FINE Ein Magazin für Wein und Genuss 2|2015
FINE Ein Magazin für Wein und Genuss 2|2015 - Sonderbeilage in der Süddeutschen Zeitung
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Die Wurzeln <strong>und</strong> die Träume<br />
<strong>Ein</strong>e Vorgeschichte des deutschen Küchenw<strong>und</strong>ers Von Stefan Pegatzky Fotos Guido Bittner<br />
Fünf<strong>und</strong>zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung wird der Blick zurück in die alte<br />
B<strong>und</strong>e srepublik weich <strong>und</strong> versöhnlich. Zumal dort, wo sich diese Jahre als einzige<br />
Erfolgsgeschichte lesen lassen. Beispielsweise beim Essen <strong>und</strong> Trinken: Hat doch das<br />
angeblich so genuss- <strong>und</strong> sinnenfeindliche Deutschland seit den frühen 1970er Jahren<br />
eine beispiellose kulinarische Entwicklung genommen. Heute leben wir in einer vitalen<br />
Gourmet land schaft, in der zwischen weltweit anerkannten 3-Sterne-Küchen <strong>und</strong> trendigen<br />
Street-Food- Märkten jeder Feinschmeckerwunsch erfüllt wird. Doch jede Geschichte<br />
hat auch ihre Vorgeschichte.<br />
Die Vierteljahreszeitschrift<br />
»Der Feinschmecker«, die 1960<br />
erstmals erschien, war ein Ableger<br />
des französischen <strong>Magazin</strong>s<br />
»Cuisine et Vins de France«, was<br />
sich in zahl reichen, ins Deutsche<br />
über setzten Beiträgen <strong>und</strong> auch<br />
auf dem Titelblatt niederschlug.<br />
miert worden <strong>und</strong> in der Fassung seines Lehrbuchs<br />
»Le Guide culinaire« zum gefeierten Standard der<br />
Spitzen restaurants <strong>und</strong> Grand Hotels weltweit<br />
geworden war. In Hamburg war Franz Pfordte in<br />
seinem Restau rant der Botschafter einer radikal<br />
Frankreich- orientierten Küche – zur Weltausstellung<br />
1900 sorgte er im »Deutschen Restaurant«<br />
selbst im verwöhnten Paris <strong>für</strong> Aufsehen.<br />
Nachdem er in Hamburg das Hotel »Atlantic«<br />
übernommen hatte, führte er 1909 als Erster in<br />
Deutschland Escoffiers Postensystem ein, das die<br />
Arbeitsbereiche der Köche klar festlegt <strong>und</strong> bis<br />
heute das gr<strong>und</strong>legende Organisationsprinzip in<br />
der Spitzengastronomie darstellt.<br />
Aber auch von Berlin aus waren zu Beginn<br />
des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts Signale <strong>für</strong> die Geburt einer<br />
deutschen Spitzenküche ausgegangen. Die Stadt<br />
im märkischen Sand hatte, nachdem sie Hauptstadt<br />
des deutschen Kaiserreichs geworden war,<br />
in kürzes ter Zeit alles Altpreußische verloren. Das<br />
frische Geld aus französischen Reparationen <strong>und</strong><br />
der Gründerzeitboom, dazu das neue Hauptstadtbewusstsein<br />
– mit einem Mal war in Berlin eine<br />
international konkurrenzfähige Restaurantszene<br />
entstanden. Lorenz Adlon schuf 1907 ein Hotel<br />
mit internationaler Strahlkraft – kulinarisch<br />
beraten durch Auguste Escoffier. Sein berühmtes<br />
Berliner <strong>Wein</strong>lokal »Hiller«, in dem nahezu der<br />
gesamte deutsche Hochadel verkehrte, verkaufte er<br />
1910 an den jungen Alfred Walterspiel, der zuvor<br />
als Küchenchef an der Seite von Franz Pfordte im<br />
Hamburger »Atlantic« sein Können gezeigt hatte.<br />
1917 wurde das »Hiller« kriegsbedingt zum<br />
»unzeitgemäßen Luxusbetrieb« erklärt <strong>und</strong><br />
geschlossen. Alfred Walterspiel entfloh Kriegsende<br />
<strong>und</strong> Revolutionswirren ins nur wenig ruhigere<br />
München. Hier hatte die französische Küche,<br />
nicht zuletzt durch Theodor Hierneis, den legendären<br />
Leibkoch von König Ludwig II., schon erste<br />
Wurzeln geschlagen. Walterspiel gründete 1922<br />
ein nach ihm benanntes Restaurant <strong>und</strong> übernahm<br />
