Cruiser im April 216
Das grosse Musik-Speical: Alles über den ESC in Stockholm. Zumdem: die schönsten CH ESC Flops. Mit grossem Tipp-Poster in der Heftmittel.
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april 2016 CHF 7.50<br />
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cruiser<br />
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CRUISER APRIL 2016
3<br />
Editorial<br />
Liebe Leser<br />
Wie vielfältig die LGBT-Community ist, sieht die <strong>Cruiser</strong>-Redaktion beinahe täglich: Denn wir bekommen<br />
so ziemlich jede Veranstaltung mitgeteilt und staunen manchmal selbst, was es für uns alles gibt.<br />
In dieser Ausgabe präsentieren wir gleich zwei kulturelle Highlights, wie sie unterschiedlicher kaum sein<br />
könnten: Pink Apple, das Filmfestival schlechthin – präsentiert auch dieses Jahr wieder Filme der absoluten<br />
Spitzenklasse. Wir durften schon mal vorvisionieren: Unsere Empfehlungen findest du ab Seite 14.<br />
Ebenfalls viel Auswahl (an musikalischem Trash, Kunst & Kultur) bietet der ESC: Warum wir eine Kanadierin an den Start schicken<br />
und wie das aktuelle Politgeschehen die Wahlen beeinflusst, hat Dani Diriwächter sauber in der Titelgeschichte recherchiert. Weil<br />
der ESC Spass macht, haben wir auch dieses Jahr wieder unser grosses ESC-Tipp-Poster beigelegt, und wer dieses genauer anschaut,<br />
wird feststellen dass wir das Angenehme mit dem Nützlichen verbunden haben. Aber seht selbst …<br />
Viel Spass mit dem neuen <strong>Cruiser</strong>!<br />
Haymo Empl, Chefredaktor<br />
inhalt<br />
4 Thema Eurovision Song Contest<br />
8 Kolumne Weissbergs Weissheiten<br />
9 News National & International<br />
10 Kolumne Bötschi klatscht<br />
11 Special Homophobie in der Musik<br />
14 Pink Apple Filmfestival<br />
16 Serie Schwul auf dem Lande<br />
18 News National & International<br />
20 Serie Mannsbild – Berufsbild<br />
22 Kolumne Michi Rüegg<br />
24 Reportage Baselworld<br />
26 Kolumne Thommen meint<br />
27 Special CH-Eurovisions-Flops<br />
29 Kolumne Pia Spatz<br />
30 Ratgeber Dr. Gay<br />
<strong>im</strong>pressum<br />
CRUISER MAGAZIN PRINT<br />
Herausgeber & Verleger Haymo Empl, empl.media<br />
Infos an die Redaktion redaktion@cruisermagazin.ch<br />
Chefredaktor Haymo Empl<br />
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Bilder Bilddatenbank. Alle Bilder, soweit nicht anders vermerkt, mit Genehmigung der Urheber.<br />
Art Direktion Nicole Senn<br />
Redaktion Print Vinicio Albani, Thomas Borgmann, Bruno Bötschi, Daniel Diriwächter,<br />
Andreas Empl, Martin Ender, Andreas Faessler, René Gerber, Moel Maphy, Michi Rüegg,<br />
Alain Sorel, Pia Spatz, Tanja & Jenny, Peter Thommen, Marianne Weissberg<br />
Korrektorat Julie Montblanc<br />
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WEMF beglaubigte Auflage: 11 539 Exemplare<br />
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REDAKTION UND VERLAGSADRESSE<br />
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CRUISER APRIL 2016
4<br />
thema<br />
Eurovision Song Contest<br />
Ne partez pas<br />
sans moi!<br />
Die Schweiz und der Eurovision Song Contest –<br />
eine Hass-Liebe par excellence. Und noch <strong>im</strong>mer<br />
spannend: Warum Rykka in Stockholm Chancen<br />
auf Punkte hat, und weshalb gerade in diesem<br />
Jahr die Politik eine wichtige Rolle spielt.<br />
CRUISER APRIL 2016
thema<br />
Eurovision Song Contest<br />
5<br />
Der 61. Eurovision Song Contest findet in der schwedischen Hauptstadt Stockholm statt, nachdem <strong>im</strong> letzten Jahr Måns Zelmerlöw für das Land<br />
gewonnen hat. Der Sänger wird zusammen mit der Moderatorin Petra Mede in der Ericsson Globe-Arena die drei Live-Shows präsentieren; alle<br />
werden vom SRF übertragen.<br />
VON Daniel Diriwächter<br />
W<br />
ährend die hiesige schwule<br />
Fan-Gemeinde den Eurovision<br />
Song Contest (ESC) als «ihre»<br />
fünfte Jahreszeit feiert, wird spätestens<br />
be<strong>im</strong> Blick in die sozialen Medien klar: Der<br />
Musikwettbewerb ist in der breiten Bevölkerung<br />
eher unbeliebt. Wasser auf die<br />
Mühlen der Kritiker ist reichlich vorhanden.<br />
So werden <strong>im</strong>mer wieder die Finanzen<br />
ins Feld geführt, insbesondere von zahlungsunwilligen<br />
Billag-Kunden. Dabei ist<br />
der ESC ein «Schnäppchen»: Das Schweizer<br />
Fernsehen (SRF) bezifferte die Kosten <strong>im</strong><br />
letzten Oktober <strong>im</strong> Schnitt auf 96 000 Franken<br />
(Shows wie «Happy Day» verbrauchen<br />
hingegen regelmässig über 800 000 Franken<br />
pro Folge). Die Absenz der Crème de la<br />
Crème der helvetischen Musikszene – mit<br />
wenigen löblichen (wie gescheiterten)<br />
Ausnahmen – wird ebenfalls als Qualitätsmangel<br />
empfunden.<br />
Die vielen Nullnummern sollen zudem<br />
beweisen: Die Schweiz ist be<strong>im</strong> ESC das dicke<br />
Kind, das <strong>im</strong> Turnunterricht <strong>im</strong>mer zuletzt<br />
in die Gruppe gewählt wird (was durchaus<br />
wieder Sympathien mit sich bringt).<br />
Zumal die Schweiz als Nicht-EU-Mitglied<br />
politisch abgestraft wird, doch dazu später.<br />
Und schliesslich ist da noch das konfuse<br />
Auswahlverfahren bei SRF selbst: Unzählige<br />
Bewerber per Video-Clip auf der Webseite<br />
ins Rennen zu schicken ist mutig. Die Mobilmachung<br />
vieler der Musiker ist jedoch beängstigend,<br />
und die finale Show verlangt<br />
dank unsinniger Coversong-Runde viel Tapferkeit<br />
von Zuschauer und Jury.<br />
Am Ende ist das nur Futter für Miesepeter.<br />
Der ESC besitzt eine unwiderstehliche<br />
Strahlkraft. Wenn jedes Jahr fast alle<br />
Länder Europas ihre Abgesandten singen<br />
lassen, ist das spannend, spassig und teilweise<br />
schmerzhaft – aber auch ein Fenster in<br />
des Nachbars Leben. Ein willkommener Voyeurismus,<br />
getarnt mit Glitzer, Pomp und<br />
Schadenfreude. Nicht zuletzt ist die finale<br />
Punktevergabe das Kult-Element schlechthin.<br />
Dieses Abst<strong>im</strong>mungsverfahren wird <strong>im</strong><br />
Übrigen radikal erneuert, um die Spannung<br />
zu erweitern. Jury- und Zuschauerwertungen<br />
sind nun voneinander getrennt. Jedes<br />
Land kann einem Teilnehmer max<strong>im</strong>al 24<br />
Punkte geben – zwölf durch die Jury, zwölf<br />
durch die Zuschauer; diese werden separat<br />
bekanntgegeben. ➔<br />
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6 thema<br />
Eurovision Song Contest<br />
Rykka überzeugte sowohl Publikum als auch Jury und wird für uns nach Stockholm reisen.<br />
Erfolgreiche Bilanz für die Schweiz<br />
Man liebt oder hasst den ESC und darf aber<br />
eingestehen, dass der «Grand Prix Eurovision<br />
de la Chanson», wie er hierzulande<br />
noch liebevoll genannt wird, seit seinem<br />
Bestehen <strong>im</strong> Jahre 1956 der Schweiz doch<br />
einige Erfolge brachte. Gleich der erste Triumph<br />
gelang – hinreichend bekannt – der<br />
Rupperswilerin Lys Assia, beziehungsweise<br />
den Komponisten Géo Voumard und Emile<br />
Gardaz. Noch heute geistert die scharfzüngige<br />
Assia an vielen ESC-Veranstaltungen<br />
als Ikone der Vergangenheit umher.<br />
Es sollte 32 Jahre dauern, bis wieder<br />
ein Sieg gefeiert werden konnte, wobei die<br />
Schweiz sich in der Zwischenzeit meist auf<br />
den vorderen Plätzen wiederfand. Etwa mit<br />
Esther Ofar<strong>im</strong> 1963 auf Platz 2 oder Paola<br />
1980 auf Platz 4. 1988 dann, mit nur einem<br />
Punkt Abstand (!), eroberte Céline Dion<br />
mit «Ne partez pas sans moi», geschrieben<br />
von Nella Martinetti und Atilla Sereftug,<br />
die Herzen Europas. Auch wenn Dion das<br />
Lied in ihrer Autobiographie später als<br />
«hochtrabend» bezeichnete, startete sie<br />
damit ihre Weltkarriere. Als Kanadierin<br />
damals quasi «eingekauft», sorgte das für<br />
CRUISER APRIL 2016<br />
einigen Unmut, dies ist heute be<strong>im</strong> ESC<br />
aber gang und gäbe. Da die Schweiz und<br />
Kanada ein erfolgreiches Paar abgeben,<br />
wurde bereits 1993 der nächste Import ins<br />
Rampenlicht gestellt: Annie Cotton aus<br />
Montreal erreichte mit «Moi, tout s<strong>im</strong>plement»<br />
den dritten Platz. Danach begann<br />
die bis heute anhaltende Durststrecke, in<br />
welcher nur die estnische Girl-Group «Vanilla<br />
Ninja», Anna Rossinelli und Sebalter<br />
so etwas wie Erfolge erleben durften.<br />
Das Positive an der <strong>im</strong> Februar gesendeten<br />
ESC-Entscheidungs-Show auf SRF<br />
war, dass sich Jury und Publikum für die Erfolgsformel<br />
mit Kanada ausgesprochen haben.<br />
Sängerin Rykka aus Vancouver reist für<br />
uns nach Stockholm. Sie hat aber Schweizer<br />
Wurzeln, wohnt heute in Meilen und hat mit<br />
ihren 29 Jahren Erfahrung in der Musikbranche.<br />
Und ihre Chancen stehen nicht<br />
schlecht, auch wenn sie ab und an hauchdünn<br />
den Ton verfehlt (so geschehen in der<br />
SRF-Entscheidungs-Show). Punkte könnte<br />
der Song «The Last of Our Kind», welchen<br />
Rykka selbst zusammen mit Mike James, Jeff<br />
Dawson und Warne Livesey geschrieben hat,<br />
durchaus erhalten: eine nicht zu pompös<br />
aufgetragene Ballade mit einnehmendem<br />
Refrain. Bei der Komposition standen zudem<br />
eindeutig Sia und Lorde Pate.<br />
Und weil das Auge gerade am ESC<br />
bekanntlich mithört, gibt Rykka dabei die<br />
süsse Comic-Version einer Marilyn Monroe.<br />
Passend <strong>im</strong> weissen Kleidchen und mit<br />
platinblondem Haar; nicht zu freizügig, versteht<br />
sich, aber auch kein Mauerblümchen.<br />
Ein Erfolgsmodell, das schon Kylie Minogue<br />
anwendete: Mädchen möchten sie neu anziehen,<br />
Hetero-Jungs möchten sie gerne ausziehen<br />
– alle haben Freude daran. So könnte es<br />
Rykka durchaus schaffen, <strong>im</strong> zweiten Semifinale<br />
zu punkten und ins Finale in Stockholm<br />
einzuziehen.<br />
Die Konkurrenz<br />
Rykka kann es auf alle Fälle mit der Konkurrenz<br />
<strong>im</strong> zweiten Semi-Finale aufnehmen. Sie<br />
tritt etwa gegen Australien an. Tatsächlich<br />
scheint Down Under nun fester Bestandteil<br />
der Eurovision zu sein und schickt mit<br />
Sängerin Dami Im – eine X-Factor-<br />
Gewinnerin und Chart-Stürmerin-ins<br />
Rennen. Auch Agnete aus Norwegen gehört<br />
zu den weiblichen Favoriten – ihr Song
thema<br />
Eurovision Song Contest<br />
7<br />
Dami Im wird als Konkurenz zu Rykka angesehen. Sie singt für Australien (ja, die dürfen auch wieder mitmachen!)<br />
«Icebreaker» steht musikalisch in direkter<br />
Konkurrenz zu Rykka – die Natürlichkeit<br />
lässt Agnete aber nicht nur an ihrem Auftritt<br />
vermissen. Daneben gibt es beispielsweise<br />
leicht überwindbaren Indie-Rock aus<br />
Georgien von Nika Kocharow oder austauschbaren<br />
Pop des Polen Michal Szpak.<br />
Sollte es Rykka ins Finale schaffen,<br />
steht sie dort den sechs bereits gesetzten<br />
Teilnehmern gegenüber – jene Glücklichen,<br />
deren Land den Löwenanteil der Kosten am<br />
Wettbewerb übern<strong>im</strong>mt. Deutschland setzt<br />
auf die blutjunge Veganerin Jamie Lee Kriewitz,<br />
deren Liedchen «Ghost» Xavier Naidoo<br />
schmerzlich vermissen lassen wird. Das Vereinigte<br />
Königreich präsentiert das Duo<br />
Joe & Jake mit «You’re not Alone» und bietet<br />
wenig Neues, ausser dem kläglichen Versuch,<br />
Mädchenherzen zu brechen. La France<br />
setzt auf den schönen Amir, der mit «J’ai<br />
cherché» beinahe schamlos an unseren Sebalter<br />
erinnert, während Italien ganz der<br />
Gehe<strong>im</strong>waffe «San Remo» mit der Sängerin<br />
Francesca Michielin vertraut. Spaniens Beitrag<br />
hingegen fällt ab: Deren Solistin namens<br />
