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Juden <strong>von</strong> Rothenfels 19<br />

den im Hochstift weitgehend dulden, dann ist das freilich<br />

keine Toleranz im modernen Sinne. Der Vorgang<br />

ist vielmehr wirtschaftlich kalkuliert, die Anzahl der<br />

zugelassenen Familien reguliert, ihr Aufenthaltsrecht<br />

nach wie vor <strong>von</strong> willkürlichen landesherrlichen Entscheidungen<br />

abhängig. 70 Erst nach der Säkularisierung<br />

der geistlichen Staaten Ende 1802 und dem Übergang<br />

Unterfrankens an Bayern beginnt der lange Weg zur<br />

bürgerlichen Gleichberechtigung. Erst die Reichsverfasung<br />

<strong>von</strong> 1871 verwirklicht die Emanzipation der<br />

Juden. 71<br />

Dank seiner territorialen Zersplitterung zählt der<br />

spätere Regierungsbezirk Unterfranken bis in das 20.<br />

Jahrhundert zu den Regionen mit der dichtesten jüdischen<br />

Besiedlung in Deutschland. 72 Im ehemaligen<br />

Untermainkreis gibt es im Stichjahr 1817 insgesamt<br />

217 jüdische Wohnorte. 73 Oder, um die Region um Rothenfels<br />

enger einzugrenzen: Im alten „Waldsassengau“,<br />

speziell der Mainlandschaft zwischen Würzburg,<br />

Gemünden, Lohr und Marktheidenfeld, scheinen in<br />

unterschiedlichen Perioden in 40 bis 60 Ortschaften<br />

historische Kehillot auf. Allein im heutigen Main-<br />

Spessart-Kreis lassen sich bis 1933 in 24 Städten und<br />

Dörfern jüdische Gemeinden nachweisen, <strong>von</strong> denen<br />

acht bereits vor 1900 eingehen, alle anderen während<br />

der nationalsozialistischen Herrschaft vernichtet werden.<br />

74 Das historische Amt Rothenfels mit seinen bis<br />

zu 19 Orten kennt jüdische Gemeinden in Karbach,<br />

Greußenheim und Rothenfels/Berg<strong>rothenfels</strong> und einzelne<br />

Familien zeitweise in Birkenfeld und Zimmern.<br />

6. Neubeginn und erste Namen<br />

Vor diesem Hintergrund ist die Geschichte der Juden<br />

in Rothenfels und Berg<strong>rothenfels</strong> zu sehen und zu verstehen.<br />

