Die Zigarettenfabrik-
Neue Kurzgeschichte, Gebt euch :D
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<strong>Die</strong> <strong>Zigarettenfabrik</strong><br />
In einem kleinen Dorf, unweit und abgelegen der Stadt Zielstadt, hatte sich eines Tages<br />
ein erfolgreicher Arzt niedergelassen. Er gründete dort eine eigene Praxis, ließ sich ein<br />
Haus bauen, umgeben von blühenden Allen und einem kleinen See, an dem die Menschen<br />
des Dorfes die Sommer verbrachten, um sich gegen die schwüle Hitze zu erwehren. <strong>Die</strong><br />
Menschen bewunderten den jungen Arzt, der aus einem gutem Hause kam, und dessen<br />
Vorfahren eben schon Ärzte gewesen waren. Sein Vater war ein berühmter Chirurg, der<br />
außer seinem Talent, schwierige Operationen zu meistern, auch kaufmännisches Geschick<br />
bewies, das sich in seinen unzähligen Besitztümern und Immobilien, äußerte. Dessen<br />
Vater war ein Spezialist der Neurologie, der auf dem Gebiet der Emotionsneurologie<br />
wichtige, viel zu beachtende Forschungsergebnisse lieferte. Kurz um, der junge Arzt<br />
genoss eine im Überfluss an Liebe, wohlerzogene Kindheit, und diese wollte er auch<br />
seiner Familie ermöglichen. Während er das Grundstück kaufte, auf dem der<br />
Stammesbaum der Familie weitergezogen werden sollte, lernte er zugleich eine<br />
wunderbar anmutende, von äußerster Intelligenz und Ausstrahlung gesegnete Frau<br />
kennen, die er fortan zur Frau nahm, und mit ihr mehrere Kinder zeugte. Der Ahnenweg<br />
war vorgezeichnet, und dem jungen Medicus, fiel es nicht schwer, sich in seinem<br />
glohrreichen Schicksal zu ergeben, das ihm auferlegt wurde. Seine Praxis, spezialisiert<br />
auf Lungenerkrankungen lief prächtig an. Täglich kamen die Menschen aus dem Dorfe zu<br />
ihm in die Praxis, um sich ihrer Befindlichkeiten abzulassen, und sich Gehör zu<br />
verschaffen. Nicht nur auf seinem Gebiet war er ein großartiger Arzt, auch ein gewisses<br />
Maß an Bescheidenheit und Sympathie war ihm von seinen Vätern beigebracht. <strong>Die</strong><br />
Menschen redeten mit Ihm über ihre Probleme, über ihre Unzulänglichkeiten und der<br />
junge Arzt, hatte immer einen aufmunternden und heilenden Rat parat, was ihm noch<br />
mehr Gunst der Menschen bescherte. Selbst wenn er am Wochenende die freie Zeit mit<br />
seiner Familie genießen wollte und auf dem Marktplatz frisches Obst und Gemüse kaufte,<br />
sprachen ihn die Leute an, grüßten ihn, wünschten ihm einen schönen Tag, und ließen<br />
ihn wissen, welch besonderer Mensch er doch sei, dass er dieses wunderbare Talent,<br />
Menschen zu heilen, besäße und dafür nicht oft genug zu beglückwünschen sei.<br />
<strong>Die</strong> Menschen schauten zu ihm herauf, Väter von Töchtern wünschten sich nichts<br />
sehnlicheres, als einen vergleichbaren Schwiegersohn für Ihre Töchter zu finden.<br />
Jenseits dieses Ruhms war er auch noch ein liebenswerter Vater, der versuchte seinen<br />
Kindern jeden Wunsch zu erfüllen, ja sie sogar von den Lippen abzulesen. Seine Frau,<br />
wie schon erörtert, war eine anmutende junge Frau, dessen Kastanienfarbene Haare, alle<br />
Männer im Dorfe ins Träumen versetzte. Ihre weichen grünen Augen funkelten in der<br />
Sonne und spiegelten sich in den Fenstern der Häuser und versetzten das ganze Dorf in<br />
einen warmen und zarten grünen Schimmer. Während sie Kunst studierte, sorgte er sich<br />
liebevoll um sie, gab ihr künstlerische Inspiration und leitete sie an, eine sensible und<br />
wohlsorgende Mutter zu werden.<br />
Während die Kinder älter wurden, zur Schule gingen, war der junge Arzt auf dem<br />
Höhepunkt seines Ansehens und seiner Karriere geraten. Seine Frau riet ihm nun es<br />