Barei dürfte mit dem lauen Dancefloor-<br />
Song «Say Yay!» gnadenlos durchfallen.<br />
Das alte politische Lied<br />
Doch ob Trash oder Perle, ob peinlich oder<br />
grandios – es kann der Frömmste nicht in<br />
Frieden singen, wenn es der bösen Politik<br />
nicht gefällt. In diesem Jahr dürfte der ESC<br />
wie noch nie unter dem aktuellen Weltgeschehen<br />
leiden. Die Schweiz kann davon<br />
buchstäblich ein Lied singen. Als Insel in<br />
Europa galt sie lange als absolutes No-Go,<br />
egal welche Qualität die eingereichten Songs<br />
hatten. Neid und Missgunst über die Sonderstellung<br />
in Europa schrieben sämtliche<br />
Noten regelmässig um. Heuer wird das die<br />
Flüchtlingskrise tun. Grenzen und Mauern<br />
könnten den unbeschwerten Hörgenuss zunichte<br />
machen.<br />
Liest man <strong>im</strong> Kaffeesatz, so dürfte<br />
Deutschland mit seiner «Willkommens-<br />
Kultur» keinen einzigen Punkt einfahren.<br />
Ebenfalls könnte es beängstigend sein zu<br />
verfolgen, wie sich die Länder der Balkanroute<br />
gegenseitig bewerten. Wie und ob das<br />
musikalische Europa auf «Grexit» und<br />
«Brexit» reagiert, wird ebenfalls eine Rolle<br />
spielen. Und wie gewohnt polterte bereits<br />
Russland, das den Beitrag der Ukraine verbieten<br />
wollte – umsonst. Der Song von Jamala<br />
thematisiert die Deportation der<br />
Kr<strong>im</strong>tataren 1944 auf Befehl von Stalin. Zu<br />
guter Letzt die unerhörte Frage: Wie wirkt<br />
sich der jüngste Terror auf die Punktevergabe<br />
bei Frankreich und Belgien aus?<br />
Die Schweiz dürfte in dieser mit Spannung<br />
aufgeladenen Situation für einmal<br />
Oberwasser gewinnen – die vermeintlich<br />
friedliche Insel mit ihrer weissen Fee namens<br />
Rykka, die wie einst Nicole vom Frieden<br />
und von den letzten ihrer Art singt. Das<br />
könnte Erfolg bringen, so verstörend sich das<br />
anhören mag. Aber schliesslich greifen wir<br />
nach jedem Strohhalm, der sich uns bietet,<br />
um am ESC wieder brillieren zu können.<br />
Denn unser Schlachtruf ist der von Céline<br />
Dion: Ne partez sans moi!<br />
Der 61. ESC<br />
1. Semi-Finale Dienstag, 10. Mai<br />
2. Semi-Finale Donnerstag, 12. Mai – mit Rykka<br />
Finale 14. Mai<br />
Ausführliche Informationen über den ESC sind<br />
unter www.eurovision.tv zu finden.<br />
CRUISER APRIL 2016
8<br />
KOLUMNE<br />
Weissbergs Weissheiten<br />
Empfehlungen von der<br />
Kasse des Lebens!<br />
Kolumnistin Marianne Weissberg wurde kürzlich an<br />
der Kasse als Radiesli-Köpferin geoutet. Doch was<br />
ist sonst noch passiert, bevor es zu diesem Verbrechen<br />
kam? Bitte setzen und mitessen!<br />
VON Marianne Weissberg<br />
«<br />
Stell dir vor!!», klagte ich meinem besten<br />
schwulen Freund, mit dem ich<br />
mich zu heiss & fettig traf, <strong>im</strong> munzigsten<br />
Züri-China-Restaurant in dem man<br />
quasi <strong>im</strong> Wok i(s)st. «Eine alte Freundin<br />
rechnete mir detailliert vor, dass ich <strong>im</strong>mer<br />
undankbar gewesen sei. Dies in einem so gehässigen<br />
Ton, dass es mich grad umhaute.»<br />
Da wurde auch schon unser Frittiertes und<br />
Vernudeltes serviert, und wir stäbelten erst<br />
mal gierig. «Hm, ich erinnere mich, dass sie<br />
mir ihre ausufernde Grosszügigkeit stets<br />
aufdrängte, und es kam mir seltsam vor,<br />
dass sie alles obsessiv betrieb: Diät, Sport,<br />
Reisen», fügte ich an. «Und wie hast du auf<br />
die Vorwürfe reagiert?», fragte mein BSCHF,<br />
dessen riesiger Gebratenenudelnberg fix<br />
kleiner wurde. Ich biss krachend in meinen<br />
Currykrapfen. «Ich schickte ihr einen Link<br />
zu einer Beratungsline für seelische Störungen<br />
und kündigte die falsche Freundschaft.<br />
Sie hat prompt mich für meschugge erklärt.»<br />
«Man muss solche Gutmenschen<br />
einfach hassen, darf<br />
es aber ja nicht offen tun.»<br />
Da kam ein Hipster-Frölein herein,<br />
spargeldünn und trenddoof gestylt, und bestellte<br />
Take-Away. Wir musterten sie unverhohlen.<br />
«Unappetitlich», lästerte ich. Die<br />
Magere ging zum Warten raus. «Sie steht<br />
lieber in der Eiseskälte rum, weil man da bekanntlich<br />
abn<strong>im</strong>mt», erklärte ich. «Tschuldigung,<br />
was hat das Frölein bestellt?», erkundigte<br />
sich mein BSCHF vorwitzig. «Nur<br />
Tofu», sagte der China-Koch. «Aha, vegan<br />
und magersüchtig!», rief ich erfreut. Also<br />
gut, ich gebe es zu, damit habe ich meine<br />
unfeine Seite gezeigt. Erfrischend fand ich<br />
jedoch, dass sich mein BSCHF so offen erkundigte,<br />
während die Spargelfrau <strong>im</strong> Regen,<br />
notabene ausser Hörweite, noch schnell<br />
drei Gramm verlor. Meine gefeuerte BHF<br />
(beste Heuchel-Freundin) hatte mit mir<br />
nämlich nie offen geredet, sodass sie<br />
schliesslich von ihren Ressent<strong>im</strong>ents (niemand<br />
liebt mich, obwohl ich sooo eine Gute<br />
bin!) innerlich aufgefressen wurde. Das erinnert<br />
mich an jene Mütter, die in der Familie<br />
und als Freiwillige die heilige Madonna<br />
geben (also die biblische, leider nicht die<br />
poppige) und alle damit ins Land des<br />
schlechten Gewissens und der Undankbarkeit<br />
treiben. Man muss solche Gutmenschen,<br />
jaja, darunter hats auch Männer, einfach<br />
hassen, darf es aber ja nicht offen tun!<br />
Es ist also Heuchelei hoch zwei!<br />
Anderntags ging ich in den Türkenladen<br />
posten. Leider merkte ich erst be<strong>im</strong><br />
Zahlen, dass ich zu wenig Bargeld dabei hatte.<br />
Es war für heiss & fettig draufgegangen.<br />
«Sie können was zurücklegen», sagte die<br />
Kassen-Frau. Also zeigte ich auf die Radiesli.<br />
«STOP, Radiesli geköpft und drum kaputt,<br />
muss bezahlen!», kam die Replik der Kassen-Königin.<br />
Oh, ich hatte bereits automatisch<br />
das Grünzeug abgerissen. Diskussion<br />
zwecklos und zeitsparend unnötig. Fazit:<br />
Das Foto der geköpften Radiesli beweist,<br />
dass Frau Weissberg ihre Weis(s)heiten live<br />
erlebt!<br />
Wieso können nicht alle so fix und klar sagen,<br />
was geht und was nicht? Dann weiss<br />
man gleich, woran man ist, kriegt dann zwar<br />
keine intakten Radiesli, aber trotzdem ein<br />
gutes Gefühl. Das nenne ich eine opt<strong>im</strong>ale<br />
Lektion an der Kasse des Lebens!<br />
Marianne Weissberg<br />
ist Buchautorin, Kolumnistin und Scheffin<br />
ihres eigenen Literaturlabels EditionVOLLREIF<br />
www.marianneweissberg.ch<br />
www.vollreif.ch<br />
Bild: M. Weissberg<br />
CRUISER APRIL 2016
NEWS<br />
National & International<br />
9<br />
DAS GRÖSSTE<br />
SCHWEIZER<br />
cruiser<br />
märz 2016 CHF 7.50<br />
GAY-MAGAZIN<br />
BTC – Die Kampagne ist<br />
<strong>im</strong> vollen Gange<br />
XXX<br />
XXX<br />
1<br />
NEWS<br />
Peter Anderegg ist der neue Mr. Gay Switzerland<br />
Break The<br />
Chains 2016<br />
CRUISER MÄRZ 2016<br />
Die jährlich wiederkehrende Kampagne<br />
«Break The Chains» für Männer, die Sex mit<br />
Männern haben, will die Anzahl der Neuinfektionen<br />
mit HIV senken. Jeweils <strong>im</strong> Monat<br />
<strong>April</strong> heisst die Devise: Kein Risiko eingehen,<br />
Safer Sex praktizieren und <strong>im</strong> Mai gemeinsam<br />
mit dem Sexpartner zum Test.<br />
Laut den Berechnungen eines mathematischen<br />
Modells der HIV-Epidemie unter<br />
MSM in der Schweiz muss die Kampagne<br />
einmal <strong>im</strong> Jahr wiederholt werden, um einen<br />
messbaren Einfluss auf die HIV-Epidemie zu<br />
erzielen. Die jährliche Wiederholung dieser<br />
Aktion ermöglicht es auch, die Zahl der<br />
nicht diagnostizierten Pr<strong>im</strong>o-Infektionen<br />
möglichst tief zu halten. Damit das mit dem<br />
Test nicht vergessen geht, weist der aktuelle<br />
«<strong>Cruiser</strong>» mit dem ESC-Tipp-Poster in dieser<br />
Ausgabe sanft darauf hin …<br />
Was früher noch eine grosse Sache war, fand<br />
dieses Jahr eher <strong>im</strong> Stillen statt. Ohne grosse<br />
Vorankündigung wurde letzten Monat in St.<br />
Gallen in der News Bar Mister Gay 2016 gewählt.<br />
Da der Titel nicht geschützt ist, kann<br />
eine solche Wahl <strong>im</strong> Prinzip jeder durchführen.<br />
Dennoch war gemäss Veranstalter die<br />
News Bar «brechend voll».<br />
Die Anforderungen (die ebenfalls <strong>im</strong><br />
Vorfeld nicht gross kommuniziert wurden)<br />
an einen Mister Gay erfüllt Peter Anderegg<br />
offenbar: Nebst einer tollen Figur und einem<br />
charmanten Lächeln bringt Peter auch<br />
das benötigte Engagement für die Community<br />
und deren Themen mit. Die Reihenfolge<br />
dieser «Anforderungen» ist natürlich<br />
beliebig und rein zufällig … Ein Gesamtpaket,<br />
das die Jury (bestehend aus mehr oder<br />
minder bekannten Szenegrössen) offenbar<br />
überzeugt hat. Als Mr. Gay Switzerland<br />
2016 reist Peter bereits diesen <strong>April</strong> nach<br />
Malta, um an der Wahl zum Mister Gay<br />
World 2016 teilzunehmen. Wie es sich für<br />
eine solche Wahl gehört, gibt es auch einen<br />
Vize-Mister: Auf dem zweiten Platz und<br />
somit Stellvertreter und Community-<br />
Botschafter ist T<strong>im</strong>on (<strong>Cruiser</strong> kennt<br />
T<strong>im</strong>ons Nachnamen nicht).<br />
Die Party war gemäss Veranstalter ein voller<br />
Erfolg, dazu beigetragen hat auch das DH<br />
Duo Glitzerhaus, welches auf und abseits der<br />
Bühne für St<strong>im</strong>mung sorgte.<br />
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10<br />
KOLUMNE<br />
Bötschi klatscht<br />
Sex auf Crystal Meth –<br />
Höher, schneller,<br />
geiler<br />
Der deutsche Grünen-Politiker Volker Beck<br />
wurde mit einer Droge erwischt, deren Image<br />
besonders schillernd ist: Crystal Meth.<br />
Die User-Zahlen steigen – vor allem bei Schwulen<br />
in Zürich.<br />
VON BRUNO BÖTSCHI<br />
A<br />
le Welt fragt sich, warum Keith<br />
Richards, Gitarrist der «Rolling Stones»,<br />
so lange überlebt hat. Antwort:<br />
Er hatte das nötige Geld für sauberen Stoff.<br />
Keine Ahnung, ob Volker Beck genug<br />
Geld für sauberen Stoff hat. Was ich weiss: Er<br />
wurde mit Drogen erwischt. Der deutsche<br />
Grünen-Politiker hatte in Berlin die Wohnung<br />
eines von der Polizei überwachten Dealers<br />
betreten und sie mit 0,6 Gramm Rauschgift<br />
wieder verlassen, vermutlich Crystal<br />
Meth.<br />
Crystal Meth? Die Droge ist Symbol<br />
für die US-amerikanische TV-Serie «Breaking<br />
Bad». Um seine Familie ernähren zu<br />
können, stellt der an Krebs erkrankte Chemielehrer<br />
Walter White Meth her. Saubermann<br />
wird Drogenkönig.<br />
Beck ist kein Saubermann, er ist ein<br />
Kämpfer. Nur wenige haben in Deutschland<br />
ähnlich viel für die Gleichstellung von<br />
Schwulen und Lesben getan. Warum pfeift<br />
sich ausgerechnet so ein starker Typ was rein?<br />
Ist der Tod seines Ehemannes (2009) schuld?<br />
Wollte er leistungsfähiger werden, weil ihm<br />
die Aussortierung aus dem Politbetrieb drohte?<br />
Plante er eine Sexparty? Nette Fragen –<br />
aber die Antworten darauf gehen nur Beck<br />
etwas an. Jede Droge hat ihr eigenes Image.<br />
Das von Meth ist besonders schillernd. Es<br />
putscht auf, spiegelt Grösse vor – der Konsument<br />
fühlt sich wie ein Übermensch. Passt zu<br />
Managern, zu Politikern sowieso.<br />
CRUISER APRIL 2016<br />
Crystal Meth wirkt sexuell st<strong>im</strong>ulierend,<br />
weshalb die Droge bei Schwulen beliebt ist.<br />
«Tina» wird Meth genannt und gerne … injiziert.<br />
«Geslammt» – ja, gespritzt! – wird auf<br />
Sex-Partys in London und Berlin schon länger.<br />
Wer in Chat-Foren wie Scruff und Grindr ein<br />
