STROM
In diesem Sachbuch STROM - Die Gigawatt-Revolution wird die Entwicklung der elektrischen Energieversorgung dargestellt. Besondere Sorgfalt wird der sachgerechten Einordnung der deutschen Energiewende und ihrer wichtigsten Perspektiven gewidmet. Strom ist längst der wertvollste technische Energieträger und wird auch in ferner Zukunft völlig unverzichtbar bleiben. Der weltweite Strombedarf wächst ständig. In diesem Buch wird die Entwicklung der elektrischen Energieversorgung dargestellt, wobei auch die gesellschaftlichen und technischen Hintergründe Berücksichtigung finden. Besondere Sorgfalt wird der sachgerechten Einordnung der deutschen Energiewende und ihrer wichtigsten Perspektiven gewidmet. STROM erläutert auch die wirtschaftlichen Konsequenzen, bietet eine neutrale Darstellung der gegenwärtigen Situation in Deutschland und eine anregende optimistische Reise in die Zukunft. (228 Seiten, 18,5 x 22,5 cm, 4-farbig; ISBN 978-3-942658-17-7)
In diesem Sachbuch STROM - Die Gigawatt-Revolution wird die Entwicklung der elektrischen Energieversorgung dargestellt. Besondere Sorgfalt wird der sachgerechten Einordnung der deutschen Energiewende und ihrer wichtigsten Perspektiven gewidmet. Strom ist längst der wertvollste technische Energieträger und wird auch in ferner Zukunft völlig unverzichtbar bleiben. Der weltweite Strombedarf wächst ständig. In diesem Buch wird die Entwicklung der elektrischen Energieversorgung dargestellt, wobei auch die gesellschaftlichen und technischen Hintergründe Berücksichtigung finden. Besondere Sorgfalt wird der sachgerechten Einordnung der deutschen Energiewende und ihrer wichtigsten Perspektiven gewidmet. STROM erläutert auch die wirtschaftlichen Konsequenzen, bietet eine neutrale Darstellung der gegenwärtigen Situation in Deutschland und eine anregende optimistische Reise in die Zukunft. (228 Seiten, 18,5 x 22,5 cm, 4-farbig; ISBN 978-3-942658-17-7)
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Christoph Buchal,
Patrick Wittenberg, Dieter Oesterwind
STROMGeschichte
Die Gigawatt-Revolution
Energiewende
Technik
Markt
Zukunft
Mit einem Vorwort von
Peter Grünberg, Nobelpreis für Physik
Jede Generation muss Straßen bauen,
auf denen die nächste fahren kann.
(Chinesisches Sprichwort)
Die allgemeine Elektrifizierung hat weit über ein Jahrhundert benötigt.
Der Umbau der Stromversorgung auf „Erneuerbare Energien“ unter weitgehendem
Verzicht auf fossile Energieträger ist eine vergleichbar große Aufgabe und bedarf großer
Sachkenntnis, gewaltiger Anstrengungen, der Fortentwicklung von Speichertechniken
sowie Ausdauer und pragmatischer Vernunft.
Christoph Buchal,
Patrick Wittenberg, Dieter Oesterwind
STROM
Die Gigawatt-Revolution
Inhalt
Einleitung. ........................................10
1.1 Prolog ........................................12
1.2 Globale Trends. .................................16
1.3 Ein ganz normaler Tag in Deutschland ...............20
Eine Reise in die Vergangenheit ..................30
2.1 Frühe Experimente ..............................32
2.2 Telegraphie: Die Elektrizität macht sich nützlich .......36
2.3 Die Starkstromzeit bricht an .......................40
2.4 Der Streit um Wechselstrom oder Gleichstrom .........48
Grundlagen der Technik ..........................56
3.1 Gleichstrom, Wechselstrom, Drehstrom, Blindstrom. ....58
3.2 Strom aus Wärme ...............................72
3.3 Wärme: Wertvoll, wandelbar - und schließlich Abfall ....83
4.4 Eine einzige Generatorwelle von Portugal bis Polen ...114
4.5 Sammeln, Ausgleichen und Verteilen –
die Verteilungsnetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
4.6 Börse und Handel – die andere Welt
der Energieversorgung ..........................122
4.7 Die Verletzlichkeit der Industriegesellschaft: Blackout ..129
Entwicklungen. ..................................134
5.1 Vielfältige Speicher – für Strom und Energie .........136
5.2 Ein Paradigmenwechsel eröffnet neue Perspektiven
für die Speicherung. ............................146
5.3 Zukünftige Netze – flexibel und intelligent . . . . . . . . . . . 154
5.4 Der kluge Stromkunde und sein Elektro-Auto. ........160
Pläne und ferne Ziele ............................166
6.1 Überraschungen und Umbrüche ...................168
6.2 Eine Zeitreise durch zehn deutsche Orte. ............170
Auf dem Weg in die Zukunft .....................180
7.1 Fakten, Beobachtungen und Gedanken. .............182
7.2 Die Vierte Revolution. ...........................193
Die Welt des Stroms heute. .......................92
4.1 Eine „Feuerwehr“ unter den Kraftwerken. ............94
4.2 Windenergie – kraftvoll, doch schwankend ...........98
4.3 Die erstaunliche Welt der Photovoltaik. .............106
XXXXX ..........................................220
Literaturverzeichnis ...............................221
Stichwortverzeichnis ..............................222
Danksagung .....................................225
Vorwort von
Nobelpreisträger
Peter Grünberg
Energiewende –
hinter dieser Überschrift verstecken sich enorme Herausforderungen, vor
denen wir stehen, wenn wir in den kommenden Jahrzehnten eine Energieund
Stromversorgung realisieren wollen, die auf fossile Brennstoffe und
Kernkraftwerke verzichtet. Langfristig wird daran mit Sicherheit kein Weg
vorbei führen, doch gegenwärtig befinden wir uns noch in einer aufregenden
Phase des intensiven Planens, Streitens, Suchens und Experimentierens.
Dazu zählen auch wesentliche Verbesserungen bei den Materialien, die für
die Energietechnik wichtig sind. Im Verkehrssektor sind leichte und stabile
Werkstoffe entscheidend. Das gilt auch für die Bahn, bei der gewaltige Massen
mit Hilfe von Strom auf den Schienen bewegt werden. Mit besonderer Sorge
sehe ich den Luftverkehr, wo täglich über 100.000 Flüge stattfinden. Auch
wenn der Treibstoffbedarf nur 3 Liter pro Passagier und 100 km beträgt, so ist
der Gesamtbedarf dennoch überwältigend. Das benötigte Kerosin wird aus
Erdöl hergestellt und ist, realistisch betrachtet, durch nichts zu ersetzen. Man
könnte über Biotreibstoff, etwa Alkohol aus Zuckerrohr, spekulieren, doch ist
der Biotreibstoff nicht einmal ausreichend für die zahllosen Fahrzeuge.
Bei der Stromversorgung wünscht sich die Mehrheit der Bürger in Deutschland,
dass vor allem die unerschöpflichen Energien von Sonne, Wind und
Wasser genutzt werden. Doch obwohl Sonnenenergie auf der Erde kostenlos
und in fast unbegrenztem Maß zur Verfügung steht, wird eine solare Stromversorgung
zunächst deutlich teurer und wesentlich komplizierter werden,
obendrein ständig schwankend und damit unsicherer. Weil alle Bürger von
diesen Entwicklungen betroffen sind, bedürfen sie sorgfältiger und verständlicher
Erläuterungen.
In der aktuellen und für viele Menschen recht verwirrenden Situation ist es
höchst verdienstvoll, wenn sich unabhängige Wissenschaftler darum bemühen,
einer interessierten Leserschaft die Zusammenhänge und die gegenwärtige
Faktenlage ehrlich, verständlich, fair und sachgerecht darzustellen.
Vor allem denke ich hierbei an die junge Generation. Sie muss ihren Weg
durch das 21. Jahrhundert gehen und den Wandel tatsächlich vollziehen.
Nutzen Sie die Gelegenheit und informieren Sie sich sorgfältig, damit auch
Sie die gegenwärtigen Entwicklungen verstehen und einen guten Weg in die
Zukunft finden können. Mit der „Gigawatt-Revolution“ sind nämlich viele
hochinteressante Aufgaben, Chancen und Berufe in den weiten und wichtigen
Feldern der Energietechnik und Energieforschung verbunden.
Peter Grünberg
Nobelpreis für Physik 2007
7
Prof. J. Treusch
WE Heraeus-Stiftung
Dr.-Ing. Thomas Aubel
TÜV Rheinland
Liebe Leserin, lieber Leser,
in unserem Land sind Stromerzeugung und Strompreis ein heiß diskutiertes
Thema. Da ist es hilfreich, wenn man zuverlässige, verständliche und unparteiische
Informationen zur Hand hat. Der TÜV Rheinland und die Wilhelm
und Else Heraeus-Stiftung zur Förderung der Naturwissenschaften möchten
Ihnen mit diesem Buch eine Wissensbasis bieten, die das Verständnis der
Zusammenhänge erleichtert.
