Le Guide culinaire« zum gefeierten Standard der
Spitzen restaurants und Grand Hotels weltweit
geworden war. In Hamburg war Franz Pfordte in
seinem Restau rant der Botschafter einer radikal
Frankreich- orientierten Küche – zur Weltausstellung
1900 sorgte er im »Deutschen Restaurant«
selbst im verwöhnten Paris für Aufsehen.
Nachdem er in Hamburg das Hotel »Atlantic«
übernommen hatte, führte er 1909 als Erster in
Deutschland Escoffiers Postensystem ein, das die
Arbeitsbereiche der Köche klar festlegt und bis
heute das grundlegende Organisationsprinzip in
der Spitzengastronomie darstellt.
Aber auch von Berlin aus waren zu Beginn
des 20. Jahrhunderts Signale für die Geburt einer
deutschen Spitzenküche ausgegangen. Die Stadt
im märkischen Sand hatte, nachdem sie Hauptstadt
des deutschen Kaiserreichs geworden war,
in kürzes ter Zeit alles Altpreußische verloren. Das
frische Geld aus französischen Reparationen und
der Gründerzeitboom, dazu das neue Hauptstadtbewusstsein
– mit einem Mal war in Berlin eine
international konkurrenzfähige Restaurantszene
entstanden. Lorenz Adlon schuf 1907 ein Hotel
mit internationaler Strahlkraft – kulinarisch
beraten durch Auguste Escoffier. Sein berühmtes
Berliner Weinlokal »Hiller«, in dem nahezu der
gesamte deutsche Hochadel verkehrte, verkaufte er
1910 an den jungen Alfred Walterspiel, der zuvor
als Küchenchef an der Seite von Franz Pfordte im
Hamburger »Atlantic« sein Können gezeigt hatte.
1917 wurde das »Hiller« kriegsbedingt zum
»unzeitgemäßen Luxusbetrieb« erklärt und
geschlossen. Alfred Walterspiel entfloh Kriegsende
und Revolutionswirren ins nur wenig ruhigere
München. Hier hatte die französische Küche,
nicht zuletzt durch Theodor Hierneis, den legendären
Leibkoch von König Ludwig II., schon erste
Wurzeln geschlagen. Walterspiel gründete 1922
ein nach ihm benanntes Restaurant und übernahm
1926 gemeinsam mit seinem Bruder Otto
das Münchner Nobelhotel »Vier Jahreszeiten« –
beides Adressen, die bis zu Alfred Walterspiels Tod
1960 einen allerersten Ruf genossen.
Auch das rührige Pressewesen der wilhelminischen
Zeit hatte sich dieser Restaurant- und
Hotelblüte in Deutschland angenommen. Ab
1899 erschien in Frankfurt am Main das Magazin
»Kochkunst« (wenig später »Kochkunst und
Tafelwesen«, ab 1920 schlicht »Die Küche«),
eine »moderne illustrierte Halbmonatsschrift
für Hotels, Restaurationen und herrschaftliche
Haushaltungen«. In Hamburg gab der Kaufmann
Gemeinhin gilt 1971, das Jahr, in dem Eckart
Witzigmann als Küchenchef im Münchner
Restaurant »Tantris« anfing, als die Geburtsstunde
der deutschen Feinschmeckerküche. Dieser
Moment, so hat der Gourmetkritiker Wolfram
Siebeck einmal bemerkt, teilte die deutsche Nachkriegsküche
in ein ante und ein post Witzigmann.
Die Geschichte seit jenem Gründerjahr
wurde gern und viel erzählt, nicht zuletzt in den
Hochglanzmagazinen, die infolge der Konjunktur
einer deutschen Gourmetküche entstanden.
Und auch die Geschichte davor meinen wir gut
zu kennen: das harte Brot der frühen Jahre, das
den Eintopf- Sonntagen der Nazis folgte. Dann
die feisten Schweinebraten und der fette Speck
des Wirtschaftswunders, die kalte Party- und
Büffetküche der modernen, emanzipierten
Hausfrau und schließlich die Verlockungen der
Gastarbeiterküchen.
In den Jahren nach dem Krieg gab es tatsächlich
kaum so etwas wie eine nennenswerte Hochküche.
Dabei hatte es schon zu Beginn des Jahrhunderts
mit Hamburg, Berlin und München
kulinarische Zentren gegeben, die stark von der
französischen Haute Cuisine inspiriert waren. Die
war zu jener Zeit besonders aufregend, weil sie
durch den Meisterkoch Auguste Escoffier reforund
Verleger Heinrich Eisler, Spross einer jüdischungarischen
Familie mit K.u.K-Staatsangehörigkeit,
seit 1905 die Wochenzeitschrift »Küche und
Keller« heraus (ab 1922 »Deutsche Hotel-Nachrichten:
mit Küche und Keller«), die rasch zum
bedeutendsten gastronomischen Fachblatt aufstieg
– und noch heute als »Allgemeine Hotelund
Gaststättenzeitung« das offizielle Organ
des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes
(DEHOGA) ist.
Heinrich Eislers Sohn Georg trat früh in den
Verlag des Vaters ein und führte ihn nach
dessen Tod weiter. Nach 1914 wurde er ein enger
Freund des Staatsrechtlers Carl Schmitt, dem er
mehrfach finanziell half und Aufträge für die ebenfalls
im Eisler-Verlag erscheinende »Hamburger
Woche« gab. Während Schmitt als »Kronjurist
des Dritten Reiches« nach 1933 Karriere
machte, musste Georg Eisler über London nach
New York emigrieren, wo er verschiedene Verlage
gründete. Nach dem Krieg setzte er während
einiger längerer Aufenthalte in Hamburg seine
Wiedergut machungsansprüche durch und gründete
1955, noch von Amerika aus, die Fachverlag
GmbH zur Herausgabe von Fachzeitschriften und
Fachliteratur. Mit im Vorstand saß der sechsund-
12 13
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Innerhalb von zwölf Jahren hatte sich »Der Feinschmecker« allmählich von
seiner französischen Mutter »Cuisine et Vins de France« abgenabelt: Während
die ersten Hefte noch auf das Vorbild aus Frankreich verwiesen, kam die Ausgabe
vom Frühjahr 1964 schon ohne diesen Hinweis aus. Und im Februar 1972
präsentierte sich das Magazin – mit neuem Format, neuem Gesicht und neuem
Preis (aber ohne den bestimmten Artikel) – sehr modern und selbstbewusst.
und Brühwürfel verbrauchende mittlere Gastronomie«,
antwortete Arne Krüger resigniert, die
Mehrzahl der Leser hätte ihm bescheinigt, dass
das Niveau des Magazins »zu hoch« sei.
Tatsächlich war – so heimlich, still und leise die
französische Küchenkultur nach dem Krieg auch
wieder Einfluss bei deutschen Feinschmeckern
gewonnen hatte – von den Impulsen, die Frankreichs
Hochküche einst der deutschen Gastro nomie
verliehen hatte, Ende der sechziger Jahre nicht
mehr viel übriggeblieben. Den Flirt mit der internationalen
Haute Cuisine hatte schon das Dritte
Reich nachhaltig beendet. Die Nazis hatten – insbesondere
vegetarische – Selbst versorgung propagiert.
Die Hausmannskost war weltanschaulich
aufgeladen worden: kulinarische Finesse galt als
Dekadenz- und Entartungs phänomen. Nur zwölf
Jahre hatten Reichs nährstand, NS- Frauenschaft
und Deutsches Frauenwerk Zeit gehabt, diese Botschaft
in die Hirne der Deutschen zu trommeln.
Aber da sie zumeist auf fruchtbaren Boden fiel,
war die Wirkung umso dauerhafter. Der verlorene
Krieg hatte ein Übriges getan.
Natürlich gab es noch ein paar Leuchttürme,
wie den »Erbprinz« in Ettlingen, »Katzenbergers
Adler« in Rastatt oder, vielleicht zur
falschen Zeit am falschen Ort, das »Maître« von
Henri Levy in Berlin. Als Feinschmeckerlokale
galten im Wirtschaftswunderdeutschland aber vorzugsweise
Etablissements wie das »Humplmayr«
in München, in dem, wie sich der Stuttgarter
Koch Vincent Klink erinnerte, jeden Abend
dreißig bretonische Hummer zu Cocktail »verhackt«
wurden, oder das »Ritz« in Berlin, das den
Begriff Spezialitäten restaurant auf die Spitze trieb,
indem es Klapperschlangen in Lehm und Leguan-
Suppe auf die Speisekarte brachte. Das Gros der
deutschen Feinschmeckerrestaurants dieser Zeit
bot eine standardisierte und falsch verstandene
Schrumpfversion der französisch- internationalen
Hochküche.
Wie eine Revolution musste in diesem Moment
Eckart Witzigmanns Auftritt wirken, der ab 1971
im Münchner »Tantris« die französische Küche
nach Deutschland brachte – in Perfektion und in
all der Konsequenz, die er bei seinen Lehr meistern
Paul Haeberlin und Paul Bocuse gelernt hatte.
Nicht zuletzt, weil diese Küche schon infiziert war
von den Prinzipien, die 1973 nach dem Manifest
der Journalisten Henri Gault und Christian Millau
die Gastronomie erschüttern sollten: der Nouvelle
Cuisine. Eine Küche, die gegen die Routine gewordene
Grande Cuisine revoltierte, wie sie Auguste
Escoffier noch vor der Jahrhundert wende sozusagen
in Stein gemeißelt hatte, und wie sie nach
dem Krieg auch in Frankreich zum Luxus- Inventar
der Bourgeoisie wurde, gegen die nicht nur die
Studen ten rebellierten.
