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4 R CIRCLE 4/2006 R Interview Vom Sozialministerium ins Umweltressort: Tanja Gönner ist seit 2004 Mitglied der Landesregierung Gespräch mit der baden-württembergischen Umweltministerin Tanja Gönner „Wettbewerb ist die beste Lösung“ CIRCLE: Frau Ministerin, ein Bundesbürger produziert im Durchschnitt pro Jahr rund 640 Kilo Abfall. Der Baden-Württemberger nur knapp die Hälfte, nämlich 322 Kilo. Ist Baden-Württemberg ein Modell für Deutschland nach dem Motto „Vermeiden vor verwerten“? Tanja Gönner: Wir in Baden-Württemberg können auf eine insgesamt erfolgreiche Abfallpolitik blicken. Es hat sich eine weitestgehend gut funktionierende und auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Abfallwirtschaft etablieren können. Die Stadt- und Landkreise sind sehr enga- giert. Sie stehen untereinander in einem Wettbewerb, der dadurch zusätzlich gestärkt wird, dass wir seit mittlerweile 15 Jahren eine jährliche Abfallbilanz mit einer regionalen Aufschlüsselung veröffentlichen. Die dadurch geschaffene Transparenz gibt Anreize, laufend besser zu werden. CIRCLE: Auch bei der Verwertungsrate nehmen Sie im „Ländle“ mit 52,7 Prozent eine Spitzenposition ein – nicht nur in Deutschland, sondern sogar europaweit. Was kann Bundesumweltminister Sigmar Gabriel von Ihnen lernen? Gönner: Die Zahlen sind ein Beleg dafür, dass die Länder unterschiedliche Modelle entwickelt haben und dabei auch unterschiedlich erfolgreich sind. Der föderale Wettbewerb kann genutzt werden, die Abfallpolitik zu optimieren – nach dem Motto ‚Lernen von den Erfahrungen anderer‘. Das bedeutet, in der Bundes- und auch der Europagesetzgebung den Ländern dort, wo es sinnvoll und nötig ist, eigenen Gestaltungsspielraum zu lassen. Ich will das mal an einem Beispiel konkret machen: Ziel des im März dieses Jahres in Kraft getretenen Elektrogesetzes ist es, dass
pro Bürger jährlich mindestens fünf Kilogramm Elektroschrott einer Wiederverwertung zugeführt werden. In Baden-Württemberg wurde dieses Ziel mit rund 5,2 Kilogramm bereits zuvor übertroffen. Jetzt wurde mit dem neuen Gesetz den Ländern ein neues Verwertungssystem übergestülpt. Dadurch wurden insbesondere die bis dahin auf diesem Sektor tätigen sozialen und karitativen Einrichtungen, die gleichzeitig eine hochwertige Verwertung der Elektroaltgeräte sichergestellt hatten, vom Markt verdrängt. Das wäre vermeidbar gewesen, wenn man den Einwänden Baden-Württembergs gefolgt wäre und die bewährten kommunalen Strukturen erhalten hätte. CIRCLE: Dafür, dass die karitativen Einrichtungen nicht vom Markt verdrängt werden, setzt sich ja auch INTERSE- ROH ein und arbeitet gezielt mit Werkstätten für behinderte Menschen zusammen. Aber bleiben wir beim Stichwort Elektrogesetz: Das resultiert aus dem Konzept der Produktverantwortung. Mit Verpackungen fing alles an, heute müssen auch Altautos und eben ausgediente Elektrogeräte von den Herstellern zurückgenommen werden. Was kommt als nächstes? Gönner: Für ein weiteres Rücknahmesystem sehe ich im Moment keine Notwendigkeit. Jedoch muss die Entwikklung hin zu einer integrierten Produktpolitik nach meiner Überzeugung weiter vorangetrieben werden. Da ist die Wirtschaft gefordert. Nicht nur aus abfallwirtschaftlichen Gründen, sondern auch zur Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung. Der Ressourcenverbrauch muss weiter drastisch gesenkt werden. Schon bei der Entwicklung und Herstellung neuer Produkte müssen die spätere Entsorgung und insbesondere die Möglichkeit einer optimalen Verwertung berücksichtigt werden. CIRCLE: Die Verpackungsverordnung soll geändert werden – welche Punkte sind in Ihren Augen vorrangig? Gönner: In der Umsetzung der Verpackungsverordnung werden zunehmend Schlupflöcher genutzt. Das führt zu Wettbewerbsverzerrungen, die jetzt korrigiert werden müssen, auch um die in den letzten Jahren entstandenen ökologisch hochwertigen Verwertungsstrukturen für Verpackungsabfälle nicht zu gefährden. Was wir brauchen, sind faire Wettbewerbsbedingungen, die für alle Marktteilnehmer gelten. Das setzt klare und transparente Regelungen voraus. Dabei müssen – das ist mir als Landesministerin ein wichtiges Anliegen – die Regelungen praxistauglich und im Vollzug leicht handhabbar sein. CIRCLE: Trittbrettfahrer, das heißt Unternehmen die nicht für die Entsorgung ihrer Verpackungen bezahlen, könnten das System der Getrenntsammlung, wie wir es seit 15 Jahren kennen, schon bald zum Kollaps führen. Wie wollen Sie dem begegnen? R Interview Gönner: Mit der geplanten Novellierung sind wir auf einem guten Weg. Die Eckpunkte gehen in die richtige Richtung. Entscheidend wird es bei der weiteren Konkretisierung darauf ankommen, eine klare Abgrenzung von Dualen Systemen und Selbstentsorgern zu treffen. Die rechtlichen Grauzonen müssen aufgelöst werden. Freude über die Spitzenposition: Baden-Württemberg liegt sowohl beim Vermeiden als auch beim Verwerten ganz vorn CIRCLE: Frau Ministerin, zur Entsorgung von Verkaufsverpackungen gibt es heute im Wesentlichen zwei Systeme: Duale Systeme und Selbstentsorgergemeinschaften. Wagen wir einen Blick in die Zukunft: Wird es diese zweigleisige Entsorgung auch in 20 Jahren noch geben? Gönner: Angesichts der dynamischen Entwicklung, die die Abfallwirtschaft in den vergangenen 20 Jahren genommen hat, ist das ein langer Zeithorizont. Deshalb ist eine Prognose nicht einfach. Im Bereich der Entsorgung von Verpackungen wird es weiterhin viel Bewegung geben. Die derzeit vorbereitete 5. Novelle der Verpackungsverordnung wird wohl nicht der letzte Schritt sein. CIRCLE 4/2006 R 5
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