In einer modernen Industriegesellschaft spielt die Stromversorgung eine
Schlüsselrolle für Wirtschaft, Lebensstandard, Bildung und Information. Seit
zehn Jahren sind auf diesem Gebiet große Umwälzungen zu beobachten.
Dieser Prozess ist keineswegs abgeschlossen. Die Europäische Union drängt
auf einen grenzüberschreitenden liberalisierten Strommarkt. Viele Bürger
möchten sowohl die Kernkraftwerke wie auch die Kohlekraftwerke weitgehend
durch Windenergie und Photovoltaik ersetzen. Die großen Energieversorger-Konzerne
wurden in ihre Sparten aufgeteilt und entflochten, um den
marktwirtschaftlichen Wettbewerb zu befördern. An vielen Orten bilden sich
Bürgerinitiativen zur Stromerzeugung mit privaten Kleinkraftwerken für Windund
Sonnenenergie. Die organisatorische und technische Welt des Stroms ist
im Umbruch und wird ständig vielfältiger und bunter.
eine kostspielige und anspruchsvolle Großtechnik, die nur von finanzstarken
Unternehmen geschultert werden kann. Allein der Netzanschluss für diese
Windparks kann für den zuständigen Netzbetreiber zu einer unüberwindlichen
Hürde werden, doch darf sich ein Stromproduzent nicht in die Belange
der Netzbetreiber einmischen. Netzbetreiber müssen völlig unabhängig sein
von den Stromproduzenten. Als „Natürliche Monopolisten“ stehen sie unter
der strengen Aufsicht der Bundesnetzagentur.
Photovoltaik-Anlagen sind perfekt für private Investoren. Ihre Eigentümer
treten dann, je nach Sonnenstand, entweder als Stromproduzenten oder als
Stromkunden auf. Jede einzelne Hausanlage trägt nur wenig zur elektrischen
Gesamtbilanz bei, doch in ihrer Summe sind die deutschen Windkraft- und
Photovoltaik-Anlagen demnächst so leistungsfähig, dass sie zeitweise fast
den gesamten Bedarf decken können, falls Sonne und Wind mitspielen. Sie
bilden dabei ein landesweites Team, das gemeinsam arbeitet oder zusammen
Pause macht. Wesentliche Ausgleichsfunktionen sind deshalb bei einem
„Generalstreik“ auch durch verbesserte Netze nicht zu erzielen. Statt dessen
muss zur Wahrung der Netzstabilität, vor allem bei Dunkelheit und Flaute,
ein kompletter zweiter Kraftwerkspark für sie einspringen. Leider gibt es in
unserem Land noch keine ausreichenden Speichermöglichkeiten für Strom,
um Versorgungslücken zu überbrücken.
Die Stromerzeugung eignet sich besonders gut, um die wechselseitigen
Zusammenhänge von Wirtschaft und Technik, Politik und Gesellschaft,
von nationalen Programmen und internationalen Beziehungen, von den
geschichtlichen Entwicklungen der Industrialisierung und den zukünftigen
Zielen der vierten industriellen Revolution zu ergründen und zu verstehen.
Der vorliegende Text bietet dazu nicht nur die notwendige Faktenbasis,
sondern auch einen anschaulichen Blick hinter die Kulissen und einen verständlichen
Einblick in Technik und Wirtschaft. Dabei ergeben sich zahlreiche
Anregungen für Ausbildung und Beruf.
Wir wünschen Ihnen Freude und nützliche Erkenntnisse bei der Lektüre.
9
Die gesellschaftlichen Fragen nach den Vor- und Nachteilen der großen Firmen
im Vergleich zu den zahlreichen kleinen privaten Initiativen sind oft eng
verknüpft mit technischen Gegebenheiten. Beispielsweise bieten Windparks
auf hoher See besonders hohe Stromausbeuten. Zugleich repräsentieren sie
Prof. Dr. Dr. hc. mult.
Joachim Treusch
Dr.-Ing. Thomas Aubel
TÜV Rheinland
Einleitung 1
1.1 PRolog
Noch ist elektrische Energie nicht überall in gleichem Maße verfügbar.
Der erfahrene Baggerführer war falsch informiert,
als er seine mächtige Schaufel tief in
die Erde senkte, um den Graben für eine neue
Abwasserleitung auszuheben. Er bemerkte nur
einen kleinen Ruck und einen hellen Blitz. In
der zwei Kilometer entfernten Ortsnetzstation,
am Ende der Hauptstraße, flogen einige der
dicken Sicherungen mit einem lauten Knall heraus.
Der kräftige Kurzschluss-Strom hatte zur
Abschaltung geführt. Die Leitung wurde sofort
spannungsfrei und ungefährlich. Fünf Sekunden
später sah der Baggerführer das Unheil in Form
eines dicken Kabels, das mit der Schaufel ans
Tageslicht kam. Schweißperlen standen auf seiner
Stirn, als er den Arm seiner Maschine ganz
langsam wieder ausfuhr, um das Kabel vorsichtig
wieder in die Grube zurückgleiten zu lassen.
Rückwärtsgang, erst einmal ein paar Meter weg
von der vermeintlichen Gefahr. Er holte tief Luft,
stieß einige Verwünschungen aus, holte sein
Handy aus der Jackentasche und rief den Chef an.
Im gesamten Neubaugebiet war der Strom weg.
Kein Licht, keine Heizung, kein Kühlschrank,
kein Radio. Auch die Waschmaschine und der
Küchenherd legten eine Pause ein.
Auf der Baustelle stoppte der schöne neue Kran
abrupt in seiner Bewegung und der Betonmischer
gab schlagartig Ruhe. Nur der Kübel
mit dem frischen Beton schwang hoch in der
Luft hin und her und erzeugte ein sanftes Quietschen.
Die Maurer schauten sich entsetzt an:
„Hoffentlich kommt der Strom bald wieder – die
Decke ist noch nicht fertig und der Beton bindet
jetzt dort ab, wo er das auf keinen Fall soll. In
der Mischmaschine. Im Kübel. In der unfertigen
Decke …“
Die Meldung vom Stromausfall erreichte zuerst
die Feuerwehr, denn die Handys funktionierten
noch einwandfrei, weil die Mobilfunkstationen
bei Stromausfällen noch eine Zeit lang mit Hilfe
von Batterien versorgt werden. Dagegen erwies
sich die restliche wunderschöne Kommunikationswelt,
vom Küchenradio bis zum Internet,
als weniger nützlich. Die modernen Telefone
schwiegen leider auch, denn sie benutzen
inzwischen fast alle einen Hausanschluss mit
einem Router, der zugleich für das Internet
zuständig ist. Auch so ein Router hält strikte
Betriebsruhe, wenn seine Stromversorgung
unterbrochen ist – nicht nur die Basisstationen
der schnurlosen Komfort-Telefone.
Die Feuerwehr verständigte umgehend den örtlichen
Netzbetreiber. Sein Entstörungstrupp war
schnell vor Ort und konnte bald eine Ersatzleitung
schalten. Nur die Häuser direkt an der betroffenen
Straße waren für einige Stunden ohne
Strom. Danach war auch dort der Spuk vorüber.
Allein der Baggerfahrer war noch etwas länger
geknickt, denn der Schaden hatte seine Ehre
als umsichtigen Profi angekratzt.
Strom ist für uns selbstverständlich
und unentbehrlich
Schon ein paar Stunden ohne Strom im Fahrstuhl,
in der U-Bahn oder im ICE auf freier
Strecke können sehr stressig werden. Nach
wenigen Wintertagen ohne Strom wird es vielerorts
unangenehm, vielleicht sogar bedrohlich. In
den Städten ist die Abhängigkeit von einer zuverlässigen
Stromversorgung sogar existentiell.
Ohne Strom bricht in Großstädten Chaos aus.
Selbst auf dem Campingplatz, wo vor allem die
Nähe zur Natur zählt, will fast niemand auf eine
Steckdose verzichten. Doch die Welt hinter der
Steckdose war nur wichtig für Fachleute und
nicht von allgemeinem Interesse. Hier vollzieht
sich nun ein Wandel. Inzwischen berichten die
Medien immer häufiger über Umweltschutz und
Emissionen der Stromerzeugung. Überall sieht
man zahllose neue Photovoltaik-Anlagen, Windräder
und Mais-Monokulturen für die Biostrom-
Erzeugung.