Es gab in Deutschland zunächst nur wenige,
die den Beginn der Ära Witzigmann und einiger
anderer gleichgesinnter Köche wie Otto Koch und
Dieter Müller richtig einordnen konnten. Deren
Revolution war elitär, gewiss, und doch nicht
weniger radikal als die der Studenten. Auch sie
ver trieben den »Muff von tausend Jahren«, reinigten
die Küche von falsch verstandenen Traditionen
und sinnlosen Ritualen. Zu dem Zeitpunkt,
als die klassische deutsche Küche ihren
schlimmsten Tiefpunkt erreicht hatte, leitete
Eckart Witzigmann das deutsche Küchenwunder
ein, indem er in München seine eigene Nouvelle
Cuisine zele brierte – radikal modern und radikal
französisch.
Tatsächlich erlebte die von der Nouvelle Cuisine
wachgeküsste und durch Eckart Witzigmann
so brillant vertretene Frankreich-orientierte
Gourmet küche im Deutschland der siebziger Jahre
eine enorme Erfolgsgeschichte. Sie spiegelte sich
wider in dem nach fünfzigjähriger Unter brechung
seit 1964 in Deutschland wieder publizierten
»Guide Michelin«, der dann von 1966 an auch
an Restaurants in Deutschland seine berühmten
Sterne vergab. Bis 1969 war die Zahl der deutschen
Restaurants mit einem Stern auf einhundertsechsundachtzig
gestiegen, doch erst 1974 kamen die
ersten sieben Zwei-Sterne-Restaurants hinzu, und
1980 erhielt Eckart Witzigmann in seinem neuen
eigenen Restaurant »Aubergine« in München als
Erster den dritten Stern.
Um 1972 professionalisierte sich die deutsche
Restaurantkritik, und große Verlagshäuser
begannen, sich für das einstmalige
Nischenthema zu interessieren. In Hamburg war
der Verleger Kurt Ganske auf Arne Krüger und
seinen »Feinschmecker« aufmerksam ge worden,
der mittlerweile in Krügers Eigenverlag und trotz
mehrerer grafischer Überarbeitungen immer
noch mit einer nur vierstelligen Auflage dahindümpelte.
Aber Krüger hatte bei anderen Projekten
ein deutlich geschickteres Händchen
gehabt. Sein Kompen dium »Spezialitäten der
Welt« wurde 1967 als erstes deutsches Kochbuch
ins Französische übersetzt. Für den Verlag
Gräfe und Unzer (GU) hatte er im selben Jahr
begonnen, nach japanischem Vorbild abwaschbare
Koch karten zu produzieren, zu denen der
Fotograf Christian Teubner die Bilder beisteuerte.
GU verkaufte von diesen Karten päckchen im
Lauf der Jahre sieben Millio nen Exemplare – und
sorgte für ein mittleres Erdbeben im konservativen
Buchhandel, weil ein Großteil über den so genannten
nichtbuchhändlerischen Fachhandel verkauft
wurde: in Rosenthal-Studios, in WMF-Filialen
und im Hausrat- Fachhandel. Für eine regelrechte
Branchen krise sorgte 1973 »Kochen heute«, ein
zwanzigjährige Koch, Konditor und Hotelfachmann
Arne Krüger. 1960 gab dieser Verlag eine
neue vierteljährlich erscheinende Zeitschrift in
einer Auflage von sechstausend Exemplaren heraus,
ihr Titel: »Der Feinschmecker«.
Tatsächlich war das Heft nicht ganz so neu, wie
es den Anschein hatte. In großen Teilen übernahm
es das Layout und viele redaktionelle Beiträge
der französischen Zeitschrift »Cuisine et Vins de
France« in deutscher Übersetzung – was auf der
Titelseite und im Impressum deutlich vermerkt
war. Die »Cuisine et Vins de France« war erst
1947 gegründet worden – von den beiden dominantesten
Figuren der französischen Küche nach
dem Ersten Weltkrieg: Prosper Montagné, der sich
mit dem »Larousse Gastronomique« von 1938 ein
Denkmal geschaffen hatte, und Maurice- Edmond
Sailland, genannt Cournonsky, der »Prinz der
Gastronomen«, zu dem ihn drei tausend Kollegen
erwählt hatten, der Wegbereiter der modernen
Restaurantkritik und der Vater des »Guide
Michelin«. Noch heute ist »Cuisine et Vins de
France« die auflagenstärkste kulinarische Zeitschrift
Frankreichs. Nach Cournonskys Tod 1956
wurde Madeleine Decure Chefredakteurin, und
die deutschen Leser des »Feinschmecker« lernten
sie in vielen Artikeln und Koch rezepten – die mit
ihren Phasen fotos die Kochbuch innovationen des
Verlags Zabert & Sandmann in den 1990er Jahren
vorwegnehmen sollten – als große Meisterin der
Haute Cuisine kennen.
Im Übrigen las sich der »Feinschmecker« wie
das Begleitmaterial zu einem Volkshochschulkurs
für französische Küche und Lebensart. Unablässig
wurden die Reize der französischen Regionen
beschworen, die Vielfalt und Qualität der Weine
und Lebensmittel sowie die Raffinesse der authentischen
französischen Küche. Ganz seitig inserierten
Agrarverbände und Produzenten aus dem
Nachbarland – und selbst die Annoncen der
Pariser Feinschmeckerlokale waren dem Muttermagazin
entnommen. Was die »action culturelle«,
die Kulturarbeit der französischen Besatzungsmacht
nach 1945 zur demokratischen Erziehung
der Jugend und zukünftiger politischer Eliten war,
das war »Der Feinschmecker« auf dem Gebiet
der kulinarischen Erziehung für die junge Bundesrepublik.
Auf dem Feld der Gastro nomie aber
ging es nicht zuletzt um handfeste wirtschaftliche
Interessen. Für Frankreich waren die Agrarexporte
immerhin die wichtigste Säule des Außenhandels –
Staatspräsident Giscard d’Estaing prägte später
den Begriff vom »pétrole vert«, dem grünen Öl,
für die Agrargüter Frankreichs.
Aus diesem Grund schuf die Grande Nation
1961 die Sopexa, die Gesellschaft für den Export
von Agrargütern und Lebensmitteln. Mit zahlreichen
Marketinginstrumenten sollte sie in wichtigen
ausländischen Märkten den Verkauf französischer
Waren ankurbeln. Und da Deutschland
hierfür Exportpartner Nummer eins geworden war,
wurden die Anstrengungen hierzulande – seit 1962
von Düsseldorf aus, dem ersten Auslandsbüro der
Sopexa, sowie von verschiedenen Zweig stellen –
besonders nachhaltig betrieben. Kein Wunder,
dass die Agentur auch im »Feinschmecker« an
vielen Stellen auftaucht, bei Berichten über Messen
und Verkaufsaktionen und nicht zuletzt als Lieferant
von Bildmaterial.
Dennoch begann sich das Magazin allmählich
von seiner französischen Mutter abzunabeln. Aber
anstatt ein eigenes Profil zu entwickeln, wurde
es vor allem ein Publikationsforum für Küchengeräte
hersteller und die Nahrungsmittel industrie.
Auf die Beschwerde eines Lesers, der 1969 den Eindruck
gewonnen hatte, »Der Feinschmecker«
schreibe »für eine Tiefkühlkost, Konserven
Durch die zahl reichen, mit
Phasenfotos unterlegten
Rezepte von »Cuisine«-
Chefredakteurin Madeleine
Decure konnten die Leser
des Magazins »Der
Feinschmecker« viel lernen.
Willkommenen Rat gab es
auch für die zweck mäßige
Einrichtung der häus lichen
Küche und den liebevoll
gedeckten Tisch.
14 15
FINE 2 | 2015 | EIN IN F EIN N EN EIN IN F EIN N EN | FINE 2 | 2015
Standardwerke der zeitgemäßen Küche versammelt der Tre Torri Verlag in Zusammen arbeit
mit der Süddeutschen Zeitung in seiner neuen Gourmet Edition. Druckfrisch sind die »Deutsche
Küche 2.0« und »Das Beste vom Schwein«, während »Die Küchenbibel« schon seit ein paar
Wochen auf dem Markt ist. Bücher zu weiteren Themen werden in dieser Reihe folgen.
Kochbuch von Arne Krüger, das im Bundle mit
einer Packung Kaffee bei Tchibo verkauft wurde
und eine Auflage von insgesamt wohl über einer
Million Exemplaren erreichte.
Gründe genug für Kurt Ganske, dessen Verlag
mit Lesezirkelausgaben groß geworden war, sich
den »Feinschmecker« genauer anzusehen. Der
Verleger beauftragte seinen früheren Assistenten
Jochen Karsten mit einem Neu konzept der Zeitschrift,
das schließlich, nach erheb lichem Widerstand
des Managements seiner Verlagsgruppe,
von Ganske abgenickt wurde. Im September 1975
erschien das erste Heft des neuen »Feinschmecker«
in einer Auflage von hunderttausend Exemplaren
– mit Arne Krüger als Heraus geber und
Jochen Karsten als Chef redakteur. In diesem Jahr
feiert »Der Feinschmecker« seinen vierzigsten
Geburtstag. Wohl niemand in Hamburg hat noch
eine Erinnerung daran, dass es eigentlich sein fünfundfünzigster
ist.
