Leseprobe CuA 5_2016
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Computer<br />
und Arbeit<br />
cua | it-mitbestimmung und datenschutz<br />
cua-web.de<br />
25. JAHRGANG<br />
ISSN 1863-8511<br />
D 11680<br />
5 | <strong>2016</strong><br />
social graph<br />
Das totale Netz der<br />
Überwachung<br />
ausbildung Die Lernfabrik 4.0 bereitet auf die Produktion der Zukunft vor<br />
pionierarbeit Beim Übersetzen und Dolmetschen geht es auch um Datenschutz<br />
erpressungssoftware »Ransomware« ist zurzeit die größte Bedrohung im Internet
titelthema social graph <strong>CuA</strong> 5 |<strong>2016</strong><br />
Mining the Enterprise<br />
Social Graph<br />
big data In die Belegschaft hineinhorchen, Schlüsselstellungen erkennen,<br />
Meinungsführer und Cliquen identiizieren, die Arbeitsweise der Beschäftigten und<br />
ihre Beziehungen untereinander ofenlegen – das sind keine Zukunftsfantasien<br />
durchgeknallter Arbeitgeber. Das ist bereits Realität.<br />
VON HEINZ-PETER HÖLLER<br />
8
<strong>CuA</strong> 5 |<strong>2016</strong><br />
social graph<br />
titelthema<br />
Der Umgang mit Leistungs- und Verhaltenskontrollen<br />
ist ein besonderes<br />
betriebliches Spannungsfeld.<br />
Im Zentrum steht die individuelle,<br />
auf einzelne Arbeitnehmer gerichtete Kontrolle.<br />
Zu ihrer Regelung wird oft genau festgelegt,<br />
welche Beschäftigtendaten erhoben und zu welchen<br />
Zwecken sie verarbeitet werden dürfen,<br />
es werden Schnittstellen und Kontrollrechte<br />
vereinbart. In den letzten Jahren treten hochintegrierte<br />
und dominant kommunikationsorientierte<br />
Systeme – darunter die innerbetrieblichen<br />
sozialen Netzwerke – im Arbeitsalltag<br />
auf. Dort, wo der Vorgesetzte »Freund« ist, wo<br />
er das eine Arbeitsergebnis »liked« und das<br />
andere nicht, wo er einem Dokument »folgt«<br />
und jede kleine Veränderung beobachtet, dort<br />
wird die betriebliche Regelung mit bisherigen<br />
Ansätzen immer schwieriger.<br />
Immer größere Teile der betrieblichen<br />
Kommunikation und Zusammenarbeit erfolgen<br />
über diese Kooperationssysteme. Die Beschäftigten<br />
tauschen E-Mails miteinander aus<br />
und halten sich mit Messengern auf dem Laufenden,<br />
sie posten in die Gruppe oder äußern<br />
ihre Meinung in Blogs. Sie kommentieren, sie<br />
»liken« und nehmen damit Bewertungen vor.<br />
Was Arbeitnehmer während ihrer Arbeitszeit<br />
tun, kann immer leichter beobachtet werden.<br />
Transparenter wird allerdings auch, mit<br />
wem die Beschäftigten zusammenarbeiten, mit<br />
welchen Kollegen, mit welchen Stellen im Unternehmen,<br />
in welchen inhaltlichen Bezügen<br />
und in welchen formellen oder auch informellen<br />
Gruppen das geschieht.<br />
darum geht es<br />
1. Neue Programme ermöglichen<br />
das Auswerten<br />
der kompletten innerbetrieblichen<br />
Beziehungen.<br />
2. Analysen der Vernetzung<br />
der Mitarbeiter<br />
untereinander, deren<br />
Reputation und Engagement<br />
sind jetzt möglich.<br />
3. Die Zweckbindung der<br />
Daten und die Zugrifsberechtigung<br />
auf die riesigen<br />
Datenberge rücken<br />
in den Mittelpunkt.<br />
Social Graph bildet Vernetzung<br />
im Unternehmen ab<br />
Bei der Anwendung dieser hochintegrierten<br />
Kooperationssysteme entsteht im Hintergrund<br />
das Abbild der Vernetzungs- und Kooperationsstrukturen<br />
des gesamten Unternehmens.<br />
Es wird oft vom sozialen Graph des Unternehmens<br />
– dem Enterprise Social Graph – gesprochen.<br />
Ein Graph ist ein mathematisch gut untersuchtes<br />