Der Umweltminister bezeichnete den Umbau
der Stromversorgung sogar als ein entscheidendes
Zukunftsprojekt, vergleichbar mit dem
Programm der ersten Mondlandung. Das war
in den sechziger Jahren ein äußerst anspruchsvolles,
riskantes und aufregendes Vorhaben und
wurde zu einem Meilenstein in der Technik- und
Menschheitsgeschichte. Wenn man die sehr
langfristigen Ziele der Energiewende betrachtet,
dann ist der Vergleich durchaus passend, doch
gegenwärtig müssen wir erst einmal verstehen,
was hinter den oft verwirrenden und paradoxen
Meldungen steckt. Zum Beispiel:
„Deutschland exportiert immer mehr Strom –
und trotzdem wird unser Strom knapp!“
„Der Börsenpreis für Strom fällt – doch die
Preise für Endkunden steigen!“
„Die Sonne schickt keine Rechnung – aber der
Solarstrom führt zu höheren Abgaben!“
Rundfunk und Fernsehen meldeten mehrfach:
„Betriebe, die mehr als zehn Gigawatt Strom
benötigen, können sich von der Umlage nach
dem Erneuerbare-Energien-Gesetz befreien
lassen!“ Diese Meldung war genau genommen
absurd, denn es gibt mit Sicherheit keinen
Betrieb in Deutschland, der einen so enormen
Leistungsbedarf hat. Zehn Gigawatt bedeuten
eine gewaltige Leistung, mit der mehr als
13
14
zehn Millionen Deutsche auskommen. Offensichtlich
kann selbst eine professionelle
Nachrichtenredaktion unbemerkt elektrische
Leistung mit Energie, Gigawatt mit Gigawatt-
Stunden verwechseln. „Zehn Gigawattstunden
pro Jahr“ wäre übrigens die richtige Information
gewesen, und 10 Gigawattstunden pro Jahr
entsprechen einer mittleren Leistung von
1,1 Megawatt. Das ist nur ein Zehntausendstel
des gemeldeten Wertes.
Derzeit werden weit reichende Entscheidungen
gefällt, die uns alle betreffen. Deshalb haben
wir ein informatives Sachbuch verfasst, das
keinerlei Lobbyarbeit für Politik, Wirtschaft oder
Umweltverbände betreibt. Uns hat allein der
Stand von Wissenschaft und Technik geleitet.
Manche Kapitel sind leicht zu verstehen,
während andere tiefer auf technische oder
wirtschaftliche Zusammenhänge eingehen.
Gemeinsam erläutern sie viele Aspekte der
Stromversorgung, von den Grundlagen und
der historischen Entwicklung bis hin zu den
aktuellen Fragen von Technik, Netzsicherheit
und Strompreis. Die kursiven Einleitungen
am Beginn der Kapitel sollen die Orientierung
erleichtern. Vor allem die Kapitel 1 und 7 bieten
allgemeine Übersichten. Der wichtigste Problemkreis
einer zukünftigen Stromversorgung
wird in Kapitel 5 erläutert.
Vom unheimlichen Fluidum zum
wertvollsten Energieträger
Vor 130 Jahren wurde das erste Elektrizitätswerk
in New York eröffnet. Davor lag ein langer
und mühevoller Weg, denn die grundlegenden
Kenntnisse über diese unsichtbare und doch
heftig spürbare Energieform hatten sich im Laufe
vieler Jahrzehnte nur schrittweise offenbart.
Von Anfang an waren die Menschen überall
fasziniert von diesem ungreifbaren und unheimlichen
Fluidum. Sie erkannten darin sowohl die
gewaltigen Kräfte der himmlischen Blitze wie
auch das Wirken der Gedanken und Nerven, die
unsere Muskeln steuern. Elektrizität, Lebendigkeit
und die biologischen Lebenskräfte erschienen
auf geheimnisvolle Weise eng miteinander
verbunden.
Technisch betrachtet gilt Strom als untergeordneter,
„sekundärer“ Energieträger, weil er nicht
direkt in der Natur vorkommt, sondern mit Hilfe
von primären Energieträgern wie Kohle, Gas, Öl,
Wind, Wasserkraft oder der Strahlungsenergie
der Sonne produziert werden muss, doch hat
er sich im Laufe der Jahrzehnte eine solche
Sonderrolle erarbeitet, dass er inzwischen alle
anderen Energieträger an Bedeutung übertrifft.
Nur elektrische Energie wird mühelos, lautlos,
sauber und nahezu mit Lichtgeschwindigkeit
auf Kabeln und Freileitungen transportiert. Mit
Strom kann man fast alle Maschinen und Fahrzeuge
antreiben. Die einzigartigen und genialen
Errungenschaften der Elektrizität kennt jeder:
Die Beleuchtung und das Telefon, Funk und
Radar, Radio und Fernsehen, die Computer und
das Internet.
Von den Lebensmitteln abgesehen kann Strom
alle anderen Energieträger relativ leicht ersetzen.
Nur ein Handicap hat der Strom bisher nicht
überwinden können: Elektrische Energie lässt
sich nicht effektiv in größerem Umfang speichern.
Wenn wir in Kapitel 7.2 über die fernere Zukunft
sprechen, in der die Ölquellen versiegen und
Erdgas knapp wird, dann wird die Stromproduktion
mit Hilfe von Wind und Sonne und vielleicht
auch mit der Wärme aus dem Erdinneren
sogar noch wesentlich anwachsen müssen.
Ein Energieträger wird zum
„Kulturträger“
Wenn jemandem in Deutschland der Strom
abgeschaltet wird, so wird dies als Bestrafung
empfunden. Wenn Menschen in Entwicklungsländern
überhaupt keine Stromversorgung
zur Verfügung haben, werden sie um wichtige
Zukunftschancen gebracht.
Deshalb kann man den Zugang zu Strom fast
als ein Bürgerrecht bezeichnen.
Erst die Verfügbarkeit von Strom ermöglicht
eine gute Ausbildung, die allgemeine Bildung
sowie die Teilhabe am kulturellen Leben, und oft
auch eine angemessene Arbeit und die medizinische
Betreuung. Längst werden diese Errungenschaften
als „Menschenrechte der Zweiten
Generation“ bezeichnet. Für die Recherchen zu
diesem Buch haben wir große und kleine Kraftwerke
und Stromerzeuger, Netzleitzentralen,
die Energiebörse, Solarzellen-Hersteller und
Forschungsstätten besucht und waren erstaunt,
wie offen und ehrlich überall auf unsere Fragen
geantwortet wurde. Dabei haben wir bei vielen
Fachleuten auch eine ernste Besorgnis gespürt,
weil sich einige Konsequenzen der Energiewende
als unerwartet ungünstig und widersprüchlich
erweisen. Bei allen, die ihr Wissen und ihre Einschätzungen
mit uns geteilt haben, bedanken
wir uns auch an dieser Stelle sehr herzlich.
Bei sorgfältiger Betrachtung erweisen sich die
langfristigen Herausforderungen der Energiewende
als so vielfältig und komplex, dass alle
derzeit vorgeschlagenen Lösungswege noch
mehr oder weniger große Mängel oder Nachteile
aufweisen. Das ist ein ernstes Dilemma,
das gegenwärtig leider akzeptiert werden muss.
Es sollte unbedingt als Ansporn für die kreativen
Kräfte im Lande dienen, konstruktiv an der
Energiewende mitzuwirken.
Energie, Klima
und Strom
Welt-Energieversorgung, Energietechnik, Elektrotechnik
sowie die Atmosphärenphysik, das Weltklima
und die Klimaforschung sind jeweils eigenständige
Themen, zwischen denen es zahlreiche
Zusammenhänge gibt. Vor allem die Emission
von CO 2
in die Atmosphäre ist für die menschengemachte
(anthropogene) Klimabeeinflussung
bedeutsam. Deshalb werden Energieversorgung,
Stromerzeugung und Klimaänderungen oft gemeinsam
diskutiert.
Das vorliegende Buch konzentriert sich auf die
Stromversorgung. Die Atmosphäre und das Klima
der Erde sowie die Einflüsse durch die Nutzung
von Kohle, Öl und Gas werden sorgfältig in KLIMA
(Ref.1) und in KLIMA, MENSCH, ENERGIE (Ref.2)
dargestellt. ENERGIE (Ref. 3) erläutert die Bedeutung
der Energie im Alltag sowie die technischen
Aspekte der Energieversorgung und Nutzung. Weil
der Einfluss der Emissionen auf die Atmosphäre
im 6. Kapitel von Ref.1 bereits sorgfältig analysiert
wurde, wiederholen wir diese Ausführungen nicht.
Auch in diesem Buch möchten wir uns mit Fachworten
zurückhalten und dennoch eine klare
Sprache verwenden. Der Begriff „Strom“ hat sich
fest eingebürgert für „Elektrische Energie“. Sehr
weit verbreitet sind „Energieverbrauch“, „Stromverbrauch“
und inzwischen auch „Energiewende“.
Energie kann nur umgewandelt, aber nicht verbraucht,
erneuert oder gar gewendet werden.
Bessere Ausdrücke wären „Energiebedarf“,
„Strombedarf“ und der „Umbau der Energieversorgung“.
Die „Erneuerbaren Energien“ sollten
besser „Unerschöpfliche Energien“ genannt
werden. Allerdings haben sich die Erneuerbaren
Energien (EE) und die Energiewende so fest im
Sprachgebrauch etabliert, dass wir diese Ausdrücke
ebenfalls verwenden.