Das Jahr 1975 war tatsächlich ein perfekter
Moment. Georg Eisler und Arne Krüger
waren dagegen eindeutig zu früh gekommen. Es
hatte einer Initialzündung bedurft, wie das Wirken
Eckart Witzigmanns, um die Feinschmeckerküche
in Deutschland wirklich dauerhaft heimisch zu
machen. 1960 war es der Versuch des Emigranten
Georg Eisler gewesen, an die verlegerischen Erfolge
vor dem Krieg anzuknüpfen, und der Traum des
begabten jungen Arne Krüger von der Erziehung
der Deutschen zu Feinschmeckern mit Hilfe der
Presse. Trotz der Strahlkraft des französischen
Vorbilds (und seiner geballten Marketingmacht)
war das nicht ausreichend. Es brauchte die sinnliche
Evidenz, einen Koch, der Abend für Abend
kulinarische Sensationen schuf, auch wenn die
zunächst nicht gleich verstanden wurden. Erst als
an immer mehr Orten in Deutschland Köche mit
ihren Gerichten das Versprechen auf der Zunge
einlösten, das die Magazine und Zeitungen wortreich
verkündeten, konnte ein Heft wie »Der Feinschmecker«
erfolgreich sein.
Tatsächlich entwickelte sich innerhalb weniger
Jahre um das Phänomen einer neuen deutschen
Gourmetküche ein ganzes »Ökosystem«.
Logistik- Dienstleister wie der »Rungis express«
versorgten Profis und engagierte Amateurköche
mit taufrischen Spezialitäten vom Pariser Großmarkt,
die Food-Fotografie in Deutschland wurde
zu einer der besten ihrer Art weltweit. Zudem
erwachte Mitte der siebziger Jahre wieder ein
neues Interesse an genuin deutscher Küche. Das
lag nicht zuletzt daran, dass gerade in Deutschland
die Nouvelle Cuisine in einer Sackgasse zu
enden drohte. Mangels ausreichenden kulturellen
Vor verständnisses war sie hierzulande häufig völlig
einseitig rezipiert worden: Ungegartes Gemüse,
»originelle«, aber kulinarisch sinnfreie Produktzusammen
stellungen, Miniatur-Portionen und
überhöhte Preise sorgten bald für Unmut bei
Gästen und Medien. Während die wahren Meister
ungerührt immer neue Höhepunkte erkochten,
ohne sich in eine Schublade stecken zu lassen,
verkam die Nouvelle Cuisine zur Karikatur.
So schwang das Pendel zurück, und nachdem
einige Sterneköche damit begonnen hatten,
deutsche Klassiker in A-la-minute-Zubereitungen
neu erstehen zu lassen, rief der Gastronomiekritiker
Klaus Besser 1977 bereits eine »Neue
Deutsche Küche« aus: »verfeinert, leichter
gemacht, veredelt, stilisiert«. Das war seinerzeit
noch ein wenig zu früh, aber tatsächlich sollte sich
diese Tendenz fortsetzen. In den achtziger Jahren
aber hatte die deutsche Küche zunächst mit einem
anderen Megatrend zu kämpfen, der sich nicht
zuletzt am Kochbuchmarkt in Millionen auflagen
niederschlug: der italienischen Küche. Die war
längst nicht mehr die der Gastarbeiter. Statt
Pizza, Lasagne und Stracciatella waren Ossobuco
milanese und Coniglio in porchetta angesagt. Das
war nicht mehr nur einfaches Essen und Trinken,
sondern ein ganzes Lebensgefühl, eine Art germanisches
Dolce Vita. Deutschland, so schien es,
hatte bei Cappuccino, Caprese und Prosecco die
Nachkriegszeit endgültig überwunden. Der amerikanische
Schriftsteller Adam Gopnik hatte für
sein Land, in dem sich damals der Paradigmenwechsel
von Frankreich zu Italien ebenfalls ereignete,
die Erklärung parat: »because it is easy Old
World«. Präziser könnte man es auch für Deutschland
nicht ausdrücken.
Doch in den achtziger Jahren regte sich auch
das Interesse an einem neuen Regionalismus,
einerseits als Folge einer grün unterfütterten Bio-
Bewegung, andererseits durch das politische Konzept
eines »Europas der Regionen«. Dadurch
richtete man auch in Deutschland, insbesondere
nach dem Mauerfall und der Wiederentdeckung
der fünf neuen Länder, den Blick zurück auf die
Vielfalt der eigenen regionalen Küchen und ihrer
Geschichte. Große Kraft erhielt dieser Gedanke
vor allem dann, wenn der Akzent auf regionale
Produkte gelegt wurde. Denn über die Vorzüge der
traditionellen Küche ließ sich streiten, aber über
die herausragende Qualität vieler regionaler Produkte
war man sich einig.
Die deutsche Gourmetküche, die mit Witzigmann
ihren Ausgang genommen hatte, blieb
trotz festgefügter französischer Basis von all dem
nicht unberührt. Von 1971 bis heute gab es viele
Einflüsse und Herausforderungen stilistischer und
kochtechnischer Art. Die Kenntnis der authentischen
Hoch- und Regionalküchen anderer
Länder sowie ihrer Produkte bereicherte die deutsche
Gourmetszene. Das Wissen um molekulare
Zusammenhänge beim Kochen und neue Küchengeräte
haben die Grenzen des Mach baren in bisher
unbekannte Regionen verschoben. Und auch
klassische Zubereitungsarten wie das Schmoren
oder das Fermentieren entwickelten in neuen
Zusammen hängen ungeahnte kulinarische Kraft.
Mittlerweile ist die deutsche Feinschmeckerszene
international eine der lebendigsten, die Zahl der
mit drei Michelin- Sternen dekorierten Köche ist
im Sommer 2015 nach Japan, Frankreich und den
Vereinigten Staaten die vierthöchste in der Welt.
Es ist wahrhaftig ein deutsches Küchenwunder.
Unbeantwortet ist freilich die Frage nach dem
Deutschen in der deutschen Gourmetküche. Seit
Ende des 19. Jahrhunderts hatte sie sich durch ihren
Bezug auf die französische Haute Cuisine definiert.
Anders als die Hochküchen Italiens oder
Japans, von den neuen Küchen Nordeuropas ganz
zu schweigen, hat sie ihre nationalen Wurzeln
fast ganz abgeschnitten. So handwerklich perfekt
die deutsche Spitzenküche heute auch ist, es
scheint ihr etwas zu fehlen. Manche nennen es
neudeutsch: »ein Narrativ«. Andere: »Seele« –
oder »Heimat«.
Deshalb ist 2015 die »SZ Gourmet Edition«
im Tre Torri Verlag an den Start gegangen. Sie
will alle Ebenen des deutschen Küchenwunders
ausleuchten, seine rustikale regionale Seite und
seine vibrierende urbane. Sein Fremdes und sein
Eigenes – das, was bleibt, und das, was sich wandelt.
Seine Vergangenheit und seine Zukunft, seine
Wurzeln und seine Träume. •
Die SZ Gourmet Edition ist erhältlich im guten
Buch handel oder zu bestellen bei:
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16 FINE 2 | 2015 | EIN IN F EIN N EN
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Micha Siebenhandl
Dienstleister
in Sachen
Wohlbefinden
Von Christian Neimöck
Fotos Guido Bittner
»Warum sollen nur die Frauen gut aussehen?«:
Micha Siebenhandl, Geschäftsführer seines
Unternehmens OTC7, ist von der Wirkungskraft
der von ihm vertriebenen Produkte überzeugt –
und scheint ihr bestes Testimonial zu sein.
Der weiße Boden ist auf Hochglanz poliert, der treibende
Beat aus der Musikanlage blendet die Außen geräusche
der Zwanzigtausend-Quadratmeter-Halle 3 der Messe
Düssel dorf aus. Diesen Stand werden wohl alle der rund achtundzwanzigtausend
Besucher in den vier Tagen der »expopharm
2015«, Europas größter pharmazeutischer Fachmesse,
be merken. Denn selten ist Weiß so auffällig wie hier.
Knapp zwei Dutzend komplett weiß gekleidete Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter von OTC Siebenhandl informieren,
beraten oder zapfen Getränke für die Gäste am Stand. Scheinbar
ohne Pause. Nur einer trägt kein Namensschild. Das ist
der Chef. Micha Siebenhandl. Immer mittendrin. »Wir sind
hier nicht der kleine Bauchladen, wir ge hören in dem, was
wir tun, zu den Top Vier in Deutschland, und das wollen
wir auch zeigen«, sagt der Zweiundvierzig jährige lachend
und nippt an seinem Wein, den er sich jetzt am fortgeschrittenen
Nachmittag nach einem längeren Kunden gespräch
gönnt. Von der Decke hängen durchsichtige Kugeln, die mit
Produkt neuheiten gefüllt sind, eingerahmt wird der Stand
von Vitrinen mit einer Auswahl der acht hundert rezeptfreien
Produkte, mit denen der Großhändler von Ulm und
München aus mehr als neuntausend Apotheken im deutschsprachigen
Raum beliefert. Neunzig Prozent davon sind nur
in Apo theken erhältlich. Ausgestellt sind hauptsächlich Vitalpräparate.
»Ich bin ein Vitamin-Fan«, verrät Siebenhandl
strahlend. »Ab vierzig füllen sich Ihre Vitamindepots nicht
mehr von allein auf. Und bei einem Vielflieger, wie ich es bin,
schon mal gar nicht.« Dreihundert Euro im Monat habe er
früher für Vitaminampullen zum Trinken ausgegeben. Das
Geld kann er sich jetzt sparen – Anfang des Jahres hat er
kurzerhand einen Anbieter dieser Produkte gekauft (»Der
gefiel mir so«). Und erst einmal alles geändert: das Logo,
die Farben, die gesamte Rezeptur. Als »Vitamins to Go«
werden die Produkte von Panta rhei (griechisch für »alles
fließt«) nun beworben. Verkauft werden sie in Wochenpacks.