Gebilde und in der Informatik eine<br />
Struktur, in der sich Beziehungen festhalten<br />
und eizient untersuchen lassen. Zum näheren<br />
Verständnis ist jetzt ein bisschen Mathematik<br />
notwendig:<br />
Ein Graph G=(V,K) besteht aus der Menge<br />
der Knoten (V) und den Beziehungen zwischen<br />
ihnen, den Kanten (K). Solche Beziehungen<br />
können zum Beispiel lauten: »hat eine<br />
9
titelthema social graph <strong>CuA</strong> 5 |<strong>2016</strong><br />
Der analysierte<br />
Arbeitnehmer<br />
social graph Der technologische Fortschritt lässt nicht nur die Menge<br />
der Arbeitnehmerdaten anschwellen, sondern liefert jetzt auch die<br />
Tools, um in den Datenbergen ausgiebig zu schürfen. Doch die Interessenvertretung<br />
kann der Auswertung von Daten auch in Zeiten von<br />
Social Media und Big Data efektiv begegnen.<br />
VON PETER WEDDE<br />
darum geht es<br />
1. Die digitale Durchleuchtung<br />
der Beschäftigten<br />
geht in die nächste<br />
Runde.<br />
2. Neue Tools ermöglichen<br />
genaueste Auswertungen<br />
der Kommunikationsbeziehungen.<br />
3. Die Belegschaftsvertretung<br />
kann mit Hilfe<br />
des Datenschutzes Verhaltenskontrollen<br />
efektiv<br />
vermeiden.<br />
Wollen Unternehmen verhindern,<br />
dass gute Mitarbeiter<br />
sich einen anderen Arbeitgeber<br />
suchen, dann müssen<br />
sie künftig einfach nur die richtige Software<br />
einkaufen. Damit können sie nicht nur Beschäftigte<br />
identiizieren, die über einen Arbeitgeberwechsel<br />
nachdenken, sondern erhalten<br />
zugleich auch elektronische Empfehlungen<br />
dazu, wie sie diese Personen im Unternehmen<br />
halten können. Dies verspricht jedenfalls<br />
Christoph Kull, deutscher Geschäftsführer des<br />
Softwarehauses Workday in einem aktuellen<br />
Interview. 1<br />
Mit Blick auf die Algorithmen, die derartige<br />
Erkenntnisse möglich machen, stellt sich allerdings<br />
die Frage, welche Erkenntnisse über Beschäftigte<br />
sich mittels moderner Software wie<br />
etwa der aus dem Hause Workday denn dann<br />
noch gewinnen lassen. Wenn sich auf elektronischem<br />
Weg erkennen lässt, wer seinem aktuellen<br />
Arbeitgeber den Rücken kehren will,<br />
warum sollten derartige Systeme dann nicht<br />
auch Hinweise auf eine zunehmende Arbeitsunlust<br />
aufgrund permanenter Überlastung in<br />
bestimmten Abteilungen geben können – oder<br />
auf eine anstehende Betriebsratsgründung?<br />
Ob derartige Schnüfeleien noch Zukunftsmusik<br />
sind, ist mit Blick auf die Analysen von<br />
innerbetrieblichen Kooperationsbeziehungen<br />
fraglich, die Heinz-Peter Höller im Rahmen<br />
dieses Titelthemas beschreibt. 2 Es spricht viel<br />
dafür, dass die digitale Durchleuchtung der Beschäftigten<br />
längst in die nächste Runde gegangen<br />
ist und dass Arbeitgebern immer weniger<br />
Informationen verborgen bleiben. Werden interne<br />
und informelle Netzwerke mittels Software<br />
aufgedeckt oder lässt sich die Bedeutung<br />
einzelner Personen in einem Betrieb auf diesem<br />
Weg präzise bewerten, ist dies eine neue<br />
und efektive Form der Verhaltenskontrolle.<br />
Die gewonnenen Daten gehen weit über die<br />
Informationen hinaus, die Arbeitgeber zur Anbahnung,<br />
Durchführung oder Beendigung von<br />
Beschäftigungsverhältnissen tatsächlich benötigen.<br />
Und damit stellt sich die grundlegende<br />
Rechtsfrage nach der Zulässigkeit des Einsatzes<br />
von Analyse- und Data Mining-Systemen<br />
für den Umgang mit Beschäftigtendaten.<br />
Data Mining verstößt gegen Datenschutz<br />
