08.12.2012 Aufrufe

Bilder sehen, die gar nicht da sind - Pony

Bilder sehen, die gar nicht da sind - Pony

Bilder sehen, die gar nicht da sind - Pony

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Film Boys Don’t Cry<br />

Im dunklen Herzen<br />

Amerikas<br />

Ulrich Kriest<br />

Mit »Boys Don’t Cry«, ihrem Spielfilmdebüt, ist Regisseurin<br />

Kimberley Peirce 1999 <strong>da</strong>s Kunststück gelungen,<br />

den trivial-machistischen Westernmythos<br />

vom Marlboro Mann buchstäblich auf den Kopf zu<br />

stellen und zudem dem »Maskerade«-Topos älterer<br />

Queer-Filme <strong>die</strong> komödiantischen Momente auszutreiben.<br />

Basierend auf einem authentischen Mordfall<br />

von 1993 erzählt Peirce <strong>die</strong> in Nebraska spielende<br />

Geschichte der jungen Lesbierin Teena Brandon, <strong>die</strong><br />

als Mann verkleidet auf Frauenfang gehen muss, weil<br />

offen gelebte Homosexualität dort noch immer ein<br />

Unding ist. Weil Brandon/Teena sich in <strong>die</strong> geheimnisvolle<br />

Lana verliebt, schließt er/sie sich deren heruntergekommener<br />

White-Trash-Clique an, <strong>die</strong>, abge<strong>sehen</strong><br />

von krimineller Energie, wenig mehr besitzt<br />

als Vorurteile gegenüber Devianz.<br />

Authentisch will »Boys Don’t Cry« sein; <strong>die</strong> Trostlosigkeit<br />

und Perspektivlosigkeit der Jugendlichen ist<br />

perfekt eingefangen. So perfekt, <strong>da</strong>ss der Film auch<br />

ein Dokument für <strong>die</strong> Klassengesellschaft der USA<br />

ist, was er erst im hinteren Drittel vergisst, als es um<br />

<strong>die</strong> brutale Rache der genasführten Jugendlichen an<br />

Teena/Brandon geht. So <strong>die</strong>nt <strong>die</strong> bittere True-Crime-<br />

Geschichte <strong>da</strong>zu, <strong>die</strong> Gender-Debatte im Herzen<br />

Amerikas ins New Queer Cinema zu transformieren.<br />

Hilary Swank wurde als »Womanizer« Brandon/<br />

Teena bekannt, doch <strong>die</strong> eigentliche Sensation ist<br />

Chloe Sevigny als White-Trash-Schönheit Lana. Zudem<br />

leistet sich der Film den Luxus eines liebevoll<br />

zusammengestellten Scores, der lustvoll dumpfen<br />

Rock gegen eleganten Disco-Soul ausspielt und <strong>die</strong><br />

Handlung kommentiert. Wenn <strong>die</strong> Isley Brothers<br />

»Who’s That Lady?« singen, weiß man hier <strong>gar</strong> <strong>nicht</strong>,<br />

wer gemeint ist. Ein schöner, irritierender Film, den<br />

man auch zehn Jahre später noch einmal mit Interesse<br />

<strong>sehen</strong> kann. Pierce’ zweiter Film »Stop-Loss«<br />

kam erst in <strong>die</strong>sem Jahr heraus. Hierzulande gleich<br />

auf DVD. Fast hatten wir <strong>die</strong> Regiehoffnung der Jahrtausendwende<br />

<strong>da</strong> schon wieder vergessen.<br />

»Boys Don’t Cry« (Regie: Kimberley Pierce;<br />

mit Hilary Swank, Chloe Sevigny u. a.; USA<br />

1999; 114 Minuten) wird im Rahmen des Aktionstages<br />

der medizinischen Fakultät am<br />

3.12.08 um 19:30 Uhr im Lumière gezeigt – mit<br />

einer Einleitung von Andrea F. Ottmer (Beraterin<br />

von Betroffenen für Betroffene der Gesellschaft<br />

für Trans- und Intersexuailtät).<br />

Ausstellung Daniel Knorr<br />

Sinnlich erfahrbare<br />

Konzepte<br />

Tina Lüers<br />

Der zweite Künstler, der am Fridericianum zu Gast<br />

sein wird, ist Daniel Knorr. Der in Berlin lebende,<br />

1968 in Rumänien geborene Künstler soll so<strong>gar</strong> eine<br />

Art Dauergast werden, soll mehrfach <strong>die</strong> Grenzen<br />

des Performativen abstecken dürfen.<br />

Das von ihm bestellte Feld zwischen Öffentlichem<br />

und Privatem, zwischen Idee und Gegenstand,<br />

Kunst und Leben, passt zumindest auf den ersten<br />

Blick hervorragend in <strong>die</strong> Interessenlage des noch<br />

immer neuen künstlerischen Leiters der Kunsthalle,<br />

Rein Wolfs, der seit fast einem Jahr in Kassel ist, aber<br />

erst Gelegenheit für eine Ausstellung hatte: »Deutsche<br />

Grammatik« von Christoph Büchel. Wie der<br />

Schweizer Künstler <strong>die</strong> politisch-diskursiven, aber<br />

auch heimelig-gesellschaftlichen Landschaften des<br />

Deutschen mimetisch nachzeichnete, so beschäftigt<br />

sich auch Knorr unter anderem mit den Facetten von<br />

Nationalität. Hatte er doch einen Fries von materialisierter<br />

Deutschtümelei – Burschenschaftsflaggen –<br />

um <strong>da</strong>s Dachgesims der Berliner neuen Nationalgalerie<br />

flattern lassen. Flaggen? Die waren doch auch<br />

Thema der im Kasseler Kunstverein von Wolfs gezeigten<br />

Arbeit des Kollektivs Claire Fontaine – drei<br />

Exemplare der Trikolore hingen an schräg von oben<br />

abgesenkten Fahnenstangen bis auf den Boden herab,<br />

wurden durch den Schmutz gezogen.<br />

Es ist konzeptuelle Kunst, <strong>die</strong> doch auch sinnlich<br />

erfahrbar ist, <strong>die</strong> Wolfs zeigt. Und sie kritisiert<br />

Institutionen wie den Betrieb. Wurde Büchel <strong>nicht</strong><br />

zuletzt mit dem leeren Züricher Ausstellungsraum<br />

bekannt, in dem ein Scheck über <strong>da</strong>s gesamte Budget<br />

versteckt war, <strong>da</strong>s dem Besucher gehören sollte,<br />

der ihn finden würde, so zeigte auch Daniel Knorr<br />

einen leeren Raum, allerdings ohne monetäre Verheißung,<br />

im rumänischen Pavillon der Biennale.<br />

Dass <strong>die</strong> Geschichte überhitzter, verbeulter angekratzter<br />

Brillen abseits eines glücklichen Ausgangs<br />

liegt, verheißt ihre Materialisierung, ihre Umfunktionalisierung.<br />

Von »Scherben bringen Glück«, wie<br />

<strong>die</strong> Ausstellung titelt, kann, ohne Porzellan zu zerscheppern,<br />

<strong>nicht</strong> <strong>die</strong> Rede sein.<br />

»Scherben bringen Glück« – Daniel Knorrs<br />

performative Soloshow: 7.12.08 bis 4.1.09,<br />

Kunsthalle Fridericianum (Kassel)<br />

4 Kleine Texte Kleine Texte 5

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!