»Diese Fünfundzwanzig-Milliliter-Fläschchen können Sie
auch problem los mit in den Flieger nehmen«, sagt Micha
Siebenhandl. »Da trinken Sie morgens und abends eins und
haben nach einer Woche ein viel, viel besseres Gefühl. Weil
Ihr Vitaminhaushalt wieder im Lot ist. Für eine nachhaltige
Wirkung sollten Sie das vier Wochen durchziehen.« Seine
Begeisterung lässt sich schwer anzweifeln, so drahtig und
strahlend, wie er vor einem steht, hellwach, obwohl er heute
schon unzählige Gespräche geführt hat.
Panta rhei ist eine von sieben Eigenmarken, die Micha
Sieben handl gewissermaßen nebenbei um- oder aufbaute, seit
er im Oktober 2014 die von seinem Vater Hans-Jürgen gegründete
Firma übernommen und völlig umgekrempelt hat. Dieselbe
Firma, von der er sich bewusst immer ferngehalten hatte:
»Mein Vater und ich waren uns in einem Punkt immer einig«,
erzählt Siebenhandl: »Er und ich in einem Raum, das geht
nicht, das ist für alle anderen Anwesenden zu viel Energie.« Um
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FINE 2 | 2015 | EIN IN F EIN N EN EIN IN F EIN N EN | FINE 2 | 2015
zu verhindern, dass ihre starken Egos aufeinander prallen, ging
der Sohn von Anfang an seinen eigenen Weg. Der führte ihn
in die Eyewear-Branche – auf deutsch: Er machte eine rasante
internationale Karriere in führen den Positionen bei verschiedenen
Brillenherstellern. Sechzehn Jahre war er bei Marchon,
davon sieben Jahre für die Calvin-Klein-Linie zuständig, bevor
er zu Rodenstock ging. Kurz nachdem Siebenhandl Junior
in die Textil branche gewechselt war, rief ihn der Senior an:
»Junge, ich hatte einen Herzinfarkt. Du musst über nehmen.«
Und er übernahm. Holte neue Leute. Tauschte das Apothekenrot
der Firmenfarbe gegen Weiß und Grün aus. Veränderte das
Sortiment. Nahm erstmals Nahrungs ergänzungs mittel auf:
»Unser Claim ist ›Delivering Health‹ – und ich sehe mich
als Dienstleister für den Verbraucher: Meine Aufgabe besteht
darin, ihm Gesundheit zu liefern.« Und das macht er mit nie
abebbender Begeisterung.
Trotzdem mischt Micha Siebenhandl auch in der Brillenbranche
weiter mit. Nicht nur, dass er mit »Lettori« eine
eigene Marke für Lese- und Sonnenbrillen in die Apo theken
gebracht hat: Mit »iviator« gründete er ein Unternehmen,
über dessen Website man sich seine individuelle Sonnenbrille
Rauchen (»zwei Schachteln Gauloises blau täglich«) aufgehört
hatte – normalerweise ein Garant für Gewichts zunahme.
»Und das Beste: Der Jojo-Effekt bleibt aus, weil ich seitdem
keine Kohlenhydrate zu mir nehme.«
Micha Siebenhandl hat offenbar, da lässt er keinen Zweifel
aufkommen, für jeden Bedarf das passende Mittel im Angebot.
Ob in Pulverform für Kaltgetränke in den verschiedensten
Geschmacksrichtungen (VitaElan), flüssig mit Koffein-
Zusatz in kleinen Fläschchen mit Saugventil- Verschluss
(ReLoad) oder als Kautablette mit Koffein und Eisen (Cafecito,
auch eine Siebenhandl-Eigenentwicklung), die speziell
(Berufs-)kraftfahrer ansprechen soll und pro Stück so viel
Koffein enthält wie vier Espressi.
Schon heute nimmt jeder dritte Deutsche Nahrungsergänzungsmittel
zu sich, um Ernährungsdefizite auszugleichen,
sich besser zu fühlen und die Leistungsfähigkeit
zu erhöhen. Gemessen am Umsatz werden die meisten
Nahrungs ergänzungsmittel in Apotheken verkauft. Vier der
sechs Milliarden Euro, die in diesem Bereich pro Jahr europaweit
umgesetzt werden, werden in Deutschland erwirtschaftet.
Grosse Weine von Mosel und Rheingau
»Ich komme mit dreieinhalb
Stunden
pro Nacht aus«: Der
bekennende Workaholic
Micha Siebenhandl hat
das Ver triebs unter nehmen
von seinem Vater übernommen
– und es von
Grund auf umgestaltet.
in der klassischen Pilotenform zusammenstellen kann. Wann
er das alles macht? Er halte sich an die bewährte Manager-
Regel, alles, was sich innerhalb von drei Minuten erledigen
lässt, sofort zu tun. Und: »Meine Leute sagen: Der ist irre,
der geht nie schlafen! ›Irre‹ stimmt, aber ich schlafe. Allerdings
komme ich mit dreieinhalb Stunden pro Nacht aus –
und schlafe auch mal ein Wochenende durch.« Das dürfte
jedoch selten der Fall sein, denn eigentlich reserviert der
Workaholic die Wochenenden für seine Frau und seine drei
Kinder – die sind vierundzwanzig, zweiundzwanzig und
elf Jahre alt. »Seit ich siebzehn war, bin ich am Arbeiten,
um meine Familie zu ernähren. Und es hat mir immer Spaß
gemacht.« Es gibt nur eins, was er fürchtet: »Wenn ich zwei
Wochen in Urlaub fahren müsste, würde ich wahrscheinlich
zusammenbrechen.«
Im Alltag setzt er auf die kleinen Panta-rhei-Ampullen in
den Versionen »Anti Stress« und »Beauty« (»Warum
sollen nur die Frauen gut aussehen?«, findet er) oder auch mal
»Herz-Kreislauf«. So überzeugt ist er von den »Vitamins to
Go«, dass er nun auch TV-Werbung schalten und Promi nente
von Lena Gercke bis Dieter Bohlen mit »Care- Paketen« versorgen
will. Dabei ist Micha Siebenhandl selbst eigentlich das
beste Testimonial für die von ihm vertriebenen Nahrungsergänzungsmittel.
Sechs Kilo habe er in kürzester Zeit mit
den Abnehmprodukten von Modifast verloren, schwärmt
er beim Messe-Rundgang, obwohl er da gerade mit dem
20 FINE 2 | 2015 | EIN IN F EIN N EN
Und ein Ende des Wachstums ist nicht abzusehen. Branchenkenner
sind überzeugt: Drei bis fünf Prozent jährlich sind bis
auf weiteres drin. Denn das Durchschnittsalter der Bevölkerung
steigt, und das Gesundheitsbewusstsein wächst. Da
bleibt es nicht aus, dass auch einige schwarze Schafe mit auf
die Weide drängen. Doch was nichts taugt, sei auch schnell
wieder weg vom Markt, weiß Micha Siebenhandl, »weil
der Kunde dann das Produkt nur einmal und nie wieder
kauft.« Denn typisch für die Käufer sei ein hohes Qualitätsund
Ernährungsbewusstsein. Sie suchen eine ganzheitliche
Nahrungs ergänzung für besondere Lebenssituationen oder
wollen grundsätzlich ihre Ernährung bereichern. Rechtlich
gelten Nahrungsergänzungsmittel als Lebensmittel und sind
nicht zulassungspflichtig wie etwa Medikamente. Die Anbieter
müssen sie allerdings beim Bundesamt für Verbraucherschutz
und Lebensmittelsicherheit registrieren lassen.
Für Micha Siebenhandl steht es jedenfalls außer Frage,
dass die zusätzlich aufgenommenen Vitalstoffe ihn leistungsfähiger
machen. Das Schöne sei doch, »dass unser Körper
ziemlich viel abkann. Die Eindrücke, die mein Sohn heute in
einer Stunde am iPad sammelt, hatte ich in seinem Alter nicht
in einem Monat. Aber damit der Körper immer mehr verarbeiten
kann, benötigt er eben auch immer mehr Nährstoffe.«
Und was sagt nun Siebenhandl Senior zu dem Wandel,
den die von ihm gegründete Firma in nur wenigen Monaten
durchlaufen hat? »Der ist total begeistert«, strahlt der Sohn.
Zwei Siebenhandls, eine Meinung. Geht doch. •
www.wegeler.com
Mit Perlhuhn
und Bachforelle
am Start
Alle zwei Jahre kämpfen vier undzwanzig
inter nationale Spitzen köche im französischen
Lyon um den begehrtesten Preis ihrer
Zunft: den Bocuse d’Or. Dieses Jahr hat
Christian Krüger aus Mannheim dort sein
Glück versucht.
Von Angelika Ricard-Wolf
Fotos Marco Grundt
Rechts oben auf der Tribüne schmettert der britische Fan-Block die Nationalhymne. Prompt stimmen die Franzosen, mit Kreissäge
behütet, die Marseillaise an. Worauf die Japaner mitgebrachte Holzlöffel im Stakkato gegeneinander schlagen. Was die Isländer animiert,
mit ihren Tröten lautstark dagegenzuhalten. Die Hörner auf ihren Wikingerhelmen flackern flankierend in schrillen Neonfarben.
Für Knalleffekte sorgen die Dänen. Mit Konfettikanonen, die winzige Flaggen in Landes farben ins Auditorium katapultieren.
Das Perlhuhn ist bei
Verwandlungs künstler
Christian Krüger
zum Riesen ei mutiert,
während der Kratzfuß
auf dem Teller ganz
vege tarisch aus einer
Peter silien farce besteht.
Es herrscht ausgelassene Wettkampfstimmung
in der Euroexpo-Messehalle in Lyon – bis eine
neue La-Ola-Welle alle Lager wieder zu einem
rhythmisch geschlossenen Publikum vereint. Wen
feuern die zweieinhalbtausend Zuschauer eigentlich
an? Wrestler, Boxer, Kicker? Nein, Köche!
