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gesellschaft<br />
international<br />
wie das<br />
vegane projekt<br />
»freedom skaters«<br />
flüchtlingskindern<br />
hilft<br />
freedom skaters auf dem weg.<br />
ie auswirkungen globaler krisengebiete<br />
tangieren uns alle.<br />
im täglichen leben. aber vor<br />
allem auch durch bilder und<br />
berichte. die einen zeigen solidarität,<br />
andere haben vor<br />
allem angst oder gar hass. manche machen<br />
dadurh ausgerechnet denen angst, die vor<br />
terror geflohen sind.<br />
es sind oft auch die kleinen dinge, einzelne<br />
initiativen und helfende hände, die die menschlichkeit<br />
und nächstenliebe in unserem land<br />
hochhalten.<br />
die karlsruher freedom skaters sind ein<br />
veganes projekt, das sich direkt an die wendet,<br />
die am meisten hilfe brauchen: an die kinder<br />
der geflüchteten. jedes wochenende<br />
gehen die helferinnen und helfer der freedom<br />
skaters mit den kindern der notunterkunft<br />
kriegsstraße 200 skaten. wir haben die veganerinnen<br />
anna und laila, zwei der gründerinnen<br />
der initiative, einen tag lang begleitet.<br />
wir treffen uns am späten vormittag mit<br />
anderen helfern vor der flüchtlingsunterkunft<br />
kriegsstraße 200 in karlsruhe. laila, die impulsive<br />
zwanzig jährige mit blonden haaren, ist<br />
schon mit ibrahim, eines der kinder, vor ort.<br />
er scheint lailas besonderer schützling zu<br />
sein. anna, die hauptorganisatorin mit den türkisen<br />
haaren, stößt kurz nach der ausgemachten<br />
zeit mit schnellen schritten dazu. als wir<br />
vor dem weißen stahltor der unterkunft stehen,<br />
kommen die kinder schon angerannt, und<br />
strecken den helfern die hände durch das<br />
stahltor entgegen.<br />
»laila, laila!« ertönt es. die anderen helfer<br />
warten aufgeregt vor dem tor. nicht jeder<br />
darf hinein. anna geht mit kira, einer weiteren<br />
stammhelferin, hinein, trommelt die kinder zusammen<br />
und füllt diverse dokumente aus, um<br />
die kinder an diesem tag mitnehmen zu dürfen.<br />
nach und nach kommen die kleinen durchs tor<br />
gleich gehts zum skaten. happy!<br />
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zu uns, umarmen ihre ausgewählten lieblingshelfer,<br />
necken sie und freuen sich auf den bevorstehenden<br />
tag. aber auch andere<br />
gespräche gehen durch die runde.<br />
einige der helfer berichten traurig vom<br />
letzten transfer. viele der kinder bleiben nicht<br />
lange in der kriegsstraße, werden verlegt in<br />
andere einrichtungen oder auch abgeschoben.<br />
einer der traurigsten aspekte dieser arbeit<br />
für die helfer. viele der kinder werden von<br />
ihnen fest ins herz geschlossen, kleine freundschaften<br />
entstehen, die alsbald wieder enden<br />
müssen. sie berichten uns von elisabetha, dem<br />
kleinen mädchen aus albanien, welches mit<br />
ihren großen augen und entwaffnetem lachen<br />
alle helferinnen und helfer innerhalb von sekunden<br />
zum schmelzen gebracht hat. auch sie<br />
wurde mit ihrer familie verlegt.<br />
ie zeit ist fortgeschritten und wir<br />
machen uns auf den weg zur skatehalle.<br />
jeder helfer bekommt ein kind<br />
an die hand, manchmal auch zwei. der<br />
ablauf ist bis ins detail durchgeplant.<br />
unterwegs wird viel rumgealbert,<br />
herbstblätterhaufen werden aufgewühlt, die<br />
kindern singen, pfeifen, necken sich gegenseitig.<br />
immer aber sind sie an der hand der jeweiligen<br />
betreuer. vor allem an straßen, ampeln<br />