1.2 Globale Trends
Wenn man nur den kurzen Zeitraum bis zur Mitte dieses Jahrhunderts betrachtet, können einige
Trends als relativ gesichert bezeichnet werden.
Staudämme bieten eine optimale Möglichkeit, Strom zu erzeugen oder Energie zu
speichern. Erdwärme hat ebenfalls ein hohes Potenzial, ist aber bisher nur extrem
aufwendig für die Stromerzeugung zu erschließen.
Das unaufhaltsame Wachstum der
Städte
Die Weltbevölkerung beträgt derzeit 7 Milliarden
Menschen und wächst um ca. 80 Millionen pro
Jahr. In wenigen Jahrzehnten werden 9 bis
10 Milliarden Menschen auf der Erde leben. Von
ihnen werden mehr als 6 Milliarden in Megastädten
und riesigen Ballungsräumen arbeiten
und wohnen. Die Zahl der Menschen, die in
Städten wohnen werden, entspricht dann der
gesamten Weltbevölkerung des Jahres 2000.
Das Nebeneinander von Innenstädten mit Wolkenkratzern,
ausufernden Vorstädten und sich
oft wild und planlos entwickelnden Slums ist
schon jetzt zu beobachten. Weil die Städte trotz
allem oft bessere Entwicklungsmöglichkeiten
bieten als ein Leben auf dem Lande, wachsen
sie ständig. Die damit verbundenen Herausforderungen
für die Städteplaner sind gewaltig.
Besonders die fernöstlichen Megastädte, wie
Shanghai oder Mumbai, führen anschaulich
vor Augen, dass die Energie- und Wasserversorgung,
Transportsysteme und Verkehrsinfrastruktur
sowie eine umweltverträgliche
Entsorgung nicht Schritt halten können mit dem
enormen Wachstum.
Steigender Energie- und Strombedarf
Der ungebrochene Trend der weltweit steigenden
Energiepreise führt dazu, dass bei den
meisten Neubauten zunehmend Wert auf Energieeffizienz
gelegt wird. Das gilt besonders für
den Energiebedarf für Beheizung und Kühlung,
aber auch für die Beleuchtung. Hier sind schon
jetzt wesentliche Fortschritte zu erkennen.
Überall, in den Städten wie auf dem Land, wird
eine ausreichende und möglichst verlässliche
Stromversorgung benötigt. Der weltweite
Nachhol- und Modernisierungsbedarf auf dem
Sektor der Elektrizitätsversorgung ist enorm.
Deshalb werden in den Schwellenländern derzeit
viele neue Kraftwerke gebaut, wobei allein
der jährliche Zubau an Kohlekraftwerken die
gesamte in Deutschland existierende Kapazität
übertrifft.
Die Kohlekraftwerke machen den Löwenanteil
aus, weil Kohle ausreichend verfügbar ist und
weil Kohlekraftwerke mit großen Leistungen
in recht kurzer Zeit errichtet und in Betrieb
genommen werden können. Neben den wenigen
großen neuen Staudammprojekten wie
dem Drei-Schluchten-Damm in China sind
Großkraftwerke für die Stromversorgung der
Ballungsräume derzeit die einzig realistische
Lösung.
Deshalb sind sich auch alle Fachleute sicher,
dass sich die Welt-Kohleförderung in wenigen
Jahrzehnten noch einmal verdoppeln
wird. Zusätzlich wird sich auch der Bedarf an
Kraftstoffen weltweit verdoppeln, so dass man
weiterhin ansteigende Preise auf den Energiemärkten
erwartet. Falls die Versorgung mit
Erdöl den Kraftstoffbedarf nicht mehr decken
kann, wird eine verstärkte Nutzung von Erdgas
erwartet. Erdgas kann direkt als Motorkraftstoff
dienen oder zu Flüssigkraftstoffen umgewandelt
werden.
Der erwartete ständige Preisanstieg wird zwar
automatisch den Trend zu Einsparungen und
effizienter Nutzung stärken, doch wegen des
Nachholbedarfs in den besonders bevölkerungsreichen
Ländern wird der globale Energiebedarf
nicht sinken.
Auch die Förderung neuer Energieträger, wie
von „unkonventionellem“ Erdgas („Schiefergas“),
wird den Anstieg der Energiepreise und
die weltweite Nutzung der Kohle langfristig vermutlich
nicht entscheidend verändern. Gegenwärtig
ist Schiefergas allerdings zu einem bedeutenden
Mitspieler auf dem amerikanischen
Energiemarkt geworden. Es hat bereits bewirkt,
dass der Erdgaspreis in den USA nur noch ein
Viertel des deutschen Gaspreises beträgt und
dass die USA unabhängig von Gasimporten
geworden sind. Stattdessen werden Anlagen
zur Gasverflüssigung für den Export gebaut. Es
wird prognostiziert, dass die amerikanischen
Vorräte an Schiefergas für sehr viele Jahrzehnte
ausreichen und den Importbedarf für Erdöl
weiter verringern. Der Einsatz von Schiefergas
für die Stromerzeugung wächst, denn derzeit
werden in den USA viele alte Kohlekraftwerke
durch Gaskraftwerke ersetzt.
Auch in Europa werden große Schiefergas-
Vorräte vermutet. Ihre Ausbeutung mit Hilfe von
Bohrungen und Hochdruck-Injektionen („Fracking“)
zur Lockerung von Gesteinsschichten
stößt vielerorts auf den Widerstand von den
Verfechtern Erneuerbarer Energien und von
Umweltgruppen, die eine Belastung des Grundwassers
befürchten.
Die Vielfalt nimmt zu
Auf dem Gebiet der Stromversorgung deutet
alles darauf hin, dass die elektrische Energie
in Zukunft immer mehr Aufgaben übernimmt
und dass sich eine erstaunliche Vielfalt von
Systemen und Möglichkeiten nebeneinander
entwickelt:
17
18
Großkraftwerke, Windparks auf hoher See,
Solarkraftwerke in der Wüste und ausgedehnte
Netze sind großtechnische Anlagen, die am
effizientesten von großen Firmen und Verbünden
realisiert werden können.
In eine ganz andere Richtung laufen die
Planungen für eine Vielzahl von kleinen, dezentralen
Stromerzeugern, die mit Hilfe von
Photovoltaik-Anlagen, Kraft-Wärme-Kopplungs-
Aggregaten (KWK) oder mit Biogasanlagen
Strom bereitstellen wollen. Auf diesem Sektor
sind derzeit besonders viele Projekte, Initiativen
und Neugründungen von Interessensgemeinschaften
zu verzeichnen.
Ein einheitlicher globaler „Königsweg“ ist nicht
zu erkennen und aus technischen Gründen
auch unwahrscheinlich. In der Zeit nach dem
zweiten Weltkrieg war das anders, denn damals
konnten sich viele Menschen durchaus vorstellen,
dass die neu entdeckte Kernenergie langfristig
alle Energieprobleme lösen würde. Die
Medien schwärmten davon, dass nicht nur die
Kraftwerke und Fabriken, sondern auch Schiffe,
Flugzeuge, Raketen und Weltraumstationen mit
„Atomenergie“ betrieben werden könnten. Diese
Euphorie ist längst einer Ernüchterung oder
sogar einer vehementen Ablehnung gewichen.
Man könnte daraus lernen, generell vorsichtig
auf allzu optimistische Vorhersagen zu reagieren.
Weil es keinen einheitlichen Entwicklungspfad
gibt, werden sich für jede Region ganz unterschiedliche
Trends und Prioritäten anbieten.
Beispielsweise können die Alpenländer die
Staudämme ausbauen, um Strom zu erzeugen
und den schwankenden Bedarf mit Hilfe von
Pumpspeicherkraftwerken auszugleichen.
Dagegen stehen in den südlichen Ländern um
das Mittelmeer besonders viele Stunden mit
kräftiger Sonneneinstrahlung zur Verfügung.
Dort kann man vor allem auf solare Wärme und
Photovoltaik setzen.
Küstenregionen bieten überall auf der Welt
Chancen zur Nutzung der Windenergie und leistungsfähige
Netze können dazu beitragen, eine
regional unterschiedlich schwankende Stromerzeugung
auszugleichen.
Megastädte und industrielle Zentren benötigen
eine leistungsfähige und zuverlässige Stromversorgung
und bleiben auch zukünftig überwiegend
auf Großkraftwerke angewiesen. Dazu
zählen natürlich auch Wasserkraftwerke.
Ländliche Regionen können einen vielfältigen
Mix von Techniken innerhalb eines weit verzweigten
Netzes vereinen.
Es gibt bisher nur wenige Gegenden, in denen
die Wärme aus dem Erdinneren in größerem
Umfang genutzt wird. Der technische Aufwand
zur Erschließung ist derzeit meistens noch zu
hoch, obwohl hier prinzipiell ein unerschöpfliches
Energieangebot vorliegt, das obendrein
nicht dynamisch fluktuiert. Natürlich darf man
nicht einfach ignorieren, dass als tiefere Ursache
für leicht erreichbare Erdwärme in der Regel
eine Schwachstelle in der Erdkruste vorliegt.
