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PT-Magazin_03_2016_Komplett

Magazin für Wirtschaft und Gesellschaft. Offizielles Informationsmagazin des Wettbewerbs "Großer Preis des Mittelstandes" der Oskar-Patzelt-Stiftung

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Liebeserklärung<br />

an meine Frau<br />

Wirtschaft <strong>PT</strong>-MAGAZIN 3/<strong>2016</strong><br />

Sehr geehrte<br />

Frau Tröger,<br />

34<br />

ich hoffe, dass Sie sich die Zeit nehmen,<br />

die nachstehenden Zeilen zu lesen. Meine<br />

Frau, Dr. Anke Truschka, war bis Mitte<br />

2013 Geschäftsführerin der Mauersberger<br />

& Fritzsche GmbH & Co. KG. Sie wurde<br />

vor langer Zeit – es war kurz nach dem<br />

sogenannten Jahrhunderthochwasser –<br />

mit dem „Großen Preis des Mittelstandes“<br />

geehrt. Geraume Zeit später wurde meine<br />

Frau von Ihnen mehrmals gebeten, an<br />

einer weiteren Veranstaltung teilzunehmen.<br />

Sie lehnte ab. Es gab Gründe, die ich<br />

selbst meinen ärgsten Widersachern nicht<br />

wünsche! Nun gut.<br />

Aber warum schreibe ich Ihnen<br />

dies? Meine Frau war seinerzeit<br />

die jüngste Doktorandin der TU<br />

Dresden. Anschließend baute sie in<br />

einem Hightech-Unternehmen der Bergbaustadt<br />

Freiberg das Controlling auf.<br />

Nie wurde sie durch ihre Eltern gezwungen,<br />

in das reprivatisierte Unternehmen<br />

zu kommen. Und trotzdem wagte sie<br />

es. Und was sie vorfand war genau das<br />

Gegenteil von dem, was sie verließ. Verstehen<br />

Sie meine Zeilen nicht falsch.<br />

Aber meine lieben Schwiegereltern<br />

stellten einfach nicht den Anspruch, das<br />

Unternehmen so zu führen, wie es Beraterfirmen<br />

gern gesehen hätten. Nur das<br />

Überleben stand im Mittelpunkt. Und<br />

dieses Ziel haben sie erreicht. Dafür bin<br />

ich ihnen für immer dankbar.<br />

Jedenfalls führte sie Computer,<br />

Warenwirtschaft, Ablaufpläne, Qualitätssicherung<br />

u. v. a. m. ein. Zwei Jahre<br />

später kam ich hinzu. Es brauchte gerade<br />

vier Wochen und unsere Firma stand<br />

unter Wasser. Meine Schwiegereltern<br />

sowie meine Frau und ich standen auf<br />

einmal ohne Einkommen da. Für uns gab<br />

es keinen Zweifel, das war´s.<br />

Aber am nächsten Tag stand die<br />

gesamte Mannschaft im Blaumann und<br />

Gummistiefeln vor den Toren. Wir, die<br />

Familie, zwangen also meine Frau, doch<br />

weiterzumachen.<br />

Was anfänglich ein nicht beschreibbares<br />

Unglück war, stellte sich später<br />

als unglaubliche Chance dar. Wir investierten.<br />

Und mit dem Hochwasser kam<br />

nicht nur Müll, Abfall, Schlamm und<br />

Zerstörung. Nein, es kam auch ein<br />

Mensch aus dem Vertrieb. Und quasi<br />

über Nacht wurden wir mit Hilfe seiner<br />

Fähigkeiten Lieferant für die Industrie.<br />

Vorher bedienten wir eher den Handwerksbereich.<br />

Wir hatten nicht nur das<br />

Glück, einen alten Hasen im Vertrieb<br />

zu engagieren. Nein, wir bekamen auch<br />

noch von einem anderen Großunternehmen<br />

einen Produktionsleiter. Und jetzt<br />

begann erst richtig die Metamorphose<br />

vom Handwerksbetrieb zum Industrieunternehmen.<br />

Aber kurz vor der Finanzund<br />

Wirtschaftskrise verstarb erst der<br />

eine und ein halbes Jahr später der<br />

andere. In Erwartung, dass jetzt alles<br />

zusammenbrechen würde, wagten wir<br />

den Schritt, die Verantwortung an jene<br />

zu geben, welche bei uns lernten. Weder<br />

der Vertrieb noch die Produktion endeten<br />

im Chaos.<br />

Ende 2008 erst leicht und Anfang<br />

2009 mit voller Wucht kam die Krise bei<br />

uns an. Es war ein freier Fall nach unten.<br />

Ungebremst! Die Wirtschaftspolitik mit<br />

ihren immer enger werdenden Grenzen<br />

und ihrem zügellosen Kontrollwahn<br />

schnürte uns zudem die Luft zum Atmen<br />

ab. Fachkräftemangel mit dem Ergebnis<br />

des gegenseitigen Abwerbens, bis hin zu<br />

einer Art des Kannibalismus, war nur ein<br />

Aspekt, welcher uns zu schaffen machte.<br />

Von uns ausgebildete Ingenieure und<br />

Zerspanungsfacharbeiter gingen teilweise<br />

zu unseren Kunden.<br />

Weihnachtsgeld, 13. Gehalt, 30 und<br />

mehr Tage Urlaub, Geschäftsreisen ohne<br />

Ende – das konnten wir einfach nicht<br />

bieten. Das Einkaufsverhalten unserer<br />

Kunden im Allgemeinen wurde immer<br />

brutaler. Ein Klick auf die Entertaste und<br />

die Anfrage war weltweit positioniert.<br />

Irgendein Unternehmen auf der Welt<br />

würde es schon zu diesem Preis machen!<br />

Auch die Umgangssprache wurde rüder.<br />

Meine Frau, welche die Verantwortung<br />

für 60 und mehr Menschen hatte,<br />

wurde am Telefon nicht nur einmal von<br />

Sachbearbeitern des Einkaufs verbal<br />

attackiert. Jedes Mal verspürte ich den<br />

inneren Wunsch, solchen Menschen mit<br />

Fäusten zu begegnen – keine Angst, ich

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