FINE Das Weinmagazin - 04/2015
FINE Das Weinmagazin ist in der Welt der großen Weine zu Hause. Hauptthema dieser Ausgabe: SASSICAIA
FINE Das Weinmagazin ist in der Welt der großen Weine zu Hause. Hauptthema dieser Ausgabe: SASSICAIA
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
wein und zeit xvii<br />
Reue: Von jugendlichem<br />
Leichtsinn sprach Carl<br />
Zuckmayer in einem Brief,<br />
den er am 19. Juni 1962<br />
an Franz Usinger, den<br />
Ehemann der Enkelin<br />
von Carl Gunderloch,<br />
schrieb, und das Schreiben<br />
vom 1. Juni 1970 an Elli<br />
Usinger kam gar einer<br />
kleinen Beichte gleich.<br />
möchte es Ihnen und Ihrer Familie, als den damals<br />
›Haupt betrofenen‹, überlassen, ob Sie dazu einen<br />
Vorschlag oder Wünsche haben.«<br />
Wie die Geschichte ausgegangen ist, hat sich<br />
in der Gunderlochschen Korrespondenz mit<br />
Zuckmayer nicht erhalten. Aber zu Misstönen<br />
kam es wohl nicht. Kaum einen Monat später kam<br />
Zuckmayer aus der Schweiz »mit herzlichen und<br />
freundschaftlichen Grüßen« auf eine Geschenksendung<br />
zu sprechen: »… wirklich nicht nötig, doch<br />
wenn es Ihnen Freude macht, so wird die meine, als<br />
Empfänger, doppelt so groß sein«. Wetten, dass<br />
von den weit über Rheinhessen hinaus über alle<br />
Maßen geschätzten Weinen aus dem Nacken heimer<br />
Rothenberg die Rede war?<br />
Carl Zuckmayer, Jahrgang 1896, stand im<br />
siebten Lebensjahrzehnt, als der Ton der<br />
Korres pondenz mit Elli und Franz Usinger<br />
so vertraut war, als habe nie etwas zwischen dem<br />
Dichter und den Weingutsbesitzern gestanden.<br />
»Im nächsten Jahr hofe ich endlich wieder einmal<br />
in meine Gebietsheimat zu kommen«, schrieb<br />
Zuck am 23. Juli 1969, »… und ich hofe vor allem,<br />
Sie und Ihren Mann in bester Gesundheit wiederzusehen.<br />
Merkwürdig – am Abend, bevor Ihr Brief<br />
kam, habe ich für ganz besondere, liebe Freund eine<br />
Flasche des beiliegenden Etiketts (Anhängsel) aufgemacht,<br />
der Wein war köstlich, und ich habe einen<br />
Trinkspruch auf Euer Wohl ausgebracht. Ich freue<br />
mich auf einen gemeinsamen Abend in der ›Gutsschenke‹,<br />
– so Gott will.«<br />
Und Gott wollte es – aber nicht so bald. Ende<br />
Mai 1970 reiste Carl Zuckmayer nach Deutschland,<br />
um vor den Mitgliedern des Ordens Pour le Mérite,<br />
dem er seit drei Jahren angehörte, seine »obligate<br />
Antrittsvorlesung« zu halten, wie er unter dem<br />
Datum des 1. Juni 1962 von Bonn auch nach Nackenheim<br />
schrieb. Der Brief war eine kleine Beichte.<br />
Von Mainz aus machte er sich am Fronleichnamstag<br />
ungeplant und unangemeldet auf nach Nackenheim.<br />
»Ich stand vor Ihrem Hoftor und schaute<br />
hinein, unschlüssig, ob ich Sie einfach ›überfallen‹<br />
könne, – aber es war um die Mittagszeit, es war sehr<br />
still und ich liess es, mit Rücksicht auf Ihren Mann,<br />
den es doch vielleicht sehr gestört hätte, lieber<br />
bleiben. Aber ich hatte wenigstens die Kirche und<br />
das Rathaus gesehen, Ihren Hof, auch die Fabrik<br />
(von aussen), und die rote Erde!« Franz Usinger<br />
sollte Zuckmayer nicht wiedersehen. Er starb im<br />
November 1970 im Alter von dreiundachtzig Jahren.<br />
Knapp ein Jahr später stand der Dichter wieder<br />
vor dem Hoftor. Diesmal ging er hindurch, mit der<br />
Einwilligung des neuen Besitzers Karl-Otto Usinger,<br />
den Zuckmayer wohl nicht ganz zu Unrecht noch<br />
immer unversöhnt wähnte. Am 23. Oktober 1971,<br />
fast ein halbes Jahrhundert nach der Urauführung<br />
des »Fröhlichen Weinberg«, kam es zur Versöhnung<br />
an historischem Ort. Bilder hielten den<br />
Händedruck in der Gutsschänke fest. Zuckmayer<br />
bedankte sich am 5. November, kurz vor seinem 75.<br />
Geburtstag: »Ihre Ansprache an jenem Abend in<br />
Ihrer schönen Gutsschänke hat uns beide, meine<br />
Frau und mich, nicht nur erfreut, sondern auch<br />