Leider ist damit auch eine gewisse Bedrohung
durch Erdbeben oder Vulkanismus gegeben.
Ein herausragendes Beispiel für eine umweltfreundliche
Stromerzeugung bietet Island. Die
heißen Quellen beheizen die Gebäude und
Straßen(!) und erbringen ein Viertel der Stromproduktion.
Der restliche Strom wird aus der
reichlich verfügbaren Wasserkraft gewonnen.
Island könnte Kontinentaleuropa mit bedeutenden
Strommengen beliefern, doch das
benötigte Gleichstrom-Seekabel muss bis zur
schottischen Küste 1200 km überbrücken. Dafür
fallen Kosten von einer Million Euro an – pro
Kilometer.
Wie langfristig kann man planen
und investieren?
Es ist wahrscheinlich, dass die fossilen Energieträger
im Laufe der nächsten 50 bis 200 Jahre
knapper und teurer werden, auch wenn die
Förderung von unkonventionellem Gas (Schiefergas)
derzeit wieder neue Vorräte erschließt.
Noch immer steigt die Nachfrage nach fossilen
Energien an. Nie zuvor wurde so viel Öl gefördert
wie in der Gegenwart. Dabei wird das Öl
fast komplett verarbeitet und anschließend „energetisch
genutzt“, also verbrannt. Nur etwa 2%
werden zur Herstellung von Kunststoffen oder
anderen langlebigen Produkten eingesetzt.
Wenn Erdöl knapp wird, wird man sich verstärkt
an das noch reichlich vorhandene Erdgas
halten. Weil Erdgas ein besonders sauberer und
vielseitiger Energieträger ist, wird es überall
vollständig erschlossen werden. Wenn auch
das Erdgas zu Ende geht, muss mit der Kohle
die letzte der preiswerten Kohlenstoffquellen
ausgebeutet werden, denn die Kohlevorräte
sind größer als die von Öl und Gas zusammen.
Doch irgendwann ist mit Sicherheit auch damit
Schluss. Daran kann niemand ernsthaft zweifeln.
Für die Konsequenzen spielt es auch keine
Rolle, ob die Vorräte dann erschöpft sind oder
ob man bereits früher beschließt, aus Umweltschutzgründen
auf eine Förderung zu verzichten.
Das zukünftige Ende der fossilen Energieträger
motiviert die Erforschung und Entwicklung der
Nutzung unerschöpflicher Quellen, doch steht
man dabei immer vor einem technischen und
wirtschaftlichen Spagat.
Einerseits wäre es günstig, sich als erfolgreicher
Vorreiter der Nutzung der Sonnenenergie und
ihrer Abkömmlinge, der Wind- und Wasserkraft,
schrittweise aus dem heiß umkämpften
Abb. 1.1: Wärmepumpen sind geeignet, um
Heizungswärme aus der Luft oder dem Wasser in
unterschiedlichen Schichten zu entnehmen.
Markt der fossilen Energieträger ausklinken zu
können, weil man bereits andere Möglichkeiten
der Energieversorgung zur Verfügung hat. In
diesem Sinne wäre es eine große Chance für
unsere Industrie, wenn sie frühzeitig ökologisch
akzeptable und zugleich auch wirtschaftlich
rentable neue Technologien entwickeln und
demonstrieren könnte.
Andererseits kann eine forcierte Vorreiterrolle
sehr kostspielig und unter Umständen sogar
ruinös werden. Wer sich zu früh und einseitig
festlegt und seine finanziellen Mittel überwiegend
in eine noch unausgereifte Technologie
investiert, kann die nachfolgenden Erfindungen
und Verbesserungen nicht mehr nutzen. Vorsichtige
Investoren fördern vielseitige eigene
Forschungs- und Entwicklungsarbeiten, um
Know-how und technische Führerschaft nicht
zu verlieren, und verfolgen die weltweiten Erkenntnisse
und Entwicklungen vorurteilsfrei und
sehr aufmerksam. Über massive Investitionen
entscheiden sie erst, wenn sich herauskristallisiert
hat, welche der vielfältigen Technologien
die besten Resultate liefern.
19
1.3 Ein ganz normaler Tag
in Deutschland
Wie sieht die gegenwärtige Stromversorgung in Deutschland an einem Werktag aus? Welche
Leistungen stehen pro Kopf zur Verfügung? Zur Vereinfachung ignorieren wir zuerst die großen
tages- und jahreszeitlichen Schwankungen. Stattdessen nehmen wir die Jahressummen der
Stromproduktion (in Kilowattstunden, kWh) und teilen sie durch die 8760 Stunden eines Jahres.
Dann erhalten wir anschauliche mittlere Leistungswerte für die Stromversorgung.
1.000.000 kW 8.000 kW
Es könnte ein Werktag im Frühling sein, mit nur
schwachem Wind und bedecktem Himmel. Der
deutsche Leistungsbedarf soll 71 GW (Gigawatt)
betragen, ein typischer Wert. Die Gesamtleistung
von 71 GW muss in der Summe von den
Kraftwerken und allen dezentralen Erzeugern
geliefert werden, um den Bedarf von Wirtschaft,
Industrie, allen öffentlichen Einrichtungen,
Schulen und allen Privathaushalten zu decken.
Um die Leistung von 71 GW zu veranschaulichen,
verteilen wir sie auf alle 82 Millionen
Bundesbürger. Pro Person ergeben sich dann
0,9 kW oder 900 Watt. Der private Bedarf ist geringer
und beträgt nur 0,3 kW pro Person – aber
auch die Straßenbeleuchtung, die elektrischen
Bahnen, die Läden und Schulen, die Industriewerke
und Fabriken müssen mit Strom versorgt
werden.
Der deutsche Pro-Kopf-Wert von 0,9 kW
(Gesamt-Leistungsbedarf, inklusive des öffentlichen
und Industriestroms) ist typisch für eine
moderne Industriegesellschaft und beträgt
derzeit das 2,5fache des globalen Durchschnittswertes.
Offensichtlich gibt es in vielen
Ländern noch einen großen Nachholbedarf bei
der Elektrifizierung.
0,9 kW oder 71 GW:
1/3 für Haushalte,
2/3 für Industrie und Allgemeinheit
1.000 Mann unter der Haube!
900 Watt an elektrischer Leistung pro Kopf, ist
das nun viel oder wenig?
900 Watt können in Motoren effizient in Arbeitsleistung
verwandelt werden. Wenn man bedenkt,
dass ein kräftiger Arbeiter eine Leistung
von ca. 100 Watt bieten kann, dann beschäftigt
jeder von uns statistisch betrachtet neun
fleißige Arbeiter, die Tag und Nacht für ihn
schuften. So gut ging es früher nur den Fürsten.
Tagsüber sind sogar noch mehr Arbeiter nötig.
Dafür dürfen nachts einige von ihnen ruhen,
weil dann weniger Leistung gefordert ist. Falls
ein PC nachts durchläuft, muss dafür „extra ein
Mann abgestellt“ werden, denn der PC benötigt
rund 100 Watt.
In der Küche werden oft noch viel größere
Leistungen umgesetzt als bei der „Denkmaschine
PC“. Ein Mikrowellenherd benötigt 1.000
Watt, also 10 Mann – allerdings meistens nur für
wenige Minuten. Der Elektroherd dagegen ist
ein besonders hungriger „Stromfresser“, denn
er verlangt oft mehr als 5.000 Watt (5 kW). Wer
auf einem Herd mit mehreren Platten brät und
kocht, der darf sich gern 50 kräftige Sportler
vorstellen, die auf Fahrrädern mit kleinen Generatoren
sitzen und mit aller Kraft strampeln und
schwitzen, nur um den Bedarf des Herdes zu
decken. Auch bei einer Waschmaschine oder
dem Wäschetrockner muss mächtig gestrampelt
werden.
Nun können 50 Sportler bereits eine Menge
leisten – aber oft reicht selbst das nicht aus.
Besonders viel Leistung wird im Verkehr verlangt.
Eine Motorleistung von 100 kW entspricht
136 PS. Um im Bild zu bleiben: Ein Mittelklassewagen
mit 140 PS hat „140 Pferde vorgespannt“
- oder aber mehr als „1.000 Kraftprotze“ sind
unter seiner Motorhaube am Werk. Erstaunlich.
Bereits bei einem Auto werden die Grenzen
unserer Vorstellungskraft erreicht. Pferde waren
für Jahrhunderte bewährte Arbeitstiere und
Transportmittel. Die meisten wiegen 500 - 700 kg
und bieten bekanntlich eine Leistung von 1 PS.
Das Leistungsgewicht von Motoren ist rund
500fach günstiger. Viele Automotoren von rund
200 kg Gewicht leisten 200 PS, entsprechend
1 kg/PS. Flugzeugturbinen erreichen sogar bis
zu 0,1 kg/PS.