Vierundzwanzig erfolgreiche Küchenchefs aus aller
Welt wetteifern bei einer Art Olympiade am Herd
um die höchste Auszeichnung: den Bocuse d’Or.
Christian Krüger ist einer von ihnen. Er führt
in Mannheim das Gourmetrestaurant Axt und
ist Sieger der deutschen Vorrunde. Der Vierunddreißigjährige
lässt sich vom Lärm auf der Tribüne
nicht aus der Ruhe bringen. Erstens ist seine
achtzig Schlemmer starke Gefolgschaft, angeführt
von Stammgast Jürgen, bisher nicht in der Halle,
sondern noch unterwegs. Zweitens findet er die
Geräuschkulisse eher an-, als abtörnend. »Es hilft,
das Fähnchen schwenkende Publikum zu sehen,
wenn man mal kurz hochschaut.«
Ja, wenn! Tut er aber nicht. Vier tiefe Querfalten
auf der Stirn markieren die Konzentration,
mit der er bei jedem Handgriff auf sein kulinarisches
Gesamtkunstwerk fokussiert ist. Wie seine
Mitstreiter muss er aus Perlhuhn und Bachforelle
so überraschende Köstlich keiten zubereiten, dass
Auge und Gaumen der internationalen Fachjury
22 23
FINE 2 | 2015 | EIN IN F EIN N EN EIN IN F EIN N EN | FINE 2 | 2015
Hochkonzentriert ist Christian Krüger bei der Arbeit, während Starköchin
Lea Linster, die einzige Frau, die je den Bocuse d’Or in Gold gewann, heute
den Zaungast gibt. Axel Hluchy, Vorsitzender der Geschäftsführung von Metro
Cash&Carry Deutschland, das die Teilnahme des Mannheimer Spitzenkochs
gesponsert hat, ist stolz auf die Leistung von Christian Krüger, seinem Coach
Ludwig Heer und Commis Christian Döhner. Nach getaner Arbeit herrscht
ausgelassene Stimmung bei der Gala mit akrobatischem Rahmenprogramm.
dahinschmelzen. Denn hier vergeben vierundzwanzig
kulinarisch verwöhnte Elite-Köche, deren
Sterne die Milchstraße am Gourmethimmel kennzeichnen,
die Punkte.
Gerade schnitzt Christian Krüger die Kanten
täuschend echt aussehender Kratzfüßchen
nach, die er aus einer Farce von Petersilien wurzelcreme
modelliert hat. In Silikonförmchen, die nach
dem Originalabdruck eines echten Federvieh-
Fußes ent standen sind. Nie zuvor hatte Perlhuhn,
das auf dem Präsentier teller den Fleischgang gibt,
gleichzeitig einen veritablen vegetarischen Auftritt!
Ent sprechend beeindruckt steht die Mehrzahl
der Jurymitglieder vor Krügers Box. Möglichst
unauffällig nesteln sie unter dem blitzsauberen
weißen Kochhabit ihr Handys hervor. Ein Foto
als Gedächtnisstütze für mögliche Varianten in
der eigenen Küche – warum auch nicht? Was die
Formel Eins für die Autoindustrie oder die Haute
Couture für die Mode, das ist diese Veranstaltung
für die Kochkunst: Teststrecke und Ideenbörse für
innovative Kreationen.
Das beeindruckt auch Messebesucher Tim
Mälzer, der Kochen als »Leidenschaft und nicht
als Wett bewerb« versteht. Er grinst und legt nach:
»Aber wenn alle so denken wie ich, würden wir nur
Bratkartoffeln und Frikadellen essen.«
Da ist mit illustren Kompositionen – rauchende
Bouillon an Yoghurt und Wachtel ei – der Bocuse
d’Or vor. Der Oscar der Geschmacks verfeinerung
wird in Gold, Silber und Bronze ver geben. Er ist
mit 20 000 Euro für den Sieger sowie mit 15 000
und 10 000 Euro für die Plätze zwei und drei
dotiert. Dazu wird die begehrte Statuette überreicht,
die in Größe und Glanz der Hollywoodtrophäe
ähnelt. Allerdings trägt die Küchenversion
Schürze und Toque – und deutlich die markanten
Züge ihres Namensgebers Paul Bocuse.
Der legendäre französische Meisterkoch verfolgt
den von ihm 1987 initiierten Wettbewerb
erstmals von zu Hause aus. Er ist immerhin
neunundachtzig Jahre alt. »Ich glaube, mein
Vater hätte sich nie vorstellen können, welche
Dimension dieser Wettbewerb einmal annehmen
würde«, sagt sein Sohn Jérôme mit Blick auf die
Ränge, »hier geht es doch zu wie bei einem Fußballspiel«.
Bocuse junior, sechsundvierzig, ebenfalls
Koch (er führt das »Les Chefs de France« im
Walt Disney World Resort in Florida), ist dieses
Jahr Ehrenvorsitzender (ohne Stimmrecht) der
Jury. Statt des Papas.
Dem entgeht trotzdem nichts. Das Kochspektakel
wird, von zwei Moderatoren wortreich
kommentiert, im Mutterland der Feinschmecker
live im Fernsehen übertragen. »Mein Vater fiebert
am Bildschirm mit«, erzählt Jérôme Bocuse. Hatte
er selbst nie Ambi tionen, hier mal anzutreten?
»Nein«, sagt er und lacht, »das ist mir viel zu
schwer.«
Wohl wahr. Es ist echte Knochenarbeit, die den
Kandi daten abverlangt wird. Technisch – beim
Entbeinen des in Gänze gelieferten, aber immerhin
schon gerupften Perlhuhns. Und körperlich.
In nur fünf Stunden und fünfunddreißig Minuten
müssen Fleisch- und Fischgang samt diverser Beilagen
zu optisch ansprechenden und geschmacklich
überzeugenden Finessen verarbeitet werden.
Auf engstem Raum, in einer achtzehn Quadratmeter
großen Küchenbox. Ein Dutzend dieser
Miniküchen steht nebeneinander auf der Schaubühne
im Veranstaltungssaal. So können pro Wettkampftag
jeweils zwölf Teams gleichzeitig antreten.
Jede Mannschaft besteht aus dem Kandidaten,
seinem Commis, der höchstens zweiundzwanzig
Jahre alt sein darf, und einer Spülkraft, die für den
Kreislauf stets sauberer Gerätschaften im Hintergrund
runzlige Finger kriegt. Der vierte Mann
steht als Coach vor der Box. Er hat eine Batterie
Stopp uhren vor sich, mit deren Hilfe er die Einhaltung
des Ablaufplans kontrolliert.
Christian Krüger steigt am zweiten Tag in
die Koch arena. Fünfmal hat er seine Versionen
von Fleisch- und Fischgang daheim zur
Probe gekocht. Unter Wettbewerbsbedingungen!
Dafür hatte ihm Metro Cash & Carry Deutschland
im Mann heimer Markt eine Kitchenette
aufbauen lassen, die exakt wie die in Lyon ausgestattet
war. »Unser Ziel ist es, andere erfolgreich
zu machen«, begründet Olaf Koch, Vorstandsvorsitzender
des Handelskonzerns, das Engagement.
In Frankreich unterstützt das Unternehmen
schon länger Spitzen köche und auch den
Bocuse d’Or, der im Rahmen der Gastronomie-
Fachmesse SIRHA stattfindet. Ein Projekt, dem
sich Metro Deutschland angeschlossen hat. »Wir
streben eine engere Zusammenarbeit mit renommierten
Köchen an, um über sie für die nachhaltige
Qualität und Frische des Sortiments zu werben«,
sagt Axel Hluchy, Vorsitzender der deutschen
Geschäfts führung, die Christian Krüger sponsert.
Im perfekt sortierten Frischemarkt, den der
Konzern zu Schauzwecken auf der Ausstellung eingerichtet
hat, decken sich die Finalisten mit allen
Zutaten ein, die sie für ihre Menüvarianten benötigen.
Was sie »einkaufen«, wird notiert, in Kisten
verplombt, kühl gelagert und erst am Prüfungs tag
an die Teams ausgegeben. Der Countdown startet
morgens um acht Uhr. Im Abstand von zehn Minuten
treten die Teams an.
Fünf Stunden später, Punkt ein Uhr, wird
der Jury der erste Fischgang kredenzt. Auf Kommando
werden die Cloches gelüpft – und zwölf
Nasen senken sich Richtung Teller. Erst schnuppern,
dann probieren, lautet die Devise der Jury,
die an zwei langen Tafeln à zwölf Mann auf dem
Podium residiert. Ein Anblick, der an Leonardo
da Vincis »Abendmahl« erinnert. Zehn Minuten
bleiben den Verkostern, sich ein Urteil zu bilden,
dann wird der nächste Teller aufgetragen.
Vor dem ersten Bissen haben die Edel tester
gelost, wer an den beiden Tagen Fisch, wer Fleisch
benotet. »Jeder freut sich, wenn er ein Fischlos
zieht«, verrät der deutsche Meister koch Patrik
Jaros. »Die Gerichte sind leichter – was bei zwölf
Variationen pro Tag einfach angenehmer ist.«
1995 gewann er eine der drei bronzenen Trophäen,
die insgesamt an Deutschland gingen. Heute ist
er Juror und im Glück, da auf der Fischseite.
Luxemburgs Starköchin Lea Linster, die einzige
Frau, die je einen Bocuse und dann noch
den in Gold gewann, ist dagegen nur Zaungast.
