Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
en»<br />
Foto: zvg TANZINOLTEN<br />
© Christian Glaus<br />
fördern und das Fach als Charakterbildung verstanden<br />
wissen. Denn genau das passiert im<br />
Tanztraining.<br />
Gibt es ein konkretes Beispiel eines solchen<br />
Projektes?<br />
In Basel arbeite ich bei «miniMIR» mit. Das<br />
Projekt bringt professionelle Tänzer und Tänzerinnen<br />
der Basler MIR Compagnie aus den<br />
Bereichen HipHop und zeitgenössischem Tanz<br />
mit Zweit- und Drittklässlern der Schulen St. Johann,<br />
Volta und Kleinhüningen zusammen. Im<br />
Laufe eines Schuljahres lernen die Kinder sich in<br />
unterschiedlichen Choreografien und Improvisationen<br />
tänzerisch auszudrücken und erleben<br />
am Schluss einen gemeinsamen Bühnenauftritt.<br />
Das heisst, das Interesse am zeitgenössischen<br />
Tanz ist auch auf dieser Stufe<br />
vorhanden.<br />
Das kann man durchaus sagen. Ich meine sogar,<br />
es nimmt gerade an Schulen langsam, aber sicher<br />
zu, wobei diese Disziplin natürlich nie den<br />
Stellenwert von Breitensport oder von Musikunterricht<br />
haben wird. Aber die Motivation dazu<br />
oder der Nutzen davon ist ähnlich.<br />
Im Gegensatz zum Breitensport ist der<br />
Zugang zu dieser Art von Tanzen nicht einfach.<br />
Warum?<br />
Diese Frage beschäftigt mich selber schon<br />
lange, und ich arbeite gerade mit einer Berufskollegin<br />
an einem «Abstract», einer wertfreien<br />
Untersuchung dieses Themas. Wir stellen fest,<br />
dass das Publikum bisher vernachlässigt, zu<br />
wenig an diese Kunstform herangeführt worden<br />
ist. Das könnte zum Beispiel in Form von<br />
Werkseinführungen passieren, wie wir sie von<br />
der Oper her kennen.<br />
Genügt das?<br />
Wir müssen ausserdem versuchen, dem Zuschauer<br />
eine andere Art der Wahrnehmung,<br />
des Herangehens beliebt zu machen; dass er<br />
zwischen Rezeption und Perzeption unterscheiden<br />
kann. Rezeption basiert auf dem Verstehen<br />
von Kunst, was bedeutet sie, was will mir die<br />
Künstlerin – die Tänzerin – damit sagen? Das<br />
ist in unserer Disziplin der falsche Weg. Wir<br />
wollen die Perzeption fördern, will heissen die<br />
unbewusste, subjektive und emotionale Wahrnehmung.<br />
Was passiert in mir, was fühle ich,<br />
wenn ich eine Aufführung sehe?<br />
Das tönt kompliziert!<br />
Im Grunde genommen ist es ganz einfach: Sei<br />
offen für Neues, versuche nicht, jede Bewegung<br />
zu interpretieren und rational zu verstehen – es<br />
gibt eigentlich gar nichts zu verstehen (lacht).<br />
Jede Wahrnehmung ist richtig! Das gleiche gilt<br />
ja für abstrakte bildende Kunst, zum Beispiel<br />
für ein Gemälde von Jackson Pollock oder Mark<br />
Rothko. Will mir dieser mit zwei übereinander<br />
liegenden Farbflächen etwas sagen? Nein, er<br />
will ein Gefühl vermitteln, er will, dass die Betrachterin<br />
selbst herausfindet, was das Bild mit<br />
ihr macht.<br />
Das tönt spannend!<br />
Das ist es auch, und genau diese Reaktion wollen<br />
wir bei den Leuten auslösen. Spannend ist<br />
besonders, was man über die Wahrnehmung<br />
von Bewegung weiss: Der Mensch besitzt sogenannte<br />
Spiegelneuronen, die bewirken, dass<br />
eine bestimmte Bewegung beim Zuschauer die<br />
gleichen Hirnregionen aktiviert wie beim Tänzer.<br />
Man kann also Tanz sehr intensiv, ja sogar<br />
empathisch erleben.<br />
Wie hat sich der zeitgenössische Tanz über<br />
die Jahre verändert?<br />
Jede Kunstform ist ein Spiegel der Gesellschaft,<br />
des Zeitgeistes. Ich stelle auch beim Tanz eine<br />
Individualisierung fest, eine ständige Veränderung.<br />
Das ist aber genau das Schöne daran: Die<br />
enorme Freiheit. Kein Stück gleicht dem andern,<br />
die Handschriften von Choreografen<br />
werden weniger eindeutig. Es gibt keine Konventionen,<br />
keine «Codes» wie zum Beispiel<br />
beim klassischen Ballett oder auch beim modernen<br />
Tanz. Der Unterschied zwischen modernem<br />
20 Jahre – TANZINOLTEN<br />
und zeitgenössischem Tanz liegt übrigens genau<br />
hier: Moderner Tanz benützt ebensolche<br />
Codes, vordefinierte Figuren und Schritte.<br />
Zeitgenössischer Tanz kennt sowas nicht und<br />
improvisiert auch.<br />
Und «quo vadis», zeitgenössischer Tanz?<br />
Ich glaube, die einzelnen Sparten werden sich<br />
weiter auflösen und verschmelzen. Die Grenzen<br />
zwischen Tanztheater, Performance, Konzert<br />
und anderen Formen der Bühnenkunst werden<br />
zunehmend verschwinden.<br />
Welches sind grosse Namen in deiner Sparte,<br />
welche deine persönlichen Favoriten?<br />
Der Belgier Wim Vandekeybus ist sicher eine<br />
Koryphäe, wenn auch nicht mein Liebling.<br />
Anna Teresa de Keersmaeker und Jérôme<br />
Bel, notabene auch Belgier, bedeuten mir viel,<br />
wie auch die Dänin Mette Ingvartsen. Es sind<br />
konzeptionelle KünstlerInnen, bei denen der<br />
choreografische Aspekt des Tanzes im Zentrum<br />
steht, nicht der dekorative.<br />
Zum Schluss: Deine Einschätzung der<br />
Oltner Tanztage?<br />
Als ehemaliges Vorstandsmitglied bin ich da vielleicht<br />
zu wenig neutral (lacht). Spass beiseite:<br />
Tanz in Olten ist eines der führenden Tanzfestivals<br />
der Schweiz und für die hiesige Tanzszene<br />
sehr wichtig. Es fördert nationale und internationale<br />
Compagnien und Künstler. Für eine<br />
Kleinstadt wie Olten ist es ein grosses Privileg,<br />
Austragungsort eines solchen Anlasses sein zu<br />
dürfen. Ich gratuliere Ursula Berger, ihrem Team<br />
und dem ganzen Anlass ganz herzlich zum Geburtstag<br />
und freue mich, mit meinem Stück<br />
«Tetraphobia» an den diesjährigen Oltner Tanztagen<br />
aufzutreten.<br />
Interview: Andreas Stettler<br />
Pascale Utz<br />
www.pascaleutz.com<br />
• Geboren 1986 in Aarau, aufgewachsen in<br />
Hägendorf<br />
• Nach 5-jährigem Österreichaufenthalt seit<br />
2012 in Basel wohnhaft<br />
• Tänzerin und Tanzlehrerin, Performerin,<br />
Choreografin, Yogalehrerin<br />
• Ehemalige Schülerin von Ursula Berger<br />
(Initiantin von TANZINOLTEN und Oltner<br />
Tanztage)<br />
5