Das Leistungsangebot der Technik ist überwältigend.
Darin liegt ein entscheidender Grund für
viele Annehmlichkeiten, die uns längst selbstverständlich
geworden sind. Schauen wir uns in
der Wohnung um. An einer normalen Steckdose
können bis zu 16 Ampere fließen. Im Haus sind
die meisten Leitungen mit 16 Ampere abgesichert,
weil sie sich bei stärkerer Belastung
überhitzen würden. Die Stromstärke von
16 Ampere bei einer Spannung von 230 Volt
entspricht einer Leistung von 3,7 kW: „Da warten
hinter den Steckdosen in unserem Wohnzimmer
bis zu 37 durchtrainierte Radler, um auf
unseren Befehl hin in die Pedale zu treten…!“
Natürlich warten die 37 Helfer nicht direkt hinter
der Steckdose, sondern im Kraftwerk. Falls es
sich dabei um ein 1 GW-Großkraftwerk handelt,
sind sie dort zusammen mit zehn Millionen fleißigen
Kollegen im Dienst. In diesem Bild werden
die 82 Millionen Menschen in Deutschland von
insgesamt 710 Millionen „elektrischen Dienern“
versorgt.
Strom-Erzeugung
Hinter der Steckdose beginnt eine geheimnisvolle
Welt. Cola sprudelt aus der Dose, sobald
wir sie aufreißen. Ganz ähnlich wartet auch der
Strom „im Netz“ hinter der Steckdose, bis wir
ihn anzapfen – oder etwa nicht?
Nein, es gibt keinen Stromvorrat, der darauf
wartet, abgerufen zu werden! In jeder Sekunde
muss exakt so viel Strom erzeugt werden wie
die Kunden benötigen. Bei der Stromproduktion
ist der Kunde König, denn die Kraftwerke
müssen ihre Leistung ständig seinem Bedarf
anpassen. Als Speicher stehen den Kraftwerken
nur ihre Brennstoffvorräte zur Verfügung.
21
Leistung und
Energie
Leistungsgrößen:
1 W = 1 Watt (Taschenlampe)
100 W kurzzeitige Leistungsabgabe eines
Menschen, typ. Leistungsbedarf eines PC
1 kW = 1.000 W (Kilowatt, Leistungsbedarf einer
kleinen Herdplatte)
1 kW = 1,36 PS
1 MW= 1.000 kW = 1.360 PS (Windkraftanlage,
Schiffsmaschine)
1 GW = 1.000 MW = 1 Million kW (Großkraftwerk)
Energie:
1 Ws = 1 J (Wattsekunde, Joule)
1 kWh = 3.600 kJ (1 Kilowattstunde = 860 kcal
“Kilokalorien”)
1 kWh erwärmt 10 Liter Wasser um 86 °C (= 86 K)
10 kWh Energieinhalt von 1 Liter Diesel oder
100 kg Li-Ionen-Batterie (voll geladen)
Durchschnittlicher Pro-Kopf-Strombedarf in
Deutschland:
0,9 kW x 24 Stunden = 22 kWh Tagesbedarf oder
7.900 kWh pro Jahr
Der Energieinhalt (Heizwert, Verbrennungswärme)
von einem Liter Heizöl, Diesel oder Speiseöl und
1 m³ Erdgas beträgt jeweils ca. 10 kWh. Wenn der
bei einer Verbrennung entstehende Wasserdampf
kondensiert wird, können zusätzlich circa 5% an
Wärme gewonnen werden („Brennwert“).
Täglicher Energiebedarf an Nahrungsmitteln
für einen Menschen von 70 kg:
Bei Büroarbeit: ca. 2.400 kcal/d ~ 10.000 kJ/d ~
2,8 kWh/d (Energiebedarf pro 24 Stunden).
Diese Energie pro Tag (24 h) entspricht einer
mittleren Leistung von 117 Watt.
Bei Schwerarbeit, hartem Training:
3.500 kcal/d ~ 14.700 kJ/d ~ 4 kWh/d
Das entspricht einer über 24 h gemittelten
Leistung von 167 Watt.
Die Großkraftwerke sind derzeit noch die wichtigsten
Produzenten von elektrischer Energie in
Deutschland. Ein Großkraftwerk kann mehr als
ein Gigawatt (1 GW) elektrischer Leistung in
das Höchstspannungsnetz einspeisen.
1 GW entspricht 1.000.000 kW, also 1 Million
Kilowatt. Damit deckt ein Großkraftwerk den
mittleren Bedarf von mehr als einer Million
Bürgern. In Deutschland gibt es über 120 Kraftwerke,
die fossile Energieträger, also Kohle und
Gas nutzen. Darunter sind ca. zwanzig mit einer
Leistung über 1 GW.
Bisher ist es mit dieser Technik auch bestens
gelungen, die Wünsche der Kunden zu befriedigen.
Strom ist für die Endkunden eine
besonders saubere Energieform, ohne Schmutz
und Abgase, doch ist die umweltfreundliche
Produktion von Strom eine sehr komplexe
Aufgabe. Inzwischen wird das gesamte System
umgebaut, weil viele Kunden fordern, dass ihr
Strom möglichst ökologisch produziert werden
soll. Dabei darf die zuverlässige Verfügbarkeit
natürlich nicht in Frage gestellt werden.
1 Esslöffel Kohle pro Minute und
Person
Wer das Lebensmittel Rapsöl als
Biosprit einsetzt, tankt mit einer Tankfüllung
von 56 Litern (560 kWh) so viel
Energie, dass man damit den gesamten
energetischen Tagesbedarf von
200 Menschen decken könnte.
Die beste Steinkohle hat einen Wärme-Energieinhalt
von 8 Kilowattstunden pro Kilogramm
(8 kWh/kg). Ein Kraftwerk mit einem Wirkungsgrad
von 40% kann daraus etwa 3,2 kWh an
elektrischer Energie erzeugen. Eine kleine
Rechnung zeigt: Wenn ein Kraftwerk 1 GW
elektrische Leistung ans Netz abgibt, muss es
in jeder Minute rund 5.000 kg Kohle (fein gemahlen)
verfeuern. Weil solch ein Großkraftwerk
über eine Million Menschen mit Strom versorgen
kann, sind das pro Kopf nur
erstaunlich winzige 5 Gramm Kohle
pro Minute (1 Esslöffel).
Es bereitet Schwierigkeiten, Faktoren
wie „1 Million“ oder „1 Milliarde“
in ihrer Bedeutung zu begreifen. Leider
ist ein Verständnis der Energieversorgung
ohne sie nicht möglich.
Ein eindrucksvolles Bild bieten die
gigantischen Braunkohlebagger
im Rheinischen Revier mit ihren
riesigen Schaufelrädern, bei denen
jede Schaufel größer als eine PKW-
Garage ist. Wer sie in Betrieb sieht
und sich vergegenwärtigt, dass
solch ein Ungetüm notwendig ist,
um ein Kraftwerk zu füttern, kann
sich die Dimensionen der großen Kraftwerke
gut veranschaulichen. Einige Millionen Menschen
verlangen pro Kopf mindestens einen
„Esslöffel Kohle pro Minute“ – und das wird bei
der weniger energiereichen Braunkohle dann
schnell zu „einer Garage voll Kohle“, und zwar
alle paar Sekunden!
Zu den zahlreichen Kohlekraftwerken kamen
in Deutschland für viele Jahrzehnte 17 große
Kernkraftwerke mit elektrischen Leistungen im
Gigawatt-Bereich. Derzeit sind noch neun in
Betrieb.
Das Höchstspannungsnetz,
380 oder 220 kV, 36.000 km
5.000 kW
Das Stromnetz spielt eine Schlüsselrolle, denn
es bringt Erzeuger und Kunden zusammen. Es
ist in eine klare Hierarchie gegliedert. Die oberste
und bestüberwachte Ebene ist das Höchstspannungs-
oder Übertragungsnetz. Es verbindet
die großen Stromerzeuger, die Großkraftwerke
und die großen Wasserkraftwerke sowie
einige Zusammenschlüsse leistungsstarker
Windkraftanlagen. Das Übertragungsnetz wurde
vor allem errichtet, um die deutschen Kraftwerke
zu verknüpfen und um Produktions- und
Bedarfsschwankungen ausgleichen zu können.
Außerdem ermöglichte es durch einige grenzüberschreitende
Verbindungen eine internationale
Zusammenarbeit sowie Unterstützung bei
Kraftwerksausfällen (Verbund-Aushilfe).
Inzwischen ist seine Bedeutung wesentlich
gewachsen, denn es dient auch dem länderübergreifenden
Handel mit elektrischer Energie
innerhalb Europas, so dass man von einem europäischen
Übertragungsnetz sprechen kann.