und bahnhaltestellen wird ein auge auf die kinder<br />
geworfen. das ist wichtig, erklärt uns<br />
anna, damit die kinder auch lernen sich an regeln<br />
zu halten und unseren anweisungen zu<br />
folgen.<br />
wir kommen in der skaterhalle an. der verein<br />
rollbrett e.v. stellt den flüchtlingskindern<br />
die halle und ausrüstung, wie skateboards und<br />
schoner, umsonst zur verfügung. ohne diese<br />
und andere hilfen wäre das projekt nicht möglich,<br />
erklärt anna. in der halle stellt sich allgemeines<br />
gewusel ein. die kinder sind aufgedreht<br />
und voller vorfreude. schnell und wie geübt<br />
sind schoner und helme angezogen. schon<br />
geht’s los. die größeren kinder, einige von ihnen<br />
schon 12 bis 14 jahre alt, fahren gekonnt die<br />
rampen und halfpipes herunter. mit schnellem<br />
tempo rauscht die fünfjährige ila mit einem lachen<br />
an uns vorbei. mit dem popo auf dem<br />
board hat sie ein riesen spaß in der halle. leider<br />
ist es auch für sie der letzte ausflug mit<br />
den freedom skaters, erzählt uns laila. schon<br />
am nächsten tag hat ila transfer und wird<br />
nach heidelberg verlegt. sie war von anfang an<br />
mit dabei. ila streckt uns die hände entgegen<br />
und fordert uns breitgrinsend auf. zum sichern<br />
an die hand genommen, fahren wir gedie<br />
kinder sind total begeistert!<br />
18 20<br />
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das essen ist natürlich vegan...<br />
...und ratzfatz weggemampft.<br />
meinsam die halfpipe rauf und runter<br />
und skaten durch die ganze halle. immer<br />
wieder lacht ila laut los.<br />
zusammen mit serif versuchen wir<br />
die zehnjährige sera zu interviewen. der<br />
gebürtige kurde versteht die sprache<br />
vieler kinder. wir sind zu dritt am rand<br />
der halle und serif erklärt sera, dass wir<br />
mehr über sie und ihre geschichte erfahren<br />
wollen. ihr sonst so breit grinsendes<br />
gesicht wird auf einmal seltsam<br />
reserviert. ihre augen werden glasiger<br />
und wir merken schnell, dass es ihr<br />
schwerfällt, darüber zu reden.<br />
serif bestätigt uns, dass sie nicht<br />
darüber reden möchte. wir lassen sera<br />
wieder auf die bahn. später erzählt uns<br />
serif einige einzelheiten ihrer lebensgeschichte.<br />
sera kommt aus syrien. ihr<br />
vater ist verstorben, wahrscheinlich an<br />
den folgen des bürgerkriegs. ihre mutter<br />
lebt mit einem anderen mann in der<br />
türkei. sera ist zusammen mit ihrem<br />
großvater nach deutschland gekommen,<br />
um hier ein leben in frieden zu finden.<br />
ein schicksal, welches sich in<br />
ähnlicher weise viele dieser kinder teilen.<br />
serif erzählt uns auch von der familie<br />
samadi aus afghanistan und den vier<br />
brüdern ratib, mozamil, madaser und<br />
mansour, die vor kurzem auch noch mit<br />
den freedom skaters ihr wochenende<br />
verbracht haben. die zwei ältesten brüder<br />
wurden in ihrer heimat von der miliz<br />
der taliban angeworben.<br />
als sich die familie weigerte, die kinder<br />
in den krieg zu schicken, wurden sie<br />
von den terroristen bedroht. dann<br />
haben sie ihr haus verkauft und sind<br />
geflohen, mit dem auto über den iran<br />
und der türkei, bis zum schwarzen meer<br />
und von dort mit einem schlauchboot<br />
bis rumänien. die narbe an mansour hinterkopf<br />
und die unzähligen wunden von<br />
granatsplittern am körper seines vaters<br />
geben zeugnis von den explosionen,<br />
welche es in der schule und in ihrer<br />
straße immer wieder gab. eine geschichte,<br />
