einigkeit 2/2016
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Foto: Marko Kubitz<br />
ZUR SACHE<br />
„Kümmert euch!“<br />
Drei Landtagswahlen<br />
im März zeigen das<br />
Erstarken von populistischen<br />
Parteien,<br />
allen voran der AfD.<br />
Auch unter Gewerkschaftsmitgliedern<br />
hat sie viele Wähler.<br />
Michaela Rosenberger Und das, obwohl<br />
die AfD gegen vieles<br />
steht, wofür wir Gewerkschafter aktiv<br />
eintreten: Wir stehen fürs Zusammenhalten,<br />
unsere Stärke ist Solidarität. Das geht<br />
nicht zusammen mit einer Parteispitze, die<br />
regelmäßig versucht, Zwietracht zwischen<br />
Menschen zu säen. Ihr ursprünglich arbeitnehmerfeindliches<br />
Wahlprogramm gegen<br />
Mindestlohn, gesetzliche Unfallversicherung<br />
und Absicherung von Alleinerziehenden<br />
spült die AfD jetzt weich. Wohl, um sich<br />
als Sprachrohr des Volkes zu inszenieren.<br />
Wahlanalysen zeigen, dass viele Menschen<br />
nicht für die AfD, sondern gegen die<br />
regierenden Parteien gestimmt haben. Denn<br />
auch wenn - auf unseren Druck hin - mit<br />
Mindestlohn und Rente mit 63 tatsächlich<br />
Erleichterungen für Arbeitnehmerinnen<br />
und Arbeitnehmer beschlossen wurden,<br />
bleibt offenbar der Gesamteindruck, dass<br />
die Politik zwar Banken retten kann, sich<br />
aber nicht um die Menschen kümmert, die<br />
tagaus tagein dafür sorgen, dass unser Land<br />
so stark und erfolgreich dasteht.<br />
Die Analysen der Wahlforscher und die<br />
Sorgen der Menschen nehme ich ernst und<br />
appelliere deshalb an die Politik: Kümmert<br />
euch um die Probleme! Wir müssen die<br />
Rentenpolitik korrigieren und massenhafte<br />
Altersarmut verhindern. Der Pflegenotstand<br />
muss aufhören und der teilweise entwürdigende<br />
Umgang mit „Hartz-IV-Empfängern“<br />
muss ein Ende haben. Und wir brauchen<br />
endlich gerechtere Löhne und bessere Perspektiven<br />
im Job!<br />
Michaela Rosenberger, NGG-Vorsitzende<br />
Impressum<br />
Die „<strong>einigkeit</strong>“ wird herausgegeben vom<br />
Hauptvorstand der Gewerkschaft Nahrung-<br />
Genuss-Gaststätten, Haubachstraße 76,<br />
22765 Hamburg.<br />
Redaktion: Silvia Tewes M.A. (V.i.S.d.P.)<br />
Tel. (040) 380 13-0, Fax (040) 380 13-220<br />
E-Mail: hv.redaktion@ngg.net<br />
Internet: www.ngg.net<br />
Redaktionsschluss: 21. April <strong>2016</strong><br />
Titelfoto: Irmi Gessner<br />
Satz: Malena Bartel; Druck: BWH GmbH<br />
Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag<br />
enthalten.<br />
VORGESTELLT<br />
„Werkverträge sind die Pest schlechthin“<br />
Gelernt hat sie Tiefdruckretuscheurin, einen<br />
Beruf, den es schon lange nicht mehr gibt.<br />
Kirsten Rossmann (62) arbeitete nach der<br />
Kindererziehungszeit zunächst als Lohnbuchhalterin<br />
auf einem volkseigenen Gut im<br />
Brandenburgischen, bevor sie nach der Wende<br />
und einer Umschulung zur Bürokauffrau<br />
1994 in der<br />
Finanzbuchhaltung<br />
des Gemüse-<br />
und Fruchtsaftherstellers<br />
Dohrn & Timm<br />
in Blankenfelde<br />
anfing. Als<br />
Mitglied des<br />
fünfköpfigen<br />
Betriebsrats<br />
setzt sie sich<br />
dort seit 2006<br />
für die Belange Kirsten Rossmann<br />
ihrer KollegInnen<br />
ein: „Die größte Herausforderung war<br />
damals, dafür zu sorgen, dass unser Betrieb<br />
wieder tarifgebunden ist. Acht Jahre lang<br />
hatten wir keinerlei Lohnerhöhung. Schließlich<br />
hat NGG zu einem Warnstreik aufgerufen.<br />
Der war erfolgreich. Wir haben seither<br />
einen Haustarifvertrag und jährlich Entgelttarifverhandlungen.“<br />
„Wir haben uns um sie gekümmert”<br />
Ein Thema, das Kirsten Rossmann besonders<br />