seinen Vätern gleichzutun und ein kaufmännisches Gewerbe zu gründen, sich<br />
geschäftlich neue Herausforderungen zu suchen, und gegebenenfalls das Grundstück um<br />
ein Paar Hektar zu vergrößern. Sein Geld, das seine Praxis einwarf, legte er nun auf einer<br />
Bank an, und jedes Mal, wenn er einen Termin dort hatte, wurde er mit großem<br />
Wohlwollen und Begeisterung empfangen. Sein ältester Sohn, der die 7te Klasse<br />
besuchte, und andere Sachen im Kopf hatte, als den Ratschlägen seines Vaters zu<br />
gehorchen, machte fortan eine schwierige Entwicklung durch. Immer öfter nach der
Schule erschien er nicht zum gemeinsamen Mittagessen zu Hause, sondern suchte sich<br />
entlegene Orte, an denen er Nachzudenken pflegte, sich seinen überfüllten Gefühlen<br />
hingab und von einem Leben als Maler und Architekt träumte. Der Arzt, der nun schon<br />
bald 45 Jahre zählte, machte sich, wie sollte es anders sein, große Sorgen um seinen<br />
Sohn, versuchte auf ihn einzureden und für ihn jemand zu sein, zu dem er aufschauen<br />
konnte.<br />
Eines Sommers ereignete sich nun ein großes Unglück über das Dorf. Fahrlässige Bänker<br />
aus der Hauptstadt hatten durch ihre übereifrigen Spekulationen eine große<br />
Wirtschaftskrise verursacht, die jeden Winkel des Landes ereilte. <strong>Die</strong> Banken<br />
kollabierten, das ganze Land befand sich in einem Zustand der Ekstase, die Menschen<br />
verloren ihr Vertrauen in ihre Banken und horteten ihr wohlverdientes Geld zu Hause<br />
unter ihren Betten. Auch unser Arzt bemerkte die große Unsicherheit, die in der kleinen<br />
Dorfgesellschaft vor sich ging. Immer mehr Menschen konnten sich die Behandlungen<br />
bei ihm nicht mehr leisten und so geschah es eines Tages, dass nur noch wenige<br />
Akademiker und Reichen in seine Praxis kamen. Doch es waren so wenige, dass er sich<br />
bald schon die Praxis nicht mehr leisten konnte. Wenn er auf dem Marktplatz sich mit<br />
den Leuten unterhielt, sah er die Erwartungen der Menschen, die sie auf ihn setzten. Er<br />
war doch so ein erfolgreicher gestandener Mann, es müsse das große Unheil, das über<br />
dem Land und speziell auf ihren Dorf lag, beenden. Er sah das ähnlich und konnte den<br />
nun immer schlimmer werdenden Zustand der Menschen nicht länger ertragen. Erfülle<br />
die Erwartungen der Menschen und sie werden zu dir hinaufschauen, hatte schon sein<br />
Großvater gesagt, und diese Maxime wurde ihm auch von seinem Vater auferlegt. Tage,<br />
Wochen, Monate grübelte er, wie man den desolaten wirtschaftlichen Zustand des Dorfes<br />
verbessern konnte. Nächtelang schlief er nicht, überlegte sich Finanzpläne, beriet sich<br />
jeden Tag mit dem Bankdirektor. Als er eines Tages einen langen Spaziergang machte, in<br />
die blühenden Wiesen, Gärten und Aleen schaute, sich dieser prächtigen Natur hergab,<br />
sah er in weiter Entfernung einen älteren Mann, mit Buckel und Stock auf einer Bank<br />
sitzen. Der kleine bärtige Mann hatte eine sonderbare Anziehung auf ihn, und mit großem<br />
Erwarten näherte er sich ihm.<br />
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Welt, ließ die ernüchternden Worte des Alten Revue passieren und konnte trotz dem<br />
großen Respekt, dem er seinem Alter zollte, nicht zustimmen. Mit gesenkten Haupt ging<br />
er nach Hause, um sich um seine Familie zu kümmern.<br />
Der nächste Tag brachte nun wieder Hoffnung. Der Heiler, in dem so viele Erwartungen<br />
gesetzt wurden, war beim Bankdirektor zum Abendessen eingeladen. Es sollte noch<br />
einmal referiert werden über etwaige Möglichkeiten, mehr Geld in den Umlauf zu<br />
bringen, um die Kaufkraft der Menschen anzukurbeln.<br />
Während des Abendessen, dass in heiteren Disskusionen verlief und die Sonne in<br />
