DerivateMagazin_No1_2016
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! TITELTHEMA<br />
In den ersten Wochen dieses Jahres verging kaum<br />
ein Tag, an dem keine Hiobsbotschaft aus beziehungsweise<br />
über China in den Nachrichten zu lesen<br />
oder zu sehen war. Diese handelten von der Stimmung<br />
der Einkaufsmanager, der aktuellen Konjunktur<br />
oder den Kursabstürzen an den Börsen.<br />
Auch wenn die Themen nicht immer neu, häufig<br />
schon lange bekannt, bereits vermutet oder im Gros<br />
zumeist überholt waren, rissen sie die wichtigsten<br />
Börsen weltweit auf eine rasante Talfahrt und schürten<br />
zusätzliche Ängste vor einer Erschütterung der<br />
Weltkonjunktur. Eigentlich kein Wunder, wenn<br />
Anleger doch in aller Regelmäßigkeit mit Begriffen<br />
von zahlreichen Meinungsmachern wie „verzockt“,<br />
„kaputt“, „neue Gefahr“, „Lack ab“, „Herzstillstand“<br />
oder „Bedrohung“ im Zusammenhang mit dem Reich<br />
der Mitte bombardiert werden. Ist nicht hier bereits<br />
ein gewisser Zündstoff zu erkennen, der zu maßloser<br />
Übertreibung neigen könnte?<br />
ZEITLICH ÜBERFÄLLIG<br />
Bereits nach den schweren Kursrückgängen der Börsen<br />
im Sommer 2015, als die chinesische Zentralbank den<br />
Renminbi Yuan massiv abwertete, mahnten zahlreiche<br />
Experten zu einer selbstbeherrschten Gelassenheit,<br />
bei der – insbesondere in der damaligen Situation –<br />
der Verstand die Oberhand behalten solle. Im Zeichen<br />
dieser Besonnenheit wurde erklärt, dass es einfach an<br />
der Zeit gewesen sei, die Luft aus der über Jahre aufgebauten<br />
kreditfinanzierten Aktienblase langsam entweichen<br />
zu lassen. Schließlich wuchs diese nach etwa zwei<br />
Jahrzehnten ungebremster chinesischer Wirtschaftsexpansion<br />
immens an. Auch der deutsche Bundesbankvorstand<br />
Joachim Nagel warnte vor übertriebenen Ängsten,<br />
da es sich nach den rasanten Anstiegen der vergangenen<br />
Jahre um eine Korrektur handelte und China bei einer<br />
Finanzmarktinstabilität wirtschaftlich stark genug<br />
sei, um im Notfall dagegenzuhalten. Und so glaubten<br />
die meisten Beobachter nicht an eine dauerhafte globale<br />
Finanzkrise, sondern eher an eine längst überfällige<br />
Korrektur.<br />
„China in seinen vielschichtigen<br />
Facetten wird auch in Zukunft gute<br />
Voraussetzungen für langfristige<br />
Geschäftsmöglichkeiten bieten.“<br />
Winfried Bostelmann, Chairman BVMW China<br />
Vizekanzler Sigmar Gabriel stieß ins gleiche Horn: Die<br />
Sorgen der Bösen hinsichtlich der Entwicklungen in<br />
China seien sicherlich berechtigt, was dort passiere sei<br />
dennoch nicht geeignet, die Perspektiven Deutschlands<br />
zu beeinträchtigen. Schließlich seien nach Ansicht des<br />
ehemaligen Chefvolkswirtes der Europäischen Zentralbank<br />
Jürgen Stark die Strukturprobleme wie etwa die<br />
Überhitzung der Immobilienmärkte, die Expansion des<br />
Schattenbankensystems und die gigantische Verschuldung<br />
der Banken schon seit Jahren bekannt gewesen.<br />
AKTION UND REAKTION<br />
Trotz aller Beschwichtigungen hat China reagiert: Um<br />
künftig deutlichen Kurs rückgängen einen Riegel vorzuschieben,<br />
führte die Regierung in Peking zu Jahresbeginn<br />
eine neue Börsenregel ein, durch die der Handel<br />
für 15 Minuten unterbrochen werden sollte, wenn der<br />
Kurs des China Securities Index, das Börsenbarometer<br />
welches die wichtigsten 300 Aktien abbildet, um fünf<br />
Prozent verliert. Außerdem sah diese Regel vor, den<br />
Handelstag bei einem Verlust von sieben Prozent ganz<br />
zu beenden. Wuchtige Kursabstürze sollten damit abgemildert<br />
werden – so die Theorie. Doch diese Sicherheitsmaßnahme<br />
habe, so raunten manche Börsenauguren,<br />
bei der Krise zu Jahresanfang eher die Rolle eines<br />
Katalysators als die eines Inhibitors gespielt. Ursächlich<br />
für den neuerlichen Einbruch im Januar waren jedoch<br />
zunächst schlechte Umfragedaten zur chinesischen Industrie,<br />
danach Spekulationen über Stützkäufe des chinesischen<br />
Staatsfonds, Zentralbankgeld, welches in den<br />
Markt gepumpt wurde, die achte Abwertung der Landeswährung<br />
Renminbi Yuan und der starke Rückgang<br />
der Währungsreserven.<br />
Bereits ein paar Tage später wurden die Konsequenzen<br />
gezogen: Ab sofort sollten die Börsen in Shanghai<br />
und Shenzhen wieder ohne Notbremse auskommen.<br />
Laut chinesischer Börsenaufsicht CSRC habe der Mechanismus<br />
nicht den gewünschten Effekt erzielt. Außerdem<br />
wurde von Seiten der Behörde mitgeteilt, dass die automatische<br />
Marktsperre nicht der Hauptgrund für die<br />
jüngsten Kursstürze gewesen sei. Investmentstrategen<br />
allerdings begrüßten diese Kehrtwende, denn mit diesem<br />
Schritt könne sich der Aktienmarkt wieder freier<br />
bewegen und ein Aufstauen von Handelsvorhaben vermieden<br />
werden. Dazu sollte man wissen, dass 90 Prozent<br />
der Investoren an der chinesischen Börse einheimische<br />
Privatanleger sind, die wiederum 80 Prozent<br />
der Transaktionen verantworten. Und diese fokussieren<br />
eher spekulative Gewinne. Das allerdings sorgt für Volatilität.<br />
Entsprechend spielen chinesische Institutionelle<br />
kaum eine Rolle. Auch ausländische Investoren können<br />
lediglich auf weniger als zwei Prozent des dortigen<br />
Marktes zurückgreifen.<br />
<br />
Über die Hälfte des chinesischen<br />
Bruttoinlandsprodukts wird mittlerweile<br />
vom Dienstleistungssektor getragen.<br />
!derivate MAGAZIN 01/<strong>2016</strong>