1926 gemeinsam mit seinem Bruder Otto<br />
das Münchner Nobelhotel »Vier Jahreszeiten« –<br />
beides Adressen, die bis zu Alfred Walterspiels Tod<br />
1960 einen allerersten Ruf genossen.<br />
Auch das rührige Pressewesen der wilhelminischen<br />
Zeit hatte sich dieser Restaurant- <strong>und</strong><br />
Hotelblüte in Deutschland angenommen. Ab<br />
1899 erschien in Frankfurt am Main das <strong>Magazin</strong><br />
»Kochkunst« (wenig später »Kochkunst <strong>und</strong><br />
Tafelwesen«, ab 1920 schlicht »Die Küche«),<br />
eine »moderne illustrierte Halbmonatsschrift<br />
<strong>für</strong> Hotels, Restaurationen <strong>und</strong> herrschaftliche<br />
Haushaltungen«. In Hamburg gab der Kaufmann<br />
Gemeinhin gilt 1971, das Jahr, in dem Eckart<br />
Witzigmann als Küchenchef im Münchner<br />
Restaurant »Tantris« anfing, als die Geburtsst<strong>und</strong>e<br />
der deutschen Feinschmeckerküche. Dieser<br />
Moment, so hat der Gourmetkritiker Wolfram<br />
Siebeck einmal bemerkt, teilte die deutsche Nachkriegsküche<br />
in ein ante <strong>und</strong> ein post Witzigmann.<br />
Die Geschichte seit jenem Gründerjahr<br />
wurde gern <strong>und</strong> viel erzählt, nicht zuletzt in den<br />
Hochglanzmagazinen, die infolge der Konjunktur<br />
einer deutschen Gourmetküche entstanden.<br />
Und auch die Geschichte davor meinen wir gut<br />
zu kennen: das harte Brot der frühen Jahre, das<br />
den <strong>Ein</strong>topf- Sonntagen der Nazis folgte. Dann<br />
die feisten Schweinebraten <strong>und</strong> der fette Speck<br />
des Wirtschaftsw<strong>und</strong>ers, die kalte Party- <strong>und</strong><br />
Büffetküche der modernen, emanzipierten<br />
Hausfrau <strong>und</strong> schließlich die Verlockungen der<br />
Gastarbeiterküchen.<br />
In den Jahren nach dem Krieg gab es tatsächlich<br />
kaum so etwas wie eine nennenswerte Hochküche.<br />
Dabei hatte es schon zu Beginn des Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
mit Hamburg, Berlin <strong>und</strong> München<br />
kulinarische Zentren gegeben, die stark von der<br />
französischen Haute Cuisine inspiriert waren. Die<br />
war zu jener Zeit besonders aufregend, weil sie<br />
durch den Meisterkoch Auguste Escoffier refor<strong>und</strong><br />
Verleger Heinrich Eisler, Spross einer jüdischungarischen<br />
Familie mit K.u.K-Staatsangehörigkeit,<br />
seit 1905 die Wochenzeitschrift »Küche <strong>und</strong><br />
Keller« heraus (ab 1922 »Deutsche Hotel-Nachrichten:<br />
mit Küche <strong>und</strong> Keller«), die rasch zum<br />
bedeutendsten gastronomischen Fachblatt aufstieg<br />
– <strong>und</strong> noch heute als »Allgemeine Hotel<strong>und</strong><br />
Gaststättenzeitung« das offizielle Organ<br />
des Deutschen Hotel- <strong>und</strong> Gaststättenverbandes<br />
(DEHOGA) ist.<br />
Heinrich Eislers Sohn Georg trat früh in den<br />
Verlag des Vaters ein <strong>und</strong> führte ihn nach<br />
dessen Tod weiter. Nach 1914 wurde er ein enger<br />
Fre<strong>und</strong> des Staatsrechtlers Carl Schmitt, dem er<br />
mehrfach finanziell half <strong>und</strong> Aufträge <strong>für</strong> die ebenfalls<br />
im Eisler-Verlag erscheinende »Hamburger<br />
Woche« gab. Während Schmitt als »Kronjurist<br />
des Dritten Reiches« nach 1933 Karriere<br />
machte, musste Georg Eisler über London nach<br />
New York emigrieren, wo er verschiedene Verlage<br />
gründete. Nach dem Krieg setzte er während<br />
einiger längerer Aufenthalte in Hamburg seine<br />
Wiedergut machungsansprüche durch <strong>und</strong> gründete<br />
1955, noch von Amerika aus, die Fachverlag<br />
GmbH zur Herausgabe von Fachzeitschriften <strong>und</strong><br />
Fachliteratur. Mit im Vorstand saß der sechs<strong>und</strong>-<br />
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