grosses «T» schreibt, sagen Insider, muss heute<br />
aber auch in Zürich nicht lange auf Antwort<br />
warten. Zum Feiern von tagelangen Sexpartys<br />
ist Crystal Meth für eine zahlenmässig starke<br />
«Wir müssen endlich akzeptieren,<br />
dass eine drogenfreie<br />
Welt eine Illusion ist.»<br />
Minderheit zu einem essenziellen Bestandteil<br />
geworden. Berüchtigt ist die Droge, weil sich<br />
viele unter ihrem Einfluss mit HIV oder Hepatitis<br />
C infizieren – die künstlich verstärkte Hypergeilheit<br />
überlagert das Bewusstsein für Safer<br />
Sex. Wer tagelang Sex hat mit wechselnden<br />
Partnern, dem gehen irgendwann die Kondome<br />
aus – die Spritzen auch.<br />
Ewiggestrige werden jetzt schreien:<br />
Wusst ich’s doch, Schwule haben sowieso<br />
nur Sex und Drogen <strong>im</strong> Kopf! Dankeschön<br />
für diese Stigmatisierung, aber sogar<br />
Ex-Uno-Generalsekretär Kofi Annan weiss<br />
längst: «Wir müssen endlich akzeptieren,<br />
dass eine drogenfreie Welt eine Illusion ist.»<br />
Und noch was, ihr Ewiggestrigen:<br />
«Hinter der Drogenprohibition steckt, wie<br />
hinter dem Verbot der Homosexualität einst,<br />
ein zutiefst menschenfeindliches und autoritäres<br />
Weltbild», schreibt Dirk Ludwig <strong>im</strong><br />
Magazin «Siegessäule».<br />
Drogenbenutzung ist kein Verbrechen,<br />
sie ist nicht einmal per se eine Krankheit.<br />
Millionen Menschen nehmen sporadisch<br />
Drogen und leben dabei ein fröhliches, unbeschadetes<br />
Leben. St<strong>im</strong>mt, einige haben ein<br />
Problem damit. Sucht ist aber nicht auf<br />
Meth, Kokain und Co. beschränkt. Verbieten<br />
wir deshalb Alkohol, Schoggi oder Computer?<br />
Und weshalb gelten Drogensüchtige<br />
bis heute als kr<strong>im</strong>inell?<br />
Mit Meth kann man seine Arbeit<br />
schneller machen, man hat mehr Ideen.<br />
Tönt verlockend – und wenn sogar gestandene<br />
Männer wie Volker Beck darauf Lust<br />
bekommen, muss uns das Angst machen.<br />
Kürzlich erzählte mir ein Freund, er<br />
wundere sich nicht über die Beliebtheit von<br />
Meth. «Die Droge verspricht die Erfüllung<br />
all dessen, was gesellschaftlich als erstrebenswert<br />
gilt. Leistungsfähig und erfolgreich<br />
sollen wir sein – und zugleich Spass<br />
haben. Erst dann gilt ein Leben als geil.»<br />
Mein Freund hat recht, leider.<br />
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Special<br />
Homophobie in der Musik<br />
11<br />
Diffamierung als<br />
Pop-Phänomen<br />
Lange Zeit galten Hip-Hop und Homophobie als eine unausweichliche Kombination.<br />
Schwulen- und frauenfeindliche sexistische Texte gehörten <strong>im</strong> Rap<br />
und Reggae quasi zum «guten Ton». Beispiele dafür zeigten wir in der letzten<br />
Ausgabe. Im zweiten Teil schauen wir auf die Ursachen des Schwulenhasses<br />
in dieser Szene und auf die ersten offen schwulen «Homo-Hopper», die jetzt<br />
eine andere Tonlage in den Hip-Hop bringen.<br />
VON Thomas Borgmann<br />
P<br />
rovokation und Tabubrüche sind ein<br />
wesentlicher Bestandteil des Rap, der<br />
die Sprache der Strasse zu Gehör<br />
bringen will. Doch mit seinem 2007 angeblich<br />
unfreiwillig <strong>im</strong> Internet veröffentlichten<br />
Track «Keine Toleranz» hatte es der Rapper<br />
G-Hot selbst für diese Szene zu weit getrieben.<br />
Mit Textzeilen wie «Was ist bloss passiert,<br />
sie werden akzeptiert, es gab Zeiten, da<br />
wurden sie mit der Axt halbiert» rief er offen<br />
zu Gewalt gegen Homosexuelle auf, was ihm<br />
nicht nur den Rauswurf von seinem ansonsten<br />
nicht z<strong>im</strong>perlichen Label «Aggro Berlin»<br />
«Was ist bloss passiert, sie<br />
werden akzeptiert, es gab<br />
Zeiten, da wurden sie mit der<br />
Axt halbiert.»<br />
einbrachte, sondern auch eine Strafanzeige.<br />
Immerhin hat dieser an Widerlichkeit kaum<br />
zu überbietende Text die Kritik gegen homophobe<br />
und sexistische Inhalte <strong>im</strong> Hip-Hop<br />
noch lauter werden lassen. Schon 2004 bildete<br />
sich die weltweite Kampagne «Stop Murder<br />
Music», nachdem der jamaikanische<br />
Reggae-Star Elephant Man in Songs die Ermordung<br />
von Schwulen und Lesben forderte,<br />
was angesichts der homophoben und gewaltbereiten<br />
St<strong>im</strong>mung gegen Homosexuelle<br />
in Jamaika, wo gleichgeschlechtliche Liebe<br />
unter Strafe steht, besonders gefährlich ist. ➔<br />
Homophobie gehört in der Rap Musik zum guten Ton. Gut, gibt es neuerdings auch Ausnahmen.<br />
CRUISER APRIL 2016
12<br />
Special<br />
Homophobie in der Musik<br />
Rapper G-Hot nennt sich auch Jihad. Der Name ist Programm.<br />
Das Cover von (hetero) Rapper Bass Sultan Hengzt sorgte für<br />
einen Shitstorm.<br />
Die Kampagne «Stop Murder Music» engagiert<br />
sich unter anderem für den Boykott<br />
von Konzerttourneen von Künstlern, die<br />
solche Inhalte propagieren.<br />
Mit dem «Reggae Compassionate Act»<br />
hatte sie eine Erklärung aufgesetzt, in der<br />
sich entsprechende Interpreten von ihren<br />
Songs gegen Schwule und Lesben distanzieren<br />
können. Viele der kontroversen Künstler<br />
haben diese Erklärung tatsächlich unterzeichnet<br />
und sich für ihre homophoben Texte<br />
entschuldigt. Das ist nicht nur ein Zeichen<br />
dafür ist, dass die St<strong>im</strong>mung in den letzten<br />
Jahren zugunsten der Kritiker, Skeptiker<br />
und Mahner gekippt ist, sondern es steht<br />
auch für eine gewisse Haltungsänderung in<br />
der Szene selbst. Während sich in den ersten<br />
Jahren nur vereinzelt Protest gegen diese<br />
agressiven homophoben Inhalte geregt hatte,<br />
führte 2014 die Ankündigung einer<br />
Tournee von Elephant Man in der Schweiz<br />
und in Deutschland sogar die Politik und die<br />
Presse auf den Plan, die sich für einen Boykott,<br />
beziehungsweise die Verhinderung der<br />
Konzerte stark machte. In Bern konnten<br />
Schwulenverbände einen Auftritt verhindern,<br />
andere Konzerte in der Schweiz fanden<br />
CRUISER APRIL 2016<br />
statt, nachdem der Reggae-Star zusicherte,<br />
keine Lieder mit homophobem Inhalt zu singen.<br />
Noch um die Jahrtausendwende wurden<br />
eindeutig sexistische, rassistische und<br />
homophobe Songäusserungen eher lächelnd<br />
ignoriert, doch heute kommen die Interpreten<br />
ausserhalb ihrer He<strong>im</strong>atländer mit solchen<br />
Lyrics <strong>im</strong>mer seltener durch.<br />
«um die Jahrtausendwende<br />
wurden eindeutig sexistische,<br />
rassistische und homophobe<br />
Songäusserungen eher<br />
lächelnd ignoriert.»<br />
Dass sich die Rap-Szene mit der Akzeptanz<br />
von Schwulen und Lesben so<br />
schwer tut, wurzelt nicht zuletzt in der<br />
He<strong>im</strong>at des Rap, den Schwarzen-Ghettos<br />
der USA. Dort war die Musik <strong>im</strong>mer auch<br />
stark von der Kirche beeinflusst, für die<br />
Homosexualität bis heute als Sünde gilt.<br />
Auch sind schwule sexuelle Praktiken für<br />
viele Rastas ein Symbol und Instrument<br />
der Unterwerfung und ein Werkzeug des<br />
Rassismus, das männliche Sklaven häufig<br />
durch sexuelle Gewalt durch den weissen<br />
Mann erleiden mussten. Selbst heute noch<br />
sehen viele afroamerikanische Bürgerrechtler<br />
in den USA Homosexualität als ein<br />
Instrument weisser Unterwerfung, das in<br />
Afrika angeblich nicht existiert. Ein amerikanischer<br />
Konzertmanager sieht schliesslich<br />
noch eine eher pragmatische Ursache<br />
für die Homophobie <strong>im</strong> Rap: Viele<br />
Rap-Musiker seien durch ihren Lebensstil<br />
<strong>im</strong>mer wieder <strong>im</strong> Gefängnis gelandet,<br />
erläutert er, wo sie sich besonders machohaft<br />
geben mussten, um der Gefahr des<br />
sexuellen Missbrauchs und der Gewalt zu<br />
entgehen. Delroy Constantine-S<strong>im</strong>ms, der<br />
Herausgeber einer Essay-Sammlung mit<br />
dem Titel «The Greatest Taboo» zum Thema<br />
Homophobie in der afroamerikanischen<br />
und karibischen Musik, berichtete,<br />
wie die Insassen von jamaikanischen<br />
Gefängnissen 1997 sechzehn Mithäftlinge<br />
allein wegen des Verdachts der Homosexualität<br />
umgebracht hätten.
Special<br />
Homophobie in der Musik<br />
13<br />
Einer der charismatischen und bekanntesten<br />
Homo Rapper: Deadlee aus Los Angeles<br />
Homo-Hopper auf dem Vormarsch<br />
Ist Homophobie also eine reine Präventivmassnahme<br />
vor Gewalt und sexuellem<br />
Missbrauch und Heterosexualität demzufolge<br />
quasi eine Berufsanforderung für<br />
Rapper? Dass ein schwuler Rapper mit einem<br />
Outing nicht zwangsläufig einen kommerziellen<br />
Suizid begeht, beweist eine mittlerweile<br />
ständig wachsende Szene, die noch<br />
vor wenigen Jahren undenkbar gewesen<br />
wäre. Internetnetzwerke und das jahrelange<br />
Engagement der homosexuellen Gemeinden<br />
haben schwule und lesbische<br />
Rap-Ikonen hervorgebracht, die sich unter<br />
dem Genre-Namen Homo-Hop einer zunehmender<br />
Popularität erfreuen und in<br />
San Francisco, Oakland oder London jährliche<br />
Homo-Hop-Festivals veranstalten.<br />
Dass queere Rap-Parties mittlerweile auch<br />
in Europa auf dem Vormarsch sind, beweist<br />
einmal mehr, dass nichts mit dem Musikgenre<br />
Hip-Hop falsch läuft, sondern höchstens<br />
mit einigen ihrer bisherigen Protagonisten.<br />
Einer der charismatischen und bekanntesten<br />
Homo-Hopper zurzeit ist der<br />
muskelbepackte und tätowierte Sänger<br />
Deadlee aus Los Angeles, dessen Songs als<br />
Underground-Bestseller gelten und bereits<br />
auf Soundtracks von Filmen zu hören<br />
waren. Er kämpft gegen Angriffe auf<br />
Schwule durch Hip-Hop-Stars wie Eminem<br />
oder 50 Cent und bekennt sich offen<br />
zu seiner Homosexualität. Die Helden seiner<br />
Songs sind schwul, und er dreht die<br />
«Zumindest <strong>im</strong> Untergrund<br />
erobert schwuler<br />
Rap bereits ein loyales<br />
Publikum.»<br />
Bedeutung des Wortes so ins Positive um,<br />
wie es die Ur-Rapper einst mit dem Wort<br />
«Nigga» gemacht haben, um dessen rassistische<br />
Bedeutung ad absurdum zu führen.<br />
Auch der offen schwule New Yorker Rapper<br />
Lelf mischt mit seinem schrillen Outfit<br />
und Video-Clips, die kaum ein schwules<br />
Klischee auslassen, den Hip-Hop<br />
gründlich auf. In einigen seiner Lieder<br />
reiht er Schmähworte für Schwule wie<br />
Faggot, Swisher oder Banjee boy wie persönliche<br />
Auszeichnungen aneinander und<br />
kehrt sie dadurch ins Positive.<br />
Zumindest <strong>im</strong> Untergrund erobert<br />
schwuler Rap bereits ein loyales Publikum,<br />
aber auch erste Hip-Hop-Kollegen aus dem<br />
Mainstream schickten Respekt- und<br />
Solidaritätsbekundungen. So hatte der einst<br />
mit schwulenfeindlichen Verungl<strong>im</strong>pfungen<br />
nicht sparende Rapper Common in dem<br />
Song «Between Me, You & Liberation» beispielsweise<br />
vom Coming-Out eines Freundes<br />
gerappt. Im letzten Jahr sorgte der Berliner<br />
Rapper Bass Sultan Hengzt mit dem<br />
Plattencover seines Albums «Musik wegen<br />
Weibaz» für Schlagzeilen und Aufruhr in<br />
der Szene. Es zeigt zwei Männer, die ihre<br />
Hände zärtlich an den Kopf des Gegenübers<br />
halten und kurz davor sind sich zu küssen.<br />
Nachdem das Cover auf Twitter die Runde<br />
machte, entlud sich erwartungsgemäss ein<br />
Shitstorm unter den homophoben Rap-Fans.<br />
Von der Presse aber wurde Bass Sultan<br />
Hengzt als Kämpfer gegen Schwulenfeindlichkeit<br />
gefeiert. Natürlich war der Tabubruch<br />
in der Szene und die Aufmerksamkeit, die er<br />
damit erntete, auch eine gute Promotion für<br />
die Platte – ob kalkuliert oder nicht, sei dahingestellt.<br />
