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Judo-Magazin 03/2016

Serie mit Johanna Müller: „Mein Jahr in der Nationalmannschaft“

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Eine kleine Blessur wie die Platzwunde<br />

auf der Wange ist nicht der Rede wert<br />

Foto: Micha Neugebauer<br />

Serie: Mein Jahr in der Nationalmannschaft<br />

Verletzt<br />

Von Johanna Müller<br />

Unsere Nationalmannschaftsautorin im Pech: erst leichte Probleme<br />

am Knie, dann beim Pariser Grand Slam eine Bänderverletzung<br />

am Schultereckgelenk. Bedeutet einen Monat Pause.<br />

Mit Verletzungen kennt sich Johanna Müller leider aus<br />

J<br />

eder ambitionierte <strong>Judo</strong>ka war<br />

schon einmal verletzt. Ob es nun<br />

eine kleinere Verletzung war, etwa<br />

eine Platzwunde oder Verstauchung, oder<br />

doch etwas Größeres, ein Knochenbruch<br />

oder Bänderriss. Jeder weiß, wie schmerzhaft<br />

Verletzungen sein können. Doch für<br />

uns Spitzensportler kommt noch mehr<br />

hinzu. Die Auszeit vom Sport bedeutet<br />

auch eine Auszeit vom normalen Alltag.<br />

Klar, Verletzungen gehören zum<br />

Sportlerdasein dazu, trotzdem ist es ein<br />

großer Knall, wenn der Arzt vor dir sitzt,<br />

sich die Röntgen- oder MRT-Bilder mit<br />

skeptischem Blick anschaut und<br />

dir dann sagt: Der Fuß ist gebrochen<br />

und muss operiert<br />

„Am meisten<br />

leidet die<br />

Psyche.“<br />

werden. Oder: Das Kreuzband<br />

ist gerissen!<br />

An das Erste, was mir<br />

bei diesen Diagnosen durch<br />

den Kopf gegangen ist, kann<br />

ich mich nicht mehr erinnern.<br />

Diese Momente sind verschwommen.<br />

Vielleicht eine Art Schutz.<br />

Ja, ich weiß, dass es viel größere und<br />

schwerwiegendere Probleme im Leben<br />

gibt, doch in meinem jetzigen <strong>Judo</strong>leben,<br />

im Leistungssport, sind Verletzungen etwas<br />

sehr Prägendes, das ich niemandem<br />

wünsche.<br />

Ich kann natürlich nur aus meiner<br />

Erfahrung berichten, doch um<br />

mich herum gibt es viele Athletinnen<br />

und Athleten, die<br />

sich ebenfalls schon einmal<br />

schwer verletzt haben<br />

und mir von ähnlichen<br />

Erfahrungen erzählt<br />

haben. Eine Verletzung kostet<br />

den Körper, die Psyche und<br />

das soziale Umfeld eine Menge<br />

26<br />

<strong>Judo</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>03</strong>/16