Zielen digitale Analyseverfahren auf personenbezogene<br />
oder personenbeziehbare Informationen,<br />
müssen die hierfür notwendigen datenschutzrechtlichen<br />
Voraussetzungen gegeben<br />
sein. Mit Blick auf die grundlegende Vorgabe<br />
in § 4 Abs. 1 des Bundesdatenschutzgesetzes<br />
(BDSG) muss zunächst einmal ein datenschutzrechtlicher<br />
Erlaubnistatbestand vorliegen.<br />
Im Bereich des BDSG kommt neben<br />
der Regelung zum Beschäftigtendatenschutz<br />
in § 32 BDSG auch eine individuelle Einwilligung<br />
gemäß § 4 a Abs. 1 BDSG in Betracht.<br />
In jedem Fall müssen Arbeitgeber, die die hier<br />
angesprochenen Analyseverfahren einsetzen<br />
wollen, den allgemeinen Grundsatz der Datenvermeidung<br />
und der Datensparsamkeit be-<br />
1 Computer kennen keinen Nasenfaktor, in: FAZ 9./10.4.<strong>2016</strong>, C1<br />
2 Höller, Mining the Enterprise Social Graph, in: <strong>CuA</strong> 5/<strong>2016</strong>, 8,<br />
in diesem Heft<br />
14
<strong>CuA</strong> 5 |<strong>2016</strong><br />
social graph<br />
titelthema<br />
achten, den § 3 a BDSG enthält. Dieser bezieht<br />
sich auf alle Phasen der Datenverarbeitung<br />
und steht der Verwendung personenbezogener<br />
Daten zu vielfältigen und variablen Analysezwecken<br />
grundsätzlich entgegen.<br />
Es darf deshalb bei der Verarbeitung personenbezogener<br />
Daten nicht darum gehen,<br />
aus ihnen so viele Erkenntnisse wie möglich<br />
abzuleiten. Der Einsatz dieser Software im<br />
Arbeitsleben steht zudem im Widerspruch<br />
zum Gebot der Zweckbindung, das sich aus<br />
der Vorgabe in § 4 Abs. 3 Nr. 2 BDSG und in<br />
»Dem Einsatz von<br />
Analysetools im<br />
Rahmen von Konzepten<br />
wie »Mining<br />
the Enterprise<br />
Social Graph« steht<br />
der Datenschutz<br />
entgegen.«<br />
peter wedde<br />
§ 28 Abs. 1 Satz 2 BDSG ableitet. Hiernach<br />
sind auch Arbeitgeber verplichtet, die Zwecke<br />
der Verarbeitung bereits bei der Erhebung<br />
von Daten festzulegen. Das pauschale Nennen<br />
des Zwecks »Analysen« stünde in diesem<br />
Zusammenhang nicht nur im Widerspruch zu<br />
einschlägigen datenschutzrechtlichen Begrenzungen,<br />
sondern auch zum Grundrecht auf<br />
informationelle Selbstbestimmung.<br />
Ob ein umfassendes »Data Mining« im<br />
Arbeitsleben aus datenschutzrechtlicher Sicht<br />
zulässig ist, ist auch mit Blick auf § 32 Abs. 1<br />
BDSG fraglich. Nach dieser Vorschrift dürfen<br />
Arbeitgeber personenbezogene Daten von<br />
Beschäftigten nur erheben, verarbeiten oder<br />
nutzen, wenn dies für die Begründung, Durchführung<br />
oder Beendigung von Beschäftigungsverhältnissen<br />
erforderlich ist. Der Begrif der<br />
Erforderlichkeit ist hierbei eng auszulegen<br />
und auf solche Erhebungen, Verarbeitungen<br />
und Nutzungen von Beschäftigtendaten zu<br />
beschränken, die aus objektiver Sicht unumgänglich<br />
sind. Eine Analyse von betriebsinternen<br />
Kommunikationsbeziehungen erfüllt<br />
diese Voraussetzungen ebenso wenig wie die<br />
Suche nach Beschäftigten, die möglicherweise<br />
Abwanderungsgedanken haben. Eine Rechtsgrundlage<br />
inden derartige Anwendungen in<br />
§ 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG nicht.<br />
Hinzu kommt, dass es Arbeitgebern aus<br />
datenschutzrechtlicher Sicht nicht frei steht,<br />
umfangreiche Datensammlungen anzulegen.<br />
Dieser Datenspeicherung steht schon die Löschungsverplichtung<br />
aus § 35 Abs. 2 Nr. 1<br />
BDSG entgegen. Nach dieser müssen Daten<br />
gelöscht werden, wenn ihre Speicherung unzulässig<br />
ist. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn<br />