rasender Geschwindigkeit untergehen ließ, setzte sich der Bankdirektor zu ihm und erbat,<br />
ihn kurz unter vier Augen zusprechen. In dem großen quadratischen Büro, des<br />
Bankdirektors, an dessen Wände unzählige Akten und Ordner in fein-säuberlichen<br />
Schränken sortiert waren, ließ er ihn vor seinem Schreibtisch sich setzen. Das einzige,<br />
was dem überhitzten und eintönigen Raum zu erfrischen vermochte, befand sich oben an<br />
der Wand hinter des Schreibtisches. Ein Ölgemälde. Es zeigte die Juden auf dem Weg<br />
durch die Wüste, die hungernd die Gnade Gottes empfangen und das von Himmel<br />
hinabfallende Manna eifrig aufsammelten, um dem Hungertod zu entgehen. Welch<br />
zeitloses Werk doch Nicholas Poussin vollbrachte, dachte er sich und während er in das<br />
Bild vertieft war, sprach nun der Bankdirektor zu ihm.<br />
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Der Bankdirektor, der mit<br />
seinen Fingern seinen langen Schnurrbart zupfte, hinterließ trotz seiner Idee, bei unserem<br />
Medicus einen sonderbaren Eindruck. Auf einmal erschien er ihm als eine mystische<br />
Figur, fremd und unsympathisch. Er blickte in seine Augen und meinte ein sich<br />
versteckendes Verhalten zu erblicken. Überhaupt war der Raum düster und dunkel,<br />
obwohl die Sonne schien und das Büro ein großes Fenster hatte, fühlte er sich an diesem<br />
dunklen Ort unbehaglich.<br />
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Der Bankdirektor nahm einen tiefen Zug seiner Zigarre, blies der Rauch nach oben und<br />
wies ihm gedanklich den Weg fernab der Stadt, auf den Meilen weiten Felder.<br />
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Der Bankdirektor rieb weiter seinen Schnurrbart, als wäre es der weiche Tabak den er<br />
zwirbelte. <br />
Als er nach Hause lief, ließ er sich diesen vermeintlich aufrichtigen Plan nochmal<br />
vergegenwärtigen. Trotz dessen er wusste, dass Tabak nicht gegen den Hunger helfen<br />
würde, und Tabak zu verkaufen den Grundsätzen der Humanmedizin widersprach, sah er<br />
jedoch Hoffnung in dem Plan. Und so stellte er sich vor, dass die Menschen im Dorfe<br />
bald wieder ein friedliches Leben führen würden. Seine Erwartungen an sich selber waren
so groß, dass er nicht anders konnte und den Plan des Herrn Bankdirektors zuzustimmen.<br />
Als er die Allee entlanglief, sah er erneut den Alten auf der Bank sitzen. Obwohl ihm das<br />
Gespräch einige Tage zuvor missfallen hatte, konnte er der Anziehung, die von diesem<br />
alten Kreis ausging, nicht widerstehen.<br />
, rief er ihm zu<br />
und griff nach seinem Stock, um sich aufzurichten.<br />
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Und ehe er etwas entgegnen konnte, hatte sich der Mann wieder in Luft aufgelöst und war<br />
verschwunden. War es die Hitze, die ihm diesen Alten vor halluzinierte, träumte er vor<br />
sich hin oder war es blanker Wahnsinn, dem ihn ereilte.<br />
Am nächsten Tag rief der Bankdirektor an . Er verkündete ihm, dass er eigens für ihr<br />
Rettungspaket ein Team aus Spezialisten zusammengestellt hatte, die nun unter seiner<br />
Verantwortung stehen sollten. Ein Team aus Biologen, Wirtschaftsprofessoren,<br />
Chemikern und Psychologen sollten unter seiner Rigide, das Dorf durch eine<br />
<strong>Zigarettenfabrik</strong> ökonomisch wiederbeleben. Der junge Held, sah von nun an wieder<br />
Inspiration in seiner Arbeit. Als er mit seiner Frau seinen abendlichen Spaziergang<br />
machte, sah er in den Menschen, die ihnen begegneten, eine Art Hoffnung, dass die Krise<br />
bald zu Ende gehen würde und wieder normale Verhältnisse einkehren. Das Projekt war<br />
im vollen Gange, die <strong>Zigarettenfabrik</strong> stand, und das Dorf umgab von nun an stinkende<br />
