KONGRESSJOURNAL 2015/Samstag-Ausgabe public
Offizielle Kongresszeitung der Steirischen Akademie für AllgemeinmedizinGraz/28. November 2015 An drei Tagen wurden zwei Kongressjournale mit Live-Berichterstattungen, Vorschauen auf Vorträge und Seminare, Interviews und Rückblicke direkt am Kongress verteilt.
Offizielle Kongresszeitung der Steirischen Akademie für AllgemeinmedizinGraz/28. November 2015 An drei Tagen wurden zwei Kongressjournale mit Live-Berichterstattungen, Vorschauen auf Vorträge und Seminare, Interviews und Rückblicke direkt am Kongress verteilt.
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KONGRESS<br />
JOURNAL<br />
Problem Polypharmazie<br />
Reduktion durch Priorisierung<br />
Durch Verzicht auf die für den<br />
Patienten am wenigsten wichtige<br />
Medikation ließen sich bei Patienten<br />
mit Polypharmakotherapie<br />
möglicherweise bis zu einem<br />
Viertel der Arzneimittel und bis<br />
zu 60 Prozent der potentiellen<br />
Interaktionen einsparen.<br />
„Bis in die achte Lebensdekade steigt<br />
die Zahl der durchschnittlich konsumierten<br />
Arzneimittel an, erst dann<br />
sinkt die Zahl wieder“, erklärt Dr. Jochen<br />
Schuler, FA für Innere Medizin,<br />
Salzburg. In Österreich werden im<br />
Mittel 70 Packungen pro Kopf und<br />
Jahr verordnet. Daraus ergibt sich bei<br />
42 Prozent der Menschen, die älter<br />
als 65 Jahre sind, eine „kumulative<br />
Polypharmazie“ mit fünf oder mehr<br />
Wirkstoffen innerhalb eines Quartals.<br />
„Polypharmazie ist im höheren Lebensalter<br />
eher Regel denn Ausnahme“,<br />
warnt der Internist.<br />
Medikamentenliste ordnen<br />
Insbesondere bei älteren, multimorbiden<br />
Patienten ist dies eine große<br />
Herausforderung für den behandelnden<br />
Arzt, da einerseits die Wahrscheinlichkeit<br />
von Wechselwirkungen<br />
und unerwünschten Wirkungen<br />
steigt und andererseits die Therapie-<br />
Adherence sinkt. Weitere Risiken der<br />
Polypharmazie sind Medikationsfehler<br />
(falsche Dosis, Interaktionen,<br />
Verwechslungen u.v.m.), Verordnung<br />
inappropriater Medikamente, „Underuse“<br />
evidenzbasierter Therapien<br />
sowie eine Assoziation mit erhöhter<br />
Morbidität (Parkinson, Stürze, geriatrische<br />
Syndrome), Spitalsbehandlungen<br />
und Mortalität.<br />
Die Priorisierung könnte dabei hilfreich<br />
sein, jene Medikamente her-<br />
Foto: privat<br />
auszufiltern, die für den jeweiligen<br />
Patienten als potentiell verzichtbar<br />
einzuschätzen sind. Dabei handelt es<br />
sich um eine Beschränkung auf die<br />
für den Patienten jeweils wichtigste<br />
Medikation. Durch die Minderung<br />
der Medikamentenanzahl erreicht der<br />
Arzt auch eine Reduktion des Risikos<br />
potentieller Wechselwirkungen.<br />
Jochen Schuler: „Voraussetzung<br />
ist eine klare Zuordnung von Medikamenten<br />
zu den Diagnosen, eine<br />
Nutzenbewertung auf Grundlage der<br />
EBM-Leitlinien und elektronische<br />
Tools, um die Bewertung in kurzer<br />
Zeit durchführen zu können.“ Ziel<br />
des Absetzens von Medikamenten<br />
bei Patienten mit Polypharmazie<br />
ist eine positive Beeinflussung des<br />
Krankheitsverlaufes und vor allem<br />
der Lebensqualität. Das vorgestellte<br />
Priorisierungsschema bietet eine<br />
einfache und im Alltag gut anwendbare<br />
Möglichkeit, Ordnung in lange<br />
Medikationslisten zu bekommen und<br />
Streichkandidaten zu identifizieren.<br />
Die Medikamente werden in die Kategorien<br />
sehr wichtig, wichtig, optional<br />
unwichtig, unklare Medikamente eingeteilt.<br />
Jochen Schuler: „Schon das<br />
Absetzen von einem Viertel der Medikamente<br />
führt zu einer deutlichen<br />
Verminderung der Wahrscheinlichkeit<br />
von Arzneimittel-Interaktionen.“<br />
Nebenwirkungen beim Absetzen<br />
Das Erfolgsrezept für ein nachhaltiges<br />
Absetzen liegt aber nicht allein<br />
in der Identifikation von Streichkandidaten,<br />
sondern in der richtigen<br />
Absetztechnik. Eine gemeinsame<br />
Zielsetzung mit dem Patienten, gute<br />
Kommunikation und enge Betreuung<br />
des Absetzprozesses ist ebenso<br />
wichtig wie das Wissen über die<br />
unterschiedlichen Nebenwirkungen<br />
beim Absetzen der verschiedenen<br />
Medikamente.<br />
Dr. Jochen<br />
Schuler<br />
VORTRAG FÜR ÄRZTE:<br />
Strategie gegen Polypharmazie<br />
bei älteren Menschen<br />
Sa., 28. 11., 14.55 – 15.15 Uhr<br />
10 <strong>KONGRESSJOURNAL</strong>Graz/28. November <strong>2015</strong>