sich der Zweck erledigt hat, für den Daten erhoben<br />
oder verarbeitet wurden. Das bedeutet<br />
etwa, dass Informationen darüber, dass bestimmte<br />
Beschäftigte auf elektronischem Weg<br />
ein Dokument gemeinsam bearbeitet haben,<br />
unverzüglich gelöscht werden müssten, wenn<br />
dieser Arbeitsvorgang beendet ist. Und selbst<br />
wenn es eine rechtliche Grundlage für das weitere<br />
Speichern dieser Informationen gibt, ist<br />
diese zweckgebunden, was einer weitergehenden<br />
Analyse entgegensteht.<br />
Etwas anderes kann gelten, wenn Beschäftigte<br />
auf der Grundlage von § 4 a BDSG<br />
freiwillig in die Durchführung von Analysen<br />
einwilligen. Eine solche Einwilligung muss<br />
dann aber von allen Personen vorliegen, die<br />
an Kooperationsvorgängen beteiligt sind. Damit<br />
die Zustimmungen wirksam sind, müssen<br />
die Beschäftigten wissen, worum es geht und<br />
welche Analysen geplant sind. Dies setzt einen<br />
hohen Schulungsaufwand voraus. Grenzen<br />
inden die nach § 4 a Abs. 1 BDSG möglichen<br />
Einwilligungen, wenn sie unter Druck erfolgt<br />
sind oder wenn es entgegenstehende kollektivrechtliche<br />
Regelungen gibt. Unzulässig wird<br />
darüber hinaus im Regelfall die Verarbeitung<br />
besonderer Arten personenbezogener Daten<br />
gemäß § 3 Abs. 9 BDSG sein, etwa die Einbeziehung<br />
von Krankheitstagen.<br />
Werden zulässige Analysen durchgeführt,<br />
haben Beschäftigte bezüglich der hierbei verarbeiteten<br />
Daten nach § 34 BDSG ein Auskunftsrecht.<br />
Erfolgen sie erstmals ohne Kenntnis<br />
der Beschäftigten, sind diese hierüber unter<br />
den Voraussetzungen in § 33 Abs. 1 BDSG<br />
vom Arbeitgeber zu informieren.<br />
Nimmt man diese gesetzlichen Voraussetzungen<br />
zusammen, wird deutlich, dass ein-<br />
bundesdaten-<br />
schutzgesetz<br />
§ 32 – Datenerhebung,<br />
-verarbeitung und<br />
-nutzung für Zwecke des<br />
Beschäftigungsverhältnisses<br />
(1) Personenbezogene Daten<br />
eines Beschäftigten<br />
dürfen für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses<br />
erhoben, verarbeitet oder<br />
genutzt werden, wenn<br />
dies für die Entscheidung<br />
über die Begründung<br />
eines Beschäftigungsverhältnisses<br />
oder nach<br />
Begründung des Beschäftigungsverhältnisses<br />
für<br />
dessen Durchführung<br />
oder Beendigung erforderlich<br />
ist. […]<br />
15
it-mitbestimmung Industrie 4.0 betrieblich gestalten <strong>CuA</strong> 5 |<strong>2016</strong><br />
Industrie 4.0<br />
betrieblich gestalten<br />
digitalisierung Die Kampagne Industrie 4.0 ist mächtig in Gang<br />
gekommen. Auch in kleineren und mittleren Unternehmen beginnt<br />
das Management mit den Überlegungen und Planungen. Betriebsräte<br />
können dabei sehr früh arbeitsorientiert mitgestalten – wie dieses<br />
Beispiel aus der betrieblichen Praxis zeigt.<br />
VON PETER BRANDT<br />
Der Kern der Kampagne von Industrieverbänden,<br />
wissenschaftlichen<br />
Institutionen und Bundesministerien<br />
ist eine zunehmende Digitalisierung<br />
von betrieblichen und überbetrieblichen<br />
Prozessen. Fest steht anscheinend für<br />
viele, dass es eine umfassende digitale Transformation<br />
geben wird, so ist es jedenfalls oft<br />
zu lesen und zu hören. Ein paar kleine Zitate<br />
illustrieren das – aus den »Nürnberger Nachrichten«<br />
vom 9. Dezember 2015: »Verzweifelt<br />
gesucht: Neue Geschäftsmodelle im digitalen<br />
Zeitalter. Deutsche Industriegiganten wie der<br />
Siemens-Konzern stehen vor einem radikalen<br />