Rauchwolken, die jedoch für die Hungersnot in Kauf genommen werden sollten.<br />
Und wie der Bankdirektor vorausgesagt hatte, kauften die Menschen scharen Weise<br />
Zigaretten, um den Hunger, der sie von innen heraus zerfraß, zu beruhigen. <strong>Die</strong><br />
Kaufkraft stieg allmählich und in den Gesichtern der Menschen vernahm man zunehmend<br />
wieder Zufriedenheit. Während die Produktion der Fabrik weiter anstieg und neue<br />
Arbeitsplätze schuf, nicht geringe Einnahmen durch den Konsum einbrachte, schien die<br />
Krise komplett vorbei zu sein.<br />
Der Medicus unterhielt sich wie früher mit den Menschen auf dem Marktplatz und auch<br />
seine Praxis, schien die Leute wieder anzuziehen, bis an einem gewöhnlichen Tag, als ein<br />
ungewöhnlicher Mann zu ihm in die Praxis kam.<br />
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Er sah wie ein klassischer Beamter aus. Der Ansatz seiner blonden Haare war penibel<br />
genau zu einem Scheitel gekämmt. Ein für seine Statur zu großer Anzug, ließen Ihn als<br />
einen Mann erscheinen, der von Anzügen keine Ahnung hat, sich doch in ihnen sehr<br />
gefällt.
, sagte er mit einen hochnäsigen<br />
Ton.<br />
Als er das Wasser dem Fremden brachte erkundigte er sich, mit wem er es hier zu tun<br />
habe.<br />
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Völlig entfremdet schaute er ihn an, ><br />
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Als der Gesundheitsbeamte auf den Weg zur Tür machte, rief der Arzt ihm im Flur zu :<br />
<br />
<strong>Die</strong> Nacht brach herein. Aus der Glastür seines Balkons schaute er und sah am Horizont<br />
die riesigen Rauchschwaden seiner Fabrik, die die Sterne des Himmels nach und nach<br />
bedeckten. Obwohl er der festen Überzeugung war, das Richtige zu tun, überkam ihm ein<br />
Gefühl der Entfremdung ,als er in den Himmel blickte.<br />
Das große Unglück ereignete sich an einem dieser besonders heißen Sommertage. Alles<br />
sah nach einem ganz gewöhnlichen Tag aus. Er frühstückte Morgens mit seiner Familie,<br />
brachte die Kinder zur Schule und schloss die Tür seiner Praxis auf, die er in den letzten<br />
Monaten aufgrund der gesunden Einnahmen, vergrößern konnte. Bis er hysterische Rufe<br />
auf der Straße vernahm.<br />
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Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, und während er die Straßen des Dorfes, die ihm<br />
schier endlos erschienen, zum Ort des Geschehens lief, der Schweiß auf seiner Stirn, wie<br />
auf Regenrinnen herunterlief, seine Adern sich verengten und zu all dem Überdruss<br />
hechelte, da die Rauchwolken der Fabrik die Luft zum Atmen verpesteten, fühlte er sich<br />
das erste Mal in seinem Leben überfordert. Überfordert mit der Situation, überfordert mit<br />
den hohen Ansprüchen, die er in den letzten Monaten auf sich geladen hatte, und den<br />
Erwartungen der Menschen, die in ihm den Heiler sahen, den Erlöser, ja vielleicht sogar<br />
den Heiland.
Das Dorf war tot. <strong>Die</strong> Menschen starben an dem Teer, der sich durch Ihre Lungen fraß. Er<br />
war hilflos, was hatte er nur angerichtet. Jeden Tag kamen neue Patienten in seine Praxis.<br />
Noch nie wurde er als Lungenspezialist so gebraucht wie nun. Und jeden Tag musste er<br />
sein Gespür für den richtigen Ton, dass ihn doch so ausgezeichnete, dafür benutzen, den<br />
Menschen ihr Todesurteil zu verkünden.<br />
Als er Abends zu Bette ging, verfiel er wie lange nicht mehr, in einen tiefen Schlaf. Und<br />
in seinem Traum erschien ihn der alte Kreis, der ihn segnete und zu ihm sagte:<br />
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Seine Frau fand ihn Tod im Flur liegen.