die uns schaudern lässt. wir<br />
können uns diese schrecken nicht vorstellen<br />
und sind entsetzt. gerne hätten<br />
wir die brüder getroffen, aber auch sie<br />
wurden schon woanders hin verlegt. ein<br />
aufreibendes kommen und gehen.<br />
ach zweieinhalb stunden auf<br />
der bahn sind die kinder<br />
müde und ausgepowert. es<br />
ist nachmittag und im erdgeschoss<br />
der skatehalle gibt es<br />
nun essen für die kinder. tische und<br />
bänke wurden bereits von anderen helfern<br />
aufgebaut. bei der verpflegung unterstützt<br />
der wohltätige verein<br />
tischlein deck dich e.v. nach anweisung<br />
der freedom skaters ist das essen für<br />
die kinder rein vegan.<br />
der initiative, die zum großen teil<br />
von vegan lebenden menschen gegründet<br />
wurde, ist es wichtig, dass die kinder<br />
keine fleisch- oder milchprodukte<br />
bekommen. diese richtlinie wurde auch<br />
in der vereinssatzung übernommen. es<br />
gibt frische gemüseschnitze, karotten,<br />
gurken, paprika und eine vegane gemüse-calzone<br />
für jedes kind. zum nachtisch<br />
bekommen sie bio-bananen. wir<br />
wundern uns, wie gut das rohe gemüse<br />
von den kindern angenommen wird.<br />
ratzfatz ist sämtliches essen verputzt.<br />
so schnell, wie tische und bänke aufgebaut<br />
wurden, wird alles wieder abgebaut<br />
und aufgeräumt. ein eingespieltes<br />
team. da muss selbst anna staunen, als<br />
sie die treppe hinunterkommt. »wow, ihr<br />
seid ja schnell«.<br />
wohlgenährt fahren wir mit den kindern<br />
zurück zur einrichtung. wir erfahren,<br />
dass laila und anna, zusammen mit<br />
ein paar anderen, nun noch zu einem<br />
planungstreffen für ein veganes straßenfest<br />
in karlsruhe gehen. die beiden<br />
sind neben den aktivitäten für die freedom<br />
skaters, auch noch im lokalen tierrechtsverein<br />
tätig. für sie endet<br />
aktivismus weder bei menschen noch<br />
bei tieren, sondern ist allumfassend und<br />
gilt jedem, der hilfe braucht.<br />
die sonne neigt sich dem horizont zu<br />
20 21
und der warme herbststag taucht in ein<br />
sattes rot. in der bahn sehen wir, wie sera<br />
ihren kopf müde an die schulter ihrer betreuerin<br />
lehnt. »syria, no good. afganistan,<br />
no good. germany good.«, vermittelt sera ihr<br />
mit ihrem begrenzten wortschatz. »kuss<br />
kuss!« weist sera und gibt ihr einen kuss auf<br />
die wange. ein schönes bild, passend zu<br />
einem wunderschönen tag.<br />
den kindern in den flüchtlingseinrichtungen<br />
wurde immer wieder der boden unter<br />
den füßen weggezogen. der krieg in ländern<br />
wie syrien und die flucht vor dem terror<br />
haben für die menschen, und vor allem für<br />
die kinder, schwerwiegende und oft traumatische<br />
folgen.<br />
deswegen ist das ankommen in die normalität,<br />
in eine sichere basis, so unglaublich<br />
wichtig für diese kinder. ein paar stunden<br />
normales leben, fernab von existenzangst,<br />
soll die kinder samstags und sonntags in der<br />
skatehalle all die strapazen für eine zeit lang<br />
vergessen lassen.<br />
egal ob aus syrien, afghanistan oder anderswoher,<br />
hier sind alle gleich. es gibt keine<br />
richtigen und falschen flüchtlinge. bei freedom<br />
skaters fragt niemand nach den gründen<br />
der flucht. bei freedom skaters heilt<br />
man wunden der flucht.<br />
oft sehen die helfer die kinder nicht<br />
mehr wieder. verlegung oder abschiebung.<br />
22<br />
die verbundenheit ist groß.<br />
23
anna:<br />
anna, 22, freedom-skaters-gründerin<br />
anfangs dachten wir, dass unsere<br />