Wandel. Wer sich nicht anpasst, hat schon verloren.«<br />
Nun ist Siemens nicht gerade ein kleines<br />
Unternehmen. Aber diese Botschaft ertönt<br />
auch und gerade gegenüber kleinen und mittleren<br />
Unternehmen (KMU).<br />
Und schnell muss es gehen, für Zweifel<br />
und Bedenken ist keine Zeit – die sind sowieso<br />
nichts anderes als Zaudern und Angst vor Neuem:<br />
»Digitalisierung erfordert Tempo in den<br />
Unternehmen«, so Bitkom in der Zeitschrift<br />
»Elektronik Praxis«. Ein prominenter Referent<br />
formulierte im vergangenen November<br />
bei einem gut besuchten Vortrag in Nürnberg:<br />
»Manche Unternehmen haben den Schuss<br />
noch nicht gehört.« Und in dem Magazin der<br />
Elektroindustrie »Ampere« (1/<strong>2016</strong>) heißt es:<br />
20
<strong>CuA</strong> 5 |<strong>2016</strong><br />
Industrie 4.0 betrieblich gestalten<br />
it-mitbestimmung<br />
»Industrie 4.0 blüht auf. Jetzt wird nicht mehr<br />
diskutiert, sondern umgesetzt.«<br />
Digitalisieren auf Teufel komm raus<br />
Die Message kann so zusammengefasst werden:<br />
Digitalisieren! Viel und schnell! Alles<br />
muss anders werden! Und wenn manche das<br />
immer noch nicht verstanden haben, dann erklären<br />
wir es auch noch einmal. Schließlich<br />
soll jeder »mitgenommen« werden.<br />
Digitalisierung und Automatisierung dominieren<br />
in den Grundlagenpapieren und<br />
noch stärker in der öfentlichen Debatte über<br />
Industrie 4.0. Das bedeutet: Aufgaben sollen<br />
von Menschen auf Technik übertragen werden.<br />
Dass »der Mensch im Mittelpunkt stehen<br />
muss« – auch das ist oft zu hören, sicherlich<br />
meist sehr ernst gemeint. Aber diese Aussage<br />
steht oft seltsam unvermittelt neben all den<br />
Ausführungen über IT-Erfordernisse und Verheißungen.<br />
Anscheinend dominiert das Leitbild<br />
der Fabrikentwicklung, das seit Jahrzehnten<br />
überwiegend vorherrscht, in den meisten<br />
Fällen auch heute das Denken der Entscheider:<br />
»Der Mensch ist Risikofaktor und Störquelle,<br />
ohne den der Prozess besser läuft.«<br />
Sehr häuig begegnet man der Aussage:<br />
»Der Computer ist uns überlegen: schneller,<br />
genauer, vergisst nichts, verrechnet sich nicht,<br />
kann viel mehr Informationen berücksichtigen<br />
[…]« Und noch häuiger wird das in dem knackigen<br />
Satz zusammengefasst: »Was automatisiert<br />
werden kann, das wird automatisiert.«<br />
Als wäre das ein Naturgesetz. Alternativlos.<br />
Zweifel sind allerdings angesagt. Insbesondere<br />
daran, dass das auch immer die beste Lösung<br />
ist. Und das nicht nur für die betrofenen<br />
Menschen, auch für den Erfolg der Firma, erst<br />
recht auf längere Sicht. »Besser statt billiger«<br />
passt sinngemäß sehr gut. Und die Allermeisten<br />
von uns wollen nicht nur ein akzeptables<br />
Entgelt und gesunde Arbeitsbedingungen. Es<br />
ist auch wichtig, dass die Arbeit vernünftig<br />
läuft. »Wind um die Ecke schaufeln« ist die<br />
schlimmste Strafarbeit. Und die großen Hofnungen<br />
auf Erlösung durch Digitalisierung<br />
kann eben nicht jeder teilen.<br />
Den perfekten Algorithmus gibt es nicht<br />
So fragte ein erfahrener Fachmann im Rahmen<br />
eines Vortrags im Frühjahr 2015: »Woher<br />
kommt der Kleine-Kinder-Glaube, dass<br />
die Technik all die Probleme der Produktion<br />
löst, mit denen wir uns seit Jahrzehnten abmühen?«<br />
Und ein anderer, verantwortlicher<br />
Manager aus einem großen Industrieunternehmen,<br />
formulierte: »Es ist eine Illusion, dass<br />
Algorithmen die Probleme instabiler und störungsanfälliger<br />