«Läuft ja richtig mit Homophobie»,<br />
kommentierte er das grosse Echo auf<br />
sein Cover. Gleichwohl hat der Rapper damit<br />
eine konstruktive Diskussion um Schwulenfeindlichkeit<br />
in der Szene angestossen, die<br />
den öffentlichen Druck gegen Ausgrenzung<br />
und Diskr<strong>im</strong>inierung in Texten des Hip-Hop<br />
und Rap wachsen lässt. Vielleicht etablieren<br />
sich die Lyrics der Homo-Hopper ja irgendwann<br />
so weit <strong>im</strong> Mainstream des Rap, dass<br />
«schwul» in diesem Musikgenre mal zu einem<br />
Synonym für «cool» wird. Schön re<strong>im</strong>en<br />
würde es sich auf jeden Fall.<br />
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CRUISER APRIL 2016
14<br />
Pink Apple<br />
Filmefestival<br />
Gays und<br />
Games<br />
Das diesjährige Pink Apple Filmfestival wirft einen<br />
Blick über den Tellerrand hin zu einem anderen<br />
Massenmedium: dem Videospiel. Mit dabei ist auch<br />
die Tunte als solche.<br />
eigene Geschlecht herrscht auch kein Mangel.<br />
Das Pink Apple Festival n<strong>im</strong>mt das<br />
Shakespeare-Jubiläum zum Anlass, die Umsetzung<br />
seiner Stoffe auf Celluloid unter die<br />
Lupe zu nehmen. Ein Vortrag in Zusammenarbeit<br />
mit dem Englischen Seminar der<br />
Universität Zürich rundet dieses Thema ab.<br />
Die Ausnahme bestätigt die Regel: Schwule Charaktere sind in Videogames Mangelware.<br />
VON Michi Rüegg<br />
W<br />
as hat er bloss für eine Karriere<br />
hingelegt, der schwule Mann in<br />
Film und Fernsehen. Noch vor<br />
Jahren war er ein verschupftes Wesen, das<br />
zwischen Selbsthass seiner Abartigkeit wegen<br />
und Sehnsucht nach Anerkennung pendelte.<br />
Das mit der Liebe ging in die Hose,<br />
und manch ein schwuler Charakter brachte<br />
nicht mal den eigenen Suizid auf die Reihe.<br />
Probleme haben Gays in Filmen heute<br />
noch, doch unterscheiden die sich <strong>im</strong>mer<br />
seltener von denjenigen ihrer heterosexuellen<br />
Mit-Charaktere. Das Universum an<br />
Gay-Rollen hat über die Jahre enormen Zuwachs<br />
erfahren. Umso erstaunlicher, dass<br />
Schwule (und Lesben) in einem anderen<br />
wahnsinnig populären Medium noch kaum<br />
existieren: dem Videospiel. Seit Mario – der<br />
spätere Supermario – Anfang der Achtziger<br />
seine Prinzessin aus den Klauen von Gorilla<br />
Donkey Kong befreien musste, hat sich dort<br />
nämlich in Sachen Diversity nicht sonderlich<br />
viel getan.<br />
Uns gibt es praktisch nicht<br />
Damit wären wir bereits bei einem der<br />
Schwerpunkte des diesjährigen Pink Apple<br />
Festivals, das wie <strong>im</strong>mer Ende <strong>April</strong> und<br />
Anfang Mai in Zürich stattfindet und danach<br />
nach Frauenfeld übersiedelt. Zusammen<br />
mit der Zürcher Hochschule der Künste<br />
(ZHdK), die Lehrgänge für Videospiel-Designer<br />
anbietet. Die Gamedesigner haben eine<br />
Ausstellung konzipiert, die am Pink Apple<br />
auf unsereins in Videospielen eingeht. Und<br />
ja, man darf selber mitspielen. Anlass bildet<br />
unter anderem der Film «Gaming in Color»<br />
von Matt Conn, der am Festival gezeigt<br />
wird. Er wirft einen Blick auf die milliardenschwere<br />
Videospielindustrie – aus schwuler<br />
und lesbischer Sicht.<br />
Was heute ernste Hochkultur ist, war<br />
zu Lebzeiten William Shakespeares gute Unterhaltung.<br />
Die Werke des Königs der Theaterautoren<br />
strotzen nur so von zweideutigen<br />
Wortspielen. Männer in Frauenkleidern waren<br />
die Norm und an Liebeserklärungen ans<br />
Frauen und Tunten zuerst!<br />
Von den Männern in Frauenkleidern ist es<br />
nur ein kurzer Hüpfer zum Thema Tunten.<br />
Was einst eine mit Stolz vorgetragene Selbstdefinition<br />
vieler schwuler Männer war, ist<br />
etwas aus der Mode geraten. Das Tuntentum<br />
fristet dieser Tage ein Mauerblümchendasein.<br />
Umso verdienstvoller macht sich Pink<br />
Apple, indem es dieses Jahr laut und schrill<br />
«Rettet die Tunten!» ruft. Mit «Herr von<br />
Bohlen» steht auch ein nagelneuer Streifen<br />
parat, der sich dem teiltragischen Leben eines<br />
Vertreters dieser Gattung widmet.<br />
Dass Film nicht, dasselbe wie Kino ist,<br />
wissen wir allerspätestens seit jeder Depp<br />
den roten Knopf auf seinem iPhone drücken<br />
kann. Film war schon <strong>im</strong>mer ein Mittel, um<br />
das Private festzuhalten. Bereits vor Jahrzehnten<br />
wurde schwuler und lesbischer Alltag<br />
auf He<strong>im</strong>kameras festgehalten. Die entsprechenden<br />
Rollen verschwanden auf dem<br />
Dachboden oder auf tragische Weise <strong>im</strong><br />
Mülle<strong>im</strong>er. Nun hat ein Teil solcher Materialien<br />
doch noch den Sprung auf die grosse<br />
Leinwand geschafft. Im Film «Reel in the<br />
Closet» von Stu Maddox (siehe Box).<br />
Pink Apple Filmefestival<br />
Das 19. Pink Apple Filmfestival findet vom<br />
27. <strong>April</strong> bis 5. Mai in Zürich und vom 6. bis<br />
8. Mai in Frauenfeld statt. Infos zu Programm<br />
und Tickets auf www.pinkapple.ch<br />
CRUISER APRIL 2016
Pink Apple<br />
Filmefestival<br />
15<br />
Die junge Liebe wird gestört: «Akron».<br />
Amsterdam während der Pride-Party: «Chez Nous».<br />
Pink Apple: die Filmhighlights<br />
Fast schon zufällig schwul ist die Geschichte<br />
zwischen Benny und Christopher, die sich be<strong>im</strong><br />
Footballspiel am College kennenlernen. In<br />
«Akron» erzählen Sasha King und Brian O’Donnel<br />
eine emotionsgeladene Geschichte zweier<br />
Familien, die mit ihrer Vergangenheit ins Reine<br />
kommen müssen. Zur Kategorie «schwuler<br />
Kostümfilm» zählt hingegen «Chez Nous», der<br />
in Amsterdam spielt. Weil ihre Stammbar vor<br />
der Pleite steht, planen Besitzer Berti und seine<br />
Stammgäste, <strong>im</strong> Gewühl der Pride-Feierlichkeiten<br />
die Kronjuwelen zu klauen. Die Geschichte<br />
wird zur grandiosen Komödie mit Mission-Impossible-Momenten.<br />
Spektakulär sind<br />
die Bilder in Stu Maddox’ Dokfilm «Reel in the<br />
Closet». Der Streifen zeigt nie veröffentlichte<br />
private Filmaufnahmen aus verschiedenen<br />
Jahrzehnten. Und dokumentiert auf diese Weise<br />
ein reges schwules und lesbisches Leben,<br />
von dem bislang keine oder kaum Aufzeichnungen<br />
existierten.<br />
CRUISER APRIL 2016
16<br />
Serie<br />
Schwul auf dem Land<br />
Schwul<br />
auf dem<br />
land<br />
In unserer Serie «Schwul<br />
auf dem Land» portraitieren<br />
wir spannende<br />
Menschen abseits der<br />
grossen Ballungszentren.<br />
«Wir würden Luzern<br />
nur ungern verlassen.»<br />
VON Martin Ender<br />
Nico Planzer:<br />
«Ich bleibe Luzern treu.»<br />
Nico Planzer, in Luzern geboren und aufgewachsen,<br />
ist Gärtner, 20 Jahre alt und leistet<br />
derzeit Zivildienst in der Alters- und Betagtenpflege.<br />
Nico ist ein äusserst engagierter,<br />
politischer Mensch. Dies war schon früh in<br />
seiner Jugend so, obwohl ihm die Politik<br />
nicht in die Wiege gelegt wurde. Weder <strong>im</strong><br />
Elternhaus, noch von Schulfreunden wurde<br />
er dahingehend angeschubst. Er war selber<br />
neugierig darauf. Seit 2010 ist er <strong>im</strong> Luzerner<br />
Jugendparlament dabei. 2014 und 2015 war<br />
er CO-Präsident vom «Jugendparlament<br />
Kanton Luzern».<br />
Er politisierte erst bei den Jusos, bis er<br />
nun seine He<strong>im</strong>at bei der BDP gefunden hat.<br />
Er formuliert es so: «Ich bin vor rund zwei<br />
Jahren über Kontakte zur BDP gestossen und<br />
fand die kleine gelbe Partei, ihre Positionen<br />
und ihre Mitglieder auf Anhieb sehr ansprechend.<br />
Schon bald war der Wunsch bei mir<br />
vorhanden, aktiv ein Teil dieser Partei zu werden.<br />
Kurz darauf wurde ich zum Parteisekretär<br />
Kanton Luzern und neu auch zum Präsidenten<br />
BDP-Stadt Luzern gewählt.»<br />
Nach einigen kürzeren und längeren<br />
Beziehungen lebt Nico «aktuell glücklich als<br />
Single». Im vergangenen Herbst, <strong>im</strong> Zusammenhang<br />
mit den Nationalratswahlen, standen<br />
er als Parteisekretär und Denis Kläfiger,<br />
Präsident der BDP Kanton Luzern, offen zu<br />
ihrem Schwulsein. Da stellt sich doch die<br />
Frage, wie war das ein paar Jahre früher mit<br />
Nicos Coming-out? Dazu meint er: «Das ist<br />
eine lange Geschichte. Ein sehr enger Freund<br />
und Vertrauter outete sich eines Tages unverhofft<br />
bei mir. Ich war total fasziniert und<br />
empfand für diese Entscheidung tiefen Respekt.<br />
Von diesem Ereignis aber überrascht<br />
und total überfordert, outete ich mich nicht<br />
gleichzeitig bei ihm – erst am darauffolgenden<br />
Tag. Wie ich zuvor, war auch er völlig<br />
überrascht.»<br />
«Nach und nach outete ich mich bei<br />
Freunden und Bekannten, erst später dann<br />
CRUISER APRIL 2016
Serie<br />
Schwul auf dem Land<br />
17<br />
bei der Familie. Ich habe glücklicherweise<br />
nur positive Feedbacks erhalten und kann<br />
ein Outing jedem nur empfehlen!» Dennoch<br />
beurteilt Nico die Offenheit der Bevölkerung<br />
skeptisch: «Luzern ist ein katholischer Fleck,<br />
und dies merkt man teilweise sehr gut.<br />
Denis Kläfiger: der zugezogene<br />
«Lozärner»<br />
Auf die Frage, wie es sich in Luzern leben<br />
lässt, meint Denis Kläfiger: «Es ist ein katholisch<br />
geprägter Kanton, das spürt man<br />
schon. Es herrscht eine andere Atmosphäre<br />
als in Zürich, wo man sich lockerer geben<br />
kann auf der Strasse. In Luzern sind die Leute<br />
verschlossener. Luzern ist mit rund 80 000<br />
Einwohnern halt eine kleine Stadt. Aber es<br />
ist eine schöne kleine Stadt. Es lebt sich gut<br />
hier als Schwuler. Wer jedoch gerne und öfters<br />
in den Ausgang gehen will, na ja …»<br />
Denis betont, dass er nicht so der Szene-<br />
Ausgangstyp ist. Er ist einfach gerne mit<br />
Kollegen mal unterwegs und die sind teils<br />
hetero, teils schwul. Klar gab es die Zeit, in<br />
der man nach Zürich gefahren sei, um einen<br />
Abend <strong>im</strong> T & M zu verbringen, da in Luzern<br />
ja nur einmal <strong>im</strong> Monat die Frigay-<br />
Night-Party stattfinde. Oder man besuchte<br />
eine Purplemoon-Party.<br />
Denis war zuerst <strong>im</strong> klösterlichen<br />
Internat<br />
Der 24-Jährige Denis ist gelernter Kaufmann,<br />
und wie es sich be<strong>im</strong> Gespräch <strong>im</strong><br />
«Café de Ville» unschwer heraushören lässt,<br />
kein gebürtiger «Lozärner». Seine Jugendzeit<br />
verbrachte er in Rapperswil. Danach kam er<br />
nach Engelberg für ein Jahr ins klösterliche<br />
Internat. Ein Haus mit alten Strukturen, will<br />
heissen, man kam nur in den Ferien nach<br />
Hause. Ausgerechnet in dieser Zeit, in der er<br />
mit Schulkollegen und den Ordensmännern<br />
unter einem Dach lebte, startete seine<br />
Coming-out-Phase. Nach einem Jahr zog er<br />
zur Weiterbildung ins Welsche, zu Nonnen.<br />
Zu seinem Coming-out befragt, und wie er<br />
heute in seinem auch politischen Umfeld<br />
wahrgenommen werde, meint Denis: «In<br />
Luzern hatte ich ein «unproblematisches»<br />
Coming-out. Das lag wohl auch an meinen<br />
KV-Kollegen. Ich wurde gut aufgenommen<br />
und habe heute noch gute Kontakte zu ehemaligen<br />
Klassenkameraden, darunter etliche<br />
Heteros. Alle wissen es. Ich bin da offen.<br />
«Die Nachbarn wissen es, der Vermieter<br />
auch, innerhalb der BDP weiss man es,<br />
ich gehe offen damit um, auch bei Vorstellungsgesprächen,<br />
das ist mir wichtig.» Die<br />
Offenheit der Luzerner Bevölkerung müsse<br />
man differenziert anschauen, meint Denis:<br />
«Der Unterschied ist gross zwischen Stadt<br />
und Land. Auf dem Land sind die Leute<br />
nach wie vor recht konservativ. Die Parteienlandschaft<br />
