juden-von-rothenfels
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Juden <strong>von</strong> Rothenfels 25<br />
Rothenfels: Gastwirtschaft „Zum Rothen Ochsen“<br />
gezogen 110 , stammen also aus den bereits seit längerem<br />
hier lebenden Familien. Sie können hochstiftische<br />
Schutzbriefe vorweisen, der eine ausgestellt <strong>von</strong> Fürstbischof<br />
Friedrich Karl <strong>von</strong> Schönborn (1729-1746),<br />
der andere <strong>von</strong> Anselm Franz <strong>von</strong> Ingelheim (1746-<br />
1749). 111 Die Stadtverordneten zeigen sich verbittert<br />
über diese relativ frisch ausgegebenen Aufenthaltsgenehmigungen<br />
– sie haben seinerzeit gemäßigte als<br />
wohl gegründete beschwerde gegen diese und alle<br />
Neuzugänge eingelegt und sind deshalb sogar für Rebellen<br />
und wiederspänstige unterthanen angesehen<br />
worden, und sie durften bei Strafandrohung und Verlust<br />
der hochfürstlichen Gnade nichts weiter gegen<br />
jene Juden und deren erschlichenen Schutz unternehmen.<br />
Jetzt aber, so der Vortrag aus Rothenfels, sind die<br />
Folgen unübersehbar und muss zur Rettung der Stadt<br />
gehandelt werden, und zwar nicht nur mit der sofortigen<br />
Eliminierung <strong>von</strong> Hirsch und Berl, sondern auch,<br />
daß ferner hin kein anderer Judt mehr dahin aufgenomen<br />
werden solle. 112<br />
Bürgermeister und Räte wie auch sambtliche bürgerschaft<br />
zu Rottenfels lassen nun jede Zurückhaltung<br />
fahren. Zwei ausführliche Eingaben, hier in Kurzform<br />
zusammengefasst, lassen in unbeschönigter Deutlich-<br />
110 Wie Anm. 1.<br />
111 Die Schutzbriefe sind nicht erhalten. Für 1743 gibt es in den<br />
Akten einen bruchstückhaften Vorgang wegen Zulassung des<br />
Juden Hirsch (StAWt-R Rep. 65g Nr. 47, Anlagen).<br />
112 StAWt-R Rep. 65g Nr. 47 (1749 mit Anlagen 1702, 1704, 1719,<br />
1734, 1736, 1743).<br />
keit und gehässiger Diktion den <strong>juden</strong>feindlichen Gehalt<br />
jener Kontroversen erkennen. Die Juden, heißt es<br />
dort, sind das Verderben jeder christlichen Gemeinde,<br />
wo immer sie sich einschleichen und einnisten. Mit ihrer<br />
Handelschaft und ihrem Wucher verdrängen und<br />
ruinieren sie die bürgerlichen Kaufleute und die einheimischen<br />
Gewerbe. Die schadhaffte Vermehrung eines<br />
so wucherischen Volkes kann nicht im Sinne der<br />
hochfürstlichen Regierung sein, weil deren christliche<br />
Untertanen sich gegen die finanzstarken Geschäftspraktiken<br />
der Juden nicht behaupten können<br />
und an den Bettelstab gebracht werden.<br />
Als die haupt- und wahre ursach der Beschwerden<br />
schildern die Rothenfelser einmal mehr die Wohnungsnot<br />
in ihrer Stadt. Hier, so schreiben sie, gibt es<br />
inzwischen so wenig Wohnraum, dass nicht einmal<br />
alle Bürger eigene Häuser erlangen können, sondern<br />
viele sich mit kümmerlichen bestandt quartiren (Mietwohnungen)<br />
behelfen und in Einzelfällen schon nach<br />
Berg<strong>rothenfels</strong> ausweichen müssen. Umso schädlicher,<br />
so die anders nicht zu erwartende Schlussfolgerung,<br />
ist die Aufnahme mehrerer Juden, die überall,<br />
wo sie zugelassen werden, bekantlich also baldt nach<br />
Häusern streben und andere Interessenten durch Ausnützen<br />
der Notlage verschuldeter Bürger und Bezahlen<br />
überhöhter Preise ausstechen. Auf diese Weise habe<br />
vor wenigen Jahren der Judt Mossel das Haus eines<br />
Bürgers an sich gebracht, so eines <strong>von</strong> denen besten<br />
und gelegensten Häusern im orth, und zwar ein<br />
schildtberechtigtes wirthshaus gewesen – nämlich das<br />
alte Ochsenwirthshaus gleich gegenüber der Stadtpfarrkirche.<br />
Diese Transaktion erregt die Stadtoberen noch immer<br />
in höchstem Maße. Da sei der bürgerlichen Gewerbschaft<br />
eines der besten Objekte verloren<br />
gegangen, und die Bürgerschaft müsse das täglich mit<br />
wehmüthigsten augen ansehen. Auch bekomme die<br />
Hochfürstliche Hofkammer statt der bisherigen jährlichen<br />
mehr als 50 Gulden aus den Erträgen des Wirtsund<br />
Gasthauses nur noch wenige Gulden Schutzgeld –<br />
mit diesem finanziellen Argument soll wohl die Landesregierung<br />
empört werden. Und als ein besonderer<br />
Scandal der Christenheith wird beklagt, dass die beiden<br />
dort nun wohnenden Judenfamilien <strong>von</strong> ihren<br />
Fenstern aus den christlichen Gottesdienst mithören<br />
und bei geöffneten Kirchentüren auch mitten in die<br />
Kirch hinein sehen können. Fazit: Der Fürstbischof<br />
kann und darf nicht hinnehmen, seine unterthänigst<br />
treu devotigsten Burgerschaft [...] <strong>von</strong> diesen denen<br />
Christen ohnehin so gehässig als schädlichen Juden<br />
gesinndel aus ihren besten Häuseren sich verdrengt zu<br />
sehen. 113<br />
Auf geradezu atemberaubende Weise werden mit<br />
dieser Argumentation nicht nur allgemein die antisemitischen<br />
Klischees bedient, sondern konkret auch die<br />
tatsächlichen Abläufe dieses Hauskaufes verdreht –<br />
113 StAWt-R Rep. 65g Nr. 47 (unpaginiert; undatiert, 1749).