Das mit klein gehackten Pilzen panierte Riesenei,
zu dem Christian Krügers Perlhuhn mutiert ist,
gefällt ihr sehr. »So etwas könnte ich auch mal in
meinem Restaurant anbieten«, meint sie. »Eine
gute Arbeit, ich drücke ihm die Daumen.«
Vergebens. Finnland wird Dritter, das Team
aus den Vereinigten Staaten Zweiter, Ørjan
Johannessen aus Norwegen gewinnt. Aber der,
so geht das Gerücht, habe vorher auch geübt wie
kein Zweiter und jeden Gang angeblich dreiundsechzig
Mal probe weise gekocht. Da könne ja
nichts mehr schiefgehen.
»Die ersten drei Plätze sind gerechtfertigt«,
gibt Christian Krüger neidlos zu. Er und seine
Mit streiter Christian Döhner (Commis) und
Ludwig Heer (Coach) hatten gehofft, unter die
ersten Zehn zu kommen. Das hat nicht ganz
geklappt. »Platz elf ist mir doch zu blöd«, sagt
der Mannheimer. Es muss ja nicht sein letzter Versuch
gewesen sein. Und dann gehen die Drei erst
mal was essen. Kochen macht hungrig. •
24 25
FINE 2 | 2015 | EIN IN F EIN N EN EIN IN F EIN N EN | FINE 2 | 2015
Tenuta Luce della Vite
Die dunkle Sonne von Montalcino
Zwanzig Jahrgänge Luce:
Das am Anfang nicht
unumstrittene kalifornischtoskanische
Wein projekt
hat ganz eigene Wurzeln
geschlagen und ist in der
Liga der grossen Weine
Italiens angekommen
Von Till Ehrlich
Fotos Thilo Weimar
Alles ist rund. An einem kalten Donnerstagabend
im März steht Marchese Lamberto Frescobaldi in
der ehemaligen Kirche San Carpoforo im historischen
Zentrum von Mailand vor einem runden
Tisch. Im Kreis sind zwanzig Magnumflaschen aufgestellt: zwanzig
Jahrgänge des toskanischen Spitzenweins Luce aus Montalcino.
Gefeiert wird das runde Jubiläum des Weins. Vor zwanzig Jahren,
1995, wurde der erste Jahrgang, der 1993er Luce, präsentiert. Der
Tisch steht dort, wo sich früher der Altar des Gotteshauses befand.
Lamberto Frescobaldi spricht mit ruhiger Stimme über die Weine.
Er redet vor einem exklusiven, weit angereisten Publikum von
Wein liebhabern und inter nationalen Weinexperten. Unter ihnen
sind auch der kali fornische Weinunternehmer Michael Mondavi
und seine Frau Isabel, die mit ihrer Anwesenheit ihrer Ver bundenheit
mit diesem Wein und der Familie Frescobaldi Ausdruck verleihen
möchten. Lamberto Frescobaldi findet den angemessenen
Ton, Erinnerungen an zwanzig sehr unterschiedliche Jahre ziehen
herauf. Er berichtet von Regen, Sonne, Trocken heit und Kälte im
Weinberg, die den Inhalt jeder der zwanzig Flaschen unterschiedlich
geprägt haben. Lamberto Frescobaldi spricht über die Weine,
wie man über Menschen spricht, die einem sehr nahe sind und für
die man alles tut, damit aus ihnen etwas wird.
Drei Monate später führt uns der Weg zum
Luce in den lichtdurchfluteten Süden
der Toskana, ins Herz des Nationalparks
Val d’Orcia im Montalcino – diese Landschaft
gehört heute zum UNESCO Kulturerbe. Hier,
süd westlich der mittelalterlichen Stadt Montalcino,
befindet sich die Tenuta Luce della Vite, die
sich unmittelbar an die Tenuta di Castel giocondo
der Familie Frescobaldi anschließt. Momentan
nutzt die Tenuta Luce noch die Kelle rei von
Castel giocondo. Ein eigener Keller ist lang fristig
geplant. Die Frescobaldi nehmen ihre Investitionen
sorgfältig vor. Die Weinberge der Tenuta Luce
umfassen siebenundsiebzig Hektar, in denen
Merlot und Sangiovese wachsen. Zwischen 1997
und 2007 wurde immens in die Weinberge investiert,
die mit hochwertigen Rebstöcken erneuert
wurden. Die Lagen der Tenuta sind ein gebettet
in die wilde Schönheit der Macchia, des mediterranen
Gebüschs zwischen den Weinbergen.
Vom Horizont hebt sich dunkel die Silhou ette
des Monte Amiata ab: ein erloschener Vulkan
der mit seinen mehr als eintausendsiebenhundert
Metern die Luce Weinberge vor starken Unwettern
schützt. Das Thyrrenische Meer ist knapp vierzig
Kilo meter entfernt, man kann es riechen, wenn
der Wind günstig ist; dann streicheln die salzigen
Meeres brisen die Reben des Luce. Der besteht in
der Regel etwa zu gleichen Teilen aus Merlot und
Sangiovese und reift zwei Jahre in Barriques.
Zwei Weinkulturen
Luce war das erste Projekt Italiens, bei dem ein
toskanisches und ein kalifornisches Weinbauunternehmen
zusammenkamen. Es war
von der Freude getragen, zwei unterschiedliche
Weinkulturen miteinander in Austausch zu bringen.
Das Fundament dieser Zusammenarbeit beruhte
auf der persönlichen Freundschaft zwischen
Vittorio Frescobaldi (geboren 1928), dem damaligen
Präsidenten des Florentiner Hauses Marchesi
de’ Frescobaldi, und der amerikanischen Weinbau-Ikone
Robert Mondavi (1913 bis 2008), die
von Respekt und Wertschätzung getragen war. Aus
ihr entwickelte sich zu Beginn der 1990er Jahre das
26 27
FINE 2 | 2015 | EIN IN F EIN N EN EIN IN F EIN N EN | FINE 2 | 2015
Innovation
»Weil
Die Champagne ist in Bewegung. Spätestens
seit der Jahrtausendwende gärt es in der Region,
die jahrhunderte lang als Inbegriff der französischen
Klassik galt. Neue Wege der Herstellung,
sich wandelnde Konsumenten gewohnheiten
und ein ver ändertes Geschmacksbild haben
alte Weis heiten infrage gestellt. Mit behutsamen
Modernisierungen und radikalen
Produktinnovationen versuchen die großen
Häuser, auf die Herausforderungen zu reagieren.
Nun hat Moët & Chandon, Markt führer
und Grande Maison der Region, die neue,
äußerst limitierte Spitzen-Cuvée MCIII in
Paris vorgestellt.
Fotos: Moët & Chandon
das
Herz
Stéphane Baschiera stutzt nur für einen Augenblick.
Denn die Antwort liegt doch scheinbar
auf der Hand. Inwiefern der MCIII die Seele von
Moët & Chandon verkörpere? »Weil Inno vation das
Herz des Hauses ist!« Dem fein sinnigen Präsidenten und
CEO von Moët & Chandon ist anzumerken, wie sehr er sich
mit seinem Produkt identifiziert. Für ihn ist der MCIII der
Champagner für das dritte Jahrtausend. Denn er reflektiert
eine Zeit, in der alles infrage gestellt wird und in der sich
die Dinge in unglaublicher Geschwindigkeit ändern. Und
vor allem: in der es, wie er sagt, »nicht mehr nur die eine
Wahrheit gibt«. Stéphane Baschiera lächelt, als er an diesem
Morgen in einer Pariser Hotelsuite den Satz ausspricht, und
es macht nicht den Eindruck, als ob er darüber sonderlich
betrübt wäre.
Dabei beruhte das Geschäftsmodell aller großen Champagnerhäuser
lange Zeit vor allem darauf: auf der einen
Wahrheit, oder besser gesagt: ihrer eigenen – dem Style de la
Maison. Dieser nahezu sakro sankte Stil eines Hauses drückte
vor allem dem wichtigsten Produkt der großen Champagnerhäuser,
den Standardcuvées oder Bruts sans année (Brut ohne
Jahrgang, BSA), seinen Stempel auf. Wenn man sich vergegenwärtigt,
dass etwa fünfund neunzig Prozent der Champagnererzeugung
aus solchen BSAs besteht, erkennt man die Reichweite
dieser Grundidee. Zumal die restlichen fünf Prozent, die
als Jahrgangschampagner abgefüllt werden, häufig lediglich
als eine Art Super-BSA des Hauses interpretiert wurden, wie
es der Journalist Bernard Burtschy einmal im Figaro formuliert
hatte: intensiver und etwas fokussierter, aber auch ohne
besondere Eigenart.
Erreicht wurde diese Einheitlichkeit durch die Kunst der
Assemblage. Anders als es der Mythos der Méthode champenoise
will − also der (zweiten) Gärung der Weine in der
Flasche –, ist diese Kunst wohl tatsächlich von Dom Pérignon
erfunden worden. Der Benediktinermönch hatte zu Beginn
des 18. Jahrhunderts entdeckt, dass die Flaschen gärung aus
Weinen verschiedener Jahrgänge, Trauben und Lagen bessere
Resultate zeitigte als die von unverschnittenen Weinen. Die
Assemblage eliminiert die Schwächen der Einzelbestandteile
und erzeugt ein Produkt von Harmonie und Balance. Auf
jeden Fall entsteht ein Wein, der größer ist als die Summe
seiner Teile.