ist das entsprechende Abbild.<br />
Die Stadt Luzern ist Mitte-Links geprägt,<br />
ähnlich wie Zürich. Und somit auch offener<br />
als auf dem Land. Der Kanton ist bürgerlich,<br />
eine Hochburg der CVP. Man denke an das<br />
Entlebuch.»<br />
Denis kämpft für die Ehe für alle<br />
Ob die «Ehe für alle» in diesem Kanton ein<br />
Chance habe, wagt Denis nicht mit e<strong>im</strong> Ja zu<br />
beantworten: «Das ist ist schwierig zu sagen.<br />
Ich hoffe natürlich, dass sich mit der Zeit<br />
auch Bürgerliche mit dem Gedanken anfreunden,<br />
Homosexualität als normal zu<br />
empfinden.» Der derzeitige Single kämpft<br />
für die Ehe für alle. Auf die Frage, ob denn<br />
die eingetragene Partnerschaft nicht genüge,<br />
sagt er sehr schnell: «Auf keinen Fall! Dieses<br />
Gesetz war damals eine Notlösung und zur<br />
damaligen Zeit das überhaupt Machbare.»<br />
Denis lebt gerne in Luzern, dennoch<br />
gesteht er ein: «Ich liebäugle seit jeher mit<br />
zwei Destinationen und könnte mir vorstellen<br />
dort zu leben. Da ist einerseits Brasilien,<br />
wo meine Mutter herkommt. Und andererseits<br />
Neuseeland, da war ich ein halbes Jahr,<br />
um mein Englisch aufzufrischen.»<br />
Interview<br />
Denis, seit wann politisierst du?<br />
Ich bin seit vier Jahren Mitglied der BDP. Bereits<br />
während der KV-Zeit wurde ich politisch<br />
aktiv. Ab 2014 teilte ich das Präsidium<br />
der Kantonalpartei mit Lea Fuchs. Mittlerweile<br />
bin ich Präsident.<br />
Du hast auch für ein Nationalratsmandat<br />
kandidiert. War das bei nur zehn Luzerner<br />
Nationalräten aussichtsreich?<br />
Die BDP hatte beschlossen, in allen Kantonen,<br />
in denen sie vertreten ist, anzutreten.<br />
Natürlich war es <strong>im</strong> Kanton Luzern etwas<br />
schwierig, weil er CVP-dominiert ist. Aber<br />
es war uns wichtig, die aktiven Personen<br />
aufzuzeigen. Strategisch war es auch sinnvoll,<br />
weil wir ja auch mit den Wahlen für den<br />
Stadtrat liebäugeln. Da braucht es schon vorher<br />
einen Bekanntheitsgrad, den haben wir<br />
nun gut ein Jahr lang aufgebaut. Bereits bei<br />
den Kantonsratswahlen <strong>im</strong> Frühjahr 2015<br />
machten wir uns bemerkbar.<br />
Ist die BDP <strong>im</strong> Kantonsrat vertreten?<br />
Leider nein, noch nicht. Im Kanton Luzern<br />
gibt es die BDP erst rund sechs Jahre. Die<br />
vorherige Leitung hat es nicht geschafft, die<br />
notwendige Aufbauarbeit zu leisten. Heute<br />
jedoch ist die BDP in aller Munde. Wir sind<br />
in den Zeitungen vertreten, haben mehrere<br />
Petitionen eingereicht und eine Stadt-<br />
Sektion gegründet.<br />
Die BDP ist ja als Absplitterung von der SVP<br />
eine bürgerliche Partei. Ist da ein Schwuler<br />
gut aufgehoben?<br />
Ganz klar, ja. Es ist ja nur teilweise eine Absplitterung<br />
von der SVP. Das war der Anfang.<br />
Ehemalige SVP-Mitglieder stammten<br />
eher aus dem linken, liberalen Flügel der<br />
SVP, und die sitzen nun wirklich nicht <strong>im</strong><br />
gleichen Boot wie Christoph Blocher und<br />
seine Gefolgsleute. Die Sektionen wie Zürich,<br />
Aargau, Luzern sind Neugründungen<br />
und haben gar nichts zu tun mit der SVP.<br />
Nun willst du für den Stadtrat Luzern<br />
kandidieren. Wir gross ist der Stadtrat?<br />
Luzern kennt den Grossen Stadtrat und den<br />
Stadtrat. Ersterer ist das Stadt-Parlament mit<br />
48 Mitgliedern. Der Stadtrat ist die Exekutive<br />
mit fünf Mitgliedern. Ich kandidiere für<br />
beide!<br />
Warum kandidierst du am 1. Mai für beide?<br />
Es gibt zwei Gründe. Einmal ist dies eine<br />
Werbeplattform für die Partei. Zum andern<br />
aber wollen wir den Wählern auch eine Alternative<br />
bieten zu den alt eingesessenen<br />
Parteien. Wir sprechen Themen an, welche<br />
die grösseren Parteien gerne unter den Teppich<br />
kehren. Ausserdem sollte auch die Jugend<br />
<strong>im</strong> Sinne der Widerspiegelung der Bevölkerung<br />
mit einem Mitglied <strong>im</strong> Stadtrat<br />
vertreten sein. Als Vertreter einer noch kleinen<br />
Partei mache ich mir aber keine Illusionen<br />
für den Stadtrat, aber für den Grossen<br />
Stadtrat stehen die Karten gut.<br />
Lebst auch du eher «ländlich»?<br />
Gerne würden wir dich portraitieren!<br />
Wir freuen uns auf ein kurzes Mail an<br />
redaktion@cruisermagazin.ch<br />
CRUISER APRIL 2016
18<br />
NEWS<br />
National & International<br />
NEWS<br />
Plötzlich schwul?<br />
Chris J. Birch machte auf dem Sportplatz<br />
ein paar Rollen vorwärts. Dann sackte<br />
er weg – und war schwul. Gar Unglaubliches<br />
ist in der «Süddeutschen» zu lesen: Chris J.<br />
Birchs Story klingt wie ein schlechter Witz;<br />
wie einer dieser modernen Mythen, mit denen<br />
die Erzähler erst einen Effekt erzielen,<br />
aber dann als Quelle nur den Cousin eines<br />
Freundes ihrer Nachbarin nennen können.<br />
Mit dem Unterschied, dass dies weder Mythos<br />
noch Witz ist, sondern Chris J. Birchs<br />
neues Leben.<br />
Es ist die Geschichte eines 21-Jährigen<br />
aus Ystrad Mynach in Südwales, der an einem<br />
lauen Juliabend auf einem Sportplatz<br />
übermütig wurde, <strong>im</strong> weichen Rasen zwei,<br />
drei Rollen vorwärts machte, wieder aufstand<br />
– und plötzlich auf Männer stand.<br />
Durch den Überschlag war eine Arterie abgeklemmt<br />
worden, eine Ablagerung an der<br />
Gefässwand hatte sich gelöst und eine Blutbahn<br />
<strong>im</strong> Gehirn verstopft, der Sauerstoffmangel<br />
liess Nervenzellen absterben.<br />
Sexuelle Neuorientierung infolge<br />
einer Neuvernetzung der Nervenbahnen,<br />
lautete die Diagnose seiner Ärzte. Mit<br />
anderen Worten: schwul durch Schlaganfall.<br />
Es gibt andere Patienten, bei denen eine<br />
Neuvernetzung nach Gerinnseln <strong>im</strong> Gehirn<br />
ähnlich untypische Folgen hatte. Am<br />
bekanntesten ist das Foreign Accent Syndrome<br />
(FAS), von dem weltweit etwa 150 Fälle<br />
dokumentiert sind. Die Betroffenen leiden<br />
dabei unter einem Sprachfehler, den Aussenstehende<br />
jeweils als Akzent eines best<strong>im</strong>mten<br />
Landes identifizieren. Um das Leiden auszulösen,<br />
reichte bei manchem der Besuch<br />
seines Chiropraktikers.<br />
Daneben gibt es Patienten, die durch<br />
ein Hirntrauma offenbar besondere Fähigkeiten<br />
erlangten. Der australische Teenager<br />
Ben McMahon etwa fiel nach einem Autounfall<br />
ins Koma, und als er aufwachte,<br />
sprach er Mandarin, fast fliessend, obwohl er<br />
zuvor nur Grundkenntnisse erworben hatte.<br />
Und Tommy McHugh, ein Maurer aus Liverpool,<br />
hatte nach einer Hirnblutung extreme<br />
kreative Schübe, konnte nun malen und ist<br />
heute Künstler.<br />
All diese Fälle sind unterschiedlich gelagert<br />
und schwer vergleichbar. Alle gelten<br />
als spektakulär. Doch keiner weckte ein so<br />
dauerhaftes Interesse wie der von Christopher<br />
J. Birch aus Wales. Fast 30 ist Birch heute,<br />
neun Jahre ist der Schlaganfall her, vor<br />
drei Jahren gab er die Geschichte mal an ein<br />
Boulevardblatt, ganz naiv, weil Kundinnen<br />
<strong>im</strong> Friseurladen meinten: «Das ist aber interessant,<br />
das müsste man veröffentlichen!»<br />
Seitdem gilt seine Geschichte als einzigartig.<br />
Sie bediente amerikanische Wissenschaftscolloquien<br />
ebenso wie irische Saturday<br />
Night Shows, indische Radiosender, Londons<br />
Klatsch-Presse und demnächst vielleicht<br />
auch das US-Kino, offenbar existiert<br />
bereits ein Drehbuch, und zwar von den<br />
Machern von der Kult-BBC-Comedy-<br />
Serien-Machern «Little Britain».<br />
CRUISER APRIL 2016
NEWS<br />
National & International<br />
19<br />
Pet Shop Boys – Neues Album «Super»<br />
Die Musik der Pet Shop Boys … naja,<br />
eigentlich haben sie seit Jahren <strong>im</strong>mer wieder<br />
dasselbe Album gemacht. Aber es klang<br />
<strong>im</strong>mer wieder anders, neu und aufregend.<br />
Und jetzt kommt Super», das 14. Album in<br />
30 Jahren.<br />
«Happiness», der erste Track, erinnert<br />
an den wunderbaren Justus Köhncke: min<strong>im</strong>alistisch,<br />
beweglich, hoffnungsvoll. Be<strong>im</strong><br />
zweiten Song, bei der Single «The Pop Kids»,<br />
kriecht dann auch schon die Popkatze aus<br />
dem Sack. Es ist eine Pophymne an sich<br />
selbst, an die eigene Biografie mit viel Nostalgie<br />
und Emotions – es ist auch eine Liebeserklärung<br />
von Neil Tennant an Chris<br />
Lowe und alle Menschen, welche die Pet<br />
Shop Boys mögen: «They called us the pop<br />
kids/ Cause we loved the pop hits/ And quoted<br />
the best bits/ So we were the pop kids/ I<br />
loved you/ I loved you». Am Ende werden<br />
sogar noch die Kuhglocken aus Barry Manilows<br />
«Copacabana», Extended-Mix eingebaut:<br />
«Ding, Ding, Ding, Düng, Düng, Ding,<br />
Ding, Ding Düng Düng – Ding, Ding, Ding,<br />
Düng, Düng, Ding, Ding, Ding Düng<br />
Düng.»<br />
Danach wird die Platte mit «Groovy»<br />
fast schon ein wenig Erasure-haft, bevor<br />
sie dann komplett in einen<br />
Club-Soundtrack umbricht, deep<br />
und trancig.<br />
«Sad Robot World» bremst<br />
die Platte mit einem an Falcos<br />
«Jeannie» erinnernden Beat und<br />
Konsolen-Geräuschen <strong>im</strong> Hintergrund<br />
sachte ab, der Mood so<br />
eher 10cc, «I’m not in love».<br />
Eighties-housig, man denke:<br />
«Theme from S Express», wird›s<br />
dann zum Abschluss der Platte mit<br />
«Into thin Air». Dünne Luft. Was allerdings<br />
definitiv nicht für die Platte<br />
gilt. Fans werden das neue Album lieben,<br />
die anderen werden den Albumrelease<br />
wohl gar nicht mitbekommen. Das Album<br />
ist seit 1. <strong>April</strong> erhältlich.<br />
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CRUISER APRIL 2016
20<br />
Serie<br />
Mannsbild – Berufsbild<br />
Einst wollte er<br />
Pfarrer werden<br />
Christoph Stuehn ist ein Macher auf der ganzen Linie. Wirtschaftliches<br />
Denken vereint er mit seiner Liebe zu Kunst, Kultur und Geist. Der 41-Jährige<br />
wirft einen Blick auf seine Karriere, spricht über Begegnungen, Hobbys<br />
und vermeintliche Klischees.<br />
VON andreas Faessler<br />
E<br />
s gibt Berufsleute, die scheinen ein<br />
Händchen dafür zu haben, stets zum<br />
richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort<br />
zu sein. Oder vielleicht tun sie einfach intuitiv<br />
das Richtige. Manche haben hingegen<br />
einfach auch Glück. Was auch <strong>im</strong>mer bei<br />
Christoph Stuehn mitgespielt hat in seiner<br />
Karriere – irgendwie lief es fast <strong>im</strong>mer rund.<br />
Aktuell ist der 41-Jährige quasi Herr über<br />
das audiovisuelle Kulturerbe der Schweiz:<br />
als Direktor von Memoriav. Der 1995 gegründete<br />
Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht,<br />
den unermesslichen Schatz aus historischem<br />
Filmmaterial, Fotografien und<br />
Tondokumenten unseres Landes zu erschliessen,<br />
zu erhalten und zugänglich zu machen.<br />
Mit Herzblut und Leidenschaft hat Stuehn<br />
die Arbeit von Memoriav in den letzten Jahren<br />
vorangetrieben. «Denn erstens ist die<br />
nachhaltige Arbeit, welche Memoriav leistet,<br />
von grosser Bedeutung, auch wenn sie eher<br />
<strong>im</strong> Stillen geschieht. Und zweitens verbirgt<br />
sich hier ein Teil unserer Kulturgeschichte.»<br />
Dass diese von grossem öffentlichen Interesse<br />
ist, zeigte sich auf eindrucksvolle Weise,<br />
als Stuehn auf dem Berner Bundesplatz drei<br />
alte Schweizer Filme von 1964 neu aufführen<br />
liess. Die Resonanz war riesig.<br />
Wenn der Deutsch-Schweizer Doppelbürger<br />
ein Ziel vor Augen hat, dann setzt er<br />