Das Höchstspannungsnetz besteht fast ausschließlich
aus Freileitungen. Man erkennt es an
den bis zu 90 m hohen, riesigen Masten und den
vier Meter langen Isolatoren, an denen die Leiterseile
hängen. Es wird bei einer Spannung von
380 kV betrieben, ältere Verbindungen auch mit
220 kV. Mit den hohen Spannungen und Stromstärken
von bis zu 2720 Ampere pro Leiterseil-
Viererbündel kann man sehr hohe Leistungen
übertragen. Die maximale Stromstärke ergibt
sich jeweils aus der zulässigen Erwärmung der
23
Abb. 1.2: Netzebenen
Ausland
24
KWK
Leitungen und ist wegen der besseren Kühlung
im Winter etwas höher als im Sommer.
Das deutsche Höchstspannungs-Übertragungsnetz
hat eine Gesamtlänge von 36.000 km
mit zahlreichen Verbindungspunkten, so dass
sich viele „Maschen“ ergeben. Der Strom kann
dann über verschiedene Verbindungen zu den
Abnehmern geleitet werden. Das ermöglicht die
Abschaltung einzelner Trassen für Reparaturen
und Wartungsarbeiten. Außerdem wird die
Zuverlässigkeit und Übertragungssicherheit
entscheidend vergrößert.
„N minus Eins“ – Sicherheit
T
T
M G M G
PV
M
G
Bio
HöS
HS
Bio
MS
NS
M: Motor, G: Generator
T: Turbine für Wasserkraft
„n-1“-Sicherheit ist ein Schlüsselbegriff für
den Betrieb der Stromversorgung. Von den
zahlreichen Systemkomponenten (deren Anzahl
sei n), also von den vielen Kraftwerken, Schaltstationen
und Leitungen muss eine beliebig
wählbare Komponente ohne Probleme für die
Gesamtversorgung ausfallen dürfen. Entsprechend
ist die Struktur des Netzes aufgebaut
und die Verfügbarkeit an Kraftwerken gesichert.
Der Ausfall einer Leitung oder aber eines Kraftwerks
kann gegenwärtig ohne Einschränkungen
ausgeglichen werden.
Warum ist das wichtig? Wenn durch den Ausfall
eines Kraftwerks oder einer einzigen Leitung
andere Leitungen überlastet würden, so käme
es in einem vermaschten Netz zu sich ausbreitenden
automatischen Abschaltungen.
Dieser „Domino-Effekt“ kann zu einem flächendeckenden
„Blackout“ führen. Das „n-1“-
Konzept hat dafür gesorgt, dass großräumige
schwere Störungen in Deutschland bisher sehr
selten waren.
Wenn man bedenkt, dass man von Nord- nach
Süddeutschland maximal 1.000 km überbrücken
muss, dann erscheint die Gesamtlänge von
36.000 km als ausreichend, um regionale
Leistungsdefizite auszugleichen. Wenn man
sich jedoch klar macht, dass jede Verbindung
nur wenige GW an Leistung übertragen kann,
dann erkennt man die Notwendigkeit, die
großen Windparks im Norden mit den Verbrauchszentren
im Süden durch neue Trassen zu
verknüpfen.
Die gestaffelten Verteilnetze
Wie erwähnt, gibt es nur ein einziges, einheitliches
Höchstspannungsnetz für den Ferntransport
von elektrischer Energie in Europa. In den
tiefer liegenden Spannungsebenen ist diese
Einheitlichkeit aufgehoben, denn dort existieren
zahlreiche unterschiedliche regionale Verteilnetze.
Sie werden von vielen Gesellschaften
und Stadtwerken betrieben und sind in drei
Spannungsebenen gegliedert. Der große Vorteil
des Wechselstroms, seine Transformierbarkeit
zwischen den verschiedenen Spannungen, wird
dabei voll ausgenutzt.
Das Hochspannungsnetz,
110 kV, 76.000 km
Die zahlreichen überregionalen Verteilnetze mit
einer Spannung von 110 kV, die „Hochspannungsnetze“,
umfassen insgesamt 76.000 km
Leitungslänge, die ebenfalls überwiegend als
Freileitungen ausgeführt sind. Auf der „Hochspannungsebene“
werden Großabnehmer wie
Industrieanlagen bedient und kleinere Kraftwerke
angeschlossen. Vor allem versorgen die
Hochspannungsnetze die vielen Umspannwerke
überall im Lande.
Das Mittelspannungsnetz,
10 kV oder 20 kV, 507.000 km
Diese Umspannstationen versorgen ihrerseits
die Mittelspannungsnetze. Jedes Mittelspannungsnetz
ist bereits ein recht feingliedriges
Netz mit einer Ausdehnung von insgesamt
507.000 km. Hier werden Großkunden wie
Industriebetriebe, Krankenhäuser oder Flugplätze
angeschlossen. Die Leitungen sind oft
als Erdkabel verlegt und nutzen meistens eine
Spannung von 10 oder 20 kV. Die zahllosen Trafostationen
(Ortsnetzstationen) in allen Stadtteilen
werden von den Mittelspannungsnetzen
versorgt.
Das Niederspannungsnetz,
230/400 Volt, über 1 Million km Kabel
Meistens führen Erdkabel die vertraute Netzspannung
von 230 V in Form von Dreileiter-
Drehstrom (400 V) von den Transformatoren
der Ortsnetzstationen bis in die Häuser. Diese
„letzte Meile“ folgt den Straßenzügen und ist
relativ kurz, aber besonders weit verzweigt.
Das bedingt eine gewaltige Verkabelungslänge
von insgesamt 1.160.000 km. Auf jeden der ca.
40 Millionen Haushalte kommen damit ca. 30 m
Niederspannungs-Anschlussleitungen.
Die feingliedrige Verteilung benötigt zahlreiche
Transformatoren. Gegenwärtig verbinden über
550.000 „Trafos“ die unterschiedlichen Spannungsebenen.
Autobahnen und Sackgassen
Man kann diese Hierarchie des Stromnetzes mit
dem Straßennetz vergleichen:
Das Übertragungsnetz entspricht den Autobahnen.
Es verbindet die Hauptproduzenten
und das Ausland, die „Fahrtrichtung“ ist frei
wählbar. Dazu kommen Fernstraßen, Durchgangsstraßen
und am Schluss entspricht das
Niederspannungsnetz den zahllosen Straßen
in den Wohngebieten, die bisweilen auch als
Sackgassen ausgeführt sind.
Auf den Stromstraßen herrschte früher eine
Verkehrsregelung mit klarer Vorgabe für die
Fahrtrichtung (d.h. für den Energietransport,
„Lastfluss“ genannt): Wer die Autobahnen mit
ihren zwei Fahrtrichtungen verließ, konnte seine
Ware über Fern- und Durchgangsstraßen bis
zu jedem Haus in den Vororten transportieren
- aber nicht umgekehrt. Der Energiestrom
verlief früher nur aus dem Übertragungsnetz
heraus „auf Einbahnstraßen“ bis zum Haus des
Kunden. Der gegenwärtige Umbau der Ener-
25
15 kW 1.000 kW 100 kW
26
gieversorgung mit dem Ziel, auch viele kleine
Stromproduzenten ans Netz anzuschließen, hat
die „Einbahnstraßenregelung“ völlig aufgehoben.
Der Lastfluss verändert häufig seine
Richtung. Inzwischen fließt die Energie auf allen
Netzebenen in beide Richtungen.
Windparks
Im Jahr 2012 waren in Deutschland über 23.000
Windenergieanlagen (WEA) mit einer erstaunlichen
maximalen Gesamtleistung von über
30 GWpeak installiert. Sie soll durch den Aufbau
von Off-Shore-Windparks in der Nordsee noch
wesentlich vergrößert werden. Weil der Wind
nur ungleichmäßig weht, steht die Gesamtleistung
von 30 GW nur selten zur Verfügung.
Derzeit rechnet man mit etwa 20% als zeitlichem
Mittelwert, so dass die Windkraft in einer
statistischen Betrachtung mit einer Einspeisung
von maximal 6 GW erscheinen kann.
Die zahlreichen WEA bilden ein weiträumiges
Team. Falls der Wind überall kräftig pustet, können
bis zu 30 GW eingespeist werden, aber bei
ruhiger Wetterlage und Flaute sind viele WEA
gemeinsam betroffen.
Große Windparks bedingen so hohe Anschlussleistungen
wie ein Kraftwerk und werden an das
Hochspannungsnetz oder sogar direkt an das
Übertragungsnetz angeschlossen.
Sonnenstrom
Die meisten Photovoltaik-Anlagen sind relativ
kleine Dachanlagen, die nur einige kW an elektrischer
Leistung abgeben können. Die Photovoltaik
(PV) hat in Deutschland einen unglaublichen
Boom erlebt. In den Jahren 2010 bis 2012
wurden jeweils über 7,5 GW an neuen Anlagen
hinzugebaut. Deshalb können nun bei landesweit
schönem Wetter über 33 GW an Solarstrom
eingespeist werden. In der maximal möglichen
Leistung entspricht das 33 Großkraftwerken.