Diese Art der Weinerzeugung stand etwa der traditionellen
Auffassung in den deutschen Weinanbaugebieten
diametral entgegen. Hier lag die
Reinheit, insbesondere die Reb sortenreinheit
des Weins, immer im ideellen Zentrum. Wein war wiederauferstandene
Natur (»die Traube muss sterben, damit der Wein
zum Leben erweckt werden kann«, wie Stuart Pigott einmal
zitiert hat), und der Winzer war gemäß dieser Idee mehr oder
weniger nur die Hebamme. In der Champagne (aber auch
in Regionen wie dem Bordelais oder der Rhône) sucht der
Winzer da gegen eine Balance, von der er annimmt, dass sie
in der Natur unmittelbar nicht gegeben ist. Er begreift die
Trauben in ihrer Komplemen tarität, nicht als Wert an sich.
des Hauses ist!«
Von Stefan Pegatzky
Der Kellermeister ist ein Schöpfer, ein Créateur, und die
Natur nur sein Ausgangspunkt.
In Deutschland benutzt man hierfür das verächtlich
gebrauchte Wort Verschnitt. Aber tatsächlich bedeutet die
Assemblage in der Champagne etwas anderes als das ein fache
Verschneiden, die Coupage, wie sie seit jeher in vielen französischen
Weinbaugebieten üblich war. Die Assem blage ist eine
überaus kunstvolle und Erfahrung bedürfende Ver mählung
von Grundweinen aus einer möglichst umfang reichen Sammlung
jüngerer wie alter Jahrgänge. Dadurch soll ein ganz
bestimmtes Ziel erreicht werden: ein über Jahrzehnte hinweg
möglichst konstanter, klar definierter Geschmack. Dieser
Geschmack repräsentiert den jeweiligen Stil des Hauses, seine
eigentliche Identität. Und er verwandelte die großen Weine
der Champagne in Markenprodukte.
Keines war dabei so erfolgreich wie das 1743 gegründete
Haus Moët & Chandon, das 1869 mit dem Brut Impérial
den meistverkauften Standardchampagner und 1936 mit dem
Dom Pérignon die wohl bekannteste Prestige-Cuvée schuf.
Mittler weile besitzt das Unternehmen aus Epernay etwa eintausendeinhundertfünfzig
Hektar Rebfläche in mehr als zweihundertdreißig
Orten der Champa gne – davon die Hälfte
in Grand-Cru- und ein Viertel in Premier-Cru-Lagen –und
kauft die Erzeugnisse aus dreimal so vielen Rebflächen dazu
für eine Produktion von etwa dreißig Millionen Flaschen
jährlich.
Ausgerechnet in den hedonistischen acht ziger Jahren des
vergangenen Jahrhunderts lauerte für das ruhmreiche Haus
die größte Gefahr: die Selbst zufriedenheit und Sattheit, die
zu viel leicht verdientes Geld erzeugen. In einer Zeit, in der
sich der Weinbau weltweit revolutionierte und die Quali tät
der Weine weiter stieg, wurde der Brut Impérial immer nichts
32 33
FINE 2 | 2015 | EIN IN F EIN N EN EIN IN F EIN N EN | FINE 2 | 2015
Craft-Stoff
für den biergourmet
Von Bernd Fritz Foto Guido Bittner
Dem deutschen Craft-Bier-Wesen kann man ja vieles nachsagen: dass es gerade mal fünf
Jahre jung ist, dass seine Protagonisten »junge wilde Brauer« (FAZ) sind, dass deren
Experimentier lust keine (Landes)grenzen kennt, dass man bei den Biernamen hochkreativ
ist und anderes mehr. Nur eines muss entschieden dementiert werden: dass in
den Craft- Braukesseln indisches Bier nachgebraut werde. Ja aber, fragt Seine Unbedarftheit,
der gewöhnliche Tresen trinker, die haben doch alle so ein »Indien« Pale Ale im
Angebot? Da lacht die Korallenkette der Braumeistersgattin, und wir wenden uns, nach
dieser mustergültig aufgebauten Pointe, dem spannenden Bierstil zu, nicht ohne vermerkt
zu haben, dass im heutigen Indien tatsächlich Bier gebraut werden darf, beispielsweise
ein Premium Lager von den United Breweries in Bangalore.
Das war vor zweihundert Jahren noch anders.
Da regierten die Briten die Kron kolonie,
mit Hinduismus und Buddhismus herrschten
alkohol feindliche Religionen, und der Bierdurst
der Kolonial truppen musste mit britischem
Gersten saft gelöscht werden. Vorzugsweise mit
Pale Ale, dem beliebten hellen, trocknen Obergärigen.
Dieses hatte allerdings eine enorm lange
Seereise zu überstehen, einen mehrmonatigen
Segeltörn ohne Kühlung. Dafür war es tauglich,
will heißen, haltbarer zu machen, was den schottischen
und englischen Brauereien durch Erhöhung
des Alkohol gehalts und vermehrte Hopfengaben
gelang. Ein neuer Bierstil war geboren und
alsbald auch getauft: India Pale Ale.
Die Abkürzung ließ ebenfalls nicht lange auf
sich warten. Ein IPA ordert man an der Bar, knapp,
klar und souverän. Und wen hätte es gewundert,
wenn im Craft-Brauwesen mit den drei Buchstaben
nicht schon auf den Etiketten Scherz
getrieben worden wäre: »Ei Pi Ai« nennt die
Chiemgauer Brauerei Camba ihr indisches Ale,
ein Stoff mit 8 Volumenprozent Alkohol und gut
46 FINE 2 | 2015 | EIN IN F EIN N EN
ein gebundener Hopfenbittere – trotz eines IBU-
Werts von 62. Womit wir bei der nächsten Abkürzung
wären, die für »International Bitter Unit«
steht. Und was 62 IBU bedeuten, sei kurz durch
einen Vergleich veranschaulicht: Ein herbes Pils
bringt es auf maximal 40 IBU.
Für Einsteiger könnte sich daher ein schottisches
IPA empfehlen, das sich bei mäßigem
Alkohol (5,6 Prozent) mit 45 IBU begnügt. Auch
trägt es, ganz wie die Brauerei, einen zünftigen
Craft-Namen: das »Punk IPA« von Brew Dog.
Ein Bier keineswegs für Underdogs, sondern mit
seinem blumig-fruchtigen Aromahopfenduft und
der frischen Kohlensäure etwas für den anspruchsvollen
Biergourmet.
Überhaupt sollte man sich von getränkefernen
Kreativnamen nicht abschrecken lassen.
Das gilt vor allem für »Aufwind«, das IPA der
Brauerei Propeller im westfälischen Bad Laasphe,
für »Amarsi« aus dem Odenwälder Braukunstkeller
und sogar für das brachiale »Backbone
Splitter«, mit dem die Aschaffenburger Hanscraft-
Neuland betritt die Brauerei Bitburger
mit ihrer Sparte Craftwerk Brewing.
Im Sommer 2013 präsentierte sie die
Craft-Biere Howly Cowl, ein intensiv
malziges Belgian Style Tripel mit
bemerkenswerten Bittertönen und
stattlichen 9 Prozent Alkohol, Hop
Head, ein frisch-fruchtig-herbes IPA,
und Tangerine Dream, ein Pale Ale
mit anhaltender Hopfennote; ein
Jahr später vervoll ständigte Skipping
Stone mit nur 4,8 Prozent Alkohol das
Glückskleeblatt für Hopfenfans.
Brauerei dem Bierfreund nicht das Kreuz brechen
will, sondern, unter Einsatz von fünf Hopfenund
vier Malzsorten, den Widerstand gegen die
Craft-Bier-Preise.
Freilich machen nicht alle die sprachlichen
Extra vaganzen mit. Die Brauerei Riedenburg im
Altmühltal etwa hat ihr »Bavarian« IPA nachgerade
sittsam »Dolden Sud« getauft. Und dementsprechend
nimmt es sich aus: in der Nase unaufdringlich,
ebenso fein die Bittere, eingebunden in
ein zartes, erfrischendes Mousseux. Da dürfte auch
manch frommer Hindu schwach werden.
Womit aber wäre wohl ein Buddhist zu verführen,
dem das Fünfte Gebot Buddhas den
Genuss berauschender Getränke eigentlich strikt
untersagt? Zwei Kandidaten bieten sich an: Das
»Progusta Harvest« von Braufactum, dem deutschen
Craft-Pionier, und das »Double Jack« von
Firestone Walker aus den Vereinigten Staaten, wo
die Craft-Bier-Bewegung vor gut dreißig Jahren
ihren Anfang nahm. Das Braufactum-IPA besticht
mit samtig-frischem Mousseux, verwöhnt die
Nase mit Litschi- und Aprikosenduft, die starke
Bittere wird im Aroma der Cashewnuss und in
Curry-Noten eingebunden, und der mit 6,8 Prozent
moderate Alkohol macht das Ganze zu einem
irdischen Vergnügen der reinen Art.
In Richtung Nirwana aber lässt uns das »Double
Jack« segeln. Nicht weniger als sechs Hopfensorten
komponieren ein wahres Mandarine-
Grapefruit-Parfüm, knapp 10 Prozent Alkohol
erschaffen einen üppigen Körper, Karamellmalz
bändigt die hohe Bittere aufs Eleganteste, und das
für eine halbe Ewigkeit angelegte Mousseux verteilt
alles auf sämtliche Geschmacksknospen und
Riechzellen. Kurzum: Zu einem kühlen Glas dieses
göttlichen Craft-Stoffs Nein zu sagen hätte selbst
Buddha seine liebe Mühe gehabt. •
Unser einzigartiges Röstverfahren verleiht Köstritzer Schwarzbier Geschmacksnoten von gerösteter Esskastanie, dunklem Honig und Bitterschokolade.