„umtreibt“, sind Werkverträge und Leiharbeit.<br />
Hierüber hat sie sich in NGG-Schulungen<br />
schlau gemacht: „Vor der Schulung<br />
dachten wir, die Fremdbeschäftigten hier<br />
sind Leiharbeitsbeschäftigte. Die meisten<br />
sind aber über Werkvertrag bei uns tätig. Anfangs<br />
haben sie uns noch nicht einmal ihre<br />
Namen genannt.“ Mittlerweile seien sie ganz<br />
gut integriert, einige<br />
auch fest angestellt<br />
worden. Derzeit<br />
gebe es knapp 100<br />
Stammbeschäftigte,<br />
30 Werkvertragsund<br />
fünf Leiharbeitsbeschäftigte:<br />
„Sie<br />
werden bei uns nicht<br />
ausgegrenzt, wir sitzen in der Pause zusammen<br />
am Tisch. Man kennt sich zum Teil seit<br />
Jahren. Wir haben uns um sie gekümmert.<br />
Sie hatten zum Beispiel noch nicht einmal<br />
eine Garderobe. Da haben wir dafür gesorgt,<br />
dass unser Chef das regelt.“<br />
„Dem Betriebsrat sind die Hände gebunden“<br />
Auch die Flaschensortierer müssen jetzt<br />
Foto: privat<br />
„Wir als Betriebsräte brauchen ein Instrument,<br />
um sofort erkennen zu können,<br />
ob es sich um Leiharbeit oder um einen<br />
Werkvertrag handelt. Als nicht freigestellte<br />
Betriebsräte haben wir keine Zeit für tagelange<br />
Detektivarbeit. “<br />
nicht mehr bei Wind und Wetter draußen im<br />
Hof arbeiten, sondern in einer – wenn auch<br />
unbeheizten – Halle. Was allerdings die<br />
schlechtere Bezahlung der Werkvertragsbeschäftigten<br />
betreffe, so seien dem Betriebsrat<br />
die Hände gebunden: „Wenn z.B. bei den<br />
Stammbeschäftigten ein Maschinenbediener<br />
ausfällt, muss einer von den Werkvertragsbeschäftigten<br />
seine Arbeit machen. Plötzlich<br />
wird er dann zum Leiharbeitsbeschäftigten,<br />
bekommt aber nicht mehr Geld. Wir sehen<br />
das, können aber nichts dagegen machen.<br />
Deshalb halte ich Werkverträge für die Pest<br />
schlechthin.“<br />
„Der jetzige Gesetzentwurf hat eine Hintertür<br />
so groß wie ein Scheunentor”<br />
Ein Gesetz, das den Missbrauch von Werkverträgen<br />
verhindern soll, dürfe deshalb<br />
nicht so leicht zu umgehen sein, findet Kirsten<br />
Rossmann. „Der jetzige Gesetzentwurf<br />
hat eine Hintertür so groß wie ein Scheunentor.<br />
Das ist schade um die Arbeit, die<br />
man reingesteckt hat. Das Gesetz muss die<br />
Fremdvergabe von ganz regulären betrieblichen<br />
Kernaufgaben per Werkvertrag unmöglich<br />
machen. Und wir als Betriebsräte brauchen<br />
ein Instrument, um sofort erkennen zu<br />
können, ob es sich um Leiharbeit oder um<br />
einen Werkvertrag handelt. Als nicht freigestellte<br />
Betriebsräte haben wir keine Zeit<br />
für tagelange Detektivarbeit.“ Außerdem<br />
fordert die engagierte Betriebsrätin vom<br />
Gesetzgeber, dass bei der Berechnung der<br />
Größe eines Betriebsratsgremiums die Gesamtzahl<br />
der Beschäftigten zugrunde gelegt<br />
werden müsse, also inklusive der Fremdbeschäftigten:<br />
„Dann würde sich vieles von<br />
selbst regeln“, ist sie überzeugt.<br />
„Man darf sich nicht abschrecken lassen”<br />
Anderen ArbeitnehmervertreterInnen<br />
empfiehlt Kirsten<br />
Rossmann: „Man darf<br />
sich nicht abschrecken<br />
lassen, sondern<br />
muss versuchen, mit<br />
den Werkvertragsbeschäftigten<br />
ins<br />
Gespräch zu kommen und sich um deren<br />
Belange zu kümmern. Sie müssen sich aufgehoben<br />
fühlen und nicht als Beschäftigte<br />
zweiter Klasse!“<br />
Wenn sich Kirsten Rossmann nicht gerade für<br />
ihre KollegInnen engagiert, dann „wühlt” sie<br />
im Garten oder sie taucht ab: am liebsten in<br />
warmen Tauchrevieren.<br />
2 <strong>einigkeit</strong> 2 /<strong>2016</strong>