In der Summe bedeckten die Paneelen der
deutschen PV-Anlagen im Januar 2013 bereits
die Fläche einer Großstadt, nämlich über 200 km²,
also beispielsweise 10 km x 20 km.
Sie sind überwiegend weit verstreut und deshalb
meistens in das Niederspannungsnetz
eingebunden. In den Verteilungsnetzen ergibt
sich inzwischen tagsüber oft die oben erwähnte
Lastumkehr, denn der eingespeiste PV-Strom
kann an sonnigen Tagen nicht in der Umgebung
der Produzenten abgenommen werden. Stattdessen
wird er aus dem Niederspannungsnetz
in das Mittelspannungsnetz oder sogar ins
Hochspannungsnetz zurückgespeist. Eine
solche Lastumkehr bewirkt keine prinzipiellen
Probleme, sofern die Technik ausgebaut wird.
Eine wesentlich größere Herausforderung
stellen die starken und bisweilen sehr schnellen
Schwankungen der Produktion dar. Auch die
weit verteilten PV-Anlagen bilden ein gemeinsames
Team. Bei Dunkelheit fällt der PV-Strom
aus, bei niedrigem Sonnenstand im Winter oder
bei starker Bewölkung ist er nur schwach. Deswegen
steht der PV-Strom noch viel ungleichmäßiger
als die Windenergie zur Verfügung.
Eine nach Süden ausgerichtete Dachanlage von
100 m² Fläche kann bei voller Einstrahlung 10
bis 15 kW elektrische Leistung abgeben. Das
ist die so genannte Peak-Leistung. Die über ein
Jahr aufsummierte Gesamtenergie entspricht
aber nur einer fiktiven Dauerleistung von 1 bis
1,5 kW bei ununterbrochener, gleichmäßiger
Stromabgabe (etwa 10% des Maximalwerts).
Dabei ist die Ausbeute in Süddeutschland
günstiger als im Norden und im sonnigen
Mittelmeerraum kann man sogar mit etwa 20%
rechnen.
Die Windenergie wird ausführlich im Kapitel 4.2
dargestellt, die Photovoltaik in Kapitel 4.3.
Fehlende Speicherung
Eine Zwischenspeicherung von elektrischer
Energie im Stromnetz ist nicht möglich. Nur in
einem sehr geringen Umfang ergibt sich ein
selbststabilisierender Effekt: Steigt der Bedarf
plötzlich an, sinkt die Netzspannung und in der
Folge geht auch die Drehzahl der Generatoren
in den Kraftwerken etwas zurück, weil sie sich
„mehr anstrengen müssen“. Entsprechend sinkt
die Netzfrequenz etwas unter 50 Hertz ab. Beide
Effekte führen dazu, dass die Verbraucher
weniger Leistung entnehmen und ihre Motoren
geringfügig langsamer laufen. Weil dieser Effekt
unerwünscht ist, haben die Stromproduzenten
und Netzbetreiber ihre Anlagen so ausgelegt,
dass sie Laständerungen möglichst schnell
ausregeln können. Mehr dazu erfahren wir
von den Mitarbeitern der Überwachungs- und
Schaltzentralen (Kap.4.4 und 4.5).
27
0,1 kW
Abb. 1.3: Aufteilung der Stromproduktion 2012 (vereinfacht)
Der Zauber
der Netze
Was sind ein silbernes Handy ohne Empfang,
ein goldener Wasserhahn ohne Rohranschluss,
ein grünes WC ohne Anschluss an das Abwassernetz
und ein schneeweißer ICE ohne
Oberleitung? Nutzlos!
Wir alle sind von zahlreichen Netzen umgeben,
und in ihrer Vielfalt eröffnen sie erstaunliche
Möglichkeiten.
den zahlreichen dezentralen Erzeugern über das
Niederspannungs- und Mittelspannungsnetz,
sogar bis in das Hoch- und Höchstspannungsnetz.
Die Netze sind damit zu einem ausgleichenden
Vermittler in einem weit ausgedehnten räumlichen
und komplizierten zeitlichen Puzzle von
Anbietern und Abnehmern geworden.
Kernkraftwerke
16,0 %
Steinkohlekraftwerke
19,1 %
Erdgaskraftwerke
11,3 %
Braunkohlekraftwerke
25,6 %
Windkraftanlagen
7,3 %
Biomasse und Müll
6,6 %
Heizöl und sonstige
6,2 %
Photovoltaik
4,6 %
Wasserkraftwerke
3,3 %
Jahresproduktion ca. 620 TWh
28
Sie ermöglichen Informationsfluss, Energieströme,
Warentransport, persönliche Verbindungen und
soziale Kontakte. Denken wir an Telefon und
Internet, aber auch an das Straßennetz und die
anderen Verkehrsnetze für Schiffe, Bahnen und
Flugzeuge.
Die technischen Versorgungsnetze spielen in
unserem Alltag eine große Rolle: Sie liefern
uns Wasser, Erdgas und Strom, aber auch die
neuesten Nachrichten über das Sendernetz
von Radio und Fernsehen. Solche „Verteilnetze“
sind für eine Transportrichtung erstellt: vom
Lieferanten zum Kunden, vom Sender zum
Radio oder zum Fernseher.
Übrigens ist jeder von uns auch persönlich von
Netzen durchzogen. Das Netz der Blutgefäße ist
ähnlich hierarchisch aufgebaut wie ein technisches
Versorgungsnetz. Die Länge der großen
Arterien und Venen ist überschaubar und
beträgt insgesamt nur einige Meter. Dagegen ist
die Gesamtlänge aller Blutgefäße total überwältigend.
Weil die feinen Kapillaren nur noch
Durchmesser von weniger als 10 µm besitzen,
müssen sie unvorstellbar zahlreich sein. Ihre
Gesamtlänge schätzt man mit mehr als
10.000 Kilometern(!) ab.
Nach diesem ersten Überblick über die Struktur
der Stromversorgung und der Energieströme
(„Lastflüsse“) möchten wir die „durchschnittliche
Stromproduktion“ möglichst einfach statistisch
zusammenfassen. Dabei gehen wir von
der Annahme aus, dass keine Kraftwerksausfälle
und kein Stromhandel mit den Nachbarländern
zu berücksichtigen sind. Die Aufstellung
beruht auf den Jahresmittelwerten von 2012.
Dann teilt sich die Gesamtproduktion statistisch
so auf, wie die Grafik oben zeigt.
Quelle: AG Energiebilanzen
Um den stets notwendigen Ausgleich zwischen
Produktion und Bedarf zu erzielen, müssen die
regelbaren Kraftwerke eine enorme Dynamik
bewältigen.
Wind, Biomasse, Photovoltaik und Wasserkraft
gelten als umweltschonende und unerschöpfliche
„Erneuerbare Energien“ und machen
derzeit ca. 22% der Stromproduktion aus. Es ist
eine der politischen Zielvorgaben, ihren Anteil
bis zum Jahr 2050 auf 80% zu steigern.
29
Nur das Abwassernetz ist als ein „Sammelnetz“
für die Richtung von den Einzelkunden zu
einem gemeinsamen Klärwerk konstruiert.
Telefon, Internet und Wegenetze waren von
Anfang an offen für beide Richtungen.
Unser Stromversorgungssystem befindet sich
derzeit in einem erstaunlichen Wandel. Geplant
und gebaut für einen gerichteten Lastfluss von
den Kraftwerken zum Verbraucher, müssen die
Netze zunehmend ungerichtete Lastflüsse aufnehmen.
Oft fließt die Energie „rückwärts“ von
Im menschlichen Gehirn sind über
100 Milliarden Zellen ohne eine erkennbare
Hierarchie miteinander vernetzt.
Man darf diese Langzeit-Mittelwerte der Stromproduktion
keinesfalls als konstante oder
stabile Betriebsverhältnisse interpretieren. Das
wäre völlig falsch. Im Laufe eines jeden Tages
variieren sowohl der momentane Bedarf als
auch die jeweiligen Einspeisungen sehr stark.
So schwankt die Produktion der Photovoltaik
unregelmäßig zwischen Null und einem Maximalwert,
der im Sommer auf bis zu 33 GW ansteigen
kann. Das führt zu einem „statistischen
Jahresmittel“ von nur 3,3 GW. Entsprechende
Bedingungen ergeben sich auch für den Wind.
Derzeit wird der Bedarf durch installierte Anlagen
mit diesen Maximalleistungen gedeckt
(gerundete Summen):
ca. 125 Gas- und Kohlekraftwerke: 67 GW,
Photovoltaik: 33 GWpeak,
Wind: 30 GWpeak,
9 Kernkraftwerke: 12,6 GW,
ca. 30 größere Wasserkraftwerke: 7,0 GW,
ca. 50 Biomasse-Kraftwerke: 0,4 GW,
über 110 kleinere Wasserkraftwerke und eine
Vielzahl von Müllverbrennungsanlagen und
kleiner dezentraler Erzeuger.