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Okt. / Nov. 2015

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Foto: zvg TANZINOLTEN<br />

© Christian Glaus<br />

fördern und das Fach als Charakterbildung verstanden<br />

wissen. Denn genau das passiert im<br />

Tanztraining.<br />

Gibt es ein konkretes Beispiel eines solchen<br />

Projektes?<br />

In Basel arbeite ich bei «miniMIR» mit. Das<br />

Projekt bringt professionelle Tänzer und Tänzerinnen<br />

der Basler MIR Compagnie aus den<br />

Bereichen HipHop und zeitgenössischem Tanz<br />

mit Zweit- und Drittklässlern der Schulen St. Johann,<br />

Volta und Kleinhüningen zusammen. Im<br />

Laufe eines Schuljahres lernen die Kinder sich in<br />

unterschiedlichen Choreografien und Improvisationen<br />

tänzerisch auszudrücken und erleben<br />

am Schluss einen gemeinsamen Bühnenauftritt.<br />

Das heisst, das Interesse am zeitgenössischen<br />

Tanz ist auch auf dieser Stufe<br />

vorhanden.<br />

Das kann man durchaus sagen. Ich meine sogar,<br />

es nimmt gerade an Schulen langsam, aber sicher<br />

zu, wobei diese Disziplin natürlich nie den<br />

Stellenwert von Breitensport oder von Musikunterricht<br />

haben wird. Aber die Motivation dazu<br />

oder der Nutzen davon ist ähnlich.<br />

Im Gegensatz zum Breitensport ist der<br />

Zugang zu dieser Art von Tanzen nicht einfach.<br />

Warum?<br />

Diese Frage beschäftigt mich selber schon<br />

lange, und ich arbeite gerade mit einer Berufskollegin<br />

an einem «Abstract», einer wertfreien<br />

Untersuchung dieses Themas. Wir stellen fest,<br />

dass das Publikum bisher vernachlässigt, zu<br />

wenig an diese Kunstform herangeführt worden<br />

ist. Das könnte zum Beispiel in Form von<br />

Werkseinführungen passieren, wie wir sie von<br />

der Oper her kennen.<br />

Genügt das?<br />

Wir müssen ausserdem versuchen, dem Zuschauer<br />

eine andere Art der Wahrnehmung,<br />

des Herangehens beliebt zu machen; dass er<br />

zwischen Rezeption und Perzeption unterscheiden<br />

kann. Rezeption basiert auf dem Verstehen<br />

von Kunst, was bedeutet sie, was will mir die<br />

Künstlerin – die Tänzerin – damit sagen? Das<br />

ist in unserer Disziplin der falsche Weg. Wir<br />

wollen die Perzeption fördern, will heissen die<br />

unbewusste, subjektive und emotionale Wahrnehmung.<br />

Was passiert in mir, was fühle ich,<br />

wenn ich eine Aufführung sehe?<br />

Das tönt kompliziert!<br />

Im Grunde genommen ist es ganz einfach: Sei<br />

offen für Neues, versuche nicht, jede Bewegung<br />

zu interpretieren und rational zu verstehen – es<br />

gibt eigentlich gar nichts zu verstehen (lacht).<br />

Jede Wahrnehmung ist richtig! Das gleiche gilt<br />

ja für abstrakte bildende Kunst, zum Beispiel<br />

für ein Gemälde von Jackson Pollock oder Mark<br />

Rothko. Will mir dieser mit zwei übereinander<br />

liegenden Farbflächen etwas sagen? Nein, er<br />

will ein Gefühl vermitteln, er will, dass die Betrachterin<br />

selbst herausfindet, was das Bild mit<br />

ihr macht.<br />

Das tönt spannend!<br />

Das ist es auch, und genau diese Reaktion wollen<br />

wir bei den Leuten auslösen. Spannend ist<br />

besonders, was man über die Wahrnehmung<br />

von Bewegung weiss: Der Mensch besitzt sogenannte<br />

Spiegelneuronen, die bewirken, dass<br />

eine bestimmte Bewegung beim Zuschauer die<br />

gleichen Hirnregionen aktiviert wie beim Tänzer.<br />

Man kann also Tanz sehr intensiv, ja sogar<br />

empathisch erleben.<br />

Wie hat sich der zeitgenössische Tanz über<br />

die Jahre verändert?<br />

Jede Kunstform ist ein Spiegel der Gesellschaft,<br />

des Zeitgeistes. Ich stelle auch beim Tanz eine<br />

Individualisierung fest, eine ständige Veränderung.<br />

Das ist aber genau das Schöne daran: Die<br />

enorme Freiheit. Kein Stück gleicht dem andern,<br />

die Handschriften von Choreografen<br />

werden weniger eindeutig. Es gibt keine Konventionen,<br />

keine «Codes» wie zum Beispiel<br />

beim klassischen Ballett oder auch beim modernen<br />

Tanz. Der Unterschied zwischen modernem<br />

20 Jahre – TANZINOLTEN<br />

und zeitgenössischem Tanz liegt übrigens genau<br />

hier: Moderner Tanz benützt ebensolche<br />

Codes, vordefinierte Figuren und Schritte.<br />

Zeitgenössischer Tanz kennt sowas nicht und<br />

improvisiert auch.<br />

Und «quo vadis», zeitgenössischer Tanz?<br />

Ich glaube, die einzelnen Sparten werden sich<br />

weiter auflösen und verschmelzen. Die Grenzen<br />

zwischen Tanztheater, Performance, Konzert<br />

und anderen Formen der Bühnenkunst werden<br />

zunehmend verschwinden.<br />

Welches sind grosse Namen in deiner Sparte,<br />

welche deine persönlichen Favoriten?<br />

Der Belgier Wim Vandekeybus ist sicher eine<br />

Koryphäe, wenn auch nicht mein Liebling.<br />

Anna Teresa de Keersmaeker und Jérôme<br />

Bel, notabene auch Belgier, bedeuten mir viel,<br />

wie auch die Dänin Mette Ingvartsen. Es sind<br />

konzeptionelle KünstlerInnen, bei denen der<br />

choreografische Aspekt des Tanzes im Zentrum<br />

steht, nicht der dekorative.<br />

Zum Schluss: Deine Einschätzung der<br />

Oltner Tanztage?<br />

Als ehemaliges Vorstandsmitglied bin ich da vielleicht<br />

zu wenig neutral (lacht). Spass beiseite:<br />

Tanz in Olten ist eines der führenden Tanzfestivals<br />

der Schweiz und für die hiesige Tanzszene<br />

sehr wichtig. Es fördert nationale und internationale<br />

Compagnien und Künstler. Für eine<br />

Kleinstadt wie Olten ist es ein grosses Privileg,<br />

Austragungsort eines solchen Anlasses sein zu<br />

dürfen. Ich gratuliere Ursula Berger, ihrem Team<br />

und dem ganzen Anlass ganz herzlich zum Geburtstag<br />

und freue mich, mit meinem Stück<br />

«Tetraphobia» an den diesjährigen Oltner Tanztagen<br />

aufzutreten.<br />

Interview: Andreas Stettler<br />

Pascale Utz<br />

www.pascaleutz.com<br />

• Geboren 1986 in Aarau, aufgewachsen in<br />

Hägendorf<br />

• Nach 5-jährigem Österreichaufenthalt seit<br />

2012 in Basel wohnhaft<br />

• Tänzerin und Tanzlehrerin, Performerin,<br />

Choreografin, Yogalehrerin<br />

• Ehemalige Schülerin von Ursula Berger<br />

(Initiantin von TANZINOLTEN und Oltner<br />

Tanztage)<br />

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