alles daran, dieses zu erreichen. Der gelernte<br />
Bankkaufmann und HSG-Absolvent versteht<br />
es, die beiden auf den ersten Blick völlig<br />
gegensätzlichen Bereiche Kultur und Wirtschaft<br />
geschickt zusammenzuführen. «Ich<br />
sehe mich mehr als Unterstützer der Kultur<br />
und nicht etwa als Künstler», sagt er. «Kultur<br />
braucht Überzeugungsarbeit. Und ich<br />
habe mich schon <strong>im</strong>mer leidenschaftlich für<br />
CRUISER APRIL 2016<br />
das eingesetzt, was mir wichtig ist.» Obwohl<br />
er als Bub am liebsten Bankdirektor – und<br />
eine Zeit lang sogar Pfarrer – werden wollte,<br />
faszinierten ihn Kunst und Kultur schon<br />
früh, er lernte Geige, die er noch heute regelmässig<br />
auf ansehnlichem Niveau spielt. Sein<br />
Instrument ist das wichtigste «Kunstwerk»,<br />
das er bei sich zu Hause stehen hat. «Und<br />
mein Sofa», schiebt er augenzwinkernd<br />
nach. Mit Kunstobjekten zu Hause habe er<br />
etwas Nachholbedarf, spätestens wenn er<br />
sich in absehbarer Zeit eine neue, grössere<br />
Wohnung suche. Angesprochen auf das Klischee,<br />
dass der Kulturbereich per se ein «typisch<br />
schwules» Berufsumfeld sei, winkt<br />
Stuehn ab. «Es gibt schon Bereiche in der<br />
Kultur, wo das zutreffen mag.» Er führt Ballett<br />
und Musical als Beispiele an. Auf dem<br />
Gebiet von Theater und Museum jedoch<br />
eher weniger. «Ich habe meine Jobs jedenfalls<br />
nicht nach dieser ‹Gesetzmässigkeit›<br />
ausgesucht», sagt er lachend.<br />
Vernetzung ist das A und O<br />
Der eloquente Kulturmann, der sich <strong>im</strong> gepflegten<br />
«smart casual»-Look am wohlsten<br />
fühlt, lässt seine Jobs Revue passieren. Die<br />
erste grosse Weichenstellung erfolgte 2001,<br />
als Stuehn stellvertretender kaufmännischer<br />
Direktor des Schauspielhauses Zürich wurde.<br />
«Das war ein wahrer Glücksfall für mich. Der<br />
direkte Bezug zur Kunst als solche ergänzte<br />
den kaufmännischen Charakter meines Jobs<br />
am Schauspielhaus», sagt er mit einem sichtbaren<br />
Anflug von Nostalgie. Tür und Tor<br />
standen ihm jetzt besonders weit offen für<br />
Vernetzungen und Kontakte, «was in diesem<br />
Berufsfeld von besonderer Bedeutung ist»,<br />
wie er meint. So verhalf ihm nicht zuletzt die<br />
gute Bekanntschaft mit Max Wiener, dem damaligen<br />
Präsidenten der Freunde des Schauspielhauses,<br />
zu wichtigen Begegnungen.<br />
Christoph Stuehn entwickelte schnell<br />
den Riecher, wie er Menschen für die Kunst<br />
erwärmen konnte.. Nicht zuletzt dürfte ihm<br />
hier auch seine einnehmende und sympathische<br />
Art zugespielt haben sowie die persönliche<br />
Ausgeglichenheit, welche er stets ausstrahlt.<br />
Was könnte einen wie ihn überhaupt<br />
aus dem Konzept bringen? «Unzuverlässigkeit<br />
und Illoyalität», sagt er. Damit könnte<br />
man es sich selbst mit ihm verscherzen.<br />
Ein «Befreiungsschlag»<br />
So fruchtbar Stuehns Arbeit am Schauspielhaus<br />
war, so intensiv war sie. Nach einer<br />
kurzen Berufspause erhielt er einen Posten<br />
in der Direktion des Schweizer Nationalmuseums.<br />
Es war die zweite Zusammenarbeit<br />
mit Direktor Andreas Spillmann. Stuehn<br />
fand sich in einer neuen und doch vertrauten<br />
Welt wieder: «Von nun an erzählten nicht<br />
mehr die Menschen auf der Bühne die Geschichten,<br />
sondern die Objekte in den Ausstellungen.»<br />
Auch hier war er sofort in die<br />
Prozesse eingebunden. «Die Mitarbeit bei<br />
der Planung der Erweiterung des Landesmuseums<br />
war eine besonders grosse Herausforderung.»<br />
Ihm fällt spontan eine delikate<br />
Begegnung ein, als er für das «Objekt des<br />
Monats» Roger Federers ersten Grand Slam<br />
Pokal in die Ausstellung holen wollte. Flugs<br />
eine Mail an den Tennisstar geschrieben, da<br />
klingelte auch schon das Telefon: «Grüezi, da<br />
isch der Röbi Federer …» Rogers Vater hat<br />
sich gleich persönlich darum gekümmert.<br />
«Wenige Tage später haben wir uns getroffen,<br />
und er hat mir die Trophäe übergeben –
Serie<br />
Mannsbild – Berufsbild<br />
21<br />
in einer Migrostüte!». Und am Ende von<br />
Stuehns fünfjähriger Tätigkeit am Museum<br />
sollte Micheline Calmy-Rey seinen nächsten<br />
Schritt beeinflussen: Für einen Anlass <strong>im</strong><br />
Landesmuseum holte er die damalige Bundesrätin<br />
am Hauptbahnhof ab. «Da merkte<br />
ich schneller als mir lieb war, dass es um<br />
meine Französischkenntnisse nicht besonders<br />
rosig stand.» Die folgende Auszeit nutzte<br />
er drum kurzerhand für einen längeren<br />
Sprachaufenthalt in Paris. «Das war wie ein<br />
Befreiungsschlag für mich.» Habe er doch<br />
seit seiner Jugend praktisch <strong>im</strong>mer gearbeitet,<br />
und sei es lediglich ein Ferienjob gewesen.<br />
«Zum ersten Mal war mein Kopf absolut<br />
frei von Verpflichtungen.»<br />
Zum ersten Mal allein an der Spitze<br />
Wieder zurück <strong>im</strong> «normalen» Leben, bewarb<br />
sich Christoph Stuehn für die Direktionsstelle<br />
bei Memoriav – und auch das gelang.<br />
Und wie zuvor schafft es der 41-Jährige<br />
auch bei diesen bisher eher <strong>im</strong> Stillen abgelaufenen<br />
Tätigkeiten des Vereins, aktiv die<br />
Brücke zur Öffentlichkeit zu schlagen. Faktisch<br />
hat er ja seit jeher Vermittlungsarbeit<br />
geleistet, mit viel Empathie. Neu ist für ihn<br />
jetzt, dass er erstmals ganz allein an der Spitze<br />
einer Organisation steht. «Da ist nun halt<br />
keiner mehr, der auffängt, wenn etwas schief<br />
laufen sollte», so Stuehn. «Aber dadurch<br />
lerne ich besonders viel dazu.»<br />
Nach wie vor hängt der Erfolg seiner<br />
Arbeit stark von einem aktiven Networking<br />
ab. «Ohne den Austausch und die nötige<br />
Vermittlungsarbeit funktioniert’s nicht»,<br />
betont Stuehn, dessen Vernetzung zunehmend<br />
bis ins Bundeshaus reicht. «Das ermöglicht<br />
es mir, als eine Art Botschafter für<br />
die Kultur einzutreten.» Und er will dabei<br />
keinesfalls eine elitäre Schiene fahren. Denn<br />
seien es schillernde Berühmtheiten mit Rang<br />
und Namen auf der Bühne oder ein folkloristischer<br />
Landbrauch – für ihn sind alte<br />
Traditionen genauso wichtig und identitätsstiftend<br />
wie etwa eine hochstehende städtische<br />
Kultur- und Kunstszene.<br />
Privat, Beruf – der Unterschied ist<br />
nicht gross<br />
Christoph Stuehn – ein zielstrebiger, leidenschaftlicher<br />
und erfolgreicher Berufsmensch.<br />
Geht das nicht auf Kosten des Privatlebens?<br />
«Ich habe den Vorteil, dass sich<br />
meine persönlichen Interessen sehr stark in<br />
meinem Beruf wiederfinden. Das gibt mir<br />
kaum das Gefühl, dass mein Job zu viel von<br />
meinem Leben einn<strong>im</strong>mt.» Langeweile ist<br />
ihm ein Fremdwort, und Zeit für private und<br />
ehrenamtliche Tätigkeiten bleiben ihm genug:<br />
Wenn er grad nicht als Vorstand der<br />
Aids-Hilfe Schweiz beschäftigt ist oder Sport<br />
treibt, trifft man ihn ab und zu in Zürcher<br />
Clubs am DJ-Pult auflegend. Oder bei kleineren<br />
privaten Musikprojekten und an Konzerten<br />
wie demnächst wieder in seiner alten<br />
He<strong>im</strong>at Baden-Baden, wo er an einem Orchesterkonzert<br />
Geige spielt.<br />
Einzig l’amour hat bei Christoph<br />
Stuehn noch Potenzial. Er hat allerdings nur<br />
selten den Eindruck, dass ihm eine Partnerschaft<br />
fürs Leben fehlt, was nicht heisst, dass<br />
sich das früher oder später nicht ändern<br />
könnte. Und wenn «er» dann doch mal in<br />
sein Leben tritt? «So soll es einer sein, der<br />
damit umgehen kann, dass ich ab und zu<br />
nicht ganz ungern <strong>im</strong> Mittelpunkt stehe und<br />
ein sehr extrovertierter, sozialer und aktiver<br />
Mensch bin. Ein Mann, der mich <strong>im</strong>mer<br />
wieder inspiriert, überrascht – und der mich<br />
gleichzeitig auch mittel- und langfristig<br />
emotionell aushalten kann.»<br />
Hast auch du einen spannenden<br />
Beruf?<br />
Melde dich bei uns!<br />
redaktion@cruisermagazin.ch<br />
CRUISER APRIL 2016
22<br />
KOLUMNE<br />
MICHI RÜEGG<br />
Gesplittete<br />
Ehegatten<br />
Auch hippe Menschen können den Bund fürs Leben eingehen, ohne<br />
dabei ihren Glamour einzubüssen. Dies beweist das hier transkribierte<br />
Telefongespräch zwischen Michi Rüegg und seinem Freund.<br />
VON Michi Rüegg<br />
Ich: Schatzi, die in Bern wollen die Individualbesteuerung<br />
einführen.<br />
Er: Aha.<br />
Ich: Du weisst schon, das mit dem Ehegattensplitting.<br />
Er: Soso.<br />
Ich: Deshalb dachte ich, also … willst du<br />
mich heiraten?<br />
Er: Du, <strong>im</strong> Moment bin ich mit den Gedanken<br />
grad ganz woanders.<br />
Ich: Wo denn?<br />
Er: Be<strong>im</strong> morgigen Abendessen.<br />
Ich: Weil du kochen sollst?<br />
Er: Ja.<br />
Ich: Ich hab wirklich keine Zeit, du weisst,<br />
ich muss die Mieze zu meinen Eltern bringen,<br />
bevor ich in die Skiferien fahre.<br />
Er: Eben.<br />
Ich: Was meinst du mit eben.<br />
Er: Nichts. Schon gut.<br />
Ich: Du weisst, du hättest gern mitkommen<br />
können. Aber du wolltest ja nicht, weil du<br />
Skifahren blöd findest. Winter und Skifahren<br />
gehören nun einmal zusammen.<br />
Er: Hackbraten.<br />
Ich: Wie?<br />
Er: Ich könnte Hackbraten machen.<br />
Ich: Das wär fein, dann machen wir eine Flasche<br />
Bordeaux dazu auf.<br />
CRUISER APRIL 2016<br />
Er: Vielleicht ist das zu viel, Hackbraten.<br />
Ich: Du könntest einen kleinen Hackbraten<br />
machen. Oder einen normalen und den Rest<br />
am Wochenende essen.<br />
Er: Ja.<br />
Ich: Und Kartoffelstock dazu.<br />
Er: Du willst eine Stärkebeilage? Aber meine<br />
Hüften!<br />
Ich: Kartoffelstock und Hackbraten gehören<br />
nun einmal zusammen, die kann man nicht<br />
trennen. Du musst nur Kartoffeln kaufen,<br />
Butter hab ich noch genug.<br />
Er: Um H<strong>im</strong>mels willen, Butter!?<br />
Ich: Ja, Butter und Kartoffeln gehören <strong>im</strong><br />
Kartoffelstock zusammen. Mehlig kochende.<br />
Er: Ich bin aber nicht vor neun bei dir.<br />
Ich: Wir können ja später essen. Hauptsache<br />
wir essen zusammen.<br />
Er: Ich muss ja noch extra einkaufen.<br />
Ich: Ja. Einkaufen und Kochen, das gehört<br />
irgendwie zusammen.<br />
Er: Mir kommt das <strong>im</strong> Moment alles etwas<br />
ungelegen.<br />
Ich: Das Einkaufen und das Kochen?<br />
Er: Nein, das Heiraten.<br />
Ich: Es muss ja nicht unbedingt heute sein.<br />
Er: Wenn du jetzt auch noch sagst, dass du<br />
Sauce willst, fang ich an zu schreien.<br />
Ich: Sauce und Hackbraten gehören irgendwie<br />
zusammen.<br />
Er:Wenn du unbedingt willst, können wir<br />
heiraten.<br />
Ich: Dann stell noch eine Flasche Champagner<br />
kalt. Heiraten und Champagner gehören<br />
definitiv zusammen!<br />
Er: Ich will aber nicht bei dir einziehen.<br />
Ich: Um Gottes willen, nein! Ich doch auch<br />
nicht. Am Ende benehmen wir uns noch<br />
wie ein altes Ehepaar. Schliesslich sind wir<br />
schwul und müssen nicht auf die ganze<br />
Welt wie die grössten fucking Oberbünzlis<br />
wirken.<br />
Er: Ja, das passt nicht zu uns.<br />
Ich: Nein.<br />
Er: Dann ist ja gut. Heiraten ja, zusammenziehen<br />
nein. Hackbraten und Kartoffelstock<br />
wohnen auch nicht zusammen. Sie teilen sich<br />
nur einen Teller.<br />
Ich: Ich bin froh, dass wir das geklärt haben.<br />
Also nicht vergessen, Champagner<br />
kalt stellen, Fleisch und Kartoffeln kaufen,<br />
Butter ist <strong>im</strong> Kühlschrank, die Katze geht<br />
zu meinen Eltern, du kannst am Wochenende<br />
die Reste essen. Und bitte vergiss<br />
nicht, deine zwei Paar Unterhosen nach<br />
Hause zu nehmen, ich hab sie gewaschen<br />
und gebügelt.