Robert Parker,
das Bordelais
und die Weinwelt
Eine Zwischenbilanz
Von Stefan Pegatzky
Kurz nach seinem 65. Geburtstag hat Robert Parker, der (immer noch) einflussreichste Weinkritiker der Welt,
den Mehrheitsanteil seiner Zeitschrift »The Wine Advocate« an Investoren in Singapur verkauft. Grund
genug, sich den Einfluss des Amerikaners auf die Weinwelt und insbesondere das Bordelais in Erinnerung
zu rufen. Ein Einfluss, der Winzer, Handel, Presse und Konsumenten enorm polarisiert und alle Ebenen des
Themas Wein durchdrungen und verändert hat. Der aber auch wesentlich komplexer und ambivalenter ist,
als viele von Parkers Kritikern unterstellen.
Fotos: The Wine Advocate
Der Markt und die Preise
Hochwertiger Bordeaux ist in wenigen Jahren um ein Vielfaches
teurer geworden: Der En-primeur-Preis einiger Spitzen
Crus des Jahrgangs 2010 ist gegenüber dem von 1992 etwa um
mehr als tausend Prozent gestiegen. Manche Weine mit nur
sehr geringen Produktionsmengen werden in Deutschland
schon gar nicht mehr angeboten. Sentimentale Weintrinker
übertünchen ihren Verdruss bei spärlich besetzten und überteuerten
Bordeaux-Arrivage-Tastings daher gern mit Geschichten
aus der guten alten Zeit: »Meinen letzten Lafite habe ich
noch von ›Globus‹, die haben den damals für …« Those were
the days. Doch die Legende, die dabei meist miterzählt wird,
dass das angefangen habe, als Robert Parker den 1982er Jahrgang
den Amerikanern so gut verkauft hat und damit die Spekulation
und den Sog der »dummen, reichen Märkte« wie die
Vereinigten Staaten, dann Japan und schließlich China auslöste,
ist falsch, oder zumindest unvollständig.
Denn Bordeaux war schon immer ein Spekulationsmarkt,
seit Ende des 17. Jahrhunderts der New French Claret
»erfunden« wurde. Im 18. Jahr hundert erzielten Château-
Besitzer wie der Marquis de Ségur, der »Prince des Vignes«,
Umsatz renditen von sechzig Prozent. Und der erste Bordeaux-
Jahrgang, der in Amerika einen großen Auftritt hatte, war schon
der von 1959. Zur Zeit eines Wall-Street-Booms war das der
erste Ripe-for-Investment-Jahrgang der Nachkriegszeit, und
er begründete die langjährige amerikanische Vormacht stellung
über Bordeaux. Tatsächlich spielt für Preis positionierung
und Abverkauf eines Weinjahrgangs eine ganze Reihe von
Faktoren eine wichtige Rolle: der Wechselkurs des Euro gegenüber
der Währung der Zielmärkte, die Zinssätze, allgemeine
Konjunktur daten oder die Frage, ob noch schwer verkäufliche
Jahrgänge die Lager blockieren. Nicht zuletzt aber auch
polit atmosphärische Schwankungen – wie etwa beim Boykott
französischer Waren nach den Atomtests im Pazifik 1995
oder der fehlenden militärischen Unterstützung im Irakkrieg
2003. Oder gesellschaftliche Trends wie die immer wieder aufflammenden
neo prohibitiven Stimmungen in den Vereinigten
Staaten oder umgekehrt das sogenannte »French Paradox«
und die »Mittelmeerdiät«-Welle.
Und dennoch waren die Auswirkungen, die Robert Parker
auf den Markt hatte, enorm. 1982 war insofern tatsächlich
ein Schlüssel jahr, als die Amerikaner nach dem völlig missglückten
Subskriptionsverlauf des miserablen und überteuerten
1972ers, einem Weinskandal von 1973 und der Wirtschaftskrise
nach dem Ölpreisschock lange Zeit nur ver halten eingekauft
hatten. Robert Parker war nun beileibe nicht der einzige, der
die über ragende Qualität des 1982er Jahrgangs erkannt hatte,
aber er war der einzige amerikanische Weinkritiker. Und er verkündete
dies auf eine so elek trisierende Art und Weise, dass der
amerikanische Markt quasi explodierte.
Die folgenden Jahre waren zumeist weit weniger spektakulär,
aber es waren Jahre, in denen Parker seine Reputation
durch harte Arbeit ausbaute. Seine Urteile waren ins gesamt
sehr konsistent, und seine Unabhängigkeit verschaffte ihm
Glaubwürdigkeit. Früh entdeckte der Handel, dass Parkers
Bewertungen ein wunder bares Marketing instrument dar
38 39
FINE 2 | 2015 | EIN IN F EIN N EN EIN IN F EIN N EN | FINE 2 | 2015
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Champagner
mit Erdbeeren - das geht
nur im Film
Von Ursula Heinzelmann
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Champagner & Spirituosen
Champagner im Glas ist grundsätzlich ein
erfreulicher Tatbestand, besonders wenn wir
davon ausgehen, dass Fine-Leser bei der Auswahl
desselben mit Sachverstand und Kompetenz vorgehen.
Doch was bedeutet beschwingtes Schäumen
für die feste Nahrungszufuhr? Schlimmstenfalls:
gar nichts. Bei Empfängen nämlich, deren Veranstalter
noch nie nach einem langen Arbeitstag
mit durchhängendem Magen eine Stunde ohne
einen Bissen im Stehen verbrachten. Gar nichts
bedeutet meist auch: der Champagner ist so lala.
Passons. Nächste Stufe: Häppchen, auf Neudeutsch
Fingerfood, von Räucherlachs bis Edel-
Sushi. Entspricht am ehesten den Erwartungen,
bietet aber wenig Überrraschungen. Tatsächlich
als Begleitung zum Essen fließt Champagner eher
selten in die Gläser, und wenn, wird meist Edles
und tenden ziell Helles serviert, von Steinbutt bis
Perlhuhn, gern in Beurre Blanc, mit ein wenig
Hummer und/oder Trüffel, um der Kostbarkeit
im Glas Rechnung zu tragen. Aber bedarf die tatsächlich
einer solchen Bestätigung? Ist nicht Einfachheit
der wahre neue Luxus?
Die großartigsten Champagner-Begleiter, die
mir je begegnet sind, waren die kleinen, gesalzenen,
in der Schale gekochten Kartoffeln von der französischen
Atlantik-Insel Noirmoutier mit jodigem
Meeres aroma und eher gemüsig als mehlig. Sie
ergänzten und untermalten einen gestandenen
Blanc de Blancs von R & L Legras aus Chouilly.
Noch überraschender: geräucherte Sprotten,
denen man nur den Kopf abzwickt, sie aber ansonsten
goldglänzend und ganz verzehrt. Rauch und
Mineralik, Fischfett und Hefe- Malolaktik, feines
Schäumen und das leise Knacken der Gräten –
perfekt. Dazu eine der würzigmineralischen
Nummern- Cuvées von Jacquesson, und das Leben
ist so, wie es sein sollte. Mit den Händen essen passt
nicht zum edlen langstieligen Glas? Ach was, wozu
gibt es Servietten. Ebenso ungewöhnlich und quasi
nie zum Champagner serviert: Büffel mozzarella.
Und zwar bitte die allerbeste, aller frischeste,
molke saftig und wiesen milch aromatisch. Das
klingt befremdlich? Was der Weinliebhaber nicht
kennt, trinkt er nicht? Deshalb: Champagner kaltstellen
(etwa einen der Charakterköpfe von Bruno
Paillard), Käse kaufen, ausprobieren!
Nach dem Käse – doch halt, an dieser Stelle
gehört angemerkt, dass Chaource, der säuerlichsahnige
Käse aus der südlichen Champagne (wo die
Kühe unter Apfelbäumen grasen) mit seiner feinen
Bitternote zwar eine geographisch etwas weniger
überraschende, deshalb aber nicht minder großartige
Begleitstimme liefert (dass er aus Rohmilch
und professionell affiniert sein sollte, versteht sich
von selbst).
Aber dann kommt, was kommen muss: das
Thema Süßes. Was ich hier mit einem nur halb
unterdrückten Seufzer anbringe. Denn einerseits
sind da unsere französischen Nachbarn, für die
»une coupe«, ein Glas Champagner, grundsätzlich
immer und zu allem passt. Immer? D’accord.
Zu allem? Ganz und gar nicht, weil das nämlich
auch Desserts und Geburtstagskuchen einschließt.
Selbst wenn der Champagner nicht ganz knochentrocken
ist, kann er dem nicht standhalten, hisst
die weiße Säurefahne und zeigt sich von der aggressiven
Seite. Also: nein. Nein!
Ebenfalls nein: Erdbeeren. Werden wir den
Pretty-Woman-Fluch wohl je loswerden? Seit der
Premiere dieses zugegebenermaßen in mancherlei
Hinsicht unterhaltsamen Films vor fünfundzwanzig
Jahren hat sich unser Frauenbild glücklicherweise
(hoffentlich!) gewandelt. Aber die
Erdbeeren, die Richard Gere Julia Roberts in der
Silberschale serviert, weil das, wie er sie belehrt,
»den Geschmack des Champagners zum Ausdruck
bringt«, die geistern immer noch durch
viele Köpfe. Also, noch mal ganz deutlich, verehrte
Leserinnen und Leser: Erdbeeren und Champagner,
das geht nur im Film. Im wahren Leben
weiß unser Freund im Glas aufgrund der Textur
der Beeren einfach nicht, wohin mit seiner Säure,
sowohl der sauren als auch der prickeligen.
Dabei lag Richard Gere gar nicht so weit
da neben, denn richtig großartig sind: Him beeren.
Zu quasi jedem Champagner, vorweg, zum Dessert,
einfach so. Die zerplatzen ebenso leise, fruchtig und
beschwingt auf der Zunge wie die Champagnerperlen,
und wenn es sie nicht schon gäbe, dann
hätte sie einer der genialen modernen Köche längst
erfunden und patentiert. Das ist nicht nur pretty,
sondern einfach beautiful. •
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