Prozesse lösen.«<br />
Und dabei wird das Umfeld immer komplexer:<br />
Globalisierung, Ressourcenknappheit,<br />
Klimawandel, Anforderungen aus deutschem<br />
und europäischem Recht, Fachkräftemangel<br />
oder etwa dynamische Märkte sind wachsende<br />
Quellen für Störungen im geplanten Produktionsablauf.<br />
Können komplexe Algorithmen<br />
damit besser umgehen als das lebendige Mitund<br />
Gegeneinander der Menschen im Unternehmen?<br />
Ganz sicher stecken in Digitalisierung<br />
und Automation viele Möglichkeiten für Verbesserungen.<br />
Für die meisten Arbeitnehmer<br />
sind veraltete Methoden und Werkzeuge eine<br />
Zumutung. Aber niemand hat einen überzeugenden<br />
Grund gegen den alten Erfahrungssatz<br />
vorgetragen: Den perfekten Algorithmus, der<br />
die Menschen in der Produktion ablöst, gibt<br />
es nicht.<br />
Wenn das richtig ist, wenn es also klar ist,<br />
dass bei aller sinnvollen Technisierung wichtige<br />
Aufgaben verbleiben werden, die den<br />
Menschen vorbehalten sind, und zwar nicht<br />
nur den »Dirigenten der Produktion«, dann<br />
ergibt es doch einen Sinn, die Arbeitsteilung<br />
zwischen Mensch und Technik sehr bewusst<br />
zu planen.<br />
Dabei ist es wichtig, wie das Verhältnis<br />
von Menschen und Technik grundsätzlich verstanden<br />
wird. Das folgende Zitat beschreibt<br />
nach wie vor die zentrale Frage trefend: »[…]<br />
Zweitens spielt das ›Bild der Arbeit‹, des arbeitenden<br />
Menschen in den Köpfen der Entscheidungsträger<br />
eine wichtige Rolle. Werden<br />
die Mitarbeiter als kompetent Handelnde und<br />
(Mit-)Entscheidende gesehen, oder als Produktionsressourcen,<br />
die möglichst gut gesteuert<br />
und kontrolliert werden müssen?« 1<br />
Mal der Mensch, mal die Technik<br />
Es ist klar, dass die Beteiligten einer betrieblichen<br />
Entwicklung hier unterschiedlichen<br />
Überzeugungen folgen. Man wird deshalb im<br />
jeweils konkreten Einzelfall eine Lösung inden<br />
müssen. Beim Gestalten des Systems ist<br />
unzählige Male zu entscheiden: Wo ist diese<br />
darum geht es<br />
1. Digitalisierung und<br />
Automatisierung um<br />
jeden Preis kann für die<br />
Produktion kein sinnvoller<br />
Weg sein.<br />
2. Die künftige Arbeitsteilung<br />
zwischen Mensch<br />
und Maschine ist bewusst<br />
und sinnvoll zu planen.<br />
3. Ein Beispiel veranschaulicht,<br />
wie auf<br />
Initiative des Betriebsrats<br />
ein Dialog über die Gestaltung<br />
der Industrie 4.0<br />
gestartet werden kann.<br />
1 Kärcher (Festo AG & Co. KG), Alternative Wege in die Industrie<br />
4.0 – Möglichkeiten und Grenzen, in: BMWi (Hrsg.): Zukunft der<br />
Arbeit in Industrie 4.0, 2014, 20; Brandt, Zukunft der Arbeit in der<br />
Industrie 4.0, in: <strong>CuA</strong> 1/2015, 14 f. (15)<br />
21
Für alle, die mehr wissen wollen.<br />
Computer<br />
und Arbeit<br />
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25. JAHRGANG<br />
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5 | <strong>2016</strong><br />
Computer und Arbeit<br />
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Das totale Netz der<br />
Überwachung<br />
ausbildung Die Lernfabrik 4.0 bereitet auf die Produktion der Zukunft vor<br />
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§<br />
Ihr gutes Recht:<br />
§<br />
»Computer und Arbeit« ist erforderliches Arbeitsmittel<br />
gemäß § 40 Abs. 2 BetrVG bzw. § 44 Abs. 2 BPersVG<br />
sowie den entsprechenden Vorschriften der LPersVG.<br />
Ganz nah dran.<br />
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