Ich suche nicht irgendwen,<br />
daher suche ich auch nicht irgendwo.<br />
23<br />
CRUISER APRIL 2016
24<br />
Reportage<br />
Baselworld<br />
Viel Bling Bling und<br />
noch mehr Glamour<br />
In Basel herrschte während der Baselworld der Ausnahmezustand. <strong>Cruiser</strong><br />
düste hin und checkte, ob an der grössten Uhren- und Schmuckmesse die<br />
LGBT-Community als (kaufkräftige) Zielgruppe wahrgenommen wurde.<br />
Selfie-T<strong>im</strong>e bei Armani.<br />
Installation von Casio.<br />
VON Haymo Empl<br />
D<br />
ie Baselworld ist für die globale Uhren-<br />
und Schmuckindustrie eine unverzichtbare<br />
Messe, auf der alle relevanten<br />
Trends gesetzt werden. 1500 der<br />
weltweit bekanntesten Marken, welche das<br />
gesamte Spektrum der Branche – Uhren,<br />
Schmuck, Diamanten, Edelsteine und Perlen<br />
sowie Maschinen und Zubehör – repräsentieren,<br />
trafen in Basel mit namhaften Käufern<br />
und der Weltpresse zusammen. Gemeinsam<br />
fühlten sie den Puls der Branche,<br />
feierten die Präsentationen neuer Kollektionen<br />
und erlebten live die Markteinführung<br />
zukunftsweisender Innovationen und Entwicklungen.<br />
Soweit so gut. Viel Bling-Bling,<br />
massiv Pomp und Trallalla – gemäss Klischee<br />
müsste es also von Gays an der Messe<br />
nur so w<strong>im</strong>meln. Immerhin war der Event<br />
die Bühne für über 145 000 Teilnehmer zu<br />
denen die Aussteller, Käufer und Besucher,<br />
sowie Journalisten aus mehr als 100 Ländern<br />
gehörten. Tatsächlich: <strong>Cruiser</strong>- Redak-<br />
CRUISER APRIL 2016<br />
tor Andi E. (wohnt in Basel) stellte fest, dass<br />
in den Clubs «erhöhtes Fremdaufkommen»<br />
gesichtet wurde. Aber an der Messe? Fremdaufkommen<br />
ja, aber wenig bis gar nichts aus<br />
der LGBT-Gemeinschaft. Diesbezüglich also<br />
totale Fehlanzeige. Keine LGBT-Spezielles<br />
für entsprechende Trauungen, nichts spezielles<br />
für den Liebsten oder die Liebste. Für<br />
die Heteros gab es <strong>im</strong>merhin «sie-» und «er-»<br />
Uhren. Wohl war da eine Etage, bzw. Halle<br />
«Stones & Jewellery», diese war auch wunderhübsch<br />
für die Irina Bellers dieser Welt<br />
und den galanten, älteren Herrn, aber irgendetwas<br />
Spezifisches für gleichgeschlechtliche<br />
Paare war nicht zu entdecken. Vielleicht<br />
ist das fantasielos oder gar ignorant,<br />
vielleicht aber auch ein gutes Omen. Denn je<br />
nach Perspektive wird die LGBT-Community<br />
an der Baselworld als «gleichberechtigt»<br />
angesehen oder – was nicht zu hoffen ist –<br />
komplett ignoriert. So oder so: Es war ein<br />
einzigartiges optisches Spektakel, und die<br />
Privatbesucher nutzten die Messe für (nervige)<br />
Selfies. Die Standbauten waren kreativ,<br />
schräg, schön und verblüffend – was notabene<br />
für noch mehr Selfies sorgte.<br />
«Die Baselworld ist essenziell für die<br />
Uhrenbranche», erklärte Philippe Mougenot,<br />
Präsident der Chanel Horlogerie-Joaillerie<br />
an der Pressekonferenz. Und weiter:<br />
«Jahr für Jahr gibt uns dieses Ereignis die<br />
unvergleichliche Gelegenheit, unsere Kreativität<br />
und unser Know-how vor einem qualifizierten<br />
Publikum internationaler Meinungsführer<br />
und bedeutender Uhrenhändler<br />
zu präsentieren.» Nun denn – hoffen wir,<br />
dass Monsieur Philippe Mougenot mit diesem<br />
Statement die LGBT-Community ebenfalls<br />
zu den «internationalen MeinungsführerInnen»<br />
zählt.<br />
DIE NÄCHSTE BASELWORLD<br />
findet vom 23. bis 30. März 2017 statt.
25<br />
Im <strong>April</strong> Risiken vermeiden,<br />
<strong>im</strong> Mai zum HIV-Test.<br />
Im <strong>April</strong> konsequent RISIKEN VERMEIDEN.<br />
Warum? Um die Anzahl der HIV-Neuinfektionen zu senken. Damit der Sex für uns alle sicherer wird.<br />
«Break the Chains» macht’s möglich.<br />
breakthechains.ch<br />
CRUISER APRIL 2016
26<br />
KOLUMNE<br />
Thommen meint<br />
Auferstehen als geschlechtsloses<br />
Wesen?<br />
Ich traf mich kürzlich mit einem jungen Schwulen mit musl<strong>im</strong>ischen Wurzeln in<br />
Zürich <strong>im</strong> Café auf dem Sechseläuten-Platz. Wir diskutierten über «Bilder in<br />
Köpfen» ( ➔ Du sollst dir kein Bildnis machen …), sogenannten Icons, oder wie<br />
bei den Orthodoxen die Ikonen. Schon <strong>im</strong>mer habe ich die Gleichnisbilder aus<br />
dem Neuen Testament geliebt.<br />
VON PETER THOMMEN<br />
D<br />
er H<strong>im</strong>mel hatte sich an diesem späten<br />
Nachmittag aufgetan und die<br />
Sonne brach durch, während wir bei<br />
einem Kaffee sassen. Er erzählte von den<br />
Mundschenken <strong>im</strong> Koran und ich vom Harfenspieler<br />
David, der seinen König Saul aufheitern<br />
musste. Beide Funktionen waren vor<br />
allem an Königshöfen institutionalisiert.<br />
Diese jungen Männer kümmerten sich um<br />
Getränke und den Wein <strong>im</strong> Keller.<br />
Beide Icons sind in Symbollexikonen<br />
oder gar <strong>im</strong> Internet nicht näher beschrieben.<br />
Jedenfalls standen diese Jungs in einer<br />
vertraulichen Beziehung zu ihrem Dienstherrn.<br />
Denn von ihrer Sorgfalt hing das Leben<br />
dieser Männer ab. Mundschenken sind<br />
<strong>im</strong> koranischen H<strong>im</strong>mel für Musl<strong>im</strong>e vorhanden<br />
und die Harfenspieler nicht nur <strong>im</strong><br />
H<strong>im</strong>mel bayerischer Katholiken, wo sie Halleluja<br />
spielen sollen.<br />
Hinter diesen Bildern gibt es aber noch<br />
andere Projektionen, die ebenso wichtig sind<br />
wie die bisher beschriebenen: Der Mundschenk<br />
leistete oft auch sexuelle oder Liebesdienste,<br />
wie auf antiken Vasen zu sehen ist.<br />
Und der Harfenspieler aus jener Zeit ist auch<br />
als Liebesdiener für Männer <strong>im</strong> Orient dargestellt<br />
worden. Durch die rosa Brille sichtbar,<br />
sozusagen.<br />
CRUISER APRIL 2016<br />
Vor ein paar Tagen hatte ich abends<br />
<strong>im</strong> L39 eine intensive Diskussion mit zwei<br />
jungen Schwulen mit baslerischen Wurzeln.<br />
Diese verwendeten dabei ebenfalls<br />
«Bilder»! Diese Icons sind sehr modern<br />
(«gendermässig»), wie «Buchstabenleute»*<br />
sagen würden. Sie sind aber auch uralt,<br />
wenn wir in die Geschichte der Sexualkulturen<br />
hinabsteigen. Ich habe in einem Buch<br />
von 1903/10 die Fotografie eines Männerpaares,<br />
dargestellt als bürgerlicher Mann<br />
und Frau jener Zeit gefunden.<br />
«Der Mundschenk leistete<br />
oft auch sexuelle oder<br />
Liebesdienste, wie auf<br />
antiken Vasen zu sehen ist.»<br />
LondonJames (Lifestyleberater, 30) benutzt<br />
dieses Icon in neuzeitlicher Form: Er<br />
glaubt, «wenn in den Akten steht ‹verheiratet›»<br />
– dann brauche es nirgendwo mehr ein<br />
Coming out – weder am Arbeitsplatz noch<br />
sonstwo. Er hat natürlich ein anderes, vergangenes<br />
Icon nicht mehr kennengelernt:<br />
Die Pflicht für verlobte Paare, dies am Gemeindehaus<br />
offiziell anschreiben zu lassen,<br />
damit jedeR seine Einwände gegen eine Heirat<br />
vorher anmelden konnte.<br />
Die modernen Icons versuchen, Bilder<br />
zu kreieren, die unsere Wünsche auferstehen<br />
lassen, nach Gleichberechtigung und gleichen<br />
Rechten. Aber wo bleiben die Pflichten?<br />
Darüber werden keine Icons herumgeboten<br />
in den Medien. Es sei ja schliesslich egal<br />
(gleich), wer was sei und welche er Organe er<br />
habe. Hauptsache, die Liebe sei in Ordnung.<br />
Amen.<br />
Letztlich fl<strong>im</strong>mert der Traum von Geschlechtslosigkeit<br />
durch den gesellschaftlichen<br />
Nebel. Da wird dann nur umarmt und<br />
geküsst und Händchen gehalten, wie ich das<br />
von Jugendbüchern weiss, die von Frauen<br />
für schwule Jungs geschrieben worden sind.<br />
Wenn ich aber ins Internet gehe und<br />
mich umschaue, dann ist von alledem nicht<br />
die Rede und die Icons sind klare und unvernebelte<br />
Bilder – wenistens was die Männer<br />
betrifft. Und LondonJames vergisst, dass in<br />
den Akten <strong>im</strong>mer auch der Ehepartner angegeben<br />
ist – mit seiner Geschlechtsangabe.<br />
Und öffentlich homosexuell geheiratet wird<br />
auch nicht «ohne Unterleib», um ein anderes<br />
Icon zu gebrauchen.<br />
Der «auferstandene» Jesus ist vorher<br />
auch nicht ohne Leib am Kreuze gehangen.<br />
Und er musste allerhand Diskr<strong>im</strong>inierungen<br />
bis zu seinem coming out über sich ergehen<br />
lassen. Mann, denke darüber nach!<br />
Welche Wünsche und Icons mögen die<br />
Männer haben, welche zwar vom schwulen<br />
Honig naschen, aber alle die Unannehmlichkeiten,<br />
die noch heute damit verknüpft<br />
sind, ins Nirwana verdrängen oder sich ersparen<br />
wollen? Ablegen von Geschlechtlichkeit?<br />
Es gab schon in früheren Jahrhunderten<br />
Geistliche, die sich ihre Glieder<br />
abgeschnitten haben, nur um endlich ihr<br />
Problem loszuwerden. Das geht doch wohl<br />
nicht wieder von neuem los, oder?!<br />
* LGBTIAQQL...