ergrifen … Ich habe Ihre Haltung immer respektiert,<br />
ja ich hätte mich in einem solchen Fall nicht anders<br />
verhalten. Doch ist Ihre Treue zu Ihrem Urgroßvater<br />
dadurch nicht geringer geworden, dass Sie nun<br />
auch den jugendlichen Leichtsinn eines Menschen,<br />
der bewusst niemand verletzten wollte, Ihr gütiges<br />
Verständnis entgegenbringen. Ihre Worte kamen<br />
aus reinem und warmen Herzen, und Ihr Bekenntnis<br />
zum freien Geist war von schlichter und echter<br />
Überzeugungskraft. Ich darf mich jetzt Ihnen in<br />
diesem Sinne freundschaftlich verbunden fühlen.«<br />
Die Freundschaft währte gut fünf Jahre.<br />
»Meine Familie und ich werden am 27., dem Vorabend<br />
meines 53. Geburtstages, in Gedanken mit<br />
Ihnen sein und bei einem guten Glas Nacken heimer<br />
Rothenberg auf Ihre baldige Genesung und Ihr weiteres<br />
Wohlergehen anstoßen«, schrieb Karl-Otto<br />
Usinger am 20. Dezember 1976 in die Schweiz. Drei<br />
Wochen später war Carl Zuckmayer tot – er starb<br />
am 18. Januar 1977 im Alter von achtzig Jahren,<br />
»versehen mit den heiligen Sterbesakramenten«,<br />
wie es in der Todesanzeige hieß. Wenn den Dichter<br />
des Jahrhunderts neben dem Wein zeitlebens etwas<br />
mit seiner rheinhessischen Heimat verbunden hatte,<br />
dann die vom Katholizismus getränkte Welt rund<br />
um den Mainzer Dom.<br />
<strong>Das</strong> Weingut Gunderloch blickt in diesem<br />
Jahr auf eine reiche Geschichte von einhundertfünfundzwanzig<br />
Jahren zurück.<br />
Als einziges Gründungsmitglied des Vereins der<br />
rheinhessischen Naturweinversteigerer hat es alle<br />
Wechselfälle der Geschichte überlebt, als einziges<br />
Weingut am Roten Hang hält es die Tradition jener<br />
»großen Spitzen« hoch, die Carl Zuckmayer so sehr<br />
schätzte: frucht- und edelsüße Rieslinge aus den<br />
Spitzenlagen an der Rheinfront, allen voran aus dem<br />
Rothenberg. Andere Weine sind hinzu gekommen.<br />
»Jean-Baptiste«, ein Riesling-Gutswein, erblickte<br />
1990 das Licht der Welt, als der »Fröhliche Weinberg«<br />
erstmals am Originalschauplatz aufgeführt<br />
wurde, dem Hof des Weinguts. <strong>2015</strong>, als Agnes (die<br />
Tochter Karl-Otto Usingers) und Fritz Hasselbach<br />
das Weingut in die Hände ihres Sohnes Johannes<br />
und seiner Frau Marie legten und damit die sechste<br />
Generation die Verantwortung übernahm, kam der<br />
zweite Jahrgang eines Weins auf den Markt, den<br />
Johannes Hasselbach so nannte wie Zuckmayer<br />
seine im Jahr 1966 erschienene Autobiographie:<br />
»Als wär’s ein Stück von mir.« •<br />
Fotos: Familienarchiv Gunderloch-Usinger, Nackenheim<br />
SIE MÖGEN<br />
DEUTSCHE KÜCHE?<br />
WUNDERBAR,<br />
WIR AUCH.<br />
Deutsche Küche 2.0 | ISBN: 978-3-944628-85-1 | € 39,90 (D)<br />
Aber kennen Sie auch das deutsche Küchenwunder?<br />
<strong>Das</strong> begann vor 44 Jahren. Damals hat sich die<br />
deutsche Küche verändert. Seit Eckart Witzigmann<br />
in München als Chefkoch des Restaurants „Tantris“<br />
begann, gibt es neben unserer bürgerlichen Küche<br />
eine deutsche Feinschmeckerküche.<br />
Und weil es für beides eine Zeit und einen Anlass<br />
gibt, wollen wir Ihnen klassische deutsche Rezepte<br />
einmal in einer traditionellen, aber zeitgemäß<br />
optimierten Umsetzung präsentieren − und dann<br />
in der freien Interpretation eines deutschen Spitzenkochs.<br />
44 Klassiker in 88 Rezepten: von Königsberger<br />
Klopsen über Seezunge Müllerin bis zur Roten Grütze.<br />
Ein Buch voller Anregungen für Ihre ganz persönliche<br />
„deutsche Küche“.<br />
Dieser Band bildet den Auftakt der Reihe „Küchenklassiker“<br />
über die Länderküchen dieser Welt in der<br />
Gourmet Edition von Süddeutsche Zeitung Edition<br />
und Tre Torri Verlag.<br />
Tre Torri Verlag GmbH, Sonnenberger Straße 43, 65191 Wiesbaden<br />
144 <strong>FINE</strong> 4 | <strong>2015</strong>