workshops nur »ein tropfen auf<br />
den heißen stein« wären. mittlerweile<br />
wissen wir, wie wichtig unsere<br />
arbeit ist. das skateboard als tool<br />
zur kommunikation und integration<br />
ist ein schöner erster start in die<br />
deutsche kultur. beim skaten verschwinden<br />
alle barrieren. die kinder<br />
erzählen von ihrem alten leben und<br />
ihrer flucht und wir erklären ihnen,<br />
dass bei uns jeder gleich viel wert<br />
ist, wie wir weihnachten feiern<br />
oder dass wir alle noch gar nicht<br />
verheiratet sind.<br />
die glücksgefühle, wenn zwanzig<br />
kinder lachend auf dich zugerannt<br />
kommen und »skateboard,<br />
skateboard« rufen, sind unbeschreiblich.<br />
es ist toll, wenn die kinder,<br />
welche zunächst ganz<br />
schüchtern auf dem po die rampe<br />
runterrutschen, später völlig aufblühen<br />
und uns irgendwelche tricks<br />
vorführen.<br />
eine vegane lebensweise bedeutet<br />
für mich nicht nur eine vegane<br />
ernährung. für mich geht es<br />
da um viel mehr. ich bin besonders<br />
glücklich darüber, dass freedom<br />
skaters das thema flüchtlingshilfe<br />
und vegan verbindet. wir helfen<br />
menschen, die täglichem rassismus<br />
ausgeliefert sind, achten dabei auf<br />
eine tierleidfreie ernährung und<br />
schonen den planeten, indem wir<br />
z.b. kein plastik benutzen und unsere<br />
shirts alle fair-trade und bio<br />
sind. wir nennen es liebevoll das<br />
»gutmenschen-rundum-sorglospaket«.<br />
laila:<br />
laila, 20, freedom-skaters-gründerin<br />
für die kinder sind die wöchentlichen<br />
workshops mehr als nur ein<br />
paar unbeschwerte stunden. die<br />
kinder lernen sich an bestimmte<br />
regeln zu halten. diese regeln und<br />
rituale schaffen einen rahmen,<br />
welcher den kindern sicherheit<br />
gibt. aber die kinder sind auch<br />
froh, dass wir ihnen zuhören. sie<br />
nehmen uns an der hand, umarmen<br />
uns und sagen alle ihre deutschen<br />
wörter, die sie gelernt haben.<br />
manche kinder sprechen auch gar<br />
nicht und wir hören ihre stimme<br />
nur dann, wenn sie vor glück laut<br />
lachen. sie schenken uns gemalte<br />
bilder, haargummis und essen, weil<br />
es das einzige ist, was sie besitzen.<br />
beim skaten haben die kinder<br />
oft erfolgserlebnisse, welche ihr<br />
selbstvertrauen enorm stärkt.<br />
im laufe der workshops passieren<br />
erstaunliche veränderungen.<br />
die kinder unterstützen sich gegenseitig,<br />
geben sich tipps und<br />
helfen sich auf, wenn sie hinfallen.<br />
kinder, die sich kaum länger als ein<br />
paar tage kennen, knüpfen internationale<br />
freundschaften und<br />
gehen arm in arm, sich »brother«<br />
und »friend« nennend, ins heim zurück.<br />
vegan zu leben rettet vorerst<br />
nicht allen tieren das leben, aber<br />
besser einigen wenigen, als keinem.<br />
so sehe ich das mit den<br />
flüchtlingen auch. ich kann es<br />
nicht ändern, dass es so viel krieg,<br />
leid und ungerechtigkeit gibt. aber<br />
ich kann den menschen, die es hier<br />
zu uns geschafft haben, zeigen,<br />
dass sie willkommen sind und ihnen<br />
ein paar schöne stunden bereiten.<br />
die kinder bekommen bei uns<br />
ausschließlich veganes essen, da<br />
fast alle der gründungsmitglieder<br />
vegan lebende menschen sind.<br />
wenn wir einkaufen gehen, werfen<br />
wir nicht alle unsere prinzipien<br />
über bord, nur weil das essen<br />
nicht für uns ist. für uns gibt es<br />
keine alternative zur veganen ernährung.<br />
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