Der Neubeginn der hiesigen kleinen Gemeinde<br />

dürfte während des Dreißigjährigen Krieges anzusetzen<br />

sein, was sich mit der allgemeinen Entwicklung in<br />

der Region decken würde. Die ersten amtlichen Datierungen<br />

für Rothenfels stammen zwar aus der Nachkriegszeit;<br />

eine Nennung im Jahr 1646 und einige<br />

Formulierungen in den Akten lassen aber auf einen<br />

schon früheren Zuzug <strong>von</strong> Juden schließen.<br />

Leider fehlen für Rothenfels die vom Hochstift<br />

ausgegebenen Schutzbriefe, die genaue Auskunft über<br />

Personen und Daten geben würden. Der erste Name<br />

70 Vgl. I. König, Judenverordnungen, S. 83 f, 171-178, 220 f, 223-<br />

226, 300 f.<br />

71 Vgl. H. P. Baum, Jüdische Geschichte, S. 770-772; L. Scherg,<br />

Epoche des Land<strong>juden</strong>tums, S. 237 f; A. Brämer, Der lange<br />

Weg, S. 80 ff.<br />

72 L. Scherg, Jüdische Gemeinden, S. 156 f, 249.<br />

73 Mitten unter uns, Karte S. 2-3 (mit weiteren Karten S. 6 und<br />

14).<br />

74 B. Rösch, Judenwege, S. 82-93 (mit Karten und Auswertung<br />

der bisherigen Literatur); L. Scherg, Jüdisches Leben, S. 3-11<br />

(mit Karte S. 2).<br />

erscheint so eher zufällig in einem Vorgang des Rothenfelser<br />

Julius-Spitals: 1646 vermietet die fürstbischöfliche<br />

Stiftung dem Juden Jöstlein ein ihr<br />

gehörendes Häuschen für drei Jahre. 75 Wir erfahren<br />

sonst nichts über diesen Mann und sein Umfeld, auch<br />

nicht, woher er kommt und wie lange er in dem Ort<br />

gelebt hat; in den bald folgenden Würzburger Statistiken<br />

ist er jedenfalls nicht vertreten.<br />

Die nächsten – und ersten aussagekräftigen – Namen<br />

verdanken wir zwei Bestandsaufnahmen der landesherrlichen<br />

Administration. Die fordert noch in<br />

Kriegszeiten in unregelmäßigen Abständen bei allen<br />

Amtmännern genaue Informationen über die in ihren<br />

Amtsbezirken wohnhaften schutzverwandten Juden<br />

an. Die ersten Statistiken dieser Art sind für 1621 und<br />

1623 erhalten, in den folgenden <strong>von</strong> 1655 und 1675 ist<br />

Rothenfels dabei. 76<br />

Gefragt wird nach den familiären und wirtschaftlichen<br />

Verhältnissen, und die Aufstellungen dazu sind<br />

so aufschlussreich, dass sie eine nähere Betrachtung<br />

verdienen. Demnach leben 1655 im Amt (und hier in<br />

der Stadt) Rothenfels nur zwei Juden, Joseph und<br />

Mendlein, jeweils mit großen Familien. 77 Joseph ernährt<br />

seinen Anhang mit einem gemengten Kremlein<br />

<strong>von</strong> Barchet, Weiß unndt Schwartz wüllen Tuch, Bender<br />

und dergleichen, dessen aktuellen Warenwert er<br />

auf 50 Reichstaler veranschlagt. 78 Auch Mendlein handelt<br />

mit Tuchen, außerdem mit Ertz vor die Heffner<br />

unndt etzlicher gemeiner eÿsenwahr, mit einem Bestand<br />

im Wert <strong>von</strong> 120 Reichstalern, dazu 84 Gulden<br />

Bargeld. 79<br />

Beide Männer kombinieren ihren Handel mit dem<br />

Kleinkreditgeschäft, und das interessiert die Administration<br />

so sehr, dass sie eine genaue Aufstellung mit<br />

Namen, Orten und Beträgen verlangt. Joseph Judt listet<br />

Außenstände <strong>von</strong> durchschnittlich 2,8 Gulden bei<br />

124 Schuldnern in zwölf Amtsorten sowie in (Markt-)<br />

75 P. Kolb, Juliusspital-Stiftung, S. 147. Das 1597-99 erbaute und<br />

1601 offiziell gestiftete Rothenfelser Julius-Spital verfügte über<br />

umfangreichen Grund- und Hausbesitz, hatte jedoch, im Unterschied<br />

zu der großen Würzburger Spitalstiftung, keine Schutz<strong>juden</strong><br />

(freundliche Mitteilung <strong>von</strong> Dr. Peter Kolb, Würzburg).<br />

76 StAWü Administrationsakten 8318 (unpaginiert), hier die Vorgänge<br />

1655 und 1675. Die Erhebungen <strong>von</strong> 1621 und 1623 listen<br />

insgesamt 56 Familien unter hochstiftischem Schutz im<br />

Fürstbistum Würzburg auf.<br />

77 Wie Anm. 76 (5. 7. 1655). Josephs Ehefrau heißt Ester. Das<br />

Paar hat acht Kinder, <strong>von</strong> denen fünf noch bei den Eltern wohnen,<br />

und drei Stiefkinder, <strong>von</strong> denen zwei verheiratet sind und<br />

auswärts wohnen. Mendleins Ehefrau heißt Beeß (auch Besse),<br />

sie haben sieben Kinder, die alle noch unverehelicht bei den Eltern<br />

leben. Gemeinsam bezahlen beide Familien einen Lehrer<br />

Habriel.<br />

78 Reichstaler: Der 1566 als reichsweite Währungsmünze eingeführte<br />

silberne Taler, auch im Fürstbistum Würzburg neben dem<br />

weiterhin gebräuchlichen Gulden gängig. Vgl. W. Mogge, Dies<br />

uralt Haus, S. 119 f.<br />

79 Gemengtes Kremlein: Gemischtwarenhandel, hier als reisender<br />

Händler; Barchet: grober Leinenstoff; Ertz: Erz, metallhaltiges<br />

Mineralgemenge; Heffner: Häfner, Töpfer, auch Kachelofenbauer.

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