SPECIAL<br />
CH-Eurovisions-Flops<br />
27<br />
Schweizer Käse – die grössten<br />
Eurovisions-Flops<br />
aus Helevetia<br />
Vor allem seit der Ost-Erweiterung des Song<br />
Contests mit deutlich mehr teilnehmenden Ländern,<br />
ist die Schweiz nicht gerade arm an Misserfolgen.<br />
VON Thomas Borgmann<br />
K<br />
onnte sich die Schweiz in den ersten<br />
dreieinhalb Jahrzehnten des Grand<br />
Prix d’Eurovision de la Chanson mit<br />
zwei ersten und jeweils drei zweiten und<br />
dritten Plätzen mehrmals recht erfolgreich<br />
positionieren, lässt die Bilanz seit den 1990er<br />
Jahren eher zu wünschen übrig.<br />
Bis 1994 war die Schweiz neben<br />
Deutschland das einzige Land, das seit dem<br />
ersten ausgetragenen Song Contest <strong>im</strong> Jahr<br />
1956 an jedem Wettbewerb teilgenommen<br />
hatte. Dann jedoch sorgte das neue Reglement<br />
dafür, dass die Eidgenossen von 1995<br />
bis 2003 wegen schlechter Vorjahresergebnisse<br />
viermal nicht antreten durften. Seit<br />
2004 müssen sich die meisten Länder in einer<br />
Vorrunde für das Finale qualifizieren. In<br />
diesen zwölf Jahren hat die Schweiz die<br />
End-Ausscheidung acht Mal nicht erreicht,<br />
und von den vier Final-Qualifikationen<br />
knackte sie auch nur 2005 einmalig die Top-<br />
Ten auf der Wertungstafel.<br />
Welches Lied führt nun den Spitzenplatz<br />
bei den schlechtesten Schweizer Beiträgen<br />
an? Das ist gar nicht so leicht zu sagen.<br />
Sechs Mal kam die Schweiz <strong>im</strong> Finale auf<br />
den letzten Platz, davon vier Mal mit null<br />
Punkten. Allerdings ist eine Nullnummer in<br />
den Jahren 1964 (Anita Traversi mit «I miei<br />
pensieri») und 1967 (Géraldine: «Quel coeur<br />
vas-tu briser?») bei nur 16, beziehungsweise<br />
17 Teilnehmern nicht zu vergleichen mit null<br />
Punkten, die Gunvor Guggisberg 1998 mit<br />
ihrem Lied «Lass ihn» bei 25 Konkurrenten<br />
erntete. Bei der Jurywertung in den 60er-Jahren<br />
waren null Punkte keine Seltenheit. Seit<br />
1997 wird in den Ländern, in denen das ➔<br />
Tragischste Teilnehmerin des Jahrgangs 1998. Nach einem vorangegangenen Shitstorm <strong>im</strong><br />
he<strong>im</strong>ischen Boulevard landete Gunvor mit «Lass ihn» in Birmingham auf den letzten Platz.<br />
CRUISER APRIL 2016
28<br />
SPECIAL<br />
CH-Eurovisions-Flops<br />
Waren technische Probleme mit den Mikros schuld? Nur zwei Punkte erntete Michael von der<br />
Heide 2010 mit seiner eurovisionstauglichen Pop-Hymne «Il pleut de l’or» in der Vorrunde.<br />
Weniger Punkte gehen nicht. Mit «zero<br />
points» belegte Piero Esteriore 2004 den<br />
letzten Platz des Semifinales.<br />
Telefonnetz das ermöglichte, das Ted-System<br />
mit Zuschauer-Voting genutzt. Damit,<br />
und auch durch die grössere Zahl der teilnehmenden<br />
Länder ist die Wahrscheinlichkeit<br />
deutlich größer geworden, zumindest<br />
einen einzigen Punkt zu ergattern. Und sind<br />
zwei Punkte, die etwa Michael von der Heide<br />
2010 mit seinem Golden-Shower-Song «Il<br />
pleut de l’or» <strong>im</strong> Halbfinale erreichte, höher<br />
zu bewerten als null Punkte <strong>im</strong> Finale? Legt<br />
man nur die Punktezahl zugrunde, bilden<br />
Piero Esteriore und seine MusicStars zweifellos<br />
das Schlusslicht aller bisherigen 56<br />
Schweizer Beiträge. Mit seinem «Celebrate»<br />
konnte der gelernte Coiffeur 2004 nicht mal<br />
<strong>im</strong> Halbfinale einen einzigen Punkt feiern.<br />
Immerhin wurde sein Abschneiden als Slogan<br />
«Switzerland – zero points» in der<br />
Schweiz zum Satz des Jahres gekürt, und<br />
sein Lied konnte gleichwohl Platz 11 der<br />
Schweizer Charts erreichen.<br />
Mit dem damals 95-jährigen Emil Ramsauer brachte Takasa 2013 den ältesten Teilnehmer<br />
aller Zeiten auf die Bühne des ESC. Genutzt hat es der Heilsarmee trotzdem nicht. Ihr Lied<br />
«You and Me» kam nicht über das Halbfinale hinaus.<br />
Polarisierende Heilsbringer<br />
Den kontroversesten Beitrag schickte<br />
die Schweiz 2013 mit der Heilsarmee ins<br />
Rennen, die sich für den Wettbewerb Takasa<br />
nannte. Schwulen- und Lesben-Verbände<br />
riefen zum St<strong>im</strong>menboykott gegen die singenden<br />
Vertreter der als homophob eingestuften<br />
Heilsarmee auf, unter anderem wegen<br />
der Entlassung einer offen lesbischen<br />
Mitarbeiterin der Organisation durch die<br />
evangelikale Missionskirche. Gleichwohl<br />
positionierte das reine Televoting der Zuschauer<br />
die singenden Heilsbringer auf den<br />
fünften Platz der Vorrunde, womit es die<br />
Schweiz leicht ins Finale geschafft hätte. Das<br />
aber wurde durch die Wertungen der Jurys<br />
verhindert, durch die das Lied schließlich<br />
auf Platz 13 <strong>im</strong> Halbfinale hängenblieb. Gemunkelt<br />
wurde, dass die ungewöhnlich hohe<br />
Bewertung <strong>im</strong> Televoting durch die Mobilisierung<br />
von Mitgliedern der Heilsarmee in<br />
allen Ländern Europas zustande kam.<br />
Mitunter wird moniert, dass die<br />
Schweiz auch deshalb so schlecht abschneidet,<br />
weil sie als neutrales Land keine Freundschaftspunkte<br />
geschenkt bekommt, wie es<br />
etwa den Skandinaviern, den aus der Sowjetunion<br />
hervorgegangenen Staaten oder Griechenland<br />
und Zypern vergönnt sein soll.<br />
Hier könnte vielleicht eine Teilnahme Liechtensteins<br />
Abhilfe schaffen. Das Fürstentum<br />
ist neben dem Vatikan der einzige unumstrittene<br />
unabhängige europäische Staat, der<br />
noch nie am Eurovision Song Contest teilgenommen<br />
hat. Überlegt wird eine Teilnahme<br />
schon seit Jahrzehnten, 1976 war mit Biggi<br />
Bachmann und dem Lied «My little Cowboy»<br />
sogar schon einmal eine Vertreterin<br />
nominiert. Ihre Teilnahme scheiterte aber<br />
damals wie heute an einer fehlenden Mitgliedschaft<br />
eines Liechtensteiner Senders in<br />
der Europäischen Rundfunkunion (EBU).<br />
So kommen wir vielleicht doch nicht umhin,<br />
mit mehr Mut zum Ungewöhnlichen und<br />
Originellen das bisherige Mittelmass vieler<br />
Schweizer Beiträge einmal zu verlassen.<br />
CRUISER APRIL 2016
KOLUMNE<br />
PIA SPATZ<br />
29<br />
Pia und die<br />
Frühlingsgefühle<br />
Mit Siebenmeilen-Stiefeletten schreitet Pia<br />
frohen Mutes voran, dabei steht sie auf Gummi<br />
und bevorzugt ausschliesslich reale Superkräfte.<br />
VON PIA SPATZ<br />
I<br />
hr Lieben, mitten <strong>im</strong> <strong>April</strong> angekommen,<br />
fühle ich mich wie einst Bette Midler – ich<br />
spüre den Wind unter meinen Flügeln.<br />
Oder ist es am Ende der sanfte Hauch des<br />
Frühlings unter meinen Rock? Egal, Hauptsache<br />
es tut sich was! Denn vor einem Monat<br />
sah ich mich mit einem unschönen Rückschritt<br />
in Sachen Gay-Rechte konfrontiert:<br />
Die Ehe nur für «Mann und Frau» <strong>im</strong> Kleingedruckten<br />
durchzuschummeln, so wie es die<br />
CVP wollte, war ein Affront – und scheiterte<br />
an der Urne. Das knappe Volksmehr bewies,<br />
dass wirklich jede St<strong>im</strong>me zählt. Das macht<br />
doch ordentlich Dampf bei faulen St<strong>im</strong>mbürgern,<br />
nicht? Logisch, schreite ich nun zusammen<br />
mit einer Armada an Gleichgesinnten in<br />
Siebenmeilen-Stiefeletten voran, um die «Ehe<br />
für Alle» in der Verfassung zu verankern.<br />
Noch gibt es viel zu tun, aber: «Gemeinsam<br />
weiter» zählt auch jetzt! Einsame Schlusslichter<br />
können einpacken.<br />
Eine willkommene Motivation, die<br />
auch für andere Ziele eingesetzt werden<br />
kann. Bei mir etwa dreht sich derzeit alles<br />
um Gummi: Die Kampagne «Break the<br />
Chains» befindet sich in der heissen Phase.<br />
Damit der Kampf gegen HI-Viren auch optisch<br />
was hergibt, fahren ich und meine<br />
Jungs vom Zürcher Checkpoint buntes Geschütz<br />
auf: Wir geben die Superhelden <strong>im</strong><br />
entsprechenden Gummi-Outfit und sind mit<br />
Rat und Tat in der Szene unterwegs. Statt<br />
ganze Städte in Trümmerhaufen zu verwandeln,<br />
setzen wir auf gute Taten. Statt Röntgenblick<br />
gibt’s sattes Wissen – die «Avengers»<br />
stellen wir so locker in den Schatten.<br />
Unser Schlachtruf auf dem Weg zur Rettung<br />
der Welt: safe, safe, safe! St<strong>im</strong>mt mit ein, ihr<br />
Lieben! Selbstverständlich gibt’s auch wieder<br />
tolle Goodies: Gummibärli, Gummibändeli<br />
und natürlich den Gummi an sich!<br />
«Wird <strong>im</strong> Frühling von Ernährung<br />
gesprochen, sind<br />
Gedanken an die Sommer-<br />
Figur blitzschnell präsent.»<br />
Und wenn wir schon aufs Gaspedal treten,<br />
können wir den Vogel gleich abschiessen:<br />
Im «Checkpoint <strong>im</strong> Gespräch»<br />
dreht sich am 21. <strong>April</strong> alles um «Gut essen<br />
und gesund ernähren». Logo, dass die<br />
schwule Gemeinde bei diesem Thema aufhorcht:<br />
Wird <strong>im</strong> Frühling von «Ernährung»<br />
gesprochen, sind Gedanken an die Sommer-Figur<br />
blitzschnell präsent. Aber wir<br />
kratzen nicht an der Oberfläche, sondern<br />
machen uns ernsthaft Gedanken über Nahrungsmittel<br />
– oder was sich alles als solches<br />
bezeichnet. Nährstoffarme Füllstoffe liegen<br />
oft auf dem Teller und tatsächlich werden<br />
wir eher überfuttert als richtig ernährt. Und<br />
weil derzeit vermeintlich jeder Grashalm als<br />
Super-Gemüse angepriesen wird, lohnt sich<br />
ein Kompass <strong>im</strong> hiesigen Schlaraffenland.<br />
Gesundheitstherapeut Geru Pulsinger ist<br />
unser Held der Stunde: Als ganzheitlicher<br />
Ernährungsberater <strong>im</strong> Gesundheitszentrum<br />
«NuYu» stellt er sich euren Fragen zu Speis<br />
und Trank. Getreu seinem Arbeits-Credo<br />
«pur und ehrlich» könnt ihr von Pulsinger<br />
die nackte Wahrheit über gesunde Ernährung,<br />
Detox und Diäten erfahren.<br />
Also ihr Lieben, lasst uns die Frühlingsgefühle<br />
sorgsam und mit Freude geniessen.<br />
Und das eingangs erwähnte Schwulenmami<br />
Bette Midler weiss aus erster<br />
Hand, was diese Jahreszeit bringt, hat sie<br />
doch den Lebenszyklus einer Rose erfolgreich<br />
vertont und verspricht bei opt<strong>im</strong>alem<br />
Saatgut neues Leben.<br />
Ich wünsch euch was, eure Pia.<br />
Gut zu wissen<br />
Checkpoint <strong>im</strong> Gespräch, am 21. <strong>April</strong> <strong>im</strong><br />
Restaurant Bubbles, 18 Uhr (ohne Anmeldung)<br />
CRUISER APRIL 2016
30<br />
RATGEBER<br />
Dr. Gay<br />
Dr. Gay<br />
DR. GAY<br />
Dr. Gay ist eine Dienstleistung der Aids-<br />
Hilfe Schweiz. Die Fragen werden online<br />
auf www.drgay.ch gestellt. Die Redaktion<br />
druckt die Fragen genau so ab, wie sie<br />
online gestellt werden.<br />
CRUISER APRIL 2016<br />
Offene oder monogame<br />
Beziehung?<br />
Ich habe seit kurzem einen Freund.<br />
Er ist dreissig, also fünfzehn Jahre<br />
jünger als ich. Er ist ein ganz lieber<br />
Mensch, ich mag ihn wirklich sehr.<br />
Das Problem ist nun, dass er strikt<br />
eine treue Beziehung führen will,<br />
ich aber nicht treu sein kann. Auf<br />
Dauer kann und will ich nicht<br />
monogam leben. Soll ich die<br />
Beziehung deshalb beenden? Oder<br />
soll ich, wenn ich mal untreu bin,<br />
ihm nichts davon sagen? Ich<br />
möchte ihn eigentlich nicht verlieren<br />
oder verletzen. Hintergehen<br />
möchte ich ihn auch nicht. Wie<br />
denkst du darüber? Mario (45)<br />
Hallo Mario<br />
Du möchtest deinen Partner nicht verlieren,<br />
ihn nicht verletzen und auch nicht hintergehen.<br />
Das kann ich gut verstehen. Eigentlich<br />
beantwortest du damit deine Fragen schon<br />
selber. Ich rate dir, mit deinem Freund zu reden.<br />
Die offene und ehrliche Kommunikation<br />
ist eine der wichtigsten Voraussetzungen<br />
in einer gut funktionierenden Partnerschaft.<br />
Es ist sozusagen das Fundament, auf der die<br />
Beziehung aufgebaut wird. Dabei geht es weniger<br />
darum, dass jeder von euch stur auf<br />
seinem Standpunkt beharrt, sondern vielmehr<br />
darum, eine Lösung zu finden, die für<br />
beide st<strong>im</strong>mt. Eine Beziehung bedeutet <strong>im</strong>mer,<br />
auch Kompromisse einzugehen. Man<br />
trifft sich sozusagen in der Mitte. Wo diese<br />
Mitte ist und was für dich oder deinen<br />
Freund in Frage kommt, gilt es in einem<br />
konstruktiven Gespräch herauszufinden.<br />
Wichtig ist, dass ihr ehrlich und aufrichtig<br />
miteinander umgeht. Teilt euch eure Wünsche<br />
und Bedürfnisse möglichst wertfrei mit<br />
und findet einen gemeinsamen Nenner. Das<br />
ist nicht <strong>im</strong>mer ganz einfach und setzt ge-<br />
genseitiges Vertrauen voraus, aber es ist<br />
machbar. Die abgemachten Regeln für eure<br />
Beziehung müssen übrigens nicht in Stein<br />
gemeisselt sein. Denn mit der Zeit können<br />
sich Bedürfnisse ändern. Auch dann gilt es,<br />
dies dem Partner mitzuteilen, um gemeinsam<br />
einen Weg zu finden.<br />
Alles Gute, Dr. Gay<br />
Ist Blut be<strong>im</strong> Blasen ein<br />
HIV-Risiko?»<br />
Ich hatte Oralverkehr mit einem<br />
Typen. Plötzlich bemerkte ich einen<br />
blutigen Geschmack <strong>im</strong> Mund,<br />
worauf ich sofort mit dem Blasen<br />
aufhörte. Auf seinem Schwanz<br />
konnte ich aber kein Blut erkennen.<br />
Ich habe ihn darauf angesprochen,<br />
und er meinte, er sei gesund.<br />
Wie aber wäre in so einem Fall das<br />
Risiko, sich mit HIV anzustecken?<br />
Reto (33)<br />
Hallo Reto<br />
Eine der Faktoren bei einer HIV-Infektion<br />
ist die Menge der infektiösen Flüssigkeit.<br />
Blut spielt be<strong>im</strong> Oralverkehr dann eine Rolle,<br />
wenn es sich um viel Blut handelt. Das<br />
heisst zum Beispiel bei einem frisch ausgeschlagenen<br />
Zahn. In so einem Fall hätte<br />
man dann aber kaum mehr Lust zum Blasen.<br />
In deinem Fall war die Menge zu klein<br />
für eine HIV-Infektion, denn du konntest<br />
kein Blut erkennen. Der Speichel wirkt hier<br />
zudem als natürliche Barriere gegen alle<br />
möglichen Erreger. Du brauchst dir deshalb<br />
keine Sorgen um eine Ansteckung zu machen.<br />
Am besten du hältst dich an die Safer-<br />
Sex-Regeln, das heisst Analverkehr, nur mit<br />
Gummi und kein Sperma in den Mund nehmen,<br />
dann brauchst du dir über HIV keine<br />
Sorgen zu machen.<br />
Alles Gute, Dr. Gay
XXX<br />
XXX<br />
31