SPORTGESCHEHEN<br />

Kraft. Der Körper ist dabei das kleinste<br />

Problem. Am meisten leidet die Psyche,<br />

und das familiäre und freundschaftliche<br />

Umfeld muss viel ertragen.<br />

OP – Reha – OP<br />

Ich hatte in meiner Karriere schon einige<br />

Verletzungen. Mit 15 brach ich mir im<br />

Training die Nase, ich musste das erste<br />

Mal in einen OP, um sie richten zu lassen.<br />

Mit 16 brach ich mir die Hand, mit<br />

17 bekam ich immer wieder starke Rückenschmerzen,<br />

die ich bis heute habe.<br />

Mit 20 kugelte ich mir den Daumen aus<br />

und riss mir dabei das Seitenband, wieder<br />

musste ich operiert werden. 2013<br />

kam mein schwierigstes Jahr. Im Mai<br />

brach ich mir beim Wettkampf den Fuß,<br />

es folgte die nächste OP. Danach gab es<br />

Komplikationen, die Narbe eiterte und<br />

musste geöffnet werden. Auch nach der<br />

zweiten OP wurde es nicht besser. Erst<br />

im Nachhinein stellten die Ärzte fest,<br />

dass ich die eingesetzte Art der Fäden<br />

nicht vertrug. Fleißig arbeitete ich an<br />

Kraft und Beweglichkeit, mit Physiotherapeuten<br />

und allein, Stunde um Stunde,<br />

sieben Tage die Woche. Ehrgeizig, wie<br />

Sportler zum Leid der Ärzte nun mal<br />

sind, flog ich im Juli mit ins Trainingslager<br />

nach Spanien. Dort nahm ich das<br />

<strong>Judo</strong>training wieder auf, der Fuß<br />

spielte gut mit, die einsetzte<br />

Platte war fest verschraubt,<br />

nur die Narbe wurde nicht<br />

besser, musste täglich gereinigt<br />

werden. Beim folgenden<br />

Wettkampf in<br />

Moskau fanden wir das letzte<br />

Stück Faden. Jetzt ging die<br />

Wundheilung schnell voran. Ich<br />

war froh, diese Verletzung gut überstanden<br />

zu haben.<br />

Langsam arbeitete ich mich zurück,<br />

da kam der nächste Schlag: In einem<br />

Übungskampf beim Trainingslager der<br />

Nationalmannschaft in Kienbaum verletzte<br />

ich mich schwer am Knie. Ein unachtsam<br />

aufgestelltes Bein meinerseits<br />

und eine Wurfaktion meiner Gegnerin<br />

passten nicht zusammen, ich verdrehte<br />

mir das Knie. Ich wusste gleich: Da ist<br />

etwas kaputt gegangen. Die Physiotherapeuten<br />

untersuchten mich sofort auf der<br />

Matte. Nach einigen Tests sah es nicht<br />

ganz so schlimm aus – oder sie wollten<br />

„Meine Gefühle<br />

fuhren<br />

Achterbahn.“<br />

mir keine Angst machen, das weiß ich<br />

bei diesen Schlitzohren manchmal nicht<br />

genau… Jedenfalls stand fest: schnellstmöglich<br />

ins MRT.<br />

Und hier kommt einer der „größten<br />

Vorteile“ von Spitzensportlern: In fast jeder<br />

großen Stadt hat der DJB einen kooperierenden<br />

Arzt mit guten Kontakten.<br />

So hatte auch ich schon einen Tag später<br />

einen Termin in der Röhre. Leider bestätigte<br />

der Arzt in Berlin direkt danach<br />

meinen Verdacht. Diagnose Kreuzbandriss.<br />

Jeder Sportler weiß: Das bedeutet<br />

OP und sehr lange nicht das ausüben,<br />

was man sonst tagtäglich macht. Und ja,<br />

ich muss gestehen, als der Arzt mir ins<br />

Gesicht schaute und sagte: „Das wird<br />

jetzt länger dauern, bis du zurück auf die<br />

Matte darfst!“, da konnte ich meine Tränen<br />

nicht mehr zurückhalten.<br />

Es dauerte einige Tage, bis ich wirklich<br />

begriff, was auf mich zukommen sollte.<br />

In dieser schweren Zeit waren Freunde,<br />

Familie und Trainer für mich da.<br />

Unsicherheit und Rückhalt<br />

Eine der wichtigsten Entscheidungen<br />

ist, wo man sich der OP unterzieht. Jeder<br />

hat da einen Tipp, an wen man sich<br />

wenden soll, welche OP-Technik die<br />

beste zu sein scheint, wie es danach weiter<br />

gehen soll und vieles mehr.<br />

Klar sind Tipps von Kameradinnen<br />

wichtig, auch ich<br />

habe einige zu ihren Erfahrungen<br />

befragt, aber<br />

am Ende muss man selbst<br />

die Entscheidung treffen,<br />

zu welchem Operateur man<br />

geht und wie die Nachbehandlung<br />

auszusehen hat.<br />

Jede Operation birgt Risiken, und leider<br />

musste ich einige selbst erfahren. Die<br />

Knieoperation im Oktober verlief ohne<br />

Komplikationen, nach drei Tagen im<br />

Krankenhaus wurde ich nach Hause entlassen.<br />

Die ersten Nächte schlief ich gut,<br />

doch dann ging es mir von Tag zu Tag<br />

schlechter. Zehn Tage nach der OP ging<br />

ich mit geschwollenem Knie zum Arzt.<br />

Er punktierte. Die richtige Entscheidung.<br />

Ich hatte eine Entzündung und musste<br />

schnellstmöglich wieder ins Krankenhaus.<br />

Das Knie wurde erneut geöffnet,<br />

um zu spülen. Nach sechs Tagen und<br />

drei Spülungen durfte ich wieder nach<br />

Das Jahr von Johanna Müller<br />

Die Serie<br />

Eine besondere Serie im <strong>Judo</strong> <strong>Magazin</strong>:<br />

Nationalmannschaftskämpferin<br />

Johanna Müller berichtet ein ganzes<br />

Jahr lang in jeder Ausgabe von<br />

ihren Wettkämpfen, ihrem Training<br />

und ihren Erfahrungen im Nationalteam.<br />

Die 57-Kilo-Athletin vom PSV<br />

Olympia Berlin lässt die Leserinnen<br />

und Leser an ihren Eindrücken und<br />

Gedanken teilhaben und ermöglicht<br />

so Blicke hinter die Kulissen des Spitzensports.<br />

<br />

•<br />

Hause. Sechs Wochen lang nahm ich<br />

Antibiotika. Nach dieser unangenehmen<br />

Verzögerung konnte ich mein Reha-Programm<br />

fortführen. Die ersten Wochen<br />

sind die wichtigsten. Leider hatte ich sie<br />

verpasst und eine etwas langsamere Genesung<br />

vor mir.<br />

Während dieser Zeit fuhren meine<br />

Gefühle Achterbahn. Mal war ich zufrieden<br />

mit den Fortschritten, dann ging<br />

es mir nicht schnell genug. In der Reha-<br />

Phase war ich teilweise ziemlich deprimiert.<br />

Ich konnte die Kolleginnen nicht<br />

verstehen: Sie kamen heim von großen<br />

Reisen und meckerten – das Essen war<br />

schlecht, das Hotel lag außerhalb, das<br />

Training machte keinen Spaß. All das<br />

konnte ich nicht verstehen, denn all das<br />

wollte ich mehr als alles andere. Teilweise<br />

mied ich die Halle, um den anderen<br />

nicht beim <strong>Judo</strong>training zuschauen<br />

zu müssen. Selbst ein Jahr nach der Verletzung,<br />

als ich wieder voll im <strong>Judo</strong>geschehen<br />

war, mied ich am Jahrestag des<br />

Kreuzbandrisses die Matte. Ein alberner<br />

Aberglaube, doch das war wichtig<br />

für mich.<br />

Eine Verletzung bringt eine schwierige<br />

Zeit mit sich, und jeder geht anders<br />

damit um. Das Wichtigste sind dabei<br />

der Rückhalt in der Familie, die offenen<br />

Arme und Ohren deiner Freunde und<br />

dass die Trainer weiter an dich glauben.<br />

Alle standen hinter mir und haben mich<br />

auf meinem Weg begleitet. Es war ein<br />

langer Weg, er dauert noch an. Ich bin<br />

noch nicht dahin zurückkehrt, wo ich<br />

vorher stand... <br />

•<br />

<strong>Judo</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>03</strong>/16 27

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